Gesamtes Protokol
Guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf Sie bitten, einen Augenblick stehen zu bleiben.
Wir sind traurig und bestürzt über den Tod unseres Kol-
legen Dr. Werner Schuster, der am Mittwoch, dem
9. Mai, für die allermeisten von uns unerwartet, verstarb.
Werner Schuster wurde 1939 auf einer Farm in Tansania
geboren. In Deutschland studierte er Medizin und war viele
Jahre als Arzt im Gesundheitswesen tätig. Seit 1990 gehörte
er dem Deutschen Bundestag an. In der Entwicklungspolitik
wirkte er an hervorragender Stelle mit Kompetenz, mit Tat-
kraft und mit menschlicher Ausstrahlung sowie, geboren in
Tansania, mit einer besonderen Liebe zu Afrika. Sein Wesen
und sein Umgang mit den Menschen prägten auch das Bild
des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, dem er angehörte.
Auch in seiner Zeit als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages war Werner Schuster ununterbrochen im ärzt-
lichen Notfallvertretungsdienst tätig. Noch wenige Wochen
vor seinem Tode übernahm er wie selbstverständlich die
Aufgaben eines Rettungsarztes. Hilfe für Menschen in Not
war für ihn stets eine humanitäre Verpflichtung.
Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Ehefrau und den Kin-
dern. Ich spreche auch der sozialdemokratischen Bundes-
tagsfraktion mein Beileid aus. Wir werden Werner
Schuster in ehrender Erinnerung behalten.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plät-
zen erhoben; ich danke Ihnen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 8 der heutigen Ta-
gesordnung auf:
Vereinbarte Debatte zur Rentenpolitik
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Kol-
legen Franz Thönnes für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der Bundestag wird heute
einem guten Vermittlungsergebnis vom vergangenen
Dienstag aus dem Vermittlungsausschuss zustimmen, ei-
nem Vermittlungsergebnis, das, ergänzt um den Be-
schluss, den dieses Haus am 26. Januar dieses Jahres ge-
fasst hat, einen monatelangen Disput im Parlament zu
Ende bringt.
Heute wird hier ich gehe davon aus, auch im Bun-
desrat das letzte Teilstück in eine Brücke zwischen den
Generationen in Deutschland eingesetzt, eine Brücke, die
Generationengerechtigkeit gewährleistet, die Eigenvor-
sorge stärkt, die stabile Rentenversicherungsbeiträge
mit sich bringt, verschämte Altersarmut verhindert und
die die eigenständige Alterssicherung der Frauen verbes-
sern wird. Das ist eine gute Brücke in die Zukunft, das ist
eine gute Brücke für die Stabilisierung unseres Renten-
versicherungssystems, das ist eine gute Brücke, die den
gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken
wird.
Ich sage Dank an die beiden Vorsitzenden des
Vermittlungsausschusses, Herrn Blens von der CDU/CSU
und dem Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt
Hamburg, Herrn Ortwin Runde. Die vermittelnde Art von
Herrn Blens hat sicherlich mit zu diesem Ergebnis beige-
tragen und die konstruktiven Vorschläge von Herrn Bür-
germeister Runde zum Wohnungseigentum haben mit
dazu geführt, dass wir auf der Basis der Vorschläge, die
auch aus Rheinland-Pfalz gekommen sind, ein gutes Er-
gebnis erzielt haben.
Ich teile die objektive Einschätzung von Herrn Blens,
der gestern dem Tagesspiegel gegenüber gesagt hat, die
Regierung habe sich in wichtigen Bereichen bewegt und
habe wichtige Verbesserungen vorgenommen. Rot-Grün
habe nach seiner Ansicht zentrale Forderungen der Union
erfüllt. Herr Blens meint, die CDU-Partner in den großen
Koalitionen könnten der Reform in der Länderkammer
mit gutem Gewissen zustimmen. Ich bin mir sicher, das
macht heute auch dieses Haus.
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168. Sitzung
Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Dieser Tag wird ein guter Tag für die Rentenpolitik in
Deutschland sein. Erstmals findet eine Reform nicht in
der Systematik der bisherigen Alterssicherung statt. Es
wird vielmehr eine zweite Säule aufgebaut. Das schafft
Stabilität und Sicherheit wie auch individuelle Vielfalt in
der Rentenversorgung. Diese Regierung macht damit
deutlich: Stabilität, Solidarität und Individualität sind
keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille,
wenn es um eine vernünftige Zukunftssicherung unseres
Sozialstaates geht.
Es gab vier Vermittlungsausschussrunden und fünf
Arbeitsgruppenrunden, in denen nach einem Kompromiss
gesucht werden sollte. Ganz am Anfang wurde aber schon
deutlich, dass die Union eine Blockadehaltung an den Tag
legt und dass es ihr um nichts anderes ging, als dieses
Thema in den Wahlkämpfen in Rheinland-Pfalz und Ba-
den-Württemberg zu missbrauchen. Schon damals hat der
Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versiche-
rungswirtschaft, Herr Michaels, die Union gewarnt, die
Opposition dürfe die zukunftsweisende Richtung der Re-
form der Renten nicht zum Gegenstand eines schmutzi-
gen Wahlkampfes machen.
Sie haben im Wahlkampf Ängste bei älteren Frauen und
Eigenheimbesitzern geschürt. Das war unredlich, verlo-
gen und schäbig. Sie haben zu Recht nicht gewonnen.
Die Herausforderungen für die Rentenversicherung
sind groß; das wissen wir. Die Lebenserwartung steigt
um zwei Jahre. Wir werden in gut 30 Jahren die Situation
haben, dass auf 1,5 Beschäftigte ein Rentner kommen
wird. Heute beträgt das Verhältnis noch 3:1. Es müssen
also Kompromisse zwischen den Generationen gefunden
werden. Beide Generationen müssen entsprechend ihrer
Leistungsfähigkeit die Lasten tragen. Ich bin froh, dass
die Länder Berlin und Brandenburg diesen vernünftigen
Weg gehen und sich nicht an die Kandare der Parteizen-
trale nehmen lassen. Auch Herr Diepgen hat nach den er-
heblichen Verbesserungen wie er sagt nun Anlass für
die Zustimmung seines Landes.
Man muss deutlich machen, dass wir uns aufeinander
zu bewegt haben. Das gilt auch für die Regelung bei der
Hinterbliebenenversorgung für die Frauen. Der Ren-
tenversorgungsatz sinkt zwar von 60 auf 55 Prozent. Aber
gleichzeitig wollten wir einen Ausgleich schaffen, indem
wir die Kindererziehungszeiten stärker anerkennen und
einen Entgeltpunkt pro Kind dazugeben. Sie haben diese
Regelung von Ihrer Seite kritisiert. Wir haben die Kritik
aufgenommen und nun zwei Entgeltpunkte für das erste
Kind vorgesehen, sodass die Frauen im Alter keine Nach-
teile gegenüber der jetzigen Regelung haben, wenn sie
Witwenrente beziehen.
Wir haben ebenfalls gewährleistet, dass der Freibetrag
dynamisiert wird und dass auch damit die Ziele stabilisiert
und unterstützt werden, die wir mit unserer Politik verfol-
gen: Wir wollen die eigenständige Alterssicherung der
Frauen stärken und stabilisieren. Wir wollen auch den Ver-
änderungen in der Gesellschaft Rechnung tragen, wenn es
darum geht, mehr Frauen in Beschäftigung zu bringen.
Man muss deutlich sagen: Von dieser Regelung der
Hinterbliebenenversorgung sind die heutigen Rentnerin-
nen und Rentner nicht betroffen. Auch die über 40-Jähri-
gen sind nicht betroffen. Die unter 40-Jährigen haben die
Möglichkeit, eine eigenständige Altersversorgung aufzu-
bauen. Wir haben ein anderes Bild von Frauen in der Ge-
sellschaft als Sie von der Opposition.
Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ge-
währleisten. Wir wollen nicht, dass die Frauen am Herd
stehen, wie Sie es wollen.
Sie haben vorgeschlagen, dass der Sonderausgaben-
abzug verringert und begrenzt werden soll, weil Sie be-
fürchten, dass die oberen Einkommen bei der Altersvor-
sorge zu stark entlastet und gefördert werden. Wir sind
darauf eingegangen. Wir haben den Sonderausgabenabzug
begrenzt. Wir haben das Verwaltungsverfahren vereinbart
und was wichtig ist wir haben jetzt das Wohnungs-
eigentum mit in die Altersversorgung einbezogen. Wir ha-
ben eine Gleichgewichtung hergestellt. Es wird nun mög-
lich sein, einerseits eine private Altersvorsorge aufzubauen
und andererseits zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn
man sich für das Bauen entscheidet, auch Kapital aus dem
Altersvorsorgestock herauszunehmen, um es zur Finan-
zierung als Eigenkapital für das Haus zu nutzen und da-
durch, dass man es zurückzahlt, am Ende beides zu haben:
eine Altersversorgung und das Wohnungseigentum. Ich
denke, das ist eine gute Kombination. Das ergänzt die pri-
vate Altersvorsorge um eine dritte Säule, nämlich um das
Wohnungseigentum.
Wir haben die Grundsicherung im Alter verbessert. Wir
sind auf die Forderungen eingegangen und sagen den
Ländern und Kommunen, die zusätzlichen Kosten von
800 Millionen DM werden vom Bund übernommen. Wir
sind auch darauf eingegangen und haben gewährleistet,
dass hohe Einkommen nicht vom Unterhaltsrückgriff be-
freit werden.
Was aber ganz zentral wichtig ist: Verschämte Armut
im Alter, insbesondere für Frauen, der Gang zum Sozial-
amt bei einer kleinen Rente, das wird jetzt vermieden. Das
ist der wirklich starke Erfolg dieser Reform.
An dieser Stelle wird Ihre ganze Argumentation, dass
diese Reform frauenfeindlich sei, verlogen und unredlich.
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70 Prozent derjenigen, die aufgrund ihrer kleinen Rente
Sozialhilfe beantragt haben, sind Frauen. Mit der Grund-
sicherung wird dies in Zukunft nicht mehr notwendig
sein. Gerade Frauen profitieren an dieser Stelle sehr deut-
lich von unserer Reform.
Sie sind nun in einer Situation, nach den Verhand-
lungsrunden in der Öffentlichkeit sehr deutlich erklären
zu müssen, dass Sie allein stehen. Herr Repnik hat be-
schrieben, dass Ihnen das unheimlich schwer fällt. Das
kann hier jeder nachvollziehen. Die Koalition hat sich be-
wegt. Die Regierung hat sich bewegt. Auf viele Kri-
tikpunkte ist eingegangen worden.
Auch aus der Wirtschaft kommt Kritik an Ihrer Blocka-
dehaltung. Der Einstieg in die kapitalgedeckte Alters-
vorsorge darf nicht am Widerstand des Bundesrates
scheitern, mahnt der Präsident des Deutschen Industrie-
und Handelstages, Ludwig Georg Braun. Die Versiche-
rungsverbände und die Verbände der Wohnungswirtschaft
fordern ein Votum, das diese Reform möglich macht.
Das, was Sie bei den Verhandlungen praktiziert haben,
war eine Nimmersattpolitik. Sie haben immer mehr gefor-
dert, Sie wollten nicht deutlich bekennen, wie weit Sie be-
reit sind, sich durch einen Kompromiss auf uns zu zu bewe-
gen. Und der Höhepunkt ist: Alle Ihre Forderungen, die Sie
erhoben haben, hätten wenn man sie einmal unter dem
Strich bewertet ein zusätzliches Finanzvolumen von über
40 Milliarden DM notwendig gemacht. Was Sie versucht
haben, ist in finanzpolitischer Sicht verantwortungslos; es
ist verantwortungslos für die Generation, die in Deutsch-
land Sicherheit haben will für die Zukunft ihrer Rentenge-
staltung, und es war am Ende auch noch verlogen.
Diese Rentenreform, über die jetzt hier im Deutschen
Bundestag und heute Mittag im Bundesrat entschieden
wird, wird langfristig dafür sorgen, dass die Menschen
wieder Vertrauen haben, dass die Menschen Ver-
lässlichkeit finden.
Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie versuchen, dies zum
Wahlkampfthema der nächsten Jahre zu machen, dann
werden die Menschen sehr schnell erkennen, dass sich da-
hinter viel heiße Luft verbirgt. Sie werden fragen, was Sie
in Ihrer Regierungszeit für die Rentensicherung getan ha-
ben, und Sie werden die gleiche Quittung bekommen, die
Sie vor zweieinhalb Jahren erhalten haben.
Ich erteile
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Horst
Seehofer.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Vertrauen und Sicher-
heit schaffen, das war das Ziel zu Beginn dieser Renten-
reformdiskussion.
Was daraus geworden ist, umschreibt am besten heute die
Berliner Zeitung:
So wurde ein Reformprozess daraus, der mit chao-
tisch noch liebevoll umschrieben ist. Wer den
Überblick verliert, kann kein Vertrauen des Bürgers
erwarten weder in die staatliche Altersversorgung
noch in die Bundesregierung selbst. Die Verantwor-
tung für dieses verkorkste Projekt trägt der Sozialmi-
nister.
Nicht eine tragfähige Rentenreform, sondern eine Mo-
gelpackung, eine Reformruine ist das Ergebnis dieser ein-
einhalb Jahre.
Deshalb lehnen wir diese Reform ab. Wir befinden uns
dabei in voller Übereinstimmung mit der Bevölkerung.
Nach allen Umfragen lehnen drei Viertel der Bevölkerung
diese Rentenpolitik der Bundesregierung ab. In der Tat:
Wer diese Rentenreformdiskussion miterlebt hat, der
kann nur von einer unendlichen, chaotischen Geschichte
reden, von einer unendlichen Geschichte der Tricksereien.
Symptomatisch dafür ist die Diskussion um die Wit-
wenrenten. Seit Monaten kritisieren und geißeln wir die
unsozialen Kürzungen, die Herr Riester bei den Witwen-
renten vorhatte. Seit Monaten wird gesagt, das sei alles
nicht finanzierbar, das stimme alles nicht. Der Höhepunkt
fand statt im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg
und Rheinland-Pfalz. Herr Riester, da haben Sie einige In-
terviews gegeben. Sie haben gesagt: Die Kampagne der
Union, dass Frauen bei der Reform benachteiligt werden,
ist verlogen. Das war zwei Tage vor der Wahl in Baden-
Württemberg und Rheinland-Pfalz.
In der nächsten Woche werden wir das, was wir seit
Monaten fordern, nämlich die Rücknahme der unanstän-
digen Kürzungen bei der Witwenrente, hier im Deutschen
Bundestag auf Vorschlag von Herrn Riester beschließen.
Deshalb, meine Damen und Herren: Nicht die Union hat
gelogen; vielmehr hat ein einziger Mensch monatelang
der Bevölkerung die Unwahrheit gesagt, sie hinters Licht
geführt. Das waren Sie, Herr Minister Riester.
Jetzt kommt Ihr Eingeständnis, dass es unsoziale Kür-
zungen bei der Witwenrente gibt, und Sie schlagen vor,
dass sie zurückgenommen werden. Was eine Welturauf-
führung ist: Bevor die Rentenreform überhaupt in Kraft
tritt, werden wir nächste Woche bereits eine erste Ände-
rung hier im Deutschen Bundestag beraten und be-
schließen. Das haben wir auch noch nicht erlebt.
Nun lese und höre ich immer, bei diesem Entgegen-
kommen müsse doch die Union jetzt zustimmen. Ich bin
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schon sehr erstaunt, was da als Entgegenkommen defi-
niert wird. Da fällt ein Sozialminister wie ein Sozialräu-
ber über die Witwenrenten her
und streicht sie rücksichtslos zusammen. Dann wird er auf
frischer Tat ertappt und muss seine Beute wieder raus-
rücken. Und die Opfer sollen sich bei ihm bedanken, dass
sie ihn beim Rentenklau erwischt haben! Das ist Walter
Riester.
Man kann doch nicht von einem Entgegenkommen reden,
wenn jemand, der unanständige Kürzungen durchführt,
diese unanständigen Kürzungen auf unseren Druck und
auf öffentlichen Druck hin wieder zurücknimmt. Es ist
eine pure Selbstverständlichkeit, Unsoziales wieder
zurückzunehmen, kein Entgegenkommen.
Die gesetzliche Rente und die Privatrente sind Zwil-
linge. Das eine ist auf das andere angewiesen. Die private
Vorsorge kann nicht funktionieren, wenn die gesetzliche
Rente nicht tragfähig ist. Die gesetzliche Rente ist mit
ihren Kürzungen nicht verantwortbar, wenn es nicht zu ei-
ner zukunftsträchtigen privaten Vorsorge kommt. Deshalb
gehören diese beiden Dinge, die gesetzliche Rente und die
Privatrente, zusammen. Sie haben sie in der politischen
Beratung künstlich getrennt. Aber politisch und für die
Menschen gehören beide Elemente zusammen. Deshalb
ist für unsere Beurteilung, ob wir eine solche Alters-
sicherung mittragen oder nicht, eine Gesamtbetrachtung
notwendig.
Ihre Vorstellung von einer gesetzlichen Rente lehnen
wir, auch heute, aus drei wesentlichen Gründen ab.
Die gesamte Statik dieser Rentenreform stimmt nicht.
Der Beitragssatz, der langfristig mit 22 Prozent prognos-
tiziert wird, wird eher bei 24 bis 25 Prozent landen.
Der Chefberater der Bundesregierung, Professor
Rürup, Vorsitzender des Sozialbeirates, hat in einem In-
terview sogar gesagt, die Menschen sollen sich vom Ren-
tenniveau nicht blenden lassen. Das sagt der Vorsitzende
des Sozialbeirates der Bundesregierung!
Der Beitragssatz wird also nicht bei 22 Prozent, son-
dern bei 24 oder 25 Prozent liegen. Das immer wieder
propagierte Rentenniveau von 67 Prozent wird in Wahr-
heit bei 64 Prozent liegen, während es heute noch bei
70 Prozent liegt. Es wird also um 6 Prozentpunkte ge-
senkt. Darüber hinaus muss man wissen, dass dieser Bei-
tragssatz von 24 oder 25 Prozent um weitere 8 Prozent
höher liegen müsste, wenn es nicht massive Zuwendun-
gen an die Rentenversicherung aus Steuermitteln gäbe.
Für alle, die heute 20, 30 oder 40 Jahre alt sind, ergibt sich
durch diese Rentenreform, dass sie jedes Jahr mehr in die
gesetzliche Rentenversicherung einbezahlen, daraus aber
immer weniger erhalten. Herr Riester, das ist das Ergeb-
nis Ihrer Rentenpolitik. Sie tragen dazu bei, dass der Ge-
nerationenvertrag zukünftig sehr unfair ist, und zwar für
die jungen Menschen, für die Sie den Generationenver-
trag eigentlich sichern wollten. Das Ergebnis der Rege-
lungen ist, dass die heute 20-, 30- und 40-Jährigen in den
nächsten Jahren immer mehr einbezahlen und später im-
mer weniger bekommen. Dass darauf die junge Genera-
tion nur noch deprimiert und zynisch reagiert, darf uns
nicht wundern.
Durch Ihre Reform der Alterssicherung haben Sie die
Generationengerechtigkeit massiv mit Füßen getreten.
Sie sagen immer, die Bestandsrentner, also die Rentnerin-
nen und Rentner, die bereits heute eine Rente erhalten,
seien durch diese Rentenreform überhaupt nicht betrof-
fen. Auch hier wird der Bevölkerung die Wahrheit vor-
enthalten. Wir haben nach der letzten Bundestagswahl er-
lebt, dass entgegen der Zusicherung des Bundeskanzlers
die Renten von der Wohlstands- und Lohnentwicklung
abgekoppelt wurden. Man muss daran erinnern, dass sich
der Bundeskanzler für diesen Wortbruch in der Öffent-
lichkeit entschuldigt hat.
Aus der jetzigen Rentenreform ergibt sich, dass auch
nach der nächsten Bundestagswahl die Rentenanpassun-
gen in mehreren Stufen um 4 Prozent gekürzt werden. Es
ist also schlicht falsch, wenn immer gesagt wird, die Rent-
ner seien von dieser Rentenreform überhaupt nicht be-
troffen.
Die Rentenanpassungen werden um 4 Prozent gekürzt.
Die Bundesregierung hat aber offensichtlich Angst vor
der Wahrheit und vor der Bevölkerung; denn sie beginnt
mit diesen Kürzungen exakt ein Jahr nach der nächsten
Bundestagswahl. Das ist die Fortsetzung des Schwindels
bei der letzten Bundestagswahl 1998. Das werden wir der
Bevölkerung sagen.
Sie haben die Rentenformel mit der Folge geändert,
dass die Rentenanpassungen auch bereits die aktuellen
geringer ausfallen. Gemeinsam mit der auch von Ihnen zu
verantwortenden Inflationsrate ergibt sich die Situation,
dass im letzten Jahr die Rentenanpassung deutlich unter
der Preissteigerungsrate lag. In diesem Jahr werden die
Rentenanpassungen durch die Preissteigerungsrate zu-
mindest aufgezehrt. Es ist das Ergebnis Ihrer Rentenpoli-
tik, dass die Rentnerinnen und Rentner an der allgemei-
nen Wohlstandsentwicklung nicht mehr teilhaben,
sondern die Renten durch die von Ihnen zu verantwor-
tende Änderung der Rentenformel und durch die höhere
Inflationsrate während Ihrer Regierungszeit an Wert ver-
loren haben. Die Rentner haben weniger.
Meine Damen und Herren, diese Preissteigerung haben
im Wesentlichen Sie mitinitiiert; denn neben dem Ren-
tenversicherungsbeitrag gibt es einen weiteren Renten-
beitrag, nämlich den an der Tankstelle, den die Arbeitslo-
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sen, die Familien und die Arbeitnehmer in Form der Öko-
steuer bezahlen müssen.
Sie haben in die Taschen der Rentner gegriffen und ge-
ben den 20-, 30- und 40-Jährigen keinerlei Perspektive.
Wo immer man hinkommt, hört man von den jungen Leu-
ten, dass sie dieser Form der Alterssicherung nicht ver-
trauen und nicht damit rechnen, aus dieser Rentenversi-
cherung etwas zurückzubekommen. Sie haben wichtige
Probleme einfach ausgeklammert, zum Beispiel die
gleichmäßige Besteuerung der Alterseinkünfte. Zu die-
sem Punkt erwarten wir in diesem Jahr ein Grundsatzur-
teil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses wird dann den
Auftakt zur nächsten Rentenreform bilden. Sie haben völ-
lig negiert, dass das Bundesverfassungsgericht vor weni-
gen Wochen im Zusammenhang mit der Pflegeversiche-
rung entschieden hat, dass die Kindererziehungszeiten bei
der Bemessung des Beitrages zur Sozialversicherung zu
berücksichtigen sind. Die Gesetzgebungsorgane müssen
den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen, in-
dem sie prüfen, ob nicht auch bei der Bemessung des Bei-
trages zur Rentenversicherung die Kindererziehungszei-
ten berücksichtigt werden müssen.
All dies haben Sie ausgeblendet. Sie haben ungerecht
gehandelt, Probleme ausgeklammert und nicht aufgegrif-
fen. Deshalb stimmt der Satz: Nach der Reform heißt bei
Riester vor der Reform. Wir werden in der nächsten Wo-
che mit der nächsten Reform beginnen.
Auch wir halten es für erforderlich, dass die gesetzliche
Rente durch private und betriebliche Vorsorge ergänzt
wird. Doch anstatt diese gute Grundidee fundamental zu
vereinfachen, hat Herr Riester sie maximal kompliziert. Ich
finde kaum noch jemanden, der erklären kann, was bei der
privaten Vorsorge und der betrieblichen Altersvorsorge wie
geregelt ist. Es ist eine gigantische Bürokratie. Allein die
Tatsache, dass man zwei Behörden einrichten muss, um die
Privatvorsorge abzuwickeln, zeigt, um welch ein bürokra-
tisches Monstrum es sich handelt. Hinsichtlich einer
Behörde haben Sie schon zugegeben, dass 1 000 Planstel-
len benötigt würden; wenn diese Regierung von 1 000 Stel-
len spricht, dann können wir getrost davon ausgehen, dass
es im Laufe der Zeit die doppelte Anzahl werden wird.
In diesem Zusammenhang interessiert mich die Posi-
tion der Grünen zu der Perspektive, dass künftig bei einer
Zentralstelle in Berlin alle persönlichen Daten über die
Einkommenssituation von Zulageempfängern gesammelt
werden und diese Zentralstelle die Daten mit den Melde-
behörden, mit den Rentenversicherungsträgern, mit den
Kindergeldkassen und den Finanzämtern abgleichen
muss. Wo bleibt eigentlich die Bürgerrechtspartei Die
Grünen, wenn es darum geht, einen solchen bürokrati-
schen Wahnsinn einmal zu hinterfragen?
Das ist die Perfektion des Irrsinns: Niemand blickt
mehr durch, die Bürokratie wird gigantisch aufgebläht.
Dabei wäre es ganz einfach: Sagen wir doch den Men-
schen, dass private Vorsorge notwendig ist, um einen an-
gemessenen Lebensunterhalt im Alter zu haben. Unter-
stützen wir die Kleinverdiener und die Familien mit
Zulagen und Steuerfreibeträgen, damit sie die private Vor-
sorge auch finanzieren können. Aber stellen wir es den
Menschen doch ohne bürokratische Hürden frei, wo sie
ihre private Vorsorge durchführen.
Lassen wir doch die Menschen entscheiden, ob sie in eine
Lebensversicherung, in einen Banksparplan oder in ei-
nen Bausparvertrag einbezahlen oder ob sie nach 30 Jah-
ren Altersvermögensbildung das Kapital entnehmen und
für Wohneigentum verwenden, das ebenfalls ein Instru-
ment der Alterssicherung ist.
Jetzt geht es wieder um diese Scheinlösung Wohn-
eigentum. Ursprünglich hatten Sie vor, dass jemand, der
Wohneigentum als Alterssicherung betrachtet, das
Wohneigentum der Bank übereignen muss und die Bank
eine Leibrente zahlt. Das wäre nicht Altersvorsorge ge-
wesen, sondern Vernichtung von Wohneigentum.
Jetzt kommt ein noch bürokratischerer Wahnsinn: Man
soll nun 4 Prozent des Einkommens in die Altersvermö-
gensbildung einzahlen.
Dann kann man eine bestimmte Kapitalsumme entneh-
men, um ein Wohneigentum zu finanzieren. Aber dann
kommt der Witz der Geschichte: Man muss das ange-
sparte eigene Vermögen, das man für den Kauf einer Ei-
gentumswohnung oder eines Reihenhauses entnimmt, in
die Altersvermögensbildung zurückzahlen. Parallel dazu
muss man die 4 Prozent weiterhin in die Altersvermö-
gensbildung einzahlen und zugleich muss man noch seine
Hypotheken für die Wohnung oder das Haus abbezahlen.
Herr Riester, das ist vielleicht ein Programm für die Leute,
in deren Kreisen Sie sich bewegen, für die Schickimickis,
nicht aber für die normale Bevölkerung.
Wie soll denn jemand, der 3 000 oder 4 000 DM brutto
verdient, 4 Prozent des Einkommens in die Altersvermö-
gensbildung einzahlen die 100 000 DM, die er für die
Wohnung entnimmt, muss er bis zum Beginn der Rente ja
wieder zurückzahlen , wenn er gleichzeitig auch noch
die Hypothek für die Wohnung bedienen muss?
Das ist keine Lösung.
Ich fordere Sie erneut auf an diesem Punkt werden wir
in dieser Legislaturperiode noch eine weitere Initiative
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ergreifen , den Menschen freizustellen, ob sie in eine Le-
bensversicherung oder in einen Bausparvertrag einzah-
len. Die Menschen sollen entscheiden, ob die Wohnung
oder die Lebensversicherung für sie die richtige Absiche-
rung im Alter ist.
Meine Damen und Herren, wir sind sehr für Zulagen
und nachgelagerte Besteuerung. Aber wie Sie es jetzt kon-
struiert haben, führt es dazu, dass die Förderung umso
höher ist, je mehr man verdient.
Eine allein stehende Verkäuferin bekommt im Endsta-
dium der Reform als Zulage von Herrn Riester 25 DM; ihr
Chef, der 8 000 DM verdient, bekommt eine Steuerbe-
freiung von 130 DM. Der Chef der Verkäuferin wird
5-mal stärker gefördert als seine Angestellte. Eine solche
Wirkung der Zulagen haben wir uns nicht vorgestellt.
Diese soziale Schieflage muss korrigiert werden, Herr
Riester. Dabei kann es nicht bleiben.
Jetzt ist wieder davon die Rede das lesen und hören
wir jeden Tag , das sei eine große Reform; damit seien
die Zukunftsprobleme gelöst.
Etwas Ähnliches haben wir bei der Steuerreform gehört.
Nun schrieb die Süddeutsche Zeitung in dieser Wo-
che, am 8. Mai 2001:
Vor der nächsten Steuerreform: Völlig unvorbereitet
ist Eichel bei der Steuer. Der Minister verweist gerne
auf seine letzte Reform, doch die ist in Ansätzen
stecken geblieben und hat um den Preis größerer Un-
gerechtigkeit und Unsicherheit Erleichterungen vor
allem für Kapitalunternehmen gebracht. Das Steuer-
chaos wächst und der Verdruss der Steuerzahler
auch. Andere als Eichel haben dies erkannt.
Das wird fünf Monate nach In-Kraft-Treten der angeb-
lich größten Steuerreform aller Zeiten gesagt.
