Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, ich begrüße Sie alle herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mit-
teilungen zu machen:
Als Nachfolger für den Kollegen Gerhard Schröder
begrüße ich herzlich den Kollegen Clemens Bollen, der
am 29. November die Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag erworben hat.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte: Berichte über angebliche Gefangenen-
transporte sowie die Verbringung deutscher und anderer
Staatsangehöriger durch US-Stellen und das Verhalten
von Bundesdienststellen in diesem Zusammenhang
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Link,
Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Den EU-Haushalt auf höchstens
1 Prozent des Bruttonationaleinkommens begrenzen und
die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 schnellstmöglich
beschließen
– Drucksache 16/224 –
Redet
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereini-
gung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums der Justiz
– Drucksache 16/47 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Stinner, Daniel Bahr , Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eigenverant-
wortung von Bosnien und Herzegowina stärken – Ver-
fasssungsprozess unterstützen und „Bonn Powers“
des Hohen Repräsentanten abschaffen
– Drucksache 16/228 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norman
Paech, Paul Schäfer , Monika Knoche, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigung
der Operation Althea und Einrichtung einer interna-
tionalen nicht militärischen Polizeimission in Bosnien
und Herzegowina
– Drucksache 16/217 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 1 zu Petitionen
– Drucksache 16/229 –
ext
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 2 zu Petitionen
– Drucksache 16/230 –
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 3 zu Petitionen
– Drucksache 16/231 –
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 4 zu Petitionen
– Drucksache 16/232 –
ng der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
es
elübersicht 5 zu Petitionen
cksache 16/233 –
e) Beratu
schuss
Samm
– Dru
414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-
tung der Bundesregierung zur Berufung von Bundeskanz-
ler a. D. Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden
des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Weichenstellung für eine Verbesse-
rung der Beschäftigungschancen Älterer
– Drucksache 16/241 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversor-
gung
– Drucksache 16/194 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Die duale Berufsausbildung in Deutsch-
land kontinuierlich verbessern
– Drucksache 16/235 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Berufs-
ausbildung umfassend sichern
– Drucksache 16/198 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN: Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung
– Drucksache 16/197 –
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-
Sönksen, Florian Toncar, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechte in Us-
bekistan einfordern
– Drucksache 16/225 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Für die mandatsgebun-
dene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen
durch Menschenrechtsbeobachter
– Drucksache 16/226 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
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Wir werden die angekündigten Beratungen ganz sicher
ufnehmen. Aber die Empfehlung des SPD-Fraktions-
orsitzenden, sicherzustellen, dass möglichst viele an
iesen Beratungen teilnehmen können, hat eine gewisse
lausibilität.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 415
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Die Zeit, die ich nun dem Bundesaußenminister ein-
räume, um sich auf die bevorstehende Regierungserklä-
rung vorzubereiten, möchte ich dazu nutzen, der Kolle-
gin Renate Künast zu ihrem heutigen runden Geburtstag
zu gratulieren.
– Der Tag beginnt mit einem überfraktionellen Beifall.
Wir wollen einmal sehen, wie lange er sich aufrechter-
halten lässt.
Wir kommen nun zum aufgerufenen Tagesordnungs-
punkt zurück. Nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regie-
rungserklärung 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter
Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Ich
wurde von Mitgliedern des Parlaments etwas aufgehal-
ten.
Meine Damen und Herren! Heute Nachmittag beginnt
in Brüssel der Europäische Rat. Ich kann und darf Ihnen
nicht verheimlichen, dass er in eine durchaus schwierige
Zeit fällt. Ich habe in meinen öffentlichen Reden in der
letzten Zeit auch nicht verheimlicht, dass ich davon aus-
gehe, dass sich Europa nach den Referenden in Frank-
reich und in den Niederlanden in einer Krise befindet.
Daran gibt es aus meiner Sicht auch nichts zu beschöni-
gen. Der Verfassungsvertrag wurde nicht aufgegeben,
aber er ist im Augenblick storniert. Wir wollen und wer-
den an ihm festhalten.
Ich sage bei diesem Thema aber auch immer: Wir
müssen hier sehr realistisch sein. Nach den Diskussio-
nen, die wir in den europäischen Hauptstädten führen,
sieht es im Augenblick nicht so aus, als ob wir kurzfris-
tig in die Lage versetzt werden, den Menschen über die
Fortsetzung der Ratifizierungsverfahren in den anderen
Ländern zu zeigen, dass wir in Europa Handlungsfähig-
keit zurückgewinnen, wenngleich einige Länder die Ver-
fahren fortführen.
Die andere Frage, der die britische Ratspräsident-
schaft in Hampton Court vor kurzem nachgegangen ist,
lautet: Was kann das große gemeinsame europäische
Projekt sein, wenn wir über den Verfassungsvertrag
kurzfristig nicht zu einem Dokument für die Wiederge-
winnung von mehr Handlungsfähigkeit in Europa kom-
men? Darüber wurde in Hampton Court und wird an
anderer Stelle in Europa diskutiert. Ich sage dazu im-
mer Folgendes: Ich finde die Suche nach dem großen,
neuen gemeinsamen europäischen Projekt richtig. Sie
muss stattfinden. Noch wichtiger ist aber, dass Europa
an einer Stelle Erfolg hat. Diesen Erfolg kann sich Eu-
ropa in den verbleibenden Tagen dieser Woche mit ei-
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Die neuen Mitglieder der EU haben sich verpflichtet,
en Acquis communautaire umzusetzen. Sie sind bereit,
hren Beitrag zum Haushalt zu leisten. Sie haben deshalb
uch jedes Recht, an den Programmen der Union fair
nd solidarisch zu partizipieren. Nur so können sie auch
irklich in die Europäische Union hineinwachsen und
ieser Union Wachstumsimpulse verleihen, von denen
ir, die alten Mitgliedstaaten, zuvörderst profitieren
erden.
416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
Deshalb sage ich: Die Bundesregierung ist der Auffas-
sung, die Integrationskraft des europäischen Gedankens
hängt jetzt vornehmlich von der Kompromissfähigkeit
aller Mitgliedstaaten ab. Diese Kompromissfähigkeit ist
in guter Tradition des europäischen Gedankens gefordert.
Eitelkeiten – in Einzelheiten wollen wir nicht gehen –
dürfen nicht den Blick auf das verstellen, was für uns alle
in der Europäischen Union wesentlich ist. Je später eine
Einigung über die Finanzen erfolgt, desto schwieriger
wird sie. Ein Abschluss 2006 – um nicht an Schlimmeres
zu denken – würde jedenfalls ungleich komplizierter sein
als eine Einigung morgen oder spätestens übermorgen.
Wenn ich das so sage, dann werden Sie mit Recht fra-
gen: Wo stehen wir in den augenblicklichen Vorverhand-
lungen? Sie wissen, dass die britische Ratspräsident-
schaft den Mitgliedstaaten in der vergangenen Woche
einen Vorschlag gemacht hat. Sie hat diesen Vorschlag
gestern noch einmal nachgebessert. Wir gehen davon
aus, dass das letzte Wort über diesen Vorschlag noch
nicht gesprochen ist. Der neueste Vorschlag wird heute
Nachmittag in Brüssel diskutiert. Dann gehe ich davon
aus, dass in den Stunden, Tagen und Nächten danach
härtere Auseinandersetzungen auf uns zukommen, und
zwar auch deshalb, weil jeder Mitgliedstaat Rücksicht
auf seine innenpolitische Situation zu nehmen hat. Mit
Blick darauf wissen wir alle, dass die Situation für die
allermeisten Mitgliedstaaten seit dem Versuch im Som-
mer, Verständigung über den Luxemburger Vorschlag zu
erreichen, nicht einfacher geworden ist.
Für die deutsche Regierung heißt das zentrale Prinzip
Fairness. Die Erweiterung war und ist im Interesse aller
Mitgliedstaaten. Daher treten wir für eine solidarische
Finanzierung der Erweiterung ein. Das bedeutet konkret,
ohne dass ich jetzt den Blick auf einzelne Länder richten
will: Jedes Land muss seinen Anteil leisten. Damit
meine ich: nicht mehr und nicht weniger.
Wir haben uns – das haben Sie in den letzten Tagen in
öffentlichen Stellungnahmen dieser Regierung häufig
gehört – nicht daran beteiligt, den britischen Vorschlag
in Bausch und Bogen zu verdammen. Wir haben immer
gesagt, dieser britische Vorschlag ist eine Arbeitsgrund-
lage. Wir hoffen, dass aufgrund der erneuerten Verhand-
lungsbox, die die Briten gestern vorgestellt haben, eine
Verständigung möglich ist. Die deutsche Regierung je-
denfalls wird sich daran konstruktiv beteiligen.
Wir haben in den letzten drei Wochen versucht, in den
Gesprächen mit den Mitgliedstaaten die Kompromissbe-
reitschaft zu fördern, ohne dabei unsere Ziele aufzuge-
ben. Die Bundeskanzlerin und ich haben in den einschlä-
gigen Gremien darauf hingewiesen, dass uns die
Strukturförderung in den neuen Bundesländern in
besonderem Maße am Herzen liegt, dass die Landwirt-
schaftsförderung angemessen ausgestaltet sein muss und
dass vor allen Dingen unsere Belastungsgrenze als größ-
ter Nettozahler innerhalb der EU anerkannt werden
muss. Ich jedenfalls sehe, dass dies in den Luxemburger
und britischen Vorschlägen der Ratspräsidentschaft be-
rücksichtigt worden ist.
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Alles in allem und zur Abrundung dieses Komplexes:
ch will nicht mit Blick auf die finanzielle Vorausschau
nd die bevorstehenden Gespräche übertriebenen Opti-
ismus verbreiten. Das wäre nicht gerechtfertigt. Ich
ahre aber mit einer gewissen Zuversicht nach Brüssel,
ass alle das allergrößte Interesse daran haben, Verstän-
igung zu suchen, und auch Kompromissbereitschaft
itbringen. Ich jedenfalls hoffe auf ein großes Maß eu-
opäischer Vernunft in den nächsten Tagen.
Ein Thema jenseits der finanziellen Vorausschau, das
ns in den letzten Tagen auf den Außenministerräten er-
eblich beschäftigt hat, ist die Beitrittsperspektive für
ie Staaten des westlichen Balkans. Ich will das an die-
er Stelle nicht weiter ausführen. Es ist kein einfaches
hema, sondern eines, zu dem es innerhalb der Europäi-
chen Union weiß Gott keine in jeder Hinsicht überein-
timmende Meinung gibt. Es gibt aber eine Perspektive:
ir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass Ahtisaari
it der Klärung der Statusbestimmung für den Kosovo
n den nächsten zwölf Monaten Erfolg hat. Dieser Erfolg
etzt Rahmenbedingungen. Diese bestehen darin, dass
ir die Annäherung der Staaten des Westbalkans an die
uropäische Union erhalten müssen. Das konzentriert
ich auf dem bevorstehenden europäischen Gipfeltreffen
uf die eine Frage, ob wir Mazedonien den Beitrittskan-
idatenstatus gewähren werden. Darüber ist in den letz-
en zwei oder drei Wochen diskutiert und zum Teil auch
estritten worden. Es scheint sich anzudeuten, dass die
rage des Beitrittskandidatenstatus mit einigen – insge-
amt vier – Staaten, die allergrößte Skepsis hatten, dann
u lösen sein wird, wenn wir sie mit einer Diskussion
ber die Grenzen der Europäischen Union verbinden, die
ber ohnehin ab dem nächsten Jahr zwischen den Mit-
liedstaaten geführt werden wird. Insofern gehe ich da-
on aus, dass sich der Europäische Rat für den Beitritts-
andidatenstatus Mazedoniens aussprechen wird.
Die Kommission wird des Weiteren – das ist das dritte
hema – auf dem Europäischen Rat ihren Bericht zur
igration vorstellen. Sie wissen oder ahnen – das war
uch Thema auf dem Euro-Med-Gipfel –, dass die Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 417
)
)
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
deutung dieses Themas für unseren Kontinent gar nicht
überschätzt werden kann. Sie haben sicherlich noch die
dramatischen Ereignisse in den spanischen Enklaven
Ceuta und Melilla vor Augen. Der Bericht der Kommis-
sion beruht auf einem politikübergreifenden Ansatz und
stellt insofern einen wichtigen Schritt für die gemein-
same Migrationspolitik dar, als er auch Rücksicht auf
alle Weltregionen – insbesondere die Nachbarschaftsre-
gionen im nördlichen Afrika – nimmt. Deshalb begrüßen
wir diesen Bericht ausdrücklich.
Letztlich – das sollen meine Schlussworte sein – wird
sich der Europäische Rat auf unsere Anregung hin mit
den jüngsten Äußerungen des iranischen Staatspräsi-
denten Ahmadinedschad zu Israel befassen. Die Bun-
desregierung und der Deutsche Bundestag haben diese
Aussagen – insbesondere die Leugnung des Holocaust
und des Existenzrechts Israels – mit Bestürzung zur
Kenntnis genommen. Wir verurteilen sie aufs Schärfste.
Derart inakzeptable Ausführungen zum Nahostkon-
flikt zeigen, mit wie viel Verantwortungslosigkeit und
Zynismus die Situation Israels und des Nahen Ostens
von der iranischen Regierung gegenwärtig beurteilt
wird. Ich habe bereits gestern öffentlich gesagt: Das er-
schwert natürlich auch die weiteren Verhandlungen über
das iranische Nuklearprogramm. Ich wiederhole an die-
ser Stelle: Die Regierung in Teheran muss begreifen,
dass die Geduld der internationalen Staatengemeinschaft
nicht endlos ist.
Ich komme auf meinen Anfangssatz zurück. Der
heute beginnende Europäische Rat ist ein wichtiger Gip-
fel in einer schwierigen Zeit. Die Bundeskanzlerin und
ich werden später nach Brüssel reisen, um dort deutsche
Interessen entschlossen zu vertreten, gleichzeitig aber al-
les dazu beizutragen, dass der Rat ein Erfolg für uns und
Europa wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister reisen zu
ihrem ersten großen Europäischen Rat in einer krisen-
haften Situation der Europäischen Union. Wesentliche
Entscheidungen, die Auswirkungen auf eine ganze
Reihe von europäischen Räten haben, werden zu treffen
sein. Wir als liberale Opposition wünschen ihnen viel
Erfolg bei dem nun beginnenden Europäischen Rat in
Brüssel,
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas
chockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
en! Lassen Sie mich an die abschließende Bemerkung
on Herrn Minister Steinmeier anknüpfen. Die CDU/
SU-Bundestagsfraktion begrüßt die scharfe und eindeu-
ige Reaktion der Bundesregierung auf die jüngsten Äu-
erungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zu
srael. Wir erwarten eine ebenso entschiedene Stellung-
ahme des Europäischen Rates.
er das Existenzrecht Israels in Frage stellt und den
olocaust leugnet – und das zum wiederholten Mal –,
arf von der internationalen Gemeinschaft nicht toleriert
erden. Wer den Versuch unternimmt, die Stabilisie-
ungsbemühungen im Nahen Osten zu torpedieren,
er muss aber auch auf den entschiedenen Widerspruch
er Staaten der Region treffen. Deshalb bedauern wir,
ass weder die Arabische Liga noch die Nachbarstaaten
n der Region bis heute ihrer Verantwortung nachgekom-
en sind, im Sinne der Friedensbemühungen im größe-
en Nahen Osten die Äußerungen des iranischen Präsi-
enten zurückzuweisen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 419
)
)
Dr. Andreas Schockenhoff
Der Außenminister hat die deutsche Position zur
finanziellen Vorausschau ausführlich dargelegt. Ich
möchte für meine Fraktion dazu deshalb nur drei grund-
sätzliche, kurze Anmerkungen machen:
Erstens. Jedes Mitgliedsland muss einen gerechten
Anteil an der Finanzierung der EU übernehmen.
Deutschland ist bereit, seinen Teil zu einem vernünftigen
Kompromiss beizutragen, im Sinne der Solidarität mit
den Partnerländern. Das heißt aber auch, dass das Wohl-
standsniveau und das Ausmaß der finanziellen Belastun-
gen in einer Relation stehen müssen, die von den Bür-
gern als fair empfunden wird.
Zweitens. Besonders mit Blick auf die neuen Mit-
gliedstaaten gilt: Die Lösung der Finanzfrage darf nicht
auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder ausgetra-
gen werden. Diesem Grundsatz hat der inzwischen zu-
rückgezogene britische Vorschlag in keiner Weise ent-
sprochen. Wir haben die Überwindung der Teilung
Europas mit der Erweiterung um die ostmitteleuropäi-
schen Staaten vor 18 Monaten doch nicht gefeiert, um
jetzt neue Trennlinien zu ziehen.
Drittens. Angesichts der mehr als schwierigen
Finanzlage Deutschlands wäre es nicht hinnehmbar,
wenn von uns eine im Vergleich zum Vorschlag der
luxemburgischen Präsidentschaft höhere Belastung ver-
langt werden sollte, sei es durch ein höheres Ausgaben-
volumen oder durch eine niedrigere Korrektur. Kein
EU-Mitgliedstaat weist eine so hohe Differenz auf zwi-
schen dem Wohlstandsniveau einerseits – unter den
25 EU-Mitgliedern steht unser Land an elfter Stelle –
und der Pro-Kopf-Nettobelastung andererseits, bei der
Deutschland an dritter Stelle steht. Wir werden in unse-
rer Bevölkerung nicht die notwendige Akzeptanz für die
Europäische Union finden, wenn diese Schere weiter
auseinander geht, anstatt sich zu schließen.
Das Gipfeltreffen am Ende einer EU-Präsidentschaft
bietet immer auch den Anlass, eine kritische Bilanz zu
ziehen. Wir hoffen sehr, dass Premierminister Blair alles
tut, damit die Finanzverhandlungen heute und morgen
zu einem erfolgreichen Abschluss kommen und damit
noch ein versöhnliches Ende der britischen Präsident-
schaft möglich wird.
Bislang wurden die hohen Erwartungen, die Tony
Blair selbst geweckt hat, nicht erfüllt. Seine Rede im
Juni vor dem Europäischen Parlament hinterließ den
Eindruck: Hier geht einer, der sich selbst als „begeister-
ten Europäer“ bezeichnet, mit frischem Elan an die
Überwindung der Krise der Europäischen Union, in der
sie sich spätestens seit den gescheiterten Referenden in
Frankreich und in den Niederlanden befindet. Er hat
viele wichtige und auch richtige Fragen aufgeworfen,
wie die EU im Zeitalter der Globalisierung handlungs-
und konkurrenzfähig bleiben könnte. Es war sogar von
einer Offensive Blairs für eine Modernisierung der Euro-
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Herr Minister Steinmeier, Sie haben Recht: Wir dür-
en über diesen grundsätzlichen Fragen die Lösung der
agesfragen nicht vergessen. Die Lösung der Tagesfra-
en ist die Voraussetzung dafür, dass wir handlungsfähig
leiben. Wir müssen diese grundsätzlichen Fragen ange-
en, weil wir sonst die Vertrauenskrise in der Europäi-
chen Union und alles, was daraus folgt, nicht überwin-
en können.
Tony Blair hat das alles vor dem Europäischen Parla-
ent richtig dargestellt. Der Gipfel von Hampton
ourt war vielleicht eine interessante Seminarveranstal-
ung. Doch die Initialzündung für eine breite Diskussion
ber die Frage: „Was kann und soll die EU leisten und
as kann sie nicht leisten?“ war er nicht. Wir hoffen
ehr, dass es in den Verhandlungen heute und morgen
och zu einem erfolgreichen Abschluss in der Finanz-
rage kommt und dass sich Großbritannien solidarisch,
as heißt stärker und vor allem dauerhaft, an der Finan-
ierung der Erweiterung beteiligt.
Wir erkennen sehr wohl an, dass Großbritannien sei-
en Arbeitsmarkt für Polen, Slowaken und andere Bür-
er aus den neuen Mitgliedstaaten geöffnet hat und vie-
en Tausenden Ostmitteleuropäern erlaubt, dort zu
rbeiten und Geld nach Hause zu schicken. Das hat bis-
er keine andere europäische Volkswirtschaft in ver-
leichbarem Umfang getan. Wir erkennen auch an, dass
remierminister Blair bereit ist, den britischen Bei-
ragsrabatt zu kürzen, obwohl ihm von vielen in Groß-
ritannien Verrat an britischen Interessen vorgeworfen
ird. Aber wir müssen feststellen, dass das, was die bri-
ische Präsidentschaft bisher vorgelegt hat, der Solidari-
ät mit den schwächeren Mitgliedstaaten nicht ausrei-
hend Rechnung trägt. Zu dieser Solidarität gehört auch,
ass eine Regelung für die Senkung des britischen
420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Andreas Schockenhoff
Beitragsrabatts über das Jahr 2013 hinaus gültig bleiben
muss.
Wenn die Finanzverhandlungen daran scheitern soll-
ten, dann könnte am Ende der Eindruck haften bleiben,
dass hier ein Land seine Präsidentschaft genutzt hat, um
sich finanzielle Vorteile zu erhalten – und dies ausge-
rechnet auf Kosten der Schwächsten. Ein solches Ergeb-
nis liegt nicht im europäischen Interesse, weil es die
Krise der Europäischen Union verschärfen würde. Es
kann auch nicht im britischen Interesse liegen. Deshalb
zählen wir sehr darauf, dass der britische Premierminis-
ter alles unternehmen wird, seine EU-Präsidentschaft er-
folgreich abzuschließen.
Es ist dringend erforderlich, die Frage der künftigen
Finanzierung der Europäischen Union endlich vom
Tisch zu bekommen, damit sich die EU auf die Überwin-
dung ihrer Krise konzentrieren kann. Wenn wir bei den
Bürgern mehr Akzeptanz für die Europäische Union
schaffen wollen, dann müssen wir ihnen das Gefühl ver-
mitteln, dass die EU fähig ist, die dringenden Probleme
zu lösen, beispielsweise zur Bewältigung der Globalisie-
rung deutlich mehr wirtschaftliche Stärke und Moderni-
tät zu entwickeln und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
Was mit der Lissabonner Strategie entwickelt wurde,
ist nach wie vor richtig: flexible Arbeitsmärkte, die wei-
tere Öffnung des Binnenmarkts, die stärkere Förderung
von Forschung, eine stete Verbesserung von beruflichen
Qualifikationen. Wenn wir dem Wettbewerb standhalten
wollen, den andere Regionen der Welt entfalten, dann
gibt es dazu keine Alternative. Aber dann dürfen der
Kok-Bericht und andere Gutachten nicht länger in den
Schubladen begraben bleiben,
sondern dann müssen die Europäische Union und ihre
Mitgliedstaaten die Lissabonner Strategie endlich umset-
zen. Lieber Herr Kollege Hoyer, was die Koalition in ih-
rem Koalitionsvertrag vorgelegt hat, ist der ernsthafte
Versuch, bei dieser Umsetzung ein gutes Stück weiterzu-
kommen.
Zu der breiten Diskussion über die Zukunft der Euro-
päischen Union gehört natürlich auch die Frage nach der
Aufnahmefähigkeit der EU. Wenn es keine Rückent-
wicklung der EU zu einer gehobenen Freihandelszone
geben soll, sondern wenn, wie es die Außenminister am
3. Oktober beschlossen haben, Zusammenhalt, Wirk-
samkeit und Handlungsfähigkeit der EU verbessert wer-
den sollen und der Integrationsprozess vertieft werden
soll, dann müssen wir unter österreichischer Präsident-
schaft im nächsten Halbjahr eine grundsätzliche Debatte
darüber führen, wie dies erreicht werden kann. Wir alle
wissen, wie schwer es in den nächsten 18 Monaten bis
nach den französischen Wahlen werden wird, wichtige
Grundsatzentscheidungen zu treffen. Doch diese Zeit
kann und sollte dazu genutzt werden, über die verschie-
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Das ähnelt sehr stark dem Umgang mit dem Mittelstand,
der stets sonntags gepriesen wird, während werktags die
Großbanken und Konzerne gegenüber Klein- und Mittel-
unternehmen steuerlich privilegiert und von Regulierun-
gen weithin freigestellt werden.
Dann wollen Sie noch, dass die Ermäßigung der Mehr-
wertsteuer für unsere Kleinunternehmer in der EU nicht
verlängert wird. Das, meine Damen und Herren, ist nun
wirklich mittelstandsfeindlich.
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das ist die globale Freiheit der Großbanken von demo-
kratischen Grundregeln. Das ist der Freiheitsbegriff des
Urvaters der Neoliberalen, von Hayek, der es in seinen
„Grundsätzen einer liberalen Gesellschaft“ so formu-
lierte:
Politische Freiheit im Sinne von Demokratie, „in-
nere“ Freiheit, Freiheit im Sinne des Fehlens von
Hindernissen für die Verwirklichung unserer Wün-
sche oder gar „Freiheit von“ Furcht und Mangel ha-
ben wenig mit individueller Freiheit zu tun und ste-
hen im Konflikt mit ihr.
Dieser neoliberale Freiheitsbegriff steht im Gegensatz
zu unserem Grundgesetz. Deswegen wurde die EU-Ver-
fassung abgelehnt. Deswegen werden wir Anfang des
nächsten Jahres gegen Bolkestein in Straßburg demons-
trieren. Deswegen bleiben wir Linken da schon lieber
beim Original, bei Willy Brandt: Wir wollen mehr De-
mokratie wagen!
Herr Kollege Dehm, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag,
zu der ich herzlich gratuliere, verbunden mit allen guten
Wünschen für Ihre weitere parlamentarische Arbeit.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rainder
Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Außenminister, das war ja im
Grunde die erste Regierungserklärung dieser neuen gro-
ßen Koalition zum Thema Europa. Die Europäische
Union – Sie selber haben das angesprochen – ist in einer
tiefen Krise. Ich hätte mir in dieser Situation gewünscht,
dass die Bundesregierung mit ein bisschen mehr Feuer,
mit ein bisschen mehr visionärer Kraft für dieses Eu-
ropa, so wie es sich der Deutsche Bundestag immer mit
großer Geschlossenheit gewünscht hat, eingetreten wäre.
Denn, verehrte Frau Merkel und Herr Steinmeier, gerade
Sie in der neuen Bundesregierung, die sich in diesem
Parlament auf eine große Mehrheit stützen kann, haben
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etzt hat die Bundesregierung in den Verhandlungen
lötzlich eine Position eingenommen, die das generelle
otum des Deutschen Bundestages nicht beachtet hat.
Das ist nicht das Europa, das die Menschen wollen.
ie wollen ein Europa, das ihre Rechte und ihre Zukunft
ichert. Sie wollen nicht weniger, sondern mehr Gesund-
eitsschutz, nicht weniger, sondern mehr Datenschutz.
as ist das Europa, das wir wollen.
Wir müssen auch das sensibel wahrnehmen, was sich
n Frankreich und in anderen Ländern und auch in
eutschland abspielt. Meine Einschätzung ist nicht, dass
ie Menschen weniger Europa wollen. Die Sensibilität
n der Bevölkerung ist durchaus groß. Sie wollen nur
icht das Europa, das ihnen zum Teil vermittelt wird;
enn dieses Europa schützt nicht ihre Lebensinteressen
nd ihre Zukunftsinteressen, sondern handelt an diesen
nteressen vorbei.
Deshalb glaube ich auch nicht, dass es in Zukunft nur
arum geht, eine bessere Kommunikation zu erreichen,
eue Werbebroschüren über Europa zu verteilen und
eue PR-Kampagnen zu machen. Wir müssen vielmehr
nhaltlich auf dieses Europa Einfluss nehmen. Wir müs-
en eine Vision von der Zukunft Europas haben und
rauchen keine neuen Hochglanzbroschüren.
Ein zentraler Teil dieses Europas ist natürlich die
inanzielle Vorausschau. Mit dem Haushalt der Euro-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 423
)
)
Rainder Steenblock
päischen Union werden zentrale Weichen gestellt. Las-
sen Sie mich in diesem Zusammenhang einen zentralen
Punkt nennen. Wie wir Europa kaputtreden können, Herr
Schockenhoff, das haben Sie gerade wieder in Ihrer
Rede bezüglich der Finanzfrage deutlich gemacht.
Wenn wir die europäische Finanzpolitik nur als Nettosal-
denpolitik der nationalen Interessen darstellen, dann
werden wir an der Verantwortung, die wir für Europa
tragen, scheitern.
– Nein. Er hat wieder die Rechnung aufgemacht, wie
viel wir einbezahlen und wie viel wir aus dem Haushalt
zurückbekommen.
Herr Hoyer hat den europäischen Mehrwert angespro-
chen. Ich bezeichne es als Integrationsdividende. Un-
sere deutsche Volkswirtschaft, die deutschen Arbeits-
plätze leben zentral vom europäischen Binnenmarkt.
Das kann man mit dieser Nettosaldenpolitik überhaupt
nicht fassen. Wir brauchen mehr Integration; denn dies
tut den Menschen gut.
Wir brauchen aber auch einen Haushalt, der die zen-
tralen Zukunftsherausforderungen berücksichtigt. Inno-
vation, Bildung und Forschung, das sind die Schwer-
punkte eines zukünftigen Europas, mit denen man auch
in einer globalisierten Welt bestehen und Maßstäbe set-
zen kann.
Es ist schon skurril bis erschreckend, was der briti-
sche Premierminister in seiner Präsidentschaft veran-
staltet hat: seine Reden auf der einen Seite und die Pra-
xis auf der anderen Seite. Er gibt uns erst unsere Ziele
vor und kürzt dann die Mittel für den europäischen
Haushalt. Diese Widersprüchlichkeit ist es, die die Men-
schen überdrüssig macht, wenn es um die europäische
Frage geht.
Wir brauchen Innovationskraft, wir brauchen aber
auch Solidarität. Wer versucht, gerade bei der Solidari-
tät mit unseren neuen Beitrittsländern die Sparbüchse
aufzumachen, der wird die Integrationskraft, die Europa
in Richtung Spanien und Irland positiv entwickelt hat, in
Richtung Osten schwächen und damit viele unserer Ver-
sprechungen verletzen. Deshalb bin ich sehr dafür – das
sage ich für die Fraktion der Grünen –, dass wir die soli-
darische Verpflichtung, die wir mit der Osterweiterung
übernommen haben, auch in materielle Verantwortung
umsetzen. Das muss sich im Haushalt widerspiegeln.
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Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
ngelica Schwall-Düren.
424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Eine von vielen. – Herr Präsident! Meine lieben Kol-
legen! Liebe Kolleginnen! Wir sind uns hier alle einig,
dass mit diesem Europäischen Rat ein schwieriges Jahr
für die Europäische Union zu Ende geht.
Ich habe den Eindruck, dass wir uns über alle Frak-
tionsgrenzen hinweg einig sind, dass das negative Er-
gebnis der Verfassungsreferenden und der gescheiterte
Gipfel in Luxemburg natürlich einen ganz gewichtigen
Anteil an dieser Krise haben. Aber, Herr Dehm, es lag
nicht am Inhalt der Verfassung, dass einige Referenden
negativ ausgegangen sind,
sondern es gab viele unterschiedliche Gründe für die Ab-
lehnung.
Unter anderem lag es daran, dass die Menschen die Aus-
wirkungen nationaler Politik abgelehnt haben, dass die
Bürger mit ihren Ängsten allein gelassen wurden und
dass sie es der EU nicht zutrauen, die anstehenden Pro-
bleme zu lösen.
Deswegen kommt es in der Tat, Herr Steenblock, da-
rauf an, dass ganz konkrete Schritte gemacht und Fragen
und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger von der Poli-
tik tatsächlich positiv aufgegriffen werden. Aber das
kann natürlich nicht heißen, dass man in Brüssel mit Ma-
ximalforderungen auftritt und letztlich vielleicht eine
Blockade herbeiführt, die überhaupt nichts voranbringt
oder löst.
Herr Dehm, die Skepsis der Bürgerinnen und Bür-
ger ist nicht von der Höhe des Budgets abhängig.
Das wäre völlig fehl gedacht. Vielmehr kommt es darauf
an, dass überhaupt ein Budget zustande kommt, damit
die Politik handlungsfähig ist.
Die Skepsis gegenüber den europäischen Institutio-
nen besteht nicht zu Recht. Die Blockade ist – so hat es
jüngst eine Journalistin beim Deutsch-Ungarischen Fo-
rum in Budapest formuliert – nicht von der Kommission
oder vom Europäischen Parlament verursacht worden,
stattdessen trägt jeder einzelne Regierungschef, der sich
im Europäischen Rat einem Konsens verweigert, die
Verantwortung dafür. Deswegen, Herr Dehm, muss ich
Ihren Vorwurf gegenüber Deutschland zurückweisen. In
Luxemburg hat Deutschland den dort vorgetragenen
Kompromiss mitgetragen, wie übrigens 21 andere Staa-
ten auch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Agenda des
bevorstehenden Europäischen Rates stehen wichtige
Themen, die weiterverfolgt werden müssen. Zu nennen
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Das zentrale Thema des Europäischen Rates ist die
rage, ob eine Lösung für die künftige Finanzierung der
uropäischen Union gefunden und eine Einigung über
ie finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 erzielt wer-
en kann. Nachdem die Finanzverhandlungen im Euro-
äischen Rat im Juni nicht zuletzt an Großbritannien ge-
cheitert waren, sah es lange Zeit so aus, als ob die
ritische Präsidentschaft keinen weiteren Einigungsver-
uch wagen oder zustande bringen würde. Deshalb ist es
u begrüßen, dass sich die britische Regierung nun doch
ntschieden hat, ihrer Verantwortung für die Gemein-
chaft gerecht zu werden und neue Kompromissvor-
chläge vorzulegen.
Grundlegende Pfeiler der Europäischen Union sind
as europäische Gesellschaftsmodell und die Solidarität
wischen den Mitgliedstaaten. Diese findet Ausdruck
n der Struktur- und Kohäsionspolitik der Gemeinschaft.
iel dieser Politik ist es, dass die wirtschaftlich schwä-
heren Regionen und Mitgliedstaaten an die stärkeren
erangeführt werden und so die Ungleichgewichte über-
unden werden können. Von dieser Politik haben die
itgliedstaaten und die Gemeinschaft profitiert. Irland
nd Spanien sind hierfür gute Beispiele. Aber auch die
stdeutschen Länder haben europäische Strukturförde-
ungen in großem Umfang erhalten. Es ist nur wenigen
ekannt – das muss an dieser Stelle gesagt werden und
at nichts mit Aufrechnungen zu tun –, dass Deutschland
ach Spanien im laufenden Finanzzeitraum, in absoluten
ahlen, der zweitgrößte Empfänger von Strukturmitteln
er EU ist.
Aber es ist richtig, Herr Steenblock: Wir sollten nicht
ergessen, dass wir jenseits der direkten Rückflüsse wirt-
chaftlich enorm von der Erweiterung profitieren; denn
rotz oder gerade wegen der erweiterten europäischen
rbeitsteilung und der damit teilweise verbundenen
tandortverlagerungen profitieren wir als Exportnation
on der steigenden Kaufkraft in unseren Nachbarländern.
ur wenn Arbeitnehmer in Polen anständige Löhne ver-
ienen, können sie sich deutsche Autos leisten.
Wir stehen gegenüber den neu beigetretenen Ländern
m Wort. Länder wie Tschechien und Estland haben nach
em Fall der Mauer einen Transformationsprozess
urchlaufen, der von den Bürgern große Anpassungsleis-
ungen erforderte. Deswegen erwarten unsere Nachbarn
un zu Recht unsere Solidarität. Solidarität bedeutet al-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 425
)
)
Dr. Angelica Schwall-Düren
lerdings nicht nur Solidarität bei den Ausgaben der Ge-
meinschaft, sondern auch bei ihrer Finanzierung. Solida-
rität auf der Einnahmenseite der Union bedeutet, dass
sich alle Mitgliedstaaten fair, das heißt nach ihrer Leis-
tungsfähigkeit, an der Finanzierung der Gemeinschaft
beteiligen. Hierbei sind Anpassungen erforderlich, da ur-
sprünglich ärmere Mitgliedstaaten – nicht zuletzt durch
die EU-Hilfen – wirtschaftlich aufgeholt haben, sogar in
die erste Reihe aufgerückt sind.
Diese Anpassungen sind insbesondere im Hinblick
auf die Kosten der Erweiterung relevant. Diese Erwei-
terung wurde gemeinsam von allen Mitgliedstaaten be-
schlossen. Nun muss sie auch gemeinsam finanziert wer-
den. Gerade Großbritannien hat sich immer für die
Erweiterung stark gemacht. Deshalb ist es nicht nachzu-
vollziehen, dass sich Großbritannien nicht wie alle ande-
ren an der Finanzierung der Erweiterung beteiligt, son-
dern seinen Rabatt sogar von den Ärmeren mitbezahlen
lässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute Vormittag
wissen wir noch nicht, ob es zu einer Einigung kommt.
Der schwierige Spagat einer wirklichen europäischen
Solidarität, auch gegenüber den neuen Mitgliedstaaten,
zwischen Ausgabenbegrenzung und einer gerechten
Lastenteilung bei der Finanzierung, ist noch nicht ge-
schafft. Dennoch will ich noch einmal unterstreichen,
dass sich Großbritannien erfreulicherweise bewegt hat
und bis 2013 auf einen kleinen Teil seines steigenden
Rabatts verzichten will. Den neuen Mitgliedstaaten wird
eine Kürzung der Strukturmittel zugemutet, allerdings
mit der Aussicht, dass die Inanspruchnahme der Mittel
erleichtert wird. Auf dieser Grundlage muss der Euro-
päische Rat nun ernsthaft verhandeln. Wir erwarten aber,
dass Großbritannien sich für Veränderungen noch stärker
öffnet und einem langfristigen, über das Jahr 2013 hi-
nausgehenden Abbau des Britenrabatts den Weg berei-
tet.
Die neuen Mitgliedstaaten werden die volle Solidari-
tät Deutschlands erfahren, wenn es darum geht, die
eventuell geringfügig reduzierten Mittel so optimal wie
möglich zu nutzen. Herr Steenblock, dass wir die Not-
wendigkeit sehen, den Weg der Reformen auch im Be-
reich der Agrarpolitik fortzusetzen, haben wir schon im
Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht. Lösungen
lassen sich in Europa nur gemeinsam finden. Deutsch-
land ist bereit, zusammen mit seinen Nachbarn und
Freunden nach Mitteln und Wegen zu suchen. Wir er-
warten deshalb ein Miteinander von größeren und klei-
neren Staaten, von Nettozahlern und Nettoempfängern.
Herr Hoyer, Deutschland wird mithelfen, dass dieser
Ausgleich zwischen Großen und Kleinen erfolgreich
vollzogen wird.
Ob nun Deutsche, Franzosen, Niederländer, Schweden
oder Slowaken, um nur einige beispielhaft zu nennen –
wir alle müssen zu einem Kompromiss beitragen.
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Am Ende haben ausgerechnet die ärmeren neuen
Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa sich zu Ein-
schnitten bereit erklärt. Das war für die Reichen be-
schämend – ermutigend allerdings auch: Denn es
zeigt, dass der Geist der Solidarität zwischen den
Mitgliedstaaten noch lebendig ist. … Unsere
Freunde aus den Beitrittsländern haben bewiesen,
dass sie ihrer europäischen Verantwortung vollauf
gerecht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Frieden, von
er Demokratie und der Solidarität in Europa profitieren
lle Mitgliedstaaten. Deswegen müssen sich alle bewe-
en. Niemand darf allein aus nationalen Interessen han-
eln. Ich bin sicher: Unsere Bundeskanzlerin Frau
r. Merkel und unser Außenminister Steinmeier werden
ich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, einen erfolgrei-
hen Abschluss zu erreichen.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Link, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
ls engagierter Neuer in diesem Haus gleich in seiner
rsten Rede zum Thema finanzielle Vorausschau spre-
hen darf, dann kann einem der Zauber, der angeblich je-
em Anfang innewohnt, rasch vergehen. Denn das, was
ns in Brüssel ab heute Abend bevorsteht – ein Kampf
it harten Bandagen –, hat mit Zauber wirklich wenig
u tun. Wir alle kennen schon jetzt die Bilder, die wir,
enn wir Samstag früh aufstehen, sehen werden: von
ngehaltenen Uhren, von letzten und allerletzten Kom-
romissen, von bleichen Gesichtern und bleichen Unter-
ändlern – wir hoffen, dass es diesmal nicht so schlimm
ird.
Später wird wieder die Rechnung aufgemacht, wer
enn nun Gewinner und wer Verlierer des Gipfels ist.
ann mag sich zwar der eine oder andere als Gewinner
ieses Schacherns fühlen. Aber oft, allzu oft ist es die
U als Ganzes, die durch dieses untransparente Ver-
ahren verliert.
426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Michael Link
Ein kleiner Rückblick: Noch 1999, als auf dem Köl-
ner Gipfel die letzte finanzielle Vorausschau vereinbart
wurde, waren sich alle einig, dass eine Einigung in die-
ser Form, im letzten Augenblick, sich nicht wiederholen
sollte. Damals dachte man: Auf dem nächsten Gipfel zur
finanziellen Vorausschau wird alles besser; denn bis da-
hin wird es die EU-Verfassung geben, bis dahin werden
wir geregelte Verfahren haben, dann brauchen wir diese
interinstitutionellen Vereinbarungen nicht mehr.
Doch die EU-Verfassung haben wir noch lange nicht,
geschweige denn eine effiziente Finanzverfassung. So
stehen wir heute mehr denn je vor den Fragen: Was ist
uns die EU wert? Wofür geben wir Geld aus? Und wer
bezahlt? Zwei Schlagworte bestimmen die Diskussion
über die jüngsten Vorschläge der Kommission in der bri-
tischen Ratspräsidentschaft: „Draufsatteln“ lautet der
Vorschlag der Kommission und der britische Vorschlag
wird als „Totsparen“ bezeichnet. Beide führen uns nicht
weiter. Entscheidend ist vielmehr, dass die vorhandenen
finanziellen Mittel in zukunftsträchtige Politikfelder um-
geschichtet werden. Deshalb fordern die Liberalen eine
Haushaltspolitik, die sich klar zu Wettbewerb, Freihan-
del und globaler Verantwortung bekennt.
Die EU hat sich mit den Jahren in einem Gespinst von
kaum mehr nachvollziehbaren, dafür aber umso teureren
Finanzkompromissen selbst gefangen. Gleichzeitig ver-
lieren wir mehr und mehr den Anschluss an die globali-
sierte Weltwirtschaft. Wir geben abenteuerliche Beträge
für Subventionen bestimmter Länder und Berufsgruppen
aus und vernachlässigen darüber sträflich Investitionen
in wirklichen europäischen Mehrwert: in Forschung, Bil-
dung, die transeuropäischen Netze und – ja, auch dies –
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die
ebenfalls zu kurz kommt.
Wenn es um die nächste finanzielle Vorausschau geht,
lautet daher die zentrale Forderung der FDP: mehr In-
vestitionen in die Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Wie aber will man Sicherheit bewerten? Wie viel darf
Frieden kosten? Welchen Haushaltsansatz sollten wir für
den gewaltfreien Export von Menschenrechten und
Marktwirtschaft veranschlagen? All diese Zahlen kön-
nen wir nicht beziffern. Deshalb geht die Frage, die die
heutige Diskussion beherrscht – bist du Nettozahler oder
Nettoempfänger? –, am Thema vorbei; hier gebe ich
Herrn Steenblock völlig Recht. Die FDP erteilt dieser
Sichtweise, die nur auf die Nettosalden schielt, aber die
viel wichtigere Frage, wofür das vorhandene Geld aus-
gegeben wird, vergisst, eine klare Absage.
Wir wollen mehr Investitionen in Europas Wettbewerbs-
fähigkeit. Wir bezweifeln, dass die beiden größten Aus-
gabeposten des Haushalts – Agrar- und Kohäsionspolitik –
so, wie sie heute sind, die richtigen Anreize setzen. So-
lange das so ist, dürfen wir den EU-Haushalt nicht ein-
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Zu den Vorschlägen der britischen Ratspräsident-
schaft aus der vergangenen Woche und in leicht verän-
derter Form von gestern Mittag ist in den vergangenen
Tagen sehr viel Kritisches gesagt worden. Die Kritik war
zum Teil sehr heftig, zum Teil war sie mit Blick auf den
Verhandlungsausgang des Europäischen Rates taktisch
motiviert.
Viele dieser Kritikpunkte sind allerdings berechtigt.
Bedauerlicherweise hätte dieser Vorschlag, so wie er uns
heute vorliegt, fatale Auswirkungen. Man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass Großbritannien durch
diesen Vorschlag sein Privileg, nämlich den Beitragsra-
batt, schont und somit den Konsolidierungsbedarf über-
stark auf die neuen Mitgliedsländer, also auf die ärmsten
Länder in der Europäischen Union, verlagert. Dass dies
nicht einfach akzeptiert werden kann, auch von uns
nicht, liegt auf der Hand.
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Großbritannien muss sich allerdings, wie ich denke,
och in zwei Punkten bewegen – Ansätze sind beim
euen Vorschlag von gestern Mittag schon zu erkennen –:
um einen muss die Reduzierung des britischen Bei-
ragsrabatts dauerhaft sein, also über das Jahr 2013 hi-
aus reichen, zum anderen muss die Reduktion noch et-
as stärker sein. Dann, denke ich, ist eine Einigung
öglich.
Zum Dritten. Die drastische Reduzierung der Struk-
urfondsmittel um etwa 14 Milliarden Euro, vorge-
chlagen von der britischen Ratspräsidentschaft, ist von
en neuen Mitgliedstaaten zu Recht kritisiert worden.
chaut man aber genau in den Vorschlag hinein, so fin-
et man dort aber einige sehr vernünftige und richtige
nsätze, die, wenn sie ausgebaut werden, nach meiner
berzeugung zu einer Einigung führen könnten. So wird
um Beispiel vorgeschlagen, den europäischen Kofinan-
ierungsanteil für die Strukturfondsmittel von bisher
5 Prozent auf 85 Prozent zu erhöhen und den neuen
itgliedsländern nach Bewilligung der Mittel drei Jahre
eit zu geben, die Mittel auszugeben und Projekte um-
usetzen. Ich glaube, das ist ein richtiger Ansatz, und
war in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wären die
428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Michael Stübgen
neuen Mitgliedsländer damit in der Lage, die notwendi-
gen Modernisierungen im Infrastrukturbereich wie auch
in anderen Bereichen schneller durchzuführen. Zum an-
deren würden wir mit solch einem Beschluss mit einer
lang gepflegten Praxis in der Europäischen Union auf-
räumen, dass nämlich gerade bei den Haushaltsansätzen
im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung große
Scheindebatten geführt werden. Meist geschieht dies zur
stillen Freude der Finanzminister der Nettozahlerländer;
denn es war bisher immer so, dass die Ansätze der Spit-
zenzahlen in diesen Haushalten weit höher waren als
das, was jemals real ausgegeben worden ist, sodass jeder
Finanzminister eines Nettozahlerlandes in stiller Freude
immer damit rechnen konnte, dass er den Betrag, der ur-
sprünglich angesetzt worden ist, niemals ausgeben
musste. Es ist auch ein Beitrag zu mehr Transparenz und
Verständlichkeit der Europäischen Union, wenn wir
dazu kommen, dass die Beträge, die im Haushalt stehen,
dann auch real ausgegeben werden. Ich glaube, auch das
wäre sinnvoll.
Großbritannien hat in seinem Vorschlag auch nach-
haltigen Wert darauf gelegt, dass in diesem Finanzpla-
fond die Formulierung einer Revisionsklausel enthalten
sein soll. Ich weiß sehr genau, dass durch diese Revi-
sionsklausel, wenn sie aufgenommen wird, materiell
nichts verändert wird. Aber auch hier stimme ich der In-
tention Großbritanniens grundsätzlich zu; denn ich halte
es für richtig, dass sich die Europäische Union jetzt zu-
mindest verbal darauf einigt, dass die bisherige Agrar-
und Strukturpolitik, wie sie 2002 mit dem Agrarkompro-
miss fortgeführt worden ist, nicht ohne weiteres auf alle
Zeit und Ewigkeit so bleiben kann. Wir müssen auch
hier ansetzen, ohne dass wir den Kompromiss bis 2013
infrage stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt liegt eine
Einigung für mich im Bereich des Möglichen. Ein Erfolg
wäre nicht nur wünschenswert, sondern für die Europäi-
sche Union ein wichtiges Signal am Ende eines nicht
übermäßig erfolgreichen europapolitischen Jahres.
Viele Beobachter haben in den letzten Monaten mehr
politische Führung in der EU angemahnt und sie erhof-
fen dies gerade von der deutschen Bundesregierung. Die
Bundesregierung steht vor diesem Gipfel und während
dieses Europäischen Rates vor einer überaus schwieri-
gen Herausforderung. Bundeskanzlerin Angela Merkel
und die Bundesregierung haben diese Herausforderung
aber angenommen. Gerade in den letzten Wochen der
wichtigen Vorbereitungsphase dieses Europäischen Ra-
tes haben Sie, Frau Merkel, eine führende Rolle in der
Moderation und der Diskussion mit den Staats- und Re-
gierungschefs der neuen, der alten, der großen und der
kleinen Mitgliedsländer geführt. Das ist eine wichtige
Voraussetzung. Dafür danke ich.
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Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Trittin,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
ine Vorbemerkung machen: Ich begrüße es außeror-
entlich, dass die Bundesregierung sagt, diese EU könne
ich die Ausfälle von Herrn Ahmadinedschad aus dem
ran nicht gefallen lassen. Es muss hier eine klare euro-
äische Antwort gegeben werden. Das Leugnen des
olocaust und das Infragestellen des Existenzrechts
sraels kann von diesem Europa gemeinsam nicht akzep-
iert werden.
Ich füge aber auch hinzu: Man muss das seriös tun.
azu gehört für mich nicht, darüber zu spekulieren, den
ran von der Fußballweltmeisterschaft auszuschließen.
ch glaube, die Teilnahme wird eher die Zivilgesellschaft
m Iran als die Macht des Klerus stärken.
Die Überwindung der Krise der Europäischen Union
ird das große Projekt sein, das Sie, Frau Merkel, mit
er Präsidentschaft 2007 anzugehen haben. Die Schlüs-
elfrage dafür wird sein, ob es gelingt, dieses Europa
lobal wieder wettbewerbsfähiger zu machen, dies aber
n dem Wissen zu tun, dass es dazu eines Mehr an sozia-
er Kohärenz und der Beachtung einer ökologischen
achhaltigkeit bedarf. Diesen Dreiklang zusammenzu-
alten und ihn nicht in Richtung ausschließlich der Wett-
ewerbsfähigkeit zu verabsolutieren, wie ich das gele-
entlich aus Ihrer Ecke gehört habe, ist die Grundlage,
ie diesem europäischen Projekt als eine Antwort auf
ie Globalisierung wieder so etwas wie eine Sinnstiftung
egeben werden kann.
Die Voraussetzung dafür ist aber, dass sich das in der
rage zuspitzt: Was wird demnächst mit den europäi-
chen Ressourcen passieren? Die Voraussetzung wird
lso sein, eine Lösung für die Frage der finanziellen
orausschau zu finden. Hier haben Sie eine Riesen-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 429
)
)
Jürgen Trittin
chance, Frau Merkel. Ich habe vorhin wieder eine abfäl-
lige Bemerkung über das Verständnis von Direktorien
gehört.
Sehen Sie, lieber Herr Hoyer, Sie wissen das selber
sehr gut: Gerade die kleinen Mitgliedstaaten in Europa
erwarten von den großen Mitgliedstaaten, dass diese
Verantwortung für das Ganze übernehmen und dieser
Verantwortung auch in schwierigen Situationen gerecht
werden.
Das sage ich bewusst mit Blick auf die Widersprüche,
die diesem schwierigen Projekt zugrunde liegen. Es
wäre in Europa überhaupt nicht nach außen zu vermit-
teln, dass in diesem Europa ein Land wie Slowenien zum
Nettozahler wird und in der gleichen Entwicklung der
Britenrabatt von heute 5 Milliarden Euro auf 9 Milliar-
den Euro ansteigt. Das spitzt sich in diesen Stunden zu.
Liebe Frau Merkel, wann anders gibt es überhaupt
eine Chance, an diesem Punkt unter Wahrung der Inte-
ressen hinsichtlich der Strukturfonds und auch unter
Wahrung des Kompromisses hinsichtlich der Agrarpoli-
tik etwas zu erreichen? Die erste Säule kann man schau-
erlich falsch finden – ich habe da erhebliche Beden-
ken –, aber das war ein Teil dieses Kompromisses, den
wir bis 2013 akzeptieren müssen. Wann wird wieder die
Chance bestehen, in der Frage des Rabattes zu einer Lö-
sung zu kommen, wenn nicht jetzt unter der britischen
Präsidentschaft? Das ist der Kern.
Ich erwarte, dass diese Gelegenheit von Ihnen genutzt
wird und dass Sie das, was der Außenminister gesagt
hat, ernst meinen: In dieser Situation kann sich niemand
an bisherigen Dingen dogmatisch festhalten. Diese
Chance zu nutzen, dafür wünsche ich Ihnen eine feste
Hand.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Axel Schäfer, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
europäische Einigung steht heute vor einem zentralen
Problem: der sinkenden Zustimmung der Bürgerinnen
und Bürger. Die Lösung dieses Problems hat einen Na-
men: Es ist die europäische Einigung.
Die britische Präsidentschaft zeigt: Wir müssen vieles
gleichzeitig tun, weil es sich nicht nacheinander lösen
lässt. Das Entscheidende ist die Handlungsfähigkeit. Am
Anfang dieses Halbjahres stand die Gefahr eines dreifa-
chen Scheiterns: das mögliche Scheitern der europäi-
schen Verfassung, das denkbare Scheitern weiterer
Beitrittsverhandlungen, das einstweilige Scheitern des
Finanzrahmens 2007 bis 2013.
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Zweitens. Die Beitrittsverhandlungen mit der Tür-
ei wurden wie vereinbart begonnen. Die neu gewählte
undesregierung steht in der Kontinuität von Konrad
denauer über Willy Brandt und Helmut Kohl bis zu
erhard Schröder. Diese deutschen Kanzler haben den
eg vorgezeichnet.
Mit Kroatien erhielt eine ehemals jugoslawische Re-
ublik eine Chance und Mazedonien, einem weiteren
estbalkanland, wurde die Tür geöffnet. Der Beitritt
on Bulgarien und Rumänien Anfang 2007 wurde zu
echt mit klaren Vorgaben für die zu leistenden Anfor-
erungen verbunden.
Drittens. Besondere Anforderungen stellen wir bei
en Finanzen. Die Vorschau bis 2006, die unser heutiger
ußenminister in damals anderer Position, aber genauso
ffektiv und kompetent mitgestaltet hat, ist ein gutes
eispiel. Sie wurde unter der deutschen Ratspräsident-
chaft auf dem EU-Sondergipfel am 26. März 1999 auf
en Weg gebracht.
Ein anderer, der damals in noch wichtigerer Verant-
ortung war – bis 14 Tage vorher –, ist der jetzige Frak-
ionsvorsitzende der Linkspartei, PDS/WASG. Er hat
ich dieser Verantwortung bekanntlich entledigt. Damit
ind wir beim Thema Verantwortung. Sie, Herr Dehm,
ntledigen sich heute Ihrer Verantwortung, die zum Bei-
piel die PDS im Europäischen Parlament mit der Zu-
timmung zur Verfassung übernommen hat, indem Sie
etzt auf sehr billige Weise polemisieren.
Fragen Sie doch Ihre Kollegin Kaufmann! – Deshalb
ind Ihre Ratschläge heute das Letzte, was wir in puncto
erantwortung für Europa gebrauchen können.
Wer jetzt einen Finanzkompromiss schmieden muss,
uss aus den Erfahrungen des Jahres 1999 lernen: Die
430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Axel Schäfer
deutsche Außenhandelsleistung, mit der wir Platz eins
einnehmen, muss mit unserem Wohlstandsranking
– Platz elf – und der Nettozahlerposition – Platz drei – in
eine politische Balance gebracht werden, die von
14 bzw. jetzt 24 Staaten mitgetragen wird.
Der Kommissionsvorschlag sieht bekanntlich
1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Ober-
grenze vor. Die auch von Deutschland richtigerweise
aufgestellte 1-Prozent-Forderung liegt schon nahe an
dem, was derzeit verhandelt wird.
Hierbei geht es selbstverständlich in erster Linie um
gesicherte Haushaltsentscheidungen. Es geht aber auch
um ein gesichertes Bild von Europa. Nennen wir das
Problem beim Namen: Bei zunehmender Europäisierung
unserer Gesellschaft und wachsender Europanotwendig-
keit überall auf dem Kontinent sind wir zugleich mit
dem zunehmenden Nationalismus in vielen Mitglieds-
ländern konfrontiert. Dieser Nationalismus kommt oft in
großen Zeitungen in Großbuchstaben daher und ist leider
auch schon in den Parlamenten einer Reihe von EU-
Staaten angekommen. Gerade wir Deutsche können des-
halb in Anlehnung an Heinrich Heine heute noch fest-
stellen: „Wenn man am innigsten bei sich ist, gerät man
am heftigsten außer sich.“ Genau das wollen wir aber
nicht.
Wenn bestimmte Regierungen von Mitgliedstaaten
Glauben machen wollen, Erfolg sei, möglichst viel in
Europa durch das eigene Land verhindert zu haben, dann
ist dies tatsächlich ein Misserfolg. Erfolg ist nämlich,
möglichst viel für das gemeinsame Europa getan zu ha-
ben. Das scheinbar Einfache ist in der Tat schwerer ge-
worden. Die Summe aller nationalen Interessen ergibt
nun einmal nicht Europa als Ganzes. Europa als Ganzes
besteht auch in dem Bewusstsein, welches der Vorgänger
von Frank-Walter Steinmeier, Joschka Fischer, einmal
wie folgt auf den Punkt gebracht hat: „Das wichtigste
deutsche Interesse ist die europäische Einigung.“ Ja-
wohl.
Wir müssen dabei über das Spannungsfeld zwischen
der Legitimation durch unsere Bürgerinnen und Bürger
sowie unserer Verantwortung in Europa sprechen. Ich
sage ganz offen: Für die SPD heißt das, sich im Rahmen
der europäischen Parteienfamilie auch mit Tony Blair
auseinander zu setzen. Für unsere christdemokratischen
Kolleginnen und Kollegen bedeutet das Ähnliches in
Richtung der britischen Konservativen.
Wir wissen, dass am Ende ein Kompromiss in Europa
stehen muss. Die Idee des Kompromisses ist ein Kern-
element unserer europäischen Kultur. Wer zum Kom-
promiss fähig ist, ist zum Frieden fähig. Wer nur zu
Konfrontation bereit ist, ist friedensunwillig. Frieden ist
für uns selbstverständlich geworden, trotz neuer Gefah-
ren des Terrorismus und der Privatisierung von Kriegen.
Aber diejenigen auf der Welt, die in besonders starkem
Maße in realer Kriegsgefahr leben, wissen das europäi-
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Im Übrigen kann ich zu der besonderen europapoliti-
schen Bedeutung von Oskar Lafontaine nur sagen: Wer
1999 als Papst zurückgetreten ist, kann 2005 nicht als
großer Prophet auftreten.
Nun hat das Wort der Kollege Thomas Silberhorn,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich hatte bis vor zwei Minuten noch die redliche
Absicht, zu dem auf der Tagesordnung ausgewiesenen
Thema zu sprechen. Aber aus aktuellem Anlass möchte
ich doch sagen, dass die Schablone des Neoliberalismus
nicht überall passt.
Wie ich den Medien in den letzten Tagen entnehmen
konnte, hat die WASG alle Hände voll damit zu tun, die
Neoliberalen in der PDS im Zaum zu halten.
Ich meine, Sie sind gut mit sich selbst beschäftigt.
Es verdient Erwähnung, dass es bei der finanziellen
Vorausschau der Europäischen Union, dem wichtigsten
Thema des Gipfels, bereits vor der Bundestagswahl eine
große Koalition gegeben hat. Die Union hat von Anfang
an die Verhandlungsführung auch der alten Bundesregie-
rung unterstützt. Das zeigt, dass verantwortliche Opposi-
tionspolitik im Interesse des Landes betrieben werden
muss.
Ich sage das bewusst auch für die CSU; denn das Thema
finanzielle Vorausschau ist für uns von besonderer,
durchaus ambivalenter Bedeutung. Das ist nach der Bun-
destagswahl noch augenfälliger geworden. Wenn Sie
sich den Haushalt der Europäischen Union anschauen,
dann werden Sie feststellen, dass etwa 80 Prozent der
Ausgaben der Europäischen Union in Ressorts fallen,
die von zwei Bundesministern der CSU geführt werden,
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ie Europäische Union fordert von uns, dass wir unsere
ationalen Haushalte konsolidieren. Das ist – ich darf
arauf hinweisen – auch ein Bestandteil der Lissabon-
trategie für mehr Wachstum und Beschäftigung. Es ist
uch eine Anforderung des Stabilitätspaktes, die wir er-
üllen müssen. Deswegen muss beides zusammenpas-
en: europäische Konsolidierung und nationale Konsoli-
ierung. Es kann nicht sein, dass eine finanzielle
orausschau beschlossen wird, die unseren Kurs der
onsolidierung konterkariert.
Zu diesem Thema gehört auch, dass nicht neue Töpfe
eschaffen werden. Es ist in der Europäischen Union
ine gute Übung gewesen, dass die Obergrenze tatsäch-
ich als eine Obergrenze verstanden worden ist, die auch
nterschritten werden darf. Es war ständige Praxis, dass
ie Obergrenze in den letzten Jahren nicht ausgeschöpft
orden ist. Deswegen sollte man auch aufpassen, dass
etzt nicht versucht wird, die nicht abgerufenen Haus-
altsmittel in einen neuen Fonds zu stecken.
azu ist ein Globalisierungsfonds vorgeschlagen wor-
en. Dieser Globalisierungsfonds würde die Probleme
icht lösen. Die Mitgliedstaaten müssen ihre eigenen
ufgaben lösen und nicht neue beschließen, mit denen
m Ergebnis nur das Unterlassen eigener Reformen be-
ohnt werden würde, indem man einen neuen europäi-
chen Finanzausgleich etabliert. Das kann nicht Sinn ei-
er finanziellen Vorausschau sein.
Ich hoffe, dass es gelingt, im Rahmen der Verhand-
ungen auch einige strukturelle Veränderungen vorzu-
ehmen, die längerfristig von Bedeutung sind. Dazu
432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Thomas Silberhorn
gehört, dass man den Britenrabatt reduziert und nach
Möglichkeit in einen allgemeinen Korrekturmechanis-
mus verwandelt. Ich bitte sehr darum, Frau Bundeskanz-
lerin, dass wir versuchen, das noch einmal zum Gegen-
stand der Verhandlungen zu machen. Wir haben nicht
ohne Grund im Koalitionsvertrag auf diesen allgemeinen
Korrekturmechanismus Bezug genommen. Im Ergebnis
ist auch der Britenrabatt nichts anderes als ein Korrek-
turmechanismus, der durchaus das legitime Anliegen
verfolgt, dass der Beitrag eines Mitgliedstaates in einem
angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit steht.
Nur: Dieses legitime Anliegen, das dem Britenrabatt
einst zugrunde lag, gilt natürlich für alle Mitgliedstaaten.
Deswegen wäre es sinnvoll, den Britenrabatt durch einen
allgemeinen Korrekturmechanismus zu ersetzen.
Ein weiteres Element einer längerfristigen Reform
wäre, dass man in der Tat, wie es Großbritannien vorge-
schlagen hat, die Ausgaben überprüft. Ich habe die Mel-
dungen gestern so verstanden – es ist sehr kompromiss-
haft allgemein formuliert worden –: Es müssen alle
Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. Die Briten
sprechen von einem „review“, also von einer Überprü-
fung, die bis 2013 stattfinden soll. Ich glaube, diese all-
gemeine Formulierung ist durchaus begrüßenswert, und
zwar einschließlich der Agrarpolitik.
Damit wird nicht infrage gestellt, dass der Agrarkom-
promiss bis 2013 besteht. Aber wir können doch nicht
erst 2013 anfangen, darüber zu diskutieren, wie es nach
2013 weitergehen soll; vielmehr sollten wir jetzt den
Einstieg schaffen und den Übergang so vorbereiten, dass
wir unsere Pläne nach 2013 tatsächlich umsetzen kön-
nen.
Zur Agrarpolitik. Mein Anliegen ist, dass wir das
Thema „nationale Kofinanzierung“ wieder auf die Ta-
gesordnung setzen. Dieses Thema ist nicht neu: Ausge-
rechnet bei der großen Erweiterungsrunde 2004 hat man
eine solche Kofinanzierung für die neuen Mitgliedstaa-
ten eingeführt. Man hat es ihnen schmackhaft gemacht,
indem man gesagt hat: Ihr dürft zu den Förderungen
durch die Europäische Union noch selbst etwas hinzu-
zahlen. Ich glaube, dass es Sinn macht, überall dort, wo
die Europäische Union Geld ausgibt, nationale Verant-
wortung in Form einer Kofinanzierung zu schaffen:
Wenn man den eigenen Geldbeutel immer dann öffnen
muss, wenn man eine Förderung von einem Dritten ha-
ben möchte, dann diszipliniert das eigene Begehrlichkei-
ten.
Ich glaube, dass tatsächlich eine realistische Chance
besteht, einen solchen Einstieg in die Kofinanzierung
auch in der Agrarpolitik zu schaffen. Bis 2013 – erst
dann oder danach soll es umgesetzt werden – wird die
Europäische Union wahrscheinlich einige Mitgliedstaa-
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Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Wir haben es heute sehr deutlich gehört und in
nseren Reihen ausgesprochen: Die Erwartungen an die
igene Regierung, zu einem Erfolg zu kommen, also das
u schaffen, was hier heute mehrfach dargestellt worden
st, sind sehr groß. Die Erwartungen sind aber nicht nur
ei uns, sondern – gerade angesichts der großen Koali-
ion – in ganz Europa groß. Man muss hoffen – wir ha-
en entsprechende Vereinbarungen getroffen –, dass
iese große Koalition in Deutschland zentrale Reformen
urchführt und dieses Land wesentlich voranbringt. Hof-
en muss man darüber hinaus, dass dies auch für Europa
öglich ist.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, müssen gleich aufbrechen.
ch wünsche Ihnen eine glückliche Hand, das rechte Au-
enmaß und – ich glaube, es gibt diese Chance – viel Er-
olg. Wenn es dann am Ende so kommt, wie Herr
teenblock, wie ich fand, genialerweise gesagt hat –
enn das aus der Opposition kommt, freut einen das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 433
)
)
Markus Meckel
umso mehr; wir alle müssen uns noch ein bisschen daran
gewöhnen, dass das jetzt die Opposition ist und das wir
jetzt so zusammengehören –,
und wir feststellen können: „Da ist eine Lady Europe zu-
rückgekommen“, dann ist das ein großer Erfolg für
Deutschland, genau im Sinne dessen, was Joschka
Fischer als deutsches Interesse angesprochen hat. In die-
sem Sinne also eine gute Reise – mit allem, was dazuge-
hört – und insbesondere eine frohe Rückreise! Darauf
freuen wir uns dann besonders.
Ich fand gut, was der Kollege Stübgen ein Stück weit
ausdifferenziert hat. Er hat diesen wahrhaftig schwieri-
gen britischen Vorschlag einmal ein bisschen auseinan-
der genommen und die konkreten Chancen ein wenig
ausgelotet. Wenn man einfach einmal ganz grundsätzlich
auf diesen Vorschlag schaut, muss man sagen: Eigentlich
steckt da in zwei Richtungen eine ganze Menge von
dem, was auch unser Interesse ist. Es geht darum, einmal
die Zukunftsperspektive, das, was wir in Bezug auf
Wissenschaft und Forschung machen müssen, ganz
vornan zu stellen und zum anderen in Bezug auf die
Agrarpolitik auch wirklich zu Reformen zu kommen,
die die Kosten deutlich mindern, durchaus in dem Sinne,
in dem mein Vorredner das hier angesprochen hat. Diese
Grundrichtungen können wir, denke ich, teilen. Wenn es
gelingt, darauf zumindest langfristige Festlegungen zu
treffen nach dem Motto „Das lasst die Linie sein“, dann
erhoffen wir von Großbritannien, dass es diesen Schritt
zum eigenen Erfolg geht und den eigenen Rabatt etwas
deutlicher als bisher absehbar senkt.
