Protokoll:
16014

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 14

  • date_rangeDatum: 26. Januar 2006

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:10 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/14 Jahresgutachten 2005/06 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 16/65) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Steppuhn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Wahl der Bundesbeauftragten für die Un- terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912 A 912 B 915 C 917 B 919 C 922 B 924 C 926 D 928 B 930 D 940 C 941 D 942 D 943 C 944 D 945 B 946 B Deutscher B Stenografisc 14. Sit Berlin, Donnerstag, d I n h a Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 und 15 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Peter Rauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2006 der Bun- desregierung – Reformieren, investie- ren, Zukunft gestalten – Politik für mehr Arbeit in Deutschland (Drucksache 16/450) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 911 A 911 D 944 D 911 D Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 932 B 933 C undestag her Bericht zung en 26. Januar 2006 l t : Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortwin Runde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Förderung ganz- jähriger Beschäftigung (Drucksache 16/429) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering, Bundesminister BMAS Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934 D 935 D 936 C 937 A 938 A 938 A 939 B Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946 C 950 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 Tagesordnungspunkt 6: a) Kuratorium der Stiftung „Haus der Ge- schichte der Bundesrepublik Deutsch- land“ (Drucksache 16/433) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR“ (Drucksache 16/434) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stiftungsrat der „Stiftung CAESAR“ (Centre of Advanced European Studies and Research) Drucksache 16/435) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stiftungsrat der „Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF)“ (Drucksache 16/436) . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Senat des Vereins „Hermann von Helm- holtz-Gemeinschaft Deutscher For- schungszentren e. V.“ (Drucksache 16/437) . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Drucksache 16/438) . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Parlamentarischer Beirat der „Stiftung für das sorbische Volk“ (Drucksache 16/439) . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Kuratorium „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ (Drucksache 16/440) . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen (Programmbeirat) (Drucksache 16/441(neu)) . . . . . . . . . . . . j) Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen- Gesetzes (Drucksache 16/442) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen Nr. 172 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1991 über die Arbeitsbe- dingungen in Hotels, Gaststätten und ähnlichen Betrieben (Drucksache 16/342) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereini- gung von Bundesrecht im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums des Innern (Drucksachen 16/28, 16/464) . . . . . . . . . . 946 D 947 A 947 A 947 B 947 B 947 B 947 C 947 C 947 D 947 D 947 D 948 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Zuständigkeitsbe- reich des Bundesministeriums für Wirt- schaft und Arbeit (Drucksachen 16/34, 16/399) . . . . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatisti- sche Erhebungen in bestimmten Dienst- leistungsbereichen (Dienstleistungskon- junkturstatistikgesetz – DlKonjStatG) (Drucksachen 16/36, 16/465) . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Altfahrzeug-Verordnung (Drucksachen 16/308, 16/413 Nr. 2.1, 16/467) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN: Erhö- hung der Anzahl von Ausschussmitglie- dern (Drucksache 16/432) . . . . . . . . . . . . . . . . f)–i) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 6, 7, 8 und 9 zu Petitionen (Drucksachen 16/377, 16/378, 16/379, 16/380) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Zuständigkeitsbereich des Bundes- ministeriums für Verbraucherschutz, Er- nährung und Landwirtschaft (Drucksachen 16/27, 16/425) . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: War- nungen vor einer Militarisierung der Aus- einandersetzung um das iranische Atom- programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 948 B 948 D 949 A 949 A 949 B, 950 A 949 C 950 B 950 C 951 C 952 D 953 D 955 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 III Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorverlegung des Fällig- keitstermins für Sozialabgaben rückgängig machen und strukturelle Reformen in der Rentenversicherung einleiten (Drucksache 16/396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Gregor Amann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Drucksache 16/430) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 956 C 957 D 958 D 959 D 961 A 962 B 963 B 964 A 965 A 965 B 966 D 967 C 969 A 970 A 971 D 973 A 973 D 975 D 976 D 977 A 978 D 980 C 981 D 982 C 983 B Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Über- wachung (Drucksache 16/400) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Ulrich Maurer, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Guantanamo schließen (Drucksache 16/364) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Für die Einhaltung von grundlegen- den Menschenrechten und Grundfreiheiten beim Umgang mit Gefangenen (Drucksache 16/431) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die Schließung von Guantanamo Bay und die Überfüh- rung der Gefangenen in rechtsstaatliche Verfahren (Drucksache 16/454) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Rechtsstaatliche Verfahren und Menschen- rechtsschutz für die Inhaftierten in Guan- tanamo Bay (Drucksache 16/443) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 984 B 984 C 985 C 986 C 988 B 989 A 990 A 990 A 990 B 990 B 990 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD) . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) (zur Geschäftsordnung) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), Matthias Berninger, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Die Dienstleis- tungsrichtlinie verbessern – Das euro- päische Sozialmodell bewahren (Drucksache 16/373) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: EU-Dienstleistungsrichtlinie ablehnen (Drucksache 16/394) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Modernisierung des Urheberrechts muss fortgesetzt werden (Drucksache 16/262) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ 991 D 993 A 994 B 995 C 996 C 997 C 998 C 999 A 999 C 999 D 1000 C 1000 C 1001 A 1002 A 1003 D 1004 D 1006 D 1008 A 1009 A 1010 B 1010 C 1011 D 1013 D 1014 C Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für starke soziale und öko- logische Standards in der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) der Weltbank (Drucksachen 16/374, 16/466) . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl der Bun- desbeauftragten für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit Stimmkarte und Wahlausweis gemäß § 35 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes der ehemaligen Deutschen Demokra- tischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz) teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alexander Ulrich (DIE LINKE) zur Abstim- mung über den Antrag: Für starke soziale und ökologische Standards in der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) der Weltbank (Ta- gesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Amtliche Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015 C 1016 B 1017 B 1017 C 1019 B 1020 B 1021 D 1022 C 1023 D 1024 A 1025 A 1026 A 1028 A 1029 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 911 (A) (C) (B) (D) 14. Sit Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    1) Anlage 3 1024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 (A) (C) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Berichtigung 13. Sitzung, Seite IV: Unter Anlage 4 ist der Name „Hildegard Müller, Staatsministerin BK“ durch „Bernd Neumann, Staatsminister BK“ zu ersetzen. Seite IV: Unter Anlage 5 ist der Name „Hildegard Müller, Staatsminiserin BK“ durch „Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ“ zu ersetzen. Seite 908 B: In Anlage 4 ist der Name „Staatsministe- rin Hildegard Müller“ durch „Staatsminister Bernd Neumann“ zu ersetzen. Seite 908 C: In Anlage 5 ist der Name „Staatsministe- rin Hildegard Müller“ durch „Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach“ zu ersetzen. (D) (B) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 1025 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 26.01.2006* Aydin, Hüseyin-Kenan DIE LINKE 26.01.2006 Barnett, Doris SPD 26.01.2006* Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 26.01.2006 Dzembritzki, Detlef SPD 26.01.2006* Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 26.01.2006* Goldmann, Hans- Michael FDP 26.01.2006 Gröhe, Hermann CDU/CSU 26.01.2006 Hänsel, Heike DIE LINKE 26.01.2006 Heynemann, Bernd CDU/CSU 26.01.2006* Hilsberg, Stephan SPD 26.01.2006 Hintze, Peter CDU/CSU 26.01.2006 Hirsch, Cornelia DIE LINKE 26.01.2006 Höger-Neuling, Inge DIE LINKE 26.01.2006 Hörster, Joachim CDU/CSU 26.01.2006* Knoche, Monika DIE LINKE 26.01.2006 Körper, Fritz Rudolf SPD 26.01.2006 Lintner, Eduard CDU/CSU 26.01.2006* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Mortler, Marlene CDU/CSU 26.01.2006 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2006 Pflug, Johannes SPD 26.01.2006 Raidel, Hans CDU/CSU 26.01.2006** Riester, Walter SPD 26.01.2006* Schmidt (Nürnberg), Renate SPD 26.01.2006 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 26.01.2006 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 26.01.2006 Strässer, Christoph SPD 26.01.2006* Teuchner, Jella SPD 26.01.2006 Veit, Rüdiger SPD 26.01.2006 Wächter, Gerhard CDU/CSU 26.01.2006 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 26.01.2006* Zimmermann, Sabine DIE LINKE 26.01.2006 1026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 (A) (C) (B) (D) Jochen-Konrad Fromme Dr. Martina Krogmann Dr. Norbert Röttgen Dr. Lale Akgün Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann-Josef Scharf Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Richard Schiewerling Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr (Neuruppin) Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Anlage 2 der Mitglieder des Deuts des Staatssicherheitsdien Wahlausweis gemäß § 35 Deutschen Demokratisch CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer (Lübeck) Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Verzei chen Bundestages, die an de stes der ehemaligen Deutsch des Gesetzes über die Unte en Republik (Stasi-Unterlag Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler (Wiesbaden) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings chnis r Wahl der Bundesbeauftra en Demokratischen Republ rlagen des Staatssicherheitsd en-Gesetz) teilgenommen ha Dr. Maximilian Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer (Hamm) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Hildegard Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Bernd Neumann (Bremen) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith gten für die Unterlagen ik mit Stimmkarte und ienstes der ehemaligen ben Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mühlheim) Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer (Neuss) Elisabeth Winkelmeier- Becker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 1027 (A) (C) (B) (D) Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding (Heidelberg) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann (Wackernheim) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz (Essen) Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung (Karlsruhe) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel (Berlin) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Michael Müller (Düsseldorf) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Joachim Poß Christoph Pries Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche (Cottbus) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel Riemann- Hanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Ortwin Runde Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt (Landau) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr (Münster) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Michael Link (Heilbronn) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Martin Zeil DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus 1028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 (A) (C) (B) (D) das heißt der Ausschussmehrheit. kanten Interpretationsspielraum bei der Anwendung“ derneuen „Performance Standards“ der IFC. In dem Antrag wird im Fe Praxis der International Finan siert. Es wird darauf verwies richt der IFC von 2005 e 59 Prozent der in den Jahren nen Projekte einen Beitrag hätten. Leider bleibt der An nennt kein einziges Projekt k wicklungsfeindliche Praxis v lichen würde. Es wird versch großen Nutznießern von IFC agierende Bergbaukonzerne h wie Coca-Cola, Exxon Mobil Stattdessen suggeriert der politische Ausrichtung der I existiert. So solle bei der Pr Zukunft“ das Wohl und der betroffene Bevölkerung abs sollten die sozialen und ökol „auch weiterhin“ indigenen sonderen Schutz gewähren. ststellungsteil zu Recht die ce Corporation (IFC) kriti- en, dass selbst im Jahresbe- ingeräumt wird, dass nur 2001 bis 2003 angenomme- zur Entwicklung geleistet trag dabei stehen und be- onkret, an dem sich die ent- ieler IFC-Projekte verdeut- wiegen, dass es sich bei den -Krediten um transnational andelt sowie um Konzerne e oder Halliburton. Antrag eine entwicklungs- FC, die in der Praxis nicht ojektfinanzierung „auch in tatsächliche Nutzen für die olute Priorität haben. So ogischen Standards der IFC Bevölkerungsgruppen be- Die „Performance Standa der Standards an die bisheri Praxis vor. Es soll verhinder Tochter der Weltbank weite vorgehalten werden können. Wir, die Fraktion Die Link vorgeschlagen, eine Kritik am in den Antrag einzufügen und „IV. Der Deutsche Bunde gierung auf, den deutschen E tungsrat der Weltbank anzuw men „Performance Standards neuen Umwelt- und Sozials IFC abzulehnen.“ Leider sind die Antragstel nis 90/Die Grünen nicht auf gen, obgleich Frau Koczy m Standards“ vehement kritisie der Antrag durch diese Aus genden Charakter erhalten ha rds“ sehen die Anpassung ge, entwicklungsfeindliche t werden, dass der IFC als rhin die eigenen Standards e, haben den Antragstellern vorgelegten Regelentwurf anzufügen: stag fordert die Bundesre- xekutivdirektor im Verwal- eisen, das unter dem Na- “ vorgelegte Regelwerk zu tandards (Safeguards) der ler von der Fraktion Bünd- diesen Vorschlag eingegan- ündlich die „Performance rt hat. Wir bedauern, dass lassungen einen beschöni- t. Er verschleiert den kon- Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke-Reymann Diana Golze Dr. Gregor Gysi Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Neskovic Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer (Köln) Volker Schneider (Saarbrücken) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Gert Winkelmeier Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alexander Ulrich (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag: Für starke soziale und ökologische Standards in der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) der Weltbank (Tagesordnungspunkt 14) Ich stimme der Beschlussempfehlung und dem Be- richt des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung (Drucksache 16/466) zu, jedoch teile ich nicht die Argumente der anderen Fraktionen, Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Joseph Fischer (Frankfurt) Kai Boris Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf (Frankfurt) Insbesondere wird in dem Antrag vollkommen unter- schlagen, dass seit dem 22. September 2005 ein Entwurf unter dem Titel „International Finance Corporation’s Policy and Performance Standards on Social and En- vironmental Sustainability“ vorliegt, der bis heute die Grundlage für die Debatte um die Veränderung der Richtlinien der IFC darstellt. Diese neuen Richtlinien sollen die Verantwortung für die Beurteilung von Projek- ten auf die Kreditnehmer der IFC übertragen. Zahlreiche NGOs sehen in ihnen eine völlige Abkehr von der bisher zumindest auf dem Papier bestehenden Ausrichtung auf entwicklungspolitische Grundsätze. Selbst die Umwelt- und Rechtsabteilung der Weltbank kritisiert den „signifi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 1029 (A) (C) (B) (D) kret vorliegenden Abstimmungsentwurf und entlässt die Bundesregierung bzw. das BMZ als das dem deutschen Exekutivdirektor in der Weltbank übergeordnete Minis- terium aus der Verantwortung. Anlage 4 Amtliche Mitteilung Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2005 Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 13 Titel 856 22 – Betriebsmitteldarlehen des Bundes an die Träger der allgemeinen Rentenversicherung – – Drucksachen 16/89, 16/135 Nr. 1.11 – 14. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601400000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Tag und gute,
konstruktive Beratungen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
Ihnen mitteilen, dass interfraktionell vereinbart worden
ist, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatz-
punktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Vorschlag des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt,
bei einer entsprechenden Entwicklung der Steuereinnah-
men 2006 auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu ver-
zichten

(bereits erledigt)


ZP 2 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Warnungen vor einer Militarisierung der Auseinanderset-
zung um das iranische Atomprogramm

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD
Für die Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten
und Grundfreiheiten beim Umgang mit Gefangenen

Rede
– Drucksache 16/431 –
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar,

Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für die Schließung von Guantanamo Bay und die Über-
führung der Gefangenen in rechtsstaatliche Verfahren
– Drucksache 16/454 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsstaatliche Verfahren und Menschenrechtsschutz
für die Inhaftierten in Guantanamo Bay
– Drucksache 16/443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitä
Auswärtiger Ausschuss
zung

en 26. Januar 2006

.00 Uhr

ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 16)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des
Bundesrechts im Zuständigkeitsbereich des Bundesminis-
teriums für Verbrauchers4chutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
– Drucksache 16/27 –

(Erste Beratung 8. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Er-

(10. Ausschuss)

– Drucksache 16/425 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Die Tagesordnungspunkte 8 – Vorratsdatenspeiche-
rung – und 15 b – Entschädigungsrecht – sollen abge-
setzt werden. Außerdem ist vorgesehen, den Tagesord-
nungspunkt 11 – Abfallrecht – unmittelbar nach dem Ta-
gesordnungspunkt 9 – Änderung des Gentechnikgeset-
zes – aufzurufen. Von der Frist für den Beginn der Bera-
tungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –

text
Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Jahreswirtschaftsbericht 2006 der Bundes-
regierung

Reformieren, investieren, Zukunft gestalten –
Politik für mehr Arbeit in Deutschland

– Drucksache 16/450 –
isungsvorschlag:
ss für Wirtschaft und Technologie (f)


usschuss
ss für Ernährung, Landwirtschaft und

cherschutz
re Hilfe (f)


Überwe
Ausschu
Finanza
Ausschu
Verbrau

Ausschuss für Arbeit und Soziales






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Jahresgutachten 2005/06 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung

– Drucksache 16/65 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt zwei Stunden vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft, Michael Glos.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht macht deutlich, wo
Deutschlands Zukunft liegt: im Bereich Bildung und
Innovation. Das sind nach meiner festen Überzeugung
die Grundlagen für zukünftiges Wachstum und damit
auch für wieder mehr Beschäftigung in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Überschrift des vorliegenden Jahreswirtschafts-
berichts lautet: „Reformieren, investieren, Zukunft ge-
stalten – Politik für mehr Arbeit in Deutschland“. Die
konjunkturelle Erholung Deutschlands hat sich, wie ich
meine, gefestigt und wird in diesem Jahr nach Überzeu-
gung aller Institute an Breite gewinnen; darauf deuten
die aktuellen Indikatoren hin wie auch die Auftragsein-
gänge, die Produktionsdaten und die Stimmungsindika-
toren. Wie in unserem Jahreswirtschaftsbericht steht,
erwarten wir für das Jahr 2006 einen Anstieg des Brutto-
inlandsprodukts um real 1,5 Prozent. Nun kann man
streiten, wie Prognosen von Fachleuten zu werten sind.
Die offizielle Prognose, nach den statistischen Daten, die
zugrunde gelegt sind, lautet: 1,4 Prozent. Es gibt aber
auch Stimmen, nach denen der Anstieg bis 1,6 Prozent
betragen kann. Ich bleibe bei 1,5 Prozent. Ich meine,
dass das eine bewusst vorsichtige Schätzung der gesamt-
wirtschaftlichen Eckdaten ist. Es ist nämlich besser, vor-
sichtiger zu schätzen und es kommt dann günstiger, als
den Weg zu gehen, der in der Vergangenheit beschritten
worden ist. Ich meine, wir haben diesmal die Chance,
von der tatsächlichen Entwicklung positiv übertroffen zu
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das fängt ja gut an! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das fängt ja gut an mit euch! – Gegenruf des Abg. Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben nur eine gemeinsame Zukunft, keine gemeinsame Vergangenheit! – Heiterkeit im ganzen Hause)


– Ich will die Gespräche im Plenum nicht stören, Herr
Präsident.


(Heiterkeit im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601400100

Als Bundestagspräsident muss ich darauf auch größ-

ten Wert legen, Herr Minister.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Mein Respekt als Bundestagsabgeordneter vor dem
Parlament ist viel zu groß.

Die außenwirtschaftlichen Impulse dürften angesichts
der robusten Weltwirtschaft erhalten bleiben. Bei einem
geschätzten Exportanstieg von 6,5 Prozent werden die
deutschen Exporteure erneut Marktanteile hinzugewin-
nen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Menschen dan-
ken, die mit dazu beitragen, dass wir Exportweltmeister
sind und es bleiben werden. Dazu zählen auch diejeni-
gen, die bereit sind, ins Ausland zu gehen, um dort deut-
sche Anlagen zu montieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie sichern damit Arbeitsplätze in Deutschland und tra-
gen in anderen Ländern der Welt zu einer wirtschaftli-
chen Entwicklung bei, was wiederum eine friedliche
Entwicklung unterstützt. Deswegen appelliere ich an die
Entführer der beiden deutschen Ingenieure im Irak, diese
freizulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Binnenkonjunktur könnte allmählich – das
wünschen wir uns alle – wieder an Zugkraft gewinnen.
Darauf deuten sehr viele Umfrageergebnisse hin. Vor al-
lem ist die Stimmung der Deutschen wieder zuversichtli-
cher geworden. Wir wissen natürlich, dass das wirt-
schaftliche Handeln der augenblicklichen Stimmung
hinterherhinkt. Wenn aber viele Menschen der Meinung
sind, es gehe aufwärts und diese Entwicklung sei stabil,
dann wird sich auch deren Kaufverhalten verbessern. Al-
lein die Aktivitäten bei Ausrüstungsinvestitionen in un-
serem Land sprechen schon Bände. Das zeigt, dass der






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Impuls von außen auf die Bereitschaft zu Investitionen
im Inland durchgeschlagen hat. Ich hoffe, dass das auch
für die Konsumbereitschaft gelten wird.

Es gibt viele Zahlen, die dafür sprechen, dass der
Aufschwung breit angelegt ist. Als Beispiele nenne ich
nur: die kräftige Gewinnentwicklung in den vergange-
nen Jahren, insbesondere bei exportorientierten Unter-
nehmen, die fortgeschrittene Bilanzbereinigung bei
vielen Unternehmen, die lange Zeit viel Faules mitge-
schleppt haben, bis man es in der Bilanz entsprechend
bereinigen konnte, und die zuletzt wieder gestiegene Ka-
pazitätsauslastung. Auch der letzte Punkt ist wichtig;
denn erst wenn die Kapazitäten ausgelastet sind, kommt
es zu Erweiterungsinvestitionen. Ich meine, dass das
günstige Anzeichen sind.

Die Zahl der Arbeitslosen wird dieser Prognose nach
im Jahresdurchschnitt um rund 350 000 auf 4,5 Millio-
nen Personen zurückgehen.

Wie jede Vorhersage ist auch die Jahresprojektion der
Bundesregierung mit Risiken und damit mit Unsicher-
heiten behaftet. Niemand vermag zum Beispiel exakt vo-
rauszusagen, ob es erneut zu einem weltweiten Anstieg
bei den Rohstoffpreisen kommen wird, vor allem beim
Rohöl. Wir haben bei unserer Prognose schon einen ho-
hen Rohölpreis zugrunde gelegt. Aber dieser kann natür-
lich noch übertroffen werden; schließlich wird Rohöl
zum großen Teil in unsicheren Gegenden der Welt geför-
dert. Das zeigt letztlich unsere Abhängigkeit von sol-
chen Entwicklungen.

Niemand kann heute vorhersagen, welche Auswir-
kungen die globalen Ungleichgewichte haben werden.
Das gilt insbesondere für die Entwicklung des Haus-
halts- und Leistungsbilanzdefizits der USA. Niemand
weiß, wie das auf die Weltfinanzmärkte durchschlagen
wird.

Auf der anderen Seite bestehen durchaus Chancen für
eine günstigere Entwicklung als vorausgesagt. Es
kommt vor allem darauf an, das Vertrauen der Menschen
zu stärken. Wir werden mit unserer wirtschaftspoliti-
schen Strategie zu einer Stärkung des Vertrauens beitra-
gen. Das ist das Ziel der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Dreiklang, den wir setzen, besteht aus Sanieren,
Reformieren, Investieren. Zum ersten Punkt: Gesunde
und tragfähige Staatsfinanzen sind eine wesentliche
Grundlage für Vertrauen in die Politik. Es kann mittel-
und längerfristig nur dann einen Aufschwung geben,
wenn wir uns an die Sanierung der öffentlichen Finanzen
heranwagen. Um die Solidität dauerhaft zu sichern, muss
es uns gelingen, die öffentlichen Haushalte strukturell zu
konsolidieren und die Weichen für mehr Wachstum und
Beschäftigung zu stellen. Wir werden deshalb die Kon-
solidierung des Bundeshaushaltes und der sozialen Si-
cherungssysteme mit großer Entschlossenheit angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf bin ich aber gespannt!)

Ich bitte Sie von allen Seiten des Hauses ganz herzlich
um Ihre Mitwirkung.

Ich bin mir der Problematik der Erhöhung der
Mehrwertsteuer natürlich sehr bewusst. Wenn wir aber
von einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte
reden, dann müssen wir immer wieder hinzufügen, dass
1 Prozentpunkt davon direkt in die Senkung der Lohn-
nebenkosten fließt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Rest?)


Die zu hohen Lohnzusatzkosten – so sagt man inzwi-
schen vielleicht besser, weil es in Teilen nicht mehr nur
Nebenkosten, sondern Hauptkosten sind – sind noch
schädlicher für die Volkswirtschaft als die Steuerbelas-
tung. Wenn wir zumindest unsere Steuerquote mit dem
Schnitt in anderen Ländern vergleichen, dann stellen wir
fest, dass wir gar nicht so schlecht liegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei der Rente und der Gesundheit treiben Sie es hoch! Blanker Unsinn!)


Wie gesagt: Es läuft alles nur gut, wenn es auch
Wachstum gibt. Deshalb ist es zweitens notwendig, dass
wir mit einem wirtschaftlichen Aufschwung in diesem
Jahr die notwendige Breite schaffen, damit der Zug des
Aufschwungs auch im nächsten Jahr, wenn die Mehr-
wertsteuererhöhung greift, so rasch auf den Gleisen
fährt, dass er nicht ohne weiteres gestoppt werden kann.

Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge
dauerhaft unter 40 Prozent gesenkt werden. Das ist eine
der Aufgaben der großen Koalition. Ein erster Schritt auf
diesem Weg ist die Senkung des Beitrags zur Arbeitslo-
senversicherung von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent zum
1. Januar 2007. Handlungsbedarf besteht auch am Ar-
beitsmarkt, um möglichst vielen Menschen eine Chance
auf Arbeit zu geben. So bedarf es des so genannten – –


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in der Rentenversicherung gehen Sie hoch! Das wissen Sie doch! Erzählen Sie doch keinen Mist! Um 0,4 Prozentpunkte gehen Sie bei der Rente hoch!)


– Ich kann Sie schlecht verstehen. Ich empfehle Ihnen,
aufzustehen und sich zu melden, Herr Kuhn. Ihre Bei-
träge sind im Allgemeinen ja so intelligent, dass Sie sie
auch laut und ohne dass Störungen damit verbunden
sind, vorbringen können.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 0,4 Prozentpunkte gehen Sie bei der Rente hoch!)


– Ich lasse mich von Ihnen trotzdem nicht aus dem Kon-
zept bringen.

Ich sage es noch einmal: Wir bedürfen auch des so ge-
nannten Niedriglohnsektors und einer Neuregelung am
Arbeitsmarkt dergestalt, dass auch die Menschen, die
weniger qualifiziert und leistungsfähig sind und die sich
in der komplizierten Arbeitswelt oft nicht mehr ge-
braucht fühlen, Arbeit und Brot finden. Das ist eine der






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
wesentlichen Aufgaben für die Zukunft. Dafür wird eine
Kommission eingesetzt und wir werden unvoreingenom-
men prüfen, was man sinnvollerweise tun kann.

Neben der Haushaltssanierung und weiteren struktu-
rellen Reformen geht es der Bundesregierung drittens
um mehr Investitionen und Innovationen. Auf unserer
Regierungsklausur in Genshagen haben wir in fünf Be-
reichen konkrete Impulse mit einem Volumen von insge-
samt 25 Milliarden Euro bezogen auf die Legislatur-
periode beschlossen.

Dazu gehört die Förderung von Forschung und Ent-
wicklung. Dabei geht mein Appell auch an die Wirt-
schaft, mitzumachen und nicht infolge sich erhöhender
staatlicher Mittel möglicherweise die eigenen For-
schungsmittel zu kürzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Gegenteil muss der Fall sein. Wir wollen mit dem
öffentlichen Geld, das wir einsetzen, zusätzliche Impulse
auslösen.

Zu unserem Programm gehören auch die Belebung
von Mittelstand und Wirtschaft sowie die Erhöhung der
Verkehrsinvestitionen, was nicht nur der Bauwirtschaft
direkt zugute kommt; vielmehr wirkt sich die dann vor-
handene Infrastruktur natürlich auch günstig auf unsere
Wirtschaft und die Investitionen an den verkehrsmäßig
günstigen Standorten aus.

Zu unserem Programm gehört aber auch die Förde-
rung der Familien. Das ist eine der Sorgen unseres
Landes. Ich bin vom amerikanischen Handelsminister
Gutierrez, der mich gestern besucht hat, gefragt worden,
warum wir in Deutschland schon stolz sind, wenn wir
Wachstumsraten von vielleicht 2 Prozent, wenn wir sehr
optimistisch sind, erreichen können.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, genau!)


Ich habe gesagt: Das hat auch etwas mit unserer Bevöl-
kerungsentwicklung zu tun. Schauen Sie sich die Bevöl-
kerungsentwicklung Ihres Landes an und schauen Sie
sich die Bevölkerungsentwicklung unseres Landes an.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie mal bei der Einwanderung neu nachdenken!)


Dann sehen Sie, wo im Grunde ein großes Stück unserer
Probleme liegt.

Ich darf die Maßnahmen, die wir konkret vereinbart
haben, weiter aufzählen: Es geht auch um die steuerliche
Abzugsfähigkeit von haushaltsnahen Dienstleistun-
gen. Auch hier sind die Weichen entsprechend gestellt
worden.

All diese Maßnahmen sollen zur Stärkung der Wachs-
tumskräfte beitragen und sind in unsere Projektion ein-
gearbeitet. Natürlich ist in diese Projektion auch die Tat-
sache eingearbeitet, dass die Mehrwertsteuererhöhung,
die für nächstes Jahr geplant ist, in diesem Jahr zusätzli-
che Käufe auslöst. Es gibt selbstverständlich einen Vor-
zieheffekt; dieser ist gewollt.
Bereits kurzfristig erhoffe ich mir Anstöße von der
Revitalisierung der degressiven Abschreibung für be-
wegliche Anlagegüter auf dem alten Stand. Aber das
muss dann von einer Reform der Unternehmensbesteue-
rung zum 1. Januar 2008 abgelöst werden. Die nomina-
len sowie die effektiven Steuersätze auf unternehmeri-
sche Tätigkeit sind bei uns in Deutschland im
internationalen und auch im europäischen Vergleich zu
hoch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP])


Effektiv liegen sie bei 36 Prozent. Im europäischen
Durchschnitt sind es 30 Prozent, in Osteuropa unter
20 Prozent.

Unter Federführung des Finanzministers wird unter
Einbeziehung von Experten noch in diesem Jahr ein Vor-
schlag vorgelegt werden. Wir haben die Chance, uns zu-
erst mehrere Vorschläge anzusehen. Diese müssen dann
vom Finanzminister zusammen mit dem Wirtschafts-
minister bewertet und möglichst bald dem parlamentari-
schen Gesetzgebungsverfahren zugeleitet werden. Die
Menschen wollen schließlich wissen, was 2008 auf sie
zukommt.

Wachstumspolitisch besonders wichtig ist mir das
Ziel, die Ausgaben für Forschung und Technologie bis
2010 auf insgesamt 3 Prozent des Bruttosozialproduktes
zu steigern; denn in der Fähigkeit, innovativ zu sein und
zu bleiben, liegt Deutschlands Zukunft. Nur dadurch
kann unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit auf
dem hohen Niveau von Wohlstand und Sozialleistungen
aufrechterhalten werden. Mit Billiglöhnen in anderen
Ländern können wir nicht konkurrieren.

Für die Jahre 2006 bis 2009 werden aus Haushalts-
mitteln 6 Milliarden Euro für Forschung und Innovation
bereitgestellt. Ich werde insbesondere bei den For-
schungsmitteln, die dem BMWi zugute kommen, dafür
sorgen, dass der Schwerpunkt auf der Stärkung des inno-
vativen Mittelstandes und der technologieorientierten
Gründer liegen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden aber selbstverständlich innovative
Leuchtturmprojekte fördern, zum Beispiel das so ge-
nannte emissionsfreie Kraftwerk, um auf dem Energie-
sektor neue Lösungen voranzutreiben.


(Beifall des Abg. Ortwin Runde [SPD])


Alle Maßnahmen werden wir im Aktionsplan „High-
tech Strategie Deutschland“ bündeln. Wir versprechen
uns von diesen Maßnahmen eine doppelte Dividende.
Mit den kurzfristigen Impulsen tragen wir dazu bei, die
aktuelle konjunkturelle Belebung zu festigen. Ich
glaube, das wollen alle. Diese kurzfristigen Impulse sind
natürlich temporär angelegt und laufen nach einer Weile
aus. Ein Beispiel: Die Verbesserung der Abschreibungs-
bedingungen wird in eine echte Unternehmensteuer-
reform münden.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Mit den eher längerfristig wirksamen Maßnahmen
schaffen wir darüber hinaus die Voraussetzung für ein
dauerhaft höheres Wachstum. Hierzu zählen die Förde-
rung von Forschung und Entwicklung, die ich bereits er-
wähnt habe, aber natürlich auch die Maßnahmen, die
strukturell und längerfristig zu einer Entlastung des
Haushaltes führen. Sie sind ebenfalls auf Dauer angelegt
und werden zur strukturellen Haushaltskonsolidierung
beitragen. Dazu gehören zum Beispiel die Ausgabenkür-
zungen, der Abbau von Steuervergünstigungen sowie die
Maßnahmen zur Stabilisierung unserer sozialen Siche-
rungssysteme.

Wir werden mit einer Mittelstandsinitiative starten,
in deren Mittelpunkt weniger Bürokratie und mehr
Flexibilität steht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das kostet den Staat und die öffentliche Hand kein Geld;
aber es hilft den Betrieben, die investieren und Arbeits-
plätze schaffen wollen.

Beim Bundeskanzleramt wird ein Normenkontroll-
rat eingerichtet. Unabhängige Fachleute sollen künftig
alle Gesetzesinitiativen auf Erforderlichkeit und büro-
kratische Kosten überprüfen. Auf der anderen Seite wis-
sen wir, dass nicht jede Abschaffung von Regelungen
unbedingt Beifall auslöst. Sehr viele haben sich an diese
Regelungen gewöhnt.

Lassen Sie mich ein aktuelles Beispiel anführen: Die
Wirtschaftsministerkonferenz der Länder hat Vereinfa-
chungen im Gaststättengesetz – beispielsweise durch die
Abschaffung der Bundeskompetenz – gefordert. Sobald
solche Maßnahmen jedoch im Jahreswirtschaftsbericht
aufgeführt werden und ihre Umsetzung Gestalt an-
nimmt, werden Stimmen laut, die sich dagegen ausspre-
chen.

Aber zurück zu den von uns geplanten Maßnahmen:
Wir müssen – das halte ich für ganz entscheidend – auch
die Selbstständigenquote in unserem Land steigern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung. Ein immer
noch sehr stark industriell geprägtes Land mit einer hoch
komplizierten Volkswirtschaft wie Deutschland ist in be-
sonderem Maße in Sorge um den Energiepreis. Der
Energiepreis in Deutschland ist sehr vielen staatlichen
Belastungen ausgesetzt. Das ist bekannt und unstrittig.
Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Wettbewerb auf
dem Energiemarkt funktioniert und die Versorgungs-
sicherheit – auch über entsprechend gute Leitungsnetze –
erhalten wird. Darüber hinaus müssen ausreichend Ka-
pazitäten vorhanden sein, um einen echten Wettbewerb
zu ermöglichen. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz ver-
fügen wir über ein Instrument, das den dafür zuständigen
nachgeordneten Behörden erlaubt, über den Wettbewerb
zu wachen.

Als Maßnahme zur Steigerung der Energieeffizienz
erhöhen wir das Fördervolumen für das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm auf 1,4 Milliarden Euro jährlich.
Dadurch werden auch Arbeitsplätze im Handwerk ge-
schaffen, worum es mir in besonderem Maße geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen den Energiemix ausweiten. Auf dem ge-
planten Gipfeltreffen mit der Bundeskanzlerin werden
wir die künftigen Leitlinien ziehen.

Wir setzen in unserer Politik auf unsere Stärken in
Deutschland: auf qualifizierte Arbeitnehmer und Ar-
beitsnehmerinnen bzw. wettbewerbsfähige Unternehmen
und vor allen Dingen auf den sozialen Frieden, der ein
hohes Gut ist. Ich kann nur hoffen, dass sich die Tarif-
partner in den anstehenden Verhandlungen so einigen,
dass die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nicht ge-
fährdet wird und dass vorhandene Spielräume zugunsten
unseres Landes mit hoher Flexibilität genutzt werden.
Daran arbeiten wir.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601400200

Das Wort hat nun der Kollege Rainer Brüderle für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601400300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-

deskanzlerin hat vor wenigen Wochen an dieser Stelle
ihre Politik unter das Motto „Mehr Freiheit wagen“ ge-
stellt. Sie hat es gestern in Davos erneut als Strategie der
Bundesregierung betont. In der Realität sieht die Politik
aber leider ganz anders aus. Die Bundesregierung hat
sich allenfalls die Freiheit genommen, ihre Prognose im
Jahreswirtschaftsbericht sehr vorsichtig anzulegen.

Das prognostizierte Wachstum um 1,4 Prozent liegt
am unteren Rande dessen, was die Ökonomen vorhersa-
gen. Auch bei den Investitionen und dem Konsum liegen
die Prognosen am unteren Rande der Expertenmeinun-
gen. Ich kritisiere das nicht; besser wäre es aber, wenn
die Regierung bei den steuerlichen Belastungen der Bür-
ger Zurückhaltung üben und ihnen weniger abverlangen
würde.


(Beifall bei der FDP)


Herr Glos hat persönlich eine deutlich optimistischere
Prognose öffentlich geäußert. Finanzminister Steinbrück
will aber offenbar den Druck aufrechterhalten, um die
Debatte über die Mehrwertsteuererhöhung keinesfalls
weiter anzuheizen. Deshalb ist die Prognose so moderat
ausgefallen.

Die Erstellung des Jahreswirtschaftsberichts ist die
Aufgabe des Wirtschaftsministers. Man muss sich aber
ohnehin fragen, wofür Herr Glos eigentlich zuständig ist.
Wenn ich Energie höre, sehe ich Herrn Gabriel. Wenn
ich Konjunkturprognose höre, sehe ich Herrn
Steinbrück. Wenn ich Ministererlaubnis höre, sehe ich
die Herren Koch und Stoiber. Aus dem ERP-Sonderver-
mögen sollen offenbar 2 Milliarden Euro zum Stopfen
von Haushaltslöchern herausgebrochen werden. Das






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
steht übrigens im Gegensatz zum Koalitionsvertrag und
auch zum Jahreswirtschaftsbericht. Herr Glos, vielleicht
nehmen Sie im Laufe der Debatte die Gelegenheit wahr,
richtig zu stellen, dass die Mittel für den Mittelstand
nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern missbraucht
werden dürfen.


(Beifall bei der FDP)


Die Union hat jedenfalls, als sie noch in der Opposi-
tion war, den Ausverkauf der Marshallplanmittel vehe-
ment kritisiert. Meine Bitte: Fallen Sie hier nicht um!
Lassen Sie die Sozialdemokratisierung der Union nicht
so weit gehen, dass Sie alle Ihre Vorstellungen, die Sie
vor der Wahl geäußert haben, wieder einsammeln.


(Beifall bei der FDP)


Wo sich der Wirtschaftsminister selber äußert, geht es
hott und hü. Vor dem Jahreswechsel fordert er noch hö-
here Löhne, damit die Konjunktur in Gang kommt.


(Beifall des Abg. Ortwin Runde [SPD])


Nach dem Jahreswechsel fordert er Lohnzurückhal-
tung. Er fordert nun – das ist die neueste Variante – dif-
ferenzierte Lösungen. Im Klartext heißt das betriebliche
Bündnisse für Arbeit. Aber er hat nicht den Mut, die
Konsequenzen zu ziehen, nämlich den Mitarbeitern im
Betrieb tatsächlich zu ermöglichen, mit 75 Prozent
Mehrheit eigenständig Regelungen zu treffen, und zwar
jenseits des Diktats der beiden Kartellbrüder Gewerk-
schaften und Arbeitgeber. Das wäre die Konsequenz ei-
ner differenzierten Lösung.


(Beifall bei der FDP)


Eigentlich ist der Bundeswirtschaftsminister das ord-
nungspolitische Gewissen einer Regierung. Es wäre ge-
radezu seine Pflicht, solche Öffnungsklauseln zu for-
dern. Ich schätze Herrn Glos persönlich als fähigen
Politiker. Aber ich muss zitieren, was zum Beispiel „Bild
am Sonntag“, eine der Regierung durchaus nicht feind-
lich gesonnene Zeitung, über ihn wörtlich schreibt:

Glos blamiert sich nicht nur als Fachminister, son-
dern lässt erste Zweifel an der Qualität und Kompe-
tenz der neuen Bundesregierung aufkommen.


(Zuruf von der SPD: Wenn Sie die „Bild am Sonntag“ hier zitieren, ist das natürlich ein hohes Niveau!)


Der Minister versucht, uns den Heimaturlaub schmack-
haft zu machen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn
man aber nicht über den deutschen Tellerrand hinaus-
blickt, dann hat man es schwer, Konzepte für eine Re-
form des Welthandels oder für die WTO-Verhand-
lungsposition zu erarbeiten.

Auch das Ministerium ist noch immer nicht richtig
geordnet. Die Diskussion über Luft- und Raumfahrtko-
ordination offenbart, dass hier vieles noch nicht klar ist.
Ein ordnungspolitisches Gewissen ist jedenfalls in kei-
ner Weise erkennbar.


(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

Wenn man die Vorgaben der Bundeskanzlerin ernst
genommen hätte, dann hätte der Jahreswirtschaftsbericht
geradezu ein ökonomisches Freiheitsprogramm sein
müssen. In ihm hätten die Fundamente für mehr Wachs-
tum und mehr Arbeitsplätze gelegt werden müssen. Der
Jahreswirtschaftsbericht ist das Schicksalsbuch der deut-
schen Wirtschaftspolitik. Doch statt das Schicksal der
deutschen Wirtschaft zum Besseren zu wenden, wird in
dem Bericht noch einmal der Inhalt des Koalitionsvertra-
ges aufgelistet: reformieren, investieren, Zukunft gestal-
ten. Das alles hört sich zwar ganz gut an.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist auch gut!)


Aber die Realität von Schwarz-Rot ist bisher: kaschie-
ren, blockieren und Angst verwalten.


(Beifall bei der FDP)


Wer mehr als die Überschriften des Jahreswirtschafts-
berichts liest, merkt, dass viel zu wenig Substanz und
Freiheit drin sind. Es ist richtig, was Herr Glos sagt: Wir
brauchen ein starkes Wachstum, um den Haushalt zu sa-
nieren und in Ordnung zu bringen, und müssen dabei
über die Ausgabeseite gehen. Aber diese wichtige Er-
kenntnis wird nicht umgesetzt. Die erste Maßnahme der
Regierung ist, die Ausgaben mit einem Minikonjunktur-
programm zu erhöhen. So werden die Ausgaben nicht
gesenkt und so wird der Haushalt nicht in Ordnung ge-
bracht. Das Dutzend zusätzlicher Staatssekretäre hätten
Sie sich sparen können. Sie stören nur in der Verwaltung
und kosten Geld. Das ist kein Beitrag zum Sparen.


(Beifall bei der FDP)


Statt das Wachstum durch weniger Bürokratie und
niedrigere Steuersätze zu entfesseln, wird die Mehrwert-
steuer deutlich angehoben und der Spitzensteuersatz er-
höht. Das ist das Gegenteil von mehr Freiheit wagen. Bei
Ihnen geht es nach dem Motto „Gib mir meine Mehr-
wertsteuer, ich gebe dir deine Reichensteuer“.


(Beifall bei der FDP)


Aber mehr Steuern bedeuten weniger Freiheit, weil man
in geringerem Umfang über die Verwendung dessen,
was man sich selbst erarbeitet hat, entscheiden kann. Es
wird also in stärkerem Maße vorgeschrieben, wofür das
selbst Erarbeitete verwendet werden soll. Das ist das Ge-
genteil von mehr Freiheit. Das zieht sich wie ein roter
Faden durch Ihre Politik. Sie reden nur von Freiheit. Tat-
sächlich sorgen Sie aber nicht für mehr Freiheit, sondern
reduzieren die Freiheit. Das ist die falsche Politik.


(Beifall bei der FDP)


Zum Ausgleich gibt es ein bisschen für Handwerker,
ein bisschen für Investitionen, ein bisschen für Familien,
ein bisschen für den Mittelstand. Übrigens hat der Haus-
haltsausschuss Ihr Gebäudesanierungsprogramm ange-
halten, weil die Finanzierung nicht nachvollziehbar ist.
Auch da ist das Motto ganz einfach: Erst nimmt man
dem Bauern das Schwein weg, dann bekommt er drei
Kotelett und soll sich auch noch artig bedanken. Das ist
keine Strategie für eine erfolgreiche Politik.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
Familienförderung ist sicherlich ein wichtiges
Thema. Nur, die große Koalition zelebriert als Medien-
beschäftigungstherapie geradezu täglich ihre Differen-
zen in der Familienpolitik. Sie machen so eine Art
Schönheitswettbewerb: Spieglein, Spieglein an der
Wand, wer ist die Sozialste im Land? Sie sollten sich lie-
ber mit den Kernproblemen beschäftigen. Das Beste für
Familien ist, wenn ihre Mitglieder einen Arbeitsplatz ha-
ben und Geld verdienen, statt irgendwelche Wohltaten
von dieser Regierung zu erhalten.


(Beifall bei der FDP)


Als wir gefordert haben, den Privathaushalt als
Arbeitgeber anzuerkennen, wurden wir beschimpft:
Typisch FDP, Dienstmädchenprivileg. Jetzt, mit
20 Jahren Verspätung, sagen Sie, Sie hätten eine Wun-
derwaffe entdeckt, den Haushalt als Arbeitgeber. Das
hätten Sie schon längst machen können. Es könnten
schon Hunderttausende in Arbeit sein, wenn Sie unseren
Vorschlägen früher gefolgt wären.


(Beifall bei der FDP)


Das Minikonjunkturprogramm nennen Sie stolz Sub-
vention für den Aufschwung. Das ist in sich schon Un-
sinn. Subventionen in einen Aufschwung hinein zu ge-
währen, hat sich noch nie als erfolgreich erwiesen. Sie
unterschlagen völlig, dass Sie in diesem Jahr ein
Zwangsdarlehen bei den Unternehmen, insbesondere
beim Mittelstand, aufnehmen. Die Sozialversicherungs-
beiträge müssen nämlich in diesem Jahr einen Monat
früher entrichtet werden, also dreizehnmal statt zwölf-
mal. Damit nehmen Sie der deutschen Wirtschaft Liqui-
dität in Höhe von 20 Milliarden Euro. Das können Sie
doch nicht mit 5 Milliarden Euro, die Sie für Wärme-
dämmung und Elterngeld ausgeben wollen, ausgleichen.
Der Beitrag ist viermal so hoch wie der, den Sie unsinni-
gerweise als Konjunkturprogramm verkaufen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601400400

Herr Kollege Brüderle, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Dr. Dehm?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601400500

Bitte sehr.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601400600

Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass

nach Ihrer Definition die Deutsche Bank, Allianz, BMW
und Daimler-Chrysler überwiegend sehr frei sein müs-
sen, weil sie in den letzten eineinhalb Jahrzehnten
summa summarum so gut wie keinen Cent Körper-
schaftsteuer bezahlt haben, während die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer unfrei sind, weil sie überwie-
gend mit ihren Lohnsteuern diesen Staat finanzieren?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601400700

Sie haben das natürlich nicht richtig verstanden. Ich

will generell die Freiräume für Entscheidungen vergrö-
ßern. Ihr klassenkämpferisches Denken – sie stürzen
sich reflexartig auf Großkonzerne, die Sie früher in Ih-
rem alten System als Großkombinate gefördert haben –
ist die falsche Denkweise.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sollten sich irgendwann einmal von der Vergangen-
heit lösen. Es ist ja schön, dass Sie sich zu Ihrem altso-
zialistischen Erbe bekennen, aber Sie müssen doch nicht
in jeder Sitzung deutlich machen, dass Sie von Wirt-
schaft nichts verstehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601400800

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, Herr Kol-

lege?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601400900

Bitte.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601401000

Auch wenn Sie meinen, dass jemand, der wie ich drei

Jahrzehnte relativ erfolgreich Unternehmer war und ein-
mal eine große Unternehmensorganisation geleitet hat,
von Wirtschaft nichts versteht, dann stellt sich doch die
Frage, was Sie zu meinem Kernargument sagen. Was hat
es für eine Bedeutung, wenn wir steuerpolitisch die
Deutsche Bank, Allianz, BMW und Daimler-Chrysler
über eineinhalb Jahrzehnte so schonen, dass bei ihnen
keine Großbetriebsprüfung durchgeführt wird und sie
am Ende so gut wie keinen Cent Körperschaftsteuer be-
zahlen?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601401100

Die Realität ist doch längst eine andere. Selbst der

Bundeswirtschaftsminister räumt ein, dass die Belastung
durch die Unternehmensteuer in Deutschland mit effek-
tiv etwa 36 bis 37 Prozent deutlich höher als im europäi-
schen Durchschnitt ist. Wir haben es inzwischen ge-
schafft, dass durch die Steuerbelastung nicht nur große
Vermögen aus dem Land getrieben werden, sondern
auch kleine Vermögen. Selbst der Altbundeskanzler hat
sich entschieden, seine Rubel lieber in der Schweiz ent-
gegenzunehmen als in Deutschland, weil dort mehr üb-
rig bleibt.

Offensichtlich ist die Strategie ein „Investitionsver-
treibungsprogramm“. Wenn die Investitionen nicht hier,
sondern woanders getätigt werden, dann entstehen hier
auch keine Arbeitsplätze. Sie müssen einmal rekapitulie-
ren, dass Arbeitsplätze folgendermaßen entstehen:
Irgendjemand nimmt Geld in die Hand, geht in ein Ge-
schäft, kauft etwas und zur Herstellung dessen, was ge-
kauft wird, werden andere Menschen beschäftigt. Mit
roten Fahnen am 1. Mai können Sie die Beschäftigungs-
misere in Deutschland nicht beseitigen. Das hat sich
schon früher nicht bewährt und das bewährt sich auch
heute nicht.


(Beifall bei der FDP – Ortwin Runde [SPD]: Für Versammlungsfreiheit sind Sie aber noch?)







(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
– Natürlich. Ich bin sogar für Meinungsfreiheit. Deshalb
lege ich Wert darauf, dass auch Sie hier noch reden dür-
fen. Mit einer Mehrheit von 73 Prozent wollen Sie den
politischen Wettbewerb kleinhalten. Treten Sie jetzt da-
für ein, dass zumindest der wirtschaftliche Wettbewerb
offen bleibt!

Was Sie tun, ist jedenfalls das Gegenteil von „Freiheit
wagen“. Zur Belebung der Wirtschaft fehlen in diesem
Jahr 20 Milliarden Euro. Jedes Konjunkturprogramm,
das das ausgleichen soll, ist ein echter Witz.

Sie müssten das Steuersystem in Ordnung bringen.
Sie müssten es einfacher machen, damit die Menschen
es noch verstehen. Selbst die Steuerberater klagen, dass
sie mit diesem System nicht mehr umgehen können. Ver-
fassungsrichter sagen, ein derart kompliziertes Steuer-
recht sei an der Grenze der Verfassungsgemäßheit.

Die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, die
Sozialsysteme in Ordnung zu bringen, all dies haben Sie
im Koalitionsvertrag ausgeklammert. Weder zur Pflege
noch zum Gesundheitswesen noch zur Rente haben Sie
Vereinbarungen getroffen. Das lag nicht daran, dass Sie
keine Zeit gehabt hätten, das auszuhandeln; der Grund
war vielmehr, dass Sie sich über die ganze Themenpa-
lette von Kopfpauschale bis Bürgerversicherung nicht
einig sind. Da kann es doch keine vernünftigen Kompro-
misse in der Gesundheitspolitik geben.


(Beifall bei der FDP)


Wagen Sie doch endlich mehr Freiheit! Ich höre die
Ankündigung, Bürokratie abzubauen, seit Jahren.
Wolfgang Clement ging jede Woche mit einem neuen
bunten Luftballon durch die Landschaft – Stichwort
„Masterplan Bürokratieabbau“ – und am Schluss kam
ganz wenig dabei heraus. Ich bin sehr gespannt, was
diesmal herauskommt. Der beste Weg wäre, mehr Kom-
petenzen auf die Länder zu verlagern und den föderalen
Wettbewerb zu fördern – „race to the bottom“ zwecks
Abbau der Bürokratie –, damit es wirklich zu einem Be-
freiungsschlag bei uns kommt. Die Handschellen, die
wir dem Mittelstand und der Wirtschaft in Deutschland
durch zu viele Regelungen – sie verhindern, dass Ar-
beitsplätze entstehen – angelegt haben, müssen endlich
abgelegt werden.

Herr Glos, ich finde es ganz gut, dass Sie Änderungen
am Gaststättengesetz vornehmen wollen. Aber die Ab-
schaffung des „Frikadellenabiturs“ allein wird die Lö-
sung der Probleme der deutschen Volkswirtschaft nicht
bringen. Da muss schon ein bisschen mehr kommen.

Bisher ist jedenfalls festzustellen, dass die große
Koalition den Wettbewerb sträflich vernachlässigt. Ihre
Ansätze sind interventionistisch, industriepolitisch. Die
Lex Telekom, die veranlasst, die Telekom bei der Breit-
bandkabelkommunikation aus dem Wettbewerb heraus-
zunehmen, ist kein Beitrag, mehr Freiheit zu wagen und
den Wettbewerb zu stärken. Im Gegenteil: Es ist gera-
dezu eine Privilegierung.


(Beifall bei der FDP)


Ihnen geht es bei Freiheit offenbar um die Freiheit
vom Wettbewerb statt um die Freiheit zum Wettbewerb.
Wir brauchen mehr Freiheit zum Wettbewerb, damit der
Wettbewerb die Wirtschaft besser steuern kann und da-
mit es zu besseren Ergebnissen kommt.

Wir haben immer noch ein Monopol bei der Briefbe-
förderung. Dieses Monopol hätten wir schon längst ab-
schaffen können. Auch Ihre Leuchtturmprojekte sind
sehr fragwürdig. Sie legen fest, was zukunftsweisend ist
– das sind die so genannten Leuchtturmprojekte –, statt
mehr Wettbewerb zuzulassen. Nur durch Wettbewerb
und nicht durch Festlegungen von Beamten kommen
wirtschaftliche Erfolge zustande.


(Beifall bei der FDP)


Der europäische Steuerwettbewerb soll verhindert
werden. Die Bundesregierung will, dass die Regionalför-
dermittel für solche Mitgliedstaaten gestrichen werden,
deren Unternehmensteuerquote angeblich zu niedrig ist.
Das ist ein tolles System: Statt selbst besser zu werden,
werden die, die es besser machen, bestraft und sollen un-
sere schlechten Regeln übernehmen. So kommen wir
wahrlich nicht voran. Ein weiterer Schritt in die falsche
Richtung wäre, dass durch EU-Beschluss festgelegt
wird, dass die Wirtschaft Chinas, Indiens und anderer
Länder nicht mehr schneller als unsere wachsen darf.
Das wäre nicht „Freiheit wagen“, sondern einfach Un-
sinn.


(Beifall bei der FDP)


Ihr neuester Vorstoß, EU-Subventionen für Arbeits-
platzverlagerer zu verbieten, ist natürlich ein interessan-
ter Ansatz. Für mich ist das ein Ablenkungsmanöver,
weil gerade die Bundeskanzlerin die Mittel für die osteu-
ropäischen Staaten aufgestockt hat. Diese Staaten haben
nun noch mehr Mittel, um im Wettbewerb zu bestehen.
Dennoch fordern Sie, diese Mittel zu reduzieren. Das
hätte Frau Merkel wunderbar machen können, indem sie
den Osteuropäern keine höheren Mittel für die regionale
Wirtschaftsförderung faktisch zugestanden hätte.

Europäische Dienstleistungsrichtlinie: Hierbei wird
das Herkunftslandprinzip fundamental infrage gestellt.
Wir sind ein Hochlohnland, Hochsteuerland und Hoch-
bürokratieland. Deshalb müssen wir dort ansetzen, dies
reduzieren und mehr Freiheit wagen, um bessere Ergeb-
nisse zu erzielen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vorgerech-
net, dass wir durch einen umfassenden Bürokratie-
abbau 30 Milliarden Euro mehr erwirtschaften, 600 000
neue Arbeitsplätze schaffen und 1,5 Prozent mehr
Wachstum erreichen könnten. Machen Sie es doch! Nie-
mand hat Sie gehindert. Ihr leidenschaftlicher Junior-
partner SPD hat dies in den sieben Jahren, in denen er
mit den Grünen regiert hat, nicht getan, sondern, im Ge-
genteil, die Bürokratie noch weiter verstärkt. Was von
der Klausurtagung in Genshagen nach außen gedrungen
ist, ist auch kein Beitrag zu dem Ziel, mehr Freiheit zu
wagen.


(Ute Berg [SPD]: Larmoyanz!)


Wenn man die Verteilung über die Erwirtschaftung setzt,
kommt man natürlich nicht voran.






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
Das Kernproblem der deutschen Volkswirtschaft ist,
dass unser Wachstumspfad, die Entwicklung des Pro-
duktionspotenzials, zu schwach ist. Bei diesem Wachs-
tumspfad – der Sachverständigenrat hat maximal
1,2 Prozent attestiert – können wir keine echte Verbesse-
rung auf dem Arbeitsmarkt erreichen. Die Bundesbank
sagt, dass wir mindestens 2 Prozent reales Wachstum
brauchen, um auf dem Arbeitsmarkt echte Verände-
rungseffekte zu erreichen; andere Institute sprechen von
1,8 Prozent. Aber all Ihre Prognosen – für 2007 ist Ihre
persönliche Prognose 1 Prozent, wie Sie bei Ihrer Pres-
sekonferenz gestern dargelegt haben – liegen deutlich
unter dem, was wir bräuchten, damit wir die Wende auf
dem Arbeitsmarkt schaffen.

Ihre Strategie – wir machen in diesem Jahr nichts,
weil sieben Wahlen anstehen; wir lassen weiter ein Defi-
zit durchlaufen; wir machen ein bisschen Konjunktur-
programm, was eine veraltete Strategie aus den 60er-
und 70er-Jahren ist und nicht wirken kann; das Abkas-
sieren beginnt erst 2007, nach den sieben Wahlen; da
wird der Aufschwung hoffentlich so stark sein, dass er
über diese Hürde hinweg trägt – ist eine sehr gewagte
spielerische Strategie. Besser wäre es, das gleich richtig
zu machen, den Menschen die Wahrheit zu sagen, die
Dinge in Ordnung zu bringen, die Reformen umzuset-
zen, die Belastung zu reduzieren und die elementaren
Kenntnisse der Volkswirtschaft umzusetzen. Sie geben
sich stattdessen einem Wunschdenken hin: Plötzlich ist
alles schön. Die beiden Partner in der Koalition sind in
den Flitterwochen und haben sich so lieb, dass gar keine
Diskussion mehr aufkommen soll. Gesundbeten wird
aber nicht helfen.

Der Export läuft gut – Gott sei Dank –, aber die glei-
chen guten Produkte, die wir im Ausland gut verkaufen
können, finden im Binnenmarkt keinen Absatz, weil
kein Vertrauen da ist und weil keine Berechenbarkeit ge-
geben ist. Ein Steuererhöhungsprogramm, das den Men-
schen ab 2007 für den Rest der Legislaturperiode
120 Milliarden Euro abnimmt, ist wahrlich kein Kon-
zept, das einen dauerhaften Aufschwung bewerkstelli-
gen kann. Schauen Sie sich in Großbritannien, Schwe-
den und den Niederlanden einmal an, weshalb dort die
Arbeitslosigkeit weniger als halb so hoch wie in
Deutschland ist! Das ist deshalb so, weil diese Staaten
eine andere Strategie eingeleitet haben, weil sie den
Staat ein Stück zurückgenommen haben, weil sie den
Menschen ihr Geld schneller zurückgegeben haben, weil
sie stärker dereguliert haben und weil sie ihre sozialen
Sicherungssysteme in Ordnung gebracht haben. Das sind
die Ansätze, die auch für Deutschland richtig wären.

Was wir tun müssten, wissen wir. Das sagt die Bun-
desbank. Das steht im Gutachten des Sachverständigen-
rats. Das sagen uns der Internationale Währungsfonds
und die OECD. Nur, es wird nicht umgesetzt.

Was hier halbherzig betrieben wird, wird nicht die
Lösung der Probleme bringen. Es ist kein Jahreswirt-
schaftsbericht, der einen überzeugenden Weg aus der
deutschen Situation aufzeigt. Er enthält ein bisschen
Wunschdenken, nennt ein bisschen hier und ein bisschen
da. Die Trippelschritte sind nicht der richtige Ansatz, um
die Probleme zu lösen. Hier gilt die alte Regel: Wenn
man wirtschaftlich etwas erreichen will, muss man klot-
zen und darf nicht nur kleckern. Mit Kleckern und Trip-
pelschrittchen kann man sich ein bisschen bewegen,
wenn es kalt ist, aber man erreicht nicht die Geschwin-
digkeit, die notwendig ist, um zum Ziel zu kommen und
die Probleme zu lösen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601401200

Kollege Stiegler ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1601401300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-

lege Brüderle ist wirklich ein armer Tropf. Er ist eigent-
lich ein grundkonstruktiver Mensch. Mir tut herzlich
Leid, dass er hier für die FDP, die als einzige der frühe-
ren Oppositionsfraktionen in dieser Rolle verblieben ist,
weiter Trübsal blasen muss. Früher war das ein Orches-
ter. Jetzt gibt es nur noch eine einsame Posaune, aber der
Resonanzboden reicht nicht, um die Stimmung in der
deutschen Wirtschaft wirklich zu beeinflussen. Herr
Brüderle, reden Sie doch so, wie Sie wirklich sind, und
lassen Sie uns gemeinsam etwas für den Aufschwung
tun!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihnen kann doch nicht entgangen sein, dass der Ifo-
Konjunkturindex die 100 wieder überschritten hat. Das
heißt, die Stimmung in der Wirtschaft zeigt etwas ande-
res, als Sie dargestellt haben. Sie hocken wie der Frosch
bei schlechtem Wetter ganz unten, während diejenigen,
die in der Wirtschaft die Verantwortung tragen, längst
nach oben geklettert sind und sich freuen, dass die Sonne
wieder scheint. Sie sind noch wie zugefroren, während
die anderen wie die Veilchen aus der Erde kommen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bitte nicht noch poetischer!)


Der Ifo-Konjunkturindex – Sie wissen es doch selber,
Herr Westerwelle – zeigt die Geschäftserwartungen und
die Geschäftswirklichkeit und widerlegt damit den libe-
ralen Pessimismus. Eigentlich müssten die Liberalen op-
timistisch sein, statt zu weinen und zu klagen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Schauen Sie sich an, was die Institute sagen. Wir sind
zurzeit eher unteroptimistisch, was die amtlichen Daten
betrifft.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist ein starkes Wort: „unteroptimistisch“!)


Auch das ist eine Methode, sich positiv überraschen zu
lassen. Machen Sie mit! Heute Morgen stellt der Spar-
kassen- und Giroverband seine Mittelstandsdiagnose
vor. Alle Experten sagen, dass selbst der Mittelstand, der
ja besondere Probleme hat, wieder investiert und wieder
mehr Mut hat. Ausgerechnet in Rheinland-Pfalz, wo Sie






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
in Einigkeit mit uns Sozialdemokraten regieren, sind die
Handwerker mit am optimistischsten.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das bringt das Ende von Rot-Grün!)


Also, Herr Brüderle, nehmen Sie von dem Optimismus
Ihrer Handwerker in Rheinland-Pfalz etwas mit ins Ple-
num, dann geht es uns allen besser!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, der sieben Jahre dauernde
Kampf zwischen den beiden Lagern hat letztlich darin
geendet, dass die Leute depressiv wurden, weil niemand
mehr wusste, wie es vorangeht. Die Taktik des Schlecht-
machens des anderen, damit man selber gut dasteht, hat
niemandem geholfen. Es ist einer der Vorteile der großen
Koalition, dass keiner mehr den anderen anschwärzen
kann, weil er sich gleichzeitig selbst anschwärzen
würde. Wir sind zum gemeinsamen Erfolg verurteilt und
wir wollen ihn gemeinsam haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unsere Aufgabe in diesem Jahr ist es, den Auf-
schwung zu stärken, um die internen wie die externen
Belastungen zu überstehen und voranzukommen. Natür-
lich wissen wir, dass die Mehrwertsteuererhöhung ein
Eisbatzen im Gefäß ist; aber wir müssen die Konjunktur
so anheizen, dass die Wirtschaft das verträgt. Die deut-
sche Volkswirtschaft hat 2005 mit den Öl- und Energie-
preissteigerungen eine vergleichbare Belastung wegge-
steckt und ist trotzdem gewachsen. Damals kam diese
Belastung von extern. Da haben die Scheichs und andere
das Geld kassiert; aber wir haben das weggesteckt und
Sie haben es auch nicht beklagt. In dem Moment jedoch,
wo wir zur Haushaltskonsolidierung beitragen wollen,
fangen Sie an zu jammern. Wenn wir aber den Haushalt
nicht konsolidieren würden, würden Sie hier den Welt-
untergang verkünden. Das ist ja fast wie zwischen Scylla
und Charybdis, wenn man es Ihnen Recht machen will:
Wenn man das eine vermeidet, fällt man dem anderen
zum Opfer. Herr Brüderle, lassen Sie uns gemeinsam in
der Mitte bleiben, dann kommen wir auch voran!

Wir haben die Genshagener Impulse. Das Handwerk
wirbt mit dem Programm der großen Koalition bei seiner
Kundschaft. Wo hat es das je gegeben? Das Handwerk
setzt Vertrauen in uns. Mit dem CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm starten wir, Herr Brüderle, am 1. Fe-
bruar. Unsere klugen Haushälter haben einen Bypass ge-
funden, wodurch die Behinderung, die in den letzten
Wochen aufgetreten ist, symbolisch bleibt, aber keine
Wirkung entfaltet. Auch das gehört zur Regierungs-
kunst.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So macht ihr Haushaltspolitik?)


Sie sollten uns darum eher beneiden, als herumzukrit-
teln.

Die Abschreibungsverbesserung verursacht gerade im
Aufschwung einen zusätzlichen Schwung für die Inves-
titionstätigkeit. Im Gegenzug zur Mehrwertsteuererhö-
hung haben wir gerade für die kleinen und mittleren Un-
ternehmen eine ganze Menge zusätzlicher Liquidität
bereitgestellt. Die von Ihnen angesprochene zusätzliche
Beitragszahlung wird über Monate so verteilt, dass sie
von den Unternehmen verkraftet werden kann.

Die Wirkungen der Multiplikatoren unserer Maßnah-
men – wir stehen zu diesen Maßnahmen – werden die
Schwierigkeiten durchaus ausgleichen. Ich hoffe sogar,
dass sie sie übertreffen werden. Sie werden im Laufe des
Jahres Mühe haben, auf den Erfolgszug aufzuspringen.
Aber wir werden Ihnen die Hand reichen, damit Sie
nicht unter die Räder geraten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir gucken uns die Daten genau an! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Es ist so viel Liebe in diesem Haus!!)


– Gucken Sie sich das ruhig an! Ich muss ja Herrn
Brüderle sozusagen pflegen; denn er regiert mit uns in
Rheinland-Pfalz. Für mich ist es also eine besonders
schwierige Situation.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich möchte diese Freundschaft erhalten.


(Zuruf von der SPD)


– Es ist mein Schicksal, dass ich immer nach ihm reden
und daher diese depressiven Einschübe überwinden und
zum Optimismuspfad zurückkehren muss.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das werden wir miteinander schon hinbekommen.

Im Mittelpunkt stehen die kleinen und mittleren Un-
ternehmen. Die „Diagnose Mittelstand“ des Deutschen
Sparkassen- und Giroverbands zeigt: Es ist besser ge-
worden; wir sind aber hinsichtlich der Eigenkapitalaus-
stattung und anderer Dinge noch längst nicht dort, wohin
wir wollen. Wir müssen uns gemeinsam um die Finan-
zierungsfragen kümmern und die Eigenkapitallücke mit
den mezzaninen Instrumenten überwinden helfen. Wir
werden mit der KfW reden, dass die Mittelstandsförder-
programme an das neue Ratingsystem, an Basel II, ent-
sprechend angepasst werden.

Wir werden uns gemeinsam auch um die Möglichkei-
ten der Beteiligung an kleinen und mittleren Unter-
nehmen kümmern. Das gilt für die Arbeitnehmerbeteili-
gung genauso wie für die Beteiligung von Menschen an
der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen
in ihrer Region. Es ist doch verrückt, dass wir in For-
schung und Entwicklung viel Geld investieren, aber
wenn es um Seed Capital und um Wachstumskapital
geht, dann brauchen wir die Private Equity, also die ame-
rikanischen Rentner. Dieses Land kann das für seine
Volkswirtschaft selbst organisieren. Das müssen wir mit-
einander anpacken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden daher gemeinsam das Unternehmensbeteili-
gungsgesetz verbessern.






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
Die Risiken 2006 sind Rohstoffpreise und Energie-
kosten. Das ist eine schwere Hypothek. Die Nachfrage
nach Rohstoffen nimmt zu. Wir haben in den letzten Jah-
ren erlebt, was hohe Rohstoffpreise bedeuten. In Bezug
auf die Energiekosten und Sicherheit bei der Energiever-
sorgung gibt es Fragen. Unsere Antwort ist Effizienzstei-
gerung durch Technik und, Herr Brüderle, auch durch
Wettbewerb. Wir werden bei der Energieversorgung die
Anreizregulierung mithilfe des Ministeriums und der
Regulierungsbehörde durchsetzen. Ihr Beitrag ist dabei
durchaus erwünscht. Aber daneben geht es, wie gesagt,
auch um die Technik.

Das Unwort des Jahres heißt Entlassungsproduktivi-
tät. Wir setzen den Managern entgegen: Der Fortschritt
wird nicht durch Entlassungsproduktivität hervorge-
bracht, sondern durch eine kostenentlastende Effizienz
und durch kostenentlastende Rohstoffproduktivität. Für
ihre hohen Einkommen sollen die Manager ihr Gehirn-
schmalz auf die Weiterentwicklung in diesen Bereichen
einsetzen. Das ist unsere gemeinsame Forderung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


Ich stimme Sigmar Gabriel und Michael Müller aus-
drücklich zu, dass die Energie- und Rohstoffintelligenz
die Zukunftsfragen sind, vor denen wir stehen. Deshalb
müssen wir die neuen Potenziale der erneuerbaren Ener-
gien erkennen und beherzt nutzen. Vor dem Hintergrund
der aktuellen Preisentwicklung tun sich völlig neue Ho-
rizonte auf. Wir müssen die Übergangsenergien bis hin
zu den Null-Emission-Kraftwerken voranbringen. Die
große Koalition wird deshalb schwerpunktmäßig die
Forschung und Entwicklung stärken sowie Bildung,
Ausbildung und Weiterbildung vorantreiben. Herr
Brüderle, das ist der Pfad, auf dem Sie uns begleiten
sollten. Sagen Sie Ja!


(Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


– Er verhält sich sehr sperrig.

2006 bietet also gute Aussichten auf mehr Wachstum
und Beschäftigung, beispielsweise auch im Bereich des
Tourismus. Wir wollen die Fußballweltmeisterschaft
nutzen und dabei wollen wir uns nicht von einer schlech-
ten Seite zeigen. Wir wollen weder Militär vor den Sta-
dien sehen


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


noch wollen wir, dass die Gastwirte ihre Monopolstel-
lung nutzen und zu hohe Preise verlangen. Wir müssen
uns nachhaltig auf den Incoming-Tourismus ausrichten,
damit sich Deutschland dauerhaft als Zielland für Reisen
etabliert. Dafür müssen wir die Weltmeisterschaft nut-
zen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Der Tourismus schafft Arbeitsplätze in der Fläche, in
den strukturschwachen Regionen.
Wir wollen auch das nutzen, was der Arbeitsminister
jetzt angestoßen hat: ein Kurzarbeitergeld in schwierigen
Tourismusstandorten, die nur eine kurze Saison und in
diesem Bereich noch Schwierigkeiten haben. Auch diese
Beschäftigungsprobleme wollen wir angehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen gemeinsam den Standort fördern. Es ist
Musik in meinen Ohren, wenn Michael Glos, der noch
vor einem Jahr in seinen Reden den Weltuntergang ge-
predigt hat,


(Heiterkeit des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


jetzt ganz anders spricht. Insofern setzt Herr Brüderle
das fort, was früher


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jetzt vorsichtig! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


die beiden Wunschpartner für eine Alternativkoalition,
die nicht gewählt worden ist, gemeinsam verkündet ha-
ben. Dies ist jetzt nur noch eine zarte Stimme und klingt
nicht mehr nach einem Kontrabass.

Wir haben jetzt den Standortvorteil „große Koali-
tion“. Wir können das gemeinsame Projekt „Fuchs und
Rappe vor dem Staatswagen“ durchführen. Sie werden
uns nicht dazu bringen, dass wir uns gegenseitig verbei-
ßen. Wir werden vielmehr klar vorausgehen.

Entscheidend ist aber, dass wir die bei den Menschen
bestehende Angst vor Veränderungen überwinden, dass
wir Zukunftsangst in Zukunftsvertrauen umwandeln
und dass wir den Menschen den Glauben an die Hand-
lungsfähigkeit zurückgeben. Dazu gehört ein verlässli-
cher Sozialstaat und nicht Ihre Vorstellung von Freiheit,
Herr Brüderle – die der Vogelfreiheit nahe kommt –,
sondern Freiheit für alle durch soziale Sicherheit und das
Vertrauen, dass man in schwierigen Umständen Gebor-
genheit findet.


(Beifall bei der SPD)


Darum werden wir zusammen mit unseren schwarzen
Brüdern und Schwestern


(Lachen bei der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist wie in einer Klostergemeinschaft!)


die europäische Dienstleistungsrichtlinie so gestalten
– wir werden uns gemeinsam anstrengen –, dass der So-
zialstaat nicht gefährdet wird.

Zum Zukunftsvertrauen gehört, dass wir die Men-
schen an Bildung teilhaben lassen, dass wir Bildung als
Zukunftsvorbereitung verstehen, dass auch diejenigen,
die aus prekären Verhältnissen kommen, die Chance ha-
ben, in den Zug einzusteigen, und dass wir keine Talente
zurücklassen. Das ist ein Stück Geborgenheit. Zukunfts-
vertrauen besteht zum Beispiel für den Mittelstand darin,
Zugang zu Finanzierungselementen zu haben, die bisher
nicht zur Verfügung standen.

Herr Brüderle, die Liberalen vergessen gelegentlich:
Auch der Sozialstaat ist eine Produktivkraft. Sie sehen






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
etwa an dem verrückten Verhalten von Electrolux in
Nürnberg, welche Krisen daraus erwachsen. Sie haben
bei Conti in Hannover gesehen, in welche Krisen man
Unternehmen führt, weil die Manager mit Entlassungs-
produktivität arbeiten. Sie sollten neue Produkte, neue
Verfahren, neue Effizienzen suchen und die Menschen
mitnehmen. Das wäre die richtige Antwort.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie müssen mit denen Weiterbildung machen!)


Zu einem guten Sozialstaat gehört auch, dass die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen wer-
den. Wir wissen, dass die Tätigkeit der Unternehmer die-
sen mehr Vermögen und mehr Einkommen gebracht hat
als die Tätigkeit der Arbeitnehmer den Arbeitnehmern.
Deshalb muss die differenzierte Tarifrunde dazu beitra-
gen, dass die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer ei-
nen fairen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg bekommen.

Wir haben also einerseits die Aufgabe, Marktdynamik
zu entfalten, und andererseits die Aufgabe, das Gemein-
wohl zu sichern. Markt und Gemeinwohl müssen im
Gleichgewicht bleiben. Das ist das, was Ludwig Erhard
mit Wohlstand für alle gemeint hat.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Warum waren Sie dann früher so gegen ihn?)


Das ist unser Auftrag.

Steigen Sie also ein! Machen Sie mit! Mit Trübsalbla-
sen kommt man zu keinem Fortschritt. Lasst uns dieses
Jahr mit Zukunftsvertrauen angehen! Wir fangen zu Be-
ginn des Jahres mit Anstößen an und bezahlen, wie in
der Vergangenheit oft geschehen, nicht mehr am Ende
des Jahres den Verlust, der durch mangelnde Aktivität
zustande kommt. Wir fangen gleich richtig an.