Ich prophezeie Ihnen, meine Damen und Herren: Das
gleiche Schicksal, die gleichen Kommentare, die gleiche
Realität werden nach In-Kraft-Treten dieser Rentenre-
form Platz greifen.
Ich sage Ihnen, Herr Riester: Diese Reform der gesetz-
lichen Rente ist gänzlich unbrauchbar. Wir werden diese
Reform, wann immer wir es können, zurückziehen und
durch eine neue, sozial verträgliche und zukunftsorien-
tierte Reform ersetzen.
Die private Vorsorge muss dringend entbürokratisiert, für
den Bürger transparent gestaltet und bei der Förderung so-
zial gerecht ausgestaltet werden.
Das, was Sie heute in seiner Gesamtheit vorlegen,
nämlich die bereits verabschiedete gesetzliche Rente, die
man auch im Zusammenhang mit der privaten Vorsorge
sehen muss, ist eine Reformruine. Sie wird nicht dazu
führen, dass das Vertrauen in die Alterssicherung und de-
ren Sicherheit wächst. Sie wird die Notwendigkeit auslö-
sen, dass die nächste Rentenreform in dieser Le-
gislaturperiode politisch überlegt und nach der nächsten
Wahl durchgesetzt wird.
Das Ergebnis Ihrer Reformpolitik ist Stückwerk, sind
Mogelpackungen und eine unendliche Geschichte von
Tricksereien.
Deshalb stimmen CDU und CSU dieser Reform der Al-
terssicherung heute nicht zu.
Ich gebe das
Wort der Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir
haben in der Tat lange um die Reform der Altersvorsorge
gerungen. Mit Verlaub, Herr Seehofer, die lange Dauer
dieses Prozesses hat auch etwas damit zu tun, dass Sie
sich bis heute nicht entscheiden konnten, ob Sie bei die-
ser Rentenreform mitmachen wollen,
ob sich der berühmte Ministerpräsident Herr Stoiber aus
Bayern durchsetzt, der von Anfang an dagegen war, mit-
zumachen, oder ob sich die Parteivorsitzende, Frau
Merkel, durchsetzt. Sie haben doch in dieser Republik ei-
nen Eiertanz ohne Ende aufgeführt. Sie konnten sich bis
heute innerhalb der Union nicht entscheiden, ob Sie mit-
machen wollen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die unionsregierten
bzw. -mitregierten Bundesländer heute im Bundesrat ver-
nünftigerweise zustimmen werden.
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Sie hier im Bundestag werden mit Ihrem Abstimmungs-
verhalten im Wahlkampf nicht glücklich werden. Das ga-
rantiere ich Ihnen.
Ich bin jedenfalls außerordentlich froh über das erzielte
Ergebnis, denn die Rentenreform ist dringend erforder-
lich, um die solidarische gesetzliche Rentenversicherung
für die Zukunft zu sichern.
Wir schaffen mit dieser Reform Generationengerech-
tigkeit. Ohne diese Reform wäre die Belastung der heutigen
und der künftigen Beitragszahler unerträglich geworden.
Es ist richtig, Herr Seehofer: Wir verlangen von allen
Menschen, von den jungen wie auch von den älteren, ei-
nen solidarischen Beitrag.
Wer sich wie Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, angesichts der absehbaren demographi-
schen Entwicklung dem verweigert, aus Angst davor, ir-
gendjemandem auf die Füße zu treten, was bei einer Ren-
tenreform unvermeidlich ist, der ruiniert sowohl die
wirtschaftlichen als auch die sozialen Fundamente unse-
rer Gesellschaft. Wir jedenfalls haben eine durchgrei-
fende und gute Reform vorgelegt.
Sie ist generationengerecht, sie stabilisiert die Beiträge
und schafft damit wieder Vertrauen bei den jungen Men-
schen. Sie ermöglicht endlich für alle eine private Vor-
sorge und sie fördert das Leben mit Kindern.
Wir haben den Gesetzentwurf in einem langen und
schwierigen Vermittlungsverfahren an einigen Stellen noch
einmal deutlich verbessert. Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Union, haben während dieser Verhandlungen
zu keinem Zeitpunkt das möchte ich betonen irgend-
welche konstruktiven Vorschläge eingebracht. Sie haben
sich sogar dem Gespräch im Vermittlungsausschuss, das
heißt dem Vermittlungsauftrag der Verfassung, verweigert.
Das ist genau das, was Ihren Kollegen Blens so aufregt. Wir
sind Ihnen an vielen Stellen noch einmal deutlich entge-
gengekommen und deshalb hat Ihr Kollege Blens Sie auf-
gefordert, dieser guten Rentenreform zuzustimmen.
Aber Sie haben sich zumindest vor einigen Wochen
für Obstruktionspolitik entschieden, weil Sie im nächsten
Bundestagswahlkampf Ihre zynischen Kampagnen fort-
setzen wollen. Dies geschieht zum Beispiel auf dem
Rücken der Frauen in unserem Land. Ich glaube, ich bin
nicht die einzige Frau in diesem Hause, die zusammen-
zuckt, wenn ausgerechnet Herr Goppel, Herr Stoiber und
Herr Merz die Rechte der Frauen beschwören.
Das ist wirklich ein Paradestück. Wer hier genau hinsieht,
der muss feststellen, dass dieses Misstrauen, das ich und
wahrscheinlich viele andere Frauen auch habe, mehr als
angebracht ist.
Für wen setzt sich die da Union eigentlich ein? Etwa
für die erwerbstätigen Frauen? Das kann nicht sein. Die
schaffen ihre eigenen Ansprüche und profitieren von die-
ser Reform genauso wie ihre männlichen Kollegen. Dann
vielleicht für die Frauen, die Kinder großziehen, und des-
halb zeitweise nicht oder nur in Teilzeit berufstätig sind?
Das kann auch nicht sein. Deren Altersvorsorge haben wir
im Vergleich zur Situation von heute ganz erheblich ver-
bessert, und zwar durch die Aufwertung der Rentenan-
sprüche für Teilzeitarbeit während der Erziehungszeit
das betrifft die gesetzliche Rentenversicherung und
durch die Kinderkomponente im Rahmen der privaten
Vorsorge.
Mit einer erneuten Änderung im Rahmen des Vermitt-
lungsverfahrens steht zukünftig schon die Mutter nur ei-
nes Kindes auch bei der Hinterbliebenenrente nicht nur
genauso gut da wie bisher, sondern sogar noch besser.
Künftig wird die Verringerung des Niveaus der Witwen-
rente von 60 auf 55 Prozent bereits bei einem Kind mehr
als ausgeglichen.
Gilt der Einsatz der Union dann vielleicht den älteren
Frauen? Da kann ich nur sagen: Auch hier totale Fehlan-
zeige! Denn erstens ändert sich für Frauen, die heute älter
als 40 Jahre sind, bei der Hinterbliebenenrente überhaupt
nichts. Zweitens helfen wir gerade Frauen mit niedrigen
Witwenrenten mit der bedarfsorientierten Grundsiche-
rung. Dazu kann ich nur feststellen: Der haben Sie sich
von vornherein verweigert. Sie kennen die Wirklichkeit
nicht. Wissen Sie nicht, dass es heute eine verschämte Al-
tersarmut gibt, dass Tausende von Frauen in unserem
Land mit absoluten Minirenten, zum Teil mit 500 DM und
weniger pro Monat, auskommen müssen, dass sie nicht
zum Sozialamt gehen, obwohl sie Anspruch auf Sozial-
hilfe hätten, weil sie Angst vor dem bürokratischen Auf-
wand haben und weil sie vor allem ihren Kindern nicht fi-
nanziell zur Last fallen wollen?
Wir haben uns schon seit vielen Jahren für eine Grund-
sicherung ohne Rückgriff auf die Angehörigen und ohne
den entwürdigenden Gang zum Sozialamt eingesetzt.
Dass wir heute dieses Ziel erreichen, das ist in meinen Au-
gen ein wirklich großer sozialpolitischer Erfolg vor allem
für viele Frauen in diesem Land. Ich bin sehr froh, dass
wir heute auch dieses Vorhaben gemeinsam mit den Län-
dern verabschieden werden.
Die Interessen all dieser Frauen, der erwerbstätigen,
der Mütter und auch der älteren, können Sie also nicht
meinen, wenn Sie uns kritisieren. Welche Frauen bleiben
also übrig? Ich will Ihnen sagen, welche Frauen übrig
bleiben: Ganz theoretisch können es junge Frauen unter
40 sein, die heiraten, keine Kinder bekommen und die den
größten Teil ihres Lebens trotzdem nicht erwerbstätig
sind. Herr Merz, Frau Merkel, können Sie mir einmal ver-
raten, wo in der Gesellschaft Sie ein so seltenes Exemplar
schon einmal entdeckt haben? Mitten im Leben jedenfalls
nicht!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Kerstin Müller
16435
Deshalb, Herr Seehofer, stelle ich ganz klar fest: Sie
haben nicht die Interessen von Frauen im Blick und deren
Realität hier in der Gesellschaft, die sich in den letzten
Jahrzehnten verändert hat. Sie jagen veralteten Männer-
phantasien von einer traditionellen Hausfrauenehe hinter-
her, die es heute in dieser Gesellschaft fast nicht mehr
gibt. Insofern ist diese Rentenreform modern und sie ist
auch und vor allem eine Reform für die Frauen.
Wir kümmern uns um die Menschen. Wir haben mit der
Reform die Wirklichkeit im Blick. Deshalb haben wir in die
Grundsicherung auch die dauerhaft Erwerbsunfähigen ein-
bezogen. Das will ich nicht vergessen. Es geht dabei um Be-
hinderte, die von ihren Angehörigen betreut und versorgt
werden. Wir machen endlich Schluss damit, dass Eltern ei-
nes behinderten Kindes ihr Leben lang finanziell massiv be-
lastet werden. Auch das ist ein großer sozialer Fortschritt.
Wir haben im Vermittlungsverfahren das Verwal-
tungsverfahren erheblich vereinfacht. Es ist jetzt über-
sichtlich und transparent.
Wir haben die Belastung der Länder erheblich verringert,
zum Beispiel die Zahl der notwendigen Stellen bei den Fi-
nanzämtern von über 2 800 auf 400 gesenkt.
Lassen Sie mich kurz auf ein Thema eingehen, das in
der Öffentlichkeit eine geringe Rolle gespielt hat. Wir ha-
ben erreicht, dass die Anbieter in der privaten Vorsorge
und bei den Pensionsfonds die Kunden über ökologische,
soziale und ethische Kriterien bei der Anlage unterrichten
müssen. Das ist ein neues und innovatives Element in der
Finanzwirtschaft, für das wir Grünen uns schon seit lan-
gem eingesetzt haben. Das bedeutet mehr Demokratie und
mehr Verbraucherschutz. Das konnten wir gemeinsam
vereinbaren.
Zum Wohneigentum: Ich bin in der Tat sehr froh, dass
es uns gelungen ist, auch das Wohneigentum in die För-
derung der Altersvorsorge einzubeziehen. Wir haben uns
auf ein Modell geeinigt, das in weiten Teilen unseren grü-
nen Vorstellungen entspricht. Zukünftig können Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen bis zu 100 000 DM aus
der geförderten Altersvorsorge direkt als Eigenkapital zur
Finanzierung von selbst genutztem Wohnraum verwen-
den. Der entnommene Betrag das ist richtig muss dann
zwar wieder in die Vorsorge zurückgeführt werden, aber,
Herr Seehofer, unverzinst und ohne Besteuerung des
Zinsvorteils.
Dies ist ein Unterschied zum ursprünglichen Modell
und zu manchen Modellen, die in den vergangenen Wo-
chen diskutiert wurden. Sie haben übrigens nie ein Modell
vorgelegt, wie das denn ablaufen kann, meine Damen und
Herren von der Union. Sie wissen genau, dass das recht-
lich gar nicht so einfach ist. Dies war einer der Gründe
dafür, dass wir so ausführlich diskutiert haben.
Wir haben eine Lösung gefunden, die kein Placebo,
sondern eine echte Einbeziehung des Wohneigentums ist.
Damit können künftig Haushalte mit einem durchschnitt-
lichen Einkommen für ihr Alter privat vorsorgen und
müssen trotzdem nicht auf den Hausbau verzichten. Das
bedeutet: Sie erhalten die echte Wahlfreiheit. Deshalb ist
das ein sehr vernünftiger Vorschlag.
Zu Recht schreibt Die Welt, die nicht gerade im Ver-
dacht steht, eine grüne Hauspostille zu sein ich zitiere :
Das nun favorisierte Modell ist so einfach wie ver-
nünftig.
Weiter:
Mit diesem Vorschlag wird die Regierung dem
Wunsch von mindestens drei Vierteln aller Bürger
gerecht, die im Eigenheim die beste Altersvorsorge
sehen und ihre Immobilie deshalb genauso stark ge-
fördert sehen wollen wie andere Kapitalanlagen,
etwa Lebensversicherung und Rentenfonds.
Meine Damen und Herren von der Union, dem ist
nichts hinzuzufügen, außer dass Sie in diesem Verfahren
keinen einzigen Vorschlag gemacht haben, wie man das
Wohneigentum einbeziehen kann. Ihre Forderungen hat-
ten mit der Altersvorsorge gar nichts zu tun.
Wir beschließen heute nur darum geht es die staat-
liche Förderung der privaten Altersvorsorge in Höhe
von insgesamt 20,5 Milliarden DM jährlich. Was wir
heute machen, ist das sage ich nicht nur in Richtung der
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der
F.D.P., sondern auch und gerade in Ihre Richtung, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der PDS : Wir fördern die
private Altersvorsorge mit staatlichen Mitteln, damit sich
in Zukunft nicht nur die Reichen und Besserverdienenden
eine private Vorsorge leisten können, sondern auch die
Menschen, die ein niedriges Einkommen haben. Das ist
der Sinn dieser staatlichen Förderung.
Es geht im Kern darum, dass auch Familien, die nicht
zu den Besserverdienenden gehören, für ihr Alter privat
vorsorgen können, damit sich auch Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen diese Privatrente leisten können.
Wenn Sie jetzt hier und im Bundesrat gegen dieses Gesetz
stimmen das Land Mecklenburg-Vorpommern wollte
eigentlich zustimmen, aber ich habe gehört, Sie haben
sich durchgesetzt , dann stimmen Sie dagegen, dass in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Kerstin Müller
16436
Zukunft auch die weniger gut Betuchten eine Rente be-
kommen, die ihren Lebensstandard sichert. Ich kann nur
sagen: Das ist das glatte Gegenteil von sozialer Ge-
rechtigkeit.
Was die Auseinandersetzung im Wahlkampf angeht, bin
ich in diesem Punkt ganz gelassen, denn ich glaube, dass
jeder Versuch, den Menschen zu erklären, warum Sie ih-
nen die staatliche Unterstützung in Höhe von 20,5 Milli-
arden DM vorenthalten wollen, scheitern wird.
Sie sollten sich also sehr gut überlegen, ob Sie das aus pu-
rer Ideologie denn es sind rein ideologische Argumente,
die Sie anbringen wirklich machen wollen.
Nun aber noch einmal zu Ihnen, meine Damen und
Herren von der Union. Ich habe Ihnen in diesem Hause
schon im Januar prophezeit, dass die Länder im Bundes-
rat zustimmen werden, weil alles andere gegenüber den
Menschen in unserem Land absolut verantwortungslos
wäre. Wissen Sie, Herr Merz und Frau Merkel, Sie kom-
men mir mitsamt Ihrem Superstrategen Laurenz Meyer
manchmal vor wie die drei von der Baustelle: Vorne strei-
chen Sie noch die Fassade schwarz, aber hinten sind schon
mindestens drei Stockwerke weggebrochen. Deshalb rate
ich Ihnen: Stimmen Sie lieber zu! Wenn Sie immer noch
nicht wissen, warum, dann fragen Sie doch am besten
Ihren Kollegen Blens, der kann es Ihnen sehr gut erklären.
Danke schön.
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Irmgard
Schwaetzer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine lange Debatte fin-
det heute ein vorläufiges Ende. Nachdem die vorläufige
Reform der gesetzlichen Altersversicherung schon vor
zwei Monaten gegen das Votum der F.D.P. von Rot-Grün
beschlossen worden ist, folgt nun das Altersvermögens-
gesetz ebenfalls mit den Stimmen von Rot-Grün gegen
die der Opposition.
Die Ziele, die Sie sich gesetzt hatten, sind ja durchaus
ehrenwert
und deshalb haben wir sie ja auch geteilt. Es geht näm-
lich darum, die gesetzliche Rente durch eine tief grei-
fende Reform bis 2030 kalkulierbar und sicher zu ma-
chen und die notwendigen Einschränkungen durch den
Ausbau kapitalgedeckter privater Vorsorge und die Stär-
kung der betrieblichen Alterversorgung aufzufangen,
also eine neue Statik zwischen den drei Säulen der Al-
tersvorsorge herzustellen. Diese Ziele hat die F.D.P. im-
mer geteilt, weil wir genau dies schon seit vielen Jahren
gefordert haben.
Sie waren bei den Verhandlungen doch gar nicht dabei.
Insofern können Sie auch gar nicht wissen, welche Vor-
schläge ich auf den Tisch gelegt habe.
Herr Riester, Sie sind mutig gestartet, aber zu kurz ge-
sprungen. Ihre Reform wird ein Verfalldatum von höchs-
tens fünf Jahren haben. Das bedeutet, dass wir jetzt schon
die nächste Reform vorbereiten müssen. Unter dem Druck
von F.D.P. und CDU/CSU wollen Sie nun bei der Hinter-
bliebenenversorgung nachbessern. Die F.D.P. Herr
Kollege Tauss, das war der erste Vorschlag, den ich bei
den Verhandlungen auf den Tisch gelegt habe
hat vorgeschlagen, diesen Teil der Reform für fünf Jahre
auszusetzen. Sie, Herr Riester, sind diesen Vorstellungen
mit Ihrem Vorschlag sehr nahe gekommen. Wir müssen
uns also diesen Teil in der nächsten Legislaturperiode
noch einmal sehr sorgfältig vornehmen und eine Lösung
ausarbeiten, die den berechtigten Interessen der Frauen
entspricht und außerdem das jüngste Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zur Familienförderung in den
Sozialversicherungssystemen umsetzt. Das sind Sie uns
noch schuldig geblieben, Herr Riester.
Frau Müller, auch Ihnen möchte ich gerne etwas sagen.
Wenn Sie die Hausfrauenehe hier als unmodern abtun,
dann sind Sie wirklich hinter der Zeit zurück.
Sie wollen den Frauen wieder einmal ein Lebensbild vor-
geben, obwohl die Frauen das für sich selbst entscheiden
wollen.
Warum glaubt Rot-Grün eigentlich immer, den Menschen
vorschreiben zu müssen, wie sie sich zu verhalten haben?
Dieser Punkt war übrigens immer ein Herzstück unserer
Diskussion mit Ihnen. Sie haben damit argumentiert, dass
die Menschen schutzbedürftig seien. Die Menschen pfei-
fen Ihnen etwas! Die wollen selber für sich entscheiden;
die wollen Ihren Schutz in großen Teilen überhaupt nicht.
Lassen Sie mich nun ein Wort zur Union sagen. Zur
Hinterbliebenenversorgung wie zu allen anderen Punkten
der Verhandlungen hat die Union keine eigenen Vor-
schläge auf den Tisch gelegt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Kerstin Müller
16437
Das Altersvermögensgesetz könnte und das, Herr
Seehofer, ärgert mich nun besonders ganz anders ausse-
hen, wenn die CDU/CSU mit verhandelt hätte.
Ich habe einen präzisen Kriterienkatalog zur Reform der
privaten Altersvorsorge auf den Tisch gelegt. Außer ver-
balen Unterstützungen habe dazu ich von Ihnen nichts zu
hören bekommen. Sie haben nicht wirklich verhandelt.
Das ist das Problem.
Wir sollen heute ein Reformwerk verabschieden, bei
dem wir sehr viel mehr hätten durchsetzen können, wenn
sich die Union nicht verweigert hätte. Der Kriterienkata-
log könnte einfacher und transparenter sein sowie Wahl-
freiheit enthalten. Wir hätten in dem Gesetzentwurf kein
derart verkorkstes Modell der Immobilienförderung, und
auch die Bausparförderung hätte mit aufgenommen wer-
den können, wenn Sie sich nicht verweigert hätten.
Auch heute, Herr Seehofer, ist nicht klar geworden, ob
Sie bereit sind, die notwendigen Einschnitte in der gesetz-
lichen Rentenversicherung vorzunehmen. Diese Ein-
schnitte sind erforderlich, damit wir nicht bei Beitrags-
sätzen von 24 oder 26 Prozent unter Berücksichtigung
der privaten Altersvorsorge sogar von 28 Prozent landen.
Ich will Ihnen ganz kurz anhand von drei Bereichen
aufzeigen, wo in der nächsten Legislaturperiode ein Re-
formbedarf liegen wird:
Erstens. Das Gesetzespaket insgesamt genügt nicht der
Generationengerechtigkeit. Viele Probleme werden zu-
lasten der jüngeren Generation wieder einmal verscho-
ben. All das, was jetzt nicht reformiert wird, verkürzt die
der jungen Generation zur Verfügung stehende Zeit, um
bis zum Jahre 2030 für einen Ausgleich zu sorgen. Des-
wegen muss auch in Bezug auf das bereits verab-
schiedete Gesetz, das ja im Zusammenhang mit der jetzi-
gen Beratung zu sehen ist darauf hingewiesen werden:
Die Annahmen, von denen Sie ausgehen, halten einer Prü-
fung nicht stand.
Fangen wir bei der Lebenserwartung an: Jeder ernst-
hafte Wissenschaftler sagt heute bereits, dass die Lebens-
erwartung im Jahre 2030 um mindestens ein Jahr höher
liegen wird, als in den Berechnungen der Bundes-
regierung zugrunde gelegt wurde. Dies hätte zur Folge,
dass der Beitragssatz um mindestens einen halben Bei-
tragssatzpunkt höher liegen müsste als die 22 Prozent, von
denen jetzt ausgegangen wird.
Die Probleme setzen sich bei den ökonomischen An-
nahmen, die Sie treffen, fort: Die Arbeitslosenzahl soll
im Jahr 2030 auf 0,9 Millionen gesunken sein; das hieße
Vollbeschäftigung. Wie Sie das erreichen wollen, lassen
Sie völlig offen.
Außerdem nehmen Sie an, dass die Sozialversiche-
rungsbeiträge für Pflege- und Krankenversicherung im
Jahre 2030 noch genau so hoch sein werden wie heute.
Das können Sie doch nicht ernsthaft glauben. Wir kämp-
fen doch heute schon in der Pflege- und in der Kranken-
versicherung gegen höhere Beitragssätze.
Ich möchte die neue Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt, die ja für diese Annahmen noch mit verantwort-
lich ist, einfach mal fragen, wie sie denn glaubt, es zu
schaffen, diese Voraussetzungen für die Einhaltung des
Beitragssatzes von 22 Prozent herzustellen. Sie hat dafür
noch keine Lösung und wird auch keine finden.
Wir hatten uns zu Beginn der Konsensgespräche vor-
genommen, eine ehrliche Reform zu machen. Die vorge-
legten Pläne sind keine ehrliche Reform. Sie, Herr
Riester, und die SPD-Fraktion haben dem massiven
Druck der Gewerkschaften nachgegeben. Ich sage Ihnen,
Herr Riester, Sie hätten als Stellvertretender Vorsitzender
erst die IG Metall reformieren sollen, bevor Sie sich an die
Rente herangemacht haben.
Zweitens. Das Herzstück einer grundlegenden Renten-
reform ist und bleibt die Stärkung der privaten kapital-
gedeckten Altersvorsorge. Mit dem Kriterienkatalog,
den Sie im ersten Anlauf verabschiedet haben, konnte nie-
mand etwas anfangen. Er war zum Teil widersprüchlich
und viel zu kompliziert.
Die F.D.P. hat im Vermittlungsverfahren einen eigenen,
präzisen und klaren Katalog vorgelegt. Ein paar unserer Vor-
schläge haben Sie aufgegriffen, zum Beispiel den, die Ver-
träge zu zertifizieren, die entsprechend den Musterverträgen
gestaltet sind, um zumindest einen Teil des bürokratischen
Aufwandes zu vermeiden. Aber keines der elf Kriterien ist
substanziell geändert oder gar abgeschafft worden. Nicht
möglich sind variable oder sinkende Auszahlungen, die den
Bedürfnissen älterer Menschen entsprechen. Nicht möglich
ist neben der Verrentung die Auszahlung eines substanziel-
len Teilbetrags zu Alterssicherungszwecken. Unklar bleibt
auch die Umstellung von Altverträgen. Dies alles ist unbe-
friedigend. Wenn wir wirklich verhandelt hätten, hätte si-
cherlich mehr erreicht werden können.
Drittens. Für die Einbeziehung der Immobilie, also
der gewünschten klassischen Form der Altersvorsorge,
hat sich die F.D.P.-Fraktion in den Verhandlungen immer
ganz besonders eingesetzt. Wir haben ausformulierte und
differenzierte Vorschläge inklusive der steuerlichen Be-
handlung in Form von Gesetzestexten vorgelegt.
Sie haben das nicht gewollt. Wir waren immer der Mei-
nung, dass die Sparer ihr erspartes Kapital als Eigenkapi-
tal beim Bau oder Erwerb einer Wohnung einsetzen kön-
nen sollten. Zum Zeitpunkt der Entnahme wäre es
einmalig zu versteuern gewesen.
Wir haben darüber hinaus die Änderung des Woh-
nungsbau-Prämiengesetzes vorgeschlagen, um auch die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Irmgard Schwaetzer
16438
Bausparförderung als wichtige Form des Vorsparens auf-
kommensneutral einzubeziehen. Auch das haben Sie ab-
gelehnt.
Das, was Sie jetzt beschlossen haben, ist wirklich ein
Treppenwitz. Wer soll das denn verstehen? Ein Sparer
gibt sich selbst ein zinsloses Darlehen, das er dann paral-
lel zu seinen Hypothekenzinsen zurückzahlen muss. Nen-
nen Sie mir einmal einen Schwellenhaushalt für die
Schwellenhaushalte machen wir die Reform doch in ers-
ter Linie , der eine daraus resultierende Belastung von
1 800 DM bis 2 000 DM im Monat tragen kann. Das kön-
nen die nicht. Damit haben Sie das erreicht, woraus Herr
Riester auch nie einen Hehl gemacht hat: Sie wollen die
Immobilienförderung eigentlich nicht.
Sie wollen, dass die gesamten 20 Milliarden DM für an-
dere Zwecke zur Verfügung stehen, und zwar vor allem
für die von Ihnen ganz besonders favorisierten Pensions-
fonds, weil diese von den Gewerkschaften verwaltet wer-
den sollen.
Sie wollen damit erreichen, dass die Gewerkschaften da-
durch das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen
können.
Wir nehmen uns vor, das alles zu verändern. Deshalb kön-
nen wir heute der Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses nicht zustimmen.
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Roland Claus.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Die Rentenreform ist auch
nach Ende des Vermittlungsverfahrens ein unsozialer Akt.
Deshalb werden wir ihr weder hier noch im Bundesrat
zustimmen.
Sie haben sich zwar jetzt noch einmal bemüht, die
grundsätzliche Entscheidung über die Rentenreform im
Bundestag und das Vermittlungsergebnis auseinander zu
halten. Aber Sie können es drehen und wenden, wie Sie es
wollen: Das Vermittlungsergebnis und die Entscheidung
im Bundesrat sind Teile eines gesamten Rentengesetzes.
Ohne Bundesratsbeschluss wäre der Bundestagsbeschluss
zur Rentenkürzung nicht haltbar. Ich denke, das müssen
Sie sich auch selbst eingestehen. Es sind eben nicht zwei
verschiedene Dinge, auch wenn Sie noch so sehr versu-
chen das haben Sie in der Tat geschickt gemacht , hier
eine künstliche Trennung vorzunehmen.
Der Bundesratsbeschluss gleicht einer Ratifizierung
der Rentenreform. Wer im Bundesrat zustimmt, legiti-
miert die ganze Rentenreform. Das geht, finde ich, für die
CDU/CSU in Ordnung, weil sie in die gleiche Richtung
will. Sie müssen uns nur noch erklären, warum die Bun-
destagsfraktion der CDU/CSU und die Berliner CDU
dass Letztere ihre Eigenheiten hat, habe auch ich jetzt
begriffen so grundverschieden sein sollen.
Die künstliche Zerlegung des parlamentarischen Ver-
fahrens ändert nichts daran, dass Ihr Rentengesetz unso-
zial ist. Ein sozial ungerechter Ansatz wird nicht durch be-
scheidene soziale Nachsorge korrigiert. Sie haben diese
Rentenreform als Jahrhundertwerk bezeichnet. Wenn
Sie sich schon in solchen Dimensionen bewegen, dann sa-
gen wir Ihnen, dass Sie einen Jahrhundertfehler machen.
Die PDS verweigert sich diesem Ansatz, weil er eine
Senkung des Rentenniveaus mit sich bringt und damit für
mehr Altersarmut sorgt. Die von Ihnen eingeführte
Grundsicherung bewegt sich auf Sozialhilfeniveau. Sie
übertragen die Finanzierung der privaten Vorsorge einsei-
tig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie haben
den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Renten-
versicherung zu verantworten.