Auch in Bezug auf die anderen Partner in Europa gibt
es gute Chancen. Wir reden immer wieder – ich glaube,
mit Recht – von der großen Bedeutung der deutsch-
französischen Zusammenarbeit. Sie ist aber nicht des-
halb so bedeutend, weil wir uns in allen Punkten so nahe
sind, sondern oft gerade deshalb, weil wir in vielen
Punkten in unserer Herangehensweise und auch in unse-
ren Traditionen so unterschiedlich sind. Wenn zwei so
unterschiedliche Partner einen Kompromiss finden, dann
können sich oft auch die anderen in diesem Kompromiss
wiederfinden. Es kommt für die Zukunft darauf an, dass
wir nicht der Little Boy der lieben französischen
Freunde sind, sondern in dieser Kooperation gerade die
eigenen Standpunkte deutlicher machen, als dies viel-
leicht manchmal geschehen ist, damit sich die anderen
Partner darin wiederfinden können.
Hierbei kommt Deutschland deshalb eine besondere
Bedeutung zu und dabei – auch dieser Punkt wurde
schon angesprochen – spielt das Verhältnis zu den Klei-
nen eine Rolle. Wir als Deutsche sind eben nicht nur von
Großen, sondern gerade auch in der unmittelbaren Nach-
barschaft von vielen Kleinen umgeben. Deutschland
sollte nicht den Anwalt der kleineren Nachbarn spielen
– das klingt so paternalistisch –, aber es sollte die Inte-
ressen der kleineren Nachbarn deutlich im Blick haben.
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Ich halte es – dies soll mein letzter Punkt sein – für
ichtig, dass wir die Erfolgsgeschichte der Erweiterung
icht absolut setzen und die Erweiterungsperspektive
icht als einziges Instrument der Stabilisierung ansehen.
s war und ist richtig, dass die Europäische Union – viel-
eicht ein wenig spät – die Nachbarschaftspolitik konzi-
iert hat, um die Nachbarstaaten zu stabilisieren. Diese
trukturen müssen aber noch flexibler gestaltet werden.
ir dürfen in Bezug auf Belarus, die Ukraine oder die
taaten des nördlichen Afrika nicht nur mit festen Struk-
uren, die vorher in Aktionsplänen festgelegt worden
ind, vorgehen. Hier brauchen wir eine stärkere Flexibili-
434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Markus Meckel
tät. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die drei Staaten
des Südkaukasus – glücklicherweise ist er jetzt dabei; am
Anfang war er vergessen worden – nur gemeinsam ver-
handeln können, obwohl sie ganz unterschiedliche Pro-
bleme haben und in dieser Region durch viele Probleme
miteinander verflochten sind. Auch da gibt es, glaube
ich, eine Unflexibilität, die wir verändern müssen.
Ein letzter Punkt zu dieser Nachbarschaftsinitiative.
Sie ist im Grunde zur Zusammenarbeit zwischen Staaten
gedacht; das heißt, sie ist sehr etatistisch. Wir müssen
aber und können auch lernen, dass Demokratie nur ent-
stehen und wachsen kann, wenn die Zivilgesellschaften
unterstützt werden. Gerade dafür brauchen wir neue und
bessere Argumente und Instrumentarien. Ich glaube,
dass wir ein neues Instrument für diese Nachbarschafts-
politik schaffen könnten, indem wir eine Freiheits- und
Demokratiestiftung auf europäischer Ebene ins Leben
rufen, um gerade mit Blick auf die Zivilgesellschaften
mehr tun zu können.
Vielen Dank und noch einmal viel Erfolg.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/224 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung der
Verlustverrechnung im Zusammenhang mit
Steuerstundungsmodellen
– Drucksache 16/107 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses
– Drucksache 16/254 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Gabriele Frechen
Frank Schäffler
Dr. Barbara Höll
Christine Scheel
– Drucksache 16/256 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
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nanzausschusses
– Drucksache 16/250 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Michelbach
Ingrid Arndt-Brauer
Dr. Volker Wissing
– Drucksache 16/257 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg in ein
steuerliches Sofortprogramm
– Drucksache 16/105 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses
– Drucksache 16/255 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Florian Pronold
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll
Kerstin Andreae
– Drucksache 16/258 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Zu dem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigen-
eimzulage liegen je ein Entschließungsantrag der Frak-
ionen der FDP und Die Linke vor. Zu dem Gesetzent-
urf zu einem steuerlichen Sofortprogramm liegt ein
nderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Dazu
öre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 435
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich eröffne hiermit die Aussprache und gebe Herrn
Abgeordneten Florian Pronold, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten unter diesem Tagesordnungs-
punkt drei Gesetze. Einige davon sind schon alte Be-
kannte aus den Diskussionen der letzten Jahre. Es geht
um die Eigenheimzulage, um die Steuerstundungsmo-
delle, besser bekannt unter Medienfonds, Schiffsfonds
und anderen Anreizen, wie man sein Geld gut vernichten
kann, um Steuern zu sparen, und um das steuerliche So-
fortprogramm, bei dem zwei wesentliche Punkte disku-
tiert worden sind: die Abfindungen für Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sowie für Angehörige des
öffentlichen Dienstes und die Absetzbarkeit der Steuer-
beraterkosten als Sonderausgaben. All das werden wir
heute unter diesem Tagesordnungspunkt beraten.
Die große Koalition hat sich auf die Fahnen geschrie-
ben, Steuersubventionen abzubauen und finanzielle
Fehlanreize im Steuerrecht zu verhindern. Sie will damit
alle öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen und
Spielraum für Zukunftsinvestitionen gewinnen. Unser
Finanzminister Peer Steinbrück hat damit die schwerste
aller Aufgaben in dieser Regierung übernommen. Wir
werden ihn mit Kräften unterstützen, dass diese Maß-
nahmen umgesetzt werden.
Man kann eine eigenartige Erfahrung machen. Wenn
über den Abbau von Steuersubventionen diskutiert wird,
dann zeigt sich immer, dass alle dafür sind. Aber spätes-
tens dann, wenn es im Parlament zu Beratungen kommt
und es konkret wird, welche Steuersubventionen denn
abgebaut werden sollen, dann spricht man von Steuerer-
höhungen. Nach den Vorstellungen der FDP sollen alle
Steuersubventionen im Rahmen einer großen Steuerre-
form abgebaut werden. Wenn es allerdings konkret wird,
dann spricht sie von Steuererhöhungen. Aber an eine
große Steuerreform glaubt eh niemand mehr.
Wir wollen heute zwei große Schritte machen. Es be-
steht große Einigkeit darin, die Eigenheimzulage abzu-
schaffen und Beschränkungen hinsichtlich der Fonds
einzuführen. Wir wollen mit dem steuerlichen Sofortpro-
gramm aber auch erste kleine Schritte gehen. Damit will
die große Koalition Fehlanreize durch Steuersubventio-
nen und Verwerfungen im Steuerrecht beseitigen.
Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist schon
lange in der Debatte. Wir könnten heute wesentlich mehr
Geld im Haushalt haben, wenn die Einigkeit schon frü-
her so groß gewesen wäre, wie sie momentan ist.
Wir hätten schon vor längerer Zeit mehr Spielraum für
Forschung, Bildung und Zukunftsinvestitionen haben
können.
Auch hinsichtlich der Schiffsfonds und Medienfonds
waren wir uns schon lange einig. Aber der politische
Prozess der letzten Jahre, der vom Streit zwischen Bun-
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rotzdem: Die Abschaffung der Eigenheimzulage als
olche ist richtig. Die FDP hat immer konsequent gefor-
ert, Subventionen abzubauen und Ausgaben zurückzu-
ahren. Wer die Haushaltskonsolidierung ernst nimmt,
eiß, dass es dazu keine Alternative gibt.
Aber, meine Damen und Herren von der großen Ko-
lition, das Problem an dieser Stelle ist nicht das, was
ie machen. Das Problem an dieser Stelle ist das, was
ie nicht machen. Es ist doch kein Konzept, Vergünsti-
ungen abzubauen, wenn nicht gleichzeitig dringend er-
orderliche Reformen auf den Weg gebracht werden.
elastungen stehen bei Ihnen ganz schnell im Gesetz
nd Entlastungen stehen bei Ihnen in den Sternen. So
ann man das nicht machen.
ie streichen im Jahr 2005 die Eigenheimzulage und
ündigen an, 2007 ein Instrument zur Förderung von
ohneigentum auf den Weg zu bringen. Sie beschließen
m Jahr 2005 Belastungen für Bauunternehmen und kün-
igen an, 2008 längst überfällige Reformen im Bereich
er Unternehmensteuern auf den Weg zu bringen. Das ist
eine Politik der kleinen Schritte. Das ist eine Politik des
tillstands.
amit beweist die große Koalition, dass sie in der Lage
st, sich sehr schnell zulasten der Bürgerinnen und Bür-
er zu einigen, und sie demonstriert, dass sie schlicht-
eg unfähig ist, Reformen auf den Weg zu bringen. Ge-
au das können wir nicht akzeptieren.
Noch einmal: Die Eigenheimzulage zu streichen ist
ichtig; die FDP wird dem zustimmen, das steht außer
rage. Aber es ist unverantwortlich, mit den frei werden-
en Mitteln Haushaltslöcher zu stopfen. Das wollte die
nion nicht und deshalb dürfen Sie, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von der Union, das auch nicht mittragen.
ie werden schlichtweg unglaubwürdig, wenn dem heu-
igen Schritt nicht spürbare Entlastungen folgen.
Die FDP fordert Sie auf, den begonnenen Subven-
ionsabbau mit klaren Reformen zu begleiten. Die Men-
chen erwarten das von Ihnen. Sie erwarten, dass Sie
hre Zusagen einhalten und unser Steuerrecht vereinfa-
hen. Sie erwarten zu Recht, dass Sie neben den nun er-
olgenden Belastungen umgehend Vorschläge zur Ent-
astung vorlegen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 437
)
)
Dr. Volker Wissing
Ohne Entlastungen kommt die Binnennachfrage in unse-
rem Land nicht in Schwung. Was das für den Arbeits-
markt bedeutet, haben wir in den letzten Jahren erlebt.
So schwer Ihnen das gemeinsame Regieren auch fallen
mag: Sie können sich in der großen Koalition nicht weg-
ducken. Sie tragen Verantwortung dafür, dass die Refor-
men auf den Weg gebracht werden, die unser Land drin-
gend braucht.
„Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Mensch-
lichkeit“, so steht es über dem schwarz-roten Koalitions-
vertrag. Aber, meine Damen und Herren, was ist denn
daran mutig, sich auf das Kürzen, Streichen und Verwal-
ten zu beschränken? „Gemeinsam für Deutschland“
kann doch nicht bedeuten, dass nur die Bürger sparen.
„Gemeinsam für Deutschland“ kann doch nicht bedeu-
ten, dass die einen tapfer ihren Beitrag leisten und die
anderen sich zurücklehnen und Haushaltslöcher stopfen.
Die Menschen sind bereit, Einschnitte hinzunehmen.
Aber sie wollen wissen, wofür. Genau darauf bleiben Sie
heute eine Antwort schuldig.
Sie kommen mir vor wie ein Häuslebauer, der zuerst
den Balkon errichtet und sagt: Um das Fundament küm-
mere ich mich später.
Das funktioniert weder auf dem Bau noch in der Finanz-
politik.
Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen haben
Sie den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger eingefor-
dert. Jetzt sind Sie an der Reihe. Die Menschen erwarten
von Ihnen, dass umgehend Reformen auf den Weg ge-
bracht werden, die sie entlasten und die ihnen eine Per-
spektive bieten. Jetzt müssen Sie eine Gegenleistung
erbringen. In der Finanzpolitik bedeutet diese Gegenleis-
tung, eine grundlegende Steuerreform auf den Weg zu
bringen, eine Reform, durch die die Tarife gesenkt wer-
den, um die Binnennachfrage zu stärken und Arbeits-
plätze zu schaffen, eine Reform, die zu Vereinfachungen
führt, damit die Menschen wieder verstehen, nach wel-
chen Regeln sie besteuert werden. Die FDP hat dazu
konkrete Vorschläge gemacht. Jetzt sind Sie an der
Reihe.
Mit Ihrem Gesetzentwurf zum Einstieg in ein steuerli-
ches Sofortprogramm haben Sie zunächst einen gewalti-
gen Schritt in die falsche Richtung gemacht. Anstatt mit
Vereinfachungen dafür zu sorgen, dass die Menschen
keinen Steuerberater brauchen, haben Sie den glor-
reichen Einfall gehabt, dass man die Kosten für den
Steuerberater nicht mehr als Sonderausgaben absetzen
kann. Diese Regelung kann man nur ablehnen.
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Sie wissen, dass die große Koalition bezogen auf die
Haushalts- und Finanzpolitik zwei Ziele gleichzeitig ver-
folgt. Das sage ich ganz bewusst zu Beginn meiner Aus-
führungen, bevor ich auf die Gesetzentwürfe im Einzel-
nen eingehe. Wir wollen gleichzeitig die öffentlichen
Finanzen nachhaltig stabilisieren und die Wachstums-
kräfte fördern. Sie von der FDP wissen natürlich genau,
dass heute der eine Teil verabschiedet wird und dass das
Bundeskabinett wahrscheinlich schon in der nächsten
Woche den zweiten Teil mit der Überschrift „Förderung
von Wachstum und Beschäftigung“ verabschieden wird;
denn selbstverständlich wollen wir beide Ziele gleichzei-
tig erreichen.
Unser Problem ist – jetzt muss ich doch ein wenig kri-
tisch auf die linke Seite des Hauses schauen, auch wenn
ihr jetzt unsere Partner seid –: Die finanzielle Situation
Deutschlands ist deutlich schlechter, als die Mehrzahl
der Bevölkerung zur Kenntnis genommen hat.
– Ich wage sogar die Aussage, dass es auch im Deut-
schen Bundestag noch manchen gibt – damit meine ich
jetzt nicht Sie, Herr Kollege Poß –, dem nicht klar ist,
wie die finanzielle Situation der öffentlichen Hand wirk-
lich ist.
Wir werden in diesem Jahr zum vierten Mal das
Maastricht-Kriterium verletzen.
Es sieht nach 3,9 Prozent aus. Die 0,9 Prozentpunkte, die
wir über dem Oberwert liegen, bedeuten, dass wir das
Maastricht-Kriterium um mehr als 25 Prozent verfehlen.
Sie, Herr Thiele, haben völlig Recht, das wird auch im
nächsten Jahr der Fall sein. Schauen Sie sich die Zahlen
an: Im nächsten Jahr hätten wir, wenn wir nichts mach-
ten – wir handeln aber schon heute –, eine Haushalts-
lücke in der Größenordnung von 65 Milliarden Euro.
Allein um das Maastricht-Kriterium 2007 zu erfüllen
– darüber hinaus wollen wir aber auch die Anforderung
des Grundgesetzes, nicht mehr Schulden als Investitio-
nen, erfüllen –, müssen wir eine Lücke in der Größen-
ordnung von 30 Milliarden Euro überwinden. Das ist nur
möglich, wenn man auf der einen Seite Ausgaben senkt
– das wird aber keine 30 Milliarden Euro erbringen –
und auf der anderen Seite die Einnahmen erhöht. So ist
das nun einmal.
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s ist richtig, dass wir diese Subvention abschaffen. Ich
age sehr deutlich: Wir haben noch nie so großzügige
bergangsbestimmungen geschaffen wie dieses Mal. In
er Vergangenheit sind die Beträge oft reduziert worden,
ieses Mal werden sie – mit hervorragenden Übergangs-
egelungen – abgeschafft.
Was die Steuersparmodelle anbetrifft, die wir heute
emeinsam abschaffen wollen – ich finde es gut, dass
lle fünf Fraktionen mitmachen –, kann ich nur die Frage
tellen: Warum hat Rot-Grün das in den letzten sieben
ahren nicht gemacht? Von Ihnen höre ich dann die
rage: Warum ihr nicht in den 16 Jahren davor? Das
ringt nichts. Ich finde es gut, dass wir diese Modelle
eute gemeinsam abschaffen.
Es gab nur einen Streitpunkt, der uns Bauchweh be-
eitet hat. Das ist die Frage des Datums. Sie wissen, die
lte Regierung hatte die Absicht, am 10. November eine
ntscheidung zu treffen. Das hat nicht ganz funktioniert.
ie Entscheidung fiel dann am 24. November. Unter
em Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes spricht vieles
ür den 24. November; das ist mir völlig klar. Wir wollen
esetze – möglichst auch in Zukunft – nicht rückwir-
end in Kraft setzen. Nur, wen schützen wir damit? In
en 14 Tagen ist so viel Geld gezeichnet worden, dass
ie Steuerausfälle 500 Millionen Euro betragen. Das
ann man nicht verantworten. Wen schützen wir hier
irklich? Schauen Sie sich die Verträge an. Fast alle der-
enigen, die seit März gezeichnet haben, haben Rück-
rittsklauseln unterschrieben. Das heißt, sie treten jetzt
lle zurück. Sie haben, um es klar zu sagen, keinen Scha-
en.
eshalb muss ich sagen: Angesichts der Tatsache, dass
ir alle gemeinsam solide Finanzen wollen, können wir
uf diese 500 Millionen Euro leider nicht verzichten.
Jetzt komme ich zu dem Thema Eigenheimzulage. In
er Tat: Ich habe die Eigenheimzulage von diesem Platz
us bestimmt ein halbes Dutzend Mal verteidigt. Auch
m Ausschuss habe ich sehr deutlich gesagt, dass es mir
icht leicht fällt, sie aufzugeben. Wir wollten mit der
bschaffung der Eigenheimzulage etwas völlig anderes
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 439
)
)
Otto Bernhardt
erreichen – da haben Sie völlig Recht –: Wir wollten die
enormen Mittel, die durch die Abschaffung dieses In-
struments frei werden, nutzen, um den Steuertarif insge-
samt zu senken. Nur – jetzt komme ich auf den Aus-
gangspunkt zurück –, angesichts der finanziellen
Situation haben wir leider keinen Spielraum.
Deshalb müssen die Einsparungen leider vollständig be-
nutzt werden, um den Haushalt zu sanieren.
Ich sage aber genauso deutlich: Wir haben mit der Ei-
genheimzulage zwei Ziele verfolgt. Beide geben wir
nicht auf. Das erste Ziel, das wir verfolgt haben, lautete:
möglichst viel Wohnungseigentum in Privatbesitz. Dies
geben wir nicht auf. Wir werden noch in diesem Jahr die
gesetzlichen Grundlagen schaffen. Im Koalitionsvertrag
steht, dass privates Wohneigentum in die geförderte pri-
vate Altersvorsorge einbezogen wird. Wir arbeiten be-
reits an entsprechenden gesetzlichen Überlegungen.
Natürlich wissen auch wir, dass die Eigenheimzulage
manchen Mitnahmeeffekt hatte. Manches Haus wurde
nur aufgrund der Eigenheimzulage gebaut. Das wird
jetzt nicht mehr geschehen.
Was die Abschaffung der Eigenheimzulage für die
Bauwirtschaft bedeutet, wissen wir alle. Ich erlaube mir
nur den Satz: Wir alle wissen, dass es der Bauwirtschaft
– vorsichtig ausgedrückt – nicht sehr gut geht. Deshalb
werden in dem Gesetz, das ich eben angekündigt habe,
umfangreiche Maßnahmen vorhanden sein, um die Alt-
bausanierung zu fördern. Das ist auch unter den Ge-
sichtspunkten Umweltschutz und Energiekostenerspar-
nis ein wichtiger Beitrag. Das werden wir, wie ich
vermute, im März oder April des kommenden Jahres
verabschieden.
Das heißt, dass die beiden Ziele, die wir mit der Ei-
genheimzulage verfolgt haben, im Mittelpunkt unserer
Überlegungen bleiben: Das Ziel mehr Wohnungseigen-
tum wird verfolgt über die Einbeziehung in die private
Altersvorsorge. Das Ziel Aufträge für die Bauwirtschaft
wird über eine verstärkte Förderung der Sanierung her-
beigeführt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Beitrag.
In den letzten drei Wochen haben wir im Finanzaus-
schuss – das sage ich sehr deutlich – bis an die Grenze
des Zumutbaren arbeiten müssen, damit wir heute ab-
stimmungsreife Gesetze vorlegen können.
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Ich fasse zusammen: Mit unserem heutigen Pro-
ramm – indem wir also die drei vorliegenden Gesetz-
ntwürfe verabschieden – haben wir einen ersten wichti-
en Beitrag dazu geleistet, die Staatsfinanzen nachhaltig
u sichern. An dieser Stelle werden wir – ich vermute,
m März oder April – noch weitere Gesetzentwürfe ver-
bschieden, um auch Wachstum und Beschäftigung zu
ördern.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Mein Ein-
ruck ist – ein Blick in die Zeitungen beweist das –, dass
ich die Stimmung in Deutschland seit der Regierungs-
bernahme durch die große Koalition vor 23 Tagen
chon deutlich verbessert hat.
er Professor, bei dem ich Volkswirtschaftspolitik stu-
iert habe, Herr Schiller,
at uns Studenten immer wieder gesagt, Wirtschaft ist zu
1 Prozent Psychologie. Lassen Sie uns also gemeinsam
afür sorgen, dass sich die Stimmung in Deutschland
uch in Zukunft verbessert! Dann geht es in Deutschland
eiter bergauf und wir schaffen mehr Wachstum und
ehr Beschäftigung.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara
öll, Fraktion Die Linke.
440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich mich zu den einzelnen Gesetzentwürfen äu-
ßere, möchte ich Ihnen, Herr Bernhardt, sagen: Natürlich
ist es richtig, dass Wirtschaft sehr viel mit Psychologie
zu tun hat. Aber eine wesentliche Grundlage für die Auf-
arbeitung psychologischer Probleme und für die Herbei-
führung einer ordentlichen psychologischen Situation ist
sicherlich Ehrlichkeit. Deswegen muss ich betonen, dass
die Haushaltssituation, in der sich die öffentliche Hand
befindet, hausgemacht ist. Sie ist insbesondere durch die
rot-grüne Regierungspolitik der letzten sieben Jahre ent-
standen. Davor kann man nicht die Augen verschließen.
Man muss feststellen: Seit dem Jahr 2000, also seit
fünf Jahren, konnten sich vor allem große Unternehmen
über massive Steuergeschenke freuen. Das kann und
möchte ich mit Zahlen belegen – denn es heißt immer
wieder, das sei nicht so gewesen –: Die tatsächliche
Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögens-
einkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist in
den letzten fünf Jahren von durchschnittlich 29 Prozent
auf 20 Prozent – sprich: um 9 Prozentpunkte – gesun-
ken. Von 1998 bis 2004 stiegen die Unternehmens- und
Vermögenseinkommen spiegelbildlich dazu von 412 Mil-
liarden Euro auf 482 Milliarden Euro. Im gleichen
Zeitraum sank der Umfang der auf diese Einkommen ab-
geführten Steuern von 101 Milliarden Euro auf 96 Mil-
liarden Euro. Der Staat hat also auf Steuereinnahmen
verzichtet.
Auch der tatsächliche Steuersatz auf Einkommen von
Kapitalgesellschaften sank von 21 Prozent im Jahr 1998
auf 15 Prozent im Jahr 2004. Der reale Steuersatz auf
alle Unternehmens- und Vermögenseinkommen sank
ebenfalls: von 24 Prozent auf 20 Prozent. Überall Sen-
kungen, Senkungen, Senkungen. Bei denen, die es wirk-
lich haben, kommt dadurch natürlich mehr an.
Vergleicht man diese Entwicklung mit der Steuer-
belastung der Löhne der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer – es wird ja immer betont, dass Sie durch
Ihre Steuerreformen auch etwas für die kleinen Leute ge-
tan hätten –, so stellt man fest, dass auch diese zwischen
1998 und 2004 sank: um 1 Prozentpunkt. Das zeigt ein-
deutig die Schieflage, in der wir uns befinden.
Herr Steinbrück hat in der Debatte über die Regie-
rungserklärung betont, dass er ein Einnahmeproblem
hat. Auch hier kann ich ihm nur zustimmen. Allerdings
sollte er die Lösung dieses Problems an der richtigen
Stelle angehen.
Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaf-
fen, wurden die Gewinner der rot-grünen Politik – die
gewinnträchtigen Unternehmen und die Vermögenden –
immer aufgefordert. Doch sie haben es Ihnen nicht ganz
so gedankt, wie Sie es sich erhofft hatten. Dazu nur zwei
Hiobsbotschaften von dieser Woche – sie sprechen eine
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ber hier bei uns – nichts. Und im Gegensatz zu uns ha-
en es die anderen Länder auch noch geschafft, ihre Ar-
eitslosenquoten zu senken und tatsächlich mehr Men-
chen in Arbeit zu bringen. Auch das ist bei uns
ffenkundig fehlgeschlagen.
Die Verarmung der öffentlichen Hand, die man kon-
tatieren muss, führt natürlich dazu, dass man, wohin
an auch schaut, feststellen muss: Wir haben eine
norm angestiegene Staatsverschuldung, allein seit
990 um umgerechnet 500 Milliarden Euro. Wenn man
urch die Städte und Gemeinden geht, sieht man, dass
ie öffentliche Hand ihre Aufgaben offenkundig nicht
ehr so erfüllen kann, wie es nötig wäre. Schauen Sie
ich die Schulen an, etwa das Ostwald-Gymnasium in
eipzig – eine der besten Schulen deutschlandweit, mit
uch im internationalen Vergleich beachtlichen Ergeb-
issen –: Von außen sieht es aus wie kurz vor dem Zu-
ammenbrechen. Es geschieht nichts; die Kommunen
aben zu wenig Geld,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 441
)
)
Dr. Barbara Höll
auch dank der Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregie-
rung.
Nun sagen Sie: den Haushalt sanieren, Investitionen
ankurbeln, das Steuerrecht vereinfachen, eine Steuer-
politik aus einem Guss. Wunderbar – wenn Sie es denn
so täten! Herr Pronold hat vorhin gesagt, was wir heute
verabschieden, sind zwei große und mehrere kleine
Schritte. Im Ausschuss war gestern von der Politik der
kleinen Schritte die Rede. Ich will mich hier nicht über
Formulierungen streiten; die sind mir eigentlich egal.
Wichtig ist, dass die Politik, die Sie machen, wenigstens
stringent sein sollte. Und sie muss sozial ausgewogen
sein. Einen geringeren Anspruch sollten wir an unsere
Politik nicht stellen.
Da muss ich sagen: Gut, dass Sie endlich etwas gegen
die Steuerstundungs- und -sparmodelle unternehmen.
Auch wir sind natürlich dafür, dass diese Modelle ge-
schlossen werden. Die Zahl, die Herr Bernhardt nannte,
verdient es, wiederholt zu werden: Zwischen dem
11. November und dem 24. November 2005 wurden so
viele Fondsanteile gezeichnet, dass es zu Steuerausfällen
von 500 Millionen Euro kommen würde. Deshalb sind
wir auch dafür, dass das Gesetz entsprechend dem hier
vorliegenden Entwurf verabschiedet wird: mit Geltung
ab 11. November; anders geht es nicht. Ich möchte Sie
dazu allerdings noch fragen: Warum haben Sie über-
haupt so lange gewartet, diese Modelle zu schließen?
Ein nächster Punkt: Die Abschaffung der Eigenheim-
zulage. Sie ist richtig und wir als PDS tragen dies mit; es
steht auch in unserem Steuerkonzept.
– Entschuldigung, jetzt die Linkspartei bzw. Die Linke
im Bundestag. Wobei es richtig ist: Das Steuerkonzept
stammt noch von der PDS.
Wir als Linke im Bundestag tragen die Abschaffung
der Eigenheimzulage mit. Ich muss Sie aber trotzdem
kritisieren, weil auch diese Politik nicht stringent ist. Sie
wollen die Eigenheimzulage und die degressive Ab-
schreibung beim Mietwohnungsbau abschaffen. Diese
beiden Maßnahmen sind der Bauwirtschaft nicht gerade
zuträglich.
Gleichzeitig wollen Sie privates Wohneigentum im Jahr
darauf, im Jahr 2007, stärker in die private Altersvor-
sorge einbeziehen. Leider liegt ein Jahr dazwischen.
Ich glaube, es ist wichtig, dass man ein Zeichen setzt
und beim notwendigen Städteumbau wirklich etwas tut:
generationenübergreifend, kinderfreundlich, altersge-
recht und barrierefrei. Das vermisse ich.
Wir schlagen deshalb vor – dabei sind wir gar nicht so
originell; wir greifen auf Ihren Vorschlag aus dem Ent-
wurf eines Haushaltssanierungsgesetzes 2004 zurück –:
Verwenden Sie wenigstens einen Teil der Mittel für ein
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Herr Spiller, darüber haben wir doch schon gestern im
usschuss diskutiert. Ich habe Ihnen erklärt, dass das ein
ehler ist und dass wir das korrigiert haben. Wenn das
ei Ihnen noch nicht angekommen ist, dann tut mir das
eid. Ihnen ging es gerade aber nicht um den Inhalt. Sie
442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Barbara Höll
wollen nur vom Thema ablenken. Es bleibt dabei: Sie
wollen die Steuerfreiheit von Abfindungen streichen.
Das ist sozial ungerecht.
– Die Rechnung ist richtig. Das wissen Sie, Herr
Binding.
Ich möchte positiv anmerken, dass Sie wenigstens für
die Soldatinnen und Soldaten eine kleine Übergangsfrist
geschaffen haben. Dieser haben wir im Ausschuss zuge-
stimmt. Insgesamt ist das, was Sie hier vorlegen, aber
sehr mangelhaft. Das wird Ihre Probleme nicht lösen.
Des Weiteren haben Sie vor, dass Steuerberatungs-
kosten steuerlich nicht mehr geltend gemacht werden
können. Die Möglichkeit, Steuerberatungskosten abzu-
setzen, wollen Sie allerdings nicht ganz abschaffen, son-
dern nur für den Bereich der privaten Aufwendungen;
das gilt letztendlich also nur für die Anlage K. In der
Anhörung wurde Ihnen dazu selbst vom Vorsitzenden
der Deutschen Steuergewerkschaft gesagt, dadurch
würde quasi die ganze Soße teurer als das Fleisch, das
darin ist. Das würde dazu führen – ich nenne das einmal
zivilen Gehorsam –, dass Menschen, weil sie die Steuer-
beratungskosten nicht mehr absetzen und sich diese
nicht mehr leisten können, ins Finanzamt gehen – nicht
nur einer, sondern hundert, wahrscheinlich aber tausend
oder zehntausend – und sich, wie es ihr Recht ist, im
Finanzamt beraten lassen. Das wird uns viel teurer kom-
men.
Herr Steinbrück, ich fordere Sie auf, Ihre Politik kon-
sequent zu gestalten. Stärken Sie die Einnahmeseite mit
Maßnahmen, die wir Ihnen als Linke im Bundestag vor-
geschlagen haben, nämlich durch die Wiedereinführung
der Vermögensteuer, durch die Reform der Erbschaft-
steuer oder durch die Einführung einer Börsenumsatz-
steuer, sodass der Staat mehr Geld einnimmt.
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Sie wirk-
lich umsetzen könnten, wozu Sie aber Mut brauchen.
Bringen Sie diesen Mut auf und machen Sie eine sozial
gerechte Finanz- und Steuerpolitik!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bernhardt, ich finde es enorm, dass Sie
schon nach 23 Tagen Konditionsschwäche zeigen. Die
Gesetze, die hier vorgelegt werden – es geht um die Ei-
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nsgesamt muss ich aber schon sagen, dass Sie sehr spät
insicht gezeigt haben, dass es richtig ist, diese Subven-
ion abzubauen.
Es war auch in hohem Maße unverantwortlich. Sie
aben die Haushaltssituation zu Recht und mit Verve be-
lagt. Wir alle wissen, dass die Haushaltssituation prekär
st. Über Jahre hinweg haben Sie jedes Jahr verhindert,
ass wir weniger Ausgaben durch die Abschaffung die-
er Subvention haben. Das war unverantwortlich. Also
och einmal: Es ist eine gute Einsicht, die Sie jetzt end-
ich haben, sie kommt aber sehr spät.
Richtig ist: Wir müssen Regelungen finden, um das
ohneigentum in die geförderte Rente zu integrieren.
ir sollten uns nicht viel Zeit dabei lassen. Sie haben
as angekündigt. Wir sind sehr gespannt, was da kommt.
Zweites Thema, das steuerliche Sofortprogramm. Ich
ätte die Union in ihren Oppositionszeiten einmal erle-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 443
)
)
Kerstin Andreae
ben wollen, wie sie diesen Titel kommentiert hätte,
wenn man ein steuerliches Sofortprogramm mit fünf,
sechs Einzelmaßnahmen, mit denen Mehreinnahmen
von 1,2 Milliarden Euro verbunden sind, ganz groß an-
gekündigt hätte. Die Hälfte dieser Mehreinnahmen von
1,2 Milliarden Euro, also 600 Millionen Euro, soll durch
die Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für eine
Steuerberatertätigkeit erzielt werden. Das ist der
Grund, weshalb wir diesem Gesetz nicht zustimmen
werden. Wir halten es nämlich für fatal, dass Sie diese
600 Millionen Euro in dem Finanztableau als Einnah-
men anführen, die wir über diesen Sonderausgabenab-
zug erzielen.
Sie wissen ganz genau, was passiert: Die Erstellung des
Mantelbogens und der „Anlage Kinder“ werden nicht
mehr abzugsfähig sein. Alles andere bleibt abzugsfähig.
Sie wissen ganz genau, dass sich die Steuerberater bei
einer Situation wie dieser normalerweise melden, auf
den Putz hauen und sagen: Hier ist der ganze Berufs-
stand bedroht, hier passiert Dramatisches mit den Ar-
beitsplätzen. – Sie haben gestern im Finanzausschuss ge-
sagt, dass man nicht mehr so viele Briefe bekomme,
wenn man in der Opposition sei. Ich glaube, das ist nicht
der Fall. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie genau wissen,
dass diese Berechnung falsch ist, dass die Steuerberater
in der Lage sein werden, dies mit zwei Rechnungen, die
sie dann erstellen müssen, zu umgehen. Und – das haben
Sie gestern in der Sitzung des Finanzausschusses ja so-
gar angekündigt – Sie wollen einen Teil der Maßnahmen
im nächsten Jahr sofort wieder rückgängig machen,
wenn es um die steuerliche Absetzbarkeit bei Minijobs
geht. Für diejenigen, die in die Kinderbetreuung inves-
tieren und quasi als Arbeitgeber auftreten, werden Sie
das wieder rückgängig machen. Das heißt, Sie schlagen
eine Maßnahme vor und kündigen schon jetzt an, sie in
einem halben Jahr zum Teil wieder zurückzunehmen.
Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz lehnen wir das
ab. Wir halten das für einen falschen Schritt. Nicht jede
Abschaffung im Steuerrecht bedeutet eine Vereinfa-
chung. Deswegen wenden wir uns gegen diese Maß-
nahme und können diesem Gesetz nicht zustimmen.
Ich möchte noch etwas zu den Fonds sagen. Grund-
sätzlich stimmen wir diesem Gesetz und damit der Ein-
schränkung der Verlustverrechnung zu, haben aber ein
deutliches Problem mit der Stichtagsregelung; darauf
wird Frau Scheel nachher noch eingehen.
Bei den erneuerbaren Energien haben Sie im Koali-
tionsvertrag ein hohes Ziel vereinbart. Sie wollen den
Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent erhö-
hen. Wir hätten da weiter gehen können, aber bis 2020
einen Anteil an erneuerbaren Energien von 20 Prozent
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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– Es gibt ja keine Erkenntnisblockade für die SPD, Frau
Scheel.
Selbstredend stehen wir zu der Ankündigung, auch
eine große Unternehmensteuerreform zu verabschie-
den, bei der allerdings Solidität und Präzision sehr wich-
tig sind. Bei so etwas schießt man nicht aus der Hüfte.
– Ja, 2008. Entschuldigen Sie, Sie wissen doch, dass der
Sachverständigenrat sein Gutachten erst im Januar oder
Februar vorlegen wird und dass wir auch von der Stif-
tung Marktwirtschaft Erkenntnisse brauchen. Das heißt,
wenn Sie von der Regierung fordern, bis zum
1. Januar 2007 ein Gesetz vorzulegen, dann müsste die
Regierung mit einem so weit reichenden Vorhaben in ei-
nem halben Jahr fertig sein. Sie wissen, dass das nicht
funktionieren wird. Wir reden in Wirklichkeit über einen
Systemwechsel in der Unternehmensbesteuerung in der
Bundesrepublik Deutschland. So etwas schüttelt man
nicht einfach aus dem Ärmel – auch um Ihrer Kritik zu
entgehen, dass dieses Vorhaben nicht gelungen sei oder
einer Nachbesserung bedürfe.
Wir haben uns eine Menge vorgenommen. Ich glaube,
dass die Einleitung dieser Schritte richtig ist, und ich bin
sehr dankbar, dass uns die beiden Koalitionspartner auch
in den Ausschussberatungen – insbesondere im Finanz-
ausschuss – so behilflich gewesen sind.
Ich habe Ihre Hinweise zum Thema Steuerberater
nicht ganz verstanden, Frau Höll. Mir ist bis jetzt entgan-
gen, dass ausgerechnet Ihre Wählerklientel in so starkem
Maße Steuerberater in Anspruch nimmt. Denn ich gehe
davon aus, dass die große Masse der Lohnsteuerzahler
nicht unbedingt die Klientel der Steuerberater stellt; sie
ist nämlich heute schon in der Lage, ihre Lohnsteuerer-
klärung auf einem Blatt Papier abzugeben, und zwar
nach Lage der Dinge bei den Serviceagenturen der Fi-
nanzämter. Das ist zudem kostenlos, was Sie in diesem
Zusammenhang leider verschwiegen haben.
Was die Frage von Frau Andreae nach den 600 Mil-
lionen Euro angeht, so hat es zwar darüber eine Debatte
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Die FDP verschweigt dem Publikum bzw. den Bürge-
innen und Bürgern, in welchem Ausmaß sie in der Lage
st oder es für notwendig ansieht, Eingriffe in Leis-
ungsgesetze in einem Ausmaß vorzunehmen, das spie-
end zweistellige Milliardensummen erreicht. Außerdem
erschweigen Sie dem Publikum, inwieweit sich diese
ingriffe auch auf volkswirtschaftliche Parameter bzw.
uf Wachstum und Beschäftigung auswirken.
Ich wiederhole, was ich im Ausschuss gesagt habe,
err Fricke. Wenn Sie mir sagen, wir dürften die Mehr-
ertsteuer nicht erhöhen, wodurch dem Bund – von den
ändern und Kommunen rede ich in diesem Zusammen-
ang gar nicht – 10 Milliarden Euro fehlen, und als Ge-
envorschlag gefordert wird, den Zuschuss zur Renten-
ersicherung um 8 Milliarden Euro zu kürzen, dann läuft
as auf eine 4- bis 5-prozentige Realkürzung der Renten
inaus. Da die Rentner keine hohe Sparquote haben,
irkt sich das auf den Konsum und damit ebenfalls auf
olkswirtschaftliche Parameter aus, wie es auf umge-
ehrtem Weg in einer volkswirtschaftlichen Gesamt-
echnung bei anderen Stellschrauben auch der Fall ist.
ei Ihrer Argumentation legen Sie das nicht offen.
Sie werden diesen freidemokratischen Dreisatz meines
rachtens nicht widerspruchsfrei hinbekommen, wenn
ie weitere Steuersenkungen und die Reduzierung der
euverschuldung – darin sind wir uns übrigens einig –
ordern. Bei Ihnen schwingt auch immer eine Kritik an
em Abbau von in meinen Augen volkswirtschaftlich
berholten Steuersubventionen mit. Aber Sie verschwei-
en, welches haushalts- und finanzpolitisches Konzept
ahintersteht. Das wird nicht deutlich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 445
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
Ich will zum Bundeshaushalt und darüber hinaus auch
zu den anderen Haushalten der Gebietskörperschaften in
der Bundesrepublik Deutschland noch einmal deutlich
festhalten, dass wir uns nicht aus den Defiziten heraus-
sparen werden können. Das wird nicht erfolgreich sein.
Wir werden vielmehr die Defizite in der Bundesrepublik
Deutschland nur dann reduzieren können, wenn wir
mehr Wachstumsförderung betreiben, den Arbeitsmarkt
stabilisieren, die Sozialversicherungssysteme robuster ge-
gen die Konjunkturausschläge wie auch gegen die Ero-
sion sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsver-
hältnisse machen und auch mehr Einnahmen generieren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Abgeordneten Fricke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Fricke.
Herr Bundesminister, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie eben kritisiert, dass die FDP keine Vor-
schläge zu den Einsparungen in den Sozialsystemen ma-
che. Darf ich Sie als Mitglied der Regierung fragen, ob
Sie damit sagen wollen, dass die Regierung bei den steu-
erlichen Leistungen, die in die Sozialsysteme fließen,
keinerlei Einschnitte plant, weder bei den Krankenkas-
sen noch bei der Rentenversicherung?1)
Deshalb ist dieser großen Koalition sehr daran gele-
gen, den Zweiklang aufrechtzuerhalten, also beides zu
tun: auf der einen Seite Impulse zu geben und Wachs-
tumsförderung zu betreiben und auf der anderen Seite
die notwendige Haushaltskonsolidierung voranzutrei-
ben. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koali-
tionsfraktionen haben ihren Worten umgehend erste Ta-
ten folgen lassen. Das setzt Signale. Aber ich füge hinzu:
Das ist erst der Anfang. Wir haben noch eine ganze Le-
gislaturperiode vor uns.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Frank Schäffler, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Wenn wir heute über drei Gesetzentwürfe von
Union und SPD entscheiden, dann sollten wir nicht ver-
gessen, dass diese Gesetzentwürfe das erste Aushänge-
schild der Koalition sind. Rund 100 Tage nach der vor-
gezogenen Bundestagswahl ist das Ihr Lackmustest.
Dabei wollen wir von der FDP als größte Oppositions-
fraktion in diesem Haus
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l1) Siehe Berichtigung Stenografischer Bericht 10. Sitzung, Anlage 2
wir nähern uns an, Sie von oben, wir von unten – keine
undamentalpositionen einnehmen. Vielmehr unterstüt-
en wir Sie dort, wo es sinnvoll ist, kritisieren Sie aber
uch dort, wo es uns notwendig erscheint.
Ich will mit den Maßnahmen beginnen, die wir unter-
tützen. Zu einer notwendigen Konsolidierung der
ffentlichen Haushalte gehört, Subventionen abzu-
auen und eine unerwünschte Gestaltung des Steuer-
echts zu beseitigen. An einem einfacheren und gerech-
eren Steuerrecht mit niedrigeren Sätzen führt dennoch
ein Weg vorbei.
rotzdem sagen wir Ja zur Abschaffung der Eigen-
eimzulage. Mein Kollege Dr. Wissing hat dies gerade
egründet. Wir sagen ebenfalls Ja zur Einschränkung
on so genannten Steuerstundungsmodellen. Auch
enn wir systematisch einige Probleme mit diesem Ge-
etz haben und bezweifeln, dass die gewünschten
ffekte tatsächlich eintreten, wollen wir zustimmen.
Steuerpolitik basiert jedoch auf dem Vertrauen der
ürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen in die-
em Land. Verlässlichkeit ist daher ein hohes Gut. Die
ückwirkende Einschränkung von Investitionen in
onds zum 10. November dieses Jahres ist daher ein
chlimmer Präzedenzfall.
Bürger können künftig nicht mehr die Gewähr haben,
ass ihre Investitionen in ein verlässliches steuerpoliti-
ches Umfeld gestellt werden. Dabei hat die Experten-
nhörung in der vergangenen Woche entgegen den Äu-
erungen des Finanzministers eindeutig ergeben, dass
ereits am 10. November dieses Jahres alle wesentlichen
onds platziert waren. Daher verstehe ich nicht, wieso
ich Herr Dr. Meister – er ist nicht anwesend – in seiner
raktion nicht durchgesetzt hat. In der letzten Woche hat
r an dieser Stelle noch gesagt:
Zu den Steuersparfonds will ich nur sagen: Mir
liegt im Sinne der Vertrauensbildung daran, dass
wir an dieser Stelle versuchen, soweit als möglich
auf rückwirkendes In-Kraft-Treten zu verzichten …
tto Bernhardt, der Fraktionskollege von Herrn
r. Meister, zollte ihm noch Beifall in der Debatte. Im
usschuss selbst hat er allerdings das Anliegen von
errn Meister sehr zurückhaltend bzw. gar nicht unter-
tützt.
Man sollte auch mit dem Entwurf eines Gesetzes zur
eschränkung der Verlustverrechnung nicht das Kind
it dem Bade ausschütten. Das Steuerrecht in Deutsch-
and ist unsäglich kompliziert. Dieser Gesetzentwurf
446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Frank Schäffler
verkompliziert es zusätzlich. Er schafft nicht nur einen
zusätzlichen § 15 b des Einkommensteuergesetzes, der
allein über eine DIN-A-4-Seite lang ist, sondern wider-
spricht gleichzeitig auch wichtigen anderen Regelungen
im Gesetz.
So konterkariert er die Wirkung der Denkmalförderung
nach §§ 7 i und 7 h EStG bei Gebäuden in Sanierungsge-
bieten. Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil
sich gleichzeitig Länder und Kommunen aus der Förde-
rung des Denkmalschutzes zunehmend zurückziehen
müssen.
Da Sie auch noch die degressive AfA abschaffen
wollen, müssen Sie sich schon fragen lassen, woher neue
Arbeitsplätze in diesem Land kommen sollen.
Anders als in Ihrer Begründung für Ihren Entwurf ei-
nes Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches Sofortpro-
gramm dargestellt, ist gerade die degressive AfA keine
Subvention, sondern spiegelt den Werteverzehr eines
Immobilienneubaus wider, der am Anfang etwas höher
und später niedriger ist. Mit Ihrem Entwurf zum Einstieg
in ein steuerliches Sofortprogramm sollten Sie aufpas-
sen, dass Ihr Einstieg nicht zum Ausstieg in die Arbeits-
losigkeit führt.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Schäffler, das war Ihre erste Rede.
Dazu gratuliert Ihnen das ganze Haus und wünscht alles
Gute für die parlamentarische Arbeit.
Es hat jetzt der Abgeordnete Leo Dautzenberg von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzpolitik der
16. Legislaturperiode steht vor zwei gleichermaßen be-
deutsamen Herausforderungen. Auf der einen Seite steht
die nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen,
auf der anderen Seite die zukunftsorientierte Gestal-
tung des Steuersystems. Dazu gehören auch die Redu-
zierung von Steuergestaltungen sowie der Abbau von
Steuersparmodellen. Zu beiden Aufgaben leistet der
heute hier zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf zur
Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammen-
hang mit Steuerstundungsmodellen einen wertvollen
Beitrag.
Bereits in ihrem Wahlprogramm hat die Union ange-
kündigt, die lukrativen Verlustverrechnungsmöglich-
keiten bei Modellen wie Medien- und Windkraftfonds
abzuschaffen und damit auch das Steuerrecht zu verein-
fachen und gerechter zu gestalten. Dieses Ziel wird mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht. Er sieht vor,
dass die Verluste im Zusammenhang mit so genannten
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Wir haben ausdrücklich darauf bestanden, dass diese
egründung in den Bericht des Ausschusses hinein-
ommt, damit sie Beschlusslage dieses Hauses wird und
ls Grundlage dienen kann, wenn es zukünftig zu Ausle-
ungsproblemen und Abgrenzungsproblemen kommen
ollte. Daher war es wichtig, dass der Finanzausschuss
erade dies im Protokoll der gestrigen Sitzung explizit
estgehalten hat.
Ausgenommen von der Regelung zur Beschränkung
er Verlustverrechnung sind zudem Verluste, die bei der
onzeption eines Modells nicht abzusehen waren, wie
eispielsweise unerwarteter Mietausfall, Verlust oder
eschädigung des Anlageobjektes.
Was die Abgrenzung angeht, ist klar, dass dies dieje-
igen Projekte sind, die weiterhin nicht negativ erfasst
erden. Diese Klarstellungen in der Gesetzesbegrün-
ung sind für die Union von großer Bedeutung; denn
amit bekommen wir hier Rechtsklarheit und damit wer-
en Abgrenzungsprobleme schon von Anfang an ver-
ieden.
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart – das ist für die
eutsche Filmwirtschaft wichtig –, dass spätestens zum
. Juli 2006 international wettbewerbsfähige und mit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 447
)
Leo Dautzenberg
anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingungen ge-
schaffen werden sollen, um die Situation des privaten
Kapitals für Filmproduktionen in Deutschland zu ver-
bessern. Damit wollen wir dem Filmstandort Deutsch-
land gerecht werden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zum
Stichtag 10. November sagen. Auch in der Anhörung
wurde dieser Stichtag als ein Problem dargestellt. Aber
nach all den Ankündigungen und der damit verbundenen
Diskussion seit dem Frühjahr können sich die allermeis-
ten nicht mehr auf den Vertrauensschutz beziehen. Ich
verweise auf die im Jobvorschlag enthaltenen Punkte.
Rücktrittsmöglichkeiten der Anleger sind in den Verträ-
gen vorgesehen.
Wenn man einen Vergleich zieht mit Gesetzesinitiati-
ven der Vergangenheit, die ebenfalls die Rückwirkungs-
problematik betrafen, und abwägt, dann erkennt man:
Was den Vertrauensschutz anbelangt, gab es problemati-
schere Punkte als das, was hier in Bezug auf die Fonds-
modelle geregelt ist. Daher können wir mit Blick auf die
verfassungsrechtliche Problematik – auch nach der Ab-
stimmung zwischen den Ressorts – davon ausgehen,
dass wir hier Rechtssicherheit geschaffen haben.
Mit dem, was hier schon ausgeführt worden ist, und
dem, was wir in der Frage „Verlustverrechnung/Verlust-
beschränkung“ zuletzt auf den Weg gebracht haben, ha-
ben wir eine zustimmungsfähige Grundlage geschaffen.
Ich darf Sie um Zustimmung bitten.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich etwas zu den Gesetzesvorlagen sage, möchte
ich gern noch auf einige Vorrednerinnen und Vorredner
eingehen, zunächst auf Frau Dr. Höll vom PDS-Links-
bündnis: Es ist schon absurd, wenn Sie auf der einen
Seite behaupten, dass die reale Steuerbelastung der
Unternehmen in Deutschland zu gering ist, und auf der
anderen Seite Irland für beispielhaft erklären, hoffent-
lich wohl wissend, dass der Unternehmensteuersatz in
Irland bei 12,5 Prozent liegt und dass der zweitgrößte In-
vestor in Irland deutsche Unternehmen sind, nämlich
200 mit 15 000 Beschäftigten. Daran wird doch deutlich,
dass wir ein Problem im Standortwettbewerb haben.
Man kann nicht einerseits die zu geringe Steuerbelastung
hier anprangern und andererseits Irland für beispielhaft
erklären, obwohl die Steuerbelastung dort niedriger ist.
Man sollte nicht meinen, dass man mit Steuerdumping
eine zukunftsweisende Politik betreiben kann.
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Wir alle wissen, dass das Steuerrecht einfacher wer-
en muss.
ir messen alle Vorschläge, die von der neuen großen
oalition eingebracht werden, an der Frage: Wird das
teuerrecht für die Steuerpflichtigen in der Bundesrepu-
lik Deutschland durch diese Vorschläge einfacher oder
icht? Die Bürger erwarten – die Bürgerinnen natürlich
uch –,
ass die Politik handelt.
Sie haben im Wahlkampf das populäre Thema Ver-
infachung als zentrales Thema gehabt und auf diesem
ebiet Besserung versprochen.
an muss schon sagen: Der Wegfall der Eigenheimzu-
age vereinfacht das Steuerrecht. Das ist richtig.
)
448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Christine Scheel
Auch das Ziel ist richtig. Aber es ist schon ein bisschen
überraschend, dass die Union jetzt in 23 Tagen zu die-
sem Ergebnis gekommen ist, nachdem sie drei Jahre
lang nicht in der Lage war, diesen Erkenntniszugewinn
zu erreichen. Es ist schon ein bisschen interessant, jetzt
einmal zu sehen, wie schnell man sich dreht. Bei einer
Drehung um 180 Grad steht man auf dem Kopf. Das ist
schon ein bisschen komisch, aber anscheinend löst es im
Gehirn etwas aus, sodass man am Ende doch zur richti-
gen Erkenntnis kommt.
Also: Es ist vernünftig, das zu tun.
Beim Thema Vereinfachung ist das Beispiel der Steuer-
beratungskosten angesprochen worden. Dabei geht es
nicht um Klientelpolitik. Dabei geht es nicht um die
Steuerberater oder um die Steuerberaterinnen. Aber es
geht darum, dass die Umsetzung dieser Gesetzesvorlage
dazu führt, dass Gestaltungsmöglichkeiten neu aufge-
macht werden. Sie streichen ja nur einen Teil dieser
Steuerrechtsregelung. Das führt nicht zur Vereinfachung,
sondern zu einer neuen Verkomplizierung und zu einer
neuen Missbrauchsanfälligkeit, was gestern im Finanz-
ausschuss des Deutschen Bundestages selbst vonseiten
des Ministeriums zugestanden wurde. Das ist der Grund
dafür, dass wir das ablehnen. Das ist keine Vereinfa-
chung, sondern das führt letztlich zu neuen Gestaltun-
gen.
Das Thema Vertrauensschutz ist für uns ein ganz
wichtiges Thema. Vertrauensschutz ist eine zentrale Vo-
raussetzung für die Akzeptanz des Steuerrechts bei den
Bürgern und Bürgerinnen. Vertrauensschutz ist auch ein
zentrales Element, eine ganz zentrale Notwendigkeit für
Investoren im In- und Ausland. Sie haben den Vertrau-
ensschutz im Blick auf die Freibeträge ein Stück verbes-
sert. Sie haben das Vertrauen der Anleger in den Investi-
tionsstandort Deutschland aber beschädigt.
Wir brauchen Stichtage, die entweder Gegenstand von
Kabinettsbeschlüssen sind, und zwar von wirklichen Ka-
binettsbeschlüssen, oder mit dem Steuerjahr zusammen-
fallen.
Sie dürfen nicht beliebig zustande kommen, weil man
mal gerade Kaffee getrunken hat und sich mal gerade
was überlegt hat.
Das hat mit verlässlicher Finanzpolitik, lieber Kollege
Florian Pronold, überhaupt nichts zu tun. Wir brauchen
Verlässlichkeit.
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atürlich wissen wir beide, dass in Irland die Steuer-
ätze niedrig sind. Ich habe aber gar nicht über die Steu-
rsätze, sondern über die effektive Steuerbelastung ge-
prochen. Dazu müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen,
ass in Irland mit niedrigen Steuersätzen die Verbreite-
ung der Bemessungsgrundlage durchgesetzt wurde, wo-
urch die effektive Steuerbelastung gestiegen ist.
Als Zweites möchte ich noch erwähnen: In Ihrem ei-
enen Koalitionsvertrag steht, dass die Steuersenkung
er letzten Jahre nicht das Ergebnis hatte, das Sie ange-
trebt hatten – so haben Sie es immer verkündet –: mehr
rbeitsplätze und Investitionen. Wenn Sie nun immer
och beklagen, dass die Steuersätze in Deutschland zu
och sind – so habe ich Ihre Einlassung verstanden –,
ann kann das bei Ihnen auch in der Opposition nicht
anz so gut laufen, wie Sie sich das vielleicht erhoffen.
Ich danke.
Frau Abgeordnete Scheel, Sie haben die Gelegenheit
u einer Antwort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Dagegen muss ich doch noch etwas sagen. – Es ist
och immer die Frage, von welchem Niveau aus man
iskutiert, Frau Dr. Höll. Wenn Sie sagen, die effektive
teuerbelastung in Irland sei aufgrund der Verbreite-
ung der Bemessungsgrundlage im irischen Steuer-
echt erhöht worden, dann muss man natürlich dazusa-
en, wie das Niveau vorher war. Wenn man das mit
eutschland vergleicht, wird klar, dass die effektive
teuerbelastung – darum geht es; das ist die reale Steu-
rbelastung, die Unternehmen in Deutschland zu tragen
aben – hier mitnichten geringer ist als in Irland; sie ist
ielmehr um einiges höher als in Irland.
Das ist der Punkt, den ich Ihnen vorgeworfen habe:
ass Sie hier mit populistischen Äußerungen den Ein-
ruck zu erwecken versuchen, als sei das irische Steuer-
echt besser als das deutsche. Irland betreibt auch ein
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 449
)
)
Christine Scheel
Stück weit Steuerdumping; das wissen wir alle und da
wollen wir nicht hin.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ingrid Arndt-
Brauer von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte auf das Gesetz zur
Abschaffung der Eigenheimzulage zurückkommen,
weil ich denke, dass viele Zuhörer interessiert sind, wa-
rum wir die Eigenheimzulage abschaffen wollen und wie
wir das umsetzen, und weil ich glaube, dass das ein sehr
sinnvolles Gesetz ist.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die Förderung nach dem
Eigenheimzulagengesetz ab dem 1. Januar 2006 für
Neufälle abzuschaffen. Die Förderung nach geltendem
Recht wird gewährt, wenn vor dem 1. Januar 2006 mit
der Herstellung des Objekts begonnen wird – wer also
jetzt schnell anfängt zu bauen, kann sich die Förderung
noch sichern –, ein notarieller Kaufvertrag abgeschlos-
sen oder einer Genossenschaft beigetreten wird.
Man muss berücksichtigen, dass alle staatlichen Sub-
ventionen und Steuervergünstigungen regelmäßig
– besonders in der Situation, in der wir uns im Moment
befinden – auf ihre Effizienz und Notwendigkeit geprüft
und mit Blick auf die Finanzlage der öffentlichen Haus-
halte bewertet werden müssen. Die Eigenheimzulage ist
– das haben wir hier schon häufiger erörtert – die
höchste Einzelsubvention im Bundeshaushalt. Wissen-
schaftliche Untersuchungen haben immer wieder ge-
zeigt, dass es Mitnahmeeffekte gibt, dass wir Leute ge-
fördert haben, die diese Förderung eigentlich nicht
gebraucht hätten und die wir auch nicht fördern wollten.
So viel zum Inhalt.
Sehr überraschend waren nach den jahrelangen Dis-
kussionen über dieses Gesetz – wir haben diesen Vorstoß
unter Rot-Grün ja schon mehrmals unternommen – die
einstimmigen Voten aller mitberatenden Ausschüsse und
gestern des Finanzausschusses. Das hat mich sehr ge-
freut. Es zeigt, dass wir hier ein Gesetz auf den Weg
bringen, hinter dem das gesamte Parlament steht und das
wir deswegen auch gut nach außen vertreten können.
Der ursprüngliche Förderzweck bestand – um einmal
ganz weit zurückzuschauen – im Prinzip aus vier Teilen.
Der erste Grund war, dass es damals, als man es für sinn-
voll hielt, etwas zu unternehmen, zu wenig Wohnraum
gab. Ich denke, dieses Problem gibt es nicht mehr.
Der zweite Förderzweck war, dass in den vergange-
nen Jahrzehnten die Zinsbelastung für Bau- oder Kauf-
willige sehr viel höher war als heute. Wir haben heute
eine historisch niedrige Zinsbelastung; auch dieser För-
derzweck entfällt also.
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„Ein Jahr nichts“ ist ja so nicht richtig. Ich habe Ihnen
ben gesagt, dass Sie in den letzten Monaten, als wir
ber dieses Thema schon diskutiert haben, noch zu
auen beginnen konnten bzw. auch jetzt noch einen
aufvertrag abschließen können. Diese Bautätigkeit
ird sich auch noch in das nächste Jahr hineinziehen.
ch bin sicher, wir werden keinen totalen Einbruch bei
er Bauwirtschaft haben.
Wir haben bei der Altersvorsorge heute schon die
öglichkeit, das Wohneigentum in die Riester-Rente ein-
ubeziehen. Wir werden diese Möglichkeit ausbauen.
atürlich stehen wir zu dem, was im Koalitionsvertrag
teht. Ich denke, das ist eine sehr gute Maßnahme.
Nein, das ist überhaupt nicht der Punkt.
Die Einsparungen im Staatshaushalt betragen bis
um Jahr 2010 10,7 Milliarden Euro. Hier sind wir an ei-
em Punkt, bei dem wir auf das zurückkommen, was
ot-Grün von Anfang an wollte: Wir müssen in Bildung
nd Forschung, also in die Zukunft, investieren. Das
ird uns durch diese Einsparungen möglich. Dadurch,
ass wir im Haushalt ein bisschen Luft bekommen, kön-
en wir das tun, was im Rahmen des Lissabon-Prozesses
450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Ingrid Arndt-Brauer
gefordert wird, nämlich mindestens 500 Millionen Euro
jährlich in Bildung und Forschung zu investieren.
Ich denke, auch das ist sehr wichtig.
Noch eine Bemerkung zu dem, was noch alles bis
zum Auslaufen der Eigenheimförderung angeboten
wird. Vielleicht haben Sie genauso wie ich einen Pros-
pekt bekommen – ich habe ihn hier vorliegen –, in dem
ernsthaft empfohlen wird, jetzt noch schnell ein Objekt
für 448 000 Euro zu kaufen, bevor die Eigenheimzulage
wegfällt. Ich denke, hier wird der ganze Widersinn in der
Diskussion deutlich. Wir reden von Leuten mit geringem
Einkommen, Alleinstehende bis 70 000 Euro und Ver-
heiratete bis 140 000 Euro auf der Berechnungsgrund-
lage von zwei Jahren. Wie sollen sich diese Leute ein
Objekt für 448 000 Euro mithilfe der Eigenheimzulage
leisten können? Ich denke, an dieser Stelle wird die Dis-
kussion widersinnig. Es werden Menschen bewusst in
irgendwelche Anlageobjekte getrieben, die sie sich nicht
leisten können. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine
klare Regelung und denjenigen Leuten helfen, die Hilfe
nötig haben. Aber wir wollen solche widersinnigen An-
lageobjekte nicht fördern.
Ein Wort noch zur FDP, zur größten Oppositionspar-
tei. Man kann heutzutage angesichts unserer jetzigen Si-
tuation nicht jede Belastung mit einer gleichwertigen
Entlastung koppeln.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir auf diese Weise
unseren Haushalt nicht sanieren können. Deshalb kön-
nen Sie nicht eine gleichwertige Steuerentlastung for-
dern. Das ist einfach nicht machbar. Die Zeiten haben
sich geändert.
Ich persönlich habe mich natürlich gefreut, dass die
CDU/CSU jetzt mit uns Schritte in die gleiche Richtung
geht. Ich denke, das ist ein guter Weg. Ich bin optimis-
tisch, dass wir in dieser großen Koalition noch viele
große und kleine Schritte zusammen gehen werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion.
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ur eine Woche nach der Konstituierung des Finanzaus-
chusses wird mit Steuerrechtsänderungen und Sub-
entionsabbau wirklich ernst gemacht. Die Verantwor-
ung der CDU/CSU für unser Land dabei heißt:
erausforderungen annehmen – Aufgaben kraftvoll an-
ehen. Das ist die Situation.
Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, grund-
egende Konsolidierungen und Änderungen bei den
teuersubventionen weiter aufzuschieben. Jede Art der
ealitätsverweigerung würde einen neuen Aufschwung
n unserem Land verhindern.
ieser Aufschwung ist für unser Land notwendig und
anz sicher möglich, wenn wir hier die richtigen Schritte
ehen.
Meine sehr geehrten Kollegen von der FDP, ich kann
hnen nur sagen, dass ich die Kritik, die Sie an unsere
dresse richten, zurückweisen muss.
s ist doch kein Konzept, sich der Verantwortung ein-
ach zu entziehen und sich in die Büsche zu schlagen.
ie Union ist nicht auf den rot-grünen wirtschafts- und
aushaltspolitischen Kurs der Vergangenheit einge-
chwenkt.
Ich sage Ihnen, meine Herren von der FDP: Sie su-
hen immer noch die Milchkuh, die im Himmel gefüttert
ird und auf Erden gemolken werden kann. Wir geben
u, dass auch wir diese Milchkuh sieben Jahre zusam-
en mit Ihnen gesucht haben. Aber sie gibt es nicht; das
st die Situation.
Wir haben kein Erkenntnisproblem, Frau Scheel. Wir
ind vielmehr aufgrund der Verantwortung der CDU/
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 451
)
)
Hans Michelbach
CSU dabei, zu lernen, Kröten zu schlucken, wenn dies
notwendig ist. Rot-Grün hat es nicht geschafft. Wir über-
nehmen die Verantwortung. Das ist für die Menschen in
unserem Land auch notwendig.
Die Lage unserer Staatsfinanzen ist nun einmal deso-
lat und die finanzpolitische Bilanz katastrophal. Die lau-
fenden Ausgaben des Bundes liegen deutlich über den
laufenden Einnahmen, sodass ein strukturelles Defizit
von mehr als 60 Milliarden Euro besteht. Mit einem Ein-
sparvolumen von mehr als 25 Milliarden Euro müssen
wir jetzt maßgeblich dazu beitragen, die Verschuldung
der öffentlichen Haushalte zu begrenzen. Dazu gibt es
keine Alternative.
Nur der Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und In-
vestieren eröffnet Chancen, unser Land nach Jahren der
Stagnation jetzt wieder nach vorne zu bringen. Dafür
steht die CDU/CSU-Fraktion.
Nicht alles, was wünschenswert wäre, wird in Zu-
kunft finanzierbar sein; das sollten wir den Menschen
immer wieder sagen.
Besonders bedenkenswert ist für mich als Mittelständler
natürlich die Zustimmung zur Abschaffung der Eigen-
heimzulage. Tatsache ist aber: Durch das Gesetz zur
Abschaffung der Eigenheimzulage kann die öffentliche
Hand bis zum Jahr 2010 mit Einsparungen in Höhe von
sage und schreibe 10,7 Milliarden Euro rechnen.
Tatsache ist aber auch – das ist richtig –: Die Eigen-
heimzulage war immer eine Subvention,
die aus unserer Sicht zur Belebung der Bauwirtschaft
beitragen sollte. Man muss aber auch deutlich sehen,
dass in den letzten Jahren 800 000 Beschäftigte im Bau-
gewerbe trotz der Subvention „Eigenheimzulage“ ihren
Arbeitsplatz verloren haben.
Das heißt für mich nichts anderes als Folgendes:
Keine noch so gut gemeinte schuldenfinanzierte Subven-
tion kann auf Dauer eine wachstumsfreundliche und
Vertrauen schaffende Gesamtkonzeption der Haushalts-
kon-solidierung ersetzen. Vorangehen muss immer die
Haushaltskonsolidierung, weil dann Vertrauen geschaf-
fen wird. Damit kann man dann zukünftig Wachstumser-
folge und Beschäftigungserfolge erzielen.
Wenn unsere Koalition ihren Kurs aus Konsolidie-
rung der Haushalte, Stärkung der Investitionen und Re-
form des Arbeitsmarktes mit Mut und Augenmaß fort-
setzt, wird sich das Vertrauen der Verbraucher und
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ir haben in der Wirtschaft einen Stimmungswechsel.
s ist erstmals wieder Hoffnung auf Verbesserungen
orhanden.
Wir werden auch dem Bauhandwerk eine bessere Zu-
unft geben, damit es wieder nach vorne kommt. Die
örderung von Gebäudesanierungen, die Unternehmen-
teuerreform oder auch die Fähigkeit des Abzugs von
andwerkerrechnungen werden wir in den nächsten Wo-
hen und Monaten auf den Gesetzesweg bringen. Das
ird uns letzten Endes voranbringen.
Ein Aufbruch für Deutschland benötigt eine Reform-
olitik, eine Sanierungspolitik, weniger Staat, mehr Frei-
eit, mehr Leistungsbereitschaft, weniger Bürokratie
nd mehr Eigenverantwortung. Deutschland braucht die
raftanstrengung aller. Wir als CDU/CSU sind bereit,
ns diesen Fragen offensiv zu widmen und auch unpopu-
äre Maßnahmen zu verantworten.