Glückauf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war das Prinzip Hoffnung!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601401400

Ich erteile dem Kollegen Oskar Lafontaine für die

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601401500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich bin heute in der außergewöhnlichen Situation,
meinen Beitrag zum Jahreswirtschaftsbericht mit einem
ausdrücklichen Lob der Bundesregierung beginnen zu
können. Dieses Lob spreche ich deshalb aus, weil selten
eine Regierung in so eindrucksvoller Klarheit die
Früchte ihrer Arbeit im Jahreswirtschaftsbericht darge-
stellt und prognostiziert hat wie diese Regierung. Ich bin
sicher, dass auch die Abgeordneten der Koalition inte-
ressiert sind, zu hören, was die Bundesregierung von
diesem Jahr erwartet. Ich weiß aus eigener Erfahrung,
dass man nicht immer dazu kommt, alle Unterlagen bis
zum Ende zu lesen, und trage daher jetzt die wichtigsten
Sätze vor.

Die Regierung sagt auf Seite 96:

Die Summe der Nettolöhne und -gehälter stagniert
in diesem Jahr erneut.

Dort heißt es weiter:

Die Selbständigen- und Vermögenseinkommen
dürften … in diesem Jahr kräftig zunehmen …

Die Regierung geht von 7,25 Prozent aus. Ich möchte
das noch einmal verdeutlichen: Die Arbeitnehmer erhal-
ten nichts und die Vermögenden und diejenigen, die über
Gewinneinkommen verfügen, erhalten wie im vergange-
nen Jahr einen Zuwachs in Höhe von 7,25 Prozent. Das
stellt die Regierung als Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik
richtigerweise fest.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hat Herr Stiegler nicht gelesen!)


Im Bericht heißt es weiter,

dass sich die monetären Sozialleistungen des Staa-
tes insgesamt leicht vermindern

werden. Das heißt, der Staat wird weniger soziale Leis-
tungen erbringen.

Am Schluss dieser eindrucksvollen Zukunftsbilanz
heißt es:

Ferner werden angesichts einer stagnierenden
Lohnentwicklung im vergangenen Jahr die Renten
erneut nicht steigen.

Das alles ist richtig, aber ich habe selten ein Resümee
gelesen, in dem in solch beeindruckender Klarheit von
einer Regierung festgestellt wird, dass weiter von unten
nach oben umverteilt wird und dass diese Regierung
dazu steht. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Wir
halten das für eine katastrophale Bilanz.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe hier bereits darauf hingewiesen – und muss
mich wundern, dass es nicht aufgegriffen wurde –, dass
sich eine Schlüsselgröße der Volkswirtschaft, nämlich die
Löhne, in Deutschland beängstigend entwickelt. Wir ha-
ben im letzten Jahr zum ersten Mal nach dem Krieg sin-
kende Bruttolöhne verzeichnet. Ich wiederhole das, weil
auch in der Berichterstattung immer wieder von sinken-
den Netto- oder Reallöhnen die Rede war. Wir hatten erst-
mals sinkende Bruttolöhne! Es war nicht nur so, dass die
Gewinn- und Vermögenseinkommen deutlich gestiegen
sind, sondern gleichzeitig hat man den Arbeitnehmern,
wie die Wirtschaftsabteilungen der Gewerkschaften aus-
gerechnet haben, brutto 6 Milliarden Euro genommen.

Ich kenne keinen vergleichbaren Industriestaat, der
eine solche Entwicklung verzeichnet. Trotzdem hat ein
Redner in diesem Hause gesagt: Die Sonne scheint. Ich
will mich mit ihm gar nicht persönlich auseinander set-
zen, darf aber für die große Mehrheit der Bevölkerung
feststellen, dass die Sonne nicht scheinen wird, weil die
Renten trotz steigender Preise nicht steigen werden und
weil die Bruttolöhne trotz steigender Preise sinken oder






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
stagnieren werden. Das heißt, die große Mehrheit des
Volkes wird in diesem Jahr weiterhin Verluste hinneh-
men müssen. Das ist eine beängstigende Bilanz, zu der
man doch Stellung nehmen müsste!


(Beifall bei der LINKEN)


In dieser Situation ist das Hauptanliegen der Regie-
rungsparteien und auch konkurrierender Parteien, die
Lohnzusatzkosten zu senken. Die hohen Lohnzusatz-
kosten seien das wichtigste Problem unserer Volkswirt-
schaft. Aus Unternehmersicht sind Lohnzusatzkosten
Löhne. Angesichts der Tatsache, dass die Bruttolöhne
sinken, ist es ganz merkwürdig, wenn man davon
spricht, dass das Hauptanliegen unserer Volkswirtschaft
darin bestehe, die Lohnzusatzkosten zu senken; das sei
vor allem wichtig, weil wir sonst international nicht
mehr wettbewerbsfähig seien.

Welch ein gigantischer Schwachsinn – ich muss das
hier so deutlich sagen – wird täglich abgesondert, wenn
davon gesprochen wird, dass wir international nicht
mehr wettbewerbsfähig seien!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind die wettbewerbsfähigste Industrienation der
Welt! Kein anderes Land exportiert so viele Waren wie
die Bundesrepublik Deutschland. Weder die Chinesen
noch die Inder, noch die Japaner oder die US-Amerika-
ner exportieren so viel wie wir; dennoch heißt es immer
wieder, wir seien international nicht wettbewerbsfähig.
Wenn die Realität nach wie vor so geleugnet wird, wie
es zurzeit geschieht, wird es niemals möglich sein, in
Deutschland zu Wachstum und Beschäftigung zu kom-
men.


(Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist Voodoo-Ökonomie!)


Nun hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, wir
stünden bei der Steuerquote doch nicht schlecht da. Es
wurde insoweit eine gewisse Korrektur all der Beiträge
vorgenommen, die in den letzten Monaten geleistet wor-
den sind, als immer wieder darauf hingewiesen worden
ist, dass die Steuerquote bei uns vielleicht nicht ganz so
hoch, die Abgabenquote aber beträchtlich sei.

Insofern ist es verdienstvoll, dass für all diejenigen,
die sich falsch geäußert haben – ich will niemanden per-
sönlich ansprechen –, im Jahreswirtschaftsbericht wie-
der einmal die Steuer- und Abgabenquote nach der
OECD-Statistik für Deutschland im internationalen Ver-
gleich dargestellt worden ist. Jeder, der willens ist, nach-
zulesen, kann auf Seite 23 nachlesen, dass wir bei der
Steuerquote Großbritannien um circa 9 Punkte nach un-
ten übertreffen. Bei der Abgabenquote liegt Deutschland
bei 34,6 Prozent und Großbritannien bei 40,6 Prozent.
Das sind – bezogen auf unser Bruttosozialprodukt – weit
über 160 Milliarden Euro, die den öffentlichen Haushal-
ten in Großbritannien zusätzlich zur Verfügung stehen,
und Großbritannien hat keine Einheit zu finanzieren.

Ist denn immer noch nicht klar, dass es mit einer sol-
chen Steuer- und Abgabenpolitik unmöglich ist, einen
modernen Industriestaat zu verwalten?

(Beifall bei der LINKEN)


Kein Industriestaat der Welt leistet sich eine solch kata-
strophale Fehlentwicklung.

Ich wiederhole für das geschätzte Plenum die Durch-
schnittszahlen: Während der europäische Durchschnitt
bei der Steuerquote bei 28,9 Prozent liegt, liegt er bei
uns bei 20,4 Prozent. Während der europäische Durch-
schnitt bei der Abgabenquote bei 40,5 Prozent liegt, liegt
er bei uns bei 34,6 Prozent. In einer solchen Situation
muss man natürlich dazu kommen, dass man die sozia-
len Leistungen kürzt. In einer solchen Situation muss
man natürlich dazu kommen, dass man für die Rentner
nichts mehr übrig hat. Aber ein solcher Weg kann immer
nur zu demselben Ergebnis führen: Im Export sind wir
stark, weil eine solche Politik den Export nicht gefähr-
det, sondern eher noch leicht unterstützt. Aber auf dem
Binnenmarkt wird es sein wie immer in den vergange-
nen Jahren: kein Wachstum und damit auch keine Unter-
stützung für Beschäftigung, was wir in diesem Lande je-
doch dringend bräuchten.


(Beifall bei der LINKEN)


Weder mit einer Politik der Umverteilung von unten
nach oben, die Sie in eindrucksvoller Weise hier darge-
legt haben,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, ja!)


noch mit einer Steuerpolitik, die angesichts der beab-
sichtigten Mehrwertsteuererhöhung weiter von unten
nach oben umverteilt, ist irgendeine vernünftige Wirt-
schaftspolitik zu machen.

Um das auch Herrn Kuhn von den Grünen noch ein-
mal zu sagen: Die Alternative zu einer drastischen
Mehrwertsteuererhöhung ist nun einmal eine Vermö-
gensteuer, für die ich hier nachdrücklich werben
möchte.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch einmal die Zahlen dazu nennen: Das
Geldvermögen der Deutschen beläuft sich auf über
4 000 Milliarden Euro. Von diesen 4 000 Milliarden
Euro – einfach zum Nachrechnen – haben die obersten
Zehntausend 2 000 Milliarden Euro. Hätte irgendjemand
den Mut, nur das Geldvermögen der obersten Zehntau-
send mit 5 Prozent zu besteuern, käme man in die Nähe
der durchschnittlichen europäischen Abgabenquote und
hätte in den öffentlichen Haushalten 100 Milliar-
den Euro mehr zur Verfügung.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen kürzen Sie Renten, soziale Leistungen und
drücken auf Löhne.

Ich möchte noch etwas zur Lohnentwicklung in
Deutschland sagen. Sie kommt nicht von ungefähr und
es ist auch nicht so, dass man sich zurücklehnen und sa-
gen kann, dafür seien die Tarifparteien in der Verant-
wortung. Nein, die große Koalition oder die Allparteien-
koalition, die in den letzten Jahren hier gewirkt hat, hat
erheblichen Anteil an diesem Ausnahmezustand, dass






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
die Bruttolöhne in Deutschland fallen. Wer Freiheit ver-
steht, Herr Kollege Brüderle – das muss ich hier einmal
sagen –, als Freiheit von Tarifverträgen, wer Freiheit
versteht als Freiheit von Kündigungsschutz, wer Freiheit
versteht als Freiheit von sozialer Sicherung – ich denke
dabei an das Streichen der Arbeitslosenhilfe und das
Kürzen des Arbeitslosengeldes –, der setzt die Arbeit-
nehmer einer Situation aus, in der sie leichter erpressbar
sind, in der sie es nicht wagen, kräftig für ihre Interessen
einzutreten, aus Angst, dann Hartz-IV-Bezieher zu wer-
den. Deshalb sinken die Löhne und deshalb ist diese per-
verse Arbeitsmarktpolitik endlich zu revidieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor dem, was Sie hier selbst bilanziert haben, kann
doch niemand die Augen verschließen. Sie bilanzieren
eine Umverteilung von unten nach oben. Schrecklich!
Früher hätte es von bestimmten Gruppen bei einer sol-
chen Bilanz Aufstände gegeben. Sie sagen hier dann
noch fröhlich: Die Sonne scheint.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Es ist so. Leider ist es aber so, dass die Sonne hier im
Reichstag nur auf eine gewisse, ausgewählte Körper-
schaft scheint. Das ist bekanntlich nicht eine Versamm-
lung von Hartz-IV-Empfängern, Rentnern oder Arbeit-
nehmern, die im Niedriglohnbereich tätig sind. Das ist
das Problem.


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Redner auch nicht!)


Ich möchte noch einen Satz – meine Redezeit ist lei-
der gleich zu Ende –


(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)


zu Ihrer Bemerkung, Herr Kollege Brüderle, auf die
Zwischenfrage des Kollegen Diether Dehm zur Deut-
schen Bank sagen. Sie hätten schon etwas dazu sagen
können, warum die Einkommen der Schwächsten syste-
matisch fallen und die großen Betriebe keine Steuern
mehr zahlen. Dazu kann man doch etwas sagen! Sie
meinten dann, auf die Kombinate in der ehemaligen
DDR verweisen zu müssen.

Erlauben Sie mir dazu noch diese Bemerkung: Ich
habe in der Presse gelesen, dass der Vorsitzende des Ver-
waltungsrates der BaFin – des Gremiums, das die Ge-
schäftspraktiken der Banken kontrollieren soll –, Herr
Staatssekretär Caio Koch-Weser, jetzt zur Deutschen
Bank wechselt. Vielleicht haben Sie das gemeint.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte Ihnen dann aber sagen: Wenn das Kombi-
natswirtschaft ist, dann sitzt das Politbüro nicht mehr in
der Regierung, sondern in der Deutschen Bank. Das
scheint ein Problem unserer Wirtschaft zu sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Bei dieser Art von Wirtschafts-
und Finanzpolitik werden Sie im Export kein Unheil an-
richten. Insofern können Sie da einen gewissen Beitrag
erwarten. Aber auf dem Binnenmarkt wird es wie in all
den letzten Jahren sein: Die Umverteilung wird das
Wachstum bremsen und die Arbeitslosigkeit wird ten-
denziell auf hohem Niveau bleiben. Das heißt, Sie selbst
kündigen schon den Fehlschlag an, für den Sie dann alle
verantwortlich sein werden.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Dann werden wir im nächsten Jahr vergleichen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601401600

Nächster Redner ist der Kollege Matthias Berninger,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So war es
in der Vergangenheit immer: Es gab zum Teil ermuti-
gende Signale in der Wirtschaft und es ging in bestimm-
ten Bereichen aufwärts. Die Regierung hat das beson-
ders betont und die Opposition – damals übrigens oft
unter tatkräftiger Führung von Michel Glos – hat jedes
zarte Pflänzchen, das gezeigt hat, dass es aufwärts geht,
gleich wieder zertreten. Auch heute Morgen haben wir
das erlebt. Ich als Grüner bin ganz froh, dass sich dieses
Bündnis von FDP und Linkspartei noch nicht in der
Wirtschaftspolitik abbildet. Aber was kam von links wie
von rechts? Nur Mäkelei.

Ich finde, wir sollten eines erst einmal feststellen:
Dass es in Deutschland ganz offenkundig wirtschaftlich
aufwärts geht, ist eine gute Nachricht, und zwar unab-
hängig davon, wer im Einzelnen die Verantwortung da-
für trägt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich halte überhaupt nichts davon, dass wir in der alten
Tradition fortfahren und dieses Land schlechterreden, als
es ist. Wir sind ein Land, das jedes Jahr über
80 Milliarden Euro dafür aufbringt, die neuen Bundes-
länder an die westdeutschen Lebensverhältnisse heran-
zuführen. Keine andere Volkswirtschaft der Welt schafft
das. Besucher, die nach Berlin kommen, jubeln darüber,
wie die Situation hier seit der deutschen Einheit ist. Aber
was passiert in Deutschland? Über diesen Zustand wird
nur gemäkelt. Auch das ist ein Beispiel dafür, wie man
dieses Land kaputtreden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind inzwischen Exportweltmeister und – auch
wenn die CDU/CSU das erst sehr spät gemerkt hat – wir
waren es auch schon in der Zeit von Rot-Grün. Wir ha-
ben es geschafft, eine Dynamik in Gang zu setzen. Wir
haben es geschafft, Weltmarktanteile im Export in den
letzten Jahren zu gewinnen. Wer wäre ich, wenn ich
mich nicht darüber freuen würde, dass diese Entwick-
lung weiter vorangeht? Ich finde, das ist kein Grund zum






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Berninger
Mäkeln, sondern zeigt, dass dieses Land Stärken hat, auf
die wir alle gemeinsam stolz sein sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt ist innerhalb der Bundesregierung ein interes-
santer Streit in Gang gekommen, nämlich der Streit über
die Frage: Ist das Wachstum mit 1,4 Prozent vielleicht
zu knapp berechnet? Wird das Wachstum im Jahr 2006
nicht vielleicht größer sein? Ich hätte mir gewünscht,
dass wir diesen Streit in den letzten Jahren rot-grüner
Zusammenarbeit geführt hätten. Wahrscheinlich würde
die rot-grüne Regierung dann auch noch bestehen. Aber
es ist ein interessanter Streit. Denn ich glaube, dass es in
diesem Streit darum geht, ob wir es auch ohne Mehr-
wertsteuererhöhung schaffen können, dieses Land auf
den Erfolgspfad zurückzuführen, oder nicht. Je größer
das Wachstum ist, je größer die Staatseinnahmen sind,
desto richtiger ist es, auf die Erhöhung der Mehrwert-
steuer zu verzichten. Ich glaube, auch das ist der Grund,
warum die Regierung die Wachstumsrate jetzt niedrig
einschätzt. Sie möchte von der geplanten Mehrwertsteu-
ererhöhung um 3 Prozent nicht abweichen. Das ist ein
schwerwiegender Fehler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundeswirtschaftsminister hat sich heute geäu-
ßert. Ich bin davon überzeugt, dass Michel Glos in der
Zeit in der Opposition lieber im Bundestag gesprochen
hat. Aber auch diese Rede wird den Aufschwung in
Deutschland nicht verhindern.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Gestern in der Pressekonferenz hat er deutlichere Worte
gefunden; übrigens auch der Bundesfinanzminister im
Finanzausschuss hinter verschlossener Tür. Darüber
steht in der heutigen Ausgabe der „Financial Times
Deutschland“ die schöne Überschrift: „Glos erwartet
2007 Wachstumsdämpfer“. Der Umfang dieses Wachs-
tumsdämpfers – so die Schätzung des Wirtschaftsexper-
ten Michel Glos – beträgt 1 Prozentpunkt. Ich finde, das
ist eine richtige Einschätzung, Herr Bundeswirtschafts-
minister. Die Mehrwertsteuererhöhung wird uns 1 Pro-
zentpunkt unseres Wirtschaftswachstums kosten. Wir
werden den Anschluss an die Wachstumsraten der ande-
ren Länder in Europa aber nicht schaffen, wenn wir ein-
fach sehenden Auges in Kauf nehmen, dass das Wachs-
tum unserer Wirtschaft um 1 Prozentpunkt geringer
ausfällt.

Die Steuermindereinnahmen, die dadurch entstehen,
und die Arbeitsplätze, die wir dadurch gefährden, kosten
den Staat mehr Geld, als er durch die Mehrwertsteuerer-
höhung einnimmt. Das war, glaube ich, die Sorge, die
Michel Glos bewogen hat, auf der gestrigen Bundespres-
sekonferenz Tacheles zu reden. Ich finde, diesen Aspekt
hätte er auch hier im Deutschen Bundestag durchaus an-
sprechen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
beschlossen, in den nächsten vier Jahren 25 Milliarden
Euro in ein Investitionsprogramm zu stecken. Nun
kann man über die Wirkung von Investitionsprogram-
men streiten. Wenn wir aber angesichts eines Brutto-
inlandsprodukts von 2,2 Billionen Euro nur ungefähr
6 Milliarden Euro pro Jahr in die Hand nehmen, dann
muss man schon sehr optimistisch und sehr hoffnungs-
froh sein, wenn man glaubt, dass das ausreicht, um un-
sere Wirtschaft wirklich voranzubringen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch halten wir Grüne viele Elemente dieses Investi-
tionsprogramms für durchaus vernünftig. Ein Beispiel ist
das Gebäudesanierungsprogramm, das Teil dieses Inves-
titionsprogramms ist.

Warum ist das Gebäudesanierungsprogramm so
wichtig? Die Mietnebenkosten sind in Deutschland um
ein Drittel gestiegen. Die Gas- und Energiepreise belas-
ten die Haushalte, vor allem die Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen. Das Gebäudesanierungspro-
gramm ist nicht nur für die Umwelt gut, sondern es ist
auch angewandte Sozialpolitik. Diese galoppierenden
Kosten müssen wir nämlich in den Griff bekommen. Zu-
dem sichert dieses Programm Arbeitsplätze im Hand-
werk.

Aber das, was in den letzten Wochen passiert ist,
sollte uns doch zu denken geben. Ludwig Stiegler sagte,
im Haushaltsausschuss sei ein Bypass gelegt worden.
Das ist nicht die Dynamik, die wir uns wünschen. Im
Klartext: Das, was dort geschehen ist, ist Gemurkse; es
geht hin und her, vor und zurück. Die Leute, die sich
heute entscheiden wollen, ein Haus zu bauen oder zu sa-
nieren, wissen nicht genau, woran sie sind.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ab 1. Februar können sie das tun!)


Das klare Signal, dass dieses Programm sofort in Gang
kommt und wir in Schwung kommen, wäre besser.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Am 1. Februar geht es los!)


Diese Regierung hat folgendes Problem: Ihr Investi-
tionsprogramm krankt daran, dass im Deutschen Bun-
destag erst nach den Landtagswahlen über den Bun-
deshaushalt diskutiert werden soll. Dadurch sind viele
Maßnahmen auf die lange Bank geschoben. Aber die
Menschen, die in diesem Bereich investieren wollen,
brauchen jetzt Verlässlichkeit und Planungssicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man Zeitungen und Zeitschriften aus dem Be-
reich Bauen durchblättert, dann ist das wie die bunte
Illustration eines Programms der Grünen: Es geht um
Themen wie Holzpelletheizungen, Wärmedämmung,
Solarzellen auf den Dächern und Solarthermie. Alle
möglichen Bestandteile eines zum einen Wachstum
schaffenden und zum anderen die Arbeitsplätze im
Handwerk sichernden Programms sind darin enthalten.
Ich bin froh darüber, dass die Bundesregierung dieses






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Berninger
Investitionsprogramm um die Gebäudesanierung ergänzt
hat. Ich würde mir allerdings wünschen, dass Sie jetzt
Tempo machen, damit die Arbeitsplätze, um die es hier
geht, auch tatsächlich entstehen. Es darf nicht bei bunten
Bildern in sehr fortschrittlichen Zeitungen zum Bauen
und Wohnen bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Thema Planungssicherheit komme ich auf ein
zweites Beispiel zu sprechen: die Biokraftstoffe. Die
rot-grüne Bundesregierung hat das klare Signal gesetzt,
dass die Produktion von Biokraftstoffen in Deutschland
gefördert wird. In den sieben Jahren der rot-grünen Re-
gierungszeit ist Deutschland, was die Produktion von
Biokraftstoffen betrifft, zum Spitzenreiter geworden.

Was ist durch Ihre Koalitionsvereinbarung passiert?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das bleiben wir auch!)


– Ludwig Stiegler sagt: „Das bleiben wir auch!“ –


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ja!)


Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt – dort sitzt
zum Beispiel der Kollege Schindler, der wahrscheinlich
ein Lied davon singen kann –, weiß: Der Markt ist ver-
unsichert. Diejenigen, die investieren wollen, fragen
sich: Wird es noch eine Steuerbefreiung geben oder
nicht? Wird es zu einem Einspeisezwang kommen? Was
wird geschehen? All das wissen sie nicht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das steht alles im Jahreswirtschaftsbericht!)


Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bitte Sie: Nehmen
Sie sich dieses Themas an, sorgen Sie für Klarheit und
lassen Sie uns in Alternativen zum Öl investieren! Denn
die Ölpreisentwicklung ist ausgesprochen besorgniserre-
gend.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ludwig Stiegler hat gesagt, die Mehrwertsteuererhö-
hung würde schon irgendwie verkraftet werden. Ich sage
noch einmal: In den nächsten vier Jahren wollen Sie den
Leuten 75 Milliarden Euro aus der Tasche ziehen,
25 Milliarden Euro wollen Sie in Form eines Investi-
tionsprogramms zurückgeben. Das ist der Unterschied
zwischen dem Kotelett und dem Schwein, den der wirt-
schaftspolitische Sprecher der FDP vorhin angesprochen
hat.

Aber das Grundproblem, Herr Kollege Stiegler, ist,
dass die Mehrwertsteuererhöhung und der Anstieg der
Energiepreise nicht alternativ, sondern kumulativ zu be-
trachten sind; denn die Energiepreise steigen in diesem
Jahr genauso wie im letzten Jahr.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Effizienz kann aber auch steigen!)


Das bedeutet: Die Mehrwertsteuererhöhung kommt zu
den galoppierenden Energiepreisen noch hinzu. Das
wird unsere Binnenkonjunktur endgültig zum Erlah-
men bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Kollege Lafontaine hat ein klares Bild, wie man
das mit der Binnenkonjunktur hinkriegen kann; es wird
ja hier gebetsmühlenartig vorgetragen.


(Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Es gibt ein Problem mit der berühmten Wettbewerbs-
fähigkeit über Lohnstückkosten, über das man, wie ich
finde, reden muss. Was die Lohnstückkosten angeht,
sind wir in Deutschland wahnsinnig erfolgreich: In den
letzten beiden Jahren sind die Lohnstückkosten bei allen
unseren Wettbewerbern gestiegen – bei uns sind sie um
8 Prozent gesunken. Das ist eine Erklärung dafür, warum
wir Exportweltmeister sind.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat doch ganz andere Gründe!)


Es gibt nur ein Problem: Die Senkung der Lohnstück-
kosten beruhte zum einen auf Sozialreformen, das heißt,
wir haben Einsparungen machen müssen, die zum Teil
schmerzhaft waren. Ein zweiter Grund, warum wir so
niedrige Lohnstückkosten haben, ist die gestiegene Ar-
beitslosigkeit. Diese gestiegene Arbeitslosigkeit, die
Massenentlassungen bei vielen Unternehmen haben uns
zwar wettbewerbsfähig gemacht, aber vielen Menschen
die Existenz geraubt. Deshalb finde ich es unredlich, zu
argumentieren, man müsse im Bereich der Lohnkosten
gar nichts machen, weil die Lohnstückkosten ja so nied-
rig sind. Das Gegenteil ist richtig: Wenn wir davon weg-
kommen wollen, dass Rationalisierung nur über den
Faktor Arbeit stattfindet, dann müssen wir uns stärker
um die Senkung der Lohnnebenkosten kümmern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601401700

Herr Kollege Berninger, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Lafontaine?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601401800

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sich angesichts

der Entwicklung der Lohnstückkosten in Deutschland
– ich nenne das „das deutsche Lohndumping“ – Spanien,
das ja an der Währungsunion teilnimmt, hinsichtlich der
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland bereits
um 20 Prozent verschlechtert hat? Eine ähnliche Zahl
wird für Portugal gemeldet, und auch in Italien ist eine
solche Entwicklung zu verzeichnen. Ist Ihnen auch be-
kannt, dass der Chefvolkswirt der Deutschen Bank ge-
sagt hat, da Italien ja nicht mehr abwerten kann, müssten
dort die Löhne um bis zu 20 Prozent gekürzt werden? Ist
Ihnen bekannt, dass aufgrund der törichten Politik in
Deutschland viele Stimmen in Europa mittlerweile sa-
gen, wir legten den Sprengsatz an das europäische






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Währungssystem, weil sich die anderen nicht mehr
durch Abwertung zur Wehr setzen können?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun kommen wir von den Lohnstückkosten zur Wäh-
rungspolitik. Herr Kollege Lafontaine, zum einen denke
ich, über die Frage „Euro, ja oder nein?“ brauchen wir
hier nicht mehr zu diskutieren – der Euro ist eingeführt.
Ich bin ein überzeugter Europäer, ich glaube, dass es
richtig ist, auf den europäischen Binnenmarkt zu set-
zen. Er ist ein weiterer Grund, warum wir Exportwelt-
meister sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben nämlich für Deutschland sowohl in den alten
EU-Ländern als auch in den Beitrittsländern enorme
Märkte. Vor diesem Hintergrund will ich mich, was den
Populismus zum Euro angeht, eher zurückhalten.

Zum Zweiten: Der Grund, warum wir gegenüber die-
sen Ländern durch niedrigere Lohnstückkosten einen
Wettbewerbsvorteil errungen haben, hängt weniger mit
dem Euro zusammen als vielmehr damit, dass Deutsch-
land ein hohes technologisches Rationalisierungs-
potenzial hat, dass die in Deutschland ansässigen Unter-
nehmen sehr innovativ waren, mehr Güter mit weniger
Arbeit zu produzieren – auch, weil über unser soziales
Sicherungssystem die falschen Anreize gesetzt worden
sind. Dass wir so erfolgreich waren, führt dann eben
dazu, dass andere Länder ein Problem haben. Aber las-
sen Sie uns nicht in einen Populismus verfallen, den
Euro infrage zu stellen und den europäischen Binnen-
markt als einen zerfallenden Binnenmarkt anzusehen,
dessen Teilnehmer untereinander lediglich konkurrieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit bin ich bei einer interessanten Anmerkung von
Michel Glos vom gestrigen Tag. Der Bundeswirtschafts-
minister hat gestern gesagt: Lassen Sie uns einmal da-
rüber nachdenken – er hat einen Brief nach Brüssel
geschrieben –, die Strukturförderung für die Beitritts-
länder künftig an die Frage zu koppeln, ob dadurch viel-
leicht auch Wettbewerber entstehen und ob damit
Arbeitsplatzverlagerungen von Deutschland nach
Tschechien oder Polen oder sonst wohin verbunden sind.
Hintergrund sind die Arbeitsplätze, die bei Continental
in Hannover, bei der AEG und anderswo in Gefahr sind.

Aus drei Gründen finde ich diese Form von Populis-
mus falsch: Grund Nummer eins ist, dass die Bundes-
kanzlerin während der Verhandlungen über den Finanz-
rahmen der EU bis 2013 Gelegenheit hatte, dieses
Thema zur Sprache zu bringen. Sie hat es, wohlverstan-
den, nicht gemacht, weil die Abgrenzung, wann eine
Strukturförderung arbeitsplatzverlagernd ist oder nicht,
so schwierig ist.

Grund Nummer zwei – ich sagte es schon –: Deutsch-
land hat schon jetzt von der Erweiterung der EU profi-
tiert: Die Wachstumsraten unserer Wirtschaft auf diesen
neuen Märkten – ob das Ungarn ist, ob das Polen ist, ob
das Tschechien ist – sind so groß, dass wir uns auch hier
nicht schlechtreden müssen. Deutschland ist auf diesen
Märkten erfolgreich. Dann müssen wir aber umgekehrt
auch diesen Ländern eine Chance geben. Deshalb teile
ich die Einschätzung, dass der Bundesfinanzminister mit
Brandbriefen bezüglich der Steuersätze für Unterneh-
men in diesen Ländern nur ein mildes Lächeln ernten
wird.

Der dritte Grund. Die Regelungen zur deutschen Ein-
heit wurden von uns nicht anders gestaltet. Von den
80 Milliarden Euro, die von West nach Ost transferiert
werden, fließen viele Mittel in die Strukturförderung.
Das führt dazu, dass Betriebe von Westdeutschland nach
Ostdeutschland abwandern. Nehmen Sie als Beispiel die
Firma Müller Milch. Müller Milch hat in Niedersachsen
seine Molkereien zugemacht und dort mehr Menschen
entlassen, als in Sachsen beim Neuaufbau eingestellt
wurden. Allerdings muss man anmerken, dass sich die
neuen Länder in einem Aufholprozess befinden. Den
sollten wir unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass die Arbeitslosigkeit nur mit einer
Kombination aus mehr Wachstum und Strukturförde-
rung – dazu müssen wir den Mut haben – bekämpft wer-
den kann.

Die Regierung hat in diesem Punkt, wie ich meine,
ein großes Defizit, über das hier noch gesprochen wer-
den muss. In unserem Land besteht ein enger Zusam-
menhang zwischen Arbeitslosigkeit und Qualifizierung.
Probleme gibt es bei uns, anders als in anderen Ländern,
vor allem bei den niedrigqualifizierten Menschen, bei
den Menschen im niedrigen Einkommensbereich.

In diesem Zusammenhang will ich etwas zu der
aktuellen Tarifdebatte sagen: Über die Frage, ob die
Forderung der IG Metall nach 5 Prozent mehr Lohn rich-
tig ist oder nicht, sollen die Tarifpartner entscheiden. Da-
bei haben sie bisher immer große Weisheit an den Tag
gelegt. Ich finde, wir sollten uns nicht an dem Aushand-
lungsprozess beteiligen. Was mich aber freut, ist, dass
die IG Metall, nach Verdi die größte Einzelgewerkschaft
in Deutschland, in diesen Tarifverhandlungen erstmals
das Thema Weiterbildung ganz oben auf die Tagesord-
nung gesetzt hat. Das hätte auch der Bundeswirtschafts-
minister in seiner Rede positiv unterstreichen können
und er hätte die IG Metall einmal loben können, ohne
befürchten zu müssen, danach im CSU-Präsidium geprü-
gelt zu werden. Das ist der richtige Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen mehr im Bereich Qualifizierung tun, wenn
wir die Arbeitslosigkeit senken wollen.

Nun hat der Bundeswirtschaftsminister gestern etwas
gemacht, was ich sehr bedenklich finde. Letzte Woche
haben wir mit großem Konsens die Angleichung des
Arbeitslosengeldes II im Osten an das Westniveau be-
schlossen. Gestern ist in den Veröffentlichungen der
Agenturen zu lesen gewesen, der Bundeswirtschafts-
minister stehe Subventionen im Niedriglohnbereich






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Berninger
skeptisch gegenüber. Herr Bundeswirtschaftsminister,
ich teile zwar diese Ihre Einschätzung; denn so etwas
führt zu Mitnahmeeffekten und zu so genannten Dreh-
türeffekten. Unternehmen werden davon profitieren, sie
werden Menschen Arbeit geben, andere dafür aber ent-
lassen. Das ist der falsche Weg.

Weiter haben Sie gesagt, man müsse die Sozialtrans-
fers bei den unteren Einkommen absenken, so wie uns
das Herr Sinn aus München empfiehlt. Wir können aber
nicht in der einen Woche beschließen, das ALG II im
Osten an das Westniveau anzugleichen, und in der
nächsten Woche die Menschen noch stärker verunsi-
chern, die in den letzten Jahren real Einkommensver-
luste zu erleiden hatten. Das ist – Herr Lafontaine, da
sind wir wieder einer Meinung – der falsche Weg.

Deswegen machen wir Ihnen den Vorschlag, die not-
wendige Senkung der Lohnnebenkosten und somit der
Arbeitskosten auf die kleinen und mittleren Einkommen
zu konzentrieren. Das ist der richtige Weg. Wenn wir es
schaffen würden, die Lohnnebenkosten im unteren
Einkommensbereich stärker zu senken und die Steuer-
finanzierung der Lohnnebenkosten dort zu konzentrie-
ren, dann hätten wir eine Chance, die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit wirksam in Gang zu setzen. Das könnte
diese Regierung auf den Weg bringen. Das würde mehr
Zuversicht geben. Das würde auch mehr Investitionen
nach sich ziehen. Vor allem würde es Menschen Be-
schäftigung geben, die schon viel zu lange auf einen Ar-
beitsplatz warten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601401900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Michael

Meister für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1601402000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun-

deswirtschaftsminister hat heute den Jahreswirtschafts-
bericht der neuen Bundesregierung, den ersten in seiner
Amtszeit, vorgelegt. Die Tendenz ist klar erkennbar: Es
geht aufwärts in Deutschland. Nach fünf Jahren Stagna-
tion kommt die deutsche Volkswirtschaft wieder in
Gang. Daran kann man sehen: Der Eintritt der Union in
die Regierung macht sich bemerkbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist – er wurde schon
mehrfach erwähnt – auf dem höchsten Stand seit fünf
Jahren.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist unser Erbe!)


Der Dax liegt auf einem Vierjahreshoch. Die Unterneh-
men schauen wieder mit Zuversicht in das Jahr 2006.
Immer mehr Ökonomen heben ihre Prognosen für das
vor uns liegende Jahr an.

Der Opposition möchte ich mit den Worten unseres
ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss sagen: „Der
einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist.“
Deshalb bitte ich Sie, den allgemeinen Optimismus in
Ihren Reihen aufzunehmen und konstruktiv daran mitzu-
wirken,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Es genügt, wenn man es realistisch macht!)


dass es in Deutschland mit der Wirtschaft und dem Ar-
beitsmarkt wieder aufwärts geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Ar-
beit hat die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zum Jah-
reswechsel dargestellt. Ich darf ihn zitieren:

Die Entwicklung der letzten Monate gibt uns Zu-
versicht für das … Jahr 2006.

Das ist die großartige Botschaft zu Beginn dieses Jahres.

Im Jahreswirtschaftsbericht wird deshalb zu Recht
festgestellt: Der Aufschwung ist in Gang gekommen.
Das Wirtschaftsklima verbessert sich branchenübergrei-
fend. – Es bestätigt sich wieder einmal der Lehrsatz von
Ludwig Erhard: „Konjunktur ist zu 50 Prozent Psycho-
logie“. An dieser Stelle hat die neue Bundesregierung ei-
nen neuen Pflock eingeschlagen und Vertrauen geschaf-
fen. Sie ist verlässlich und berechenbar und schafft
damit Vertrauen für die Akteure in der Wirtschaft. Die-
sen Kurs müssen wir in Ruhe und Gelassenheit weiter
verfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte die Kollegen der Opposition einladen,
sich nicht darauf zu beschränken, den Kurs und die Stra-
tegie dieser Regierung zu kritisieren, wie das heute Mor-
gen geschehen ist, sondern eine alternative Strategie vor-
zulegen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Haben wir ja!)


– Herr Brüderle, ich habe das in dieser Debatte vermisst.
Wo ist Ihre konstruktive Alternative?


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)


Man löst keine Probleme, indem man nur Bedenken vor-
trägt. Sagen Sie doch einmal, wie Sie den Haushalt sa-
nieren wollen! Sagen Sie, wie Sie mehr Beschäftigung
schaffen wollen! Sagen Sie, wie Sie konkret die Sozial-
systeme reformieren wollen!


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hatten wir vor der Wahl doch gemeinsam festgestellt! Das wissen Sie doch, Herr Meister!)


Dann können wir darüber streiten, wer die richtige Stra-
tegie in diesem Lande verfolgt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, diese Regierung hat den richtigen Schwer-
punkt gesetzt. Wir werden das Notwendige tun, um die
Anstrengungen für Wachstum und Beschäftigung voran-
zubringen. Wir haben uns darauf verständigt, die Refor-
men an unserem Standort einzuleiten, die notwendig
sind, um uns den Weg in die Wissensgesellschaft zu
bahnen. Deutschland kann sich besser auf die Herausfor-
derungen der Zukunft vorbereiten. Wir werden den Men-
schen in Deutschland mehr Freiheit geben, damit sie sich
auf diese neuen Rahmenbedingungen einstellen können.


(Rainer Brüderle [FDP]: Durch Steuererhöhungen!)


Mit neuen Leistungsanreizen werden wir den Menschen
die Chance geben, diese Freiräume eigenverantwortlich
auszufüllen. Zudem wollen wir die Marktkräfte dauer-
haft stärken, damit die vorhandenen Wachstumspoten-
ziale genutzt werden können.

Wir sollten den Menschen hier nichts Falsches ein-
flüstern. Der Kollege Lafontaine hat eben die Brutto-
lohnsumme angesprochen und den Menschen sozusagen
unterschwellig suggeriert, wir müssten unsere Probleme
mit massiven Lohnerhöhungen lösen. Das ist ein voll-
kommen falscher Ansatz. Die Bruttolohnsumme besteht
aus der Summe aller Individuallöhne. Unser Problem
liegt doch darin, dass die Beschäftigtenzahl in den ver-
gangenen Jahren massiv zurückgegangen ist. Wir müs-
sen daran arbeiten, dass die Beschäftigtenzahl steigt.
Dann werden die Menschen auch wieder mehr Einkom-
men haben und mehr Geld in die Hand nehmen. Deshalb
müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir
mehr Menschen in eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung bekommen. Dort müssen wir den
Schwerpunkt setzen. Wir sollten keine Vorschläge auf
den Tisch bringen, die dazu führen, dass die Beschäftig-
tenzahl noch weiter nach unten geht und wir noch weiter
in dieses Dilemma schlittern, Herr Lafontaine.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Bundesregierung hat einen Dreiklang festge-
schrieben: Wir wollen den Haushalt sanieren, wir wollen
Investitionsanreize setzen und wir wollen langfristige
Strukturreformen auf den Weg bringen. Ich glaube, dass
dieser Dreiklang der richtige Ansatz ist, um die Lage un-
seres Landes zu verbessern und mehr Wachstum und Be-
schäftigung zu erreichen.

Es ist gelegentlich sinnvoll, zu schauen, wie andere,
die uns von außen betrachten, unsere Strategie kommen-
tieren. Die Europäische Kommission hat gestern gesagt:
Deutschland verfolgt eine kohärente, integrierte und an-
gemessene Strategie, um zu mehr Wachstum und Be-
schäftigung zu kommen. – Ein besseres Gütesiegel der
Wirtschaftspolitik dieser neuen Regierung hätten wir uns
gar nicht wünschen können. Deshalb: Nehmen Sie diese
positive Beurteilung doch einmal auf und orientieren Sie
sich daran!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundeswirtschaftsminister hat den Dreiklang
dargestellt. Die Haushaltskonsolidierung ist ein zentra-
les Ziel in dieser Legislaturperiode. Ich möchte hier auf
den Chefökonomen der Europäischen Zentralbank,
Otmar Issing, hinweisen. Er hat in einem Interview in
den vergangenen Tagen gesagt:

Keine Regierung wird auf Dauer bestehen können,
wenn sie den Haushalt nicht konsolidiert.

Damit hat er absolut Recht. Konsolidierung ist kein
Selbstzweck. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen
zeigen, dass die Konsolidierung der Staatsfinanzen per
se eine wachstumssteigernde Wirkung hat. Deshalb wer-
den wir über einen verlässlichen Konsolidierungspfad
dazu kommen, das Wachstum in Deutschland längerfris-
tig anzureizen.

Wir müssen uns im Zuge der Haushaltskonsolidie-
rung auch auf die Herausforderungen der noch zu erwar-
tenden Lasten durch die demografische Entwicklung
vorbereiten. Die Tatsache, dass heute ein neugeborenes
Kind mit 18 000 Euro Schulden zur Welt kommt, ist
nicht akzeptabel. In Zukunft müssen wir weniger Schul-
den machen und unseren Staatshaushalt ausgleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die neue Bundesregierung packt das Problem der
Haushaltskonsolidierung entschlossen an. Ich möchte al-
len Kritikern sagen: Sie bieten keine Alternative an. Wir
würden uns gerne mit Ihnen über eine Alternative strei-
ten. Legen Sie sie doch einfach vor! Diejenigen, die Sie
nach vorne geschickt haben, sind, als sie die Möglichkeit
hatten, das Problem zu lösen, bei Nacht und Nebel durch
die Hintertür geflohen und jetzt stellen sie sich hier hin
und treten als die großen Ratgeber auf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie hatten doch damals die Möglichkeit, die Probleme zu
lösen. Warum haben Sie es nicht getan? Warum sind Sie
einfach verschwunden?

Der Konsolidierungsbedarf ist enorm. Ein Viertel der
Ausgaben des Bundes sind nicht durch laufende Einnah-
men gedeckt. Deshalb werden wir in den kommenden
Jahren massiv und eisern sparen müssen, um die Vorga-
ben in Art. 115 des Grundgesetzes und des europäischen
Stabilitätspaktes, die Einhaltung der Maastrichtkriterien,
zu erreichen.

Heute Morgen ist schon intensiv darüber diskutiert
worden, wie wir das Wirtschaftswachstum für 2006
einschätzen. Ich bin sehr froh, dass wir mit einer realisti-
schen, aber auch konservativen Wachstumseinschätzung
in dieses Jahr gehen. Wir haben in den vergangenen Jah-
ren oft erlebt, dass die Erwartungen nicht übertroffen,
sondern unterlaufen wurden. Jetzt haben wir die Chance,
dass sich die Erwartungen, die wir wecken, auch wirk-
lich erfüllen werden und dass wir durch die Basiseffekte
für die kommenden Jahre einen positiven Schub errei-
chen, statt Defiziten hinterherzulaufen. Deshalb werbe






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister
ich dafür, diese neue Strategie in den Folgejahren fortzu-
setzen und in Zukunft mit realistischen, aber konservati-
ven Einschätzungen Wirtschaftspolitik zu gestalten.

Das Impulsprogramm, das die Regierung vorgelegt
hat, dient dazu, kurzfristig Investitionsanreize zu setzen.
Es ist richtig, Herr Brüderle, dass wir nicht nur fordern,
den Privathaushalt als Arbeitgeber zu entdecken, son-
dern dies auch schlicht und ergreifend tun. Genau das
machen wir mit diesem Programm. Freuen Sie sich doch
mit uns gemeinsam, dass dadurch neue legale Beschäfti-
gung in Deutschland entsteht und mehr Menschen in Be-
schäftigung kommen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Freuen Sie sich darüber, dass wir den Unternehmen nicht
sagen, dass sie warten müssen, bis wir eine ausgereifte
Unternehmensteuerreform auf den Weg gebracht haben,
was wir uns bis zum 1. Januar 2008 vornehmen, sondern
dass wir diese zwei Jahre mit Abschreibungsbedingun-
gen überbrücken, die Investitionen am Standort Deutsch-
land auch in diesem Zeitraum attraktiv machen.

Entscheidend aber ist natürlich die Frage: Können wir
Strukturreformen umsetzen? Hier sind wir – lassen Sie
mich das an dieser Stelle sagen – in einer komfortablen
Lage. Die Koalition hat den klaren politischen Willen,
dieses Problem zu lösen. In Bundestag und Bundesrat
haben wir die dafür notwendigen Mehrheiten. Darüber
hinaus steht uns der komplette steuerpolitische Sachver-
stand dieser Republik zur Verfügung, der an Lösungen
für dieses Problem mitwirkt. Diese einmalige Situation
sollten wir nutzen, nicht nur kleine Veränderungen vor-
zunehmen, sondern eine Strukturveränderung, die lang-
fristig dazu führt, dass unser Standort attraktiv ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Thema Föderalismusreform wird mittlerweile
seit Jahren diskutiert. Die Regierung und die Koalition
haben sich vorgenommen, diese Reform in den ersten
sechs Monaten dieses Jahres umzusetzen. Die Struktur-
veränderung, die wir auf den Weg bringen, wird dazu
führen, dass in unserem Land schneller entschieden wird
und Kompetenzen klarer geregelt sind.

Auch das Thema Bürokratieabbau haben wir uns
vorgenommen. Ich glaube, hier können wir diesmal tat-
sächlich etwas verändern. Wir diskutieren zwar schon
seit Jahren über Bürokratieabbau, aber ehrlicherweise
sind wir dabei nicht vorangekommen. Jetzt werden wir
den Bürokratieaufwand an einzelnen Bestimmungen
transparent machen, indem wir anfangen, Bürokratie zu
messen. Beim Bundeskanzleramt wird ein Rat eingerich-
tet – damit wird das Thema Chefsache –, der sich damit
beschäftigt, die Bürokratie dort, wo sie wirklich nach-
weisbar ist, zurückzuführen. Damit hört die Debatte zu
diesem Thema, das in jeder Sonntagsrede vorkommt,
auf, Herr Brüderle. Diese Regierung fängt an, in der Ta-
gespolitik entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um
zu weniger Bürokratie in Deutschland zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anhand vieler Großprojekte haben wir erkannt, dass
Entscheidungen in unserem Land zu lange dauern. Sie
als Rheinland-Pfälzer kennen den Frankfurter Flugha-
fen. Wir alle wundern uns, wie lange die Entscheidungen
über neue Landebahnen und über die Werft des A380
dauern. Wir haben uns vorgenommen, dafür zu sorgen,
dass Planungs- und Genehmigungsverfahren in über-
schaubarer Zeit abgeschlossen werden können. Das
heißt nicht, alles zu genehmigen und alles kritiklos hin-
zunehmen. Menschen, die in unserem Land zu Unter-
nehmungen bereit sind, müssen aber in überschaubarer
Zeit eine klare Auskunft erhalten, was sie tun können
und was nicht. Ich glaube, dass davon ein positiver Im-
puls für den Standort Deutschland ausgeht.

Ich möchte in dieser Debatte zum Jahresbeginn 2006
alle einladen, sich bei der Frage, wie wir unser Land
wieder in Gang bringen können, konstruktiv einzubrin-
gen. Lassen wir den Missmut beiseite und sorgen wir da-
für, dass mehr Menschen in Deutschland Beschäftigung
finden und dass sie wieder Vertrauen und Optimismus
entwickeln, damit es mit unserem Land aufwärts gehen
kann! Deutschland kann es besser und wir wollen dafür
sorgen, dass es auch besser wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601402100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend für

die SPD-Fraktion.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1601402200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Eine große Koalition ist nicht immer einfach. Der
Kollege Meister hat uns ein wenig gekitzelt, indem er
die besseren Wirtschaftsdaten – vorsichtig ausgedrückt –
ein wenig einseitig vorträgt und sich darauf beruft, dass
sie durch den Eintritt der Union in die Bundesregierung
begründet seien. Es trifft sich gut, dass ich einen kurzen
Text des Sachverständigenrates bei mir habe, in dem
festgestellt wird, dass die große Koalition eine gute Ba-
sis für mutige und umfassende Politikmaßnahmen und
die Fortsetzung des von Rot-Grün eingeschlagenen Re-
formkurses sein könne.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Meister, das war sozusagen eine kleine
boshafte Retourkutsche zu Ihrer Anmerkung.

Die große Koalition ist aber auch deshalb nicht ein-
fach, weil die FDP kaum eine Gelegenheit auslässt, Ih-
nen vorzuhalten, was Sie noch vor einigen Wochen und
Monaten gemeinsam auf den Weg bringen wollten und
welche Position die Union jetzt vertritt. Die Grünen ma-
chen es uns auch nicht leichter, weil sie im Bundestag
Anträge vorlegen, die wir in der letzten Legislatur-
periode noch mit ihnen gemeinsam eingebracht haben.


(Martin Zeil [FDP]: Ihr habt es wirklich schwer!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
Dennoch muss sich die große Koalition in der gegenwär-
tigen Situation ihrer großen Verantwortung bewusst wer-
den. Warum ist ihre Verantwortung so groß? Wir kom-
men nicht daran vorbei, zu erkennen, dass wir in der
Ökonomie unseres Landes – übrigens nicht nur in
Deutschland, sondern auch im übrigen Kerneuropa –
dramatische Veränderungen zu verzeichnen haben. Mit
der Öffnung Chinas, Indiens und der Länder Osteuropas
konkurrieren weltweit circa 2 Milliarden Menschen zu-
sätzlich um Investitionen und Arbeitsplätze.

Die Frage ist, wie wir diese große Herausforderung,
vor der wir stehen, meistern können. Dafür müssen wir
zwei Aufgaben bewältigen. Was die eine Aufgabe an-
geht, muss ich dem Kollegen Lafontaine widersprechen.
Angesichts der zusätzlichen Konkurrenz auf den Welt-
märkten bleibt es uns nicht erspart, uns diesem Wett-
bewerb zu stellen, sei es durch Verbesserungen in Bil-
dung und Forschung – diesen Weg würden wir sicherlich
gemeinsam gehen –, sei es über das Steuersystem oder
die Frage, wie die Arbeit in den Bereichen zu organisie-
ren ist, in denen die Beschäftigten weniger gut qualifi-
ziert sind.

Als große Koalition haben wir aber auch eine zweite
Aufgabe, auf die der Kollege Stiegler zu Recht hinge-
wiesen hat. Wir werden nur dann Erfolg haben, wenn es
uns gelingt, neben der Wettbewerbsfähigkeit auch die
soziale Ausgestaltung unseres Landes beizubehalten.
Es kann auch unter den veränderten Wettbewerbsbedin-
gungen nicht richtig sein, wenn sich das Lohnniveau in
einer Weise entwickelt, dass wie im Bewachungsge-
werbe in Thüringen Tariflöhne von 4 Euro gezahlt wer-
den.


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Wir müssen der ständigen Abwärtsspirale bei den Löh-
nen entgegenwirken. Deswegen richte ich an die Bun-
desregierung und die Koalitionsfraktionen die Bitte: Wir
müssen einen Weg finden, diese Abwärtsspirale zu been-
den. Wir müssen über Instrumente wie den Mindestlohn
diskutieren und klären, wie wir denjenigen helfen, die
aufgrund ihrer Qualifikation auch zu den gesetzlichen
Mindestlöhnen keine Arbeit finden würden. Ein solches
Instrument ist beispielsweise der Kombilohn; er käme
für diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in-
frage, die aufgrund fehlender Qualifikation oder anderer
Probleme im persönlichen Bereich keine Beschäftigung
finden.

Lassen Sie mich auf ein Thema eingehen, das mir
große Sorgen bereitet und das bislang nur am Rande eine
Rolle gespielt hat. Das ist das Thema Europa. Es ist
bereits vom Bundeswirtschaftsminister und auch in un-
serer Koalitionsvereinbarung angesprochen worden. Ich
glaube nicht, dass wir folgende zwei Dinge, die mitei-
nander zusammenhängen, hinnehmen können. Das eine
Problem ist: Wir fördern in manchen Ländern nicht das
Entstehen von neuen Arbeitsplätzen, sondern die Verla-
gerung von bestehenden Arbeitsplätzen aus dem Land X
in das Land Y. Man wird keinem Steuerzahler in
Deutschland klar machen können, warum er Steuern
zahlen soll, mit deren Hilfe Arbeitsplätze aus unserem
Land wegsubventioniert werden. Das ist ein Thema, dem
sich die Bundesregierung widmen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Vorwurf, dass die Bundeskanzlerin sogar für zusätz-
liche Mittel zugunsten Osteuropas gesorgt hat, trägt je-
doch nicht; denn dass die Strukturen in Osteuropa – auch
mit Hilfe von EU-Mitteln – verbessert werden, ist rich-
tig. Dafür ist zusätzliches Geld notwendig. Aber das darf
nicht zur Subventionierung von Arbeitsplatzverlagerun-
gen in die osteuropäischen Staaten führen. Vielmehr
müssen dort neue Strukturen und Arbeitsplätze entste-
hen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das andere Problem ist das Steuerdumping. Ich weiß
nicht, ob darüber Konsens herrscht. Ich stelle jedenfalls
fest, dass manche Länder nach meiner Wahrnehmung die
Mindeststeuerquote unterschreiten. Wenn diese Mit-
gliedstaaten auf tragfähige Finanzierungsgrundlagen
verzichten, dann ist das ihr gutes Recht. Wir werden ih-
nen kaum etwas anderes vorschreiben können. Dann
dürfen aber diese Länder im Gegenzug nicht erwarten,
dass andere Länder die Finanzierung ihrer staatlichen
Leistungen übernehmen. Diese Diskussion werden wir
in Europa führen müssen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Lafontaine, in diesem Zusammenhang
möchte ich auf Ihre Argumente eingehen; denn ich
finde, dass man sich auch mit dem sehr ernsthaft aus-
einander setzen sollte, was Sie gesagt haben. Ich habe
mich an einer Stelle Ihrer Rede über einen klassischen
Populismus geärgert. Sie sagen: Führten wir nur 5 Pro-
zent Vermögensteuer für die Reichsten ein, dann stün-
den uns 100 Milliarden Euro zusätzlich im Haushalt zur
Verfügung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Man kann mit mir sicherlich über Steuern und Len-
kungswirkungen diskutieren. Wenn aber im Gesetzblatt
steht, dass 5 Prozent Vermögensteuer zu erheben sind,
bedeutet das noch lange nicht, dass sich die Steuerein-
nahmen erhöhen. Meine Sorge ist: Uns stehen dann
letztlich weniger Einnahmen zur Verfügung, weil eine
Erhöhung der nominalen Steuersätze dazu führt, dass
das Geld, das Sie besteuern wollen, nicht mehr vorhan-
den ist. Es steht dann auch nicht mehr zur Verfügung,
um in Deutschland investiert zu werden, die Produktivi-
tät zu erhöhen und für Wachstum und Beschäftigung zu
sorgen. Aus diesem Grund bin ich im Hinblick auf die
Einführung einer Vermögensteuer sehr zurückhaltend
und werfe Ihnen ein Stück weit Populismus vor.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch etwas zum Thema Bürokratie-
abbau sagen. Ich finde, es ist gut, dass die Bundeskanz-
lerin dieses Thema in den Mittelpunkt ihrer Rede in Da-
vos gestellt hat. Wir müssen selbstkritisch einräumen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
– das geht übrigens allen Bundesregierungen der letzten
30 Jahre so –: Wir haben den Bürokratieabbau ständig
als Aufgabe benannt. Jeder von uns hat gesagt, dass die
ausufernde Bürokratie ein zentrales Problem ist. Das ist
sie auch. Wir haben aber letztendlich nicht den richtigen
Dreh, den richtigen Ansatzpunkt gefunden, um dieses
Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen. Wir ha-
ben hier und da Verbesserungen vorgenommen. Das
Ende vom Lied war allerdings, dass wir mehr Gesetze
und Verordnungen als vorher hatten und dass unser Bei-
trag zum Bürokratieabbau – um es zurückhaltend auszu-
drücken – sehr begrenzt war.

Es lohnt sich aber, darüber zu reden. Wir wollen einen
neuen Anlauf wagen. Der Ansatz lautet: Wir messen die
Bürokratiekosten, die Unternehmen nur dadurch entste-
hen, dass sie bestimmte Dokumentations- und Berichts-
pflichten staatlichen Stellen gegenüber haben – wir re-
den gar nicht über das materielle Recht, sondern nur
über die Dokumentations- und Berichtspflichten –, und
wir wollen uns Zielvorgaben setzen, aus denen hervor-
geht, in welchem Umfang diese Kosten zu reduzieren
sind.

Vielen sind die Zahlen bekannt; ich nenne sie den-
noch noch einmal. Die Niederländer haben über den
Daumen 20 Milliarden Euro Kosten für die Bürokratie
errechnet. Auf unser BIP übertragen sind das etwa
80 Milliarden Euro, wenn ich einmal unterstelle, dass
wir nicht viel weniger bürokratisch sind als die Nieder-
lande. Wenn es uns gelänge, diese Summe nur um ein
Viertel zu reduzieren, würden wir in unserer Volkswirt-
schaft 20 Milliarden Euro freisetzen, die nicht mehr für
Bürokratie, sondern für Investitionen und für Innovatio-
nen zur Verfügung stünden. Das ist ein Ansatz zum
Bürokratieabbau, über den ich sage: Das lohnt sich. Die
große Koalition muss diesen Schritt unternehmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir können keine Wunder versprechen, aber wahr ist
doch: Reformen einerseits und Sicherung unserer sozia-
len Systeme andererseits müssen die Grundlage bilden,
ergänzt durch positive Stimmungen, die diese große Ko-
alition erzeugt hat und auch in Zukunft erzeugen kann.
Wenn uns dies auch weiterhin gelingt, dann wird es zwar
immer noch nicht einfach mit der großen Koalition, aber
dann wird sie ihrer Aufgabe gerecht, die Herausforde-
rungen in unserem Land anzunehmen und dafür zu sor-
gen, dass es mit Wirtschaftsentwicklung und Arbeits-
plätzen aufwärts geht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601402300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Herbert Schui,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601402400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-

desregierung und die Koalition haben ihren jüngsten
Jahresstagnationsbericht vorgelegt,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


wenngleich mit außerordentlich optimistischem Unter-
ton, optimistisch präsentiert, mit einer ganzen Menge
von Beschwörungsformeln, mit gegenseitigem Schulter-
klopfen und vielem anderen mehr. Die Zukunft wollen
Sie gestalten. Das bedeutet dechiffriert: Trotz steigender
Arbeitsproduktivität soll der Bruttolohn und damit der
Lebensstandard der großen Mehrheit der Bevölkerung
sinken. Damit haben Sie gesagt, welche Zukunft Sie für
die meisten von uns vorgesehen haben.

Das von Ihnen prognostizierte Wirtschaftswachstum
in Höhe von 1,4 Prozent beruht auf zwei Ursachen: zum
einen auf der Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen,
zum anderen auf dem Wachstum der Exporte. Sie wer-
den mit mir sicherlich darin übereinstimmen, dass die
Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen nicht anhalten
wird. Zum einen sind es – das ist schon häufig gesagt
worden – nichts weiter als vorgezogene Ersatzinvestitio-
nen, die ohnehin irgendwann einmal fällig geworden
wären, zum anderen ist die Zinspolitik der Europäischen
Zentralbank nicht gerade geeignet, einen Investitions-
schub auszulösen. Schließlich gibt es gegenwärtig keine
revolutionären Produktionstechniken, die Motiv für eine
wirkliche Investitionskonjunktur sein könnten.

Es bleibt also nichts weiter als der Export. Dieser Ex-
port ist aber deswegen sehr gefährdet, weil der Export
Deutschlands Handelsbilanzdefizite bei unseren Han-
delspartnern hervorruft. Dieser Export könnte dann dau-
erhaft sein, wenn Deutschland so viel importieren
würde, wie es exportiert; er könnte dann dauerhaft sein,
wenn die Inlandseinkommen, die Bruttolöhne und Ge-
hälter, so hoch wären, dass so viele Importgüter gekauft
würden, dass keiner unserer Handelspartner ein Defizit
mit Deutschland realisiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil diese Defizite realisiert werden, müssen die Defi-
zitländer über kurz oder lang eine wachstumsdämpfende
Politik einleiten. Wenn sie ihr Wachstum bremsen, um
weniger im Ausland zu kaufen, dann bedeutet das natür-
lich, dass diese Exportstütze, diese Wachstums- und
Konjunkturstütze, endgültig perdu ist. Sie glauben doch
wohl nicht im Ernst, dass die Vereinigten Staaten in der
langen Frist ihr Außenhandelsdefizit von mehr als
600 Milliarden US-Dollar aufrechterhalten werden. Sie
werden vorher eine wachstumssenkende Politik einlei-
ten, damit die Importe aus den starken Exportländern
wie Deutschland zurückgehen.

Insgesamt ist die Konzeption propagandistisch, falsch
und ideologisch. Wenn nämlich der Export die einzige
Konjunkturstütze ist, dann, so wird stets argumentiert,
müssen wir wettbewerbsfähig im Ausland bleiben. Wett-
bewerbsfähig im Ausland können wir nur bleiben – so
argumentiert man weiter –, wenn die Löhne niedrig sind.
Das bedeutet aber, dass die Vorteile einer internationalen
Arbeitsteilung, von denen in den Lehrbüchern die Rede
ist und die auch in Ihren Sonntagsreden hervorgehoben
werden, sich in der allgemeinen Wahrnehmung als Be-
drohung durch den Weltmarkt darstellen. Der internatio-
nale Warenaustausch und die internationale Arbeitstei-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui
lung sind eben so organisiert, dass der Einzelne nicht
davon ausgehen kann, dass wir alle davon profitieren.
Das, was Sie Globalisierung nennen, ist in der Tat be-
drohlich.


(Beifall bei der LINKEN)


In einer überschaubaren Frist wird es also nicht zu ei-
ner Verbesserung der Lage kommen. Damit Ihr nächster
Jahreswirtschaftsbericht wirklich wieder ein Stagna-
tionsbericht wird, haben Sie mittlerweile beschlossen,
die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Erhöhung der Mehr-
wertsteuer bedeutet, dass dem privaten Sektor zunächst
rund 24 Milliarden Euro entzogen werden. Über die Sen-
kung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden
ihm 8 Milliarden Euro zurückgegeben. Dem privaten
Sektor werden unter dem Strich also 16 Milliarden Euro
genommen. Diese 16 Milliarden Euro gibt der Staat aber
nicht zusätzlich aus; denn es ist das erklärte Ziel, dass
die Ausgaben nicht wachsen und die Neuverschuldung
die 3-Prozent-Grenze nicht überschreitet. Infolgedessen
haben Sie ein Nachfragesenkungsprogramm aufgelegt.

Dieses Nachfragesenkungsprogramm wird nach über-
schlägigen Rechnungen in einer ersten Runde einen
Wachstumsverlust von wenigstens 0,8 Prozentpunkten
bedeuten. Das heißt, wenn Sie zurzeit für das Jahr 2007
von 1,5 Prozent Wachstum ausgehen, dann werden Sie
bei 0,7 Prozent Wachstum landen. Diese Minderung der
Ausgaben hat Folgewirkungen: Wenn weniger ausgege-
ben wird, nehmen andere Leute weniger ein und geben
auch weniger aus. Das verstärkt die negativen Wirkun-
gen. Nach etwa 18 Monaten werden sich diese kumulier-
ten negativen Wirkungen auf das Wachstum auf unge-
fähr 1,2 Prozentpunkte belaufen.

Sie werden dann irgendwelche mythischen Argu-
mente finden müssen, um dennoch neuen Optimismus
zu verströmen. Ich bin gespannt, welche Beschwörungs-
formel dann an der Reihe ist. Herr Bundesminister Glos
hat vorhin eher beiläufig gesagt, das niedrige Wachstum
in Deutschland liege an der niedrigen Geburtenrate.
Wahrscheinlich werden Sie die künftige Argumentation
mehr darauf stützen. Alle, die bei der so genannten bür-
gerlichen Mitte und rechts davon anzusiedeln sind, nei-
gen nicht zur Analyse, wohl aber zu biologistischen Er-
klärungen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1601402500

Herr Kollege Schui, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere,


(Beifall)


verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere par-
lamentarische Arbeit.

Nächster Redner ist nun der Kollege Alexander
Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alexander Dobrindt (CSU):
Rede ID: ID1601402600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Bundeswirtschaftsminister hat einen Jahreswirtschafts-
bericht vorgelegt, der zum ersten Mal wieder Visionen
enthält. Er hat Prognosen abgegeben, die – wie bei gutem
Wirtschaften üblich – konservativ sind. Das heißt, dass
wir eine realistische Chance haben, diese Prognosen so-
gar zu übertreffen. Das ist neu. Nach der Vorlage der Jah-
reswirtschaftsberichte in der Vergangenheit mussten die
Eckpunkte vierteljährlich nach unten korrigiert werden.
Im Übrigen war das an der schlechten Stimmung im
Land maßgeblich schuld – das ist das Entscheidende –,
dass Verlässlichkeit und Planbarkeit von politischen Ent-
scheidungen für die Verbraucher und die Wirtschaft ver-
loren gegangen sind.

Politik, die unter dem Motto „Nachbessern“ betrieben
wird, kann kein Vertrauen schaffen und sie ist deswegen
Teil des vielästigen Problemgestrüpps in unserem Land.
Ich bin froh darüber, dass wir das Vertrauen der Men-
schen nicht abermals mit zu optimistischen Zahlen auf
die Probe gestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Politik wirkt natürlich maßgeblich auf die Emotionen
der Menschen ein. Ich glaube, es gibt in unserem Land
kein emotionaleres Thema als die hohe Arbeitslosig-
keit, wobei insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit
immer stärker zunimmt und die Arbeitslosigkeit insge-
samt inzwischen in der Mitte unserer Gesellschaft ange-
kommen ist. Wohl jeder kann heute sagen, dass er in sei-
ner Verwandtschaft oder Bekanntschaft auch mit Angst
vor Arbeitslosigkeit oder mit Arbeitslosigkeit konfron-
tiert ist. Deswegen ist es gut, dass der Jahreswirtschafts-
bericht einen positiven Ausblick in Bezug auf den Ab-
bau der Arbeitslosigkeit geben kann. Das ist das zentrale
Thema, über das wir hier reden müssen.

Reformieren und investieren zugleich ist der Schlüs-
sel für langfristige und kurzfristige Maßnahmen, damit
Wachstum und Beschäftigung in unserem Land geschaf-
fen werden können. Anders formuliert: Es gilt, Ausga-
ben zu reduzieren, gezielte Wachstumsimpulse zu geben
und gleichzeitig die Einnahmesituation zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darin stecken große Herausforderungen, aber damit sind
natürlich auch umso mehr Chancen für die Menschen
verbunden.

Der Vorwurf, der hier formuliert worden ist, dass ein
Teil dieser Wachstumsimpulse ein Konjunkturprogramm
der alten Prägung sei, greift schlichtweg nicht. Es geht
vielmehr darum, den marktwirtschaftlich günstigsten
Weg zu finden, notwendige Projekte zu realisieren.

Ein Beispiel ist das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm, das den Zweck hat, die Energieeffizienz zu er-
höhen, das heißt im Wesentlichen natürlich Energie zu
sparen. Das ist eine wichtige umweltpolitische und wirt-
schaftspolitische Maßnahme, die zusätzlich gerade der
mittelständischen Wirtschaft und den Handwerkern zu-
gute kommt, Arbeitsplätze schafft und Arbeitsplätze si-
chert.






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Dobrindt

(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/ CSU])


„Reformieren, investieren, Zukunft gestalten“ heißt
natürlich auch, die Probleme jetzt zu lösen und nicht in
die Zukunft, auf die nächste Generation, zu verschieben.
Anders formuliert: Politik muss endlich wieder das Zu-
kunftsinteresse vor das Gegenwartsinteresse stellen. Das
ist für die meisten Menschen in unserem Land überhaupt
nichts Unübliches. Der viel strapazierte Satz „Ich will,
dass es meinen Kindern einmal besser geht“ ist genau
der Kern der Aussage „Zukunftsinteresse vor Gegen-
wartsinteresse stellen“.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Das heißt, die Politik muss mit den Rahmenbedingungen
dafür sorgen, dass Wachstum und Beschäftigung ein
Niveau erreichen, das weiterhin breitestmöglich Wohl-
stand und Sicherheit garantiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der
Wirtschaftsminister die Förderpraxis der EU kritisiert.
Arbeitsplatzverlagerung innerhalb Europas, mit Steuer-
geldern finanziert, hat nichts mit Wettbewerb zu tun,
sondern ist das genaue Gegenteil davon.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Der Bundesminister hat in seiner Rede die Energie-
politik thematisiert. Er hat vom ausgewogenen Energie-
mix gesprochen und zu Recht auf die Erwartung der Ver-
braucher hingewiesen, dass Versorgungssicherheit und
wettbewerbsfähige Energiepreise von der Politik mit zu
garantieren sind. Gerade die jüngsten Erfahrungen, die
auch in Deutschland einen neuen Prozess des Nachden-
kens über die hohe Importabhängigkeit Deutschlands bei
Energieträgern angestoßen haben, sollten uns dazu ver-
anlassen, über die getroffene Entscheidung zum Ablauf
des so genannten Atomausstiegs, das heißt über das Ob
und das Wie, neu nachzudenken. Denkverbote dürfen
hier nicht erteilt werden. Deswegen ist es sinnvoll, zum
kommenden Energiegipfel alle Chancen und Risiken,
auch die der bisher getroffenen Entscheidungen zum
Energiemix, neu zu überprüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend [SPD]: Noch mehr erneuerbare Energien!)


– Herr Kollege Dr. Wend, ich will nicht auf die Ausfüh-
rungen Ihrer europäischen Kollegen zurückgreifen; aber
wir können bei Gelegenheit über das diskutieren, was
darüber heute im „Handelsblatt“ steht.

Der Jahreswirtschaftsbericht nimmt umfassend zur
Situation im Mittelstand Stellung. Das BMWi hat eine
Mittelstandsinitiative angekündigt, die für weniger Bü-
rokratie und mehr Flexibilität sorgen soll – eine Maß-
nahme, die der Mittelstand in Deutschland dringend er-
wartet. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen
Wirtschaft kann Entbürokratisierung bis zu 600 000 neue
Stellen schaffen und einen enormen Wachstumsimpuls
geben.

Auf der Rangliste der ökonomischen Freiheit liegt
Deutschland nur auf Platz 19, weit hinter Ländern wie
England, Holland und Österreich. Gerade die ökonomi-
sche Freiheit ist aber wesentlich, um die Chance auf
Selbstständigkeit zu eröffnen. Deshalb ist außerordent-
lich zu begrüßen, dass die Bundesregierung eine Grün-
deroffensive startet mit dem Ziel, eine Selbstständigen-
quote von über 10 Prozent zu erreichen. Darin liegt eine
echte Chance, neue Beschäftigung zu schaffen. Nur Ar-
beit schafft nämlich Arbeit; die Verteilung von Arbeit
schafft keine Arbeit.

Meine Damen und Herren, der Kollege „roter
Freund“ Stiegler


(Heiterkeit bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Roter Bruder!)


– es sind schwarze Brüder und Schwestern und rote
Freunde – hat auf das Unwort des Jahres 2005, „Entlas-
sungsproduktivität“, hingewiesen. Das ist in der Tat
ein Begriff, der auf traurige Weise die Tendenz aus-
drückt, dass Unternehmen ihre Produktivität oder ihren
Mehrwert durch Entlassungen steigern.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dem wirken wir gemeinsam entgegen!)


Was wir in unserem Land aber brauchen, ist Einstel-
lungsproduktivität. Darum muss es gehen. Denn nur
durch neue Arbeitsplätze wird es wieder stabiles und
langfristiges Wachstum in Deutschland geben. Daran
müssen wir die Rahmenbedingungen ausrichten. Das
Wort des Jahres 2006 muss „Wachstum“ sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht zeigt deutlich
die Anstrengungen des Bundeswirtschaftsministers und
der Bundesregierung. Die Wirtschaft blickt wieder opti-
mistisch in die Zukunft. Die Menschen gewinnen wieder
Vertrauen in die Politik. Ich denke, zusammen sind das
gute Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäf-
tigung in diesem Jahr.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601402700

Das Wort hat die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1601402800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach den wirtschaftspolitischen Rundumschlägen mei-
ner Vorredner möchte ich mich jetzt auf einen wichtigen
Bereich für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
Deutschlands konzentrieren, und zwar den Bereich For-
schung und Innovationen.

Als Henry Ford junior nach dem Kriegsende 1945 an-
geboten wurde, das Volkswagenwerk kostenlos zu über-
nehmen, hat er geantwortet: Nein danke, dieses Auto ist
eine Fehlkonstruktion. – Ich kann nur vermuten, dass er






(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg
sich über diese grobe Fehleinschätzung später sehr geär-
gert hat. Jedenfalls zählt Volkswagen zu den größten Er-
folgsgeschichten der deutschen Wirtschaft und die deut-
sche Automobilindustrie gehört weltweit zu den
innovationsträchtigsten Industrie- und Forschungsberei-
chen. Wir alle wissen, dass es von unserer Innovations-
fähigkeit abhängt, ob wir weiterhin wirtschaftlich erfolg-
reich und international wettbewerbsfähig sein werden.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat
letztes Jahr eine Studie zur Innovationsfähigkeit
Deutschlands veröffentlicht. Ergebnis: Wir sind gut. Im
Vergleich mit den weltweit führenden Industrieländern
liegen wir im oberen Mittelfeld. Das heißt natürlich, es
gibt noch bessere, auch in Europa. Hier bilden Schwe-
den, Finnland und die Schweiz die Innovationselite. So-
wohl bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung
als auch bei der Umsetzung in marktfähige Produkte
sind sie Spitze. Wir müssen also noch zulegen. Wenn wir
unseren hohen Lebensstandard im Vergleich zum Bei-
spiel zu Ländern wie China oder Indien halten wollen,
die ja immerhin mit uns konkurrieren, dann geht das nur
durch die ständige Entwicklung neuer Verfahren, Dienst-
leistungen und Produkte.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])


Was tut die Bundesregierung nun, um die Innova-
tionskapazität der deutschen Wirtschaft zu stärken? Ers-
tens, sie investiert gezielt in Forschung und Entwick-
lung. Zweitens, sie fördert innovative Unternehmen und
den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Drittens, sie unterstützt eine gute Ausbildung des Nach-
wuchses.

Wir halten an dem Ziel fest, bis 2010 3 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung
zu investieren. Das wurde vorhin schon mehrfach gesagt
und zu den Maßnahmen wurde einiges ausgeführt. Des-
halb kann ich das jetzt beiseite lassen.

Wichtig ist aber auch: Wir unterstützen nicht nach
dem Gießkannenprinzip, sondern fokussieren unsere
Forschungsförderung auf bestimmte zukunftsträchtige
Schwerpunkte wie zum Beispiel Verkehr und Raum-
fahrt, Energie und Nachhaltigkeit sowie Nanotechnolo-
gien, um hier nur einige Beispiele zu nennen. Damit
setzen wir die erfolgreiche Forschungspolitik der Vor-
gängerregierung fort.

So wichtig es nun ist, dass geforscht wird, so wichtig
ist es aber auch, dass die Erkenntnisse aus der Forschung
ihren Weg in die Wirtschaft finden.