Es wird Ihnen in den neuen Ländern nicht abgenom-
men, dass Sie sich besonders um den Osten bemühen;
denn in der so genannten großen Rentenreform lässt sich
nichts zur Angleichung der Rentenwerte in Ost und West
finden. Statt die Rente von der Börse abhängig zu ma-
chen, hätte sich eine vertrauensbildende Stabilisierung
der gesetzlichen Rentenversicherung gehört.
Das Soziale, meine Damen und Herren von der Koali-
tion, ist bei Ihnen in die Nachsorge geraten. Wirklichen
Alternativen, wie sie Sozialverbände, Gewerkschaften,
Kirchen und auch die PDS aufgezeigt haben, wurde nicht
nachgegangen. Die vermeintliche soziale Nachbesserung,
die Sie heute lobpreisen, hält ebenfalls nicht, was Sie ver-
sprechen. Öffentlich predigen Sie Wein, doch in dem, was
Sie vorhaben, ist sehr viel Wasser.
Ich möchte Ihnen Folgendes kurz vorrechnen: Die
20 Milliarden DM für die Förderung von Privatversiche-
rungen wären in der gesetzlichen Rentenversicherung
besser aufgehoben. Unbestritten ist das will ich zunächst
sagen : Die Zulage in Höhe von 7 Milliarden DM für Be-
zieher niedriger Einkommen geht in Ordnung. Dagegen
sind die 13 Milliarden DM für den Sonderausgabenabzug
eben nicht in Ordnung. Damit werden die Bezieher von
mittleren und hohen Einkommen mehr als die Bezieher
von geringen Einkommen gefördert. Das finden wir un-
gerecht; so viel für die Neue Mitte muss nicht sein.
Ich will die Zeitschrift Capital sie steht gewiss
nicht in dem Verdacht, sozialistisch zu argumentieren
zitieren:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Irmgard Schwaetzer
16439
Ein Dreipersonenhaushalt mit 60 000 DM Jahresein-
kommen erreicht eine Förderquote von 20 Prozent.
Ein Dreipersonenhaushalt mit 180 000 DM Jahres-
einkommen erreicht aber eine Förderquote von
37 Prozent.
Auch unter Kanzler Schröder der Armutsbericht stellt
das dar werden die Reichen reicher und die Zahl der
Armen steigt in diesem Lande.
Seitens der grünen Fraktion wurde mir hier Prinzipien-
reiterei unterstellt. Ich muss Ihnen sagen: Ich kann nach-
vollziehen, dass mir die Grünen das vorwerfen.
Vor dem Hintergrund Ihres Prinzipienwandels muss je-
mand, der sich zu Werten, Visionen und auch zum Prinzip
der sozialen Gerechtigkeit bekennt, in der Tat als ein Prin-
zipienreiter erscheinen.
Die Prinzipientreue der SPD wir kennen sie noch hat
exakt bis 1998 angehalten.
Eines sollten Sie jetzt nicht machen: Sie sollten der
CDU/CSU nicht pausenlos die Politik ihrer 16 Regie-
rungsjahre vorwerfen; schließlich machen Sie selbst ge-
nau das, was die CDU/CSU immer gewollt, sich aber nie
getraut hat.
Es geht auch in Ordnung, dass uns die Christdemokra-
ten keine Prinzipienreiterei vorwerfen; denn ihre Kritik
im Bundestag hat ein klares Verfallsdatum, und zwar
11 Uhr des heutigen Tages. Dann steht nämlich die Ent-
scheidung im Bundesrat an.
Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Für die
PDS bedeutet diese Entscheidung keinen Rückfall in die
Totalopposition. Wir sind auch künftig kooperationsfähig,
zum Beispiel, wenn es darum geht, eine große Renten-
reform anzupacken, die diesen Namen verdient. Nur eines
sind wir eben nicht das müssen Sie wissen : die Wes-
tentaschenreserve des Bundeskanzlers.
Vielen Dank.
Ich gebe der
Kollegin Erika Lotz von der sozialdemokratischen Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Claus, ich kann schlicht nicht
nachvollziehen, dass Sie die Förderung von Arbeitneh-
mern in Höhe von 20 Milliarden DM als unsozial be-
zeichnen.
Die Rentnerinnen und Rentner werden nach dieser Re-
form besser als vorher dastehen; deshalb ist diese Reform
nicht unsozial, sondern in die Zukunft gerichtet. Sie wird
den Menschen Sicherheit geben.
Ich möchte noch ein Wort zu Herrn Seehofer sagen.
Herr Seehofer, Ihre Rede hat mich das wird Sie viel-
leicht nicht wundern schon sehr geärgert. Dazu, dass Sie
uns unanständige Kürzungen vorhalten, sage ich Ihnen
schlicht: Diesen Ball spiele ich an Sie zurück. Ich muss
Sie an die Zeit erinnern, als Ihre Partei regiert hat: Damals
sind beispielsweise die Ausbildungszeiten gekürzt wor-
den, und das bei steigenden Beiträgen. Ihr Vorhalt ist ein-
fach unwahr.
Wir verbessern die Situation von Müttern. Wer es mit den
Familien wirklich gut meint und in dieser Hinsicht nicht
nur Lippenbekenntnisse von sich gibt, der muss dieser Re-
form zustimmen.
Ein Kommentar in der gestrigen Frankfurter Rund-
schau hatte den Titel Witwenschreck. So, Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, haben Sie sich während
der ganzen Debatte über die Rentenreform gebärdet. Sie
haben wider besseres Wissen wahre Horrorgeschich-
ten verbreitet. Herr Seehofer, das haben Sie heute wieder
getan. Das ist nicht in Ordnung.
Wenn es Ihnen wirklich um die Interessen von Frauen
und von Müttern geht, dann stimmen Sie unserem Ge-
setzentwurf zu; denn wir verbessern die Renten der
Frauen und die Renten der Mütter.
Über eines sollten wir uns doch einig sein: Die beste
Altersvorsorge ist die eigene Erwerbstätigkeit, mit eige-
nen Beiträgen und eigenen, nicht abgeleiteten Rentenan-
sprüchen. Dies haben die meisten jungen Frauen heute er-
kannt.
Wer Kinder erzieht, kann das wissen wir oft nur
Teilzeit arbeiten oder vorübergehend gar nicht. In diesem
Bereich hat die Vorgängerregierung zu wenig getan.
Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Wir sorgen jetzt dafür, dass die Rentenansprüche von
Müttern künftig steigen.
In der Vergangenheit mussten sich die Frauen das noch
vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten. Jetzt wer-
den diese Verbesserungen erstmals von einem Parlament
beschlossen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Roland Claus
16440
Um 50 Prozent auf maximal 100 Prozent des Durch-
schnittsverdienstes werden die Rentenanwartschaften von
Müttern während der ersten zehn Lebensjahre des Kindes
aufgewertet eheunabhängig! Davon profitieren auch Al-
leinerziehende, die oft erwerbstätig bleiben, aber geringe
Löhne haben. Wenn Sie also für Mütter Verbesserungen
wollen, dann stimmen Sie heute zu!
Sie können es guten Gewissens tun, weil wir Verbesse-
rungen auch für die Mütter beschlossen haben, die nicht
erwerbstätig sein können, weil sie mehrere Kinder haben
oder weil ein Kind pflegebedürftig ist. Wir erhöhen die
Renten von Frauen, die Kinder erzogen haben, und das ist
richtig. Sie sollten also zustimmen, wenn Ihnen die Müt-
ter wirklich am Herzen liegen. Entsprechende Forderun-
gen gab es ja schon lange; aber zu Zeiten, als wir noch in
der Opposition waren, haben Sie nur gekürzt.
Nun noch ein Wort zur Hinterbliebenenversorgung.
Diesbezüglich verbreiten Sie ja wahre Schauermärchen.
Ich erinnere an den Wahlkampf in Baden-Württemberg
und Rheinland-Pfalz. Was Sie dort auch in Anzeigen
an Unwahrheiten verbreitet haben, war schon schlimm.
Wie wichtig es uns ist, diese Reform in einem Konsens
mit der Opposition zu beschließen, zeigt doch die Tatsa-
che, dass wir bis zum Ende des Vermittlungsverfahrens
Änderungen angeboten haben. Wir werden Korrekturen
bei der Hinterbliebenenversorgung in einem eigenen Ge-
setz beschließen. Ich möchte noch einmal betonen man
kann das gar nicht häufig genug tun : Alle bereits heute
Verwitweten und Paare, bei denen ein Partner älter als
40 Jahre ist, sind hier von Änderungen nicht betroffen.
Wir wollen, dass die Kindererziehung bei der Hin-
terbliebenenversorgung gewichtet wird. Für die zukünftig
Hinterbliebenen unter 40 wird es eine maßvolle Absen-
kung der Witwenrente auf 55 Prozent geben. Mütter aber
haben auch bei nur einem Kind keinen Nachteil im
Vergleich zur alten Regelung. Sie bekommen für das erste
Kind zwei zusätzliche Entgeltpunkte und für jedes wei-
tere Kind einen Entgeltpunkt. Bei einer durchschnittli-
chen Rente verändert sich die Rentenhöhe von Müttern
mit einem Kind zur heutigen Regelung nicht; bei zwei
Kindern und mehr stellt sich sogar eine Verbesserung ein,
auch für diejenigen, die niedrigere Renten beziehen. Da-
rüber hinaus bleibt es bei der Dynamisierung des Freibe-
trages. Warum Sie von der CDU/CSU und der F.D.P. jetzt,
da es so viele Verbesserungen für Mütter gibt, nicht zu-
stimmen wollen, ist nicht nachvollziehbar.
Nicht nachvollziehbar ist auch, dass Sie den Arbeit-
nehmern eine Förderung in Höhe von 20 Milliarden DM
für die zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung vor-
enthalten wollen. Wir wollen diese Förderung den Arbeit-
nehmern zukommen lassen.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum Sie der be-
darfsabhängigen Grundsicherung die insbesondere den
Müttern zugute kommt nicht zustimmen wollen. Wir
wollen den Müttern den Gang zum Sozialamt ersparen.
Deshalb werden wir heute dieses gute Gesetz be-
schließen. Ich möchte Sie noch einmal eindringlich auf-
fordern, dieses Gesetz mitzutragen und aufzuhören, über
diese fortschrittliche Gesetzgebung Unwahrheiten zu ver-
breiten.
Danke schön.
Ich gebe der
Kollegin Dr. Maria Böhmer für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Reform der
Alterssicherung nach der Methode Riester geht eindeu-
tig zulasten der sozial Schwächeren, der Frauen und der
Familien.
Dies werden wir auf keinen Fall hinnehmen.
Das haben wir Ihnen wiederholt gesagt.
Wir haben es Ihnen bei der Einbringung des Gesetzes ge-
sagt. Wir haben es Ihnen bei der Verabschiedung der Ren-
tenreform im Januar gesagt.
Wir haben es Ihnen seit Beginn der Beratungen im Ver-
mittlungsausschuss gesagt. Wir haben auch eingefordert,
dass die Kürzungen der Witwenrente und die Entwick-
lung hin zum Auslaufmodell im Vermittlungsausschuss
behandelt werden.
Sie haben sich dem am Anfang verweigert.
Erst jetzt, kurz vor Torschluss, kommen Sie zu neuen Er-
kenntnissen. Dazu kann ich nur sagen: Bei manchen dau-
ert es eben lange, bis sie lernen. Jetzt ist es endlich so weit.
Herr Minister Riester, ich nehme an, Sie werden uns
heute erklären, Sie würden die Witwen jetzt endlich bes-
ser stellen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Erika Lotz
16441
Es ist auch hohe Zeit. Aber wie sehen die Verbesserungen
für die Witwen aus? Erst haben Sie den Frauen etwas ge-
nommen, indem Sie die Hinterbliebenenversorgung von
60 auf 55 Prozent gekürzt haben. Das ist derzeit geltendes
Recht. Ich rede nicht über eine Planung, sondern über gel-
tendes Recht. Sie haben pro Kind lediglich einen Entgelt-
punkt vorgesehen. Damit war klar: Diese Kürzung kann
nicht ausgeglichen werden.
Damit aber nicht genug. Dann sind Sie hingegangen
und haben den Freibetrag bei der Witwenrente festge-
schrieben. Damit war ganz klar, dass die Witwenrente für
die jüngere Frauengeneration, für die unter 40-Jährigen,
für die dieses gilt, zum Auslaufmodell wird. Sie haben in
den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses erklärt,
dass genau dies auch Ihre Absicht sei. Sie sagten, Sie
wollten an der Struktur der durchgesetzten Witwenren-
tenreform nichts ändern.
Hinzu kam noch Ihr dritter Schlag gegen die Witwen-
rente, indem alle Einkommen angerechnet werden. Wir
wissen ganz genau, dass dies völlig kontraproduktiv zu je-
der Form des privaten Sparens ist, sofern sie nicht staat-
lich gefördert ist. Damit haben Sie den Müttern in diesem
Lande den zukünftigen wie den jetzigen eine Kata-
strophe bereitet. Trotz Drängen der Frauen, der Frauen-
verbände und der Familienverbände haben Sie sich bis
zum 3. Mai dieses Jahres geweigert, hier substanziell et-
was zu ändern.
Wenn Sie jetzt sagen, Sie bringen Verbesserungen für
die Witwen, heißt das: Sie nehmen die Verschlechterungen
zurück. Das und nichts anderes bedeutet das im Klartext.
Frau Müller hat gesagt, es werde nur die jüngeren Frauen
treffen. Frau Müller, ich muss Sie leider aufklären: Die Ab-
senkung des Rentenniveaus trifft Frauen und hier gerade die
älteren Frauen doppelt. Auch wenn Sie an der derzeitigen
Witwenrente für die ältere Generation nichts ändern das
wäre auch geradezu unmöglich , setzt sich die Absenkung
des Rentenniveaus bei der Witwenrente fort. Das bedeutet,
dass die derzeitigen Witwen eine doppelte Kürzung hinneh-
men müssen, und zwar einmal über das Absenken des Ren-
tenniveaus bei der eigenen Rente und über die nachfolgende
Kürzung bei der Witwenrente. Das ist Fakt.
Das ist keine Täuschung der Öffentlichkeit. Wer die Öf-
fentlichkeit mit Anzeigen getäuscht hat, das wissen wir alle.
Ich kenne Ihre Anzeige noch. Vor den Wahlen in Rhein-
land-Pfalz und in Baden-Württemberg war in den Zeitun-
gen zu lesen: Die neue Rente für Frauen ein Gewinn!
Frauen von heute wollen ihre eigenständige Alterssiche-
rung aufbauen!
Dann haben Sie gesagt: Bei der neuen Rente wird die Er-
ziehung von Kindern stärker berücksichtigt. Das war al-
les nachzulesen.
Wie sieht die Realität aus?
Alice Schwarzer hat in der Emma vom März/April ge-
schrieben: Niederlage für die Eckrentnerinnen!
Der Deutsche Frauenrat hat klipp und klar erklärt ich
sage dies absichtlich nicht mit meinen eigenen Worten,
sondern zitiere :
Eine gerechtere Rentenreform für die Frauen?
Wir müssen feststellen, dass wir in allen wesentli-
chen Punkten nicht erfolgreich waren.
So sagt der Deutsche Frauenrat in einer offiziellen Er-
klärung vom 29. Januar. Weiter heißt es:
Weder haben wir einen messbaren Fortschritt bei der
eigenständigen Alterssicherung gemacht, noch konn-
ten wir Gerechtigkeit bei der Bewertung der Leistung
von Kindererziehung erreichen. Noch nicht einmal
der unter dem Schlagwort Unisextarif bekannt ge-
wordene geschlechtergerechte Tarif in der privaten
Altersvorsorge ist Gesetz geworden.
So weit der Deutsche Frauenrat. Das heißt, sowohl in
der gesetzlichen Rente als auch bei der Witwenrente wie
auch bei der privaten Vorsorge treffen Sie die Frauen. Sie
haben deren Hoffnungen, die Sie ihnen vor der Bundes-
tagswahl eröffnet haben, mit Füßen getreten.
Herr Riester, ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie
Sie darauf in der Öffentlichkeit reagiert haben. Auf diese
Vorwürfe der Frauen- und Familienverbände haben Sie
am 12. März geantwortet: Das ist doch kalter Kaffee. So
geht man mit Frauen in Deutschland nicht um, das kann
man nicht machen!
Wenn Sie mich das fragen wollen, gebe ich Ihnen dop-
pelt und dreifach die Antwort: Wir als Union waren dieje-
nigen, die die Anrechnung der Kindererziehungszeiten
überhaupt in die Rente eingeführt haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Maria Böhmer
16442
Wir haben die Kindererziehungszeiten für die jüngere
Frauengeneration auf drei Jahre verlängert.
Wir haben eine 100-prozentige Anrechnung und die addi-
tive Regelung eingeführt. Wir haben auch ganz klar ge-
sagt: Jetzt sind die Frauen dran, die vor 1992 ihre Kinder
geboren haben.
Denn diese Frauen haben unter härteren Bedingungen die
Erziehungsarbeit leisten müssen, sie haben mehr Verzicht
eingebracht. Ohne die Erziehungsleistung dieser Frauen
würde die Rente heute auf tönernen Füßen stehen.
Deshalb bin ich auch sehr erstaunt über das Frauenbild,
das hier von Rot-Grün verbreitet wird. Sie sagen, Sie
wollten die Frauen in ihrer Gesamtheit berücksichtigen,
und unterstellen uns, dass wir lediglich bereit seien, die
Frauen, die sich für die Familie entschieden haben, zu för-
dern. Wir schreiben niemandem vor, wie er leben soll.
Wir wollen, dass die Menschen Wahlfreiheit haben, dass
sie sich der Familie widmen können, dass sie die Verein-
barkeit von Familie und Beruf praktizieren können
und dass sie nicht durch staatliche Maßnahmen gelenkt
werden. Was Sie machen, liebe Frau Lotz, ist ganz ein-
deutig. Mit dem Gesetz, das Sie im Januar verabschiedet
haben, fördern Sie ausschließlich die Kindererziehung bei
erwerbstätigen Frauen.
Sie setzen bei der Teilzeiterwerbstätigkeit an. Die Mütter,
die normal verdienen, fallen bei Ihnen allerdings auch un-
ter den Tisch. Erst als wir heftig protestiert haben und als
Ihnen klar wurde, dass Sie auch gegen die Verfassung ver-
stoßen würden, haben Sie die nicht erwerbstätigen Mütter
mit zwei Kindern berücksichtigt. Aber Sie lassen noch im-
mer die Mutter mit einem Kind außen vor, die sich aus-
schließlich für die Erziehung dieses Kindes entscheidet.
Wer hat denn hier eigentlich das einseitige Frauen- und
Familienbild?
Im Übrigen verbinden Sie das alles mit der Frage, wie
Sie Nachteile ausgleichen können. Ich bin sehr für den
Ausgleich von Nachteilen. Aber wenn es um die Kinder-
erziehung und die Anerkennung der Kindererziehung
in der Rente geht, geht es nicht nur um die Frage des
Nachteilsausgleichs, sondern auch darum, Gerechtigkeit
für Frauen und Familien herzustellen. Das ist der ent-
scheidende Punkt, den es bei dieser Rentenreform umzu-
setzen gilt. Das hat Ihnen übrigens auch das Bundesver-
fassungsgericht aufgegeben. Die jüngste Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung
sagt eindeutig:
Kindererziehung muss bei solidarischen Versicherungs-
systemen berücksichtigt werden, nicht nur bei der Pflege-
versicherung, sondern auch bei der Rentenversicherung.
Wenn Sie es nicht leisten, dann werden wir es leisten.
Ich will noch ein Wort sagen.
Nein, Frau
Kollegin Böhmer, Sie müssen jetzt leider zum Schluss
kommen. Bitte sprechen Sie Ihren Schlusssatz.
Ich habe den Ein-
druck, dass wir bei allen Änderungen, die jetzt im Bereich
der Witwenrente noch kommen, unter dem Strich feststel-
len müssen, dass sowohl die gesetzliche Rente als auch
die jetzt aufgebaute private Vorsorge nach wie vor zu
große Nachteile für Frauen und Familie bringen, als dass
man zustimmen könnte. Es geht darum, in die nächste
Runde zu gehen und dann Verbesserungen für die Frauen
zu erreichen.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das
Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn
der Deutsche Bundestag heute die Rentenreform in ihrem
zweiten Teil beschließt und auch der Bundesrat zustimmt,
werden alle Rentnerinnen und Rentner ich betone: alle
Rentnerinnen und Rentner nicht nur jetzt, sondern auch
in Zukunft mehr Rente haben als nach dem alten Renten-
recht.
Wir haben mit der Rentenreform vor allem dort zu-
sätzliche Verbesserungen erreicht, wo Menschen durch
die Betreuung behinderter Personen, durch die Erziehung
von Kindern und aufgrund ihrer Gesundheit daran gehin-
dert waren, selbst Rentenansprüche zu erwerben.
Ich will zunächst auf den weiten Bereich eingehen, der
vor allem Frauen betrifft. Erstmals wird für alle Frauen,
die unter 4 500 DM verdienen und Kinder erziehen, ihr
rentenrechtlicher Verdienst vom dritten bis zum zehnten
Lebensjahr des Kindes um 50 Prozent bis zu einer Grenze
von 4 500 DM erhöht. Erstmals bedeutet dies, dass durch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Maria Böhmer
16443
Kindererziehung und Erwerbstätigkeit höhere Renten-
ansprüche erworben werden können.
Erstmals soll für alle Frauen das gilt auch für Män-
ner , die zwei oder mehr Kinder erziehen und die deshalb
nicht erwerbstätig sind, diese rentenrechtliche Erhöhung
gelten.
Erstmals setzen wir fest, dass für Eltern, die behinderte
Kinder erziehen und die dadurch besondere Belastungen
auf sich nehmen, 18 Jahre lang eine rentenrechtliche
Höherbewertung erfolgt. Erstmals wird ein Rentenrecht,
das Familienzeiten und Kindererziehung stärker berück-
sichtigt, deutsches Recht.
Mit dem neuen Rentenrecht haben wir sichergestellt,
dass Menschen mit gesundheitlichen Einschränkun-
gen und schwerbehinderte Menschen, die ihren Beruf
nicht mehr ausüben können, besser gestellt werden als
nach dem alten Rentenrecht.
Der Zwischenruf ist richtig, dass sie möglicherweise
nicht mehr arbeiten können. Aber dafür trägt das Renten-
recht keine Verantwortung. Wir stellen diese Menschen
im Rentenrecht besser. Was Politik leisten kann, das leis-
ten wir.
Nach langen Jahren des Rentenbeitragsanstiegs haben
wir dafür gesorgt, dass der Rentenbeitrag abgesenkt
wurde. Wir sorgen jetzt dafür und zwar mit gesetzlicher
Verpflichtung , dass der Rentenversicherungsbeitrag bis
zum Jahr 2020 die Grenze von 20 Prozent nicht mehr
überschreiten darf.
Damit stellen wir sicher, dass all diejenigen, die jetzt in
Arbeit sind und die mit ihren Rentenversicherungsbeiträ-
gen die Sicherung der Renten finanzieren, nicht dauerhaft
eine steigende Belastung erfahren, wie es noch vor weni-
gen Jahren der Fall war.
Wir haben ferner auch darüber muss heute entschie-
den werden den Aufbau einer zweiten Rente für breite
Bevölkerungsschichten möglich gemacht. Erstmals
führen wir eine Regelung ein, die es ermöglicht, breite
Bevölkerungsschichten beim Aufbau einer kapitalge-
deckten ergänzenden Rente zu unterstützen. Sie ist
keine Zwangsrente und kein Muss. Wir bieten vielmehr
den Beziehern mittlerer und unterer Einkommen und vor
allem den Familien mit Kindern eine umfassende Unter-
stützung an.
Ich möchte ein Beispiel nennen: In einer Familie, in der
die Eltern 30 Jahre alt sind, zwei Kinder haben und er-
werbstätig sind, gibt es bei voller Förderung für den
Vater 300 DM, die Mutter 300 DM, jedes Kind 360 DM.
Das sind 1 320 DM. Bei einer Gesamtsparleistung von
2 000 DM muss die Familie nur 680 DM selbst aufbrin-
gen. Der Rest wird durch staatliche Förderung gezahlt.
Wir reden nicht nur über einen Quantensprung in der Al-
terssicherung, sondern wir führen diesen Quantensprung
durch, weil die kapitalgedeckte ergänzende Rente als
zweite Rente zukünftig für alle Menschen gefördert wird.
Das ist Solidarität mit Gewinn!
Es liegt ein langer Prozess der Diskussion, des Ringens
um diese Alterssicherung hinter uns, ein langer Prozess,
in dem wir Erfahrungen gemacht haben, und ich das
sage ich sehr bewusst über lange Zeit die Illusion hatte:
Die Opposition trägt diese Reform mit, sie arbeitet kon-
struktiv an dieser Reform mit, weil es ein gesamtgesell-
schaftliches Werk ist. Das hat sich als Illusion erwiesen
und dies bedaure ich.
Gleichzeitig sage ich aber auch, dass ich bei der Oppo-
sition differenziere. Ich habe im ersten Teil des Gesetzge-
bungsverfahrens und das sage ich ebenfalls im zwei-
ten Teil, bei der Arbeit des Vermittlungsausschusses, bei
Ihnen, Frau Schwaetzer, den Eindruck gehabt, dass Sie
sehr konstruktiv mit eigenen Vorschlägen die ich nicht
alle geteilt habe an der Sache mitgearbeitet haben. Umso
mehr bedaure ich, dass Sie und Ihre Partei das Ergebnis
nicht mittragen können. Ich bin der Auffassung, dass Sie
in einigen Punkten das Ergebnis nicht genau kennen. Ihr
Hinweis beispielsweise, dass Auszahlpläne eine variable
Auszahlung nicht vorsehen, ist schlicht falsch. Wir haben
aufgenommen, dass nach den Auszahlplänen gleiche,
steigende oder auch variable Teilrenten gezahlt werden
können.
Völlig anders hat sich die Sache bei der Union gezeigt.
Ich habe zumindest seit dem vorigen Frühjahr mit zuneh-
mender Klarheit erkennen müssen, dass von der Union
eine konstruktive Mitarbeit nicht gewünscht war.
Wir haben keine eigenständigen konstruktiven Vor-
schläge erhalten, sondern es ist Ihnen nur um Blockade,
Verschleppen und in vielen Punkten das muss ich offen
sagen, ich gehe noch darauf ein um fast unzumutbare
Diffamierung gegangen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Bundesminister Walter Riester
16444
Herr Seehofer, wenn Sie heute von Sozialräubern spre-
chen, so sind wir das gewohnt; darauf will ich gar nicht
weiter eingehen. Wenn Sie darauf hinweisen, ich hätte Ih-
rer Partei vorgeworfen, in den Landtagswahlkämpfen in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit einer ver-
logenen Kampagne zur Witwenrente gearbeitet zu haben,
so ist das völlig richtig. Es war eine verlogene Kampagne
und ich will das begründen.
Sie haben in großen Anzeigen wörtlich plakatiert: Rot-
Grün will den Witwen an die Rente! Dies ist verlogen!
Sie schmunzeln und zeigen damit, dass Sie wissen, es
war gelogen.
Ich will Ihnen zeigen, warum es gelogen ist. Das neue
Rentenrecht ändert überhaupt nichts bei den Renten der
jetzigen Witwen und der jetzigen Witwer. Das Renten-
recht ändert nichts bei den Renten von Verheirateten, wo
einer älter als 40 Jahre ist. Das Rentenrecht greift bei den
Jüngeren, bei denen im Regelfall der Bezug einer Wit-
wenrente erst in 25, 30 oder 35 Jahren eintritt. Ich ver-
mute, dass Sie das gewusst haben, als Sie gelogen haben.
Wir haben das jetzt geändert. Ich will, um Ihnen eine
weitere Schmutzkampagne nicht zu ermöglichen, zur
Richtigstellung sagen:
Auch in diesen Fällen wird zukünftig jede Witwe und je-
der Witwer, die oder der mindestens ein Kind erzogen hat,
eine bessere Witwenrente bekommen als in der Vergan-
genheit.
Herr Seehofer, da wir gerade beim Thema Lügen sind:
Ich habe eben auf Ihren Hinweis, dass Herr Professor
Rürup erklärt hätte, die Rentenreform führte zu Beitrags-
steigerungen von 24 bis 25 Prozent, einen Anruf bekom-
men. Herr Rürup hat mir mitgeteilt, dies sei verlogen, er
habe dies nie gesagt.
Er hat mir vorhin im Parlament mitteilen lassen, dass die
Rentenversicherungsbeiträge bei der Rentenreform in ih-
rer jetzigen Anlage über 22 Prozent nicht hinausgehen.
Im Übrigen darf ich Ihnen sagen: Wir haben dies auch
rechtlich abgesichert. Natürlich weiß heute niemand, ob
ökonomische Grundannahmen im Jahr 2020 und im
Jahr 2030 noch richtig sind, weder Rürup noch ich und
schon gleich gar nicht Herr Seehofer.
Wir haben im Gegensatz zu anderen aber dafür gesorgt,
dass jede Regierung reagieren und sicherstellen muss,
dass die Zusagen, die gemacht worden sind, auch einge-
halten werden.