Ich darf Sie herzlich dazu einladen, mit diesem An-
ang heute für eine bessere Zukunft der Menschen in un-
erem Land zu sorgen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Gabriele Frechen,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
nd Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein
oderner Staat benötigt zur Finanzierung seiner vielfäl-
igen Aufgaben Einnahmen, die im Wesentlichen durch
teuereinnahmen erzielt werden. Eine wichtige Grund-
age unseres Steuersystems ist die Besteuerung nach
er Leistungsfähigkeit.
Ich halte es für nachvollziehbar, dass Steuerpflichtige
ede legale Möglichkeit nutzen, um ihren Beitrag an der
inanzierung des Staates zu mindern. Mitunter tun sich
urch Auslegungen der Gesetze, durch Lücken oder gar
teuerschlupflöcher so verlockende Möglichkeiten auf,
ie man einfach nicht ungenutzt verstreichen lassen
ann. Wie gesagt, ich kann das nachvollziehen. Aber
ann und will ich es hinnehmen, dass solche Gestal-
ungsspielräume gesucht, gefunden und zum Vorteil we-
iger angewendet werden? Ich sage: Nein! Der Abbau
olcher Gestaltungsmöglichkeiten war in der vergange-
en Legislaturperiode ein Thema für uns, das wir – unter
452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Gabriele Frechen
anderem den obwaltenden Mehrheitsverhältnissen ge-
schuldet – nicht immer so angehen konnten, wie wir
wollten. Aber daran müssen wir anknüpfen. Ich denke,
mit dem Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrech-
nung zeigen wir, dass wir es gemeinsam sehr ernst mei-
nen.
In „Focus Online“ war dazu am 24. November zu le-
sen:
Damit machen Union und SPD mit dem Abbau von
Steuerprivilegien Ernst. Durch die bisher großzü-
gige steuerliche Verlustverrechnung gehen dem
Staat jährlich Milliarden verloren. Vermögende Ab-
schreibungskünstler haben über diese „Steuerstun-
dungsmodelle“ ihre Abgabenlast gesenkt.
Und weiter heißt es:
Das Aus hatte sich schon seit dem Frühjahr abge-
zeichnet.
Darauf komme ich noch zurück.
Die große Beliebtheit resultierte aus einer hohen Ver-
lustzuweisung in der Anfangsphase, die bisher mit ande-
ren Einkünften verrechnet werden konnte und so zu
Steuerminderungen führte. Dies wollen wir ändern. Die
Verluste werden nicht abgeschnitten, sind also nicht ver-
loren, sondern werden künftig nur noch mit Einkünften
aus derselben Quelle verrechnet. Das führt zu einer
gleichmäßigen Besteuerung und dazu, dass bei Anlagen
künftig die Rendite entscheidender ist als der Steuervor-
teil. Betroffen sind insbesondere Verluste aus Medien-
fonds, Schiffsbeteiligungen, New-Energy-Fonds, Lea-
singfonds, Wertpapierhandels- und Videogamefonds.
Nicht betroffen sind – das steht ausdrücklich im Bericht –
Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds. Wir haben
alle uns bekannten Modelle, also neben gewerblichen
Einkünften auch Einkünfte aus Selbstständigkeit und
sonstige Einkünfte, eingeschlossen, um die Gleichheit
bei der Besteuerung zu gewährleisten. Ich bin mir aber
fast sicher, dass auch hier das altbekannte Hase-und-
Igel-Spiel die Kreativität der steuergestaltenden Köpfe
herausfordern wird.
Einigkeit über die Abschaffung dieser Modelle wurde
relativ schnell erzielt. Doch wie immer steckt die He-
rausforderung im Detail. Hier war es das Datum des
Wirksamwerdens: Rückwirkung oder Vertrauens-
schutz, ein Schutz der Steuerpflichtigen, der zu Recht ei-
nen sehr hohen Wert darstellt? Wir haben uns für den
10. November entschieden, also für den Tag, an dem das
alte Kabinett in enger Abstimmung mit dem neuen die
Vorlage unterzeichnen wollte. Leider hat der damalige
Minister Trittin seine Unterschrift verweigert mit der
Folge, dass die Vorlage erst vom neuen Kabinett am
24. November unterzeichnet wurde. Jetzt aber einen Ver-
trauensschutz für die Zwischenzeit oder gar eine Verlän-
gerung bis zum 31. Dezember zu fordern, halte ich für
ungerechtfertigt.
Bereits im März beim Jobgipfel hatten sich Union
und SPD geeinigt, dass diese Modelle abgeschafft wer-
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as Bundesverfassungsgericht bestätigt die Möglichkeit
er Rückwirkung genau für diesen Fall, nämlich dann,
enn der Bürger zum Zeitpunkt, auf den sich das rück-
irkende Gesetz bezieht, mit der Neuregelung rechnen
usste. Eine Verlängerung bis zum 31. Dezember hätte
eradezu eine Schlussverkaufsstimmung ausgelöst. Ge-
au den Modellen, die wir abschaffen wollen, hätten wir
omit zu einem Riesenhype verholfen. Das kann doch
ohl in diesem Hause nicht gewünscht sein.
Die Verhinderung von Steuerumgehungsmöglichkei-
en ist ein wichtiger Beitrag zur Steuergerechtigkeit, die
ng mit der Akzeptanz der Steuergesetze in der Bevölke-
ung verknüpft ist. Diese Akzeptanz und das Vertrauen
er breiten Masse der Steuerpflichtigen brauchen wir
ringend. Der vorliegende Gesetzentwurf ist einer von
ielen Schritten in diese Richtung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Olav Gutting, CDU/
SU-Fraktion.
Vielleicht können auch diejenigen Kolleginnen und
ollegen, die der Debatte erst seit kurzem beiwohnen,
em Redner zuhören.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
it dem Gesetzentwurf zum Einstieg in ein steuerliches
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 453
)
)
Olav Gutting
Sofortprogramm leisten wir einen entscheidenden Bei-
trag zur Stabilisierung der Staatsfinanzen.
Nein, es ist nicht der große Wurf, den manch einer er-
wartet hat,
aber dieser Gesetzentwurf erhebt auch nicht den An-
spruch, ein großer Wurf zu sein. Er ist nicht mehr, aber
auch nicht weniger als ein erster Schritt in die richtige
Richtung. Wir werden noch mehrere Schritte tun müs-
sen, um zu einem einfacheren, gerechteren und auch in-
ternational wettbewerbsfähigen Steuerrecht zu gelangen.
Dieses Ziel werden wir weiterhin im Auge behalten.
Natürlich wäre es wünschenswert, mit den erwarteten
Mehreinnahmen den Einkommensteuertarif zu senken.
Derjenige, der das fordert, muss aber auch klar sagen,
auf welchem anderen Wege die notwendige Haushalts-
konsolidierung erfolgen soll.
Die mittlerweile desaströse Situation der öffentlichen
Haushalte lässt leider keinen Raum für spürbare Steuer-
senkungen. Man kann es nicht oft genug wiederholen:
Allein im Bundeshaushalt hat die strukturelle Lücke eine
Größenordnung von fast 65 Milliarden Euro erreicht. In
diesem Umfang sind laufende Ausgaben nicht durch re-
gelmäßige Einnahmen gedeckt. Wer verantwortlich han-
delt, kann sich schon aus Respekt vor den kommenden
Generationen nicht dem Schuldenabbau verschließen.
Die Menschen wissen, dass die Schulden von heute
die Steuern von morgen sind. Den Menschen fehlt das
Vertrauen in die Finanzpolitik, auch deshalb sind die
Steuersenkungen der letzten Jahre konjunkturell ver-
pufft. Wo kein Vertrauen ist, kann kein Wachstum entste-
hen; wo kein Vertrauen ist, bleiben die Wachstumskräfte
gefesselt.
Das klare Bekenntnis zum Schuldenabbau ist ein Si-
gnal für mehr Vertrauen in die Finanzpolitik, ist ein Signal
für mehr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staa-
tes. Dieses Vertrauen brauchen wir, um Deutschland
wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
Einer dieser kleinen Schritte ist der Wegfall der Frei-
beträge bei Abfindungen wegen Auflösung von
Dienstverhältnissen. Dies ist ein richtiger Schritt. Wa-
rum soll auch die Kassiererin in einem Supermarkt mit
ihren Steuergeldern die Abfindung eines Mitarbeiters
beispielsweise von Daimler-Chrysler subventionieren,
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arum soll die Allgemeinheit die von Unternehmen ge-
ahlten Abfindungen subventionieren, zumal mit dem
rogressionsvorteil, der weiterhin bestehenden Fünftel-
egelung, Härtefälle abgefedert werden?
Mit der jetzt noch eingefügten Verlängerung der Zeit-
panne für den Zufluss der Abfindungen ist die richtige
alance zwischen Vertrauensschutz auf der einen Seite
nd fiskalischen Interessen auf der anderen Seite gefun-
en. Auch deshalb war der Änderungsantrag der Frak-
ion Die Linke abzulehnen.
er Wegfall dieser Freibeträge ist auch deshalb wün-
chenswert, weil er hilft, Abfindungen die Attraktivität
u nehmen. Tatsache ist doch, dass die Unternehmen die
bfindungszahlungen bereits in den Lohnkosten einprei-
en. Die immer weiter zunehmende Anzahl von Abfin-
ungen geht letztendlich zulasten der regulären Gehälter.
as, was der Arbeitnehmer am Ende seines Arbeitsver-
ältnisses als Abfindung erhält, wurde ihm doch in den
ahren zuvor vom Lohn einbehalten.
Weniger Abfindung bedeutet damit mittelfristig mehr
egulären Lohn. Entscheidend sind dabei die Begleit-
aßnahmen. Wir müssen die Arbeitsverwaltung weiter
erbessern. Wir brauchen eine effektivere, eine schnel-
ere Vermittlung in neue Arbeitsverhältnisse und wir
rauchen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen
ür die Wirtschaft in Deutschland, für mehr Wachstum
nd für mehr Arbeit.
Sicherlich, bei den insgesamt fünf Einzelmaßnahmen
ieses Gesetzes gibt es auch Punkte, über die man strei-
en kann. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob die von
en Finanzministerien der Länder prognostizierten
ehreinnahmen tatsächlich fließen. Ich will gerne zuge-
en, dass ich meine Zweifel daran habe, ob die durch die
bschaffung des Sonderausgabenabzugs für private
teuerberatungskosten anvisierten 600 Millionen Euro
ährlich hereinkommen. Ich zweifle nicht daran – damit
ie mich richtig verstehen –, dass die Finanzministerien
ichtig gerechnet haben. Die zugrunde liegenden Annah-
en halte ich aber für fehlerhaft. Man unterschätzt die
reativität, die die Menschen entwickeln, zumal wenn
ie unter einer hohen Abgabenlast leiden. Ob durch die
bschaffung des Sonderausgabenabzugs für private
teuerberatungskosten 600 Millionen Euro hereinkom-
en, werden wir wohl nie erfahren. Es lässt sich schlicht
icht nachweisen, nicht berechnen. Darauf kommt es
ber auch nicht vorwiegend an.
Entscheidend ist, dass die Besteuerungsgrundlage ins-
esamt verbreitert wird. Die große Koalition hat es sich
um Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2007 ein Konsolidie-
ungsvolumen von 35 Milliarden Euro zu erreichen. Das
454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Olav Gutting
Fundament dafür besteht aus drei Säulen: Neben wachs-
tumsorientierten und perspektivischen Reformen kom-
men wir nicht ohne Sanierungsmaßnahmen aus. Der vor-
liegende Gesetzentwurf ist Teil dieser notwendigen
Einsparmaßnahmen. Dieser Gesetzentwurf ist von der
Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands
getragen. Stimmen Sie deshalb diesem Gesetzentwurf
zu!
Hiermit schließe ich die Aussprache.
Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Abstimmungen
und Wahlen vor uns, bevor wir zu einer weiteren span-
nenden Debatte kommen.
Zunächst die Abstimmung über den von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Beschränkung der Verlustverrechnung im
Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen auf
Drucksache 16/107. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/254,
den Entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in dritter Abstimmung mit dem entsprechen-
den Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 b: Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigenheimzulage auf
Drucksache 16/108. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/250,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen erheben sich bitte,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit dem vormaligen
Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/274? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ent-
schließungsantrag abgelehnt. Dafür haben die Kollegin-
nen und Kollegen der FDP-Fraktion gestimmt; die übri-
gen Mitglieder des Hauses haben dagegen gestimmt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 455
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zu zwei Wahlen zu Gremien mit Stimm-
karten und Wahlausweisen. Es handelt sich um die Wah-
len folgender Gremien: Erstens, Richterwahlausschuss
gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes; zweitens, Wahlaus-
schuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundes-
verfassungsgericht. An diese zwei Wahlgänge schließen
sich dann noch weitere Wahlen an, die mittels Handzei-
chen durchgeführt werden.
Ich bitte jetzt um Ihre Aufmerksamkeit für einige
Hinweise zu den durchzuführenden Wahlen mit Stimm-
karte und Wahlausweis. Die Stimmkarten in den Farben
Orange und Grün werden bereits im Saal verteilt. Sie be-
nötigen außerdem Ihre Wahlausweise in den Farben
Orange und Grün. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in eine der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazugehö-
rigen Wahlausweis einem der Schriftführer oder einer
der Schriftführerinnen an den Wahlurnen. Der Nachweis
der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe
des Wahlausweises erbracht werden. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, darauf zu achten,
dass vor der Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben
wird. Die Wahlen finden offen statt; Sie können das
Kreuz auf Ihren Stimmkarten also an Ihrem Platz ma-
chen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 b:
Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richter-
wahlgesetzes
– Drucksachen 16/188, 16/189, 16/190, 16/191 –
Dazu liegen Ihnen auf den Drucksachen 16/188 bis
16/191 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen
für diese Wahl die Stimmkarte in der Farbe Orange. Soll-
ten Sie diese Stimmkarte noch nicht haben, besteht jetzt
noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten
zu erhalten. Ich mache besonders darauf aufmerksam,
dass Sie auf der orangefarbenen Stimmkarte nur einen
einzigen Vorschlag ankreuzen dürfen. Ungültig sind
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, Zusätze, Bildchen
oder Ähnliches enthalten. Wer sich der Stimme enthalten
will, nimmt bitte keine Eintragung vor. Bevor Sie die
orangefarbene Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer-
fen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und
Schriftführern an den Wahlurnen Ihren orangefarbenen
Wahlausweis.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste Wahl,
die Wahl zum Richterwahlausschuss.
Gibt es ein Mitglied im Hause, das seine Stimme noch
nicht abgegeben hat? – Ich schließe den Wahlgang und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird
Ihnen später bekannt gegeben.
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)
mäß Art. 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl
der Vertreter der Bundesrepublik Deutsch-
land zur Parlamentarischen Versammlung des
Europarates
– Drucksache 16/210 –
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/210 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig
angenommen. Damit sind die Vertreter der Bundesrepu-
blik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates, die zugleich Vertreter in der Versamm-
lung der Westeuropäischen Union sind, gewählt.
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st es richtig, dass Sie sich enthalten? –
Ich weiß, dass sich die Grünen enthalten haben.
uch die Linke enthält sich, gut. Damit ist der Wahlvor-
chlag bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und
er Linken angenommen.
Wer stimmt für die Wahlvorschläge der Fraktionen
er FDP und der Linken auf Drucksache 16/213? – Wer
timmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es ist wirklich
ehr schwer, das Ergebnis festzustellen, weil in allen
raktionen unterschiedlich gestimmt wird.
Ich wiederhole diesen Wahlgang. Es stehen die Wahl-
orschläge der Fraktionen der FDP und der Linken auf
rucksache 16/213 zur Abstimmung. Wer stimmt für
iese Wahlvorschläge? – Jetzt sieht es schon besser aus.
er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahl-
orschläge sind von allen Fraktionen bei Enthaltung von
ündnis 90/Die Grünen angenommen. Wenn es nicht
lappt, dann muss man es eben üben. Das ist so.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 457
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 6 k:
Kuratorium der „Stiftung Denkmal für die er-
mordeten Juden Europas“
– Drucksache 16/214 –
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/214 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 6 l:
Mitglieder des Beirats zur Auswahl von The-
men für die Sonderpostwertzeichen ohne Zu-
schlag beim Bundesministerium der Finanzen
– Drucksache 16/215 –
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 16/215 vor.
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind
angenommen bei Zustimmung aller Fraktionen und Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 6 m:
Mitglieder des Beirats für die grafische Gestal-
tung der Postwertzeichen beim Bundesminis-
terium der Finanzen
– Drucksache 16/216 –
Auf Drucksache 16/216 liegen dazu die Wahlvor-
schläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor.
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind mit
gleichem Stimmergebnis angenommen, nämlich bei Zu-
stimmung aller Fraktionen und Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 6 n:
Mitglieder des Beirats bei der Bundesnetz-
agentur für Elektrizität, Gas, Telekommuni-
kation, Post und Eisenbahnen
– Drucksache 16/247 –
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/247 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig
angenommen.
Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 23 a bis 23 j sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c
auf:
23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bereinigung des Bundesrechts im Zuständig-
keitsbereich des Bundesministeriums für Ver-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über
die Bereinigung von Bundesrecht im Zustän-
digkeitsbereich des Bundesministeriums des
Innern
– Drucksache 16/28 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen
und zur Änderung tierschutzrechtlicher Vor-
schriften
– Drucksache 16/29 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes
zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
und der Außenwirtschaftsverordnung
– Drucksache 16/33 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Bereinigung des Bundesrechts im Zuständig-
keitsbereich des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Arbeit
– Drucksache 16/34 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Seeaufgabengesetzes
– Drucksache 16/35 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 8. April 2005 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und Rumänien über
soziale Sicherheit
– Drucksache 16/37 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Auswärtiger Ausschuss
458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Abkommens vom 31. März 1992 zur
Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ost-
– Drucksache 16/38 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 14. April 2005 über den
Beitritt der Tschechischen Republik, der Re-
publik Estland, der Republik Zypern, der Re-
publik Lettland, der Republik Litauen, der
Republik Ungarn, der Republik Malta, der
Republik Polen, der Republik Slowenien und
der Slowakischen Republik zu dem Überein-
kommen von 1980 über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht so-
wie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll
über die Auslegung des Übereinkommens
durch den Gerichtshof der Europäischen Ge-
– Drucksache 16/41 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Zweiten Änderung des Übereinkommens vom
25. Februar 1991 über die Umweltverträglich-
keitsprüfung im grenzüberschreitenden Rah-
men
– Drucksache 16/43 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset-
zes über die Bereinigung von Bundesrecht
im Zuständigkeitsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz
– Drucksache 16/47 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Daniel Bahr ,
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
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Dr. Norman Paech, Paul Schäfer ,
Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Beendigung der Operation Althea und
Einrichtung einer internationalen nicht mi-
litärischen Polizeimission in Bosnien und
Herzegowina
– Drucksache 16/217 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
berweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
all. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 24 b
is 24 h sowie den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es handelt
ich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen
eine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 24 b:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung
der Bundesnotarordnung
– Drucksache 16/106 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 16/246 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Neskovic
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
mpfehlung auf Drucksache 16/246, den Gesetzentwurf
nzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
urf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-
timmen? – Enthaltungen? – Wie stimmen die Grünen in
iesem Fall ab? – Sie haben zugestimmt. Der Gesetzent-
urf ist damit in zweiter Beratung mit Zustimmung aller
raktionen angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 459
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Betrieb elektronischer Mautsysteme
– Drucksache 16/32 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/221 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/221, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Statistik zur Informationsgesell-
– Drucksache 16/40 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 16/248
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Rainer Wend
Martin Zeil
Dr. Herbert Schui
Matthias Berninger
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/248, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
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)
Jetzt will ich an die Sozialdemokraten klar sagen:
Sie wissen wie ich, wo das Betreiberkonsortium seinen
Sitz nimmt. Wissen Sie das? Weiß das der Altkanzler?
Aus Angst vor der Steuerpolitik der SPD im Kanton
Zug.
Was haben Sie früher über Unternehmen gesagt, die
Standortentscheidungen dieser Art getroffen haben? Da
versagt die deutsche Sprache, trotz ihrer durchaus kraft-
vollen Möglichkeiten.
Die Zeit für den Debattenbeitrag in der Aktuellen Stunde
ist zu kurz, um alles vorzulesen. Die Zeitungsausschnitte
stehen auch Ihnen zur Verfügung. Ich empfehle Ihnen
die Lektüre. Der Sitz des Betreiberkonsortiums soll der
Kanton Zug sein. Hätten Sie sich in Ihren kühnsten Träu-
men vorgestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, dass ein einstmals von Ihnen gestellter Bundes-
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Wir haben ein Interesse an Transformationsprozessen
n Russland, auch ein Interesse an einer freien Presse.
ie wissen so gut wie ich, dass Gasprom-Media nicht ge-
ade ein Unternehmen ist, das zu einer freien Presseland-
chaft in Russland beiträgt.
Sie mögen jetzt sagen: Das hat mit dem Gasgeschäft
ichts zu tun. Es ist aber demselben Unternehmen zuge-
rdnet. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schreibt: Gas-
rom ist ein Monopolist mit Fernsehsender, „ein Polit-
nternehmen im Cockpit des Kreml“. Mit dem
nternehmerischen Ethos, das Sie, meine Damen und
erren von der SPD, hierzulande immer einfordern, hat
as überhaupt nichts zu tun.
Die deutsch-russischen Beziehungen sind wichtig.
ber Sie dürfen deshalb nicht unter den Teppich kehren,
as Ihr Altkanzler hier unternimmt. In Polen, in den bal-
ischen Staaten, in der Ukraine hören wir dieselben kriti-
chen Stimmen, was den Pipelinebau und sämtliche Vor-
äufe betrifft, und dort fühlt man sich jetzt bestätigt. Ich
enne keinen einzigen internationalen Kommentar in ir-
endeiner Zeitung dieser Welt, der den Sachverhalt an-
ers beschreibt, als ich ihn hier im Debattenbeitrag für
ie Bundestagsfraktion der FDP vortrage.
Ich zitiere zum Abschluss zwei hochinteressante Mei-
ungen aus Ihren eigenen Reihen. Der Kollege Reinhard
chultz findet es im Gegensatz zu den zahlreichen von
ir zitierten Kommentaren eher beruhigend, dass
chröder und nicht ein Mitglied der russischen Nomen-
latura den Pipelinebau steuert. An Schlichtheit ist das
icht zu überbieten.
Der Kollege Scheer hat gesagt, Schröder habe offen-
ichtlich der Instinkt verlassen. Ich will es etwas deutli-
her sagen – bezichtigen Sie mich nicht des Plagiats,
eil es ein prominentes Mitglied dieses Hauses schon
esagt hat –: Es ist wirklich instinktlos, was der Altkanz-
er getan hat, und deshalb muss das hier besprochen wer-
en.
462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Wolfgang Gerhardt
Das ist nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutsch-
land. Das ist nicht im europäischen Interesse. Das ist
noch nicht einmal im Interesse der Gewerkschaften. Sie
wissen doch, was er auf dem Gewerkschaftstag gesagt
hat:
Herr Gerhardt, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre. Auch wir wissen es
jetzt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Koppelin das
Wort.
Herr Präsident, die Fraktion der FDP hat diese
Aktuelle Stunde beantragt, damit die Haltung der Bun-
desregierung erklärt wird. Auf der Rednerliste steht kein
Mitglied der Bundesregierung. Wir beantragen daher,
den Vizekanzler herbeizurufen.
Es ist also ein Geschäftsordnungsantrag gestellt wor-
den. Meldet sich jemand zur Widerrede zu Wort? – Bitte
schön, Herr Benneter.
Die Bundesregierung hat ihre Haltung klar dargetan.
Insbesondere hat der Vizekanzler deutlich gemacht,
dass es im deutschen Interesse liegt, dass der ehemalige
Bundeskanzler die Oberaufsicht über eine solche Gesell-
schaft übernimmt. Insofern spreche ich mich gegen die-
sen Antrag aus und rufe dazu auf, ihn abzulehnen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag
ist, den Vizekanzler herbeizuzitieren, den bitte ich um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
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1)
2)
eshalb bitte ich darum, dass der Vizekanzler herbeige-
ufen wird.
Bis dahin unterbreche ich die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Herr Vizekanzler ist eingetroffen. Vielen Dank,
ass Sie so schnell gekommen sind, Herr Müntefering.
Bevor wir in der Aktuellen Stunde fortfahren, möchte
ch Ihnen schnell die Wahlergebnisse bekannt geben.
ahl der Mitglieder des Wahlausschusses gemäß § 6
bs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht:
bgegebene Stimmen 566, davon gültig 563, Enthaltun-
en 4, ungültige Stimmen 3. Fraktionen der CDU/CSU
nd der SPD 409 Stimmen, Fraktion der FDP 54 Stim-
en, Fraktion Die Linke 51 Stimmen, Fraktion des
ündnisses 90/Die Grünen 45 Stimmen.1)
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erhalten
eun Mitglieder, die übrigen Fraktionen jeweils ein Mit-
lied. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesver-
assungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge
ewählt, in der ihr Name auf dem Wahlvorschlag er-
cheint. Die Namen der gewählten Mitglieder entneh-
en Sie bitte den Drucksachen 16/201 bis 16/204.
Sodann Wahl der Mitglieder des Richterwahlaus-
chusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes: abgege-
ene Stimmen 561, davon gültig 557, Enthaltungen 1,
ngültige Stimmen 4. Von den gültigen Stimmen entfie-
en auf die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/
SU und der SPD 403, auf den Wahlvorschlag der Frak-
ion der FDP 56, auf den der Fraktion Die Linke 50 und
uf den der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen 47.2)
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erhalten
3 Mitglieder, die Fraktionen der FDP, der Linken und
es Bündnisses 90/Die Grünen jeweils ein Mitglied.
ach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mit-
lieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge ge-
ählt, in der die Namen auf den Wahlvorschlägen er-
cheinen. Die Namen der gewählten Mitglieder und
tellvertreter entnehmen Sie bitte den Drucksachen 16/188
is 16/191.
Jetzt fahren wir in der Aktuellen Stunde fort. Das
ort hat der Kollege Hermann Gröhe von der CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Be-
Verzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Verzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 463
)
)
Hermann Gröhe
rufung von Altbundeskanzler Gerhard Schröder zum
Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuro-
päische Gaspipeline hat viele Fragen, viel Irritation, Ver-
ärgerung und – wohl auch unter den eigenen Anhän-
gern – Enttäuschung ausgelöst.
Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert
Lammert, hat deutliche Worte dazu gefunden und damit
sicher für viele von uns gesprochen.
Dankbar bin ich aber auch für eine Reihe kritischer An-
merkungen aus den Reihen der SPD, die deutlich ma-
chen: Die kritisch diskutierte private Entscheidung des
Altbundeskanzlers ist nichts, was das Miteinander der
Koalitionsfraktionen berührt.
Im Hinblick auf die Haltung der Unionsfraktion
möchte ich daran erinnern, dass wir bereits bei der Un-
terzeichnung des Vertrages über die Gaspipeline gesagt
haben: Wir bejahen die darin zum Ausdruck kommende
Vertiefung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft.
Zugleich kritisieren wir aber die unzureichende Informa-
tionspolitik gegenüber den baltischen Staaten, Polen und
der Ukraine. – Wir müssen doch wissen, welche Ängste
in diesen Staaten eine Politik auslöst, die den Eindruck
erweckt, über ihre Köpfe hinweg zu geschehen. Deshalb
sind wir dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin Angela
Merkel und der Bundesaußenminister Steinmeier deut-
lich gemacht haben, dass wir gerade in der Zusammenar-
beit mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn
eine besondere Bedeutung sehen. Das ändert nichts am
Ziel einer weiteren Vertiefung der deutsch-russischen
Partnerschaft, stellt aber eine wichtige und, wie ich
meine, notwendige Ergänzung dieser Politik dar.
Den außenpolitischen Kommunikationsmängeln im
Vorfeld der Vertragsunterzeichnung folgt nun ein per-
sönliches Verhalten, das weitere Fragen auslöst: Wann
wurde diese geschäftliche Zusammenarbeit ins Auge ge-
fasst? Können ein ehemaliger Stasi-Offizier und ein
weitgehend von einem ausländischen Staat kontrolliertes
Unternehmen überhaupt, also auch jenseits der jetzt dis-
kutierten Karenzzeiten, angemessene Partner für einen
ehemaligen deutschen Regierungschef sein?
Brauchen wir einen Ehrenkodex für ehemalige Regie-
rungsmitglieder?
Die erste Frage kann nur der Betroffene beantworten;
gute Freunde werden ihm dies sicherlich raten.
Die zweite Frage beantworte ich mit einem klaren Nein.
Intensiver sollten wir uns mit der dritten Frage beschäfti-
gen.
Wir jedenfalls werden uns einer ernsthaften Debatte
über einen Ehrenkodex nicht verweigern.
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rste Vorschläge, beispielsweise in Anlehnung an die
egelungen für ehemalige Mitglieder der EU-Kommis-
ion, wurden bereits gemacht. Entrüstung ist für die vor
ns liegende Debatte allerdings ein schlechter Ratgeber,
uch die „nachgeholte Entrüstung“ der Partei des ehema-
igen Bundesaußenministers über eine nun plötzlich zu
nge Freundschaft Schröders mit Putin, an der man noch
or wenigen Wochen überhaupt nichts Kritikwürdiges
and.
Ich verhehle hier aber nicht, dass ich Zweifel an ei-
em schriftlich fixierten Ehrenkodex habe. Anstand er-
eicht man nicht mit einem komplizierten Regelwerk,
as zudem sehr differenziert und folglich sehr kompli-
iert sein müsste. Wir wollen ja einen engeren Austausch
wischen Wirtschaft und Politik, was auch Berufswech-
el zwischen diesen Bereichen einschließen muss,
erufswechsel übrigens, die in anderen Ländern übli-
her sind, was man hierzulande nicht selten beklagt. Zu-
em gilt Art. 12 des Grundgesetzes, die Freiheit der Be-
ufswahl, natürlich auch für ehemalige Spitzenpolitiker.
uch mag ein schriftlich fixierter Ehrenkodex geradezu
n die Versuchung führen, seine Grenzen austesten zu
ollen. Aber macht es nicht gerade Anstand aus, auch
ach den Buchstaben des Gesetzes Erlaubtes zu unterlas-
en, weil es sich eben nicht gehört?
uch darüber sollten wir im Rahmen der Debatte über
inen Ehrenkodex nachdenken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Bodo Ramelow von der
inken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter
err Präsident! Ich kann Herrn Gerhardt in der inhaltli-
hen Analyse über den hier in Rede stehenden Vorgang
ur zustimmen, möchte aber erwähnen, dass die FDP als
ntragstellerin dieser Aktuellen Stunde allen Grund hat,
ich an die eigene Nase zu fassen.
en Ehrenkodex im europäischen Rahmen haben wir
chließlich Herrn Bangemann zu verdanken, der sich ja
ehr bei Telefonica engagiert hat.
Das wirft ein anderes Problem auf, über das wir, wie
ch denke, viel gründlicher miteinander reden sollten:
464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Bodo Ramelow
Reicht ein Ehrenkodex für die Vorgänge, über die wir
hier reden, aus oder sind nicht eher transparente Regeln
für Politik und Wirtschaft notwendig?
Ich möchte das an einem aktuellen Beispiel verdeutli-
chen. Der Gammelfleischskandal in Deutschland zeigt,
wie notwendig es ist, eine gläserne Produktion und re-
gelmäßige Kontrollen in der gesamten Kette vom
Schlachthaus bis zum Supermarkt zu haben. Eine ähnli-
che klare und transparente Kette bräuchten wir auch für
die deutsche Politik. Das zeigt der aktuelle Vorgang.
– Sie können die Schlussfolgerungen ziehen, die Sie
wollen. Ich würde mir nicht erlauben, die FDP mit Gam-
melfleisch zu vergleichen. Ich rede von der Kette zwi-
schen Politik und Gesetzgebung. In dieser Kette ist eini-
ges nicht in Ordnung.
Das geht mit den Verhaltensregeln für unsere Abge-
ordneten los. Ich möchte Sie von der FDP ermuntern, Ih-
ren Widerstand aufzugeben. Ich denke, wir brauchen
transparente Regeln, die dazu verpflichten, dass alle Ne-
bentätigkeiten von uns Abgeordneten offen gelegt wer-
den.
– Wissen Sie, Ihre Nähe zur Stasi, die Sie gerade mit Ih-
rem Herrn Schröder offenbaren, sollten Sie bei sich sel-
ber ausmachen. Ich finde es absonderlich, wie Sie jetzt
auf andere zeigen.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt etwas viel
Wichtigeres als Ihre dämlichen Zwischenrufe;
das ist die Ministererlaubnis, mit deren Hilfe sich die
Politik über Entscheidungen von Gerichten oder Kon-
trollkommissionen hinwegsetzen kann. Bei Herrn
Müller wusste man nie: Ist er der Vertreter der Wirt-
schaft in der Regierung oder gehört er zum Parlament
und wird durch dieses kontrolliert? Wir fordern deswe-
gen die Abschaffung der Ministererlaubnis
und sagen ganz klar: Auch bei der anstehenden Entschei-
dung zu Pro Sieben Sat. 1 und Springer darf es keine
Ministererlaubnis geben. Wir werden eine gesetzliche
Regelung einbringen und Sie dann bitten, sich klar zu
entscheiden, ob Ministererlaubnisse zulässig bleiben sol-
len oder nicht. Wir werden die FDP klar fragen, ob die
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Sie können meine Spendenabrechnungen im Internet
achlesen. Ich würde mich freuen, auch Ihre lesen zu
önnen. Es wäre schön, wenn sie transparent wären, aber
hnen ist es ja schon zu viel, sie dem Präsidenten zu mel-
en.
Mehr Transparenz in der deutschen Politik bedeutet
lare Abgrenzung. Es muss deutlich gemacht werden,
ass diejenigen, die zehn Tage vor der Wahl einen Ver-
rag unterschreiben, nicht einen Monat nach der Wahl für
as gleiche Unternehmen – zudem „outgesourct“ in ei-
em Steuersparland – die Position des Aufsichtsratsvor-
itzenden übernehmen können. Ich finde, Herr
esterwelle, das riecht stark nach Gammelfleisch. In
iesem Sinne sind wir für Transparenz in der deutschen
olitik. Wir fordern Herrn Schröder auf, das Mandat
icht anzunehmen.
Obwohl das sicher ein umstrittener Beitrag war, gra-
uliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
estag.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter
on der SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Liebe
olleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich den Ver-
uch unternehmen, die Debatte wieder zur Sachlichkeit
urückzuführen.
ch sehe keine Irritation und auch keine Verärgerung da-
über, wie sich der Bundeskanzler a. D. verhalten hat.
ir haben in der jetzigen Situation erstmals die Chance,
ine direkte Anbindung an die russischen Gasvorräte in
estsibirien zu bekommen. In der nächsten Zeit wird
as Volumen des Erdgasimports mit Sicherheit sehr stark
teigen. Das müsste jeder wissen, der sich ernsthaft da-
it auseinander setzt – gerade auch die Partei der Auf-
ichtsräte, die sich jetzt so empört.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 465
)
)
Klaus Uwe Benneter
Das zusätzlich produzierte Gas muss nach Europa trans-
portiert werden. Bisher existieren dafür zwei Pipelines,
eine Südroute und eine Route, die durch Polen und
Weißrussland führt. Jeder weiß um die technischen und
politischen Schwierigkeiten, die mit der Produktion und
dem Gastransport nach Deutschland zusammenhängen.
Die Ostseepipeline bietet uns die Chance, unabhängig
von den zwischengeschalteten Staaten direkt an die
Energieversorgung angeschlossen zu werden.
Auch die Grünen müssten wissen, dass in der nächs-
ten Zukunft Windkrafträder allein nicht ausreichen wer-
den. Wir brauchen diesen Öltransport.
– Entschuldigung. Wir brauchen diesen Gastransport
nach Europa.
Die Pipeline wird in Greifswald anlanden. In Greifswald
wird die Verteilung Richtung Nordwesteuropa erfolgen.
Das wird die wirtschaftlichen Möglichkeiten in einem
Landstrich verbessern, der darauf angewiesen ist, mit-
hilfe neuer Technologien nach vorne zu kommen.
Diese dritte, unabhängige Verbindung verläuft
100 Kilometer entfernt von der polnischen Grenze. Inso-
fern kann sie auch zu einer sicheren Gasversorgung Po-
lens beitragen.
Der ehemalige Bundeskanzler wurde von russischer
Seite angesprochen, ob er den Aufsichtsratsvorsitz für
dieses europapolitisch, geostrategisch, energie- und wirt-
schaftspolitisch wichtige
Projekt übernehmen will. In dieser Situation hat sich
Gerhard Schröder, dem die Stärkung der deutsch-russi-
schen Beziehungen durch ein gemeinsames, technolo-
gisch nach vorne gerichtetes Projekt immer ein Anliegen
war, bereit erklärt, die Oberaufsicht über diese Gesell-
schaft zu übernehmen.
Über Geld ist überhaupt noch nicht gesprochen worden.
– Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch. Sie von der FDP
sind ja Kenner der Materie, wenn es um Aufsichts-
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Gerade angesichts unserer geostrategischen Situation
allerorten hört man „Weg vom Öl!“ – und der Entwick-
ung der Ölpreise, die ein Erpressungs- und Nötigungs-
otenzial der Ölstaaten uns gegenüber nahe legt, müssen
ir Wert darauf legen, dass das produzierte Gas mög-
ichst direkt nach Deutschland und Mitteleuropa kommt.
enau diesem Projekt widmet sich Gerhard Schröder. In
iesem Sinne übernimmt er die Oberaufsicht. Es liegt im
reigenen Interesse Deutschlands, wenn Gerhard
chröder sich so betätigt.
Herr Kollege Gröhe, Gerhard Schröder bewegt sich in
er Linie seiner Kanzlerschaft, in der Linie dessen, was
r durchsetzen wollte.
ch sehe keinen Anlass, deshalb einen Ehrenkodex ein-
ufordern. Außerdem hieße das ja nur: Wenn jemand
ine Tätigkeit übernehmen will, hat er sie vorher anzu-
elden, damit dann andere darüber entscheiden können,
b er diese Position übernehmen darf oder nicht. Ich bin
icher, dass die Bundesregierung der Meinung ist – das
at der Wirtschaftsminister von der CSU klar zum Aus-
ruck gebracht –, dass es im Interesse Deutschlands ist,
enn Gerhard Schröder den Aufsichtsratsvorsitz über-
immt. Ich denke, auch die CDU/CSU-Fraktion sollte
as so sehen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger
om Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ab-
eordnete Benneter hat davon gesprochen, dass wir alle
avon ausgehen müssen, dass sich Altbundeskanzler
erhard Schröder geopfert hat. Ich stelle jedoch fest:
as Einzige, was der Altbundeskanzler geopfert hat, ist
ein Ruf.
einen Ruf so leichtfertig zu opfern ist eine politische
selei.
466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Matthias Berninger
Ich denke, wir müssen uns mit zwei Fragen beschäfti-
gen. Die erste Frage lautet: Von wem hängen wir, was un-
sere Energieversorgung angeht, ab? Wir hängen bei-
spielsweise von Russland ab, was unsere Versorgung mit
Erdgas betrifft, und wir hängen unter anderem von eini-
gen arabischen Staaten ab, wenn es um unsere Versor-
gung mit Erdöl geht. Wir können also nicht immer nur
froh und glücklich darüber sein, welche Regierungen und
Konzerne dort das Sagen haben und wie die jeweiligen
Machtstrukturen sind. Das ist der erste wichtige Punkt.
Der zweite wichtige Punkt ist die Debatte darüber, ob
Politikerinnen und Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätig-
keit im Parlament, im Anschluss daran oder vorher in
der Wirtschaft tätig sein dürfen. Dafür gibt es viele Bei-
spiele. Ich nenne zum einen Friedrich Merz und zum an-
deren Klaas Hübner von der SPD-Fraktion. Beide sind
aus einer unternehmerischen Tätigkeit heraus vor den
Wähler getreten und haben sich wählen lassen. Es ist ab-
solut legitim, dass Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätig-
keit im Parlament auch in der Wirtschaft tätig sind.
Das Problem dieser Debatte bestand darin – hier ha-
ben, wie ich finde, auch die Kollegen von der FDP über-
zogen –, dass man die Tätigkeit von Politikerinnen und
Politikern in der Wirtschaft generell in Misskredit ge-
bracht hat. Das Kernproblem von Gerhard Schröder ist,
dass sein Verhalten eine öffentliche Reaktion hervorge-
rufen hat, die dazu geführt hat, dass die empörte Öffent-
lichkeit sofort die generelle Trennung von Politik und
Wirtschaft forderte. Ich aber meine, dass Leute mit un-
ternehmerischem Hintergrund hier im Parlament durch-
aus ihren Platz haben und dass sie zum Beispiel durch
das Verhalten des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder
in ihrer Arbeit diskreditiert werden.
Der Name Bangemann ist ja schon gefallen und die
Bemerkung von Herrn Söder, der gesagt hat, man dürfe
Herrn Schröder jetzt nicht mehr Altbundeskanzler nen-
nen, fand ich nicht in Ordnung. Das hat mich an dieser
Debatte etwas gestört. Denn ich denke, dass sich die Em-
pörung sehr in Grenzen halten sollte. Aufseiten der
Union sollte man beispielsweise einmal an Helmut Kohl
und seine Tätigkeit für Kirch denken. Darüber haben Sie
von der SPD sich damals zu Recht empört. Deswegen
ärgere ich mich, dass Sie jetzt vergleichsweise rückhalt-
los hinter dem Bundeskanzler stehen.
Ich glaube, dass es jenseits eines Ehrenkodexes, über
den auch wir innerhalb der Grünen-Fraktion reden soll-
ten, ein ganz klares Kriterium für Anstand gibt. Ich finde
es unanständig, wenn der Altkanzler der Bundesrepublik
Deutschland den Aufsichtsratsvorsitz einer Tochter der
Gasprom übernimmt.
Lassen Sie mich das begründen. Ich finde das erstens
unanständig – darauf hat Herr Gerhardt bereits hinge-
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Ich finde es nicht anständig, eine Führungsposition
ei der Gasprom zu übernehmen, deren Vorstandsvorsit-
ender ein Ex-Stasimajor ist, der zuvor zufälligerweise
irtschaftsspionage im Bankenbereich betrieben hat
nd bei der Dresdner Bank tätig war; so viel zum Namen
arnig. Unanständig finde ich das auch deshalb, weil
ie Gasprom ein Bild von Europa hat, an dem ich Sie
och einen Moment lang teilhaben lassen möchte. Die
asprom hat vorgestern ein Pressegespräch gemacht und
ort der Öffentlichkeit den Hintergrund des Baus der
aspipeline vorgestellt. Unter der Überschrift „Die
orddeutsche Gaspipeline – Versorgungssicherheit für
uropa“ wurden eine Reihe von Gründen für den Bau
er Pipeline genannt. Man kann dafür oder dagegen sein,
ass durch die Ostsee hindurch eine solche Pipeline ge-
aut wird; das ist eine wirtschaftspolitische Entschei-
ung. Aber dann wurde folgende Begründung genannt:
in Grund für den Bau dieser Pipeline sei die Vermei-
ung unkalkulierbarer Risiken bei der Durchleitung des
ases durch das Territorium von Drittstaaten. Ich
öchte hier für den ganzen Deutschen Bundestag fest-
tellen, dass die baltischen Staaten und Polen Teile der
uropäischen Union sind
nd dass ich deshalb nicht glaube, dass es unkalkulier-
are Risiken gibt.
iese Länder sind unsere Partner in der Europäischen
nion. Deswegen ist es unanständig, ein solches Unter-
ehmen mit seinem guten Namen zu schmücken.
Herr Präsident, lassen Sie mich schließen mit einer
pontanen Äußerung von Peter Struck – für mich je-
and, der in seiner Tätigkeit als Politiker wirklich eine
orbildfunktion hat –, der am Sonntag im ZDF etwas ge-
agt hat, womit er mir aus der Seele gesprochen hat. Er
at den schlichten Satz gesagt: Ich hätte das nicht ge-
acht. – Ich finde, man kann ergänzen: Herr Altbundes-
anzler Schröder, verzichten Sie auf diesen zweifelhaf-
en Job! Sie haben das nicht nötig und dieses Land hat
as nicht nötig.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 467
)
)
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Franz
Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
dieser Aktuellen Stunde war kein Minister auf der Re-
gierungsbank. Das ist dem Parlament gegenüber nicht
angemessen und ich bedaure das; das haben wir von der
Bundesregierung miteinander zu besprechen. Ich will
versuchen, dafür zu sorgen, dass wir da in Zukunft bes-
ser sortiert sind.
Ich will zunächst sagen, dass diese Ostseepipeline ein
Projekt von großer Sinnhaftigkeit ist; das ist von einigen
Kollegen schon angesprochen worden. Es geht um die
Energiesicherheit Deutschlands. Das Unternehmen, das
diese Ostseepipeline errichtet, ist ein internationales: Es
gehört zu 51 Prozent Gasprom und zu 49 Prozent deut-
schen Beteiligungen. Das Projekt an sich ist nicht neu:
Wir kennen es seit einiger Zeit und haben es gestützt und
gefördert. Es ist auch nicht wegzureden mit dem Hin-
weis, dass es bereits eine Gaspipeline gibt, die durch
Polen führt. Die Pipeline, die jetzt gebaut wird, soll nicht
nur Deutschland versorgen, sondern weitergeführt wer-
den in die Niederlande, nach Großbritannien und in an-
dere europäische Länder. Diese Bundesregierung hat,
wie die Bundesregierung davor, zum Ausdruck gebracht:
Sie ist für dieses Projekt.
Es bedeutet eine Diversifizierung, die angesichts der
Probleme, die die Energieversorgung in dieser Welt be-
reitet, vernünftig ist. Deshalb kann doch kein Mensch in
diesem Haus ernstlich infrage stellen, dass es sinnvoll
ist, diese Pipeline zu bauen und noch mehr Sicherheit in
unsere Energieversorgung zu bringen, indem wir sie di-
versifizieren.
– Der Weg weg vom Öl ist ein Thema, das uns alle mit-
einander verbinden muss.
Nun hat die FDP eine Frage an die Bundesregierung
gestellt. Genauer muss ich sagen: die Spaß-FDP; ich er-
kenne Sie alle wieder heute. Mit einem Augenzwinkern
sind Sie unterwegs, haben geglaubt, sie könnten sich ei-
nen Jux daraus machen. Aber die Haltung der Bundesre-
gierung zu dem Projekt dieser Ostseepipeline ist rundum
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as hat auch damit zu tun, dass der Bundeswirtschafts-
inister dabei war, als die erste Schweißnaht – das ist so
ine Art Grundsteinlegung – gefeiert wurde. Die Kanzle-
in hat mit unserem Nachbarn Polen darüber gesprochen,
ass die Interessengegensätze, die ja vermutet werden,
usgeglichen werden können. Kurzum: Diese Pipeline
ann für ganz Europa von großem Nutzen sein.
Nun hat die FDP ja nicht nach der Haltung der Bun-
esregierung zu diesem Projekt gefragt, sondern dazu,
ass Gerhard Schröder, der ehemalige Bundeskanzler, an
ie Spitze dieses Unternehmens geht. Dazu kann ich Ih-
en nichts sagen, weil sich die Bundesregierung dazu
eine Meinung gebildet hat.
Nun seien Sie vorsichtig, ehe Sie dazwischenjohlen!
Das wäre eine interessante Frage. Aber stellen Sie
ich vor, ich würde Ihnen heute hier erzählen, wir hätten
m Kabinett darüber gesprochen, ob man so etwas darf
der nicht! Da müsste diese große FDP ja wohl aufsprin-
en und sich empören, was die Regierung der Bundesre-
ublik Deutschland sich anmaßte, sich einzumischen,
er bei internationalen Unternehmen wie dem dort ent-
tehenden an der Spitze stehen soll!
as stellen Sie also für Fragen?! Kleinkariert, schon im
nsatz.
ie haben gedacht: Da können wir die mal erwischen,
etzt pieken wir die mal eben an.
ber das, was Sie da machen, bleibt unter Ihrem Niveau;
err Gerhardt, das will ich Ihnen sagen.
Das gilt in Maßen auch für Sie von den Grünen. Die
eschwindigkeit, mit der sich manche hier im Raume
rehen und glauben, sie könnten hier so herumspuken,
inde ich interessant.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Pro-
ekt haben wir gefördert und gefordert. Wir haben es in
iner Zeit unterstützt, als noch niemand wusste, dass am
8. September Bundestagswahl sein würde.
468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Franz Müntefering
Wir haben es unterstützt, ohne zu wissen, wie die Bun-
destagswahl ausgehen würde. Wir, auch Gerhard
Schröder, haben es unterstützt, ohne zu wissen, dass er
jetzt nicht mehr Bundeskanzler sein würde.
Er hat auf den Marktplätzen gestanden und hat ge-
kämpft. Oder wollen Sie sagen, das habe er nur gemacht,
um hinterher in diese Funktion wechseln zu können? Es
ist absoluter Irrsinn, was Sie da erzählen.
– Hören Sie auf zu schreien. Sie haben sich ein Ei ins
Nest gelegt. Das wird Ihnen noch wehtun.
Sie fordern die Bundesregierung der Bundesrepublik
Deutschland auf, sich dazu zu äußern, wenn irgendje-
mand in bestimmten internationalen Unternehmen an die
Spitze der Unternehmen rückt. Dabei geht es zunächst
einmal nicht um die Person Gerhard Schröder. Das kann
man nicht auf eine Person beziehen. Dann müssten wir
auch über andere Personen sprechen.
Lieber Herr Gerhardt, Bundeskanzler, Regierungsmit-
glieder und ehemalige wichtige Politiker haben alle
möglichen Funktionen übernommen. Sie beraten Ver-
lage, schreiben Bücher und sind im Auftrag der Bundes-
regierung in Missionen überall auf der Welt unterwegs.
Das ist alles richtig. – Sie von den Grünen schütteln den
Kopf. Ich bewege mich gerade auf die entscheidende
Frage zu – ich umkreise sie nahezu –:
Sind Sie in der Sache dagegen, dass er das macht,
oder sind Sie dagegen, weil er Geld dafür bekommt?
Genau das ist Ihr Problem. Dass Gerhard Schröder mit
seiner Kenntnis und seiner Erfahrung der letzten Jahre
an dieser Stelle ein guter Mann ist und dass er diese Auf-
gabe übernehmen kann, werden Sie nicht bestreiten kön-
nen, wie auch sonst niemand hier im Raum. Das ist die
schlichte Wahrheit.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktu-
lle Stunde zeigt: Die Opposition ist in diesem Parla-
ent nicht machtlos.
ie hat es geschafft, dass sich gnädigerweise wenigstens
in Minister ins Parlament begeben hat. Die mangelnde
räsenz der SPD-Fraktion zeigt die innere Distanz der
ozialdemokraten zu ihrem früheren Kanzler.
Herr Kollege Benneter, Sie sprachen immer von Öl.
ch darf Ihnen verraten: Es geht hier um Gas und um
ohle, aber nicht um Öl. Das sage ich Ihnen, damit Sie
ie Fakten kennen.
Herr Müntefering, ich möchte aufgreifen, was Sie ge-
agt haben, nämlich dass sich die Bundesregierung dazu
icht äußern soll und nicht äußern kann. Der Fall
angemann, der mir nicht gefallen hat, ist nicht ver-
leichbar mit dem Fall Schröder.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 469
)
)
Rainer Brüderle
– Nein, nein. Der Unterschied ist, dass dort jemand euro-
paweit für generelle Regeln zuständig war. Daran haben
Sie sich täglich abgearbeitet. Hier hat ein ehemaliger
Kanzler ein konkretes Projekt eines Unternehmens ge-
fördert, das dem russischen Staat gehört und das Instru-
ment der russischen Politik ist. Es ist ein Unterschied, ob
Sie im Einzelfall eingreifen oder für generelle Regeln
zuständig sind.
Der Regierungssprecher von Herrn Schröder, Uwe-
Karsten Heye – mancher kennt ihn noch –, hat im Fall von
Herrn Bangemann öffentlich erklärt, Herr Bangemann
habe dem Ansehen der Kommission einen erheblichen
Schaden zugefügt.
Regierungssprecher Heye erklärte, Bangemann habe
Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen.
Herr Heye erklärte öffentlich in der „Passauer Neuen
Presse“, die Bundesregierung werde sich einer mögli-
chen Klage einiger europäischer Länder gegen den beur-
laubten Kommissar anschließen. Regierungssprecher
Heye sagte wörtlich, man werde sich beteiligen, wenn es
darum gehe, ein Verfahren in Gang zu setzen. – Dort ha-
ben Sie sich in einem Fall, der ungleich anders war,
durch den Regierungssprecher Ihrer Partei intensiv öf-
fentlich betätigt. Heute sagen Sie, das ginge das Kabinett
nichts an. Was ist denn da richtig?
Das Schlimme ist ja die innere Unaufrichtigkeit.
Wirtschaftsminister Müller hat, als er der rot-grünen Re-
gierung angehörte, in seiner Amtszeit die Fusion von
Eon und Ruhrgas – auch Partner dieser Pipeline – gegen
das Votum des Kartellamts und der Monopolkommission
genehmigt. Der ganze ökonomische Sachverstand war
dagegen, auch wegen des Marktanteils dieses Unterneh-
mens von 87 Prozent. Später hat sich Schröder be-
schwert, dass die Gaspreise gestiegen sind. Einführung
in die Grundzüge der Ökonomie an der Volkshochschule
Mainz-Süd, zweite Stunde: Monopolpreise sind immer
höher als Wettbewerbspreise.
Anschließend ist dieser Herr Müller Vorstandsvorsit-
zender der Ruhrkohle AG, einer Tochtergesellschaft von
Eon, geworden. Staatssekretär Tacke, der das für ihn un-
terschrieben hat, ist anschließend Vorstandsvorsitzender
der STEAG AG, einer Tochtergesellschaft von Eon
Ruhrgas, geworden.
Das ist die Schieflage, weshalb viele im Land sagen,
dass die Politik dort nicht in Ordnung ist. Wir wollen uns
nicht in Richtung einer Bananenrepublik bewegen. Hier
müssen andere Maßstäbe und andere Haltungen her. Da-
rum geht es.
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Es geht doch gar nicht um diese Gasleitung, die öko-
omisch vernünftig ist. Es geht auch gar nicht darum, ob
ie nun in Greifswald oder woanders ankommt; es geht
m die Haltung. Bundeskanzlerin Merkel spricht mittler-
eile liebevoll vom „Altbundeskanzler“. Da schwingt
er Kanzler nach. 14 Tage war er abgewählt und aus
em Amt und schon wurde er beim russischen Staatsun-
ernehmen Aufsichtsratsvorsitzender.
Wahrscheinlich wird er auch noch Ehrenbürger der
chweiz; denn er wirbt ja für den Standort Schweiz.
s gibt offenbar keinen besseren Beleg dafür, dass es
ich nicht lohnt, ein Unternehmen in dem Land zu wäh-
en, dessen politische Konkursmasse Rot-Grün hinterlas-
en hat, als nach Zug in die Schweiz zu gehen. Wahr-
cheinlich erhält er dort den Ehrenpreis für die
tandortwerbung für die Schweiz. Was wurde vorher
ber die unpatriotischen Unternehmer geschimpft, die
ich ökonomisch entscheiden!
Ich habe gelesen – das ist interessant –, was der Chef
on Gasprom operativ alles machen soll. Aber Sie sagen
a, es gehe nicht ums Geld, also um die 1,5 Millio-
en Euro, von denen die „Leipziger Zeitung“ heute be-
ichtet, sondern um die Sache. Sie sollten wirklich ein-
al die Kirche im Dorf lassen:
s ist nicht in Ordnung, dass Sie Monopole begünstigen
ein Unternehmen auf dem Gasmarkt: Marktanteil von
7 Prozent – und anschließend die politisch Zuständigen
orthin gehen. Hier ist wieder so ein Fall. Gasprom ist ja
icht irgendein Unternehmen. Misslebige Medienunter-
ehmen werden schnell aufgekauft. In Weißrussland, wo
s einen Diktator gibt, werden günstige Energiepreise
emacht. Das ist ein Instrumentarium der russischen
olitik und kein Unternehmen wie Telefonica oder sonst
rgendeines, bei dem es einen Markt mit Konkurrenz
ibt. Hier ist ein Staatsmonopol in Russland. Dort geht
er deutsche Kanzler hin und wird Aufsichtsratsvorsit-
ender!
Sie sollten mal überlegen, was Sie tun! Den kleinen
enossen, die bei Ihnen Plakate geklebt haben, kommt
as Frühstück hoch und ein Teil Ihrer Fraktion schämt
ich draußen.
470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Götzer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich diese Aktuelle Stunde zu-
nächst zum Anlass nehmen, eine grundsätzliche Bemer-
kung vorweg zu machen. Der Wechsel von ehemaligen
Politikern, insbesondere Mitgliedern der Bundesregie-
rung, nach ihrer Amtszeit in die Wirtschaft ist nicht nur
zulässig. Wir halten es auch für sinnvoll, dass sich politi-
scher Sachverstand im Wirtschaftsleben wiederfindet.
Genauso halten wir es für richtig und wichtig, dass Un-
ternehmer ihren wirtschaftlichen Sachverstand in die
Politik einbringen, am besten dadurch, dass sie Parla-
mentarier werden.
Beim heutigen Thema geht es aber nicht um diese
grundsätzliche Frage, sondern um die Umstände eines
solchen Wechsels. Dass allerdings gerade die FDP diese
Aktuelle Stunde beantragt hat,
verleitet zum Nachdenken darüber, wie das denn mit
dem schon angesprochenen Fall des ehemaligen Bundes-
wirtschaftsministers und EU-Kommissars Martin
Bangemann
und seinem schnellen Wechsel zum spanischen Telefo-
nica-Konzern war.
– Ich will das jetzt nicht vertiefen.
Ich glaube, wir sind uns einig: Fälle dieser Art werfen
die Frage des politischen Stils, mehr noch des Anstands
auf. Was geziemt sich für ein ehemaliges Mitglied der
Bundesregierung, einen hohen Repräsentanten unseres
Landes, nach Aufgabe seines Staatsamtes? Ich möchte
noch einmal betonen: Es spricht aus meiner Sicht grund-
sätzlich nichts dagegen, dass ein solch hochrangiger ehe-
maliger Politiker seinen Sachverstand in die Wirtschaft
einbringt. Das kann sogar im Interesse unseres Landes
liegen. Aber es sollte alles vermieden werden – auch das
muss ich sagen –, was auch nur den Anschein einer Be-
lohnung für bestimmtes politisches Verhalten erwecken
könnte.
– Das ist eine grundsätzliche Bemerkung. – Es geht da-
bei nicht um die vor allem unter Juristen immer gleich
heiß diskutierte Frage der Rechtmäßigkeit eines solchen
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ichts anderes hat im Übrigen der Kollege Gröhe vorher
n seiner Rede zum Ausdruck gebracht. Kann man denn
as, was Anstand und Common Sense fordern – also die
lassischen Beispiele für ungeschriebene Gesetze –,
irklich in Paragraphen fassen? Ich glaube, nicht.
Ein Verhaltenskodex mag einen gewissen Rahmen
etzen. Die schriftliche Fixierung kann aber zu Fehl-
chlüssen verleiten: Alles, was dort nicht als unanständig
ufgeführt ist, wird man in Konsequenz daraus als an-
tändig ansehen. Aber das muss nicht immer der Fall
ein. Wir müssen andererseits darauf achten, dass nicht
twas schnell und vordergründig als unehrenhaft ge-
randmarkt wird, woran an sich nichts Anstößiges ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vizekanz-
er Müntefering hat zu Recht festgestellt, dass diese von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 471
)
)
Christine Lambrecht
der FDP initiierte Aktuelle Stunde den Charakter einer
Juxveranstaltung habe. Viele Ihrer Beiträge bestätigen
diese Einschätzung.
Ich möchte gern auf einige Redebeiträge eingehen
und sie auf ihre Ernsthaftigkeit überprüfen. Sie von der
FDP reden von Anstand, Moral und Ehre in der Politik.
Ich will nicht noch einmal die Erinnerung an Herrn
Bangemann strapazieren. Davon war schon so oft die
Rede, dass inzwischen sicherlich jeder weiß, was das für
eine faule Geschichte war.
Ich erinnere aber an die Kollegin Flach, die Geld bezo-
gen hat, ohne dafür irgendeine Leistung zu erbringen
und ohne diese Einnahmen anzugeben. Wenn ich solche
Kolleginnen und Kollegen in den eigenen Reihen hätte,
dann wäre ich etwas vorsichtiger mit Begriffen wie
Ehre, Anstand und Moral.
Völlig neu und interessant für mich ist allerdings,
dass es mittlerweile aus der Sicht der FDP einem Betrieb
schon vorzuwerfen ist, wenn er seinen Geschäftssitz in
die Schweiz verlegt.
Ich wusste gar nicht, dass man einem Betrieb einen Vor-
wurf daraus machen kann. Nach dem, was Sie, Herr
Gerhardt und Herr Brüderle, vorgetragen haben, kann
man nur allen Unternehmern bei einem solchen Vorha-
ben zur Vorsicht raten: Dafür wird man von der FDP in
Deutschland ausdrücklich gerügt.
Herr Berninger, Ihr Beitrag war für mich Heuchelei
im Quadrat.
Entschuldigung, aber Sie waren doch Staatssekretär in
einer rot-grünen Regierung, die dieses Projekt beschlos-
sen hat. Vielleicht habe ich es seinerzeit nicht mitbekom-
men, aber alle Kritikpunkte, die Sie eben an diesem Ge-
schäft aufgeführt haben, habe ich vorher nicht von Ihnen
gehört. Wann haben Sie denn Ihre Bedenken vorgetra-
gen?
Die Öffentlichkeit hat nichts davon erfahren. Deswegen
ist es heuchlerisch, wenn Sie sich diese Position zu Ei-
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Lieber Kollege Ramelow, Sie fordern Transparenz in
er Politik und die Offenlegung der Nebeneinkünfte von
bgeordneten. Herzlich willkommen in der Realität!
as haben wir in der letzten Legislaturperiode mühsam
urchgesetzt, auch gegen Stimmen aus der FDP und der
nion bzw. gerade gegen diese Opposition.
Wir haben nämlich seinerzeit festgelegt, dass zukünf-
ig Nebentätigkeiten hinsichtlich ihrer Art und der damit
erbundenen Einnahmen offen gelegt werden müssen.
ch kann mich noch gut an die Position der Kolleginnen
nd Kollegen aus der CDU/CSU erinnern, die genau das
icht wollten. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass die
ffentlichkeit und auch Sie ein Interesse daran haben,
as ein ehemaliger Bundeskanzler macht. Die Öffent-
ichkeit hat aber auch ein mindestens genauso großes In-
eresse daran, zu erfahren, was die Abgeordneten ma-
hen, die sie gegenwärtig vertreten.
Gestatten Sie mir deswegen – auch aus Respekt vor
em Amt des Bundestagspräsidenten – einige Sätze.
enn Herr Lammert das Geschehene als „instinktlos“
ezeichnet,
ber gleichzeitig versucht, die Regelungen wieder rück-
ängig zu machen, sodass Abgeordnete in Zukunft Ne-
entätigkeiten nicht mehr offen legen müssen, dann ver-
neife ich mir lieber eine Bemerkung. Ich glaube, es
nteressiert die deutsche Öffentlichkeit, ob jemand wie
riedrich Merz gleichzeitig Abgeordneter ist, dem Auf-
ichtsrat der Deutschen Börse angehört und einen dorti-
en Großaktionär berät.
ie CDU/CSU wollte damals die Regelung zur Offenle-
ung verhindern. Wenn ich Sie richtig verstanden habe,
ält man sie immer noch nicht für sonderlich sinnvoll
nd will sie wieder zurückschrauben.
uch Herr Lammert hat sich schon diesbezüglich geäu-
ert. Wir sollten uns vielleicht langsam einigen, was wir
igentlich wollen:
inen Ehrenkodex, der keinerlei Auswirkungen hat, oder
lasklare Regelungen, die bei Verstößen entsprechende
epressalien zur Folge haben, liebe Genossinnen und
enossen.
So weit geht es schon fast mit der großen Koalition!
472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Christine Lambrecht
Lassen Sie uns in diesem Sinne wieder auf den Boden
der Tatsachen zurückkehren. Ich freue mich auf Ihre Re-
aktion in der Diskussion über die Verhaltensregeln in
den zuständigen Ausschüssen.
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, Dr. Dietmar
Bartsch und der Fraktion der LINKEN
Einsetzung eines Ausschusses des Deutschen
Bundestages für die Angelegenheiten der
neuen Länder und für andere strukturschwa-
che Regionen
– Drucksache 16/130 –
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Mit-
glieder des Hauses, die an der Aussprache nicht teilneh-
men wollen, den Saal zu verlassen, damit diejenigen, die
daran teilnehmen wollen, dem Redner folgen können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster
Redner der Kollege Roland Claus von den Linken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach dem Genossen Generaldirektor geht es
nun um die Angelegenheiten der neuen Bundesländer.
Die Fraktion Die Linke schlägt Ihnen vor, einen Bundes-
tagsausschuss für die Angelegenheiten der neuen Länder
und anderer strukturschwacher Regionen einzusetzen.
Ich will in diesem Zusammenhang einen Kenner der ost-
deutschen Szene zitieren, der einmal sagte:
Eine Bundesregierung, die den Osten so abhängt,
muss abgelöst werden im Interesse der Menschen in
den neuen Bundesländern und im Interesse
Deutschlands insgesamt. Der Aufbau Ost ist für die
Entwicklung Deutschlands von entscheidender Be-
deutung.
So Edmund Stoiber an die Adresse der Regierung
Schröder, lange bevor er regierungsflüchtig wurde. Man
kann dazu nur sagen: Wo er Recht hat, hat er Recht.
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Sie geben mir ein gutes Stichwort.
Natürlich verkennen auch wir Linke nicht, dass im
sten Deutschlands vieles erreicht worden ist.
bwohl wir der Auffassung sind, dass die beiden letzten
egierungen nicht die richtige Förderpolitik gemacht ha-
en, ist es an dieser Stelle geboten, dass ein ostdeutscher
ozialist den Bürgerinnen und Bürgern in den früher ge-
orenen Bundesländern Dank für die Unterstützung sagt,
ie nicht nur im Zahlen des Solidaritätszuschlags be-
tand, sondern auch in vielen anderen Dingen. Das will
ch hiermit ausdrücklich tun.
Schaut man sich die Realitäten des Ostens Deutsch-
ands 2005 genau an, zum Beispiel das Ranking der
ertelsmann-Stiftung, dann stellt man fest: Leider neh-
en die Differenzen wieder zu. Die Ergebnisse der von
hnen eingesetzten Dohnanyi-Kommission sind, wie
ir finden, nicht wirklich gewürdigt worden. Dohnanyi
at es auf einen Punkt gebracht, als er gesagt hat, um die
ngelegenheiten der neuen Bundesländer und anderer
trukturschwacher Regionen sollten sich alle kümmern.
ber damit das klappt, muss es an einer Stelle koordi-
iert werden. Diesem Gedanken folgen wir mit unserem
orschlag, einen Bundestagsausschuss für die Angele-
enheiten der neuen Länder und anderer strukturschwa-
her Regionen einzusetzen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 473
)
)
Roland Claus
Inzwischen geht es nicht mehr um Nachsorge. Wir
sprechen vielmehr von einem Neuansatz für Ostdeutsch-
land. Es ist doch ein sehr spannender Prozess, dass sich
hier zwei Transformationsprozesse überlagern: die
noch immer anhaltende gesellschaftliche Transformation
und die Transformation der Arbeitswelt. In Ostdeutsch-
land werden heutzutage Erfahrungen gesammelt, die
künftig in der ganzen Republik gebraucht werden.