Ein Beispiel. Die Firma Sto AG aus Stühlingen in Ba-
den-Württemberg hat eine Wandfarbe entwickelt, die
Gerüche und Schadstoffe aus der Raumluft herausfiltert,
und zwar einfach durch die Einwirkung von Licht. Diese
Entwicklung wäre nicht möglich gewesen ohne die Zu-
sammenarbeit der Firma mit der Uni Erlangen-Nürn-
berg, die jahrelang an Pigmenten geforscht hat, die orga-
nische Stoffe umwandeln können. Bedarf für diese Farbe
besteht an vielen Orten, beispielsweise in Kinderzim-
mern und in Krankenhäusern. Ich könnte noch weitere
Beispiele nennen.
Innovative Entwicklungen dieser Art als Ergebnis ei-
ner guten Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissen-
schaft werden von der Bundesregierung seit Jahren in-
tensiv gefördert. Zu nennen sind beispielsweise
Programme wie Pro Inno, durch das seit 1999 über 5 000
kleine und mittelständische Unternehmen unterstützt
wurden. Herr Lafontaine, in unserem Land gibt es doch
noch ein bisschen Sonne, was die Wirtschaft angeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Speziell für die neuen Länder hat die letzte Bundesre-
gierung die Programme Inno-Watt und NEMO ins Leben
gerufen. Eines von vielen erfolgreichen Beispielen ist
das Innovationsnetzwerk Augenoptik Rathenow in Bran-
denburg, das im Rahmen von NEMO gefördert wird.
Dort haben sich 15 kleinere Firmen der Optikbranche
zusammengeschlossen, um gemeinsam technische Ent-
wicklungen voranzubringen. Sie arbeiten zusammen mit
einem Fraunhofer-Institut und mit Fachhochschulen aus
der Region. Sie stellen gemeinsame Systemkataloge zu-
sammen, vermarkten Brillengläser, Mikroskope und Prä-
zisionsmaschinen. Mitte der 90er-Jahre gab es dort
250 Beschäftigte. Inzwischen sind dort über 1 000 zu-
sätzliche Arbeitsplätze entstanden.


(Beifall bei der SPD)


Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich Investitionen loh-
nen, wenn sie gezielt eingesetzt werden, zum Beispiel
zum Aufbau von Netzwerken, so genannten Clustern,
die eine enorme Wachstumswirkung entfalten können.
Investitionen dieser Art tragen, nebenbei bemerkt, zu ih-
rer eigenen Refinanzierung bei.

Damit aber solche Projekte gelingen, braucht man
Menschen mit Erfindergeist, mit Wagemut und – last,
but not least – mit einer guten Ausbildung, und zwar
von Anfang an: über den Kindergarten, die Schule bis
hin zum Berufsbildungs- oder Hochschulabschluss.

Auch wenn wir hier den Jahreswirtschaftsbericht dis-
kutieren, ist es mir wichtig, diesen Zusammenhang noch
einmal explizit zu betonen: Gute Bildungspolitik ist im-
mer eine Grundvoraussetzung für eine gelungene Wirt-
schafts- und Technologiepolitik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Bereich haben wir, wie wir aus internationalen
Studien wissen, noch einen gewissen Optimierungsbe-
darf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601402900

Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde, SPD-

Fraktion.


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1601403000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Positionswechsel sind schon mehrfach






(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
angesprochen worden. Es ist in der Tat erstaunlich, wie
schnell und reibungslos einige einen solchen Wechsel
vollziehen. Andere wiederum haben ihre Schwierigkei-
ten damit.

Was die Positionswechsel angeht, freue ich mich
durchaus, dass die Zahl derjenigen, die an die Bewälti-
gung der Probleme optimistisch gestaltend herangehen
– in diesem Punkt kann ich für mich eine gewisse Konti-
nuität in Anspruch nehmen –, gewaltig zugenommen
hat.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Dass sich einige aufgrund der Positionswechsel ein we-
nig einsam fühlen, Herr Brüderle, kann ich nachempfin-
den.

Ich möchte bei dieser Diskussion darauf hinweisen,
dass sich auch Positionen inhaltlicher Art verändert ha-
ben. Ich habe unsere Diskussion über den europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt aus dem letzten Jahr
und unsere Diskussion über die Frage, wie man damit
umgeht, noch gut in Erinnerung. Ich kann mich auch
noch gut an die verschiedenen Defizitprognosen erin-
nern.

Wir können nun resümieren. Herr Kampeter lag mit
seiner Prognose bei über 40 Milliarden Euro. Am Ende
waren es 31 Milliarden Euro. Das ist ja ein Unterschied.
Daraus ziehen einige in Bezug auf den europäischen Sta-
bilitäts- und Wachstumspakt den Schluss – gerade aus
der Wissenschaft, in der es sehr unterschiedliche Denk-
schulen gibt –, dass es angesichts einer Defizitquote von
3,4 Prozent anstatt von 3,9 Prozent, die von der Regie-
rung ursprünglich nach Brüssel gemeldet wurden, ein
Leichtes wäre, eine Quote von 3 Prozent schon in 2006
zu erreichen. Ich muss sagen, dass wir diese Diskussion
nicht in der Koalition führen, sondern es sich dabei um
eine Randbegleitung durch die Wissenschaft handelt.
Das macht die Veränderung in den gesamten Einstellun-
gen deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe natürlich immer ein bisschen den Verdacht,
dass auch die FDP diese Diskussion führen möchte. Nun
muss man sich vorstellen: Die Defizitquote um 0,4 Pro-
zentpunkte reduzieren zu wollen, klingt wenig, bedeutet
aber: Jede Reduzierung um 0,1 Prozentpunkt erfordert
Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Bei
0,4 Prozentpunkten müsste man also 10 Milliarden Euro
einsparen. Herr Brüderle ist immer gut im ganz Abstrak-
ten; er fordert allgemein die Entlastung der Bürger. Kon-
kret wird er aber nie.


(Ute Kumpf [SPD]: Genau! – Rainer Brüderle [FDP]: Wir haben ein Sparbuch von 30 Milliarden vorgelegt!)


Bezogen auf den Bundeshaushalt bedeuten Einspa-
rungen natürlich, den Zusammenhang von abstrakter
Ökonomie und Gesellschaftspolitik herzustellen. Dann
ist man sehr schnell bei der Frage: Wen trifft es? Man
sieht, die Hauptausgabenblöcke liegen bei den Renten
und Ähnlichem.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601403100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Brüderle?


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1601403200

Immer. Das belebt das Geschäft.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1601403300

Lieber Kollege Runde, wir haben uns als kleine Op-

positionspartei sehr viel Mühe gemacht – wir haben ja
nicht wie der Finanzminister einen Apparat von ein paar
Tausend Beamten, die ihm zuarbeiten können –, haben
ein Sparbuch mit Einsparmöglichkeiten in Höhe von
30 Milliarden Euro vorgelegt und damit die Finanzie-
rung unseres Steuerkonzeptes offen dargelegt. Das hat
keine andere Partei gemacht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dieses Konzept ist nicht gewählt worden! Es ist abgewählt worden!)


Statt uns zu loben, kritisieren Sie uns nun. Sie sollten
dankbar sein für unsere Hilfestellung.


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1601403400

Sie zu loben, würde mir leichter fallen,


(Rainer Brüderle [FDP]: Nicht so ängstlich!)


wenn Ihre Konzepte wirklich politiktauglich wären.
Wenn man Ihre Steuerkonzepte anschaut, stellt man fest,
dass Ihre Partei die Handlungsunfähigkeit des Staates
herbeiführen will.


(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Nein!)


Wenn ich mir ansehe, zu welchen Einnahmeausfällen
Ihre Steuerkonzepte führen würden, dann kann ich nur
sagen: Das ist nicht verantwortbar.


(Rainer Brüderle [FDP]: Fragen Sie mal Ihre Genossen in Schweden!)


Dass die große Koalition die Handlungsfähigkeit des
Staates sicherstellen will, ist eine der Veränderungen, die
im Koalitionsvertrag deutlich wurde und die in den letz-
ten Wochen und Monaten schon in ersten Gesetzen um-
gesetzt wurde.

Ich erinnere mich an jede Sitzung im Finanzaus-
schuss, in der wir über den Abbau der Eigenheimzulage
und die Abschaffung von Verlustzuweisungsgesellschaf-
ten diskutiert haben. Ihre Vertreterinnen und Vertreter
sagten immer: Das alles darf nicht jetzt sein,


(Rainer Brüderle [FDP]: Das war ein Konzept!)


sondern erst dann, wenn eine große Steuerentlastung
kommt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist doch richtig!)


Insofern haben Sie dies faktisch immer verhindert.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
Meine Damen und Herren, ich finde es schon richtig,
dass die Bundesregierung, bezogen auf das Jahr 2006,
sagt: Wir können die Stabilitäts- und Wachstumskrite-
rien nicht erfüllen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Noch nicht!)


Wir werden sie in 2007 erfüllen. – Dies scheint mir, auch
konjunkturpolitisch, ein richtiger Ansatz zu sein.


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Das ist auch für die wirtschaftliche Entwicklung von ent-
scheidender Bedeutung.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601403500

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage,

diesmal vom Kollegen Schäffler?


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1601403600

Natürlich, gern.


Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1601403700

Herr Runde, ist Ihnen bekannt, dass wir dem Gesetz

zur Verlustzuweisungsverrechnung zugestimmt haben
und das von Ihnen angesprochene Gesetz unsere Zustim-
mung gefunden hat?


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1601403800

Mir ist bekannt, dass Sie am Ende der Begrenzung der

Verlustzuweisungsverrechnung zugestimmt haben. Aber
ist Ihnen bekannt, dass Sie immer die Argumentationsli-
nie hatten: „Wir können dort keine Subventionen ab-
bauen, weil das im Grunde genommen eine verdeckte
Steuererhöhung ist, solange wir auf der anderen Seite
keine Senkung der Steuersätze haben“? Das ist doch Ihr
Argumentationsmuster. Ist Ihnen das bekannt?


(Beifall bei der SPD – Martin Zeil [FDP]: So sagen es doch im Gegensatz zu Ihnen alle Ökonomen!)


Auch finde ich es richtig, dass die Bundesregierung in
dieser schwierigen Haushaltssituation ein Programm mit
Wachstumsimpulsen verabschiedet. Das Wachstums-
impulsprogramm, das 3 Prozent für Forschung und
Entwicklung vorsieht, wirkt über eine längere Zeit. Da-
rauf hat Frau Berg bereits hingewiesen.

Über das Programm zur energetischen Gebäudesanie-
rung freuen sich auch die Grünen. Dass wir es in dieser
Größenordnung nicht gemeinsam hinbekamen, ist
schade; daher ist es umso schöner, dass es jetzt möglich
war. Es hat im Bereich der Energie- und Materialeffi-
zienz sehr viel mit den Herausforderungen zu tun, vor
denen wir stehen, wenn wir zukunftsorientiert handeln
wollen. In diesen Bereichen sehe ich in der Tat weltwirt-
schaftlich bedrohliche Entwicklungen.

Das sind bezogen auf die Prognosen des Jahreswirt-
schaftsberichts Punkte, die als Risiken einzuschätzen
sind. Dazu gehört im Übrigen auch das Verhalten der
Europäischen Zentralbank, das von ganz entscheidender
Bedeutung sein wird.
Ich halte das Wachstumsimpulsprogramm für rich-
tig. Dabei wird häufig nach der Größenordnung ge-
fragt. Wenn man die Umrechnung in D-Mark vornimmt,
sieht man, dass sich die Größenordnung alten Gewerk-
schaftsvorstellungen annähert. Durch die Umstellung
von D-Mark auf Euro kommt es gelegentlich zu einem
subjektiv falschen Eindruck. Ich möchte darüber hinaus
festhalten, dass es zu Multiplikatoreffekten in großem
Ausmaß kommt.

Ich finde es gut, dass man den Bereich der Abschrei-
bungen als konjunkturpolitisches Instrument wieder ent-
deckt hat. Dass der alte Schiller wieder aufersteht, kann
in der Diskussion über die Ökonomie,


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


die wir zurzeit führen, nicht schaden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass wir bei der Herstellung der Handlungsfähigkeit
der verschiedenen staatlichen Ebenen ein Stück vorange-
kommen sind, macht die Entwicklung des Gewerbesteu-
eraufkommens deutlich. Vor einem Jahr hätte niemand
zu prognostizieren gewagt, dass es im Jahr 2005 ein
Aufkommen in Höhe von vielleicht sogar 33 Milliarden
Euro geben wird. Das ist erfreulich, weil wir damit auch
die Investitionskraft der öffentlichen Hände stärken. Bei
der Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten
wird es bezüglich der Investitionen in die Infrastruktur
darauf ankommen, die verschiedenen staatlichen Ebenen
miteinander zu verknüpfen, aber auch handlungsfähig zu
machen.


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Das scheint ein ganz bedeutsamer Faktor zu sein. Es
geht also nicht nur um die Frage, wie man bezüglich der
Konsolidierung der Finanzen zu einem Pakt zwischen
Bund, Ländern und Kommunen kommen kann; vielmehr
ist auch in den Bereichen „wirtschaftliche Impulse“ und
„Investitionen“ gemeinsames Handeln erforderlich. Das
scheint mir ganz entscheidend zu sein, wenn wir über
das, was die Bundesregierung prognostiziert hat – sie
geht von einem Wachstum in Höhe von 1,5 bzw., spitz
gerechnet, 1,4 Prozent aus –, hinauskommen wollen.

Unter Berücksichtigung der Stimmung in der Wirt-
schaft und in der Annahme, dass auch andere Elemente
mitwirken werden, gehe ich davon aus, dass wir eine hö-
here Wachstumsrate erreichen können. Es wäre gut, wenn
wir zum Jahresende unser Hauptziel, die Herstellung von
Beschäftigung bzw. den Abbau von Arbeitslosigkeit in ei-
ner Größenordnung von mehr als 350 000, erreichen
könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601403900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/450 und 16/65 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäf-
tigung

– Drucksache 16/429 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])


Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbe-
richt eine Menge zur Entbürokratisierung gehört. Mit
diesem Gesetzentwurf zum Saison-Kurzarbeitergeld
tragen wir zur Entbürokratisierung bei. Bisher werden in
vielen Branchen im Winter Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer entlassen und zum Frühjahr wieder einge-
stellt. Das ist für die Betriebe ebenso wie für die betrof-
fenen Menschen eine schwierige Prozedur. Nicht immer
findet man die, die man im Dezember oder Januar ent-
lassen hat, im März wieder.

Wir wollen mit dem Gesetzentwurf, der heute zur ers-
ten Lesung vorliegt, für die Zeit von Dezember bis März
eine vernünftige und weniger bürokratische Regelung
als die, die es bisher gegeben hat, schaffen. Wir kennen
das Problem aus der Baubranche. Aber nicht nur in der
Baubranche werden witterungsbedingt um die Jahres-
wende herum die Aufträge weniger, sodass Menschen
entlassen werden müssen. Bis 1995 gab es das Schlecht-
wettergeld; dann wurde es abgeschafft. Danach hat man
mit anderen Regelungen versucht, eine Lösung zu fin-
den. Das hat aber nie so ganz richtig geklappt.

Jetzt hat es Gespräche mit beiden Seiten der Tarifpar-
teien gegeben. Man hat eine Vereinbarung getroffen, die
sich in diesem Gesetzentwurf niederschlägt. Unser Vor-
schlag findet große Zustimmung – nicht von allen, das
ist wahr – vor allen Dingen beim Zentralverband des
Deutschen Baugewerbes, der ausdrücklich das lobt, was
wir in Gesetzesform zu fassen versuchen.

Wir wollen das Sondersystem der Winterbauförde-
rung fortentwickeln und in das System des Kurzarbeiter-
geldes integrieren. Danach werden die Menschen zwi-
schen dem 1. Dezember und dem 31. März nicht
entlassen, sondern bleiben bei dem Betrieb beschäftigt
und bekommen Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 Pro-
zent ihres bisherigen Lohnes. Wer ein Kind hat, be-
kommt 67 Prozent. Am 1. April beginnt wieder das nor-
male Beschäftigungsverhältnis. Während dieser Zeit
zahlt der Arbeitgeber keinen Lohn, aber Sozialversiche-
rungsbeiträge von 80 Prozent des bisherigen Lohns. Er
zahlt Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge. Das macht
in der Summe ungefähr 30 Prozent des Lohns aus, den er
zuvor gezahlt hat. Der Arbeitgeber hat während dieser
Zeit jemanden bei sich beschäftigt, der aber nicht arbei-
tet, der auch keinen Lohn bekommt, für den er aber Sozi-
alversicherungsbeiträge zahlt.

Die Frage ist, in welcher Größenordnung dies ange-
nommen wird. Wir sehen auch, dass dies wahrscheinlich
nicht sehr viele sein werden. An dieser Stelle fängt es an,
richtig interessant zu werden. Jetzt geht es um die Frage,
ob die Tarifparteien zur Finanzierung der ergänzenden
Leistungen an Arbeitnehmer bei Nutzung beispielsweise
von im Laufe des Jahres angesparten Arbeitszeitgutha-
ben zur Überbrückung von Ausfallstunden eine bran-
chenspezifische Umlage vereinbaren, um daraus ein ver-
nünftiges System zu machen.

Unsere Vorschläge sind nicht zwingend, nicht für die
Baubranche und nicht für andere Branchen. In der Bau-
branche jedoch gibt es eine solche Vereinbarung. Alle
Branchen – dazu gehört beispielsweise auch die Land-
und Forstwirtschaft –, die Vereinbarungen zu einer sol-
chen Umlage treffen, können das System, das wir anbie-
ten, dann in vernünftiger Weise nutzen.

Wenn die Tarifparteien – das ist mit ihnen besprochen
worden – solche Umlagesysteme einführen, passiert im
Wesentlichen dreierlei:

Erstens. Der Arbeitgeber muss nicht mehr die Sozial-
versicherungsbeiträge in voller Höhe zahlen, sondern
nur noch einen ganz kleinen Rest davon. Das macht die
Sache für ihn hoch attraktiv. Er kann seine Mitarbeiter
weiterbeschäftigen, braucht sie nicht zu entlassen, er hat
Aufwand für Bürokratie gespart, muss für sie nicht zah-
len und spätestens zum 1. April sind die Betreffenden
bei ihm wieder voll tätig.

Zweitens gibt es ein Zuschuss-Wintergeld. Das ist ein
Bonus in Höhe von bis zu 2,50 Euro für jede Stunde, die
aus einem Arbeitszeitguthaben eingebracht und im Win-
ter zur Vermeidung von Arbeitsausfällen genutzt wird.
Das ist eine flexible Arbeitszeitregelung. Das heißt, auf
Arbeitszeitguthaben, die sich im Verlauf des Jahres auf-
gebaut haben, kann im Winter zurückgegriffen werden.
Dafür gibt es einen Zuschuss von bis zu 2,50 Euro pro
Stunde.

Drittens gibt es ein Mehraufwands-Wintergeld. Das
ist ein Bonus in Höhe von 1 Euro für jede in der Förder-
zeit geleistete Arbeitsstunde, in der Summe jedoch für
nicht mehr als 450 Stunden. Dagegen ist das Zuschuss-
Wintergeld eine Vergünstigung für diejenigen, die ihr
Arbeitszeitguthaben in der Zeit aufbrauchen. Beim
Mehraufwands-Wintergeld geht es um die geleisteten
Stunden.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Franz Müntefering
Um die Kombination dieser drei Möglichkeiten – der
Arbeitgeber zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge
mehr; es gibt einen Zuschuss für den Einsatz des zuvor
aufgebauten Arbeitszeitguthabens und es gibt 1 Euro zu-
sätzlich für jede in der Zeit von Dezember bis März ge-
leistete Stunde – geht es.

Ich sage noch einmal ausdrücklich: Das ist keine
Zwangsveranstaltung für die eine oder andere Branche,
sondern ein Angebot für die Tarifparteien auf beiden
Seiten. Hier handelt es sich um eine Triparität – falls es
so etwas gibt; das wurde mir zumindest so aufgeschrie-
ben, deshalb gebe ich das hier gerne weiter –: Es gibt
drei Handelnde, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und den
Staat, also die Arbeitsverwaltung. Es liegt an den beiden
Tarifparteien, ob sie solche Vereinbarungen treffen.
Wenn sie es tun, dann sind sie in der guten Lage, dass sie
– anders als bisher – die Menschen zu Beginn des Win-
ters nicht mehr entlassen und dann irgendwann später
wieder suchen müssen, um sie einstellen zu können. So
gibt es eine größere Sicherheit für alle Beteiligten.

Ich glaube, das ist eine insgesamt vernünftige, büro-
kratiefreundliche und auch arbeitgeber- wie arbeitneh-
merfreundliche Regelung, die wir hier eröffnen. Ich bitte
um Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601404000

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Rohde, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1601404100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Für die Fraktion der FDP begrüße ich die
Zielsetzung des heute vorgelegten Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung. Wir wer-
den konstruktiv an der Diskussion zu diesem Gesetz teil-
nehmen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Jawohl!)


Das Saisonkurzarbeitergeld soll die bisherige Winter-
bauförderung ablösen, wobei die neue Leistung nicht auf
die Baubranche beschränkt wird, sondern für weitere
Saisonbranchen geöffnet werden soll.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: An der Stelle wird es spannend!)


Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales er-
wägt nunmehr, Wirtschaftszweige auch ohne deren Zu-
stimmung einzubeziehen. Dies ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der FDP)


Mit der Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge
für Saisonkurzarbeitergeld im Wege eines Umlagever-
fahrens oder einer Direktzahlung an die Bundesagentur
für Arbeit sind zusätzliche Belastungen verbunden. Dies
gilt vor allem für Arbeitgeber der Branchen, die bisher
nicht über ein Umlageverfahren wie das der Baubranche
verfügen. Je nach Situation der Branche bestünde da-
durch die Gefahr, dass – statt Saisonarbeitslosigkeit zu
verhindern – vielmehr durch vermehrte Firmenpleiten
Arbeitsplätze dauerhaft in Gefahr geraten. Das wäre na-
türlich absolut kontraproduktiv.


(Beifall bei der FDP)


Durch die Ausweitung des Anwendungsbereiches
des neuen Gesetzes über Verordnungen des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales dürfen Tarifver-
tragsparteien nicht die Anreize genommen werden,
ganzjährige Beschäftigung selbstständig über eine fle-
xible Ausgestaltung der Tarifverträge zu erreichen.


(Beifall bei der FDP)


Für eine Ausweitung über die Baubranche hinaus müs-
sen strenge Maßstäbe gelten.

Einige Passagen des Gesetzentwurfes werfen weitere
Fragen auf, welche wir in den Ausschüssen klären soll-
ten. Wie schon erwähnt ist noch unklar, welche Bran-
chen genau in die neue Leistung des Saisonkurzarbeiter-
geldes einbezogen werden. Zunächst hieß es in der
Diskussion, dass nur Branchen einbezogen werden, die
dies auch wollen. Im Gesetzentwurf steht nun aber, dass
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch
Rechtsverordnung die einzubeziehenden Wirtschafts-
zweige festlegen kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau: „Mehr Freiheit wagen“!)


Somit könnte mit der Unterschrift des zuständigen
Ministers eine Branche zum Beispiel auch gegen den er-
klärten Willen der Arbeitgeber einbezogen werden. Das
allein ist fast schon ein Eingriff in die Tarifautonomie.

Schon der nächste Absatz der Gesetzesvorlage zeigt,
wohin die Reise geht: Das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales darf Verordnungen über die Höhe der er-
gänzenden Leistungen erlassen. Statt dieser Verordnun-
gen sollten wir gemeinsam nach Lösungen suchen, wie
die Tarifpartner auch ohne Herrn Müntefering Vereinba-
rungen treffen können.


(Beifall bei der FDP)


Ebenfalls müssen wir darauf achten, dass mit der
neuen Förderung keine neuen Belastungen auf die Bei-
tragszahler zur Arbeitslosenversicherung zukommen.
Richtig ist, dass bei Inanspruchnahme von Saisonkurzar-
beitergeld anstelle von Arbeitslosengeld die Beitrags-
zahler entlastet werden, weil sie keine Sozialversiche-
rungsbeiträge zu finanzieren haben. Allerdings könnte es
je nach Umfang der Inanspruchnahme des Saisonkurzar-
beitergeldes deshalb auch zu Mehrbelastungen kommen.
Einer übermäßigen Inanspruchnahme von Saisonkurzar-
beitergeld und der damit einhergehenden Belastung der
Beitragszahler muss deshalb eine wirksame Sperre ent-
gegengesetzt werden.


(Beifall bei der FDP)


Ein Baustein zur Senkung der Belastungen für die
Bundesagentur für Arbeit ist auch die erhöhte Flexibili-
sierung der Arbeitszeit mit Zeitguthaben von bis zu
150 Stunden statt wie bisher 10 Prozent der vereinbarten
Jahresarbeitszeit.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
Wir als Liberale wünschen uns hier noch mehr Freiraum
für die Arbeitnehmer. Schon als Betriebsrat habe ich
mich immer für größere Zeitkorridore ausgesprochen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na, sehen Sie, Herr Brandner! Es gibt auch bei uns Betriebsräte!)


Wie wäre es zum Beispiel mit 250 Stunden? Um die
ganzjährige Beschäftigung der Saisonarbeitnehmer zu
fördern, könnte man auch über negative Zeitguthaben
diskutieren.

Statt des Bezuges von Saisonkurzarbeitergeld nach
Abbau der Arbeitszeitguthaben könnten Arbeitsausfälle
aufgrund schlechten Wetters oder schwacher Auftrags-
lage im Frühjahr durch nachträgliche Überstunden aus-
geglichen werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das erscheint mir vernünftig!)


Auch für negative Arbeitszeitguthaben könnte als Anreiz
das Zuschusswintergeld gewährt werden. So kann die
Inanspruchnahme von Saisonkurzarbeitergeld vermie-
den werden.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na, machen wir das doch!)


Um das Ziel der Förderung einer ganzjährigen Be-
schäftigung zu erreichen, ist bei Inanspruchnahme von
Arbeitslosengeld nach Bezug von Saisonkurzarbeiter-
geld eine Anrechnung vorzusehen. Die Einführung ei-
nes Saisonkurzarbeitergeldes darf nicht dazu führen,
dass beitragsfinanzierte Leistungen zeitlich kumuliert in
Anspruch genommen werden können. Dies würde auch
dem erklärten Ziel der Neuregelung, die ganzjährige Be-
schäftigung zu fördern, widersprechen.


(Beifall bei der FDP)


Ich fasse zusammen: Die FDP unterstützt die Einfüh-
rung eines Saisonkurzarbeitergeldes, wenn dies zu kei-
nen neuen Belastungen für die Arbeitslosenversicherung
führt und wenn die Entscheidung, welche Branchen ein-
bezogen werden, nicht gegen den Willen der jeweiligen
Arbeitgeberverbände erfolgt.

Herr Müntefering, Sie sagen zwar das Richtige, aber
im Gesetzentwurf steht etwas anderes, etwas, das man
deuten kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat man bei dieser Regierung öfter! Aber das war auch schon bei der Vorgängerregierung so!)


Sie zeigen Möglichkeiten auf, während wir wollen, dass
diese Türen gewissermaßen verbarrikadiert werden. Wir
möchten eine stärkere Einbeziehung der Parteien, die die
Verhandlungen führen, und weniger Einflussnahme
durch den Gesetzgeber.


(Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch unglaublich!)


Da wir für die Gesetzgebung zuständig sind und keine
Tarifverträge aushandeln, sollten wir Obergrenzen set-
zen, die im Rahmen von Tarifverträgen ausgeschöpft
werden können, statt – wie bei den Zeitguthaben – enge
Obergrenzen einzuführen.


(Beifall bei der FDP)


Wir wünschen uns eine intensive Diskussion und ich
freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601404200

Herr Kollege Rohde, im Namen des ganzen Hauses

herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich wünsche Ihnen persönlich und
politisch alles Gute.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1601404300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ganzjäh-
riger Beschäftigung soll ein wesentlicher Beitrag zur Be-
kämpfung der Winterarbeitslosigkeit, insbesondere in
der Baubranche, geleistet werden. Mit diesem Gesetz-
entwurf verfolgen wir das Ziel, in der Baubranche und
gegebenenfalls auch in anderen witterungsabhängigen
Branchen eine ganzjährige Beschäftigung zu fördern.
Diese Zielsetzung ist im Interesse der Arbeitnehmer und
im Interesse der Arbeitslosenversicherung, die dadurch
entlastet werden soll. Dies ist im Grundsatz zu unterstüt-
zen. Ich bin auch für die Signale aus der Opposition
dankbar, dass wir uns in diesem Ziel, jedenfalls vom
Grundsatz her, einig sind.

Mit diesem Gesetzentwurf werden wir ein neues
Instrument schaffen, das so genannte Saisonkurzarbei-
tergeld, mit dem wir die bisherige Winterbauförderung
als Spezialfall einer allgemeinen Kurzarbeitergeldrege-
lung ersetzen. Sowohl die bisherige Winterbauförderung
als auch das neue Saisonkurzarbeitergeld ist ziemlich
kompliziert.

Lassen Sie mich darauf hinweisen, worum es dabei
im Wesentlichen geht: Es geht vor allem darum, dass in
der Schlechtwetterperiode, also bei witterungs- und auf-
tragsbedingtem Arbeitsausfall, Saisonkurzarbeitergeld
gezahlt wird; so haben wir es auch im Koalitionsvertrag
festgelegt. Dieses Saisonkurzarbeitergeld wird in dersel-
ben Höhe wie das Arbeitslosengeld gezahlt. Aber die
Sozialversicherungsbeiträge müssen vom Arbeitgeber
getragen werden. Zudem soll den Arbeitnehmern aus ei-
ner Umlage, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
zu tragen ist, sowohl ein Zuschuss- als auch ein Mehr-
aufwandswintergeld gezahlt werden.

Auf diese Weise wird die Absicht verfolgt, die ganz-
jährige Beschäftigung zu fördern: Die betroffenen Ar-
beitnehmer sollen nach Möglichkeit beschäftigt bleiben,
statt entlassen und zur BA geschickt zu werden, obwohl
sie die Absicht haben, nach der Schlechtwetterperiode






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe
wieder mit ihrem Arbeitgeber zusammenzukommen. Es
soll also vermieden werden, dass sich jemand arbeitslos
meldet, der eigentlich nicht vermittelt werden, sondern
nach der Schlechtwetterperiode zu seinem Arbeitgeber
zurückkehren will; denn das ist nicht sinnvoll. Genau
das soll mit dieser Regelung vermieden werden. Ich
denke, das ist ein vernünftiges und unterstützungswürdi-
ges Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun steckt bei diesem Gesetzentwurf wie bei vielen
anderen und wie häufig im Leben der Teufel im Detail.
Natürlich lehrt die Erfahrung, dass am Ende kein Ge-
setzentwurf genau so aus dem Parlament herausgeht, wie
er hineingegangen ist.


(Renate Gradistanac [SPD]: Genau!)


Gleichzeitig muss man natürlich zur Kenntnis nehmen,
dass die gesetzlichen Regelungen, die wir hier andisku-
tieren, nicht aus dem luftleeren Raum kommen: Es gibt
eine Vereinbarung der Tarifvertragsparteien in der
Bauwirtschaft, von IG BAU und Bauindustrie, aus dem
Juli letzten Jahres, in der genau diese Regelungen – die
Umlage, das Zuschusswintergeld und auch das Mehrauf-
wandswintergeld – vereinbart worden sind. Über eines
muss man sich im Klaren sein: Eine gesetzliche Rege-
lung, die eine solche Vereinbarung der Tarifvertragspar-
teien flankieren soll, läuft auf Dauer ins Leere, wenn die
Regelungen, die dort vereinbart sind, nicht kompatibel
sind; wenn sie nicht zusammenpassen, kann das nicht
funktionieren. Es ist sicherlich vernünftig, über die ein-
zelnen dort vereinbarten Regelungen nachzudenken, wie
das Ausfallgeld zur ersten Stunde. Es wird aber nicht
sinnvoll sein, eine gesetzliche Regelung zu machen, die
mit den tarifvertraglich vorhandenen Regelungen nicht
in Übereinstimmung zu bringen ist. Dann läuft das
Instrument ins Leere, dann muss man sagen: Wir wollen
das nicht. – Wir wollen aber ein solches Instrument.
Über die Details wird also zu reden sein, nur der Grund-
satz müsste klar sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Da die FDP nun argwöhnt, die Regelung solle ande-
ren Branchen gewissermaßen übergestülpt werden, kann
ich Sie beruhigen: Es ist nicht beabsichtigt, weder von
den Koalitionsfraktionen noch von der Bundesregierung
– ich denke, das darf ich sagen –, hier irgendeine Tarif-
vertragspartei irgendeiner Branche zwangszubeglücken
mit etwas, was sie überhaupt nicht haben will.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich höre – und ich lese!)


Wir müssen uns als Gesetzgeber ja mit zwei Dingen
beschäftigen: Einmal damit, dass keine Branche zwangs-
beglückt wird, die das gar nicht will. Und selbst wenn
die Tarifvertragsparteien das wollen, darf die Regelung,
die geschaffen werden soll, nicht zulasten Dritter gehen.

Wir haben im Koalitionsvertrag ganz klar festgelegt:
Wir wollen einen kostenneutralen Ersatz für die alte
Winterbauförderung. Deswegen müssen wir uns bei kon-
kreten Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien damit
auseinander setzen, ob diese kostenneutral sind. Hier ist
vorgesehen, nach zwei Jahren zu überprüfen, ob unser
Ziel im Rahmen der Vereinbarungen, die die Tarifver-
tragsparteien geschlossen haben, erreicht worden ist.
Beides muss also zusammenkommen: Es muss eine Ver-
einbarung beider Tarifvertragsparteien geben, damit ein
solches Instrument angewendet werden kann – die Um-
lage ist die einzig sinnvolle Voraussetzung dafür, dass so
etwas auch für die Tarifvertragsparteien attraktiv wird –,
und der Gesetzgeber muss sich die Frage stellen, ob er
eine Anwendung auf andere Branchen für sinnvoll hält,
wenn es deren Tarifvertragsparteien tun. Dabei muss er
die Auswirkungen auf die Arbeitslosenversicherung im
Auge haben.

Dieser Regelung liegt die Kalkulation zugrunde, dass
bei etwa 25 Prozent derer, die bisher – trotz Winter-
bauförderung – saisonbedingt in die Arbeitslosigkeit
gingen, dies künftig vermieden werden kann. Wenn uns
das gelingt, dann werden wir auch in der Lage sein, die-
ses Instrument kostenneutral zu gestalten; da können Sie
ganz beruhigt sein. Im Detail wird darüber zu reden sein,
wie wir das erreichen können.

Ich will noch einmal deutlich sagen: Entscheidend ist,
dass wir tatsächlich etwas umsetzen. Denn das Problem
brennt wirklich auf den Nägeln. Es kann keinen Sinn
machen, die Menschen regelmäßig – aufgrund abseh-
barer, saisonaler Probleme – in die Arbeitslosigkeit zu
entlassen, sie für viel Geld zu verwalten und auf büro-
kratischem Wege wieder aus der Arbeitslosigkeit heraus-
zubringen. Gut wäre es, wenn die Tarifvertragsparteien
dafür einen Vorschlag unterbreiten. Der Gesetzgeber
stellt sich hier nicht an die Stelle der Tarifvertragspar-
teien, sondern er versucht, die Gesamtinteressen, die er
zu wahren hat, in Einklang zu bringen mit dem, was die
Tarifvertragsparteien vereinbart haben. Auf dem Weg
sind wir und ich denke, wir können ihn im Laufe des Ge-
setzgebungsverfahrens weiter erfolgreich beschreiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601404400

Das Wort hat der Kollege Werner Dreibus, Fraktion

Die Linke.


Werner Dreibus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601404500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD bestätigen mit dem vorliegenden Geset-
zesvorhaben die Notwendigkeit der Förderung ganzjäh-
riger Beschäftigung. In diesem Ziel sind wir uns einig.
Insofern begrüßen wir vom Grundsatz her den vorgeleg-
ten Gesetzentwurf.

Wir müssen allerdings auch feststellen, dass sowohl
CDU/CSU als auch SPD für die derzeitige missliche Si-
tuation der Beschäftigten in saisonabhängigen Branchen,
die vom Minister hier völlig zu Recht beklagt worden
ist, durch Entscheidungen in der Vergangenheit wesent-
lich mitverantwortlich sind:


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Werner Dreibus
Unter Führung von CDU/CSU und FDP wurde mit
dem Schlechtwettergeld ein gut funktionierendes Sys-
tem mit der Begründung abgeschafft, es sei zu teuer und
belaste den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu
sehr. Damals hat Ihre Fraktion, Herr Rohde – das kann
man wunderbar nachlesen; das würde ich Ihnen empfeh-
len –,


(Jörg Rohde [FDP]: Das werde ich tun!)


übrigens keine Rücksicht auf die Tarifautonomie und auf
die Interessen und formulierten Positionen der Tarifver-
tragsparteien genommen, sondern gegen deren Rat das
Schlechtwettergeld abgeschafft. Was war das Ergeb-
nis? – Das Ergebnis war und ist ein Anstieg bei der sai-
sonalen Arbeitslosigkeit in den Bauberufen. Unter dem
Strich wurden die Beschäftigten und die Bundesanstalt
für Arbeit zusätzlich belastet.

Vor allem die SPD, aber auch die Grünen haben 1995
die Abschaffung des Schlechtwettergeldes lautstark und
völlig zu Recht kritisiert. Während ihrer Regierungsver-
antwortung in den letzten sieben Jahren hat Rot-Grün
den Missstand dann aber lediglich weiter verwaltet. In
sieben Jahren hat Rot-Grün es nicht fertig gebracht, eine
Absicherung für die Beschäftigten zu schaffen, die im
Prinzip dem alten Schlechtwettergeld entsprochen hätte.

Im Gegenteil: Mit der Hartz-III-Gesetzgebung haben
Sie die Beschäftigten im Baugewerbe deutlich schlechter
gestellt. Ab Februar 2006 könnten die betroffenen Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer – es sind überwie-
gend aber Arbeitnehmer – schrittweise ihre Ansprüche
auf Arbeitslosengeld I verlieren und trotz regelmäßiger
Wiederbeschäftigung zu Beziehern von Arbeitslosen-
geld II werden. Die Misere, die mit der Abschaffung des
Schlechtwettergeldes unter Schwarz-Gelb eingeleitet
wurde, hat Rot-Grün mit Hartz III ohne Not zugespitzt.
Das alles muss man wissen, wenn sich CDU/CSU und
SPD jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um Ab-
hilfe bemühen.

Ich sage es, um kein Missverständnis aufkommen zu
lassen, noch einmal: Wir begrüßen die Zielsetzung des
Gesetzesvorhabens. Aber die Lernkurve – wir haben
vorhin etwas über die lernende Gesellschaft gehört –,
von der Abschaffung des Schlechtwettergeldes bis zu
seiner Wiedereinführung durch die Hintertür, ist mit
zehn Jahren nach meinem Verständnis deutlich zu lange
ausgefallen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es waren zehn Jahre, in denen das Leben vieler am Bau
beschäftigter Menschen überflüssigerweise dadurch er-
heblich verschlechtert wurde, dass ihnen die heutigen
Koalitionäre den notwendigen Schutz vor Arbeitslosig-
keit im Winter verwehrt haben. Es war und ist falsch,
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei saisonalen
Auftragsschwankungen betriebsbedingte Kündigungen
zustellen zu lassen. Es war und ist falsch, diese gekün-
digten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer
wieder neu zur Agentur für Arbeit zu schicken und Ar-
beitslosengeld beantragen zu lassen. Es war und ist
falsch, dass die Agenturen für Arbeit gezwungen wer-
den, sich in diesen Fällen mit Arbeitnehmern zu beschäf-
tigen, die weder gefordert noch gefördert werden müs-
sen.

Ihre Arbeitsmarktpolitik gibt vor, dem Leitbild des
Forderns und des Förderns zu folgen. Das ist ein Miss-
verständnis und geht zulasten der betroffenen Menschen.
Weder die Abschaffung des Schlechtwettergeldes noch
die Hartz-Reformen insgesamt folgen tatsächlich die-
sem Motto. Sie folgen der Maxime des Forderns und
Hoffens. Im Fall der Beschäftigten am Bau haben
Schwarz-Gelb und Rot-Grün in der Vergangenheit die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgefordert, sich
ganzjährig um Arbeit zu bemühen, und gleichzeitig ge-
hofft, dass der Winter ausfällt.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt eine solche Fata Morgana zu beschwören und
sich zehnjährige Auszeiten in der Wahrnehmung ein-
fachster Zusammenhänge zu leisten, ist eine den Realitä-
ten angemessene Absicherung der Beschäftigungsrisiken
von saisonabhängigen Beschäftigten notwendig. Das gilt
bei diesem Thema und das gilt für die Arbeitsmarktpoli-
tik als Ganzes. Wir werden uns an dieser Debatte kon-
struktiv beteiligen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601404600

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601404700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin

der Auffassung, dass Sie mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf eine richtige Absicht verfolgen.

Natürlich ist es richtig, die Arbeitslosigkeit in wetter-
abhängigen Branchen reduzieren zu wollen. Das ist gut
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und natür-
lich führt dies auch zu einer Arbeitserleichterung bei den
Arbeitsagenturen. Herr Müntefering, nebenbei kommt es
dadurch natürlich auch zu einer positiven Entwicklung
der Arbeitslosenstatistik. Das ist ein schöner Nebenef-
fekt, der dabei herauskommt.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau!)


Aber sei’s drum, das gönnen wir Ihnen von Herzen; denn
das ist in der Sache ja auch richtig.

Meine Frage aber ist – ganz anders als bei Herrn
Brauksiepe und bei der FDP-Fraktion –: Warum be-
schränken Sie diese Regelung eigentlich auf die saison-
bedingte Arbeitslosigkeit in Wintermonaten? Sie nen-
nen hier ausdrücklich Branchen, die Probleme im Winter
haben: Baugewerbe, Land- und Forstwirtschaft, Bau-
stoffindustrie, Steinmetz-, Bildhauerhandwerk, Maler
und Lackierer.

Offen gestanden finde ich das halbherzig. Ich meine,
dass das Prinzip, das Sie mit diesem Gesetzentwurf ver-
folgen, richtig ist, frage mich allerdings, warum es nur
um die Monate Dezember bis März geht. Ich weiß, dass
Sie – Frau Merkel hat das immer wieder betont – die






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Politik der kleinen Schritte adeln wollen. Aber müssen
es tatsächlich Trippelschritte sein? Wetter ist ganzjährig
und gibt es nicht nur von Dezember bis zur Krokusblüte
im März.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen
Koalition, ich weiß, dass Sie am liebsten mit dem Slogan
werben würden: Wenn morgens früh die Sonne lacht,
hat’s die große Koalition gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen aber sagen: Schlechtes Wetter – zumal in
unseren Breitengraden – wird selbst dann ein ganzjähri-
ges Phänomen bleiben, wenn Frau Merkel regiert.

Ich finde, es ist ein Problem, dass Sie mit Ihrer Rege-
lung etliche Wirtschaftszweige von vornherein davon
ausschließen, diese Regelung in Anspruch zu nehmen:
zum Beispiel die Gastronomie in Wintersportregionen
sowie Alm- und Gondelbetriebe. Diese bräuchten ein
Kurzarbeitergeld für die Sommersaison. Das ist aber
auf der Grundlage dieses Gesetzes ausdrücklich nicht
möglich.

Interessanterweise handelt es sich dabei um Bran-
chen, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind. In-
sofern ist es, das muss ich schon sagen, Ausdruck von
fortgeschrittener Geschlechtsblindheit,


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


wenn Sie in Ihrem Entwurf auch noch schreiben, dieses
Gesetz habe keine gleichstellungspolitische Bedeutung.
Interessanterweise profitieren von Ihrer Regelung Bran-
chen, in denen fast ausschließlich Männer beschäftigt
sind.

Warum treffen Sie nicht einfach eine Regelung, die
besagt: Wenn jemand acht von zwölf Monaten sozialver-
sicherungspflichtig beschäftigt ist und alle anderen Vo-
raussetzungen – das betone ich ausdrücklich – ebenfalls
erfüllt sind, dann gilt diese Regelung? Das wäre auch ein
Beitrag zum Bürokratieabbau.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das frage ich Sie vor allen Dingen vor dem Hinter-
grund, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf betonen, mit die-
ser Regelung könnten circa 25 Prozent der saison-
bedingten Entlassungen vermieden werden. Gut so,
sage ich. Ich frage aber: Warum denn nicht auch in ande-
ren Bereichen? In Ihrem Gesetzentwurf werden die Ein-
sparungen für die Bundesagentur für Arbeit und den
Bund betont. Herr Brauksiepe, machen Sie nur weiter im
Schritttempo der 80er-Jahre! Diese Wohltaten können
wir doch auch anderen Branchen gönnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der
mir sehr wichtig ist. Sie wollen mit diesem Gesetzent-
wurf – das finde ich gut – Anreize schaffen, um Arbeits-
zeitkonten stärker zu nutzen. Es ist natürlich das Ziel
– das sehen wir genauso –, dass Regelungen in erster Li-
nie darüber und nicht über das „Schlechtwettergeld“ ge-
schaffen werden. Aber in diesem Fall müssen wir diesen
Gesetzentwurf noch ein bisschen nachbessern. Wir müs-
sen dann natürlich sehr viel mehr für eine bessere Insol-
venzsicherung bei Arbeitszeitguthaben tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie sagte Herr Brauksiepe ganz richtig? Kein Gesetz
kommt aus dem Ausschuss so heraus, wie es dort hinein-
gegangen ist. Darauf setze ich – auf das Prinzip Hoff-
nung!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601404800

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Steppuhn,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Andreas Steppuhn (SPD):
Rede ID: ID1601404900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Die Koalition von CDU/CSU und SPD bringt
heute den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ganz-
jähriger Beschäftigung ein. Ziel dieses Zukunftsmodells
ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung der
Winterarbeitslosigkeit und zur Verstetigung der Beschäf-
tigungsverhältnisse im Bauhaupt- und Bauausbauge-
werbe zu leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bereits in der 14. Legislaturperiode wurde seinerzeit
ein Gesetz zur Neuregelung der Förderung der ganzjäh-
rigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft auf den Weg
gebracht. Diese so genannte Winterbauförderung hat be-
reits nachweislich einen aktiven Beitrag zur Vermeidung
der Winterarbeitslosigkeit geleistet. Aufgrund dieser
positiven Erfahrungen soll nun das bislang einzig auf die
Bauwirtschaft beschränkte Fördersystem nicht nur wei-
terentwickelt, sondern auch auf weitere Branchen mit
saisonbedingten Arbeitsausfällen ausgeweitet werden.
Wir erfüllen damit eine Vereinbarung aus dem Koali-
tionsvertrag.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist vom zuständigen
Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Einbe-
ziehung – der Minister hat das schon gesagt – einer so
genannten Triparität mit den Tarifvertragsparteien des
Baugewerbes erarbeitet worden und wird auch nach Ex-
pertenmeinungen einen wichtigen Beitrag dazu leisten,
dass Winterarbeitslosigkeit zukünftig vermieden wird.
Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben sich
im Ergebnis ihrer Tarifpolitik auf ein umlagefinanzier-
tes System verständigt, in dem sich sowohl Arbeitneh-
mer als auch Arbeitgeber finanziell engagieren.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir da-
von ausgehen, dass bereits im kommenden Winter die
Winterarbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft spürbar ge-
senkt werden kann.






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Steppuhn

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Dieses beschriebene Zukunftsmodell soll auch auf wei-
tere Branchen, in denen saisonbedingte Arbeitslosigkeit
in den Wintermonaten bislang gang und gäbe war, aus-
geweitet werden. Konkret haben wir beispielsweise das
Maler- und Lackiererhandwerk, die Baustoffindustrie,
die Land- und Forstwirtschaft, aber auch kleinere Berei-
che wie das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk im
Blick.

Die Einbeziehung von weiteren Branchen ist denk-
bar und kann im Wege von Rechtsverordnungen erfol-
gen; das ist gesagt worden. Voraussetzung ist aber, dass
es allgemein verbindliche Tarifverträge gibt, auf die sich
die Tarifvertragsparteien verständigen.


(Jörg Rohde [FDP]: Das steht nicht im Gesetz!)


– Voraussetzung ist – ich sage das noch einmal –, dass
die Tarifvertragsparteien einen entsprechenden Tarifver-
trag vereinbaren. Alles andere macht keinen Sinn. Von
daher sind wir da sehr nahe beieinander.

Die künftige Förderung wird in das System des Kurzar-
beitergeldes integriert. Das bedeutet: Das neu eingeführte
Saison- und Kurzarbeitergeld wird nunmehr bei einem
saisonbedingten Arbeitsausfall gewährt. Anspruch auf
Entgeltersatz haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
nen in den Wintermonaten von Dezember bis März. Die
Bundesagentur – das ist bereits genannt worden – zahlt
aus Beitragsmitteln 60 Prozent bzw., bei mindestens ei-
nem Kind, 67 Prozent der pauschalierten Nettogeldein-
bußen. Hinzu kommt, dass Arbeitgeber von der Pflicht
zur Entgeltfortzahlung erheblich entlastet werden. Kün-
digungen im Winter werden sich zukünftig nicht mehr
lohnen. Den Mehrausgaben der Bundesagentur für das
neu eingeführte Saison- und Kurzarbeitergeld wiederum
stehen Einsparungen bei den Ausgaben für das Arbeits-
losengeld gegenüber.

Wichtig ist auch, zu betonen, dass durch den Fort-
bestand der Beschäftigungsverhältnisse die Arbeits-
agenturen durch entfallende Arbeitslosmeldungen und
entfallende Bearbeitung von Leistungsanträgen in erheb-
lichem Maße entlastet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darüber hinaus entsteht der positive Effekt – ich halte
dies auch für sozial gerecht –, dass Bauarbeitnehmer
trotz einer regelmäßigen Beschäftigung in zwei auf-
einander folgenden Jahren nicht mehr wie bisher unter
eine jährliche Beschäftigungszeit von acht Monaten
kommen und somit nicht mehr Gefahr laufen, irgend-
wann ins Arbeitslosengeld II mit allen damit verbunde-
nen Konsequenzen abzurutschen. Denn sie gehen doch
fast das ganze Jahr über einer regelmäßigen Tätigkeit
nach.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD])


Lassen Sie mich als jemand, der selbst den Beruf des
Betonbauers erlernt und zehn Jahre seines Berufslebens
auf Baustellen verbracht hat, eine persönliche Anmer-
kung machen. In dieser Zeit gab es – die Älteren unter
Ihnen wissen das noch – eine so genannte Schlechtwet-
tergeldregelung, die schon angesprochen wurde. Diese
Regelung wurde seinerzeit vom damaligen Bundeskanz-
ler Helmut Kohl – insbesondere auch auf Drängen der
FDP in diesem Hause – abgeschafft. Es war eine Zeit, in
der ich selber nie im Winter arbeitslos geworden bin. In
der heutigen Situation hat jedoch ein Großteil der Bau-
leute Erfahrungen mit der Winterarbeitslosigkeit ge-
macht. Dies soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
wieder anders werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich danke insbesondere den Tarifvertragsparteien
– der IG Bauen-Agrar-Umwelt, dem Hauptverband der
Deutschen Bauindustrie und dem Zentralverband des
Deutschen Baugewerbes, aber auch dem Bundesarbeits-
minister, Franz Müntefering –, dass es gelungen ist,
heute dieses zukunftsträchtige Gesetz auf den Weg zu
bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tarifvertragsparteien im Baugewerbe haben be-
reits die notwendige tarifpolitische Flankierung des Ge-
setzes vorgenommen. Wir wollen jetzt, dass eine
schnellstmögliche Umsetzung erfolgt, wie es auch im
Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Ich bitte Sie daher
um die Überweisung des Gesetzentwurfes in den Aus-
schuss für Arbeit und Soziales. Es geht darum, diesen
Gesetzentwurf im Interesse der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer wie auch im Interesse der Unternehmen
im weiteren Gesetzgebungsverfahren möglichst zügig zu
beraten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601405000

Herr Kollege Steppuhn, auch Ihnen herzlichen Glück-

wunsch zu Ihrer ersten Rede. Ich wünsche Ihnen im Na-
men des ganzen Hauses persönlich und politisch alles
Gute.


(Beifall)


Bevor ich dem Kollegen Peter Rauen das Wort erteile,
gratuliere ich Ihnen, Herr Kollege Rauen, recht herzlich
zu Ihrem heutigen Geburtstag und wünschen Ihnen Ge-
sundheit und Glück.


(Beifall)


Sie haben das Wort.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber jetzt festlich und feierlich!)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1601405100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
herzlichen Dank für den Glückwunsch zu meinem
61. Geburtstag. Das Thema der ganzjährigen Beschäfti-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rauen
gung am Bau, das wir heute beraten, ist so alt wie mein
Berufsleben. Ich erinnere mich daran, dass ich vor fast
genau 40 Jahren mein Ingenieurexamen gemacht und
das Bauunternehmen meines Vaters übernommen habe.

Das Schlechtwettergeld gab es seit 1970. Zuvor sind
die Leute im Winter stempeln gegangen, wie es damals
genannt wurde. Das hörte mit der Einführung der
Schlechtwettergeldregelung auf. Aber seitdem hat sich
im Baugewerbe folgende Situation ergeben: In den Mo-
naten Dezember, Januar, Februar und März werden rund
280 000 Personen arbeitslos. Das ist die doppelte Anzahl
derer, die im normalen Jahresschnitt arbeitslos werden.
Diese Arbeitslosigkeit entsteht also witterungsbedingt.
Das hängt auch zum Teil mit den Auftragsbedingungen
zusammen, weil die Auftragslage in der Baubranche im
Winter schlechter ist als sonst. Insofern gibt es allen
Grund, zu überlegen, wie ganzjährige Beschäftigung in
solchen witterungsabhängigen Branchen erreicht werden
kann.

Ich kann Sie beruhigen, Frau Pothmer: Das Gesetz ist
nicht nur für Männer gedacht. Es richtet sich im Kern an
alle, die in Branchen arbeiten, in denen diese Problema-
tik saisonbedingt im Winter auftritt. Es ist wichtig, dies
festzuhalten.

Herr Rohde, Ihre Sorge, dass der Minister diese Rege-
lung durch eine Rechtsverordnung auf andere Branchen
ausdehnen könnte, teile ich insofern nicht, als die Tarif-
partner erst einmal einen Tarifvertrag abschließen und
gemeinsame Kassen einführen müssen. Erst dann kann
die Regelung auf diese Branchen ausgedehnt werden.
Auch das muss berücksichtigt werden. Denn nach der-
zeitigem Stand kann die Regelung in der Baubranche nur
hinsichtlich der seit Anfang der 70er Jahre bestehenden
gemeinsamen Kasse der Tarifpartner angewandt werden.


(Klaus Brandner [SPD]: Ein bisschen Sachaufklärung tut gut!)


– Ja, das gehört dazu. Denn ich bin dafür, dass wir das
Thema ganz entspannt angehen.

Oberstes Ziel der Regierung ist es, mehr Arbeits-
plätze, vor allen Dingen mehr ordentliche Beschäfti-
gungsverhältnisse, also mehr sozialversicherungspflich-
tige Arbeitsplätze, zu schaffen; denn sonst sind alle
anderen Probleme nicht zu lösen. Die Saisonarbeitslo-
sigkeit muss daher beseitigt werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601405200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rohde?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1601405300

Ja, gerne.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601405400

Herr Rohde, bitte.


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1601405500

Kollege Rauen, was uns misstrauisch macht, ist, dass

auch dann, wenn die Tarifvertragsparteien kein Umlage-
verfahren in Gang setzen, Zahlungen an die Bundes-
agentur für Arbeit geleistet werden können. Ich kann mir
vorstellen, dass es dann zu einem Henne-und-Ei-Pro-
blem kommt. Erst kommt die Verordnung und dann sa-
gen die Gewerkschaften: Liebe Tarifvertragsparteien,
setzt doch jetzt, wo es möglich ist, ein Umlageverfahren
in Gang. – Wir sehen die Gefahr und betrachten das des-
wegen sehr kritisch. Stimmen Sie mir darin zu?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1601405600

Herr Rohde, darüber müssen wir im Gesetzgebungs-

verfahren sprechen. Ich habe aber den Eindruck, dass
unser Arbeitsminister niemanden über den Tisch ziehen
will und dass man das, was er sagt, so nehmen kann, wie
er es gemeint hat, nämlich dass erst die Tarifvertragspar-
teien entscheiden müssen, bevor die Regelung betreffend
die Winterbauförderung in Kraft gesetzt wird. Wir soll-
ten hier kein Misstrauen aussprechen. Das ist ein sehr
praxisbezogenes Thema.


(Jörg Rohde [FDP]: Ich glaube den Worten, lese aber den Text!)


Über den vorliegenden Gesetzentwurf kann man nur
seriös beraten, wenn man in die Details geht und sich die
Praxis in der Vergangenheit genau anschaut. Es gibt in
diesem Zusammenhang einen Punkt, den ich ansprechen
möchte. Als 1996 das Schlechtwettergeld wegfiel – übri-
gens auch auf Druck anderer Branchen, die gefragt ha-
ben, warum das Baugewerbe privilegiert ist; das sollte
man wissen –, mussten die Arbeitnehmer zunächst
50 Stunden einbringen, bevor ihnen aus der Umlage der
Schlechtwettergeldausfall bis zur 130. Stunde bezahlt
wurde. Erst dann hat das Arbeitsamt gezahlt. Das wurde
im Juni 1999 geändert. Seitdem müssen die Arbeitnehmer
30 Stunden einbringen. Von der 31. bis zur 100. Stunde
wird aus der Umlage gezahlt. Ab der 101. Stunde zahlt
dann das Arbeitsamt und die Arbeitgeber zahlen die So-
zialbeiträge. Das führt aber dazu, dass viele Unterneh-
mer – weil ihnen, wie vom Minister dargelegt, die Sozi-
albeiträge zu hoch sind – ihre Arbeitnehmer von der
ersten Stunde an als arbeitslos melden. Nun ist eine ent-
scheidende gesetzliche Verbesserung vorgesehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Minister, 1996 haben jedoch viele Firmen in der
Baubranche – darüber sollten wir ganz ruhig reden –
zum ersten Mal flexible Jahresarbeitszeitkonten einge-
führt; das hat auch funktioniert. Diese Firmen hatten mit
dem aus der Umlage finanzierten Wintergeld nichts
mehr zu tun. Sie haben zwar noch in die Kasse der Tarif-
partner gezahlt, haben aber das Instrument nicht mehr
genutzt. All diese Firmen existieren noch. Wenn nun per
Gesetz den Arbeitnehmern ermöglicht wird, sich von der
ersten Stunde an Kurzarbeitergeld auszahlen zu lassen
– es ist also nicht mehr notwendig, flexible Stunden ein-
zubringen –, dann muss ich mich nur in die Lage eines
Maurers versetzen – diesen Beruf habe ich erlernt –, um
zu wissen, wie ich reagieren würde. Wenn man einerseits
den Anreiz des Zuschusswintergelds in Höhe von bis zu
2,50 Euro je ausgefallener Arbeitsstunde hat, sein flexib-
les Arbeitszeitkonto zu verrechnen, andererseits bei
Nichtverrechnung die Möglichkeit hat, sich im Sommer






(A) (C)



(B)


Peter Rauen
die Stunden auszahlen zu lassen und im Winter von der
ersten Stunde an Kurzarbeitergeld zu bekommen – das
sind etwa 7 bis 8 Euro je Stunde –, dann ist die Entschei-
dung klar. Dann wird die Flexibilität, die sich in der
Baubranche zum Segen der Sozialkassen und der Umla-
genhöhe durchgesetzt hat, kaputtgemacht. Darüber müs-
sen wir in aller Ruhe reden; denn das darf nicht das Ziel
sein.

Das Gesetz ist in seiner Zielsetzung völlig richtig. Ich
habe diesbezüglich auch keine Sorgen. Aber wir müssen
aufpassen, dass wir bei der Kostenneutralität nicht in
eine Falle laufen; denn das Verhalten der Menschen wird
nach Inkraftsetzung der Neuregelung ganz anders sein
als zuvor. Das müssen wir sehr exakt beobachten. Ich
schlage daher vor, an der bisherigen Regelung festzuhal-
ten, wonach der einzelne Arbeitnehmer einen Teil seiner
flexiblen Stunden einbringen muss, bevor er Kurzarbei-
tergeld erhält. Wichtig ist, dass in Zukunft bei der Ver-
rechnung mit flexiblen Stunden 2,50 Euro je ausgefal-
lene Arbeitsstunde gezahlt werden; denn dadurch
entsteht ein neuer Anreiz zur Flexibilisierung.

Der Teufel steckt also im Detail. Wir sollten in aller
Ruhe, Gelassenheit und Sachlichkeit darüber reden. Alle
Fraktionen haben Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Letztendlich müssen wir erreichen, dass ein Teil der
Menschen, die bislang im Winter aus saisonalen Grün-
den arbeitslos werden, in Zukunft in Arbeit sind und
Beiträge zahlen und dass es so zu einem Aufschwung in
Deutschland kommt.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601405700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/429 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung
an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie, den Ausschuss für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, den Ausschuss für
Tourismus sowie an den Haushaltsausschuss zu überwei-
sen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Wahl der Bundesbeauftragten für die Unterla-
gen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali-
gen Deutschen Demokratischen Republik

Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom
27. Dezember 2005 Frau Marianne Birthler vorgeschla-
gen.

Ich gebe zunächst einige Hinweise zum Wahlverfah-
ren. Nach § 35 Abs. 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
wird die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De-
mokratischen Republik auf Vorschlag der Bundesregie-
rung vom Deutschen Bundestag mit mehr als der Hälfte
der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder gewählt. Zur
Wahl sind also mindestens 308 Stimmen erforderlich.

Die grünen Stimmkarten für die Wahl wurden verteilt.
Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, so besteht
jetzt noch die Möglichkeit, diese vom Plenarassistenten
zu erhalten. Außerdem benötigen Sie Ihren grünen
Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, Ih-
rem Stimmkartenfach entnehmen. Bitte achten Sie unbe-
dingt darauf, dass der Wahlausweis auch wirklich Ihren
Namen trägt.

Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimm-
karten also an Ihrem Platz ankreuzen. Stimmkarten, die
mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthal-
ten, sind ungültig. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlaus-
weis einer der Schriftführerinnen oder einem der Schrift-
führer an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme
an der Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises
erbracht werden. Die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer bitte ich, darauf zu achten, dass vor der Stimmabgabe
der Wahlausweis übergeben wird. Ich bitte jetzt die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen.

Haben alle Schriftführerinnen und Schriftführer die
Plätze eingenommen? – Das ist offenbar der Fall. Ich er-
öffne die Wahl.

Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarte abgege-
ben? – Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder des
Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Das ist offenbar
der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt
gegeben.

Wir kommen jetzt zu etlichen Abstimmungen. Damit
die Abstimmungsverhältnisse klar sind, bitte ich die Mit-
glieder des Hauses, die Plätze einzunehmen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 6 a
bis 6 j, Wahlen zu Gremien. Ich möchte darauf hinwei-
sen, dass diese Wahlen mittels Handzeichen durchge-
führt werden.


(Unruhe)


– Auch an die Fraktion der Grünen geht die Bitte, die
Plätze einzunehmen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber auch die große Koalition da hinten könnte sich mal trennen!)


Tagesordnungspunkt 6 a:

Kuratorium der Stiftung „Haus der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland“

– Drucksache 16/433 –

Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag aller
Fraktionen auf Drucksache 16/433 vor. Wer stimmt für

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 b:

Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien
und Massenorganisationen in der DDR“
– Drucksache 16/434 –

Wir stimmen über den Wahlvorschlag der Fraktionen
der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/434
ab. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Wahlvorschlag ist
ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben uns enthalten!)


– Dieser Wahlvorschlag ist bei Enthaltung der Grünen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 c:


(Centre of Advanced European Studies and Research)

– Drucksache 16/435 –

Wir stimmen über den Wahlvorschlag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/435 ab.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist bei
Enthaltung der Fraktion der Grünen mit den Stimmen
des restlichen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 d:

Stiftungsrat der „Deutschen Stiftung Friedens-
forschung (DSF)
– Drucksache 16/436 –

Wir stimmen über den Wahlvorschlag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/436 ab.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist bei
Enthaltung der Fraktion der Grünen mit den restlichen
Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 e:

Senat des Vereins „Hermann von Helmholtz-
Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren
e. V.“
– Drucksache 16/437 –

Es liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD auf Drucksache 16/437 vor. Wer
stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Wahlvorschlag ist eben-
falls bei Enthaltung der Fraktion der Grünen mit den
restlichen Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 f:

Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht
– Drucksache 16/438 –
Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 16/438
vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag
ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 6 g:

Parlamentarischer Beirat der „Stiftung für
das sorbische Volk“

– Drucksache 16/439 –

Wir stimmen über den Wahlvorschlag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/439 ab.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist bei
Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 h:

Kuratorium „Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung“

– Drucksache 16/440 –

Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 16/440 vor. Wer stimmt für diesen
Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? Dieser Wahlvorschlag ist ebenfalls bei Enthaltung
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Rest der Stimmen des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 i:

Beirat zur Auswahl von Themen für die Son-
derpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bun-

(Programmbeirat)


– Drucksache 16/441 (neu)

Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/441 (neu) vor. Wer stimmt für diesen
Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des gan-
zen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 j:

Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Geset-
zes

– Drucksache 16/442 –

Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/442 vor. Wer stimmt für diesen Wahl-
vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dieser Wahlvorschlag ist ebenfalls mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 172 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1991 über






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
die Arbeitsbedingungen in Hotels, Gaststätten
und ähnlichen Betrieben

– Drucksache 16/342 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um eine Überweisung im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 16 a
bis 16 i sowie Zusatzpunkt 6. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 16 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes über die Bereinigung von Bundes-
recht im Zuständigkeitsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern

– Drucksache 16/28 –


(Erste Beratung 8. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/464 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Maik Reichel
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/464, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung bei Enthaltung von Teilen der Frak-
tion Die Linke mit den übrigen Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit
den Stimmen des ganzen Hauses in dritter Beratung an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 16 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im
Zuständigkeitsbereich des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Arbeit

– Drucksache 16/34 –


(Erste Beratung 8. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/399 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Fuchs
Dr. Rainer Wend
Martin Zeil
Dr. Herbert Schui
Matthias Berninger

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/399, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung ebenfalls mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über konjunkturstatistische Erhebungen in be-

(Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz – DlKonjStatG)


– Drucksache 16/36 –


(Erste Beratung 4. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/465

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/465, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichnen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen vom Rest
des Hauses angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei Gegenstim-
men der FDP-Fraktion ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung mit den Stimmen vom Rest des Hauses ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 16 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Erste Verordnung zur Änderung der Altfahr-
zeug-Verordnung

– Drucksachen 16/308, 16/413 Nr. 2.1, 16/467 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 16/308 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke vom Rest des Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 e:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN

Erhöhung der Anzahl von Ausschussmitglie-
dern

– Drucksache 16/432 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist bei Enthaltung
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen von den
restlichen Mitgliedern des Hauses angenommen.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 16 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 6 zu Petitionen

– Drucksache 16/377 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 6 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 7 zu Petitionen

– Drucksache 16/378 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 7 ist bei Gegenstimmen
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke von den restlichen Mitgliedern des
Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 8 zu Petitionen

– Drucksache 16/379 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 9 ist bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke vom Rest des Hauses angenom-
men.

Zusatzpunkt 6:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bereinigung des Bundesrechts im Zustän-
digkeitsbereich des Bundesministeriums für
Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

– Drucksache 16/27 –


(Erste Beratung 8. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/425 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/425, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Ich höre gerade, dass ich einen Tagesordnungspunkt
übersprungen habe.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe noch einmal den Tagesordnungspunkt 16 h
auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 8 zu Petitionen

– Drucksache 16/379 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten vorhin 16 i nicht aufgerufen!)


– Ich habe noch einmal die Sammelübersicht 8 aufgeru-
fen. Darüber stimmen wir jetzt ab, Herr Kollege Beck. –
Sammelübersicht 8 ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke mit den Stimmen vom Rest des Hauses ange-
nommen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 16 i auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 9 zu Petitionen

– Drucksache 16/380 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 9 bei Gegen-
stimmen der Grünen vom Rest des Hauses angenom-
men.

Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 565,
davon gültige Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt
486 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 60 Abge-
ordnete, Enthaltungen 17. Frau Marianne Birthler hat
damit die erforderliche absolute Mehrheit, also mindes-
tens 308 Stimmen, erreicht.1)


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Glückwunsch, Frau Marianne Birthler. Sie
sind damit zur Bundesbeauftragten für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik gewählt.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen

Warnungen vor einer Militarisierung der Aus-
einandersetzung um das iranische Atompro-
gramm

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

1) Anlage 2

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601405800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Lage um den Iran entwickelt sich zum wichtigsten und
wahrscheinlich gefährlichsten außenpolitischen Kon-
flikt. Wir alle erinnern uns an die unsäglichen Äußerun-
gen von Präsident Ahmadinedschad über die Vernich-
tung Israels und an seine wiederholte Leugnung des
Holocausts.

Unübersehbar ist – das sage ich in aller Deutlich-
keit –, dass der Iran über lange Jahre an der Internationa-
len Energieagentur und den Aufsichtsbehörden vorbei
ein Atomprogramm vorbereitet hat, das offenkundig
nicht friedlichen Zwecken dient. Wozu braucht man eine
Urananreicherung, wenn man nicht einmal einen Reak-
tor hat? Warum muss man diese in einen militärisch ge-
tarnten Bunker packen, wenn sie nur friedlichen Zwe-
cken dient?


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)


Es ist also unsere Aufgabe und es ist notwendig, den
Einstieg in ein neues atomares Wettrüsten im Iran und
ausgehend vom Iran zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies muss aber – dies betone ich – mit zivilen Mitteln
geschehen.


(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])


Es darf – das war Kern des auf unsere Initiative vom
ganzen Hause gefassten Beschlusses – keine schlei-
chende Eskalation zur Planung eines militärischen Ein-
satzes geben. Militärische Gewalt kann diesen Konflikt
nicht lösen, sondern dürfte ihn nur verschärfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle wissen, dass der Iran heute in einer militä-
risch schwer angreifbaren Position ist. Der Krieg gegen
den Irak hat die Position des Iran an dieser Stelle noch
einmal gestärkt. Aber wir alle wissen auch: Politisch und
wirtschaftlich ist das Regime im Iran außerordentlich
verwundbar. Der Iran braucht enorme Investitionen, um
die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.
Was wenige wissen: Der Iran exportiert zwar Öl; aber er
muss Ölprodukte und Gasprodukte in raffinierter Form
reimportieren, weil er keine Raffineriekapazität hat, um
diese Produkte an seine Bevölkerung abzugeben.

Der Iran verfügt wie kaum ein anderes Land in dieser
Region über eine ausgeprägte und außerordentlich viel-
fältige Zivilgesellschaft. Unsere Strategie muss darauf
abzielen, diese Zivilgesellschaft davon zu überzeugen,
dass der Griff der Mullahs nach der Atomwaffe nicht im
Interesse des Iran liegt, sondern ausschließlich im Inte-
resse der Stabilisierung ihrer Herrschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Doppelstrategie muss unsere Iranpolitik leiten.
Das heißt, klar machen, wo die Grenze ist, aber immer






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
wieder versuchen, das Bündnis und das Einverständnis
mit der iranischen Bevölkerung zu finden.

Man kann in diesem Zusammenhang lange darüber
streiten, ob das, was Herr Chirac gesagt hat, eine Ak-
zentverschiebung in der Nuklearstrategie der Franzosen
gewesen ist. Aber eines muss man sagen: Weil dies von
ihm unmittelbar mit der Politik gegenüber dem Iran in
Zusammenhang gebracht worden ist, waren diese Äuße-
rungen unangemessen und unproduktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Sie waren unproduktiv, weil sie den Eindruck haben
entstehen lassen, dass der Westen mal wieder mit zwei-
erlei Maß misst: sich selber eine militärische und sogar
nukleare Option offen hält, dem Iran aber sogar die
friedliche Nutzung der Atomenergie untersagt. Diese
Form doppelter Moral ist das, was die iranische Opposi-
tion dem Westen und uns allen vorwirft.

Weil das falsch war, hätte ich von Frau Merkel erwar-
tet, dass sie diese Differenz in Paris in aller Deutlichkeit
anspricht. Das wäre nötig gewesen. Dass Sie das, liebe
Frau Merkel, in Paris nicht getan haben, war, wie ich
finde, ein großer Fehler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war ein Fehler mit Folgen; denn seitdem ist in der
großen Koalition und in der CDU kein Halten mehr.
Dort geht es mit Volldampf zurück zu den außenpoliti-
schen Positionen von 2002, lieber Herr von Klaeden.
Den ersten Aufschlag machte Verteidigungsminister
Jung, der in der „Bild am Sonntag“ erklärte, man brau-
che eine militärische Drohkulisse und „alle Optionen“.
Wer so redet, entwertet alle anderen Optionen, über die
wir hier reden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Al-Baradei!)


Womit wollen Sie denn drohen? Haben wir nicht aus
den Konflikten und Kriegen der letzten Jahre – ich nenne
hier auch Kosovo – nicht gelernt, dass man immer nur
mit den militärischen Mitteln drohen kann, die man auch
einzusetzen bereit ist? Ich frage Sie, Herr Jung: Was
wollen Sie von Ihren Äußerungen bezüglich des Iran
umsetzen? Wenn Sie nichts davon umsetzen wollen, war
es eine falsche Äußerung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Interesse der politischen Kultur möchte ich sagen:
Vielleicht war es nur fahrlässig; schließlich weiß ich ja,
wie solche Interviews zustande kommen. Heute hat Herr
Scholz aber auf diese Fahrlässigkeiten in der „Bild“-Zei-
tung noch die Forderung draufgesetzt, Deutschland
brauche eigene Nuklearwaffen. Das ist wahrlich unver-
antwortlich. Ich sage in aller Deutlichkeit: Gegen Terro-
risten helfen keine nuklearen Waffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601405900

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601406000

Ich komme zum Schluss. –

Mein Appell ist … dass wir uns in einer solchen
Lage, in der alle Beteiligten Ihnen sagen „Wir set-
zen auf diplomatische Lösungen“, nicht von einer
Militarisierung des Denkens erfassen lassen.

Das sagte Frank-Walter Steinmeier. Er hat Recht, aber
Herr Scholz und Herr Jung müssen von der Koalition zur
Ordnung gerufen werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601406100

Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1601406200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle

konnten in den letzten Tagen ziemlich viel über die Kon-
troversen innerhalb der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
über die richtige Oppositionsstrategie lesen. Ich hätte
mir ehrlich gesagt gewünscht, Sie hätten sich nicht aus-
gerechnet dieses Thema ausgesucht, um eine Kontro-
verse vom Zaun zu brechen, die, wenn man es sich ge-
nau anschaut, in diesem Hause im Grunde nie eine war
und hoffentlich auch keine sein wird. Wenn wir alle ge-
meinsam eine diplomatische, eine Verhandlungslösung
in dem schwierigen Nuklearkonflikt mit dem Iran wol-
len, dann können wir sie nur bei internationaler Einigkeit
erreichen. Sie wird auch nur bei Einigkeit in den jeweili-
gen nationalen Parlamenten darüber, was wir erreichen
oder unterstützen wollen, möglich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte einfach darum, nicht einen künstlichen Ge-
gensatz, der in Wahrheit nicht besteht, aufzubauen. Sie
haben den französischen Staatspräsidenten Chirac mit
seiner Verlautbarung zur Nuklearstrategie Frankreichs in
einen Zusammenhang mit dem Iran gerückt. Er selber
hat in seiner Rede das Land mit keinem einzigen Satz er-
wähnt. Sie stellen Zusammenhänge her, um sie anschlie-
ßend zurückzuweisen und um eine Kluft aufzubauen, die
es in Wirklichkeit nicht gibt.

Der Besuch der Bundeskanzlerin hat deutlich ge-
macht, dass die EU 3 – Deutschland, Frankreich und
Großbritannien – nach wie vor eine gemeinsame Posi-
tion haben. Sie haben dem Iran gemeinsam ein Verhand-
lungspaket unter der Bedingung angeboten, dass er auf
den militärisch nutzbaren Teil des Nuklear- und Brenn-
stoffkreislaufs verzichtet. Zu diesem Paket gehört auch
ein Angebot zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der zi-
vilen Nutzung der Kernenergie für die Stromerzeugung.






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
Auch Handels- und Kooperationsabkommen für die Be-
reiche Technologie und Wirtschaft werden angeboten.
Das alles liegt auf dem Tisch.