Wir stehen heute vor dem Abschluss dieser großen Re-
form. Ich denke, das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt
für die Menschen in unserem Lande: für die Älteren, die
wissen, dass sie durch dieses neue Rentenrecht ich be-
tone es nochmals auf jeden Fall höhere Renten haben
werden als nach dem alten Rentenrecht; für die Jungen,
die wissen, dass ihre Rentenbeiträge bezahlbar sind; für
die junge Generation, die weiß, dass sie zukünftig mit
dem Aufbau einer zweiten, kapitalgedeckten Rente zwei
Rentenzahlungen erhalten wird; für alle Menschen in un-
serem Lande, die Kinder erziehen und die jetzt wissen,
dass ihre rentenrechtlichen Ansprüche zusätzlich höher
bewertet werden. Für all diese Menschen wird die Reform
ein Gewinn sein.
Wie immer im Leben gibt es natürlich nicht nur Ge-
winner.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind in
der Tat nur einen kurzen Weg gegangen und ein kurzes
Stück gesprungen. Sie stehen heute exakt an dem Punkt,
an dem Sie am Anfang standen. Das bedaure ich; denn ich
hätte eigentlich gewollt, dass eine Opposition konstruktiv
mitarbeitet.
Ich freue mich, meine Damen und Herren, dass wir mit
dem Abschluss dieser Reform wieder eines deutlich ma-
chen können: dass mit dem Begriff der Reform auch ver-
bunden ist, dass es den Menschen nach der Reform besser
geht als vor der Reform.
Dafür, dass Sie diesem Reformwerk zustimmen, möchte
ich mich bedanken. Auch für die konstruktive Mitarbeit
all derjenigen, die sich beteiligt haben, möchte ich mich
nochmals recht herzlich bedanken.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Bundesminister Walter Riester
16445
Ich gebe das
Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Karl-Josef
Laumann.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Sie haben einfach zu früh ge-
klatscht.
Herr Riester, Ihr Vorwurf, meine Fraktion, die Union,
hätte sich nicht konstruktiv bemüht, eine gemeinsame Li-
nie bei der Rentenfrage zu finden,
ist angesichts dessen, was ich ich war von Anfang an bei
den Verhandlungen dabei erlebt habe, eine Ungeheuer-
lichkeit.
Denken Sie nur einmal daran, dass Sie während all die-
ser Gespräche die Rentenformel viermal geändert haben!
Am Anfang stand Ihre kühne Aussage, Sie würden die
Renten zwei Jahre gemäß der Inflationsrate erhöhen, da-
mit würden Sie die Sache in den Griff bekommen. Dann
haben Sie den Ausgleichsfaktor erfunden und ihn später
zum linearen Ausgleichsfaktor umgestaltet. Auch das
mussten Sie zurücknehmen. Später haben Sie gesagt: Wir
nehmen 85 Prozent als Basiswert für die Rentenerhöhung.
Professor Ruland dagegen schlug 75 Prozent vor. Dann ei-
nigt sich die SPD-Bundestagsfraktion in einer gespensti-
schen Sitzung, angeordnet von der IG Metall, auf 90 Pro-
zent.
Wissen Sie, was ich an dieser ganzen Geschichte nicht
verstehe?
Trotz all der unterschiedlichen Rentenniveaus kam Sie
immer auf den gleichen Beitragssatz von 22 Prozent. Das
ist einfach nicht zu verstehen.
Ich begreife einfach nicht, dass ein Mann wie Sie, Herr
Riester, der als Handwerker doch wohl etwas logisch den-
ken kann, glaubt, dass der Beitragssatz sich nicht ändert,
wenn andauernd das Rentenniveau geändert wird.
Sie haben bis zum Schluss herumgetrickst. Im letzten
Moment des Vermittlungsverfahrens haben Sie Verbesse-
rungen bei der Witwenrente vorgesehen. Letztendlich ha-
ben nämlich auch Sie erkannt, dass es nicht in Ordnung
war, Mütter so zu bestrafen, wie Sie es vorhatten.
Dass Sie aber diese Verbesserungen für die Witwen, die
auch wir begrüßen, unter Beibehaltung des gleichen Bei-
tragssatzes hinbekommen, obwohl das fast 4 Milliarden
DM kostet, das ist nicht mehr mit Adam Riese, sondern
nur noch mit Adam Riester zu erklären.
Jetzt will ich Ihnen sagen, wie Sie das in Ihrer Ge-
samtrechnung hinbekommen.
Herr Kol-
lege Laumann, eine Kurzintervention ist eine Kurzinter-
vention. Ich bitte Sie, jetzt den Schlusssatz zu sprechen.
Sie gehen immer
von dem gleichen Beitragssatz aus. Wie Sie dieses in
Ihren Berechnungen hinbekommen, will ich nur an einem
Beispiel zeigen:
Um die Mehrkosten aufgrund der Verbesserungen bei der
Witwenrente aufzufangen, ändern Sie in Ihren Berech-
nungen einfach nur die Zahl der Einwanderer. Sie haben
nur herumgetrickst. Solch ein Getrickse kann man mit uns
nicht machen.
Danke schön.
Ich schließe
die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
lichen Rentenversicherung und zur Förderung
eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens
Drucksachen 14/4595, 14/5068, 14/5146,
14/5150, 14/5367, 14/5383, 14/5970
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 200116446
Der Berichterstatter verzichtet freundlicherweise auf
eine Berichterstattung. Das Wort zu Erklärungen wird
auch nicht gewünscht.
Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im
Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam
abzustimmen sei.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt?
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben
werden.1)
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu-
satzpunkt 10 auf:
16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-Werner Bertl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber,
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller , Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhun-
dert
Drucksache 14/5799
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht
Braun , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Public Private Partnership in der auswärti-
gen Kulturpolitik
Drucksache 14/5963
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-
legin Monika Griefahn für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nachdem wir hier nun ein
Werk abgeschlossen haben, wenden wir uns einem ande-
ren wichtigen Werk zu.
Die Schauspielerin Barbara Sukowa, die in New York
lebt, erzählte einmal, wie ihr Mann, ein amerikanischer
Maler, bemerkte: Make sure you dont take part in any-
thing which has Third in the title. Er bezog sich auf eine
Veranstaltung zur auswärtigen Kulturpolitik in Deutsch-
land, also die dritte Säule der Außenpolitik. Zu dieser
Veranstaltung hatten wir Barbara Sukowa eingeladen. Die
Äußerung ihres Mannes spricht für sich und zeigt mehr als
deutlich, wie wir immer noch wahrgenommen werden.
Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, aber ein bemerkens-
werter. Wir haben offenbar noch einiges in diesem Be-
reich zu tun; denn diese Bemerkung kam eben nicht von
einem Vertreter der hohen Politik, sondern von jeman-
dem, der Teil der normalen Bevölkerung ist der Zivil-
gesellschaft, die wir erreichen und für uns gewinnen wol-
len.
Deshalb haben wir in der auswärtigen Kulturpolitik
drei große Ziele. Das erste ergibt sich daraus sofort.
Erstens. Wir wollen Deutschland der Welt als weltof-
fenes, tolerantes Land präsentieren, als ein Land, das
Gesicht zeigt. So, wie die Kampagne in Deutschland ge-
führt wird, muss dies auch im Ausland geschehen.
Zweitens. Über die Vermittlung der deutschen Spra-
che wollen wir erreichen, dass Menschen sich für unser
Land interessieren und natürlich auch mit unserem Land
verbunden werden. Die Förderung der deutschen Sprache
ist und bleibt ein wichtiges Anliegen der auswärtigen Kul-
turpolitik. International und besonders im europäischen
Rahmen wollen wir sie als eine zweite Fremdsprache ne-
ben Englisch etablieren. Es ist wichtig, dass wir beides
können, dass wir Englisch und Deutsch können und nicht
Pidgin-English, Denglish oder sonst etwas, und dass
beide Sprachen gut erlernt werden.
Drittens; das ist ein ganz wichtiges Feld. Das Jahr 2001
wurde von der UN als das Jahr des Dialogs der Kulturen
ausgerufen, angeregt von Präsident Khatami aus dem
Iran, der sich öffnen wollte und wieder den Dialog sucht.
Dialogstrukturen aufzubauen ist ein ganz entscheiden-
der Punkt der Konfliktvermeidungsstrategie in der
Außenpolitik. Konfliktvermeidung ist präventive Sicher-
heitspolitik.
Konfliktvermeidung zu einem Zeitpunkt, zu dem wir
noch keine Polizisten irgendwohin schicken, sondern zu
dem wir Verständigung erzielen wollen, zu dem wir die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
16447
1) Ergebnis Seite 16449 D
Unterschiede und die Gemeinsamkeiten, die unterschied-
lichen Wertesysteme gegenseitig verstehen wollen, ver-
hindert, dass wir später mit der Keule aufeinander ein-
schlagen. Deswegen ist das ein wesentliches drittes Ziel,
das wir in der auswärtigen Kulturpolitik verfolgen.
Auswärtige Kulturpolitik ist damit Sicherheitspolitik,
Sozialpolitik, aber auch Wirtschaftspolitik, denn wenn die
Menschen mit uns im Dialog stehen, wenn sie zu
Deutschland eine Beziehung haben, dann werden sie
natürlich auch eher deutsche Produkte kaufen und deut-
sche Firmen in ihren Ländern ansiedeln. Wir werden mit
ihnen in einem engen Kontakt stehen. Insofern spielt die-
ser Faktor eine ganz wichtige Rolle.
Das Modell der Zweibahnstraße ist das entschei-
dende Modell der neuen auswärtigen Kulturpolitik, die
auch das Auswärtige Amt in dem neuen Konzept 2000
vorgestellt hat. Minister Fischer wird sicherlich dazu
sprechen. Das bedeutet: Wir sind nicht die Missionare, die
irgendwo hingehen und etwas nur präsentieren, sondern
wir lernen und wir geben. Das ist ein auf Gegenseitigkeit
basierender Prozess.
Die Vielfalt der Kulturen ist dabei die Basis der Poli-
tik. Um diesen Dialog voranzubringen brauchen wir eben
auch die Zivilgesellschaft, brauchen wir Gruppen, die
außerhalb der Politik, außerhalb der staatlichen Organisa-
tionen tätig sind. Auf dieser Ebene können Kontakte viel
direkter, viel unmittelbarer geknüpft und gepflegt werden.
Sie dienen als Türöffner für Politik. Das heißt eben
auch, dass es umgekehrt in der Politik ebenfalls mehr zi-
vilgesellschaftliche Elemente braucht, zum Beispiel die
Aufnahme von Künstlerinnen und Künstlern in offizielle
Regierungsdelegationen.
Diese Menschen haben ganz andere Kontakte und Heran-
gehensweisen als die Diplomaten und Politiker. Das ist
eine Bereicherung, eine Ergänzung, die bei der Bewälti-
gung der vor uns stehenden Aufgaben nur helfen kann.
Die Kommunen und Gebietskörperschaften haben auf
diesem Gebiet ebenfalls bereits eine sehr intensive Arbeit
geleistet. Der Sport- und Kulturaustausch und die Städte-
partnerschaften haben in den letzten Jahren viele dieser
Kontakte auf unterer Ebene hergestellt und dabei sehr viel
zum gegenseitigen Verständnis beigetragen.
Dabei denke ich nur einmal an Frankreich und daran, wie
viel auf dieser Ebene, im direkten Kontakt der Menschen
aus ganz kleinen Gemeinden ich sehe das in meiner
Stadt mit ihren 30 000 Einwohnern , in der Praxis zwi-
schen den Bürgern läuft. Dies ist der beste Weg, um lang-
fristig die Freundschaft mit Frankreich zu sichern. So
muss es mit anderen Ländern auch geschehen.
Ein wichtiger Punkt bei der Verstärkung des Dialogs ist
der Austausch auf künstlerischer Ebene im Inland und im
Ausland. Da gibt es sehr viele Initiativen, zum Teil von
kleinen, gemeinnützigen Kulturveranstaltern, die keine
ausländischen Künstler mehr einladen können, weil circa
40 Prozent der Gage ans Finanzamt abgeführt werden
müssen.
Wir sehen aber, dass genau dort der direkte Dialog, der
Austausch mit einer anderen Kultur, stattfindet, zum Bei-
spiel durch Gruppen aus Polen, die in Frankfurt an der
Oder auftreten, oder durch Gruppen aus Frankreich, die
in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg auftreten.
Damit auch diese wieder hierher kommen können, wol-
len wir uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass die Be-
steuerung ausländischer Künstler reduziert wird, zum
Beispiel durch einen Freibetrag gerade bei kleinen Ga-
gen, sodass sich die gemeinnützigen Organisationen den
Auftritt solcher Gruppen wieder erlauben können. Auch
das ist ein wichtiger Beitrag zum gegenseitigen Ver-
ständnis.
Wie wichtig der Teilbereich Konfliktvermeidung und
Dialog ist, ist mir bei der Anhörung noch einmal sehr
deutlich geworden, die die Fraktionen der SPD und der
Grünen zu diesem Thema durchgeführt haben. Beispiels-
weise hat der kürzlich verstorbene Schriftsteller aus dem
Iran, Golschiri, wirklich mit Begeisterung dargestellt,
dass das Goethe-Institut im Iran eine wichtige Rolle
spielte, dass sich die Menschen dort trafen. Die
10 Nächte der Poesie zum Beispiel, die vor über 20 Jah-
ren stattgefunden haben, sind dort in bester Erinnerung,
weil da zum ersten Mal gemeinschaftlicher Protest der
Iraner gegen die staatliche Zensur ausgedrückt worden ist.
Das ist unterhalb der staatlichen Ebene passiert und das
geht auch nur unterhalb der staatlichen Ebene.
Daran sieht man, wie wichtig für uns die Konstruktion
ist, die auswärtige Kulturpolitik in Deutschland mit Mitt-
lerorganisationen zu gestalten, die nicht direkt Bot-
schaftsangehörige sind, sondern eingetragene Vereine,
wie das Goethe-Institut Inter Nationes, der DAAD oder
die Humboldt-Stiftung. Es ist deutlich geworden, wie
wichtig diese nicht staatliche Ebene ist. Daran müssen wir
in der Tat weiter ansetzen. Wir müssen uns dafür einset-
zen, dass das Institut in Teheran wieder eröffnet wird. Wir
sind dort auf einem guten Wege.
An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, wie wich-
tig neben der Spracharbeit die Programmarbeit ist, die
Möglichkeit also, vielfältige Veranstaltungen durchzu-
führen. Es gibt Tendenzen man hört das immer wieder ,
die Goethe-Institute könnten auf reine Sprachvermitt-
lungsorganisationen reduziert werden und dann würde
sich das andere schon ergeben. Ich halte das für absolut
falsch. Ich glaube, die Programmarbeit, der Austausch von
Künstlerinnen und Künstlern, die Begegnung sind die zen-
trale Ebene, auf der wir den Dialog fördern und in der Ge-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Monika Griefahn
16448
sellschaft eine Basis schaffen können, um Konflikte zu
vermeiden.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei
Hilmar Hoffmann, dem langjährigen Präsidenten des
Goethe-Institutes, bedanken, der Ende dieses Jahres sein
Amt abgeben wird, der allein in den letzten acht Jahren
30 Millionen DM zusätzlich gesammelt hat, um in den
Goethe-Instituten Programmarbeit zu ermöglichen, und
der sich sehr dafür eingesetzt hat, dass im Rahmen der Fu-
sion zwischen dem Goethe-Institut und Inter Nationes, die
jetzt erfolgreich vollzogen worden ist, die Rendite, die aus
einer solchen Verwaltungsvereinfachung entsteht,
tatsächlich für Programmarbeit eingesetzt wird. Dafür
wollen auch wir hier eintreten.
Neben dem Goethe-Institut, dem DAAD, der
Humboldt-Stiftung etc., sind aber auch hier im Lande Or-
ganisationen wichtig, die diesen Austausch betreiben. Ein
Beispiel dafür ist das Haus der Kulturen der Welt
als die Einrichtung für den Austausch im Inland, das
sehr viele Programme gestaltet, die sehr intensiv genutzt
werden, und bei dem, wie ich gerade gelernt habe, ein Be-
sucherzuwachs zu verzeichnen ist. Auch das zeigt, wie
notwendig solche Einrichtungen sind.
Ein wichtiger Teil bei der Vermittlung des Deutsch-
landbildes ist die Deutsche Welle. Ich bin froh, dass ges-
tern ein neuer Intendant gewählt worden ist, dem ich von
dieser Stelle aus viel Erfolg für seine Arbeit wünsche. Ich
hoffe, dass wir mit einem neuen Programmauftrag, der
nicht allein die Repräsentation Deutschlands umfasst, was
nicht mehr zeitgemäß ist, sondern die Dialogfunktion vo-
ranbringen wird, ein weltoffenes Bild von Deutschland
präsentieren werden.
Ein Drittel der Arbeit findet in den Auslandsschulen
statt. Auch sie werden zukünftig stärker ein Ort der Be-
gegnung werden. Das ist ein wichtiger Punkt; denn ein
Drittel des Geldes fließt in diesen Bereich. Ganz wichtig:
Wir haben in diesem Jahr die Stipendien für Studenten er-
höht. Auch das ist wiederum ein entscheidender Punkt. In
Deutschland wird die Möglichkeit zur Begegnung herge-
stellt und gleichzeitig eine Anbindung geschaffen. Somit
soll in Zukunft zwischen dem Land, aus dem der Student
kommt, und seinem Aufenthaltsort ein guter Kontakt be-
stehen. Darüber hinaus soll die Möglichkeit bestehen,
dass Studenten nach Vollendung ihrer Ausbildung in dem
Land bleiben können.
Die große Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik kann
ich nur in Kürze skizzieren. Wir werden europäisch in-
tensiver zusammenarbeiten müssen. Wir werden gemein-
same Euro-Campus-Schulen errichten. In Schanghai und
Manila haben wir bereits gemeinsame Schulen. Auch in
London gibt es gemeinsame Institute von British Council
und Goethe-Institut Inter Nationes. Das ist eine gute
Grundlage für eine europäische Identität.
Die auswärtige Kulturpolitik das muss uns allen klar
werden hat eine ganz wichtige Funktion in unserer
Außen- und Innenpolitik. Ich wünsche mir sehr, dass die-
ses Haus das unterstützt.
Ich darf mit einem Zitat von Klaus Staeck schließen,
der bei unserer Anhörung dabei war: Ich wünsche mir die
deutsche Kultur als Anreger und als Plattform für wech-
selseitiges Verständnis. Mehr kann man zu diesem
Thema gar nicht sagen.
Danke schön.
Bevor ich
das Wort weitergebe, darf ich das von den Schriftführe-
rinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Reform
der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung
eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens, Alters-
vermögensgesetz, auf Drucksache 14/5970 bekannt ge-
ben. Abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt
295, mit Nein haben gestimmt 252, Enthaltungen 4.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Monika Griefahn
16449
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 548;
davon
ja: 294
nein: 250
enthalten: 4
Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Lothar Binding
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
16450
Lilo Friedrich
Harald Friese
Anke Fuchs
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf
Angelika Graf
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller
Jutta Müller
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Birgit Roth
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald Schurer
Dietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis
Matthias Weisheit
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese
Klaus Wiesehügel
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann
Volker Beck
Angelika Beer
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
Werner Schulz
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
16451
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm
Nein
SPD
Detlef von Larcher
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler
Hartmut Büttner
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
Dr. Manfred Lischewski
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
Dr. Martin Mayer (Siegerts-
brunn)
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Peter Paziorek
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Bernd Wilz
Willy Wimmer
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
F.D.P.
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Norbert Lammert
das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Koalitions-
fraktionen die auswärtige Kulturpolitik der Bundesregie-
rung für diskussionsbedürftig halten und durch einen An-
trag im Bundestag öffentlich zur Debatte stellen wollen,
steht die Opposition dem selbstverständlich nicht im Wege.
So sind wir.
Auch die Aufforderung an die Bundesregierung, die im
Antragstext der Koalition enthalten ist,
der Auswärtigen Kulturpolitik insgesamt ein klares
Profil und einen höheren Stellenwert zu verschaffen
und sie als außenpolitisches Konfliktvermeidungssys-
tem stärker als bisher in die allgemeine Außenpolitik
zu integrieren
unterstützen wir gerne.
Nicht erst seit der Vorlage der Konzeption 2000 und
ihrer Erörterung im Bundestagsausschuss für Kultur und
Medien ist deutlich, wo wir Probleme haben und wo eben
nicht. Die geringsten Probleme der auswärtigen Kultur-
politik haben wir in der Definition der Grundsätze. Die
größten Schwierigkeiten haben wir bei ihrer Umsetzung.
Auch eineinhalb Jahre nach Vorliegen der Konzep-
tion 2000 ist die Bundesregierung die Antwort auf die
Frage schuldig geblieben, was sie mit welchen Mitteln wo
und wann tun will und tun kann.
Das Problem ist zugegeben nicht neu. Ich stehe
überhaupt nicht an, gleich zu Beginn darauf hinzuweisen,
dass die Haushaltsknappheit nicht erst seit dem Regie-
rungswechsel aufgetreten ist. Aber während die lautstark
verkündeten Ansprüche immer höher geschraubt werden,
hat sich der Umfang der verfügbaren Mittel kontinuierlich
verringert.
Die auswärtige Kulturpolitik ist nicht die Sparbüchse
des Auswärtigen Amtes. Ich meine dies übrigens aus-
drücklich auch im empirischen Sinne, Herr Außenminis-
ter. Ich trete hier wie im Ausland dem dort leider weit ver-
breiteten Eindruck entgegen, durch Kürzungen in der
Kulturarbeit würden andere Aufgaben der auswärtigen
Politik finanziert. Dieser Eindruck ist falsch, aber weit
verbreitet. Die auswärtige Kulturpolitik das zeigt jeder
Blick in den Haushalt wird nicht schlechter, aber sie
wird auch nicht anders als andere Aufgabenbereiche be-
handelt, schon gar nicht prioritär. Dies genau war aber der
Anspruch, mit dem diese Regierung angetreten war.
Das zentrale Problem der auswärtigen Kulturpolitik ist
die wachsende Diskrepanz zwischen den hohen Erwartun-
gen und den bescheidenen Möglichkeiten, zwischen den ei-
genen Ansprüchen und den tatsächlichen Verhältnissen.
Man kann das simpel auf einen Satz reduzieren:
Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehen
durchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel ei-
ner aktiveren auswärtigen Kulturpolitik.
So sagte es Joschka Fischer Anfang Mai dieses Jahres in
Stuttgart.
Wenn ich Sie, Herr Fischer, schon nicht für die Kulturpo-
litik belobigen kann, dann aber für die Ehrlichkeit, mit der
Sie zu Protokoll geben, dass die Politik, die Sie betreiben,
weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, die diese Koa-
lition und diese Regierung erzeugt haben.
Die dritte Säule, von der Frau Griefahn gesprochen
hat, wankt. Das behauptet keineswegs eine unfreund-
liche Opposition; das ist im Original die Beurteilung
des scheidenden Generalsekretärs des Goethe-Instituts,
Joachim Sartorius, der dies der Bundesregierung ins
Stammbuch geschrieben hat, bevor er in eine andere,
ebenfalls vom Bund finanzierte, kulturpolitische Schlüs-
selfunktion gewechselt ist.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
16452
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Heribert Blens
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Irmingard Schewe-Gerigk
Ich darf aus seinem Beitrag in dem Band für Hilmar
Hoffmann, der schon vorhin zu Recht angesprochen wor-
den ist, folgende Sätze zitieren:
Die Mittler erfahren zurzeit den tiefsten finanziellen
Einschnitt in ihrer Geschichte.
Hilmar Hoffmann hat in eindringlichen Reden und
Aufsätzen unermüdlich auf den außenpolitischen
Schaden hingewiesen, der durch die Schließung von
Goethe-Instituten entsteht und in keiner wirklichen
Relation zu den eingesparten Beträgen steht. ... Es ist
schmerzlich, dass der zuständige Minister dieses
Schlüsselfeld nicht besetzen will, dass Joschka
Fischer nicht merkt, wie kongruent die Prinzipien der
Philosophie der Grünen und die Leitsätze der aus-
wärtigen Kulturpolitik sich zueinander verhalten.
Hinsichtlich des letzten Punktes muss ich Sartorius wi-
dersprechen; denn die Kongruenz der jeweiligen
Grundsätze wird Joschka Fischer schon bemerkt haben.
Aber vielleicht ist ihm nicht hinreichend klar, dass es für
die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der deutschen aus-
wärtigen Kulturpolitik nicht ausreicht, dass die Grund-
sätze dieser auswärtigen Kulturpolitik mit den politischen
Prinzipien der demokratischen Parteien bestens überein-
stimmen. Vielmehr müssen sie in unseren Partnerländern
in der Anwendung erkennbar sein. Gerade das ist aber lei-
der sehr viel weniger der Fall.
Der in den vorliegenden Anträgen enthaltene richtige
Hinweis auf die durch die Globalisierung entstehenden
Herausforderungen für den Dialog der Kulturen der Welt
ist oft genug genannt worden; auch die Einsicht in die Un-
vermeidlichkeit neuer, jedenfalls fortgeschriebener Prio-
ritäten ist nicht mehr originell. Wir können nicht überall
und schon gar nicht überall gleich stark vertreten sein.
Also brauchen wir neue Strukturen und neue Kooperati-
onsmuster mit unterschiedlichen Partnern sowie gemein-
same Lösungen mit europäischen Nachbarländern in
außereuropäischen Ländern; wir brauchen innovative
Konzepte unter Beteiligung deutscher und ausländischer
Mitarbeiter im jeweiligen Partnerland. Ich unterstütze
ausdrücklich die Überlegung, insofern zu einer möglichst
gemeinsamen Evaluierung zu kommen. Damit meine ich
eine Evaluierung unter Beteiligung des Parlaments und
der zuständigen Mitarbeiter der Bundesregierung sowie
unter Beteiligung des Sachverstandes der Mittlerorgani-
sationen.
Gerade unter den Bedingungen begrenzter finanzieller
Ressourcen ist das Verhältnis unserer diplomatischen Ver-
tretungen insbesondere Botschaften, aber auch Kon-
sulate zu den deutschen Mittlerorganisationen im
jeweiligen Land eine Schlüsselfrage in der auswärtigen
Kulturpolitik und zwar wiederum keine Schlüsselfrage
im Prinzip, sondern in der Praxis. Dazu gibt es gute und
schlechte Beispiele. Ein besonders deprimierendes Bei-
spiel haben wir auf der Reise der Ausschussdelegation ge-
rade kennen gelernt: Nepal. Dort ist nach Schließung des
Goethe-Instituts dazu will ich, um keine Pappkamera-
den aufzubauen, sagen, dass das unter der früheren Bun-
desregierung geschah nun auch der Kulturreferent der
deutschen Botschaft abgezogen worden. Damit sind wir
in einem Land, das unter Handels- und Sicherheitsaspek-
ten sicher keine überragende strategische, wohl aber eine
herausragende kulturpolitische Bedeutung für uns hat,
weil es das vielleicht wichtigste Heimatland des Buddhis-
mus und damit einer der großen Weltreligionen ist, kul-
turpolitisch schlicht und ergreifend nicht mehr präsent.
Die 250 DM im Monat, die die deutsche Botschaft in die-
sem Land für Kulturarbeit zur Verfügung hat, sind ein ge-
radezu peinlicher Beitrag zur Wahrnehmung der Aufga-
ben deutscher auswärtiger Kulturarbeit.
250 DM im Monat, nach Abzug des Kulturreferenten,
der die Aufgaben hätte wahrnehmen sollen, die nach
Schließung des Goethe-Institutes für die deutsche aus-
wärtige Kulturpolitik zu erledigen waren.
An diesem Beispiel wird deutlich Probleme werden
immer in der Praxis real , dass wir uns weniger um die
Grundsätze zu streiten haben, sondern uns mehr um die
Umsetzung dieser Grundsätze in die Wirklichkeit küm-
mern müssen. Dabei bitte ich darum ich hoffe, das wird
nur eine redaktionelle Akzentuierung sein , dass da, wo
im Koalitionsantrag aus guten Gründen von der Notwen-
digkeit der Konzentration auf strategisch und politisch
motivierte Prioritäten die Rede ist, die Kultur nicht ganz
vergessen wird; denn darum geht es bei der auswärtigen
Kulturpolitik nach wie vor und in allererster Linie.
Es ist wichtig, dass wir uns über die Ziele und
Grundsätze unserer auswärtigen Kulturpolitik einig sind,
und daran habe ich nach all den Debatten der vergange-
nen Wochen und Monate überhaupt keinen Zweifel. Aus-
wärtige Kulturpolitik muss sich an Werten orientieren, der
Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet sein,
an wissenschaftlich-technischem Fortschritt, Wachstum
und zugleich am Schutz der natürlichen Ressourcen inte-
ressiert sein, weltoffen sein, das eigene Land und die Kul-
tur als Teil eines gemeinsamen europäischen Erbes ver-
mitteln, um den Dialog der Kulturen bemüht sein sowie
die Verständigung zwischen Staaten und Menschen för-
dern. Sie darf nicht staatsfern sein, wie es irrtümlich in
Ihrem Antrag steht, muss aber regierungsunabhängig
sein. Sie muss einen Beitrag zu einer friedlicheren,
freundlicheren, durch Geist statt durch Gewalt geprägten
und deswegen hoffentlich besseren Welt leisten.