Im Osten entsteht Neues, das Verbesserungen für die
ganze Republik bringt. Dazu zwei Stichworte: Stadtum-
bau, auch Rückbau von Wohnungen. Weiterhin nenne
ich den Standortvorteil Kinderbetreuung. Reden Sie mit
Investoren! Ich weiß, dass Sie das machen. Für die sind
diese so genannten weichen Standortfaktoren Standort-
faktoren der Zukunft. Darum müssen wir uns kümmern.
Deshalb lohnt es sich, diese Erfahrungen einzubringen.
Es ist nicht unser Begehren, eine Experimentierwerkstatt
für weiteren Sozialabbau einzurichten, sondern eine
Denkfabrik für Innovation und soziale Gerechtigkeit. Es
lohnt sich, dem Beispiel zu folgen.
Deshalb möchte ich Sie bitten, unserem Antrag zuzu-
stimmen. Geben Sie sich selbst den viel gerühmten
Ruck, den Sie sonst immer von anderen verlangen!
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Claus, ich freue mich natür-
lich, dass Sie uns für unseren Koalitionsvertrag gelobt
haben. Ich teile Ihre Meinung, dass darin in der Tat eini-
ges steht, was Ostdeutschland voranbringen kann. Wir
sprechen aber heute in der allgemeinen Aussprache nicht
über die Angelegenheiten Ostdeutschlands. Sie, Herr
Claus, fordern vielmehr von diesem Haus, dass es einen
eigenen Ausschuss einrichtet, der sich mit Ostdeutsch-
land und mit den besonderen Problemen strukturschwa-
cher Länder befassen soll.
Das ist der Punkt. Ich räume ein, dass man über den Sinn
eines solchen Ausschusses durchaus geteilter Meinung
sein kann. Für einen solchen Ausschuss spräche zweifel-
los, dass es nach wie vor eine gewaltige Menge von ost-
deutschen Spezifika gibt, die einer besonderen Behand-
lung bedürfen und die in allen Politikbereichen beachtet
werden müssen. Sie nennen das Transformationsprozess.
Das ist eine etwas beschönigende Vokabel. Wir sprechen
von teilungsbedingten Nachteilen bzw. teilungsbeding-
ten Belastungen. Das ist der Terminus, der auch im So-
lidarpakt enthalten ist und auf den sich unser Koalitions-
vertrag bezieht.
Es stellt sich die Frage, Herr Claus, ob wir dafür eine
echte eigene Arbeitsstruktur brauchen oder ob nicht viel-
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nd als eine Bindung zusätzlicher Kräfte.
Herr Claus, als nächstes muss ich Ihnen etwas Weite-
es vorhalten. Wir haben am 22. November dieses Jahres
ier in diesem Haus einen gemeinsamen Antrag über
ie zukünftige Arbeitsstruktur des deutschen Parla-
ents beschlossen. Das war ein Antrag, der von allen
raktionen des Bundestages, Herr Gysi, eingebracht
orden ist und einstimmig beschlossen wurde. Bean-
ragt wurde, 22 Ausschüsse einzurichten, wobei keiner
ieser Ausschüsse speziell für den Aufbau Ost, für die
euen Länder oder für strukturschwache Gebiete zustän-
ig sein sollte.
Ich habe mich darum gekümmert, herauszufinden, ob
ie womöglich im Vorältestenrat einen entsprechenden
nspruch geäußert haben.
ir wurde gesagt, das sei nicht geschehen. Auch wenn
s geschehen sein sollte, wenn ich vielleicht falsch infor-
iert bin, dann wäre es Ihnen jederzeit möglich gewe-
en, hier noch einen Änderungsantrag einzubringen.
ber das haben Sie nicht getan. Ich frage Sie: Was soll
ich Gravierendes in den neun Tagen bis zum Zeitpunkt
er Einbringung Ihres heutigen Antrags – das war der
. Dezember 2005 – geändert haben, um Anlass dafür zu
eben, die Arbeitsstruktur des Bundestages noch einmal
rundlegend zu ändern? Ich kann nichts erkennen.
Herr Kollege Claus, wenn sich so etwas nicht ereignet
at, dann frage ich mich: Welchen Sinn hat Ihre Aktivi-
ät eigentlich? Ich sage Ihnen: Es kommt Ihnen offenbar
474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Arnold Vaatz
überhaupt nicht darauf an, etwas für Ostdeutschland zu
tun oder Ostdeutschland mehr ins öffentliche Bewusst-
sein zu rücken. In Ihrer Begründung schreiben Sie, einer
der Gründe für die Einsetzung eines solchen Ausschus-
ses sei, dass ostdeutsche Probleme nicht genug parla-
mentarische Aufmerksamkeit gefunden hätten.
Das ist nicht schlüssig. Die parlamentarische Aufmerk-
samkeit, die ostdeutsche Probleme erhalten, ist nicht da-
von abhängig, ob es einen solchen Ausschuss gibt oder
nicht.
Vielmehr ist sie abhängig von der Aktivität der Parla-
mentarier. Zwei Vertreter Ihrer Fraktion sitzen im Ältes-
tenrat. Sie haben dafür gesorgt, dass jeder Antrag, den
Sie auf die Tagesordnung setzen wollten, tatsächlich auf
die Tagesordnung kam und hier debattiert worden ist.
Was Sie wirklich wollen, hat mit der Einsetzung eines
Ausschusses insofern überhaupt nichts zu tun.
Die eigentliche Frage ist: Was wollen Sie wirklich be-
zwecken? Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben mit
den anderen Fraktionen zunächst einstimmig eine be-
stimmte Arbeitsstruktur beschlossen. Eine Woche später
haben Sie plötzlich gesagt: Aber wir brauchen noch ei-
nen Ausschuss für die Angelegenheiten Ostdeutsch-
lands. Das ist nichts anderes als ein ziemlich durchsichti-
ger und plumper Versuch, den anderen Fraktionen, den
anderen Parteien, den politischen Gegnern für alles, was
in Ostdeutschland vielleicht nicht funktioniert, die
Schuld zuzuweisen. Ihr Argument würde lauten, dass Ihr
jeweiliger Antrag in diesem Ausschuss abgelehnt wurde;
Sie hätten alles Mögliche tun wollen, aber die anderen
hätten nicht zugestimmt.
Sie waren dabei, als die Struktur der Arbeit im Bun-
destag beschlossen worden ist. Sie haben diesem Be-
schluss, der unter anderem die Einsetzung von
22 Ausschüssen vorsieht, zugestimmt.
Herr Kollege Vaatz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Claus?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Claus.
Herr Kollege, ist Ihnen in der Tat nicht bekannt, dass
wir das Ansinnen, einen solchen Ausschuss einzusetzen,
in den interfraktionellen Gremien sehr wohl vorgetragen
haben? Ist Ihnen in der Tat nicht bekannt, dass wir bei
der Einsetzung der anderen Ausschüsse gesagt haben
„Jawohl, die unstrittigen Ausschüsse tragen wir natür-
lich mit; sie sollen eingesetzt werden.“? Wir haben uns
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der eine Erklärung zur Abstimmung oder was auch im-
er abzugeben. Das parlamentarische Instrumentarium
teht Ihnen dafür zur Verfügung. Sie hätten all das jeder-
eit machen können. Sie haben es nicht gemacht. Sie
ollten zunächst einmal mit uns gemeinsam Tatsachen
chaffen, um hinterher gegen die von Ihnen geschaffe-
en Tatsachen anzurennen.
as machen Sie seit Jahr und Tag. Das ist Ihre Strategie
n Ostdeutschland. Mit dieser Strategie haben Sie in Ost-
eutschland bis jetzt nur Schaden angerichtet und nichts
rreicht.
ch bitte Sie, Herr Claus: Überdenken Sie die Strategie
nd bringen Sie sich in einer sinnvollen Art zugunsten
stdeutschlands ein!
Wir haben eine Menge zu tun. Wir haben den
olidarpakt II umzusetzen. Wir haben erhebliche Ein-
riffe in eine ganze Reihe von Gesetzen vor, die das Ziel
aben, beispielsweise Genehmigungsverfahren zu be-
chleunigen. Nur, die Erfahrung zeigt, Herr Claus, dass
ie mit Verfahrensbeschleunigungen nie etwas im Sinn
aben. Ich kann Ihnen zum Beispiel aus meinem Wahl-
reis von Mitte der 90er-Jahre berichten – –
Sie sollten aber jetzt keine zweite Rede halten, son-
ern nur auf die Frage antworten.
Herr Claus steht noch. Solange er steht – –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 475
)
)
Nein, es geht nicht danach, ob der Fragesteller noch
steht. Da könnte jemand eine Stunde stehen bleiben und
der Redner könnte eine Stunde antworten.
Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht. Ich hatte ge-
meint, den Kollegen Claus noch eine Weile unterhalten
zu müssen, weil er so lange stehen geblieben ist. Aber
wenn Sie mich unterbrechen, komme ich zum Schluss.
Ich fordere Sie noch einmal auf: Packen Sie mit an
und verstricken Sie uns hier nicht in zeitraubende und
unnütze Debatten über Strukturfragen, die meines Erach-
tens nicht notwendig sind, um Ostdeutschland voranzu-
bringen!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Joachim Günther von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Kollege Vaatz hat das aus einer etwas anderen
Sicht betrachtet, als ich das jetzt wohl tun werde, obwohl
wir im Ergebnis wahrscheinlich auf eine Linie kommen.
Auch wir in der FDP wissen, dass es große Unter-
schiede zwischen Ost und West gibt. Ich füge hinzu: Die
gibt es auch zwischen Nord und Süd. Deshalb ist es in
Ihrem Antrag zumindest ein Fortschritt gegenüber der
Zeit von vier oder acht Jahren, dass Sie die struktur-
schwachen Gebiete integriert haben. Aber genau an die-
ser Stelle ist für mich der Punkt, an dem ich mich frage:
Wie definieren wir diese strukturschwachen Gebiete?
Welche Größe muss ein strukturschwaches Gebiet ha-
ben, damit es durch diesen Ausschuss vertreten werden
kann?
Ich nehme einmal das konkrete Beispiel aus meiner
Heimat Hochfranken. Das ist auf der anderen Seite von
Hof. Dort hat die Arbeitslosigkeit inzwischen dieselbe
Größenordnung erreicht wie im Vogtland und in Plauen;
allerdings – das gebe ich zu – weit unter dem ostdeut-
schen Durchschnitt. Jetzt ist die Frage: Gehört das Vogt-
land noch mit zu Ostdeutschland und damit in den Aus-
schuss? Muss Hochfranken integriert werden? Die
gleiche Frage kann man sich natürlich auch für andere
Bereiche stellen.
Um das noch einmal klar zu sagen: Wir als FDP
möchten, dass der Aufbau Ost zielstrebig und gewissen-
haft vorangetrieben wird und dass andere strukturschwa-
che Gebiete nicht zurückbleiben. Darüber sind wir alle
uns wahrscheinlich einig.
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Aber genauso bin ich davon überzeugt, dass ein zu-
ätzlicher Ausschuss in dieser Richtung uns nicht we-
entlich voranbringt. Ich habe mir die Mühe gemacht,
och einmal einige Unterlagen aus dem Ausschuss für
ie Angelegenheiten der neuen Länder der vorletzten
egislaturperiode herauszuziehen. Wenn Sie diese Be-
ichte betrachten, dann stellen Sie fest: Hier wird eindeu-
ig über Dinge gesprochen, die im Endeffekt in anderen
usschüssen entschieden werden müssen. Der Aus-
chuss hatte keine eigene Entscheidungskompetenz, zu-
indest keine, die dann durch irgendjemanden konkret
mgesetzt wurde.
Wenn man Abgeordnete fragt, die damals Mitglied in
iesem Ausschuss waren – von Ihnen waren auch wel-
he dabei –, dann antworten sie: Wir hatten nicht die An-
indung. Wir hatten keinen Fürsprecher, der das Wesent-
iche umgesetzt hat. Das – das muss ich einmal ganz
eutlich sagen – will ich eigentlich ändern. Wir brauchen
afür eine Lobby. Wir brauchen eine Lobby dafür, dass
ieser Schwerpunkt, den ich mit „Angleichung der Le-
ensverhältnisse in ganz Deutschland“ bezeichnen
öchte, nicht als Aufgabe eines einzelnen Ausschusses,
ondern als Querschnittsaufgabe der gesamten Regie-
ung betrachtet wird.
Wir müssen dieses Thema stärken, wir wollen es stär-
en, aber effektiv und an den Stellen, an denen wir Wir-
ung erzielen können. Ich nenne einmal ein Beispiel
azu. Wenn es um Infrastruktur geht, hört man: Wenn in
eine Region kein Autobahn- oder Eisenbahnanschluss
ommt, kommt keine Industrie, kommen keine
rbeitsplätze. – Das ist vom Grundsatz her richtig. Nun
üssen wir denjenigen festnageln, wie man so schön
agt, der dafür dann im Endeffekt die Verantwortung
rägt. Wenn es um eine solche Angelegenheit geht, ist
er Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
uständig. In diesem Ausschuss haben wir es mit Minis-
er Tiefensee mit einem Mann zu tun, der aus dem Osten
ommt. Er ist wahrscheinlich auch gerade im Osten un-
erwegs und schaut nach, wo nichts funktioniert; deswe-
en ist er nicht hier. Ich bin davon überzeugt, dass Mi-
ister Tiefensee sich für diese Dinge mit einsetzen wird.
Ich lege mich in dieser Richtung sogar noch weiter
est: Ich möchte jemanden haben, der verantwortlich ist
nd den ich ansprechen kann; ich möchte keinen anony-
en Ausschuss. Ich möchte jemanden haben, der in die-
em Bereich nachweisen muss, ob – das mache ich an
iesem Beispiel fest, weil ich im Wahlkampf in der Re-
ion Leipzig und nordöstlich von Leipzig unterwegs
ar – Minister Tiefensee dafür steht, dass die Region
orgau an das Autobahnnetz angebunden wird, oder
icht, ob er dafür steht, dass eine Anbindung ans Erzge-
irge erfolgt, oder nicht. Das kann man nur dann messen
nd nachvollziehen. Deswegen möchte ich keinen Aus-
chuss, der querbeet arbeitet.
476 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Joachim Günther
Ich möchte das an einem weiteren Beispiel klar ma-
chen, bei dem wir uns als ostdeutsche Abgeordnete,
wahrscheinlich aus allen Fraktionen, weitestgehend ei-
nig sind, nämlich am Wehrsold. Kann der Ausschuss
Ost dieses Thema behandeln? Wehrsold Ost und Wehr-
sold West sollten gleich sein. Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass die Lebenshaltungskosten – wenn Sie die
Miete einmal ausklammern, die da leider immer mit hin-
eingerechnet wird – inzwischen weitestgehend gleich
hoch sind; also sollte auch der Wehrsold gleich hoch
sein. Dann ist es doch sinnvoll, einen Antrag zu stellen,
der im Verteidigungsausschuss und im Finanzausschuss
konkret behandelt werden muss. Wenn uns das gemein-
sam gelingt, dann haben wir diejenigen, die in diesem
Fall die Verantwortung tragen, mit dem Thema direkt
befasst und können hoffen, dass wir von ihnen eine Ant-
wort bekommen.
Engagieren wir uns also – das ist mein Credo in dieser
Angelegenheit – in den Ausschüssen, die in den entspre-
chenden Bereichen Bedeutung haben!
Engagieren wir uns gemeinsam vielleicht auch in der ei-
nen oder anderen Situation fraktionsübergreifend, wenn
es darum geht, strukturschwache Gebiete in einer Form
zu unterstützen, die mehrere Ministerien betrifft! Kom-
men wir – das ist meine Bitte – endlich weg von dem
Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich einen
Arbeitskreis“! Das möchten wir nicht. Wir möchten in
den bestehenden Arbeitskreisen unser Bestes geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Gunter Weißgerber,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Günther, Sie haben angesprochen, dass der
Verkehrs- und Bauminister nicht da sei. Ich halte das für
nicht sehr problematisch; denn was wir heute beraten, ist
eindeutig Sache des Parlaments. Es ist völlig unerheb-
lich, ob der zuständige Verkehrsminister da ist oder
nicht.
Außerdem ist ja sein Staatssekretär anwesend; die Re-
gierung ist also vertreten.
Der vorliegende Antrag auf Einsetzung eines Aus-
schusses für die Angelegenheiten der neuen Länder und
anderer strukturschwacher Regionen wird von uns abge-
lehnt werden – aus sachlichen Gründen und nicht etwa,
weil er aus der vermeintlich falschen Ecke kommt. Seit
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ir ist jedenfalls kein direkter messbarer Erfolg aus den
isherigen „Ostausschüssen“ bekannt. Sämtliche Ent-
cheidungen für die wirtschaftliche, infrastrukturelle und
oziale Entwicklung Ostdeutschlands fielen in den dafür
orgesehenen gesamtdeutschen Fachausschüssen.
Das ist richtig; nur mussten wir das erst lernen. Wir
aben gelernt, dass die ostdeutschen Probleme gesamt-
eutsch und in den Fachausschüssen gelöst werden müs-
en. Auch führte die bisherige, oft einseitig auf Ost-
eutschland fokussierte Diskussion nicht zu einem
tärkeren Drang vieler Ostdeutscher, ihre Dinge selbst in
ie Hand zu nehmen.
Parlamentarisch machten wir eine menschlich selbst-
erständliche Erfahrung. Die bisherige ostdeutsche Son-
erprivilegierung schadet den Ostdeutschen zunehmend
elbst und führt zu einem beachtlichen emotionalen Ver-
chleiß ostdeutscher Problematiken bei den damit auf
eren Solidarität angesprochenen westdeutschen Mitbür-
ern und Kollegen. Wer diese mit im Boot haben will
und nur mit diesen geht etwas –, der muss andere
ege gehen, nämlich die im Parlament üblichen und er-
robten.
Üblicherweise steht einem Ministerium immer ein
achausschuss gegenüber. Im vorliegenden Fall gibt es
ieses Ministerium aus gutem Grunde nicht. Der Aufbau
st ist eine sich durch alle Ministerien ziehende Auf-
abe, die vom Verkehrs- und Bauminister lediglich koor-
iniert wird. Es ist eine Aufgabe, zu der sich die Koali-
ion ausdrücklich bekennt. Ich verweise hier auf den
oalitionsvertrag, der sich in 13 Punkten – um nur
inige Schwerpunkte anzuführen: Investitionszulage,
örderpolitik, Gemeinschaftsaufgabe, Förderung Mittel-
tand, Existenzgründer, Wissenschaft, Innovationen,
ändliche Regionen – Ostdeutschlands prioritär an-
immt. Erfahrungsgemäß ist ein Ausschuss ohne Spie-
elministerium eine zahnlose Veranstaltung. Deshalb
ollen wir einen solchen Ausschuss auch nicht für den
ufbau Ost.
Wir alle sind Abgeordnete aus verschiedenen Regio-
en dieser Republik. Es ist unsere Aufgabe, für unsere
egionalen Probleme gesamtdeutsche Mitstreiter zu sen-
ibilisieren. Nichts geht für Ostdeutschland ohne die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 477
)
)
Gunter Weißgerber
Mehrheit unserer westdeutschen Kollegen. Bisher haben
wir diese immer erreichen können. Das wird auch wei-
terhin geschehen. Denn beispielsweise haben wir in un-
serer Fraktion eine Arbeitsgruppe Aufbau Ost, in der wir
gemeinsam mit westdeutschen Kollegen die Situation
Ostdeutschlands diskutieren, wodurch wir zur Mei-
nungsbildung in der gesamten Fraktion beitragen.
Es sind die gleichen MdBs, die in den Fachausschüs-
sen ihre Heimatinteressen im Einklang mit den Gesamt-
interessen vertreten und die zusätzlich in einem Ostaus-
schuss mit erweiterter Aufgabenstellung hinsichtlich der
anderen strukturschwachen Regionen sitzen würden.
Warum die Sache doppelt organisieren, wenn sie im
Fachausschuss bereits an der richtigen Stelle ist?
Insgesamt bleibt es aus unserer Sicht dabei: Die Lö-
sung der ostdeutschen Defizite liegt im existenziellen In-
teresse Gesamtdeutschlands. Der Dampfer „Deutsch-
land“ havariert hauptsächlich im Osten. Die gesamte
Besatzung muss alles tun, damit das gemeinsame Schiff
weiter vorwärts kommt. Das geschieht im Parlament in
allen Ausschüssen. Ein Sonderlamento auf der havarier-
ten Seite würde zwar hörbar sein, würde jedoch am Di-
lemma praktisch nichts ändern.
Sicher werden wir von nun an auf ein Neues mit der
ostdeutschen Alleinvertretungskritik der PDS konfron-
tiert werden.
Das ist zu erwarten. Treffen wird uns diese Kritik aber
nicht. Es sind nämlich die Ostdeutschen in den Koali-
tionsfraktionen, die sich gegen diese Art von Sonderaus-
schuss aussprechen. An die Adresse links im Haus ge-
richtet: SPD und CDU/CSU haben in ihren Reihen
jeweils mehr ostdeutsche Abgeordnete mit ostspezifi-
scher Einheitserfahrung als die PDS.
Die Ostkompetenz im gesamten Parlament ist ohnehin
wesentlich größer als die von der PDS irreführender-
weise beanspruchte.
Wenn sich die Ostdeutschen in der Linkenfraktion,
die sich dort in der Minderheit befinden, nicht durchset-
zen können, ist das allein deren Problem. Der Bundestag
jedenfalls kann deren Manko nicht ausgleichen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Peter Hettlich, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
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ie Menschen in Ostdeutschland sind für solche simplen
otschaften nicht mehr zu haben.
Bündnis 90/Die Grünen hat deswegen auch im Wahl-
ampf keine Versprechungen gemacht, sondern wir ha-
en unser Augenmerk auf die argumentative Benennung
er Probleme, Sorgen und Nöte gerichtet. Wir haben ver-
ucht, den Menschen klar zu machen, dass es für ein
ielschichtiges Problem keine einfachen Lösungen ge-
en kann. Versprechen sollten wir daher nur das, was wir
uch halten können. Dazu gehört zum Beispiel das Ver-
prechen, dass wir alle unsere Kraft für die Belange der
euen Länder einsetzen, und zwar jede und jeder von
ns in den jeweiligen Fachausschüssen.
Die Einsetzung dieses Ausschusses hat aus unserer
icht bloßen Symbolcharakter. Aber Symbole reichen
icht aus, um die Herausforderungen in den neuen Län-
ern zu meistern. Auch der Themenvielfalt könnte dieser
usschuss nicht gerecht werden. Sie schlagen vor, dass
er Ausschuss 15 Mitglieder haben sollte. Das würde
onkret bedeuten, dass Ihre und unsere Fraktion jeweils
in Mitglied in diesem Ausschuss hätten. Dieses Mit-
lied müsste dann alle Themenfelder bearbeiten. Das
ann wirklich nicht Ihr Ernst sein, das kann nicht im
inne des Antragstellers sein.
Ich gebe zu, dass ich mit der Ansiedlung des Beauf-
ragten für die neuen Länder im Ausschuss für Verkehr,
au- und Wohnungswesen zunächst nicht besonders
lücklich war. Aber ich muss auch sagen, dass die Kolle-
innen und Kollegen aus den alten Bundesländern in den
etzten Jahren einiges dazugelernt haben. Es war für sie
icher ungewohnt, über Themen wie den Bericht zum
tand der deutschen Einheit oder die Gemeinschaftsauf-
abe „Ost“ zu debattieren. Aber ich finde, gerade in den
tzten Monaten der vergangenen Legislaturperiode wurde
diesem Ausschuss über Themen wie beispielsweise den
478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
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Peter Hettlich
Bericht zum Stand der deutschen Einheit sehr intensiv,
sehr ernsthaft und ohne die üblichen Schuldzuweisungen
debattiert. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich finde, dass
wir diesen guten Ansatz weiterführen sollten.
Es wurde auch deutlich, dass es auf das Engagement
der Berichterstatter ankommt – und nicht auf die Hülle,
sprich: den Ausschuss –, ob man mit einem Thema in
der medialen Öffentlichkeit tatsächlich Aufmerksamkeit
erzielen kann.
Im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
hat dieser Lernprozess begonnen. Ich wünsche mir, dass
es uns gelingen wird, dass dieser Prozess auch in den an-
deren Fachausschüssen stattfinden wird bzw. dass er
fortgeführt und intensiviert wird. Wir haben alle Mög-
lichkeiten dazu. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linkspartei, werden diese Chancen doch sicher-
lich nutzen wollen.
Ein weiteres Argument, das gegen die Einrichtung ei-
nes Ostausschusses spricht, haben Sie selbst geliefert, in-
dem Sie gesagt haben, seine Aktivitäten auf andere
strukturschwache Regionen erweitern zu wollen. Ich
stimme zwar mit Ihnen darin überein, dass die Transfor-
mationsprozesse sowohl in den neuen als auch in den al-
ten Bundesländern neue Denkprozesse erfordern. Aber
genau das können wir nur in den Fachausschüssen leis-
ten und nicht dadurch, dass wir als ostdeutsche Abgeord-
nete unter uns bleiben.
Wir schaffen nur dann eine gesamtgesellschaftliche
Solidarität für die Belange der neuen Länder, wenn wir
gemeinsam die gewachsenen regionalen Disparitäten in
den alten Ländern mit auf die Agenda setzen und ge-
meinsam Lösungsansätze erarbeiten. Auch das kann der
von Ihnen vorgeschlagene Ausschuss nicht leisten.
Ich stimme Ihnen zu, dass es in den nächsten Jahren
auch um einen inhaltlichen Neuansatz bei der Förderpo-
litik gehen wird. Ich weiß nur nicht, ob wir damit das
Gleiche meinen. Denn es fehlt aus meiner Sicht nicht an
Fördermitteln, sondern an einer effizienten Fördermittel-
verwendung und einer entsprechenden effizienten För-
derinstrumentestruktur. Darauf sollten wir in den nächs-
ten Jahren unser besonderes Augenmerk legen.
Die Arbeitsgruppe Ost unserer Bundestagsfraktion
hat sich in der letzten Legislaturperiode quasi mit allen
im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost relevanten The-
men beschäftigt. Das reichte von der Investitionszulage
bis zu Hartz IV, von der demographischen Entwicklung
bis zum Stadtumbau Ost. Um diese Themen dabei kompe-
tent bearbeiten zu können, haben wir uns regelmäßig auf
die aktive Mitarbeit der Fraktionskolleginnen und -kolle-
gen aus den alten Bundesländern verlassen müssen, weil
wir selber gar nicht die entsprechende Fachkompetenz
hatten. Aber das hat erstens dazu geführt, dass es in un-
serer Fraktion eine sehr viel höhere Akzeptanz der AG
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Es liegt also an uns, die uns bewegenden Themen in
ie Öffentlichkeit zu tragen und in diesem Haus zu de-
attieren. Dafür brauchen wir keinen neuen Ausschuss.
nsere Möglichkeiten sind – vielleicht gerade deswe-
en, weil wir in der Opposition sind – groß. Worauf war-
en wir also noch? Machen wir uns an die Arbeit! Fan-
en wir an!
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Grund, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Der Aufbau Ost, der Auf-
au der neuen Bundesländer, dauert länger und kostet
ehr, als sich wohl die meisten von uns vorgestellt, es
rwartet oder auch befürchtet haben.
Es ist nicht nur die Gleichzeitigkeit der Prozesse, die
eit 1989/1990 ablaufen, also der wirtschaftliche Zusam-
enbruch des Ostblocks, der Fall der Mauer, die Globa-
isierung, die demographische Entwicklung und der Ver-
uch der Angleichung der Lebensbedingungen im Osten
n die des Westens. Ich glaube, es ist vielmehr die Hin-
erlassenschaft, die 1989/1990 vorgefunden worden ist,
ie dazu beiträgt, dass dieser Prozess so lange dauert und
o viele Schwierigkeiten macht.
Mit der ehemaligen DDR ist der Bundesrepublik
icht die zehntstärkste Industrienation beigetreten. Es
ar vielmehr ein wirtschaftlich verwahrlostes, infra-
trukturell vernachlässigtes und ökologisch verheertes
ebiet zu übernehmen und aufzubauen.
Zu Ihrem Protest muss ich sagen: Es gab vom damali-
en Chef der Plankommission, von Gerhard Schürer, im
erbst 1989 eine Ausarbeitung für das Zentralkomitee
zw. das Politbüro.
Darin hieß es: Bei Betrachtung aller Dinge muss der
schon damals nicht allzu hohe – Lebensstandard der
evölkerung der DDR sofort um 30 Prozent gesenkt
erden, wenn die Zahlungsunfähigkeit, der Bankrott der
DR nicht sofort eintreten soll. – Das war die Situation.
Der Kollege Claus hat zu Recht darauf hingewiesen,
ass viel Geld von West nach Ost geflossen ist:
000 Milliarden Euro, möglicherweise sogar noch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 479
)
)
Manfred Grund
mehr. Das ist aber nicht das Problem, über das wir heute
reden. Was uns Sorge machen muss, ist, dass nach wie
vor 4 Prozent unseres Bruttosozialprodukts für die
Finanzierung dessen, was wir als „Aufbau Ost“ bezeich-
nen, benötigt werden. Aufgrund des Wirtschaftswachs-
tums von durchschnittlich 1,3 bzw. 1,4 Prozent in den
letzten zehn Jahren erfolgt der Aufbau Ost also aus der
Substanz der alten Bundesrepublik. Das ist das große
Problem.
Nun kann man sich fragen, ob man sich 1989/90 ein
wenig getäuscht hat und was der Grund dafür ist, dass
der Aufbau Ost nicht schneller erfolgt. Am Geld hat es
nicht gelegen. Alle Bundesregierungen seit 1989/90 ha-
ben versucht, mit diesen Problemen – auf strukturell un-
terschiedlichen Wegen – fertig zu werden. In den beiden
Kabinetten Helmut Kohls waren mehrere ostdeutsche
Minister, die mit ihrem Namen für den Aufbau Ost ein-
gestanden sind: Angela Merkel, Claudia Nolte und Paul
Krüger, um nur einige von unserer Seite zu nennen. In
dieser Zeit hat es einen ganz ordentlichen Aufholprozess
gegeben. Danach, mit dem Kabinett Schröder, wurde der
Aufbau Ost zur Chefsache, mit durchaus unterschiedli-
chen Ergebnissen. Die Schere zwischen West und Ost
schloss sich nicht mehr – das war allerdings schon seit
1997/98 so –, aber mit dem Solidarpakt II wurde die
Anschlussfinanzierung an den Solidarpakt I auf den Weg
gebracht und damit Sicherheit bis zum Jahr 2019. Dafür
können wir sehr dankbar sein.
Nun hat die Fraktion der Linken den Antrag gestellt
– darüber debattieren wir heute –, einen Ausschuss für
die Angelegenheiten der neuen Länder und für andere
strukturschwache Regionen einzurichten. Die Fraktion
Die Linke wäre des Oppositionszuschlages nicht wert,
wenn sie diesen Antrag nicht gestellt hätte. Ich glaube
aber, dass Sie hier einer Fehleinschätzung aufsitzen. Es
besteht die große Gefahr, zu glauben, dass in diesem
Ausschuss alle Themen, die die neuen Länder betreffen,
behandelt und abgearbeitet werden, dass wir Ostdeut-
sche quasi eine eigene Spielwiese bekommen; dabei ist
die Außenwirkung relativ gering.
Ich war von 1999 bis 2002 im damaligen Ausschuss
für die Angelegenheiten der neuen Länder, kenne die
Debatten und die Ergebnisse. Ich nehme an, dass Sie
sich einmal angesehen haben, worüber in diesem Aus-
schuss in den vier Jahren debattiert worden ist: Man hat
sich mit 478 Drucksachen beschäftigt. Das ist mögli-
cherweise ein Nachweis des Fleißes dieses Ausschusses,
über die Wertigkeit sagt dies aber relativ wenig. Über die
Wertigkeit erfährt man etwas, wenn man fragt, bei wie
vielen Beratungsgegenständen dieser Ausschuss feder-
führend und bei wie vielen er mitberatend war. Schätzen
Sie einmal: 30 Prozent, 20 Prozent oder 10 Prozent der
Vorlagen? Weniger als 10 Prozent, nämlich insgesamt
35 Vorlagen, waren Vorlagen, bei denen der Ausschuss
für die Angelegenheiten der neuen Länder federführend
gewesen ist. Sie messen ihm also möglicherweise eine
zu hohe Bedeutung bei. Im Wesentlichen handelte es
sich um Berichte zum Stand der deutschen Einheit oder
um Themen, bei denen man sich mit sich selbst beschäf-
tigt hat.
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nd dass wir unseren Sonderstatus als Abgeordnete aus
em Osten auf diese Weise irgendwann einmal verlieren
nd einfach gute Arbeit leisten können.
Auch wenn dieser Ausschuss nicht zustande kommen
ird, haben Sie gute Möglichkeiten, als Fraktion in den
achausschüssen mitzuarbeiten. Außerdem regieren Sie
eit Jahren in zwei wichtigen deutschen Bundesländern,
n Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn es Ih-
en gelingt, in diesen beiden von Ihnen mitregierten
ändern gute Impulse für den Aufbau Ost zu setzen, die
uch hier ankommen, leisten Sie das Beste, was Sie leis-
en können. Hier haben wir ein gemeinsames Anliegen.
nsofern sind Sie herzlich willkommen. Arbeiten Sie or-
entlich mit, aber lassen Sie in Zukunft solche Schau-
ensteranträge!
Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Hilsberg,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Viele meiner Vorredner von der Koalition,
ber dankenswerterweise auch von zwei Oppositions-
raktionen, haben gewichtige Gründe ins Feld geführt,
ie gegen die Einrichtung eines solchen Ausschusses
prechen. Ich will Ihnen von der PDS gerne konzedieren,
ass es durchaus auch Argumente gibt – –
Ach, PDS, SED: Sie können sich noch so oft um-
enennen; Sie bleiben der, der Sie sind. Daran ändert
ich auch nichts. Insofern ist das kein Namensproblem.
Ich will aber trotzdem durchaus konzedieren – viel-
eicht nehmen Sie das als ein Zeichen, dass ich auf Sie
ugehe –, dass es auch Argumente für einen solchen
usschuss gibt. Gleichwohl muss ich sagen: In dem An-
rag, den Sie uns vorgelegt haben, stehen diese Argu-
ente gar nicht. Man hat nicht das Gefühl, es sei etwas
eues hinzugekommen. Es sind die alten Kamellen; es
st sehr ideologisch und klingt ein bisschen wie eine
ammerarie. Ich komme noch darauf zu sprechen.
Ein bisschen habe ich das Gefühl, dass die Diskussio-
en, die vor drei Jahren zur Abschaffung des entspre-
henden Ausschusses geführt haben, an Ihnen vorbeige-
angen sind. Dafür kann man Verständnis haben. Sie
480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Stephan Hilsberg
waren die letzten drei Jahre nicht im Parlament. Sie wer-
den jetzt wieder an den Diskussionen teilnehmen. Viel-
leicht werden auch Sie in einigen Jahren zu anderen Auf-
fassungen kommen, als Sie sie hier vorgetragen haben.
Es geht schlicht und einfach um folgenden Punkt:
Auch wenn wir in Ostdeutschland nach wie vor ge-
wichtige Probleme haben, die uns vor große Herausfor-
derungen stellen, kann man weder aus der Koalitionsver-
einbarung, die wir getroffen haben, noch aus der Arbeit
der rot-grünen Koalition und unserer Bundesregierung in
den letzten drei Jahren in irgendeiner Art und Weise den
Vorwurf ableiten, Ostdeutschland habe keine Rolle ge-
spielt. Das glatte Gegenteil davon ist der Fall.
Da kommt es nicht einfach nur auf ostdeutsche Minis-
ter an. Wer hat denn um den Risikostrukturausgleich zu-
gunsten der ostdeutschen Krankenkassen gekämpft? Das
war Ulla Schmidt. Sie kommt aus Aachen. Westlicher
kann man gar nicht wohnen. Wer hat denn an den ver-
schiedensten Stellen um die Infrastruktur gekämpft? Die
entsprechenden Maßnahmen hat Kurt Bodewig veran-
lasst.
Da sind zusätzliche finanzielle Mittel bewegt worden. Er
kommt aus Nordrhein-Westfalen. Gar keine Frage!
Ohne diese Partnerschaft könnte doch die gesamte
deutsche Einheit nicht gelingen. Auch darüber muss man
sich völlig im Klaren sein. Wir Ostdeutschen müssen
nicht die ganze Zeit „danke, danke“ sagen. Aber ein ge-
wisses Gefühl von Dankbarkeit und gesamtdeutscher
Verantwortung gehört doch dazu.
Wir wissen doch alle ganz genau, dass die ostdeutschen
Probleme ohne ein gesamtdeutsches Herangehen in
keiner Art und Weise zu lösen sind. Daran wird auch Ihr
Schauantrag nichts ändern.
Nun kann man Ihnen zugute halten, dass Sie in den
letzten drei Jahren nicht da waren. Wenn es nach mir
ginge, bräuchten Sie auch heute nicht hier zu sein. Aber
der Wähler hat gesprochen; das ist zu akzeptieren, gar
keine Frage.
Mich stört etwas – da wird man einen Verdacht nicht
los –, wozu Sie diesen Ausschuss eigentlich haben wol-
len. Der Titel des Antrags spricht Bände:
Einsetzung eines Ausschusses ... für die Angele-
genheiten der neuen Länder
– bis hierhin völlig d’accord –
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aben Sie nie begriffen, welch hohen europäischen
ang die Topregion Dresden zurzeit hat? Haben Sie nie
rfasst, dass eine der Topregionen für Wissenschaft und
orschung das Gebiet Berlin/Brandenburg ist? Und da
ommen Sie und sagen, das sei alles strukturschwache
egion. Vor Ihnen muss man ja die Ostdeutschen in
chutz nehmen! Sie wissen gar nicht, mit wem Sie es da
u tun haben.
Natürlich haben wir eine Reihe von sehr schwierigen
roblemen zu lösen. Ich erinnere an die Feinjustierung
er Ärzteversorgung, den Ärztemangel. Ich erinnere an
ie GKV. Ich erinnere an die Heizkostenproblematik, die
ir übrigens gerade zugunsten der ostdeutschen Kom-
unen gelöst haben; das ist nämlich dabei herausgekom-
en. Diese Fragen sind bei uns in der Tat bestens aufge-
oben.
Die Arbeitslosigkeit spielt eine große Rolle, Frau
nkelmann. Ich will ganz deutlich sagen: 20 Prozent Ar-
eitslosigkeit – inzwischen ist es etwas weniger, aber
ie auch immer – sind zu viel.
Da übertreiben Sie ein bisschen. Aber das ist nicht der
unkt. Von einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt spricht
an erst bei 5 Prozent.
Dass dies ein Problem für die Menschen ist, die in
stdeutschland leben, weiß jeder. Daraus kann man auch
rsehen, was für eine Belastung sie nach wie vor haben.
ie Hauptlast des Aufbaus in Ostdeutschland liegt näm-
ich bei den Ostdeutschen selbst. Das darf man an dieser
telle nicht außer Acht lassen. Umso wichtiger und aner-
ennenswerter ist es, dass dort inzwischen Topunterneh-
en entstanden sind und dass dort riesengroße Leistun-
en erbracht wurden. All das darf man nicht schlecht
eden. Ein ausgeglichener Arbeitsmarkt ist das aber
icht; das weiß jeder. Die Lösungen, die Sie vorschla-
en, sind aber ideologische Ladenhüter, die mit ein biss-
hen Mottenpulver aufgepeppt wurden. Nichts anderes
st das. Dafür ist mir die Einrichtung eines Parlaments-
usschusses viel zu schade. Anders ist das nicht zu wer-
en. Der Rückgriff auf ein staatliches Beschäftigungspro-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 481
)
)
Stephan Hilsberg
gramm – das schlagen Sie in Ihrem Programm vor – löst
doch das Problem der Arbeitslosigkeit auch nicht. Im
Gegenteil: Es würde die Probleme, die wir in Ost-
deutschland haben, verschärfen.
Wir kommen nur weiter, wenn wir an der Investi-
tionsoffensive festhalten. In Ostdeutschland brauchen
wir zusätzlich 200 000 Industriearbeitsplätze als Kern.
Auf diesem Gebiet sind viele Arbeitsplätze weggebro-
chen. Dafür gibt es Ursachen. Das muss auf völlig
neuem Niveau wieder aufgebaut werden. Die in der
Koalitionsvereinbarung beschlossene Verlängerung der
Investitionszulage ist eines der wesentlichen Instru-
mente. Es kommt darauf an, Projekte, wie die Verlänge-
rung der I-Zulage, auch zu realisieren.
All das sind Probleme, bei denen Sie mit Laden-
hütern, die Sie aus der ideologischen Mottenkiste he-
rauskramen, und irgendwelchen Patentlösungen nicht
weiterkommen. Sie werden, genauso wie wir, in der Sa-
che hart arbeiten müssen, und zwar in den Fachaus-
schüssen, dort wo es um Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
geht, wo es um KfW-Programme geht, wo es um Infra-
strukturfinanzierung geht, nämlich im Haushaltsaus-
schuss.
Ich lade Sie wirklich ein: Arbeiten Sie diese handfes-
ten Themen, die viel mit unseren Problemen zu tun ha-
ben, ab. Werden Sie konstruktiv. Mit Ideologie sind die
Probleme Ostdeutschlands schon lange nicht mehr zu lö-
sen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Wir haben eine Kurzintervention der Abgeordneten
Petra Sitte.
Man kann über viele Dinge, die im Zusammenhang
mit der Einrichtung dieses Ausschusses in den Beiträgen
gesagt worden sind, nachdenken. Man kann darüber wei-
ter diskutieren. Auf eines – insbesondere im letzten Bei-
trag ist das deutlich gesagt worden – möchte ich schon
reagieren, nämlich dass die Vorschläge, die in unserer
Fraktion entwickelt worden sind, ideologische Laden-
hüter seien.
Vor einigen Tagen hat der Vorstand der Bundesagen-
tur für Arbeit das Land Mecklenburg-Vorpommern be-
sucht und sich die Ergebnisse angeschaut, die dort im öf-
fentlich geförderten Beschäftigungssektor erzielt worden
sind. Sie wissen, dass im Land Mecklenburg-Vorpom-
mern seit vielen Jahren darum gerungen wird, im öffent-
lich geförderten Beschäftigungssektor Beschäftigung für
Menschen zu schaffen, die sonst überhaupt keine
Chance hätten. Am Ende dieses Besuches wurde festge-
stellt, dass Mecklenburg-Vorpommern gerade auf dem
Sektor des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors
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Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/130 an den Ältestenrat vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
st die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie
usatzpunkt 6 auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung
des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und an-
derer Gesetze
– Drucksache 16/109 –
482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
– Drucksache 16/219 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 16/245 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe
– Drucksache 16/259 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch
– Drucksachen 16/162, 16/220 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 16/253 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Grotthaus
– Drucksache 16/260 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellung für eine Verbesserung der
Beschäftigungschancen Älterer
– Drucksache 16/241 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
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)
Es geht also um eine Palette von Vorhaben, die wir
jetzt vor Jahresende schnell beschließen, damit wir im
nächsten Jahr daran anknüpfen und unsere Arbeit fort-
führen können.
In den letzten Tagen haben uns Nachrichten erreicht,
dass größere und kleinere Unternehmen in Deutschland
in hohem Maße Arbeitsplätze abbauen bzw. ihre Un-
ternehmen ins Ausland verlegen wollen. Wenn man so
etwas als verantwortlicher Minister liest – das geht Ihnen
als Abgeordnete im Parlament sicherlich genauso –,
wenn man konfrontiert wird mit der Sorge der Menschen
vor Ort, dann muss man aufpassen, dass man nicht von
einem Gefühl der Ohnmacht überwältigt wird. Das fällt
schon schwer, aber wir dürfen uns da nicht irremachen
lassen, wir dürfen uns die Zuversicht nicht nehmen las-
sen. Wir müssen im politischen Raum dafür kämpfen,
dass Dinge wie im Moment konkret bei AEG in Nürn-
berg nicht mehr passieren: dass die Unternehmenslei-
tung aus heiterem Himmel heraus mitteilt, einen Stand-
ort zu schließen und in ein anderes europäisches Land, in
diesem Fall nach Polen, zu verlagern. Das ist zwar er-
laubt, aber für die Menschen, die davon betroffen sind,
ist das eine Katastrophe. So etwas kann Politiker nicht
kalt lassen.
Deshalb muss man es ansprechen und deutlich ma-
chen, dass alle diejenigen, die in Deutschland an dieser
Stelle Verantwortung tragen – auch in der Wirtschaft –,
sich bewusst sind, dass Politik alleine diese Dinge nicht
regeln kann. Vielmehr erwarten wir, dass die Unterneh-
men bei allen Hilfen, mit denen wir sie bei der Verbesse-
rung ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützen, ihrer un-
ternehmerischen Aufgabe nachkommen. Diese bedeutet
auch, da, wo es möglich ist, Arbeitsplätze an Ort und
Stelle zu erhalten – mit den Menschen, mit denen zu-
sammen man groß und manchmal auch reich geworden
ist. Diese Erwartung muss einmal zum Ausdruck ge-
bracht werden.
Herr Müntefering, möchten Sie eine Zwischenfrage
es Abgeordneten Dirk Niebel zulassen?
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
oziales:
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Minister Müntefering.
Ich stimme Ihnen ja zu, insbesondere was die Ängste
er Beschäftigten anbetrifft. Aber würden Sie mir dahin
ehend zustimmen, dass es auch eine Frage der Rahmen-
edingungen des Standortes Deutschland sein kann, ob
ich ein Unternehmen hier oder woanders ansiedelt?
ürden Sie mir weiter zustimmen, dass die Nordeuro-
äische Gaspipeline, bei der der Bundeskanzler a. D.
err Schröder Aufsichtsratsvorsitzender werden soll,
ielleicht auch wegen der schlechten Rahmenbedingun-
en ihren Sitz nach Zug verlegen wird?
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
oziales:
Ich will ganz ernsthaft auf Ihre Frage eingehen, Herr
iebel. Dass wir als Politiker helfen müssen, dass die
nternehmen in Deutschland wettbewerbsfähig sind, ist
ahr. Was die SPD in der rot-grünen Koalition alles ge-
an hat – Senkung der Körperschaftsteuer, der Einkom-
ensteuer usw.; gegen manche Kritik –, wissen Sie alle.
ir haben heute in Deutschland eine Unternehmensbe-
teuerung, die so niedrig ist, wie sie noch nie gewesen
st. Trotzdem erleben wir, dass uns andere europäische
änder mit einer noch niedrigeren Unternehmensteuer
onkurrenz machen.
Was heißt „eben“? Wir müssen in Europa – auch im
ahmen des Gipfels, der ab heute stattfindet – miteinan-
er eine gemeinsame Steuerpolitik anstreben, zumindest
as die Bemessungsgrundlagen angeht. Wir wollen un-
eren Teil dazu beitragen, dass Europa gelingt. Was aber
icht geht – das sage ich ganz klar; da sind wir alle uns
inig, auch in dieser Koalition –, ist, dass wir die Steuern
enken, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern,
ie Nachbarländer daraufhin ihre noch weiter senken,
on uns aber erwarten, dass wir mehr in die europäische
asse zahlen, aus der sie gefördert werden. Das geht
icht. Steuerdumping und Lohndumping gehen nicht.
iese Position ist auch im Interesse unseres eigenen
andes vernünftig.
484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Franz Müntefering
Ein zweites großes Thema haben wir heute auf der
Tagesordnung, das im Interesse unseres Landes wichtig
ist und das wir zur Beschlussfassung bringen. Es geht
um die Kosten für Unterkunft und Heizung für Ar-
beitslosengeld-II-Empfänger. Vereinbart ist, dass die
Kommunen diejenigen Sozialhilfeempfänger, die jetzt
Arbeitslosengeld-II-Empfänger geworden sind, nicht
mehr finanzieren müssen. Das bedeutet für die Kommu-
nen eine riesige Ersparnis. Dafür sollen sie die Wohn-
kosten zahlen. Diese Wohnkosten sind aber so hoch,
dass zu vermuten ist, dass die Kommunen nicht die
2,5 Milliarden Euro übrig behalten würden, die wir ih-
nen zugesagt haben, wenn sie die Wohnkosten voll über-
nehmen. Also ist damals im Vermittlungsausschuss ver-
einbart worden, dass der Bund einen Zuschuss von
29,1 Prozent übernimmt. Die haben wir gezahlt und wir
haben vereinbart, in diesem Zusammenhang eine Revi-
sion durchzuführen.
Das ist versucht worden, doch dazu liegen jetzt unter-
schiedliche Zahlen vor. Darüber ist diskutiert worden. Als
Ergebnis haben wir vereinbart, ins Gesetz aufzunehmen:
2005 und 2006 erhalten die Kommunen 29,1 Prozent Zu-
schuss zu den Wohn- und Heizungskosten, die sie zahlen.
Es wird keine weitere Revision geben. Die Kommunen
haben Planungssicherheit. Damit ist erreicht, dass über
den 1. Januar 2006 keine Vakanz und keine Irritationen
entstehen. Das war für uns ein ganz wichtiges Argument,
es letztlich so zu machen.
Der Bund kommt in seinen Berechnungen auf ein
ganz anderes Ergebnis als die Länder und die Kommu-
nen, was die tatsächliche Entlastung bzw. Belastung an-
geht. Ich kann das nicht objektiv entscheiden. Ich sage
nur: Das Gesetz hat insofern eine Schwäche – das müs-
sen wir uns alle miteinander anrechnen lassen –, als es
die Entlastung der Kommunen nicht in Euro und Cent
sichtbar macht. Es gibt nur Schätzansätze. Diese Schätz-
ansätze machen es schwierig, zu einer gemeinsamen Re-
gelung zu kommen. Also haben wir gesagt: Wir stellen
für 2005 und 2006 klare Regeln auf und legen den Zu-
schuss auf 29,1 Prozent fest, ohne dass eine Revision
stattfindet. Im Jahre 2006 machen wir dann ein neues
Gesetz, in dem wir diese Problematik für das Jahr 2007
und die folgenden Jahre regeln, sodass wir nicht jedes
Jahr eine Revision machen müssen. Ich glaube, das ist
alles in allem eine vernünftige Lösung.
Wir auf Bundesseite haben den Eindruck, dass wir zu
viel zahlen und dass die Kommunen mehr übrig behalten
als die 2,5 Milliarden Euro.
Es gibt natürlich Kommunen, die ein Minus machen, wie
es auch Kommunen gibt, die einen Vorteil haben. Auch
das ist ein Problem des Gesetzes, dass man das nicht ge-
recht auf die Kommunen, die einzelnen Städte und
Landkreise verteilen kann. Je nachdem, wie die Bedin-
gungen sind, wirkt sich dieses Gesetz unterschiedlich
aus.
Das ist eine Aufgabe der Länder in diesem wie im
nächsten Jahr. Die Aufforderung an die Länder lautet:
Sie müssen versuchen, horizontal besser als bisher zwi-
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as sind erkennbar mehr als die 1,72 Milliarden Euro.
lle Ländervertreter haben mir unter vier Augen auch
esagt, dass es stimmt, dass die Länder ein gutes Ge-
chäft machen. Deswegen sage ich den Ländern: Gebt
as Geld an die Kommunen weiter!
An die Kommunen richte ich folgende Bitte – ich
enke, das kann ich auch im Auftrag dieses Hauses sa-
en –: Die Zusage, dass sie 2,5 Milliarden Euro übrig
ehalten sollen, hing damit zusammen, dass wir sie auf-
efordert haben, mehr für die Betreuung der Kinder im
orschulischen Alter zu tun. Wenn nun 2,5 Milliarden
uro bei den Kommunen landen – vermutlich sind es
ehr als 2,5 Milliarden Euro –, dürfen wir aber auch er-
arten, dass die Kommunen diese 2,5 Milliarden Euro
der mehr für die Betreuung der ganz Kleinen im vor-
chulischen Alter, für Krippenplätze, für Ganztagskin-
ertagesstätten und alles, was damit zusammenhängt,
insetzen. Sie müssen das Geld für Investitionen vor Ort
erwenden.
In den Kommunen gibt es unendlich viel zu tun. Viele
rbeitsplätze können im Handwerk geschaffen werden,
enn das für die kleinen und mittleren Unternehmen mit
iedrigen Losen ausgeschrieben wird. Sie sind unmittel-
ar am Ort einsetzbar.
Das Gesetz insgesamt ist für uns schwierig, weil es so
ostenträchtig ist. Für die Arbeitslosen und die Kommu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 485
)
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Bundesminister Franz Müntefering
nen bedeutet es aber sicherlich eine Entlastung. Jeden-
falls ist sichergestellt, dass über den 1. Januar hinaus
diese Maßnahmen in vernünftiger Weise fortgeführt
werden können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Minister, Sie haben Ihre Redezeit auf die Se-
kunde genau eingehalten. Wir vom Präsidium wünschen
uns das.
Der Nächste, der das probieren kann, ist der Abgeord-
nete Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Bei Betrachtung des Gesetzespaketes, das wir
heute beraten, muss ich sagen: Der 15. Dezember 2005
ist ein schwarzer Tag für die älteren Arbeitslosen in
Deutschland.
Diese Menschen, 58, 59 oder 60 Jahre alt, die oft durch
den Konkurs ihres Arbeitgebers ihren Arbeitsplatz verlo-
ren haben, hatten gehofft, nach der Bundestagswahl
werde sich am Arbeitsmarkt etwas zu ihren Gunsten än-
dern. Sie sehen sich bitter enttäuscht. Denn im ersten ar-
beitsmarktrelevanten Gesetzgebungsvorhaben, das Sie
vorlegen, Herr Minister Müntefering, wird mit der Ver-
längerung der so genannten 58er-Regelung ein klares
Signal an diese Arbeitslosen gesendet. Die bittere Bot-
schaft lautet: Ihr werdet nach wie vor nicht gebraucht.
Herr Müntefering, das ist aus unserer Sicht ein Skan-
dal. Anstatt sich unverzüglich an die Arbeit zu machen
– die Chance haben Sie ja gehabt – und die bestehenden
Zugangsbarrieren für ältere Menschen mit einem Eilge-
setz abzubauen, wird der Status quo, bei dem ältere Ar-
beitslose ausgegrenzt werden, einfach verlängert. Ich
will hier für die Freie Demokratische Partei sehr deutlich
sagen: Wir machen das nicht mit. Ihnen geht es um die
Statistik, die nicht belastet werden soll,
uns geht es um die Menschen, die eine Chance erhalten
sollen und müssen, weil es am Ende auch eine Frage der
Menschenwürde ist, ob man Ältere einfach aussondert
und statistisch entsorgt.
Deswegen hat die FDP heute einen Antrag mit dem
Ziel vorgelegt, die erfolgreiche Integration der älteren
Menschen in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Struktu-
relle Maßnahmen, durch die eine Ausgrenzung unter-
stützt wird, müssen beseitigt werden. Die Frühverren-
tungsmodelle und die 58er-Regelung müssen auslaufen.
Auch beim Kündigungsschutz müssen wir etwas
tun. Das ist ein heißes Eisen, aber wir dürfen es nicht
übersehen. Das Kriterium Alter muss aus der Sozialaus-
wahl herausgenommen werden. Ältere Arbeitnehmer
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Das ist kein Hohn. Wir können darüber ja diskutieren.
ie müssen sich auch einmal in den Unternehmen umhö-
en, wie die Einschätzungen dort darüber sind,
as Herr Pofalla, der heute wieder einmal bei einer
ichtigen arbeitsmarktpolitischen Debatte nicht hier ist,
ls größte Reform des Kündigungsschutzgesetzes be-
eichnet hat. In den Betrieben herrscht Fehlanzeige. Das
ird nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen.
Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Ein
olitikwechsel in der Arbeitsmarktpolitik, der Vorausset-
ung für mehr Arbeitsplätze gewesen wäre, findet damit
icht statt.
Damit komme ich nach dem Gesetz zur Änderung des
GB III zu einem weiteren wichtigen Gesetz, nämlich
um Gesetz zur Änderung des SGB II, mit dem heute die
evisionsklausel sozusagen vorübergehend befriedet
erden soll. Ich will für meine Fraktion sagen, dass wir
em Gesetzentwurf in der Sache zustimmen werden, da
ie Kommunen eine verlässliche Planungsgrundlage für
ie Haushalte brauchen.
Man muss aber feststellen: Die Revisionsklausel, auf
ie sich die große Koalition damals schon geeinigt hatte,
st bereits im ersten Fall ihrer Anwendung – im ersten
estfall, im ersten Ernstfall – gescheitert. Das ist ein Be-
eg mehr dafür, dass die FDP damals richtig lag, als sie
as Optionsgesetz als einzige Fraktion im Deutschen
undestag abgelehnt hat.
Wenn wir in der Sache auch zustimmen, so kritisieren
ir das Verfahren doch sehr nachdrücklich. Liebe Kolle-
innen und Kollegen von der großen Koalition, in kaum
ehr als 24 Stunden wurde hier ein Gesetz gemacht. Das
arf in diesem Hohen Hause nicht einreißen. Das Parla-
ent ist nicht das Notariat der Regierung. Dass eine Lö-
ung in Kommissionen und in außerparlamentarischen
rbeitskreisen gefunden wurde, macht die parlamentari-
che Kontrolle nicht obsolet. Im Gegenteil: Ich meine,
erade dann muss man genau hinschauen. Wir müssen
arauf bestehen, in Ruhe einen Blick auf Gesetzesvorha-
en werfen zu können. Wir reden hier konkret immerhin
ber eine Belastung des Bundeshaushaltes von 3,5 Mil-
iarden Euro, die bislang nicht eingeplant waren. Ob die
ahlen, die nach wie vor frei aus der Luft gegriffen sind,
m Schluss tragen, bleibt auch noch abzuwarten.
486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Herr Minister, die Chance ist leider vertan. Sie hätten
einen furiosen Start hinlegen können, wenn Sie heute
hierher gekommen wären und gesagt hätten: Wir haben
bisher Fehler gemacht, die Arbeitslosigkeit der Älteren
in Deutschland ist zu hoch, wir machen einen neuen An-
satz. – Das war nicht Ihre Politik. Das „Weiter so!“, das
Sie hier vorgetragen haben, wird jedenfalls nicht zum
Erfolg führen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
haben es sich zum Ziel gesetzt, zum einen die Rahmen-
bedingungen für die Wirtschaft zu verbessern und auf
der anderen Seite den Menschen, die ihre Arbeit verlo-
ren haben, Unterstützung zu geben, um wieder in den
Arbeitsprozess zurückzufinden. Wir beschließen heute
zwei Gesetze, die wichtig sind und die ein positives Si-
gnal für den Arbeitsmarkt in Deutschland in genau die-
ser Richtung darstellen.
Ich will zu dem Thema SGB-II-Änderungsgesetz nur
wenige Worte verlieren; der Kollege Müller wird darauf
ausführlicher eingehen. Die Botschaft dieses Tages ist:
Die große Koalition hält gegenüber den Kommunen
Wort. Die versprochene Entlastung, so schwer sie uns
finanziell vom Bundeshaushalt her fällt, kommt. Wir
schaffen für die Kommunen Planungssicherheit.
Dies geschieht in der Tat in einem Verfahren, das die
große Ausnahme bleiben muss. Ich möchte mich herz-
lich bei all denen bedanken, die daran mitgewirkt haben.
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei der Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen bedanken, die dabei sehr koope-
rativ war.
Ich möchte ausdrücklich sagen: Herr Kollege Kolb,
Sie haben im federführenden Ausschuss bei Ihren eige-
nen Ausschusskollegen eine denkbar knappe Mehrheit
für Ihren Antrag gehabt, die Entscheidung ins nächste
Jahr zu verschieben. Zwei von ihnen waren dafür, der
Kollege Haustein war dagegen und hat sich als Bürger-
meister einer Gemeinde dafür bedankt, dass wir dafür
sorgen, den Kommunen in diesem Jahr Planungssicher-
heit zu geben. Da, wo es die große Koalition tun kann,
hilft sie schnell. Ich bin allen dankbar, dass dies möglich
gewesen ist.
Dies ist mir im Übrigen nicht nur wegen der Pla-
nungssicherheit für die Kommunen wichtig. Ich sage für
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Das ist auch der Sachzusammenhang zwischen den
eiden Gesetzen, die wir beraten. Wir müssen uns da-
über im Klaren sein: Arbeitsmarktpolitik kann nur in
egrenztem Maße helfen, Menschen in Arbeit zu brin-
en. Dazu brauchen wir auch andere Maßnahmen. Es ist
ut, dass wir im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik
chon heute Morgen Beschlüsse gefasst haben, die uns
abei helfen werden und die die Lage für die Wirtschaft
nd auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Das, was Arbeitsmarktpolitik daneben leisten kann,
m Menschen in Arbeit zu halten – besser: sie wieder in
rbeit zu bringen –, soll sie auch leisten. Das ist auch
as, was wir uns mit dem fünften SGB-III-Änderungsge-
etz vorgenommen haben. Wir verlängern damit die Gel-
ungsdauer mehrerer Maßnahmen – der Minister hat es
u Recht angesprochen –, die sich vor allem an ältere
rbeitslose richten, die leider auf dem deutschen Ar-
eitsmarkt bisher viel zu geringe Chancen haben.
leichzeitig leisten wir einen notwendigen ersten finan-
iellen Konsolidierungsbeitrag.
Ich will im Zusammenhang mit dem Instrument der
ch-AG sagen: Wir verlängern diese Maßnahme um ein
albes Jahr; das ist richtig. Aber klar ist auch: Wir wer-
en die beiden Instrumente zur Förderung der Selbst-
tändigkeit von bisher Arbeitslosen, das heißt das Instru-
ent der Ich-AG und das Überbrückungsgeld,
usammenführen. Für mich war in der Anhörung, die
ir im federführenden Ausschuss durchgeführt haben,
rkennbar: Dies sollte mehr in die Richtung des bisheri-
en Überbrückungsgeldes gehen. Wichtig ist auch, dass
ie Agenturen einen Ermessensspielraum haben, um
eure Mitnahmeeffekte zu vermeiden, die wir in diesem
ereich bisher gehabt haben.
Wichtig ist auch, dass die zwingende Einrichtung von
ersonal-Service-Agenturen in jedem Arbeitsagentur-
ezirk beendet wird. Dort, wo sich diese Maßnahme be-
ährt hat, soll sie weiterlaufen. An anderen Stellen – ich
enke, das sind die meisten – kann das bisher dafür ver-
endete Geld sinnvoller ausgegeben werden.
Ich bin der SPD-Fraktion dankbar, dass sie das mitge-
acht hat. Für uns ist das relativ einfach gewesen. Wir
aben diese Instrumente, zum Beispiel die Personal-Ser-
ice-Agenturen und auch die Ich-AG, immer für falsch
ehalten. Für die SPD ist dies aber schwieriger; denn sie
atte Hoffnungen bezüglich dieses Projekts, die sich
icht erfüllt haben. Trotzdem ist sie jetzt bereit, einen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 487
)
)
Dr. Ralf Brauksiepe
neuen Weg mitzugehen. Ich bin dankbar, dass wir uns
gemeinsam auf diesen Weg gemacht haben.
Ich will etwas zu der 58er-Regelung sagen.
– Herr Kollege Kolb, das, was Sie hier erzählt haben, hat
mit der Realität auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland
leider überhaupt nichts zu tun. –
Ich bekenne mich dazu: Auch nach drei Wochen der
Bundesregierung unter Angela Merkel ist es leider noch
so, dass 58- und 59-Jährige so gut wie keine Chance auf
dem Arbeitsmarkt haben. Das haben wir in drei Wochen
nicht ändern können. Das ist leider so.
– Herr Kolb, ich sage Ihnen als Nichtjurist – auch ich
habe mir das aneignen müssen –: Gelegentlich hilft
Nichtjuristen wie Juristen ein Blick ins Gesetz.
Reden wir über die Vorschrift, deren Geltungsdauer
wir verlängern wollen, § 428 und den möglichen Bezug
von Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzun-
gen. Was heißt denn das?
Anspruch auf Arbeitslosengeld … haben auch Ar-
beitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben
und die Regelvoraussetzungen … allein deshalb
nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und
nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen,
um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden.
Ich frage Sie angesichts der Realität des Arbeitsmark-
tes in Deutschland: Welche Möglichkeiten haben denn
58- oder 59-Jährige heutzutage, um ihre Beschäftigungs-
losigkeit zu beenden? Sie reden doch an der Realität vor-
bei. Die Menschen haben so gut wie keine Chance mehr.
Deswegen ist es richtig, dass wir der Realität ins
Auge sehen. Das hat mit Frühverrentungsanreizen – da-
rauf komme ich noch zu sprechen – nichts zu tun. Wir
verlängern die Geltungsdauer einer Regelung, die sich
auf das Verhältnis zwischen dem älteren Arbeitslosen
und der Arbeitsverwaltung konzentriert. Wir sorgen da-
für, dass sich die Arbeitsverwaltung auf diejenigen kon-
zentrieren kann, die bessere Chancen haben, in Arbeit
vermittelt zu werden. Kein arbeitsloser 58- oder 59-Jäh-
riger muss zu dem Schluss kommen, mit der Arbeitsver-
waltung nichts mehr zu tun haben zu wollen.
Jeder kann sämtliche Leistungen des Arbeitsmarktes
in Anspruch nehmen. Aber wir wollen nicht Menschen
mit Maßnahmen überhäufen, die sie als Drangsalieren
oder Schikane empfinden müssen, weil sie wissen, dass
sie bei der heutigen Arbeitsmarktlage keine Chance ha-
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Ich habe eine zweite Frage. Stimmen Sie mir auch da-
in zu, dass es mit der Freiwilligkeit im Zusammenhang
it der Regelung des § 428 SGB III so eine Sache ist? In
er Praxis kommt es bei der Bundesagentur für Arbeit
or – davor darf man nicht die Augen verschließen –,
ass ältere Arbeitslose in Richtung einer statistisch nicht
ehr relevanten Arbeitslosigkeit geschoben werden.
as ist doch Realität.
ch gehe davon aus, dass Sie genau wie ich die Fakten
or Ort zur Kenntnis nehmen. Deshalb frage ich Sie, wa-
um Sie dann hier eine andere Sprache sprechen.
Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege, weil
as, was Sie ausgeführt haben, mit der Realität auf dem
eutschen Arbeitsmarkt nichts zu tun hat. Sie tun so, als
ürden die Arbeitsvermittler auf Bergen von Beschäfti-
ungsangeboten für 58- oder 59-Jährige sitzen und sich
eigern, diese Angebote zur Verfügung zu stellen. Das
488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
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Dr. Ralf Brauksiepe
ist nicht der Fall. Das hat damit nichts zu tun, Herr Kol-
lege Kolb.
Ich will noch etwas zu der Gesetzeslage anmerken,
weil Sie die derzeitigen und die zukünftigen Rahmenbe-
dingungen angesprochen haben. Mit Stand vom Dezem-
ber 2005 hat der 58-jährige Arbeitslose in der Tat einen
Anspruch auf Arbeitslosengeld I für die Dauer von
32 Monaten und kann mit 60 Jahren aus der Arbeitslo-
sigkeit heraus in Rente gehen. Das heißt, er kann diesen
Zeitraum überbrücken. Bisher gibt es in der Tat noch ei-
nen entsprechenden Frühverrentungsanreiz.
In zwei Jahren – im Dezember 2007 –, wenn die von
uns jetzt verlängerte Geltungsdauer der Regelung des
§ 428 ausläuft, dann hat ein 58-Jähriger, der dann ar-
beitslos wird, 18 Monate lang Anspruch auf Arbeitslo-
sengeld.
Er kann mit 63 Jahren in Rente gehen und muss dreiein-
halb Jahre überbrücken. Es gibt dann keinen Frühverren-
tungsanreiz mehr. Auch die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen, die Sie beklagen, gibt es dann nicht mehr. Das
ist die Rechtslage.
Von daher ist es richtig, dass Fehlanreize und Fehl-
steuerungen wie Frühverrentungsanreize abgebaut wer-
den müssen. Das ist auch der Fall. Die Regelung in der
Fassung, deren Geltungsdauer wir jetzt verlängern,
nimmt Rücksicht auf die Realität des Arbeitsmarktes
und bedeutet keinen zusätzlichen Anreiz zur Frühverren-
tung. Deswegen führen wir diese Maßnahme für zwei
Jahre durch. In diesen zwei Jahren – das haben wir uns
vorgenommen und das werden wir auch umsetzen – wer-
den wir sämtliche Maßnahmen der Arbeitsförderungs-
politik überprüfen und das Instrumentarium effektiver
gestalten.