Neben den Punkten, die Sie angesprochen haben,
Herr Kollege Trittin, stimmt natürlich auch nachdenk-
lich, dass Iran bisher – hoffentlich ändert sich das jetzt –
auch das russische Angebot zu einer gemeinsamen zivi-
len Anreicherungsanlage auf russischem Territorium zu-
rückgewiesen hat.

Wir stehen jetzt vor einer schwierigen Phase, weil
Iran sein Versprechen gebrochen hat, das er den Euro-
päern gegeben hat, nämlich für die Dauer der Verhand-
lungen seine Anreicherungsaktivitäten oder die Akti-
vitäten, die auf Anreicherung hinzielen, einzustellen. Im
August hat er sich in Isfahan und jetzt zum Jahreswech-
sel in Natanz vorgetastet. Er hat also immer weiter aus-
getestet, wie weit er gehen kann. Es war richtig, dass die
EU 3 daraufhin die Verhandlungen abgebrochen haben;
denn Iran möchte auch etwas von uns. Er kann seine
Wirtschaftsprobleme ohne Kooperation mit den Europä-
ern nicht lösen.

Jetzt zu der Frage, ob wir eine Druckkulisse brau-
chen. Ich glaube, dass wir sie brauchen und dass Bewe-
gung in die iranisch-russischen Gespräche gekommen
ist. Ich erinnere daran, dass die erste Reaktion Teherans
auf das russische Angebot eine fast beleidigte Zurück-
weisung nach dem Motto war, wie man Teheran so etwas
überhaupt vorschlagen könne. Jetzt, nachdem sich die
Europäer vom Verhandlungstisch zurückgezogen haben,
heißt es aus Teheran, es sei eigentlich für beide Seiten
eine ganz gute Grundlage für einen akzeptablen Kom-
promiss.

Die Bundeskanzlerin bemüht sich bei ihrem Besuch
in Frankreich, bei ihren Kontakten in Russland, eine ge-
meinsame Position aufzubauen, die dem Iran deutlich
macht, dass er sich selbst isoliert, wenn er diesen Weg
weiter geht. Darauf kommt es jetzt an.

Bei der Sondersitzung des Gouverneursrats geht es
jetzt um die Frage: Geht es in den Sicherheitsrat? Ich
denke – das sollte man auch hier festhalten –, dass man
nur dann in den Sicherheitsrat gehen kann, wenn man
weiß, was herauskommt. Es geht um Augenmaß, Festig-
keit und Fingerspitzengefühl. Man muss dem Iran auch
immer eine Lösung offen lassen, die ihm einen gesichts-
wahrenden Ausweg ermöglicht, wenn man keine weitere
Eskalation will.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Weil Sie sich vorhin zum Einsatz von Militär geäußert
haben: Es war al-Baradei, der das iranische Nuklearpro-
gramm wahrscheinlich am besten von allen beurteilen
kann, der gesagt hat: Als Letztes kann man möglicher-
weise auch gewaltsame Fragen nicht ausschließen. So
hat er formuliert. Es ist ein Unterschied, ob ich etwas
nicht ausschließe oder ob ich mit etwas drohe. Ich
stimme Ihnen zu: Wir sollten nicht mit militärischer Ge-
walt drohen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich halte es aber für einen Fehler, per se den Iranern ir-
gendwelche Gewissheiten zu geben, womit sie unter kei-
nen Umständen zu rechnen hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Gewissheit braucht die Verhandlungsseite in Tehe-
ran nicht. Wir drohen nicht, aber wir müssen nichts vom
Tisch nehmen, was etwa aus der Sicht der Amerikaner
oder offenkundig auch anderer Länder nicht vom Tisch
genommen werden sollte.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601406300

Herr Kollege, ich muss auch Sie an die Zeit erinnern.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1601406400

Ich komme zum Schluss.

Bauen wir hier also nicht künstlich neue Gegensätze
auf. Halten wir an der Gemeinsamkeit in der Iranpolitik
fest, die wir als Opposition damals während Ihrer Regie-
rungszeit unterstützt haben. Ich denke, auch unsere Re-
gierung hat einen Anspruch darauf, dass die Fortsetzung
dieser Politik auch vom Bündnis 90/Die Grünen weiter
mitgetragen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601406500

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,

FDP-Fraktion.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1601406600

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Ich schließe direkt an das an, was der
Kollege Polenz zum Schluss gesagt hat: nicht drohen,
aber auch nichts ausschließen. Insofern kann man so ar-
gumentieren – einige haben das getan –, dass Präsident
Chirac in der letzten Woche nichts Neues gesagt hat.
Wenn aber eine europäische Mittelmacht wie Frankreich
Nuklearwaffen hat – jeder weiß, dass Frankreich diese
Nuklearwaffen hat –, muss es gute Gründe geben, wa-
rum man das in einer solchen krisenhaften Situation
noch einmal ausdrücklich erwähnt und in den Vorder-
grund rückt.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso ist es!)


Unter diesem Gesichtspunkt habe ich die Äußerungen
nicht nachvollziehen können. Nun kann man innenpoli-
tisch argumentieren, er sei ein geschwächter Präsident,
der mit Stärke wieder auf sich aufmerksam machen
wolle. Man kann auch argumentieren, dass es ein Trup-
penbesuch war, bei dem man würdigt, was die Männer
und Frauen auf diesem Gebiet unter schwierigen Bedin-
gungen leisten. Jedoch war das international im Hinblick
auf das, was uns in den Verhandlungen mit dem Iran be-
vorsteht, weder hilfreich noch klug.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann ich auch die Äußerung der Bundes-
kanzlerin in Paris – Sie wissen, wir haben die Bundes-
kanzlerin in den letzten Wochen immer wieder gelobt ob
ihrer hervorragenden Auftritte in Washington und Mos-
kau – nicht nachvollziehen. Sie war überflüssig und auch
für uns nicht hilfreich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Äußerungen anderer Koalitionspolitiker heben sich
wohltuend davon ab. Das heißt, da gibt es ein Manage-
mentproblem in der neuen Koalition.

Die Logik des Kalten Krieges basierte nicht zuletzt
darauf, dass nukleare Abschrekkung davon ausging, dass
auf der Gegenseite rationales Verhalten vorausgesetzt
werden konnte. Nun haben die Franzosen bzw. Chirac
nicht den Terroristen mit nuklearer Vergeltung gedroht,
sondern den Staaten, die Terroristen unterstützen. Aber
selbst dann, wenn man diese Differenzierung präzise
vornimmt, kommen große Zweifel auf, ob das funktio-
nieren kann. Hätte zum Beispiel beim Fall Afghanistan
zu Talibanzeiten die nukleare Drohung bei den Taliban-
führern etwas ausrichten können, um sie davon abzuhal-
ten, al-Qaida Terroristen zu unterstützen? Das möchte
ich sehr bezweifeln. Deswegen gilt in Zeiten asymmetri-
scher Bedrohung eine andere Abschreckungslogik als
bisher.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Nach meiner Auffassung ist entschlossenes und ge-
schlossenes Handeln der Völkergemeinschaft gegen-
über dem Iran unverzichtbar und alternativlos. Deswe-
gen unterstützen wir nachdrücklich die Bemühungen der
Bundesregierung, gemeinsam mit den europäischen
Partnern, mit den Vereinigten Staaten und auch – wie ich
hoffe – mit Russland und China zu einem Ergebnis zu
kommen. Ich finde es begrüßenswert, dass die Bundesre-
gierung sich gegenwärtig sehr darum bemüht, Staaten,
die durch eigene nukleare Ambitionen einige Probleme
haben, dazu zu bewegen, im Gouverneursrat der IAEO
konstruktiv mitzuarbeiten.

Der Weg dieses Problems in den Weltsicherheitsrat
kann jetzt nicht mehr ausgeschlossen werden. Aber Herr
Polenz hat völlig zu Recht gesagt: Das kann man natür-
lich nur machen, wenn sich der Weltsicherheitsrat von
vornherein als handlungsfähig darstellt. Die größte Bla-
mage für die Völkergemeinschaft wäre, dass man in den
Weltsicherheitsrat geht, man abstrakt über Instrumente
diskutiert und zum Schluss den Fall an die IAEO zurück-
verweist. Das können wir uns in der Tat nicht leisten.
Deswegen muss es in den Gesprächen mit Moskau und
Peking darum gehen, mehr als eine laue Enthaltung zu
erreichen. Denn wir alle müssen uns darüber im Klaren
sein: Wenn wir den durchaus begrenzten Instrumenten-
kasten von Sanktionen öffnen, dann gibt es nur sehr we-
nige Möglichkeiten, durch die der Schaden nicht auch
bei uns erheblich sein wird. Man muss bereit sein, das zu
realisieren. Das gilt ganz besonders für die Russen.

Wir haben offensichtlich ein riesiges Problem mit nu-
klearer Proliferation. In den letzten zehn Jahren hat es
hier keinen Fortschritt gegeben. Das Gegenteil war der
Fall.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit einer rheto-
rischen Eskalation die wohlmeinenden Kräfte im Iran ei-
nem Präsidenten, der nach unseren Maßstäben nicht
ganz nachvollziehbare Äußerungen gemacht hat, gera-
dezu in die Arme treiben. Denn der Iran hat eine sehr
junge Gesellschaft, eine im Grunde dem Westen gegen-
über sehr aufgeschlossene Gesellschaft, die sich gern aus
alten Fesseln befreien würde. Aber in der Frage des
nuklearen Selbstbewusstseins ist diese gut ausgebildete,
junge iranische Generation mit einem aus meiner Sicht
erschreckend großen Anteil derselben Meinung wie der
Staatspräsident. Deswegen geht es darum, diesen Men-
schen Angebote zu machen und sie in eine konstruktive
Zusammenarbeit einzubinden. Entsprechende Angebote
liegen auf dem Tisch. Ich glaube, wir müssen dieses Pro-
blem noch einmal konkreter angehen.

Darüber hinaus brauchen wir einen entschlossenen
neuen Ansatz in der Abrüstungspolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist nicht mehr fünf vor zwölf. Im günstigsten Fall ist
es zwölf Uhr und wir können die Uhr noch ein bisschen
anhalten. Aber danach wird die nukleare Proliferation in
einem Ausmaß voranschreiten, wie wir uns das gegen-
wärtig noch gar nicht vorstellen können. Das geht weit
über den Iran hinaus. In einem solchen Zusammenhang
hat die Bundesrepublik Deutschland ein hohes Maß an
Glaubwürdigkeit, weil wir die nukleare Option für uns
ein für allemal ausgeschlossen haben und das im Zwei-
plus-Vier-Vertrag noch einmal bekräftigt haben. Das
muss auch ein früherer Verteidigungsminister wissen.
Wir sollten an diesem Imperativ deutscher Außenpolitik
keinen Zweifel aufkommen lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1601406700

Das Wort hat der Staatsminister Gernot Erler.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1601406800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am kommenden Donnerstag, dem 2. Februar 2006, wird
der Gouverneursrat der IAEO, also der Internationalen
Atomenergiebehörde, zusammentreten und versuchen,
einen Ausweg aus der Krise zu finden, die im Zusam-
menhang mit dem iranischen Atomprogramm entstanden
ist.






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Gernot Erler

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie eigentlich Herrn Jung versteckt?)


Das ist der richtige Zeitpunkt, um hier noch einmal
daran zu erinnern, wie diese krisenhafte Situation ent-
standen ist. Die Islamische Republik Iran ist Unterzeich-
ner des Atomwaffensperrvertrages. Dieser Vertrag
verpflichtet das Land, auf die Entwicklung von Atom-
waffen zu verzichten, verbrieft aber zugleich das Recht
auf friedliche Nutzung der Atomenergie. Um das Ganze
transparent und kontrollierbar zu machen, gibt es als be-
sondere Sicherungsmechanismen die „Safeguards“-Ab-
kommen mit der IAEO.

Im Jahr 2003 – das wurde schon angedeutet – musste
der Iran zugeben, gegen die Safeguards verstoßen und
über 18 Jahre hinweg ein geheim gehaltenes Nuklear-
programm verfolgt zu haben, zu dem der verdeckte Bau
einer Urananreicherungsanlage gehörte, in der auch
spaltbares Material zur Waffenproduktion hergestellt
werden kann. Schon damals hätte die IAEO das Recht
gehabt, die Weltgemeinschaft über diesen groben Ver-
stoß zu informieren und den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen einzuschalten.

Damals waren es die europäischen Staaten, die ver-
hindert haben, dass Teheran für seinen Täuschungsver-
such an den internationalen Pranger gestellt und isoliert
wurde. Stattdessen versuchten Deutschland, Frankreich
und Großbritannien im Auftrag der Europäischen Union,
eine Verhandlungslösung zu finden und dem Iran Brü-
cken für seine Rückkehr zur Vertragstreue und zur Aus-
räumung des Misstrauens zu bauen, das international
entstanden war.

Entscheidende Voraussetzung war, dass der Iran für
die Dauer der Verhandlungen verbindlich auf alle
Aktivitäten der Konversion, der Anreicherung und der
Wiederaufarbeitung verzichtete. Da Teheran hierzu be-
reit war und entsprechende Abkommen unterzeichnete,
wurde der Weg für eine Verhandlungslösung frei-
gemacht. Im Namen der EU verfolgten die drei Ver-
handlungsstaaten, die so genannten E 3, ein Konzept, um
folgendes Ziel zu erreichen: Am Ende musste die Ge-
wissheit stehen, dass der Iran kein Atomwaffenpro-
gramm verfolgt und dass er die zivile Nutzung der Kern-
kraft, zu der er berechtigt ist, nicht für die Entwicklung
solcher Programme missbrauchen kann.

Ich möchte betonen: Hinter diesem Ziel stand und
steht bis heute die ganze Weltgemeinschaft einschließ-
lich der Länder, die auf verschiedenen Gebieten engstens
mit der Islamischen Republik Iran zusammenarbeiten.
Das Mittel zur Erreichung des Ziels war ein umfassendes
Kooperationsangebot – Herr Dr. Hoyer hat das eben an-
gesprochen –, das dem Iran am 5. August letzten Jahres
unterbreitet wurde. Es umfasste die Aufhebung aller
Sanktionen und Restriktionen gegenüber dem Iran, die
Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Atomener-
gie, die Zusammenarbeit im Bereich der Hochtechnolo-
gie, Hilfen zur Erschließung neuer Märkte für iranische
Produkte und sogar eine sicherheitspolitische Zusam-
menarbeit in bestimmten Bereichen einschließlich der
Verfolgung des Zieles der Errichtung einer umfassenden
atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten.

Man kann wirklich nicht sagen, dass das kein ein-
drucksvoller Katalog von Angeboten gewesen ist. Das
war der Katalog der Gegenleistungen, der dem Iran für
seinen verbindlichen Verzicht auf Aktivitäten zur Uran-
anreicherung und -aufarbeitung angeboten wurde. Diese
Aktivitäten hätten zwar angesichts des gegenwärtigen
Stands des zivilen iranischen Programms momentan
überhaupt keinen Sinn gemacht, ihre Beendigung aber
hätte genau jene Garantie dargestellt, die seitens der
Weltgemeinschaft – das habe ich bereits gesagt – von
Teheran so nachdrücklich eingefordert wurde. Es han-
delte sich um das Angebot einer Inklusions- bzw. Ein-
bindungspolitik, das auf dem Prinzip des Gewinns für
beide Seiten basierte, und es enthielt eine gute Perspek-
tive für den Iran, der ja immense soziale und wirtschaft-
liche Probleme hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Reaktion war
aus europäischer Sicht niederschmetternd: Unser Ange-
bot ist nicht nur kaum geprüft zurückgewiesen worden,
sondern fünf Tage später hat der Iran seine Konversions-
aktivitäten in der Anlage in Isfahan sogar demonstrativ
wieder aufgenommen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Trotz des Angebots der E 3, weiterhin über die Vor-
schläge und ihre Verbindlichkeit zu reden, war das der
Beginn eines nervenaufreibenden Hin und Her und eines
Versteckspiels, das schließlich am 9. Januar dieses Jah-
res in der Wiederaufnahme der so genannten For-
schungsvorhaben einschließlich der Anreicherungs-
aktivitäten gipfelte. Damit war den Verhandlungen
definitiv die Grundlage entzogen, und zwar einseitig und
mutwillig, und es war der Punkt erreicht, zu dem Bun-
deskanzlerin Angela Merkel gestern noch einmal festge-
stellt hat, dass der Iran damit die so genannte rote Linie
überschritten hat und dass sich das die westliche Ge-
meinschaft in dieser Form nicht bieten lassen kann.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die einseitige Aufkündigung der vereinbarten Sus-
pendierung der Programme – vor allem des Programms
zur Urananreicherung – hat die internationalen Besorg-
nisse verstärkt. Diese Sorgen sind durch einen anderen
Faktor noch verstärkt worden, nämlich durch die nicht
hinnehmbaren Schmähungen und Drohungen gegen
den Staat Israel, einschließlich der Leugnung des Holo-
caust durch den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad;


(Beifall im ganzen Hause)


wir haben ja vor kurzem in diesem Hohem Hause da-
rüber debattiert.

Die Außenminister der E 3 haben dann am 12. Januar
festgestellt, dass vorerst keine Grundlage für Verhand-
lungen mehr gegeben ist. Zugleich haben sie aber ihre
Entschlossenheit betont, weiter nach einer Verhand-
lungslösung zu suchen. Ich nutze diesen Punkt gern, um
an den Kollegen Trittin und an den Kollegen Dr. Hoyer






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Gernot Erler
gerichtet noch einmal zu sagen: Über dieses gemeinsame
Vorgehen gibt es keinerlei Dissens mit der französischen
Seite; das ist auch in Blaesheim noch einmal betont wor-
den, jenseits der ganzen Debatte über Atomstrategien.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das doch einmal Herrn Jung!)


Die drei Verhandlungsstaaten haben ihre Überzeugung
zum Ausdruck gebracht, dass jetzt die Autorität der Ver-
einten Nationen gebraucht wird, um den Forderungen
der IAEO an den Iran Nachdruck zu verleihen; die drei
Staaten haben inzwischen mit vielen anderen Staaten
darüber geredet und debattiert. Egal welche Entschei-
dung die 35 Mitgliedstaaten des Gouverneursrats der
IAEO am 2. Februar treffen: Der Iran sollte die Ent-
schlossenheit der Weltgemeinschaft, sichere Garantien
gegen ein iranisches Atomwaffenprogramm zu bekom-
men, nicht unterschätzen.

Von vornherein hat die Bundesregierung auch den
Moskauer Kompromissvorschlag als sehr konstruktiv
begrüßt, der auf eine gemeinsame Urananreicherung au-
ßerhalb des Irans, auf russischem Boden, hinausläuft.
Erst hat Teheran – Herr Hoyer hat das geschildert – die-
sen Vorschlag brüsk zurückgewiesen. Seit gestern sieht
es so aus, als könnte sich dieses Fenster wieder etwas
öffnen. Wir begrüßen das ausdrücklich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Während die diplomatischen Bemühungen weiter auf
Hochtouren laufen, hat sich in der Öffentlichkeit in meh-
reren Ländern eine intensive Diskussion über mögliche
Sanktionen gegen den Iran – bis hin zur Anwendung mi-
litärischer Mittel – entwickelt. Eine solche Diskussion
hilft nicht weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus ist sie geeignet, den sehr breiten Kon-
sens in der Weltgemeinschaft über das Ziel der Verhand-
lungen mit dem Iran infrage zu stellen.

Die Bundesregierung beteiligt sich deshalb nicht an
solchen Spekulationen. Im Gegenteil: Der deutsche Au-
ßenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor wenigen
Tagen ausdrücklich vor einer Militarisierung des Den-
kens in diesem Kontext gewarnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Selbstverständlich bleibt die Bundesregierung bei ihrer
Politik einer umfassenden, weltweiten atomaren Abrüs-
tung, wie sie auch im Koalitionsvertrag enthalten ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Damit komme ich zum Schluss: Was jetzt gefragt ist,
sind nicht Spekulationen über militärische Optionen,
sondern internationale Geschlossenheit und gemeinsa-
mes Handeln. In diesem Sinne wird die Bundesregierung
ihre Bemühungen fortsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601406900

Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Norman

Paech von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601407000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis heute

morgen wollte ich meine Rede eigentlich damit begin-
nen, dass hier über zwei Dinge offensichtlich Konsens
besteht, nämlich dass die Anzahl der Atomwaffenstaaten
auf keinen Fall steigen darf und dass eine militärische
Intervention gegen den Iran auf jeden Fall zu verhindern
ist.

Nun ist vom ehemaligen Kollegen Scholz die Unge-
heuerlichkeit zu hören, im Zweifel müsse auch Deutsch-
land Atomwaffen gegen den Terrorismus einsetzen. Ich
hoffe, meine Kolleginnen und Kollegen aus der CDU,
dass dies eine absolute Minderheitsmeinung ist, die Sie
nicht vertreten, und dass Ihre Partei den aus dem Ruder
gelaufenen ehemaligen Kollegen wieder einfängt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist in demokratischen Parteien schwierig!)


Denn solche Äußerungen zerstören den Konsens, den
wir bisher in der Innen- und Außenpolitik gehabt haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn über die beiden oben genannten Punkte noch
immer Konsens besteht, dann stellt sich die Frage, wo
das Problem liegt. Liegt es beim Iran, wie die meisten
von Ihnen sagen, bei den USA oder vielleicht in den Ver-
handlungen selbst? Dazu einige Worte – dabei kommt
es, Herr Erler, auf die Pointierung an –:

Die EU fordert: Keine Entwicklung und Produktion
von Atomwaffen. Antwort des Iran: Das war nie unser
Plan und wir haben es auch nicht vor. Darauf USA und
EU: Wir haben keine Beweise, glauben und trauen euch
aber nicht. Wir kehren deshalb die Beweislast um und
werden euch erst dann glauben, wenn ihr definitiv auf
jede Urananreicherung verzichtet. Antwort des Iran:
Wie kommen wir dazu, auf etwas zu verzichten, auf das
kein anderer Staat der Welt verzichtet – am wenigsten
die EU und die USA – und was uns der Atomwaffen-
sperrvertrag ausdrücklich gestattet? Darauf die EU:
Wenn ihr verzichtet, bieten wir euch weitestgehende
Kooperation in der Wirtschaft, Wissenschaft und Atom-
energie an; das hat Herr Erler in extenso ausgeführt. Wir
werden euch sogar Brennelemente aus dem Ausland lie-
fern und euch bei der Aufnahme in die WTO unterstüt-
zen. Doch der Iran lehnt wieder ab. Jetzt will man ihn
vor den UN-Sicherheitsrat bringen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech
Lassen wir einmal die wirklich unerträglichen Äuße-
rungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad bei-
seite.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das Atomprogramm am besten auch!)


– Wir sind bei der Qualifizierung einer Meinung. – Seine
Äußerungen für sich genommen erfordern noch kein
Eingreifen des Sicherheitsrates. Was verlangt man ei-
gentlich vom Iran? Man verlangt die Aufgabe eines
Stücks seiner Souveränität,


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Quatsch!)


ohne ihm in den beiden für ihn entscheidenden Anliegen
ein adäquates Angebot zu machen: bei der Forderung
nach Unabhängigkeit seiner Energieversorgung und bei
seiner berechtigten Wahrnehmung der Bedrohung durch
die Nachbarstaaten, die entweder im Besitz von Atom-
waffen sind oder Protektorate der USA.

Hier fahren zwei Züge, zunächst noch langsam, aber
mit immer größer werdender Geschwindigkeit, auf-
einander zu. Wenn sie im UN-Sicherheitsrat aufeinander
treffen, dann ist der einzige substanzielle Vorwurf gegen
den Iran, gegen das Safeguards-Abkommen mit der
IAEO verstoßen zu haben.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Immerhin!)


Das ist noch kein hinreichender Grund für Sanktionen
nach dem VII. Kapitel der UN-Charta. Wir müssen fest-
stellen: Der Iran hat noch nie gegen den Atomwaffen-
sperrvertrag verstoßen; das behaupten auch Sie, Herr
Erler, nicht.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Doch! Natürlich!)


Wir kennen doch die Mechanismen, wie aus Regel-
verstößen, die man nicht leugnen kann, eine Gefahr für
den internationalen Frieden konstruiert wird, um damit
das Tor für Sanktionen zu öffnen, die dann bis zu militä-
rischen Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 der UN-Charta
gehen können. Hier müssen wir ernst nehmen, was Au-
ßenministerin Condoleezza Rice noch vor wenigen Ta-
gen gesagt hat, dass sich nämlich der amerikanische Prä-
sident immer alle Optionen offen halte.

Erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang bitte an
die Zeit vor dem Irakkrieg. Auch damals sprachen etli-
che in diesem Hohen Hause von der Notwendigkeit, eine
Drohkulisse aufzubauen, um der Diplomatie zum Erfolg
zu verhelfen. Auch damals war der UN-Sicherheitsrat
eine der Etappen der Eskalation. Was daraus geworden
ist, können wir täglich sehen. – Um es kurz zu machen:
Es sind ganz offensichtlich die gegenwärtigen Verhand-
lungen selbst und konkret die nicht akzeptablen Ange-
bote an den Iran, die die Gefahr eines militärischen
Endes hervorrufen.

Die Frage ist, was die Alternativen sind; das wurde
schon angesprochen. Ich will konkret vier Alternativen
nennen:

Erstens. Das russische Angebot einer gemeinsamen
Urananreicherung mag ein zukunftsweisender Weg für
die Energieversorgung sein; die Beseitigung der atoma-
ren Bedrohung kann es aber nicht bewirken.

Zweitens. Die EU fordert vom Iran ein Moratorium.
Warum fordert sie ein solches eigentlich nur vom Iran
und nicht weltweit?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601407100

Herr Kollege Paech, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601407200

Nur ein weltweites Moratorium für neue Urananrei-

cherungsanlagen wäre ein wirklich ehrliches Angebot,
das auch der Iran nicht abschlagen könnte. Das ist übri-
gens ein Vorschlag von al-Baradei.

Drittens. Die USA müssen gegenüber dem Iran end-
lich auf Gewalt verzichten.

Viertens. Darauf ist schon hingewiesen worden:
Letztendlich wird in dieser Region nur dann Frieden ein-
treten, wenn der Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone
von Israel bis Indien endlich in die Tat umgesetzt wird.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601407300

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg. Bitte schön.


(CDU/ CSU)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich voranstellen, dass die CDU/
CSU-Fraktion die Äußerungen von Professor Scholz
weder als hilfreich noch als in der Sache dienlich erach-
tet und als solche auch nicht unterstützt.


(Beifall im ganzen Hause)


Sehr verehrter Herr Professor Paech, trotz einiger
Differenzen war die Debatte bislang von einem hohen
Konsens dahin gehend geprägt, worauf der Schwerpunkt
zu legen ist. Der Schwerpunkt in dieser Debatte ist nicht
im Wesentlichen dort zu sehen, dass wir mit dem nack-
ten Finger des Vorwurfs auf unsere Bündnispartner zei-
gen, sondern dass wir uns auch damit beschäftigen, wo
das Problem als solches eigentlich liegt. Es ist zunächst
einmal im iranischen Regime anzusiedeln und weniger
bei denen, die Sie gerade genannt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich vor dem Hintergrund dessen, wes-
halb diese Debatte beantragt wurde, das aufgreifen, was
Ruprecht Polenz bereits angeschnitten hat. Man kann
sich sicherlich mit Recht darüber streiten, ob der Tonfall
und der Zeitpunkt der Äußerung von Chirac wirklich
glücklich gewählt waren; aber er hat die Welt mit seinen
Äußerungen tatsächlich nicht neu erfunden. Die Fort-
schreibung der französischen Nukleardoktrin als sol-
che ist seit längerem bekannt. Sie wurde in den französi-






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
schen Medien in den letzten Jahren bereits behandelt und
sie wurde auch von den deutschen Medien aufgegriffen.
Von daher ist die Aufregung über die Äußerungen
Chiracs doch ein wenig weit gehend.

Herr Professor Paech, wir sollten sehr darauf achten,
dass insbesondere in der öffentlichen Meinung nicht das
Bild und die Auffassung entstehen, dass sich die Vorzei-
chen bereits umgekehrt haben. Die Bedrohung als solche
geht nicht von Frankreich, Israel oder den Vereinigten
Staaten von Amerika aus, sondern die Ursache der Be-
drohung ist im iranischen Regime und beim Iran selbst
zu suchen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen: Wenn wir hier die Vorzeichen umkehren,
dann bringen wir die Dinge in ein völlig falsches Licht.

Ein weiterer Gedanke, der damit im Zusammenhang
steht, sollte mit aller Klarheit unterstrichen werden
– hier klang nämlich etwas anderes ein wenig durch und
es wurde in den vergangenen Monaten auch schon von
anderen Mitgliedern dieses Hauses geäußert –: Es muss
für uns inakzeptabel sein – das ist es auch –, sich mit
dem Gedanken anzufreunden, dass wir uns am Ende des
Tages mit einem nuklearisierten Iran abfinden. Das
kann und darf nicht in unserem Interesse sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir uns gerade vor dem Hintergrund
der offenen Fragen – es scheint in vielerlei Hinsicht ein
Dilemma zu sein – noch einmal gewahr werden müssen,
welche Optionen sich uns noch bieten. Ich glaube, dass
wir uns dieser Diskussion gerade auch vor dem Hinter-
grund des iranischen Raketenprogramms etwas inten-
siver stellen müssen, das bereits NATO-Gebiet umfasst,
das Israel als klar definiertes Ziel hat und innerhalb des-
sen bereits in diesem Jahr die Erreichbarkeit Europas ei-
nem Test unterzogen werden soll.

Vor diesem Hintergrund wird auch für unsere interne
Debatte folgendes Wechselspiel bedeutsam: Wie steht
unser unmittelbares Sicherheitsinteresse zu unserem
langfristigen Wirtschaftsinteresse, vielleicht auch Ener-
gieversorgungsinteresse? Ich glaube, dass wir diese De-
batte bislang noch nicht intensiv genug führen. Das hat
möglicherweise auch etwas mit dem ökonomischen
Sanktionspotenzial Europas zu tun. Nun muss das in
die Debatte eingeführt werden.

Ich stimme Ruprecht Polenz zu und auch Gernot Erler
hat das richtigerweise angesprochen: Der russische Vor-
schlag muss ernsthaft erwogen werden. Er darf natürlich
nicht dazu führen, dass dies wiederum nur einen Zeitge-
winn für die iranische Führung, das iranische Regime
bedeutet. Auch müssen wir nach Kräften dafür sorgen,
dass insbesondere die Chinesen entsprechende Vor-
schläge mit unterstützen und in diesem Fall keine Ge-
genvorschläge machen.

Entscheidend bleibt aber, dass wir unser Vorgehen so-
wohl mit unseren europäischen Partnern als auch mit den
Vereinigten Staaten von Amerika engstens abstimmen;
denn jeder – das war bei Ihnen herauszuhören, Herr Pro-
fessor Paech – antiamerikanische Reflex, den wir her-
vorrufen, und jeder Versuch, unsere europäischen Part-
ner öffentlichkeitswirksam aus der Geschlossenheit
hinauszutreiben, bestätigt die Iraner in ihrer Taktik, die
westliche Staatengemeinschaft zu spalten. Das kann und
darf nicht in unserem Interesse sein. Die Geschlossen-
heit ist unser Stärkemoment, das wir auch darstellen
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir werden – damit schließe ich – einen Gedanken et-
was klarer fassen müssen, nämlich welche Optionen Eu-
ropa und welche Optionen die Vereinigten Staaten ha-
ben. Ich glaube, dass die Vereinigten Staaten ihr
Potenzial, was Anreize für Iran anbelangt, noch nicht
ausgeschöpft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wir auf europäischer Seite haben unsere Potenziale
auf friedlichem Wege – ich bin ebenfalls klar gegen eine
militärische Option in diesem Gesamtkontext – noch
nicht ausgeschöpft. Darauf müssen wir hinarbeiten, das
ist unsere Zielsetzung. Das ist allemal besser als die
Analogien, Professor Paech, die Sie vorhin gezogen ha-
ben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601407400

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von

Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601407500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Hauptproblem ist deutlich benannt worden. Die primäre
Herausforderung ist, wie das iranische Streben nach
Atomwaffen verhindert und eine unabsehbare Eskalation
der Auseinandersetzung darum abgewendet werden
kann. Dafür sind Geschlossenheit, Glaubwürdigkeit und
äußerste Sorgfalt in Bezug auf Strategie wie auch öffent-
liche Formulierung unbedingt notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Minister Jung, ich danke Ihnen, dass Sie jetzt
hier sind, und darf Sie direkt ansprechen. Sie haben be-
kanntlich in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“
im Hinblick auf den Iran und auf eine Drohkulisse er-
klärt, man benötige alle Optionen. Ich unterstelle Ihnen
in keiner Weise, dass Sie eine so genannte militärische
Option in irgendeiner Art anstreben würden. Aber es ist
eine alte sicherheitspolitische Grunderfahrung: Wer eine
militärische Option offen lässt, muss auch zu ihrer Um-
setzung grundsätzlich bereit sein und muss alle Konse-
quenzen bis zum Ende durchdenken. Eine realistische
und verantwortbare militärische Option gegenüber dem
Iran gibt es nicht. Deshalb ist, so meinen wir, die offene






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
Formulierung, die Sie in diesem Interview gewählt ha-
ben, fahrlässig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Stellungnahmen aus den Reihen der Union zur
Rede des französischen Staatspräsidenten spielen die Sa-
che schon sehr herunter. Kollege Polenz, in dieser Frage
dürfen wir keine künstlichen Gegensätze aufbauen; das
ist völlig richtig. Allerdings werden da die Dinge sehr
heruntergespielt und münden in einer deutlichen Ver-
harmlosung.

Die Tatsache, dass nach Hiroschima und Nagasaki
keine weiteren Atomwaffen eingesetzt wurden, ist kein
Grund, sich an atomare Abschreckung zu gewöhnen. Sie
bleibt eine Kalkulation mit unterschiedsloser Massen-
vernichtung und dem faktischen Bruch allen Kriegsvöl-
kerrechts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Präsident Chirac beteuerte in seiner Rede, dass die
französischen Atomwaffen nur der Abschreckung dien-
ten und keine Kriegswaffen seien. Zugleich aber sagte
er, dass auch Staaten abgeschreckt werden sollten, die
Terrorismus förderten und gegebenenfalls Massenver-
nichtungswaffen gegen uns – gegen Frankreich und
seine Verbündeten – einsetzen würden oder wollten. Er
sagte des Weiteren, französische Atomwaffen sollten
auch der Verteidigung unserer „strategischen Versor-
gung“ dienen.

Hinzu kommt, dass in Frankreich seit geraumer Zeit
eine ernsthafte Diskussion über die so genannte Minia-
turisierung von Atomwaffen geführt wird. Hierzu ist
zusammen mit den USA ein ambitiöses Simulationspro-
gramm entwickelt worden. Ab 2010 wird es Annahmen
zufolge möglich sein, kleinere Atomwaffen sehr reali-
tätsnah zu planen und zu testen.

Ich fasse zusammen: Erstens weitet Frankreich seine
atomare Abschreckung aus. Der Adressat ist angesichts
des Zeitpunkts – dieser Interpretation folgen durch die
Bank auch die weltweiten Medien – offensichtlich der
Iran. Zweitens ist eine gewisse Öffnung in Richtung der
Kriegsführungsfähigkeit mit Atomwaffen zu verzeich-
nen.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das hat er expressis verbis ausgeschlossen!)


Die Verbreitung von Atomwaffen stellt neben dem in-
ternationalen Terrorismus gegenwärtig die Hauptbedro-
hung der internationalen Sicherheit dar. Wer heute eine
atomare Drohung oder eine atomare Option gegenüber
dem Iran zumindest andeutet, fördert die Weiterverbrei-
tung, statt sie einzudämmen, und er fördert die Solidari-
sierung der dortigen Gesellschaft mit denjenigen, die tat-
sächlich über Atomwaffen verfügen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Rede des französischen Präsidenten lenkt den
Blick darauf, dass der französische Verbündete mit sei-
ner Nuklearpolitik einer glaubwürdigen Nichtverbrei-
tungspolitik in den vergangenen Jahren leider eher ge-
schadet als genutzt hat. Dies ist aber bei uns in der
Politik insgesamt eher als Tabu behandelt worden.

Diese Widersprüche beeinträchtigen die Glaubwür-
digkeit und Wirksamkeit der europäischen Nichtverbrei-
tungspolitik zurzeit auch gegenüber dem Iran. Das muss
zumindest intern dem französischen Verbündeten deut-
lich gemacht werden. So, wie die Bundeskanzlerin aber
die öffentliche Kritik in Deutschland abgekanzelt hat,
haben wir leider keinen Hinweis darauf, dass dies we-
nigstens unter vier Augen geschehen wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist beunruhigend, weil damit die Militarisierung
der Auseinandersetzung um das iranische Atompro-
gramm hingenommen zu werden scheint. Es handelt sich
dabei um eine Militarisierung des Denkens, die nicht zur
Lösung des gefährlichen Konflikts beiträgt, sondern Öl
in die Glut leitet.

Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, die bisherige
Eindeutigkeit der deutschen Iranpolitik wieder herzustel-
len. Wir brauchen die glaubwürdige Geschlossenheit der
Staatengemeinschaft gegenüber dem iranischen Atom-
programm.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601407600

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Mützenich von

der SPD-Fraktion.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1601407700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, die Rede des französischen Präsidenten in der
vergangenen Woche hat in der Tat nicht viel Neues ent-
halten. Darüber, ob der Zeitpunkt richtig gewählt wor-
den ist, kann man streiten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er war falsch! Sagen Sie das doch!)


Ich glaube, wir haben damals auch zu Recht zwischen
Grünen und SPD – die CDU/CSU durfte damals nicht
zustimmen – bei der Beratung eines Antrags im Zusam-
menhang mit der Überprüfungskonferenz festgestellt,
dass die französischen Atomwaffen seit Mitte der 90er-
Jahre modernisiert werden.

Dennoch glaube ich nicht, dass es darum geht, ob der
Präsident in seiner Rede viel Neues gesagt hat. Ich
glaube vielmehr, dass es um folgende Fragen geht: Wird
eine atomare Militärdoktrin den neuen Bedrohungen ge-
recht? Ist die Politik der Atomwaffenstaaten und damit
auch Frankreichs mit dem Atomwaffensperrvertrag ver-
einbar? Kann mithilfe einer nuklearen Abschreckungs-
doktrin das Aufkommen neuer Atomwaffenstaaten ver-
hindert werden?

Leider muss man diese drei Fragen verneinen. Man
wird den internationalen Terrorismus nicht durch
Nuklearwaffen abschrecken können. Die Atomwaffen-
staaten müssten meines Erachtens dem Auftrag des
Atomwaffensperrvertrags und den 13 Punkten der Über-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
prüfungskonferenz nachkommen und atomar abrüsten.
Das Entscheidende ist, dass das Festhalten an Atomwaf-
fen und deren Modernisierung andere Staaten verleitet,
solche Waffen möglicherweise für sich selbst vorzuhal-
ten. Das ist im Grunde genommen der Kern, über den
man debattieren muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte drei Tendenzen aufzeigen, die in letzter
Zeit in der internationalen Politik eine Rolle gespielt ha-
ben und auf die alle Kernwaffenstaaten reagieren müss-
ten. Die erste feststellbare Tendenz ist, dass militärische
Gewalt wieder als Instrument in die internationale Poli-
tik aufgenommen wird. Das hat in den USA im Zusam-
menhang mit dem Irakkrieg stattgefunden. Das findet
aber auch in Russland statt. Erinnern wir uns nur an
Tschetschenien oder an die Überlegungen des General-
stabschefs der russischen Streitkräfte betreffend präven-
tive Atomschläge. Genauso ist es in China. Denken wir
nur an die Taiwanfrage. Auch hier wird über militärische
Gewalt als legitimes Mittel diskutiert. Das müssen wir
zurückweisen; denn das ist eine große Gefahr für die in-
ternationale Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Tendenz ist, dass darüber diskutiert wird,
ob Atomwaffen eine neue Rolle zugewiesen werden soll
und ob das nukleare Gewaltmonopol wieder auf die na-
tionalstaatliche Ebene übertragen werden darf. Nach
meiner Auffassung ist es nach 1945 ein großer Fort-
schritt gewesen, dass wir das an den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen überwiesen haben. Das Neue an der
Rede von Chirac ist, dass er die Befugnisse, über den
Einsatz von Nuklearwaffen zu entscheiden, auf die na-
tionalstaatliche Ebene zurückholen will. Das muss man
zurückweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die dritte Tendenz steht – darum geht es letztlich – im
Zusammenhang mit der iranischen Atomkrise. Der Iran
hat in den letzten Wochen – machen wir uns nichts vor –
die Krise eskalieren lassen. Das muss man kritisieren
und zurückweisen. Herr Professor Paech, es ist eine Ver-
harmlosung, wenn Sie die Worte von Ahmadinedschad
nicht kritisieren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Letztlich herrschte im Bundestag Konsens über dieses
Thema. Ich finde, das sollte man in dieser Debatte er-
wähnen.

Der entscheidende Punkt ist: Der Iran hat gegen die
Regeln des Atomwaffensperrvertrages verstoßen. Das
hat die Internationale Atomenergiebehörde oft genug
festgestellt. Sie überprüft dies weiterhin. Aber es ist legi-
tim, nun darüber nachzudenken, ob der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen – das ist das richtige Gremium –
aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse dem Iran in Zu-
kunft besser bzw. möglicherweise konkreter drohen
kann. Das kann die Internationale Atomenergiebehörde
nicht. Deswegen muss der Fall Iran an den Sicherheitsrat
überwiesen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir, die SPD-Fraktion, unterstützen das, was der Au-
ßenminister in den vergangenen Tagen gesagt hat. Es
war gut, dass er ständig darauf geachtet hat, dass es zu
einem gemeinsamen Vorgehen der Europäischen Union
kommt. Darauf müssen wir weiter setzen. Die EU-3-
Staaten müssen an ihrer gemeinsamen Position festhal-
ten, genauso wie der Beauftragte für äußere Angelegen-
heiten der Europäischen Union. Die Verhandlungen in
den letzten zwei Jahren waren gut; denn heute wissen
wir mehr darüber, was der Iran gegenüber der Internatio-
nalen Atomenergiebehörde verschwiegen hat. Diese öf-
fentliche Diskussion hat sich gelohnt.

Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, das auf-
zugreifen, was der Kollege Hoyer gesagt hat. Es ist an
der Zeit, die Rüstungskontrolle wieder auf die Tagesord-
nung der internationalen Politik zu setzen.


(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darin unterstütze ich die Bundesregierung. Wir haben
gelernt, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung die Ent-
spannung in Europa gefördert haben. So sollten wir auch
andere Rüstungskrisen entschärfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601407800

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Georg Wellmann

von der CDU/CSU-Fraktion.


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1601407900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situa-

tion ist außerordentlich beunruhigend. Der Iran entwi-
ckelt eine Nukleartechnologie, deren Ausmaß und Um-
fang vernünftigerweise keinen anderen Schluss zulassen,
als dass Atomwaffen gebaut werden sollen. Dort werden
Komponenten entwickelt und tatsächlich gebaut, die
man für die zivile Nutzung der Kernenergie nicht benö-
tigt und deren enorme Kosten nur dann Sinn machen,
wenn es Ziel ist, Atomwaffen zu besitzen.

Der Iran entwickelt Trägersysteme, was vernünftiger-
weise keinen anderen Schluss zulässt, als dass andere
Nationen damit bedroht werden sollen. Ich meine damit
nicht nur Nationen im näheren Umfeld, sprich Israel. Ich
frage mich vielmehr: Warum braucht der Iran Raketen,
die 2 000 Kilometer weit fliegen und Europa erreichen
können? Der französische Generalstabschef hat wörtlich
gesagt, er hielte das für einen Albtraum. Ich glaube, der
Mann weiß, wovon er redet.


(Uta Zapf [SPD]: Na klar!)







(A) (C)



(B) (D)


Karl-Georg Wellmann
Der Iran verhält sich auch heute so, dass der Schluss
nahe liegt, er meine es mit seiner Nuklearrüstung bitter-
ernst. Da wurde gelogen und getäuscht. Ich erinnere da-
ran, dass die Anlage zur Anreicherung von Uran zu-
nächst als Armbanduhrenfabrik deklariert wurde. Mit
denen kann man – das wissen wir – jedenfalls kein Uran
anreichern, aber mit den Gaszentrifugen, die in dieser
Fabrik stehen und ausschließlich dem Zweck der Anrei-
cherung waffenfähigen Materials dienen.

Ich warne auch vor Wunschdenken. Es gibt viele, die
glauben, der Mann meine es bestimmt nicht so ernst,
Ahmadinedschad werde innenpolitisch Schwierigkeiten
bekommen und er werde sich nicht durchsetzen. Das
mag sein. Ich glaube aber, der Mann meint tatsächlich,
was er sagt. Seine abstoßenden Äußerungen zu Israel ha-
ben wir alle gehört. Es ist schon reichlich eklig – das will
ich in dieser Form hier einmal sagen –, wenn jetzt die
deutschen Rechtsradikalen mit Horst Mahler an der
Spitze nach Teheran pilgern,


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


um dort ihre zwanghaften Fixierungen gegen jüdische
Menschen und gegen Israel auszuleben.

Die Frage ist: Wie sollen wir reagieren? Möglichkeit
eins: gar nichts machen, also business – im wahrsten
Sinne des Wortes – as usual; es wird schon nicht so
schlimm werden. Vielleicht hilft es ja, Herr Trittin, den
Mullahs weiter gut zuzureden. Die Folge wird sein, dass
sie – nach unseren Informationen – eher früher als später
die Atombombe haben werden. Ich glaube nicht, dass sie
sie gleich einsetzen werden. Sie kennen die Fähigkeiten
Israels und sie haben sicher auch die Äußerungen des
französischen Staatspräsidenten zur Kenntnis genom-
men. Aber sie streben als Nuklearmacht die Vormacht-
stellung in der arabisch-muslimischen Welt an. Der Iran
wird sich bei dem Export von Terrorismus noch unan-
greifbarer fühlen. Wir wissen seit langem, dass der Iran
den Dschihad im Kampf gegen Israel unterstützt.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist genau der Punkt!)


Möglichkeit zwei: eine militärische Lösung. Die will
kein verantwortlicher Politiker, insbesondere nicht die
deutsche Bundesregierung. Ich darf sagen, Herr Trittin,
dass es eine Unverfrorenheit ist, dass ein Sprecher der
Grünen – das ging heute über die Agenturen – Frau
Merkel vorwirft, sie gehe von der Friedenspolitik ab und
wolle etwas anderes. Dies weise ich in aller Form zu-
rück.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich das Zitat des Chefs der Atomener-
giebehörde, Herrn al-Baradei, vorlesen. Er sagt wörtlich:

Diplomatie ist nicht nur Reden. Diplomatie braucht
auch Druckmittel und, in extremen Fällen, Gewalt.

Das sagt dieser vorsichtige Mann. Ich meine, es wäre
falsch, die militärische Option von vornherein als aller-
letzte Konsequenz auszuschließen. Die Grünen tun das,
die Linkspartei auch. Ich glaube, Ihre Haltung wird die
Mullahs in Teheran ungeheuer beeindrucken und sie
werden allein deshalb von ihrer Atompolitik ablassen.
Ich stelle mir auch vor – das sollten Sie und auch Herr
Paech sich einmal überlegen –, welchen Eindruck es auf
die Menschen in Israel macht, dass Sie angesichts einer
Nuklearrüstung des Iran als Erstes die Sorge um die ter-
ritoriale Unberührtheit des Iran formulieren. Ich warne
vor dem Eindruck, der da erzeugt wird.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen doch einen Pappkameraden auf, wenn Sie mich mit Herrn Paech in eine Reihe stellen!)


Das passt ins Bild. Ich habe mir ein Zitat von Altaußen-
minister Fischer herausgesucht. Er hat in der „Süddeut-
schen Zeitung“ – da war er schon einige Jahre Außen-
minister – gesagt, der Iran rücke immer mehr als
politischer Stabilitätsfaktor in den Vordergrund; das
Land sei im Aufbruch zu demokratischen Reformen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war, als Chatami zum Präsidenten gewählt worden ist!)


Die Grünen kommen einen langen Weg, bis sie die Si-
tuation realistisch einschätzen.

Herr Kollege Paech, ich muss Ihnen sagen: Ihre Ein-
lassungen sind völlig unglaubwürdig. Sie waren es – ich
habe das nachgelesen –, der die Intervention der Sowjet-
union in Afghanistan mit warmen Worten gelobt hat. Ich
habe mir das Zitat herausgesucht. Sie sagen, wegen der
offenen Interventionsdrohung der USA gegenüber dem
Iran und wegen der konterrevolutionären Einmischung
Pakistans sei die friedliebende Sowjetunion dem armen
Afghanistan zu Hilfe geeilt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese Doppelmoral, Herr Paech, ist in der Tat unerträg-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Treffer! Versenkt!)


Das Problem ist, dass Sie all dies und noch viel mehr
veröffentlicht haben. Ich habe schöne Zitate von Ihnen
gefunden; man kann das heute alles nachlesen.

Unsere einzig realistische Möglichkeit ist, internatio-
nal wirkungsvoll – das heißt vor allem: gemeinsam mit
Russland und möglichst auch gemeinsam mit China –
Druck aufzubauen. Russland und China haben kein Inte-
resse an einer neuen Atommacht an ihren Südgrenzen.


(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Auch die Chinesen, Herr Trittin, haben ein Interesse an
gesicherten, stabilen Energielieferungen. Sie haben kein
Interesse an einer Atommacht, die, wie Michael Stürmer
sagt, „apokalyptisch, sektiererisch“ gepolt ist.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601408000

Herr Kollege Wellmann, kommen Sie bitte zum

Schluss.


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1601408100

Deshalb macht ein wirklich entschlossenes Vorgehen

der Staatengemeinschaft Sinn. Das muss im Vordergrund
der diplomatischen Bemühungen der deutschen Regie-
rung stehen. Dafür hat sie die Unterstützung meiner
Fraktion.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601408200

Herr Kollege Wellmann, im Namen des ganzen Hau-

ses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt die Kollegin Uta Zapf von der
SPD-Fraktion.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1601408300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lassen Sie mich am Anfang ein Wort zu den Kolle-
gen sagen, die zuvor gesprochen haben. Wir sollten das,
was Herr Scholz gesagt hat, nicht herunterspielen, son-
dern ernst nehmen.


(Zuruf des Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/ CSU])


– Nein, Sie haben gesagt: nicht hilfreich und sachdien-
lich. – Ich finde, es geht weit darüber hinaus, weil es
eine Anregung war, unsere eigenen Sicherheitsstruktu-
ren in der Weise zu verändern, dass wir den Nichtver-
breitungsvertrag beenden und die gesamte Politik, die
wir vorher als Nichtatomwaffenstaat glaubwürdig ge-
macht haben, aufgeben sollten. Auch der Vorschlag von
Herrn Chirac, die Nuklearwaffen Frankreichs – sicher-
lich denkt er auch an die Großbritanniens – zum Be-
standteil der ESVP zu machen, ist ganz prekär.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich fürchte mich davor, dass eine Diskussion über einen
solchen Vorschlag die gesamte Politik ruiniert, die wir
gemeinsam in diesem Hause bisher entwickelt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Aktuelle Stunde trägt den Titel „Warnungen vor
einer Militarisierung der Auseinandersetzung um das
iranische Atomprogramm“. Man muss all denjenigen,
die eine militärische Option in Bezug auf den Iran for-
dern oder für sinnvoll halten, die Frage stellen, ob sie die
Folgen einer militärischen Operation überhaupt über-
prüft haben. Ich muss mit Erschrecken feststellen, dass
mein Verteidigungsministerium mir als Parlamentarierin
die Erfüllung der Bitte versagt hat, mir ein militärisches
Briefing zu geben. Möglicherweise geschah das in der
Angst, dass ich mich heute hierhin stelle und sage: Das
ist doch möglich und die Bundesrepublik macht dort mit.

Mir ging es darum, dass man sich wirklich einmal
überlegt, was die Anwendung einer militärischen Option
bedeutet. Ich fordere dazu auf, kurz den Blick auf den
Irak zu richten. Ich glaube, mehr brauche ich dazu nicht
zu sagen. Man bedenke sämtliche Konsequenzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Von hier aus möchte ich Herrn Steinmeier noch ein-
mal für die Ablehnung der Militarisierung des Denkens
recht herzlich danken. Es ist wichtig, auf den Pfad der
Verhandlungen zurückzukehren, wie es Herr Erler hier
geschildert hat.

Iran pocht auf sein in Art. IV des Atomwaffensperr-
vertrages verankertes Recht; aber es bestehen Zweifel,
dass er die in diesem Vertrag niedergelegten Verpflich-
tungen einhält. Über diesen Punkt müssen wir diskutie-
ren.

Ich möchte noch auf ein sicherheitspolitisches Thema
von allgemeiner Bedeutung eingehen. Die IAEO hat
zwei Aufgaben: Zum einen soll sie mithilfe der Safe-
guards und anderer die friedliche Nutzung der Atom-
energie ermöglichen; zum anderen soll sie gegenüber
den Atommächten immer wieder mahnen, was in Art. VI
des Atomwaffensperrvertrages steht. Wir müssen uns
einmal den momentanen Zustand der nuklearen Abrüs-
tung anschauen: Seit 1995 gibt es einen Stillstand. Nach
der Agonie, in die die Überprüfungskonferenz zum
Atomwaffensperrvertrag hineingeraten ist, können wir
für die Zeit nach 2005 eigentlich nur Rückschritte fest-
stellen.

Auch im Hinblick auf die Doktrinen gibt es eine Ent-
wicklung, die mir Angst macht. Das, was Chirac gesagt
hat, kann man auch anders interpretieren. Die Doktrin
der USA für den Einsatz von Nuklearwaffen – sie liegt
schwarz auf weiß vor – erklärt Nuklearwaffen zu Kriegs-
waffen und sieht Präemptivschläge vor. Sie besagt aus-
drücklich, dass man einen Gegner auf seinem eigenen
Territorium mit Nuklearwaffen treffen darf, wenn dieser
möglicherweise über Massenvernichtungswaffen ver-
fügt. Dies ist eine ganz große Gefahr. In noch viel höhe-
rem Maße als bei Frankreich ist bei den USA zu sehen,
dass die Waffendesigns bereits auf dem Reißbrett liegen.

Wir müssen uns ernsthaft darauf besinnen, zur nu-
klearen Abrüstung zurückzukommen. Wir brauchen ei-
nen Atomteststopp, einen Cut-off, aber auch wieder eine
Diskussion über atomwaffenfreie Zonen. Das Wichtigste
wäre, dass sich die internationale Staatengemeinschaft
bemüht, über regionale Sicherheitskonzepte unter Einbe-
ziehung aller Nachbarn endlich gemeinsam zu diskutie-
ren. Da sind wir als Europäer, die USA und die UNO in
gleichem Maße gefragt.

In diesem Zusammenhang kann man dann auch an-
fangen, über atomwaffenfreie Zonen in diesem Bereich
zu diskutieren. Man muss sich die Sicherheitsbedürf-
nisse der einzelnen Staaten anschauen. Einige Staaten






(A) (C)



(B) (D)


Uta Zapf
meinen mittlerweile, dass sie sich überhaupt nur mit
Nuklearrüstung schützen können. Das gilt für Indien, Pa-
kistan und Nordkorea und das können wir exemplarisch
möglicherweise auch am Iran sehen. Es geht darum, ein
globales Sicherheitskonzept zu entwickeln, wie al-
Baradei auch gefordert hat. Er hat nicht nur gefordert, zu
drohen. Er hat auch gesagt: Die internationale Staatenge-
meinschaft muss ein globales Sicherheitskonzept entwi-
ckeln, das nicht von nuklearer Abschreckung geprägt ist,
sondern das die Sicherheitsinteressen der einzelnen Staa-
ten berücksichtigt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601408400

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1601408500

Letzter Satz. – Wir müssen in diesem Kontext wirk-

lich etwas angehen, was die OSZE in Europa geschafft
hat und was auch die Europäische Union vorexerziert:
gemeinsame Sicherheit organisieren, Vertrauensbildung
und Abrüstung endlich wieder auf den Tisch des Hauses
bringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601408600

Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz von der

CDU/CSU-Fraktion.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1601408700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Zapf, es gehört zum Verfassungskonsens der
Bundesrepublik Deutschland, dass wir weder Atomwaf-
fen besitzen wollen noch an ihren Einsatz denken.


(Uta Zapf [SPD]: Sagen Sie das bitte Herrn Scholz, nicht mir!)


– Die Aussagen des sonst sehr geschätzten Herrn Kolle-
gen Professor Scholz sowie des Herrn Professor Paech
rauben einem jeden Glauben – soweit man ihn überhaupt
jemals hatte – an die besondere Fähigkeit von Professo-
ren, mit den Dingen dieser Welt umzugehen. Deshalb
sollte man gar nicht weiter darüber nachdenken.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine meiner Heimatzeitungen, die „Westfälische
Rundschau“ in Dortmund, titelt heute „Iran kauft Atom-
teile illegal in Deutschland“. Der Bericht beruht auf In-
formationen aus dem Zollkriminalamt. Er signalisiert
mir zwei Dinge: Erstens zeigt er, dass wir mit dem, was
in den 90er-Jahren nach den Erfahrungen in Rabda etc.
zur Bekämpfung illegaler Exporte, zur Begrenzung von
Rüstungsexporten und Exporten von Dual-Use-Gütern
und deren Kontrolle sowie zur Vorfeldaufklärung aufge-
baut worden ist, gut gehandelt haben und dass das er-
folgreich ist, selbst wenn man kriminelle Handlungen in
diesem Bereich nie ausschließen kann.

Dieser Artikel signalisiert ein Zweites, nämlich dass
das Beschaffungswesen des Iran im nuklearen wie im
biologischen Bereich auf eine aggressive Ausstattung
dieses Landes weist, dass es nicht darum geht, defensive
Fähigkeiten zu verbessern, sondern darum, ausschließ-
lich aggressive Potenziale aufzubauen.

Deshalb ist es richtig, dass wir diese Debatte so füh-
ren, wie wir es jetzt tun – auch wenn man das beim Ein-
gangsbeitrag von Herrn Trittin noch nicht geglaubt hat –,
nämlich mit der Bestätigung der gemeinsamen Absicht,
die europäische Position, die aufgebaut worden ist, zu
unterstützen, also den diplomatischen Druck zu erhöhen,
den Iran trotz seines Verhaltens immer wieder an den
Verhandlungstisch zurückzubringen und in Zusammen-
arbeit mit den Vereinigten Staaten, Russland und China
alle Chancen zu nutzen.

Es ist doch erfreulich, wenn wir jetzt feststellen, dass
es nach langem Hin und Her, nach zunächst extremer
Ablehnung nun Signale dafür gibt, dass der Vorschlag
Putins – auf den die Bundeskanzlerin, wie wir wissen,
Einfluss genommen hat – in Teheran positiv erwogen
wird. Ich finde es auch gut, wenn jetzt nicht eine Lex
Iran daraus gemacht wird, sondern sozusagen ein
Dienstleistungsangebot Russlands an die Länder exis-
tiert, die solche Wiederaufarbeitung brauchen.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich finde, das ist ein guter Ansatz, weil er – wie schon
Ruprecht Polenz gesagt hat – die Gesichtswahrung ge-
währleistet.

Aber machen wir uns nichts vor. Wenn wir den Ver-
lauf der Verhandlungen betrachten, dann wissen wir
auch, dass man immer wieder daran zweifeln muss, ob
die Verhandlungsabsicht der anderen Seite wirklich ehr-
lich ist, ob es um die Lösung des Problems geht – um die
Durchsetzung der friedlichen Nutzung der Kernenergie –
oder ob dahinter nicht doch der Wille zum Erwerb ag-
gressiver Potenziale bis hin zu Atomwaffen steckt. Des-
halb gibt es keine Alternative zu dem jetzt begonnenen
Vorgehen, nämlich im Gouverneursrat darüber zu spre-
chen, ob man den Sicherheitsrat einschaltet.

Ich finde die Initiative der Vereinigten Staaten, die
Reise Robert Zoellicks zu Gesprächen nach Peking, und
die Reaktion Pekings sehr positiv. Peking hat ausdrück-
lich erklärt, man habe kein Interesse daran, dass der Iran
Atomwaffen erwirbt oder selbst herstellt. Es ist sehr po-
sitiv, dass Russland in derselben Weise Partei ergreift.
Noch nicht ganz klar ist, wie Indien sich im Gouver-
neursrat verhalten wird. Es hat ebenfalls eine wichtige
Schlüsselposition; wir wissen, welche energiepolitischen
Absichten in Richtung Pakistan und Indien vom Iran aus
verfolgt werden.

Meine Damen und Herren, die Drohung mit Sanktio-
nen hat sich in der Vergangenheit als nicht sehr scharfe
Waffe erwiesen. Dennoch sollte man keine Möglichkeit
ausschließen. Jeder muss wissen, dass wir im Extremfall
Sanktionen besser aushalten als der Iran,






(A) (C)



(B) (D)


Erich G. Fritz

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


der mit 60 Prozent seiner Staatseinnahmen vom Öl- und
Gasexport abhängig ist, der keinerlei weltmarktfähige
Produkte hat außer den Rohstoffen, die er verkaufen
kann, und der die Loyalität seiner Bevölkerung auf
Dauer nicht nur durch den Hass auf Israel und aggressive
Außenpolitik wird erhalten können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601408800

Herr Kollege Fritz, kommen Sie bitte zum Schluss.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1601408900

Die Menschen im Iran, diese junge Bevölkerung, ha-

ben einen Anspruch darauf, dass ihre Zukunft gesichert
wird: durch Technologietransfer, durch Öffnung für den
und Beteiligung am Welthandel, durch alle Möglichkei-
ten, sich gleichberechtigt zu verhalten. Deshalb bietet
der Weg in die Isolation, den dieser Präsident geht und
den die Mullahs immer wieder gegangen sind, keine Zu-
kunftsperspektive für das Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601409000

Das Wort hat der Kollege Andreas Weigel von der

SPD-Fraktion.


Andreas Weigel (SPD):
Rede ID: ID1601409100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

anderthalb Jahren war unsere Einschätzung bezüglich
der Verhandlungen der EU 3 noch recht positiv. Heute
befinden wir uns in einer völlig anderen Situation. Wir
haben eine andere Phase erreicht. Es ist aber falsch, den
Abbruch der Verhandlungen als das Ende der Verhand-
lungen zu sehen und zu meinen, nun begännen militäri-
sche Optionen. Die EU 3 müssen die Verhandlungen
wieder aufnehmen; denn wir wollen eine friedliche Lö-
sung des Konflikts. Wir stehen in der Verantwortung,
diesen Konflikt friedlich zu lösen.


(Beifall bei der SPD)


Die Verhandlungen benötigen aber ein glaubwürdiges
Angebot und ebenso ein glaubwürdiges Drohpotenzial.
Da wir militärische Drohpotenziale ausschließen, müs-
sen wir uns ernsthaft mit Wirtschaftssanktionen aus-
einander setzen. Konsequente Wirtschaftssanktionen
würden den Iran entscheidend treffen. Wenn keine ernst
zu nehmenden diplomatischen Möglichkeiten und Kon-
zepte greifen, werden wir darum nicht herumkommen.
Ich halte sie im Übrigen auch für erfolgversprechend,
weil sie den Iran an einer sehr empfindlichen Stelle tref-
fen.

Die iranische Führung tritt gerade deswegen außen-
politisch so aggressiv auf, weil sie große Probleme mit
der dynamischen Entwicklung ihrer Bevölkerung hat, ei-
ner Bevölkerung, die jährlich um 1,2 Prozent, also um
fast 1 Million Menschen, wächst. Eine Gesellschaft, die
derart rasant wächst, verlangt konsequenterweise nach
Wirtschaftswachstum und entsprechenden Arbeitsplät-
zen.

Es wird gesagt, wirtschaftliche Sanktionen kämen
nicht infrage, weil davon die globale Energieversorgung
schwer getroffen werden würde. Wir selbst hätten dafür
einen sehr hohen Preis zu zahlen. Aber was ist denn die
Alternative? Wirtschaftssanktionen können nur auf dem
Gebiet erfolgreich sein, wo es dem Iran wehtut. Es geht
also im Wesentlichen um das Erdöl. Wirtschaftssanktio-
nen werden Auswirkungen auf die Energiemärkte haben.
Das hat auch für uns empfindliche Konsequenzen.


(Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/ CSU]: Richtig!)


Wir müssen uns auf spürbare energiepolitische Folgen
einstellen. Wir werden um diesen Preis nicht herumkom-
men. Die Frage ist, ob wir diesen Konflikt energiepoli-
tisch aushalten. Wirtschaftliche Sanktionen, die über
mehrere Stufen gesteigert werden können, sind neben
den diplomatischen Bemühungen aus meiner Sicht das
einzige Mittel, die iranische Führung noch zum Einlen-
ken zu bewegen.


(Beifall des Abg. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/CSU])


In den letzten Tagen ist in der öffentlichen Berichter-
stattung der Eindruck entstanden, dass sich Frankreich
für militärische Sanktionen ausspricht. Wenn ich die
Rede des französischen Präsidenten vom 19. Januar rich-
tig verstehe, dann komme ich zu dem Schluss, dass sein
eigentliches und ursprüngliches Anliegen ist, die Frage
der gemeinsamen europäischen Verteidigung anzuspre-
chen, einer Verteidigung, die ausdrücklich auch über die
Fähigkeit zur Abschreckung verfügt. Dabei geht es ers-
tens um die Änderung der Nuklearstrategie des Westens.
Zweitens geht es darum, dass sich Europa über die Frage
Gedanken machen muss, ob das nukleare Potenzial der
Franzosen und Briten eine Rolle in der europäischen
Verteidigung spielen soll.

Wenn wir eine Abschreckungskapazität brauchen,
stellt sich die Frage, wie sie aussehen soll. Es sind – zu-
gegebenermaßen – unbequeme Fragen, die der französi-
sche Präsident aufwirft. Wir kommen aber in der Tat um
die Beantwortung dieser Fragen nicht herum – auch die
Politik in unserem Land muss sich diesen Fragen stel-
len –: Woraus soll die Verteidigungsfähigkeit Europas
letztendlich bestehen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Welche Rolle werden Nuklearwaffen in einer europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungsunion spielen?

Die EU hat noch immer eine gute Handlungsbasis.
Damit kann man im Schulterschluss mit Russland und
mit Unterstützung der Vereinigten Staaten und Chinas
spürbaren Druck auf den Iran ausüben. Wenn Europa ge-
schlossen und glaubwürdig der iranischen Führung mit
empfindlichen Sanktionen droht, wenn die USA und
Russland diesen Weg mitgehen und wenn Russland die






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Weigel
Übernahme der iranischen Atomanreicherung anbietet,
dann wird der Iran erkennen, dass es in seinem ureige-
nen Interesse ist, mit der internationalen Staatengemein-
schaft zu kooperieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601409200

Das Wort hat der Kollege Steffen Reiche von der

SPD-Fraktion.


Steffen Reiche (SPD):
Rede ID: ID1601409300

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! „Nur wenige Völker haben ihre nationale Identität
über einen so langen Zeitraum hinweg zu wahren ver-
mocht.“ Das hat Willy Brandt einmal in großer Achtung
vor der uralten Kulturnation der Iraner gesagt. Über
6 000 Jahre hinweg handelt es sich um eine Geschichte,
die immer auch Frieden und Krieg mit Israel kannte. Das
Alte Testament ist voll davon.

Wir haben dem Iran in der Weltkultur viel zu verdan-
ken und Wesentliches auch in unsere europäische Kultur
integriert. Deshalb ist es so wichtig, gerade in dieser auf-
geladenen Zeit – in der es auch strategische Überra-
schungen geben könnte, wie Jacques Chirac in seiner
Rede zu Recht warnt – Zeichen an die islamische Welt
zu senden, die nicht nur den Willen zum Frieden, son-
dern auch und vor allem den Willen zur Integration zei-
gen.

Deshalb ist das klare Zeichen vom 3. Oktober, des Ta-
ges, an dem Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf-
genommen worden sind, so hoch anzusehen. Dieses Zei-
chen ist nämlich nicht nur bei den Türken, sondern auch
bei Arabern und Persern sowie in der ganzen islami-
schen Welt vermerkt worden. Gerade diese Entschei-
dung stärkt die Rolle Europas in der Vermittlung in
ebendiesem Konflikt.


(Beifall bei der SPD)


Der, der in dieser Frage am ehesten gehört werden
sollte – zumindest nach der von uns in Deutschland be-
schlossenen europäischen Verfassung –, nämlich Javier
Solana, der EU-Außenbeauftragte, hat eine militärische
Lösung im Atomstreit mit dem Iran abgelehnt. „Ein mi-
litärisches Vorgehen gegen den Iran steht außer Frage“,
hat er vor zehn Tagen klargestellt. Genauso außer Frage
steht, dass sich Präsident Mahmud Ahmadinedschad wie
ein weltpolitischer, antisemitischer Geisterfahrer be-
nimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Koinzidenz von der Leugnung des Holocaust, dem
erklärten Willen, Israel von der Landkarte zu tilgen, und
dem Aussetzen des Moratoriums zur Atomforschung er-
fordert eine klare Antwort der Weltgemeinschaft und der
Europäischen Union.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es erfordert vor allem eine Stimme von Europa. Gäbe es
mehrere Stimmen aus Europa, würde die wichtigste
Stimme neben der Russlands, der USA und Chinas nicht
gehört.

Chirac sagt in seiner Rede leider erst am Ende – da
haben es viele nicht mehr gehört –: Es bleibt meine
Überzeugung, dass wir zu gegebener Zeit die Frage nach
einer gemeinsamen Verteidigung stellen müssen, welche
die bestehenden Abschreckungskräfte im Hinblick auf
ein starkes, für seine Sicherheit verantwortliches Europa
berücksichtigt.

Guy Verhofstadt, der belgische Regierungschef,
schreibt in seinem großartigen Buch „Die Vereinigten
Staaten von Europa. Manifest für ein neues Europa“ in
faszinierender Klarheit:

Die europäische Außenpolitik wird erst glaubwür-
dig sein, wenn es eine echte europäische Verteidi-
gung gibt, d. h. eine europäische Armee.

Wir müssen den Mut haben, die Dinge beim Namen
zu nennen. Deshalb muss Deutschland, müssen Bundes-
regierung und Bundestag Präsident Chirac sagen: Die
gegebene Zeit für diesen Schritt ist jetzt. Über 50 Jahre
nach dem Scheitern der EVG, der Europäischen Verteidi-
gungsgemeinschaft, im Jahre 1954 müssen wir einen
neuen Anlauf unternehmen und den Weg zu einer ge-
meinsamen europäischen Armee in der NATO ebnen.

Manche vermuten, dass sich Chirac in Brest auch des-
wegen so deutlich geäußert hat, weil er die Notwendig-
keit der 3,5 Milliarden Euro, die Frankreich für seine
Atomkräfte ausgibt, erklären wollte. Aber Jeremy Rifkin
und andere haben uns vorgerechnet, wie wir mit dem
gleichen Geld, das wir in Europa in nationale Armeen
stecken, viel mehr Sicherheit erreichen könnten oder
aber – bei gleicher Sicherheit – eine gemeinsame Frie-
densdividende haben würden. Wenn man jetzt beginnt,
dann wäre, denke ich, die nächste Finanzplanungsperi-
ode noch ein denkbares Ziel.

Wer Europa aufbauen will, muss wacher sein und tie-
fer träumen als andere. Das ist die notwendige Dialektik.
Deshalb versteht sich die PDS, die sich jetzt Linke
nennt, nicht einmal selber bzw. nimmt nicht ernst, was
sie fordert, wenn sie die europäische Verfassung ablehnt,
weil sie zu stark militarisiert sei. Der einzige berechtigte
Vorwurf an den europäischen Verfassungsvertrag kann
doch nur sein, dass er noch nicht so viel gemeinsame
Verteidigungspolitik ermöglicht, wie heute nötig. Wenn
wir schon den Euroraum geschaffen haben, warum sollte
uns heute nicht auch der Raum einer gemeinsamen Ver-
teidigungspolitik in einer besseren Koalition der Willi-
gen gelingen?

Eine Bitte habe ich an uns alle: Rabbiner Israel
Singer, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses,
hat einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er sagt:
Nachdem die Kirchen und das Judentum vorgemacht ha-
ben, wie man durch einen intensiven Dialog 2 000 Jahre
kirchlichen Antisemitismus überwinden kann, könnte
man das doch auch mit dem Islam schaffen. – Ich bitte
Sie, seinen Vorschlag zu prüfen, ob nicht Deutschland
eine internationale Konferenz einberuft, die politische






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Reiche (Cottbus)

und religiöse Führer aus der ganzen Welt zusammen-
bringt, um zu besprechen, wie der Zusammenstoß der
Kulturen vermindert und verhindert werden kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601409400

Herr Kollege Reiche, kommen Sie bitte zum Schluss.


Steffen Reiche (SPD):
Rede ID: ID1601409500

Ich füge hinzu: Deutschland sollte das im Namen der

Europäischen Union tun. Herr Singer sagt, Berlin wäre
hierfür der richtige Ort. Ich finde, er hat Recht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601409600

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Heinz-Peter Haustein,
Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Vorverlegung des Fälligkeitstermins für So-
zialabgaben rückgängig machen und struktu-
relle Reformen in der Rentenversicherung ein-
leiten

– Drucksache 16/396 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte die Kollegen, die an der jetzt anstehenden
Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlassen,
damit wir mit den Beratungen fortfahren können.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion das
Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt sind wir aber gespannt!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1601409700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am

16. Januar dieses Jahres haben die Unternehmen in
Deutschland wie gewohnt die Sozialversicherungsbei-
träge für den Monat Dezember abgeführt; so weit, so
gut. Morgen, am 27. Januar 2006, also nur elf Tage spä-
ter, werden bereits die Beiträge für den laufenden Monat
Januar fällig. Insgesamt werden die Unternehmen in die-
sem Jahr 13 Sozialversicherungsbeiträge an die Sozial-
kassen abführen müssen. Das ist schlecht, sehr schlecht
sogar; denn mit dem Vorziehen der Fälligkeit der Sozial-
versicherungsbeiträge wird vor allem den mittelständi-
schen Unternehmen 20 Milliarden Euro an Liquidität
dauerhaft entzogen,


(Zuruf von der FDP: Wahnsinn!)


zusätzliche Finanzierungskosten in Höhe von
1,25 Milliarden Euro aufgebürdet und Bürokratielasten
nach Expertenschätzungen bis zu einer Höhe von
4 Milliarden Euro zugemutet. Mit einem Wort: Die Wir-
kung dieses Zwangskredites, den die Unternehmen der
Sozialversicherung gewähren müssen, ist verheerend.


(Beifall bei der FDP)


Im vergleichsweise günstigen Fall können Unterneh-
men wegen des Liquiditätsentzugs Investitionen nicht
realisieren und neue Arbeitsplätze nicht schaffen. Im
ungünstigeren Fall – das betrifft Hunderttausende von
Fällen – werden die Unternehmen in eine schwere Fi-
nanzierungskrise gestürzt, die für nicht wenige Betrof-
fene existenziell sein wird. Ich sage Ihnen, meine Kolle-
ginnen und Kollegen von Union und SPD, voraus und
werde dabei leider Recht behalten: Das Vorziehen der
Fälligkeit der Sozialbeiträge wird zwischen 20 000 und
30 000 zusätzliche Insolvenzen in diesem Jahr in
Deutschland zur Folge haben


(Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)


und damit 100 000 bis 150 000 Arbeitsplätze zusätzlich
vernichten. Das fällt in Ihre Verantwortung.


(Beifall bei der FDP)


Das ist keine Panikmache,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nein, das ist Kolb!)


weil schon heute in einer Vielzahl der Fälle auf der Gläu-
bigerseite Konkursanträge durch die Sozialversiche-
rungsträger, namentlich die Krankenkassen als Einzugs-
stellen, gestellt werden, oft wegen relativ geringer
dreistelliger Eurobeträge. In dieser Sache müssen Sie
sich einmal schlau machen. Weil die Sozialversiche-
rungsbeiträge wegen des überaus engen Zeitkorridors
am Monatsende absolut pünktlich kommen müssen, ist
davon auszugehen, dass dieses Regime zukünftig min-
destens genauso rigide, wenn nicht noch rigider gehand-
habt werden wird.