Wenn wir uns über all diese Ziele einig sind, können
wir sie gewiss gemeinsam im Deutschen Bundestag be-
kräftigen und beschließen. Allerdings müssen wir wissen,
dass es folgenlos bleibt, wenn wir nicht zugleich dafür
sorgen, dass all das, was wir wollen, auch tatsächlich ge-
schieht.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Norbert Lammert
16453
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der auswär-
tigen Kulturpolitik obliegen sehr viele Aufgaben. Sie hat
viele Facetten und wird mit den unterschiedlichsten Mit-
teln transportiert. Die einen erfreuen sich im Theater oder
Konzertsaal am Schönen und Wahren der Kunst, andere
lernen in den Kursen des Goethe-Instituts Inter Nationes
Deutsch oder nutzen ein Stipendium der Humboldt-Stif-
tung für ihre berufliche Qualifikation. Auf die eine oder
andere Art machen sie über die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik Erfahrungen mit Deutschland. Die Auf-
gabenpalette ist breit und die Landschaft der nicht staat-
lichen Vermittler vielfältig.
Das Institut für Auslandsbeziehungen hat Anfang
Mai sein Stuttgarter Schlossgespräch dem Thema Mit
Kultur gegen Krisen gewidmet und die Frage gestellt:
Was kann Kultur in politischen Konfliktsituationen und
kriegerischen Auseinandersetzungen leisten? Eines ist si-
cher, Herr Kollege Irmer: Mit Kultur- und Bildungspoli-
tik kann man weder Kriege verhindern noch akute Krisen
bewältigen.
Allerdings können wir uns dem Generalsekretär der
Vereinten Nationen, Kofi Annan, anschließen, der den
Begriff einer Kultur der Prävention geprägt hat. Nicht
zufällig Frau Kollegin Griefahn hat schon darauf hinge-
wiesen wurde das Jahr 2001 von den Vereinten Natio-
nen zum Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen ausge-
rufen. In einer multipolaren Welt genügt die reine
Selbstpräsentation eines Landes immer weniger und Dia-
logfähigkeit sowie interkulturelle Kompetenz gewinnen
an Bedeutung.
Bundestagspräsident Thierse hat bei seiner Iranreise
in seiner Teheraner Rede gefragt: Wie kommen wir hin
zum vielfach beschworenen Ideal des völkerverbinden-
den Dialogs? Er führte dazu aus:
Jede Veränderung, so meine ich, muss im Kopf be-
ginnen. Der eigene Erfahrungshorizont muss sich
öffnen für neues Denken und neues Verstehen, ohne
sich zugleich von den eigenen Grundwerten zu ver-
abschieden oder sich einem Werterelativismus zu
verschreiben. Denn grundlegende Werte sind
tatsächlich nicht verhandelbar, ich denke an die Men-
schenrechte. Einen gleichberechtigten Dialog kann
es nur geben, wenn niemand befürchten muss, wegen
einer Äußerung bestraft zu werden.
Diese Worte, geäußert während einer schwierigen Reise,
konnten klarer und deutlicher, aber auch versöhnlicher
nicht sein.
Wir leben in einer Zeit, in der die technischen Fort-
schritte unsere Kommunikationsmöglichkeiten rasant be-
schleunigen und erweitern. Globalisierung schafft Nähe,
wo vorher keine war. Sie ermöglicht uns die Auseinan-
dersetzung mit dem, was uns noch eben fremd war. Der
Schriftsteller Mario Vargas Llosa stellt fest, dass es für
ihn keinen Zweifel daran gebe, dass in einem Land wie im
Peru des Fahnenflüchtigen Fujimori die Globalisierung
mehr Schaden angerichtet als Gutes gebracht habe. Aber
er macht nicht die Globalisierung dafür verantwortlich,
sondern die Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit und
Freiheit. Er meint, nur in Ländern, in denen gerechte und
durchschaubare Spielregeln herrschen, wo politische
Kontrolle und freie Presse existieren, dort ist die Glo-
balisierung kein Fluch. Die Lehre daraus ist, dass auch
die Demokratie global werden muss.
Wichtigste Voraussetzung für die Kulturarbeit ist die
Freiheit der Kunst. Sie selbst kann jedoch auch aller-
dings jenseits politischer Instrumentalisierung demo-
kratische Werte vermitteln. Ein beeindruckendes Projekt
ist in Sarajevo geplant. Dort will das Goethe-Institut In-
ter Nationes Lessings Nathan der Weise nacheinander
vor einer Kirche, einer Synagoge und einer Moschee auf-
führen. Diese auf Vermittlung, Versöhnung und gegensei-
tiges Verständnis ausgerichtete Initiative in einem Land,
das von ethnischen Konflikten völlig zerrissen ist, zeigt
die politische Wirkung der Kunst.
Wer in der globalisierten Welt bestehen will, muss im
Bereich der Spitzentechnologie mithalten. Nur wenn un-
ser Land wirtschaftlich, technologisch und kulturell be-
deutend ist, gibt es ein Interesse an Deutschland und der
deutschen Sprache. Unser Ziel muss es sein, kreative
Menschen, Multiplikatoren und künftige Entscheidungs-
träger im Ausland zu fördern und sie für Deutschland zu
interessieren.
Im Übrigen liegt es an den Bundesländern, die Stu-
diengänge zu internationalisieren, Bachelor- und Master-
abschlüsse noch mehr zu verbreiten. Wir konnten dem
Deutschen Akademischen Austauschdienst dieses Jahr
zusätzlich 17 Millionen DM für Stipendien und Sprach-
kurse bereitstellen.
Das Auswärtige Amt hat die Zusammenarbeit mit den
Auslandsvertretungen und den Mittlerorganisationen
neu ausgerichtet. Das ist sinnvoll und kosteneffizient.
Herr Lammert, das Amt hat durchaus hinsichtlich der
auswärtigen Kulturpolitik prioritär gehandelt. Die Spar-
quote im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik war im-
mer geringer als die in allen anderen Bereichen des Am-
tes. Das möchte ich hier klar feststellen.
Nicht nur infolge der knappen Ressourcen, sondern
auch aufgrund der technischen Entwicklung hängt die Zu-
kunft der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ganz
entscheidend davon ab, wie die neuen Technologien
umfassend in die gesamte Arbeit integriert werden. Das
Goethe-Institut in Budapest zeigt zum Beispiel, wie die
neuen Medien auch publikumswirksam eingesetzt werden
können. Mit seinem Internetcafé Eckerman ist es ins-
besondere attraktiv für junge Besucherinnen und Besu-
cher, die gerade wegen des angebotenen kostenlosen
Netzzugangs gerne dorthin gehen. Wie da nebenbei das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 200116454
Bild eines modernen Deutschlands vermittelt wird, macht
deutlich: Die dritte Säule wankt nicht. Die auswärtige
Kulturpolitik ist auf einem guten Weg.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich habe den Antrag der Koalitionsfraktionen
gelesen und habe nicht viel Neues darin entdeckt. Wenn
Sie einen solchen Antrag vor zehn oder 20 Jahren hier prä-
sentiert hätten, dann hätte vermutlich ungefähr dasselbe
darin gestanden. Das zeigt eigentlich die Unübertrefflich-
keit liberaler Kulturpolitik auch im Ausland.
Sie haben festgestellt, wir stünden auch im Bereich der
auswärtigen Kulturpolitik vor neuen Herausforderungen.
Wie diese Herausforderungen zu bewältigen sind, sagen
Sie nicht. Allerdings berauschen Sie sich neuerdings mehr
und mehr an dem Wort Konfliktvermeidungsstrategie.
Auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe haben Sie dafür
gesorgt, dass Sie als eine Art Friedensfachdienstleister
Sie sind sozusagen die rot-grüne Heilsarmee durch die
Gegend ziehen.
Entsprechend soll nun die auswärtige Kulturpolitik, die
auch missioniert werden soll, gehandhabt werden. Herr
Fischer, ich rege an, dass in Ihrem Haushalt genügend
Geld für all die hübschen weißen Kleidchen, die goldenen
Flügelchen und die rot-grünen Kerzchen,
mit denen die Kulturattachés der Botschaften soweit es
sie noch gibt und die Lehrer der Goethe-Institute durch
den Busch flattern und den Frieden predigen, zur Verfü-
gung gestellt wird.
Im Ernst: Wann hat der letzte Fernethiker endlich be-
griffen, dass auch und gerade die traditionelle Diplomatie
und die traditionelle auswärtige Kulturpolitik nie etwas
anderes als präventive Konfliktverhütung gewesen ist?
Dafür zu sorgen ist per definitionem ihre Aufgabe.
Sie haben keinerlei Konsequenzen aus Ihren selbst ver-
ordneten Sparorgien in diesem Bereich des Etats des Aus-
wärtigen Amtes gezogen.
Zwar wird auf der einen Seite weiterhin gespart; anderer-
seits planen Sie das lese ich in Ihrem Antrag alle mög-
lichen wunderschönen Vorhaben und dafür wollen Sie
mehr Geld haben. Jetzt sagen Sie mir einmal, woher das
kommen soll!
Wir haben trotz diesem Dilemma versucht, eine Ant-
wort auf diese Frage zu finden. Wir möchten einen
Aspekt, den dankenswerterweise auch Sie erwähnen,
ohne darüber im Einzelnen Ausführungen zu machen,
ganz besonders betonen. Wir meinen, dass wir dadurch
wesentlich stärker zu einer Ergänzung der staatlichen
Bemühungen kommen müssten, dass wir die auch von
Ihnen so gerne zitierte Zivilgesellschaft auffordern,
sich mehr an den Bemühungen um auswärtige Kulturpo-
litik zu beteiligen. Der von uns eingebrachte Antrag trägt
den ich gebe zu: unschönen Titel Public Private Part-
nership. Dieser Ausdruck ist natürlich gerade im Hin-
blick auf deutsche auswärtige Kulturpolitik missglückt.
Wir werden das noch korrigieren; ich bitte um Nachsicht.
Ich will ganz kurz sagen, was damit gemeint ist. Wir
sollten einmal definieren das haben Sie klar erkannt ,
dass auswärtige Kulturpolitik folgende Funktion hat: Sie
dient dem weltweiten Ansehen unseres Landes. Wir wis-
sen, dass wir nicht nur im internationalen Wettbewerb der
Firmen, sondern auch der Länder stehen. Im Zusammen-
hang mit Unternehmensstandorten und Wirtschaftsbe-
ziehungen spielt der kulturelle Sektor eine große Rolle.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nicht die Kultur
in den Dienst des Kommerzes stellen. Aber man bedenke,
dass das eine oft Bedingung für das andere ist. Ein Land,
das in der Welt keine Sympathie genießt, ein Land, das
für seine kulturellen Wurzeln und für seine kulturellen
Ausprägungen kein Verständnis hat, kommt auch als
Wirtschaftspartner weniger infrage. Wir haben unser
Rechtssystem, unser Bildungssystem und unser Hoch-
schulsystem dahin gehend zu prüfen, ob sie für den inter-
nationalen Wettbewerb tauglich sind. Wichtig ist auch,
wie viele ausländische Studenten gerne zu uns kommen,
um hier zu studieren. All diese Faktoren tragen letzten En-
des zur Wirtschaftsförderung und auch zur Friedensför-
derung in der Sache gebe ich Ihnen Recht bei. Dieser
Ansatz für auswärtige Kulturpolitik ist global und an ihm
sollten sich möglichst viele beteiligen.
Es ist im auch Interesse der deutschen Wirtschaft, dass
im Ausland viele Deutsch lernen. Es ist im Interesse un-
serer Auslandsvertretungen und der Goethe-Institute, dass
ein Sprachunterricht angeboten wird, der den Interessen
der Wirtschaft entgegenkommt. Wir sollten viel mehr an
die Bereitschaft interessierter Firmen zum Mäzenaten-
tum appellieren. Auf diesem Wege lassen sich vielfältige
Quellen erschließen, um über die Engpässe in unseren öf-
fentlichen Haushalten hinwegzukommen.
Ich rege an, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen,
um diesen Gedanken möglichst intensiv zu verfolgen.
Unsere Außendarstellung ist nicht mehr nur die tradi-
tionelle Glanzpapierpropaganda, in der es um Goethe,
Sanssouci und all die anderen Schönheiten geht. Genauso
wenig sollte allein die Darstellung des Holocaust unser
Außenbild bestimmen. Wir müssen im Ausland darstel-
len, wie die Gegenwart in unserem Land aussieht.
Deutschland hat zwei wunderbare Exportartikel:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Rita Grießhaber
16455
Der eine ist der Pluralismus unserer Gesellschaft. Das
ist ein weiterer Aspekt, der es sinnvoll erscheinen lässt,
dass sich Firmen an der auswärtigen Kulturpolitik beteili-
gen; denn sie können Pluralismus lebendig nach außen
darstellen.
Der andere Exportartikel ist die regionale Zusammen-
arbeit im Rahmen der Europäischen Union. Diese haben
wir als Deutsche in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
mitgeschaffen. Daran nehmen sich viele ein Beispiel und
das findet im Ausland viel Nachahmung.
Wenn wir unsere Präsentation nach außen auch in die-
ser Richtung verstehen, werden wir draußen trotz beeng-
ter Mittel einen guten Eindruck machen, gute Kontakte
knüpfen können und zur Konfliktverhütung Wesentliches
beitragen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Fink.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir
heute über auswärtige Kulturpolitik reden, ist es zunächst
erforderlich, sich darüber zu verständigen, welche Aufga-
ben und Ansprüche damit verbunden sind. In genau die-
ser Fragestellung unterscheiden sich die beiden vorlie-
genden Anträge.
Ich möchte gleich eingangs betonen, dass der Antrag
der Regierungskoalition den Vorstellungen der PDS deut-
lich näher steht. Das hat ja gerade auch der Beitrag von
Herrn Kollegen Irmer deutlich gemacht. Dem Regie-
rungsantrag liegt die Einsicht zugrunde, dass es gegen-
über früheren Jahren einer Neudefinition der auswärtigen
Kulturpolitik bedarf. Dieser Neudefinition stimme ich in
ihren Grundzügen ausdrücklich zu. Allerdings sehe ich
zwischen verbalem Anspruch und der Praxis nach wie vor
eine erhebliche Differenz. Es ist also eine Option, es ist
ein Scheck, der gedeckt werden muss.
Deutsche auswärtige Kulturpolitik verstand sich bisher
in erster Linie als Präsentation deutscher Kultur und
Kunst im Ausland, ganz im Sinne des wie es auf Seite 7
des Koalitionsantrages heißt globalen Wettbewerbs der
Gesellschaftsentwürfe. Diese Präsentation soll es frei-
lich auch künftig geben. Die Frage ist aber, ob Kultur für
das Ausland, zugespitzt formuliert, tatsächlich unter die
Maßgabe gestellt werden sollte, das gesellschaftliche Sys-
tem des entsendenden Landes als Kontrapunkt gegenüber
dem des Gastlandes zu verkörpern, oder gar eine deutsche
Leitkultur verbreiten soll. Nein, jeglicher missionarische
Eifer, in welchem Gewande auch immer, ist nicht nur fehl
am Platze, sondern geradezu kontraproduktiv. Man denke
nur daran, in wie vielen Ländern inzwischen US-ameri-
kanische Kultur weniger als Bereicherung denn als ein
Plattwalzen der eigenen Identität betrachtet wird.
Ich halte es ohnehin mit dem Kulturwissenschaftler
Dieter Kramer, wenn er feststellt, dass es eigentlich gar
keine deutsche Kultur gibt, allenfalls eine Ansammlung
von kulturellen Traditionen mit eigenen regionalen, so-
zialen und gruppenspezifischen Ausprägungen in
Deutschland. Deswegen sei es besser, von Kultur oder
Kulturen aus Deutschland statt von deutscher Kultur zu
sprechen. Diese sollten wir als offenes Angebot in der
Welt präsentieren und genauso offen die kulturellen An-
gebote unserer Gäste von dort erwarten.
Damit habe ich bereits gesagt, dass ich ausdrücklich
den Grundsatz der Zweibahnstraße begrüße, das heißt,
auswärtige Kulturpolitik im Sinne des Dialogs, des Aus-
tauschs verstehe eines Dialogs, geführt mit dem Ziel
nicht des Kultur- und mithin Ideologieexportes, sondern
des gegenseitigen Respekts für die jeweilige Kultur. In
diesem Selbstverständnis kann lebendiger und unabhän-
giger Kulturaustausch sogar mehr sein als nur die dritte
Säule der deutschen Außenpolitik: nämlich gerade dann,
wenn die Politik versagt hat. Wie oft schon hat Kultur,
ähnlich wie der Sport, ein Mindestmaß an Entspannung
und Versöhnung, letztlich an friedlichem Miteinander
auch dann aufrechterhalten, wenn sich Diplomatie in den
Fallstricken des eigenen Reglements blockiert hatte!
Diese Fälle wird es auch immer wieder geben.
Unser konzeptionelles Verständnis von Kulturaus-
tausch sollte deshalb darauf orientieren, dass er zwar mit
der Prosperität der politischen oder wirtschaftlichen Be-
ziehungen weiter gewinnen kann, aber auch und gerade
dann weiter existiert, wenn Letztere in die Krise geraten.
Zwar hängt das nicht allein von unserer Seite ab, aber wir
sollten wenigstens das uns Mögliche dazu leisten, die
Brückenfunktion der Kultur zu erhalten.
Wenn zum Beispiel die im Koalitionsantrag formu-
lierte Aufgabe der Neuausrichtung des Programmauftrags
der Deutschen Welle weg von der einseitigen Vermitt-
lung des Deutschlandbildes hin zur Orientierung an ge-
genseitigem Kulturaustausch so verstanden werden soll,
findet das auch die Unterstützung der PDS-Fraktion.
Kollegin Griefahn hat dem neu gewählten Intendanten
der Deutschen Welle, Erik Bettermann, bereits gratuliert.
Ich wünsche ihm viel Kraft, Fantasie und eine glückliche
Hand für die Erfüllung dieser Aufgabe.
Nicht anders sehe ich die künftige Aufgabe der
Goethe-Institute, nämlich als Botschafter der eigenen
Sprache und Kultur und zugleich als Mittler zwischen den
Kulturen zu wirken. Aus Besuchen und Gesprächen weiß
ich, dass sich sehr viele Mitarbeiter längst so verstehen.
Unter welch schwierigen Umständen sich gerade die
Mitarbeiter der deutschen Botschaften für die Vermittlung
auswärtiger Kultur einsetzen, haben wir beim Besuch des
Kulturausschusses in Teheran hautnah erfahren. Nachdem
dort das Goethe-Institut geschlossen wurde, tun sie alles,
um die entstandene Lücke nicht zu groß werden zu lassen.
Im Sparprogramm der Bundesregierung müssen neue
Prioritäten gesetzt werden. Bei der auswärtigen Kulturpo-
litik zu sparen ist der falsche Weg. Man braucht sicherlich
keine prunkvolle Ausstattung der vorhandenen Goethe-
Institute und auch keine Spitzenhonorare für Referenten.
Aber die Streichung von Haushaltsmitteln für Institute in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ulrich Irmer
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politischen Krisenherden ist politisch unverantwortlich.
So sollten die Kürzungen für das Goethe-Institut in Süd-
korea rückgängig gemacht werden,
ist es doch eine der wenigen Brücken nach Nordkorea.
In Sarajevo ist eine Aufstockung der Mittel dringend er-
forderlich.
Den Gedanken, neue Finanzquellen für Kulturinsti-
tute zu erschließen, halte ich schon für richtig. Allerdings
sehe ich die Einbindung vor Ort agierender kommerziel-
ler Unternehmen, wie es besonders der F.D.P.-Antrag
nahe legt, dabei aber nicht als Königsweg. Dies dürfte
recht schnell zu Interessenkollisionen und Abhängigkei-
ten führen.
Wir wissen leider sehr gut, dass es nötig ist, Ressenti-
ments gegenüber ausländischen Kulturen abzubauen. Da-
bei, diesen Vorbehalten, die bis zu rassistischem Verhal-
ten führen, entgegenzutreten, sehe ich den Staat, aber
auch die Wirtschaft in der Pflicht.
Es wäre erfreulich, wenn von dieser Seite einmal we-
niger vom Anspruch auf Rechtssicherheit, aber dafür
mehr von der moralischen Pflicht zu hören wäre, hierzu-
lande auch die Kulturpräsentation jener Staaten zu för-
dern, in denen deutsche Waren gewinnbringend abgesetzt
werden. Dem Export würde das übrigens durchaus nüt-
zen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass eine
Unterstützung bei der Kulturpräsentation armer Länder
der gleich im ersten Absatz des Koalitionsantrag erwähn-
ten Attraktivität des Standortes Deutschlands abträglich
wäre.
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2001 zum In-
ternationalen Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen
erklärt. Lassen Sie uns damit im Inland beginnen, und
zwar gerade auch im Umgang mit ausländischen Künstle-
rinnen und Künstlern zum Beispiel bei der Versteue-
rung ihrer Honorare , dann wird dies auch im Ausland
Konsequenzen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dr. Elke Leonhard.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei An-
träge, den Antrag der Koalitionsfraktionen Frau
Grießhaber und Frau Griefahn haben zum Inhalt bereits
einiges gesagt und den anachronistischen Antrag der
F.D.P.
Verehrter Herr Kollege Irmer, ich wusste nicht, dass
Sie jetzt in den Kreis der Außenpolitiker mit dem Spezi-
albereich auswärtige Kulturpolitik eingetreten sind. Aber
es ist erfreulich, dass Sie sich heute gemeldet haben.
Sie können sich später empören.
Auf jeden Fall haben wir Ihre Public-Private-Partner-
ship-Initiative unter meiner Federführung im letzten Jahr
endlich gesetzlich verankert. Sie hatten lange Zeit dazu
und haben nichts gemacht.
Herr Kollege Lammert, es mögen viele Säulen
wackeln, aber die der auswärtigen Kulturpolitik wie
Sartorius sagt nun wirklich nicht.
Ich möchte ferner betonen, dass es früher doch wenigs-
tens eines unter den auswärtigen Kulturpolitikern in die-
sem Hause gab: gemeinsame Anträge. Herr Kollege
Koschyk, Sie sind noch einer der wenigen in diesem
Hause, die zu dieser Gruppe gehören. Und wir haben nach
langen, zähen Beratungen mit der Kultur der Empathie
und des Konsenses immerhin einiges auf den Weg ge-
bracht. Das sollte auch in Zukunft so sein.
Des Weiteren: Wir haben 160-mal seit 1949 in diesem
Hohen Hause über auswärtige Kulturpolitik debattiert;
aber so wenig Zeit wie heute hatten wir dafür nie. Das
muss uns wieder zusammenschmieden in dem Willen,
endlich einmal in aller Ausführlichkeit darüber zu reden.
Lassen Sie mich erstens etwas zum historischen Rück-
blick sagen, zweitens etwas dazu, was eigentlich Eva-
luierung ist, und drittens etwas dazu, wohin der Weg geht.
Die deutsche auswärtige Kulturpolitik von 1949 bis
1989 war schlicht unspektakulär und in hohem Maße er-
folgreich. Staatsferne, Regierungsferne das war die
richtige Korrektur, Kollege Lammert; so sehe ich es
auch : Der Staat, dessen weitgehend konzeptionelle und
inhaltliche Abstinenz nach dem Missbrauch der National-
sozialisten nicht nur politisch korrekt, sondern auch the-
rapeutisch weise und heilsam war, beschränkte sich im
Wesentlichen auf die Schaffung geeigneter Rahmenbe-
dingungen. Es herrschte also unkontrollierte Vielfalt.
Die Mittlerorganisationen wurden hier schon genannt
und es wurde auch allen gedankt. Dem kann ich mich nur
anschließen. Die Mittlerorganisationen haben erheblichen
Anteil an der erfolgreichen Außenrepräsentanz in den ver-
gangenen fünf Jahrzehnten.
Die Deutsche Welle wurde schon genannt. Herrn
Bettermann wünsche ich alles Gute, segensreiches Wir-
ken. Neben der Kreativität, die gefordert wurde, wünsche
ich auch noch etwas mehr Geld. Dies da bin ich sicher
plus Kreativität wird ein Weg aus der Misere sein.
Ich möchte an dieser Stelle noch das IfA nennen, das
gerade im Bereich der Krisenprävention einiges getan hat.
In aller Kürze möchte ich noch einmal an die Statio-
nen der auswärtigen Kulturpolitik erinnern: den von
Skepsis begleiteten Wiederaufbau deutscher Kulturpolitik
im Ausland in den 50er-Jahren, die Etablierung und Ak-
zeptanz in der westlichen Hemisphäre, die bleibende Auf-
wertung durch den Außenminister der Großen Koalition,
Willy Brandt, der die auswärtige Kulturpolitik im Jahre
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Heinrich Fink
16457
1966 als die dritte Säule der modernen Außenpolitik ne-
ben klassischer Diplomatie und neben Außenwirtschafts-
politik bezeichnete, und die Erweiterung des Kulturbe-
griffes für die auswärtige Kulturpolitik durch Ralf
Dahrendorf, Herr Kollege Otto, mit dem seit Ende der
60er-, Anfang der 70er-Jahre über die Hochkultur hinaus
gesellschaftliche Komponenten und das ist heute auch
wieder erforderlich einschließlich Bildungswesen, Wis-
senschaft, Technologie, Medien und Umweltfragen inte-
griert wurden nicht zuletzt die Bildung neuer Schwer-
punkte in Mittel- und Osteuropa ab 1989, verbunden mit
den Namen der Außenminister Genscher und Kinkel.
Nach dem Regierungswechsel stellte unser Außenmi-
nister erstmals im Ausschuss für Kultur und Medien des
Deutschen Bundestages die Bedeutung der auswärtigen
Kulturpolitik als integralen Bestandteil deutscher Außen-
politik, den untrennbaren Zusammenhang zwischen Ver-
mittlung im Inneren und Vermittlung deutscher Kultur im
Ausland dar, die Werteorientierung der auswärtigen
Kulturpolitik und die Notwendigkeit von Dialog und Ko-
operation zwischen Menschen und Kulturen.
Das setzt die zu Beginn erwähnte Kultur der Empathie
und des Konsenses voraus.
Dringend notwendig ist die Beantwortung der Frage
nach dem Stellenwert der Kultur bei der Verhinderung
von Konflikten. Was in weiten Teilen des Balkanraums
noch immer fehlt, ist die Kultur des Verhandelns, eine
Kultur der Empathie und eine Kultur des Kompromisses.
Solange Konflikte vorherrschen, ist an eine dauerhafte
Stabilisierung nicht zu denken. An dieser Stelle sind die
Bemühungen von Freimut Duve zur Sicherstellung der
kulturellen Dimension des Stabilitätspaktes für Südosteu-
ropa positiv zu erwähnen.
Ich habe jetzt nur noch zwei Minuten Redezeit, um die
Fragen Wohin führt der Weg? und Welche Instrumente
wählen wir? zu behandeln. Wenn man sich die 160 De-
batten anschaut und die entsprechenden Anträge und Vor-
lagen durchliest, dann kann man eines feststellen: Die ent-
scheidenden qualitativen Sprünge gab es durch das
Instrument der Enquête-Kommission, initiiert durch die
CDU/CSU, und später zu Beginn der 70er-Jahre durch ei-
nen gemeinsamen Antrag, wieder maßgeblich angescho-
ben durch Dahrendorf.
Das ist der entscheidende Punkt: Geben wir doch einer
Kommission den Auftrag, Empfehlungen für eine bessere
kulturelle Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland
im Ausland zu erarbeiten! Vor allen Dingen sollten wir
unserem Parlament wieder den in der Verfassung festge-
schriebenen Stellenwert geben. Demokratie braucht vor
allen Dingen ein starkes Parlament. Auch die auswärtige
Kulturpolitik braucht gerade nach dem Paradigmenwech-
sel ein starkes Parlament.
Ich bedanke mich.
Vor allen Dingen Ideen.
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die ver-
ehrten Vorrednerinnen und Vorredner bereits angemerkt
haben, steht auch die auswärtige Kulturpolitik wie die
auswärtige Politik insgesamt unter dem Diktat knapper
Kassen. Es ist die Pflicht der Opposition sie nimmt ihre
Verantwortung wahr; das ist verständlich , auf diesen
Punkt hinzuweisen. Auch wir dürfen nicht müde werden,
uns unserer Verantwortung zu stellen, indem wir bei der
Sanierung der Staatsfinanzen einen entscheidenden
Schritt vorankommen. Aber zurzeit stehen wir ich be-
klage dies unter dem Diktat knapper Kassen.
Das ist umso schmerzlicher, da gegenwärtig die Be-
deutung der auswärtigen Kulturpolitik zunimmt. In einer
sich globalisierenden Welt ist es fast schon eine Banalität,
festzustellen, dass die so genannten weichen Faktoren in
der internationalen Politik auf den Wettbewerb von
Standorten wurde bereits hingewiesen, aber das lässt sich
nicht nur auf die Wirtschaft reduzieren die so genannten
kulturellen Faktoren neudeutsch auch Software im
umfassenden Sinne genannt eine immer größere Rolle
spielen. Aber auch als Identifikationsfaktor für ein Land
gewinnt die Kultur an Bedeutung.
Das vereinigte Deutschland müsste in diesem klassi-
schen Bereich angesichts eines zusammenwachsenden
Europa mehr investieren. Insofern stimme ich all denen
zu, die diesen Punkt zu Recht angemerkt haben. Aber
nochmals gesagt: Wir müssen diese Politik in den Rah-
men der finanziellen Möglichkeiten einbetten. Wir stehen
daher vor alles anderem als einfachen Haushaltsverhand-
lungen für den gesamten Bereich der auswärtigen Politik.
Hinzu kommt, dass sich die Rolle des vereinigten
Deutschlands in einem zusammenwachsenden Europa
verändert. Ich freue mich in diesem Zusammenhang
selbstverständlich, dass es gelungen ist, in der auswärti-
gen Kulturpolitik Strukturreformen erfolgreich um- und
durchzusetzen. Ich nenne etwa die Zusammenführung
von Institutionen, aber auch die vorhandenen Stipendia-
ten- und Austauschprogramme der auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik, die im Bundestag breite Unterstüt-
zung genießen.