Wir werden es in zwei Jahren mit anderen Rahmenbe-
dingungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben als jetzt.
Dann ist eine Regelung entbehrlich, auf die wir sinnvol-
lerweise jetzt noch in Form einer Verlängerung zurück-
greifen.
Wir werden mit dem heute vorgelegten Gesetzent-
wurf gleichzeitig die Dauer der Übergangsregelung im
Arbeitszeitgesetz um ein Jahr bis Ende 2006 verlän-
gern. Das bedeutet nicht, dass wir mit dieser Regelung
glücklich sind. Wir wissen, dass dies für die Kliniken,
die sich in Tarifverträgen an die europarechtlich vorge-
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Was wir heute auf den Weg bringen – darüber muss
man sich im Klaren sein –, kostet auch Geld, insbeson-
dere das, bei dem wir gegenüber den Kommunen im
Wort sind. Die heutigen Beschlüsse haben wir zwar
schnell, nur wenige Wochen nach der Regierungsbil-
dung, gefasst. Aber das, was wir dem Parlament heute
vorlegen, kann nur der Auftakt der arbeitsmarktpoliti-
schen Maßnahmen sein, die wir in den nächsten Jahren
ergreifen werden. Das bezieht sich auf das SGB III und
das SGB II gleichermaßen. Ich möchte an dieser Stelle
deutlich sagen: Angesichts des großen Konsolidie-
rungsbedarfs im Haushalt – der durch die neuen Ge-
setze ja nicht geringer wird – werden wir darauf achten
müssen, dass wir auch die Maßnahmen ergreifen, die
kein Geld kosten. Das bedeutet beispielsweise die Um-
setzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Gesetzes
zur Änderung des Kündigungsschutzes. Das werden wir
in nächster Zeit angehen, und zwar in der Weise, wie wir
es im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Der Minis-
ter hat bereits in der Debatte anlässlich der Regierungs-
erklärung der Bundeskanzlerin darauf hingewiesen.
Natürlich werden wir angesichts des Konsolidie-
rungsbedarfs, den wir haben, nicht darum herumkom-
men, auch die Korrekturen anzupacken, die wir uns bei
Hartz IV vorgenommen haben. Der Einsparungs- und
Konsolidierungsbedarf im Haushalt muss gedeckt wer-
den.
Wir haben die absurde Situation, dass wir für die Men-
schen, um die es hier geht und denen wir helfen wollen,
sehr viel mehr Geld ausgegeben haben als je zuvor. Die
Kosten hatte man in der Vergangenheit nicht im Griff.
Gleichzeitig wird in vielen Teilen der Bevölkerung der
Eindruck erweckt, das wäre der soziale Kahlschlag. Das
Gegenteil ist der Fall! Bei allen Härten, die für viele
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as denken wir jedenfalls und das ist es auch für viele
enschen. Für 32 000 Beschäftigte der Telekom, wie
ir diese Woche erfahren haben, für 1 750 Beschäftigte
490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
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Werner Dreibus
der AEG in Nürnberg und für viele Tausende von Be-
schäftigten in anderen Unternehmen wird das Fest der
Freude wohl auch in diesem Jahr ein Fest – wenn über-
haupt – existenzieller Sorgen sein. Ich betone: exis-
tenzieller Sorgen. Auch der Minister hat in seiner Erklä-
rung zu Recht davon gesprochen.
Was tut die Koalition, so fragen wir uns, in dieser Si-
tuation von angekündigten Massenentlassungen und
steigender Arbeitslosigkeit?
Sie legt einen Gesetzentwurf zum SGB III vor, der aus
unserer Sicht arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vor-
sieht, die dem Problem der Massenarbeitslosigkeit in
keiner Weise gerecht werden.
Was brauchen die betroffenen Menschen, die Beschäf-
tigten, eigentlich? Sie brauchen erstens eine angemes-
sene soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit.
Sie brauchen zweitens Weiterbildungs- und Vermitt-
lungsangebote – je älter, je mehr –, die ihre Chancen auf
dem Arbeitsmarkt tatsächlich verbessern.
Sie brauchen drittens – auch darüber müssen wir im Zu-
sammenhang mit diesem Artikelgesetz reden – Arbeits-
schutzbestimmungen, die ihnen ein menschenwürdi-
ges Arbeiten ermöglichen.
In allen drei Belangen war aus unserer Sicht die Politik
der alten Bundesregierung mangelhaft. Die verlor auch
deshalb ihre politische Mehrheit.
Nun versuchen die neue Bundesregierung und die
neue Mehrheit, das Falsche dadurch zu bekämpfen, dass
sie die Dosis der falschen Medizin noch erhöhen, jeden-
falls im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.
Für andere Bereiche wie Steuerpolitik und Finanzpolitik
gilt das ebenso.
Ich will Ihnen dafür, bezogen auf den vorliegenden
Gesetzentwurf, drei Beispiele nennen:
Erstens. Was ist an dem Vorhaben sinnvoll, die Ver-
kürzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für
Ältere beizubehalten? Ältere haben in der Regel tatsäch-
lich lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt.
Gleichzeitig haben sie besonders geringe Chancen auf
dem Arbeitsmarkt. Die Realität ist nun einmal so, auch
wenn Herr Kolb versucht, das ideologisch zu rechtferti-
gen.
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ir meinen, Ältere haben ein Recht – ich sage an dieser
telle ganz ausdrücklich: ein Menschenrecht – auf einen
eutlich längeren Bezug von Arbeitslosengeld als jün-
ere Menschen.
s ist arbeitsmarktpolitisch notwendig, die schlechteren
ermittlungsaussichten der älteren Arbeitslosen durch
ine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu-
indest ansatzweise zu kompensieren.
Herr Minister, noch im Sommer dieses Jahres waren
ie – damals noch in anderer Funktion – der gleichen
uffassung. Es gibt mehrere öffentliche Erklärungen
on Ihnen dazu. Wenn ich es richtig mitbekommen habe,
ilt das auch für so manchen aus der Fraktion der CDU/
SU, beispielsweise für Herrn Pofalla. Aber damals be-
ann der Wahlkampf. Da ging es um Wählerstimmen.
Zweitens. Was ist sinnvoll an einem Vorhaben, den
rleichterten Bezug von Arbeitslosengeld für Arbeits-
ose über 58 Jahre über das Jahr 2006 beizubehalten,
enn Sie gleichzeitig die Kürzungen beim Arbeits-
osengeld I nicht zurücknehmen? Wir meinen, die
8er-Regelung ist sinnvoll, auch deren Verlängerung.
ie ist also gut gemeint, aber sie ist nicht gut gemacht;
enn der entscheidende zweite Teil – die Bezugsdauer
es Arbeitslosengeldes betreffend – fehlt.
ie helfen den betroffenen älteren Menschen damit nur
enig. Der Präsident der Bundesagentur für Arbeit hat
n der Anhörung zu Recht gesagt, dass die praktische
edeutung der Verlängerung der 58er-Regelung vor dem
intergrund der genannten Tatsachen deutlich abneh-
en wird, weil Sie gleichzeitig die Kürzungen beim
rbeitslosengeld I nicht zurücknehmen.
Drittens. Was ist sinnvoll an dem Vorhaben, die
rstattungspflicht für Unternehmen bei der Kündi-
ung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
ern zu streichen? Wir meinen – Herr Kolb, da weiß ich
ehr genau, wovon ich rede; denn ich bin ein Mann aus
er Praxis –, die Bundesregierung streicht damit ein zu-
egeben sehr kompliziertes, aber in der betrieblichen
raxis sehr wohl vorhandenes und auch wirksames Mit-
el, Druck auf die Unternehmer auszuüben, ältere Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Betrieb nicht
eichtfertig herauszuwerfen, sondern weiterzubeschäfti-
en.
ohlgemerkt, das ist eine komplizierte Regelung; aber
as ist immer noch besser als gar keine Regelung.
Dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit werden
amit nach Schätzungen der Bundesagentur selber für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 491
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Werner Dreibus
dieses Jahr weitere 200 Millionen Euro entzogen. Dieses
Geld fehlt für Qualifizierung und Vermittlung.
– Das ist am Montag so gesagt worden, Herr Kollege
Brandner. – Wenn das die arbeitsmarktpolitische Linie
der neuen Bundesregierung ist, dann sollte sich der Ar-
beitsminister möglicherweise besser Arbeitslosigkeits-
minister nennen und seine Reden zur Bedeutung älterer
Beschäftigter in diesem Zusammenhang in einem Ord-
ner mit der Aufschrift „Sonntags- und Feiertagsreden“
abheften.
Fazit dieses Teils: Eine Verzögerung von Kürzungen
und ein Unterlassen notwendiger Schritte ist in der
Summe eben keine Verbesserung, sondern eine Ver-
schlechterung.
Ich möchte ein paar Bemerkungen zu dem Thema
„Bereitschaftszeit und Arbeitszeit“ machen. Zunächst
einmal wundere ich mich sehr, Herr Minister, dass Sie
selber zu diesem Thema in Ihrer Einleitung gar nichts
gesagt haben.
Für meine Begriffe ist dies exemplarisch dafür, wie grob
fahrlässig sich die Koalition im Umgang mit den Interes-
sen von Beschäftigten und ihrer Verantwortung für be-
schäftigungsförderliche Rahmenbedingungen verhält.
Ärzte, Krankenschwestern, Feuerwehrleute und andere
Beschäftigtengruppen leiden seit langem unter überlan-
gen Arbeitszeiten, die aus der Kombination von Normal-
arbeitszeit, Mehrarbeit und Bereitschaftsdiensten resul-
tieren. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde unter
anderem bereits im Jahr 1993, also vor zwölf Jahren, in
der europäischen Arbeitszeitrichtlinie festgelegt, dass
Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zu werten sind. Da-
mit kann und soll das von den betroffenen Beschäftigten
tatsächlich geleistete Arbeitspensum auf ein gesund-
heitsverträgliches Maß begrenzt werden.
Angesichts der Zeitspanne von zwölf Jahren – das
sind ja nicht nur ein paar Wochen –, die seit 1993 zur
Umsetzung dieser Richtlinie zur Verfügung gestanden
hat, ist Ihre Begründung für die weitere Verlängerung
der Übergangsfrist falsch und entlarvend.
Die erneute Verlängerung räumt den Tarifparteien nicht
mehr Zeit ein, diese Richtlinie in Tarifverträgen zu be-
rücksichtigen, wie Sie zur Begründung anführen; es pas-
siert nichts anderes, als dass den Arbeitgebern ein weite-
res Jahr Gelegenheit gegeben wird, auf dem Rücken von
Beschäftigten und Patienten zu sparen.
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ie hatten angekündigt, in Sachen Arbeitsmarktpolitik
anz neue Wege beschreiten zu wollen; auch die Kanzle-
in hat das in ihrer Regierungserklärung getan. In diesem
esetzentwurf kann ich davon zunächst einmal nichts
rkennen; im Gegenteil: An einem für mich sehr zentra-
en Punkt scheint mir eher ein Sieg des alten Denkens zu
erzeichnen zu sein.
Das Beispiel, auf das ich jetzt eingehen will, ist ein
us meiner Sicht gerade sehr innovatives Instrument der
rbeitsmarktpolitik, nämlich die Ich-AG. Diesen Ich-
Gs wird jetzt noch einmal ein halbes Jahr Übergangs-
rist eingeräumt und dann sollen sie entfallen.
492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Brigitte Pothmer
Das hat Herr Brauksiepe hier noch einmal deutlich ge-
sagt.
Herr Brauksiepe, können Sie mir einmal erläutern, wo-
her Sie die Erkenntnis haben, dass sich die Hoffnungen
in Bezug auf dieses Instrument – angeblich – nicht er-
füllt haben? Inzwischen haben über 300 000 Menschen
dieses Instrument in Anspruch genommen. Die Betriebs-
gründungen in Form dieser Ich-AGs sind genauso effek-
tiv, jedenfalls bis jetzt, wie andere Betriebsgründungen
auch.
Ich will Ihnen dazu einmal Folgendes sagen: Sie wa-
ren aus ideologischen Gründen schon immer dagegen.
Deswegen sind Sie auch in diesem Fall dagegen. Das
Problem ist aber, dass sich die SPD im Wahlkampf noch
damit geschmückt hat. Wirtschaftsminister Clement hat
ebendiese Regelung noch im April letzten Jahres bis
2007 verlängert. Jetzt lassen Sie das Instrument zu mei-
nem tiefen Kummer wie eine heiße Kartoffel fallen.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischen-
frage des Kollegen Brauksiepe zuzulassen?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird,
gern.
Das ist die wunderbare Gelegenheit, die Redezeit zu
verlängern.
Gut. – Dann sprechen Sie jetzt!
Das ist wiederum mein Job. – Bitte, Herr Brauksiepe.
Vielen Dank. – Frau Kollegin, Sie haben mich nach
unserer Bewertung der Ich-AG gefragt. Ich frage zurück:
Haben Sie sich einmal damit beschäftigt, wie viel Geld
in die Ich-AG-Regelung geflossen ist und mit welchem
Ergebnis? Wenn Sie das nicht selbst im Detail nachge-
prüft haben, haben Sie denn einmal – wie wir es bei-
spielsweise getan haben – mit Mitarbeitern der Bundes-
agentur für Arbeit darüber gesprochen, wie diese selbst
die Effizienz dieses Instruments bewerten? Es läuft näm-
lich darauf hinaus, dass man in der Tat von dem Obliga-
torium und von der Zweispurigkeit, die es bei der Exis-
tenzförderung nach Arbeitslosigkeit gibt, wegkommen
sollte.
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Nun komme ich – das ist mir sehr wichtig – zu der
8er-Regelung. Sie scheint vordergründig ein Privileg
ür ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sein,
eil diese Arbeitslosenunterstützung bekommen, ohne
em Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen zu müssen. Fak-
isch wirkt diese Regelung aber genau gegenteilig, weil
ie dazu führen wird, dass die Jobagenturen ihre An-
trengungen, diese Gruppe in den Arbeitsmarkt zu inte-
rieren, zurückfahren werden.
eswegen ist diese Regelung für die älteren Arbeitslo-
en eher ein Problem als ein Vorteil.
Herr Brauksiepe hat darauf hingewiesen, dass das
rbeitslosengeld I zukünftig für ältere Arbeitslose nicht
ehr 32 Monate, sondern 18 Monate gezahlt wird.
enn man aber die materielle Unterstützung verringert,
ann muss man doch im Gegenzug die Anstrengung,
iese Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrie-
en, erhöhen; dann muss man diese Anstrengung forcie-
en, statt sie zurückzufahren. So wird ein Schuh daraus.
as haben wir auch im Ausschuss ausdrücklich immer
ieder thematisiert. Wir alle waren uns am Ende, zumin-
est am Tisch der Wahrheit, doch einig darüber, dass
iese Regelung dazu führen wird, dass die Jobagenturen,
ber auch die Personalabteilungen der Firmen die älteren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 493
)
)
Brigitte Pothmer
Arbeitslosen drängen werden, auf eine Vermittlung zu
verzichten. Das wird das Ergebnis sein.
Sie behaupten immer wieder propagandistisch, Sie
wollten viel für ältere Arbeitslose tun. Aber mit der Re-
gelung in diesem Gesetzentwurf erreichen Sie haargenau
das Gegenteil. Da hilft Ihnen dann auch die Initiative
„50 plus“ nicht weiter.
Es gibt noch einen anderen Hinweis darauf, dass Sie
für ältere Arbeitnehmer nichts tun wollen: Sie wollen auf
die Förderung der beruflichen Weiterbildung von Äl-
teren verzichten. Das zeigt doch eines: Was Sie für äl-
tere Arbeitnehmer tun wollen, ist nur Propaganda, Re-
klame. In der Realität marschieren Sie haargenau in die
andere Richtung.
Meine Redezeit ist leider begrenzt; deswegen nur
noch ein paar Sätze zu der Frage, wie Sie mit dem
Arbeitszeitgesetz umgehen.
Sie erinnern sich vielleicht noch daran, dass die Kanzle-
rin in ihrer Regierungserklärung ausgeführt hat, sie
wolle zukünftig EU-Recht eins zu eins umsetzen. Da-
mals bezog sich das auf das Antidiskriminierungsgesetz.
Jetzt ist von eins zu eins aber keine Rede mehr. Beim Ar-
beitszeitgesetz wird geschoben und nochmals gescho-
ben. An dieser Stelle wird EU-Recht nicht umgesetzt. Im
Gegenteil: Sie kalkulieren sogar ein Vertragsverlet-
zungsverfahren der EU gegen die Bundesrepublik
Deutschland ein. Was aber noch viel schlimmer ist: Sie
riskieren damit die Sicherheit der Patientinnen und Pa-
tienten.
Herr Brauksiepe, es stimmt doch nicht, dass dieses
Gesetz noch nicht umgesetzt werden konnte. 50 Prozent
der Krankenhäuser haben entsprechende Maßnahmen
bereits umgesetzt oder sind in diesem Moment dabei.
Was Sie hier machen, ist ein Kniefall vor den Minister-
präsidenten der Länder. Wenn hier überhaupt einer
durchregiert, dann sind es die Ministerpräsidenten und
nicht die große Koalition in Berlin.
Dies hier ist ein Weihnachtsgeschenk für diejenigen, die
Gesetze nicht einhalten, also ein Weihnachtsgeschenk
für Gesetzesbrecher.
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Ich kann Ihnen nur sagen, dass solche Signale insge-
amt eine sehr negative Wirkung haben werden. Prost
ahlzeit, wenn das so weitergeht. Ihre Weihnachtsbot-
chaft lautet doch in diesem Jahr: Friede der Koalition
nd den Beschäftigten und den Arbeitslosen kein Wohl-
efallen.
Wir werden dem SGB-III-Änderungsgesetz nicht zu-
timmen. Wir stimmen nur dem SGB-II-Änderungsge-
etz zu.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Grotthaus
on der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäfti-
en uns heute mit den Themen, die die Bundesregierung
ür die nächsten Wochen und Monate als zentrale Punkte
uf die Agenda genommen hat. Es geht um den Arbeits-
arkt. Damit geht es um Menschen, die arbeitslos sind.
s geht auch um junge Menschen, die in Arbeit und
usbildung wollen. Es geht ferner um Menschen, deren
rbeitsplatz gefährdet ist.
Wir müssen in diesem Bereich die Weichen richtig
tellen. Dabei sollte uns das Machbare am Herzen lie-
en. Dass immer noch etwas draufzusatteln wäre und
ass es noch weitere Möglichkeiten gäbe, wäre zwar
ünschenswert. Aber wir haben uns den Realitäten zu
eugen.
s ist klar, dass sich meine Fraktion lieber an das Mach-
are hält als an das Wünschenswerte. Herr Kolb, damit
eine ich insbesondere das Wünschenswerte, das Sie
orhin dargestellt haben.
Es ist leider so, dass sich der Arbeitsmarkt für Ältere
rotz unserer in der letzten Legislaturperiode eingeleite-
en Maßnahmen nicht so entwickelt hat, wie wir es uns
rhofft hatten. Wir sind der Auffassung, dass die Politik
iese Tatsache zu berücksichtigen hat. Deswegen ist es
ntgegen allem auch von uns Gewollten durchaus
494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Wolfgang Grotthaus
richtig, dass die 58er-Regelung verlängert wird. Wir tra-
gen damit den aktuellen Beschäftigungschancen älterer
Arbeitsloser Rechnung.
Wir haben dazu am Montag dieser Woche eine Anhö-
rung von Sachverständigen im Bundestag gehabt. Bei al-
len Differenzen in den Meinungen sind sie sich zumin-
dest in diesem Punkt einig: Es ist ein Märchen, dass die
58er-Regelung dafür verantwortlich ist, dass älteren Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern eher gekündigt
wird. Die Ursache liegt vielmehr in den Köpfen der Ar-
beitgeber, bei denen sich leider die Meinung noch nicht
durchgesetzt hat, dass aus ökonomischer Sicht auf das
Potenzial der älteren Arbeitnehmer nicht verzichtet
werden darf.
Mit dem Fünften SGB-III-Änderungsgesetz gehen
wir dieses Thema konkret an. Wir werden daher die För-
derung der Weiterbildung älterer und von Arbeitslosig-
keit bedrohter Arbeitnehmer ab 50 Jahren in kleinen Be-
trieben mit bis zu 100 Mitarbeitern verlängern.
Wer davon spricht, dass lebenslanges Lernen im Job und
im Beruf vonnöten ist, der muss frohen Herzens zumin-
dest diesem Teil des Gesetzes zustimmen. Wenn wir
Menschen in Arbeit halten wollen, dann müssen sie sich
tatsächlich den notwendigen Gegebenheiten und den
technischen Anforderungen im Beruf weiterhin stellen
können. Dazu sind, wie gesagt, Weiterbildung und Zu-
satzausbildung notwendig.
Die Beschäftigung Älterer wird weiter gezielt unter-
stützt. Arbeitslose ab dem 50. Lebensjahr erhalten, so-
fern sie eine geringer bezahlte Beschäftigung aufneh-
men, die Lohndifferenz für eine befristete Zeit zur Hälfte
ausgeglichen.
Das kann man mit dem Begriff „Entgeltsicherung“
benennen. Zusätzlich wird ihr Rentenbeitrag aufge-
stockt.
– Herr Kolb, da es richtig ist, dass dieses Angebot leider
nicht genutzt wird,
muss man fragen: Wem geben wir hier eine Chance?
Wir geben sowohl den älteren Kolleginnen und Kollegen
als auch den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine
Chance. Wenn diese die nicht nutzen, können Sie dafür
nicht die Politik verantwortlich machen. Wir in der Poli-
tik müssen vielmehr dafür sorgen, dass dieses Thema am
Kochen gehalten wird und
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ondern es interessant ist, Ältere aufgrund ihrer Berufs-
rfahrung, ihres Könnens und Wissens im Beruf zu hal-
en oder wieder einzustellen.
Hier sind, Herr Kolb, die Arbeitgeberinnen und Ar-
eitgeber am Zug. Sie müssen sich damit beschäftigen,
arum es in dieser Republik so ist, dass Tausende von
ngenieuren gesucht werden und Tausende von Inge-
ieuren, die über immenses Wissen verfügen, von den
etrieben entlassen worden sind, auf der Straße stehen
nd sich arbeitslos gemeldet haben. Dies liegt weiß Gott
icht an den Maßnahmen, die wir in Bezug auf den Ar-
eitsmarkt getroffen haben.
Herr Grotthaus, sind Sie denn bereit, eine Zwischen-
rage des Kollegen Dr. Kolb zuzulassen?
Nein, dem Herrn Kolb gestatte ich keine Zwischen-
rage.
enn ich habe gerade erlebt, wie er mit meinem Kolle-
en von der CDU/CSU umgegangen ist. Er wollte näm-
ich seine Zwischenfrage überhaupt nicht beantwortet
aben
nd hat diese nur rhetorisch gestellt. Wir können uns
arauf einigen, dass Sie Ihre Zwischenfragen demnächst
o stellen, dass sie gezielt als Frage erkennbar sind und
icht Ihre Redezeit verlängern.
Ich will den Vertretern der FDP auf den Weg geben,
ass ich in meinem 36-jährigen Berufsleben nie erlebt
abe, dass die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten
u mehr Einstellungen in den Betrieben geführt hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 495
)
)
Wolfgang Grotthaus
Wer glaubt, dass man hier etwas dadurch erreicht, dass
man den Kündigungsschutz reduziert oder den Gesichts-
punkt des Alters bei der Sozialauswahl herausnimmt, irrt
sich beträchtlich. Dies führt nicht zu mehr Arbeitsplät-
zen, sondern nur zur Reduzierung von Arbeitnehmer-
rechten.
Gerade damit werden Arbeitnehmer, die älter sind, an-
greifbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ei-
nige Anmerkungen zum Arbeitsschutz machen. Der Ge-
setzgeber hat das Arbeitszeitgesetz zum 1. Januar 2004
an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
angepasst. Bereitschaftsdienste werden seitdem arbeits-
schutzrechtlich als Arbeitszeit bewertet. Sie sind in vol-
lem Umfang in die Ermittlung der täglichen und wö-
chentlichen Arbeitszeit einzubeziehen.
Wir wollten eine Übergangsfrist von nur zwei Jahren.
Wir haben uns jetzt im Rahmen der Koalitionsvereinba-
rung darauf geeinigt, dass diese Übergangsfrist um ein
Jahr verlängert wird. All denjenigen, die heute nach dem
Gesetzgeber rufen, würde ich empfehlen, sich dann,
wenn sie hier in diesem Hause die Tarifhoheit reklamie-
ren, daran zu erinnern, dass sich der Gesetzgeber da, wo
es möglich ist, aus tarifhoheitlichen Rechten heraushal-
ten oder sich dort zurückhalten sollte.
Deswegen sagen wir: Für 55 Prozent der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer ist schon eine Lösung er-
zielt worden. Eine Lösung für die restlichen 45 Prozent
wird – so hoffen wir – im kommenden Jahr zumindest
angegangen werden.
Den Arbeitgebern gebe ich mit auf den Weg, dass es
tatsächlich möglich ist, kürzere Arbeitszeiten zu realisie-
ren, Belastungen abzubauen und die Bedingungen für
eine Balance zwischen betrieblichen und außerbetriebli-
chen Zeitanforderungen zu verbessern. Da gibt es die
verschiedensten Möglichkeiten: über Gleitzeit, über Ar-
beitszeitkonten und über viele Dinge mehr. Hier ist die
Kreativität derjenigen gefragt, die die Situation in den
Betrieben, also die Situation vor Ort, kennen.
Wir sind der Auffassung, dass in diesem einen Jahr
eine Lösung gefunden werden kann. Aber ich sage hier
stellvertretend für meine Fraktion: Sollte es bis Ende
2006 nicht zu einer Lösung gekommen sein, werden wir
das Gesetz voll und ganz zur Geltung bringen. Ich bin
aber davon überzeugt, dass wir eine Lösung finden wer-
den.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Daniel Bahr, FDP-
Fraktion.
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abei wird hier die Übergangsfrist für die Umsetzung
er Arbeitszeitrichtlinie verlängert. Damit ignorieren Sie
ls Arbeitsminister die Proteste der Klinikärzte, die ge-
en ihre unhaltbaren Arbeitsbedingungen protestieren.
as dürfen Sie nicht ignorieren. Sie müssen sie endlich
rnst nehmen, sehr geehrter Herr Minister.
Ich habe großes Verständnis für den Frust der Ärzte.
ie Arbeitsbedingungen verschlechtern sich zusehends.
mmer weniger Medizinstudenten arbeiten später als
rzt in Deutschland. Sie gehen in Unternehmen, Unter-
ehmensberatungen oder ins Ausland. Ein Ärztemangel
ird künftig die Folge sein. Darunter werden dann auch
ie Patienten zu leiden haben. Die große Koalition hat
ie Proteste der Ärzte mit ihrer Entscheidung zur Frist-
erlängerung zusätzlich angeheizt.
Mir ist vollkommen klar, dass sich Kommunen und
änder in einer schwierigen Haushaltssituation befinden;
as will ich überhaupt nicht leugnen. Dies erschwert na-
ürlich die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie; ich
enne die Probleme in den Ländern. Durch diese Frist-
erlängerung aber wird in die laufenden Tarifverhand-
ungen eingegriffen. Die Positionen werden deutlich zu-
ngunsten der Klinikärzte verschoben. Herr Kollege
rotthaus, damit mischen Sie sich in die Tarifautonomie
in.
Die Bundesregierung will mit ihrem Vorschlag einer
ristverlängerung einen europarechtswidrigen Zustand
ür ein Jahr aufrechterhalten. Dieser Zustand wird ja
icht europarechtskonform, indem Sie die Frist verlän-
ern.
as Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens – die
ollegin von den Grünen hat darauf hingewiesen – ist
icht auszuschließen. Das ist für die Bundesrepublik
eutschland sicherlich nicht positiv.
Die Krankenhäuser hatten für die Umstellung im-
erhin zwei Jahre Zeit. Ein Drittel der Krankenhäuser
at sich an die Gesetze und Erklärungen der Politik ge-
alten; sie hat sich auf die Politik verlassen und die euro-
äischen Arbeitszeitanforderungen umgesetzt. Etwa wei-
ere 20 Prozent setzen zurzeit entsprechende Modelle
m. Das heißt, etwa die Hälfte der Krankenhäuser in
eutschland hätte die Arbeitszeitregelung einhalten
496 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Daniel Bahr
können. Leider orientiert sich die große Koalition in ih-
rem Gesetz aber an denen, die noch nicht gehandelt ha-
ben. Das sind insbesondere Universitätskliniken und
Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft.
Der müde, weil überarbeitete Arzt ist eine Gefahr für
den Patienten. Untersuchungen haben ergeben, dass ein
nach 24 Stunden Arbeit übermüdeter Arzt eine Reak-
tions- und Konzentrationsfähigkeit hat, als ob er 1 Pro-
mille Alkohol im Blut hätte. Damit dürfte und könnte er
nicht einmal Auto fahren. Ich würde mich ungern von ei-
nem Taxifahrer mit 1 Promille Alkohol im Blut fahren
lassen. Wir aber muten den Ärzten zu, unter solchen Be-
dingungen zu operieren.
Folge der Fristverlängerung durch die große Koali-
tion wird ein ungleicher Zustand sein. Ab Januar wird es
in Deutschland zwei Sorten von Krankenhäusern geben:
Die einen Krankenhäuser haben die Arbeitszeitanforde-
rungen rechtzeitig umgesetzt; Tarifverträge wurden ent-
sprechend neu vereinbart und beinhalten die neue Ar-
beitszeitregelung. Der neue Tarifvertrag wirkt wie
geplant ab dem neuen Jahr. In den anderen Krankenhäu-
sern aber gelten die alten Tarifverträge fort. Das führt zu
einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung zwischen den
Krankenhäusern. Das können Sie nicht ignorieren. Da-
mit unterstützen Sie die Krankenhäuser, die nicht gehan-
delt haben, und nicht die Krankenhäuser, die neue Rege-
lungen vereinbart haben.
Ich frage mich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was
soll sich in diesem einen Jahr ändern? Was gedenkt die
Bundesregierung eigentlich zu tun, damit das kommende
Jahr nicht ungenutzt bleibt und wir in einem Jahr nicht
vor dem gleichen Problem stehen? Wer stellt eigentlich
sicher, dass die vielen Krankenhäuser, die bisher noch
nicht reagiert haben, die Arbeitszeitregelung dann um-
setzen werden?
Den Krankenhäusern werden für die Umstellung
700 Millionen Euro bis zum Jahr 2009 zur Verfügung
gestellt. Wenn Sie die Frist verlängern und wollen, dass
die restlichen Krankenhäuser in diesem einen Jahr vo-
rankommen, hätten Sie das mit der Entscheidung kop-
peln sollen, diese 700 Millionen Euro nicht bis zum Jahr
2009 auszuzahlen, sondern den Termin auf das Jahr
2006 vorzuziehen. Damit wäre ein Anreiz geschaffen,
die neuen Arbeitszeitregelungen so schnell wie möglich
umzusetzen. Das machen Sie nicht. Im Gegenteil, Sie
belasten die Krankenhäuser weiter; denn wegen
Hartz IV wird der Zuwachs nicht 0,83 Prozent betragen,
sondern 0,63 Prozent. Damit erschweren Sie den Kran-
kenhäusern die Umstellung.
Sie orientieren sich an den Krankenhäusern, die die
Arbeitszeitregelung noch nicht umgesetzt haben. Sie
sollten aber eher die Krankenhäuser unterstützen, die
sich auf die Politik verlassen haben.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Zum Ende dieser Debatte hat das Wort der Abgeord-
ete Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
err Kollege Dr. Kolb, Sie haben Ihre Rede mit der Be-
auptung begonnen, heute sei ein schwarzer Tag für äl-
ere Arbeitnehmer.
ie werden verstehen, dass ich Ihre Kritik insofern nicht
achvollziehen kann. Ich möchte zunächst einmal fest-
alten, dass der heutige Tag auf jeden Fall ein guter Tag
ür die Kommunen in Deutschland ist,
eil die Kommunen endlich Rechtssicherheit haben: Es
st klar, was sie an Ausgleichszahlungen für Hartz IV be-
ommen.
Herr Dr. Kolb, Sie haben vorhin hervorgehoben, dass
ie seinerzeit die kommunale Option abgelehnt haben.
as sei Ihnen unbenommen. Ich habe den Eindruck, dass
s in den Optionskommunen mittlerweile besser läuft als
n den Kommunen, die Arbeitsgemeinschaften gegrün-
et haben.
ch darf Sie bitten, das anhand von gesicherten Kennt-
issen darüber zu bewerten, wie es tatsächlich gelaufen
st.
Liebe Kollegen von der FDP, ich habe allerdings sehr
iel Verständnis dafür, dass Sie kritisieren, dass dieses
esetz in einem sehr schnellen Durchgang beraten wor-
en ist. Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode
urchaus immer wieder diese Kritik angebracht. Inso-
ern ist Ihre Kritik nachvollziehbar. Ich halte die Eile
ber in diesem Fall für gerechtfertigt, weil wir dadurch
rreichen, dass die Kommunen noch vor Ende des Jahres
ie Rechtssicherheit haben, die sie dringend brauchen.
Ich will auch zu dem zweiten Gesetzentwurf, den wir
eute beraten, etwas sagen. Es ist den Kommunen sei-
erzeit zugesichert worden, dass sie in ihrer Gesamtheit
n Deutschland als Folge von Hartz IV eine jährliche
ettoentlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro be-
ommen. Unter Berücksichtigung aller Be- und Entlas-
ungen hat man sich darauf geeinigt, dass der Bund eine
on Jahr zu Jahr variierende Erstattungsleistung zahlt,
ie insgesamt auf etwa 3,2 Milliarden Euro jährlich be-
iffert worden ist. Man hat sich dann darauf verständigt,
ass der Betrag im Jahre 2005 durch eine Erstattung in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 497
)
)
Stefan Müller
Höhe von 29,1 Prozent der Unterkunftskosten nach dem
SGB II erbracht werden sollte.
Dennoch hat die vorherige Bundesregierung einen
Gesetzentwurf vorgelegt, der diese Entlastung von
29,1 Prozent auf null reduziert hätte. Seinerzeit sind un-
terschiedliche Berechnungsgrundlagen ins Feld geführt
worden. In einer Revisionsklausel war vereinbart, dass
es zu einer Überprüfung kommen soll. Natürlich muss
man sagen, Herr Bundesminister, dass die Be- und Ent-
lastungen bei den Kommunen sehr unterschiedlich aus-
fallen dürften, dass es sicherlich auch gewisse Verwer-
fungen geben wird und dass es unter den Landkreisen
und Städten Gewinner und Verlierer geben wird. Ich
stimme Ihnen aber ausdrücklich zu, dass es natürlich
nicht sein darf, dass die Länder nunmehr das Geld be-
kommen, es aber nicht an die Kommunen weitergeben.
Wir alle wissen, wie es tatsächlich läuft. In den Ländern
gibt es Finanzminister, die immer wieder auch etwas für
sich behalten wollen. Das ist natürlich nicht zu akzeptie-
ren. Deswegen muss sichergestellt sein, dass das Geld
tatsächlich ankommt.
Es wird auf weitere Revisionsverfahren verzichtet,
weil sich das seinerzeit beschlossene Revisionsverfahren
nicht bewährt hat. Gleichwohl müssen wir alle überle-
gen, wie wir künftig dieses Verfahren verändern. Wir
müssen uns ein anderes Instrument überlegen. Insbeson-
dere müssen sicherlich die Berechnungsgrundlagen vor
dem Hintergrund verändert werden, dass es bei diesem
Verfahren Probleme gegeben hat.
Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung sich
in den Verhandlungen für die Festschreibung auf
29,1 Prozent in den Jahren 2005 und 2006 stark gemacht
hat, wie es der Freistaat Bayern gefordert hat. Insofern
bin ich für die Zustimmung aller Fraktionen sehr dank-
bar.
Ich komme auf mein Eingangsargument zurück. Es ist
wichtig, dass wir alle dieses Signal an die Kommunen
geben, dass es Rechtssicherheit gibt. Ich glaube, dass wir
mit den vorliegenden Gesetzentwürfen alles das auf den
Weg bringen, was wir im Koalitionsvertrag als dieses
Jahr noch zu erledigen fixiert haben. Insbesondere be-
weisen wir damit, dass das so schnell passiert, die Hand-
lungsfähigkeit der Bundesregierung, aber auch der sie
tragenden Fraktionen.
Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch werden alle Maßnahmen der
aktiven Arbeitsförderung verlängert, die bislang be-
fristet waren. Die Verlängerung ist notwendig, um die
Vermittlungschancen, insbesondere die der älteren Ar-
beitsuchenden, zu verbessern. Auch dazu ist schon viel
gesagt worden. Ich will das nicht alles wiederholen. Ich
glaube, dass es in diesem Hause Konsens ist, dass wir
gerade für diese Zielgruppe, die es auf dem Arbeitsmarkt
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atürlich ist es erforderlich, dass wir in der Wirtschafts-
nd Finanzpolitik die Rahmenbedingungen so setzen,
ass neue Arbeitsplätze entstehen können.
nsbesondere müssen wir Anreize für mehr Investitionen
chaffen und helfen, damit sich wirtschaftliche Dynamik
n diesem Land entfalten kann.
An diesem Punkt habe ich eigentlich mit einem Zwi-
chenruf von der FDP zum Thema Mehrwertsteuererhö-
ung gerechnet. Dazu will ich gerne etwas sagen, um
en Zwischenruf vorwegzunehmen.
Herr Kollege, ich weise Sie darauf hin, dass Sie sich
m negativen Teil Ihrer Redezeit befinden.
Ich komme gleich zum Schluss. – Es geht uns nicht
llein um eine isolierte Mehrwertsteuererhöhung, son-
ern vor allem um eine Senkung der Lohnnebenkosten.
s gehört sehr viel mehr dazu, zum Beispiel Anreize, da-
it die Unternehmen mehr investieren, damit der Staat
ehr investieren kann, damit für Forschung und Ent-
icklung mehr Geld ausgegeben wird. Ich glaube, auf
iesem Gebiet hat der Koalitionsvertrag sehr viel mehr
u bieten, als Sie bereit sind anzuerkennen.
Vielen Dank.
498 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Dr. Kolb.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse mich sehr
kurz. Ein Eindruck, den der Kollege Müller in seinem
Redebeitrag erweckt hat, darf nicht stehen bleiben: Rich-
tig ist, dass die FDP damals das Optionsgesetz abgelehnt
hat.
Falsch ist, dass wir das getan hätten, weil wir den Kom-
munen nicht das Recht, in diesem Bereich tätig zu wer-
den, einräumen wollten.
Richtig ist: Wir haben abgelehnt, weil dies nur 69 Kom-
munen tun durften und wir eine flächendeckende Betreu-
ung Langzeitarbeitsloser durch die Kommunen wollten.
– Die CDU/CSU wollte das damals auch. Das ist voll-
kommen richtig, Herr Kollege Weiß. – Wir haben da-
mals einen weiter gehenden Vorschlag eingebracht, näm-
lich durch eine Grundgesetzänderung die Finanzierung
der Kommunen sicherzustellen. Die Erfahrungen mit der
gescheiterten Revisionsklausel zeigen, dass auch dieser
Ansatz der FDP richtig gewesen ist.
Das wollte ich nur klarstellen, damit hier nicht dauer-
haft ein falscher Eindruck entsteht.
Herr Müller, bitte schön.
Herr Kollege Dr. Kolb, ich bin gerne bereit, anzuer-
kennen, dass wir seinerzeit auf dem gleichen Weg wa-
ren. Ich würde mich natürlich freuen, wenn Sie, sobald
wir gesicherte Erkenntnisse darüber haben, dass das tat-
sächlich so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt ha-
ben, uns wohlwollend begleiten und unseren Vorschlä-
gen zustimmen.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozial-
gesetzbuch und anderer Gesetze auf Drucksache 16/109.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
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1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
einer Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/253,
en Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
en. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
usschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
hen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist je-
eils nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in
weiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-
ntwurf zustimmen möchten, mögen bitte aufstehen. –
egenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
urf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Nun kommen wir zu Zusatzpunkt 6: Interfraktionell
ird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/241
Anlage 4
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 499
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungs-
dienstgesetzes
– Drucksache 16/88 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 16/252 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kauder
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Neskovic
Hans-Christian Ströbele
Hierzu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen so-
wie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke
vor. Interfraktionell ist verabredet, dass die Aussprache
eine halbe Stunde dauert. – Dazu höre ich keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als Erstem dem
Kollegen Joachim Stünker von der SPD-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hinter so spröden Begrifflichkeiten wie „Zollfahndungs-
neuregelungsgesetz“ oder „Gesetz zur Neuregelung der
präventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
chung durch das Zollkriminalamt“ verbirgt sich – ich
meine, das wird von jedermann im Lande befürwortet –
die Aufgabe des Staates, vorbeugende Maßnahmen zu
treffen zur Verhinderung der Verbreitung von Mas-
senvernichtungswaffen, zur Verhinderung des Exportes
von Bestandteilen zur Herstellung von Massenvernich-
tungswaffen, zur Verhinderung von schweren Verstößen
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und zur Verhinde-
rung der Ausfuhr von Gütern bzw. Anlagen, mit denen
Produkte zur massenhaften Vernichtung von Menschen-
leben hergestellt werden können. Das ist im Übrigen
auch oft ein außenpolitisch heikles Thema. Ich erinnere
nur an die Diskussion, die wir vor einigen Jahren auch in
diesem Hause über die Giftgasfabrik in Rabta geführt
haben.
In diesem höchst sicherheitsrelevanten Bereich ist es
– ich denke, auch darüber herrscht breite Übereinstim-
mung – äußerst wichtig, bereits im Vorbereitungssta-
dium derartiger Straftaten Erkenntnisse zu gewinnen, um
sie bereits im Vorfeld zu verhindern. Um hierüber Er-
kenntnisse gewinnen zu können, ist die Möglichkeit der
Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen uner-
lässlich; Kriminalisten wissen, dass dadurch wesentliche
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m derartige schwerste Straftaten bereits im Frühsta-
ium zu erkennen und zu vereiteln, Herr Kollege
tröbele.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Ent-
cheidung vom 3. März 2004 die Regelungen, die zu
em Zweck, den ich eben zu beschreiben versucht habe,
992 – ein Seitenblick zur FDP: 1992, also nicht zur Zeit
er rot-grünen Regierung, sondern als Sie regierten und
as betreffende Ressort führten –
m Außenwirtschaftsgesetz niedergelegt worden sind,
egen erheblicher Verstöße gegen die Grundsätze der
ormenbestimmtheit und der Normenklarheit für verfas-
ungswidrig erklärt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
ung gleichzeitig darauf hingewiesen, dass der Gesetz-
eber bei einer Neuregelung der präventiven Telekom-
unikations- und Postüberwachung auch die im Urteil
om 3. März 2004 niedergelegten Grundsätze zur Wohn-
aumüberwachung zu berücksichtigen habe. Das war der
rund, weshalb wir fast vor genau einem Jahr, am
1. Dezember 2004, hier in diesem Hohen Hause die
euregelung des Gesetzes zur präventiven Telekommu-
ikations- und Postüberwachung mit den Möglichkeiten
ür das Zollkriminalamt eingeführt haben. Wir haben da-
it mit Blick auf den verfassungswidrigen Zustand, den
ir vorgefunden haben, eine Neuregelung vorgenom-
en. Wir haben klare Eingriffsvoraussetzungen geschaf-
en: Nur bei schwersten Straftaten soll vorgegangen wer-
en. Wir haben die Vorbereitungshandlung gesetzlich
indeutig definiert und wir haben auch für Überwa-
hungs- und Aufzeichnungsmaßnahmen bei Berufsge-
eimnisträgern neue Verhältnismäßigkeitsgrundsätze
ingeführt.
erner haben wir Regelungen getroffen, unter welchen
autelen Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung an
ndere Stellen weitergegeben werden dürfen bzw. wel-
he zu löschen sind. Damit haben wir alles das berück-
ichtigt, was das Bundesverfassungsgericht bei der 92er-
egelung angemahnt hatte.
Das alles haben wir seinerzeit unter erheblichem Zeit-
ruck geleistet: Wir hatten nur knapp ein Dreivierteljahr
eit, um diese Neuregelung zu treffen. Offen geblieben
ar, ob über die Konkretisierung, Klarstellung und Ver-
chärfung, wann eingegriffen werden kann, hinaus auch
um Schutz des Kernbereichs der persönlichen
ebensgestaltung des Einzelnen weiter gehende Rege-
ungen getroffen werden müssen. Wir haben das damals
500 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Joachim Stünker
bewusst offen gelassen, weil das Ganze nur Sinn macht,
wenn für den Gesamtbereich der Telefonüberwachung
– nicht nur hinsichtlich präventiver Maßnahmen durch
das Zollkriminalamt, sondern insbesondere im Bereich
von § 100 a der Strafprozessordnung, beim G-10-Gesetz
usw. – eine Neuregelung auf den Weg gebracht wird.
Dies haben wir in diesem Jahr nicht geschafft.
Aus diesem Grund schlagen wir Ihnen heute vor, das Ge-
setz, das wir damals bis zum 31. Dezember dieses Jahres
befristet haben, für einen Zeitraum von 18 Monaten zu
verlängern. Vielleicht sind wir auch schneller. Die Dis-
kussion, die sicherlich gleich beginnen wird, wird sich
darum drehen, ob das vertretbar ist. Denn in der Sache
selber – davon gehe ich jetzt einmal aus – sind wir uns
alle einig, dass der Staat derartige Regelungen braucht,
um solche Taten verhindern zu können.
Ich bin der festen Überzeugung, dass niemand von
uns das Entstehen einer Sicherheitslücke – diese würde
entstehen, wenn wir die neue Befristung heute nicht be-
schließen würden – verantworten kann.
Zumindest diejenigen können das nicht verantworten,
die in diesem Land politisch Verantwortung tragen.
Denn das würde ein großes sicherheitspolitisches Risiko
im Inland bedeuten und könnte auch außenpolitisch
– darauf habe ich bereits hingewiesen – zu erheblichen
Konflikten führen. Ich will auch angesichts der Debatte,
die wir gestern geführt haben, hierzu nicht meiner Fanta-
sie freien Lauf lassen. Eine Regelungslücke kann nie-
mand verantworten.
Das ist, wenn Sie so wollen, die politische Begründung.
Ich bin aber überzeugt, dass die Fristverlängerung,
die wir hier vornehmen wollen, auch verfassungsrecht-
lich vertretbar ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
diesem Thema vom 27. Juli dieses Jahres – es gab in der
Zwischenzeit eine weitere Entscheidung –, mit der we-
sentliche Bestimmungen zu präventiven Abhörmöglich-
keiten des niedersächsischen Polizeigesetzes für verfas-
sungswidrig erklärt worden sind, und zwar wiederum im
Wesentlichen wegen Verstößen gegen das Bestimmt-
heitsgebot und Ähnliches.
Das Gericht hat in seiner Entscheidung vom Juli 2005
ausdrücklich darauf hingewiesen – das ist zwischen den
Kollegen der Grünen und uns in der alten Koalition im-
mer Streitpunkt gewesen; deswegen sind wir bei
§ 100 a StPO auch nicht zum Ende gekommen –, dass
die aufgestellten Grundsätze zum Schutz des Kernbe-
reichs der persönlichen Lebensgestaltung im Bereich der
Wohnraumüberwachung – Art. 13 Grundgesetz – nicht
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as Gericht sagt hierzu wörtlich:
Bestehen im konkreten Fall tatsächliche Anhalts-
punkte für die Annahme, dass eine Telekommuni-
kationsüberwachung Inhalte erfasst, die zu diesem
Kernbereich zählen, ist sie nicht zu rechtfertigen
und muss unterbleiben.
Sie müssen weiterlesen, wie Sie das im Studium ge-
ernt haben, Herr Kollege Ströbele. Im nächsten Absatz
er Entscheidung führt das Gericht ausdrücklich aus:
Verfassungsrechtlich hinzunehmen ist dieses Risiko
allenfalls bei einem besonders hohen Rang des ge-
fährdeten Rechtsguts und einer durch konkrete An-
haltspunkte gekennzeichneten Lage, die auf einen
unmittelbaren Bezug zur zukünftigen Begehung der
Straftat schließen lässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe versucht,
ie Änderungen, die wir vor einem Jahr ins Gesetz auf-
enommen haben, zu skizzieren. Ich bin der Meinung,
ass wir damit diese Voraussetzungen erfüllt haben. Von
aher bin ich überzeugt, dass wir mit der Verlängerung
er Befristung verfassungsrechtlich keine Probleme be-
ommen werden. Deshalb werden wir das heute auch so
eschließen.
Ich weiß aber auch, dass wir den Bereich insgesamt
eu überarbeiten müssen; auf § 100 a StPO und andere
egelungen hatte ich hingewiesen. Mit der gesamten
berarbeitung werden wir Anfang nächsten Jahres in
iesem Hohen Hause beginnen. Dazu haben wir, wie Sie
issen, Herr Ströbele, in der letzten Legislaturperiode
mfangreiche Vorarbeiten gemacht.
ir fangen also nicht bei null an. Der Gesetzgeber ist
ereits tätig geworden. Wir sind damit nur nicht zum
nde gekommen.
on daher bin ich guten Mutes, dass wir nicht 18 Monate
rauchen werden, sondern dass wir, wenn wir alle ge-
einsam zügig an die Arbeit gehen, die Arbeiten schnel-
er leisten werden. Da wir trotzdem eine Befristung von
8 Monaten vorsehen, sind wir auf der sicheren Seite.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 501
)
)
Joachim Stünker
– Herr Ströbele, wenn Sie gute Vorschläge machen, dann
sind wir, wie Sie wissen, bereit, diese Vorschläge aufzu-
nehmen.
Gehen wir also gemeinsam ab Mitte Januar an die Ar-
beit.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Mechthild
Dyckmans, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
raten heute erstmals in der 16. Wahlperiode eine rechts-
politische Initiative der Bundesregierung. Ich hätte mir
sehr gewünscht, dass es sich dabei um eine Initiative
handelt, die geeignet ist, eine Neuausrichtung der neuen
Bundesregierung in der Innen- und Rechtspolitik erken-
nen zu lassen.
Leider ist aber das Gegenteil der Fall.
Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung die
Geltungsdauer eines verfassungsrechtlich bedenkli-
chen Gesetzes um weitere zwei Jahre verlängern; Herr
Stünker, Sie haben eigentlich sehr gut ausgeführt, dass
das verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Das ist mit der FDP nicht zu machen.
Sie haben es ja schon dargelegt: Ende 2004 hat der
Deutsche Bundestag das Gesetz zur Neuregelung der
präventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
chung durch das Zollkriminalamt verabschiedet. Das
Gesetz war notwendig geworden, weil das Bundesver-
fassungsgericht zuvor die Regelungen für die präventive
Telekommunikations- und Postüberwachung für den Au-
ßenwirtschaftsbereich durch das Zollkriminalamt für
verfassungswidrig erklärt hat. Der sodann von der Bun-
desregierung vorgelegte Gesetzentwurf wurde den An-
forderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerade
nicht gerecht. Deshalb hat die FDP-Fraktion dem Ge-
setzentwurf damals auch nicht zugestimmt.
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Die Bundesregierung hatte sich verpflichtet, inner-
alb eines Jahres eine gesetzliche Neuregelung vorzule-
en, in der die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
ichts berücksichtigt werden sollten. Nun geht das Jahr
005 zu Ende, ohne dass die Regierung ihre Hausaufga-
en gemacht hat. Vielmehr soll die Geltungsdauer der
erfassungsrechtlich bedenklichen Regelung um weitere
wei Jahre verlängert werden, wie es von der Regierung
ieß. Die Koalitionsfraktionen haben dazu zwei Ände-
ungsanträge vorgelegt, in denen sie zuerst eine Befris-
ung von einem Jahr und später eine Befristung von
8 Monaten vorschlagen.
ieser Umstand zeigt doch schon, dass auch innerhalb
er Koalition Bedenken gegen den Entwurf der eigenen
egierung bestehen. Dies ist ja auch verständlich; denn
n diesem Entwurf werden die Vorgaben des Bundesver-
assungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwa-
hung erneut außer Acht gelassen.
arüber hinaus werden in ihm auch die Grundsätze
issachtet, die das Gericht im Juli 2005 zur präventiven
elefonüberwachung aufgestellt hat: Eingriffe in den ab-
olut geschützten Kernbereich privater Lebensgestal-
ung haben zu unterbleiben.
Meine Damen und Herren, Ende 2004 meinte die vor-
erige Bundesregierung noch, innerhalb eines Jahres ei-
en entsprechenden Entwurf vorlegen zu können. Es ist
ür mich in keiner Weise einzusehen, wieso es bei der
euen Regierung nun nochmals anderthalb Jahre dauern
oll, einen verfassungskonformen Gesetzentwurf vorzu-
egen.
ie Begründung der Koalition für eine Verlängerung um
nderthalb Jahre, man wolle die Erarbeitung eines um-
angreichen Gesamtkonzeptes in der Telekommunika-
ionsüberwachung abwarten, verheißt nichts Gutes.
ir warten schon viel zu lange auf die Umsetzung der
echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu die-
em Thema. Ich habe nicht die Hoffnung, dass die große
502 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Mechthild Dyckmans
Koalition die Kraft aufbringen wird, die angekündigten
Reformen tatsächlich anzugehen.
Aus Sicht der FDP ist eine Verlängerung der Gel-
tungsdauer des Gesetzes um weitere anderthalb Jahre
unvertretbar und deshalb nicht zustimmungsfähig. Die
FDP-Fraktion hat daher einen Änderungsantrag einge-
bracht, wonach die Geltungsdauer des Gesetzes lediglich
bis zum 30. Juni 2006 befristet werden soll. Vor dem
Hintergrund der nun schon lange währenden Diskussion
muss diese Zeit ausreichen, um das Gesetzgebungsver-
fahren abzuschließen. Der Tatsache, dass wir überhaupt
eine Verlängerung in Erwägung ziehen, liegt die Einsicht
zugrunde, dass das Zollkriminalamt Eingriffsbefugnisse
für die Übergangszeit haben muss. Meine Damen und
Herren von der Linken, deswegen ist Ihr Entschlie-
ßungsantrag, der eine Regelungslücke zur Folge hätte,
insbesondere mit Blick auf die internationale Verbrei-
tung von Massenvernichtungswaffen, auch abzulehnen.
Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grü-
nen, Sie haben zwar versucht, die Vorgaben aus Karls-
ruhe in Ihren Änderungsantrag einfließen zu lassen,
dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die unter-
schiedlichen Eingriffsbefugnisse nicht ohne eine aus-
führliche Sachverständigenanhörung geregelt werden
können,
die unseres Erachtens im ersten Quartal 2006 stattfinden
muss
und die im Übrigen 2004 von allen gefordert wurde.
Die Bundesregierung zeigt mit dem Gesetzentwurf,
dass sie in der Rechtspolitik auf Kontinuität setzt. Konti-
nuität bedeutet hier leider Kontinuität bei dem weiteren
Abbau von Bürgerrechten.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land sind so viele und so tiefe Eingriffe in so kurzer Zeit
in die Freiheit der Bürger wie unter der letzten Bundes-
regierung vorgenommen worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit den Ge-
setzgeber oft daran erinnert, dass bei der Ausgestaltung
von Gesetzen das Grundgesetz wieder zum Maßstab des
Handelns werden muss.
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Der Gesetzgeber sollte diese Mahnung ernst nehmen.
inen parteiübergreifenden Konsens kann es erst dann
ieder geben, wenn die Bundesregierung zu einer
rundrechtsorientierten Rechtspolitik zurückfindet und
ereit ist, bei ihren Initiativen ein ausgewogenes Gleich-
ewicht zwischen Freiheit und Sicherheit unter Berück-
ichtigung anerkannter Verfassungsgrundsätze herzustel-
en. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
ollfahndungsdienstgesetzes ist dafür ein misslungener
nfang.
Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede in diesem
aus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich und
ünsche Ihnen weiterhin alles Gute.
Das Wort hat nun der Kollege Siegfried Kauder von
er CDU/CSU-Fraktion.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
iebe Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ird dem Gesetz zur Änderung des Zollfahndungs-
ienstgesetzes zustimmen.
s wird eine Verlängerung der Gültigkeit des Gesetzes
m 18 Monate sein. Diese Zeit muss das Parlament nut-
en, um Unebenheiten und verfassungsrechtliche Beden-
en auszugleichen.
Nun werden in wenigen Minuten der Kollege
eskovic und der Kollege Ströbele ans Rednerpult treten
nd möglicherweise erklären, dass dieser Gesetzentwurf
ur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes verfas-
ungswidrig sei, dass auch ein temporärer Verfassungs-
ruch ein Verfassungsbruch sei und dass man deshalb
iesem Gesetzentwurf nicht zustimmen könne. Liebe
olleginnen und Kollegen, das ist juristisch nicht zu
nde gedacht und politisch nicht vernünftig.
Was ist der Sinn dieser zugelassenen Post- und Tele-
ommunikationsüberwachung? Das Gesetz soll schon
m Ansatz verhindern, dass mit Massenvernichtungswaf-
en aus Deutschland illegal Handel getrieben wird und
ass ganze Giftgasanlagen in Krisengebiete geliefert
erden. Das heißt, wir haben es mit einem hohen und
nsbesondere hohen außenpolitischen Gut zu tun. Würde
n diesem Bereich ein Vakuum eintreten, hätten wir ei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 503
)
)
Siegfried Kauder
nen außenpolitischen Flurschaden, der nicht zu beheben
wäre.
Nun ist nicht zu verkennen, dass uns dazu zwei
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. März
2004 vorliegen. Das eine befasste sich mit dem Thema
des Kernbereiches der persönlichen Lebensgestaltung,
den auch der Gesetzgeber nicht antasten darf. Das Urteil
bezog sich auf den großen Lauschangriff, besser gesagt:
die akustische Wohnraumüberwachung. Das andere Ur-
teil vom gleichen Tag befasste sich mit dem Außenwirt-
schaftsgesetz. Darin stand zu dem Problem des Kernbe-
reichs höchstpersönlicher Lebensgestaltung nichts.
Diese beiden Urteile waren für die Rechtswissen-
schaft Anlass, heftig darüber zu debattieren, ob das Ur-
teil zum großen Lauschangriff auf das Außenwirt-
schaftsgesetz eins zu eins oder überhaupt anwendbar ist.
Diese Frage wurde noch bis in den November 2005
hinein kontrovers und ergebnisoffen von den Rechtswis-
senschaftlern diskutiert. Aber wir können auch nicht ver-
kennen, dass es eine weitere Entscheidung vom 27. Juli
2005 gibt, in dem das Verfassungsgericht das nieder-
sächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und
Ordnung – also ein Polizeigesetz – als verfassungswidrig
aufgehoben hat,
weil mehrere Vorgaben, die die Verfassung vorsieht,
nicht erfüllt waren. In diesem Urteil ist zum ersten Mal
expressis verbis formuliert, dass der Kernbereich der
persönlichen Lebensgestaltung auch bei der Post- und
Telekommunikationsüberwachung zu beachten ist.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung muss der
Gesetzgeber reagieren. Bedeutet dies nun – wie es Kol-
lege Neskovic ausführen wird –, dass eine Verlängerung
der Gültigkeitsdauer des Gesetzes zur Neuregelung der
präventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
chung verfassungswidrig wäre? Man kann sich schlicht
und ergreifend an der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts orientieren, um zu erkennen, dass dies
nicht stimmt. Denn auch das Bundesverfassungsgericht
muss ein Gesetz, das nicht verfassungskonform ist, nicht
sofort für nichtig erklären. Es nimmt nämlich eine Vor-
prüfung vor, ob bei Nichtvorhandensein des als verfas-
sungswidrig angesehenen Gesetzes die Verfassungslage
schlechter wäre als bei der Fortdauer des Gesetzes.
Es werden also verschiedene Rechtsgüter gegenei-
nander abgewogen. Ich kann nur wiederholen, dass es
hierbei um einen schweren außenpolitischen Schaden
geht. Deswegen kann man davon ausgehen, dass das
Bundesverfassungsgericht von der zweiten Lösung Ge-
brauch machen würde, nämlich statt das Gesetz für nich-
tig zu erklären allenfalls feststellen würde, dass es mit
der Verfassung nicht vereinbar wäre. In diesem Fall
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Aber das ist unser Problem: Zu dem Zollfahndungs-
ienstgesetz liegt keine verfassungsgerichtliche Ent-
cheidung vor.
eswegen müssen wir den zeitlichen Rahmen festle-
en, in dem wir die verlängerte Gültigkeitsdauer des Ge-
etzes ohne Korrekturen verfassungsrechtlich für vertret-
ar halten.
Man kann – wie die FDP – ein halbes Jahr durchaus
ür ausreichend halten. Ich war der Meinung, ein Jahr sei
ertretbar. Jetzt diskutieren wir über ein Jahr und sechs
onate. Das Bundesverfassungsgericht orientiert sich in
olchen Fällen daran, was im parlamentarischen Tages-
etrieb umzusetzen ist. Die FDP weiß, dass ein halbes
ahr deutlich zu kurz ist. Sie will lediglich Druck ma-
hen; das ist legitim.
Es nützt auch nichts, wenn uns die Grünen einen Än-
erungsantrag vorlegen, der etwas konfus zwischen der
ost- und Telekommunikationsüberwachung hin- und
erschleudert und nicht durchdacht, sondern mit heißer
adel gestrickt ist.
ir müssen in Ruhe in den zuständigen Gremien da-
über diskutieren. Dazu ist eine fundierte parlamentari-
che Beratung notwendig. Deswegen glaube ich, dass
8 Monate durchaus vertretbar sind.
Aber wir sollten uns auch an den Vorgaben des Bun-
esverfassungsgerichts, die uns im Fall einer Entschei-
ung gemacht würden, orientieren. In diesem Zusam-
enhang wird die Frage zu stellen sein, ob in der
bergangsfrist von 18 Monaten nicht begleitend Kor-
ekturen vorgenommen werden sollten. Deswegen bitte
504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Siegfried Kauder
ich an die Herren Staatssekretäre gerichtet, bei den zu-
ständigen Ministerien – dem Bundesjustiz- und Bundes-
finanzministerium – kurzfristig die beiden folgenden
Fragen zu klären:
Erstens. Welche Bemühungen sind in den beiden Minis-
terien seit der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts vom 27. Juli 2005 unternommen worden, um die
verfassungsgerichtlichen Vorgaben zum Schutz des un-
antastbaren Kernbereichs persönlicher Lebensgestal-
tung gesetzgeberisch umzusetzen?
Zweitens. Lässt sich für die nächsten 18 Monate vo-
rübergehend durch Verwaltungsvorschriften ein Schutz
des unantastbaren Kernbereichs persönlicher Lebensge-
staltung bei Vorschriften zur Post- und Telekommunika-
tionsüberwachung des Zollfahndungsdienstgesetzes ge-
währleisten? Wir werden nämlich der Öffentlichkeit und
gegebenenfalls dem Bundesverfassungsgericht erklären
müssen, was wir getan haben, um dieses Gesetz mög-
lichst schnell mit dem Grundgesetz kompatibel zu ma-
chen, so Bedenken bestehen.
Zum Schluss bitte ich die Bundesjustizministerin und
den Bundesfinanzminister, innerhalb von sechs Monaten
einen Zwischenbericht über den Stand des gesetzgeberi-
schen Verfahrens zu geben, damit wir wissen, wie weit
die Bemühungen vorangeschritten sind.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Neskovic
von der Fraktion Die Linke.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf ist – Herr
Kauder hat es vorweg genommen – abzulehnen. Hier
teile ich die Auffassung der FDP.
In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es wie üb-
lich: Alternativen – keine. Richtigerweise hätte es hei-
ßen müssen: Alternativen – ein verfassungsgemäßes Ge-
setz.
Statt einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts in den bereits zi-
tierten Entscheidungen vom 3. März 2004 und der Ent-
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Es müsste genauso den juristischen Laien überraschen.
ch versuche, das auch aus der Laienperspektive zu se-
en.
enn es einen absolut geschützten Kernbereich privater
ebensgestaltung gibt, warum sollte er nur den Bereich
er akustischen Wohnraumüberwachung und nicht auch
en Bereich der Post- und Telekommunikationsüberwa-
hung umfassen? Anders ausgedrückt, für diejenigen,
ie es nicht verstehen wollen: Für den Schutz des Kern-
ereichs privater Lebensgestaltung ist es völlig unerheb-
ich, in welcher Art und Weise der Eingriff erfolgt. Der
ernbereich privater Lebensgestaltung ist umfassend
nd nur dann absolut geschützt, wenn er seine Schutz-
unktion gegen jede Form des Eingriffes entfaltet.
Selbst diejenigen, die sich, wie ich finde, solcher ein-
acher und nahe liegender Überlegungen durch Ignoranz
ntziehen wollen, müssen sich dem Vorwurf aussetzen,
ann zumindest die Entscheidung des Bundesverfas-
ungsgerichts zum Außenwirtschaftsgesetz nicht richtig
elesen zu haben. Am Ende der Entscheidung befinden
ich nämlich so genannte Segelanweisungen. Solche
nweisungen sollen dem Adressaten – hier dem Gesetz-
eber – helfen, mögliche Fehler, die bei erneuter Befas-
ung mit der Materie entstehen, zu unterlassen. Sie sol-
en also schlicht verhindern, dass der Gesetzgeber in die
alsche Richtung segelt. „Der Gesetzgeber“, so heißt es
ort, wird bei der Neuregelung – nun kommt die ent-
cheidende Passage – „auch die Grundsätze zu beachten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 505
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)
Wolfgang Neskovic
haben, die der Senat in seinem Urteil zum großen
Lauschangriff für die akustische Wohnraumüberwa-
chung niedergelegt hat“. Herr Kauder, das ist der von Ih-
nen vermisste Bezug.
– Darüber haben wir schon im Ausschuss diskutiert. Ich
hatte gehofft, dass Sie es verstanden haben.
Im Klartext heißt dieser Hinweis: Was für Art. 13 GG
gilt, gilt auch für Art. 10 GG. So einfach ist das.
Wenn man sich nun aber nicht der Mühe unterziehen
will, die Entscheidung bis zu Ende zu lesen, dann hätte
man wenigstens die Presseerklärung lesen können. Dort
hätte man das schon im fünften Satz nachlesen können.
Nie war Segeln so leicht. Das sage ich als jemand, der
von der Küste kommt.
Damit aber nicht genug. Am 27. Juli dieses Jahres
– darauf ist auch hingewiesen worden – hat das Bundes-
verfassungsgericht klipp und klar gesagt, dass auch im
Gewährleistungsbereich des Art. 10 des Grundgesetzes
der Kernbereich privater Lebensgestaltung zu regeln ist.
Damit war alles klar, möchte man meinen. Aber dieses
Gesetzgebungsverfahren belehrt uns eines Besseren.
Trotz dieser eindeutigen Verfassungslage wollen Sie
heute mehrheitlich die Geltung eines Gesetzes verlän-
gern, von dem Sie nach dem vorher Gesagten eigentlich
wissen müssten, dass es verfassungswidrig ist, und zwar
weil es die geforderten Schutzvorschriften zum Kernbe-
reich der privaten Lebensgestaltung nicht enthält.
Das ist unstreitig.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja, ich bin gleich zu Ende. –
Eine Befristung der Geltungsdauer des Gesetzes auf an-
derthalb Jahre ändert daran nichts; denn befristeter Ver-
fassungsbruch bleibt Verfassungsbruch.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Sie haben hier die Gelegenheit, sich für eine Frist-
erlängerung um null Monate, für eine Fristverlänge-
ung um sechs Monate, für eine Fristverlängerung um
in Jahr oder für eine Fristverlängerung um anderthalb
ahre zu entscheiden. Das sind viele Variationsmöglich-
eiten.
un kann man denken: Das scheint relativ willkürlich zu
ein. Da nehmen wir doch ein Jahr und einigen uns in
er Mitte. – Es geht aber in der Tat um die Frage, ob wir
ine gesetzliche Regelung verlängern, die möglicher-
eise verfassungswidrig ist. Da wäre jeder Tag, den
ieses Gesetz, so wie es heute ausgestaltet ist, verfas-
ungswidrig fortbesteht, ein Tag zu viel; denn wir Abge-
rdnete des Deutschen Bundestags dürfen kein Gesetz
erabschieden, bei dem wir billigend in Kauf nehmen,
ass es verfassungswidrig ist und dann weiter gilt.