Zu den Wirkungen auf den Mittelstand: Es gab Zei-
ten, da hat zumindest die Union das noch genauso gese-
hen. Ich zitiere Andreas Storm in der Aktuellen Stunde
vom 11. Mai 2005:

Für viele kleine Handwerksmeister kann dieser zu-
sätzliche Liquiditätsentzug der Tropfen sein, der
das Fass zum Überlaufen bringt. Damit sind weitere
Arbeitsplätze in unserem Land gefährdet.

Das hat er gesagt, bevor die Union ihre 180-Grad-Wen-
dung in dieser Frage vorgenommen hat; seine Aussage
gilt aber heute noch unverändert.


(Beifall bei der FDP)


Damit stellt sich auch die Frage nach dem Ansatz der
großen Koalition zur Bewältigung der aktuellen Pro-
bleme in übrigens allen Zweigen der Sozialversiche-
rung. Wenn es richtig ist, Herr Kollege Weiß – Sie






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
werden gleich dazu sprechen –, dass die aktuellen Pro-
bleme weniger durch einen Anstieg der Ausgaben – das
natürlich auch – als vielmehr durch eine Schwäche bei
den Einnahmen begründet sind, und wenn es richtig ist,
dass der Verlust von 1,5 Millionen sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitsplätzen und damit verbunden von
1,5 Millionen Beitragszahlern seit 2001 Ursache der
Finanzkrise ist, dann kann es, um mit unserem Bundes-
präsidenten Horst Köhler zu sprechen, nur eine richtige
Antwort geben: Vorfahrt für Arbeit! Im Umkehrschluss
heißt das: Es muss alles unterlassen werden, was Ar-
beitsplätze bedroht oder vernichtet. Das gilt für das Vor-
ziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge in
besonderer Weise.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen frage ich Sie, meine Kollegen von Union
und SPD: Glauben Sie wirklich, dass die mageren Be-
schlüsse von Genshagen – 9,5 Milliarden Euro für den
Mittelstand, verteilt über vier Jahre, also noch nicht ein-
mal 2,5 Milliarden Euro pro Jahr – auch nur annähernd
den gesamtwirtschaftlichen Schaden ausgleichen kön-
nen, der mit dieser neuen Regelung angerichtet wird?
Wer, wenn nicht der Mittelstand, soll denn Arbeitsplätze
in diesem Land schaffen?


(Widerspruch bei der SPD)


Glauben Sie, dass sich ein Mittelständler von der
Übergangsregelung für den Januarbeitrag, von dieser
Sechstelung über die nächsten Monate, wirklich blenden
lässt? Was Sie da betreiben, ist doch Augenwischerei!
Spätestens ab August – und dann dauerhaft – trifft ihn
die volle Belastung und schmälert seine Liquidität. Die
Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, ob
Sie das glauben oder nicht.


(Beifall bei der FDP)


Dann steht bereits zu Beginn des nächsten Jahres die
Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent mit der Wir-
kung eines Kaufkraftentzugs von 25 Milliarden Euro ins
Haus. Das wird die Konjunktur in unserem Lande – das
hat der Bundeswirtschaftsminister in der Debatte heute
Morgen ja eingeräumt – zusätzlich aufs Schwerste belas-
ten. Das sind keine Rahmenbedingungen, die auf neue
Arbeitsplätze hoffen lassen.

Um es mit einem Bild zu sagen: Sie haben in Gensha-
gen bei bis zum Anschlag angezogener Handbremse ver-
sucht, auf das Gaspedal der Konjunktur zu treten. Jeder
Autofahrer aber weiß, dass das Gasgeben bei angezoge-
ner Handbremse dazu führt, dass man den Motor ab-
würgt. Genau das werfen wir Ihnen vor, dass Sie nämlich
den Mittelstand, den Motor der Wirtschaft in unserem
Lande, stümperhaft abwürgen werden.


(Beifall bei der FDP)


Das Gebot der Stunde ist also – um im Bild zu bleiben –,
die Handbremse mit einer Steuerreform, mit Reformen
auf dem Arbeitsmarkt und Strukturreformen der
sozialen Sicherungssysteme zu lockern. Der Sachver-
ständigenrat hat dazu Vorschläge gemacht.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion werden uns jeden-
falls mit dieser unsinnigen Regelung nicht abfinden. Wir
haben bisher schon gegen diese Regelung angekämpft
und werden das auch weiterhin tun. Wir wollen nicht,
dass die Unternehmen in Deutschland von Ihnen weiter-
hin wie eine Zitrone ausgequetscht werden.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Wir werden deswegen eine Protestaktion bei 30 000 Mit-
telständlern als Initialzündung starten, um dem Bundes-
arbeitsminister als dem Verantwortlichen, der jetzt leider
nicht hier ist – heute Morgen bei den Saison-Kurzarbei-
tergeldern war er da; das war ihm anscheinend wichtig –,
deutlich zu machen, wo den Mittelstand der Schuh
drückt und dass diese Regelung wirklich kontraproduk-
tiv ist. Wir unterstützen auch die Verfassungsbeschwerde
eines Mittelständlers gegen diese Regelung.

Sie haben aber eine Chance: Sie brauchen gar nicht
auf Karlsruhe zu warten. Kehren Sie heute zur alten Re-
gelung zurück, indem Sie unserem Antrag zustimmen!
Ich möchte die Union auffordern, zu ihrer alten Position
zurückzukehren, und die SPD, endlich einzusehen, dass
das, was Sie gemacht haben, gesamtwirtschaftlicher Un-
sinn war. Nehmen Sie die Regelung zurück! Stimmen
Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601409800

Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1601409900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege Kolb hat versucht, in den Antrag einzufüh-
ren. Er ist relativ kurz:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In der Kürze liegt die Würze!)


Vorverlegung des Fälligkeitstermins zurücknehmen und
darüber hinaus strukturelle Reformen in der Rentenver-
sicherung einleiten, um deren Finanzgrundlage zu ver-
bessern. Leider Gottes hat er wesentlich mehr über den
Jahreswirtschaftsbericht gesprochen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ganz aktuell und nahe liegend!)


vielleicht weil er in der ersten Runde heute nicht reden
konnte.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich lasse den Kollegen, die neu sind, den Vortritt!)


Es wäre aber schon wichtig gewesen, über den Antrag
und darüber zu reden, was damit gemeint ist.






(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Herr Kollege Kolb, wenn wir heute Ihrem Antrag zu-
stimmen würden, würden wir weit mehr Bürokratie
verursachen – davon bin ich überzeugt –, als wir mit die-
ser Maßnahme insgesamt vielleicht verursacht haben,
weil sich die Unternehmen, die Handwerker, die Mittel-
ständler bereits darauf eingestellt haben, weil sie die Ge-
setzeslage kennen. Sie wird also bereits umgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn die Kollegen von der FDP das am 18. Januar von
den Mittelständlern in unserem Land noch nicht erfahren
haben, dann tut es mir Leid. Ich habe mich erst heute
wieder informiert. Natürlich ist es eine Beschwernis und
mit zusätzlichem Aufwand verbunden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Natürlich!)


Natürlich braucht man ein neues IT-Programm. Aber es
wird mittlerweile umgesetzt


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mehr kostet es trotzdem!)


und deshalb wäre ein Zurück zur früheren Regelung eher
kontraproduktiv.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was wird im Prinzip dadurch verändert? In vielen Be-
reichen hat es keine Veränderungen gegenüber der frühe-
ren Fälligkeit hervorgerufen. Denn in Betrieben, in de-
nen am 15. eines Monats der Lohn ausgezahlt wird – das
ist in vielen Bereichen der Fall –, ist schon bisher der
Sozialversicherungsbeitrag am 25. des Monats fällig ge-
wesen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie bekommen die Zuschriften doch auch, Herr Straubinger!)


Es geht um die Betriebe, die den Lohn am Ende des Mo-
nats zahlen und am 15. des darauf folgenden Monats die
Sozialversicherungsbeiträge abzuführen haben. Ich
möchte anmerken, dass wir dadurch in einer Zeit, in der
es moderne Kommunikationsmöglichkeiten gibt – in den
letzten Jahren gab es natürlich eine Straffung der Ab-
rechnungssysteme; die Regelung ist ja mittlerweile
30 Jahre alt –, eine zeitnähere Erfassung erreichen bzw.
Finanzmittel in unsere gesetzlichen Sicherungssysteme
bekommen. Um einen Anstieg des Rentenversiche-
rungsbeitrages um 0,5 Prozent abzuwehren, ist es
durchaus gerechtfertigt, dies in die Tat umzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies verschafft uns natürlich Liquidität.

Ich weiß, dass hiermit keine umfassende Lösung der
Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung oder un-
serer sozialen Sicherungssysteme insgesamt herbeige-
führt worden ist. Aber wir haben auf alle Fälle Beitrags-
satzstabilität für das Jahr 2006 erreicht.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und 2007?)


Herr Kollege Kolb, ich habe von der FDP im vergange-
nen Jahr bei den Gesetzesberatungen nicht vernommen,
dass Sie dafür eingetreten wären, dass der Rentenversi-
cherungsbeitragssatz um 0,5 Prozent erhöht werden soll,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


was für die Betriebe 1 Milliarde Euro zusätzliche Belas-
tung bedeutet hätte. Das müssen Sie zur Kenntnis neh-
men.


(Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Kollege Kolb, Sie wollen eine Zwischenfrage
stellen?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr gern!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601410000

Herr Kollege Kolb, zunächst einmal müssen Sie den

Präsidenten fragen, ob Sie eine Zwischenfrage stellen
dürfen. Ich frage dann den Redner und der Redner kann
dann die Zwischenfrage zulassen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich bitte Sie, jetzt Ihre Zwischenfrage zu stellen.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1601410100

Ich bedanke mich beim Präsidenten und beim Kolle-

gen Straubinger dafür, dass diese Zwischenfrage zuge-
lassen wurde.

Herr Kollege Straubinger, sind Sie bereit einzuräu-
men, dass Sie in der Frage des Vorziehens der Fälligkeit
der Sozialversicherungsbeiträge Ihre Unschuld längst
verloren haben? Im letzten Jahr – ich kann mich an die
Beratung hier sehr deutlich erinnern – haben Sie uns
treuherzig vorgehalten: Wenn wir die Fälligkeit der So-
zialversicherungsbeiträge nicht vorziehen, dann wird es
zu einer Erhöhung des Rentenbeitrags kommen. Jetzt be-
kommen wir das Vorziehen der Fälligkeit und zusätzlich
eine Erhöhung des Rentenbeitrags ab 1. Januar 2007.
Das halten wir Ihnen vor. Sind Sie bereit, einzuräumen,
dass wir in dieser Hinsicht offensichtlich ein Stück weit-
sichtiger waren als Sie?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1601410200

Nein, Herr Kollege Kolb, ich möchte nicht sagen,

dass Sie weitsichtiger waren. Wir kennen eben auch die
Finanzsituation in den gesetzlichen Sicherungssyste-
men insgesamt. Ich möchte allerdings anführen, dass die
FDP im Gesetzgebungsverfahren – insbesondere über
ihre Möglichkeiten durch Regierungsbeteiligungen in
den Bundesländern – auch nicht unbedingt mit letzter
Kraft gekämpft hat,


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)


um dies zu verhindern.


(Zuruf von der SPD: So kämpfen die immer! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Bis zum Umfallen! Bis sie flach sind wie ein Abtreter!)







(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Zum zweiten Teil Ihrer Zwischenfrage: Wir haben
uns in den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt,
dass der Rentenversicherungsbeitrag zum 1. Januar
2007 auf 19,9 Prozent angehoben wird, um die Finanzsi-
tuation in der Rentenversicherung zu stabilisieren. Aber
gleichzeitig wird diese Bundesregierung den Arbeits-
losenversicherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte, näm-
lich von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent, absenken. Das wird
mehr Entlastung für die Betriebe bedeuten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie kommen nicht unter 40 Prozent!)


Davon bin ich überzeugt.

In den heutigen Pressemeldungen steht, dass der Ifo-
Index stark gestiegen ist, dass also in der Wirtschaft das
Zutrauen in die zukünftige Entwicklung wächst. Da-
durch werden in unserem Land nicht nur Arbeitsplätze
gesichert, sondern die Arbeitslosigkeit kann signifikant
abgebaut werden. Das sind doch positive Zukunftsaus-
sichten. Darüber sollten wir uns freuen. Ich bitte Sie, uns
dabei zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Herr Straubinger, sagen Sie jetzt etwas zur Unschuld! Danach hat er auch gefragt!)


Verehrte Damen und Herren, natürlich bringt jede Än-
derung auch bestimmte bürokratische Abläufe mit sich;
das ist unbestritten. Aber auch Änderungen eines Bei-
tragssatzes in der Sozialversicherung, etwa der Kranken-
versicherung, oder Änderungen von Bemessungsgrund-
lagen müssen in der Regel am 1. Januar eines Jahres in
den Betrieben aufgefangen und von ihnen umgesetzt
werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, die entspre-
chenden Verfahren so elegant zu gestalten, dass mög-
lichst wenig Bürokratie entsteht; vielleicht können ein-
zelne Regelungen ja sogar wieder entfallen. Darüber
hinaus hoffe ich, dass in den Betrieben, wenn die Ren-
tenversicherungsträger die Prüfungsverfahren durchfüh-
ren, anerkannt wird, dass es sich bei der Vorauszahlung
im Prinzip immer um die Zahlung des vergangenen Mo-
nats handelt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Das ist nicht zulässig! Ich habe das Schreiben dabei!)


Natürlich muss das zeit- und realitätsnah eingeschätzt
werden. Aber ich bin davon überzeugt, dass es ein gang-
barer Weg ist, den richtig ermittelten Betrag der Sozial-
versicherungsbeiträge im jeweils kommenden Monat als
Vorauszahlung zu leisten, um in unseren Betrieben mög-
lichst wenig Bürokratie zu erzeugen.

Verehrte Damen und Herren, ich glaube, entscheidend
ist, wie wir zukünftig die Strukturreformen der gesetz-
lichen Rentenversicherung angehen. Sie von der FDP
haben uns in Ihrem Antrag aufgefordert,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Sachverständigenrat hat entsprechende Vorschläge gemacht!)

sowohl längerfristige als auch kurzfristige Strukturmaß-
nahmen zu ergreifen, um die finanzielle Situation der ge-
setzlichen Rentenversicherung zu verbessern.

Die die Bundesregierung tragenden Parteien, CDU,
CSU und SPD, haben sich in ihrem Koalitionsvertrag
auf mehrere Schritte geeinigt. Zum Beispiel wird es ab
dem Jahr 2012 zu einer schrittweisen Anhebung des
Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre kommen. Da-
durch wollen wir für eine weitere Stabilisierung des Bei-
tragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung sor-
gen. Das haben wir bereits beschlossen.

Ebenso wichtig ist Folgendes: Wir werden dafür ein-
treten, dass die private Altersvorsorge zukünftig eine
weitere Stärkung erfährt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Durch die Volksrente – früher Riester-Rente genannt –
wird insbesondere für die Förderung von Familien mit
Kindern eine zusätzliche Grundlage geschaffen, wo-
durch die Zukunftsperspektiven der Jugend und vor allen
Dingen der jungen Familien auch im Hinblick auf ihre
zukünftige Rentensituation verbessert werden.

Dies sind die Vorstellungen der Koalition, die wir na-
türlich auch umsetzen werden. Wenn wir die entsprechen-
den Entscheidungen treffen, werden wir im Interesse der
Rentnerinnen und Rentner auch die Gewährleistung der
Sicherheit der Renten im Auge haben müssen: Wir müs-
sen dafür sorgen, dass die Renten auch weiterhin nicht
nur pünktlich, sondern auch in gewohntem Umfang zur
Auszahlung kommen.

Verehrte Damen und Herren, eine entscheidende
Rolle kommt dabei sicherlich der wirtschaftlichen Ent-
wicklung in Deutschland zu. Wie ich bereits in meiner
Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege Kolb, deutlich ge-
macht habe, ist in unserer Wirtschaft gegenwärtig – Gott
sei Dank! – eine wesentlich stärkere Dynamik festzustel-
len.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die würgt ihr jetzt aber ab!)


Darüber freuen wir uns. Diese Dynamik wollen wir na-
türlich unterstützen, Herr Kollege Kolb.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie denn?)


Das werden wir auch tun. Unser erklärtes Ziel ist dabei,
insbesondere für mittelständische Betriebe die
Abschreibungsbedingungen zu verbessern. Das bedeu-
tet mehr Zukunftsinvestitionen in unsere Betriebe, mehr
Arbeitsplätze in unserem Land und die Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unsere Betriebe brauchen erst einmal Geld! Bevor man abschreiben kann, muss man erst einmal Geld haben!)


Das ist die Grundlage auch für die Finanzierung unse-
rer sozialen Sicherungssysteme. Deshalb bin ich sehr ge-
spannt, inwiefern uns die FDP bei diesem Bemühen
– dem Unterfangen, in unserem Land mehr Arbeitsplätze
zu schaffen – zukünftig zu unterstützen bereit ist.






(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir machen ja Vorschläge! Wenn wir 2 Prozent mehr hätten, hätten wir das schon getan!)


Zwar hoffe ich, dass sie das tatkräftig tun wird, glaube
aber, dass uns Anträge, die rückwärts gerichtet sind,
nicht voranbringen werden. Deshalb ist es angebracht,
Ihren Antrag abzulehnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601410300

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601410400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der

einen Seite halten auch wir den FDP-Antrag für einen
Schauantrag: weil er doch sehr spät kommt und das Kind
schon in den Brunnen gefallen ist.


(Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD] – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Auf der anderen Seite denken wir, dass wir über diesen
Antrag im Ausschuss doch beraten sollten.


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr gut!)


Dabei bin ich nicht der Ansicht, dass wir zurückkommen
sollten zu Zahlungsterminen um den 15. Man kann das
zeitnah gestalten. Auch wenn ich als Linker vielleicht
nicht in der Position bin, zu vermitteln,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


meine ich, die Abführung der Beiträge am 3. oder 5. des
Folgemonats, wie es von Sachverständigen auch vorge-
schlagen worden ist, wäre noch zeitnah und würde Dop-
pelarbeit bei der Abrechnung vermeiden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur hilft das der Rentenversicherung auch nicht bei der Beitragskalkulation!)


Alle Sachverständigen haben bei der Begutachtung im
Juni letzten Jahres von diesem Verfahren abgeraten, weil
es völlig unnötig zu Doppelarbeit führt, sei es in den Be-
trieben, sei es bei den Krankenkassen, sei es bei den So-
zialversicherungsträgern.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)


Gleichzeitig – das ist für meine Begriffe das Entschei-
dende – schafft diese Vorverlegung nicht einmal eine
mittelfristige Lösung des Problems.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hält nicht einmal zwei Jahre!)


Ich kann hier heute keine Darlegung unserer Vorschläge
zur mittel- und langfristigen Sicherung der Finanzen
der Renten-, der Kranken- und der Pflegeversiche-
rung machen; das werden unsere Fachkolleginnen und
-kollegen tun.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist aber schade!)


– Ich könnte es natürlich und würde es auch gerne, wenn
Sie mir die Zeit dazu gäben.

Ich möchte nur auf drei Phänomene hinweisen, die
aus meiner Sicht als Finanzpolitiker gegenwärtig die ent-
scheidenden Probleme sind: Das ist zum einen die Ver-
teilungsentwicklung. Hier wurde gerade gesagt, wir
haben doch wieder Dynamik und wirtschaftliche Ent-
wicklung und und und. Dabei wird unterstellt, das täte
uns gut. Aber schauen wir uns die Entwicklung doch
einmal konkret an: Im Jahr 2004 hatten wir ein Wirt-
schaftswachstum von 1,6 Prozent, einen realen Zu-
wachs des Sozialproduktes von 58 Milliarden Euro. Von
diesen 58 Milliarden Euro sind 55 Milliarden Euro in die
Steigerung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit
und Vermögen geflossen, aber nur 3 Milliarden, sprich:
5 Prozent des gesamten Zuwachses, sind bei den Arbeit-
nehmereinkommen gelandet.


(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)


2005 hatten wir einen Zuwachs des Sozialprodukts um
0,9 Prozent; es ist um 26 Milliarden Euro gestiegen. Der
Zuwachs der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und
Vermögen betrug 32 Milliarden Euro. Demgegenüber
sind die Arbeitnehmereinkommen um 6 Milliarden Euro
zurückgegangen. Der Jahreswirtschaftsbericht – heute
Morgen ist es schon diskutiert worden – prognostiziert
für das gegenwärtige Jahr noch einmal so etwas.

Wenn man bei einem sozialen Sicherungssystem, das
an der Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer
angelehnt ist, nichts gegen diese ständige weitere
Umverteilung zugunsten von Gewinnen unternimmt,
dann nutzt einem Wachstum überhaupt nichts, dann wer-
den die sozialen Sicherungssysteme weiter Defizite ha-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens – auch das habe ich an dieser Stelle schon
einmal gesagt –: Massenarbeitslosigkeit, vor allem
ständig steigende Massenarbeitslosigkeit, verursacht für
die sozialen Sicherungssysteme ungeheure Kosten.
4,8 Millionen registrierte Arbeitslose bedeuten für die
sozialen Sicherungssysteme jährliche Beitragsausfälle
von über 27 Milliarden Euro. Schon eine Halbierung der
Arbeitslosigkeit entsprechend unseren Vorschlägen
würde den sozialen Sicherungssystemen ein erhebliches
Mehr bringen, und zwar dauerhaft.

Drittens. Nach wie vor haben wir eine ständige
Umschichtung von sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung zu Minijobs bzw. 400-Euro-Jobs.
Diese Umschichtung, das ist völlig klar, führt dazu, dass
die Einnahmeverluste weiter wachsen. Anders wäre es,
wenn wir mehr sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung bekämen.

Deswegen bestehen wir darauf: Nur eine grundlegend
anders angelegte Wirtschafts-, Finanz- und Arbeits-
marktpolitik kann die sozialen Sicherungssysteme






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Axel Troost
heilen, kann versuchen, hier Abhilfe zu schaffen. Ich
weiß, Sie sagen jetzt wie immer: Das ist ein Zurück in
die 70er-Jahre. – In gewisser Weise haben Sie Recht:
Wir kritisieren nämlich seit 30 Jahren die Politik, die in
verschiedensten Konstellationen hier im Haus praktiziert
worden ist und letztlich mit jeder Koalition zu immer
höherer Arbeitslosigkeit, immer höheren Schulden, mehr
Umverteilung und letztlich unsicheren sozialen Siche-
rungssystemen geführt hat. Deswegen sagen wir hier im
Hause, aber auch draußen bei den Menschen: Wir brau-
chen eine andere Politik, eine Politik für mehr Arbeit
und soziale Gerechtigkeit.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601410500

Das Wort hat jetzt der Kollege Gregor Amann von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gregor Amann (SPD):
Rede ID: ID1601410600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im vorliegenden Antrag wird – wie das Herr
Dr. Kolb auch in seiner Rede getan hat – ein düsteres
Horrorszenario gemalt:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)


Es werden „schwere gesamtwirtschaftliche Schäden“
und „Tausende von Insolvenzen“ vorausgesagt. Es ist
die Rede von „einem Investitionsrückgang“ und einem
„weiteren Abbau der sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung“. Am Ende warnen die Antragsteller sogar
vor einem „verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff
in das Eigentum des Unternehmers“.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


Man könnte fast glauben, der Bundestag hätte eine
Enteignung aller privaten Unternehmen oder noch
Schlimmeres beschlossen. Mitnichten! In Wirklichkeit
geht es im vorliegenden Antrag lediglich um die Vorver-
legung des Fälligkeitstermins der von den Unternehmen
abzuführenden Sozialabgaben um etwa zwei Wochen.


(Zuruf von der FDP: Lediglich?)


Das ist eine Maßnahme, für die es gute Gründe gibt, die
ich im Folgenden erläutern möchte.

In der Vergangenheit wurde den Unternehmern bei
der Zahlung der Sozialabgaben ein großzügiges Zah-
lungsziel eingeräumt, das angesichts der modernen
technischen Möglichkeiten bei der Datenverarbeitung
und beim Zahlungsverkehr heute nicht mehr erforderlich
und auch nicht mehr gerechtfertigt ist. Wenn die Sozial-
beiträge bisher überwiegend erst zum 15. des Folgemo-
nats überwiesen wurden, so war diese Regelung eine
überholte Praxis aus der Zeit, als die Löhne noch bar in
der Lohntüte ausgezahlt wurden. Auf dem Stand der da-
maligen Technik war es nicht möglich, Löhne, Gehälter
und Sozialversicherungsbeiträge zeitnah zu berechnen,
auszuzahlen und zu überweisen. Heute ist das anders.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hättet ihr das auf den 5. oder 6. eines Monats vorziehen können!)


Natürlich führt die beschlossene Umstellung zu einer
vorübergehenden, aber in ihren Ausmaßen noch erträgli-
chen Belastung der Unternehmen. Dieser Belastung
stehen zwei Vorteile gegenüber, von denen auch, aber
nicht nur die Unternehmen profitieren:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das warten wir mal ab!)


Erstens wird es zu Verwaltungsvereinfachung und Bü-
rokratieabbau beitragen – das werde ich Ihnen gleich
näher erklären –, zweitens wird es im Jahr 2006 zu einer
immensen Liquiditätsverbesserung bei den Sozialkas-
sen in Höhe von etwa 20 Milliarden Euro führen, wovon
allein auf die Rentenkasse etwa 9 Milliarden Euro ent-
fallen.

Mit dem im letzten Jahr ebenfalls beschlossenen voll-
automatisierten Melde- und Beitragsverfahren in der
Sozialversicherung werden zum 1. Januar 2006 die Ar-
beitsabläufe beschleunigt und vereinfacht. Mit der Vor-
verlegung des Zahlungstermins der Sozialabgaben wird
dieses moderne Verfahren konsequent weiterentwickelt.

Durch das neue Verfahren wird eine Reihe unter-
schiedlicher Einzahlungs-, Buchungs- und Überwei-
sungsvorgänge gebündelt und damit kostengünstiger ge-
macht. Während das bisherige Verfahren in der Praxis
oft zu drei bis vier Beitragsabrechnungen in einem Mo-
nat führte, insbesondere bei Unternehmen, in denen die
ausgezahlten Gehälter stark schwanken, entfallen zu-
künftig Stornierungen, Korrekturen und das Ausfüllen
aufwändiger Korrekturbögen, wie sie bisher im Rahmen
des Beitragsverfahrens notwendig waren. Dadurch, dass
die Differenz zwischen der Vorausschätzung am Mo-
natsende und dem später errechneten Istwert jetzt der
Fälligkeit des laufenden Monats zugerechnet wird, gibt
es ab 2006 nur noch zwölf Beitragsabrechnungen im
Jahr. Wenn also im vorliegenden Antrag von neuem Bü-
rokratieaufwand und neu entstehenden Kosten für Büro-
kratie gesprochen wird, dann ist die Wahrheit vielmehr:
Es werden Bürokratie und Verwaltungsaufwand abge-
baut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Davon profitieren übrigens auch die Krankenkassen,
die den Beitragseinzug für die gesamte Sozialversiche-
rung durchführen. Denn künftig müssen sie nur noch
einmal im Monat die Weiterleitung der Beiträge an die
Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung veranlas-
sen. Die Zahl der Abrechnungstermine wird von 24 auf
zwölf reduziert. Das hilft natürlich bei der Stabilisierung
der Verwaltungskosten der Kassen.

Nun aber zum Thema finanzielle Belastung der
Unternehmen. Selbstverständlich bedeutet jede Vorver-
legung des Fälligkeitstermins einer Zahlung für den Be-
troffenen erst einmal den Entzug liquider Mittel und
stellt somit eine finanzielle Belastung dar.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau!)







(A) (C)



(B) (D)


Gregor Amann
Wenn wir aber einmal objektiv betrachten, um was es
hier geht, dann müssen wir feststellen: Der bisherige
Fälligkeitstermin hinsichtlich der Sozialabgaben bedeu-
tete für die Unternehmen schlichtweg einen zinslosen
Kredit auf Kosten der Sozialversicherungen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist euer Weltbild!)


Man könnte hier sogar das in der FDP ansonsten so ver-
pönte Wort „Subvention“ gebrauchen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gut, dass Sie hier Ihre erste Rede halten, Herr Amann!)


Die Praxis des zinslosen Kredits der Sozialversicherun-
gen an die Unternehmen zu beenden und so die Liquidi-
tät der Sozialversicherung 2006 um einen zweistelligen
Milliardenbetrag zu erhöhen, ist nicht nur sinnvoll und
notwendig, sondern angesichts der schwierigen Kassen-
lage unserer Sozialversicherungen auch sozial gerecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP ruft doch sonst immer nach Subventionsabbau.
Warum verlässt Sie denn plötzlich der Mut, wenn Sie ei-
ner nicht mehr zeitgemäßen Subvention so unvermittelt
Auge in Auge gegenüberstehen?


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil es keine Subvention ist!)


Im Übrigen wissen Sie genau – Herr Dr. Kolb, Sie ha-
ben es selber erwähnt –, dass es gerade für Unterneh-
men, deren Finanzrahmen besonders eng ist, wie das
häufig im Mittelstand der Fall ist, eine großzügige Über-
gangsregelung gibt, nach der es möglich ist, die Bei-
träge für den Monat Januar 2006 auf die Monate Februar
bis Juli 2006 zu verteilen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und im August ist es voll zu zahlen!)


Nutzt ein Unternehmen diese Übergangsregelung, führt
die Streckung der Zahlung der Beiträge sogar zu einem
positiven Stundungseffekt, durch den die Liquidität des
Unternehmens gestärkt wird.

Die Alternativen zu diesem bereits beschlossenen Ge-
setz wären entweder weitere Beitragssatzerhöhungen bei
den Sozialversicherungen oder Rentenkürzungen gewe-
sen. Wir haben in der Koalition beschlossen, dass Ren-
tenkürzungen mit uns nicht zu machen sind; denn Ar-
beitnehmer und Rentner haben in den letzten Jahren
bereits ihren Anteil zur Stabilisierung der Sozialversi-
cherungssysteme geleistet.

Bezüglich der Beitragssatzerhöhungen brauche ich
der FDP doch hoffentlich nicht die Bedeutung der Lohn-
nebenkosten für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu
erklären.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr erhöht doch eh!)


Natürlich wäre es für die Unternehmen deutlich kost-
spieliger, wenn die durch die Vorverlegung der Fällig-
keitstermine gewonnene zusätzliche Liquidität der
Sozialversicherungen durch Beitragssatzsteigerungen
realisiert werden müsste. Das beschlossene Verfahren ist
also sowohl für die Beitragszahler als auch für die Ar-
beitgeber die sozial gerechtere und wirtschaftlich sinn-
vollere Alternative.

Sie fordern im vorliegenden Antrag, auf die Vorverle-
gung des Termins für die Fälligkeit der Sozialabgaben zu
verzichten und stattdessen – ich zitiere – „die Defizite
der Rentenversicherung durch strukturelle Reformen in
der Rentenversicherung und eine wachstumsorientierte
Wirtschaftspolitik zu beseitigen“.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601410700

Herr Kollege Amann, kommen Sie bitte zum Schluss.


Gregor Amann (SPD):
Rede ID: ID1601410800

Ich komme zum Schluss. – Wir sollten das eine tun,

ohne das andere zu lassen.

Diese Koalition hat bereits strukturelle Reformen in
der Rentenversicherung beschlossen und sie betreibt
eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, wie das in
Genshagen beschlossene Investitionsprogramm in Höhe
von 25 Milliarden Euro beweist. Im Gegensatz zu Ihnen
haben wir aber auch den Mut, nicht mehr zeitgemäße
Subventionen zu streichen, den Sozialkassen so drin-
gend benötigte Liquidität zuzuführen und damit deren
Finanzsituation zu stabilisieren. Das ist sozial gerecht
und stärkt langfristig die Wirtschaftskraft unseres Lan-
des.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601410900

Herr Kollege Amann, ich darf Ihnen im Namen des

ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
destag gratulieren.


(Beifall)


Deshalb habe ich bei der Redezeit beide Augen zuge-
drückt.


(Heiterkeit)


Jetzt hat der Kollege Markus Kurth vom Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601411000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

handelt sich hier wieder einmal um einen typischen
FDP-Antrag:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also ist er gut, Herr Kollege!)


große Töne und viel Lamento. Wenn man dann nach Lö-
sungsvorschlägen und Alternativen sucht, wird man auf
ein jämmerliches Blatt Papier verwiesen, auf dem kein
Wort zu den Alternativen zum Vorziehen des Termins
der Fälligkeit von Sozialabgaben steht.






(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sachverständigenrat! Das steht doch drin!)


Man muss wissen, dass es sich hier um einen Gesetz-
entwurf handelt, den die damalige rot-grüne Bundesre-
gierung eingebracht hat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das macht ihn nicht besser, Herr Kollege!)


Die Alternative zum Ausgleich der konjunkturbedingten
Mindereinnahmen der Sozialversicherungen, insbeson-
dere in der gesetzlichen Rentenversicherung, wäre eine
Erhöhung des Beitragssatzes um 0,5 Prozentpunkte
gewesen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kommt eh!)


Wir wissen, was das bedeutet hätte: nicht nur einen
Anstieg der Arbeitskosten und einen gewissen Kauf-
kraftentzug, sondern überdies – das hat die Sachverstän-
digenanhörung ergeben – fiskalische Effekte von mehr
als 2 Milliarden Euro. Hören Sie gut zu, meine Damen
und Herren von der großen Koalition! Jede Steigerung
des Beitragssatzes um einen zehntel Prozentpunkt in der
Sozialversicherung ergibt einen zusätzlichen fiskali-
schen Effekt, weil die Unternehmen die Sozialversiche-
rungsabgaben als Betriebsausgaben absetzen können.
Dadurch sinken die Steuereinnahmen. Im Rahmen der
gesetzlichen Rentenversicherung muss der Bundeszu-
schuss automatisch ansteigen, weil das entsprechend
festgelegt ist. Professor Rürup hat uns dargelegt, dass
jede Erhöhung des Beitragssatzes um einen zehntel Pro-
zentpunkt neben den üblichen Folgen des Anstiegs der
Sozialversicherungsbeiträge zu einem fiskalischen Ef-
fekt in Höhe von 400 Millionen Euro führt. Die Erhö-
hung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung um 0,4 Prozentpunkte, die am 1. Januar 2007
wirksam werden soll, kostet den Bundeshaushalt also
1,6 Milliarden Euro. Insofern haben Sie von der SPD
– Sie von der Union ohnehin – den Pfad der Tugend, den
wir damals in der rot-grünen Koalition eingeschlagen
haben, leider verlassen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das mit dem Pfad der Tugend haben die Wähler aber anders gesehen!)


Ohne für das Vorziehen des Fälligkeitstermins einen
Schönheitspreis zu beanspruchen: Wir haben diesen Weg
beschritten, um auch über das Jahr 2006 hinaus die Per-
spektive stabiler Beitragssätze in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung zu geben. Das ist der entscheidende Un-
terschied.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zudem wollen Sie zum 1. Januar 2007 die Mehr-
wertsteuer erhöhen, was einen weiteren Kaufkraftent-
zug bedeutet. Das wird durch die von Ihnen viel geprie-
sene Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags
nicht ausgeglichen. Überdies muss man wissen, dass Sie
die gesetzliche Rentenversicherung zusätzlich in
Schwierigkeiten bringen, da in Zukunft 2 Milliarden
Euro an Rentenversicherungsbeiträgen fehlen werden,
die bislang von den Arbeitslosengeld-II-Beziehern an
die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!)


Sie setzen die Sozialversicherung weiter unter Druck,
indem Sie angekündigt haben, die Steuermittel im Be-
reich der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzu-
fahren. Die Versuche von Rot-Grün, die Sozialversiche-
rung durch einen höheren Steuerfinanzierungsanteil
konjunkturunabhängiger zu machen – das waren unsere
Strukturveränderungen, Herr Kolb –, werden konterka-
riert und zurückgenommen, kaum dass sie ihre eigentli-
che Wirkung haben entfalten können. Das ist ein wirk-
lich schwerer Fehler, den man im Zusammenhang mit
diesem Antrag einmal nennen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle noch kurz zu der von Ih-
nen vorgeschlagenen Lösung kommen, den Struktur-
veränderungen. Sie erklären lapidar, man könne sich
die Vorverlagerung des Fälligkeitstermins durch Struk-
turveränderungen ersparen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe den Sachverständigenrat genannt!)


Das finde ich ganz besonders unseriös. Sie wissen ganz
genau, dass ehrliche Strukturveränderungen, und zwar
solche, wie wir sie etwa mit dem Nachhaltigkeitsfaktor
eingeführt haben, also Veränderungen in der Rentenfor-
mel, langfristig wirken. Sie sind vollkommen untaug-
lich, um ein kurzfristiges Finanzierungsloch – in diesem
Fall in Höhe von knapp 10 Milliarden Euro – zu stopfen.
Das heißt, das kann gar nicht funktionieren. Selbst wenn
wir heute beschließen würden, das gesetzliche Renten-
eintrittsalter ab dem 1. Januar 2007 auf 67 Jahre festzu-
legen, hätten wir in der Sozialversicherung einen kon-
junkturbedingten Einnahmeausfall. Das müssten Sie
doch eigentlich wissen.

Uns an dieser Stelle vorzuwerfen, wir hätten hier
keine Strukturveränderungen vorgenommen, zeugt schon
von einem erheblichen Maß an Blindheit. Wenn es in
diesem Bereich eine Dynamik gab und ein politischer
Erfolg zu verzeichnen war, dann in den vergangenen sie-
ben Jahren. Wir wären auf diesem Weg auch weiterge-
gangen. Ich nenne hier nur als Stichworte Ökosteuer,
Riestertreppe und Nachhaltigkeitsfaktor. Damit haben
wir verhindert, dass der Beitragssatz in der gesetzlichen
Rentenversicherung heute bei 22,5 oder gar bei
23 Prozent liegt; denn das wäre die Konsequenz gewe-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD])


Deswegen, Herr Kolb, gibt es in der Opposition – zumal
in diesem Fall – keine Koalition.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr habt doch sowieso eure Probleme!)







(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth
Ich hätte eigentlich erwartet, dass Ihre Erfahrung,
jetzt wieder auf der Oppositionsbank zu sitzen, Sie etwas
geläutert hätte.


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Platz 5 habt ihr bekommen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr seid Fünfter geworden und wir nur Drittletzter!)


Von Ihnen, liebe ehemaligen Kollegen aus der Koalition,
hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich an die Tugenden
erinnert hätten, die unsere Arbeit in den vergangenen
sieben Jahren relativ erfolgreich gemacht haben.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601411100

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1601411200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Um eine Bemerkung des Kollegen Kurth aufzugreifen:
Mit dem Vorziehen des Termins der Fälligkeit von So-
zialabgaben kann man wahrscheinlich keinen politischen
Schönheitspreis gewinnen. Das ist wahr.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Immerhin!)


Wenn man aber jetzt in einem Antrag fordert, auf die-
ses Vorhaben zu verzichten, Herr Kolb,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Den haben wir letztes Jahr auch schon gestellt!)


dann muss man auch Alternativen benennen. Sie aber
haben in Ihrem Antrag wie auch in Ihrer Rede keine ein-
zige Alternative genannt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Die FDP ist ja auch keine Alternative!)


Wer kurzfristig handeln will, hat drei Alternativen.
Die erste Alternative besteht darin, die Renten zu kür-
zen. Sie haben nichts dazu gesagt, ob Sie die Renten kür-
zen wollen.


(Anton Schaaf [SPD]: Nein! Das wollen sie nicht!)


Die zweite Alternative ist, sofort – möglichst schon zum
1. Januar dieses Jahres – den Rentenversicherungsbei-
trag anzuheben,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das macht ihr eh! Ob ihr das zum 1. Januar 2006 oder 2007 macht, ändert wenig! – Gegenruf des Abg. Anton Schaaf [SPD]: Unfug!)


ohne dass an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen
wird. Zu dieser Alternative haben Sie sich aber auch
nicht erklärt. Die dritte Alternative wäre, den Bundeszu-
schuss kräftig zu erhöhen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat Herr Müntefering ausdrücklich ausgeschlossen!)


Auch das haben Sie nicht vorgeschlagen.

Interessanterweise haben Sie noch vor einem halben
Jahr ein bisschen mehr Mut gehabt, Herr Kolb. Im Juni
war in der Presse zu lesen: Herr Kolb schlägt als Alter-
native vor, einen Teil der Sozialabgaben vorzeitig auszu-
zahlen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es gibt viele Möglichkeiten, was man machen kann!)


Das wäre doch noch bürokratischer als die derzeitige Re-
gelung. Des Weiteren haben Sie die Anhebung des Ren-
tenversicherungsbeitrags zum 1. Januar 2006 vorge-
schlagen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo liegt denn der Unterschied zu eurer Anhebung?)


– Entschuldigung, aber das würde die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer wie auch die Unternehmen finan-
ziell noch stärker belasten als die jetzige Regelung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was? Nein! – Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Bevor Sie Ihre Zwischenfrage stellen, Herr Kolb,
möchte ich noch feststellen: Wer nach Ihren heutigen
Ausführungen und Ihren Andeutungen im vergangenen
Jahr glaubt, der deutsche Mittelstand habe in der FDP ei-
nen besonderen Fürsprecher, der irrt gewaltig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601411300

Ich gehe davon aus, dass Sie diese Zwischenfrage zu-

lassen, Herr Kollege Weiß. – Bitte schön, Herr Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1601411400

Herr Kollege Weiß, in wem der Mittelstand seinen

Fürsprecher sieht, lassen wir ihn am besten selbst ent-
scheiden.


(Beifall bei der FDP)


Sind Sie bereit, einzuräumen, dass auch nach Aussa-
gen der damaligen Bundesregierung eigentlich nur
5 Milliarden Euro für 2006 in der Rentenkasse gefehlt
hätten und dass Sie damals im Bundesrat durchgewinkt
haben, dass stattdessen 20 Milliarden Euro eingenom-
men werden?

Meine zweite Frage ist: Sind Sie bereit, mir zu erklä-
ren, worin aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen ei-
ner Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge zum
1. Januar 2006 und einer Erhöhung der Rentenversiche-
rungsbeiträge zum 1. Januar 2007 besteht? Das Volumen
wäre doch in etwa gleich gewesen. Inwiefern ist das eine
gut und das andere schlecht?






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb

(Anton Schaaf [SPD]: Eine Milliarde in diesem Jahr für die Unternehmen, Herr Kolb! Das ist der Unterschied!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1601411500

Herr Kollege Kolb, zum Ersten: Wenn es wirklich der

politische Wille der FDP gewesen wäre, dass der Ren-
tenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2006 um mindes-
tens 0,5 Prozentpunkte erhöht wird, dann hätte ich mir
gewünscht, dass das auf allen Wahlplakaten gestanden
hätte


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie mit der Mehrwertsteuererhöhung! Sie wollten zwei Prozent! Jetzt sind es drei! Wahlplakate sind so eine Sache!)


und ein zentrales Thema in den FDP-Wahlkampfreden
gewesen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Zweiten: Die Wirkung wäre gewesen, dass be-
reits in diesem Jahr – ohne dass es zu einer Entlastung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Be-
triebe in unserem Land gekommen wäre – der erhöhte
Rentenversicherungsbeitrag hätte aufgebracht werden
müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist dann so!)


Vorhaben der großen Koalition ist es, den Rentenver-
sicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 auf 19,9 Prozent
anzuheben, gleichzeitig aber eine massive Entlastung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Be-
triebe beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag vorzuneh-
men. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

Herr Kolb, ich sage Ihnen klar und deutlich: Sie ha-
ben uns und der Öffentlichkeit in Ihrer Rede bewusst die
Alternativen verschwiegen, die deutlich machen, was
wir machen sollen, wenn die Sozialabgaben nicht vor-
zeitig einkassiert werden. Eine Antwort darauf bleiben
Sie auch in dem vorliegenden Antrag schuldig. Das
zeigt, dass Sie keine Alternativen haben. Wir können
den Antrag der FDP eigentlich nicht behandeln, weil
keine Alternativen aufgezeigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zu Recht fordert die FDP Strukturreformen in der Ren-
tenversicherung. Aber in ihrem Antrag ist keine einzige
Strukturreform benannt.

Die gute Nachricht ist, dass sich die große Koalition
trotz aller unterschiedlicher Vorstellungen, die bei SPD
und CDU/CSU bestanden und sicherlich weiter beste-
hen, ein Programm in Sachen Rente gegeben hat, mit
dem die großen Strukturreformen wirklich angegangen
werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schauen wir mal!)

Ich wiederhole: Erstens. Wir erhöhen den Rentenbei-
trag 2007 genau dann, wenn wir die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen bei der Bei-
tragszahlung an die Arbeitslosenversicherung entlasten.

Zweitens. Mit uns gibt es – das wird gesetzlich abge-
sichert – keine Rentenkürzungen.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist aber eine!)


Gleichzeitig werden wir in den Jahren, in denen eine
bessere Lohnentwicklung Rentenerhöhungen ermög-
lichte, den Rentenanstieg durch einen entsprechenden
Nachholfaktor dämpfen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also Nullrunden auf Jahre hinaus!)


Drittens. Wir diskutieren in Deutschland schon seit
Jahren über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Wir haben uns nun entschieden – das ist schon jetzt eine
große Leistung der großen Koalition –, das gesetzliche
Renteneintrittsalter ab 2012 allmählich auf 67 Jahre an-
zuheben.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Kürzung!)


Dass das gerechtfertigt ist, erkennt man, wenn man zur
Kenntnis nimmt, dass sich die durchschnittliche Renten-
bezugsdauer von 1960 bis heute um 70 Prozent verlän-
gert hat. Ich finde, es ist gut, dass wir uns entschlossen
haben, endlich zu handeln; denn wir können vor der de-
mographischen Entwicklung und ihren Herausforderun-
gen nicht länger den Kopf in den Sand stecken. Die
große Koalition hat die Wahrheit akzeptiert und handelt
entsprechend. Herr Kolb hingegen hat sich noch vor ei-
nem halben Jahr bei seinen großen rentenpolitischen
Äußerungen, die ich vorhin zitiert habe, gegen eine He-
raufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ausge-
sprochen.

Viertens. Weil die gesetzliche Rente – das ist vor allen
Dingen für die jugendlichen Zuhörerinnen und Zuhörer
wichtig – den künftigen Rentnerinnen und Rentnern
nicht mehr das bringen wird, was sie für die heutigen
Rentnerinnen und Rentner leistet, muss die private
Altersvorsorge als ergänzende Säule attraktiver ge-
macht und konsequent ausgebaut werden. Hierzu hat die
große Koalition zwei – wie ich finde: bemerkenswerte –
Festlegungen getroffen. Ich persönlich halte es für eines
der wichtigsten Vorhaben, das private Wohneigentum in
die Riester-Förderung einzubeziehen. Das werden wir
tun. Mietfreies Wohnen im Alter verringert die Gefahr
der Altersarmut entscheidend. Deshalb ist es richtig und
sinnvoll, dass wir auch diese Anlageform gleichberech-
tigt in die geförderte Altersvorsorge integrieren. Laut ei-
ner heute veröffentlichten Umfrage – das ist in der
Presse nachzulesen – denken 63 Prozent der Bürgerin-
nen und Bürger in unserem Land beim Thema private
Altersvorsorge als Allererstes an privates Wohneigen-
tum. Daraus sollten wir politisch die entsprechenden
Konsequenzen ziehen. Um die Attraktivität der privaten
Altersvorsorge darüber hinaus weiter zu verbessern und
um Familien mit Kindern besonders zu fördern, werden






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

wir die Kinderzulage in der Riester-Rente auf 300 Euro
jährlich erhöhen.

Die Gestaltung einer sicheren und verlässlichen Al-
tersversorgung ist die große soziale Frage der kommen-
den Jahre. Die Menschen erwarten von uns ehrliche Ant-
worten. Die Methode „Augen zu und durch“ wird uns
nirgendwohin führen. Deshalb wird diese Koalition kon-
sequent handeln und die notwendigen Strukturreformen
für die Altersversorgung in Angriff nehmen. In diesem
Punkt entsprechen wir voll und ganz dem Antrag der
FDP. Leider bleiben Sie uns die Antworten schuldig,
während wir sie klar und eindeutig geben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie müssen besser zuhören, Herr Weiß!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601411600

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich dem Kollegen Anton Schaaf von der SPD-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1601411700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kolb, Sie haben Herrn Kollegen Straubinger aufge-
fordert, in dieser Debatte zu gestehen, dass die Union
ihre Unschuld verloren habe.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)


Das will ich jetzt nicht weiter ausbreiten. Aber gestehen
Sie doch bitte Ihre Schuld für den Zustand der sozialen
Sicherungssysteme vor dem Jahr 1998 ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gestehen Sie doch Ihre Schuld dafür ein, dass fünf
Mehrwertsteuererhöhungen mit Ihrer Beteiligung statt-
gefunden haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie über den Entzug von Kaufkraft reden, dann re-
den Sie bitte auch über Ihre Schuld für solche Maßnah-
men. Es würde zur Ehrlichkeit, die Sie von der Gegen-
seite fordern, beitragen, wenn Sie die Schuld für das
eingestehen würden, was Sie in den Jahrzehnten Ihrer
Regierungsbeteiligung ignoriert haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich stelle Ihnen gleich eine Zwischenfrage, wenn sie der Präsident genehmigt!)


Ich weise auf Folgendes hin: Aus meiner Sicht hat man
nicht oder sogar falsch gehandelt, um die sozialen Siche-
rungssysteme sturmreif zu schießen und anschließend
sagen zu können: Lasst uns die Individualisierung der
Lebensrisiken vorantreiben! Lasst die Menschen selber
vorsorgen; denn die Systeme funktionieren ja nicht. –
Das ist der Zusammenhang, den ich in Ihrer Argumenta-
tion, die Sie heute hier geliefert haben, erkennen kann.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601411800

Herr Kollege Schaaf, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Kolb?


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1601411900

Selbstverständlich, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601412000

Bitte, Herr Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1601412100

Herr Kollege Schaaf, wären Sie bereit, zuzugeben,

dass die Schwankungsreserve der Rentenversicherung
1998 bei etwa 12 Milliarden Euro lag, dass Sie zwi-
schenzeitlich eine Ökosteuer mit einem Volumen von
17 Milliarden Euro eingeführt haben, dass Sie die Bei-
tragsbemessungsgrenze genauso wie die Rentenversi-
cherungsbeiträge seit 1998 angehoben haben, dass Sie
die Erlöse aus dem Verkauf der GAGFAH in Höhe von
rund 2,1 Milliarden Euro für die Liquidität der Renten-
kasse verwendet haben,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo ist die Frage zu erkennen? Nach der Geschäftsordnung sollten Sie fragen!)


und wären Sie vor diesem Hintergrund bereit, zuzuge-
ben, dass Sie doch offensichtlich ein bisschen schuldiger
sind als die FDP, der Sie etwas in die Schuhe zu schieben
versuchen, wofür sie wirklich nicht verantwortlich ist?


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1601412200

Ich gestehe Ihnen sicherlich das eine oder andere zu.

Vor allen Dingen gestehe ich Ihnen zu, dass es die rot-
grüne Bundesregierung war, die versucht hat, gerade
was die Rente angeht, Stabilität herzustellen und Struk-
turen zu verändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie waren in über 20 Jahren, während Sie in der Regie-
rungsverantwortung waren, nicht dazu in der Lage und
schreiben jetzt solche Anträge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die zusätzliche private Säule mit der
Riester-Rente aufgebaut. Ich gestehe zu, dass man sie
vereinfachen sollte, damit mehr Menschen daran teilneh-
men können. 5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer zahlen mittlerweile in die Riester-Rente ein.
Wir haben die Strukturreformen angepackt. Dass unsere
Maßnahmen vor dem Hintergrund der Defizite nicht aus-
gereicht haben, ist richtig. Es muss aber auch konstatiert
werden, dass Sie trotz Ihrer Kenntnisse der demographi-
schen Entwicklung und der Belastungen, die die deut-
sche Einheit gebracht hat, keine adäquaten Maßnahmen






(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
getroffen haben. Diese Wahrheit muss bei der renten-
politischen Debatte auch einmal ausgesprochen werden.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie in Ihren Antrag als einzige Forderung schrei-
ben, dass wir Strukturveränderungen brauchen, dann
müssen Sie auch sagen – da haben Kollege Kurth und
andere völlig Recht –, was Sie damit meinen.

Wenn wir Ihrem Antrag zustimmen würden, käme das
in erster Linie einer Gruppe zugute, den Großunterneh-
men, und zwar durch die so entstehenden Zinsgewinne.


(Beifall bei der SPD)


Der Mittelstand wäre nicht der Profiteur. Das muss man
ausdrücklich sagen.

Im Übrigen tun Sie so, als sei das eine enorme zusätz-
liche Belastung für die Unternehmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ist es auch!)


Ich sage noch einmal, worum es geht. Eine Fälligkeit,
also eine Verpflichtung, die man sowieso hat, wird vor-
gezogen. Es wird nichts neu erfunden. Von einer enor-
men Belastung der Unternehmen zu reden, halte ich da-
her für völlig verfehlt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Demnächst muss man gleich den Jahresbeitrag zahlen!)


Ich erinnere übrigens auch gerne an die Steuer- und
Abgabenlast bis 1998. Sie war damals in der Republik
auf dem höchsten Stand aller Zeiten. Allein der Renten-
versicherungsbeitrag lag bei 20,3 Prozent. Hätten wir
nicht gehandelt, wäre er bei 22 Prozent gelandet. Man
muss das einmal so deutlich sagen. Damals trugen Sie
die Verantwortung. Die eingeforderten Strukturverände-
rungen sind unter Rot-Grün auf den Weg gebracht wor-
den. Auch das muss man in aller Deutlichkeit konstatie-
ren dürfen.

Übrigens bin ich der festen Überzeugung, dass es eher
um eine grundsätzliche Auseinandersetzung geht, Herr
Kolb. Auch das darf man einmal ehrlich ansprechen. Ich
habe keine Probleme damit, grundsätzliche Unterschiede
zu diskutieren. Ihnen geht es darum, dass die sozialen Si-
cherungssysteme zunehmend individualisiert werden. In
dem Beitrag des Kollegen Brüderle heute Morgen ist
noch einmal sehr deutlich geworden, worum es Ihnen
geht. Sie verkleistern es immer wieder mit dem Begriff
„Freiheit“. Ich gebe gern ein Beispiel: Sie sagen, es sei
die Freiheit des Einzelnen, über seinen Arbeitsvertrag
individuell zu verhandeln. Ich begreife Freiheit anders:
Die Freiheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
ist es, ihre Interessen zu bündeln und kollektiv zu vertre-
ten. Das erhöht die Freiheit. Ihr Weg schränkt Freiheit
ein.

Die sozialen Sicherungssysteme erhöhen aus meiner
Sicht die Freiheit des Einzelnen. Was ist das für eine
Freiheit, wenn ich permanent Angst vor Altersarmut ha-
ben muss, weil meine Biografie auch Arbeitslosigkeit
beinhaltet? Ich frage noch einmal: Inwiefern wird die
Freiheit des Einzelnen dadurch gestärkt? Inwiefern wird
die Freiheit des Einzelnen gestärkt, wenn er nach einer
schweren Krankheit Angst haben muss, ein Leben lang
Schulden zu haben, weil er nur noch individuell und
nicht kollektiv abgesichert ist? Unsere Freiheitsbegriffe
sind unterschiedlich. Ich sage Ihnen: Zu unserem Frei-
heitsbegriff gehören ohne Zweifel vernünftige, solidari-
sche und auch paritätische Sicherungssysteme für die
Menschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil es nicht oft genug gesagt werden kann, will ich
aufgreifen, was die Konsequenz wäre, wenn wir Ihrem
Antrag zustimmten. Die Kollegen haben es vorhin sehr
deutlich aufgezeigt: Es gibt nur zwei Alternativen. Sie
haben diese Alternativen nicht benannt. Ich kritisiere,
dass Sie in Bezug auf das, was Sie vertreten, gegenüber
den Menschen nicht wirklich Klartext reden. Zum einen
verlangen Sie, dass der Bundeszuschuss für die sozialen
Sicherungssysteme steigt; allein der Bundeszuschuss für
die Rentenversicherung soll um fast 10 Milliarden Euro
steigen. Zum anderen fordern Sie, dass die Staatsver-
schuldung gesenkt wird, dass Staatsabbau betrieben wird
und dass die Maastrichtkriterien eingehalten werden.
Wenn Sie wirklich beides wollen, widersprechen Sie
sich.

Sie wollen – da sagen Sie den Menschen ehrlich, was
Sie meinen –, dass staatliche Leistungen, zum Beispiel
die gesetzliche Rente, gekürzt werden. Ihr Antrag hat al-
lein die Interessen Ihrer Klientel im Auge. Zum richtigen
Zeitpunkt stellen Sie einen Schauantrag, der die Bot-
schaft vermittelt: Liebe Klientel, wir, die FDP, sind noch
da. Auch wenn die Mehrheitsverhältnisse nicht ausge-
reicht haben, uns in Verantwortung zu bringen, sind wir
immer noch eure Interessenvertreter. Nichts anderes be-
deutet der von Ihnen hier vorgelegte Antrag.

Selbstverständlich haben wir gute inhaltliche Gründe,
ihn abzulehnen. Wir haben die Taktik, die hinter der Ein-
bringung Ihres Antrags steht, durchschaut. Mein Kollege
Amann hat sehr ausführlich begründet – dabei hat er
seine Redezeit leicht überschritten –, warum wir diesen
Antrag ablehnen. Deswegen beende ich meine Rede
50 Sekunden vor Ablauf meiner Redezeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1601412300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/396 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Gentech-
nikgesetzes

– Drucksache 16/430 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte diejenigen, die dieser Debatte nicht folgen
wollen, den Plenarsaal zu verlassen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Dr. Maximilian Lehmer von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1601412400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Gesetzesvorhaben haben immer zwei Seiten:
den Wunsch und die Wirklichkeit. Das mag eine Binsen-
weisheit sein; aber in diesem Falle ist sie recht unmittel-
bar anzuwenden. Der Wunsch war und ist, dass eine
breite Debatte rund um die Gentechnikgesetzgebung ge-
führt wird. Wir müssten jetzt einen intensiven Dialog mit
allen Beteiligten führen. Dies müsste gründlich und ver-
antwortungsvoll erfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Realität ist aber, dass wir unter zeitlichem Druck stehen,
die EU-Vorgaben umzusetzen. Die Vorgängerregierung
hat das vor sich hergeschoben; das müssen wir jetzt aus-
baden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist seine erste Rede! Da lassen wir ihm das durchgehen!)


– Jawohl; aber wir schaffen das.

Zu den Fakten. Am 19. Dezember hat die Kommis-
sion Deutschland ultimativ aufgefordert, binnen zwei
Monaten die europäische Freisetzungsrichtlinie umzu-
setzen. Die Umsetzung dieser Richtlinie, die das Gen-
technikrecht auf EU-Ebene verbindlich regelt, ist schon
seit mehr als zwei Jahren überfällig. Die Kommission
drohte an, im Falle der Nichtumsetzung gegen Deutsch-
land ein Zwangsgeld zu verhängen. Dieses Zwangsgeld
kann bis zu 792 000 Euro am Tag betragen. Außerdem
kann es mit einem Pauschalbetrag kombiniert werden,
der noch einmal ein Vielfaches dieses Tagessatzes aus-
machen könnte.
Es war schnell klar, dass wir jetzt keine Zeit für eine
große politische Auseinandersetzung haben, die aber
– ich betone – dringend notwendig und unausweichlich
ist, wenn das Gentechnikrecht politisch umgestaltet
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir entscheiden uns deshalb für ein zweistufiges Verfah-
ren. In einem ersten Schritt konzentrieren wir uns auf die
Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie als solche und in
einem zweiten, sich unmittelbar anschließenden Schritt
werden die übrigen Sachfragen und politischen Streit-
punkte angegangen.

Nun zum ersten Schritt, zur Umsetzung der Freiset-
zungsrichtlinie. Der vorliegende Gesetzentwurf geht auf
eine Formulierungshilfe der Bundesregierung zurück
und ist als Fraktionsinitiative im Bundestag eingebracht
worden. Die EU-Freisetzungsrichtlinie regelt die Frei-
setzung zu Erprobungs- und Forschungszwecken ebenso
wie das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten
Organismen. Ein großer Teil der Regelungen der Richtli-
nie wurde bereits mit dem Gesetz zur Neuordnung des
Gentechnikrechts umgesetzt. Nunmehr erfolgt die Um-
setzung des noch ausstehenden Teils, und zwar konse-
quent nach dem Grundsatz einer Eins-zu-eins-Umset-
zung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edmund Peter Geisen [FDP])


Was ist nun der Inhalt dieses Gesetzentwurfs? Der
Gesetzentwurf betrifft überwiegend Form- und Ver-
fahrensvorschriften. Geregelt wird der Inhalt der
Antragsunterlagen, zum Beispiel in Bezug auf die Um-
weltverträglichkeitsprüfung, die Vorlage eines Beobach-
tungsplans, die Zusammenfassung der Akte, die Nach-
forderung von Unterlagen und die Bezugnahme auf
Unterlagen Dritter. Geregelt werden ferner die Bearbei-
tungsfristen bis zur Entscheidung bzw. bis zur Erstellung
eines Bewertungsberichtes, die Öffentlichkeitsbeteili-
gung – ein wichtiger Punkt – und die Unterrichtung der
Öffentlichkeit über die Überwachungsmaßnahmen.

So weit die Erläuterungen zum ersten Schritt der not-
wendigen Anpassung an die EU-Regelungen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin GöringEckardt)


Lassen Sie mich nun noch einige Aussagen zur weite-
ren Gesetzgebung machen. Wegen der gebotenen Eile
konnten in dem vorliegenden Entwurf die Anliegen des
Bundesrats, die er schon in der letzten Legislaturperiode
mit Nachdruck verfolgt hatte, noch nicht berücksichtigt
werden. In einem zweiten, unmittelbar folgenden Schritt
sollen diese Fragen aufgegriffen werden. Im Wesentli-
chen betrifft dies sehr wichtige Punkte, nämlich die
Frage der Haftungsregelung und die Möglichkeit eines
Ausgleichsfonds, die Definition der guten fachlichen
Praxis, das Auskreuzen aus experimentellen Freisetzun-
gen und die Definition des Inverkehrbringens sowie zu-
sätzliche Verfahrenserleichterungen.

Ziel ist, umgehend einen Gesetzentwurf zu diesen
Fragen vorzulegen. Er sollte so rechtzeitig verabschiedet






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Lehmer
werden – das ist unsere Absicht –, dass die geänderten
Regelungen ihre Wirkung zur Anbauperiode 2006/07
entfalten können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edmund Peter Geisen [FDP])


Ich bin davon überzeugt, dass es zu unserer zweistufi-
gen Vorgehensweise keine Alternative gibt. Die Abwen-
dung des Zwangsgeldes ist eine dringende Aufgabe.
Bitte helfen Sie dabei mit, dass das Gesetzgebungsver-
fahren möglichst zügig durchgeführt werden kann und
unserem Land das Zwangsgeld erspart bleibt!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Nun zu den wichtigen Zielen beim weiteren Vorge-
hen. Es ist uns bewusst, dass die Anwendung der Gen-
technik in der Landwirtschaft und der Ernährungs-
wirtschaft auf Vorbehalte, ja teilweise auf Ablehnung
stößt. Diese Bedenken unserer Bürger müssen und wol-
len wir sehr ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei den Gesprächen mit den Bürgern ist immer wieder
festzustellen, dass viele Vorbehalte auf fehlender oder
unzureichender Information und Aufklärung beruhen.
Leider gibt es viele in unserem Lande, die – das sage ich
ausdrücklich – bewusst oder unbewusst Unsicherheit
und Angst verbreiten.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Mehr bewusst!)


Verantwortliche Politik verlangt aber wissenschaftlich
fundierte und ideologiefreie Information, insbesondere
im Hinblick auf moderne, innovative Zukunftstechnolo-
gien.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Bedauerlicherweise ist in der Vergangenheit fast aus-
schließlich von Risiken der Gentechnik gesprochen wor-
den. Die enormen Vorzüge und Chancen dieser innovati-
ven Technologie wurden dagegen leider auch von
Vertretern der Vorgängerregierung systematisch negiert;
so habe ich es empfunden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edmund Peter Geisen [FDP])


Dabei liegen ausreichend wissenschaftlich fundierte Er-
kenntnisse für die sichere Anwendung auch im Lebens-
mittelbereich vor. Ich weise in diesem Zusammenhang
auf die aktuellen Berichte der bundeseigenen Einrichtun-
gen wie BfR oder BVL und internationaler Einrichtun-
gen wie WHO oder FAO hin. Auf diese Erkenntnisse
wird bei der anstehenden Diskussion zum zweiten Ge-
setzesschritt sicher noch intensiv einzugehen sein.

Alle künftigen Regelungen im Gentechnikgesetz
müssen klare Aussagen bringen, und zwar erstens zum
Schutz von Mensch und Umwelt – ich denke, dieser
Punkt hat oberste Priorität –,


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

zweitens zur fairen Koexistenz aller Anbauverfahren auf
dem Acker, drittens zur Wahlfreiheit für den Verbrau-
cher und nicht zuletzt viertens zu verlässlichen Rahmen-
bedingungen für die innovative Forschung und den ge-
samten Investitionsbereich.

Neuere Forschungsansätze wie die Arbeit an Pflanzen
für die verbesserte Nährstoffzusammensetzung, die ge-
steigerte Krankheits- und Schädlingsresistenz und die
Optimierung als nachwachsende Rohstoffe – ein, wie ich
denke, ganz aktuelles Thema – sind sehr erfolgverspre-
chend und zeigen überzeugende Ergebnisse. Von vielen
Wissenschaftlern und Wirtschaftsexperten wird die Bio-
technologie deshalb übereinstimmend als Schlüsseltech-
nologie für die nächsten Jahrzehnte bezeichnet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Viele Pflanzenzüchter, Landwirte und Verbraucher
weltweit nutzen bereits die Vorzüge der Pflanzenbio-
technologie. So werden derzeit bereits über 80 Millionen
Hektar gentechnisch bearbeitete Pflanzen angebaut. Ge-
rade in Entwicklungsländern – ich verweise auf den ak-
tuellen FAO-Bericht, der das ganz deutlich ausweist –
hat der Einsatz der Gentechnik den Menschen wertvolle
Hilfe geleistet. Sowohl Anbauer wie Verbraucher nutzen
damit den biologischen und ökonomischen Vorteil dieser
modernen Technologie.

Innovative Anbaumethoden auf Basis der Gentechnik
sind jedoch nicht nur von ökonomischem Nutzen, son-
dern zeigen auch sehr positive Umwelteffekte: die Ein-
sparung von Treibstoffen, die Reduzierung von Boden-
erosion, die Verringerung des Landverbrauchs


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn das für Märchen?)


und die Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsat-
zes, um nur einige wichtige zu nennen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bereits diese kurze Darstellung zeigt, dass in der Nut-
zung der grünen Gentechnik für alle Beteiligten große
Chancen stecken. Mit dem jetzt zu schaffenden gesetzli-
chen Regelwerk sind diese auch erfolgreich zu nutzen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Edmund Peter Geisen [FDP])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601412500

Herr Lehmer, das war Ihre erste Rede in diesem

Hause. Dafür bedanken wir uns herzlich und wünschen
Ihnen weiterhin Erfolg.


(Beifall)


Ich gebe das Wort Dr. Christel Happach-Kasan von
der FDP-Fraktion.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1601412600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich, heute zu Ihnen zu sprechen. Ich möchte






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
dem Kollegen Lehmer zu seiner ersten Rede hier gratu-
lieren, in der er sehr überzeugend und sachlich kompe-
tent über die Vorzüge der grünen Gentechnik gesprochen
hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Kollege Lehmer, ich sehe Sie als einen Verbünde-
ten dabei an, diese Bundesregierung und diese große Ko-
alition anzutreiben, den Worten tatsächlich Taten folgen
zu lassen. Ich nehme Sie als Kronzeugen; denn auch Sie
wollen eine weitere Novellierung des Gentechnikgeset-
zes. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit – in
diesem Fall mit der Regierung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ein vergiftetes Lob!)


Liebe Kollegin Drobinski-Weiß, ich bin ein bisschen
erschüttert darüber, dass die SPD-Fraktion das Thema
Abwendung von Zwangszahlungen gar nicht auf ihrer
Tagesordnung hat. Sie haben Ihrem Koalitionskollegen
vorhin keinen Beifall gezollt, obwohl die SPD mitver-
antwortlich dafür ist, dass die Bundesregierung in diese
schwierige Situation gekommen ist. Ich finde dieses Ver-
halten ausgesprochen schade und hoffe, dass es noch ein
bisschen mehr Einsatz für die Abwendung von Zwangs-
zahlungen gibt, damit Minister Steinbrück nicht unnö-
tige Geldausgaben tätigen muss.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sagen Sie das mal den Landesregierungen mit FDP-Beteiligung!)


Ich will ausdrücklich sagen, dass der Einstand von
Minister Seehofer gut gewesen ist. Das Bundessorten-
amt hat erstmals den Anbau und Vertrieb von drei gen-
technisch veränderten Pflanzensorten erlaubt. Damit ist
der Minister – es ist schade, dass er heute nicht anwe-
send ist – zu einer Politik der Rechtsstaatlichkeit zurück-
gekehrt. Das verdient zwar kein Lob, weil es selbstver-
ständlich ist, aber es verdient Anerkennung, weil es
einen Bruch mit dem Verhalten der Vorgängerregierung
bedeutet. Deutschland ist keine Bananenrepublik.


(Beifall bei der FDP – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Vielen Dank für den Beifall von der SPD. Sie haben es
erkannt.

Deutschland läuft Gefahr, ab dem 19. Februar zur
Zahlung von Strafgeldern verpflichtet zu werden. Das ist
eine Altlast der rot-grünen Regierung


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Bundestag gewesen!)


– nein, das ist die Altlast der rot-grünen Regierung –, die
mit dem Bundesrat nicht ins Einvernehmen kommen
konnte.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Keine Geschichtsverfälschung! – Ute Kumpf [SPD]: So sind sie von der FDP!)


Aber auch die große Koalition hätte es schaffen können,
einen Entwurf für dieses Minimalgesetz rechtzeitig vor-
zulegen. Ich finde es schade, dass sie es nicht hinge-
kriegt hat.


(Beifall bei der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht hingekriegt!)


Ich beklage sehr, dass Minister Seehofer mal so und
mal so spricht. Der Minister hat die Verantwortung für
die Umsetzung des Koalitionsvertrages. Dort heißt es,
die grüne Gentechnik solle in Anwendung und For-
schung gefördert werden. Das ist eine sehr eindeutige
Aussage. Wir messen Sie daran, ob Sie das schaffen wer-
den.

Die Bedenken aus der SPD – wir haben darüber lesen
können – zielen darauf ab, die Grünen in ihrer Rolle als
Angstschürer zu beerben.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Ute Kumpf [SPD]: Welche Worte! – Zuruf von der FDP: So ist es!)


Auf einmal ist vergessen, dass die SPD-Minister
Bulmahn, Clement und Stolpe sehr wohl die Beschäfti-
gungspotenziale der grünen Gentechnik erkannt ha-
ben. Bei 4,6 Millionen Arbeitslosen haben wir keinen
Bedarf für eine solche Politik von Bedenkenträgern.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Frak-
tion, ich empfehle Ihnen, einen Blick auf die Internet-
seite der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Ener-
gie zu werfen. Schwerpunktthema ist dort die Bio- und
Gentechnologie. Dort heißt es:

Die Bio- und Gentechnologie zählt zu den wichtigs-
ten Innovationsfeldern des 21. Jahrhunderts. Sie
setzt starke Impulse für die verschiedenen Anwen-
dungsbereiche und wird wirtschaftlich in Zukunft
eine große Rolle spielen.

Ich empfehle Ihnen, sich einmal bei Ihrer Gewerkschaft
zu informieren.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Sind Sie Mitglied? – Ulrich Kelber [SPD]: Schauen Sie mal auf die Webseite von Bauen-AgrarUmwelt zu diesem Thema! Die sind dafür zuständig!)


Wir brauchen geeignete Rahmenbedingungen. Des-
halb muss das Gentechnikgesetz, wie es Kollege Lehmer
gesagt hat, weiter novelliert werden, so wie dies in der
Begründung des heute vorgelegten Gesetzentwurfs fest-
geschrieben ist.

An die Adresse der CDU/CSU muss die Frage gerich-
tet werden: Kann sich die Öffentlichkeit darauf verlas-
sen, dass das, was im Koalitionsvertrag und in der Geset-
zesbegründung festgeschrieben ist, auch tatsächlich
umgesetzt wird?


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Natürlich nicht! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Bibel!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
Dies muss glaubwürdig hier vertreten und anschließend
umgesetzt werden. Denn die vollständige Novellierung
des Gentechnikgesetzes ist unter Rot-Grün gescheitert.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Mehrwertsteuer wolltet ihr das auch nicht haben!)


Eine Zustimmung der FDP zu diesem Gesetz ist da-
von abhängig, dass die Novellierung des ersten Gesetzes
bis zur Sommerpause verbindlich zugesagt wird. Was
wir Rot-Grün nicht haben durchgehen lassen, lassen wir
auch einer großen Koalition nicht durchgehen. Das muss
ganz klar sein.

Herr Minister, die „Welt“ hat Ihnen schon jetzt einen
Verlust an politischer Glaubwürdigkeit attestiert.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


– Ja, die Glaubwürdigkeit ist zu Recht nicht mehr gege-
ben; denn er spricht mal so und mal so. – Herr Minister,
schaffen Sie Klarheit!

Bemerkenswert ist aber auch der Kommentar in der
„FAZ“ zur Sendung „Menschen bei Maischberger“, in
der es um das Thema „Hysterie ums Essen?“ ging. Ich
denke, einige von Ihnen haben sie gesehen. Wissen-
schaftler durften nicht dabei sein, heißt es. Es ging ja um
Gentechnik. Ich frage Sie: Ist das wirklich repräsentativ
für den Wissensstandort Deutschland?

Ein großes Thema in dieser Legislaturperiode wird
der Einsatz von Biomasse zur Energiegewinnung sein.
Bei der energetischen Nutzung von Biomasse kommt es
auf Masse an; sonst ist die Biomassenutzung nicht wett-
bewerbsfähig. Mais kann als C4-Pflanze besser als un-
sere heimischen C3-Pflanzen Kohlenstoff assimilieren.
Herr Biologe, Sie können es sicher bestätigen. Deshalb
setzen die Betreiber von Biogasanlagen auf den Mais.
Deswegen ist die Strategie der Landwirte richtig, Bt-
Mais in Deutschland anzubauen. Dies geschieht auf
mehr als 1 000 Hektar.


(Ulrich Kelber [SPD]: Schon mal was von kombiniertem Anbau gehört?)


Deutschland ist ein Hochlohnland. Wir sind ein roh-
stoffarmes Land. Deswegen müssen wir in Deutschland
auf Innovationen setzen. Das ist eine Aufgabe für die
Bildungs- und Forschungspolitik. Es muss aber auch die
Aufforderung an die gesamte Gesellschaft geben, Inno-
vationen offen zu begegnen, statt sie emotional auszu-
grenzen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601412700

Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1601412800

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Wem die Menschen in diesem Land am Herzen lie-
gen, wer sich für die Zukunftschancen unserer jungen
Menschen einsetzt, sollte endlich die Scheuklappen ab-
legen, diffuse Ängste in den Müll werfen und für Inno-
vationen werben: für die Anwendung der grünen, der ro-
ten und der weißen Gentechnik.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601412900

Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1601413000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute den
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gen-
technikgesetzes ein, um damit endlich die EU-Freiset-
zungsrichtlinie komplett umzusetzen. Die Zeit drängt.
Wir müssen einer Verurteilung durch den Europäischen
Gerichtshof wegen Nichtumsetzung zuvorkommen;
denn niemand, so denke ich, wird wirklich wollen, dass
wir in die Situation kommen, Strafzahlungen leisten zu
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin froh darüber, dass wir uns mit dem Koalitions-
partner darauf einigen konnten, dieses dritte Gentechnik-
änderungsgesetz auf die Regelungen zu beschränken, die
zur Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie noch aus-
stehen.