In diesem Zusammenhang muss man den sich in der
Einwanderungsdebatte abzeichnenden Konsens anmer-
ken. Auch die Einwanderungspolitik wird von einem ex-
ternen Faktor geprägt. Es ist durchaus sehr positiv, wenn
mannigfaltige Kontakte, die sich durch die Zuwanderung
von Menschen aus anderen Kulturen und Ländern erge-
ben, die Möglichkeit bieten, ein besseres Deutschlandbild
in diesen Ländern zu zeichnen. Diesen Faktor sollten wir
daher zukünftig als ein Element der auswärtigen Kultur-
politik begreifen.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ich möchte das
hier erwähnen; das begegnet mir gerade als Außenminis-
ter des vereinigten Deutschlands immer wieder ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Elke Leonhard
16458
Berlin. Berlin ist ein Faktor, mit dem man meines Erach-
tens in der auswärtigen Kulturpolitik, was die Darstellung
angeht, unter vielfältigen Gesichtspunkten verstärkt ar-
beiten sollte und verstärkt arbeiten kann.
Aber ich möchte hier auch gleich die negative Seite er-
wähnen. Wir können vieles in die auswärtige Kulturpoli-
tik, in den Kulturaustausch, in die Sprachvermittlung und
die Darstellung des demokratischen Deutschlands inves-
tieren. Wenn gleichzeitig Schlagzeilen über rassistische
Übergriffe, über Mordanschläge hier in Deutschland
kommen, dann wird diese Arbeit sofort wieder ins Nega-
tive verkehrt. Das heißt, es wird ein hässliches Bild unse-
res Landes gezeigt, auch wenn es nur eine kleine Minder-
heit ist, die überwiegende Mehrheit unseres Volkes dies
ablehnt und alle entschlossen dagegen stehen.
Insofern, denke ich, ist es sehr wichtig, dass wir auch
hier sehen: Entwicklungen bei uns im Innern haben auch
Konsequenzen nach außen, auch und gerade in der aus-
wärtigen Kulturpolitik.
Ein weiterer wichtiger Faktor wird die Pluralität Eu-
ropas sein, das heißt die Einbettung unserer eigenen Kul-
tur. Europa wird auf der einen Seite zusammenwachsen,
aber das Zusammenwachsen wird gleichzeitig die Selbst-
versicherung der unterschiedlichen Kulturen Europas, die
Pluralität Europas bedeuten. Diese Pluralität Europas
wird nicht durch eine sich integrierende Europäische
Union eliminiert werden. Im Gegenteil! Es macht gerade
das Wesen Europas aus, dass wir sprachlich und kulturell
zwar oft ähnliche oder identische Wurzeln haben, aber da-
raus im Laufe der Jahrhunderte Unterschiede entstanden
sind. Europa wird diese Unterschiede nicht eliminieren,
nicht homogenisieren. Insofern wird auch darüber nach-
zudenken sein, wie wir die auswärtige Kulturpolitik in
ihrem besonderen Charakter, aber gleichzeitig in ihrer eu-
ropäischen Einbindung als Darstellung Deutschlands in
Europa künftig entsprechend umsetzen.
Hierbei wir wollen ja nicht nur Artigkeiten sagen
wird natürlich unter dem Gesichtspunkt des Drucks der
Globalisierung Englisch eine überragende Rolle spielen.
Frau Kollegin Vorsitzende, Sie haben gesagt, Deutsch und
Englisch oder Englisch und Deutsch und beides gut. Was
die Lingua franca, das heißt die Weltsprache angeht, hat
Javier Solana allerdings einmal so formuliert: english
badly spoken.
Das heißt, dass es eben gerade nicht das vollendet ge-
sprochene Englisch ist. Da gibt es mittlerweile Erfahrun-
gen im englischen Kulturraum, also dort, wo Englisch
wirklich die Muttersprache ist. Dort hat man damit Pro-
bleme, dass ein neues Englisch entsteht, nämlich das
Weltsprachenenglisch, das ein völlig anderes Englisch zu
werden droht.
Ich spreche das deswegen an, weil im europäischen
Konzert die Positionierung der deutschen Sprache natür-
lich schon sehr schwierig ist. Und unter dem Druck der
Globalisierung spielt Englisch eine überragende Rolle.
Dennoch, weil wir dies wissen, wird es sehr wichtig, dass
wir diese Sprachvermittlung in Zukunft verstärkt in den
Vordergrund stellen, allerdings eingebunden in die allge-
meine Darstellung unserer Kultur.
Die Voraussetzung dafür wollen wir schaffen; ich habe
es vorhin schon angesprochen. Die Verbindung des
Goethe-Instituts mit Inter Nationes, die Flexibilisierung
des Haushalts, der Beginn einer systematischen Eva-
luierung sind wichtige erste Schritte zu einer Reform der
vorhandenen Strukturen, damit die Mittel, die da sind, ef-
fizienter eingesetzt werden können.
Auch was die F.D.P. im Vorgriff auf eine stärkere
Sprachvermittlung im Deutschen Public Private Part-
nership in ihrem Antrag genannt hat, ist ja bereits Rea-
lität.
Ich darf Sie nur an unsere vielfältigen Bemühungen, an
die Bemühungen von Hilmar Hoffmann erinnern, zusätz-
liche private Finanzierungsanteile zu finden; sie sind auch
gefunden worden. Das heißt, die Kooperation von priva-
ten Händen und öffentlicher Hand ist heute bereits eine
Realität.
Ich glaube nicht, dass Frau Leonhard diesen Teil als ana-
chronistisch betrachtet. Aber ich möchte jetzt nicht Frau
Leonhard interpretieren.
Ich möchte noch kurz zwei Gesichtspunkte anspre-
chen. Uns ist klar, Präsenz und Programme kosten Geld.
Wir halten es für sehr wichtig, dass die Eigenverantwort-
lichkeit der Kulturvermittler in ihrer konkreten Pro-
grammarbeit erhalten bleibt. Das ist einer der wichtigen
Traditionspunkte, die sich in der auswärtigen Kulturpoli-
tik der Bundesrepublik Deutschland, des demokratischen
Deutschlands entwickelt haben.
Aber wir stehen natürlich auch vor einer Restrukturierung
regionaler Schwerpunkte. Es schmerzt mich, wenn tradi-
tionsreiche Goethe-Institute wie das in Genua ge-
schlossen werden müssen. Wer weiß, was Genua über die
Jahrzehnte hinweg für viele bedeutete auch als Aus-
wanderungshafen, etwa für die, die nach Australien woll-
ten wer weiß, wie viele enge Bindungen es zwischen
Süddeutschland und Genua gegeben hat und wie sehr die-
ses Goethe-Institut der Stadt am Herzen gelegen hat, der
wird begreifen, dass das, was ich hier sage, nicht nur leere
Worte sind. Das gilt auch für andere Institute, die ge-
schlossen werden mussten. Aber wir müssen in einer sich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Bundesminister Joseph Fischer
16459
verändernden Welt auch an anderer Stelle Goethe-Insti-
tute eröffnen. Im Falle Sarajevos habe ich zum Beispiel
großen Wert darauf gelegt, dass ein Goethe-Institut eröff-
net wurde. Außerdem sind Teheran, Havanna, Algier und
Schanghai genannt worden.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang. Wir sind
zum Beispiel in den USA stark präsent. Gleichzeitig wird
man nicht behaupten können, dass diese starke institutio-
nelle Präsenz in den Medien und der breiten Öffentlich-
keit in den USA so wirken würde, wie man sich das wün-
schen sollte. Wir werden also auch hier jenseits der
institutionellen Präsenz neue Ideen entwickeln müssen.
Darüber nachzudenken haben wir erst begonnen.
Gestatten Sie
eine Frage des Kollegen Lammert, wobei ich Sie doch da-
rauf hinweisen möchte, dass Sie schon deutlich die Rede-
zeit Ihrer Kollegen beanspruchen?
Ja.
So sind wir, Herr
Tauss, weil uns das Thema mindestens ebenso wichtig ist
wie den Antragstellern.
Herr Minister, sind wir uns denn darüber einig, dass bei
der Unvermeidlichkeit, Prioritäten zu setzen, weil wir
nicht überall und schon gar nicht so stark vertreten sein
können, wie wir das gerne sehen würden, mindestens eine
sinnvolle Balancierung zwischen der Präsenz von Mitt-
lerorganisationen auf der einen Seite und der Kulturarbeit
der auswärtigen Vertretungen auf der anderen Seite un-
verzichtbar ist und dass wir die Schwierigkeiten, die Sie
jetzt zu Recht noch einmal darstellen, nicht auf die Spitze
treiben dürfen, indem wir die Abräumung der Präsenz an
der einen Stelle in einem wenige Monate später erfolgen-
den Doppelschlag durch die Abräumung der Präsenz an
einer anderen Stelle komplettieren?
Herr Kollege Lammert, einer solch allgemeinen, klugen
Erwägung kann man sich überhaupt nicht verschließen.
Nur, Sie wissen: Bei der Reform von Strukturen, wie sie
über die Jahrzehnte hinweg nun einmal entstanden sind
was ich gar nicht zu kritisieren habe , und einer gleich-
zeitigen Neuorientierung werden Sie das eine oder andere
in der Feinjustierung durchaus nachzuarbeiten haben. Da
wir unter dem Druck der Kassen Doppelarbeit, da wir
Doppelpräsenzen und Ähnliches vermeiden müssen
ich sehe da keinen Dissens, im Gegenteil , kann es an
der einen oder anderen Stelle durchaus zu Unebenheiten
kommen; das will ich nicht abstreiten. Da muss dann
nachgebessert werden.
Denn es ist in der Tat eine große Veränderung, die wir vor-
zunehmen haben.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines betonen. Was
als Dialog der Kulturen angesprochen wurde, ist eminent
wichtig. Das hat nichts mit einer weitreichenden Men-
schenrechtspolitik oder gar missionarischen Haltung der
deutschen Außenpolitik zu tun. Aber das erleben gerade
unsere Goethe-Institute es ist ja nichts Neues, was wir
hier jetzt entwickeln, sondern wir nehmen Bestehendes
auf und geben dem eine andere politische Gewichtung,
weil sich die politische Realität verändert hat.
Ich erlebe doch bei dem Besuch eines Goethe-Instituts,
etwa in Brasilien, wie die Arbeit dort vor Ort konkret von
NGOs, von Menschenrechtsgruppen unterstützt wird. Das
ist eine Form von dialogischem Herangehen, bei der es
darum geht, die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu stärken.
Das ist meines Erachtens ein konkreter Beitrag zur Frie-
denspolitik und Menschenrechtspolitik. Es ist wichtig,
dies als essenziellen Bestandteil deutscher Kulturpolitik
zu begreifen, neben dem Eigengewicht der Kulturver-
mittlung, neben dem Eigengewicht der Sprachvermitt-
lung, auch neben dem Eigengewicht der wirtschaftlichen
Interessen, die dort, wo sie sich mit Kultur verbinden, eine
Rolle spielen; denn dieses Element wird in der Welt des
21. Jahrhunderts verstärkt zum Tragen kommen müssen.
Ich freue mich also bei aller Kritik, die sein muss
über die Unterstützung und ich hoffe, dass wir den Haus-
haltsausschuss und den Finanzminister gemeinsam werden
überzeugen können, dass diese Priorität in den kommenden
Haushalten eine stärkere Gewichtung bekommen muss.
Vielen Dank.
Zunächst gibt es
jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Irmer.
Ich bitte um Vergebung, aber
Frau Leonhard hat vorhin gesagt, ich hätte mich noch nie
für auswärtige Kulturpolitik interessiert. Das hat mich
richtig getroffen. Deshalb will ich mich auf meine Weise
sofort
rächen
Rache ist unter
unseren gewaltfreien Mitteln nicht erlaubt.
in der mir zu Gebote stehen-
den Kleinkunstform des Limericks. Dieser lautet:
Es nannte mich Leonhards Elke
kulturlos im Reichstagsgebälke.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Bundesminister Joseph Fischer
16460
Sie gebe nur Acht,
dass ihr Denkmal nicht kracht
und ihr Lorbeer nicht vorschnell verwelke.
Ein solcher Li-
merick schmückt doch jede Kulturdebatte.
Ich glaube, es ist keine Antwort notwendig. Ich gebe
jetzt das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Schäuble.
Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, dass
Rache durchaus auch gewaltfrei sein kann.
Insofern war dies erlaubt.
Im Übrigen bin auch ich, Frau Leonhard, etwas
zusammengezuckt, denn ich muss zugeben, dass ich nicht
alle 160 seit 1949 stattgefundenen kulturpolitischen De-
batten noch einmal nachgelesen habe. Trotzdem traue ich
mich, einige Bemerkungen in dieser Debatte zu machen.
Ich möchte das, worüber sich alle einig sind, nicht noch
einmal wiederholen. Ich führe auch keine Haushaltsde-
batte; dazu gibt es andere Gelegenheiten. Dennoch, Herr
Außenminister, Ihr Verweis auf den Haushaltsausschuss,
den wir alle überzeugen müssen, trifft nicht den Kern der
Frage. In der parlamentarischen Demokratie entscheiden
diejenigen, die die Mehrheit haben. Sie tragen aber auch
die Verantwortung dafür, auch wenn sie es selbst offen-
sichtlich für unzureichend halten. Sie müssen sich an die
eigene Nase fassen. Wenn das, was sie machen, nicht gut
ist, dann dürfen sie nicht sagen: Helft uns dabei, dass es
besser wird. Die Mehrheit entscheidet also. Wir dagegen
versuchen, wieder eine andere Mehrheit für bessere Ent-
scheidungen zu erreichen.
In diesen Entscheidungen zur Außenpolitik und zur
auswärtigen Kulturpolitik wird etwas davon sichtbar, wie
sehr wir uns für unsere Interessen und für unser Bild in der
Welt einsetzen und wie wichtig wir unsere Verantwortung
für diese Welt nehmen. Natürlich ist die Frage, welchen
Stellenwert Außenpolitik im Allgemeinen und auswärtige
Kulturpolitik im Besonderen hat, wichtig. Wir müssen
uns selbst fragen, wie weit wir uns in diese Welt einge-
bunden sehen und welches unsere prioritären Interessen
sind. Dass in diesem Bereich Verbesserungen dringend
notwendig sind, beweist der Antrag der Koalitionsfraktio-
nen; denn auch sie sagen, dass wir diesen Fragen einen
höheren Stellenwert einräumen müssen. Darin sind wir
uns einig.
Wir sollten auswärtige Kulturpolitik nicht zu allgemein
betrachten. Frau Leonhard, ich bin mir nämlich nicht ganz
sicher, ob auf dem Balkan schon Verhandlungskultur als
elementarer Bestandteil auswärtiger Kulturpolitik anzu-
sehen ist und auf diese Weise Probleme gelöst werden
können. Natürlich ist das alles irgendwo Kultur. Vielleicht
sollte der Begriff doch enger gefasst werden. Dann geht
es darum, im Dialog zu versuchen, mehr Verständnis für
uns und andere zu entwickeln.
Ja. Es ist dann auch wichtig, dass wir uns darüber ver-
ständigen, wie wir uns selber sehen, welches Bild wir an-
deren von uns vermitteln wollen und wie wir gerne von
anderen gesehen werden möchten. Ich möchte drei kon-
krete Punkte benennen, von denen ich glaube, dass sie zu
dieser Debatte einen Beitrag leisten können.
Der erste Punkt ist der Außenminister hat es ange-
sprochen das föderale Element. Wir müssen dieses in
den europäischen Debatten stärken. Wir müssen bei unse-
ren Partnern um Verständnis dafür werben, wie wichtig
Föderalismus als Bauprinzip einer modernen, gelingen-
den Ordnung ist. Darin haben wir spezifische Erfahrun-
gen. Ich beklage schon, dass das föderale Element in der
Kulturpolitik insgesamt bis hin zu der Debatte um die
Hauptstadtkultur als ein wesentliches Bauprinzip unse-
res Gemeinwesens aufgrund der besonderen Erfahrungen
in unserer Geschichte und unserer Kultur einen zu gerin-
gen Stellenwert hat. Wir gehen damit sehr oberflächlich
um. Dafür trägt nicht nur die Bundesregierung Verant-
wortung, sondern auch die Länder. Das gilt für die in-
ternen kulturpolitischen Debatten bis zur Hauptstadtkul-
turdebatte und in der Frage, wie wir uns nach außen
darstellen, also welches Bild wir in der auswärtigen Kul-
turpolitik von uns vermitteln.
Ich werbe sehr dafür, dass wir unsere spezifischen Er-
fahrungen, die, wie wir glauben, zu unserem Verständnis
notwendig sind und auch einen Beitrag für Europa und da-
rüber hinaus leisten können, in der auswärtigen Kulturpo-
litik stärker einbringen und dabei die Länder stärker be-
teiligen. Wir müssen die Gründe dafür, warum wir es in
unserem eigenen Land so machen, stärker herausstellen.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich ma-
chen: Es ist traurig, wenn wir in einem Staat, dessen Ver-
fassung eine bundesstaatliche Ordnung vorschreibt, die
Hauptstadtfrage ausschließlich zur Sache des Bundes ma-
chen. Es ist eine Aufgabe für den Bund und alle Länder,
in kulturpolitischer Hinsicht ein Bild von der Hauptstadt
Berlin nach innen und außen zu vermitteln.
Wir haben eine zweite sehr spezifische Erfahrung, die
wir anderen vermitteln können wenn wir dies tun, leis-
ten wir zugleich einen wichtigen Beitrag für uns selbst :
die Erfahrung von 40 Jahren Teilung und der Überwin-
dung dieser Teilung, die Erfahrung einer furchtbaren Ver-
gangenheit insbesondere in der ersten Hälfte des vergan-
genen Jahrhunderts und unseres Umgangs damit. Zum
Verständnis von Deutschland Ost und Deutschland West,
zum Verständnis des Zusammenwachsens Deutschlands
hier in Berlin zweier Teile einer lange durch eine Mauer
geteilten Stadt , ebenso wie des Zusammenwachsens der
alten und neuen Bundesländer gehören auch die Verwer-
fungen, die dieses Zusammenwachsen mit sich bringt.
Aber es trüge zum Verständnis anderer bei und könnte an-
deren und uns selbst helfen, wenn es uns gelänge, dieses
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ulrich Irmer
16461
Element in unserer auswärtigen Kulturpolitik verstärkt
darzustellen.
Mir ist gesagt worden, dass es große Sorgen hinsicht-
lich der deutschen Schule in Seoul gibt. Es ist ziemlich
töricht oder zumindest gedankenlos, dass wir ausgerech-
net in Korea die Koreaner schauen mehr als andere auf
uns, weil sie erfahren wollen, wie sie vom Zusammen-
wachsen Deutschlands profitieren können nicht einen
Schwerpunkt setzen oder wenigstens die Voraussetzun-
gen für die Erhaltung der Lebensfähigkeit der deutschen
Schule schaffen.
Auch ist es ausgesprochen töricht Sie sollten Ihre
vielleicht ein bisschen ideologisch begründeten Ver-
krampfungen ablegen , wenn wir gerade angesichts un-
serer Erfahrungen ausgerechnet die Pflege dessen, was
deutsche Kultur im Osten war, zurückstellen. Das hat
nun nichts mehr mit Revanchismus oder mit dem Versuch
zu tun, die Vergangenheit zu korrigieren, aber viel mit un-
serem neuen Bild von einem zukünftigen größeren Eu-
ropa. Wir könnten gerade in der ostdeutschen Kulturarbeit
uns selbst und anderen ein modernes Verständnis vermit-
teln, wie mit der Vergangenheit umzugehen ist. Dabei
geht es nicht darum, die Vergangenheit rückgängig zu ma-
chen, sondern darum, aus der Vergangenheit die richtigen
Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Im Übrigen bin ich dafür, dass wir unter dem Stichwort
Föderalismus auch auf der europäischen Ebene Elemente
einer gemeinsamen auswärtigen Kulturpolitik ent-
wickeln. Das ist im Einzelnen schwierig. Aber wenn wir
nicht einmal das schaffen, werden wir wenig Chancen ha-
ben, auf dem Weg zur europäischen Einigung voranzu-
kommen, auf dem noch viele Schwierigkeiten vor uns lie-
gen. Auch dafür ist das Prinzip des Föderalismus
hilfreich.
Meine dritte Bemerkung zielt auf die Stichworte
Zweibahnstraße und gegenseitige Beeinflussung. Wir
wissen, dass unsere Bildungssysteme Schule und Hoch-
schule an einem Mangel an Attraktivität leiden. Das gilt
insbesondere für die Hochschulen, teilweise aber auch für
die Schulen. Wenn wir auswärtige Kulturpolitik dialo-
gisch und als Zweibahnstraße verstehen, wird uns die
Erkenntnis ganz gewiss helfen, dass wir unser Bildungs-
system sehr viel stärker nach den Prinzipien von Diffe-
renzierung und Leistungsbezogenheit organisieren müs-
sen, wenn wir attraktiv sein wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können hier
manches auch von anderen lernen; denn wir machen viele
Fehler. Chancengleichheit haben wir immer auch quanti-
tativ zu verstehen; das war bislang nicht falsch. Aber wir
dürfen dabei nicht die Leistungsbezogenheit und die Not-
wendigkeit von Eliten vergessen. Wir brauchen ein größe-
res Maß an Differenzierung. Auswärtige Kulturpolitik
könnte uns helfen, in unserer eigenen föderalen Kultur-
und Bildungspolitik zu besseren Schlussfolgerungen zu
kommen. Das ist nicht nur eine Frage von Haushaltsmit-
teln, sondern vor allem eine Frage der Bereitschaft, sich da-
rüber zu verständigen, welches die richtigen Inhalte sind.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Otto.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte
hat uns allen noch einmal sehr anschaulich vor Augen ge-
führt, dass die auswärtige Kulturpolitik zwei Besonder-
heiten hat.
Es gibt einerseits wohl kaum einen hier in diesem
Hause debattierten Bereich, bei dem die Übereinstim-
mung aller Fraktionen über die Ziele so weitgehend ist
wie gerade im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik. Wir
sollten uns aber nicht darüber täuschen darüber habe ich
ebenfalls zu sprechen , dass es andererseits wohl kaum
einen politischen Bereich in diesem Parlament gibt, bei
dem die Kluft zwischen den hehren Ansprüchen, die
durch diesen Antrag noch einmal untermauert worden
sind, und der traurigen und immer trauriger werdenden
Wirklichkeit so groß ist.
In Vorbereitung auf diese Rede habe ich mir natürlich
noch einmal einige Zahlen vor Augen geführt. Ich teile
nicht die Auffassung mehrerer Vorredner, dass die aus-
wärtige Kulturpolitik in Gänze weniger Kürzungen als
der Gesamthaushalt zu verzeichnen gehabt habe oder
auch nur in gleichem Maße von Mittelkürzungen betrof-
fen gewesen sei. In Wahrheit sind in diesem Bereich über
das übliche und vielleicht auch notwendige Maß hinaus-
gehende Kürzungen erfolgt.
Dieses Abschmelzen ist deswegen besonders bekla-
genswert und problematisch, weil nicht nur unsere euro-
päischen Partnerländer, sondern auch die USA und einige
andere Länder sehr wohl erkannt haben, dass diese wei-
chen Standortfaktoren nicht nur das Wahre, Gute, Schöne
vermitteln, sondern langfristig den Interessen eines Lan-
des zuweilen mehr dienen als manch andere so genannte
harte Standortfaktoren.
Dass ein Umsteuern trotz Ihrer hehren Worte und trotz
Ihres Antrags, meine lieben Freunde von den Koalitions-
fraktionen, der Popanz ist und manche Worte enthält, die
wir überhaupt nicht verstehen können, nicht wirklich er-
folgt ist, muss man in der Tat beklagen.
Es nützt uns gar nichts, uns zu vergewissern, dass es
eine dritte Säule der Außenpolitik gibt, ob sie nun
wankt oder nicht. Tatsache ist: Die Mittel für die Goethe-
Institute sind von 243 Millionen DM im Jahr 1997 auf
226 Millionen DM verringert worden, obwohl es doch
den Fusionsbonus hätte geben sollen, der auch angespro-
chen worden ist. Das hat natürlich draußen in der Welt
wenn man reist, merkt man das sehr viel deutlicher zu
bitteren Konsequenzen geführt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Wolfgang Schäuble
16462
Die Auslandsschulen Herr Schäuble hat eben ein
Beispiel genannt haben eine überdurchschnittliche Kür-
zung ihrer Etats erfahren. Es ist nicht nur in Seoul, son-
dern auch an vielen anderen Standorten so: Die Aus-
landsschulen kriechen wirklich auf dem Zahnfleisch.
Auch das, liebe Freundinnen und Freunde von SPD und
Grünen, sind wiederum harte Zahlen: Von 1997 auf 1997
wurden die Haushaltsmittel für Auslandsschulen nicht
der Bauetat, sondern der reine Schulfonds , die im Jahr
1996 330 Millionen DM betrugen, auf 383 Millionen DM
erhöht. Von 1999 auf 2000 wurden die Mittel von
379 Millionen DM auf 350 Millionen DM zurückgeführt.
Das sind harte Fakten.
Es nützt mir, ehrlich gesagt, nichts, dass wir uns hier in
Gutmenschenmanier alle dessen vergewissern, wie wich-
tig die auswärtige Kulturpolitik ist,
wenn dann später die Haushaltsberatungen solche Ergeb-
nisse zeitigen.
Das traurigste aller Kapitel mein Lieblingsfreund
Naumann ist ja nicht mehr da; jetzt habe ich die Hoffnung,
in Herrn Nida-Rümelin vielleicht einen etwas offeneren
Gesprächspartner zu finden ist natürlich die Deutsche
Welle. Das muss man sich einmal vor Augen halten ich
zitiere aus dem Antrag :
Als Medium zur Darstellung der deutschen Politik,
Wirtschaft und Kultur kommt der DW entscheidende
Bedeutung zu. Daneben spielt sie eine zunehmend
größere Rolle in Krisengebieten.
Klasse, gut gebrüllt, Löwe! Wie sieht denn die Realität
aus? Es gab Kürzungen von 670 Millionen DM auf
541 Millionen DM. Das ist Kahlschlag, und zwar ohne
Konzept.
In Ihrem Antrag steht, dass Sie den Programmauftrag
der Deutschen Welle verändern wollen. Sie hatten dazu
zweieinhalb Jahre Zeit. In Ihrer Koalitionsvereinbarung
sprechen Sie sich für die Stärkung der medialen Außen-
repräsentanz aus. Dies haben wir immer angemahnt; aber
nichts ist geschehen. Das Einzige, was geschehen ist, sind
Kürzungen und Staatseingriffe.
Ich habe mich einmal hingesetzt und zum Kapitel
Staatseingriffe bei der Deutschen Welle eine Dokumen-
tation zusammengestellt. Ich finde, man sollte nicht für ei-
gene Bücher werben. Aber ein gelegentlicher Blick in die-
ses Buch öffnet einem die Augen, was in der Ära
Naumann geschehen ist. Das Schöne ist, dass ich jetzt
keinen Ansprechpartner mehr für diese Ära habe. Aber ich
habe die Hoffnung, nun einen etwas verständnisvolleren
Partner in diesem Bereich zu haben.
Aber, liebe Freundinnen und Freunde jetzt spreche
ich die von der CDU/CSU gleich mit an , dass angesichts
der Entwicklung der letzten Jahre, die die Deutsche Welle
wirklich geelendet hat, und angesichts dieses extrem
wichtigen Instruments zur Vermittlung des Deutschland-
bildes nicht nur des kulturellen, sondern auch des ge-
samtgesellschaftlichen jetzt auch noch ein Staatsrat zum
Intendanten gewählt worden ist er mag so nett sein, wie
er will , zeugt nicht gerade von Instinkt. Dass man in die-
ser Situation, in der die Deutsche Welle praktisch zu ei-
nem Staatsfunk
zu werden droht, auch noch gegen die Interessen der ge-
sellschaftlichen Verbände in einer großen Koalition einen
Staatsrat durchsetzt, entspricht nicht dem Maß an Instinkt,
das ich erwartet hätte.
Ich möchte meine Rede mit folgenden Worten
schließen das wird diejenigen, die mich kennen, nicht
überraschen : Wenn wir von der Bürgergesellschaft spre-
chen und wir das Stiftungsrecht, das ein Gutmen-
schenthema ist, ändern wollen, dann sollten wir das ver-
misse ich in Ihrem Antrag auch einmal darüber
sprechen, ob wir uns nicht gemeinsam das ist ein Ange-
bot an alle darüber Gedanken machen sollten, privates
Stiftungskapital zu akquirieren. Den anachronistischen
Begriff Public Private Partnership nehme ich zurück.
Dieser Begriff muss nicht verwendet werden. Aber dass
Sie den Kollegen Irmer beschuldigt haben, er kenne sich
nicht mit auswärtiger Kulturpolitik aus, das ist das
Schlimme.
Herr Kollege
Otto, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme
sofort zum Ende. Wenn ich auch einmal etwas Gutes sa-
gen soll, dann sollte ich auch noch den folgenden Satz,
liebe Frau Präsidentin, an die verehrten Kolleginnen und
Kollegen der SPD gerichtet sagen: Lassen Sie uns also
einmal Gedanken darüber machen, ob es nicht möglich
ist, dass wir alle in diesem Hause, die wir eine Vorbild-
funktion haben, privates Stiftungskapital stärker als bis-
her akquirieren, um die auswärtige Kulturpolitik zu för-
dern!