Das Bündnis 90/Die Grünen hat einen Änderungsan-
rag vorgelegt, um zu zeigen, was wirklich konstruktive
pposition ist. Wir wenden uns nicht einfach an die Re-
ierung und fordern ein besseres Gesetz, sondern wir
achen uns die Mühe, selber einen Gesetzentwurf zu
ormulieren.
ir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der eindeu-
ig akzeptiert – das ist hier mehrfach gesagt worden –,
ass wir nicht ohne gesetzliche Regelung weiterleben
ollen; denn auch wir wollen nicht, dass eine Giftgasfa-
rik irgendwohin in die Welt geliefert wird. Wir wollen
uch nicht, dass schwere Kriegswaffen irgendwohin ge-
iefert werden.
506 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Hans-Christian Ströbele
Wir wollen auch nicht, dass etwa Teile in Staaten, die
diese möglicherweise zur Kriegswaffenproduktion miss-
brauchen, geliefert werden. Weil dieses Gesetz also er-
forderlich ist, um so etwas zu verhindern, sind wir dafür,
die Geltung dieses Gesetzes zu verlängern.
Wir wollen aber aus dieser Zwickmühle heraus. Wir
wollen nicht die Geltung eines möglicherweise verfas-
sungswidrigen Gesetzes um ein Jahr verlängern, um
dann zu prüfen, ob sich die eine oder andere Regelung in
der Zwischenzeit als veränderungs- oder verbesserungs-
bedürftig erwiesen hat. Wir wollen vielmehr Regelungen
einbauen, die den verfassungsrechtlichen Bedenken
Rechnung tragen.
Herr Kollege Stünker, wir haben in der Tat lange da-
rüber diskutiert, ob das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts zum großen Lauschangriff auf die Telefon-
überwachung, auch auf die durch den Zoll, anwendbar
ist. Wir haben unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Wir waren von Anfang an dafür, das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zum großen Lauschangriff auf die
Telefonüberwachung auszudehnen. Darüber konnten wir
uns nicht einigen und deshalb enthält das bisher geltende
Gesetz dazu keine Regelung.
Wir hatten uns aber vorgenommen, in diesem Jahr für
eine Klärung zu sorgen. Das ist aus Gründen, die weder
Sie noch wir zu vertreten haben, nicht geschafft worden.
Aber die Folgerung daraus kann nicht sein, dass man die
Geltungsdauer des bisher geltenden Gesetzes einfach
verlängert. Stimmen Sie vielmehr unserem Änderungs-
antrag zu! Wir kommen den Petita, die die FDP immer
wieder formuliert hat, voll entgegen, indem wir durch
eine eindeutige Formulierung den Kernbereich der pri-
vaten Lebensführung schützen. Danach dürfen zum
Beispiel keine Briefe durchgelesen werden, die diesen
Kernbereich betreffen. Wenn ein Brief den Kernbereich
der privaten Lebensführung betrifft, dann muss die Lek-
türe abgebrochen werden.
Wir schützen den Kernbereich privater Lebensfüh-
rung auch beim Telefonieren. Wenn ein Richter fest-
stellt, dass der Kernbereich der privaten Lebensführung
Gegenstand eines abgehörten Telefonats war, dann darf
der Inhalt nicht verwendet werden und die Aufnahme
muss sofort gelöscht werden. Die Erkenntnisse, die aus
dem Abhören dieses Telefonats gewonnen worden sind,
dürfen im Verfahren nicht eingesetzt werden; vielmehr
muss ein Verwertungsverbot greifen.
Wir haben eine weitere Regelung in unseren Ände-
rungsantrag aufgenommen – auch da könnte man unter-
schiedlicher Meinung sein –, die darauf abzielt, dass damit
Schluss gemacht wird, dass die Berufsgeheimnisträger
in Deutschland nur mangelhaft geschützt sind. Wir wol-
len, dass Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte, Strafverteidi-
ger, aber auch Journalisten in vollem Umfang geschützt
sind, wenn sie telefonieren und wenn sie Briefe schrei-
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Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
undesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
erung des Zollfahndungsdienstgesetzes auf Druck-
ache 16/88. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
eschlussempfehlung auf Drucksache 16/252, den Ge-
etzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
ierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir
uerst abstimmen.
Wer stimmt dem Änderungsantrag der Fraktion der
DP auf Drucksache 16/271 zu? – Wer stimmt dage-
en? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist damit
it den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
es Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die
inke gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des
ündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/272? –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
ungsantrag ist damit bei Enthaltung der FDP und einer
nthaltung bei der Linken gegen die Stimmen der Grü-
en mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
eisten Abgeordneten der Linken abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetz in der Aus-
chussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
urf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
oalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
ionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
ntwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in
er zweiten Lesung angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
chließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
he 16/277. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
rag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Was ist
it der Fraktion der Grünen?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 507
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Gilt bei der Fraktion der Grünen Enthaltung, so wie das
bei einigen Mitgliedern der Fall war, oder beteiligt sie
sich nicht an der Abstimmung?
– Wenn ich das Signal richtig deute, ist es „Enthaltung“.
– Dagegen? – Ich wiederhole die Abstimmung, damit es
sauber ist.
Es geht um den Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist
der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen, der FDP und der Grünen mit Ausnahme
der Enthaltung einer Abgeordneten gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes
– Drucksache 16/199 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Bleser, Ursula Heinen, Gitta Connemann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwir-
ken – Verbraucher umfassend informieren
– Drucksache 16/195 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlos-
sen.
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Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Wir bringen heute unseren Entwurf eines Ver-
raucherinformationsgesetzes ein. Uns geht es darum,
en Verbraucherinnen und Verbrauchern umfassende
nformationsrechte gegenüber der öffentlichen Hand
nd gegenüber Unternehmen einzuräumen. Bei der
egierungserklärung ist von der Bundeskanzlerin ein
oher Ton angeschlagen worden. Es ging um „Mehr
reiheit wagen“. Was wir mit diesem Gesetzentwurf
ollen, ist „Mehr Informationsfreiheit wagen“. Darum
eht es uns.
Hintergrund der Debatte, die wir heute führen, ist na-
ürlich der Ekelfleisch- und Gammelfleischskandal. Es
uss klar sein, dass solche kriminellen Machenschaften
ücksichtslos aufgedeckt und streng geahndet werden.
er so etwas tut, kann definitiv nicht mit der Rücksicht
es Staates rechnen. Wer betrügt, umdeklariert, panscht
der abzockt, muss mit harten Sanktionen rechnen. Vor
llem – das ist zentral – müssen in Zukunft Ross und
eiter genannt werden.
Für uns ist die Schaffung von Informationsrechten
ber nicht erst seit der aktuellen Ekelfleischdebatte zen-
ral. Heute unternehmen wir den dritten Versuch, den
erbraucherinnen und Verbrauchern zu ihrem Recht zu
erhelfen. Wir haben 2002 das Verbraucherinforma-
ionsgesetz eingebracht. Es ist damals an unionsgeführ-
en Ländern im Bundesrat gescheitert. 2004 haben wir
mfassende Verbraucherinformationsrechte im Rahmen
es Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs einge-
racht. Auch das ist im Bundesrat und im Vermittlungs-
usschuss an Union und FDP gescheitert.
Gegen beide Gesetze hat übrigens auch der CSU-Ab-
eordnete Seehofer gestimmt. Ich hätte gar nicht darüber
eredet, ehrlich gesagt,
eil das Schnee von gestern ist, aber wenn jetzt Ge-
chichtsklitterung betrieben wird, wenn so getan wird,
ls beginne man erst jetzt mit dem Verbraucherschutz,
508 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Reinhard Loske
dann muss ich ganz klar sagen: Die Ursache dafür, dass
schwarze Schafe bis heute nicht beim Namen genannt
werden, hat ganz eindeutig einen Namen, und zwar
Union.
Zu unserem Gesetzentwurf. Wir wollen, dass öffentli-
che Stellen und Unternehmen gegenüber den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern auskunftspflichtig sind. Es
kann nicht sein, dass öffentliche Stellen nach Lust und
Laune Auskunft erteilen oder verweigern können. Aber
falsch ist auch, was die große Koalition offenbar vorhat,
nämlich die Auskunftspflicht auf die öffentlichen Stel-
len zu beschränken. Es ist mindestens genauso wichtig,
den Unternehmen eine Informationspflicht aufzuerlegen.
Die Klügeren unter den Unternehmen erteilen bereits
Auskunft. Sie haben längst erkannt, dass eine moderne
Kommunikationskultur und Information der Verbraucher
die Chance bieten, die Kundenbindung zu erhöhen. Es
geht hier also nicht um eine Last, sondern um eine reale
wirtschaftliche Chance. Ich wünsche mir, dass auch die
große Koalition das endlich versteht.
Es gibt – das ist dem Antrag von der CDU/CSU und
der SPD zu entnehmen – einen Bürokratievorwurf ge-
genüber unserem Gesetzentwurf, der ungefähr so lautet:
Wenn man den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu
viel Informationsrechte einräumt, dann bombardieren sie
möglicherweise die Unternehmen mit Anfragen und le-
gen sie lahm. Das ist natürlich völliger Humbug. Ich lese
Ihnen einmal § 10 unseres Gesetzentwurfes vor. Dort
heißt es:
Jeder hat Anspruch, dass Unternehmen die bei ih-
nen vorliegenden Verbraucherinformationen in ei-
ner der Größe des Unternehmens angemessenen Art
und Weise zugänglich machen …
Ihr Reden von Bürokratie oder überbordenden Anforde-
rungen ist also nichts anderes als Ablenkung von der ei-
genen Tatenlosigkeit. Das muss man ganz klar sagen.
Es geht uns nicht nur um Verbraucherinformations-
rechte bei Lebensmitteln, sondern auch um umfassende
Verbraucherinformationsrechte bei allen Produkten
und Dienstleistungen. Wir finden, dass die Verbraucher
auch ein Recht darauf haben, zu erfahren, ob in Kinder-
spielzeugen Weichmacher sind, ob Kosmetika mithilfe
von Tierversuchen oder Teppiche in Kinderarbeit herge-
stellt worden sind oder ob Pensionsfonds bei der Geldan-
lage auch ethische Kriterien berücksichtigen. Das sind
keine unmäßigen Forderungen; in anderen Ländern, bei-
spielsweise im angelsächsischen Raum, wird das längst
praktiziert. Ich fordere Sie auf, diesem Beispiel zu fol-
gen.
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Herr Goldmann, Sie sind nicht an der Regierung, ka-
ieren Sie das endlich! Sie müssen nicht mehr die CDU/
SU verteidigen, sondern Opposition machen. Lernen
ie das endlich einmal!
Ich habe meine Zweifel, wenn ich sehe, dass Herr
abriel nach Brüssel fährt und dort aus der Chemika-
ienrichtlinie Verbraucherrechte herausstreicht. Das ist
chon sehr problematisch. Die Verbraucherverbände ha-
en dazu das Notwendige gesagt. Zweifel habe ich auch,
enn ich sehe, dass Herr Minister Seehofer gestern
eue, gentechnisch veränderte Organismen genehmigt
at, bei denen ausgesprochen fragwürdig ist, welche Ge-
undheitsfolgen und Folgen bezüglich der genetischen
ielfalt sie haben. Jetzt soll es ein Verbraucherinforma-
ionsgesetz geben, das die Unternehmen aus der Infor-
ationspflicht ausnimmt. Da kann ich nur sagen: Das
at so viel mit Verbraucherschutz zu tun wie die Kuh mit
em Sonntag, nämlich gar nichts. Das ist kein Verbrau-
herschutz.
Wir brauchen mehr Verbraucherschutz, mehr Infor-
ationsfreiheit, denn der mündige Verbraucher benötigt
nformationen, um gut entscheiden zu können; deshalb
ieses Gesetz. Lieber Kollege Goldmann, werfen Sie Ihr
erz über die Hürde und stimmen Sie dem Gesetz zu;
enn es ist ein sehr gutes Gesetz!
Schönen Dank.
Das Wort hat nun der Staatssekretär im Bundesminis-
erium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
chutz Dr. Gerd Müller.
Dr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
oske, Sie sind in der Realität nicht angekommen. Ihre
ealität heißt: Zurück zur Illusion. Das zeigt sich auch
n dem von Ihnen eingebrachten Entwurf eines Verbrau-
herinformationsgesetzes.
Der Bürger hat einen Anspruch auf Informationen.
erbraucherinformation ist ein Bürgerrecht. Wir werden
hm nachkommen. Der Verbraucherschutz ist eine wich-
ige Querschnittsaufgabe in der Politik geworden. Der
kelfleischskandal hat uns ganz aktuell die Notwendig-
eit neuer Instrumente vor Augen geführt, die über den
isherigen Katalog hinausgehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 509
)
)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
Minister Seehofer hat kurz und prägnant, aber auch
entschlossen mit einem Zehnpunktekatalog reagiert.
Ich möchte einige Punkte stichwortartig nennen.
Wir werden erstens das komplette Melde- und Kon-
trollsystem zwischen den Ländern und dem Bund, aber
auch auf europäischer Ebene auf den Prüfstand stellen
und mit neuen Ansätzen zu wesentlichen Verbesserun-
gen beitragen.
Ich möchte an dieser Stelle sagen: In einer globalisier-
ten Welt, in der wir offene Märkte auch für Lebensmittel
propagieren – Stichwort WTO –, wird die Frage, wie wir
diese offenen Märkte für den Verbraucher nachvollzieh-
bar kontrollieren und ihm Sicherheit geben, eine immer
höhere Bedeutung bekommen.
Wir werden zweitens als Reaktion auf diesen aktuel-
len Skandal den Gewerbezugang zukünftig verschärfen.
Das zielt auf diejenigen, die beispielsweise am Fleisch-
markt, mit dem Laptop in Appartements zurückgezogen,
auf kriminelle Weise agieren und damit eine gesamte
Branche in Verruf bringen. Es geht darum, diese krimi-
nellen Subjekte aus dem Markt zu drängen. Deshalb
werden wir die Regelungen hinsichtlich des Gewerbezu-
gangs für Personen, die mit Lebensmitteln zu tun haben,
verschärfen.
Ein dritter Punkt ist die Rückverfolgbarkeit der
Produkte. Wir streben in einem bundesweiten Modell-
versuch eine bessere Vernetzung der Systeme der staatli-
chen Kontrolle auf kommunaler Ebene und Länderebene
mit der Bundesebene und eine Vernetzung der staatli-
chen Systeme mit den Eigenkontrollsystemen des Han-
dels an. Wir freuen uns sehr, dass der Handel und die In-
dustrie auf diese Initiativen eingestiegen sind. Denn
effektiven Schutz können wir am besten nicht gegen die
Wirtschaft, sondern nur mit der Wirtschaft und mit dem
Handel organisieren.
Herr Loske, wir gehen gegen die Missstände konkret
und entschlossen vor. Dazu gehört viertens ein neues
Verbraucherinformationsgesetz, das die Rechte des
Verbrauchers stärkt. Wir gehen dieses Thema an; wir
wollen mehr Transparenz und mehr Offenheit. Daran
sind Verbraucher und Wirtschaft gleichermaßen interes-
siert. Wir freuen uns, dass auch die Wirtschaft dies im ei-
genen Interesse so sieht und deshalb offen und transpa-
rent dem Verbraucher gegenübertritt und dieses Gesetz
unterstützt. Wir machen hier keinen Schnellschuss, son-
dern wir werden Ihnen zu Beginn des Jahres einen abge-
stimmten und durchdachten Vorschlag unterbreiten.
Unser Verbraucherinformationsgesetz hat zwei we-
sentliche Bestandteile.
Erstens die Namensnennung. Zukünftig müssen
schwarze Schafe – beispielsweise solche, die beim
Fleischskandal in Erscheinung getreten sind – genannt
werden.
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ies ist zwar bisher schon möglich. Aber wir werden
ine Ergänzung der bestehenden Rechtslage vornehmen.
chwarze Schafe müssen zukünftig auch dann genannt
erden, wenn das Fleisch bereits auf den Markt gebracht
nd verbraucht ist. Es ist ja geradezu ein Paradoxon,
ass diejenigen belohnt werden, die ihr Fleisch schnell
m Markt unterbringen. Hier bedarf es natürlich einer
rgänzung. Wir erwarten uns von der Namensnennung
inen Druck auf die Wirtschaft, der zu einer Verbesse-
ung der Eingangs- und Eigenkontrollen der Industrie
ührt.
Zweitens. Mit dem Verbraucherinformationsgesetz
chaffen wir einen Paradigmenwechsel. Die Verbraucher
rhalten zukünftig einen Rechtsanspruch auf Akten-
insicht und einen Rechtsanspruch auf Behördenaus-
unft. Das ist, wie gesagt, ein Paradigmenwechsel im
ergleich zur aktuellen Rechtslage.
Die Grünen fordern darüber hinaus einen Anspruch
uf Auskunft gegenüber den Unternehmen. Man muss
ich das einmal vorstellen! Jeder Verbraucher soll ein
uskunftsrecht gegenüber den Unternehmen haben.
ir können so etwas realistischerweise national nicht
msetzen.
azu müsste es einen europäischen Ansatz geben. Es
ürde sich die Situation ergeben, dass große Handels-
etten die Wahrung dieses Auskunftsrechts noch garan-
ieren können. Aber die mittelständischen Betriebe wür-
en in arge Bedrängnis gebracht werden.
Die Grünen fordern in ihrem Gesetzentwurf weiterhin
inen Anspruch auf Information – ich musste mir das
otieren, weil ich es nicht glauben konnte – über allge-
eine Menschenrechtsanliegen, über Rechte von Kin-
ern in der Produktion. Sie haben mit Ihren Forderungen
atürlich den Rahmen der Realität verlassen. Sie erhe-
en Maximalforderungen und fallen in die Zeit von vor
ieben Jahren zurück, als Sie in der Opposition waren.
ie machen damit Schlagzeilenpolitik. Das haben Sie
ehr schnell wieder gelernt. Sie waren sieben Jahre in
er Verantwortung. Frau Künast hat fünf Jahre in dem
uständigen Ressort die Verantwortung getragen. Sie
atte Zeit, die Verbraucherrechte zu stärken. Deswegen
agt Herr Minister Seehofer sehr zu Recht: Das war
ymbolpolitik.
ie haben kein Gesetz in das Gesetzgebungsblatt ge-
racht.
510 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
Wir werden das schaffen.
Wir haben im Bundesrat, wie Sie eben angedeutet ha-
ben, diese Pläne, die das Ziel „Zurück zur Illusion“ hat-
ten, natürlich gestoppt. Wir gehen jetzt einen realisti-
schen Ansatz.
Sie haben fünf Jahre diskutiert und wir werden im Januar
einen Gesetzentwurf vorlegen,
der in den zwei von mir genannten Punkten einen realis-
tischen Ansatz und einen Quantensprung nach vorne in
der Stärkung der Verbraucherrechte mit sich bringt. Wir
werden diesen Ansatz in Abwägung der Interessen der
Wirtschaft und zur Stärkung der Verbraucher zusammen
mit den Bundesländern auf der Basis des Ergebnisses
des Vermittlungsausschusses einbringen. Alle sind dazu
eingeladen, zum Erfolg beizutragen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Michael
Goldmann, FDP-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Lieber Clemens Bollen, herzlich willkommen an
deinem ersten wirklichen Arbeitstag heute hier im Ple-
num!
Heute las ich etwas sehr Schönes in einer großen
Handwerkszeitung. Ich las nämlich die Überschrift:
Beim Metzger gibt es kein Gammelfleisch. In Nord-
deutschland würde man sagen: im Fleischerfachge-
schäft. In Bayern sagt man eher: Beim Metzger gibt es
kein Gammelfleisch.
Ich trage das deshalb vor, weil es mir sehr darum
geht, dass man in der Diskussion um dieses so genannte
Gammelfleisch ein bisschen differenzierter zu Werke
geht, dass man nicht generell von mafiösen Strukturen
spricht, sondern zwischen denjenigen unterscheidet, die
Böses bzw. Schlimmes getan haben, und denjenigen, die
sich in einem schwierigen Markt mit hoher Qualität nach
wie vor erfolgreich behaupten.
Ich meine, man sollte auch ein bisschen differenzie-
ren, wenn es darum geht, wie viele Fehlgriffe und Auf-
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Herr Loske, das steht in unmittelbarem Zusammen-
ang mit dem Verbraucherinformationsgesetz. Denn der-
enige, der kundig ist, braucht dieses Gesetz, das Sie hier
uf den Weg bringen wollen, nicht.
Es geht nämlich nicht darum, dass der Staat jedem
agt, worüber er sich informieren soll.
s geht vielmehr darum, dass wir dafür sorgen, dass der
erbraucher überall dort, wo er sich aus eigener Kraft
icht informieren kann, an die entsprechende Informa-
ion kommt.
eswegen sind wir für eine Deklaration – auch für eine
ifferenzierte – der Inhaltsstoffe; das ist überhaupt
eine Frage.
Aber wir sind entschieden dagegen, Herr Loske, dass
s so weitergeht wie bisher. Über Nacht – ich war da-
als im Vermittlungsausschuss dabei – sollte Ihr Ent-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 511
)
)
Hans-Michael Goldmann
wurf eines Verbraucherinformationsgesetzes in das Fut-
termittel- und Lebensmittelgesetz hineinkommen.
So war es überhaupt nicht möglich, ihn differenziert zu
betrachten.
Einem Verbraucherinformationsgesetz, das dem Ver-
braucher die Chance gibt, sich zu informieren, und der
Wirtschaft, mit diesem Thema fair umzugehen, stehen
wir offen gegenüber. Wir werden im Rahmen des Ge-
setzgebungsverfahrens eine Anhörung verlangen. Dabei
werden wir eine außerordentlich konstruktive Rolle ein-
nehmen. Da brauchen Sie sich überhaupt keine Gedan-
ken zu machen.
Es ist keine Frage, dass Gammelfleisch auf dem
Markt nichts zu suchen hat; darüber brauchen wir uns
nicht zu streiten. Herr Staatssekretär, Sie haben hier das
Zehnpunkteprogramm von Herrn Seehofer genannt.
Generell wird damit die richtige Richtung verfolgt. Ich
bitte aber darum, hier noch einmal sehr genau hinzu-
schauen. Ich bin für ein Frühwarnsystem und für die
Rückverfolgbarkeit gerade im Bereich des Kategorie-3-
Materials. Ich bin für eine Verzahnung von staatlichen
und privaten Qualitätssicherungssystemen. Ich bin für
eine Informationspflicht und – das steht in unseren Presse-
mitteilungen und das mache ich auch in Gesprächen mit
der Fleischwirtschaft deutlich – für einen Ehrenkodex in
dieser Branche.
– Ja, noch einer. Ich will keinen Vergleich zum Altbun-
deskanzler ziehen, wie es der Kollege von der Linken
heute Morgen gemacht hat.
Ich glaube, dass wir uns von der Vorstellung verab-
schieden müssen, diesen Bereich durch Gesetze so kon-
trollieren zu können, dass – ich will mich einmal so aus-
drücken – Drecksäcke in diesem Markt keine Chance
haben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass diejeni-
gen, die qualitätsorientiert arbeiten, jene outen, die die-
sen Bereich kaputtmachen. Die wenigen schwarzen
Schafe müssen an den Pranger gestellt werden und durch
Berufsverbot aus dem Markt verschwinden. Durch ein
solch klares Vorgehen können wir dafür sorgen, dass die
Qualität des Marktes nach außen sichtbar gemacht wird.
Außerdem hängen an diesem Markt unendlich viele Ar-
beitsplätze in Deutschland, die wir gewahrt wissen wol-
len.
Wir setzen auf Fachlichkeit statt auf Populismus.
Nun zum Thema Namensnennung. Es ist ganz sim-
pel: Die Namensnennung ist schon heute möglich, wenn
gesundheitliche Gefahr im Verzug ist. Jeder, der ein biss-
chen Ahnung hat, weiß, dass damals die Firma
Coppenrath & Wiese genannt worden ist. Lassen Sie uns
also keinen Popanz über Neues aufbauen! Lassen Sie
uns erst einmal die gegebenen Möglichkeiten nutzen!
Lassen Sie uns die Kontrollsysteme verbessern! Wirken
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ls kriminelle Tat müssen solche Vorfälle mit aller Härte
eahndet werden.
Die These „Geiz gebiert Gammel“ ist da zu hören.
as klingt nach einem Zweiklassenlebensmittelsortiment
nd danach, dass diejenigen, die zum Billigangebot grei-
en, selber schuld seien. Aber es kann nicht sein, dass den
erbraucherinnen und Verbrauchern die Verantwortung
ür solche Machenschaften zugeschoben wird. Sie müs-
en davon ausgehen können, dass alle Lebensmittel
512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Elvira Drobinski-Weiß
– egal zu welchem Preis sie angeboten werden – den ge-
setzlichen Standards entsprechen und weder gesundheit-
lich bedenklich noch ekelerregend sind.
Doch weniger das Kaufverhalten der Verbraucher als
vielmehr die hemmungslose Profitgier einzelner Anbie-
ter schafft die Anreize für solchen Betrug. Da werden
Produkte zu Preisen angeboten, zu denen sie nicht er-
zeugt werden können. Da werden die Entsorgungskosten
für Abfälle gespart, indem die Abfälle zu Lebensmitteln
umdeklariert und verkauft werden. „Gammel ist geil“,
wenn er sich zweimal rechnet: durch Einsparung der
Entsorgungskosten und durch Profit beim Verkauf. – Ich
weiß nicht, was der liebe Gott damit zu tun hat, Herr
Kollege Goldmann.
Der Gammelfleischskandal zeigt auch: „Billig“ kann
etwas völlig anderes als „preiswert“ sein. Verdorbene
Lebensmittel sind ihren Preis nicht wert. Wir wollen den
aufgeklärten Verbraucher, der Zugang zu der Informa-
tion hat, ob ein Produkt seinen Preis wert ist.
Um solche Skandale zu verhindern, brauchen wir ein
umfassendes, eigenständiges Verbraucherinformations-
gesetz, das die Befugnis der Behörden zur Information
der Öffentlichkeit erweitert. Es reicht nicht aus, wenn
die Namen der in solche Skandale verwickelten Unter-
nehmen nur dann genannt werden dürfen, wenn die Ware
noch in den Verzehr kommen könnte.
Wir brauchen ein Verbraucherinformationsgesetz, das
für Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit
schafft, an die bei den Behörden vorliegenden Informa-
tionen über Verstöße zu kommen. Denn das sorgt für
Vertrauen und Transparenz. Das versetzt Verbraucher
in die Lage, bewusste Kaufentscheidungen zu treffen
und sich vor zweifelhaften Angeboten zu schützen. Das
hat eine abschreckende Wirkung auf Verantwortungs-
lose, die aus Profitgier die Standards unterlaufen; denn
solche Machenschaften können nur im Dunkeln gedei-
hen.
Ein solches Verbraucherinformationsgesetz liegt auch
im Interesse der Wirtschaft; denn es hilft den korrekt und
verantwortlich handelnden Unternehmen – und das ist
Gott sei Dank immer noch die große Mehrheit –, sich ge-
gen eine kleine, kriminelle Minderheit durchzusetzen
und sie vom Markt zu drängen. Deshalb sollten auch die
bei der Wirtschaft selbst vorliegenden Informationen
den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugänglich ge-
macht werden, damit nicht eine ganze Branche unge-
rechtfertigt in Verdacht gerät und unter solchen Skanda-
len leiden muss.
Sehr geehrten Damen und Herren, andere Länder sind
in diesem Punkt schon weiter. In den USA zum Beispiel
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Herr Staatssekretär, das Verbraucherinformationsge-
etz ist zwar nicht die Erfindung von Herrn Minister
eehofer, aber wir sind froh darüber, dass Sie sich eine
ute Idee zu Eigen machen. Ich versichere Ihnen: Sie ha-
en unsere volle Unterstützung.
Der Fleischskandal sorgt für Handlungsdruck. Ihr an-
ekündigter und in den Medien breit diskutierter Maß-
ahmenkatalog hat eine hohe Erwartungshaltung in der
evölkerung erzeugt. Wir werden gemeinsam dafür sor-
en, dass den Ankündigungen auch Taten folgen. Die
erbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht da-
auf und unsere politische Glaubwürdigkeit verlangt es,
ass wir gemeinsam alle Möglichkeiten nutzen, um Ver-
töße zu verhindern und gewissenlosen Betrügern das
andwerk zu legen.
Dazu gehört auch: Mehr Abschreckung durch harte
nd konsequente Verfolgung von Verstößen gegen le-
ensmittelrechtliche und futtermittelrechtliche Bestim-
ungen. Solche Verstöße sind keine Kavaliersdelikte,
ondern kriminell. Kein Verkauf unter Einstandspreis;
enn wenn standardgemäße Produktion Verluste verur-
acht, werden seriöse Anbieter vom Markt verdrängt und
hre Existenz wird gefährdet. Mehr Transparenz und
ückverfolgbarkeit, auch bei Schlachtabfällen. Verbes-
erung bei den Kontrollen und eine bessere länderüber-
reifende Koordinierung.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Ernährungsbe-
eich darf es null Toleranz für Schlampereien und Betrug
eben. So wie die BSE-Krise werden wir auch diesen
ammelfleischskandal nutzen, um für mehr Transparenz
nd Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbrau-
her zu sorgen. Mit dem Spruch „Der Kunde ist König“
ird in der Wirtschaft gern geworben. Auch in der Ver-
raucherpolitik wollen wir den Kunden, den Verbrau-
her, an oberster Stelle. Der Schutz der Verbraucher
uss Priorität haben, auch vor wirtschaftlichen Interes-
en.
Beim Verbraucherinformationsgesetz können wir ge-
einsam zeigen, dass es uns damit Ernst ist. Ich bitte um
ustimmung für unseren Antrag.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 513
)
)
Elvira Drobinski-Weiß
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Frau Dr. Kirsten
Tackmann, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass
sich der Bundestag mal wieder mit dem Verbraucher-
informationsgesetz beschäftigt. Als Fraktion Die Linke
begrüßen wir selbstverständlich alle Initiativen, die den
berechtigten Interessen von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern dienen. Das Verbraucherinformationsgesetz
gehört dazu.
Angesichts der hektischen Betriebsamkeit sei jedoch
daran erinnert, dass der Bundestag bereits 2002 und
2005 Gesetzesinitiativen beschlossen hat, die aber im
Bundesrat gescheitert sind. Für den Streit, wer wann wie
und warum wen blockiert hat, haben Menschen außer-
halb dieses Parlaments wenig Verständnis. Sie sehen das
als ein Kapitel des kollektiven Versagens.
Der immer geringere Zeitabstand zwischen den Le-
bensmittelskandalen erzwingt nun den Neuanfang mit
neu gemischten politischen Karten. Das wird sehr span-
nend; denn bislang lagen die Positionen der neuen Koali-
tionäre bei diesem Thema weit auseinander, wie auch
dem Plenarprotokoll vom Juni 2005 zu entnehmen ist.
Dem angekündigten Gesetzentwurf der Koalition se-
hen wir daher mit Skepsis entgegen. Wir werden sehen,
welche Ideen aus dem rot-grünen Projekt überlebt ha-
ben. Die Einbeziehung der Erfahrung und des Sachver-
stands der Verbraucherschutzorganisationen in den Ent-
scheidungsprozess halten wir für unverzichtbar.
Unsere Forderung ist ein verlässliches, leicht und
ohne finanzielle Hürden zugängliches, transparentes
Informationssystem. Das hätte sicherlich auch die ge-
wollte disziplinierende Wirkung. Das ist aber nur ein
Teil der Lösung und kein Ersatz für wirkliche Präven-
tionskonzepte. Dazu müssen die wirklichen Ursachen
dieser Skandale offen benannt werden: der ruinöse Wett-
bewerb kurzfristig gedachter Kapitalverwertungsinte-
ressen. Wenn Entsorgung von Gammelfleisch über den
menschlichen Magen günstiger ist als über die Deponie,
dann kann in diesem System etwas nicht richtig sein.
Der Gesetzgeber hat einen klaren Handlungsauftrag
zur Sicherung der Interessen der Gesellschaft. Es muss
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Das Wort hat nun die Kollegin Ursula Heinen von der
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
egen! Machen wir uns doch nichts vor: Wenn man den
esetzentwurf liest, den die Grünen eingebracht haben,
ann denkt man, man lebt auf einem anderen Stern. Die
ealität wird komplett ausgeblendet, ökonomische Ge-
ebenheiten werden ignoriert und die Unternehmen wer-
en per se an den Pranger gestellt. Ich möchte Ihnen
erne aus einer Pressemitteilung der Grünen vorlesen,
n der das abschließend deutlich wird.
514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Ursula Heinen
Dort heißt es:
Wir bringen den Gesetzentwurf ein, um den Bür-
gern zu mehr Rechten zu verhelfen und ihre Abhän-
gigkeit gegenüber Unternehmen … zu verringern.
Ich bin Volkswirtin und habe gelernt, dass Unterneh-
men ihre Produkte dann verkaufen können, wenn sie gut
und in Ordnung sind.
Das gilt für die große Mehrheit der Unternehmen in
Deutschland.
Es ist nicht so, dass die Unternehmen das Ziel haben, die
Menschen zu betrügen.
Die Unternehmen wollen ihre Produkte verkaufen. Das
schaffen sie aber nur, wenn sie sich vernünftig verhalten.
Der Versuch, den Sie jetzt unternehmen, ist nicht neu.
Schon im Jahr 2001 haben Sie diese Forderungen in ei-
nem Eckpunktepapier erhoben, konnten diese aber nicht
einmal in Ihrem eigenen rot-grünen Kabinett durchset-
zen. Heute müssen wir sagen: Wir loben die Kollegen
von der SPD, die diese abstrusen Vorstellungen, wie Sie
sie niedergeschrieben haben und jetzt wieder verkünden,
gestoppt haben.
Herr Loske, diese Forderungen haben Sie in der
Folgezeit nicht mehr aufgestellt. Sie haben Recht, wenn
Sie sagen, dass wir schon mehrfach über das Verbrau-
cherinformationsgesetz debattiert haben. Als Gerda
Hasselfeldt als stellvertretende Vorsitzende der CDU/
CSU-Fraktion für diesen Bereich zuständig war, haben
wir einen Antrag zu diesem Thema eingebracht; auch
damals haben wir darüber diskutiert. Aber Sie haben
Ihre Forderungen nicht mehr eingebracht. Auch im Rah-
men der von Michael Goldmann zitierten Nacht-und-Ne-
bel-Aktion haben Sie Ihre Forderungen nicht mehr erho-
ben, sondern Sie haben sich genau so geäußert, wie es
Staatssekretär Müller vorhin getan hat.
Sie hatten überhaupt keine anderen Ideen. Das, was Sie
hier machen, ist absolut scheinheilig, Herr Loske!
Sie wissen auch, warum das, was Sie hier tun, schein-
heilig ist. Der Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ging viel zu
weit. Er ist in der Realität nicht umsetzbar.
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er Begriff „Verbraucherinformation“ – das ist schon
ngesprochen worden – soll, wenn es nach Ihnen geht,
elange des Tierschutzes, der Menschenrechte, Kinder-
rbeit etc. umfassen. Anstatt sich um die Verbesserung
er Situation im Lebensmittelbereich zu kümmern, über-
öhen Sie das Thema Verbraucherinformation noch zu-
ätzlich durch Ihre Ideologie.
as ist nicht machbar. Der Anspruch auf Information,
en Sie fordern, ist überhaupt nicht durchsetzbar. Ich
ade Sie ganz herzlich ein – das können wir nächste Wo-
he, noch vor Weihnachten, machen –, gemeinsam mit
ir in der Kölner Innenstadt die kleinen Metzgereibe-
riebe anzuschauen. Wir können auch eine kleine Milch-
enossenschaft besuchen. Spätestens dann werden wir
issen, ob sie in der Lage sind, Ihren wahnsinnigen Aus-
unftsansprüchen Rechnung zu tragen.
Ich kann Ihnen die Antwort auf diese Frage aber
chon jetzt geben. Wie soll das funktionieren? Das kön-
en sie nicht leisten.
hre etwas vage Formulierung hilft den Unternehmen
icht. Wenn jemand von einem kleinen Metzgereibetrieb
anz genaue Auskünfte haben möchte, funktioniert das
infach nicht. Aber wir beide können gerne einen Ter-
in dafür ausmachen und das nächste Woche einmal
usprobieren.
Wenn wir uns damit befassen, Auskunftsansprüche
egenüber Unternehmen einzuführen, können wir das
och nicht in Deutschland im Alleingang machen. Wir
eben doch hier nicht auf einer Insel der Glückseligkeit!
ir können uns es nicht leisten, immer wieder mit irgen-
etwas vorzupreschen. Wenn, müssen wir uns auf euro-
äischer Ebene darüber unterhalten. Aber da frage ich
ie von den Grünen, die Sie fünf Jahre lang die Ressort-
erantwortung dafür hatten: Haben Sie in diesen fünf
ahren dazu irgendeine Initiative auf europäischer Ebene
estartet?
ein, kein einziges Mal haben Sie das Thema „bessere
erbraucherinformation“ auf europäischer Ebene einge-
racht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 515
)
)
Ursula Heinen
Doch jetzt fordern Sie hier Gott weiß was!
Und um sozusagen das i-Tüpfelchen draufzusetzen,
fordern Sie einen Bundesbeauftragten für den Zugang
zu Verbraucherinformationen. Das ist noch das Aller-
beste! Da bin ich ja der Kollegin von der Linken fast
dankbar, dass sie auf die ganzen Ämter und Behörden
aufmerksam gemacht hat, die es für diesen Bereich be-
reits gibt, beispielsweise das Bundesamt für Verbrau-
cherschutz. Damit nicht genug: Auch jedes Bundesland
muss, wie in Ihrem Gesetzentwurf steht, einen eigenen
Beauftragten für den Zugang zu Verbraucherinforma-
tionen benennen. Haben Sie sich einmal mit den Bun-
desländern darüber unterhalten, wie viele Leute sie oh-
nehin abstellen müssen, wenn wir diesen Anspruch auf
Information einführen? Das wird alles gar nicht so ein-
fach sein; das lässt sich nicht aus dem hohlen Bauch ma-
chen oder aus der Portokasse finanzieren. Anstatt hier ei-
nen zusätzlichen Beauftragten zu fordern, sollten Sie
sich ein Beispiel daran nehmen, wie wir von der CDU/
FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen gerade einen
Beitrag zum Bürokratieabbau leisten: indem wir das Be-
auftragtenunwesen deutlich zurückfahren.
Wir werden in der Tat eine bessere Regelung zur Ver-
braucherinformation schaffen. Aber – und das ist der
Unterschied – wir werden es durchdacht machen, in Ab-
sprache mit den betroffenen Verbänden, mit denen es
selbstverständlich eine Anhörung geben wird. Unsere
Regelung wird das Problem an der Wurzel packen und
den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit
geben, sich bei den Behörden – da gehört es hin! – ver-
nünftig zu informieren über alle Fragen, die das Lebens-
mittel selbst betreffen, aber nicht auch noch über die
zahlreichen weltanschaulichen Fragen, die Ihnen vor-
schweben.
In diesem Sinne werbe ich für unseren Antrag, in dem
wir auch unsere Unterstützung für ein Verbraucherinfor-
mationsgesetz erklären. Ich denke, dass wir im neuen
Jahr vernünftige Beratungen darüber haben werden, und
freue mich auf die neuerliche Diskussion über ein ver-
nünftiges, durchdachtes Verbraucherinformationsgesetz.
Danke schön.
Das Wort hat nun die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als vorhin meine Kollegin Elvira Drobinski-
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ls auch überfällig ist. Herr Loske, ich will auch in Ihre
ichtung einmal sagen: Wir haben nicht vergessen, was
ir in sieben Jahren gemacht haben. Auch die neue Bun-
esregierung will diesen Weg weitergehen – es gibt
eine Geschichtsklitterung. Aber das, was Sie jetzt be-
reiben, ist auch nicht ganz lauter.
nd, wie gesagt: Das Gesetz ist seit Jahren in der Pipe-
ine. Es kann nicht angehen, dass Verbraucherinnen und
erbraucher das Gefühl haben, dass sie fürs Falschpar-
en sofort ein Knöllchen bekommen, während Men-
chen, die mit erheblicher krimineller Energie Abfälle
ls Lebensmittel verhökern, ungeschoren davonkommen
ollen.
as muss anders werden.
Ich bin Herrn Minister Seehofer für seine klaren
orte und für sein konsequentes Vorgehen dankbar. Wir
nterstützen ausdrücklich den Maßnahmenkatalog der
undesregierung.
ir alle, auch die Zuschauer oben auf der Tribüne, ha-
en das Recht darauf, zu wissen, ob zwischen dem, was
rin ist, und dem, was drauf steht, Unterschiede beste-
en;
enn es geht schließlich um unsere Gesundheit. Verbrau-
herinnen und Verbraucher dürfen nicht betrogen wer-
en.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Grünen
at auf die Schnelle einen Gesetzentwurf vorgelegt oder,
esser gesagt, aus der Schublade gezogen. Vom Ansatz
er ist er richtig. Sicherlich brauchen wir mehr und bes-
ere Informationen für die Verbraucher, aber im Detail
ffenbaren sich Schwächen; meine Kollegin Heinen hat
chon darauf hingewiesen. „Opposition macht frei“, da-
ür habe ich Verständnis.
516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Waltraud Wolff
Wenn aber die Gesetzentwürfe, die wir gemeinsam auf
den Weg gebracht haben, nicht mehr als Grundlage die-
nen, sondern Sie viel weiter zurückgehen,
dann ist das unlauter. Für die Menschen draußen im
Land, die genau wissen, dass solche Gesetze nicht be-
schlossen werden können, ist das Augenwischerei. Die
Wünsche des Katalogs, den Sie aufgestellt haben, sind
nicht zu erfüllen.
Wir brauchen ein praktikables Konzept, das zusammen
mit den Ländern zügig umgesetzt werden kann. Eine
weitere Bauchlandung mit einem Verbraucherinforma-
tionsgesetz können wir uns nicht leisten. Die Menschen
erwarten endlich einen Erfolg, nämlich ein Gesetz, das
ihrem Informationsanspruch gerecht wird.
Die Bundesregierung hat bereits Gespräche mit den
Ländern und der Fleischwirtschaft geführt und wird ei-
nen Entwurf vorlegen. Ich nehme an, Herr Staatssekre-
tär, dass das in der nächsten Zeit geschehen wird. Das
Gesetz muss – das wissen wir alle; das ist in dieser De-
batte ganz breit diskutiert worden – einen umfassenden
Informationsanspruch der Verbraucher gegenüber
den Behörden bieten.
Auf Nachfrage müssen Auskünfte erteilt und Ross und
Reiter genannt werden. Aber nicht nur das. Die Behör-
den müssen Informationen auch aktiv an die Öffentlich-
keit weitergeben, sodass schwarze Schafe sich nicht
mehr verstecken können. Riesenschweinereien dürfen
nicht durch fehlende Information gedeckt werden. Das
wird in Zukunft anders.
Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns alle einig.
Wir haben in der Vergangenheit über den Weg zu
mehr Information und zu mehr Transparenz gestritten.
Wir haben verschiedene Gesetzentwürfe beraten. Die
Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten nun von
uns entschlossenes Handeln und Taten. Lassen Sie uns
an dieser Stelle weitermachen und nicht in der Vergan-
genheit grasen. Helfen Sie mit, dass wir ein vernünftiges
Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg bringen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade der
Fleischskandal macht wieder einmal mehr deutlich,
dass Markttransparenz nutzt, und zwar allen. Märkte, die
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Keiner meiner Vorredner ist auf die guten Beispiele
ingegangen. Ich möchte an die Firma Hipp erinnern. Ei-
er ihrer Lieferanten von Putenfleisch für Kindernah-
ung hatte Selbstanzeige erstattet, als bemerkt wurde,
ass etwas nicht stimmte. Anschließend erfolgte ein
anz transparentes Verfahren.
In der letzten Woche war ich in meinem Wahlkreis
nterwegs und habe die Zerbster Fleisch- und Wurstwa-
enfabrik besucht. Diesen Namen sage ich gerne. Dieses
nternehmen hat nämlich keine Angst vor Transparenz,
at keine Angst, Auskünfte zu erteilen. Denn diese
irma wünscht sich, dass auf diesem Weg den Unholden
as Handwerk gelegt wird.
orrekt arbeitende Unternehmen müssen sich schützen
önnen. Schwarze Schafe gehören an den Pranger; denn
ie schaden der gesamten Branche.
Natürlich brauchen wir auch mehr Aufklärung bei
en Verbrauchern und Verbraucherinnen und auch eine
erstärkte Bewusstseinsschulung. Das ist uns allen ja
lar.
ie Wertigkeit der Lebensmittel ist in Deutschland nicht
o, wie wir sie uns wünschen. Deutsche geben mit rund
5 Prozent ihres Einkommens nur die Hälfte von dem
ür Essen und Trinken aus, was zum Beispiel Franzosen
nd Italienern ihre Nahrungsmittel wert sind. Das zeigt
iesen Mangel an Bewusstsein, der bei uns vorherrscht.
eshalb ist es wichtig, auch an diesen Punkten zu arbei-
en.
Mein Fazit lautet:
Erstens. Ein Mehr an Informationen für die Verbrau-
her ist dringend erforderlich.
Zweitens. Gemeinsam mit der CDU/CSU werden wir
n naher Zukunft ein mit den Ländern abgestimmtes Ver-
raucherinformationsgesetz vorlegen, mit dem hoffent-
ich alle, auch die Wirtschaft, leben können.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 517
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/199 und 16/195 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Ausgleich von Arbeitgeberaufwen-
dungen und zur Änderung weiterer Gesetze
– Drucksache 16/39 –
– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Arbeitgeberausgleich bei Fortzahlung des Ar-
beitsentgelts im Fall von Krankheit und Mut-
terschaft
– Drucksache 16/46 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Gesundheit
– Drucksache 16/243 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Albach
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch dazu. Dann ist auch das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Mechthild Rawert von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden
die Regelungen über die Umlageverfahren zum Aus-
gleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzah-
lungen und Mutterschaftsleistungen überarbeitet. Die
neuen Regelungen befinden sich künftig im eigenständi-
gen Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwen-
dungen für Entgeltfortzahlung.
Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen ist die Umset-
zung einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Das
Bundesverfassungsgericht hatte festgestellt, dass die An-
spruchsgrundlage für den Arbeitgeberzuschuss nach
dem Mutterschutzgesetz nicht mit dem Gleichstellungs-
auftrag des Grundgesetzes vereinbar ist. Der uns alle
bindende Art. 3 Abs. 2 im Grundgesetz lautet:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Wir werden dies mit dem neuen Gesetz tun.
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Im Übrigen gleichen sich bei größeren Betrieben die
öhe der Mutterschaftsleistungen und die Umlage lang-
ristig aus. Ein Kostenargument zählt also nicht. Aus-
rücklich hingewiesen wurde auf die Möglichkeit der
usweitung des Umlageverfahrens von Mutterschafts-
eistungen, das so genannte U-2-Verfahren, auf alle Ar-
eitgeber, und zwar unabhängig von der Beschäftigungs-
ahl. Hinzu kommt für uns, dass ein einheitliches
518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Mechthild Rawert
Umlageverfahren, das nicht nach der Unternehmens-
größe unterscheidet, den Vorteil der Verbreiterung der
Beitragsbasis bietet.
Es gab Kritik. Die Arbeitgeber haben sich in der Ver-
gangenheit immer wieder auch im Rahmen der Anhö-
rungen zu diesem Gesetzentwurf grundsätzlich gegen
die Mutterschaftsleistungen gewandt und sich für eine
Finanzierung aus Steuermitteln ausgesprochen. Diese
Forderung ist nicht neu. Wir aber bleiben dabei, dass Ar-
beitgeber nicht aus ihrer Verantwortung für das Gemein-
wohl – dazu gehört der Schutz von Müttern und Kindern
auf jeden Fall – entlassen werden.
Die mit den Mutterschaftsleistungen verbundenen
Kosten dürfen auch von Verfassungs wegen grundsätz-
lich zwischen den Kostenträgern Bund, Krankenkassen
und Arbeitgebern aufgeteilt werden. Das bedeutet: Alle
Arbeitgeber sind in das Umlageverfahren einzubeziehen.
So kommentierte auch das Bundesverfassungsgericht
gegenüber der Presse seinen Beschluss wie folgt:
Trotz des gestiegenen Anteils der Arbeitgeberleis-
tungen überwiegen bei der gebotenen Gesamtbe-
trachtung die öffentlichen Leistungen für den
Schutz von Mutter und Kind bei weitem die Belas-
tungen der Arbeitgeber.
Der Staat ist verfassungsrechtlich also keineswegs ver-
pflichtet, die Kosten des Mutterschutzes alleine zu tra-
gen. Als Gesetzgeber nutzen wir daher bei der hier vor-
liegenden Umsetzung dieser sozialpolitischen Aufgabe
unseren weiten Gestaltungsspielraum.
Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf werden al-
lerdings noch weitere Neuerungen erfolgen. Zusätzlich
zur Ausweitung des so genannten U-2-Verfahrens erfol-
gen Änderungen bei der Einbeziehung der Gruppe der
Angestellten in das Umlageverfahren zur Entgeltfort-
zahlung im Krankheitsfall. Dieses so genannte U-1-Ver-
fahren bezieht sich derzeitig nur auf die Gruppe der Ar-
beiterinnen und Arbeiter.
Das Entgeltfortzahlungsgesetz hatte die verfassungs-
rechtlich gebotene Gleichstellung von Arbeiterinnen und
Arbeitern sowie Angestellten bei der Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall bereits hergestellt. Es ist daher aus
Gleichbehandlungsgründen nur folgerichtig, auch die
Angestellten in den Ausgleich für die Entgeltfortzahlung
einzubeziehen.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch noch
ein dritter Bereich geregelt. In beide Umlageverfahren
– das Umlageverfahren für die Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall, „U1“, wie auch in das Umlageverfahren
für Mutterschaftsleistungen, „U2“ – werden nun auch
die Ersatz- und Betriebskrankenkassen einbezogen.
Die Umlageverfahren werden künftig von allen Kran-
kenkassen mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Kran-
kenkassen durchgeführt. Denn die Beschränkung auf die
derzeit im Gesetz aufgeführten Kassenarten ist mit den
seit 1996 bestehenden Wahlrechten der Versicherten und
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Das ist verwirrend, zeigt aber, dass man mit untaugli-
chen Mitteln versucht, einen Ausgleich zwischen Grup-
pen von Arbeitgebern zu organisieren, der offensichtlich
noch nicht einmal innerhalb der Arbeitgeber zu gerech-
ten Ergebnissen führt.
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eswegen stellen wir jetzt noch keine entsprechenden
nträge, was ja die Konsequenz bei einer Ablehnung
es Gesetzentwurfes wäre.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Peter Albach, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-
en und Kollegen! Mit meiner Wahl in den Deutschen
undestag hatte ich – da ich Jurist von Beruf bin – so
anches gedanklich verbunden, was das Gesetzge-
ungsverfahren betrifft, nicht jedoch den Umstand, in
einer Jungfernrede zum Mutterschutz zu reden.
ch bin meinen Vorrednern und Vorrednerinnen wirklich
ankbar, mir bei diesem spannenden Thema noch etwas
brig gelassen zu haben, was durchaus zu einem
520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Peter Albach
Erkenntnisgewinn in meinen Ausführungen gegenüber
dem Plenum beitragen könnte.
Ich muss eingangs meiner Betrachtungen zum vorlie-
genden Gesetzentwurf anerkennen, dass neun Minuten
Redezeit reichlich bemessen sind
– ich mache Ihnen natürlich gern ein paar Komplimente;
was bin ich heute höflich! – angesichts des Umstandes,
dass es kaum strittige Punkte im Verfahren und insbe-
sondere im federführenden Ausschuss gab, die nicht hät-
ten gelöst werden können, einmal abgesehen von dem
Vorschlag einer etwaigen Steuerfinanzierung des Arbeit-
geberzuschusses zum Mutterschaftsgeld; das haben wir
hier wieder vernommen.
Wir sind durch das Bundesverfassungsgericht aufge-
fordert, zum 31. Dezember 2005 durch Gesetz zu regeln
– ja –, „dass sich Schutzvorschriften auf Arbeitnehme-
rinnen faktisch nicht mehr diskriminierend auswirken“,
auch unter Berücksichtigung des aufgestellten Leitsat-
zes, „dass der Art. 6 Abs. 4 GG keine verfassungsrecht-
liche Pflicht des Staates begründet, die Kosten des Mut-
terschutzes allein zu tragen“.
Die Diskriminierung der Arbeitnehmerinnen er-
gibt sich für den Ersten Senat des Verfassungsgerichtes
allein aus dem Umstand, dass nicht alle Arbeitgeber in
das Umlageverfahren, mit welchem durch das Lohnfort-
zahlungsgesetz bedingt die Aufwendungen der Arbeitge-
ber bei Mutterschaft ausgeglichen werden, einbezogen
sind. Plausibel, das ist das so genannte U-2-Verfahren.
Das hat zur Konsequenz, dass Frauen im gebärfähigen
Alter das Risiko – Sie hatten es schon erwähnt – einer
faktischen Diskriminierung in Kauf nehmen, da das
Ausgleichs- und Umlageverfahren gerade den Zweck
hat, die unterschiedliche Verteilung der Risiken bedingt
durch mögliche Mutterschaften auszugleichen und damit
Beschäftigungshemmnisse abzubauen. Leicht nachzu-
vollziehen. Dadurch aber, dass dieses Verfahren nicht
bei allen Arbeitgebern geltendes Recht ist, sieht das Ge-
richt vorgenannte faktische Diskriminierungen. Der Ar-
beitgeber könnte bei der Einstellung finanzielle Erwä-
gungen – durch mögliche Mutterschaften bedingt – zur
Grundlage seiner Entscheidungsfindung machen, ob
denn nun Frau oder Mann einzustellen sei.
Im Ausschuss waren wir uns einig, dass wir dies nicht
länger dulden werden und selbstverständlich die fakti-
sche Diskriminierung beendet wird.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt dem durch
die Ausweitung der Umlageverpflichtung auf alle Ar-
beitgeber unabhängig von der Größe des Unternehmens
nach mehrheitlicher Auffassung der Mitglieder des Aus-
schusses für Gesundheit Rechnung. Es ist zudem Rege-
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Danke.
Während hinsichtlich des Grundstoffüberwachungs-
esetzes kein weiterer Erörterungsbedarf bestand, so
urde bezüglich des Arbeitgeberzuschusses zum Mut-
erschaftsgeld von mehreren Seiten darauf verwiesen,
ass eine steuerfinanzierte Lösung – das haben wir
eute wieder hier gehört – zur Finanzierung dieser ge-
amtgesellschaftlichen Aufgabe vorzuziehen wäre. Aus
iesem Grund deshalb zu unser aller Erkenntnisgewinn
och einige weiterführende Bemerkungen, die man aber
uch schon im Volltext des Bundesverfassungsgerichts-
rteils hätte nachlesen können.
Alle Befürworter der Steuerfinanzierung übersehen
in diesem Fall wurde es einmal nicht übersehen –,
ass, unabhängig davon, dass zurzeit kein Steuerauf-
ommen zur Verfügung steht – es soll erst durch die flei-
ige und sachorientierte Arbeit der Koalition zukünftig
erfügbar sein;
ie Hoffnung, dass es dazu kommt, ist begründet;
chließlich arbeite ich mittlerweile mit –, die Arbeitge-
er selbst ein gesellschaftlicher Bestandteil sind und
ass die Entlassung der Arbeitgeber aus dem gesamtge-
ellschaftlichen Interesse Mutterschutz insofern weder
eute noch in Zukunft möglich sein wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 521
)
)
Peter Albach
Des Weiteren wird gern übersehen – das halte ich für
eine erstaunliche Denkleistung des Bundesverfassungs-
gerichts; man sollte sich die Volltexte doch ab und zu
durchlesen –, dass es gerade arbeitsplatzbedingte Gefah-
ren sind, vor welchen die im Arbeitsverhältnis stehende
Mutter und das Kind sechs Wochen vor und acht Wo-
chen nach der Entbindung zu schützen sind. Davon geht
ja keine Gefahr für das Finanzamt aus, nicht wahr?
Es besteht eine Verantwortungsbeziehung
– hören Sie sich das doch ruhig einmal an! – des Arbeit-
gebers zum Zwecke der Regelung, sodass das Verfas-
sungsgericht folgerichtig formuliert:
Die Verpflichtung der Arbeitgeber, einen Zuschuss
zum Mutterschaftsgeld zu zahlen, ist zur Errei-
chung des gesetzgeberischen Ziels auch geeignet
und erforderlich.
Warum wollen wir denn immer schlauer sein als das
Bundesverfassungsgericht? Manches kann man sich
doch sparen. Dort hat man ein umfassendes Anhörungs-
verfahren zur Entscheidungsfindung durchgeführt.
Wie dem auch sei, wir beenden heute mit unserer Zu-
stimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung satte
elf bzw. 13 Jahre – das ist eine Frage der Betrachtungs-
weise – Prozessgeschichte, welche 1992 begann und
über eine Verfassungsbeschwerde nunmehr zur Geset-
zesänderung führt.
Ihnen allen ein besinnliches Weihnachtsfest und ein
gutes Jahr 2006.
Danke.
Herr Kollege Albach, Sie erwähnten es bereits selbst:
Es war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir
gratulieren Ihnen dazu sehr herzlich, verbunden mit den
besten Wünschen!
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Spieth,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
Herrn Albach steht ein zweiter Thüringer an diesem
Pult. Es wird möglicherweise nicht ganz so vergnüglich,
aber mit Sicherheit auch nicht brottrocken, das kann ich
versprechen.
Herr Albach, möglicherweise hat dieses Gesetz, wenn
es irgendwann einmal bewertet wird, einen Vater. Inso-
fern kann ich Sie beruhigen: Ihre Jungfernrede war amü-
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Herr Kollege, bei Ihnen war das ebenfalls die erste
Rede im Deutschen Bundestag. Auch Ihnen gilt unser
Glückwunsch und gelten unsere guten Wünsche für die
weitere Arbeit!
Ich erteile der Kollegin Birgitt Bender, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie be-
reits dargelegt, beseitigt der vorliegende Gesetzentwurf
eine Schieflage, die uns zunächst vom Bundesverfas-
sungsgericht attestiert werden musste. Mit der alten Re-
gelung bestand die Gefahr, dass Betriebe mit mehr als 20
oder 30 Beschäftigten bei der Einstellung Frauen be-
nachteiligen.
Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf. Es ist richtig,
dass jetzt alle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen inklu-
sive des öffentlichen Dienstes und der Wohlfahrtsver-
bände in das Ausgleichsverfahren zu den Mutterschafts-
leistungen einbezogen werden. Dies ist ein Schritt, der
Arbeitgeber, die viele Frauen beschäftigen, entlastet und
Arbeitgeber, die mehr Männer beschäftigen, an den Aus-
gaben für die Mutterschutzleistungen beteiligt. Wie heißt
es doch so schön? Kinder haben nicht nur Mütter, son-
dern auch Väter. Es ist gut, dass diese Erkenntnis beim
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Es gäbe sicherlich auch darüber hinaus noch frauen-
olitischen Handlungsbedarf im Arbeitsleben. Aber das
st ein anderes Thema.
Die Vereinheitlichung der Regelungen sowohl beim
usgleichsverfahren Mutterschaftsleistungen als auch
eim Ausgleichsverfahren Entgeltfortzahlung im Krank-
eitsfall war bereits überfällig. Es ist richtig, dass jetzt
istorische Relikte wie die Ungleichbehandlung von Ar-
eiterinnen und Arbeitern sowie Angestellten durch die
inbeziehung der Ersatz- und Betriebskrankenkassen
bgeschafft werden. Auch ist die Einbeziehung der Ar-
eitgeber aus dem Feld der freien Berufe stringent und
ystematisch richtig.
Bei der Umlageentgeltfortzahlung im Krankheitsfall
elten in Zukunft erstens klare Regelungen für die Wohl-
ahrtsverbände, zweitens einheitliche Erstattungssätze,
rittens eine einheitliche, nicht von der Satzung der je-
eiligen Krankenkasse abhängige Grenze, bis zu der
ich die Unternehmen an dieser Umlage beteiligen, und
iertens die Einbeziehung aller Krankenkassen. Dies
aut – das ist ein wichtiger Gesichtspunkt – Bürokratie
n den Personalabteilungen ab. Es ist jetzt für Betriebe
it bis zu 20 bzw. 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
indeutig geklärt, dass für alle Beschäftigten die Umlage
reift. Es hängt nicht mehr von der Krankenkasse eines
der einer Beschäftigten ab, ob das Umlagesystem greift
der nicht.
Diese Vereinheitlichung ermöglicht es den Kranken-
assen, diese Aufgabe zukünftig an eine kassenübergrei-
ende Stelle zu übertragen. Ich hoffe, dass diese Chance
on den gesetzlichen Krankenkassen genutzt wird und
ich hierdurch weitere Vereinfachungen für die Betriebe
rgeben. Wir werden die Entwicklung in den nächsten
ahren beobachten und feststellen, ob der Bürokratieab-
au tatsächlich eintritt.
Abschließend noch ein guter Ratschlag in Richtung
er Kollegen von der FDP: Herr Kollege Lanfermann,
enn man im Wahlkampf Plakate klebt, auf denen groß
Steuern runter“ steht, dann sollte man sich vielleicht
nschließend mit der Forderung nach zusätzlichen
taatsausgaben eher zurückhalten.
Danke schön.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
esregierung eingebrachten Gesetzentwurf über den Aus-
leich von Arbeitgeberaufwendungen und zur Änderung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 523
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
weiterer Gesetze, Drucksache 16/39. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/243, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der FDP-
Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund-
heit zum Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache
16/46 über den Arbeitgeberausgleich bei Fortzahlung
des Arbeitsentgelts im Fall von Krankheit und Mutter-
schaft. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/243, den Gesetz-
entwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein modernes Berufsbeamtentum
– Drucksache 16/129 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir haben einen Antrag vorgelegt, weil gerade die Ent-
wicklung des öffentlichen Dienstes in dieser Legislatur-
periode ein sehr wichtiger Punkt sein wird.
Der Deutsche Beamtenbund, Verdi und der Bundesmi-
nister des Innern haben sich auf ein Eckpunktepapier ge-
einigt, das für Verbände wirklich vorbildlich ist. Denje-
nigen, die immer über Beamte herziehen, sage ich:
Schauen Sie sich einmal an, was diese Organisation ge-
leistet hat und welchen Reformwillen sie gezeigt hat!
Das ist wirklich vorbildlich für viele andere.
Es geht jetzt darum, dass wir den hier gezeigten Re-
formwillen nicht verspielen und dass die Politik ihn
nicht konterkariert. Ich erinnere Sie noch einmal daran,
was parallel zur Arbeit der Föderalismuskommission
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 525
)
)
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehe
ich zum Detail komme, möchte ich etwas Grundsätzli-
ches sagen. Wir – damit meine ich die Linkspartei – ha-
ben mit dem deutschen Beamtenwesen schon immer ein
Problem gehabt. Beamte genießen bestimmte Privile-
gien. Im Gegenzug aber müssen sie auf Bürgerrechte
verzichten. Sie müssen brav sein. Courage ist verboten.
Ich finde, das ist altbacken, preußisch und auch nicht
modern.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Vergleich
wiederholen, den die Kolleginnen und Kollegen, die die-
ses spannende Thema bereits in den letzten zwei Legis-
laturperioden bearbeitet haben, schon kennen, der aber
unser Verhältnis zum Beamtentum immer noch ganz gut
beschreibt: Die Linkspartei.PDS ist gegen Prostitution.
Aber solange es Prostitution gibt, so lange werden wir
uns dafür einsetzen, dass die Prostituierten nicht sozial
benachteiligt und ausgebeutet werden.
Dasselbe Prinzip legen wir bei der Bundeswehr an, die
wir eigentlich auch abschaffen wollen, ebenso bei Be-
amtinnen und Beamten.
Ich finde, dass auch die Beamtinnen und Beamten ein
Recht auf Vertrauensschutz haben. Das heißt, dass die
Eckpunkte für eine Reform des Beamtenrechts, die Bun-
desinnenminister a. D. Schily mit dem Beamtenbund
und Verdi ausgehandelt hat, nicht mir nichts, dir nichts
Makulatur werden können. Insofern stimme ich der FDP
zu: Auch Beamtinnen und Beamte haben ein Recht auf
Vertrauensschutz. Sie sind nicht der Spielball der Nation.
Die FDP fordert weiter, nur noch dort Beamtinnen
und Beamte einzusetzen, wo es um die so genannten
Kernaufgaben des Staates geht, beispielsweise bei der
Polizei. Dies läuft darauf hinaus, das ausufernde Beam-
tenwesen zu begrenzen. Das finde ich – entsprechend
meiner Eingangsbemerkung – völlig richtig.
Nun sollen Beamtinnen und Beamte künftig mehr
nach ihrer Leistung bezahlt werden und weniger nach
ihrem Dienstalter. Das klingt gut, vorausgesetzt, es gibt
objektive Kriterien, nach denen die Leistung von Beam-
tinnen und Beamten gerecht bewertet werden kann. Ge-
recht heißt aber auch, dass bundesweit ein einheitliches
Dienstrecht gelten muss und nicht in jedem Bundesland
ein anderes. Letzteres würde nämlich ganz schnell zu
Beamten erster, zweiter und dritter Klasse führen, nicht
weil ihre Leistungen erst- oder drittklassig sind, sondern
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Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
erte Frau Kollegin Pau, ich bin schon erstaunt, wel-
hes Klischee Sie pflegen. Sie haben Ihren Redebeitrag
it einem Verweis begonnen und sich gewissermaßen
elbst zitiert, indem Sie einen Vergleich gebracht haben,
en Sie schon in den letzten Wahlperioden angeführt ha-
en. Vielleicht bietet Ihnen diese Debatte die Gelegen-
eit, Ihr Bild von engagierten, auch zivilcouragierten
eamtinnen und Beamten im öffentlichen Dienst zu
berprüfen. Ich glaube, das wäre dringend geboten.
Aber dies steht nicht im Mittelpunkt der Debatte. Im
ittelpunkt der Debatte steht der Aufschlag, den die
DP-Fraktion mit ihrem Antrag „Für ein modernes Be-
ufsbeamtentum“ gemacht hat. Eine Duplizität der Er-
ignisse: Vor knapp einem Jahr haben Sie hier einen ver-
leichbaren Aufschlag gewagt. Wohl wahr, wir beraten
unmehr im Kontext der großen Koalition.
Es ist vorgetragen worden: Wir hatten den Entwurf ei-
es Strukturreformgesetzes gewissermaßen ante portas.
Ja, aber er hat uns noch nicht im geordneten parlamen-
arischen Verfahren beschäftigt. – Diskontinuität erfor-
ert nun neue Aktivitäten.
Positiv möchte ich zunächst hervorheben, dass der
ntrag sich auf das Eckpunktepapier „Neue Wege im öf-
entlichen Dienst“ bezieht, das – da muss ich Ihnen wi-
ersprechen – von Herrn Schily wesentlich geprägt
urde. Sie haben versucht, das so darzustellen, als hätte
526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Siegmund Ehrmann
Herr Schily seinen eigenen Reformimpuls konterkariert.
Das sehe ich anders.
– Auf die Föderalismusreform komme ich noch zu spre-
chen.