Es sei mir als SPD-Abgeordnete aber die Bemerkung
gestattet: Das hätten wir schon früher haben können,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


nämlich im Sommer letzten Jahres, als unser zweites
Gentechnikänderungsgesetz hätte verabschiedet werden
können, hätte das nicht die Mehrheit im Bundesrat ver-
hindert.


(Ulrich Kelber [SPD], zur FDP gewandt: Fast wortgleich, Frau Happach-Kasan! Wo waren Sie da?)


Ich denke, es ist wichtig, hier noch einmal deutlich da-
rauf hinzuweisen.


(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft
und in der Lebensmittelproduktion ist ein sensibles
Thema. Denn 79 Prozent der Verbraucherinnen und Ver-
braucher lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel
ab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413100

Würden Sie denn eine Zwischenfrage gestatten?


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1601413200

Nein. – Deshalb ist es so wichtig, dass sie die Wahl

haben und selbst entscheiden können, ob sie gentech-
nisch veränderte Produkte kaufen wollen oder nicht.
Deshalb ist es so wichtig, dass der Schutz der konventio-
nellen und ökologischen Landwirtschaft vor Einträgen
aus dem GVO-Anbau gewährleistet bleibt, damit eine
gentechnikfreie Landwirtschaft weiterhin möglich ist
und den Verbraucherinnen und Verbrauchern gentech-
nikfreie Produkte angeboten werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier gibt es Arbeitsplätze, Frau Kollegin, und nirgendwo
anders.

Wir wollen die Chancen der Gentechnik nutzen. Des-
halb haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verstän-
digt, die Forschung auf diesem Gebiet weiter zu fördern.
Insbesondere im Bereich der so genannten weißen Gen-
technik sehen wir großes Potenzial.

Wir halten aber daran fest, dass der Schutz von
Mensch und Umwelt Vorrang vor wirtschaftlichen Erwä-
gungen haben muss und dass Koexistenz und Wahlfrei-
heit gewahrt bleiben müssen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Für uns haben die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher Priorität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Mittel
zum Leben, die 80 Prozent der Menschen in Deutsch-
land haben wollen, weiterhin produziert werden können.
Das hat auch mit Demokratie und wirtschaftlichem Er-
folg zu tun.

Mit Besorgnis habe ich die Erwägung der Firma Hipp
aufgenommen, bei zunehmendem Anbau von gentech-
nisch veränderten Pflanzen in Deutschland die Rohstoffe
für ihre Kindernahrung künftig aus dem Ausland bezie-
hen zu wollen. Wie jedes intelligente und erfolgreiche
Unternehmen richtet Hipp sein Angebot nach den Be-
dürfnissen seiner Kundinnen und Kunden aus. Vermut-
lich steht diese Firma mit solchen Erwägungen nicht al-
lein.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das stimmt!)


Ich bin dankbar, dass sie öffentlich geäußert worden
sind.


(Beifall bei der SPD)


Denn dadurch haben wir die Chance, darauf zu reagie-
ren. Einigen von uns wird vielleicht erst dadurch klar,
dass eine Absenkung des Schutzniveaus für die gentech-
nikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion so-
wohl von den Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie
den Landwirten als auch von einem Teil der Unterneh-
men als Bedrohung wahrgenommen wird.

Ich möchte Herrn Hipp und möglicherweise noch
viele andere Unternehmer aus der Lebensmittelwirt-
schaft heute von hier aus beruhigen: Wir sorgen dafür,
dass bei uns weiterhin gentechnikfrei angebaut werden
kann. Die Unternehmer werden weiterhin gentechnikfrei
produzieren können und ihre Kundinnen und Kunden
werden weiterhin ihre Ware aus gentechnikfreien Roh-
stoffen auch aus Deutschland kaufen können.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir mit dem heute vorliegenden Entwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
die EU-Freisetzungsrichtlinie umgesetzt haben werden,
werden wir dafür eine gute Grundlage geschaffen haben.
Wir werden diesen Entwurf natürlich noch eingehend
beraten, aber ich bin zuversichtlich, dass wir die darin
geregelten Verfahrensfragen bald mit großer Mehrheit
verabschieden können. Viel Spielraum haben wir dabei
ohnehin nicht, da es sich um die Umsetzung von EU-
Recht handelt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413300

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601413400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag sagt
zur Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie:

Der Schutz von Mensch und Umwelt bleibt, ent-
sprechend dem Vorsorgegrundsatz, oberstes Ziel
des deutschen Gentechnikrechts. Die Wahlfreiheit
der Landwirte und Verbraucher und die Koexistenz
der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen
müssen gewährleistet bleiben.

Nur, die Politik dieser Regierung verletzt diese Grund-
sätze. Keines der diskutierten gesundheitlichen oder
ökologischen Risiken der grünen Gentechnik ist wider-
legt. Dagegen mehren sich die bestätigenden Hinweise.
Ihre Anwendung jetzt dennoch zu forcieren, halten wir
für schlichtweg unvereinbar mit dem Vorsorgegrundsatz.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflan-
zen in ein offenes System nimmt den Menschen die
Wahlfreiheit, zumindest schleichend. Nichtanwender
werden früher oder später Verunreinigungen hinnehmen
müssen, weil es viele nicht oder kaum kontrollierbare di-
rekte und indirekte Verschleppungswege gibt. Zum Bei-
spiel werden Rapspollen über 26 Kilometer verbreitet,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Rapssamen bleibt über viele Jahre hinweg im Boden
keimfähig.

Mit diesem Gesetz wird deshalb „gentechnikfrei“ in
Zukunft nur noch die Einhaltung von Grenzwerten be-
deuten. Das sollte den Menschen dann auch ehrlich ge-
sagt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Unbeantwortet ist die Frage nach den Kosten von
Maßnahmen zur Koexistenz. In einer von der EU-Kom-
mission in Auftrag gegebenen Studie werden die Kosten
bei Raps, Mais und Kartoffeln auf 53 bis 345 Euro pro
Hektar geschätzt. Wer bezahlt solche zusätzlichen Auf-
wendungen? Wer haftet für trotzdem eingetretene Schä-
den?

Aber davon abgesehen: Ihr Versprechen für Koexis-
tenz und Wahlfreiheit ist nach Lage der Dinge unredlich,
weil es nicht haltbar ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Fraktion Die Linke steht an der Seite der vielen
Landwirte, die die grüne Gentechnik strikt ablehnen und
sich ihr uraltes Nachbaurecht nicht durch Gentech-Kon-
zerne nehmen lassen wollen. Wir stehen an der Seite der
übergroßen Mehrheit der Verbraucherinnen und Ver-
braucher, die solche Lebensmittel nicht wollen. Ihre In-
teressen haben für uns eine höhere Priorität als giganti-
sche Gewinnerwartungen von Gentech-Konzernen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind keine Maschinenstürmer, aber die grüne
Gentechnik ist eine Risikotechnologie, deren Schäden
nicht rückholbar sind. Freilandanwendungen sind daher
unbeherrschbare Großversuche.

Die gegebenen Versprechen hat sie nicht erfüllt: In
den USA werden auf Genfeldern bereits 13 Prozent
mehr Pestizide versprüht als auf konventionell bewirt-
schafteten Äckern, mit stark zunehmender Tendenz. Vor
allem herbizidresistenter Genraps ist zu einem hartnäcki-
gen Unkraut geworden, weil sich viele verschiedene
Genrapssorten untereinander gekreuzt haben und nun
gegen alle eingesetzten Totalherbizide resistent sind.

Es gibt also keinen Grund zur Entwarnung. Es steht
mehr denn je die Frage im Raum, ob grüne Gentechnik
überhaupt gebraucht wird.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sehen wohl auch die über 160 Regionen,
3 500 Städte und Gemeinden, die sich zu gentechnik-
freien Zonen erklärt haben, und Zehntausende Bauern
so.

Es stellt sich abschließend die Frage: In wessen Inte-
resse handelt die Regierung?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413500

Das Wort hat die Kollegin Uli Höfken, Bündnis 90/

Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Tackmann, Ihre Rede hat mich echt ge-
freut. Ich fände es aber auch gut, wenn die Linke, die in
Mecklenburg-Vorpommern an der Regierung beteiligt
ist, da aber leider unter dem Tisch sitzt, wenn es um das
Thema Gentechnik und Agrogentechnik geht, sich ein-
mal etwas lauter äußern


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


und das unglaubliche Vorpreschen in diesem Punkt viel-
leicht doch etwas bremsen würde.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Fragen Sie mal Herrn Methling!)


– Wir haben erlebt, wie Sie sich im Bundesrat verhalten
haben.

Ich habe gestern im Bayerischen Fernsehen eine Sen-
dung zum Thema „Hipp kontra Seehofer“ gesehen. Da
ging es um die Frage: Gefährdet Seehofer die
150 000 Arbeitsplätze in der Biobranche, die 1 200 Ar-
beitsplätze in seinem Wahlkreis bei Hipp oder die vielen
Hunderttausend Arbeitsplätze in der Qualitätserzeu-
gung? Ich denke, das sind Fragen, die sich auch die CSU
stellen sollte. Sie können sich übrigens einmal bei der
BioFach diesen innovativen Bereich der Lebensmitteler-
zeugung ansehen. Es ging in der Sendung auch um die
Gentechnikoffensive, die in Bayern gestartet werden
sollte und die dann aufgrund der Abwehr der Bevölke-
rung zurückgezogen wurde.

Ich sage ganz klar: Es ist zu begrüßen, dass die große
Koalition das „grüne“ Gentechnikgesetz – oder das rot-
grüne; schön, wenn Sie dazu stehen – heute wieder ein-
bringt. Gut ist, dass die wichtigen Regelungen im Gen-
technikgesetz erhalten bleiben, nämlich diejenigen, die
die Haftung, die Transparenz im Standortregister und
den Schutz ökologisch sensibler Gebiete betreffen. Es ist
wichtig, dass diese Regelungen erhalten bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war im Übrigen ganz überflüssig, dass Sie, auch
Sie von der FDP, dieses Gesetz im Bundesrat ein ganzes
Jahr lang verhindert haben.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Weil Sie das erste Gesetz nicht ändern wollten! Das wissen Sie ja!)


Die Androhung mit dem Zwangsgeld hat jetzt Einsicht
gebracht. Ich denke aber, ebenfalls dazu beigetragen hat,
dass viele der Kampfparolen gerade der CDU – und auch
mancher SPDler –


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wir haben nicht nur Parolen; wir kämpfen auch! – Ute Kumpf [SPD]: Also, dieses Nachtreten!)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
bezüglich der Haftungsregelung im Realitätstest durch-
gefallen sind. Sie haben auch keine bessere Lösung ge-
funden. Eine Pressemitteilung des Bauernverbands von
heute – auch das ist eine Ente – besagt, dass die Pflan-
zenzüchter jetzt einen Haftungsfonds wollen. Das
stimmt definitiv nicht. Die sagen wörtlich: Einen Haf-
tungsfonds lehnen wir ausdrücklich ab.

Es sollte also so bleiben, wie es im geltenden Gen-
technikgesetz geregelt ist. Wir warnen die große Koali-
tion auch ganz klar davor – das hat sie ja offiziell
angedroht –, nach dieser Novelle, in der es um die Um-
setzung von EU-Recht geht, die Schutzregelungen für
die gentechnikfreie Produktion zu verändern. Denn das
wäre ein richtig schmutziger Deal, mit dem dann durch
die Hintertür Anforderungen an die Sicherheit und an die
Sorgfaltspflichten im Umgang mit der Agrogentechnik
gelockert werden sollen, nach dem Motto: Wie definiere
ich Schadensersatzansprüche so um, dass die Versicherer
kein Risiko mehr haben?


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Darum geht es nicht!)


Nein, das werden wir nicht durchgehen lassen. Uns
geht es nämlich um die Wahlfreiheit von Bauern und
Verbrauchern. Die sollten auch Sie im Blick haben,
wenn die zweite Stufe, die Sie ankündigen, nicht der
Weg in den Abgrund für Sie werden soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eins-zu-eins-Umsetzung heißt aber auch – das haben
wir jetzt aus dem Fall der Maissorte MON 863 der Firma
Monsanto gelernt –, dass es einer Verbesserung bei der
Öffentlichkeitsbeteiligung bedarf. Das fordern die Um-
weltverbände zu Recht ein. Diese Forderung werden wir
unterstützen. Mittlerweile gibt es auch ein Gerichtsurteil
dazu.

Die versprochene Wahlfreiheit für Verbraucher, Bau-
ern, Wirtschaft – nicht nur für Hipp, aber dem hat Herr
Seehofer es öffentlich versprochen – kann es nur geben,
wenn der Schutz der gentechnikfreien Produktion mit al-
ler Seriosität aufrechterhalten wird. Das geht nur mit
Beibehaltung des Gentechnikgesetzes von Rot-Grün.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das muss novelliert werden!)


Daran darf nicht weiter herumgedoktert werden. Wir
wollen Freiheit statt Zwangsbeglückung.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413700

Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1601413800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem
Kollegen Lehmer ausdrücklich sehr dankbar, dass er hier
einen sachlichen Dialog eingefordert hat. Liebe Kollegin
Happach-Kasan, wenn Sie von Kronzeugen sprechen,
dann sage ich Ihnen: Zu einer umfangreichen Beweis-
aufnahme gehört natürlich auch die Kenntnisnahme von
Dokumenten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein wesentliches Dokument, das dieser Debatte zu-
grunde liegt, ist der Koalitionsvertrag. Er ist eine hervor-
ragende Grundlage, da er zwei feste Grundprinzipien be-
rücksichtigt, nämlich erstens die Koexistenz und
zweitens die Wahlfreiheit. Alle künftigen Regeln müssen
sich an diesen zwei Grundwerten orientieren und messen
lassen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


– Liebe Frau Kollegin Happach-Kasan, Sie haben sehr
schnell gesagt, die Haftung müsse aufgelockert werden.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Habe ich nicht gesagt!)


Ich rate Ihnen: Schauen Sie sich einfach einmal an, wie
schwer es bereits heute für einen Landwirt, der konven-
tionell arbeitet, beispielsweise im Fall der Lieferung von
mangelhaftem Saatgut ist, seine eigentlich ganz klaren
Ansprüche in der Praxis durchzusetzen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir Koexistenz ernst nehmen wollen, dann
müssen wir die Praxis berücksichtigen. Die Existenz
muss gewährleistet sein. Es kann nicht sein, dass Pro-
zesse jahrelang ausgefochten werden müssen, bevor man
Schäden ersetzt bekommt.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Richtig! Deswegen brauchen wir in dem Gesetz den Haftungserhalt!)


Neben der Koexistenz ist die Wahlfreiheit der zweite
feste Grundwert. Wahlfreiheit setzt Transparenz voraus,
und zwar an allen Stellen.


(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Dieser Grundwert, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, ist jetzt betroffen. Die EU-Freisetzungsrichtli-
nie stellt das Recht der Öffentlichkeit auf Information in
den Mittelpunkt. Frau Kollegin Höfken, manchmal kann
man bestehende Entwürfe – selbst dann, wenn die Grü-
nen daran mitgewirkt haben – noch verbessern.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich auch gesagt!)


Insofern möchte ich das Hohe Haus bitten, einen
Punkt zu berücksichtigen: Wenn wir uns den Gesetzent-
wurf, wie er augenblicklich vorliegt, ansehen, dann stel-
len wir fest, dass in § 28 a zahlreiche Einschränkungen
genannt werden. Ich glaube, wir tun gut daran – auch
wenn die Debattenzeit und die Beratungszeit im






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Matthias Miersch
Ausschuss kurz bemessen sind –, uns diesen Punkt noch
einmal genau anzusehen und ihn mit dem Ziel der EU-
Freisetzungsrichtlinie zu vergleichen, in der eindeutig
geregelt ist, dass das Recht der Öffentlichkeit auf
Information ein hohes Gut ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die grüne Gentechnik ist sicherlich ein Thema, zu
dem man geteilter Meinung sein kann. Ich glaube, die
Koalitionsfraktionen haben mit dem Koalitionsvertrag
eine gute Grundlage beschlossen. Wir müssen jetzt über
dieses Thema streiten. Alle, die meinen, in diesem Be-
reich müsse liberalisiert und aufgeweicht werden, müs-
sen berücksichtigen, dass es letztlich um die Frage geht,
ob derjenige, der auf eine jahrhundertealte Tradition
setzt, in seiner Rechtsposition geschützt werden sollte,
und derjenige, der – zu Recht – eine neue Technologie
verwendet, für eventuelle Schäden haften muss. Ich
finde, das ist eine Selbstverständlichkeit. Daran sollten
wir uns und alle zukünftigen Regeln messen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601413900

Herr Kollege Miersch, das war hier Ihre erste Rede.

Dazu gratulieren wir Ihnen ganz herzlich und wünschen
Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit.


(Beifall)


Ich schließe hiermit die Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/430 zu überweisen, federführend an den
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss,
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Aus-
schuss für Gesundheit, den Ausschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Gibt es dazu weitere Vorschläge? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verein-
fachung der abfallrechtlichen Überwachung

– Drucksache 16/400 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Bundesminister Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch
den vorgelegten Gesetzentwurf wird die abfallrechtliche
Überwachung nachhaltig vereinfacht und gleichzeitig ef-
fizienter gemacht. Wir reagieren damit auf Forderungen,
die sowohl die Umweltverwaltungen als auch die Unter-
nehmen erhoben haben. Der Gesetzentwurf schafft eine
Gewinner-Gewinner-Situation: einerseits für die Um-
weltbehörden, andererseits für die Wirtschaft und die
Umwelt. Wir können künftig mit weniger Bürokratie
und vor allen Dingen mit geringeren Personalkosten den
gleichen, wenn nicht sogar mehr Umweltschutz errei-
chen.

Der Gesetzentwurf birgt nach Auffassung der Bun-
desregierung drei Vorteile:

Erstens. Er sorgt für eine stringente Anpassung an
das Recht der Europäischen Gemeinschaft. Das ist
insbesondere für die Unternehmen, aber auch für dieje-
nigen, die EG-weit tätige Unternehmen überwachen,
wichtig. Ich glaube, dass das von besonderer Bedeutung
ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wir stellen das Nachweisverfahren konse-
quent auf elektronische Kommunikationssysteme um.
Bisher erhalten die zuständigen Überwachungsbehörden
pro Jahr circa 125 000 Entsorgungsnachweise und
2,5 Millionen Begleitscheine auf dem Formularweg zur
Prüfung; das kann man, wie ich finde, fast nicht glauben.
Die bundesweite Nutzung moderner Kommunika-
tionstechniken vereinfacht den Datenaustausch, senkt
die Kosten und entlastet Behörden von Routineaufga-
ben. Ich glaube, das ist überfällig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Der Gesetzentwurf schöpft in einzelnen
Überwachungsbereichen wichtige spezifische Vereinfa-
chungsoptionen aus. Künftig besteht beispielsweise
nicht mehr die Pflicht, betriebliche Abfallkonzepte und
Bilanzen zu führen; denn sie haben in der Praxis nicht
zur erwarteten Optimierung der betrieblichen Abfall-
wirtschaft geführt.

Ich möchte noch auf eine wichtige Besonderheit des
Projekts hinweisen: Das Bundesumweltministerium hat
dieses Vereinfachungskonzept im Auftrag der Umwelt-
ministerkonferenz, gemeinsam mit den Ländern und im
Dialog mit der Wirtschaft vorbereitet. Diese breite Basis
sichert eine sehr hohe Akzeptanz. Schon jetzt, während
das Gesetzgebungsverfahren hier im Parlament eigent-
lich erst beginnt, bereiten sich die Behörden und die
Wirtschaft auf das neue Verfahren und die EDV-Systeme
vor. Alle Betroffenen wollen, dass wir das Rechtset-
zungsverfahren zügig durchführen.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darum ge-
beten, weitere Vereinfachungsoptionen im Abfallrecht
erst nach Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens
aufzugreifen. Er hat die Beratung der parallel vorgeleg-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
ten Verordnung zur Vereinfachung der abfallrechtlichen
Überwachung zurückgestellt, da erst dieses Gesetz ver-
abschiedet werden muss. Der Bundesrat wird die Bera-
tung der Verordnung aber zügig aufnehmen, sobald hier
im Haus das parlamentarische Ergebnis vorliegt.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich Sie da-
rum, den vorgelegten Gesetzentwurf zügig zu beraten
und zu verabschieden. Er ist sicherlich ein gelungenes
Beispiel dafür, dass es sehr wohl möglich ist, zum Wohle
von Umwelt und Wirtschaft und im Interesse einer effi-
zienten öffentlichen Verwaltung zusammenzuarbeiten.

Weil auch das zu diesem Thema gehört, will ich diese
Gelegenheit nutzen, um auf einige Presseberichte vom
letzten Wochenende hinzuweisen, in denen behauptet
wurde, dass es in Deutschland einen akuten Müllnot-
stand gebe. Davon kann keine Rede sein. Vielmehr ist
festzustellen: Die Anforderungen der seit Juni 2005 gel-
tenden Ablagerungsverordnung zeigen ihre gewollte
Wirkung. Nicht verwertbare Abfälle werden vor ihrer
Ablagerung entweder in Müllverbrennungsanlagen oder
in mechanisch-biologischen Anlagen behandelt – in ei-
nem der beiden Anlagentypen müssen sie behandelt wer-
den – und nicht mehr einfach zu billigen Preisen in De-
ponien verbracht.

Insbesondere die kommunalen Entsorger haben recht-
zeitig die erforderlichen Maßnahmen getroffen. Für
Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle wurden
ausreichende Behandlungskapazitäten geschaffen. Es
trifft allerdings zu, dass es bei Gewerbeabfällen in be-
stimmten Regionen in Deutschland Engpässe gibt. Dies
liegt daran, dass sich einige gewerbliche Abfallerzeuger
trotz der langen Übergangsphase von immerhin zwölf
Jahren nicht rechtzeitig auf die neue Situation eingestellt
haben und die kommunalen Anlagen mit ihren eigenen
Abfällen weitgehend ausgelastet sind.

Ich jedenfalls erinnere mich noch ganz gut an die Dis-
kussion, die vor zwölf Jahren geführt wurde. Die De-
batte über die Verbrennung bzw. die mechanisch-biolo-
gische Vorbehandlung des Mülls war ja bundesweit
bewegend. Diese Frage ist entschieden worden. Ich
glaube, alle Beteiligten hatten ausreichend Zeit, um sich
auf die neue Situation vorzubereiten. Allein in den kom-
munalen Abfallentsorgungsanlagen wurden Investitio-
nen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro getätigt. Die Kom-
munen haben enorme Vorleistungen erbracht. Wenn man
nun die Klage hört, beim Gewerbemüll sei ein Entsor-
gungsnotstand ausgebrochen, dann liegt das schlicht und
ergreifend daran, dass diejenigen, die sich nicht vernünf-
tig vorbereitet haben, jetzt „Haltet den Dieb!“ rufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gefordert sind in diesem Bereich verstärkte Anstren-
gungen zur Verwertung. Bei der Entsorgung von ge-
werblichen Abfällen gibt es hier noch große Potenziale.
Geboten ist dabei zum Beispiel die verstärkte Trennung
der Abfälle. Der in Zeiten enger Rohstoffmärkte auch
wirtschaftlich gebotene Vorrang der Verwertung ist auch
bei Gewerbeabfällen zu realisieren. Die deutsche Entsor-
gungswirtschaft kann den gewerblichen Abfallerzeugern
dabei ein wirklich leistungsfähiger Partner sein. Darüber
hinaus müssen in Bau und Planung befindliche Verbren-
nungsanlagen sowie mechanisch-biologische Behand-
lungsanlagen schnellstmöglich fertig gestellt und beste-
hende Anlagen gegebenenfalls erweitert werden. Für die
heizwertreichen Abfallbestandteile sollten die vorhande-
nen Müllverbrennungskapazitäten in Kraft- und Zement-
werken genutzt werden.

Ich denke, dass es sinnvoll war, angesichts dieser De-
batte über ein, so hoffe ich jedenfalls, weitgehend un-
strittiges Thema Klarheit geschaffen zu haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414000

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger von der

FDP-Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1601414100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben heute die erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Überwachung,
wie es so schön heißt. Dieser Gesetzentwurf zeigt vor al-
len Dingen eines sehr deutlich: wie stark das europäi-
sche Recht Einfluss nimmt auf das deutsche Recht. Die
wesentlichen Vorgaben stammen heute aus Brüssel. Des-
halb ist es so wahnsinnig wichtig, dass wir bei den Ver-
handlungen darauf achten, rechtzeitig Einfluss zu neh-
men auf die Dinge, die auf europäischer Ebene
beschlossen werden.


(Beifall bei der FDP)


Das ist vor allem vor dem Hintergrund sehr wichtig,
dass wir sowohl ökologisch anspruchsvolle als auch
ökonomisch sinnvolle Regelungen brauchen. Was dabei
herauskommt, wenn man sich nicht rechtzeitig darum
kümmert, zeigt beispielsweise die Vierte Verordnung zur
Änderung der Verpackungsverordnung, in der wir die
Europäische Verpackungsrichtlinie umgesetzt haben. Da
haben wir uns allen Ernstes in mehreren Stufen – Bun-
destag und Bundesrat – mit der Frage beschäftigt, wann
Blumentöpfe Verpackung sind. Am Schluss der Diskus-
sion, nach mehreren Monaten, hat die große Koalition
vor kurzem die wegweisende Formulierung gefunden,
dass

Blumentöpfe, die dazu bestimmt sind, dass die
Pflanze während ihrer Lebenszeit darin verbleibt,

nicht als Verpackung gelten.

Das sind Dinge, bei denen sich der Normalbürger
fragt, wie das noch Sinn machen kann! Das Recht wird
nämlich immer komplizierter, man kann es immer
weniger durchschauen. Deswegen plädiere ich dafür,
beispielsweise die Diskussion über Abfallvermeidung
und -recycling, in deren Zuge unter anderem die EG-Ab-
fallrahmenrichtlinie novelliert werden wird, dazu zu nut-
zen, auch eine Überprüfung der Europäischen Verpa-
ckungsrichtlinie herbeizuführen. Es gibt eine Klausel in
der Verpackungsrichtlinie, die darauf abzielt, genau sol-
chen Unsinn, wie ich gerade zitiert habe, zu beseitigen.






(A) (C)



(D)


Birgit Homburger
Ich fordere Sie auf, Herr Bundesumweltminister: Nutzen
Sie die Gelegenheit, hier auf der europäischen Ebene
Einfluss zu nehmen!


(Beifall bei der FDP)


Der heutige Gesetzentwurf wird in der Tat zu einer
gewissen Vereinfachung führen; deswegen stimmen wir
der Grundrichtung auch zu. Es geht um eine Anpassung
an europäisches Abfallrecht, sowohl von der Struktur
her als auch von der Terminologie. Das ist natürlich auch
für den Vollzug von Bedeutung, insbesondere dann,
wenn Abfalltransporte grenzüberschreitend sind, zum
Beispiel in andere Staaten der Europäischen Union ge-
hen. Durch den Gesetzentwurf sollen sowohl die Unter-
nehmen der Wirtschaft als auch die Vollzugsbehörden
von bürokratischen und von arbeitsaufwendigen Pflich-
ten entlastet werden. Im Sinne der besseren Effizienz der
abfallrechtlichen Überwachung sowie im Hinblick auf
Bürokratieabbau und Deregulierung begrüßen wir die
Ziele des Gesetzentwurfs.


(Beifall bei der FDP)


Durch das elektronische Nachweisverfahren – Sie
haben es angesprochen, Herr Minister – soll die abfall-
rechtliche Überwachung erheblich erleichtert werden.
Für die besonders überwachungsbedürftigen Abfälle, die
zukünftig „gefährliche Abfälle“ heißen werden, werden
bislang bundesweit jährlich etwa 60 000 Entsorgungs-
nachweise, 20 000 Sammelentsorgungsnachweise und
1,5 bis 2 Millionen Abfallbegleitscheine ausgestellt und
kontrolliert. Es ist ein Fortschritt, wenn diese Papier-
berge überflüssig werden.

Wir müssen im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfah-
rens aber tunlichst darauf achten, dass nicht, wie es bei
so mancher sozialversicherungs- und steuerrechtlichen
Regelung der Fall gewesen ist, die kleinen Betriebe
durch eine Umstellung auf komplizierte EDV-Systeme
erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Auch das muss
im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden.


(Beifall bei der FDP)


Es wird eine Änderung hinsichtlich der Erstellung so
genannter Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallwirt-
schaftsbilanzen geben. Diese werden zukünftig als be-
triebsinterne Planungsinstrumente für Erzeuger großer
Mengen gefährlicher Abfälle zur Verfügung stehen. Die
Vorgaben aus der Abfallwirtschaftskonzept- und -bilanz-
verordnung entfallen, weil sie zu starr und zu wenig
flexibel und in der Praxis kaum umsetzbar waren. Des-
halb ist es sachgerecht, die Pflicht zur Aufstellung von
Konzepten und Bilanzen aufzuheben und die komplette
Verordnung zu streichen.

Durch die Aufhebung der deutschen Sonderkategorie
der überwachungsbedürftigen Abfälle fällt eine weitere
Verordnung weg. Auch das begrüßen wir. Dadurch wird
es künftig weniger Abgrenzungsprobleme geben.

Zum Schluss will ich Folgendes sagen, Herr Minister:
Ich verstehe nicht, dass mit dem vorgelegten Gesetz
schon wieder die Gewerbeabfallverordnung geändert
werden soll. Wir wissen doch ganz genau, dass diese
Anfang 2003 in Kraft getretene Verordnung zu einer
ökologischen und wirtschaftlichen Verschlechterung ge-
führt hat. Wir könnten mit diesem Gesetz auch diese
Verordnung abschaffen. Das wäre ein weiterer Beitrag
zum Bürokratieabbau. Dazu fordern wir Sie auf.

Wir werden im Ausschuss über die Details dieses Ge-
setzentwurfs diskutieren. Ich denke, er geht in die rich-
tige Richtung. Vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion
sind wir aber der Auffassung, dass noch einiges mehr an
überflüssiger Bürokratie wegfallen könnte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414200

Herr Kollege Michael Brand von der CDU/CSU-

Fraktion, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1601414300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als Neuling im Bundestag, der den mittel-
ständisch geprägten Wahlkreis Fulda in Berlin gut ver-
treten will, bin ich überrascht von der Masse an Vor-
schriften, die den Mittelstand als „Jobmaschine Nummer
eins“ einengen.


(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Herr Trittin, auf Sie werde ich im Laufe meiner Rede
noch zu sprechen kommen. – Das betrifft die von uns
politisch zu verantwortenden Vorschriften allgemein und
die Regelungsdichte im Umweltbereich im Besonderen.

Auch die vom vorliegenden Entwurf erfassten circa
125 000 Entsorgungsnachweise, 2,5 Millionen Begleit-
scheine sowie die Millionen Übernahmescheine, die pro
Jahr anfallen, bedeuten Bürokratie, die den Betrieben oft
die Luft zum Atmen knapp werden lässt und ihnen die
Sicherung von Beschäftigung erschwert.

Allein im Jahre 2004 – Herr Trittin, hören Sie gut zu –
gab es im Arbeits- und Umweltrecht unglaublich viele
Änderungen. Die Betriebe mussten eine Flut von neuen
Vorschriften beachten: über 1 100 Änderungen auf
Ebene der Bundesländer, über 1 000 Änderungen auf
Bundesebene, dazu 250 Änderungen seitens der EU und
darüber hinaus noch über 200 Änderungen der Berufsge-
nossenschaften. Manchmal habe ich den Eindruck, dass
Umweltrecht als Ordnungsrecht zu stark die Recycling-
wirtschaft konkret behindert. Dies werden wir natürlich
auch weiterhin aufmerksam beobachten.

Es besteht kein Zweifel: Umweltrecht ist zum Schutz
von Natur und Umwelt wichtig und hilft uns Menschen
bei der Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts. Na-
türlich sind konkrete Regelungen zum Schutz von Be-
schäftigten wie der Bevölkerung in allen Bereichen ins-
gesamt erforderlich, wenn mit Stoffen umgegangen
wird, die eine besondere Sorgfalt erfordern.

Wir von der Union sind klar gegen Ökodumping und
treten grundsätzlich für einen schonenden Umgang mit
den Ressourcen ein. Wir haben diese Erde in der Tat nur

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
als Geschenk erhalten. Nach meinem Verständnis bedeu-
tet der Satz „Macht euch die Erde untertan“ eine beson-
dere Verantwortung für die Schöpfung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir dürfen die Erde nutzen, aber wir müssen auch sorg-
sam mit der Schöpfung umgehen. Ich teile als relativ
frisch gebackener Vater sehr die These: „Wir haben die
Erde von unseren Kindern nur geliehen.“


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die Grünen auch schon gesagt!)


Dass wir das Kind dabei nicht mit dem Bade ausschütten
wollen, unterscheidet uns von der Union sicherlich von
anderen: Wir wollen eben keine Ökoideologie, sondern
die Umsetzung einer Umweltpolitik, die sowohl der Na-
tur wie den Menschen dient.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Wort „Kreislaufwirtschaft“ beinhaltet nämlich aus
gutem Grunde auch das Wort „Kreislauf“. Wenn wir
diese funktionierende Kreislauf- und Stoffstromwirt-
schaft durch ein Übermaß an Vorschriften verlangsamen,
stoppen oder durch falsche Initiativen gar dauerhaft un-
terbrechen, dann wird es statt der Modernisierung in
Richtung Stoffstromwirtschaft einen Rückschritt bei der
ökologischen Qualität geben.

Meine Fraktion, die CDU/CSU, und unsere Bundes-
kanzlerin Angela Merkel haben daher zu Recht auf eine
Stabsstelle zur Entbürokratisierung im Bundeskanzler-
amt gedrängt und dies auch umgesetzt. Wir wollen und
werden die Entbürokratisierung konkret auch in die-
sem Bereich so weit wie möglich umsetzen. Dabei wer-
den wir vor allem die Beschäftigung und die Wettbe-
werbsfähigkeit der überwiegend mittelständischen
Unternehmen im Blick haben. Vor allem hier werden die
Arbeitsplätze geschaffen und gesichert, die wir in
Deutschland so dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir gehen dabei davon aus, dass auch dieser Gesetz-
entwurf zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Nach-
weispflichten, der ja aus der Ära Trittin stammt, durch
den „Bürokratie-TÜV“ der neuen Bundesregierung noch
einmal kritisch geprüft werden wird. Wir als CDU/CSU
sind dabei davon überzeugt, dass sowohl der Nachfolger
des ausgeschiedenen Umweltministers als auch dessen
Vorgängerin und heutige Bundeskanzlerin umweltge-
rechten und mittelstandsfreundlichen Verbesserungen
offen gegenüberstehen.

Die Harmonisierung mit dem EU-Recht ist bei der
Vereinfachung ein ganz wesentlicher Fortschritt für die
Unternehmen und die Vollzugsbehörden. Das ist aber
nicht alles. Vor allem in der elektronischen Umsetzung
der Nachweispflichten wird sich entscheiden, ob der
Mittelstand seine Position als regionaler Dienstleister
und als Jobmaschine auch in Zukunft erhalten kann. Da-
bei werden wir auf den Grundsatz achten: Solide Arbeit
muss sich lohnen. Es kann ganz klar nicht so sein, dass
über zu komplexe Anforderungen bei den so genannten
technischen Schnittstellen – Frau Homburger hat das
auch erwähnt – ordentlich arbeitenden Unternehmen un-
nötige Bürokratie aufgezwungen wird. Wir als CDU/
CSU werden jedenfalls nachhaltig auf ein ökologisch
verantwortbares Gleichgewicht zwischen Umweltbüro-
kratie und Umweltarbeitsplätzen achten.

Herr Bundesminister Gabriel, nach unseren ersten Be-
gegnungen im Umweltausschuss und auch darüber hi-
naus will ich allerdings auch gerne etwas unterstellen:
Dieser Niedersachse, der dort auf der Regierungsbank
sitzt, hat eine deutlich bessere Vorstellung von dem, was
für Wirtschaft, Arbeit und Umwelt verträglich oder
schädlich ist, als andere Niedersachsen, und damit bin
ich wieder bei Ihnen, Herr Trittin.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Da können wir auch locker klatschen!)


Ich will hier aber auch noch einen anderen Nieder-
sachsen erwähnen, nämlich den derzeitigen Ministerprä-
sidenten in Niedersachsen, Christian Wulff; denn in die-
ser Frage kann man sich in allen Fraktionen sicherlich
ein Beispiel an ihm nehmen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Da klatschen wir nicht! Der erste Teil war richtig!)


– Ich finde, Herr Kelber war ein bisschen kleinlich. Ein
wenig Applaus dürfte es für den amtierenden Minister-
präsidenten geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Minister, darauf, dass wir Sie in dem Bestreben
um Umwelt und Arbeit aktiv begleiten werden, dürfen
Sie sich gerne verlassen. Die CDU/CSU-Fraktion wird
dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Vereinfachung der
abfallrechtlichen Überwachung also zustimmen. Dies
tun wir auch deshalb, um bei der Entbürokratisierung
und der Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr
Beschäftigung zügig voranzukommen.

Die CDU/CSU hat dabei nicht übersehen, dass es bei
allem Konsens in der Grundrichtung auch Dissens zwi-
schen dem Bund und den für den Vollzug verantwortli-
chen Ländern gibt. Dies betrifft offenkundig vor allem
die Frage, wie die Nichterfüllung von Nachweispflichten
geahndet werden soll. Wir glauben hier allerdings, dass
die Bundesregierung einen guten Ansatz gewählt hat,
um mit den Ländern eine Einigung zu erreichen. Das
wesentliche Stichwort ist auch hier die bereits erwähnte
elektronisch gestützte Nachweisführung bei der Abfall-
überwachung.

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat können
im Verlauf des weiteren Verfahrens noch offene Fragen
klären, um den Zielen der Effizienzverbesserung und
auch der Erleichterung bei der Überwachung von Abfäl-
len einen Schritt näher zu kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da dies heute meine
erste Rede im Deutschen Bundestag ist, erlauben Sie mir
zum Abschluss eine kurze persönliche Bemerkung:

Als jemand, der in Osthessen nahe der innerdeutschen
Grenze mit ihrem Stacheldraht und dem Schießbefehl






(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
groß geworden ist, erinnere ich mich auch heute sehr ge-
nau an Ausflüge in die Rhön, die plötzlich im Niemands-
land stoppen mussten. „Point Alpha“ war bekanntlich
der heißeste Punkt im Kalten Krieg. Nach dieser erlebten
Teilung meiner Heimat bin ich auch heute sehr froh und
sehr dankbar, dass durch den Mut der Menschen und
durch eine kluge politische Führung unter Kanzler Kohl
und auch der letzten DDR-Regierung de Mazière die
Einheit Deutschlands in Freiheit möglich wurde. Der
Satz vorne auf dem Reichstagsgebäude „Dem deutschen
Volke“ bedeutet für mich: „Dem deutschen Volke die-
nen.“ Es heißt Gott sei Dank auch wieder: „Dem gesam-
ten deutschen Volke dienen.“

Das zu sagen, war mir persönlich wichtig. Das ist mir
auch für die Menschen wichtig, die unter der Teilung ge-
litten haben und die sich an Einigkeit und Recht und
Freiheit in Deutschland freuen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414400

Herr Brand, Sie haben schon darauf hingewiesen:

Dies war Ihre erste Rede. Dazu gratulieren wir Ihnen als
ganzes Haus sehr herzlich.


(Beifall)


Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Eva Bulling-
Schröter von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nach so einer guten Rede kommt jetzt die PDS!)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601414500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bundesregierung will die Abfallüberwa-
chung ändern. Moderner, einfacher und vollzugsfreund-
licher soll sie werden. Das ist natürlich auch von unserer
Seite zu unterstützen. Diese Begründung gilt aber nur für
einen Teil der Novelle, beispielsweise für die Anpassung
des deutschen Überwachungsrechts an die Begrifflich-
keiten des EU-Rechts. Begrüßenswert ist auch die
Möglichkeit, die Nachweisführung auf EDV-Systeme
umzustellen. Die Überwachung wird sicherlich unbüro-
kratischer und effizienter.

Probleme haben wir dagegen mit dem Abschnitt des
Gesetzentwurfs, der vorsieht, die Pflichten der Unter-
nehmen zur Erstellung von Abfallwirtschaftskonzepten
und Abfallbilanzen abzuschaffen. Begründet wird dies
damit, dass sich Erwartungen nicht erfüllt hätten, die an
diese Instrumente geknüpft worden seien. Mich würde
interessieren, wer hier welche Erwartungen hatte und
wer meint, Abfallwirtschaftskonzepte hätten sich nicht
bewährt.


(Beifall bei der LINKEN)


Gibt es dazu überhaupt Untersuchungen? Ich denke, hier
wird lediglich einer alten Forderung der Wirtschaft
entsprochen, sich leidiger Überprüfungen zu entledigen.
Im Rahmen der Debatte um das Umweltaudit hatten ja
seinerzeit Unternehmen und FDP mehrmals gefordert,
die Firmen sollten Abfallwirtschaftskonzepte und Ab-
fallbilanzen selbst überwachen. Das wurde im Jahr 2000
aus gutem Grund abgelehnt. Frau Homburger hat jetzt
diesen Entwurf gelobt.

Nun soll beides gleich ganz abgeschafft werden, und
zwar ohne Alternative und mit zweifelhafter Begrün-
dung. Firmen, die wenig Lust auf Abfallwirtschaftskon-
zepte hätten, erstellten in der Regel sowieso keine ver-
nünftigen Pläne, ist im Entwurf zu lesen. Hört, hört!
Doch wenn ich mich richtig erinnere, sollen Abfallkon-
zepte und -bilanzen – so ist das damals diskutiert wor-
den – von den Behörden überprüft werden. Wenn dies
nicht anständig geschieht, dann liegt das daran, dass in
den Vollzugsverwaltungen immer mehr Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen eingespart werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Durch Abfallbilanzen und Abfallwirtschaftskonzepte
wurden nicht wenige Unternehmen dazu veranlasst, das
erste Mal gründlicher über ihre Abfallströme nachzuden-
ken; ich kenne das aus eigener Erfahrung. Gleichzeitig
sind sie ein Instrument, illegalen Entsorgungen vorzu-
beugen oder diese aufzudecken. Deswegen meinen wir,
sie sollten erhalten bleiben. Ich weiß von Abfallbilanzen,
Frau Homburger, an denen die großen Firmen richtig
Geld verdienen.


(Beifall bei der LINKEN)


In dem sensiblen Abfallbereich noch stärker auf
Markt und Selbstkontrolle zu setzen, scheint uns dage-
gen naiv oder fahrlässig zu sein; denn die Realität spricht
eine deutliche Sprache: Abfallströme werden sich stets
den billigsten Weg suchen, unzählige Müllskandale bele-
gen dies. Nehmen Sie das endlich einmal zur Kenntnis.
Ich möchte nur an die illegale Scheinverwertung von
Gewerbeabfällen erinnern. Dabei wurden in der Vergan-
genheit, um Kosten zu sparen, den öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträgern der andienungspflichtige Gewerbe-
müll zur Entsorgung entzogen, grob sortiert und an-
schließend schlicht auf Billigdeponien abgelagert.

Wer denkt, dieses dunkle Kapitel ist seit dem
1. Juni 2005 abgeschlossen, der irrt sich. Stattdessen
geht das Ganze ins Ausland. In einem tschechischen
Dorf in Nordböhmen sind beispielsweise kurz vor Weih-
nachten rund 4 000 Tonnen deutschen Mülls auf dem
Gelände eines in Konkurs gegangenen landwirtschaftli-
chen Betriebes abgekippt worden. Auftraggeber: ein Re-
cyclingunternehmen aus Deutschland. Ich frage Sie ein-
fach: Sehen Sie eine solche Recyclingwirtschaft als in
ihren Möglichkeiten beschränkt? Wir sehen das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich denke, hier muss etwas Wesentliches passieren. Die
Abfälle waren als Kunststoffreste deklariert. Tatsächlich
bestand das Abfallgemisch aber aus Plastikflaschen und
Textilien.

Das ist kein Einzelfall. Bitte befassen Sie sich mit die-
sem Thema! Wir lehnen den vorliegenden Gesetzent-
wurf ab.






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Abschließend möchte ich mich kurz zu Herrn Brand
äußern. Wenn Sie darauf hinweisen, dass Sie dem deut-
schen Volk dienen, dann halte ich Ihnen entgegen, dass
wir für die Belange der Bevölkerung in diesem Land wie
auch – gerade im Bereich der Umwelt – in den anderen
europäischen Staaten zuständig sind. Ich denke, Um-
weltschutz hat auch eine internationale Dimension.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414600

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Im Gegensatz zu meiner ersten Rede in diesem
Haus – damals ging es um REACH – haben meine Frak-
tion und ich mit dem heutigen Vorhaben der Regierung
keine Probleme.

Ich kann zwar die Bedenken der Kollegin Bulling-
Schröter nachvollziehen, aber es geht nicht darum, die
Verpflichtungen abzuschaffen, sondern die formalisierte
Überwachung zu erleichtern und effizienter zu machen.
Die gesetzlichen Pflichten zur Erstellung betrieblicher
Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen haben in
der Tat nicht in dem erwarteten Maß zur Optimierung
der betrieblichen Abfallwirtschaft beigetragen. Es macht
deshalb Sinn, auf den Einzelbetrieb zugeschnittenen
Konzepten und Bilanzen – gegebenenfalls auch unter
Hilfestellung der Industrie- und Handelskammer – den
Vorzug zu geben und ihre Effektivität zu bewerten.

Der Gesetzentwurf zur Vereinfachung der abfallrecht-
lichen Überwachung kann drei Ziele erreichen. Er macht
erstens durch die Einführung der elektronischen Form
die Überwachung effizienter. Er bewirkt zweitens, dass
die Überwachung EU-kompatibel wird, und er lässt drit-
tens Kostensenkungen bei Bund, Ländern und Kommu-
nen einerseits und den überwachungspflichtigen Unter-
nehmen andererseits erwarten.

Die Investitionskosten für die Einführung der elektro-
nischen Kommunikationstechniken werden durch die
Vorteile der elektronischen Form mehr als ausgeglichen
werden – ganz abgesehen davon, dass damit dieses
Stück notwendiger Restbürokratie im 21. Jahrhundert
ankommt. Schluss mit der Zettelwirtschaft!

Da es sich hierbei um ein praktiziertes Beispiel mög-
lichen Bürokratieabbaus handelt, will ich mit Ihrer Er-
laubnis das Stichwort „Bürokratieabbau“ noch einmal
beleuchten und stoße damit vielleicht auch bei der Kolle-
gin Bulling-Schröter auf Zustimmung. Der Begriff „Bü-
rokratieabbau“ hat sich zu einem wirkungsmächtigen
Schlagwort entwickelt. Wer den Abbau von Bürokratie
fordert, findet im Allgemeinen ohne großes Ansehen der
Sache sofort regen Zuspruch.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist ja der Fehler!)

Gerade bei Regelungen zum Schutz der Umwelt wird
gerne propagiert, das sei alles zu bürokratisch, zu teuer,
zu technikfeindlich und schade der Wirtschaft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir auch den Grünen zu verdanken!)


Niemand bestreitet, dass es – auch im Umweltrecht, wie
das heutige Beispiel zeigt – Überregulierungen gibt.

Eine reine Fokussierung auf die Regulierung kann
aber den Blick auf inzwischen anstehende Aufgaben er-
schweren, zum Beispiel die Notwendigkeit in der Ab-
fallthematik, die Ressourceneffizienz unserer Wirtschaft
deutlich zu erhöhen und zu einem echten Kreislauf der
Stoffströme zu kommen. Bürokratieabbau ist also an den
Stellen notwendig, wo er dazu dient, effektive Gesetze
und ihren effektiven Vollzug zu erreichen.

Aber auch dies bleibt wahr: Jede staatliche Regelung
zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger erzeugt Büro-
kratie. Auf eine hohe Komplexität des Umweltrechts
können wir aber nicht verzichten. Eine Gesellschaft, die
mit über 100 000 chemischen Stoffen in mehr als 1 Mil-
lion Zubereitungen umgehen muss, kann nicht erwarten,
die daraus resultierenden Risiken mit wenigen Federstri-
chen des Gesetzgebers in den Griff zu bekommen. Des-
halb kann es beim Umweltrecht keinen undifferenzierten
Schrei nach Bürokratieabbau geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein immer wieder guter Weg zum Bürokratieabbau
ist, wie das heutige Beispiel zeigt, die Vereinheitlichung.
Die Harmonisierung, Straffung und Vereinfachung des
Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch steht auf der
Agenda. Zentraler Bestandteil wäre hierbei die inte-
grierte Vorhabenprüfung: Eine Behörde prüft in einem
Verfahren die genehmigungsrelevanten Tatbestände.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine deutlich kriti-
sche Bemerkung an die Regierung richten, wie es sich
für eine Oppositionsfraktion gehört. Mit den Vorschlä-
gen zur Föderalismusreform – über die wir noch zu re-
den haben werden – hat die Koalition der Absicht des
Bürokratieabbaus und dem Ziel des UGB einen Bären-
dienst erwiesen. Der Kompetenzwirrwarr zwischen
Bund und Ländern wird im Umweltbereich nicht ent-
zerrt; er wird vielmehr verschärft. Konkurrierende Ge-
setzgebung einmal mit – im Abfallrecht –, einmal ohne
Erforderlichkeitsklausel. Weit reichende Möglichkeiten
der Bundesländer, vom Bundesrecht abzuweichen, wer-
den weder den Belangen der Umwelt gerecht noch das
Bedürfnis von Investoren nach Klarheit und Rechtssi-
cherheit befriedigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier war der kleine Bürokratieteufel am Werk und
wird sich ins Fäustchen lachen, falls diese Regelungen
tatsächlich so in Kraft treten. Wir von Bündnis 90/
Die Grünen werden jedenfalls mit aller argumentativen
Kraft versuchen, das zu verhindern. Einig können wir
uns dagegen bei klarem Bürokratieabbau und Effizienz-
gewinn werden, wie bei dem vorliegenden Entwurf eines






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
Gesetzes zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Über-
wachung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601414800

Herzlichen Dank. – Ich schließe damit die Ausspra-

che.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/400 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe
dazu keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zu-
satzpunkte 3 bis 5 auf:

10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Maurer, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Guantanamo schließen

– Drucksache 16/364 –

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Für die Einhaltung von grundlegenden Men-
schenrechten und Grundfreiheiten beim Um-
gang mit Gefangenen

– Drucksache 16/431 –

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Für die Schließung von Guantanamo Bay und
die Überführung der Gefangenen in rechts-
staatliche Verfahren

– Drucksache 16/454 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Jürgen Trittin, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Rechtsstaatliche Verfahren und Menschen-
rechtsschutz für die Inhaftierten in Guanta-
namo Bay

– Drucksache 16/443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

Es ist vereinbart, hierüber eine Dreiviertelstunde zu
debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Gregor Gysi von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601414900

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Zu Beginn meiner Rede möchte ich etwas sagen, das mir
eigentlich nicht so wichtig ist, das ich aber einmal gesagt
haben will: Ich finde, es ist angesichts des Gewichts des
Themas kleinkariert, dass alle anderen Fraktionen einen
eigenen bzw. einen gemeinsamen Antrag eingebracht
haben, nur weil sie den Adressaten unseres begründeten
Antrags als nicht richtig empfinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich kenne ich ein solches Verhalten auch aus der
Geschichte der Linken; das will ich gar nicht bestreiten.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Ich sagte ja gerade, dass ich das kenne. – Ich bin froh,
nun Mitglied einer Fraktion zu sein, die dieses Verhalten
wirklich überwunden hat


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


und bereit ist, jeden vernünftigen Antrag zu unterstützen,
selbst wenn er von der Union kommt; das geschieht al-
lerdings relativ selten.


(Beifall bei der LINKEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir haben doch schon zusammen einen eingebracht! So schlimm ist es also auch nicht!)


Inhaltlich geht es um eine gewichtige Frage. Das Völ-
kerrecht, mit dem wir es heute überwiegend zu tun ha-
ben, ist in einer bestimmten Zeit entstanden, in einer Zeit
des militärischen Gleichgewichts zwischen der Sowjet-
union und den USA. Es hatte so lange einen relativ stabi-
len Bestand. Nichts Wichtiges geschah an der einen oder
der anderen Weltmacht vorbei. Dann ist die eine Welt-
macht weggefallen; das ist begrüßt worden. Aber damit
sind auch viele Grundlagen des Völkerrechts entfallen.
Es entspricht heute nicht mehr dem bestehenden Kräfte-
verhältnis. Das Vetorecht Russlands ist anders gewichtet
als das der Sowjetunion. Die USA haben sehr schnell er-
kannt, dass sie die einzig verbliebene Weltmacht sind.
Aber die einzig verbliebene Weltmacht zu sein darf nicht
nur ein Ausdruck von Rechten, sondern muss auch ein
Ausdruck von Verantwortung und enormen Pflichten
sein. Dem stellen sich die USA nur sehr wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Völkerrecht hat – genauso wie das innere Recht –
nur Substanz, wenn es für alle Staaten verbindlich ist,
das heißt für Uganda genauso wie für Deutschland und
die USA. Es darf nicht nur für bestimmte Staaten und für
andere nicht gelten. So sind die Charta der Vereinten Na-
tionen und viele andere völkerrechtliche Bestimmungen
angelegt.

Wir haben es mit der Entwicklung des Terrorismus
und schrecklichen Ereignissen – diese muss ich hier si-
cherlich nicht im Einzelnen aufzählen – zu tun bekom-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
men. Die Antwort darauf lautete Krieg. Ich sage Ihnen,
warum ich diese Antwort so falsch finde: Krieg bringt
nur neuen Hass hervor. Im Krieg sterben immer Un-
schuldige – wenn man so will – aus politischen Gründen.
Krieg, insbesondere der völkerrechtswidrige, ist eine der
schlimmsten Formen des Terrorismus.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb wird in der Charta der Vereinten Nationen die
Möglichkeit, Krieg zu führen, ungemein eingeschränkt.
Dagegen ist aber verstoßen worden.

Wir haben es nun mit einer Spirale der Gewalt zu
tun und niemand von uns kann wirklich einschätzen, wo-
hin das Ganze führt, wann wer wie darunter leidet, wann
etwas passiert. Die USA haben daraus eine Schlussfol-
gerung gezogen: Sie bekämpfen den Terrorismus auf
ihre Art mit allen Mitteln und verletzen dabei das Recht.
Ich sage Ihnen aber: Terrorismus ist großes grobes Un-
recht. Wir haben nur eine Chance gegen großes grobes
Unrecht, wenn wir es mit Recht bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir es mit Unrecht bekämpfen, werden wir dem,
was wir bekämpfen, immer ähnlicher. Genau das darf
aber nicht passieren.

Ich kann Ihnen viele Beispiele nennen. Heute geht es
um eines, um Guantanamo. Man muss sich überlegen,
was nach dem Krieg in Afghanistan geschehen ist: Du
machst Gefangene, sagst aber, dass das keine Kriegsge-
fangenen sind. Du willst die entsprechende Konvention
nicht anwenden, du gibst ihnen nicht die Rechte von
Kriegsgefangenen. Du sagst aber auch, dass es keine Be-
schuldigten sind und deshalb keine Ermittlungsverfahren
in diesem Sinne durchgeführt werden. Du sagst, dass du
dein eigenes Recht fürchtest. Die US-Administration
sagt: Ich bringe die Gefangenen nicht in die USA; denn
da haben sie Rechte. Da gibt es Richter, Verteidiger und
vieles mehr. Das will ich nicht. – Man erklärt die Gefan-
genen für rechtlos.

Das ist das Kernproblem. Wenn man sagt, Gefangene
seien rechtlos, dann bringt man ein Stück zivilisatorische
Entwicklung von weit über 100 Jahren ins Schwanken.
Wir bewegen uns dann zurück. Der Terrorismus hat die-
sen Erfolg einer antizivilisatorischen Entwicklung bei
uns oder im Westen überhaupt nicht verdient. Es wäre
grotesk, wenn er Erfolg hätte.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist es so wichtig, gerade an einen Partner, ge-
rade an eine so wichtige Macht wie die USA, immer
wieder zu appellieren: Man kann Stärke auch missbrau-
chen. – Sie sind dabei, das zu tun; das ist ein grober Feh-
ler. Schauen Sie sich die Entwicklung auf der Welt an.
Wie denkt die Bevölkerung mancher Staaten heute über
die USA? Ich habe den Eindruck, dass das die Adminis-
tration in den USA gar nicht interessiert. Ich glaube, das
ist ein großer Fehler. Wir hatten heute eine Diskussion
über den Iran. Es gibt viele Länder, über die man in die-
sem Zusammenhang sprechen könnte. Wir haben hier
eine katastrophale Entwicklung.
Deutschland ist ein enger Verbündeter der USA. Sie
alle kennen die Geschichte seit 1945. Ich brauche gar
nicht darauf einzugehen, welche Rolle die USA gerade
für die alte Bundesrepublik gespielt haben. Und weil das
so ist, ist es so wichtig, dass ein Partner wie Deutschland
den Mut hat – auch das Parlament –, zu sagen: Du be-
gehst einen Fehler. Wir sagen das öffentlich, weil wir
nicht wollen, dass du diese Entwicklung als Weltmacht
weiter nimmst. Wir wollen, dass du deine Rechte wahr-
nimmst, vor allem aber auch deine Pflichten und deine
Verantwortung gerade für das Völkerrecht.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415000

Sie sollten bitte zum Schluss kommen, Herr Gysi.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601415100

Lassen Sie mich als Letztes eines sagen, weil immer

der Vorwurf des Antiamerikanismus nahe liegt: Abgese-
hen davon, dass ich in den USA Freunde habe, weise ich
diese Anschuldigung zurück.


(Lachen bei der FDP)


– Sie haben keine Ahnung. Das macht aber nichts. –
Wissen Sie, wer heute antiamerikanisch ist? Präsident
Bush. Er erzeugt einen Antiamerikanismus wie kein an-
derer.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Korrektur ist dringend erforderlich. Deshalb meine
Bitte: Machen wir zusammen einen Antrag und sagen
den USA: So geht es nicht weiter!


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415200

Das Wort hat Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1601415300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf
Dauer so nicht existieren. Es müssen Mittel und
Wege für einen anderen Umgang mit den Gefange-
nen gefunden werden. Das steht für mich außer
Frage.

Diese eindeutige und unmissverständliche Aussage von
Bundeskanzlerin Angela Merkel findet, so denke ich, die
Unterstützung von uns allen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind der Bundeskanzlerin dafür dankbar, dass sie
dies nicht nur vor ihrer USA-Reise in einem „Spiegel“-
Gespräch gesagt hat, sondern dass sie diese Position
auch gegenüber dem amerikanischen Präsidenten mit
Nachdruck vertreten hat. Wir teilen die Auffassung der
Bundesregierung, dass diese Gefangenen in Überein-
stimmung mit dem humanitären Völkerrecht und den
menschenrechtlichen Mindeststandards zu behandeln






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
sind. Dazu gehören menschliche Behandlung, Achtung
der Person und der Ehre, Schutz vor Gewalttätigkeit und
Einschüchterung, Anspruch auf ärztliche Behandlung
sowie Gerichtsverfahren mit rechtsstaatlichen Garantien.

Es geht um die Frage: Wie führen wir den Kampf
gegen den internationalen Terrorismus? Wir verteidi-
gen in diesem Kampf unser Recht auf Sicherheit für Leib
und Leben. Wir verteidigen dieses Recht gegen Terroris-
ten, die ihre Angriffe bevorzugt gegen so genannte wei-
che Ziele richten. „Weiche Ziele“ ist eine zweifelhafte
Umschreibung für Kinder, Frauen, alte Menschen, Zivi-
listen, unschuldige Opfer. Wir verteidigen dieses Recht
gegen Terroristen, die Angst und Schrecken verbreiten
wollen durch immer grausamere Anschläge, denen mög-
lichst viele Menschen zum Opfer fallen sollen. Wir ver-
teidigen im Kampf gegen den internationalen Terroris-
mus unsere Freiheit, so zu leben, wie wir leben wollen,
ohne dadurch anderen zu schaden.

Außerdem verteidigen wir unsere Werte. Wir verteidi-
gen die Unantastbarkeit der Menschenwürde gegen Ter-
roristen, die in einem rigiden Freund-Feind-Denken ge-
fangen sind und die für den Feind nur Vernichtung übrig
haben. Wir verteidigen unseren Rechtsstaat gegen Terro-
risten, die sich keinerlei Recht verpflichtet fühlen. Des-
halb ist der internationale Terrorismus die gewalttätige,
mordende Antithese zur Zivilisation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was wir verteidigen, definiert auch die Grenze
der zulässigen Mittel. Deshalb haben wir bei der Verab-
schiedung der so genannten Antiterrorpakete zur Erhö-
hung unserer inneren Sicherheit darauf geachtet, die
Freiheit nicht stärker einzuschränken als unabdingbar
notwendig. Aus der Unantastbarkeit der Menschen-
würde folgt zwingend ein absolutes Folterverbot.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man darf auch nicht foltern lassen. Die Unantastbarkeit
der Menschenwürde verbietet auch Handlungen, die eine
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behand-
lung oder Strafe darstellen. Rechtsstaatlichkeit gibt An-
spruch auf rechtliches Gehör und faire Gerichtsverfah-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September
2001 haben die Vereinten Nationen alle Staaten dazu
aufgefordert, beim Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zusammenzuarbeiten, weil dieser Kampf
nur in dieser Gemeinsamkeit aller Staaten gewonnen
werden kann. Das bedeutet, dass wir – nicht zuletzt um
Gefahren für unser Land abzuwehren – diese Zusam-
menarbeit nicht nur auf solche Staaten begrenzen kön-
nen, die rechtsstaatliche Demokratien sind wie wir. Aber
wir dürfen bei dieser Zusammenarbeit die Grenzen nicht
überschreiten, die uns unser Rechtsstaat setzt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Zusammenarbeit kann umso enger sein, je mehr
wir nicht nur im Ziel der Bekämpfung des Terrorismus
einig sind, sondern auch im Hinblick auf die Grenze der
zulässigen Mittel. Auch in den USA, der ältesten Demo-
kratie der Welt, wird mit großem Ernst um die Grenzen
gerungen, die es beim Kampf gegen den Terrorismus
einzuhalten gilt. Welchen Rechtsstatus haben Mitglieder
der Terrororganisation al-Qaida? Wie sollen Gefangene
behandelt werden, die des Terrorismus beschuldigt wer-
den? Welche Verhörmethoden sind zulässig und wo lie-
gen die Grenzen?

Ich finde die Offenheit und Intensität dieser inner-
amerikanischen Debatte beeindruckend. Mein Eindruck
ist, dass sich die amerikanische Diskussion in den bisher
unterschiedlich bewerteten Fragen immer mehr den
Positionen annähert, die auch von uns für richtig gehal-
ten werden. So hat die amerikanische Außenministerin
Condoleezza Rice nach ihrem Europabesuch klargestellt,
dass die US-Regierung ihre Verpflichtungen aus der
Anti-Folter-Konvention anerkenne – Zitat –, „ob inner-
halb oder außerhalb der USA“.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das ist aber neu! – Gegenruf des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber immerhin!)


Außerdem hat sie zugesagt, dass internationale Ver-
einbarungen in den USA nicht anders ausgelegt werden
als in Europa.

Der US Supreme Court hat am 28. Juni 2004 in drei
grundlegenden Urteilen entschieden, dass den Guantana-
mogefangenen der Rechtsweg zu US-Gerichten offen
steht und sie sich auf die Justizgrundrechte der US-Ver-
fassung berufen können.

Umgekehrt wächst auch bei uns die Erkenntnis, dass
der internationale Terrorismus neue völkerrechtliche
Fragen aufgeworfen hat, auf die auch wir und die Euro-
päer insgesamt noch keine befriedigende Antwort gefun-
den haben. Die Bundeskanzlerin hat dem amerikani-
schen Präsidenten vorgeschlagen, diese Fragen noch
stärker als bisher im Rahmen der Vereinten Nationen zu
diskutieren. Wir sollten diese Diskussion mit unseren
amerikanischen Partnern und Freunden in einem Geist
und mit einer Sprache führen, die deutlich machen, dass
wir uns den gemeinsamen Werten verpflichtet fühlen.

Lassen Sie mich mit einem Zitat des amerikanischen
Senators John McCain schließen:

Die Feinde, die wir bekämpfen, haben keine Ach-
tung vor menschlichem Leben oder vor den Men-
schenrechten. Sie verdienen nicht unser Verständ-
nis. Aber es geht nicht darum, wer sie sind. Es geht
darum, wer wir sind.






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Es sind unsere Werte, die uns von unseren Feinden
unterscheiden, und wir dürfen unseren Feinden nie
und niemals erlauben, uns diese Werte wegzuneh-
men.


(Beifall im ganzen Hause)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415400

Das Wort hat der Kollege Florian Toncar von der

FDP-Fraktion.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1601415500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Guantanamo Bay ist nicht das einzige Gefange-
nenlager, das die USA unterhalten, aber es ist ein Stück
weit zu einem Symbol geworden; denn es steht für eine
Politik, die zur Bekämpfung des Terrors nach eigenem
Bekunden die Samthandschuhe abgelegt hat. Doch wo
es nicht mehr allein um wirksame Maßnahmen gegen
den Terror geht, sondern um die Demonstration von har-
tem Durchgreifen, bei dem Häftlinge sinnlos gedemütigt
werden, da ist eine Grenze überschritten. Terrorbekämp-
fung hat sich am Gebot effektiver Verhinderung und Ver-
folgung von Anschlägen zu orientieren; es geht gerade
nicht um Vergeltung. Jedes andere Zeichen wäre ein
Ausdruck nicht der Stärke, sondern der Schwäche.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU] und des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Klar ist: Wir brauchen den Kampf gegen den Terror
wie gegen seine Ursachen. Das bedeutet auch, dass Täter
verfolgt, Terrorzellen überwacht und Gelder sicherge-
stellt werden. Aber dies hat in einem rechtsstaatlichen
Raum und nicht in rechtsleeren, abgeschirmten Grau-
zonen zu erfolgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo immer dieser Kampf mit zulässigen rechtsstaatli-
chen Mitteln geführt wird, haben die USA ein Anrecht
auf unsere deutsche Unterstützung. Wo der notwendige
Kampf gegen Terrorismus aber mit Mitteln geführt wird,
die gegen grundlegende Wertvorstellungen, die wir ja
gerade gegen die Terroristen verteidigen wollen, versto-
ßen, müssen wir dem entgegentreten.

Die Existenz von Regeln zur Behandlung von
Gefangenen ist eine unschätzbare Errungenschaft, die
nicht preisgegeben werden darf. Das Lager in Guanta-
namo Bay ist mit bestehenden Regeln zur Behandlung
von Gefangenen nicht vereinbar. Die Inhaftierten wer-
den rechtsstaatlichen Mechanismen entzogen. Auf sie
finden weder die Regeln der Genfer Konvention über
Kriegsgefangene Anwendung, noch gelten sie als Be-
schuldigte im Sinne des amerikanischen Strafrechts.
Diese Rechtlosstellung der Tatverdächtigen ist nicht hin-
nehmbar. Sie ist gerade vor dem Hintergrund der ameri-
kanischen Rechtstradition und der amerikanischen Ver-
fassung, in der der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung
durch das IV. Amendment ein zentrales Freiheitsrecht
darstellt, ein kolossaler Salto rückwärts und wird zu
Recht von einer zunehmenden Zahl von US-Bürgern ab-
gelehnt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Auch die Art und Weise, wie mit den Gefangenen in
den Camps umgegangen wird, veranschaulicht, wie sehr
hier im Hinblick auf Rechtsstaat und Bürgerrechte eine
Schieflage entstanden ist. Die Berichte über das Zufügen
von Schmerzen durch Schläge oder über Scheinhinrich-
tungen, beispielsweise durch die Praxis des so genannten
Waterboarding, sind mehr als beunruhigend. Wenn der
Sprecher des amerikanischen Heeres, Paul Boyce, auf
Berichte, in denen kolportiert wird, es sei ab Mitte Fe-
bruar möglich, in Guantanamo Inhaftierte durch das
Militär auch hinrichten zu lassen, lediglich mit dem Satz
reagiert, das sei pure Spekulation, dann ist das schlicht
und einfach zu wenig, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


„Guantanamo kann und darf auf Dauer so nicht exis-
tieren“ – so hat es die Bundeskanzlerin vor ihrem Abflug
nach Washington ausgedrückt. Wir Freien Demokraten
begrüßen es, dass die Kanzlerin diese Position einge-
nommen hat. Wir begrüßen das vor allem vor dem Hin-
tergrund, dass unsere Fraktion in der letzten Legislatur-
periode die erste war, die diese Forderung hier im
Bundestag in Form eines Antrags eingebracht hat. Die-
ser wurde damals leider mit den Stimmen aller anderen
Fraktionen abgelehnt. Insbesondere die Kollegen von
der Union waren noch in der letzten Legislaturperiode
nicht bereit, die angesprochenen Probleme insbesondere
hinsichtlich des Status der Gefangenen auf Guantanamo
auch nur als solche anzuerkennen. Es freut uns, dass die
Forderung nach einer Schließung des Lagers und der
Überstellung der Inhaftierten an ordentliche Gerichte
mittlerweile in diesem Hause eine doch so breite Unter-
stützung erfährt, wie sich das jetzt abzeichnet.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, vor zwei Jahren wurde mit
der rot-grünen Mehrheit hier im Bundestag ein Antrag
beschlossen, der die USA zum Schutze menschenrechtli-
cher Mindeststandards in Guantanamo und zur Einhal-
tung aller ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen er-
mahnte. Bereits eineinhalb Jahre zuvor hatten deutsche
Nachrichtendienste allerdings selbst auf Guantanamo
Verhöre vorgenommen. Es ist doch unbestreitbar, dass es
doppelzüngig ist, wenn der Deutsche Bundestag einer-
seits – und zu Recht – Resolutionen gegen dieses Lager
beschließt und andererseits deutsche Geheimdienste vor
Ort Inhaftierte befragen, womöglich auf Veranlassung
der Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Das ist inkonsequent und schadet der Glaubwürdigkeit
unserer Haltung als Parlament zu Guantanamo insge-
samt. Ich sage es ganz offen: Wäre ich vor zwei Jahren
als Abgeordneter an jenem Entschließungsantrag, mit
dem Guantanamo kritisiert wird, beteiligt gewesen, dann
würde es mich heute doch interessieren, inwieweit deut-
sche Beamte dieses Lager zur Gewinnung eigener Er-
kenntnisse mitgenutzt haben. Was bisher dazu auf den
Tisch gekommen ist, würde mich eher beunruhigen als
beruhigen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, uns liegen heute vier An-
träge vor, die in eine ähnliche Richtung zielen. Wir wün-
schen uns für unseren Antrag die Überweisung in die
Ausschüsse zur weiteren Beratung dort. Wie Sie dem
Wortlaut des FDP-Antrags entnehmen können, unterstüt-
zen wir die Forderung der Bundeskanzlerin im Hinblick
auf eine Schließung des Lagers in Guantanamo. Es
wäre aus unserer Sicht jedoch geschickter gewesen,
wenn auch die Koalitionsfraktionen diese Forderung in
dieser wohltuenden Klarheit in ihren Antrag hineinge-
schrieben hätten, anstatt in Andeutungen stecken zu blei-
ben.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Denn ich finde es falsch, auch aus der Perspektive des
Parlamentariers, wenn man zum Verständnis der Haltung
des Parlaments auf Interviewäußerungen der Bundes-
kanzlerin verwiesen wird. Das sollten wir für uns selbst
nicht so vorsehen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sagte eingangs, Guantanamo sei ein Symbol. Die
dahinter stehende Frage, zu welchen Mitteln man im
Kampf gegen den Terrorismus greifen darf, wird uns
– da bin ich mir sicher – leider noch eine ganze Zeit lang
und wahrscheinlich – auch diese Anmerkung sei gestat-
tet – nicht immer mit der gleichen Einigkeit wie heute in
diesem Parlament beschäftigen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415600

Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung Staats-

minister Gernot Erler.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1601415700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bundesregierung begrüßt, dass sich der Deutsche
Bundestag heute erneut mit dem Thema Guantanamo be-
schäftigt. Die Frage des Status, der Rechte und der Be-
handlung der Gefangenen von Guantanamo ist seit lan-
gem Gegenstand des politischen Dialogs zwischen der
Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten
Staaten.

Die Bundesregierung hat dabei immer wieder den un-
geklärten Status der Guantanamogefangenen ange-
sprochen. Wir halten die Einstufung der Verdächtigen als
„ungesetzliche Kämpfer“ bzw. „feindliche Kombattan-
ten“ mit der Folge, dass sie keinen Anspruch auf rechts-
staatliche Verfahren haben, für nicht mit dem geltenden
Völkerrecht vereinbar.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach unserer festen Überzeugung haben die Festgehalte-
nen unabhängig von der Festlegung ihres Status im Ein-
zelfall einen Anspruch auf Behandlung nach den rechtli-
chen Standards des humanitären Völkerrechts und der
Menschenrechte, das heißt konkret, Anspruch auf eine
jederzeit menschenwürdige Behandlung, auf Schutz vor
Folter und körperlicher Misshandlung, auf Schutz vor
grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behand-
lung oder Strafe und schließlich das Recht auf faire,
rechtsstaatliche Verfahren.


(Beifall bei der SPD)


Diese grundsätzliche Position der Bundesregierung
hat die Unterstützung des Deutschen Bundestages erhal-
ten. Besonders deutlich wurde das in der sehr differen-
zierten Entschließung des Deutschen Bundestages vom
25. März 2004 zum Thema Guantanamo – der Kollege
Toncar hat diese Entschließung eben angesprochen –,
die noch heute Gültigkeit beanspruchen kann. Die Bun-
desregierung hat diese grundsätzliche Position in ihrer
Beantwortung von Fragen aus den Reihen des Deutschen
Bundestags im Dezember 2005 erneut bekräftigt.

Über diese Fragen gibt es, wie gesagt, seit längerem
einen kritischen Dialog mit den Vereinigten Staaten.
Vor ihrem Antrittsbesuch in Washington hat die Bundes-
kanzlerin dazu deutliche Worte gefunden und öffentlich
gefordert – Herr Polenz hat es bereits gesagt; ich zitiere
es noch einmal –:

Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf
Dauer so nicht existieren. Es müssen Mittel und
Wege für einen anderen Umgang mit den Gefange-
nen gefunden werden.

Das Thema war dann auch Gegenstand des Gesprächs
der Bundeskanzlerin mit dem amerikanischen Präsiden-
ten. Es wurde schon vorher von Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier bei der Begegnung mit seiner
Kollegin Condoleezza Rice im Dezember angesprochen.

Dabei kann es nie darum gehen, vor der neuen Quali-
tät der terroristischen Herausforderung, die wir nach
dem 11. September 2001 erfahren mussten, die Augen
zu schließen. Wir sind aber noch dabei, zu lernen, wie
wir die Bürger vor Gefahren schützen können, die wir in
dieser Form früher nicht kannten.

Gilt zum Beispiel für jemanden, der über 150-mal mit
den Hauptattentätern des 11. September in New York
und Washington und des 11. März in Madrid telefoniert
hat, die Unschuldsvermutung – Telefonieren ist ja nicht
strafbar – oder müssen wir hier möglicherweise präven-
tiv – zum Schutz der Bürger – tätig werden? Es geht also
um jene schwierige Gratwanderung zwischen einer ent-
schlossenen und gemeinsamen Abwehr des Terrorismus
einerseits und der Bewahrung von rechtsstaatlichen und






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Gernot Erler
demokratischen Grundsätzen und Freiheitsrechten – ge-
rade dagegen richtet der internationale Netzwerkterroris-
mus seine Attacken – andererseits.

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Washingtoner Rede
vom 12. Januar dieses Jahres ausdrücklich die schwie-
rige Aufgabe angesprochen, hier die richtige Balance zu
finden. Dabei geht es auch nicht ausschließlich um
rechtliche Fragen, sondern letztlich um die politische
Frage, welche Art der Bekämpfung des Terrorismus auf
Dauer erfolgreich sein kann. Solange das Lager in Guan-
tanamo Bay besteht, wird diese Diskussion insofern im-
mer wieder auf die Behandlung der dortigen Gefangenen
zurückkommen müssen.