Herr Kollege
Otto, jetzt muss wirklich Ihr Schlusssatz kommen.
Bisher ist
dies nicht sehr gut erfolgt; da ist vieles zu tun. Deswegen,
liebe Frau Kollegin Griefahn, mein Schlusswort: Wenn
Sie schon der Meinung sind, dass das richtig ist, dann las-
sen Sie uns konkret Gedanken darüber machen. Ich finde
es bedenklich, dass in Ihrem Antrag kein einziges Wort
über Stiftungen und privates Kapital steht.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihr Verständnis.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Hans-Joachim Otto
16463
Ein begrenztes
Verständnis! Das Wort hat jetzt der Kollege Gert
Weisskirchen.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Otto,
wer war es denn, der das Stiftungsrecht geändert hat?
Sie haben jahrelang versucht, es zu verändern. Wir haben
es verändert!
Seien Sie doch froh darüber, dass wir jetzt Angebote
geschaffen haben, damit die von Ihnen soeben wieder viel
gerühmte Zivilgesellschaft selbst handeln kann. Die Bür-
gerinnen und Bürger nutzen dieses Instrument. Sie wer-
den es noch sehr viel besser nutzen als bisher. Lieber Kol-
lege Otto, insofern geht Ihr Vorwurf fehl. Sie hätten diese
Angelegenheit zusammen mit Ihrem Koalitionspartner in
der Zeit, als Sie an der Regierung waren, längst regeln
können. Da dies nicht erfolgt ist, mussten wir es tun.
Lieber Kollege Schäuble, Sie haben drei sehr wichtige
Punkte angeschnitten. Dazu möchte ich Folgendes fest-
stellen: Ich finde, dass Sie Recht haben. Wir dürfen bei all
dem, wie wir mit der Repräsentanz der deutschen Kultur,
wie sie im Ausland dargeboten wird, umgehen, nicht ver-
gessen, dass bei uns der wichtigste Träger kultureller
Leistungen nicht nur die Künstlerinnen und Künstler
selbst sind sie sind natürlich die allerersten , sondern
auch die deutschen Städte, die die Künstlerinnen und
Künstler unterstützen. Sie sind die wirklichen Träger der
kulturellen Leistungen. Mehr als 60 Prozent aller kulturel-
len Leistungen, wenn ich es richtig in Erinnerung habe,
kommen von deutschen Städten und Gemeinden. Das ist
der wichtigste kulturelle Schatz, den wir haben.
Bei dem neuen Staatsminister für Kultur, Herrn Nida-
Rümelin, liegt die Kultur in den richtigen Händen. Mit
ihm haben wir einen Kulturstaatsminister, der in diesem
Punkt persönliche Erfahrungen gesammelt hat. Die Kul-
turpolitik der Stadt München ist gewiss eine der besten
Kulturpolitiken, die es in der Bundesrepublik Deutsch-
land gibt. Wir freuen uns darüber, dass er Staatsminister
geworden ist.
Er wird dazu beitragen, dass die Berliner Hauptstadtkul-
tur, die Kultur der Bundesrepublik Deutschland und die
kulturellen Leistungen der Städte in einem kreativen Dia-
log miteinander verknüpft werden, damit diese Leistun-
gen in der Außenrepräsentanz der deutschen Kultur stär-
ker deutlich werden.
Auch den zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben,
halte ich durchaus für berechtigt. Man muss sich in der Tat
fragen: Welche kulturellen Leistungen gibt es zum Bei-
spiel in der ostdeutschen Kulturpolitik? Ich persönlich
finde, dass die großen Steigerungsraten, die es in der Re-
gierungszeit Helmut Kohls in diesem Sektor gab, nicht
nur auf den Dialog gerichtet gewesen waren. Es gab auch
eine Förderung das mag man unterstützen oder kritisie-
ren von kulturellen Praktiken, die, wie wir glauben,
nicht mehr in die Zeit gehören, in der wir jetzt leben. Viel-
mehr soll der Akzent stärker auf den Dialog und die Ver-
söhnungsbereitschaft zwischen denen gesetzt werden, die
vertrieben worden sind und in der Bundesrepublik
Deutschland leben, und denen, die jetzt in ihrer alten Hei-
mat leben und sich dort eine neue Existenz aufgebaut ha-
ben.
Das ist der entscheidende Punkt: Versöhnungsprozesse
voranzutreiben und Dialogforen zu schaffen. Genau dem
dient das, was wir in diesem neuen Aspekt gebündelt ha-
ben.
Der dritte Punkt, den Sie genannt haben, ist ebenfalls
durchaus bemerkenswert. Es geht um die Differenzie-
rung der Bildungssysteme. Aber wir sollten dann auch
von dem lernen, was uns andere Länder zeigen. Ich nenne
als Beispiel Frankreich. Wie lange haben wir in der Bun-
desrepublik Deutschland darüber reden müssen, dass
Ganztagsschulen zu einem wichtigen Bestandteil der Kul-
tur- und Bildungspolitik gehören?
Frankreich zeigt uns, dass gerade für Frauen eine viel klü-
gere und sinnvollere Verknüpfung zwischen Arbeits- und
Bildungssystem notwendig ist. Das ist etwas, was wir von
Frankreich lernen können. Wenn wir es so verstehen, dass
auswärtige Kulturpolitik eine gemeinsame Lerngemein-
schaft in Europa und in der Welt fördert, dann ist das, was
Sie gesagt haben, Herr Dr. Schäuble, sehr bemerkenswert.
Dies fördert den Dialog zwischen den Kulturen. Herzli-
chen Dank also für diesen Diskussionsbeitrag.
Ich möchte mich noch mit einem Punkt befassen, der
vielleicht den Kern des Problems trifft. Im dritten Schloss-
gespräch in Stuttgart ist es folgendermaßen beschrieben
worden: Kultur als Mittel gegen Krisen. Manchmal
schaue ich mir die Kontroverse an, die von Benjamin
Barber als Konflikt zwischen McWorld und dem Dschi-
had beschrieben wird. Es geht um die amerikanische
Kulturrepräsentanz, die sich, wie manche meinen, in der
Welt fast mit Gewalt durchsetzt. Es ist aber vielleicht eher
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 200116464
ein stummer Zwang, der hinter diesem Konzept steht. Auf
der anderen Seite wird die kulturelle Gegenbewegung als
Fundamentalismus verstanden.
In anderen Ländern gibt es ähnliche Situationen. Neh-
men wir als Beispiel China. Dort wird eine Modernisie-
rung der Ökonomie versucht, ohne die Freiheitsrechte der
Individuen in dieses Konzept einzubauen. Es ruft immer
eine Gegenbewegung hervor, wenn sich falsche Moderni-
sierungsstrategien durchsetzen, wenn nur rein ökonomi-
sche Strategien verfolgt werden und dabei der Eigenwert
der Kultur eingeebnet werden soll. Das ist ein wirklich
globaler Konflikt, vor dem wir stehen.
Wenn die auswärtige Kulturpolitik dazu beiträgt, dass
es über den Dialog der Kulturen, den die UNO wünscht,
zu einem sinnvollen und kreativen Austausch solcher
Kulturinhalte kommt, dann das sehe ich in der auswär-
tigen Kulturpolitik tragen wir zum Frieden bei. Dann
tragen wir in der Tat dazu bei, dass Krisen vorgebeugt
werden kann.
Ich beglückwünsche den Außenminister, dass er im
letzten Jahr ein, wie ich finde, wirklich gutes strategisches
Gesamtkonzept vorgelegt hat. Ich hoffe sehr, dass es uns
gemeinsam gelingt, in den Haushaltsberatungen dafür zu
sorgen, es durchzusetzen.
Hier im Plenum haben wir im Moment den notwendigen
Konsens. Wenn es uns gelingt, das gegenüber unserer Re-
gierung hinreichend klarzumachen, dann wird die aus-
wärtige Kulturpolitik im Jahr 2002 besser aussehen. Das
wünschen wir uns doch alle.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den Schlussworten
des Kollegen Weisskirchen habe ich jetzt auch die Inten-
tion des Antrages der Koalitionsfraktionen und der von
den Koalitionsfraktionen erbetenen Debatte verstanden:
Sie wollen sich mit diesem Antrag und mit dieser Debatte
selbst Mut machen,
damit Sie nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfei-
fen.
Der auswärtigen Kulturpolitik ist nicht schon damit ge-
holfen, dass wir während der ganzen Debatte ständig die
grundsätzliche Übereinstimmung betonen und uns wech-
selseitig loben. Vielmehr kommt es darauf an, dass spätes-
tens mit der Vorlage des Haushaltsentwurfs für das
Jahr 2002 deutlich wird, dass Sie, Herr Bundesaußenmi-
nister, für Ihren Etat und innerhalb Ihres Etats besonders
für die auswärtige Kulturpolitik kämpfen. Auch in dieser
Bundesregierung gibt es genug Beispiele, wie andere Res-
sorts trotz der Sparzwänge bei bestimmten Haushaltsti-
teln Erfolge erzielen. Was zum Beispiel dem Bundesin-
nenminister Schily eben war er noch auf der
Regierungsbank im Bereich der inneren Sicherheit beim
Bundesgrenzschutz gelungen ist, wo er trotz der unter
Sparzwängen stehenden Haushalte Akzente gesetzt hat,
ist so, dass man sich wünschen könnte, dass Sie, meine
Damen und Herren, auch im Bereich der auswärtigen Kul-
turpolitik entsprechende Prioritäten setzen würden und
dass es dem Bundesaußenminister gelingen würde, end-
lich die dringend erforderliche Kehrtwende einzuleiten.
Der Zusammenhang der zwei Säulen in der auswärtigen
Kulturpolitik Außenwirtschaft und auswärtige Kulturpo-
litik wird gerade bei den Auslandsschulen sehr deutlich;
das ist heute schon mehrfach erwähnt worden. Vor kurzem
hat der DIHT in Berlin ein ganztägiges Symposium, einen
Tag der deutschen Auslandsschulen, durchgeführt. Ihnen,
Herr Bundesaußenminister, aber auch Ihnen, meine Da-
men und Herren von der Regierungskoalition, hätten die
Ohren geklingelt, wenn Sie gehört hätten, wie die Ge-
schäftsführer der deutschen Außenhandelskammern, aber
auch die weltweit tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter deutscher Unternehmen darauf hingewiesen haben,
dass der Kahlschlag in der auswärtigen Kulturpolitik auch
zu einem Problem für deutsche Unternehmen im Ausland
zu werden droht.
Natürlich wird es für Mitarbeiter deutscher Unterneh-
men, die an schwierigen Standorten deutsche Unterneh-
men und auch die deutsche Außenwirtschaft vertreten,
schwierig, wenn die Schulqualität durch die Kürzungen
im Bereich der Schulpolitik leidet. Denn dann finden sich
vor allem weniger junge Mitarbeiter mit ihren Frauen und
Kindern bereit, an diese schwierigen Standorte im Aus-
land zu gehen.
Ich bin Herrn Dr. Schäuble sehr dankbar, dass er das
Beispiel der deutschen Schule in Seoul erwähnt hat. Sie
müssen sich einmal vor Augen halten, was Mitarbeiter
von deutschen Unternehmen dort an Schulgeld zahlen. In
Seoul beispielsweise beträgt der Kindergartenbeitrag
10 000 DM im Jahr und der Schulgeldbeitrag 20 000 DM
im Jahr. Das einzige, was aus dem Bundeshaushalt für die
deutsche Schule in Seoul noch geleistet wird, betrifft die
Kosten für die entsandten Programmlehrer aus der Bun-
desrepublik Deutschland. Deren Anzahl soll jetzt um die
Hälfte reduziert werden. Dazu sagen die Verantwortlichen
der deutschen Wirtschaft, aber auch der Schulverein, dass
sie im Sinne von Partnerschaft zwischen Wirtschaft und
der auswärtigen Kulturpolitik vor Ort damit komme ich,
lieber Kollege Otto, auf den F.D.P.-Antrag zu sprechen
zwar bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, dass aber mit
dieser Kürzungsorgie Schluss sein muss.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Gert Weisskirchen
16465
Ich will auch kurz zum Thema Goethe-Institut spre-
chen. In Seoul gibt es ein Goethe-Institut, das die Stellen
für zwei entsandte Kräfte aus der Bundesrepublik
Deutschland eingespart hat. Als Dankeschön dafür, dass
man Personalkosten eingespart hat, kürzt man nun die
Programmmittel derart radikal und das angesichts der
Aufgaben, die das Goethe-Institut in Seoul im Zusam-
menhang mit dem innerkoreanischen Dialog, gerade auch
im Hinblick auf Projekte in Nordkorea, hat.
Deshalb hilft es nichts, wenn Sie hier schöne Worte
machen. Vielmehr muss der Bundesaußenminister nicht
allein das Parlament durch seine Kabinettsvorlage für
den Haushaltsentwurf deutlich machen, dass es eine
Kehrtwende bei den Mittelbereitstellungen für die aus-
wärtige Kulturpolitik gibt. Sie müssen bei der Beratung
des Haushalts noch etwas drauflegen.
Lassen Sie mich noch einen Satz im Hinblick auf die
Kulturarbeit der Vertriebenen zu den Ausführungen
des Kollegen Weisskirchen sagen, der versucht hat, die
Kürzungspolitik mit schönen Worten ein Stück weit zu
rechtfertigen: Ich finde, es ist schon ein starkes Stück,
wenn Sie so tun, als würden Sie dafür sorgen, dass die
Einrichtungen, die aus diesen Haushaltstiteln gefördert
werden, mit unseren östlichen Nachbarn dialogfähig wer-
den.
Wolfgang Schäuble hat als Bundesinnenminister auch
in schwierigsten Zeiten einer angespannten Haushaltslage
eine Erhöhung des entsprechenden Haushaltstitels durch-
gesetzt. Durch ein Aktionsprogramm ist dafür gesorgt
worden, dass die Einrichtungen die Mittel, die sie erhalten
haben, dafür einsetzen, um mit Einrichtungen in Tsche-
chien, Polen, Ungarn und Rumänien zusammenzuarbei-
ten. Diese Mittel kürzen Sie nun, obwohl der estnische
Präsident Lennart Meri und der polnische Außenminister
Bartoszewski an Joschka Fischer appelliert haben, es nicht
zu tun. Dies betrifft zum Beispiel eine Ost-West-Einrich-
tung in Lüneburg. Diese Einrichtung hat in unserer Regie-
rungszeit eine institutionelle Förderung bekommen und
führt hervorragende Projekte mit polnischen, tschechi-
schen und anderen mitteleuropäischen Instituten durch.
Hier wäre es gerade auch angesichts der bevorstehenden
Osterweiterung wichtig, dass Sie Ihre Kahlschlagpolitik
beenden, denn in diesen Kultureinrichtungen wird prakti-
sche Verständigungs- und Versöhnungsarbeit geleistet.
Herzlichen Dank.
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/5799 und 14/5963 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Lamers, Christian Schmidt , Hartmut
Koschyk und der Fraktion der CDU/CSU
Chancen des deutsch-polnischen Nachbar-
schaftsvertrages für Versöhnung stärker nut-
zen
Drucksachen 14/5138, 14/5814
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Christian Schmidt
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! In rund einem Monat
jährt sich zum zehnten Mal der Abschluss des deutsch-
polnischen Nachbarschaftsvertrages. Der Vertrag über
gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenar-
beit ist ein historischer Meilenstein in den deutsch-polni-
schen Beziehungen. Zusammen mit dem Grenzvertrag
vom 14. November 1990 bildet er das rechtliche und po-
litische Fundament für das deutsch-polnische Verhältnis
nach der Wiedervereinigung unseres Landes. Die Tragik
der gemeinsamen Geschichte in eine positive europäische
Zukunft zu wenden war und ist der Kern der Botschaft,
die der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unseren
beiden Völkern zur Verfügung stellt.
Deutsche und Polen leben in einer Schicksalsgemein-
schaft. Unsere Geschichte ist eine gemeinsame Ge-
schichte. In seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises
im Jahre 1998 hat der damalige polnische Außenminister
Geremek auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Er
sagte damals:
Dank der Wiedervereinigung Deutschlands konnte
Polen frei werden und dank der im großen Epos So-
lidarnosc errungenen Freiheit Polens konnte die Wie-
dervereinigung Deutschlands stattfinden.
Geremek hatte Recht. Ohne die Freiheitsbewegung und
die Solidarnosc wäre die deutsche Einheit nicht möglich
gewesen. Die deutsche Wiedervereinigung begann in
Danzig.
Deutsche und Polen sind seit Jahrhunderten Nachbarn.
Aber noch nie waren ihre Beziehungen so gut wie heute.
Aus Angehörigen feindlicher Militärblöcke sind Partner
in der NATO geworden und sie werden es auch bald in der
Europäischen Union sein. Durch eine Vielzahl von Kon-
takten und Beziehungen sind Politik und Gesellschaft,
Wirtschaft und Wissenschaft, aber nicht zuletzt auch die
Bürger in unseren beiden Ländern eng miteinander ver-
bunden. Vor allem im Denken der Menschen ist ein Stück
Normalität erreicht. Das ist gut so.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Hartmut Koschyk
16466
Vor dem Hintergrund unserer Geschichte wären Ver-
ständigung und Versöhnung ohne die offene und wahr-
haftige Auseinandersetzung mit den belastenden Aspek-
ten der Vergangenheit nicht möglich gewesen. Kein Land
hat so sehr unter der nationalsozialistischen Diktatur
gelitten wie Polen. 6 Millionen Polen, darunter 3 Milli-
onen Juden, sind durch Krieg und Diktatur ums Leben ge-
kommen und Millionen von Deutschen mussten als Folge
des Krieges ihre Heimat verlassen.
Viele haben seitdem geholfen, dass die schmerzliche
Vergangenheit und das Trauma des erlittenen Unrechts
überwunden werden konnten. Ich erinnere an das mutige
Wort der polnischen Bischöfe aus dem Jahre 1965. Sie ha-
ben damals geschrieben: Wir vergeben und bitten um
Vergebung. Ich erinnere auch an den Besuch des dama-
ligen Bundeskanzlers Willy Brandt 1970 in Warschau, an
die gemeinsame Erklärung von Ministerpräsident Mazo-
wiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl vom 14. No-
vember 1989 und an die Stuttgarter Charta der Heimat-
vertriebenen vom 5. August 1950 mit ihrem Verzicht auf
Rache und Vergeltung und ihrem Bekenntnis zu einem
geeinten Europa, in dem die Völker ohne Furcht und
Zwang leben können.
In Deutschland werden heute der hohe Stellenwert der
Beziehungen unseres Landes zu Polen und die Ziele der
Politik von allen politischen Kräften und der überwiegen-
den Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Das ist gut
für die Beziehungen und gut für unser Land. Es bleibt un-
ser Ziel, zu dauerhafter und tiefer Freundschaft zwischen
Deutschen und Polen zu kommen. Freundschaft aufzu-
bauen ist ein Prozess, der von beiden Seiten Anstrengun-
gen erfordert.
Der Vertrag von 1991 war und ist Ausdruck des Wil-
lens von Polen und Deutschen, ihre Zukunft in Europa ge-
meinsam zu gestalten. Er ist Ausdruck des Mutes und der
Verantwortung vor der Geschichte, sich auch den Proble-
men im bilateralen Verhältnis offen zu stellen und nach für
beide Seiten akzeptablen Lösungen zu suchen, auch bei
der Unterstützung der deutschen Minderheit, beim Ju-
gendaustausch und bei der regionalen Kooperation. Auf
allen diesen Feldern hat sich der Vertrag in den letzten
zehn Jahren bewährt.
Nirgendwo wird dies deutlicher als an der Lage der
deutschen Minderheit in Polen. Ihr Recht auf die eigene
Sprache, auf Wahrung ihrer Traditionen und auf Entwick-
lung der eigenen Kultur wird heute durch Art. 35 der pol-
nischen Verfassung geschützt. Politisch ist die deutsche
Minderheit im polnischen Staatswesen fest verankert. Die
wirtschaftliche Lage hat sich spürbar verbessert. Die deut-
sche Minderheit in Polen gibt uns ein Beispiel, dass in Eu-
ropa verschiedene Kulturen und Völker vernünftig und
friedfertig zusammenleben können.
Heute, zu Beginn eines neuen Jahrhunderts und in der
Perspektive von Integration und Freizügigkeit, haben wir
die Chance, auch bei der Lösung der noch verbliebenen
Probleme der deutschen Minderheit in Polen weitere
Fortschritte zu erzielen: bei der Förderung der deutschen
Sprache, bei der Verwendung offizieller topographischer
Bezeichnungen in den traditionellen Siedlungsgebieten
der deutschen Minderheit, bei der Rückführung von
kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern, bei der Nieder-
lassungsfreiheit, beim Erwerb von Eigentum und bei der
Anerkennung deutscher Wehrdienstzeiten, Zeiten der
Kriegsgefangenschaft und Zeiten in polnischen Internie-
rungs- und Arbeitslagern nach 1945 im polnischen Ren-
tenrecht.
Diese Forderungen unseres Antrages berühren das
wissen wir sensible Fragen; aber sie sind keineswegs
rückwärts gewandt. Ihre Lösung wird die Partnerschaft
weiter fördern. Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte ha-
ben gezeigt: Die in Polen lebenden Deutschen wie auch
die Heimatvertriebenen können, was das Verhältnis unse-
rer Völker angeht, Brückenbauer sein.
Es ist daher nur berechtigt, dass wir uns auch für ihre In-
teressen einsetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf,
die genannten Fragen aufzugreifen und die Chancen zur
Vertiefung unserer Beziehungen mit Polen stärker zu nut-
zen im Interesse beider Völker und beider Länder.
Ich will an dieser Stelle zugleich unseren Appell an alle
Beteiligten erneuern, so schnell wie möglich das Tauzie-
hen bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern zu be-
enden. Die betroffenen Menschen erwarten zu Recht kein
Spiel gegen die Zeit, sondern nur eines: dass mit den Zah-
lungen aus der Stiftung umgehend begonnen werden
kann. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, in der nächsten
Woche im Deutschen Bundestag Rechtssicherheit festzu-
stellen.
Wir stehen jetzt vor der Osterweiterung der Europä-
ischen Union. CDU und CSU wollen die Osterweiterung.
Wir wollen sie aus politischen Gründen, weil wir damit
das europäische Modell von Demokratie und sozialer
Marktwirtschaft auch in den Staaten Mittel- und Osteuro-
pas fest verankern. Mit der Erweiterung rückt Deutsch-
land in die geopolitische Mitte der Europäischen Union.
Aber neben allen politischen Gründen gibt es auch
wichtige ökonomische Gründe für die Osterweiterung.
Neue und wichtige Absatzmärkte, die gerade für Deutsch-
land als Anrainer der Beitrittsländer große Bedeutung ha-
ben, werden in den europäischen Binnenmarkt integriert.
Die politische, die ökonomische und die zivilisatorische
Vereinigung der Völker und der Staaten des europäischen
Kontinents in einer demokratischen, rechtsstaatlichen, von
den Bürgern getragenen Ordnung ist das wichtigste Pro-
jekt, das wir am Beginn des 21. Jahrhunderts begreifen, ge-
stalten, fortsetzen und vollenden wollen.
Wir wünschen uns Polen dabei in der ersten Reihe der
künftigen Mitglieder. Wir haben das Europaabkommen,
das 1991 unterzeichnet wurde und 1994 in Kraft getreten
ist, immer mit Nachdruck unterstützt. Heute müssen wir
darauf achten, dass es bei der Erweiterung gerecht zugeht.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Polen und die anderen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Friedrich Merz
16467
Kandidatenländer in der Europäischen Union zu Mitglie-
dern zweiter Klasse gemacht werden, weil ein Kartell von
Besitzstandswahrern die notwendige Solidarität verwei-
gert.
Ich will es noch deutlicher sagen: Die spanische For-
derung, die Ansprüche der künftigen EU-Mitglieder in der
europäischen Strukturförderung auf einer deutlich
schlechteren Grundlage als bei der EU der 15 zu berech-
nen, ist ganz und gar inakzeptabel.
Das Gleiche gilt für den Versuch, die Zustimmung der
Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen
Union insgesamt zu Übergangsfristen bei der Freizügig-
keit gegen neue Zugeständnisse bei der Struktur- und der
Agrarpolitik zu erkaufen.
Ein solches Verhalten ist nicht solidarisch, sondern ego-
istisch; es untergräbt den politischen Zusammenhalt der
Union und es zerstört das Fundament der gemeinsamen
europäischen Werte.
Ob wir zudem durchgängig siebenjährige Übergangs-
fristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und im
Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit brauchen, wie
dies der Bundeskanzler in Weiden und vor kurzem erneut
im Entwurf für den SPD-Parteitag gefordert hat, ist aus
unserer Sicht keineswegs ausgemacht. Was wir brauchen,
ist vielmehr eine größere Differenzierung: Die Situation
im Handwerk oder im Baugewerbe, vor allem in den
grenznahen Räumen, ist eben eine völlig andere als etwa
im Bereich der Finanzdienstleistungen, zum Beispiel bei
Banken und Versicherungen, die aus guten Gründen auf
beiden Seiten keine Übergangsfristen wollen.
Umgekehrt möchte ich aber auch an die Adresse unse-
rer polnischen Nachbarn sagen, dass Übergangsfristen für
den Erwerb von landwirtschaftlichem Grund und Boden
von 18 Jahren, die nach einem Beitritt faktisch noch eine
ganze Generation vom Erwerb in Polen ausschließen, aus
unserer Sicht nicht akzeptiert werden können.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Das Treffen der
Finanzminister der Europäischen Union im schwedischen
Malmö mit den Finanzministern der Beitrittsländer vor
gut zwei Wochen hat gezeigt, dass auch die Beitrittslän-
der noch erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen,
um die Kriterien von Kopenhagen zu erfüllen und im
Wettbewerb mit den jetzigen EU-Mitgliedern tatsächlich
bestehen zu können, insbesondere bei der Entwicklung
des Finanzsektors und der wirtschaftlichen Leistungskraft
der Beitrittsländer.
Ich begrüße es sehr, dass die EU-Finanzminister deut-
lich gemacht haben, dass niemand die Absicht hat, neue
Kriterien zu formulieren, sondern dass es im Interesse der
Beitrittsländer wie der jetzigen EU-Mitglieder darum
geht, vereinbarte Kriterien zu erfüllen und soziale Ver-
werfungen zu vermeiden. Deshalb habe ich mich auch
über die besonnene und sehr abgewogene Erklärung ge-
rade des polnischen Finanzministers Bauc nach dem Tref-
fen in Malmö sehr gefreut.
Die Europäische Union ist eine Interessengemein-
schaft. Europa ist aber auch eine Wertegemeinschaft. Die
Erweiterung ist ein Testfall, wie weit die europäische So-
lidarität trägt und die jahrzehntelange Spaltung Europas
dauerhaft überwunden werden kann. Das gilt für die bis-
herigen Mitglieder ebenso wie für die künftigen. Der
deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni
1991 war nicht nur ein Wendepunkt in den deutsch-polni-
schen Beziehungen. Er ist auch die Brücke für eine ge-
meinsame Zukunft in der Europäischen Union.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Markus Meckel.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Lieber Kollege Merz, ich sehe die
Schwierigkeit, vor der Sie standen, als Sie Ihre Rede vor-
bereitet haben: Sie mussten sich entscheiden, ob Sie auf
die Überschrift des heute zur Debatte stehenden Antrages
reagieren oder ob Sie auf den Inhalt dieses Antrages ein-
gehen. Sie haben sich entschieden, die Überschrift zum
Thema zu machen. Ich entscheide mich für den Inhalt Ih-
res Antrages und dafür, dass wir die Würdigung dieses
wirklich wichtigen Nachbarschaftsvertrages, dessen Ab-
schluss sich jetzt zum zehnten Male jährt, in der verein-
barten Debatte in der zweiten Junihälfte hier vollziehen.
Dazu liegt darüber freue ich mich sehr ja bereits ein
gemeinsamer Antrag der Fraktionen vor, der Ihrer Rede in
der Themenbreite eher entspricht als der vorliegende An-
trag.
Der Antrag, der heute zur Debatte steht, ist auch inso-
fern thematisch eng geführt, als es in der Würdigung des
zehnten Jahrestages des Nachbarschaftsvertrages durch-
aus nicht nur um die Frage der Vertriebenen und der deut-
schen Minderheit geht. Wir müssen uns aber erinnern,
dass in diesem Vertrag die deutsche Minderheit und die
Polen in Deutschland parallel behandelt werden. Leider
taucht dieser Gesichtspunkt in dem Antrag nur in dem al-
lerletzten Absatz auf, während die anderen Fragen, die die
Polen in Deutschland betreffen, leider nicht weiter behan-
delt werden.
Ich möchte auf die Frage der deutschen Minderheit ein-
gehen, die Sie in Ihrem Antrag inhaltlich behandeln, und
am Anfang doch deutlich sagen: Ich halte es für ein Defi-
zit der deutschen Linken in den vergangenen Jahrzehnten,
dass sie dieses Thema nicht genügend wahrgenommen
hat. Allerdings hat es die deutsche Minderheit in Polen der
deutschen Linken auch schwer gemacht, dies zum Thema
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Friedrich Merz
16468
zu machen, weil das Beharren auf der Grenzfrage und
damit die engen Beziehungen zum BdV, der in der deut-
schen Politik oft in der rechten Ecke gestanden hat die
Kommunikation erschwert hat.