Der Antrag, der nunmehr vorliegt, unterscheidet sich
substanziell von dem seinerzeit eingebrachten Antrag,
und zwar durch die Behauptung, die Koalitionsverein-
barung beschreibe nichts Konkretes. Ich halte dem ent-
gegen: Koalitionsvereinbarungen sind keine ausformu-
lierten Gesetzentwürfe. Die Koalitionsvereinbarung ist,
gerade was den Bereich des öffentlichen Dienstes anbe-
langt, nach meiner Überzeugung hinreichend konkret. In
dem, was wir zur Modernisierung des öffentlichen
Dienstrechtes auflegen, müssen allerdings wichtige Eck-
punkte der Verabredung zur Föderalismuskommission
mitbedacht werden.
In der Koalitionsvereinbarung ist verabredet, Art. 33
Abs. 5 des Grundgesetzes zu modifizieren und zu ergän-
zen: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamten-
tums sind nicht nur zu regeln, sondern auch fortzuent-
wickeln.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den schlichten
Hinweis, dass der damalige Bundesinnenminister, Otto
Schily, selber dies Anfang dieses Jahres in die Debatten
zur Föderalismuskommission eingebracht hat.
In Ihrem Antrag wird zumindest für mich nicht über-
zeugend deutlich, wie Sie zu dieser Verfassungsände-
rung stehen. Ihre Frage „Was heißt das eigentlich?“
möchte ich anhand eines konkreten Beispieles beleuch-
ten. Sie behaupten, die hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentumes böten genügend Spielraum für eine
umfassende Fortentwicklung und Erneuerung des Beam-
tenrechtes. Aber diese Behauptung blendet die Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichtes aus. Danach
sind zum Beispiel Kinderzuschläge in der Besoldung
zwingend geboten. Solche familienstandsabhängigen
Leistungen sind wiederum Ausdruck des Unterhalts-
charakters der Beamtenbesoldung und widersprechen
dem Kerngedanken, das Leistungsprinzip deutlich aus-
zugestalten. Deshalb werden wir uns hier sehr intensiv
mit der Änderung von Art. 33 Abs. 5 im Kontext der
Verabredung zur Föderalismuskommission befassen
müssen.
Ich erwähnte, dass in der Koalitionsvereinbarung
ebenso fixiert ist, die Leistungsbezogenheit des Dienst-
rechtes und einen flexiblen Personaleinsatz herbeizufüh-
ren. Herr Kollege Göbel verwies darauf, dass das Eck-
punktepapier dabei eine wichtige Orientierung bietet,
ebenso der Entwurf des Strukturreformgesetzes. Zu-
gleich wurde aber in der Koalitionsvereinbarung ein Ab-
wägungsgebot vereinbart, den damit verbundenen Ver-
waltungsaufwand kritisch zu würdigen, damit unnötige
Apparate vermieden werden.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hal-
tung der FDP in dieser Frage ist total widersprüchlich.
Ich muss sagen, ich habe weder Ihren Antrag noch Ihre
Rede nachvollziehen können. Sie haben zu Recht gesagt,
die große Koalition hat sich darauf verständigt, die Zu-
ständigkeit für die Beamten weitestgehend auf die Län-
der zu übertragen. Dies kann sie aber nur mit Ihrer Zu-
stimmung machen. Diesen zweiten Satz haben Sie
verschwiegen.
Ich habe mir die Sitzungsergebnisse der Ministerprä-
sidentenkonferenz sehr genau angeschaut. Ich habe mir
auch die Fußnoten angesehen. Sie kamen aus Schleswig-
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Indem wir unseren Antrag einbringen, wollen wir der
Koalition die Gelegenheit geben, in einigen Punkten
Klarheit zu schaffen. Die heutigen Beiträge der Redner
der Koalition haben diese Klarheit leider nicht gebracht.
Jetzt haben die beiden Redner von SPD und CDU/CSU
zur Übertragung von Kompetenzen auf die Länder eher
Zweifel formuliert. Wir werden uns überraschen lassen,
wie ihre endgültige Haltung sein wird. Mir zumindest ist
sie nicht klar geworden.
Allerdings haben Sie sich – das ist begrüßenswert –
für die Fortführung der von Herrn Schily gemeinsam mit
dem Deutschen Beamtenbund und Verdi ausgehandelten
Reform ausgesprochen. Wir sind der Meinung, dass
diese Reform auf jeden Fall umgesetzt werden muss;
denn wir wollen den guten öffentlichen Dienst, den wir
haben, modernisieren. Für den Bund besteht, egal wie
die Kompetenzen letztlich verteilt sind, auf jeden Fall
die Notwendigkeit, diese Reform durchzuführen.
Der eigentliche Grund für meine kurze Wortmeldung
ist, dass der Kollege Wolfgang Bosbach, Fraktionsvize
der CDU/CSU, in der Aussprache über die Regierungs-
erklärung für weitere Unklarheit gesorgt hat. Es gibt
nämlich einen Widerspruch zwischen dem, was in der
Koalitionsvereinbarung angekündigt wurde – finanzielle
Einschnitte für die Beamten; insbesondere hat Herr
Schäuble ja von einer deutlichen Kürzung des Weih-
nachtsgeldes, auch für die Pensionäre, gesprochen –, und
den Ausführungen von Herrn Bosbach, der addiert hat,
welche Belastungen den Beamten in den letzten Jahren
zugemutet worden sind, und der daher für einen fairen
Umgang mit ihnen plädiert. Bitte nutzen Sie die heutige
Debatte dazu – noch sind es einige Tage bis
Weihnachten –, klarzustellen, was in diesem Punkt von
der Koalition denn zu erwarten ist.
Vielen Dank.
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In allen Bereichen haben wir deutliche Einsparungen.
er einzige Bereich, der aus dem Rahmen fällt, sind die
rzneimittelkosten. Hier hatten wir in den ersten drei
uartalen ein Kostenplus von 19,1 Prozent. Hierfür
atte die gemeinsame Selbstverwaltung von Kassenärzt-
icher Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der
esetzlichen Krankenkassen ein Ausgabenplus von
,1 Prozent angepeilt. Dieses Ziel haben sie deutlich ver-
ehlt. Die Selbstverwaltung hat ihre Hausaufgaben hin-
ichtlich der Kontrolle also ganz klar nicht gemacht.
eshalb ist es wichtig, dass der Gesetzgeber rasch und
ntschieden handelt.
Heute behandeln wir ein Sparpaket in erster Lesung,
it dem wir genau diesen Druck aus dem System neh-
en wollen. Denn wir brauchen Beitragsstabilität und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 529
)
)
Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um uns
– wie es im Koalitionsvertrag nachzulesen ist – im
Jahr 2006 in aller Ruhe auf eine große Finanzreform zu
verständigen.
Nun mussten wir heute lesen, dass einige AOKs die
Beitragssätze dennoch anheben wollen. Ich fordere von
dieser Stelle die Landesregierungen – bei denen die Auf-
sicht liegt – ganz deutlich auf, sich die Berechnungen
näher anzuschauen und ihre Aufsichtsfunktion hier ein
Stück weit wahrzunehmen.
Denn es kann nicht sein, dass uns eine andere Zahl ge-
meldet wird als diejenige, die praktisch Grundlage der
Beschlüsse ist.
Nur eine Zahl kann stimmen!
Wenn beispielsweise die AOK Hessen dem Schätzer-
kreis ein Plus von 90 Millionen Euro meldet, gleichzei-
tig aber eine Beitragssatzanhebung fordert, dann haben
doch die Versicherten – und um diese geht es doch – ei-
nen Anspruch darauf, zu wissen, worauf diese zurückzu-
führen ist. Uns hat man immer gesagt, man braucht ein
Arzneimittelpaket; dies würde von den Kassen begrüßt
und es würde zur Beitragsstabilität beitragen. Ich denke,
der Gesetzgeber ist hier deutlich in Vorleistung getreten,
er hat Wort gehalten. Ich erwarte das Gleiche jetzt auch
von der Kassenseite.
Denn nur so kommen wir miteinander weiter.
Was sind die Bestandteile des Pakets, das die Koali-
tionsfraktionen hier vorgelegt haben?
Erstens. Wir machen Schluss mit der unsäglichen Pra-
xis der Naturalrabatte. Man konnte in einem großen
Wochenmagazin lesen, wie diese Praxis aussieht. Es ist
nicht in Ordnung, dass Geschäfte zulasten der gesetzli-
chen Kassen und zulasten der Beitragszahler gemacht
wurden. Die Verkäuferin trägt mit ihren Beiträgen quasi
dazu bei, dass ein Zusatzgeschäft gemacht wird – das
war so nie vorgesehen –, indem demjenigen, der zehn
Schachteln eines Medikaments bestellt, zwei Schachteln
umsonst gewährt werden und dass diese zulasten der
GKV abgerechnet werden. Diese Praxis stellen wir mit
den Maßnahmen dieses Paketes ab. Das ist überfällig.
Die Versicherten haben einen Anspruch auf Wahrheit
und Klarheit. Es gibt eine klare Regelung, es gibt klare
Strukturen. Diese gilt es einzuhalten.
Das Ganze wird von einem Preisstopp und der Absen-
kung der Preise bei Generika flankiert. Wir sind der Auf-
fassung, dass wir auch in diesem Bereich Wirtschaftlich-
keitspotenziale erschließen müssen.
Zweitens. Im Rahmen der Festbeträge wird künftig
strikter danach unterschieden, welche Produkte eine In-
novation darstellen und welche Produkte diesen Krite-
rien nicht entsprechen.
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uch bei den Festbeträgen haben wir Wirtschaftlich-
eitsreserven gehoben. Es war überfällig, dass wir stär-
er differenzieren, wo es um echte Innovationen für die
atientinnen und Patienten geht und wo es darum geht,
usatzkosten einzusparen.
Drittens. Wir möchten – auch dieser Aspekt in diesem
parpaket ist mir sehr wichtig –, dass die Ärzte mehr
erantwortung übernehmen und dass sie auf unserer
eite stehen. Ich finde es etwas befremdlich, wenn wir
ußerungen lesen müssen, dieses Paket sei ein „Geiz ist
eil“-Paket. Es wäre besser, wenn diejenigen Ärztever-
reter, die so etwas sagen, erst einmal genauer hinsehen
ürden.
Bislang war es so, dass diejenigen, die sich um ihre
atientinnen und Patienten gekümmert haben, die sich
ut verhalten haben und Medikamente sparsam und wirt-
chaftlich verordnet haben, damit sie Raum haben, um
en Patienten, die es brauchen, wirklich Innovationen
ukommen zu lassen, im System nicht ausreichend ge-
ürdigt und belohnt wurden. Damit machen wir Schluss.
ir möchten, dass klar und wirtschaftlich verschrieben
ird. Wir möchten die individuelle Verantwortung der
rzte stärken.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass im
ahmen dieses Paketes das erste Mal die Praxissoft-
are zertifiziert wird. Es war nicht in Ordnung – auch
as wurde aufgedeckt –, dass Pharmafirmen die Soft-
are subventionieren, damit ihre Produkte als Produkte
er ersten Wahl ausgewiesen werden, auch wenn sie es
om therapeutischen Nutzen her gar nicht sind.
Das hier vorliegende Paket erfüllt meiner Meinung
ach drei Kriterien: Wir erhöhen zum Ersten die Trans-
arenz im System; wir heben zum Zweiten die Effizienz-
eserven; wir gehen zum Dritten sparsamer und wirt-
chaftlicher mit den Beiträgen der Versicherten um. Ich
laube, das ist ein mutiger und wichtiger Schritt nach
orne. Die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker werden
ei ihren Beratungen mit Sicherheit noch zusätzlich den
inen oder anderen Aspekt aufspüren. Wir aber haben
ort gehalten, so wie wir es im Koalitionsvertrag ver-
inbart haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr von der FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch
ar nicht lange her, dass das GMG beschlossen worden
st. Gerade einmal zweieinhalb Jahre liegt das zurück.
ch habe den Eindruck, dass Sie, Frau Staatssekretärin,
530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Daniel Bahr
von Ihren eigenen vollmundigen Versprechungen einge-
holt worden sind.
Was haben wir nicht alles gehört, was das GMG errei-
chen sollte! Wir müssten im Durchschnitt längst bei ei-
nem Beitragssatz von 13,0 Prozent sein, wenn man den
Sonderbeitrag einmal unberücksichtigt lässt. Im Durch-
schnitt liegt er aber bei 14,0 Prozent.
Sie haben das GMG damals mit der gleichen Argu-
mentation und Begründung eingebracht wie dieses Ge-
setz. Sie wollen die Wirtschaftlichkeitsreserven im
System heben. Wenn das so einfach wäre, dann hätten
Sie das doch schon längst tun können.
Aufgrund der Vorschläge, die Sie damals im GMG ge-
macht haben, gab es doch schon viele Stellschrauben,
zum Beispiel die Festbeträge und andere. Von daher bin
ich sehr skeptisch, ob die Wirtschaftlichkeitsreserven,
von denen Sie sprechen, mit diesem erneuten Arzneimit-
telsparpaket realisiert werden.
Gerade heute haben die AOK Hessen und die
AOK Schleswig-Holstein angekündigt, ihre Beiträge zu
erhöhen. Noch in der letzten Woche haben Sie ge-
schimpft, als Allgemeine Ortskrankenkassen angekün-
digt haben, sie überlegten, die Beiträge zu erhöhen. Sie
haben gesagt, es kann doch nicht angehen, dass schon
die Überlegungen in den Medien so dargestellt werden,
als ob die Beiträge erhöht werden. Heute haben die All-
gemeinen Ortskrankenkassen in Hessen und in Schles-
wig-Holstein entschieden, dass sie die Beiträge erhöhen.
Sie reagieren erneut mit einem Ausweichmanöver, in-
dem Sie jetzt die Aufsichtsbehörden einschalten.
Nehmen Sie doch endlich einmal die reale Situation
wahr, dass die beitragspflichtigen Einnahmen im nächs-
ten Jahr nicht steigen, sondern möglicherweise sogar zu-
rückgehen werden und dass die Leistungsausgaben um
voraussichtlich 3 Prozent steigen werden. Das hat auch
seine Gründe. Das ist nämlich unter anderem darauf zu-
rückzuführen, dass die Zahl chronisch kranker Men-
schen steigt und dass therapeutische Verbesserungen zu-
mindest in den Anfangsjahren im Regelfall eher teurer
sind.
Eine weitere Ursache ist das Wegbrechen sozialversi-
cherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Davor
warnt der Sachverständigenrat. Man erkennt an Ihren
Annahmen, dass Sie das bisher nicht zur Kenntnis neh-
men wollen. Hinzu kommt, dass allen Beteuerungen
zum Trotz immer wieder die Lasten aus anderen sozialen
Sicherungsbereichen in die gesetzliche Krankenversi-
cherung verschoben werden, wie das unlängst erst wie-
der durch Hartz IV geschehen ist.
Ja, durch die Entscheidung der großen Koalition wird
das mit dem Wegfall des Bundeszuschusses zu den ver-
sicherungsfremden Leistungen und der Anhebung der
Mehrwertsteuer um 3 Prozent sogar noch weiter betrie-
ben. Hier wird die gesetzliche Krankenversicherung
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ines der schönsten Instrumente ist übrigens die Mög-
ichkeit für die gesetzlichen Krankenkassen, über die in
inem mühsamen und aufwendigen Verfahren einheit-
ich und gemeinsam durch die Spitzenverbände der
rankenkassen nach Vorarbeit durch den Gemeinsamen
undesausschuss ermittelten Festbeträge hinausgehen
u dürfen, wenn nachgewiesen wird, dass diese Mehr-
usgaben durch Rabatte desselben Herstellers wieder
ingespielt werden können.
erworrener, bürokratischer und aufwendiger geht es
irklich kaum noch.
er eine solche Flexibilisierung schaffen will, der muss
ich von der Vorstellung einheitlicher und gemeinsamer
estbeträge lösen und diese durch kassenindividuelle
estzuschüsse ersetzen.
In der Presseerklärung des Bundesgesundheitsminis-
eriums zum Arzneimittelgesetz vom 2. Dezember 2005
eißt es:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 531
)
)
Daniel Bahr
Die gesetzliche Krankenversicherung stünde finan-
ziell noch erheblich besser da, wenn die Ausgaben-
zuwächse im Arzneimittelbereich im Rahmen der
von der Selbstverwaltung vereinbarten Steigerungs-
rate geblieben wären. Das Versagen der Selbstver-
waltung
– Sie haben es eben wiederholt –
bei der Steuerung der Arzneimittelausgaben erfor-
dert deshalb weiteres Handeln des Gesetzgebers, …
Ich erwarte Rationierungen aufgrund des Gesetzes.
Wenn das bedeuten soll, dass die Ministerin diese zu-
künftig mitverantworten will, dann ist das anscheinend
nur zu begrüßen. Zumindest wird so argumentiert.
Es wird zukünftig noch weitere Festbeträge geben
und ihre Höhe wird nach unten korrigiert, aber nicht
etwa durch diejenigen, die das Geschäft seit Jahren be-
treiben, nämlich durch die Selbstverwaltung, sondern
erstmals durch den Gesetzgeber. Die Regelung wird
dazu führen, dass mehr Patienten deutlich mehr für ihre
Arzneimittel bezahlen müssen. Die Pharmaunterneh-
men werden ihre Preise nicht zwangsläufig auf die Fest-
beträge absenken. Das kann man wollen, dann soll man
das aber auch deutlich sagen. Eine mit Ausnahme der
Selbstbeteiligung voll finanzierte Arzneimittelversor-
gung gibt es nur noch für das Notwendigste. Das ist aber
nicht immer das Beste. Wenn selbst die Krankenkassen
die Kostenübernahme bestimmter Medikamente durch
die Neuregelung nicht mehr in voller Höhe gewährleistet
sehen – die BKK hat darauf hingewiesen –, dann sollte
uns zumindest nachdenklich stimmen, dass das selbst die
Krankenkassen tun.
Die Bundeskanzlerin hat vor der Wahl verkündet, den
Pharmastandort Deutschland stärken zu wollen. In ihrer
Regierungserklärung hat sie dies erneut bekräftigt. Da-
von findet sich in dem vorgelegten Entwurf allerdings
nicht viel wieder. Ein zweijähriges Preismoratorium,
Preisabschläge für Generika, die ganz nebenbei eigent-
lich den Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt bele-
ben, die eben schon angesprochene Absenkung der Fest-
beträge, eine Bonus-Malus-Regelung für Ärzte bei
Überschreiten so genannter Tagestherapiekosten, die
dazu führen werden, dass sich die Ärzte mehr um den
Preis als um die Qualität ihrer Therapie sorgen müssen,
all das ist wohl eher nicht geeignet, die Zielsetzung der
Kanzlerin zu befördern.
Da hilft auch der Versuch nicht sonderlich weiter, in-
novationsfreundlicher als bisher zu definieren, was unter
einem neuartigen Arzneimittel zu verstehen ist. Die
jetzt im Gesetz verankerte Definition ist nämlich gar
nicht weit von dem entfernt, was der Gemeinsame Bun-
desausschuss in seiner Verfahrensordnung bereits festge-
legt hat.
Die Bundesministerin scheint eine Strategie wie auf
dem Basar zu verfolgen, nämlich immer weit über das
Ziel hinauszupreschen. Die CDU/CSU scheint sich darin
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Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
ächst zu Ihnen, Herr Kollege Bahr. An dieser Stelle zu
ehaupten, das GMG, das GKV-Modernisierungsgesetz,
abe nicht gewirkt, ist nicht richtig.
ie wissen genauso gut wie wir alle: Zum damaligen
eitpunkt bestand die Gefahr, dass die Beiträge über
5 Prozent steigen. Gleichzeitig hatten wir die Tatsache
u verkraften, dass die Krankenkassen über 8 Mil-
iarden Euro Schulden aufwiesen. Heute sind die meis-
en Kassen von ihrer Schuldenlast herunter. Die Bei-
ragssätze sind gesunken. Zu behaupten, das GMG habe
icht gewirkt, ist einfach nicht richtig.
Nach dem, was in der Koalitionsvereinbarung zum
rzneimittelbereich stand, haben wir uns an zwei Zielen
rientiert. Erstens. Wir wollen die Rahmenbedingungen
ür innovative Arzneimittel verbessern und damit auch
en Pharmastandort Deutschland stärken.
Zweitens. Einsparungen sollen durch Ausschöpfen
on Wirtschaftlichkeitsreserven bei Arzneimittelverord-
ungen erzielt werden. Um beide Ziele gleichermaßen
u erreichen, müssen die vorgesehenen gesetzlichen
aßnahmen in sich ausgewogen sein. Wir haben ver-
ucht, das zu erreichen.
Wir haben folgende Maßnahmen beschlossen, die zu
iner Verbesserung in Bezug auf innovative Arzneimit-
el führen. Gerade auch an die FDP gerichtet sage ich:
as Gesetz stellt klar, dass jede Arzneimittelinnovation,
ie aus wissenschaftlicher Sicht den Therapieerfolg für
ie Patienten verbessert, grundsätzlich immer von der
estbetragsregelung freizustellen ist. Dies ist auch dann
öglich, wenn sich die therapeutische Verbesserung auf
532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Wolfgang Zöller
einzelne Patientengruppen und Indikationsbereiche be-
schränkt.
Künftig wird eine therapeutische Verbesserung nicht
nur dann anerkannt – wie es jetzt im Gesetz steht –,
wenn schwere Nebenwirkungen vermieden werden, son-
dern bereits dann, wenn es zu einer therapierelevanten
Verringerung der Nebenwirkungen kommt.
Drittens. Es wird klargestellt, dass eine therapeutische
Verbesserung auch bei Arzneimitteln zu berücksichtigen
ist, die nicht neuartig sind, sondern eine bereits einge-
führte patentfreie Substanzklasse modifizieren.
Ein weiterer Punkt. Die Anforderungen an den Nach-
weis einer Innovation über klinische Studien werden auf
ein zumutbares Maß beschränkt. Auch wird die Transpa-
renz der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesaus-
schusses verbessert. Die Entscheidungsgründe müssen
künftig den Arzneimittelherstellern vorab mitgeteilt wer-
den.
Ein anderer Punkt. Das Festbetragsverfahren wird
durch Abkürzung des Entscheidungsweges wesentlich
beschleunigt. Auch das bringt den Beteiligten mehr Pla-
nungssicherheit. Das Festbetragssystem wird zudem
flexibler. Arzneimittelhersteller, die zum Beispiel ihre
Preise nicht auf das Festbetragsniveau absenken wollen
– ich darf nur an die Wirkung in anderen europäischen
Ländern erinnern –, können künftig mit den Kranken-
kassen Rabattverträge abschließen. Dadurch bleiben
diese Arzneimittel am Markt wettbewerbsfähig. Gleich-
zeitig profitieren davon auch die Versicherten jener Kas-
sen, die solche Verträge abschließen.
Wenn ein Arzneimittel innovativ ist – das heißt, eine
bessere therapeutische Wirkung hat oder weniger Ne-
benwirkungen verursacht –, dann soll es von der Festbe-
tragsregelung ausgenommen werden. Die jetzt beschlos-
senen Regelungen werden dies weit besser sicherstellen
als das bisher geltende Recht. Diese Klarstellungen be-
deuten eine eindeutige Verbesserung für die Hersteller
innovativer Arzneimittel. Wir machen damit deutlich,
dass wir die Arzneimittelforschung in Deutschland stär-
ken wollen.
Unsere zweite Zielvorgabe war die Ausschöpfung
vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven. Ich glaube,
das ist uns einigermaßen moderat und in einer für alle
Beteiligten akzeptablen Art und Weise gelungen. Wir
werden die Festbeträge in den Gruppen 2 und 3 auf das
untere Preisdrittel absenken. Gleichzeitig wollen wir
aber sicherstellen, dass die Auswahl an Arzneimitteln,
die innerhalb dieser Gruppen zur Verfügung stehen, ge-
währleistet ist. Deshalb schreiben wir vor, dass innerhalb
des Festbetrages mindestens ein Fünftel aller Verordnun-
gen und ein Fünftel aller Packungen einer Arzneimittel-
gruppe verfügbar bleiben. Dies trägt dazu bei, Versor-
gungsmängel zu vermeiden.
Außerdem stellen wir sicher, dass bei größeren Arz-
neimittelgruppen wenigstens zwei Wirkstoffe innerhalb
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Eine weitere Maßnahme ist das Preismoratorium
ür Arzneimittel zur Begrenzung des Ausgabenzuwach-
es. Auch hierbei haben wir einen Kompromiss gefun-
en. Wir können die Industrie nur für ihre eigenen Preise
erantwortlich machen. Deshalb ist es richtig, das Preis-
oratorium auf den Herstellerabgabepreis und nicht auf
en Apothekenverkaufspreis zu beziehen. Dadurch wer-
en die Arzneimittelhersteller nicht zu einem Kostenaus-
leich für eventuelle Steigerungen von Zuschlägen für
potheker und Großhändler herangezogen.
Ein weiteres Problem gab es im Zusammenhang mit
er Mehrwertsteuererhöhung. Es wäre sicherlich nicht
achgerecht – darin sind wir uns zumindest unter den
esundheitspolitikern in diesem Hause einig –, den Arz-
eimittelherstellern vorzuschreiben, zum Ausgleich ei-
er Steuererhöhung ihre Preise zu senken, zumal dies in
einem anderen Wirtschaftszweig der Fall ist. Ich
laube, die Politiker hätten sich schwer getan, dies nach
ußen zu rechtfertigen.
Wir Gesundheitspolitiker stimmen darin überein, dass
as Problem auf andere Weise gelöst werden muss. Ich
erhehle nicht, dass die Gesundheitspolitiker es vorzie-
en würden, wenn auch die Arzneimittel dem ermäßig-
en Mehrwertsteuersatz unterliegen würden.
Als letzten Punkt möchte ich die Stärkung der indivi-
uellen Verantwortung der Ärzte für Arzneimittel-
erordnungen ansprechen. Diese Regelung beinhaltet
inen Malus für überdurchschnittliche Arzneimittelver-
rdnungen auf der Basis von Tagestherapiekosten. Diese
ezugsgröße ist neu. Sie stellt für den einzelnen Arzt
ine Erleichterung dar; denn bei bestimmten Arzneimit-
elgruppen kann er die Ausgaben künftig wesentlich bes-
er steuern. Als weiteren Beitrag zum Abbau der Büro-
ratie kommt ihm zugute, dass der Arzt nicht mehr
outinemäßig doppelt für sein Verordnungsverhalten ge-
rüft werden soll, weil wir diese Maßnahmen aus der
berprüfung herausnehmen.
Die Regelung beinhaltet darüber hinaus auch einen
onus. Bei einem individuellen Bonus könnte es leicht
eißen, der Arzt spare an den Arzneimitteln, um sich hö-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 533
)
)
Wolfgang Zöller
here Einnahmen zu verschaffen. Deshalb haben wir uns
auf eine andere Lösung geeinigt, die ich auch für richtig
halte, nämlich den so genannten kollektiven Bonus. Da-
mit kann zum Beispiel die einzelne KV sicherstellen,
dass der Bonus den Ärzten zugute kommt, die das Wirt-
schaftlichkeitsgebot beachten.
Damit wird eine grundsätzliche Haltung belohnt,
nicht jedoch eine Minderversorgung von Patienten im
Einzelfall. Ich glaube, dass dies ein sinnvoller Weg ist.
Angesichts der letzten drei Sekunden meiner Redezeit
möchte ich noch feststellen: Der vorliegende Gesetzent-
wurf ist, glaube ich, ein Beleg dafür, dass wir – das kann
ich zumindest für die letzten Verhandlungen sagen – sehr
konstruktiv zusammengearbeitet und gemeinsam einen
Weg gefunden haben, um die Kosten in diesem Bereich
einigermaßen in den Griff zu bekommen.
– Richtig, und das nach nur drei Wochen!
Wir sind gespannt, welche Argumente die Gegenseite
in der Anhörung anführen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Spieth von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aus-
gaben der gesetzlichen Krankenversicherung insbeson-
dere im Arzneimittelbereich sind – darauf wurde schon
hingewiesen – stark gestiegen. Die Bundesregierung
veranschlagt den Zuwachs im laufenden Kalenderjahr
auf etwa 16 Prozent bzw. rund 3,5 Milliarden Euro. Dies
dürfte eher konservativ geschätzt sein. Zum 1. Januar
2005 wurde das bis dahin geltende Preismoratorium
durch die Bundesregierung aufgehoben. Warnungen ins-
besondere aus dem Kreis der gesetzlichen Krankenkas-
sen vor einem solchen Schritt wurden geflissentlich ig-
noriert. Gemeinsam warnten die Spitzenverbände der
Krankenkassen vor einem Jahr vor der Absenkung des
Rabatts für Arzneimittel, für die es keinen Festbetrag
gibt, und vor dem Wegfall des Preismoratoriums, da dies
unweigerlich eine Steigerung der Arzneimittelausgaben
nach sich zöge. Die damals prognostizierten negativen
Auswirkungen für die Beitragsentwicklung und die Bei-
tragszahler waren also benannt. Nun sind sie eingetreten.
Die Kurzatmigkeit dieser Politik verursacht einen
ständigen Korrektur- und Gesetzgebungsbedarf. Nach
unserer Auffassung ist das Problem, dass ständig zu kurz
gesprungen wird. Der Gesetzentwurf in seiner ursprüng-
lichen Fassung musste auf Druck der CDU/CSU zurück-
gezogen werden. Wesentliche Vorschläge wurden einge-
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Als nächste Rednerin hat die Kollegin Birgitt Bender
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser
Gesetzentwurf hat eine klare Botschaft und die heißt:
Lobbyismus lohnt sich.
Schon der erste Arbeitsentwurf aus dem Ministerium
war nicht geeignet, die Arzneimittelausgaben dauerhaft
in den Griff zu bekommen. Denn Maßnahmen wie ein
zweijähriger Preisstopp für alle rezeptpflichtigen Medi-
kamente oder eine einmalige Preissenkung für Generika
wirken gewiss, aber nur kurzfristig. An der langfristigen
Ausgabenentwicklung ändern derartige Kostendämp-
fungsmaßnahmen gar nichts. Schon dieser Entwurf
krankte daran, dass er sich nicht an die Ursachen der
übermäßigen Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbe-
reich herantraute. Die liegen nun einmal darin, dass in
Deutschland jedes zugelassene Arzneimittel, soweit es
rezeptpflichtig ist, umstandslos von den Krankenkassen
erstattet werden muss. Das ist geradezu eine Einladung
an die Pharmahersteller, teure Scheininnovationen auf
den Markt zu werfen, bei denen die Ausgaben für das
Marketing weit über den Entwicklungskosten liegen.
Diesen Fehlanreiz behebt man nur, wenn man neue
Arzneimittel konsequent auf ihr Kosten-Nutzen-Verhält-
nis gegenüber den bereits eingeführten Medikamenten
überprüft und erst dann erstattungsfähig macht, wenn sie
diese Prüfung bestehen. Damit würden tatsächlich inno-
vative Hersteller belohnt. Eine derartige Regelung aber,
so erinnern wir uns, hat die Union schon in der Gesund-
heitsreform erfolgreich verhindert und dementsprechend
hat sich Frau Schmidt auch nicht getraut, dieses in ihren
Arbeitsentwurf hineinzuschreiben.
Nun bleiben diese Defizite und Leerstellen im Koali-
tionsentwurf bestehen. Darüber hinaus hat man ihn, Herr
Kollege Zöller, auch noch verschlimmbessert; denn jetzt
sind Sie dabei, das Festbetragssystem, auf das wir uns
einmal gemeinsam geeinigt hatten, vollends gegen die
Wand zu fahren. Erst vor wenigen Wochen hat das Bun-
dessozialgericht wie vor ihm schon das Bundesverfas-
sungsgericht und auch der EuGH das Festbetragssystem
bestätigt. Diese Rechtssicherheit, die wir dadurch ge-
wonnen hatten, wird in dem Gesetzentwurf wieder in-
frage gestellt.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Marlies Volkmer
on der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
rzneimittelausgaben sind im Jahr 2005 gegenüber dem
ahr 2004 um 16 Prozent gestiegen. Das ist wirklich eine
nakzeptable Größe. Man kann in Rechnung stellen, dass
as Jahr 2004 ein besonderes Jahr war: Es gab Vorzieh-
ffekte aus dem Jahr 2003 und der Herstellerrabatt
urde 2004 von 6 auf 16 Prozent erhöht; 2005 wurde er
ieder gesenkt. Diese beiden Faktoren führten aber le-
iglich zu Kostensteigerungen von weniger als
0 Prozent. Das heißt, 70 Prozent der Kostensteigerun-
en können nicht durch diese Faktoren begründet wer-
en und sie sind zum großen Teil auch medizinisch nicht
egründet.
Die Kostensteigerungen sind überwiegend durch die
cheininnovationen bedingt. Gemeint sind damit neue
edikamente, Medikamente, die in der Regel teuer sind,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 535
)
)
Dr. Marlies Volkmer
und Medikamente, die durch Heerscharen von Pharma-
referenten, die durch die Praxen ziehen, gut vermarktet
werden. Diese Medikamente sind zwar teurer, haben
aber keine bessere Wirkung. An diese Scheininnova-
tionen müssen wir heran.
– Frau Bender, wir machen das ja.
Die Verordnung von Arzneimitteln ist natürlich auch
ein Ergebnis der Vereinbarung der Selbstverwaltung
von Ärzten und Krankenkassen. Man muss eben auch
feststellen: Die Selbstverwaltung ist ihrer Verantwortung
hier nicht gerecht geworden. Weil die Selbstverwaltung
ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist, muss
der Gesetzgeber hier eingreifen. Das tun wir.
Ich kann heute nicht auf alle Regelungen des Gesetz-
entwurfs eingehen. Ich möchte mich auf die Aspekte be-
schränken, von denen ich denke, dass sie in der Diskus-
sion im Ausschuss noch wichtig sein werden. Eine
zentrale Maßnahme ist das Einfrieren der Arzneimit-
telpreise für zwei Jahre. Die Erhöhung der Mehrwert-
steuer ab 2007 ist nicht von den Herstellern zu tragen,
wie wir es ursprünglich gewollt haben. Das heißt, dass
das Damoklesschwert Mehrwertsteuererhöhung über
den Kassen und damit den Beitragszahlern schwebt.
Deshalb sollten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass
für Arzneimittel, wie in fast allen anderen europäischen
Ländern, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt.
Umfassende Änderungen sind im Festbetragsbereich
vorgesehen. Hintergrund der Regelungen ist, dass die
bereits erwähnten Scheininnovationen allen bisherigen
Maßnahmen zum Trotz immer noch erheblich teurer
sind als therapeutisch gleichwertige Generika. Deshalb
sollen die Festbeträge generell ins untere Preisdrittel ab-
gesenkt werden.
Wenn es nicht dazu kommen sollte, dass die Herstel-
ler ihre Preise auf das Festbetragsniveau absenken, was
in der Vergangenheit bereits vorgekommen ist – wir alle
erinnern uns an den Fall Sortis –, erhalten die Kranken-
kassen die Möglichkeit, für ihre Versicherten Rabattver-
träge abzuschließen. Durch diese sollen die Mehrkosten
gegenfinanziert werden. Wenn derartige Verträge tat-
sächlich abgeschlossen werden, ist dies natürlich im In-
teresse der einzelnen Patienten, die anderenfalls die Dif-
ferenz zwischen Festbetrag und Arzneimittelpreis tragen
müssten. Was diese Maßnahme aber für den Arzneimit-
telmarkt und die Versichertengemeinschaft bedeutet, ist
derzeit noch schwer abzuschätzen.
Festbetragsregelungen sind eine überaus komplexe
Materie. Ich möchte an dieser Stelle dafür werben, dass
wir uns intensiv mit den Auswirkungen der neuen Rege-
lung befassen, vor allem mit den Auswirkungen auf die
Versorgung der Patientinnen und Patienten und auf das
Instrument, das wir in der letzten Gesundheitsreform
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Unbedingt verhindern wollen wir, dass das Geld, das
urch das Verbot von Naturalrabatten eingespart wird,
ozusagen in den Bilanzen der Industrie und des Groß-
andels versickert. Deswegen wird bei Generika ein Ab-
chlag auf den Herstellerabgabepreis in Höhe von
0 Prozent erfolgen. Ich plädiere an dieser Stelle aus-
rücklich dafür, bei der jetzt vorgesehenen Regelung zu
leiben und keine Ausnahme für den Bereich der nicht
erschreibungspflichtigen Arzneimittel zu machen, wie
ies gelegentlich gefordert wird. Dieser Rabatt ist eine
er wichtigsten finanzwirksamen Regelungen, da sich
ier die Unwägbarkeiten in engen Grenzen halten.
Auch die Ärzte müssen einen Teil zu den Einsparun-
en beitragen;
enn die Ausgabenzuwächse erklären sich vor allem
urch das Verordnungsverhalten der Ärzte, die zu oft die
rwähnten Scheininnovationen verordnen, statt auf be-
ährte preisgünstigere Therapien zurückzugreifen. Wir
tärken hier die individuelle Verantwortung des Arztes
ür seine Verordnungen. Unser Weg ist ein gesetzlich
erankertes Bonus-Malus-System. Es ist damit Schluss
it dem Wischiwaschi, bei dem man den verantwortlich
erordnenden Arzt nicht von dem unwirtschaftlich ver-
rdnenden Arzt trennen kann.
Wenn wir über diese Bonus-Malus-Regelung disku-
ieren, müssen wir eines sicherstellen – das ist mir als
rztin wichtig –: Ärzte dürfen nicht in einen Konflikt
etrieben werden und Patienten notwendige Arzneimit-
el aus wirtschaftlichen Erwägungen vorenthalten.
Ich halte das „Geiz ist geil“-Argument vom Präsiden-
en der Bundesärztekammer für völlig daneben, weil es
atienten und Ärzte verunsichert. Vielmehr müssen die
ahmenbedingungen so gesetzt werden, dass eine Ver-
orgung nach den Prinzipien „notwendig“, „zweckmä-
ig“ und „wirtschaftlich“ erfolgt. Hier haben alle Betei-
igten im Gesundheitswesen einen Beitrag zu leisten, die
rztekammer allemal. Das gilt für alle Regelungen, wie
ir sie in diesem Gesetz vorgesehen haben.
Ich danke Ihnen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Dr. Wolf Bauer von der CDU/CSU-Fraktion
as Wort.
536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Als letzter Redner hat man natürlich immer ein
Problem: Man will keine Wiederholungen vortragen.
Ich möchte mich daher bemühen, noch ein paar andere
Akzente zu setzen.
Mehrmals ist auf die Kostensteigerungen hingewie-
sen worden. Es führt nun einmal kein Weg daran vorbei:
Es musste jetzt gehandelt werden, und zwar schnell.
Da sollte man uns von der Koalition auch einmal dafür
loben, dass wir in so kurzer Zeit diesen Gesetzentwurf
auf die Beine gestellt haben.
Das eine oder andere wird sicherlich nicht ideal sein
– das ist ganz klar –, aber ich sage noch einmal: Wichtig
war, jetzt zu handeln und schnell zu handeln.
Ganz klar muss sein, dass wir mit diesem AVWG un-
sere Arbeit noch nicht erledigt haben. Wir werden mit
Sicherheit darangehen müssen – jetzt ist etwas Zeit zur
Verfügung –, eine vernünftige und gute Strukturreform
in unserem Gesundheitswesen auf die Beine zu stellen.
Aber es muss eine echte Strukturreform sein, die uns sol-
che Gesetze, wie wir sie jetzt haben, in Zukunft erspart.
Ich höre von der rechten Seite den einen oder anderen
Einwurf. Es ist nun einmal so, wie es ist. Wir müssen
jetzt handeln.
Ich muss die Kritik natürlich hinnehmen. Zu den zehn
Kostendämpfungsgesetzen in 25 Jahren tun wir jetzt
noch eines dazu; das ist klar. Trotzdem – ich sage es
noch einmal –: Es führt kein Weg daran vorbei. Wir
müssen vor allem sorgfältig darauf achten, dass alles,
was wir jetzt beschließen, kompatibel mit dem ist, was
wir möglicherweise in Zukunft in einer Strukturreform
festhalten wollen.
Über die einzelnen Punkte ist bereits viel gesagt wor-
den, auch über die Festbeträge und über das Preismora-
torium. Ich möchte nur noch auf eines hinweisen: Ver-
gleicht man den Einfluss der Festbeträge auf die
Preisentwicklung bei Arzneimitteln mit dem Einfluss ei-
nes Preismoratoriums, so ist unschwer zu erkennen, dass
die Effektivität der Festbeträge ungleich größer ist.
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ch glaube, das wird eine wissenschaftliche Aufgabe
ein, die keiner lösen kann, da immer wieder etwas ande-
es darunter zu verstehen ist. Wenn jetzt mit diesem Ge-
etz zum ersten Mal der Aspekt der Verbesserung der
ebensqualität eingeführt wird, dann sollten wir alle
as doch begrüßen und nicht sofort wieder davon reden,
ass das ein schwammiger Begriff sei, den man letztend-
ich nicht greifen könne.
ch weiß natürlich, dass das schwierig ist.
In diesem Zusammenhang ist auch positiv hervorzu-
eben, dass es uns bisher immer wieder gelungen ist, für
lle GKV-Versicherten eine qualitativ hochwertige Arz-
eimittelversorgung sicherzustellen.
ie Versicherten durften an den Innovationen partizipie-
en; wir sollten durchaus einmal erwähnen, dass das ver-
ünftig ist.
Die einzelnen Ausführungen zu den Schritten, die wir
orgenommen haben, sind im AVWG niedergelegt.
rt. 2 des Gesetzentwurfes beinhaltet die Änderung des
eilmittelwerbegesetzes. Da habe ich persönlich Pro-
leme; denn so, wie sich das Heilmittelwerbegesetz
etzt darstellt, ist es für mich ein bürokratisches Monster,
as fast nicht mehr zu überschauen ist. Gerade an den
7 müssen wir einmal ernsthaft herangehen, ihn neu
onzipieren und ihn vor allem so formulieren, dass end-
ich nicht mehr nur wenige Spezialisten verstehen, was
arin steht, und dass nicht jeder, der Gesetze befolgen
oll, eine juristische Interpretation braucht, um dies tun
u können.
Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist, ob
s gesetzessystematisch richtig ist, das Nichtgewähren
on Rabatten – gegen das ich gar nicht sprechen will – in
in Heilmittelwerbegesetz hineinzuschreiben. Das müss-
en wir uns noch einmal überlegen; denn die Intention
es Heilmittelwerbegesetzes ist ja, die Gesundheit des
inzelnen und die Gesundheit der Gesamtheit zu schüt-
en. Ob man das mit dem Verbot von Rabatten erreicht,
iehe ich zumindest kräftig in Zweifel. Insofern müssen
ir an dieses Thema einmal herangehen.
Ich habe ja vorhin von Kompatibilität gesprochen:
enn wir sagen, dass Rabatte Einfluss auf die Gesund-
eit des Einzelnen und auf die Gesundheit des gesamten
olkes haben, dann müssten wir zum Beispiel auch den
ersandhandel, den wir erst unlängst erlaubt haben, wie-
er verbieten. Aus dem Ausland ist der Versandhandel
rlaubt; wenn die Arzneimittel aus dem Ausland herein-
ommen, gelten insofern wieder andere Bedingungen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 537
)
)
Dr. Wolf Bauer
Auch dies passt also nicht ganz zusammen. Man muss
jetzt aber nicht den Versandhandel wieder verbieten. Ich
glaube nur, dass wir einmal ernsthaft an dieses Thema
herangehen müssen.
Ich wünsche mir natürlich auch, dass wir zu mehr
Harmonisierung kommen. Es geht mit Sicherheit nicht,
dass wir wieder Ungleichheit zwischen deutschen Leis-
tungsanbietern und Anbietern aus anderen EU-Staaten
schaffen. Manche sprechen heutzutage ja schon von ei-
ner Inländerdiskriminierung. Ich glaube, hier müssen wir
ein bisschen aufpassen und noch etwas gegensteuern.
Herr Kollege Bauer, bedenken Sie bitte die Zeit.
Ich möchte gerade noch den letzten Satz sagen. – Ich
weise noch einmal darauf hin, dass wir jetzt den richti-
gen Schritt getan haben und dass weitere Schritte folgen
müssen. Ich bin optimistisch, dass wir mit dieser Koali-
tion auch weitere Probleme lösen können.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/194 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zu-
satzpunkte 8 und 9 auf:
13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
tion der LINKEN
Statt Ausbildungspakt – Für eine umlage-
finanzierte berufliche Erstausbildung
– Drucksache 16/122 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die duale Berufsausbildung in Deutschland
kontinuierlich verbessern
– Drucksache 16/235 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
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Dies ist für uns allerdings kein Grund, Ihnen zum
usbildungspakt zu gratulieren.
enn es ist doch vollkommen unentscheidend, ob for-
ale Paktvereinbarungen eingehalten wurden. Entschei-
end ist für uns die Frage, ob der Ausbildungspakt ein
augliches Mittel und Instrument ist, um die Perspekti-
en der Jugendlichen auf dem Ausbildungsmarkt zu ver-
essern. Genau an dieser Stelle ist die Bilanz verhee-
end.
Der grundsätzliche Fehler liegt aus unserer Sicht
chon darin, dass mit dem Pakt keine zusätzlichen Aus-
ildungsplätze geschaffen werden, sondern dass ledig-
ich versucht wird, die Ausbildungsplätze, die im glei-
hen Zeitraum wegfallen, zu kompensieren. Nicht
inmal dieses Ziel wird vollständig erreicht. So gab es in
en letzten Jahren 10 Prozent weniger Ausbildungsstel-
en. Die Quote der betrieblichen Ausbildung ist in die-
em Jahr mit 23,4 Prozent auf einem neuen Tiefststand.
onkret bedeutet das für die ausbildungsplatzsuchenden
ugendlichen, dass es mehr Bewerberinnen und Bewer-
er und gleichzeitig weniger Ausbildungsangebote gibt.
as ist wahrlich keine Erfolgsgeschichte.
538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Cornelia Hirsch
Die Leidtragenden in dieser Situation sind die Ju-
gendlichen. Wir finden es zynisch, wenn in der Presse
und in den Medien immer wieder auf die offizielle Sta-
tistik der Bundesagentur für Arbeit hingewiesen und be-
hauptet wird, die Ausbildungslücke habe sich durch den
Ausbildungspakt verringert. Aus unserer Sicht ist das
Schönrechnerei. Denn ein Großteil der Jugendlichen
wird aus dieser Statistik schon vorher herausgerechnet.
Sie befinden sich in berufsvorbereitenden Maßnahmen,
nehmen an Einstiegsqualifizierungen teil oder – das ist
aus unserer Sicht ein sehr wichtiger Punkt, über den wir
diskutieren sollten – fangen ohne Berufsausbildung di-
rekt an zu arbeiten. All diese Jugendlichen, die natürlich
auch einen Bedarf an Ausbildungsplätzen haben, tau-
chen dann in der Statistik gar nicht mehr auf. Wir for-
dern Sie deshalb dazu auf, die Ausbildungsmisere
endlich einzugestehen und zuzugeben, dass der Ausbil-
dungspakt kein sinnvolles Mittel ist, um die Ausbil-
dungsmisere zu beheben.
Die Alternative zu diesem unverbindlichen und wir-
kungslosen Ausbildungspakt haben die Kolleginnen und
Kollegen von der rot-grünen Bundesregierung im letzten
Jahr bereits selbst vorgeschlagen. Es wurde ein Gesetz-
entwurf eingebracht, der die Forderung nach der Einfüh-
rung einer Umlagefinanzierung in der beruflichen Erst-
ausbildung enthielt. Als es allerdings Kritik gab, wurde
dieser aus unserer Sicht sehr sinnvolle Entwurf gleich
wieder auf Eis gelegt.
Die Begründung, eine Umlagefinanzierung faktisch ein-
zuführen, hat damals der Kollege Jörg Tauss formuliert.
Er hat gesagt: Ausbildung ist keine Wohltätigkeitsveran-
staltung der Wirtschaft, sondern Pflicht.
Dem stimmen wir ausdrücklich zu.
Wir setzen uns nun dafür ein, das Gesetz erneut ein-
zubringen, zu diskutieren und sicherzustellen, dass es
auch wirklich zur Einführung einer Umlagefinanzierung
kommt. In dem Koalitionsvertrag – das wurde schon an-
gesprochen – wird die Möglichkeit angedeutet, bran-
chenbezogene Umlagefinanzierungen einzuführen, was
durchaus ein erster Ansatzpunkt sein kann.
Wir freuen uns auch, dass von den Grünen und eben-
falls von der FDP Anträge zu diesem Thema eingebracht
wurden. Gerade dem Antrag der Grünen stimmen wir
natürlich zu. Dort heißt es nämlich, dass man sich nicht
nur auf den Ausbildungsbereich beschränken darf, son-
dern dass grundlegende Bildungsreformen auch in ande-
ren Bildungssystemen notwendig sind. Wir freuen uns
darauf, gemeinsam über die Herausforderung der Euro-
päisierung oder über Forderungen der GEW nach einer
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Bei diesen Maßnahmen ist für uns allerdings klar:
icht auf Grundlage eines wirkungslosen Ausbildungs-
aktes! Nicht, wenn nicht endlich die Ausbildungs-
isere offen gelegt wird! Und nicht, wenn mit solchen
iskussionen lediglich versucht wird, von der Notwen-
igkeit einer Umlagefinanzierung abzulenken oder diese
mmer weiter hinauszuzögern!
Vielen Dank.
Frau Kollegin Hirsch, ich gratuliere Ihnen im Namen
es Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundes-
ag.
Das Wort hat nun der Kollege Uwe Schummer von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ver-
hrte Kollegin Hirsch, Sie sagen, der Ausbildungspakt
abe sich nicht gelohnt, weil er formal nur
0 000 zusätzliche Ausbildungsplätze im Jahr geschaf-
en habe.
azu stelle ich fest: Es sind immerhin
0 000 Ausbildungsplätze, durch die junge Menschen
eute eine Perspektive bekommen. Das ist mehr als eine
ormalie. Das ist ein Erfolg des Ausbildungspaktes.
Sie zeigen mit Ihrem Antrag: Es geht Ihnen nicht um
ösungen. Es geht immer noch um Ideologie, um einen
ewissen Konflikt. Statt Zusammenarbeit der gesell-
chaftlichen Gruppen, der Tarifpartner und der Politik
ordern Sie eine staatlich organisierte Umlagefinanzie-
ung. Sie bekämpfen den Ausbildungspakt und wollen
in Umlagegesetz. Die Wirklichkeit ist: Es gibt einen
usbildungspakt – er ist erfolgreich –
nd es gibt seit über 30 Jahren tarifliche Formen der
mlagefinanzierung, beispielsweise in der Bauwirt-
chaft und im Gartenbau. Das muss also kein Wider-
pruch sein.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 539
)
)
Uwe Schummer
Hier haben die Tarifpartner ihren Spielraum genutzt. Wir
Gewerkschafter und Tarifexperten wissen, was das be-
deutet.
Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut.
Doch „Autonomie“ kommt aus dem Griechischen und
bedeutet übertragen: nach eigenen Gesetzen lebend.
Also: Gesetzgeber, halte dich raus!
Natürlich wird eine solche Tarifforderung mit anderen
Forderungen verrechnet. Doch wenn sie den Gewerk-
schaften wichtig ist, dann müssen sie den entsprechen-
den Preis dafür zahlen. Der Staat ist nicht das Dienst-
mädchen der Gewerkschaften und auch nicht der
Arbeitgeberverbände.
Eine staatlich organisierte Umlagefinanzierung würde
ein staatliches Inkassowesen, eine staatliche Mittelver-
waltung, eine staatliche Mittelvergabe, eine staatliche
Mittelkontrolle und am Ende die Verstaatlichung der Be-
rufsausbildung bedeuten.
Dies ist ein bürokratischer Moloch, der sich selbst ver-
waltet und zentralistisch Mangelwirtschaft betreibt.
– Wir müssen uns annähern; aber wir sind auf einem gu-
ten Weg.
Es ist besser, die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarif-
parteien zu nutzen. Da gibt es, Kollege Rossmann, eine
Fülle an kreativen Vorstellungen.
Es ist gut, dass wir in der Koalitionsvereinbarung festge-
schrieben haben, beide Tarifpartner – auch die Gewerk-
schaften – an der Weiterentwicklung des Ausbildungs-
paktes zu beteiligen.
Der Antrag der Linken zeigt: Sie trauen den Gewerk-
schaften weder tariflich noch politisch im Ausbildungs-
pakt etwas zu. Das zuständige Gremium hat noch nicht
einmal getagt und schon wollen Sie den Pakt abschaffen.
Wir brauchen nicht eine, wir brauchen viele Maßnah-
men. Trotz tariflicher Umlage sind die Ausbildungs-
plätze in der Bauwirtschaft von etwa 100 000 auf 38 000
eingebrochen.
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Es gibt zwar eine höhere Ausbildungsquote. Die gilt
edoch generell für das Handwerk.
Betriebe brauchen Zukunft, sie brauchen Aufträge.
er in den nächsten drei Monaten keine Aufträge hat,
ann sich nicht drei Jahre lang an einen Menschen bin-
en. Ich-AGs und die kleine Handwerksnovelle haben
em Handwerk stark zugesetzt. 40 000 betriebliche In-
olvenzen im Jahr führen zu einem Verlust von
00 000 Arbeits- und Ausbildungsplätzen.
ass der Ausbildungspakt vor diesem Hintergrund im-
er noch funktioniert, ist ein Vorteil und zeigt, dass er
rfolgreich ist.
Was wir brauchen, ist ein besserer wirtschaftlicher
ahmen. Erste Akzente werden in der Koalitionsverein-
arung gesetzt. Kennzeichen der großen Koalition ist:
orgfalt geht vor Schnelligkeit. Wir werden erstens den
usbildungspakt Ende des Jahres nach Beendigung der
achvermittlung überprüfen. Er benötigt mehr Dyna-
ik. Wir werden zweitens mit den Tarifpartnern über ta-
ifliche und betriebliche Bündnisse für mehr Ausbil-
ungsplätze sprechen. Wir werden drittens im nächsten
ahr überprüfen, wie die Umsetzung der Berufsbildungs-
eform, die in diesem Jahr in Kraft getreten ist, beschleu-
igt werden kann.
Die drei vorliegenden Anträge sind Schnellschüsse.
n ihnen wird das gefordert, was Sie schon immer gefor-
ert haben. Wir wollen neu denken und gründlich arbei-
en.
Ministerin Schavan hat alle Beteiligten des Ausbil-
ungspaktes für den 30. Januar zu einem Gespräch ein-
eladen. Die Union wird anschließend, wie ich hoffe,
emeinsam mit der SPD einen soliden Antrag einbrin-
en,
emäß dem Grundsatz: Sorgfalt vor Schnelligkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von
er FDP-Fraktion.
So ist es.
540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Patrick Meinhardt
– Das ist aber nett, Herr Tauss.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die duale Berufsausbildung ist ein Marken-
zeichen Deutschlands. Ich muss unserer Bundeskanzle-
rin Recht geben: Trained in Germany hat immer noch ei-
nen hervorragenden Ruf.
Für die FDP-Fraktion gibt es hier kein Hin und Her,
sondern die klare Aussage, dass wir zum dualen Berufs-
ausbildungssystem in der Bundesrepublik Deutschland
stehen.
Diese Berufsausbildung muss gestärkt und kontinuier-
lich verbessert werden. Aber auch die Rahmenbedingun-
gen müssen stimmen. Die FDP will, dass Berufsschüler
mehr Zeit im Betrieb verbringen. Wir wollen die Euro-
päisierung aktiv nutzen, Ausbildungshindernisse für die
Betriebe abbauen. Vor allem aber wollen wir die Ausbil-
dungsfähigkeit der Jugendlichen verbessern.
Wir wollen nicht die Unternehmer bestrafen, die geeig-
nete Lehrstellenbewerber suchen, aber nicht finden.
Der von der Linken eingebrachte Vorschlag einer Aus-
bildungsplatzabgabe ist total daneben.
Er berücksichtigt in keiner Weise die regionalen Märkte.
Beschäftigungsintensive Betriebe des Mittelstands wer-
den besonders bestraft. Die duale Ausbildung wird
schleichend verstaatlicht. Felix Rauner, einer der führen-
den und anerkannten Berufsbildungsexperten, bringt es
auf den Punkt: Sie belohnt und bestraft die Falschen. Sie
verstärkt die Arbeitslosigkeit und verschärft die Krise
der Berufsbildung. – Das sind klare Worte. Klare Konse-
quenz: Das bürokratische Monster Lehrstellensteuer gibt
es mit uns nicht.
Grundfalsch allerdings wäre es, die duale Ausbildung
durch mehr vollzeitschulische Ausbildung zu schwä-
chen. Gerade das Kennenlernen betrieblicher Strukturen
und die praktische Arbeit als solche bewirken doch den
pädagogischen Erfolg des dualen Systems.
Das duale System ist der Bildungsexportschlager der
Bundesrepublik Deutschland. Wir gehören mit dem
Klammerbeutel gepudert, wenn andere Staaten die duale
Ausbildung von uns übernehmen und wir sie in Deutsch-
land aushöhlen und aufweichen, wo immer es geht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau-
chen einen klaren Plan.
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Zweitens: Wir müssen flexibler werden, und zwar
ich weiß, dass gleich ein Aufschrei kommt – bei der
usbildungsvergütung. Freie Vereinbarungen zwi-
chen Betrieben und Azubis müssen möglich sein. Wenn
n manchen Regionen Deutschlands 50 Prozent der Be-
riebe einer Branche nicht tariflich gebunden sind und
ir dort zugleich einen dramatischen Lehrstellenmangel
aben, dann sind 50 Euro weniger im Geldbeutel besser
das sage ich ganz klar –, als ohne Ausbildungsplatz da-
ustehen.
Drittens: Öffnung. Wir müssen schnellstens dafür sor-
en, dass Hochschulen für Absolventen der beruflichen
usbildung geöffnet werden.
ußerdem müssen wir unsere berufliche Ausbildung für
en europäischen Qualifikationsrahmen öffnen, aber
icht so, dass unsere Ausbildung im europäischen Ver-
leich abgestuft wird, sondern so, dass unsere gute be-
ufliche Bildung in Europa volle Anerkennung erhält.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir dürfen nicht
nentwegt Schule zum Experimentierfeld machen. Die
rundrichtung muss klar sein, und diese heißt: duale
usbildung. Diese müssen wir weiterentwickeln. Diese
üssen wir praxisnäher gestalten, und das Ganze mög-
ichst unbürokratisch.
Wenn die Bundesregierung bei der beruflichen Bil-
ung diesen Weg verfolgt, dann hat sie uns an ihrer
eite. Zeigen Sie Mut! Herr Staatssekretär, gerade in der
ildung gilt: Wagen Sie mehr Freiheit!
Vielen Dank.
Herr Kollege Meinhardt, auch Ihnen gratuliere ich
ehr herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundes-
ag.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 541
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Als nächster Redner hat nun der Kollege Willi Brase
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, dass die
Zahlen – wie sich das Ausbildungsjahr Ende September
dargestellt hat – von mir nicht wiederholt werden müs-
sen. Bei der Betrachtung sollten wir aber nie vergessen,
dass die „fünfte Zeit“ – nämlich die Monate der Nach-
vermittlung – manches Positive auch im Sinne von zu-
sätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätzen auf den
Weg gebracht hat. Wir konnten die Lücke um 40 Prozent
verkleinern. Das ist ein besseres Ergebnis. Es ist nicht
gut genug, aber es ist ein guter Anfang und ein guter
Weg.
Lassen Sie mich, weil der Ausbildungspakt angespro-
chen wurde, auf die Einstiegsqualifizierung eingehen.
Ich will nicht verhehlen, dass wir als SPD-Fraktion sie
sehr kritisch gesehen haben. Aber die unabhängige Un-
tersuchung der GIB hat zutage gebracht, dass der ge-
wünschte Klebeeffekt offensichtlich funktioniert hat.
Über 61 Prozent der befragten Jugendlichen mit Ein-
stiegsqualifizierung haben eine Ausbildung erhalten.
Das Schöne dabei ist, dass von diesen Teilnehmern
71 Prozent keinen oder einen niedrigen Schulabschluss
bzw. einen schwierigen Migrationshintergrund besaßen
und besitzen. Offensichtlich ist es der bessere Weg, be-
nachteiligte junge Leute, die bestimmte Probleme haben,
nicht in schulische Maßnahmen oder Maßnahmen der
Bundesagentur zu schicken, sondern im betrieblichen
Rahmen sozusagen an die Realität heranzuführen. Das
haben wir seinerzeit gewollt. Deswegen werden wir die-
sen Weg weitergehen.
Ich bin mir sicher, dass dabei das EQJ-Programm eine
Brücke sein kann. Wir haben es im Rahmen der Reform
des Berufsbildungsgesetzes diskutiert:
Wir wünschen uns, dass dieses EQJ sich in den nächs-
ten Jahren weiter zu einer Berufsausbildungsvorberei-
tung im Betrieb entwickelt, weil dort der Hintergrund
genau richtig ist, und dass irgendwann die Unternehmen
dies begreifen. Das war ja ein Teil der Reform des Be-
rufsbildungsgesetzes.
– Das sowieso.
Trotzdem wollen wir nicht vergessen: 10 Prozent aller
Jugendlichen in Deutschland verlassen Jahr für Jahr die
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Auf der anderen Seite werden – das können Sie in den
ntersuchungen von BIBB und IAB feststellen – Fach-
räfte, Fachkräfte mit qualifizierten Tätigkeiten und
achkräfte mit Führungsaufgaben, die Bereiche sein, in
enen ein Aufwuchs von Arbeitsplätzen stattfindet. Nur
och 8 bis 10 Prozent der Arbeitsplätze werden für An-
nd Ungelernte zur Verfügung stehen. Wenn das so ist,
ann muss es unsere Aufgabe sein, alle Jugendlichen
itzunehmen und allen eine qualifizierte Ausbildung zu
önnen. Dazu gehört auch eine Qualifizierung beim Ein-
tieg.
Ich will nicht verhehlen, dass es auf der anderen Seite
usbildungsfähige Betriebe gibt, die noch nicht ausbil-
en. Diese müssen wir für die Schaffung von Ausbil-
ungsplätzen gewinnen. Wir haben im Koalitionsvertrag
xplizit vereinbart, dass kein Jugendlicher unter 25 Jah-
en länger als drei Monate arbeitslos sein soll. Aus der
raxis wissen wir, dass das eine gewaltige Aufgabe für
ie Argen, die optierten Kommunen und ein Stück weit
uch für die Bundesagentur für Arbeit ist. Wenn uns das
elingt, tun wir etwas sehr Gutes für die jungen Men-
chen. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung alle ihr
ur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen wird,
m dies auf den Weg zu bringen. Deshalb erinnern wir
anz bewusst an die gesellschaftliche Verantwortung der
irtschaft.
Es ist richtig, dass Frau Schavan darauf hingewiesen
at, dass der Ausbildungspakt überarbeitet bzw. weiter-
ntwickelt werden muss. Wir begrüßen ausdrücklich,
ass die Gewerkschaften und der DGB einbezogen wer-
en. Für mich heißt das, dass diejenigen, die jetzt dem
akt angehören, ihre Bedingungen nicht einfach fort-
chreiben können.
as bedeutet, dass wir auch die Vorschläge, die aus den
ewerkschaften kommen, daraufhin prüfen müssen, ob
ie zu mehr Ausbildungsplätzen führen. Ich will aus-
rücklich darauf hinweisen, dass wir in der Koalitions-
ereinbarung die Möglichkeit offen gelassen haben, zum
eispiel die branchenbezogene Umlagefinanzierung zur
teigerung von Ausbildungsplatzangeboten gemeinsam
it den Partnern zu diskutieren.
542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Willi Brase
Kollege Schummer, in diesem Zusammenhang ist nicht
nur der Bereich der Bauwirtschaft zu nennen; es könnten
auch noch andere erwähnt werden.
In der Debatte über das Berufsausbildungssicherungs-
gesetz haben wir auch darüber diskutiert, dass es in Zu-
kunft immer wichtiger wird, den Fachkräftenachwuchs
in den Facharbeiterbranchen zu sichern. Branchenbezo-
gene und ähnliche sektorale Konzepte können hierbei
durchaus von großer Bedeutung sein.
Nun höre ich immer wieder, dass die Zeit im Betrieb
sinnvoller ist als die Zeit in der Berufsschule. Was ist ei-
gentlich Berufsfähigkeit? Was ist das Berufsprinzip?
Das Berufsprinzip besagt doch, dass sich die Ausbil-
dung an den Arbeits- und Geschäftsprozessen im realen
Leben, in den Unternehmen, in den Betrieben und bei
den Dienstleistern, orientiert. Das, was die jungen Men-
schen dort auf der Grundlage von Ausbildungsplänen er-
fahren, wird im Berufskolleg theoretisch untermauert,
verarbeitet und weiterentwickelt. Dieses Berufsprinzip
kann man durch eine zu starke Modularisierung mögli-
cherweise kaputtmachen. Dann würden wir den hoch
qualifizierten Fachkräftenachwuchs verlieren,
weil dieser Nachwuchs Fachkompetenz, Sozialkompe-
tenz und Handlungskompetenz entwickeln muss. Das
braucht seine Zeit. Wir haben seit Jahrzehnten – die erste
Reform stammt aus dem Jahre 1969, die letzte haben wir
in diesem Jahr gemeinsam auf den Weg gebracht – eine
geordnete Berufsausbildung in unserem Lande. Ich halte
das für richtig und bin deshalb gegen eine Modularisie-
rung an dieser Stelle.
Im Berufsbildungsgesetz haben wir die Regelung der
vollzeitschulischen Ausbildung mit dem Rechtsanspruch
auf Abschlussprüfung bei den Kammern vorgesehen.
Diese ist in § 43 Abs. 2 geregelt. Wir sollten in diesem
Zusammenhang nicht vergessen, dass es hierzu einen ge-
meinsamen Beschluss des Bundesrates gab. Die Länder
haben uns aufgefordert, dies zu prüfen. Wir haben uns
damit sehr schwer getan, weil wir der Meinung waren,
dass es nicht ohne Teilhabe der Mitglieder im Landes-
ausschuss für Berufsbildung auf den Weg gebracht wer-
den kann. Interessant ist nur, dass bis heute keine Lan-
desregierung diesen Weg eingeschlagen hat.
Insofern glaube ich, dass wir auch dieses Instrument
im Laufe der nächsten Jahre überprüfen werden. Ich
glaube, es war und ist für uns selbstverständlich, die
Wirkung der Reform des Berufsbildungsgesetzes in die-
ser Legislaturperiode zu überprüfen. An dieser Stelle ist
der Antrag der Linken nach meiner Auffassung nicht
notwendig.
Im Zusammenhang der Weiterentwicklung der beruf-
lichen Bildung kommen wir unweigerlich zum europäi-
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as sollten wir nicht machen, liebe Kolleginnen und
ollegen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Ich glaube, dass
ie quantitative Entwicklung von großer Bedeutung ist,
ie qualitative aber ebenso. Zum Beispiel haben wir mit
er Reform den Berufsbildungsausschüssen bei den
ammern vor Ort wie auch denen auf Landesebene auf-
egeben, Qualitätsansprüche, Qualitätsnormen und Qua-
itätsanforderungen für die Ausbildung zu entwickeln.
as halte ich für richtig. Meiner Meinung nach geht es
arum, denen Freiheit zu geben, die in der Lage sind, an
en entscheidenden Stellen etwas auf den Weg zu brin-
en. Deshalb war es richtig, dass wir das gemacht haben.
Meine letzte Bemerkung betrifft die alte Leier von der
ohen Ausbildungsvergütung. Hier verweise ich auf
ie entsprechenden Untersuchungen des BIBB, in denen
indeutig zum Ausdruck kam, dass die Ausbildungsver-
ütungen nicht etwa zu hoch sind, sondern – im Gegen-
eil – nur in geringem Maße gestiegen sind.
enn Sie sich ansehen, in welchen Bereichen die meis-
en Ausbildungsplätze vorhanden sind, stellen Sie fest,
ass die Vergütungen nicht gerade hoch sind. Das
urchschnittsalter der Auszubildenden ist höher und sie
üssen teilweise selbstständig leben. Ich sage Ihnen
lipp und klar: Das, was Sie wollen – die Abschaffung
er tarifpolitischen Auseinandersetzungen bzw. der tarif-
olitischen Normen –, ist mit uns nicht zu machen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 543
)
)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Priska Hinz von
Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müs-
sen heute, am Ende des Jahres 2005, ganz nüchtern fest-
stellen, dass wieder nicht genügend Lehrstellen bereitge-
stellt wurden, dass nicht alle jungen Leute einen
Ausbildungsplatz gefunden haben und dass sich in die-
sem Jahr die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstellen
sogar verringert hat. Auch aus diesem Grund muss man
leider feststellen, dass der Ausbildungspakt noch kein
Pakt des Erfolges ist.