Längst hat diese Diskussion auch die Vereinigten
Staaten selbst erreicht, wo inzwischen über diese politi-
schen und rechtlichen Fragen auf einem hohen Niveau
diskutiert wird. Herr Kollege Gysi, ich würde mich
freuen, wenn Sie auch diesen Teil der amerikanischen
Realität zur Kenntnis nehmen würden. Ich meine damit
unter anderem die Diskussion um das so genannte
McCain Amendment, wodurch jetzt die weltweite Gel-
tung des Folterverbots für alle US-Bediensteten in Be-
zug auf alle Verhörmethoden gesetzlich klargestellt
wurde. Ich meine damit auch, dass amerikanische Ge-
richte klargestellt haben, dass Guantanamo kein rechtli-
ches Niemandsland sein darf und dass jetzt neue und
transparente Regelungen für Haftprüfungsverfahren gel-
ten. Ich meine damit weiterhin die schon angesprochene
Entscheidung des US Supreme Courts, dass ausländi-
sche Gefangene in Guantanamo dasselbe Recht wie
amerikanische Bürger haben, nämlich die Autorität
staatlicher Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklun-
gen ermutigen uns. Sie ermutigen die Bundesregierung,
den in letzter Zeit sehr intensiv geführten Dialog mit un-
seren amerikanischen Partnern mit dem ausdrücklichen
Ziel fortzusetzen, gemeinsam Mittel und Wege zu einem
anderen Umgang mit den Guantanamogefangenen, aber
auch mit allen anderen Gefangenen im Zusammenhang
mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit stellen wir letztlich unter Beweis: Die Gemein-
schaft der Staaten, die sich den Attacken der Feinde der
Freiheit ausgesetzt sieht, kann Antworten finden, die un-
serem Anspruch als freie und offene Gesellschaften ge-
recht werden, die das Recht jedes Einzelnen achten und
die den geltenden und unverzichtbaren Regeln des inter-
nationalen Völkerrechts ohne Einschränkung folgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415800

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/

Die Grünen.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601415900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ter-

roristen wollen die Freiheit in unseren Gesellschaften
angreifen. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten.
Wir müssen die Einhaltung der Menschenrechte, Rechts-
staatlichkeit und Demokratie als zentrale Grundwerte
verteidigen und sichern.

Beim Verteidigen und Sichern dürfen wir aber diese
Prinzipien nicht selbst teilweise außer Kraft setzen und
Grenzen überschreiten; ansonsten ist ein Teilziel dessen,
was die Terroristen erreichen wollen, erfüllt. Deshalb
müssen wir mit unseren amerikanischen Freunden weiter
darüber sprechen und von ihnen fordern, dass auch sie
sich beim Kampf gegen den Terrorismus ohne Wenn und
Aber an das Völkerrecht und an internationale Men-
schenrechtskonventionen halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Guantanamo steht als Symbol für doppelte Stan-
dards des Westens beim Kampf gegen den Terrorismus
und beschädigt damit den ideologischen Kampf um die
Köpfe in einer Problemregion. Denn wir zeigen, dass der
Westen in seinen Handlungen nicht konsequent ist. Wir
dementieren damit unser Anliegen selber. Dies ist von
großem außenpolitischen Schaden, weil es dadurch nicht
gelingt, die Terroristen von der großen Mehrheit der dor-
tigen Bevölkerung zu isolieren und die Bevölkerung zu
überzeugen: Das sind Wirrköpfe und der Westen ist ganz
anders, als er beschrieben wird.

Die Amerikaner leisten mit Guantanamo einen Bei-
trag dazu, dass die falsche Beschreibung der Welt durch
diese Wirrköpfe für manche Menschen ein gewisses
Maß an Plausibilität gewinnt. Deshalb muss das Gefan-
genenlager Guantanamo geschlossen werden.

Wir als Bundesrepublik Deutschland müssen mit ei-
ner Stimme sprechen und ein solches Vorgehen zurück-
weisen. Ich hoffe, dass es dieses Hohe Haus schafft,
während des Verfahrens mit einer Stimme zu sprechen.
Denn ich denke, die große Einheit zwischen den fünf
Fraktionen sollte als Willensbildung des Parlamentes
klar zum Ausdruck kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Die Bundesregierung hat seit dem Afghanistankrieg
und dem Bekanntwerden des Gefangenenlagers in Guan-
tanamo die Praxis der Amerikaner in Regelmäßigkeit
kritisiert. Ich bin sehr froh darüber, dass die neue Bun-
desregierung diese Politik der alten Bundesregierung
nahtlos fortsetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb begrüße ich es, dass Frau Merkel wie zuvor
ihre Vorgänger wie Herr Fischer, Otto Schily und Frau
Zypries in den USA klare Worte gefunden hat.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Und der Bundeskanzler?)







(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

– Auch der Bundeskanzler hat dies angesprochen. Aber
erinnern Sie sich einmal, in welcher Zeit das damals war,
welche außenpolitischen Diskussionen wir geführt ha-
ben und wie die Situation angesichts der Tatsache war,
dass Angela Merkel nach Washington gefahren ist, um
zu sagen: So ganz gegen den Irakkrieg, wie die deutsche
Regierung es ist, sind wir nicht. Deshalb hat man damals
nicht jedes Gespräch an die große Glocke gehängt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fischer war doch auch in New York!)


Ich kann Ihnen eine lange Liste von Dokumenten vorle-
gen, die beweisen, dass Vertreter der Bundesregierung
im Ausland, zum Beispiel in Washington, und in
Deutschland, im Bundestag, ganz klar gesagt haben: Das
Gefangenenlager in Guantanamo muss geschlossen wer-
den. Es darf keine Differenzen beim Kampf gegen den
internationalen Terrorismus geben. Menschenrechte
müssen gewahrt werden. – Da brauchen wir uns wirklich
nicht zu verstecken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Merkel hat in diesem Zusammenhang gesagt:

Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf
Dauer so nicht existieren.

Beim Wording wünsche ich mir eine größere Klarheit.
Was heißt „auf Dauer“? Ich finde, sie darf überhaupt
nicht existieren und sollte morgen und nicht erst in sechs
Monaten geschlossen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Kollege Toncar hat es schon angesprochen: Wenn uns
Berichte aus den USA erreichen, in denen Sprecher des
US-Verteidigungsministeriums erklären, dass in Guan-
tanamo aufgrund einer neuen Verwaltungsvorschrift jetzt
auch hingerichtet werden kann, und ein anderer Sprecher
sagt, das sei falsch, das habe man falsch interpretiert,
dann beunruhigt mich das außerordentlich. Da muss man
ein klares Stoppsignal setzen und deutlich machen, dass
wir als Europäer in großer Sorge darüber sind, dass ein
weiterer Schritt in der Auflösung des Rechts gegangen
wird, und wir uns dem klar entgegenstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Wir müssen bei der Diskussion – das ist mir vor allen
Dingen beim Einstiegsbeitrag aufgefallen – aber auch
aufpassen, wie wir über die Amerikaner und mit den
Amerikanern reden. McCain ist ein Beispiel dafür, dass
im amerikanischen Parlament und in der amerikanischen
Bevölkerung eine Position für Rechtsstaatlichkeit, für
Menschenrechte und gegen Folter mehrheitsfähig ist und
dass die Position der amerikanischen Regierung und des
amerikanischen Präsidenten nicht für Amerika als Gan-
zes steht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Florian Toncar [FDP])


Das ist ganz wichtig. Wenn wir das sehen, dann können
wir mit den Bündnispartnern in der amerikanischen
Gesellschaft dafür sorgen, dass unseren Prinzipien viel-
leicht auch in den USA zum Durchbruch verholfen wird.
Ich glaube, wir alle sollten an einem Strang ziehen, um
das hinzubekommen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Florian Toncar [FDP])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416000

Das Wort hat der Kollege Alois Karl von der CDU/

CSU-Fraktion.


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1601416100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Guantanamo – welch ein Wort! Kaum ein ande-
res Wort in der politischen Diskussion ist heutzutage mit
so viel Negativem belegt wie dieses. Der Begriff wird
bei uns mit der Entziehung persönlicher Freiheiten, mit
der Verweigerung rechtlichen Gehörs in Zusammenhang
gebracht. Guantanamo kann aber doch nicht isoliert ge-
sehen werden; der Bogen muss weltweit gespannt wer-
den, zum international operierenden Terrorismus, der
– wir haben das gehört – mit rechtsstaatlichen Mitteln
bekämpft werden muss.

Guantanamo ist gewiss kein Ruhmesblatt für die USA
und kann aus unserer Sicht nicht dauerhaft Bestand ha-
ben. Guantanamo ist für uns, die wir uns zum Grund-
rechtskatalog bekennen, mehr als bloß ein Dorn im
Auge; es ist sicher eine offene Wunde. Unsere Meinung
ist eindeutig: Grundlegende Menschenrechte können
keinem vorenthalten werden, nicht einmal dem, der sich
selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt hat. Dies
trifft auch auf die Gefangenen von Guantanamo Bay zu:
Auch sie sind nicht vogelfrei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist nicht zweifelsfrei definiert, welchen Status die
600 Gefangenen auf dem US-Stützpunkt haben. Insbe-
sondere die al-Qaida-Gefangenen werden als unrechtmä-
ßige Kombattanten angesehen und sollen aus dem
Rechtekatalog der Genfer Konvention herausfallen. Für
sie, so die amerikanische Diktion, gelte das humanitäre
Völkerrecht nicht; sie haben also keinen Zugang zu An-
wälten, keinen Zugang zu Gerichten.

Nach der amerikanischen Position sind die Gefange-
nen in Guantanamo Bay sozusagen rechtsschutzlos. Die
Beurteilung hierzulande ist anders. Unabhängig vom ju-
ristischen Hin und Her geht es in Guantanamo um Men-
schen, und diese leben augenblicklich in ganz unerträgli-
chen Verhältnissen. Ihre Situation kann uns aus dem
Gesichtswinkel der Menschenrechte nicht gleichgültig
sein.






(A) (C)



(B) (D)


Alois Karl

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das große Verdienst von Angela Merkel ist es zwei-
fellos, dass sie dieses Thema schon im Vorfeld der USA-
Reise und dann beim Präsidenten offen angesprochen
hat. Damit drückt die Bundeskanzlerin aus, dass uns im
freien Teil Europas die Gefangenen von Guantanamo
nicht egal sind. Wir sind ihr dankbar, dass sie damit auch
dem Gebot des Art. 1 des Grundgesetzes Rechnung
trägt, wonach sich das „Deutsche Volk … zu unverletzli-
chen … Menschenrechten“ bekennt. In diesem Grund-
rechtsartikel ist gerade das Wort „bekennen“ wichtig.
Diese Forderung des Grundgesetzes, also das Bekennen,
richtet sich an jeden, an den Feind und noch viel mehr an
den Freund. Es gibt nicht nur eine Feigheit vor dem
Feinde, sondern auch Tapferkeit vor dem Freund; das hat
Angela Merkel bewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir danken unseren amerikanischen Freunden dafür,
dass auch sie das Grundgesetz von 1949 und damit par-
lamentarische Demokratie, Freiheitsrechte, Rechtsstaat-
lichkeit usw. ermöglicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus diesem Grunde sind gerade jetzt die freundschaftli-
chen Beziehungen zu den USA die richtige Plattform,
um erkannte Missstände anzusprechen. Angela Merkel
hat dies in vorzüglicher Weise getan, und zwar offen,
nicht bloß in bilateralen Gesprächen, ohne die Öffent-
lichkeit beizuziehen.

Diese Position der Bundesregierung möchten wir als
Parlament heute ausdrücklich bekräftigen. Alleinig von
Guantanamo zu sprechen, wäre allerdings zu kurz ge-
griffen. Wir kennen den weltweit agierenden Terroris-
mus. Er wendet sich oft genug gegen die USA. Sie ha-
ben im Bemühen um die Terrorabwehr unsere volle
Solidarität. Auch das sprechen wir heute mit unserem
Antrag deutlich aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Guantanamo kann nicht relativiert werden. Es war
richtig, die deutsche Position in Washington offen anzu-
sprechen. Wir wollen das bekräftigen.

Vor sechzig Jahren hat der Sieger des Zweiten Welt-
krieges, Dwight D. Eisenhower, hier in Berlin ausge-
drückt, dass der Sieg erst dann komplett sei, wenn nach
Jahrzehnten in Deutschland und Europa Demokratie,
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit eingekehrt seien. In der
gleichen Weise rufen wir unseren amerikanischen Freun-
den zu: In Afghanistan habt ihr erst dann gewonnen,
wenn auch dort rechtsstaatliches Verhalten eingekehrt
ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, als Deut-
scher Bundestag stellen wir uns ungeschmälert in die
Tradition der Freiheitsrechte, die ja gerade in den USA
postuliert worden sind. Darüber besteht im Deutschen
Bundestag breite Einigkeit. Aus diesem Grunde ist es
auch niemandem verwehrt, dem Antrag der Regierungs-
fraktionen zuzustimmen, weil wir alle Teil einer ganz
großen Koalition zur Einhaltung der Menschenrechte
und der Grundfreiheiten, auch den Gefangenen gegen-
über, sind.

Nach all dem, meine Damen und Herren, bitte ich
auch um Ihre Zustimmung zu dem Antrag der Koaliti-
onsfraktionen.

Ich danke Ihnen sehr herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416200

Herr Karl, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bun-

destag. Wir gratulieren Ihnen ganz herzlich und wün-
schen Ihnen Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Johannes Jung von der
SPD-Fraktion.


Johannes Jung (SPD):
Rede ID: ID1601416300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Guantanamo ist der tagtägliche systematische
Verstoß gegen Menschenrechte und Menschenwürde,
gegen internationales Völkerrecht und auch gegen US-
amerikanisches Recht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieses Lager und die Behandlung der dort festgesetzten
Personen stehen in schärfstem Widerspruch zur Tradi-
tion der Freiheitsrechte in den USA und sie diskredi-
tieren zusätzlich die Politik der US-Administration. Die
USA waren Jahrhunderte lang ein Zufluchtsort und die
Chance auf eine hoffnungsfrohe Zukunft für Verfolgte
und Geknechtete in dieser Welt, gerade auch aus
Deutschland.

Wie sehr die Bush-Administration diese Tradition von
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit fürchtet, zeigt eben Gu-
antanamo, wo „the rule of law“, die Herrschaft des Ge-
setzes – also in unseren Worten die Rechtsstaatlichkeit –,
ausgehebelt und ferngehalten wird. Dort wird totale
staatliche Gewalt widerrechtlich ausgeübt. Zahlreiche
Gerichtsurteile in den USA belegen, dass die Sorgen
der Bush-Administration aus ihrer Sicht sehr wohl be-
rechtigt und begründet sind.

Umso bedeutsamer ist die in den USA geführte De-
batte über die Folter. Für diese Debatte steht Senator
McCain, der übrigens die Freiheitsmedaille der
Münchner Sicherheitskonferenz erhalten wird.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist ein gutes und ein wichtiges Signal. Es widerlegt
vielleicht die alte Weisheit, dass man Preise dann be-
kommt, wenn man sie nicht mehr braucht. Ich denke, Se-
nator McCain und die Debatte über die Folter in den
USA brauchen diese Auszeichnung.






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Jung (Karlsruhe)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich gehöre einer Partei und einer Regierungsfraktion
an, die im Kampf gegen den Terror unsere demokrati-
sche und aufgeklärte Lebensweise, die das Ziel dieses
Terrors ist, mit rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen will
und weiterhin verteidigen wird. Wir haben die Beteili-
gung an der Intervention der internationalen Staatenge-
meinschaft in Afghanistan und am Wiederaufbau dort
nicht gescheut. Wir haben aber den Krieg im Irak abge-
lehnt und immer wieder vor den verheerenden Folgen
dieses Krieges gewarnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider muss ich sagen: Unsere Befürchtungen wur-
den wahr. Der Krieg im Irak, die illegalen Verschleppun-
gen – die so genannten renditions – und Guantanamo
sind verheerende politische Fehler und schlimmste Men-
schenrechtsverletzungen, die unter der Überschrift
„Kampf gegen den internationalen Terror“ begangen
werden.

Wie sieht die parlamentarische Behandlung aus? Der
Europarat hat im April letzten Jahres eine ausführliche
und detaillierte Entschließung gefasst, in der die Haftbe-
dingungen in Guantanamo als rechtswidrig und un-
menschlich verurteilt werden. Das Europäische Parla-
ment hat in der vergangenen Woche ebenfalls eine
Entschließung verabschiedet, in der die „Überführung
von Hunderten von Personen … in das illegale Haftzen-
trum Guantanamo, in dem Folter und andere Arten der
Misshandlung … zahlreichen Zeugenaussagen zufolge
an der Tagesordnung gewesen sind“, verurteilt wird,
„und fordert die sofortige Schließung des Lagers“. Der
Deutsche Bundestag hat wiederholt zur entwürdigenden
Behandlung der Gefangenen in Guantanamo und zur
Folter unmissverständlich Stellung bezogen. Es gilt
heute, diese Position zu bekräftigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird Sie dabei nicht wundern, dass ich für den
Antrag der Koalitionsfraktionen werbe. Wir heben in
diesem Antrag erstens die Unabdingbarkeit rechtsstaatli-
cher Mittel beim Kampf gegen den internationalen Ter-
rorismus hervor. Klar ist – das wurde oft genug betont;
vielleicht doch nicht oft genug –: Der Rechtsstaat darf
nicht auf dem Wege seiner vorgeblichen Verteidigung
verengt und abgeschafft werden.

Wir unterstützen zweitens die Bundesregierung und
die Bundeskanzlerin ausdrücklich in ihrer öffentlich vor-
getragenen kritischen Haltung zu Guantanamo.

Wir bekräftigen drittens nochmals unsere grundsätzli-
che Forderung zur Einhaltung von Menschenrechten und
dem Respekt vor den Grundfreiheiten von Gefangenen.

Das Lager Guantanamo verstößt gegen alle demokra-
tischen Regeln von Politik, Recht und Moral. Es ist
Synonym für einen Ort der Rechtlosigkeit und der tota-
len Verfügung über Menschen. Da Guantanamo einzig
zu dem Zweck eingerichtet wurde, den Rechtsstaat au-
ßen vor zu halten, muss dieses Lager geschlossen wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag der Koali-
tionsfraktionen bitten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416400

Herr Kollege Jung, das war Ihre erste Rede hier im

Deutschen Bundestag, wozu wir Ihnen herzlich gratulie-
ren.


(Beifall)


Mir ist mitgeteilt worden, dass zu diesem Punkt eine
Debatte zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Ich
gebe das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben volles Haus, weil wir uns über die Frage unterhalten
wollen, wie wir jetzt mit diesen Anträgen umgehen. Ich
finde, bei einem solch ernsten Thema und bei einer sol-
chen Debatte, bei der so viel Einvernehmen im Hohen
Hause gezeigt wird, wäre es gut, wir kämen zu einem ge-
meinsamen Ergebnis, zu einer gemeinsamen Entschlie-
ßung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Nun habe ich – genau wie andere Redner – angespro-
chen, dass wir uns an bestimmten semantischen Feinhei-
ten verschiedener Anträge stören. Das ist gar nicht ver-
wunderlich. Dies kann man im Ausschuss glätten und
dann zu einem gemeinsamen Text kommen. Das ist ei-
gentlich gute Übung hier im Hohen Hause. Wir haben
zum gleichen Thema vier Anträge aus fünf Fraktionen,
in denen steht: Guantanamo muss geschlossen werden
und die USA müssen sich an Rechtsstaatlichkeit, Völ-
kerrecht und Menschenrechte halten.

Ich glaube, es müsste uns gelingen, dies gemeinsam
so zu schreiben, dass das Hohe Haus in der nächsten Sit-
zungswoche einstimmig eine Botschaft in die USA sen-
den kann. Deshalb beantragt unsere Fraktion mit Unter-
stützung der FDP- und der Linksfraktion, alle
vorliegenden Anträge der Fraktionen in die Ausschüsse
zu überweisen, in der nächsten Sitzungswoche darüber
zu beraten und dann hier im Plenum endgültig darüber
abzustimmen. Alles andere wäre wirklich parteipoliti-
sche Nickeligkeit. Diese ist diesem Thema aber nun
wirklich nicht angemessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
von der Union, Sie sind hier zahlreich angetreten, um ab-
zustimmen. Vor der Abstimmung wäre es schön, wenn
Sie noch einmal über Folgendes nachdenken: Was wäre
das klarste Signal an die Amerikaner? Welches Verhal-
ten von uns würde sie am meisten beeindrucken? Das
Beeindruckendste wird sein, wenn wir uns auf einen ge-
meinsamen Text einigen. Ich glaube, alle Fraktionen
sind kompromissbereit genug, um zu sagen, dass es rich-
tig und unterstützenswert ist, dass die Regierung hier
eine klare Sprache spricht. Lassen Sie uns diesen Ver-
such machen. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Ge-
schäftsordnungsantrag zu und ersparen Sie uns nachher
bei der Abstimmung über die Einzelanträge unterschied-
liche Voten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416600

Für die Koalition hat die Kollegin Dr. Krogmann von

der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Martina Krogmann (CDU):
Rede ID: ID1601416700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir als Koalition halten es für sinnvoll, über diese An-
träge sofort abzustimmen, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens. Herr Kollege Beck, trotz vieler Gemeinsam-
keiten werden in den einzelnen Anträgen wichtige unter-
schiedliche Akzente gesetzt, die wir nicht glätten wollen.
Deshalb halten wir es für unwahrscheinlich, dass es nach
den Ausschussberatungen überhaupt zu einem gemein-
samen Antrag kommen wird.


(Zuruf von der FDP: Aber wir können es doch versuchen!)


Zweitens. Wenn wir alle der Meinung sind – dass dem
so ist, hat die Debatte gezeigt –, dass dieses Thema sehr
wichtig ist, dann sollten wir die Entscheidung darüber
nicht vertagen. Wir sollten kraftvoll sofort abstimmen
und unmittelbar entscheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun ja gerade so, als hätten Sie diese Debatte beantragt! Aber das hat die Opposition gemacht!)


Deshalb beantrage ich für die Koalition, dass über die
vorliegenden Anträge sofort abgestimmt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601416800

Herr Kollege van Essen hat das Wort für die FDP-

Fraktion.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1601416900

Frau Kollegin Krogmann, Ihre Argumentation hat

mich überhaupt nicht überzeugt.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es verschlägt doch gar nichts, wenn wir in der nächsten
Sitzungswoche abstimmen.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist jetzt aber auch nicht gerade überzeugend!)


Ich denke, dass die heutige Debatte gezeigt hat, wie breit
die Übereinstimmung im Deutschen Bundestag ist.
Wenn wir ein Signal aussenden wollen, dann ist es doch
wichtig, dass unser Vorgehen vom ganzen Haus unter-
stützt wird.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie können unserem Antrag zustimmen!)


Die Oppositionsfraktionen haben heute deutlich ge-
macht, dass sie bereit sind, mit Ihnen zusammen einen
gemeinsamen Antragstext zu finden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum kamen Sie nicht gestern?)


Diesen Versuch sollten wir unternehmen. Das ist jeden-
falls der Wunsch meiner Fraktion. Wir werden für die
Überweisung der Anträge stimmen, damit es ein klares
und deutliches Signal des gesamten Deutschen Bundes-
tages gibt. Genau das hat dieses Thema verdient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601417000

Frau Kollegin Enkelmann, bitte, für die Fraktion Die

Linke.


Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601417100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir un-

terstützen den Antrag auf Überweisung aller Anträge an
die Ausschüsse. Ich denke, die Debatte hat tatsächlich
gezeigt: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Es geht um ein
gemeinsames politisches Signal aus diesem Haus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmen Sie uns doch zu!)


Wir hatten unseren Antrag rechtzeitig eingebracht
und es gab tatsächlich das Angebot – die Kollegen Parla-
mentarische Geschäftsführer wissen das –, einen ge-
meinsamen Antrag zu formulieren. Wir wollten nicht un-
bedingt auf unser Recht der ersten Nacht pochen; denn
wir hätten schon gerne gesehen, dass es zu einem ge-
meinsamen Antrag kommt.

Aber jetzt haben wir die widersinnige Situation, dass
vier Anträge zum gleichen Thema vorliegen. Es ist
durchaus möglich, aus ihnen einen gemeinsamen Antrag
zu machen. Diese Arbeit sollten wir in den Ausschüssen
leisten. Deswegen bitte ich Sie alle ganz herzlich: Las-
sen Sie uns die vorliegenden Anträge gemeinsam an die






(A) (C)



(D)


Dr. Dagmar Enkelmann
Ausschüsse überweisen, lassen Sie uns dort einen ge-
meinsamen Antrag formulieren und lassen Sie uns aus
diesem Haus ein gemeinsames politisches Signal aussen-
den!


(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601417200

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache zur

Geschäftsordnung.

Wir kommen zu den Abstimmungen.

Die Fraktionen der FDP, der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen beantragen, die Anträge auf
den Drucksachen 16/364, 16/431, 16/454 und 16/443 fe-
derführend an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mit-
beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Hu-
manitäre Hilfe zu überweisen. Die Koalitionsfraktionen
hingegen wünschen sofortige Abstimmung in der Sache.

Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den
Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die für
den Vorschlag auf Überweisung an die genannten Aus-
schüsse stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist hiermit
abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.

Wir stimmen daher in der Sache ab. Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/364 mit dem Titel „Guantanamo schlie-
ßen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist abgelehnt mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Linke-Fraktion und einzelner Abgeordneter von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP und ei-
ner Mehrheit der Abgeordneten von Bündnis 90/Die
Grünen.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/431 mit dem Titel „Für die Einhaltung
von grundlegenden Menschenrechten und Grundfreihei-
ten beim Umgang mit Gefangenen“. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dieser
Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koalition
bei Enthaltung der übrigen Mitglieder des Hauses.

Ich komme zu Zusatzpunkt 4. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/454 mit
dem Titel „Für die Schließung von Guantanamo Bay und
die Überführung der Gefangenen in rechtsstaatliche Ver-
fahren“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist abgelehnt mit
den Stimmen von SPD und CDU/CSU gegen die Stim-
men der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.

Schließlich kommen wir zum Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/443 mit
dem Titel „Rechtsstaatliche Verfahren und Menschen-
rechtsschutz für die Inhaftierten in Guantanamo Bay“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Dieser Antrag ist abgelehnt. Für den An-
trag haben gestimmt die Fraktionen der FDP, der Linken
und des Bündnisses 90/Die Grünen, dagegen gestimmt
haben die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD.

Ich rufe hiermit die Tagesordnungspunkte 12 a und
12 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), Matthias
Berninger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Die Dienstleistungsrichtlinie verbessern – Das
europäische Sozialmodell bewahren

– Drucksache 16/373 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

EU-Dienstleistungsrichtlinie ablehnen

– Drucksache 16/394 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Hierfür ist eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.


(Unruhe)


Ich eröffne gleich die Aussprache, wenn die Kollegin-
nen und Kollegen den Saal verlassen haben, die dieser
Debatte nicht folgen möchten.


(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Plenarsaal – Anhaltende Unruhe)


– Möglicherweise könnten die Gespräche, die nicht zur
Sache gehören, draußen geführt werden.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert,
Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601417300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Anhaltende Unruhe)


– Auch auf die Gefahr hin, dass es Sie stört: Ich habe Ih-
nen hier zu einem sehr zentralen Thema etwas mitzutei-
len.

Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, bringt einen
Antrag ein mit dem Titel „Die Dienstleistungsrichtlinie
verbessern – Das europäische Sozialmodell bewahren“.
Warum? In naher Zukunft, und zwar am 14. Februar, fin-
det in Brüssel eine ganz zentrale Abstimmung über die
Dienstleistungsrichtlinie statt, die das Ziel hat, den
gemeinsamen Binnenmarkt auf den Dienstleistungsbe-
reich auszudehnen. Auf die Ausgestaltung der Dienst-
leistungsrichtlinie müssen wir Einfluss nehmen. Die
Bundesregierung sucht noch nach ihrer Linie, wie über-
all zu lesen ist. Wir wollen ihr dabei helfen, ihre Position
zu finden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und der CDU/CSU.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nett von uns!)


Worum geht es? Der Binnenmarkt bietet eine große
Chance für Europa, der Binnenmarkt im Dienstleis-
tungsbereich allemal. Es könnten – auch in Deutschland
– viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Chance
dürfen wir nicht verspielen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)


Den Antrag bringen wir ein, weil wir verhindern wol-
len, dass in Europa durch die Dienstleistungsrichtlinie in
ihrer jetzigen Form Tür und Tor für Sozialdumping,
Lohndumping und Umweltdumping geöffnet werden.
Das Ziel, einen Binnenmarkt für den Dienstleistungsbe-
reich zu schaffen, ist richtig. Auf die Ausgestaltung
aber müssen wir von der Bundesrepublik Deutschland
wie auch von Brüssel aus Einfluss nehmen.

Es müssen folgende Schritte umgesetzt werden: Ers-
tens darf das Herkunftslandprinzip nur für den Markt-
zugang gelten. Dadurch erreichen wir, dass die bürokra-
tischen Hürden für kleinere und mittlere Betriebe beim
Zugang auf den Dienstleistungsmarkt in den Nachbar-
ländern abgebaut werden. Zweitens muss bei der Durch-
führung von Dienstleistungen das Ziellandprinzip gel-
ten. Das bedeutet, dass die sozialen Standards,
Umweltstandards und arbeitsrechtlichen Standards der
Zielländer gelten, also unsere Standards hier in Deutsch-
land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dadurch müssen sich unsere Verbraucherinnen und Ver-
braucher nicht durch den Dschungel von 25 Rechtssyste-
men und 25 unterschiedlichen Standards in Europa
kämpfen, wobei die Gefahr besteht, dass sie die Orien-
tierung verlieren.
Wir wollen hier zu diesem Thema eine Debatte füh-
ren. Sie ist zielführend und es besteht die Chance, dass
die Ergebnisse in Europa Realität werden. Evelyne
Gebhardt von der SPD hat den Kompromissvorschlag
eingebracht. Unser Antrag mit seinen klaren Änderungs-
vorschlägen, nämlich der Berücksichtigung des Her-
kunftslandprinzips und des Ziellandprinzips, hat eine
Chance auf Umsetzung, wenn wir uns hier einig werden.
Ich glaube, im Ziel sind wir uns einig.

In unserem Antrag werden noch andere Punkte ange-
sprochen. Auch darüber gilt es zu diskutieren. Wir wol-
len, dass besonders sensible Bereiche, die vom zustän-
digen Binnenausschuss des Europäischen Parlaments
noch nicht berücksichtigt worden sind – dazu zählen die
Bereiche Pflege und Leiharbeit, aber auch Bereiche der
Daseinsvorsorge –, aus dieser Dienstleistungsrichtlinie
herausgenommen werden.

In Deutschland könnte es, auch wenn das Entsendege-
setz auf alle Branchen ausgeweitet wird, möglicherweise
noch Bereiche geben, die in manchen Regionen oder je
nach Branche über Tarifverträge nicht abgesichert sind.
Deswegen wollen wir auf Regionen bzw. auf Branchen
bezogene Mindestlöhne möglich machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Weg ist gangbar – das sage ich noch einmal –
und wird für Deutschland und für Europa große Chancen
eröffnen. Er ist gangbar, wenn sich die Koalition an ih-
ren Koalitionsvertrag hält. Damit kommen wir zu des
Pudels Kern: Im Koalitionsvertrag steht, dass das Her-
kunftslandprinzip beim Schutz der sozialen Standards
nicht wirklich zum Ziel führt. Herr Koch zum Beispiel
hat im Bundesrat einen interessanten Antrag einge-
bracht, in dem steht, dass das Herkunftslandprinzip nur
für den Marktzugang gelten soll; das hat auch Frau
Evelyne Gebhardt in Brüssel so vorgetragen. Man
könnte meinen, in der Bundesregierung existiere hierzu
eine klare Linie.

Wo ist das Problem? In Wirklichkeit existiert keine
klare Linie. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministe-
rium, Herr Wuermeling, hat in Brüssel sehr viel Energie
investiert, damit das Herkunftslandprinzip nicht verän-
dert wird. Er hat sich dem in den Weg gestellt und hat
dafür gesorgt, dass gerade die Konservativen in Brüssel
diesen notwendigen Veränderungen nicht zugestimmt
haben. Er hat sogar klare Worte gefunden und gesagt,
dass das eine unredliche Panikmache vonseiten der Lin-
ken sei. Ich muss Ihnen übrigens sagen, dass er ganz of-
fensichtlich auch Herrn Koch damit gemeint hat. Nun
gut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
koalition, Sie haben die Chance, an dieser Stelle die Ei-
nigung zu finden, nach der Sie suchen, indem Sie sich
auf Ihren Koalitionsvertrag beziehen, indem sich die
Union zum Beispiel auf einen bestimmten Ministerpräsi-
denten bezieht und indem wir alle gemeinsam die positi-
ven Chancen, die es im Binnenmarkt für Dienstleistun-
gen gerade auch für die Entwicklung des Arbeitsmarktes
in Deutschland gibt, aufgreifen.






(A) (C)



(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601417400

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601417500

Ich komme zum Schluss. – Ich möchte noch eine Be-

merkung machen, weil hier noch ein zweiter Antrag vor-
liegt, nämlich der der PDS.

Das ist ein ziemlicher Zwitterantrag. Sie rufen in ers-
ter Linie zum Boykott der Dienstleistungsrichtlinie und
erst in zweiter Linie zu Änderungen auf. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen der PDS, ich glaube, Sie täten den so-
zialen Standards sowie den Arbeitsrechts- und Umwelt-
schutzstandards in Europa Gutes, wenn Sie von Ihrem
Boykott Abstand nehmen und dieses Europa mitgestal-
ten würden; denn ein soziales und ein umweltfreundli-
ches Europa ist möglich.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601417600

Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1601417700

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Der freie Dienstleistungsverkehr ist Bestandteil
des EU-Vertrages. In Art. 49 EG-Vertrag ist das vorgese-
hen. Die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte ist
integraler Bestandteil. Das müssen wir einfach sehen.
Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche,
kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätig-
keiten. So steht es in Art. 50 des EG-Vertrages.

Die Öffnung der europäischen Dienstleistungs-
märkte bietet große Chancen für mehr Wachstum und
Beschäftigung in Deutschland. Das sollten wir bei all
den Diskussionen über Einzelpunkte nicht unterschla-
gen. Wir haben hochmoderne und leistungsfähige
Dienstleistungsbranchen, die von dieser Marktöffnung
sehr stark profitieren können. Diese Chancen gilt es zu
nutzen. Wir sind bisher Weltmeister beim Export von In-
dustrieprodukten. Wir sollten in Zukunft auch einen
Spitzenplatz beim Handel mit Dienstleistungen einneh-
men können, wenn wir es richtig anstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In dem ganzen Konzept ist zu bedenken – das nehmen
wir sehr ernst –, dass aufseiten der Bevölkerung, insbe-
sondere der Arbeitnehmerschaft, mit der Liberalisierung
der Dienstleistungsmärkte Sorgen verbunden sind, denen
durch geeignete gesetzliche Regelungen begegnet wer-
den muss. Deshalb wollen wir die wünschenswerte Libe-
ralisierung in einen geeigneten Rahmen stellen. Das ha-
ben wir die ganze Zeit getan. Das wichtigste Ziel ist,
drohende Nachteile, etwa gar Sozialdumping, zu vermei-
den und auszuschließen. Deshalb ist es wichtig, dass wir
jetzt die Dienstleistungsrichtlinie als gesetzlichen Rah-
men bekommen, da die Regelungskompetenz für den
ganzen Bereich ansonsten ausschließlich dem Europäi-
schen Gerichtshof zufiele. Das kann niemand von uns
wünschen.

Meine Damen und Herren, wir müssen eine vernünf-
tige Balance zwischen den sozialen und den ökologi-
schen Schutzinteressen einerseits und der Erleichterung
des zwischenstaatlichen Handels andererseits erreichen.
Deshalb wollen wir eine weitere Öffnung der Dienstleis-
tungsmärkte. Diese Liberalisierung ist im Übrigen auch
Teil der Lissabonstrategie, durch die Europa zum dyna-
mischsten Wirtschaftsraum werden soll. Wenn wir hier
keine vernünftigen Regelungen finden, dann werden wir
dieses Ziel ganz bestimmt nicht erreichen.

Deshalb will ich Ihnen hier die Position, die die
Union die ganze Zeit verfolgt hat und deren Durchset-
zung wir in den letzten Monaten – auch in Abstimmung
mit unseren Kollegen im Europaparlament – vorange-
trieben haben, noch einmal nennen. Wir haben bisher
schon viel erreicht. Ich möchte die Position aber noch
einmal wiederholen, damit wir alle den für uns vorgege-
benen Rahmen kennen:

Erstens. Durch die Richtlinie muss deutschen Unter-
nehmen die Chance gegeben werden, in Zukunft leichter
und mehr Aufträge in europäischen Ländern zu erhalten
und durchzuführen, und müssen die Voraussetzungen für
mehr Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden.
Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass die Anwen-
dung der Richtlinie in Bezug auf die Erbringung von
Leistungen der Daseinsvorsorge und die Ausübung
öffentlicher Gewalt eingeschränkt wird. Die Defini-
tions-, Gestaltungs- und Finanzierungshoheit der Mit-
gliedstaaten bei der Daseinsvorsorge muss unangetastet
bleiben und die Besonderheiten von Dienstleistungen im
allgemeinen Interesse müssen innerhalb der Richtlinie
berücksichtigt werden.

Notare, die sich mit der Ausübung öffentlicher Ge-
walt beschäftigen, und Tätigkeiten, die damit verbunden
sind, sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus-
zunehmen. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung sowie die staatliche Kulturförderung dürfen
nicht eingeschränkt oder ausgehöhlt werden. Deshalb ist
es unsere Strategie, von dieser Diskussion über das Her-
kunfts- und Bestimmungslandprinzip wegzukommen
und zu einer klaren Regelung der einzelnen Bestandteile
zu kommen, die aus unserer Sicht notwendig ist, um das
Subsidiaritätsprinzip in Europa sicherzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will noch einige Punkte nennen, die von dieser
Diskussion um Begriffe klar wegführen, und Ihnen zei-
gen, an was wir im Einzelnen denken. Wir dürfen unsere
nationalen Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie un-
sere Gesundheitsstandards nicht aushöhlen. Das natio-
nale Arbeitsrecht muss in vollem Umfang unberührt
bleiben. Das geht bis hin zur Entsenderichtlinie. Hier hat
die nationale und nicht die europäische Gesetzgebung
den Vorrang.

Die Überlassung von Arbeitnehmern muss ebenso
wie die Steuerung von Arbeitsmigration nach deutschen
Standards geregelt werden. Hier muss die nationale

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

Ebene zuständig bleiben. Das geht bis hin zu der Frage,
welche Drittstaatenangehörigen in unser Land entsandt
werden dürfen. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage
sein, all das zu beschließen, was in ihrem Interesse ist
und was sie für richtig halten, um den Schutz der öffent-
lichen Sicherheit und Ordnung, Volksgesundheit, Um-
welt und die Vorbeugung gegen Risiken vor Ort wirklich
sicherzustellen.

Das Herkunftslandprinzip – bei dieser Meinung
sind wir geblieben, schließlich liegt in der Zusammen-
arbeit die große Chance – darf sich eben nicht auf Fragen
des anwendbaren Zivilrechts und auf das internationale
Privatrecht ausdehnen. Dass Verträge nicht nach dem
Herkunftslandprinzip gestaltet werden dürfen, ist gerade
für die Verbraucher in Deutschland von ganz entschei-
dendem Interesse; denn wenn es um Dienstleistungen
aus dem Ausland geht, wollen die Menschen sicherge-
stellt wissen, dass zum Beispiel Gewährleistungs- oder
Schadensersatzansprüche bei uns und nach unserem
Recht abgewickelt werden und sie nicht etwa irgendwo
in Polen oder Tschechien vorstellig werden müssen.
Deutsche Gerichte müssen für diese Bereiche zuständig
bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Finanzierungshoheit im öffentlichen Gesund-
heitswesen ist sicherzustellen. Im Übrigen – dieser
Punkt ist offen, darüber müssen wir in Europa noch spre-
chen – geht es darum, dass der Gesundheitssektor insge-
samt nach unserer Überzeugung von der Richtlinie aus-
zuschließen ist. Das gilt für den staatlichen Bereich, aber
nach unserer Meinung auch für private Gesundheits-
dienstleistungen. Hier muss die Einbeziehung in die
Richtlinie geprüft werden, weil es sich bei dem Gesund-
heitsbereich in unseren Augen um einen Wachstumssek-
tor handelt. Hier müssen wir unsere Rahmenbedingun-
gen selber gestalten können.

Die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist ein
weiterer Punkt, der nicht durch die Dienstleistungsricht-
linie geregelt werden sollte, sondern durch die dafür vor-
gesehene Richtlinie, die dann Vorrang haben muss. Die
Berufsqualifikation sollte durch eine eigene Richtlinie
geregelt werden und nicht durch die Dienstleistungs-
richtlinie ausgehebelt werden können. Das heißt, dass
die Rahmenbedingungen aus unserer Sicht durch die
Dienstleistungsrichtlinie festgelegt werden, diese je-
doch subsidiär gilt. Dort, wo Sondertatbestände existie-
ren, die einzeln geregelt werden, gelten diese Sonderre-
gelungen und nicht das allgemeine Rahmenwerk der
Dienstleistungsrichtlinie. Das betrifft etwa die Bereiche
von audiovisuellen Dienstleistungen oder auch Rechts-
anwälte. Diesen Bereich haben wir bereits besprochen.
Auch den Bereich Fernsehen oder audiovisuelle Dienst-
leistungen haben wir im Zusammenhang mit dem Petitor
unserer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten debat-
tiert. Sie sind aus dem Anwendungsbereich der Richt-
linie herauszunehmen und damit nationale Angelegen-
heiten.

Das Gleiche gilt, wenn es um die Bekämpfung illega-
ler Beschäftigung und die Bekämpfung von Schwarz-
arbeit geht. Hier dürfen keine Erschwernisse auftreten.
Angesichts der geltenden Regelung zur Verwaltungszu-
sammenarbeit bin ich ganz sicher, dass dieser Bereich
bisher schon gut geregelt ist und nicht neu gestaltet wer-
den muss.

Im Übrigen – das möchte ich abschließend feststel-
len – sollten Regelungen, die neue bürokratische Lasten
wie unnötige zusätzliche Evaluierungsvorschriften oder
überzogene Informations-, Berichts- und Prüfungsvor-
schriften mit sich bringen, konsequent aus der Richtlinie
herausgenommen werden, um das, was wir in Deutsch-
land machen, auch auf der europäischen Ebene fortzu-
setzen.

Wenn wir diese Vorstellungen in den Prozess hin zur
Verabschiedung der Richtlinie durch das Europaparla-
ment einbringen, dann bin ich optimistisch, dass wir in
Europa zu guten Lösungen kommen. Das erreichen wir
nicht, indem wir uns verweigern und auf einzelne Be-
griffe abstellen, sondern indem wir uns hart an der Sache
orientieren und uns bemühen, Rahmenbedingungen zu-
gunsten von Wachstum und Arbeitsplätzen zu schaffen,
damit in Europa ein wichtiger weiterer Sektor geregelt
werden kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601417800

Das Wort hat nun der Kollege Martin Zeil, FDP-Frak-

tion.


Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1601417900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie ist ein
Test dafür, wie wir es mit den Chancen des europäischen
Binnenmarktes und dem Abbau bürokratischer Hinder-
nisse halten. Jenseits aller Detailaspekte geht es um un-
sere Vision von Europa: Wollen wir ein Europa auf der
Basis von Freiheit und Wettbewerb, das wirtschaftlich
zusammenwächst, oder verkrümeln wir uns in einem
Akt der Selbsttäuschung in die heimelige Wärmestube
des Protektionismus?


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


Grüne und Linke – auch Teile der SPD – bevorzugen
offenbar die Wärmestube. So wäre zum Beispiel die von
ihnen vorgeschlagene Spaltung von Zugangs- und Aus-
übungsregelungen zwischen Herkunfts- und Bestim-
mungsländern ein erheblicher Rückschritt gegenüber
dem geltenden Recht. Die Bedenkenträger übersehen,
dass es im Zeitalter der Globalisierung nicht hilft, wenn
man sich in die Furche duckt und hofft, der Wind des
Wettbewerbs würde irgendwie an uns vorüberziehen.

Frau Merkel hat in Davos zu Recht festgestellt: Der
Staat muss loslassen können – das gilt auch europa-
weit –, wenn wir wieder eine Wachstumsregion werden
wollen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
Die Koalition muss aber den Worten der Kanzlerin auch
Taten folgen lassen, Herr Meyer. Sonst riskieren Sie,
dass sie zur Frühstücksdirektorin wird.


(Beifall bei der FDP)


Ich zitiere den früheren Wirtschaftsminister Clement,
der im Februar 2005 im „Tagesspiegel“ festgestellt hat:

Wir brauchen mehr Wettbewerb im Dienstleis-
tungssektor in Europa. Gerade die deutschen Unter-
nehmen sollten in der Richtlinie mehr Chancen als
Risiken sehen.

Der Mann hatte Recht!

Mit der Richtlinie soll endlich europaweit Bürokratie
abgebaut werden. Das begrüßen wir schon deshalb, weil
aus Europa bisher oft mehr Bürokratie gekommen ist.

Die Kritiker der Richtlinie verschweigen, dass der zu-
ständige Ausschuss des Europaparlaments – der Kollege
Meyer hat es schon erwähnt – einer Reihe von Anregun-
gen Rechnung getragen hat:

Erstens. Bei der staatlichen und kommunalen
Daseinsvorsorge bleibt es bei der Definitions-, Gestal-
tungs- und Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten.

Zweitens. Das Arbeitsrecht – auch die Entsendung
von Arbeitnehmern – fällt aus dem Herkunftslandprinzip
heraus. Weder die Bestimmungen zu Arbeits- und Tarif-
verträgen noch zum Arbeitsschutz können umgangen
werden.

Drittens. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit und
Scheinselbstständigkeit bleibt Sache der Behörden vor
Ort und ist durch grenzüberschreitende Verwaltungszu-
sammenarbeit sicherzustellen. Hierbei kommt es darauf
an, dass die Kommission endlich Vorschläge für die Um-
setzung der grenzüberschreitenden Kooperation der Be-
hörden vorlegt.


(Beifall bei der FDP)


Viertens. Der vereinfachten Verwaltungszusam-
menarbeit zwischen den Behörden muss ein möglichst
breiter Anwendungsbereich eingeräumt werden, damit
das Ziel der Entbürokratisierung auch wirklich erreicht
werden kann. Dabei muss das Prinzip der Gegenseitig-
keit zwischen den Ländern gelten. Die Vereinfachungen
müssen auch inländischen Wettbewerbern nutzbar ge-
macht werden.


(Beifall bei der FDP)


Der Vorschlag des Binnenmarktausschusses garantiert
nun dem Zielstaat, dass er seine Gemeinwohlinteressen
wirkungsvoll sichern kann. Im Ergebnis bekommen wir
keine unbeschränkte, sondern eine kontrollierte Dienst-
leistungsfreiheit. Wer jetzt noch das Gespenst des So-
zial- und Umweltdumpings an die Wand malt, der will
oder kann nicht verstehen, was wirklich Sache ist.


(Beifall bei der FDP)


Auch der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregie-
rung hinkt mit der Forderung nach einer weiteren Über-
arbeitung dem aktuellen Stand ein wenig hinterher. Ich
habe den Eindruck, dass Herr Staatssekretär
Wuermeling, der noch im November des letzten Jahres
die Position des Binnenmarktausschusses zu Recht ge-
lobt hat, ihn nicht mehr Korrektur gelesen hat. Laut ei-
nem Gutachten des Kopenhagen-Instituts können durch
die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie kurzfristig
bis zu 600 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Europa – da-
von allein 100 000 in Deutschland – geschaffen werden.
Können wir es uns wirklich leisten, darauf zu verzich-
ten?


(Beifall bei der FDP)


Es geht nicht – das ist ein beliebtes Argument, das
auch in einem Antrag steht – um die Interessen von
Großunternehmen. Vielmehr geht es hier um die Ver-
wirklichung der Dienstleistungsfreiheit vor allem der
kleinen und mittleren Unternehmen, des Mittelstandes
also, der in den Sonntagsreden ständig so sehr gelobt
wird. Große Unternehmen haben zumeist Niederlassun-
gen im Ausland und brauchen diese Richtlinie am aller-
wenigsten.


(Beifall bei der FDP)


Gerade der deutsche Mittelstand mit seiner bekannten
Qualität hat hier die Chance, grenzüberschreitend zu ex-
pandieren, ohne durch absolut widersinnige Hürden be-
hindert zu werden.

Nicht protektionistische Ängstlichkeit, sondern Mut
zu Wettbewerb und Bürokratieabbau ist das Gebot der
Stunde. Wenn wir nicht einmal in Europa diesen Mut
aufbringen, wie wollen wir dann eigentlich im Wettbe-
werb mit anderen dynamischen Regionen der Welt be-
stehen?


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich abschließend an die Adresse der
Bundesregierung und insbesondere an die des Wirt-
schaftsministers Glos sagen: Verbauen Sie dem Mittel-
stand und den Arbeitsuchenden bei uns, aber auch in an-
deren Ländern diese Chance nicht! Stehen Sie zu dem,
was Ihre Parteifreunde gemeinsam mit den Liberalen im
Europaparlament umgesetzt haben! Reden Sie nicht nur
von mehr Freiheit, sondern handeln Sie auch danach!
Auf unsere Unterstützung können Sie dabei zählen.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601418000

Das Wort hat nun der Kollege Garrelt Duin, SPD-

Fraktion.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1601418100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Selten hat ein Richtlinienentwurf der EU-
Kommission für so viel Aufmerksamkeit gesorgt wie
dieser; das hat gute Gründe. Ich möchte vorab anmerken,
dass es sich künftig lohnen würde, hier und in der deut-
schen Öffentlichkeit noch öfter und rechtzeitig über sol-
che Richtlinienentwürfe intensiv zu diskutieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
Die Dienstleistungsrichtlinie hat in den vergangenen
zwei Jahren zu regelrechten Proteststürmen geführt, weil
die hinter diesem Entwurf stehende Denkweise – ich bin
geneigt, zu sagen: die Ideologie, seinerzeit durch Herrn
Bolkestein verkörpert und heute vom Kollegen Zeil noch
einmal vorgetragen – Kern des Problems ist.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Welches Europa wollen wir? So ist die Frage richtig
gestellt. Aber im zweiten Schritt geht es um die Fragen:
Bedeutet Europa eigentlich mehr als Markt, Markt und
nochmals Markt? Überlassen wir Europa denjenigen, die
glauben, dass das freie Spiel der Kräfte alles zum Guten
wenden wird und dass alleine der Markt die Dinge re-
geln kann? Diese Fragen und die damit verbundenen
Ängste haben unter anderem dazu geführt, dass die Re-
ferenden in Frankreich und den Niederlanden negativ
ausgegangen sind.


(Beifall bei der SPD)


Immer wieder stoßen wir auf diese Denkweise, zuletzt
beim Port Package II. Wir können unseren Kolleginnen
und Kollegen aus dem Europäischen Parlament nur gra-
tulieren, dass sie diesen Angriff auf die Beschäftigten in
unseren Häfen abgewehrt und das Port Package II ver-
senkt haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir Europa so gestalten wollen, dass es von den
Menschen, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern
getragen wird, dann brauchen wir neben dem intensiven
Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit auch den sozialen
Zusammenhalt in Europa. Sozialer Zusammenhalt ver-
kommt zur Worthülse, wenn wir nicht in der Normset-
zung, in der Gesetzgebung, wie jetzt hier ganz konkret
bei der Dienstleistungsrichtlinie, darauf achten und ihr
Geltung verschaffen. Diese Verbindung von dem Bemü-
hen um Wettbewerbsfähigkeit und dem sozialen Zusam-
menhalt ist unser Anliegen.

Natürlich braucht der Wirtschaftsraum der EU einen
intensiveren Austausch von Dienstleistungen, sowohl
zur Stärkung der Wirtschaftskraft insgesamt, als auch
um dem Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse,
der Kohäsion, näher zu kommen. Die grenzüberschrei-
tende Erbringung von Dienstleistungen ist wesentliches
Element des Binnenmarktes und der Abbau von Hinder-
nissen ist für die Wirtschaftsentwicklung dieses Sektors
und nicht zuletzt für die Verbraucher von grundlegender
Bedeutung. Aber – auch das hat Frau Merkel in Davos
gesagt – diese Freiheit braucht Regeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne oder mit falschen Regeln wird es einen ruinö-
sen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne, die nied-
rigsten Sozialstandards und die niedrigsten Umweltstan-
dards geben. Wir dürfen dabei in der Tat – Herr Meyer
hat es angesprochen – nicht vergessen, dass der Dienst-
leistungsbinnenmarkt mit all seiner Unzulänglichkeit be-
reits existiert und der Europäische Gerichtshof ihn mit
seinen Urteilen gestaltet, allerdings – das will ich hinzu-
fügen – nahezu ungetrübt von der Logik des freien Wett-
bewerbs.

Ruinöser Wettbewerb schadet nicht nur den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern auch den
kleinen und mittelständischen Unternehmen. So ist es
nämlich zu erklären, dass die Proteste der Gewerkschaf-
ten nahezu wortgleich auch von vielen Verbänden, zum
Beispiel dem Zentralverband des Deutschen Handwerks
– es gab sogar eine Preisverleihung durch mittelständi-
sche Unternehmen an die sozialdemokratische Bericht-
erstatterin –, unterstützt werden. Das können Sie nicht
einfach wegwischen und sagen, der Mittelstand sei da-
von begeistert. Das entspricht nicht den Tatsachen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Kommission hat mit der Vorlage der Dienstleis-
tungsrichtlinie eine große Chance vertan, weil sie mit
der Brechstange des Herkunftslandprinzips versucht,
eine Überliberalisierung des Binnenmarktes zu errei-
chen. Das führt zu praxisfernen Ergebnissen und sozial-
und wirtschaftspolitischen Verwerfungen. Die Kommis-
sion hätte der Sache einen viel besseren Dienst erweisen
können, wenn sie einen anderen, einen bescheideneren
Ansatz gewählt hätte. Es wäre ausreichend gewesen, die
zahlreichen Vorschläge zur Erleichterung der grenzüber-
schreitenden Dienstleistungserbringung zu systematisie-
ren und praxisgerecht auszugestalten.

Die Bundesregierung ist zurzeit genauso wie die im
Europäischen Parlament vertretenen maßgeblichen Par-
teien dabei, nach Möglichkeiten zu suchen, diesen Be-
denken Rechnung zu tragen. Ich bin der Überzeugung,
dass dort, sowohl in der Bundesregierung als auch bei
den maßgeblichen Vertretern im Europäischen Parla-
ment, ein guter Weg gefunden werden kann, wenn wir
von den zwei folgenden Eckpunkten ausgehen. Der erste
Punkt ist, dass der Anwendungsbereich klar definiert
wird, und der zweite Punkt ist – Bezug nehmend auf das,
was wir im Koalitionsvertrag geschrieben haben –, dass
das Herkunftslandprinzip à la Bolkestein nicht die Richt-
schnur dieser Richtlinie sein kann.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bezüglich des Anwendungsbereiches muss klar sein,
dass sektorale Richtlinien Vorrang vor der Dienstleis-
tungsrichtlinie haben. Als zentrales Beispiel nenne ich
hier die Entsenderichtlinie. Sie ist ein, wie ich finde,
sehr gutes Instrument, von dem wir in Deutschland – das
sei zugegeben – noch zu wenig Gebrauch machen. Viel-
leicht – so ist jedenfalls meine Hoffnung – kommen wir
im Rahmen der Diskussion über den Niedriglohnsektor
bei dem Thema Mindestlöhne dort noch ein Stückchen
weiter. Aber vom Regelungsansatz her – das muss man
sich vor Augen führen – steht das Herkunftslandprinzip
der Entsenderichtlinie diametral entgegen. Während die
Entsenderichtlinie gerade die Anwendbarkeit inländi-
scher Normen auf ausländische Dienstleistungserbringer
bezweckt, verfolgt das Herkunftslandprinzip den genau
entgegengesetzten Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
Warum dennoch in Art. 24 und 25 der Dienst-
leistungsrichtlinie der Versuch unternommen wurde,
Teilaspekte der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern zu regeln, bleibt nach wie vor unver-
ständlich. Es ist doch inzwischen jedem klar, dass eine
Kontrolle aus dem Herkunftsland des Dienstleistungser-
bringers heraus nicht stattfinden wird und somit die Ge-
fahr eines rechtsfreien Raumes besteht. Deswegen kann
das unsere Zustimmung nicht finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es muss ebenso geklärt werden, dass alle Bereiche
der Daseinsvorsorge unter die Gestaltungshoheit der
Mitgliedstaaten fallen. Der gesamte Bereich der öffentli-
chen Daseinsvorsorge, also Gesundheit, Bildung, Was-
ser, Abwasser, Abfall und öffentlicher Verkehr, gehört
genauso wie die sozialen Dienstleistungen nicht in eine
Richtlinie, die vor allem kommerzielle Dienstleistungen
regeln soll. Mit der Einbeziehung aller Dienstleistungen,
für die Entgelte erhoben werden, wird die sehr unter-
schiedliche Praxis in diesem Bereich in den 25 Mitglied-
staaten völlig ignoriert.

Ebenso wichtig ist – Herr Meyer, ich bin Ihnen für
Ihre Aussage zu diesem Punkt sehr dankbar –, dass der
gesamte Gesundheitssektor von dieser Richtlinie aus-
geschlossen wird. Wichtig ist also, dass nicht nur der öf-
fentliche Bereich ausgeschlossen wird, wie es von man-
chen – auch von ehemaligen Abgeordneten des
Europäischen Parlaments, die jetzt in anderer Funktion
ganz nah bei uns sind – gefordert wird. Ich mag mir je-
denfalls die Auswirkungen des alten Richtlinienent-
wurfs, zum Beispiel auf private Pflegedienste, nicht aus-
malen. Deswegen sollten wir dafür eintreten – ich
wiederhole –, dass der gesamte Gesundheitssektor und
nicht nur der öffentliche Bereich von dieser Richtlinie
ausgeschlossen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Herkunftslandprinzip widerspricht allen Bemü-
hungen, Standards, die das soziale Europa ausmachen,
zu harmonisieren. Ich bin aber der Überzeugung, dass
Harmonisierung ein wesentlich besserer Weg ist als ein
Wettlauf um die geringsten Standards. Die Berichterstat-
terin im Europäischen Parlament will unterscheiden
– darauf ist schon hingewiesen worden – zwischen dem
Zugang einerseits und der tatsächlichen Erbringung
einer Dienstleistung andererseits, die dann dem Ziel-
landprinzip unterliegen müsste. Der Zugang kann dem-
nach nach den Regeln des Herkunftslandes erfolgen, so-
lange klar ist: Dort, wo die Dienstleistung erbracht wird,
gelten die Bedingungen ebendieses Ortes. Die Herkunft
des Erbringers spielt dann keine Rolle und die Behörden
vor Ort kontrollieren die Erbringung der Dienstleistung,
nichts anderes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass diese klare Unterscheidung sowohl
im Sinne der anbietenden Unternehmen wie auch der
Beschäftigten und der Verbraucher wäre. Dies gilt umso
mehr, wenn uns ein deutlicher Abbau von Dokumenta-
tionspflichten und Verwaltungsaufwand gelingt.

Diese Linie hat – so sind alle Informationen – im Eu-
ropäischen Parlament eine realistische Chance auf eine
Mehrheit. Sie ist konstruktiv, nach vorne gerichtet. Von
uns sollte heute das Signal ausgehen, dass wir alle unter-
stützen, die in diesem Sinne agieren: für einen funktio-
nierenden Binnenmarkt, aber eben auch für ein Europa
des sozialen Zusammenhalts, das die Interessen von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Verbraucherinnen
und Verbrauchern wie auch von kleinen und mittleren
Unternehmen erkennbar schützt. Das verloren gegan-
gene Vertrauen in Europa kann zurückgewonnen werden
– ich habe auf die Referenden Bezug genommen –, wenn
wir mit dieser Frage verantwortungsvoll umgehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601418200

Herr Kollege Duin, das war Ihre erste Rede in diesem

Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich und
wünsche Ihnen für die weitere Arbeit alles Gute.


(Beifall)


Nun hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601418300

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Tat-

sächlich hat noch nie ein Vorhaben der Europäischen
Kommission in der deutschen Öffentlichkeit eine so
breite gesellschaftliche Diskussion ausgelöst wie die
EU-Dienstleistungsrichtlinie. Die Zeit, in der weitrei-
chende Entscheidungen hinter verschlossenen Türen in
Brüssel getroffen werden konnten, ist vorbei. Menschen
mischen sich für ein soziales und ökologisches Europa
ein und das begrüßen wir ausdrücklich.


(Beifall bei der LINKEN)


Folgerichtig stößt diese Richtlinie bei Gewerkschaf-
ten, Verbänden der kleinen und mittleren Unternehmen,
Sozialverbänden, kommunalen Arbeitgebern und vielen
anderen auf einhellige Ablehnung. Doch auf diesem Ohr
ist die konservativ-liberale Mehrheit im Europaparla-
ment taub. Das gilt auch für Sie, Herr Meyer. Mit den
bisher beschlossenen Änderungsvorschlägen – auch Sie
haben sie hier eben im Großen und Ganzen als Ihre vor-
getragen – soll das Herkunftslandprinzip nämlich nur ab-
gemildert, aber nicht abgeschafft werden. Länder sollen
auf Einhaltung ihrer nationalen Bestimmungen dann be-
stehen können, wenn dies für den Schutz der öffentli-
chen Ordnung, der Gesundheit oder der Umwelt uner-
lässlich ist. Dazu frage ich Sie, Herr Meyer: Wer
bestimmt das denn dann?






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Lötzer

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Wir!)


Gerade damit wird doch die politische Gestaltung Euro-
pas an den Europäischen Gerichtshof abgetreten.

Verbraucherschutz, Qualitätsstandards, Leih- und
Zeitarbeit sollen weiterhin dem Herkunftslandprinzip
unterliegen. Auch mit den aktuellen Änderungsvorschlä-
gen tickt die Bombe für einen uneingeschränkten Dum-
pingwettbewerb zulasten der Löhne und der Arbeits-
bedingungen, der Sozial-, Verbraucher- und
Umweltstandards weiter.

Mit der völligen Deregulierung des Niederlassungs-
rechts und den Einschränkungen für kommunale Aufga-
ben werden demokratische Rechte der Kommunen ge-
rade in der kommunalen Selbstverwaltung und der
öffentlichen Daseinsvorsorge ausgehöhlt. Unternehmen
aus Ländern mit hohen Standards werden diskriminiert.
Entweder werden dann die Vorschriften geschliffen oder
die Unternehmen flaggen aus; Briefkastenfirma genügt.
Genauso werden kleine und mittlere Unternehmen auf
der Verliererstraße enden und nicht profitieren.

Die Ersetzung des Herkunftslandprinzips durch die
Gesetze, Standards und das Tarifrecht des Landes, in
dem die Dienstleistung erbracht wird, ist und bleibt Mi-
nimum einer sozialverträglichen Lösung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nach wie vor sollen auch große Teile der öffentli-
chen Daseinsvorsorge von der Richtlinie erfasst wer-
den. Sie haben einige Ausnahmen genannt, Herr Meyer.
Aber zum Beispiel der Bildungsbereich soll nach wie
vor erfasst werden.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Nein!)


Das hat die Europäische Kommission in der Anhörung
ausdrücklich bestätigt. Die Vertreterin der Kultusminis-
terkonferenz hat dies als nicht tragbar abgelehnt. Recht
hat sie. Das ist mit einem demokratischen und sozialen
Bildungswesen tatsächlich unvereinbar. Genauso gilt das
für die Pflege und für andere soziale Dienstleistungen.
Einzelne Ausnahmen und Erweiterungen der Ausnah-
men reichen nicht aus. Die Herausnahme der gesamten
öffentlichen Daseinsvorsorge aus dem Geltungsbereich
der Richtlinie ist unverzichtbar.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)


Die Daseinsvorsorge hat im Geltungsbereich dieser
Richtlinie nichts zu suchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierung hat das mit in der Hand. Ohne ihre Zu-
stimmung im Europäischen Rat wird es keine Richtlinie
geben. Vor der Wahl haben SPD und auch die Grünen,
Frau Dückert, im Bundestag beschlossen, die EU-Kom-
mission aufzufordern, die Richtlinie zurückzuziehen
– diese Aufforderung kreiden Sie uns in unserem Antrag
jetzt als Boykott an –;


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Mehrheitsentscheidung!)

eine Folgenabschätzung sollte her; das Herkunftsland-
prinzip wurde abgelehnt.

Auch Sie, Herr Duin, lehnen das Herkunftslandprin-
zip ab. Gleichzeitig ruft der Vorsitzende Ihrer Fraktion
im EU-Parlament, Herr Schulz, in den letzten Tagen zur
Bereitschaft zum Kompromiss mit den Konservativen
auf, damit die Dienstleistungsrichtlinie auf jeden Fall
verabschiedet wird. Das nenne ich Nebelkerzen werfen.


(Widerspruch bei der SPD)


Ihr Parteivorstand ruft zur Demo auf. Das freut uns.
Aber dann müssen Sie auch im EU-Parlament und in der
Regierung klare Positionen vertreten.


(Beifall bei der LINKEN – Garrelt Duin [SPD]: Wir wollen nicht, dass die Gerichte alles entscheiden!)


Herr Meyer, unter Federführung der Hessischen Lan-
desregierung hat sich der Bundesrat komplett gegen das
Herkunftslandprinzip ausgesprochen. Ihre Abgeordneten
im Europäischen Parlament aber sind es, die die Ableh-
nung des Herkunftslandprinzips bisher verhindern und
das auch am 15. Februar weiter tun wollen.

Frau Merkel war am Montag bei Herrn Chirac. Man
solle doch eine gemeinsame Position finden, umarmt sie
ihn – aber nicht, um die Richtlinie mit ihm gemeinsam
abzulehnen, sondern mit dem Ziel, ihn von seiner konse-
quenten Ablehnung abzubringen. Das teilen wir nicht.

Dieser Entwurf ist insgesamt noch immer schlecht für
die Menschen, auch in der aktuellen Fassung, auch mit
Ihren Änderungsvorschlägen. Deshalb fordern wir Sie
nach wie vor auf – wie es auch in unserem Antrag
steht –: Kehren Sie zu Ihrer alten Position zurück, Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen! Leh-
nen Sie die Richtlinie ab! Statt Herkunftslandprinzip und
Privatisierung brauchen wir einen Prozess der Harmoni-
sierung von sozialen und ökologischen Standards in
Europa sowie Rahmenrichtlinien für die öffentliche
Daseinsvorsorge, die sie vor Privatisierung und Liberali-
sierung schützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür werden jedenfalls wir am 11. Februar in Berlin
und dann auch in Straßburg mit vielen Menschen auf die
Straße gehen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Die Demo wird
die Aufmerksamkeit für diese Forderung noch erhöhen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Realitätssinn und weniger Populismus, das würde Nutzen bringen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601418400

Das Wort hat nun die Kollegin Lena Strothmann,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Lena Strothmann (CDU):
Rede ID: ID1601418500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Selten ist über den Entwurf einer Richtlinie so intensiv
und emotional diskutiert worden. Im Augenblick wird,
so kann man sagen, alles in den Ring geworfen, was nur
den Anschein von Dienstleistungsfreiheit hat. Viele se-
hen einen Zusammenhang mit den Fleischerkolonnen
aus Osteuropa und den berühmten Fliesenlegern. In
Frankreich und den Niederlanden hat der Entwurf sogar
die Zustimmung zur EU-Verfassung verhindert.

Gemeinsam spiegeln all diese Diskussionen vor allen
Dingen die Angst um die Arbeitsplätze wider. Ich bin
der Auffassung, dass es grundsätzlich gut ist, diese Dis-
kussion zu führen. Es ist positiv, weil dadurch im Vor-
feld eines europäischen Beschlusses ausführliche Bera-
tungen stattfinden. Im Klartext heißt das: Es bestehen
Einflussmöglichkeiten bezüglich der EU-Vorgänge. Das
ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin auch froh, dass wir heute mit dieser Debatte
zur Versachlichung des Themas beitragen können. Sach-
lichkeit ist notwendig; denn die Aufgeregtheit um die
Dienstleistungsrichtlinie verhindert einen Blick auf die
Fakten. Die Dienstleistungsrichtlinie stellt den letzten
Teil der Verwirklichung der vier Grundfreiheiten dar.
Nach den entsprechenden Regelungen für Personen, Wa-
ren und Kapital sollen nun Erleichterungen bei den
Dienstleistungen folgen.

Die Dienstleistungsfreiheit ist auch eingebunden in
den Lissabonprozess. Die Lissabonstrategie strebt einen
Dreiklang von Beschäftigung, Wirtschaftsreform und so-
zialem Zusammenhalt – Stichwort: europäisches Sozial-
modell – an. Auch hier lautet ein Ziel: Schaffung von
Arbeitsplätzen.

Das Potenzial dafür ist da. 70 Prozent unseres Brutto-
inlandsprodukts sind mittlerweile Dienstleistungen. Der
grenzüberschreitende Teil daran aber ist gering. Beim
Güterexport sind wir Weltmeister; auch Fußballwelt-
meister wollen wir werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir wollen und müssen auch beim Export von
Dienstleistungen stärker werden.

Leider ist es so, dass zwischen den Mitgliedstaaten
viele Hindernisse bestehen. Viele dienen der Abschot-
tung. Die Kommission hat dies aufgrund einer Reihe
von Beschwerden festgestellt. Zwei Beispiele dazu: Ein
Aachener Gärtnereibetrieb hatte in England einen Auf-
trag zur Dachbegrünung. Dafür wurde ein zwölfstündi-
ger Baustellenabsicherungskurs verlangt. Ein Elektroin-
stallationsauftrag bei der niederländischen Armee ist
nicht zustande gekommen, da zuvor eine Prüfung gefor-
dert wurde. Das besondere Problem dabei war, dass sie
in holländischer Sprache gefordert wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Dienstleistungs-
richtlinie ist als Rahmenrichtlinie konzipiert, die nach
außen einen Orientierungsrahmen setzt und nach innen
viele Möglichkeiten zulässt. Sie war letztlich unaus-
weichlich und ist in jedem Fall besser als Dutzende von
Sektorenrichtlinien, die sich möglicherweise widerspre-
chen.

Unnötige Hemmnisse gilt es also abzubauen. Eines ist
klar: Standards und Vorschriften müssen sein. Eines aber
muss nicht sein: Schikanen, die zur Abschreckung von
Mitbewerbern oder gar zur Marktabschottung miss-
braucht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ausländische Dienstleister haben es bei uns relativ
leicht, in den Markt zu kommen; das muss man feststel-
len. Wir dagegen haben es im Ausland erheblich schwe-
rer. Daher wäre unser Nutzen von einer Dienstleistungs-
richtlinie erheblich größer. Hier liegen die Chancen für
unsere Betriebe und deren Mitarbeiter.

Deshalb müssen wir uns in die Gestaltung der Dienst-
leistungsrichtlinie konstruktiv einbringen. Auf dem ur-
sprünglichen Kommissionstext, dem Bolkestein-Ent-
wurf, herumzureiten, macht dabei eigentlich keinen Sinn
mehr.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Die grundsätzlichen Kritikpunkte sind bekannt: der An-
wendungsbereich, das Herkunftslandprinzip, der Um-
fang der bestehenden Beschränkungen und die Kontroll-
möglichkeiten vor Ort.

Nun hat der Binnenmarktausschuss des Europaparla-
ments am 22. November 2005 über 1 000 Änderungs-
anträge beraten. Mein Kollege Meyer hat eben ausführ-
lich darüber berichtet. Am 14./15. Februar wird das
Europaparlament entscheiden. Es wird sicherlich noch
Veränderungen geben; das steht fest. Auch die Mei-
nungsbildung im Deutschen Bundestag läuft noch. An-
zunehmen ist aber, dass der Vorschlag des Binnenmarkt-
ausschusses die künftige Linie des Parlaments und
wahrscheinlich auch die der Kommission sein wird.

Die Änderungen bedeuten – ich sage das der Vollstän-
digkeit halber –: Unser Arbeitsrecht, unser Sozialrecht
und die Anerkennung unserer Berufsabschlüsse bleiben
stehen. Auch die Entsenderichtlinie bleibt unberührt. Die
Daseinsvorsorge bleibt in unserer Hoheit. Der gesamte
Gesundheitsbereich bleibt ausgeklammert. Steuern und
internationales Privatrecht werden ausgenommen. Wir
können unsere Standards, was Sicherheit und Umwelt
angeht, einfordern. Briefkastenfirmen können die
Dienstleistungsrichtlinie nicht als Schlupfloch nutzen.
Das heißt, den Sorgen über Sozial- und Lohndumping
wurde Rechnung getragen.

Der Handlungsbedarf für eine Verwirklichung des
Binnenmarkts für Dienstleistungen ist durch etliche Ur-
teile des EuGH bestätigt. Würde die Kommission die
Dienstleistungsrichtlinie ersatzlos zurücknehmen – wie
viele das fordern –, bestünde die Gefahr, dass all die be-
stehenden Probleme über Einzelklagen gegen jedes ein-
zelne Land in jedem einzelnen Fall gerichtlich geklärt
werden. Gerichtsverfahren würden in dem Falle zuneh-
mend zum Korrektiv der Politik. Das kann doch tatsäch-
lich keine Lösung sein.






(A) (C)



(B) (D)


Lena Strothmann

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Akzeptanz der Menschen für die europäische Sa-
che würde nochmals abnehmen. Deshalb lassen Sie uns
gemeinsam an der Verwirklichung des Dienstleistungs-
binnenmarktes arbeiten!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601418600

Das Wort hat nun der Kollege Kurt Bodewig, SPD-

Fraktion.


Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1601418700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute konnten wir lesen, dass laut Eurobarometer mittler-
weile 64 Prozent der Deutschen die europäische Eini-
gung als negative Entwicklung ansehen. Bei Themen
wie der Dienstleistungsrichtlinie manifestieren sich ent-
sprechende Ängste. Ich glaube, wir alle sind gut beraten,
wenn wir solche Sorgen sehr ernst nehmen.

Ich will die Gelegenheit nutzen, einige Punkte klarzu-
stellen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die
Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir halten
diese auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer sowie der Bürgerinnen und Bürger für not-
wendig. Wir sind aber sehr skeptisch, wenn in der Euro-
päischen Union falsche Instrumente entwickelt und zum
Handlungsprinzip erhoben werden. Deswegen sage ich:
Wir sind für die Öffnung von Dienstleistungsmärkten,
aber gegen die Bolkestein-Richtlinie, weil damit der fal-
sche Weg eingeschlagen wird und die Ängste in
Deutschland wie in allen anderen Mitgliedstaaten der
EU weiter verstärkt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Zeil, ich will kurz auf Sie zurückkommen. Sie
kennen wahrscheinlich andere kleine und mittelständi-
sche Unternehmen als die, mit denen meine Kollegen in
ihren Wahlkreisen zu tun haben. Es mag sein, dass Sie
zum Handwerk einen anderen Zugang haben. Ich kann
Ihnen nur sagen, dass die Rechtsanwälte geschützt sind.
Aber sie bilden nicht den Mittelstand. Schauen Sie sich
also die Situation sehr genau an!

Auch in Ihrem Bereich, Frau Strothmann, die Sie Prä-
sidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu
Bielefeld sind, wird über dieses Thema sehr intensiv dis-
kutiert. Die Unternehmen haben zum Teil sehr begrün-
dete Ängste. Es ist daher richtig, dass wir der Entbürokra-
tisierung bei bestimmten Verfahrensweisen zustimmen,
aber nicht der Einführung von Prinzipien, die mit der
Bolkestein-Richtlinie in ihrer originären Form vorgese-
hen waren. Denn diese führen dazu, dass Unternehmen,
die sich an Regeln und Standards halten, unter Druck ge-
raten. Das ist eine Form von Inländerdiskriminierung und
damit eine sehr reale Gefahr.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Martin Zeil [FDP])


– Ich glaube, dass Sie sich die Berichte des Binnen-
marktausschusses und der anderen Ausschüsse des EP
sehr genau anschauen sollten, bevor Sie so etwas sagen.
Auch wenn man Ausnahmen bildet, hat man nach wie
vor ein gültiges Prinzip, mit dem wir uns auseinander
setzen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage ganz klar: Keine Aushöhlung von Arbeitneh-
merrechten, keine Aushöhlung von Tarifautonomie,
keine Verletzung des Tarifvertragsrechts und keine Ab-
senkung von Standards. Ich füge hinzu: Die Proteste der
Gewerkschaften gegen die vorliegende Fassung der
Kommission und gegen bestimmte Aspekte, die in ein-
zelnen Ausschüssen des Parlaments behandelt wurden,
sind berechtigt.

Ich will hier deutlich machen: Es geht darum, eine
klare Aussage gegen die Aushöhlung der Daseinsvor-
sorge zu machen. Herr Kollege Meyer, vielleicht noch
eine Ergänzung: Das Prinzip der Daseinsvorsorge ist
nicht nur von allgemeinem Interesse, sondern aus unse-
rer Sicht natürlich auch von wirtschaftlichem Interesse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn man etwa eine
Abwasseranlage installieren will und es dafür noch nicht
einmal eine Niederlassung in Deutschland gibt. Ich
glaube, in der Diskussion haben sich die Dinge verscho-
ben. Diese Entwicklung ist in Brüssel entstanden.

Die PDS macht es sich wie immer relativ leicht und
sagt: Wir sind dagegen. Wenn man in der Rolle der To-
talverweigerung dagegen ist, kann man hinterher immer
sagen, man habe das moralische Recht. Ich glaube, das
Gegenteil ist der Fall. Sie geraten in ein moralisches Un-
recht, wenn das Herkunftslandprinzip durch EuGH-
Urteile dauerhaft bestätigt wird.


(Garrelt Duin [SPD]: Genau!)


An der Totalverweigerung, wie sie etwa im EP auf der
einen Seite bei den Rechtspopulisten, zum Beispiel bei
der Independence Party aus Großbritannien, und auf der
anderen Seite bei den Linkspopulisten, also in Teilen Ih-
rer Fraktion, existiert, kann man sehen, dass das Gegen-
teil von gut nicht immer schlecht ist. Manches ist gut ge-
meint und in Ihrem Fall auch taktisch. Ich halte diese
Position für höchst gefährlich. Über 30 beim EuGH an-
hängige Verfahren haben gute, brauchbare Anknüp-
fungspunkte, das Herkunftslandprinzip durchzusetzen.

Deshalb ganz klar: Wir sollten zwischen dem Zugang
zur und der Erbringung und Kontrolle der Leistung un-
terscheiden. Es kann nicht sein, dass die Erbringung
nach Standards anderer Länder erfolgt und Unterneh-
men, die hier qualifiziert ausbilden und hohe Standards
entwickelt haben – dies ist übrigens auch ein Wettbe-
werbsvorteil für den Standort Deutschland –, unter
Druck kommen, weil sie mit unzulässiger Konkurrenz
konfrontiert werden.






(A) (C)



(B) (D)


Kurt Bodewig

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt im Deutschen Bundestag nach den Beschlüs-
sen vom 9. Juni des letzten Jahres eine klare Position.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)


Auch der Bundesrat hat immerhin mit einer 16 : 0-Ent-
scheidung gegen das Herkunftslandprinzip votiert. Ich
glaube, das ist eine Verpflichtung. Ich würde mich
freuen, wenn wir bei der Abstimmung am 13. bzw.
14. Februar im Europäischen Parlament auch die Kolle-
gen der EVP in Gänze dafür gewinnen könnten, unseren
Vorschlägen zu folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frau Gebhardt hat mit der Unterscheidung zwischen
dem Zugang unter Anerkennung des Herkunftslands-
prinzips und der Erbringung und Kontrolle nach den
Standards des Ziellands einen wichtigen Anstoß für den
Diskussionsprozess gegeben. Das entspricht der Inten-
tion des Koalitionsvertrages, also unserer gemeinsamen
Position.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Das glaube ich!)


Insofern bin ich sehr zuversichtlich. Es wird sich eine
Menge bewegen.

Gleichzeitig sage ich aber auch: Wir sollten die
Ängste der Menschen ernst nehmen. Die Proteste der
Gewerkschaften sind begründet. Wir müssen alles Not-
wendige dafür tun, dass aus Ängsten keine Realitäten
werden. Das können wir, wenn wir gemeinsam konse-
quent handeln. Dies dient dem Standort Deutschland.

Für Europa ist eine europäische Harmonisierung die
beste Lösung. Sie führt dazu, dass sich die Menschen
nicht hinter Gräben verschanzen, sondern zusammen-
kommen


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


und sagen: Wir wollen gemeinsame europäische Rechte
entwickeln.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr ja unserem Antrag zustimmen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601418800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/373 und 16/394 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 13:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto

(Frankfurt), Christian Ahrendt, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der FDP

Die Modernisierung des Urheberrechts muss
fortgesetzt werden

– Drucksache 16/262 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch dies so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-
Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1601418900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Urheberrecht ist Eigentumsrecht. Der Schutz
durch das Urheberrecht ist eine wesentliche Garantie da-
für, dass sich kreative Leistung lohnt. Das Urheberrecht
muss deshalb wirksam geschützt werden. Die Notwen-
digkeit für einen solchen Schutz besteht gerade im Um-
feld der digitalen Medien.

Im Koalitionsvertrag, Herr Staatssekretär, lesen wir,
dass die große Koalition das Urheberrecht zu einem
Schwerpunkt ihrer Arbeit machen möchte. Die FDP un-
terstützt dies ausdrücklich. Mit unserem Antrag nehmen
wir die Koalition beim Wort; denn es gibt noch einiges
aufzuarbeiten.


(Beifall bei der FDP)


Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Arbeiten
am so genannten Zweiten Korb – heute mit einer inter-
nen Anhörung im Justizministerium – aufgenommen
hat. Wir wollen, dass der Bundestag schnellstmöglich ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt bekommt, der die Rechts-
stellung der Urheber und ausübenden Künstler im digita-
len Umfeld wirklich stärkt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das Justizministerium hat Anfang des Monats den
Referentenentwurf aus der vergangenen Legislatur-
periode wieder hervorgeholt. Es war nicht mehr mög-
lich, ihn weiter zu beraten. Er hatte damals schon in
einigen Punkten heftige Kritik erfahren. Ich sage aus-
drücklich: Wir begrüßen einige Regelungspunkte in die-
sem Referentenentwurf. Ich darf hier die Regelungen zu
den unbekannten Nutzungsarten, zum Verzicht auf Ces-
sio legis bei den Filmherstellern und zum Pressespiegel
erwähnen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1601419000

Zentrale Punkte, die wir kritisieren, sind unverändert.






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Das gilt etwa für die Bagatellklausel, die wir dezidiert
ablehnen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Es ist rechtspolitisch verfehlt, rechtswidrige Vervielfälti-
gungen in geringer Zahl von vornherein von der Straf-
barkeit auszunehmen. In der öffentlichen Wahrnehmung
käme die Bagatellklausel einer faktischen Legalisierung
privater Urheberrechtsverletzungen gleich. Wenn wir
uns aber darüber einig sind, dass wir das Urheberrecht
stärken wollen, dann wäre genau dies das falsche Signal.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Niemand käme doch auf die Idee, den Diebstahl von
Büchern in geringer Anzahl für straflos zu erklären,
wenn der Täter die Bücher nur für den eigenen Gebrauch
stiehlt. Mit dieser absurd klingenden Begründung will
jetzt das Justizministerium die Schlechterstellung des
geistigen Eigentums gegenüber dem Sacheigentum
rechtfertigen.

Wir hoffen, dass es angesichts der kontroversen De-
batte zu diesem Punkt innerhalb der Bundesregierung
doch noch zu einer Änderung im Entwurf kommt. Kul-
turstaatsminister Neumann hat sich ausdrücklich unserer
Haltung angeschlossen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ihrer? Unserer!)


Deshalb fordere ich Sie auf: Streichen Sie diese Klausel
aus Ihrem Referentenentwurf und legen Sie uns dann
den Gesetzentwurf vor.


(Beifall bei der FDP)


Ich hoffe, dass wir ansonsten eine entsprechende Kor-
rektur mit einer Mehrheit hier im Hause vornehmen kön-
nen.

Das zweite Thema unseres Antrages ist das Urheber-
vertragsrecht. Es wurde vor knapp vier Jahren umfas-
send geändert, um die Stellung der Urheber und der aus-
übenden Künstler zu stärken. Wir, die FDP, haben auch
in der Opposition dieses Anliegen immer unterstützt.
Wir haben aber zugleich immer zu bedenken gegeben,
dass der Gesetzgeber bei einer Beschränkung der Privat-
autonomie auf einem schmalen Grat wandert.

Auch die Bundesregierung hat das neue Urheberver-
tragsrecht seinerzeit als „juristisches Neuland“ bezeich-
net. Aus diesem Grund brauchen wir einen soliden Zwi-
schenbericht über die ersten praktischen Auswirkungen
des neuen Urhebervertragsrechts. Wir wissen: Es liegen
erste Urteile dazu – einige Verfahren sind auch noch an-
hängig in nächsten Instanzen – vor. Der Gesetzgeber, wir
als Parlamentarier müssen in die Lage versetzt werden,
mögliche Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen
und auch zu korrigieren.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, dem Bun-
destag einen solchen Bericht über das Urhebervertrags-
recht vorzulegen. Am liebsten wäre es uns, wenn Ihnen
das bis zum Sommer gelingen würde.


(Beifall bei der FDP – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wieso sollte das nicht gelingen?)


Es wird gewiss eine Zeit dauern, bis sich Routine bei
der Anwendung des neuen Urhebervertragsrechts ein-
stellt. Manche Fragen müssen durch die Gerichte geklärt
werden. Eine nachträgliche Anpassung des vertraglich
Vereinbarten durch die Gerichte muss aber auch im Ur-
heberrecht die Ausnahme bleiben. Das neue Urheberver-
tragsrecht baut auf die Vernunft und den Respekt der Be-
teiligten vor den legitimen Interessen des jeweils
anderen. Deshalb würden weder die prinzipielle Verwei-
gerung der einen Seite noch überzogene Forderungen
der anderen Seite dem Anliegen des neuen Urheberver-
tragsrechts gerecht.

Da die große Koalition dieses Thema zu einem
Schwerpunkt ihrer Arbeit macht, bin ich mir sicher, dass
jetzt auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unse-
ren Antrag in den Beratungen unterstützen werden.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/ CSU]: Wenn das ein guter wäre, ja!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601419100

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Günter Krings,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1601419200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Dem Antragsteller gebührt zunächst
Dank dafür, dass er das Urheberrecht nach fast drei Jah-
ren der parlamentarischen Abstinenz wieder einmal zum
Gegenstand einer Debatte in diesem Hohen Haus ge-
macht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die Rede fängt gut an!)


Die politische Aufmerksamkeit für dieses komplizierte
Gebiet kann gar nicht hoch genug sein; denn das geistige
Eigentum ist sowohl kulturpolitisch als auch wirtschafts-
politisch, aber nicht zuletzt auch rechtspolitisch von
höchster Bedeutung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist alles richtig!)


Wenn wir den Wohlstand unseres Landes erhalten
wollen, werden wir dies nicht allein damit erreichen
können, dass wir Kohle fördern, Stahl produzieren, uns
gegenseitig die Haare schneiden oder die Pizza nach
Hause bringen. Es sind die Köpfe, die Ideen und geisti-
gen Leistungen der Menschen in Deutschland, die unse-
ren Reichtum ausmachen und auf denen unsere wirt-
schaftlichen Chancen im 21. Jahrhundert ruhen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Die Aufgabe der Politik ist daher nicht mehr und nicht
weniger, als geeignete Rahmenbedingungen für kreative
Leistungen, aber auch für ihre wirtschaftliche Verwer-
tung zu schaffen.

Sosehr ich mich deshalb zunächst über den FDP-An-
trag gefreut habe, so war ich beim Durchlesen der zwei
mageren Textseiten dann doch etwas enttäuscht.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh!)


Viel Neues hat der Antrag nun wirklich nicht zu bieten.
Statt inhaltlicher Aussagen verbrauchen Sie viel Tinte,
um die Chronologie des Urheberrechts aus den ver-
gangenen Jahren nachzuerzählen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Vielleicht war das auch nötig und aus Ihrer Sicht gebo-
ten, um den Parlamentsneulingen eine gewisse Einfüh-
rung in das Thema Urheberrecht zu geben. Wenn das die
Absicht war, dann verstehe ich das natürlich.

Hinter Ihre erste und offenbar zentrale Forderung, die
Arbeiten am so genannten Zweiten Korb der aktuellen
Urheberrechtsnovelle wieder aufzunehmen, können wir
allerdings einen Haken machen. Ihrer Aufmerksamkeit
ist offenbar entgangen, dass die Arbeiten hieran längst
wieder unter Dampf stehen. Die betroffenen Verbände
haben den Referentenentwurf zur Stellungnahme erhal-
ten. Gerade heute Morgen hat wenige hundert Meter von
hier im Bundespresseamt eine große Verbändeanhörung
dazu stattgefunden. Der Kollege Manzewski und ich wa-
ren dort zugegen und haben uns mit dem Thema noch
einmal eingehend befasst.

Umgekehrt vermisse ich im Antrag jeden Hinweis auf
die notwendige Umsetzung der Durchsetzungsricht-
linie der Europäischen Union. Diese Richtlinie fordert
die Staaten der Europäischen Union bekanntermaßen
auf, den Opfern von Verletzungen des geistigen Eigen-
tums einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch zu ge-
währen. Auskunft erteilen muss danach insbesondere ein
Internetprovider, dessen Portal für die Rechtsverletzung
genutzt wurde. Die Einführung eines solchen Anspruchs
ist eine ebenso berechtigte wie dringende Forderung der
Urheberrechtswirtschaft. Es wird daher auch auf die ge-
naue Ausgestaltung des Anspruches ankommen. Wenn
wir gerade nicht wollen, dass der Staatsanwalt bei allen
Urheberrechtsverletzungen tätig wird, so brauchen die
Opfer ein effektives Mittel des zivilrechtlichen Schutzes
ihrer Rechte.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ist das denn auch die Meinung der Bundesregierung?)


Unser Verständnis als Unionsfraktion ist es jedenfalls
nicht, Eigentumspositionen nur gesetzlich zu definieren.
Ich hoffe, jetzt für das ganze Haus sprechen zu können:
Wir wollen Eigentumspositionen nicht nur gesetzlich de-
finieren, sondern den Berechtigten auch die Mittel an die
Hand geben, sie gegenüber Störern durchzusetzen und
zu verteidigen.

Mit Ihren Ausführungen zum Urhebervertragsrecht
sprechen Sie immerhin ein vor allem für den deutschen
Buchmarkt wichtiges aktuelles Thema an. Wenn Sie al-
lerdings laut Ihrem Antrag bis zur Jahresmitte von der
Bundesregierung Berichte haben wollen, zum Beispiel
über die bislang ergangene Rechtsprechung, den Ab-
schluss gemeinsamer Vergütungsregeln oder über die
Bewertung der Gesetzesänderung durch die betroffenen
Kreise, so frage ich mich schon, ob Sie mit einem simp-
len Rechercheauftrag an den Wissenschaftlichen Dienst
nicht eher und besser etwas erreicht hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wir wollen eine Bewertung dazu haben!)


Ihnen scheint es hier offenbar weniger um politische
als um Wissensfragen zu gehen. Dabei bleibt das Urhe-
bervertragsrecht natürlich auch in der aktuellen Wahl-
periode ein hochsensibles Thema. Dessen rechtstatsäch-
liche Entwicklung müssen wir sorgfältig verfolgen. Der
Gesetzgeber hat mit dem Anspruch auf angemessene
Vergütung vor vier Jahren – Sie haben es eben zitiert,
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger – auch nach
Aussagen der damaligen Bundesregierung gesetzgeberi-
sches Neuland betreten. Die Frage nach der angemesse-
nen Vergütung ist letztlich die ganz alte, aber ungelöste
Frage nach dem gerechten Preis. Den Gesetzgeber trifft
daher umso mehr die Pflicht, zu beobachten, was die
Praxis aus einer solch allgemeinen Vorgabe macht.

Wir sind als Bundestag gut beraten, auch die Sorgen
der Verlagswirtschaft bei diesem Thema ernst zu neh-
men. Die jüngsten Gerichtsentscheidungen zur Frage der
Übersetzerhonorare können vor allem manch kleineren
Verlag in Bedrängnis bringen. Profitieren werden letzt-
lich wohl eher die wenigen Übersetzer, die das Glück ha-
ben, einen Bestseller zu übersetzen.

Zu befürchten ist hingegen der Rückgang fremd-
sprachlicher Übersetzungen auf dem deutschen Buch-
markt. Dann könnten die Mischkalkulationen vieler Ver-
lage untergraben werden, wonach gut verkaufte Bücher
viele unrentable Projekte mittragen müssen. Ich finde es
jedenfalls kulturpolitisch allemal sympathischer, dass
Verlage in Deutschland ihr Programm selbst quer sub-
ventionieren statt nach staatlichen Subventionen zu ru-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass die Übersetzerhonorare nach der Novelle des
Jahres 2002 tendenziell steigen, kann wiederum nieman-
den ernsthaft überraschen. Denn immerhin hatte schon
die Begründung des Regierungsentwurfes ausdrücklich
auf die vermeintlich mangelnde Angemessenheit der
Übersetzervergütung hingewiesen. Ich würde mir aber
wünschen, dass Verlage und Übersetzer in den nächsten
Monaten noch einmal einen ernsthaften Versuch ma-
chen, zu fairen und vernünftigen Regeln zu kommen.


(Beifall des Abg. Dirk Manzewski [SPD])


Bundestag und Bundesregierung sind gut beraten, diese
Bemühungen positiv zu begleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Ein kurzfristiges Eingreifen der Gesetzgebung wird
es in dieser Frage daher nicht geben können. Das fordert
der Antrag der FDP – das will ich Ihnen zugestehen – zu
Recht nicht. Für den Bundestag sollte die erste Priorität
jetzt darin bestehen, den bis zum Rand gefüllten Zweiten
Korb der Urheberrechtsnovelle und die Einführung eines
Auskunftsanspruches zu einem guten Abschluss zu brin-
gen.

Der Referentenentwurf aus dem Justizministerium
bietet eine gute Grundlage für die Beratungen. Den
Fachleuten aus den Ministerien gebührt bereits jetzt un-
ser Dank für die hochkomplexe schwierige Arbeit, einen
gesetzgeberischen Pfad durch den Dschungel der mitun-
ter sehr gegensätzlichen Interessen im Urheberrecht zu
schlagen. Erfreulich ist etwa, dass der Entwurf davon ab-
sieht, aus der Erlaubnis der Privatkopie ein durchset-
zungsstarkes Recht auf Privatkopie zu machen. Der Re-
ferentenentwurf markiert aber natürlich nicht das Ende,
sondern den Beginn einer politischen Diskussion, die im
Bundeskabinett und dann vor allen Dingen auch hier im
Deutschen Bundestag geführt werden muss.

Das gilt insbesondere – aber nicht nur – für die so ge-
nannte Bagatellklausel.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh!)


Ich begrüße es sehr, dass unser Kulturstaatsminister
Bernd Neumann vor einigen Tagen sehr klare Worte zum
Wert des Urheberrechts im Allgemeinen, aber auch zur
Problematik dieser Klausel gefunden hat.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt klatschen wir einmal! – Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Diese Klausel nützt meines Erachtens niemandem so
richtig, schadet aber dem geistigen Eigentum.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schon heute und nach geltendem Recht – das ist wichtig,
festzuhalten – klagen die Staatsanwaltschaften Urheber-
rechtsverletzungen zu Recht gar nicht an, wenn sie nur
ein geringes Ausmaß annehmen. Die Bagatellklausel
könnte allerdings die Rechtsunsicherheit vertiefen und
dies in einem Bereich, in dem die Grenze zwischen
Rechts- und Unrechtsbewusstsein – das wissen wir alle –
schon sehr verschwommen ist.

Die von Raubkopien betroffenen Unternehmen haben
in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen unter-
nommen, um die Menschen für strafbare Handlungen im
Bereich des Urheberrechts zu sensibilisieren. Diese Ar-
beit darf der Gesetzgeber nicht konterkarieren, indem er
mit der Einführung einer Bagatellklausel bestimmte Ur-
heberrechtsverletzungen als Kavaliersdelikt darstellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Das Signal wäre nämlich ebenso eindeutig wie pro-
blematisch, ja sogar falsch: Geistiges Eigentum wäre da-
nach eben doch nicht so richtig Eigentum. Niemand
würde ernsthaft auf den Gedanken kommen, beispiels-
weise eine vergleichbare Bagatellklausel für den Dieb-
stahl beweglicher Sachen zu fordern. Ein § 242 a Straf-
gesetzbuch zum Beispiel, der etwa den Diebstahl von
Oberhemden straffrei stellt, wenn der Täter sie anschlie-
ßend selber trägt oder allenfalls an enge Freunde ver-
schenkt, würde zu Recht als Niederlage des Rechtsstaa-
tes gewertet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was ist denn mit Socken?)


Es ist ganz offensichtlich und, wie ich finde, auch ab-
solut in Ordnung, dass es innerhalb unserer großen
Koalition hierzu noch einiges zu besprechen gibt. Ich bin
zuversichtlich, dass uns eine Einigung vielleicht auch
– hören Sie gut zu – über die große Koalition hinaus ge-
lingen kann. Auch beim Ersten Urheberrechtskorb in der
letzten Wahlperiode lagen die Positionen anfangs weit
auseinander. Aber es ist uns dennoch gelungen, zwi-
schen Regierung und Opposition einen Kompromiss
auszuhandeln. Wir sind damit der langen parlamentari-
schen Tradition gefolgt, gerade im Bereich des Urheber-
rechts zu möglichst konsensfähigen Lösungen zu kom-
men. Ich will aber auch an eines erinnern: Eine Partei ist
damals ausgeschieden. Die FDP hat diese Tradition
durchbrochen und sich dafür entschieden, Profilierung
vor die Suche nach einem Kompromiss zu setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hoffe einmal, dass der Antrag, den Sie jetzt hier
vorlegen, nicht die Fortsetzung dieser Strategie ist. Es
wäre schon wichtig, dass wir gemeinsam den Versuch
starten, einen sachgerechten Kompromiss zu finden.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Ich gestehe Ihnen freimütig zu: Es ist ein gut gemeinter
Antrag. Nur leider wissen wir alle, dass gut gemeint oft-
mals das Gegenteil von gut ist.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601419300

Ich erteile das Wort der Kollegin Frau Dr. Lukrezia

Jochimsen, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601419400

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch

die Fraktion Die Linke begrüßt den gut gemeinten An-
trag der FDP und stimmt den darin genannten Argumen-
ten größtenteils zu. Das Urheberrecht muss modernisiert
werden – keine Frage. Allerdings: Geistiges Eigentum
im digitalen Zeitalter zu schützen, lässt sich natürlich
leicht fordern, ist aber nur äußerst schwer durchzusetzen
in einem Land, in dem über 40 Prozent der Haushalte
über einen CD- und DVD-Brenner und 60 Prozent der
Bürger über einen Internetzugang verfügen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
Wofür sind wir? Wir sind für ein Recht auf Privat-
kopie


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Natürlich!)


– ja, natürlich –, wohlgemerkt zum privaten, nicht zum
gewerblichen Gebrauch. Aber was machen wir ange-
sichts des massenhaften Kopierens zu nicht gewerbli-
chen Zwecken, das es ja auch gibt? Wir wollen die Mil-
lionen Kinder und Jugendlichen, die das tun, nicht
kriminalisieren. Aber es muss etwas geschehen, wenn
sie massenhaft auf CDs oder DVDs kopierte Musik und
Filme nutzen und weitergeben; denn wir sind natürlich
gegen den Diebstahl geistigen Eigentums. Wir wollen,
dass Künstlerinnen und Künstler, Autorinnen und Auto-
ren sowie Übersetzerinnen und Übersetzer eine ange-
messene Vergütung für ihre Werke bekommen.

Mit einem kommen wir dabei auf keinen Fall weiter:
mit der Einführung einer Bagatellklausel.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aha!)


Sie würde genau das schwächen, was unsere Gesell-
schaft dringend braucht: das Rechtsbewusstsein, wel-
ches geistiges Eigentum respektiert und es nicht zu ei-
nem x-beliebigen Schnäppchen degradiert, welches man
sich jederzeit zum Nulltarif besorgen kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Beispiel mit den Hemden wurde bereits angespro-
chen. Dem könnte ich hinzufügen: Dann könnten wir
auch gleich „Ladendiebstahl unter 20 Euro“ legalisieren.
Mit der Einführung einer Bagatellklausel kommen wir
hier auf keinen Fall weiter.

Die Novelle des Urhebervertragsrechts aus dem
Jahr 2002 war ein erster Schritt, die verfassungsrecht-
lich gebotene angemessene Vergütung der Urheber
durchzusetzen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Herr Montag, hätten Sie das gedacht? – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Die PDS hat diesem Gesetzentwurf zugestimmt, vor al-
lem deshalb, weil in ihn auch der Rechtsanspruch auf an-
gemessene Vergütung aufgenommen worden war.

In einem Entschließungsantrag haben wir damals
weiter gehende Forderungen aufgestellt. Wir hatten
nämlich Zweifel daran, dass es zwischen Urhebern und
Verwertern tatsächlich zu einem fairen Interessenaus-
gleich kommen würde. Die Entwicklung hat gezeigt,
dass unsere Zweifel vollkommen berechtigt waren. Un-
ser Entschließungsantrag wurde damals übrigens abge-
lehnt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was? Das ist ja eine Überraschung!)


Nun muss ein Ordnungsrahmen geschaffen werden,
der Kreativität und Innovation fördert und damit zum Er-
halt und Wachstum unserer nationalen und der europäi-
schen Kunst beiträgt. Wir meinen, dass eine Stärkung
der Rechte und Wirkungsmöglichkeiten der Kunstschaf-
fenden dringend notwendig ist, wobei die öffentliche
Zugänglichkeit ihrer Werke natürlich gewährleistet blei-
ben muss. Dabei sind wir uns im Klaren, dass es ohne
Verwerter nicht möglich ist, für die öffentliche Zugäng-
lichkeit der Werke zu sorgen. Aber in seinem Kern muss
ein Urheberrecht ein Recht für die Urheber bleiben und
kein Recht für die Verwerter sein. Der Staat darf sich
nicht für die Durchsetzung der Partikularinteressen der
Medienindustrie, der Entertainmentkonzerne und der
Computer- und Druckerhersteller einspannen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Sinne hoffen wir auf eine gründliche Dis-
kussion mit allen Beteiligten und unterstützen insbeson-
dere die Forderung nach einer bilanzierenden Berichter-
stattung über die Folgen der jetzigen Regelung.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601419500

Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt sind wir ja mal gespannt!)


A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1601419600


Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium! Liebe Kolle-
ginnen! Liebe Kollegen! Ich rede heute für das Bundes-
justizministerium und möchte gleich vorweg eines sa-
gen: Da ich möchte, dass der Konsens aller fünf
Fraktionen bestehen bleibt, verzichte ich auf eine Be-
wertung dessen, was bisher gesagt worden ist; denn ich
glaube, das ist besser.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das haben wir schon einmal gehört! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja! Insbesondere in Bezug auf das, was der Kollege Krings gesagt hat!)


Verehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dem An-
trag, den die FDP-Fraktion eingebracht hat, können wir
allerdings nicht zustimmen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh!)


Ich will auch begründen, warum: Erstens. Wenn Sie die
letzten Jahre einmal an sich vorüberziehen lassen und
sich erinnern, werden Sie feststellen, dass die Bundesre-
gierung wiederholt in verschiedenen Ausschüssen des
Deutschen Bundestages über die Arbeiten am Referen-
tenentwurf zum so genannten Zweiten Korb des Urhe-
berrechts berichtet hat. Wir haben diesen Entwurf aller-
dings nicht mehr ins Kabinett gebracht, weil ab Mai
Wahlkampf war und wir eben eine konsensfähige Ent-
scheidung wollten; wir wollten ihn uns nicht im Wahl-
kampf zerreden lassen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wann kommt er jetzt wieder?)


Selbstverständlich ist und bleibt die zügige Moderni-
sierung des Urheberrechts das Ziel dieser Bundesregie-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
rung; das haben wir ja gesagt. Ich kann mich jetzt sehr
kurz fassen, weil Herr Krings bereits etwas dazu gesagt
hat und vermutlich auch Herr Manzewski noch etwas
dazu sagen wird. Heute hat eine Anhörung stattgefun-
den, die genau in diese Richtung weist. Ich denke, wir
alle werden zu einer vernünftigen Regelung kommen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Wer hat denn die Anhörung durchgeführt?)


Deswegen ist Ihre Aufforderung, dass wir etwas tun sol-
len, völlig überflüssig, so überflüssig wie ein Kropf;
wieder einmal tragen Sie Eulen nach Athen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wann kommt ihr denn jetzt dazu? – Jürgen Koppelin [FDP]: Ihr wolltet unter euch bleiben!)


– Seien Sie nicht so neugierig, Herr Koppelin.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Bin ich aber!)


Kommen wir zum nächsten Punkt, zum Urheberver-
tragsrecht. Es ist richtig, dass wir mit dem Urheberver-
tragsrecht etwas Neues gemacht haben: Wir wollten vor
allen Dingen, dass die Vertragsparteien nicht irgendwo
eine starre Gebührentabelle haben, wie wir das von den
Architekten und den Anwälten kennen, sondern dass sie
die Honorare aushandeln, dass die Kreativen eine ge-
rechte Entlohnung bekommen – aber auch die Verlage
haben ihr Existenzrecht. Nur so können wir Kultur und
Kunst in Deutschland am Leben erhalten. Für die Belle-
tristik ist eine einvernehmliche Regelung ja bereits ge-
lungen. Zurzeit verhandeln Übersetzer und Verleger mit-
einander und sie haben bekundet, dass auch sie nach wie
vor an einer einvernehmlichen Lösung interessiert sind.
Deshalb bieten wir an, wenn es gewünscht wird, wieder
als Mediator aufzutreten, wie wir das als Bundesministe-
rium der Justiz schon einmal getan haben.

Aber schon jetzt, nach einer so kurzen Zeit, zu evalu-
ieren, ergibt keinen Sinn. Dann würden wir möglicher-
weise die eine Seite bevorzugen, was die Konsensfähig-
keit, die wir wollen, wieder konterkarieren würde.

Sie haben uns aufgefordert, auf europäischer Ebene
für die Stärkung eines Urheberrechts einzutreten. Ver-
ehrte Frau Kollegin, das ist so selbstverständlich, dass
wir dazu nicht erst aufgefordert werden müssen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber es schadet doch nicht!)


Wir können höchstens sagen: Wir unterstützen die Bun-
desregierung sehr gern.

Ein Letztes. Unser Altmeister Hucko, Ministerialdi-
rektor und langjähriger Abteilungsleiter, hat einmal ge-
sagt: Das Urheberrecht ist eine ewige Dombaustelle. –
Wir wollen doch etwas erreichen. Dann fordere ich Sie
alle auf: Fühlen Sie sich als Dombaumeister! Ich will Ih-
nen gerne dabei helfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Alfred, der Schluss war poetisch!)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601419700

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jerzy

Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601419800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Krings, nicht al-
les, was Sie gesagt haben, verdient und bekommt meine
Unterstützung. Aber da, wo Sie Recht haben, sage ich
aus vollem Herzen und gerne: Ja, richtig!

Zu dem Antrag der FDP, über den wir heute zu disku-
tieren haben, ist zu sagen: Er ist zu 50 Prozent überholt,
weil die Bundesregierung schon gemacht hat, was Sie
hier einfordern; sie hat die Arbeit bereits aufgenommen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wo ist der Gesetzentwurf?)


Es ist der jetzigen Koalition leicht gefallen, das zu tun,
weil sie auf gute und weit reichende Vorarbeiten der al-
ten Regierung, von Rot-Grün, hat zurückgreifen können.
Die andere Hälfte Ihres Antrags ist eine Aufforderung.
Dazu ist ja schon gesagt worden: Das hätte man auch mit
einer schlichten Abfrage machen können.

Aber nutzen wir die Gelegenheit, einmal über das Ur-
heberrecht zu reden und weisen wir darauf hin, dass das
Urheberrecht nicht nur die eine Seite im Blick haben
kann, nämlich die Urheber von geistigem Eigentum:
Wissenschaftler, Künstler, Schauspieler, Übersetzer oder
wen auch immer. Sie alle schaffen geistiges Eigentum
doch aus dem Grund, damit andere daran teilhaben kön-
nen. Sie schaffen es für die Nutzer, für die Konsumen-
ten, für die Rezipienten ihrer Werke.

Zwischen diesen beiden Seiten stehen die wirtschaft-
lich Mächtigen: die Verwertungsgesellschaften und die
große Geräteindustrie, die die Mittlergeräte bereitstellt.

Meine Damen und Herren von der FDP, Ihr Antrag
krankt daran, dass Sie bei der Gestaltung des Urheber-
rechts nach Ihren Vorstellungen den Nutzer von geisti-
gem Eigentum überhaupt nicht im Blick haben. Er ist
nicht Bittsteller auf dem Markt, sondern muss in einer
modernen Wissensgesellschaft auch eine Rechtsposition
haben. Ich will hierzu nur einen Satz aus Ihrem Antrag
zitieren. Sie schreiben:

Auch bei der künftigen Weiterentwicklung und Mo-
dernisierung des Urheberrechts müssen die Interes-
sen der Urheber und Leistungsschutzberechtigten
deshalb stets im Zentrum der rechtspolitischen
Überlegungen stehen.

Ich sage Ihnen: Nein, das reicht nicht aus. Auch diejeni-
gen, die die Werke rezipieren, diejenigen, für die die
Werke gemacht werden, müssen Rechte haben.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass
im vorliegenden Referentenentwurf in einem Punkt Ver-
besserungsbedarf besteht – das werden wir in den Bera-
tungen noch zur Sprache bringen –: Im Ersten Korb ha-
ben wir, und zwar einvernehmlich bis auf die FDP, die
Privatkopie – damit meine ich nicht die illegale Raub-
kopie – als eine erlaubte Kopie rechtlich ausgestaltet.






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Die Privatkopie ist da nicht drin!)


– Aber selbstverständlich. Sie kennen das Gesetz nicht.
Sie haben an der Arbeit offensichtlich nicht mitgewirkt.

Wir haben die Privatkopie im Urheberrecht ganz klar
als eine legale Kopie definiert. Nun müssen wir in der
digitalen Welt auch dafür sorgen, dass das durchgesetzt
werden kann und dass die Menschen das Recht nicht nur
auf dem Papier bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601419900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Otto?


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601420000

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Herr Kollege

Otto, wir werden darüber noch in den Ausschüssen zu
reden haben.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich bin nicht in Ihrem Ausschuss!)


Deswegen ist es wichtig, dass die Bundesregierung
und die große Koalition bei der Bagatellklausel bleiben.
Hier habe ich Befürchtungen und Hoffnungen gleicher-
maßen. Wir müssen uns darüber klar werden, was damit
tatsächlich gemeint ist: Darunter fällt nicht die massen-
hafte Herstellung von Raubkopien, sondern die Herstel-
lung von Kopien durch Kinder, Jugendliche und junge
Menschen, die eine andere Beziehung zu CDs haben.
Wir Grünen wollen nicht, dass die Polizei und die Staats-
anwaltschaften auf die Schulhöfe gehen und dort mit
dem Mittel des Strafrechts agieren. In diesem Fall bedarf
es anderer Mittel.

Wir werden uns in den Ausschüssen darüber noch zu
unterhalten haben. Ich glaube, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, dass wir auch in diesem Punkt zum
Schluss einen guten Kompromiss finden werden. An uns
soll es jedenfalls nicht scheitern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601420100

Nun hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege

Dirk Manzewski.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1601420200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es

gleich vorweg deutlich zu sagen: Herr Kollege Otto, ich
habe relativ wenig Verständnis für den heute hier debat-
tierten Antrag der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Von Ihnen wird die weitere Modernisierung des Urhe-
berrechts angemahnt. Dabei weiß die FDP doch ganz ge-
nau, dass die Arbeiten hierzu kurz vor dem Abschluss
stehen. Bereits Ende der letzten Legislaturperiode lag
der erste Referentenentwurf vor. Wäre es nicht zu der
vorgezogenen Bundestagswahl gekommen, stünden wir
vermutlich kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes.

Herr Kollege Otto, die neue Bundesregierung hat die-
ses Gesetzgebungsverfahren zügig aufgegriffen – das
muss man positiv werten – und den ersten Referenten-
entwurf überarbeitet. Auch dieser zweite Referenten-
entwurf ist den Fraktionen bereits zugegangen.

Es ist schon angesprochen worden, dass im Bundes-
presseamt vor einigen Stunden die letzte große
Verbandsanhörung hierzu endete. Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, anstatt Anträge zu stel-
len, hätte man vielleicht die Angebote, die das BMJ an
uns alle gerichtet hat, annehmen sollen. Dann wäre man
nämlich hervorragend über den Stand des Gesetzge-
bungsverfahrens informiert gewesen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich gehe davon aus, dass es in Kürze zu Ressortab-
stimmungen kommen wird und dass der Entwurf in
Kürze auch dem Kabinett vorgelegt wird.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aha!)


Da das alles der FDP bekannt ist, kann ich die Kritik
überhaupt nicht nachvollziehen – dies umso weniger, als
man ganz genau weiß, wie komplex das Thema Urheber-
recht ist und wie vielfältig die Interessen der Beteiligten
sind. Auch deshalb halte ich persönlich gar nichts davon,
jetzt einen Einzelpunkt wie die Bagatellklausel heraus-
zugreifen und hier zu debattieren.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wann sollen wir das denn tun? – Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP]: Ihr habt das doch in der Regierung debattiert!)


Das wird sicherlich ein Streitpunkt sein, über den wir
später intensiv diskutieren müssen.

Auch ich habe meine Bedenken, ob es immer richtig
ist, die Probleme auf die Justiz zu schieben, anstatt ge-
setzgeberisch konsequentere Lösungen zu suchen. Ich
meine aber, dass wir dieses Problem im Gesamtkontext
behandeln müssen. Deshalb gehört dieser wichtige
Streitpunkt auch zu der umfassenden Diskussion über
den so genannten Zweiten Korb und nicht hierhin. Sie
mögen dann Ihre entsprechenden Anträge stellen.

Soweit die FDP mit ihrem Antrag quasi eine Evaluie-
rung des Urhebervertragsrechts begehrt, sind die Gründe
dafür für mich nun wirklich nicht ersichtlich. Zumindest
meine ich, dass ein solcher Antrag verfrüht ist.

Als wir das Urhebervertragsrecht geschaffen haben,
waren wir uns alle darin einig, dass die Entlohnung der
Urheber angemessen zu sein hat. Ich kann mich jeden-
falls nicht daran erinnern, dass die FDP damals eine an-
dere Auffassung vertreten hat. Durch § 36 Urheberge-
setz haben wir es den Beteiligten freigestellt – der Herr
Staatssekretär hat es deutlich gemacht –, sich zusam-
menzusetzen und entsprechende gemeinsame Vergü-
tungsregeln als Indiz für eine solche Angemessenheit
aufzustellen. Das macht auch Sinn, da die entsprechen-
den Leistungen derart vielschichtig und vielseitig sind,






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
dass sich der Gesetzgeber insoweit tunlichst heraushal-
ten sollte.

Leider haben es die Verbände in der Folgezeit zu-
nächst nicht geschafft, hier auf einen gemeinsamen Nen-
ner zu kommen. Erst mithilfe des BMJ als Mediator ist
es im letzten Jahr zumindest zwischen den Autoren und
den Verlagen der Belletristik zu einer einvernehmlichen
Lösung gekommen. Diese Vorgehensweise soll, soviel
ich weiß, auch zwischen den Verlagen und den Überset-
zern angedacht sein. Schon deshalb kommt Ihr Antrag
etwas zu früh.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Der Streit ist doch jetzt!)


Kollege Otto, selbst wenn wir als Gesetzgeber solche
Vergütungsregeln festsetzten, würden sie nicht vor Ge-
richtsverfahren schützen. Wenn man sich Ihren Antrag
genau durchliest, erkennt man, dass genau diese Kritik
darin enthalten ist. Wenn sich ein Autor oder ein Über-
setzer trotz gemeinsamer Vergütungsregeln unterbezahlt
fühlt, kann er dies gleichwohl gerichtlich klären lassen.
Das war bereits vor In-Kraft-Treten des Urheberver-
tragsrechts so – das müssten Sie eigentlich wissen – und
wird auch immer so sein. Wenn die Gerichte in einigen
Fällen in der Vergangenheit festgestellt haben, dass die
beanstandete Entlohnung im Einzelfall nicht angemes-
sen gewesen ist, sollten die Verlage dies nicht einfach
monieren, sondern sich einmal Gedanken darüber ma-
chen, ob sie ihren Übersetzern in dem einen oder ande-
ren Fall nicht vielleicht doch zu wenig gezahlt haben.

Ich habe in den streitbefangenen Fällen, die ich alle
durchgearbeitet habe, nicht den Eindruck erlangt – den
Bereich der Nebenrechte nehme ich einmal aus, da ich
hier eine etwas andere Auffassung vertrete als die der-
zeitige Rechtsprechung –, dass die Verlage durch diese
Entscheidung überobligatorisch belastet worden sind. Im
Übrigen – Sie haben es selbst angesprochen – liegen
meines Wissens bislang nur erstinstanzliche Entschei-
dungen vor. Ich meine, wir sollten ruhig abwarten, bis
sich eine gefestigte Rechtsprechung herausgebildet hat.
Ich gehe nicht davon aus, dass die Justiz damit große
Probleme hat, weil das ihren originären Bereich betrifft.

Alles in allem sehe ich derzeit keinen Handlungsbe-
darf. Wir werden Ihren Antrag deshalb zurückweisen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601420300

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord-

nungspunkt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/262 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Undine Kurth (Quedlinburg), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Für starke soziale und ökologische Standards
in der Internationalen Finanz-Corporation

(IFC) der Weltbank


– Drucksachen 16/374, 16/466 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernward Müller (Gera)

Gabriele Groneberg
Hellmut Königshaus
Michael Leutert
Ute Koczy

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1601420400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich könnte fast genauso anfangen wie der
vorherige Redner. Ich habe vom Grundsatz her Verständ-
nis für den vorliegenden Antrag der Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen, weil es für die jetzige Oppositi-
onsfraktion natürlich verführerisch ist, die Beschlüsse
des Bundestages der letzten Wahlperiode, die wir zusam-
men gefasst haben, zu nehmen und daraus einen neuen
Antrag zu formulieren, um das Ganze zu toppen. Ich
muss aber ganz ehrlich zugeben, dass mein Verständnis
da auch schon aufhört. Bei den Inhalten stellt man näm-
lich fest, dass die Forderungen in weiten Teilen bereits
erfüllt sind oder sich auf Befürchtungen beziehen, die
sich in der vorangegangenen Diskussion als nicht stich-
haltig erwiesen haben, weil sie durch entsprechendes
Handeln widerlegt worden sind.

Einig sind wir uns sicherlich insoweit, als das oberste
Ziel der IFC als Teil der Weltbankgruppe die Armutsbe-
kämpfung durch Förderung einer nachhaltigen Ent-
wicklung sein soll. Dies ist ausdrücklich als Ziel der IFC
definiert worden; denn die Überarbeitung der Umwelt-
und Sozialstandards, der Safeguard-Policies, um die es
hier geht, soll dazu beitragen, eine bessere Orientierung
zur Entwicklungspolitik zu erreichen.

Einig sind wir uns sicherlich auch insoweit, als eine
Überarbeitung der sozialen und ökologischen Standards,
ebendieser Leitlinien, zwingend notwendig ist.


(Beifall bei der SPD)


Gerade weil es in der Vergangenheit von den unter-
schiedlichsten Seiten Kritik an den Safeguard-Policies
gegeben hat, gerade weil man bei der Weltbank und






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
ihren Töchtern erkannt hat, dass eine bessere Balance
zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen
Zielsetzungen herzustellen ist, ist eine Neufassung der
Safeguards so wichtig. Selbstverständlich muss man
sehr wohl darauf achten – Frau Koczy, da sind wir uns
einig –, dass man nicht hinter das bisher verbindliche
Regelwerk für die Projekte der IFC zurückfällt.

Das strategische Rahmenwerk, das hier entwickelt
wird, soll die alten Safeguards ersetzen. Nach breit ange-
legten Konsultationsprozessen werden die bisherigen
Entwürfe des Rahmenwerkes überarbeitet. Der dritte
und endgültige Entwurf wird vermutlich erst Ende Fe-
bruar vorliegen.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am 21. ist die Sitzung!)


Wir haben gestern im Ausschuss darüber gesprochen,
dass wir uns dann mit diesem Entwurf ausführlich be-
schäftigen werden.

Selbstverständlich haben wir uns bereits mit der
Überarbeitung der bisherigen Richtlinien befasst. Es
ist ja nicht so, als wären sie vom Himmel gefallen. Be-
reits im Jahre 2004 haben wir uns mit dem von der Welt-
bank in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht zur
Wirksamkeit von Projekten der Weltbank im Bereich
Rohstoff- und Energiepolitik auseinander gesetzt.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sehr richtig!)


Die Ergebnisse unserer Beratungen haben wir in einem
Beschluss des Bundestages festgehalten, den wir ge-
meinsam gefasst haben. Die damit verabschiedeten For-
derungen sind auch für unsere Beratungen zu den neuen
Richtlinien aktuell und nicht etwa überholt; sie gelten
nach wie vor.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie sind nicht im Entwurf enthalten!)


– Frau Koczy, Sie wissen doch ganz genau, dass unsere
Positionen im laufenden Diskussionsprozess eingebracht
worden sind.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts genützt!)


– Natürlich hat es etwas genützt; das können wir doch
feststellen. Ich werde Ihnen das gerne noch einmal erläu-
tern.

Uns und bestimmt auch Ihnen – es ist ja nicht so, dass
nur wir diese Informationen bekommen; auch Sie wer-
den sie erhalten haben – liegen zu den kritischen Punk-
ten, die Sie vorgetragen haben, schriftliche Aussagen des
BMZ und des deutschen Vertreters bei der Weltbank,
Herrn Eckhard Deutscher, vor, die Ihre Befürchtungen
entkräften. Demnach sind bei den Beratungen der IFC
folgende Punkte vom BMZ und von Herrn Deutscher als
unabdingbar deutlich gemacht worden – ich will sie kurz
nennen, weil dadurch deutlich wird, worum es geht –:

Erstens. Die allgemeine Konsistenz von IFC- und
Weltbank-Safeguards muss sichergestellt bleiben und es
darf kein Absenken der Standards erfolgen. Die Stan-
dards – darin sind wir uns einig – müssen sozial und
ökologisch ausgewogen sein.

Zweitens. Die im Rahmen des Extractive Industries
Review vereinbarten Empfehlungen müssen Berücksich-
tigung finden.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Darin sind wir uns ebenfalls einig.

Drittens. Bei den Fragen der Umsiedlung und Kom-
pensation muss weiterhin das Prinzip gelten, dass da-
durch kein Betroffener schlechter gestellt wird.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas gibt es?)


Auch darin sind wir uns einig.

Viertens. Durch explizite Bezugnahme auf einschlä-
gige internationale Abkommen und Konventionen sollen
Definitionen präzisiert und internationales Recht ge-
stärkt werden. Auch dagegen ist nichts einzuwenden.

Fünftens. Die Umsetzungsvorschriften zu den Perfor-
mance-Standards müssen eindeutige Definitionen und
Benchmarks enthalten. Auch dagegen ist nichts zu sa-
gen.

Ich stelle deshalb fest: Wir alle wollten einen Revi-
sionsprozess. Die neue Bundesregierung setzt sich mas-
siv dafür ein, dass das neue strategische Rahmenwerk
eine positive Weiterentwicklung der alten Safeguards
sein wird. Insofern kann ich Ihre Sorge nicht teilen, liebe
Frau Koczy, dass zum Beispiel die Änderung, die Um-
welt- und Sozialverträglichkeit von vornherein als Ziel-
vorgabe zum überprüfbaren Bestandteil von Projekten
zu machen, statt sie wie bisher durch Auflagen sicherzu-
stellen, zwangsläufig dazu führen wird, Standards im so-
zialen und ökologischen Bereich zu schleifen.

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es jetzt offen-
sichtlich erstmalig gelingen wird, im Performance-Stan-
dard Nr. 2 „Labor and Working Conditions“ einschlä-
gige ILO-Konventionen zu verankern. Das war bisher
nicht gegeben. Ich frage mich, wie Standards verwässert
werden können, wenn bei der Berücksichtigung der
Rechte indigener Bevölkerung im Performance-Stan-
dard Nr. 5 Entschädigungen auch für Personen vorgese-
hen werden, die keinen Landtitel vorweisen können?
Diese Befürchtung haben Sie in unserer gestrigen Dis-
kussion vehement zum Ausdruck gebracht.

Ebenso unberechtigt finde ich Ihr tiefes Misstrauen
gegenüber der Privatwirtschaft. Warum soll nicht auch
der Investor eine umfassende Abschätzung und Überprü-
fung im Hinblick auf soziale und umweltrelevante Be-
lange vornehmen? Sicherlich muss man dann – das ist
doch der Knackpunkt – bei der Überprüfung dessen, was
er vorgelegt hat, durchaus kritisch vorgehen. Bei dieser
Überprüfung, die anschließend durch das IFC erfolgt
– das ist doch sichergestellt – muss darauf geachtet wer-
den, dass das Vorhaben auch anständig ist.






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie mal darauf!)


Wie im Übrigen auch Herrn Trittin bekannt ist, sind
bei Bauprojekten in Deutschland ähnliche Verfahrens-
weisen üblich. Der Investor legt Unterlagen zur Prüfung
vor und muss gegebenenfalls noch einmal nacharbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich frage mich allen Ernstes, ob Sie wollen, dass so
hohe Hürden für Projekte errichtet werden, dass sie sich
für einen Investor wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Das
könnte durchaus passieren.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Coca-Cola freut sich!)


Ich gebe Ihnen zwar Recht, Frau Koczy, dass die Prü-
fung durchaus zum Drahtseilakt werden kann, aber dann
muss eben eine Abwägung unter Berücksichtigung aller
Interessen erfolgen.

Dass hier Rolle und Verantwortlichkeiten zwischen
der IFC und dem Kunden klar definiert und getrennt
werden, kann ich nicht als negativ empfinden. Wichtig
ist in jedem Fall – das will ich gern noch einmal beto-
nen – die kritische Überprüfung der eingereichten Ana-
lysen. Ich denke, die klarere Trennung der Verantwort-
lichkeiten wird dabei hilfreich sein.

Die Einführung des Development-Impact-Repor-
ting, des jährlichen Berichts über den Entwicklungsbei-
trag der IFC-Aktivitäten, ist positiv zu bewerten. Ich
denke, dieser Bericht wird zukünftig von allen interes-
sierten Seiten mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis
genommen werden und die notwendige Transparenz
schaffen.

Im Übrigen teile ich nicht Ihre Auffassung, dass der
von Ihnen vorgelegte Antrag eine Konkretisierung oder
Präzisierung – wie auch immer – des damals von uns ge-
meinsam erarbeiteten Antrags zur nachhaltigen Roh-
stoff- und Energiepolitik der Weltbank darstellt. Da lie-
gen wir nicht auf einer Linie.

Ihr Antrag ist im Prinzip als erledigt zu betrachten. Es
wird Sie deshalb sicherlich nicht wundern, dass wir ihn
ablehnen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601420500

Das Wort hat nun der Kollege Hellmut Königshaus,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1601420600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit

April 2003 überarbeitet die IFC ihre Sozial- und Um-
weltstandards. In diesen fast drei Jahren hat die Welt-
banktochter mit Umweltaktivisten, Menschenrechts-
gruppen und Gewerkschaften, aber auch mit ihren
Partnern, den Banken, Investoren und Verbänden, ge-
sprochen und die Standards diskutiert.

Der Diskussionsprozess wurde in aller Breite öffent-
lich geführt. Die IFC und alle Gremien waren daran inte-
ressiert, dass er auch von politischer Seite begleitet
wurde. Der Termin, bis zu dem Vorschläge erbeten wa-
ren, war der 25. November 2005. Nun kommt eine Wo-
che, bevor die Ergebnisse des Diskurses bekannt gege-
ben werden sollen, aber nach dieser Frist, eine
Ideensammlung der Grünen. Wenn man polemisch sein
wollte, würde man sagen: Guten Morgen, liebe Freun-
dinnen und Freunde! Schön, dass Sie aufgewacht sind!
Darauf hat die Welt gewartet.


(Beifall bei der FDP)


Wieso kommen Sie erst jetzt mit Ihren Vorschlägen?
Sie waren doch all die Jahre in der Regierung. Warum
haben Sie dort nicht damals das umgesetzt, was Sie jetzt
so ausdrücklich fordern? Wir sind offenbar fraktions-
übergreifend – zu diesem Schluss kommt man, wenn
man sich an die Ausschussberatung erinnert – der Auf-
fassung, dass wir Ihrem Antrag nicht folgen sollten. Wir
wollen erst einmal abwarten, was der dritte Entwurf
bringen wird.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann warten Sie!)


– Natürlich warten wir. – In ihm werden Standards bei-
spielsweise in den Bereichen Soziales, Umwelt und Ar-
beitsbedingungen – ich will nicht alle aufzählen; das ist
nur eine Auswahl – und in einem ergänzenden Papier die
entsprechenden Sanktions- und Überwachungsmöglich-
keiten beschrieben. Warum wollen Sie also vorab drauf-
satteln, abgesehen davon, dass sich niemand darum
kümmerte, was wir jetzt beschließen würden, wenn wir
es denn täten?

Ich vermute Folgendes: Die IFC fördert und finan-
ziert vor allem privatwirtschaftliche Investitionen in
Entwicklungsländern. Ich glaube, dass das der eigentli-
che Grund ist, warum Sie noch einmal draufsatteln wol-
len. Ihnen ist das Ganze schon aus ideologischen Grün-
den suspekt. Jedenfalls hat man den Eindruck, dass es
Ihnen nicht darum geht, in der Sache voranzukommen,
sondern darum, die Arbeit der IFC zu erschweren. Sie
wollen mehr Bürokratie, obwohl wir gerade in diesem
Bereich eine Entbürokratisierung bräuchten. Genau das
ist das Problem: Überbürokratisierung und Aufblähung
der Apparate. Das, was Sie wollen, ist nichts anderes als
ein Beschäftigungsprogramm beispielsweise für Consul-
tants und Anwälte. Dann kann man gleich eine Behörde
schaffen, die gängelt, überprüft und überwacht. Ich habe
den Eindruck, dass Sie, die Grünen, die privaten Anleger
und Investoren mehr überwachen wollen als unsere Part-
ner in der Bundesregierung und bei den Nachrichten-
diensten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das ist eine Unverschämtheit!)







(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
– Wieso ist das eine Unverschämtheit? Sie wollen kei-
nen Untersuchungsausschuss, wohl aber, wie wir gehört,
Coca-Cola zunehmend strengeren Assessments unter-
werfen. Erledigen Sie hier erst einmal Ihre Aufgaben!

Verstehen Sie eigentlich nicht, dass gerade die priva-
ten Investitionen in den Entwicklungsländern von beson-
derer Bedeutung sind?


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich unterstreiche „besondere Bedeutung“!)


Denn gerade diese sind es doch, die dauerhafte Arbeits-
plätze schaffen, die Menschen in Lohn und Arbeit brin-
gen sowie einen sozialen Aufstieg ermöglichen.


(Beifall bei der FDP)


Die privaten Investitionen dürfen nicht behindert, son-
dern müssen gefördert werden.

Es ist beinahe unverantwortlich, dass Sie nun auch
noch die Nutzung der innovativen Technologien in
den Entwicklungsländern einschränken und Ihren Stan-
dards, die ja nicht denjenigen der Entwicklungsländer
entsprechen, unterwerfen wollen. Vor allem das von Ih-
nen geforderte Verbot der grünen Gentechnik ist im Hin-
blick auf die Entwicklungsländer abwegig.


(Beifall bei der FDP)


Die EU hat sich ja um die betreffenden Fragen schon ge-
kümmert. Sicherlich wird uns das in Europa noch eini-
ges bescheren. Auch das ist auf Ideologie zurückzufüh-
ren. Aber Ideologie muss man sich leisten können. Ich
glaube, dass die Entwicklungsländer das nicht können.

Wir lehnen Ihren Antrag ab. Kehren Sie zur Sachar-
beit zurück und hören Sie auf, draufzusatteln!

Danke schön.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601420700

Das Wort hat nun der Kollege Bernward Müller,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernward Müller (CDU):
Rede ID: ID1601420800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fordert in
ihrem Antrag die Einführung stärkerer sozialer und öko-
logischer Standards bei der Internationalen Finanzgesell-
schaft, der IFC, einem Tochterunternehmen der Welt-
bank.

Da meine Kollegin Groneberg schon auf bestimmte
Kritikpunkte eingegangen ist, die Sie gestern im Aus-
schuss angesprochen haben, habe ich nun die Möglich-
keit, einige andere Aspekte in den Focus zu bringen. Ei-
nerseits möchte ich meine Sorge darüber zum Ausdruck
bringen, wie Sie gestern – das machen Sie sicherlich
auch nachher – diesen Antrag vorgetragen und begrün-
det haben, um nicht zu sagen, mit welcher „Urgewald“
Sie zu Werke gegangen sind. Urgewalt kann man mit d
oder t schreiben; Sie wissen, was ich meine.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gegen Urgewalt!)


Das läuft meiner Ansicht nach alles wieder nach dem al-
ten Schema ab: Sie zeichnen ein Horrorbild, Sie schüren
Ängste, Sie schüren Misstrauen und dann kommen Sie
mit Ihren Lösungen. Die Lösungen heißen einfach im-
mer: mehr Kontrolle, mehr Staat, mehr Aufwendungen
für die Unternehmen, letztendlich auch teurere Aufwen-
dungen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das soll bürgernah sein!)


Eines muss ich Ihnen sagen – Herr Kollege Trittin ist
ja auch da –: Wir haben auf nationaler Ebene bereits er-
lebt, dass diese Wege nicht zu Lösungen führen. Denken
wir an das Beispiel Ökoaudit. Wir haben das Ökoaudit
in Deutschland eingeführt und waren in Europa, was die
Teilnehmerzahl angeht, das führende Land. Die Teilneh-
merzahl hat sich erheblich reduziert – das lässt sich
nachweisen –, als für die Unternehmen der Eindruck ent-
stand, dass es zu einer zusätzlichen Belastung und zu
keiner Entlastung bei der Kontrolle kommt. Somit hatten
wir nicht ein Mehr an Ökologie, sondern letztendlich
eine Flucht aus der Ökologie bzw. eine Flucht in niedri-
gere Standards. Ich denke, das wollen auch Sie nicht.
Das wollen wir alle nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe zum anderen auch die Gelegenheit, hier ei-
nige Aspekte unserer entwicklungspolitischen Arbeit,
der Arbeit der Fraktionen und der Bundesregierung, dar-
zulegen. Unser Ziel ist es, die Wirksamkeit der deut-
schen Entwicklungspolitik zu steigern. Dazu gehört auch
eine effizientere Gestaltung der bi- und multilateralen
Organisationsstrukturen und Instrumente. Zur Verbesse-
rung der kooperativen Bewältigung der globalen Heraus-
forderungen wollen wir die Weiterentwicklung interna-
tionaler Einrichtungen und weltweit gültiger Regelwerke
voranbringen. Dazu gehört auch, dass die Reformen der
Institutionen der Weltbank fortgesetzt werden.


(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])


Ende der 90er-Jahre hat die Weltbank angefangen,
neue ökologische und soziale Standards und neue Prüf-
verfahren einzuführen. Diese Politik soll Umwelt und
Menschen und, weil Sie gerade die indigenen Völker an-
sprachen, auch das Naturerbe vor Zerstörung und den
Auswirkungen von Projekten schützen, die in den 80er-
Jahren berechtigte Kritik hervorgerufen haben.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur in den 80er-Jahren? Das haben wir jetzt auch noch!)


– Sie wissen doch ganz genau, dass diese Kritik das aus-
lösende Moment für das Umdenken bei den Institutionen
der Weltbank war.






(A) (C)



(B) (D)


Bernward Müller (Gera)

Heute müssen sich private Investoren und Exporteure
an den von der Weltbank gesetzten Standards messen.
Sie lassen sich messen und das bringt ihnen Vorteile;
denn das ökologische und soziale Siegel der Weltbank
auf ihren Projekten eröffnet ihnen Wege zu neuen Finan-
zierungsmöglichkeiten. Ich nenne hier als Beispiel die
Hermesbürgschaften. Die Fortentwicklung dieser Richt-
linien ist in unserem Interesse, da wir uns den effizienten
Einsatz der vorhandenen Mittel zum Ziel gesetzt haben.

Die Weltbank hat die Erkenntnisse aus dem so ge-
nannten Salim-Report umgesetzt. Dr. Emil Salim emp-
fahl, eine Balance zwischen ökologischen, ökonomi-
schen und sozialen Zielsetzungen herzustellen. Dazu
sollte die Weltbank unter anderem ihre Umwelt- und So-
zialstandards reformieren und effektiv umsetzen. Gute
Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte
sowie Korruptionsverhinderung sollten im Bereich der
Firmen und Regierungen Fördervoraussetzung werden.

Die Forderungen aus dem Salim-Report decken sich
mit den Leitvorstellungen, die im Koalitionsvertrag for-
muliert sind und zu denen wir uns bekennen. Die drei
Säulen nachhaltiger Entwicklungsarbeit – Umwelt, Wirt-
schaft und Soziales – sind gleichberechtigte und grund-
legende Faktoren entwicklungspolitischen Handelns.
Dazu wollen wir dem Aspekt der guten Regierungsfüh-
rung ein stärkeres Profil geben. Die Stärkung von Good
Governance ist das zentrale Bestimmungselement unse-
rer künftigen Entwicklungszusammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nachhaltige Entwicklung kann nur dort stattfinden,
wo gute Regierungsführung die Grundlage für die Ent-
faltung der Selbsthilfekräfte in einer Gesellschaft legt.
Doch auch für die Fälle von Bad Governance müssen
wir uns im Rahmen einer pragmatischen Entwicklungs-
politik rüsten. „Transformation“ ist ein wichtiges Stich-
wort, wenn es um den Umgang mit Gewaltökonomien
und Projekten in Bürgerkriegsländern geht. Die Union
begrüßt daher, dass Weltbank und IFC planen, am
21. Februar 2006 die im Salim-Report geforderten Maß-
nahmen zu beschließen.

Zu Ihrem Antrag ganz konkret: Es ist eine Neuauflage
des schon erwähnten Antrags aus dem Jahre 2004. Was
Sie vorlegen, ist zwar gut gemeint; aber sowohl im sach-
lichen Bereich als auch in Bezug auf neue Ansätze kann
ich keine wesentlichen Unterschiede zu dem bereits ge-
nannten Antrag erkennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich sehe daher weder in der Sache noch in der politi-
schen Dimension eine Neuerung gegenüber der gegen-
wärtigen Beschlusslage des Deutschen Bundestages und
der Regierungspraxis. Aus diesem Grunde lehnen wir
diesen Antrag ab.

Ich möchte noch zwei Punkte erwähnen: Erstens. Was
nützen uns Standards, wenn wir sie nicht kontrollieren?
Die Bundesregierung wird in Zukunft die Aufgabe ha-
ben, die sozialen und ökologischen Standards auf ihre
Effektivität und auf ihre Umsetzbarkeit hin zu überprü-
fen. Dazu brauchen wir auch ein Monitoring. Das haben
Sie in Ihrem Antrag gar nicht erwähnt. Die Bundesregie-
rung ist also gefordert, auch auf dem Gebiet des Control-
lings tätig zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens; damit nehme ich Bezug auf einen Antrag,
den die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits in der
letzten Legislaturperiode gestellt hat. Ich sehe ein Miss-
verhältnis von finanzieller und personeller Beteiligung
Deutschlands an den internationalen Institutionen. Ich
wiederhole hier, was ich gestern gesagt habe: Deutsch-
land stellt 2,7 Prozent des Personals der Weltbank, wäh-
rend die Beitragsquote Deutschlands bei 4,5 Prozent
liegt. Ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten: Deren
Personalquote liegt bei 25 Prozent, während die Kapital-
quote bei 16,9 Prozent liegt. Auch diesen Aspekt müssen
wir beleuchten, auch das dürfen wir nicht aus dem Auge
verlieren, um deutsche Interessen angemessen vertreten
zu können.

Es bleibt festzuhalten, dass die Reform der Umwelt-
und Sozialstandards der Weltbank und ihrer Institutionen
ein großer Schritt für die Wirksamkeit entwicklungspoli-
tischer Arbeit sein wird. Die Bundesregierung ist aufge-
rufen, diese Fortentwicklung unterstützend zu begleiten
und die Umsetzung der neuen Maßstäbe kontinuierlich
zu überprüfen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601420900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Ulrich,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1601421000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die IFC hat ihre Aufgabe, die Förderung von
Privatinvestitionen in Entwicklungsländern zum Zwecke
der Armutsreduzierung, in der Praxis bisher nicht ausrei-
chend erfüllt. Zu ihren Geschäftspartnern und Nutznie-
ßern gehören vornehmlich Großkonzerne wie Coca-
Cola, Exxon Mobil oder Halliburton.

Wie das prägnante Beispiel der Tschad–Kamerun-Öl-
pipeline zeigt, wird die Weltbank ihren eigenen bisheri-
gen Standards nicht gerecht. Es sollte ein Musterprojekt
werden, um Ölreichtum in direkten Nutzen für die
Armen umzusetzen. Das Gegenteil ist erreicht: bisher
entschädigungslose Enteignungen, rapide steigende Ge-
sundheitsprobleme der Bevölkerung und erneute Ar-
beitslosigkeit der Wanderarbeiter, die die Pipeline ge-
baut haben. Auf eine von der Weltbank selbst geforderte
Umweltverträglichkeitsstudie wurde bei der Projektrea-
lisierung verzichtet. Der Plan für die Einrichtung von






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Ulrich
zwei Nationalparks als Kompensation für die beim Bau
der Pipeline geschädigten Waldgebiete existiert nur auf
dem Papier. Seit Juli 2003 fließt Öl durch die Pipeline.
Die Ziele der Armutsreduktion wurden nicht hinreichend
verfolgt. Für den Tschad ist zudem eine dramatische
Verschlechterung der Menschenrechtslage zu beobach-
ten.

Wie dieses Beispiel eindrucksvoll zeigt, ist die Welt-
bank nur vordergründig eine Institution zur Finanzierung
entwicklungsorientierter Projekte. Das genannte
Beispiel ist leider kein Einzelfall. Die Nichteinhaltung
der Umwelt- und Sozialstandards ist vielmehr typisch
für IFC-Projekte. Die Profite, die Interessen der privaten
Kreditnehmer stehen an erster Stelle; Menschen und
Umwelt geraten in den Hintergrund.

Die IFC will nun am 21. Februar einen neuen Regel-
entwurf verabschieden. Bisher liegen uns ebenso wie
dem Bundesministerium nur die so genannten Perfor-
mance-Standards vor. Wir sehen in dieser Neuabfas-
sung der Standards eine völlige Abkehr von bisherigen
Normen und Regeln. Die neuen Standards übertragen
sehr viel Verantwortung auf die Kunden der IFC, sprich:
auf die Konzerne, und lassen dem IFC-Management er-
hebliche Spielräume in der Interpretation dessen, was
das Minimalerfordernis bei jedem einzelnen Projekt ist.

Es ist absurd, der Industrie selbst die Entscheidung
darüber zu überlassen, ob ihre eigenen profitorientierten
Projekte im entwicklungspolitischen Interesse sind.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Das aber ist der Kern der neuen Performance-Standards.
Die IFC wird demgemäß künftig auf unabhängige Um-
welt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen verzichten. In
der Konsequenz bedeutet das eine Anpassung der Stan-
dards an die bisherige entwicklungsfeindliche Praxis.

Die Regierungsparteien aber tun so, als läge über-
haupt kein Problem vor. Sie wollen uns auf einen dritten
Entwurf vertrösten, den sie uns bis heute nicht vorlegen
können und dessen Inhalt ihnen selbst nicht geläufig ist.
Sie sagen uns: Vertraut der IFC! Die IFC sagt: Vertraut
den Investoren! – Das ist die Kapitulation der Bundes-
entwicklungspolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir stimmen mit der Kritik von Ihnen, Frau Koczy,
an der IFC-Praxis in der gestrigen Ausschusssitzung völ-
lig überein. Doch warum schreiben Sie das, was Sie hier
verurteilen, nicht auch so in Ihrem Antrag nieder? Der
Antrag der Grünen verschweigt, dass es sich bei den
Profiteuren der IFC-Kredite um Großkonzerne handelt.
In Ihrem Text suggerieren Sie sogar, sich ganz im Ein-
klang mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit zu befinden, als stünde nicht die Ver-
schlechterung der Standards, sondern ihre Verbesserung
auf der Tagesordnung. Warum erwähnen Sie in ihrem
Antrag mit keinem Wort die Performance-Standards, die
Sie zu Recht so lautstark kritisieren?
Wir, die Fraktion der Linken, haben den Grünen vor-
geschlagen, eine entsprechende Änderung in ihrem An-
trag vorzunehmen. Wir schlagen vor, dass das zustän-
dige Bundesministerium den deutschen Exekutivdirektor
im Verwaltungsrat der Weltbank anweist, Verschlechte-
rungen, wie sie die vorliegenden Performance-Standards
vorsehen, abzulehnen. Leider haben Sie diesen Vor-
schlag nicht angenommen. Ihr Ziel scheint zu sein, die
zuständige Ministerin und die Bundesregierung insge-
samt – trotz aller verbalen Kritik – aus der praktischen
Verantwortung zu entlassen. Wir können Ihrem Antrag,
dem Antrag der Grünen, deshalb nicht zustimmen. Sie,
die Grünen, sollten endlich in Ihrer Rolle als Opposi-
tionspartei ankommen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601421100

Herr Kollege Ulrich, das war Ihre erste Rede in die-

sem Haus. Herzlichen Glückwunsch dazu und weiterhin
alles Gute.


(Beifall)


Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort
die Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grünen.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1601421200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zu später Stunde ein schwerer Antrag, ein
Antrag, der die Zukunft der Weltbankpolitik bestimmen
und Weichen stellen kann, aber nicht wird, weil die
Mehrheit – alle vier übrigen Fraktionen – aus unter-
schiedlichen Gründen, die ich nicht nachvollziehen
kann, dagegen ist.

Unser Antrag ist sehr konkret. Er macht pointiert Vor-
schläge, und zwar explizit zum vorliegenden zweiten
Entwurf, zu den Performance-Standards der Internatio-
nal Finance Corporation. Wir stehen damit in der Konti-
nuität dessen, was der Bundestag beschlossen hat; hier
ist darüber diskutiert worden. Mit unserem Antrag set-
zen wir diese Kontinuität fort und konzentrieren uns auf
das, was nun ansteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir greifen damit vor der Sitzung der Exekutivdirek-
toren am 21. Februar in Washington die Anregung des
Salim-Reports auf, der ernsthafte Verbesserungen der
Standards in der Weltbank fordert, wenn es um die För-
derung von Rohstoffen geht. Dass wir ein Problem mit
der Rohstoffförderung haben, das werden Sie, meine Da-
men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus
dem Ausschuss, wohl nicht bestreiten können.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Nein, das bestreiten wir nicht!)


Sie tun hier so, als würde auf diesem Politikfeld eine
heile Welt existieren. Kein Wort der Kritik haben wir
von Ihnen gehört.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Koczy


(Bernward Müller [Gera] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! – Gabriele Groneberg [SPD]: Weil die Standards nicht gereicht haben, werden andere gemacht!)


Eigentlich müssten Sie anders reagieren. Ich erwarte von
Ihnen einen Gegenantrag, einen Antrag zu dem, was die
Exekutivdirektoren beschließen müssen; denn das, was

einer Sitzung der Exekutivdirektoren verteilt wird. Ich
gehe nicht davon aus, dass wir ihn so rechtzeitig bekom-
men, dass wir ihn hier tatsächlich beraten können.

Meine Damen und Herren, wir haben doch schlechte
Erfahrungen in Ländern wie Nigeria, Tschad, Kamerun
und Ecuador gemacht. Wir sind misstrauisch, weil wir
der Meinung sind, dass wir in dem Augenblick, wo wir
Unternehmen einfach erlauben, ohne Referenzrahmen,
uns vorliegt, wird all dem, was Sie hier in schönen Wor-
ten formuliert haben, einfach nicht gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bislang gehörten die Standards der Weltbank, was
Schutz und Unterstützung von Mensch und Tier angeht,
zur Champions League. Damit wird es jetzt vorbei sein,
wenn die Performance-Standards so, wie sie uns vorlie-
gen, die Verantwortung dafür in die Hand der Unterneh-
men legen, und zwar ohne Referenzrahmen.

Herr Bernward Müller, Sie haben zu Recht darauf
hingewiesen, dass wir Controlling brauchen. Das ist
richtig. Aber dieses Controlling fehlt in dem zweiten
Entwurf. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass
es klare Kriterien gibt, mit denen man arbeiten kann.
Denn Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, unser Anlie-
gen sei allein von NGO-Interessen geleitet. Es liegt im
Interesse der Länder, die gegen Armut und für den Auf-
bau von Infrastruktur kämpfen, und im Interesse der Un-
ternehmen, die für die Durchsetzung der IFC-Standards
in ihrer Unternehmensphilosophie nachhaltige Kriterien
eingeführt haben.

Selbstverständlich liegen verbindliche, transparente
und rechtlich durchsetzbare Kriterien auch im Interesse
der benachteiligten Völker, die keine Chance hätten,
eine faire Entschädigung zu erhalten, wenn sie sich nicht
durch internationales Recht geschützt wüssten.

Nicht erwähnt haben Sie, dass vor kurzem
219 Nichtregierungsorganisationen einen Brief geschrie-
ben haben, in dem sie darauf hingewiesen haben, dass
dieser zweite Entwurf schlecht ist.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Daher gibt es ja einen dritten!)


Diese Nichtregierungsorganisationen haben in tiefer
Sorge auf den Weg der Weltbank reagiert, weil sie be-
fürchten, dass da einiges aus dem Ruder läuft, zum Bei-
spiel was die Zwangsumsiedlung, den Schutz der indige-
nen Völker und die Biodiversität angeht. Was jetzt
kommen wird, bedeutet einen Rückschritt.

Hier wird auf den dritten Entwurf verwiesen. Norma-
lerweise ist es so, dass ein Entwurf erst drei Wochen vor
ohne Controlling und ohne klare Standards in die Länder
zu gehen, etwas zulassen, was den Entwicklungsinteres-
sen dieser Länder widerspricht. Das ist die Mahnung, die
hinter diesem Antrag steht. Eigentlich – dieser Auffas-
sung bin ich – können Sie gar nicht anders, als diesem
Antrag zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1601421300

Frau Kollegin Koczy, für Sie war es ebenfalls die

erste Rede in diesem Haus. Auch Ihnen gilt unser Glück-
wunsch, verbunden mit den besten Wünschen für die
weitere Arbeit.


(Beifall)


Ich schließe nun die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf Drucksache 16/466 zu dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Für starke soziale und ökologische Standards in der In-
ternationalen Finanz-Corporation (IFC) der Weltbank“.
Dazu liegt eine Erklärung zur Abstimmung des Kollegen
Alexander Ulrich vor, die zu Protokoll gegeben wird.1)

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
16/374 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist
die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung al-
ler anderen Fraktionen des Hauses angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 8. Februar 2006, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.