Dabei darf es allerdings nicht bleiben. Es ist nicht nur
für die Teilhabe junger Menschen an der Gesellschaft
wichtig, sondern es ist auch eine ökonomische Frage,
dass unsere Berufsausbildung gut ist und alle Jugendli-
chen eine gute Berufsausbildung bekommen. Gerade
deshalb müsste es auch im Interesse der Wirtschaft sein,
wenn sie ihr Engagement verstärken würde, um neue,
zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
Union und SPD haben dieses Problem in ihrem Koali-
tionsvertrag zwar angesprochen. Aber es ist völlig un-
klar, wann und mit welchen konkreten Maßnahmen Sie
gegen die Lehrstellenmisere vorgehen wollen. Denn der
allgemeine Hinweis darauf, dass man noch eine Reform
des Berufsbildungsgesetzes durchführen und den Ju-
gendlichen eine zweite Chance geben will, reicht aus
meiner Sicht nicht aus.
Dabei hat sich die neue Ministerin ausdrücklich – man
könnte auch sagen: notgedrungen – zu einer Berufs- und
Weiterbildungsministerin erklärt. Jetzt erwarten nicht
nur wir, sondern auch die Jugendlichen ganz konkrete
Schritte.
Von der FDP erreicht uns wieder ihr typischer Reflex,
dass die Ausbildungsvergütungen gesenkt werden müss-
ten. Als ob 50 Euro weniger im Monat zu mehr Ausbil-
dungsplätzen führen würden!
Die diesbezügliche Untersuchung wurde bereits ange-
sprochen. Die Unternehmen haben bei der Schaffung
von Ausbildungsplätzen ganz andere Probleme. Ganz
besonders haarsträubend ist die Forderung Ihres An-
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ie Bundesregierung muss die Anerkennung dieser Ab-
chlüsse jetzt durchsetzen. Hier hat die Bundesregierung
ine Bringschuld.
Ja, die auch. Aber da die Bundesministerin immer sagt,
ass sie künftig auf Bundesebene keine Zuschauerin sein
ill, soll sie sich bitte einmischen.
Nun erklärt die PDS
ie Umlage zum allein selig machenden Instrument. Für
eine Fraktion kann ich sagen: Sie ist ein Instrument.
erade weil wir in unserer Partei und Fraktion eine
ange Diskussion darüber geführt haben, kann ich Ihnen
ber auch sagen: Eine Umlage auf Bundesebene kann
ehr viele, auch bürokratische Tücken haben.
eswegen haben wir uns auf das Moratorium und den
usbildungspakt eingelassen. Es gäbe auch andere In-
trumente, die man prüfen könnte. Aber ich sage ganz
usdrücklich: Der Pakt muss jetzt erfüllt werden. Jetzt ist
icht die Zeit, sich zurückzulehnen. Vielmehr müssen
ie Partner ihre Anstrengungen bis zum kommenden
ahr auf jeden Fall verstärken,
um Beispiel indem sich der Bund in Zusammenarbeit
it den Ländern dafür einsetzt, dass die Kooperation der
usbildungsträger – der Schulen, der Betriebe und der
rbeitsagentur – verbessert wird. Hier sieht die Zwi-
chenbilanz des Paktes düster aus. Im Pakt ist die Ver-
esserung der Berufsreife vereinbart; diese lässt auf sich
arten. Die Überprüfung der Einstiegsqualifizierung ist
benfalls notwendig, und zwar nicht, weil nicht genü-
end Jugendliche über dieses Programm in eine Ausbil-
ung kommen, sondern weil wir Hinweise haben, dass
ie Hürden nach wie vor zu hoch sind, und weil das EQJ
icht auf die Ausbildungszeit angerechnet wird.
as muss überprüft werden; wir erwarten von Ihnen,
ass Sie hier tätig werden.
Frau Kollegin Hinz, bedenken Sie die Zeit!
544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ich komme zum Schluss.
Meine Damen und Herren, der Ausbildungspakt grün-
det sich auf ein Moratorium. Wir wollen, dass die Bun-
desregierung bis zum Jahr 2006 ihre Anstrengungen mit
den Partnern verdoppelt und bis zum Beginn des
Jahres 2007 einen Bericht vorlegt, aus dem hervorgeht,
mit welchen neuen Instrumenten dann weitergearbeitet
werden muss. Das kann dann auch das Instrument einer
Umlage sein. Wir haben auf jeden Fall alle Anstrengun-
gen zu unternehmen. Wir können es uns nicht leisten,
eine ganze Generation zu verlieren. Hier sollten wir alle
zusammenstehen und alle Partner, vor allen Dingen die
im dualen System, sollten ihrer Verpflichtung nachkom-
men.
Danke schön.
Frau Kollegin Hinz, auch Ihnen gratuliere ich zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Alexander Dobrindt von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, wenn sich
der Deutsche Bundestag regelmäßig mit der Ausbil-
dungssituation in Deutschland befasst. Das ist wichtig
für die Menschen – besonders für die Jugendlichen na-
türlich – und es ist wichtig, dass alle sehen, dass die Po-
litik der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, den jungen
Menschen Ausbildungsplätze zu verschaffen, große Auf-
merksamkeit widmet.
Es ist aber schlecht, wenn man feststellen muss, dass in
der Debatte keine wirklichen Fortschritte gemacht wer-
den, sondern immer wieder die alten ideologischen Ka-
mellen herausgeholt werden – ohne die reale Entwick-
lung zur Kenntnis zu nehmen.
– Es gibt hervorragende Ausnahmen; gar keine Frage.
Im Antrag der Linken steht, dass es mit den Vereinba-
rungen zum Ausbildungspakt nicht gelungen ist, die
Wirtschaft hinreichend in die Verantwortung für die
Ausbildung zu nehmen und die Perspektiven für Jugend-
liche zu verbessern usw. Meine Damen und Herren von
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ie würdigen diejenigen herab, die wir in diesem Land
n besonderem Maße brauchen: die Mittelständler, die
erantwortung übernehmen und sich engagieren, vor al-
em für die jungen Menschen in diesem Lande.
Die Ausbildungsplatzsituation hat sich gegenüber
em Vorjahr verbessert: Die rechnerische Lücke zwi-
chen den unbesetzten Ausbildungsplätzen und den noch
icht vermittelten Bewerbern ist nochmals gesunken, so-
ass man davon ausgehen kann, dass zumindest bis An-
ang nächsten Jahres jedem Bewerber eine Lehrstelle oder
ine Einstiegsqualifizierung angeboten werden kann. Das
t das Ergebnis einer freiwilligen Kraftanstrengung von
ausenden von Betrieben, die ihrer Verantwortung nach-
ommen – und dies ganz ohne staatliche Zwangsregulie-
ung mittels einer Ausbildungsplatzabgabe.
Deswegen sind alle beteiligten Gruppen heute eigent-
ich der Überzeugung, dass der Ausbildungspakt funk-
ioniert, nur die Linken und Teile der Gewerkschaften
icht. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren, aber
icht gelingen – das sei an dieser Stelle gesagt –, die An-
trengungen, die viele gemeinsam unternommen haben,
ier schlecht zu reden. Für mich steht fest: Die Zukunft
er jungen Menschen muss im Vordergrund stehen. Des-
egen setze ich auf Freiheit und nicht auf Zwangsver-
flichtung.
Selbstverständlich müssen wir noch weitere Anstren-
ungen unternehmen; das ist überhaupt keine Frage. Die
erzeitige Situation darf man aber nicht unabhängig von
en Rahmenbedingungen betrachten. Zu den Rahmenbe-
ingungen gehören zwei Dinge: zum einen ein modernes
erufsbildungsgesetz und zum anderen eine Mittel-
tandsoffensive, die Signale für einen Aufschwung setzt.
Zum ersten Punkt. Die Novellierung des Berufsbil-
ungsgesetzes haben wir gemeinsam beschlossen.
s beginnt, seine Wirkung zu entfalten.
Wir haben die Verbundausbildung gestärkt. Immer we-
iger Betriebe können angesichts der zunehmenden Spe-
ialisierung alleine ein komplettes Berufsbild in der Aus-
ildung abdecken. Gemeinsam mit anderen Betrieben ist
as möglich. Es ergeben sich neue Synergieeffekte.
)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 545
)
)
Alexander Dobrindt
Wir haben die Stufenausbildung beschlossen. Natür-
lich bedarf sie etwas Zeit. Aber darin liegt die riesen-
große Chance, dass theorieschwächere Jugendliche ei-
nen attraktiven Ausbildungsplatz vermittelt bekommen,
der dann in einen Arbeitsplatz mündet und nicht beim
Arbeitsamt, wie bei denjenigen, die eine vollzeitschuli-
sche Ausbildung gemacht haben. Das richte ich an dieje-
nigen, die meinen, man könnte das Problem einfach mit
einer vollzeitschulischen Ausbildung beheben.
In das Berufsbildungsgesetz haben wir eine ganz
wichtige Formulierung aufgenommen. In dem Entschlie-
ßungsantrag zu diesem Gesetz wird zum ersten Mal von
betrieblichen Bündnissen für Ausbildung gesprochen.
Die betrieblichen Bündnisse für Ausbildung müssen aus-
gebaut werden. Wir fordern, dass diese Chance offensiv
genutzt wird und zukünftig vor Ort in den Betrieben fle-
xiblere Regelungen bei Arbeitszeit und natürlich bei
Vergütung, auch abweichend von tariflichen Vereinba-
rungen, wenn es nicht anders geht, gelten. Vor Ort kann
vieles geregelt werden, wenn sich alle Partner einig sind.
Das ist wichtig. Darin steckt auch eine große Chance für
mehr Ausbildung von jungen Menschen.
Zum zweiten Punkt, den ich angesprochen habe. Wir
müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für
den Mittelstand verbessern. Hier sind wir auf einem gu-
ten Weg. Gemeinsam haben wir im Koalitionsvertrag
vieles dazu vereinbart: Verbesserung der Finanzierungs-
möglichkeiten, Abbau der Bürokratie, deutliche Förde-
rung von Forschung und Technologie.
Wir brauchen einen Maßnahmenmix, um die Ausbil-
dungsplatzsituation in Zukunft zu verbessern. Dieser
Maßnahmenmix muss kreiert werden. Definitiv nicht
dazu gehört eine Ausbildungsplatzabgabe, wie von den
Linken gefordert.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/122, 16/235 und 16/198 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler,
Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zwangsverheiratung bekämpfen – Opfer
schützen
– Drucksache 16/61 –
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eder Mensch hat das Recht, seinen Ehepartner selbst zu
estimmen. So sieht es die UN-Menschenrechtskon-
ention vor.
och dieses Recht wird Tag für Tag nicht eingehalten.
ber 200 Frauen wenden sich jährlich allein in Berlin an
eratungsstellen für zwangsverheiratete Frauen. In einer
efragung im Auftrag der Bundesregierung äußerten
0 Prozent der Migrantinnen, zur Ehe gezwungen wor-
en zu sein. Das wollen wir ändern.
Nun hat auch die Union damit begonnen, sich für die
pezifischen Interessen von Migrantinnen zu interessie-
en, allerdings häufig aus dem Grund, um die multikultu-
elle Gesellschaft für gescheitert zu erklären. Wir Grü-
en sehen das anders. Wir wollen eine multikulturelle
esellschaft und wollen die Vielfalt der Kulturen.
o allerdings Menschenrechte verletzt werden, da endet
ür uns jegliche kulturelle Toleranz.
Die grüne Bundestagsfraktion hat als erste Fraktion
wangsverheiratung und Gewalt im Namen der Ehre in
eutschland thematisiert. Wir stehen für den Schutz von
rauen vor Gewalt und Zwang.
n den vergangenen Jahren haben wir zusammen mit der
ot-grünen Regierung viel erreicht. Ich nenne nur das ei-
enständige Aufenthaltsrecht für verheiratete Migrantin-
en und das ausdrückliche Verbot von Zwangsverheira-
ung im Strafgesetzbuch. Weitere Schritte sind aber
ringend nötig. Den „Aktionsplan Zwangsverheiratung
ekämpfen“ können Sie, verehrte Regierungskoalition,
etzt gemeinsam mit den Bundesländern umsetzen.
546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Irmingard Schewe-Gerigk
Hinter mangelnden Mehrheiten im Bundesrat können
Sie sich jetzt nicht mehr verstecken.
Es wäre aber reine Symbolpolitik, jetzt nur das Straf-
recht zu ändern. Das würde den Frauen nicht helfen. Da-
rum wollen wir das seit 2005 bestehende Strafrecht erst
einmal evaluieren, statt es jetzt blind und sofort zu än-
dern. Was die Opfer von Zwangsverheiratung nämlich
wirklich brauchen, ist ein eigenständiges Aufenthalts-
recht. Nur so können sie sich einer Zwangsehe entzie-
hen, ohne Angst vor einer Ausweisung zu haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der
CDU/CSU, nutzen Sie jetzt doch Ihre Mehrheiten und
vergessen Sie einmal Ihre Missbrauchsunterstellung ge-
genüber den Migrantinnen.
Konkret fordern wir, dass Frauen, die glaubhaft ma-
chen können, dass sie in Deutschland zwangsverheiratet
wurden, sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht er-
halten. Für die Frauen, die aus Deutschland zur Verheira-
tung in andere Länder verbracht werden, fordern wir,
dass ihr Aufenthaltsrecht nicht nach sechs Monaten er-
lischt, sondern dass sie die Möglichkeit haben, auch spä-
ter als nach sechs Monaten nach Deutschland zurückzu-
kehren. Diese Chance ist ihnen bisher verwehrt.
Die Flucht vor einer Zwangsehe gleicht heute in
Deutschland oftmals eher einem Hindernislauf. Darum
brauchen wir niedrigschwellige Beratungs- und
Schutzprogramme. Ohne bürokratischen Aufwand
müssen Betroffene Unterkunft, Papiere, Datenschutz
und Leistungen nach dem Jugendhilferecht erhalten. Wir
brauchen auch dringend verlässliches Datenmaterial;
denn ohne dieses können wir das tatsächliche Ausmaß
von Zwangsverheiratungen nicht sehen. Nicht zuletzt ist
das beste Instrument natürlich die Prävention. Hier sind
vor allem wieder die Länder am Zuge. Nachziehende
Ehegattinnen dürfen nicht länger ihrem Schicksal in ih-
rer neuen Familie überlassen werden. Indem wir Integra-
tionsansprüche an sie stellen, stärken wir sie auch in ih-
rer eigenen Familie.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
das ist wesentlich sinnvoller, als den Frauen das Nach-
zugsrecht erst mit 21 Jahren zu gewähren. Das liegt auch
ganz knapp neben der Verfassung.
– Das ist ja die reinste Begeisterung hier am späten
Abend.
Besondere Aufmerksamkeit müssen wir aber auch
dem männlichen Geschlecht zukommen lassen. Die Er-
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Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll, CDU/CSU-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
iebe Frau Schewe-Gerigk, bevor ich auf Ihren Vortrag
ingehe, möchte ich erst einmal kurz eine kleine Ge-
chichte erzählen. Sie hat sich vor zehn Jahren zugetra-
en.
Es war auch kurz vor Weihnachten und eine Marok-
anerin lebte in meiner Familie. Wir freuten uns auf das
eihnachtsfest, wie wahrscheinlich auch manche von
hnen, und wir freuten uns auf ein paar friedliche Tage in
er Familie. Das Mädchen hieß Latifa. Zu der Zeit
urde Latifa aber immer introvertierter und verschlosse-
er. Ich habe sie gefragt: Freust du dich eigentlich nicht,
ass du über Weihnachten nach Hause zu deiner Familie
ährst? – Sie sagte nichts. Kurz vor dem Abreisetermin
ach Marokko fing sie an zu weinen und sagte: Wenn ich
ach Hause komme, werde ich verheiratet. Meine Fami-
ie hat bereits alles arrangiert. – Damals habe ich zum
rsten Mal selbst gehört, mitbekommen und mitgefühlt,
as es für ein junges Mädchen bedeutet, zwangsverhei-
atet zu werden.
Latifa war verzweifelt und sagte: Ich kann ihn nicht
eiraten, ich hatte einen deutschen Freund und bin keine
ungfrau mehr. Daraufhin habe ich mit meinem Selbst-
erständnis von Familie gesagt: Dann erkläre das doch
einer Familie. Ich selber habe auch einen Migrations-
intergrund. Ihre Antwort war: Nein, ich habe Angst um
ein Leben. – Diese Worte habe ich nicht vergessen.
eswegen freue ich mich, dass ich zu diesem Thema
eute sprechen kann.
Es ist mir natürlich klar, dass wir relativ begrenzte
öglichkeiten haben, um unmittelbar Einfluss auf die
amilienstruktur in einem Bergdorf in Marokko zu neh-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 547
)
)
Michaela Noll
men. Manche Täter versuchen noch ihr Handeln mit dem
Argument zu rechtfertigen: Andere Länder, andere Sit-
ten. Aber wir dürfen es hier nicht zulassen, dass das
Schicksal, das ich Ihnen gerade geschildert habe, auf
deutschem Boden passiert, und zwar mitten unter uns, in
Familien, die seit Generationen hier in Deutschland le-
ben.
Viele von Ihnen haben von ähnlichen Schicksalen ge-
hört, ob über die Medien oder die Presse. Das jüngste
Beispiel war der tragische Tod einer jungen Frau hier in
Berlin. Die Folgen von Zwangsverheiratung soll man ru-
hig einmal drastisch darstellen. Die jungen Frauen müs-
sen meist die Schulausbildung abbrechen, sie werden
häufig sexuell ausgebeutet und sind meistens von ihren
Ehemännern finanziell abhängig. Sie haben kein eigenes
Leben. Tausende von diesen jungen Muslimas leben in
Deutschland unter dem Zwang des Patriarchats, zum
Teil in der Wohnung eingesperrt, hilflos gegen männ-
liche Gewalt, bis hin zum Ehrenmord.
Allein in meinem Wahlkreis waren es im letzten Jahr
acht Frauen, die aus einer extrem isolierten Lebensform
ins Frauenhaus geflüchtet sind. Jede Dritte sagt: Ich bin
zwangsverheiratet worden. Diese Frauen haben keine
Chance auf Integration. Sie verschwinden in einer Paral-
lelwelt. All dies ist eindeutig gegen unser Grundgesetz,
und zwar gegen Art. 3 – Gleichheitsgebot – und gegen
Art. 6, der die Eheschließungsfreiheit gewährleistet.
Unser Grundgesetz gilt für alle: für Männer und für
Frauen, ungeachtet der Herkunft und ungeachtet der Re-
ligion. Ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Le-
ben ist ein grundlegender und zentraler Wert unserer Ge-
sellschaft. Doch von diesen Rechten können diese Opfer
wirklich nur träumen. Deshalb müssen wir jetzt handeln.
Das werden wir auch tun.
Jetzt zu Ihrem Antrag. Aus frauen- und gesellschafts-
politischer Sicht ist das Ziel dieses Antrages, Opfer von
Zwangsheirat noch stärker zu schützen, zu begrüßen.
Wir können doch nicht nur von Einzelschicksalen spre-
chen; denn die Medien zeigen ja, dass die Dunkelziffer
viel höher ist. Viele Frauen trauen sich nicht, sich aus
diesen Zwängen zu befreien und die Tat anzuzeigen,
weil sie wissen, dass dies zu Racheakten in ihrer Familie
führen wird.
Konkrete Daten – da gebe ich Ihnen Recht – fehlen.
Deswegen halten wir eine bundesweite Studie zum
Thema Zwangsheirat für sinnvoll. Auch die Forderung,
die Antragsfrist zur Aufhebung der Ehe zu verlängern
und die Prävention zu verstärken, tragen wir mit. Aber
all das – Entschuldigung – ist nicht ganz neu. Das war
im Bundesratsentwurf bereits enthalten, Bundestags-
drucksache 15/5951. Sie ist zum Nachlesen sehr geeig-
net. Darüber hinaus stellt auch die Einführung eines nie-
derschwelligen Schutzprogramms für Opfer einen
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Ich möchte jetzt auf diesen Vorschlag nicht im Detail
ingehen, weil dafür meine Redezeit zu kurz ist. Da dies
eute die erste Lesung ist, biete ich Ihnen an, darüber in
en weiteren Beratungen zu diskutieren.
Noch ein Wort zu Ihnen, Frau Schewe-Gerigk. Sie ha-
en uns eben ein bisschen angegriffen. Schauen Sie ein-
al in unseren Koalitionsvertrag.
uf den Seiten 119 und 120 steht genau, was wir hier er-
eichen wollen, und wir wollen einiges.
as werde ich Ihnen kurz erklären.
Erstens. Es geht uns nicht nur um eine reine Straf-
echtsverschärfung. Natürlich wollen wir einen neuen
traftatbestand zur Zwangsheirat.
ir wollen ihn ganz einfach deshalb einführen, weil da-
it mehr Rechtsklarheit geschaffen wird. Die gleiche
ituation haben wir beim Stalking.
Zweitens. Wir wollen die Prävention verstärken.
uch wir wollen Betreuungs- und Beratungsangebote
erbessern. Aber wir haben einen anderen Ansatz. Wir
ollen das Selbstbewusstsein der Jungen und der Mäd-
hen stärken.
Zunächst zum Straftatbestand. Es ist zwar richtig,
ass die Zwangsheirat unter den Nötigungsparagraphen
ällt. Aber wenn Sie sich mit Menschen aus der Praxis
nterhalten, dann sehen Sie ganz genau, dass eine solche
estrafung ausgesprochen selten Anwendung findet.
eswegen sagen wir: Ein eigener Straftatbestand setzt
infach ein deutlicheres politisches Signal. Deutschland
ird Zwangsverheiratung nicht dulden.
Der Entwurf, der im Sommer im Bundesrat verab-
chiedet wurde, enthält zum Beispiel zivilrechtliche Re-
elungen.
Manche Dinge sind nicht zu Ende gedacht. Warum rei-
hen Frauen so selten den Antrag zur Aufhebung der Ehe
in? Der Grund ist, dass sie dann vor dem finanziellen
548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Michaela Noll
Ruin stehen. Sie bekommen nämlich keinen Unterhalt.
Der Bundesratsentwurf zielte genau darauf ab, die Recht-
stellung im Unterhaltsrecht und im Erbrecht zu verbes-
sern; denn es darf nicht sein, dass der Täter hinterher das
Opfer beerbt. Die gesetzliche Erbfolge wird so ausgehe-
belt. All das enthält dieser Entwurf.
– Jetzt bin ich dran.
Außerdem ist eine Höchststrafe von zehn Jahren vor-
gesehen und schon der Versuch der Zwangsverheiratung
ist strafbar. Deswegen halte ich es für richtig, beim Straf-
recht anzusetzen.
In einem gebe ich Ihnen Recht: Wir dürfen auch die
Täter nicht vergessen, und zwar die Brüder, Väter, Ehe-
männer und bedauerlicherweise auch die Mütter. Im Fall
des Ehrenmordes in Berlin waren es die Brüder des Op-
fers. Den Schlagzeilen war zu entnehmen, dass muslimi-
sche Oberschüler diesen Ehrenmord gefeiert haben. Die-
selben Schüler hatten zuvor ein Mädchen gemobbt, weil
es nicht entsprechend gekleidet war. Das heißt, wir müs-
sen bei den Jungen ansetzen. Denn die Akzeptanz, die
bei den Jungen in Migrantenfamilien anscheinend vor-
handen ist, können wir auf Dauer nicht akzeptieren. Des-
wegen setzen wir gezielt auf Präventionsarbeit. Auch
hierbei sind die Schulen gefragt. Denn die Opfer sind
meistens minderjährig und schulpflichtig. Insofern kön-
nen wir versuchen, unsere Präventionsarbeit in die Schu-
len zu transportieren. Ob die Lehrpläne dafür geeignet
sind, müssen wir dahingestellt sein lassen. Denkbar sind
zum Beispiel Schulungen von Vertrauenslehrern.
Dass die Täter nicht als „Zwangsverheirater“ gebo-
ren, sondern dazu erzogen werden, ist ebenfalls klar.
Was hat das zur Folge? Wir müssen versuchen, die Väter
und Mütter mit ins Boot zu holen. Denn nur bei den jun-
gen Mädchen anzusetzen, greift meiner Meinung nach
viel zu kurz.
Auch die islamischen Organisationen sind gefordert.
Denn sie haben Zugang zu den Eltern und können diese
aufklären. Nur so erreichen wir ein Umdenken.
Außerdem müssen die Frauen über ihre Rechte aufge-
klärt werden. Die mangelnden Deutschkenntnisse ha-
ben zur Folge, dass sie sich nicht über ihre Rechte infor-
mieren können.
Was Ihre Kritik an den Beschlüssen der Innenminis-
terkonferenz angeht, weise ich darauf hin, dass eine ver-
fassungsrechtliche Prüfung erfolgen wird. Aber Sie grei-
fen sich immer nur die Rosinen heraus, wie es Ihnen
passt. Wichtig ist, dass bei der Einreise Deutschkennt-
nisse vorhanden sein müssen. Nur dann können sich die
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Wir wollen selbstbewusste Mädchen und Jungen, die
hr Leben selbst bestimmen. Sie sollen selbst entschei-
en dürfen, wie sie leben und wen sie lieben.
eder Fall von Zwangsverheiratung ist ein Fall zu viel.
lle diese Opfer leiden. Bis zu 80 Prozent wurden vor-
er misshandelt oder missbraucht. Unser Maßnahmen-
aket wird einiges ändern. Es wäre schön, wenn Sie uns
n dem Punkt folgen könnten.
Nun möchte ich noch einmal kurz auf Latifa zurück-
ommen. Sie hatte in ihrer Situation zwei Möglichkei-
en, nämlich entweder einen Arzt zu finden – es gibt in
eutschland Ärzte, die bestimmte Eingriffe wieder rück-
ängig machen – oder mit ihrer Familie zu brechen. Sie
at sich für Letzteres entschieden und ist nicht mehr
ach Marokko zurückgekehrt. So weit darf es in
eutschland nicht mehr kommen. Diese moderne Form
er Sklaverei muss ein Ende haben.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
öchte kurz auf Ihre Rede eingehen, Frau Kollegin Noll.
ie haben eindrucksvoll geschildert, wie Sie gerade um
eihnachten eine hochproblematische Situation miter-
ebt haben. Ich meine das nicht zynisch, sondern sage es
anz bewusst sehr nachdenklich: Weihnachten ist eine
eit, in der Scheidungsanwälte und Familienrechts-
xperten viel zu tun haben.
Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über das
hema Zwangsverheiratung. Schon in der Debatte vor
inem Jahr über den Antrag der FDP zum Thema „Kul-
urelle Vielfalt – universelle Werte. Neue Wege zu einer
ationalen Integrationspolitik“ wurde das Thema
wangsheirat von uns aufgegriffen und als Menschen-
echtsverletzung nach Art. 6 Grundgesetz, Art. 16 der
llgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Art. 12
er Europäischen Konvention zum Schutze der Men-
chenrechte und Grundfreiheiten klassifiziert.
Die Zwangsheirat verletzt die Menschenwürde. Diese
st ein zentraler Grundwert, deren Verletzung aus vor-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 549
)
)
Sibylle Laurischk
geblich religiösen oder kulturellen Gründen nicht tole-
riert werden kann.
Im Dezember 2004 war uns auch der Dialog mit Re-
präsentanten muslimischer Gruppen ein wichtiges Anlie-
gen, um in die so genannten Communities der Migranten
hineinwirken zu können. Diesen Antrag haben Sie,
meine Damen und Herren von den Grünen, damals als
Mitglieder der Bundesregierung abgelehnt.
In einer weiteren Debatte des Bundestages am
10. März 2005 anlässlich des Internationalen Frauenta-
ges wurde das Thema Zwangsverheiratung erneut disku-
tiert. Wir hätten es tatsächlich sehr begrüßt, wenn seitens
der Grünen – damals in der Bundesregierung – eine Ak-
tion aufgegriffen worden wäre, wie sie seitens des Lan-
des Baden-Württemberg bereits angestoßen worden war.
Tatsächlich hat aber in der Debatte vom 10. März 2005
die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregie-
rung, Frau Beck, eingeräumt, dass es in der Politik im-
mer wieder vorkomme, dass man zu lange brauche, um
zunächst verborgene gesellschaftliche Entwicklungen zu
entdecken.
Wenn nun die Grünen aufenthaltsrechtliche und zivil-
rechtliche Änderungen fordern, um die Situation der von
Zwangsheirat Betroffenen zu stärken, dann kann ich dies
nur begrüßen. Zu Recht weisen Sie darauf hin, dass mit
§ 240 Abs. 4 StGB seit Februar 2005 die Zwangsheirat
als besonders schwerer Fall der Nötigung strafbar ist.
Die Anwendung dieses Paragraphen in den einzelnen
Bundesländern muss aber evaluiert werden. Es wäre si-
cherlich sehr hilfreich, zu erfassen, inwieweit dieser
neue Straftatbestand tatsächlich angewendet wird.
Ich möchte ergänzen: Die Ausdehnung der Strafbarkeit
scheint mir persönlich nicht der vorrangige Weg zu sein;
denn die flankierenden Maßnahmen – an diesen fehlt
es – sind, denke ich, wichtiger, um den bestehenden
Straftatbestand umzusetzen.
Richtigerweise muss man davon ausgehen, dass nur
bei bestehenden sachgerechten flankierenden Maßnah-
men die einzelne Frau, die in der Regel das eigentliche
Opfer einer Zwangsverheiratung ist, tatsächlich den Weg
zu Polizei und Staatsanwaltschaft findet. Die begründete
Angst vor gewalttätigen Familienmitgliedern wird häu-
fig dazu führen, dass sie ihr Schicksal weiter trägt und
keine Strafanzeige erstattet. Deshalb sind auch flankie-
rende Maßnahmen unabdingbar, wie die Sicherstellung
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Für mich und die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Es
gibt keine wie auch immer geartete Rechtfertigung der
Zwangsverheiratungen. Das haben wir hier schon mehr-
fach diskutiert. Auch in der Türkei ist die Zwangsverhei-
ratung übrigens verboten. Frau Laurischk hat schon den
Art. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention
und den Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte angesprochen. Diese klaren Botschaften
aufzunehmen, hätte ich von einer Zeitung, die immerhin
von der Mehrzahl der türkischen Migrantinnen und Mi-
granten in Deutschland gelesen wird und die eine Ver-
pflichtung hat, bei der Integration dieser Menschen mit-
zuhelfen, eigentlich erhofft und erwartet.
Am meisten leiden unter der Zwangsverheiratung
junge Frauen, weil sie in einem traditionell männlich do-
minierten Umfeld die Schwächeren und Verletzbareren
sind, denen mit einer Zwangsehe auch alle persönlichen
Rechte genommen werden. Ich werde deshalb im Weite-
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atsache ist, dass wir in Anbetracht der offensichtlichen
äufung von Fällen in Deutschland dringend prüfen
üssen, wie die Zwangsverheiratung bekämpft werden
ann, bei der ja oft archaisch, grausam und ohne Rück-
icht auf die Menschenwürde die Ehe auch mit Gewalt
ollzogen wird.
Eine wichtige Säule der Bekämpfung der Zwangsver-
eiratung ist zweifellos – da gebe ich Frau Noll Recht –
as Strafrecht. Ich habe gerade schon auf den
240 StGB – besonders schwere Nötigung –, der schon
ehrfach angesprochen worden ist, mit einem Strafrah-
en zwischen sechs Monaten und fünf Jahren hingewie-
en. Wir müssen hier ernsthaft prüfen, ob die Regelung
m § 240 ausreicht. Eine Evaluation in den nächsten Wo-
hen und Monaten wäre da sehr hilfreich. Ich persönlich
endiere allerdings gefühlsmäßig trotz der Gefahr einer
ymbolischen Gesetzgebung zu einem eigenen Straftat-
estand Zwangsverheiratung.
ch verweise in diesem Zusammenhang auch auf eine
ntschließung der Parlamentarischen Versammlung
es Europarates vom 20. Juni 2005, welche unter-
treicht, dass sich auch Personen strafbar machen, die
reiwillig an der Zwangsverheiratung beteiligt waren,
um Beispiel der Ehemann oder diejenigen, die zum
eispiel als Familienangehörige Beihilfe zum Zustande-
ommen einer Zwangsverheiratung leisten.
Familienrechtlich ist schon heute eine unter Zwang
eschlossene Ehe ungültig. Ein Standesbeamter muss
eine Mitwirkung an einer Eheschließung verweigern,
enn deutlich wird, dass ein Ehepartner durch Drohung
der Druck zur Eheschließung gezwungen wird. Viel-
eicht wäre hier allerdings manchmal ein Einzelgespräch
it jedem der künftigen Ehepartner eine Rettung für die
etroffenen. Gleiches müsste meiner Ansicht nach für
onsularbeamte gelten, die – auch das ist eine Anregung
es Europarates – bei der Übertragung im Ausland ge-
chlossener Ehen die Ehegatten befragen sollten. Bei
en Regelungen zur Aufhebung einer Ehe müsste man
ber eine eventuelle Verlängerung der Aufhebungsfrist
achdenken. Aber auch das ist wie viele andere Dinge
iner entsprechenden Anhörung, die wir vielleicht
urchführen sollten, vorbehalten.
Neben dem Strafrecht und dem Zivilrecht gibt es – da
ind wir, Frau Noll, ein bisschen auseinander – auch au-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 551
)
)
Angelika Graf
fenthaltsrechtlich und ausländerrechtlich je nach Situa-
tion einen unterschiedlichen Handlungsbedarf.
Da gibt es – Fall A – die so genannten Importbräute.
Sie sind – das muss man selbstkritisch sagen – ein Indiz
dafür, dass unsere Integrationsbemühungen bei manchen
jungen Männern im Migrantenmilieu und bei ihren Fa-
milien eben nicht erfolgreich waren. Unsicher und ohne
unsere Regeln des Zusammenlebens zu akzeptieren, ho-
len sie sich eine Frau aus der Heimat, die in das traditio-
nelle Familienbild passt. Eine solche „Importbraut“ kann
im Normalfall nicht Deutsch und ist jeder Einschüchte-
rung, jedem Zwang, jeder Gewalt hilflos ausgesetzt. Das
wird sich meines Erachtens auch nicht ändern, wenn
man das Zuzugsalter erhöht, wie es die Innenminister-
konferenz gefordert hat.
Ich glaube, dies bringt uns auch in Konflikte mit Art. 6
des Grundgesetzes, und zwar ganz abgesehen davon,
dass der gewünschte Effekt, wie gesagt, nicht eintreten
wird.
Viel wichtiger wäre hier – das ist ein Appell an die
Bundesländer und Kommunen –, mit einer aufsuchen-
den, nicht diskriminierenden Beratung Zugang zu den
Betroffenen zu suchen, um sie aus ihrer Isolation heraus-
zuholen, sie dazu zu animieren, die Sprache zu lernen
und ihnen Hilfe anzubieten. Dazu gehört auch der Hin-
weis, dass das eigenständige Aufenthaltsrecht für Ehe-
partner schon nach geltendem Recht in Härtefällen nicht
mit der üblichen zweijährigen Wartezeit verbunden ist.
Hier sollten wir allerdings über klarere Regelungen für
Opfer von Zwangsverheiratungen reden.
Ich komme nun zu Fall B: Immer mehr junge Frauen
mit ausländischer Staatsangehörigkeit werden aus
Deutschland in ihr Herkunftsland verbracht, um dort un-
ter Zwang verheiratet zu werden. Ich hatte in meinem
Wahlkreis selber einen solchen Fall. Die Erfahrung, die
ich gemacht habe, ist, dass die Angelegenheit selbst
dann im Sande verläuft, wenn man sich einsetzt. Die
deutschen Botschaften oder Konsulate haben wenige
Möglichkeiten, Einfluss auf die offensichtlich lasche
strafrechtliche Verfolgung dieses Delikts in den betref-
fenden Ländern zu nehmen. Hier muss man, zum Bei-
spiel im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Tür-
kei, Druck auf die jeweiligen Regierungen ausüben,
damit sich da etwas tut.
Andererseits müssen wir in Deutschland der Tatsache
ins Auge sehen, dass diese „Exportbräute“ mit der Ver-
schleppung nach einem halben Jahr auch ihren gesicher-
ten Aufenthaltstitel in Deutschland verlieren, selbst
wenn sie seit ihrer Geburt in Deutschland gelebt haben
und hier gut integriert waren. Oft wird ihnen auch der
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an sollte zum Beispiel über § 51 Abs. 1 und § 37 des
ufenthaltsgesetzes diskutieren.
Grundsätzlich scheint es mir notwendig zu sein, die
ituation der Opfer stärker in den Mittelpunkt der Dis-
ussion zu stellen. Da gebe ich all meinen Vorrednerin-
en Recht. Der Antrag der Grünen hat diesbezüglich ja
iniges, was wir in der letzten Legislaturperiode gemein-
am diskutiert haben, aufgenommen.
Zu einem guten Opferschutz gehören Beratungsan-
ebote und anonyme Schutzeinrichtungen. Hier sind die
änder und Kommunen genauso wie bei der Bildung der
etroffenen in der Pflicht. Das A und O ist aber eine
reite und aufklärende Informationspolitik,
ie alle Multiplikatoren aus Sozialarbeit, Bildungsein-
ichtungen, Polizei und Justiz einschließt. Die Informa-
ionspolitik muss ebenso – damit komme ich zurück auf
iesen ärgerlichen Artikel in „Hürriyet“ – die Migran-
enszene einbeziehen.
Für vorbildlich halte ich auch einen auf Türkisch er-
chienenen Flyer des Bezirksamts Kreuzberg, der mir
eute auf den Tisch kam. Er enthält eine Liste der Bera-
ungs- und Zufluchtseinrichtungen in Berlin und spricht
en jungen Frauen Mut zu, sich gegen Zwangsverheira-
ungen zur Wehr zu setzen. Er beginnt mit dem Satz:
Sag Nein zur Zwangsverheiratung! Niemand darf
Dich gegen Deinen Willen verheiraten, nicht in der
Türkei, nicht in Albanien, nicht im Libanon, nicht
in Asien, nicht in Afrika und auch nicht in Deutsch-
land. Nirgendwo.
aran sollten wir uns halten. Daran sollten wir arbeiten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion
ie Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
nd Kollegen! Es herrscht Einigkeit bei dem Thema
wangsheirat. Zwangsheirat ist ein Verstoß gegen das
enschenrecht auf die freie Wahl des Ehepartners und
reift grundlegend in die körperliche und seelische Inte-
rität der Betroffenen ein. Eine freiheitliche Rechtsord-
ung kann das nicht akzeptieren.
552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Sevim Dagdelen
Es ist allerdings ein großer Unterschied, ob man wieder
nach Strafrechtsverschärfung ruft oder ob man über Tra-
ditionen, die in einer freiheitlichen Gesellschaft unange-
bracht sind, einen öffentlichen Diskurs führt mit dem
Ziel, dass die Akteure Einsicht gewinnen und ihr Verhal-
ten freiwillig ändern.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, Zwangsverheiratun-
gen als eigenen Straftatbestand einzuführen. Auch der
uns vorliegende Antrag der Grünen geht mit der Forde-
rung nach Prüfung weiter gehender strafrechtlicher Maß-
nahmen in eine ähnliche Richtung.
Die geführte Debatte mit dem Fokus auf das Strafrecht
birgt die Gefahr, eine Bevölkerungsgruppe zu diskrimi-
nieren und ihr pauschal kulturelle Rückständigkeit zu
unterstellen. Es ist vielmehr eine gesellschaftliche
Debatte notwendig, die nicht dazu führen darf, die hier
lebenden Menschen, die kulturellen Minderheiten, ins-
besondere Muslime, zu stigmatisieren.
Zwangsheirat geschieht immer in patriarchalischen Ge-
sellschaftsverhältnissen bzw. Geschlechterverhältnissen
und autoritären Familienstrukturen, die kulturell über-
greifend sind.
Ich habe leider den Eindruck gewonnen, dass es in der
Debatte nicht primär darum geht, die Situation der Be-
troffenen wirklich zu verbessern.
Wenn dem so wäre, hätten die Verfasser des Koalitions-
vertrags und auch die rot-grüne Regierung in den letzten
sieben Jahren statt auf eine Strafrechtsverschärfung auf
eine aufenthaltsrechtliche Verbesserung gesetzt. Sie hät-
ten finanzielle Mittel zur Aufklärung und Prävention
vorgesehen und den Willen zum Ausdruck gebracht, die
Zusammenarbeit mit Frauen- und Migrantenorganisatio-
nen zu suchen. Davon ist kaum ein Wort zu lesen.
– Abwarten!
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bietet dage-
gen eine Reihe von positiven und auch konkreten Forde-
rungen, die wir an dieser Stelle wirklich ausdrücklich
unterstützen. Längst überfällig ist nämlich die Verbesse-
rung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen für
Migranten.
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Wir als Fraktion Die Linke fordern die Bundesregie-
ung deshalb auf, in Zusammenarbeit mit Frauen- und
igrantenorganisationen sowie Beratungsstellen einen
ktionsplan zur Bekämpfung von Zwangsverheira-
ung zu erarbeiten. Im Vorfeld dazu sollten die beteilig-
en Ausschüsse eine Anhörung durchführen.
Inwieweit die Regierung auch Verbesserungen der
ufenthaltsrechtlichen Bestimmungen vorsieht, wird
etztlich Gradmesser dafür sein, Frau Noll und Frau
raf, wie ernst es der großen Koalition mit ihrem Anlie-
en wirklich ist.
Ich bedanke mich.
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede in diesem Ho-
en Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich, wünsche
hnen persönlich und für Ihre Arbeit in diesem Hohen
ause alles Gute.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/61 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatz-
unkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 553
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Gegen eine europaweit verpflichtende Vorrats-
datenspeicherung
– Drucksache 16/128 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck , Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Freiheit des Telefonverkehrs vor Zwangsspei-
cherungen
– Drucksache 16/237 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat begin-
nen: Wir bekräftigen unsere bereits bei Novellierung des
Telekommunikationsgesetzes zum Ausdruck gekom-
mene Ablehnung einer Mindestspeicherungsfrist für
Verkehrsdaten und fordern die Bundesregierung auf, ei-
nen etwaigen Beschluss in den Gremien der Europäi-
schen Union, der eine solche Verpflichtung für Unter-
nehmen in Deutschland vorsähe, nicht mitzutragen.
Meine Damen und Herren, das ist kein Beschluss von
ein paar von dem einen oder anderen vielleicht als
durchgeknallt eingeschätzten Datenschützern. Das ist
auch kein Beschluss des FDP-Kreisverbandes Düssel-
dorf. Das ist der Beschluss des Deutschen Bundestages,
kein Jahr alt. Wir haben das am 22. Dezember 2004 be-
schlossen und diskutieren heute darüber, was daraus in
Brüssel leider geworden ist.
Was ist denn das Ergebnis? Nach der Abstimmung im
Europäischen Parlament in dieser Woche werden in Zu-
kunft 450 Millionen Bürger anlassunabhängig beim
Telefonieren – sei es mit dem Handy oder über das Fest-
netz – und auch bei jeder Bewegung im Internet über-
wacht.
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o stelle ich mir einen Rechtsstaat, der auch den Bürger-
echten verpflichtet ist, nicht vor.
Die Telekommunikationsanbieter werden verpflich-
et, alle diese Daten für mindestens ein halbes Jahr zu
peichern – es können aber auch 24 Monate oder länger
ein; mal schauen, was passiert. Damit Sie nur einmal
erstehen, was das für eine Masse an Daten ist: Das
ind 639 000 gebrannte CDs jeden Tag. Das sind im Jahr
33 Millionen Datenträger. Wenn Sie diese nebeneinan-
er aufstellen, dann ergäbe das eine Breite von
16 Kilometern. Glauben Sie im Ernst, dass das effektiv
ein kann?
Das ist aber beschlossen worden. –
as sind nur die Mindestzahlen. Das ist im Übrigen auch
twas, was mit Datensparsamkeit nach dem Bundes-
atenschutzgesetz wirklich nichts mehr zu tun hat.
Es geht aber nicht nur um die Frage der Masse, son-
ern auch um die Frage der Kosten. Diese Richtlinie
ird dem Wirtschaftsstandort Deutschland erheblich
chaden. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf
50 Millionen Euro. Diese Kosten müssen nach dem er-
lärten Willen der Bundesregierung von den Unterneh-
en gezahlt werden.
Der Bundesinnenminister sagt dazu sogar, das seien
taatsbürgerliche Pflichten. Meine Damen und Herren,
ch wundere mich wirklich, was aus einem ehemaligen
undesvorsitzenden einer wirtschaftsnahen Partei ge-
orden ist, wenn er sich so verhält.
ch habe mir staatsbürgerliche Pflichten ehrlich gesagt
mmer etwas anders vorgestellt; aber er wird mir das
ielleicht im Einzelnen erklären können.
Frau Ministerin Zypries hat die Richtlinie sogar mit
en Worten begrüßt, dass sie den deutschen Interessen
ugute komme. Ich habe nicht verstanden, was das mit
nserem Beschluss zu tun hat, der ja zumindest für die
rste Zeit ihrer Verhandlungen noch gegolten hat. Ich bin
espannt, wie die Bundesregierung diese Richtlinie jetzt
msetzen wird und ob sie tatsächlich bei der Mindest-
auer bleibt.
Ich habe hier schon vieles erlebt. Die Überlegung, dass
an bei der einen oder anderen EU-Richtlinie draufsat-
elt, kennen Sie von Rot-Grün nun wirklich gut genug.
554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Gisela Piltz
Heute Nachmittag haben wir über das Zollfahndungs-
dienstgesetz und auch über das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zur präventiven Telefonüberwachung ge-
sprochen. Hier haben wir jetzt eine präventive
Datensammlung für alle unsere Bürger. Das halten wir
Liberale nicht für richtig und für nicht mit dem Grundge-
setz vereinbar.
Das bedeutet aus unserer Sicht einen schwerwiegenden
Eingriff in Grundrechte insbesondere absolut rechts-
treuer Bürger. Auch das dürfen Sie nicht vergessen.
Mit diesem Vorgehen setzen Sie den Begriff der Ver-
hältnismäßigkeit wirklich außer Kraft; denn wer kann ei-
gentlich noch beurteilen, was verhältnismäßig ist: sechs
Monate, zwölf Monate, fünf Jahre, zehn Jahre? Das kann
leider keiner von uns mehr beurteilen. Es hätte Metho-
den gegeben, die weniger einschneidend gewesen wären.
Das ist offensichtlich überhaupt nicht diskutiert worden.
Auch diese Kritik richte ich an die Bundesregierung.
Ein weiterer Punkt, der für uns wichtig ist: Wie wol-
len Sie eigentlich noch die Pressefreiheit garantieren,
wenn Sie das umsetzen? Denn natürlich sind Mandan-
tenschutz und Informantenschutz dann überhaupt nicht
mehr gegeben. Auch da sind wir gespannt. In der Ver-
gangenheit ist die rot-grüne Bundesregierung ein biss-
chen lax mit diesem Thema umgegangen. Wir wollen
einmal schauen, was hier passiert.
Wir sind leider eines Besseren belehrt worden.
– Ich diskutiere heute mit Ihnen. – Ich dachte nämlich,
dass es in Deutschland so ist, dass jemand, der im Inter-
net surft, ein Recht auf Privatheit hat. Ich stelle aber fest:
Privatheit wird ein Luxus. Sie haben in Brüssel zu dieser
Kontinuität in der Rechtspolitik beigetragen. Kontinuität
heißt hier aber leider Abbau von Bürgerrechten.
Noch nie in der Geschichte hat es in so kurzer Zeit einen
solch starken Abbau von Bürgerrechten gegeben.
Wir Liberale wollen Sie daran erinnern, dass das
Grundgesetz Maßstab des Handelns des Parlaments ist.
Daran sollten Sie sich alle halten. Es geht um ein Gleich-
gewicht zwischen Freiheit und Sicherheit unter Berück-
sichtigung anerkannter Verfassungsgrundsätze. Es tut
mir Leid, wenn ich Sie daran erinnern muss. Ich befinde
mich dabei in guter Gesellschaft mit dem Bundesverfas-
sungsgericht.
Ihr Beitrag in Brüssel, aber auch Ihre Koalitionsver-
einbarung, in der das Wort Bürgerrechte nicht ein einzi-
ges Mal vorkommt,
lassen uns nichts Gutes ahnen.
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Frau Kollegin, ich muss Sie ermahnen, auf die Rede-
eit zu achten.
Frau Präsidentin, meine letzte Bemerkung. „Mehr
reiheit wagen!“, das würden wir uns in diesem Bereich
nsbesondere von der großen Koalition wünschen.
ir sind gespannt, ob Sie den Mut dazu haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär der
ustiz, Alfred Hartenbach.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
nd Kollegen! Was ein Glück, dass es Frau Piltz und die
DP gibt. Ansonsten würde es in Deutschland in Sachen
echtsstaatlichkeit sofort duster.
Die Bundesregierung hat den Beschluss des Bundes-
ages ernst genommen und sie nimmt auch ihre Ver-
flichtung für Bürgerrechte ernst. Sie hat in Brüssel in
achen Vorratsdatenspeicherung lange, intensiv und
urchaus erfolgreich verhandelt.
Wir haben einen Kompromiss erreicht, mit dem wir
ufrieden sein können.
Sie auch, Herr Ströbele.
s ist uns gelungen, die Vorratsdatenspeicherung auf das
u reduzieren, was wirklich zur Bekämpfung von Terro-
ismus und Kriminalität erforderlich und angemessen ist.
Übrigens hat auch das Europäische Parlament mit
usnahme der Grünen, der Liberalen und anderer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 555
)
)
Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
– immerhin die beiden großen Volksparteien – gestern
mit großer Mehrheit diesem Kompromiss zugestimmt,
sodass die Richtlinie jetzt verabschiedet werden kann.
Man sollte sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass
Entwürfe der Kommission und einer Gruppe von vier
Mitgliedstaaten auf dem Tisch lagen, die erheblich wei-
ter gegangen wären als das jetzige Ergebnis.
Was haben wir erreicht? Die Mindestspeicherfrist
wird nach der Richtlinie sechs Monate betragen und
nicht zwölf oder 24 Monate, wie es in den Entwürfen
stand und wie Sie es, Frau Piltz, als Menetekel eben an
die Wand gemalt haben. Erfolglose Anrufversuche müs-
sen nicht gespeichert werden, es sei denn, es geschieht
bereits. Das war eines unserer wichtigsten Anliegen.
Denn die Speicherung dieser Daten wäre einerseits für
die TK-Unternehmen sehr teuer geworden und anderer-
seits gibt es in der Tat keinen Bedarf für die Speicherung
dieser Flut von Daten.
Ebenfalls nicht gespeichert werden müssen Standort-
daten am Ende von Mobilfunkverbindungen. Auch
das war gefordert worden. Ich denke, auch hier haben
wir ein großes Stück Rechtsstaatlichkeit erreicht, indem
nicht durch das Anlegen von engmaschigen Bewegungs-
profilen in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger ein-
gegriffen wird.
Beim Internet wird schließlich lediglich gespeichert,
dass sich der Nutzer online befindet. Es werden ebenfalls
Daten zur Internettelefonie und bezüglich der E-Mail-
Dienste gespeichert. Inhalte, wie immer behauptet wird,
also auch Informationen, welche Websites benutzt wer-
den, werden nicht gespeichert.
Der kritische Beschluss des Bundestages vom Januar,
nicht vom Dezember, hat uns bei den Verhandlungen in
Brüssel den Rücken gestärkt.
– Wir waren dankbar dafür; das weiß der Herr Tauss
auch. – Wir haben diesen Beschluss zur Grundlage unse-
rer Verhandlungsposition gemacht und uns dafür auf eu-
ropäischer Ebene sehr viel Kritik anhören müssen.
– Von dir, lieber Jörg, auch eine Menge Kritik. – Von den
Initiatoren der Vorratsdatenspeicherung haben wir ver-
langt, dass der Umfang der Speicherpflicht überdacht
und der Bedarf für die Speicherung der einzelnen Daten
rechtstatsächlich belegt wird.
Das ist auch geschehen. Wir brauchen Verbindungs-
daten zur Aufklärung von schwersten Straftaten und zur
Aufdeckung von organisierten Täterstrukturen.
Bei bestimmten Delikten – denken Sie etwa an den Inter-
nethandel mit Kinderpornographie, verehrter Herr
Ströbele – bieten die Verbindungsdaten oftmals sogar
den einzigen weiterführenden Ermittlungsansatz. Dass
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ie das die FDP in ihrem Antrag zu suggerieren ver-
ucht. Daraus folgt nur, dass eine entsprechende Rege-
ung vernünftigen Gemeinwohlbelangen dienen muss
nd dabei die Grenzen der Verhältnismäßigkeit einzuhal-
en sind. Beides ist hier gewährleistet.
Eine Totalverweigerung in Brüssel, so wie es die An-
ragsteller offenbar wollen, ist und war kontraproduktiv.
er von vornherein blockiert, wird auch nicht in Kom-
romissverhandlungen einbezogen und hat deshalb
eine Chance, die auf dem Tisch liegenden Entwürfe
itzugestalten und zu verbessern. Bei einer Blockade-
altung wären wir von der Mehrheit der anderen Mit-
lieder überstimmt worden, ohne dass es zuvor Zuge-
tändnisse in unsere Richtung gegeben hätte, so wie wir
ie jetzt in vollem Umfang erreicht haben. Vermutlich
ätte uns dann die FDP wieder vorgehalten, dass wir
icht vernünftig verhandelt hätten.
Lassen Sie mich abschließend eines sagen – Frau Prä-
identin, das ist mein letzter Satz; Sie brauchen nicht
treng zu schauen –: Natürlich haben wir diesem Kom-
romiss unter Parlamentsvorbehalt zugestimmt. Ich darf
chon jetzt versichern, dass wir zunächst einmal das Par-
ament in weiteren Beratungen mit dieser Richtlinie be-
assen werden und dass wir dann bei der Umsetzung der
ichtlinie alle rechtsstaatlichen Gesichtspunkte so be-
chten, wie Sie das in einem Rechtsstaat erwarten dürfen.
Vielen Dank.
556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Jan Korte, Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist für mich als Neuling der Linken besonders
bemerkenswert, dass die große Koalition offensichtlich
ausgerechnet die FDP, mit der ich ideologisch relativ
wenig zu tun hatte,
und die Linksfraktion in Sachen Demokratie zusammen-
schweißt. Denn – dies ist im Antrag der FDP richtig for-
muliert – der vorliegende Vorschlag einer Richtlinie ist
ein weiterer staatlicher Angriff auf die Privatsphäre und
bedeutet einen weiteren Abbau von Bürgerrechten. Je-
der, der ein Telefon benutzt, eine E-Mail schreibt, eine
SMS verschickt oder ins Internet geht, steht künftig de
facto unter Generalverdacht. Das ist entgegen der Mei-
nung der Kanzlerin weniger, nicht mehr Freiheit. Des-
wegen lehnen wir dies ab.
Einen Eingriff solchen Ausmaßes in das Fernmelde-
geheimnis und in die Privatsphäre hat es noch nicht ge-
geben. Es wurde schon angedeutet, dass auch die Pres-
sefreiheit dadurch beeinträchtigt wird, da niemand mehr
einen Quellen- und Informantenschutz gewährleisten
kann, außer man trifft sich auf einer dunklen Brücke im
Nebel, sofern diese nicht bereits videoüberwacht wird.
Es ist falsch, dass diese Eingriffe unter dem Deckmän-
telchen der Terrorbekämpfung erfolgen sollen; denn den
Beweis der Nützlichkeit wie auch den Nachweis des
konkreten Sinns und Zwecks der Vorratsdatenspeiche-
rung ist die Bundesregierung und sind auch Sie, Herr
Staatssekretär, uns schuldig geblieben.
Darüber hinaus ist die Maßnahme ein bürokratischer
Moloch und droht zu einem Milliardengrab zu werden.
Merkwürdig ist – damit komme ich auf meine Ein-
gangsbemerkung zurück –, dass sich ausgerechnet die
Linke und die FDP zusammenfinden müssen, um gegen
diesen weiteren Schritt zum Überwachungsstaat zu op-
ponieren. – Ich habe heute nach kurzer Zeit festgestellt,
dass ich umso mehr Recht haben muss, wenn Herr Tauss
dazwischen ruft.
Lassen Sie mich mit folgender Bemerkung schließen:
Wer wie ich stets den aufgeblähten Überwachungsappa-
rat der DDR kritisiert hat, kann nicht für die Vorratsda-
tenspeicherung sein. Die Linke immerhin hat aus der
Geschichte gelernt. Es ist schade, dass dies bei der gro-
ßen Koalition offensichtlich nicht der Fall ist. Mit den
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Bei dem Thema der Vorratsdatenspeicherung ist es
ichtig – das hat Frau Piltz richtigerweise gesagt –, die
alance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden, man
ann auch sagen: zwischen den berechtigten Interessen
er Bürger und der Strafverfolgungsbehörden nach Si-
herheit, den gesellschaftlichen Interessen und natürlich
uch den Interessen der Telekommunikationsunterneh-
en nach Gewinn und Wirtschaftlichkeit. Dabei kommt
s ganz entscheidend auf die Verhältnismäßigkeit der
aßnahmen an. Es ist völlig richtig: Keiner in diesem
ohen Hause will wahllos Datenberge anhäufen. Es geht
uch nicht darum, die Unternehmen zu entlasten oder
ar, wie Ihr Vorwurf lautete, über Gebühr zu belasten.
Um welche Daten geht es hier? Das, Frau Kollegin
iltz, habe ich in Ihrem Antrag ein bisschen vermisst.
an muss natürlich die Daten, um die es geht, exakt auf-
ühren, weil sonst in der Bevölkerung Ängste geschürt
erden, was wir nicht wollen und was aus meiner Sicht
uch verantwortungslos wäre. Es geht um Verkehrsda-
en, die Rückschlüsse auf Nutzer, Ort und Kommunika-
ionsstrukturen zulassen, also darauf, wer zu welchem
eitpunkt mit wem telefoniert bzw. kommuniziert. Die-
en Daten kommt bei der Ermittlung, Feststellung und
erfolgung von Straftaten eine ganz entscheidende Be-
eutung zu, zum einen wegen der neuen und in immer
tärkerem Maße genutzten Möglichkeiten der modernen
ommunikation und zum anderen, weil sich gerade der
elekommunikationsmarkt immer rasanter fortent-
ickelt und immer neue Geschäftsmodelle angeboten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 557
)
)
Dr. Martina Krogmann
werden. Stichworte sind hier die Internettelefonie und
die immer häufiger werdenden Pauschaltarife, also
Flatrates, nicht nur im Festnetz, sondern auch im Mobil-
funk.
Bei diesen Geschäftsmodellen besteht für Unterneh-
men überhaupt keine Veranlassung mehr, die Verkehrs-
daten, die ich vorhin angesprochen habe, für die Abrech-
nung zu speichern. Sie brauchen die Daten einfach nicht
mehr, weil die Kunden eben eine Pauschale zahlen, egal
wie oft und wie lange sie telefonieren. Angesichts der
heutigen Rechtslage in Deutschland hätten die Behörden
überhaupt keinen Zugriff auf diese Daten mehr, weil es
sie nicht mehr gibt. Insofern ist die Einführung von Min-
destspeicherpflichten bezüglich bestimmter Daten bei
Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit ein
berechtigtes Anliegen.
Ich bin froh, dass die Bundesregierung sich dafür auf
EU-Ebene erfolgreich eingesetzt hat. Dafür mein Dank,
Herr Staatssekretär Hartenbach.
Es ist richtig, sich in Europa auf einen Korridor zu ei-
nigen. Denn in Europa haben wir ein ganzes Sammelsu-
rium unterschiedlichster nationaler Vorschriften und
technischer Regelungen. Gerade der Bereich Telefonie/
Internet macht nicht an staatlichen Grenzen halt. Wenn
es uns um die Verfolgung und Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus geht, dann müssen wir internatio-
nal, vor allem europaweit, konsequent vorgehen. Der
Flickenteppich an unterschiedlichen Modellen, den wir
in Europa haben, erschwert dies. Deshalb brauchen wir
gesetzlich festgelegte Mindestspeicherfristen in diesem
Korridor.
Wichtig ist mir, dass wir nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit vorgehen. Für uns in der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion gelten eindeutige Prinzipien:
Es muss klar definiert sein, zu welchem Zweck die Da-
ten vorgehalten werden müssen, nämlich zur Ermittlung,
Feststellung und Verfolgung bestimmter Straftaten. Es
dürfen keinesfalls alle anfallenden Daten auf Vorrat ge-
speichert werden – diesen Eindruck erwecken Sie von
der FDP leider in Ihrem Antrag –, sondern nur ganz be-
stimmte Datentypen. Niemand will jeden Mausklick
oder den gesamten Internettraffic aufzeichnen.
Dies wäre unverhältnismäßig. Das würde einfach nur
Datenberge anhäufen. Das wollen wir nicht.
Um zur Versachlichung der Debatte beizutragen: Es
geht keinesfalls um die Aufzeichnung der Inhalte der
Kommunikation, sondern sowohl bei der Sprachtelefo-
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Ein Riesenerfolg. Ich bin dankbar, dass dies auch die
ollegen von der FDP so werten.
Der Herr Staatssekretär hat schon angesprochen, dass
ie Standortdaten bei Mobilfunkverbindungen nur für
en Beginn der Verbindung, nicht für ihr Ende gespei-
hert werden. Das war für unsere Fraktion ein ganz
558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005
)
)
Dr. Martina Krogmann
wichtiger Punkt in den Verhandlungen. Im Internet dür-
fen lediglich die Einwahldaten, IP-Adressen und Ver-
kehrsdaten zu E-Mails und Internettelefonie gespeichert
werden, ausdrücklich nicht Mausklicks und der gesamte
Internettraffic, weil dies unverhältnismäßig gewesen
wäre. So wird ein angemessenes Verhältnis zwischen
den sicherheitspolitischen Belangen, den gesellschaftli-
chen und den Unternehmensinteressen gewahrt.
Ich kann die Behauptung in dem Antrag der FDP, das
Kommunikationsverhalten der europäischen Bevölke-
rung werde lückenlos erfasst, vor dem Hintergrund des-
sen, was sich jetzt auf europäischer Ebene bewegt hat,
absolut nicht verstehen. Ich finde es grob fahrlässig,
wenn man auf diesem Wege versucht, bei den Bürgern
Ängste zu schüren. Sie stellen den Sinn der Vorratsda-
tenspeicherung ganz grundsätzlich infrage.
Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie
Ihre Redezeit bereits überzogen haben?
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Die FDP
begründet dies mit den Umgehungsmöglichkeiten, die
man im Internet hat. Natürlich kann sich jeder irgendwo
in ein Internetcafe setzen und versuchen, dies so anonym
wie möglich zu tun. Wer aber davon ausgeht, dass man
im Internet sowieso versuchen kann, anonym zu bleiben,
der erklärt das Internet zum rechtsfreien Raum im
21. Jahrhundert und kapituliert vor den Straftaten im In-
ternet. Wir lassen das nicht zu. In diesem Sinne werden
wir das, was auf EU-Ebene erreicht worden ist, unter-
stützen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-
dauere und verurteile, dass sich die Bundesregierung in
ihren Verhandlungen nicht an das eindeutige Votum des
Bundestages gehalten hat. Dieses Votum haben wir nicht
nur einmal als fraktionsübergreifenden Entschließungs-
antrag abgegeben, sondern auch im Rahmen des Tele-
kommunikationsgesetzes und bei der Zurückweisung der
Forderung des Bundesrats.
Ich finde, das ist schon ein ziemlich merkwürdiger
Vorgang. Andere EU-Staaten haben sich in dieser Frage
anders verhalten. Sie haben eindeutig erklärt, sie könn-
ten dem Kompromissvorschlag nicht zustimmen, weil
ihre Parlamente Vorbehalte angemeldet hätten. Wenn
uns die jetzige Bundesregierung auffordert
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ich habe sehr genau zugehört –, erst einmal dieser EU-
ichtlinie, die gegen diesen Beschluss verstößt, zuzu-
timmen, um als Bundestag dann bei der Umsetzung der
ichtlinie beteiligt zu werden, dann habe ich dafür we-
ig Verständnis.
Ich möchte die Argumente gar nicht wiederholen; auf
ie bürgerrechtlichen Gründe ist schon eingegangen
orden. In Zukunft werden wir die Kommunikationsda-
en von 400 Millionen EU-Bürgern langfristig spei-
hern. Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der deut-
chen Internetwirtschaft hat zum Verhalten der großen
oalition in Deutschland gesagt: Mit der Begründung,
erroristen zu jagen, speichert man jetzt nutzlose Daten
uf Kosten der Industrie. – Auch der Dachverband der
uropäischen Internetwirtschaft bringt ein sehr interes-
antes Argument an: Dadurch wird der globale Wettbe-
erb völlig verzerrt. Die Maßnahmen, die in Europa
ffensichtlich für die Terrorismusbekämpfung erfor-
erlich sind, belasten die gesamte europäische Internet-
irtschaft in hohem Maße und schädigen ihre Wettbe-
erbsfähigkeit. Aus diesem Grunde sage ich Ihnen:
olche Regelungen wären in den USA, wo es bekann-
ermaßen die größten Internetprovider gibt, nicht mög-
ich.
Noch kurz dazu, welche Regelungen zur Terrorismus-
ekämpfung es in Amerika gibt: Die US-Behörden ha-
en in begründeten Verdachtsfällen – also in Einzelfällen –
ie Möglichkeit, die Provider zu bitten, bestimmte Kun-
endaten zu speichern. Dann haben sie 90 Tage Zeit, um
eweise zu sammeln und per Gerichtsbeschluss die He-
ausgabe der Daten über eine bestimmte Person zu er-
irken. Das sind die Regelungen, die in den USA, selbst
m Zuge der Terrorismusbekämpfung, gelten.
Diese bürgerrechtsfreundlichen Regelungen wurden
n den USA möglich, weil die dortige Regierung auf die
rheblichen Nachteile für die Wirtschaft reagiert hat.
ch führe dieses Argument an, weil die große Koalition
uch angetreten ist, um die Bürokratie abzubauen und
ie Wirtschaft zu entlasten. Aber die Vertreter der deut-
chen Telekommunikationswirtschaft – das belegt eine
anze Reihe von Zitaten, die mir vorliegen – sind über
hr Verhalten entsetzt.
Lassen Sie mich zum Schluss – ich habe nur vier Mi-
uten Redezeit – deutlich sagen: Die Regierung kann
en Unternehmen, wenn es um die Frage der Entschädi-
ung geht, nun wahrlich nicht das Sammeln von Dateien
ür die Polizei auferlegen. Das ist nicht deren staatsbür-
erliche Pflicht, sondern bringt nur Ihre wirtschafts-
eindliche Haltung zum Ausdruck.
Ihr „Kompromiss“ – das sagen alle Bürgerrechtsorga-
isationen und alle Datenschützer – stellt einen massiven
ingriff in die freie Telekommunikation dar. Rot-Grün
at einmal von einer freien Informationsgesellschaft ge-
edet. Sie haben es allerdings geschafft, die überwachte
nformationsgesellschaft auf den Weg zu bringen. Mit
icherheit hat das Ganze nichts zu tun, sondern es ist in
ohem Maße bürgerrechtsfeindlich und wirtschafts-
eindlich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005 559
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Silke Stokar von Neuforn
Danke schön.
Der Kollege Dr. Peter Danckert, SPD-Fraktion, hat
seine Rede zu Protokoll gegeben. Deshalb schließe ich
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/128 und 16/237 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 16/237 – Zusatzpunkt 14 – soll
abweichend von der Tagesordnung zur Federführung an
den Rechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 16. Dezember 2005,
9 Uhr ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und al-
len Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schö-
nen Restabend.
Die Sitzung ist geschlossen.