Ich bin sehr froh das muss ich deutlich sagen , dass
sich diese Lage in den letzten zehn Jahren deutlich verän-
dert hat, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages
zur deutschen Minderheit in Polen eine offene und gute
Beziehung haben und dass sich auch die Lage der deut-
schen Minderheit selber grundlegend verändert hat.
Grundlage dessen ist nicht zuallererst der deutsch-polni-
sche Nachbarschaftsvertrag, auch wenn er wichtig war
und ist. Grundlage dafür ist die Demokratie in Polen. Über
diese können und müssen wir alle froh sein und sind es,
so denke ich, auch.
Das, was in den letzten zehn Jahren für die deutsche
Minderheit in Polen geschehen ist Sie, Herr Merz, ha-
ben ja darauf hingewiesen , war beispielhaft: die Pflege
der Sprache, der eigenen Kultur, auch die Anerkennung
eigener Organisationen, die ungeheuer lebendig und
durchaus das ist wichtig mit deutscher Unterstützung
arbeiten, die öffentlichen Vertretungen auf allen politi-
schen Ebenen. Es gibt dort eine ganze Reihe deutscher
Bürgermeister, die natürlich nicht nur für die in der
Kommune lebenden Deutschen Verantwortung tragen,
sondern für die gesamte Region. In der Woiwodschaft Op-
peln übernehmen Vertreter der deutschen Minderheit eine
ganz wesentliche Verantwortung, und zwar bis in den
Sejm hinein. Die Abgeordneten stimmen dort auch nicht
nur über Dinge ab, die die deutsche Minderheit betreffen,
sondern verhalten sich politisch als loyale Bürger und
Staatsbürger dieses Staates Polen. Dies alles ist eine un-
geheure Leistung.
Sehen wir uns einmal an, was der polnische Staat in
diesen Zeiten gemacht hat. Vieles war nicht immer ein-
fach. Wir haben die Diskussion miterlebt. So wurde das
Quorum ausgesetzt. Hier möchte ich einfach einmal die
heutige polnische Botschafterin in Wien, Irena Lipowicz,
erwähnen, die damals als Abgeordnete intensiv dafür
gekämpft hat. Sie hat sich ebenfalls in der Frage der Ge-
staltung der Territorialstruktur Polens engagiert. Ohne
dass sich Deutschland darum gekümmert hat, hat Polen
gesagt: Wir wollen die Woiwodschaft Oppeln wegen der
besonderen Bedingungen dort erhalten. Der polnische
Staat ist mit großer Sensibilität mit diesen Fragen umge-
gangen, was eine ungeheure Leistung ist.
In den Kommunen, die auf ehemals deutschem Gebiet
liegen ob das nun Stettin, Breslau oder andere sind ,
wird die deutsche Geschichte heute als eigene Tradition
wahrgenommen, geachtet und für den Tourismus aufbe-
reitet. Ich halte auch das für eine ungeheure Leistung.
Seit dem 1. April dieses Jahres ist die Rahmenkonven-
tion zum Schutz der Minderheiten des Europarates in
Kraft. Auch dies ist wahrhaftig kein kleiner Schritt der
polnischen Regierung.
Sie haben in Ihrem Antrag eine Reihe von Defiziten an-
gesprochen. Sie bestehen; aber unter dieser Überschrift
allein diese zum Thema zu machen erschien uns jedenfalls
problematisch.
Natürlich ist die Kulturgüterfrage ungeklärt. Wir hof-
fen wirklich, dass hier in naher Zukunft ein Ergebnis er-
zielt werden wird.
Dies gilt auch für die Frage der zweisprachigen Orts-
schilder. Ich glaube, langsam wächst die Bereitschaft
dazu. Ich hätte mir dies auch früher gewünscht. Aber dies
ist kein wirklicher Konfliktpunkt zwischen Deutschland
und Polen, sondern eine Frage der Entwicklung einer Ge-
sellschaft, eine Frage der Reife.
Vor drei Jahren habe ich in Warschau eine Diskussion
mit Herrn Hupka miterlebt, bei der es um die Fragen der
Verteidigung ging. Dort saß zum Beispiel der tschechi-
sche Botschafter in Warschau mit offenem Mund daneben
und sagte: Was ist hier in dieser Gesellschaft schon alles
möglich geworden? Ich glaube, dies sollten wir deutlich
würdigen.
Weiterhin haben Sie die Anrechnung der Zeiten in
Kriegsgefangenschaft oder in polnischen Internierungs-
und Arbeitslagern für die Angehörigen der deutschen
Minderheit in Polen, also der Deutschen, die besonders
unter der deutschen Kriegsschuld gelitten haben, ange-
sprochen. Auch ich sehe hier wirklich ein Problem. Sie
wissen selbst, dass es um die Frage der Parallelität geht.
Hier können wir nur werben und vielleicht auch einiges
dafür tun. Sie aber schauen nur in Richtung Regierung.
Ich aber sage: Sie hatten acht Jahre Zeit, Herr Waigel, und
damals waren die Kassen noch voller.
Jedenfalls haben Sie das Geld tüchtig ausgegeben. Da-
runter leiden wir heute. Aber hier jetzt nur auf den anderen
zu blicken, halte ich für problematisch, zumal etwas pas-
siert, was viele in Deutschland gar nicht wissen: Deutschen
Wehrmachtsoldaten, die heute noch in Polen leben, wird
die Zeit in der deutschen Wehrmacht in der Wehrmacht,
die Polen überfallen hat für die Rente angerechnet. Ge-
nauso bekommt der polnische Soldat, der heute in Deutsch-
land lebt, die gleiche Zeit anerkannt. Das Problem ist aber,
dass es für diejenigen, die die Zeit in Lagern verbracht ha-
ben, keine parallele Regelung gibt. Ich hoffe, dass wir in
Zukunft hier noch zu einem guten Ergebnis kommen.
Als Konzeptionsaufgabe für die Zukunft müssen wir
natürlich unsere Förderung der deutschen Minderheit an-
sprechen. Hier sehe ich nach wie vor Defizite, nicht in ers-
ter Linie in Bezug auf die Höhe der Summen, sondern in
Bezug auf die Gestaltung, wenn Polen in Kürze Mitglied
der Europäischen Union wird. Ist es zum Beispiel sinn-
voll, die von Ihnen geerbte Ressortierung im Innenminis-
terium beizubehalten? Was ist mit der Kulturaufgabe, den
Kontakten, der Förderung der Minderheit von Deutsch-
land aus?
Ich komme noch zu einem letzten Punkt, der ebenfalls
dort hineingehört. Ich bedaure es ausgesprochen, dass es
nicht möglich war Deutschland hat dies mit vorgeschla-
gen , die Frage der Minderheiten in der Grund-
rechte-Charta der Europäischen Union angemessen zu
behandeln. Ich halte das für ein Defizit; aber dies zeigt,
dass wir in Europa in diesem Bereich noch etwas zu tun
haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Markus Meckel
16469
Wir in Deutschland sollten wiederum nicht den Zeige-
finger erheben; denn Anfang der 90er-Jahre, als wir dabei
waren, unsere Verfassung, das Grundgesetz, zu verändern
und entsprechende Vorschläge von Bündnis 90/Die Grü-
nen und SPD vorlagen, auch im deutschen Grundgesetz
die Minderheitenrechte zu verankern, hat Ihre Fraktion
dem leider nicht zugestimmt, obwohl das für Europa ein
ganz wichtiges und gutes Beispiel gewesen wäre. Wir ha-
ben also noch manche Arbeit vor uns: in Polen, in
Deutschland und in Europa insgesamt. Wir sollten diese
Aufgabe anpacken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Kollege Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Auch ich habe mich über die Rede von Herrn
Merz ausgesprochen gefreut. Als ich den Antrag gelesen
habe, hat mich ein gewisses Unbehagen beschlichen, ins-
besondere angesichts der Tatsache, dass wir in einem Mo-
nat hier eine größere Debatte über den umfassenden Zu-
sammenhang der deutsch-polnischen Beziehungen führen
werden und auch interfraktionell einen gemeinsamen
Antrag vorbereiten, der der Entwicklung dieser Bezie-
hungen und den zukunftsweisenden Perspektiven gerecht
werden soll und gerecht werden wird durchaus unter
Mitwirkung auch der CDU/CSU-Fraktion. Wenn ich die-
sen Antrag sehe, der vier Wochen vor dieser großen De-
batte im Deutschen Bundestag auf die Tagesordnung ge-
flattert ist, kann ich eigentlich nur sagen: Es ist traurig.
Denn wenn man den Antrag liest, gewinnt man den Ein-
druck, es ist ein Forderungskatalog einseitiger Art an die
polnische Seite, in dem zugegebenermaßen vielleicht real
existierende Defizite aufgegriffen werden, aber in dem
dies eben nur einseitig dargestellt wird.
Ich lese zu meinem Vergnügen, dass Sie anerkennen,
dass auch auf der polnischen Seite die Bereitschaft vor-
handen ist, eine wahrhaftige Aufarbeitung belastender
Aspekte der Vergangenheit zu betreiben, dass Sie rühmen,
dass dort die Bereitschaft besteht, den Komplex der Ver-
treibung zu erörtern, an Internierungslager zu erinnern
und Täter strafrechtlich zu verfolgen. Dabei vermisse ich
aber den Bezug auf das, was dies alles eigentlich ausgelöst
hat. Es waren doch wir, die Deutschen, die den Krieg vom
Zaun gebrochen haben, die Polen überfallen haben. Ich
kann doch das eine nicht erwähnen, ohne nicht auch des
anderen zumindest zu gedenken. Das hat mit Schuldzu-
weisung gar nichts zu tun, sondern ist einfach eine Frage
der historischen Gerechtigkeit und der moralischen Wahr-
heit.
Wenn wir uns darum bemühen wollen, zu Polen ähn-
lich intensive Beziehungen zu entwickeln, wie es nach
dem Zweiten Weltkrieg zu Frankreich gelungen ist, kön-
nen wir jetzt nicht einseitig der einen Seite vorhalten, was
sie vielleicht an Versäumnissen zu vertreten habe. Da-
rüber kann man ja reden, obwohl man auch da vorsichtig
sein muss.
Was zum Teil in dem Antrag steht, verlockt geradezu
zu der Frage, wie wir uns denn bei nicht direkt vergleich-
baren, aber ähnlich gelagerten Forderungen anderer an
uns selbst verhalten würden. Ich will das am Beispiel der
Ortstafeln verdeutlichen.
Jetzt sagen Sie mir bitte nicht, wenn auch mit Recht, dass
das gar nicht vergleichbar ist. Wenn aber die türkische Ge-
meinde in Berlin kommen und sagen würde, sie wolle da,
wo die Türken in der Mehrheit seien, türkische Orts-
schilder haben, was für ein Aufschrei ginge dann durch
die deutsche Leitkultur!
Ich weiß, dass der Vergleich hinkt. Aber man sollte sich
doch einmal fragen, wie das eigene Verhalten wäre, wenn
eine ähnliche, in den gleichen Kontext gehörende Forde-
rung auf uns zukäme.
Sie fordern mit Recht, dass die Polen zulassen sollen,
dass sich Deutsche oder andere EU-Bürger in Polen nie-
derlassen und zwar im Vorgriff auf die Freizügigkeit, die
durch die Mitgliedschaft Polens in der EU gegeben sein
wird. Das wollen wir alle. Auch ich verlange, dass die Po-
len dies zulassen. Aber ich frage mich auch: Was ge-
schieht denn in Deutschland, wenn ein Pole kommt und
sagt, er möchte sich hier niederlassen?
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, auf welche Hür-
den er stößt? Das ist auch im Einzelfall nicht vergleichbar.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?
Ich gestatte die Zwischenfrage;
ich möchte nur den Satz zu Ende bringen.
Es ist in Bezug auf Details nicht vergleichbar. Aber
man muss sich hinsichtlich des Atmosphärischen einmal
fragen: Wie wirkt ein solcher Antrag auf diejenigen in Po-
len, die ihrerseits zur Versöhnung beitragen wollen, wenn
wir einseitige Forderungen stellen und nicht einmal prü-
fen, was vor unserer eigenen Haustür zu kehren ist?
Herr Koschyk, bitte.
Herr Irmer, ich
wollte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zuzugestehen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Markus Meckel
16470
dass die beiden Punkte also zweisprachige Ortsschilder
und die Niederlassungsfreiheit , die Sie explizit ange-
sprochen haben und bei denen Sie uns als deutsche Seite
raten, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen, Be-
standteil des Briefes gewesen sind, den der damalige Bun-
desaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, F.D P., im Zu-
sammenhang mit diesem Vertrag als Bestandteil dieses
Vertrags an die polnische Seite gerichtet hat.
Lieber Kollege Koschyk, das
ist mir alles bekannt und ich halte das auch für völlig
richtig.
Kein Aber. Ich sage ja auch: Ihre Forderungen sind
durchaus diskussionswürdig. Ich schließe mich ihnen so-
gar an. Auch ich würde mich freuen, wenn demnächst auf
dem Ortsschild unter Wroclaw auch Breslau stünde.
Ich kann Wroclaw ohnehin nicht aussprechen, weil ich
leider nie polnisch gelernt habe, was vielleicht noch wer-
den kann.
Ihr Einwand ist ja berechtigt. Aber die einseitige Zu-
sammenballung solcher Forderungen, ohne zugleich zu
sagen, wo wir vielleicht Defizite haben und wo wir unse-
rerseits zum deutsch-polnischen Verhältnis etwas beitra-
gen müssen, empfinde ich nicht als richtig.
Herr Kollege
Koschyk, Sie müssen schon stehen bleiben, wenn Ihnen
geantwortet wird.
Herr Koschyk, wenn Sie mir
schon Zwischenfragen stellen, dann will ich das Beste da-
ran mitnehmen, nämlich dass Sie damit meine Redezeit
verlängern und die Uhr gestoppt wird, während ich Ihre
Frage beantworte.
Darauf würde ich doch nie im Traum verzichten.
Nein, ich habe Ihre Frage noch nicht beantwortet, Herr
Kollege.
Es ist eine einseitige Zusammenballung von Forderun-
gen, die für sich selbst betrachtet durchaus berechtigt sind
und die ja schon der legendäre Genscher erkannt und vo-
rausgesagt hat. Gleichwohl finde ich es einfach unklug
und unsensibel, wenn man jetzt, einen Monat vor unserer
großen Debatte, bei der alles zur Sprache kommen soll,
diese Punkte isoliert aufgreift und als einseitige Forde-
rungen an Polen heranträgt.
Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Der Herr Präsident
hat die Uhr wieder in Gang gesetzt.
Wir wissen natürlich, warum das geschieht. Verehrter
Herr Merz, ich weiß, dass es aus Ihrer Sicht sehr notwen-
dig ist. Es stehen ja jetzt Treffen der Vertriebenen an.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Es
hat mich sehr gefreut, dass der Kollege Meckel gesagt hat,
wie sehr sich die Beziehungen zu der deutschen Minder-
heit in Polen auch seitens der SPD verbessert haben, die
als deutsche Linke zu bezeichnen Sie haben es getan
vielleicht etwas kühn ist.
Ich möchte Sie alle bitten, das Verhältnis zu den Ver-
triebenen und ihren Verbänden mehr in Ordnung zu brin-
gen, als das bisher der Fall gewesen ist. Wir haben immer
großen Wert darauf gelegt, auch wenn wir bisweilen nicht
gerechtfertigte Forderungen der Verbände zurückweisen
mussten und zurückgewiesen haben speziell, als es da-
mals um die Anerkennung der Grenzen ging , dass das
besondere Schicksal der Vertriebenen und das Sonderop-
fer, das von ihnen erbracht werden musste, gesehen, aner-
kannt und menschlich gewürdigt wird.
Das ist ja keine Kleinigkeit.
Die Deutschen sind aufgrund ihrer Lebenssituation
vom Krieg und seinen Folgen unterschiedlich betroffen
gewesen. Die Vertriebenen haben ein besonderes Los ge-
habt. Darüber darf man nicht hinweggehen; das muss man
menschlich verstehen. Deshalb bin ich dankbar, dass die
Vertriebenen und ihre Verbände heute dazu bereit sind, zu
dem großen Versöhnungswerk beizutragen.
Leider muss ich aus den geschilderten Gründen Ihren
Antrag jetzt ablehnen. Aber wir bleiben über diese Fragen,
die Sie dort aufgeworfen haben, naturgemäß im Gespräch.
Sie können in den gemeinsamen Antrag gerne eingehen.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe das
Wort Herrn Kollegen Dr. Helmut Lippelt für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Es geht mir ähnlich wie den Vorrednern. Ich möchte es
aber noch ein bisschen krasser ausdrücken: Herr Merz, ich
habe mich wirklich gefragt, worauf Sie sich bezogen ha-
ben. Mir ist noch nie der Unterschied zwischen einer Rede
zu einem vorliegenden Antrag und dem Antrag selbst so
deutlich geworden wie in diesem Falle.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Hartmut Koschyk
16471
Für seine Rede wollen wir ihn loben. Dazu wollen wir
sagen, seine Rede war sehr schön. Deshalb habe ich Ihnen
auch bewusst einmal zugeklatscht. Nur, Herr Merz, das
Problem ist ja ein ganz anderes. Haben Ihnen Ihre Polen-
experten nicht gesagt, was für ein Befremden dieser An-
trag in der vorliegenden Form in Polen ausgelöst hat?
Sprechen Sie einmal mit Pflüger. Ich kann es Ihnen sagen.
Gehen Sie einmal in die Botschaft, fragen Sie dort, wie
dieser Antrag gewirkt hat! Herr Merz, gedruckt so gern
ich es anders sehen möchte wird in Polen vielleicht ein
Satz aus Ihrer Rede, aber drei Sätze aus dem Antrag. Des-
halb ist eigentlich unverantwortlich, was hier gelaufen ist.
Sie haben einen Antrag schöngeredet, nachdem Ihre Frak-
tion und Sie als Fraktionsvorsitzender noch vor zehn Ta-
gen in der Beratung dieses Antrages im Auswärtigen Aus-
schuss auf ausdrückliche Anfrage aller anderen Parteien,
ob man ihn denn nicht für erledigt erklären wolle denn
es werde doch an einem gemeinsamen Antrag gearbei-
tet , dies abgelehnt haben.
Ja, ich komme zu Ihrem Antrag, keine Angst! Ich will sub-
stanziell werden, mein Lieber; denn ich habe den Eindruck,
ich muss Ihnen geradezu vorinterpretieren, was in Ihrem
Antrag steht. Sie selbst haben es auch nicht verstanden.
Eines ist mir allerdings bei Ihrer Intervention klar ge-
worden: Ich habe lieber Herrn Merz hier reden hören und
habe mich immer gefragt: Was wäre erst passiert, wenn Sie
oder eine weitere Verfasserin des Antrags geredet hätten?
Aber jetzt zum Antrag. Sie wollen es ja. Sie hätten es
anders haben können. Nun gehen wir aber darauf ein.
An drei Punkten wird der Geist dieses Antrages deut-
lich. Ich bezeichne ihn als Geist wirklicher Starrheit alten
Denkens, als Geist unversöhnlichen Hochhaltens alter
Ansprüche. Das dokumentiert der Antrag. Ich will es Ih-
nen belegen.
Zunächst zu den Ortsschildern: Es ist schon einiges
dazu gesagt worden. Sie schreiben, die polnische Seite
habe sich verpflichtet, die Zulassung zu prüfen. Wörtlich
sagen Sie:
Diese Prüfung ist inzwischen erfolgt.
Aber Sie sagen dann, nichts sei geschehen, obwohl doch
das vor einem Jahr in Kraft getretene polnische Sprach-
gesetz ausdrücklich fremdsprachige Namen und Texte zu-
lasse.
Ich habe mir natürlich den Vertrag angesehen. Was
steht denn genau in dem Briefwechsel? Im Briefwechsel
steht, die polnische Regierung sehe derzeit keine Mög-
lichkeit, offizielle topographische Bezeichnungen in deut-
scher Sprache zuzulassen; sie werde mit Rücksicht auf
deutsche Wünsche diese Fragen zu gegebener Zeit prüfen.
Sie haben sich auf den Wortlaut des Briefwechsels be-
zogen und dabei müssen wir genau sein. Es geht um einen
internationalen Vertrag. Da muss man schon genau sein;
da darf man nicht so wischiwaschi vorgehen.
Woher nehmen Sie das Recht, einseitig festzustellen,
dass die Zeit jetzt gegeben ist? Warum sehen Sie nicht das
vor einem Jahr verabschiedete Sprachgesetz geradezu als
ein Signal an die deutsche Seite an, dass deutsche Wün-
sche nicht in Vergessenheit geraten sind? Das ist doch
eine sehr viel sinnvollere und richtigere Betrachtungs-
weise.
Ein zweites Beispiel, das Niederlassungsrecht. Sie
fordern die Bundesregierung auf, von Polen zu verlangen,
dass im Hinblick auf die Mitgliedschaft Polens in der Eu-
ropäischen Union deutsche Bürger jetzt in Polen unge-
hindert Wohneigentum, Grund und Boden erwerben kön-
nen.
Was steht in Art. 8 Ziffer 3 des Vertrages? Da steht,
dass Deutschland positiv zur Perspektive eines Beitritts
Polens zur EU steht, sobald die Voraussetzungen dazu ge-
geben sind. Dann erklärt die polnische Regierung in Auf-
nahme dieses Satzes im Briefwechsel, dass sie in
Verwirklichung dieser Perspektive zunehmend die Mög-
lichkeit sehe, deutschen Bürgern eine Niederlassung in
Polen zu erleichtern. Also sehr vorsichtig; wir alle ver-
stehen das.
Was muss Ihnen Ihr wirklich einfacher politischer Ver-
stand dazu sagen? Der muss Ihnen sagen, dass Polen be-
kanntlich 1990, also als es um den Vertrag ging, damit
rechnete, in ein paar Jahren in die EU aufgenommen zu
werden. Wir alle wissen, dass das illusionär war. Wir alle
wissen, dass die Realitäten anders waren.
Aber aus der Sicht Polens bedeutete das: Die polnische
Regierung musste Jahr für Jahr immer wieder erklären,
dass es ein bisschen länger dauert. Erst hieß es, es dauert
bis 2002, jetzt heißt es, es dauert bis 2004. Nun muss man
sich möglicherweise auch noch mit sieben Jahren Über-
gangszeit bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit vertraut ma-
chen.
Es ist ganz klar, dass der Punkt Grund- und Bodener-
werb für die Polen viel sensibler ist. Ich bin sehr froh, von
Herrn Merz gehört zu haben, dass auch er hinsichtlich der
sieben Jahre eine leichte Differenzierung vornimmt und
dass er sagt, dass 18 Jahre überhaupt nicht infrage kämen.
Darum geht es auch nicht. Aber dass die polnische Seite
in diesem Punkt notwendigerweise eine Übergangsfrist
wird verlangen müssen, ist doch ganz klar.
Ich habe Ihnen vorgeführt, dass Sie falsch interpretiert
haben, dass Sie geradezu politisch böswillig interpretiert
haben, dass Ihre Interpretation das deutsch-polnische Ver-
hältnis massiv belastet.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Helmut Lippelt
16472
Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann bekomme ich
mehr Zeit. Herr Präsident, Sie finden doch sicher auch,
er soll eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe das
Gefühl, dass Sie sich schon durchsetzen werden.
Sie haben Recht und ich beruhige mich.
Ich komme nun zum dritten Punkt, der in Bezug auf die
guten nachbarschaftlichen Beziehungen noch skandalö-
ser, abenteuerlicher, unsensibler, bornierter und schädli-
cher ist: die Forderung nach der Anerkennung deutscher
Wehrdienstzeiten als rentensteigernd im polnischen
Rentenrecht. Es ist zweifellos richtig, dass solche ge-
genseitigen Anerkennungen Sinn machen, zum Beispiel
bei einem deutsch-italienischen Rentenvertrag. Südtiro-
ler, die in der Wehrmacht gedient haben, jetzt aber von Ita-
lien die Rente beziehen, bekommen zweckmäßigerweise
die Zeit in Deutschland angerechnet; umgekehrt be-
kommen Gastarbeiter, die in Italien in der Armee waren,
zweckmäßigerweise ihre Zeit dort angerechnet. Aber bei
Mitgliedern einer Armee, die den Staat zerstört hat, die
selber dafür gesorgt hat, dass die SS-Truppen die polni-
sche Intelligenz ausrotten konnten, die in vielerlei Hin-
sicht in die Untaten der Besatzungsarmee verstrickt wa-
ren, zu sagen, dass sie diese Jahre von Polen bezahlt
bekommen sollen also bitte, etwas Skandalöseres gibt es
überhaupt nicht. Es ist auch kein Zufall, dass die Regie-
rung Kohl viel zu klug war, um so etwas auch nur ansatz-
weise in den Vertrag hineinzuschreiben; aber Sie schrei-
ben das jetzt in einen Antrag. Das ist ein Skandal.
Vor einem Jahr hat der polnische Historiker Borodziej
in einem dann in der FAZ übersetzten Aufsatz ge-
schrieben, glücklicherweise sei jetzt die Zeit der Aufrech-
nung vorbei, in der man sich nur mit sich selbst beschäf-
tigt habe, aufrechnend, aber auch sich annähernd; jetzt
könne man gemeinsame Außenpolitik formulieren, die
man gemeinsam in den internationalen Gremien als ge-
meinsame Dritte-Welt-Politik, Ost- oder Europapolitik
machen könne, man müsse nicht mehr unbedingt immer
nur übereinander reden.
Ich bitte Sie: Lassen Sie uns nach vorn schauen. Beer-
digen wir diesen Antrag so schnell wie möglich. Lassen
wir ihn der Vergessenheit anheimfallen, in Ihrem ebenso
wie in unserem Sinne; denn dieser Antrag schädigt nicht
nur Sie, er schädigt auch das Ansehen des Deutschen Bun-
destages.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hartmut
Koschyk das Wort.
Sehr geehrter Herr
Kollege Lippelt, bei den beiden ersten Punkten, die Sie als
so skandalös und unmöglich beschrieben haben, konnten
Sie nicht für mich erkennbar deutlich machen, inwiefern
diese beiden Punkte, die wir in unserem Antrag aufge-
griffen haben, gegen Geist und Buchstaben des Vertrages
gerichtet sein sollen. Ich sage noch einmal: Sie beziehen
sich ausdrücklich auf den begleitenden Schriftwechsel.
Ich glaube schon, dass es, wenn dieser Vertrag auf-
grund seiner Anlage nach zehn Jahren zur Überprüfung
ansteht und wir alle der Auffassung sind, dass er sich be-
währt hat und sich in Zukunft weiter fortentwickeln muss,
möglich sein muss, zu überlegen, ob es in diesem Bereich
Punkte gibt, die aus unserer Sicht das haben sowohl
Herr Meckel als auch Herr Irmer angesprochen noch
nicht befriedigend gelöst worden sind. Ich bin sehr dank-
bar dafür, dass der Kollege Irmer gesagt hat eine ähnli-
che Auffassung habe ich auch beim Kollegen Meckel he-
rausgehört , dass man diese Themen durchaus in einem
gemeinsamen Antrag noch einmal aufgreifen kann.
Nun zu der zutiefst humanitären Frage, wie die Alters-
armut von Menschen, die als Angehörige der deutschen
Minderheit als polnische Staatsbürger in Polen leben, ge-
lindert werden kann. Sie, lieber Herr Kollege Lippelt, haben
diese Forderung als skandalös bezeichnet. Ich bin sehr dank-
bar, dass die Bundesregierung und auch das Auswärtige
Amt dies anders als Sie sehen. Mir wurde nämlich vonsei-
ten des Staatsministers Zöpel, der ja gleich noch in die
Debatte eingreift, geantwortet, dass die Bundesregierung
bereit ist, sich zugunsten der Angehörigen der deutschen
Minderheit in der Republik Polen hinsichtlich der Aner-
kennung deutscher Wehrdienstzeiten, Zeiten der Kriegs-
gefangenschaft und Zeiten in polnischen Internierungs-
oder Arbeitslagern nach 1945 als rentensteigernde Zeiten im
Rahmen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsab-
kommens vom 9. Oktober 1975 einzusetzen.
Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie dies
bei den jährlichen deutsch-polnischen Konsultationen ge-
tan hat. Hierbei, lieber Kollege Lippelt, handelt es sich
nämlich um eine zutiefst humanitäre und soziale Forde-
rung, die insbesondere durch das deutsch-polnische So-
zialversicherungsabkommen gedeckt ist. Ich würde mir
wünschen, dass Sie sich einmal die Zeit nehmen, mit den
Menschen, die in Polen als Angehörige der deutschen
Minderheit von einer Rente leben müssen, die nicht ein-
mal das Existenzminimum sichert, über ihre Sorgen und
darüber zu sprechen, wie sie den Alltag bewältigen, statt
dies als skandalöse und infame Forderung abzutun.
Herr Kol-
lege Koschyk, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich bin sehr dankbar,
dass die Bundesregierung hier klüger als Sie handelt und
diese Fragen aufgegriffen hat.
Herr Kol-
lege Lippelt, Sie können antworten.
Herr Koschyk, wenn Ihnen nicht erkennbar war, was ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Helmut Lippelt
16473
unter Hinzuziehung des Briefwechsels und des Wortlau-
tes meinte, der darauf habe ich aufmerksam gemacht
sorgfältig gewählt war und keineswegs Ihre Forderung
deckte, so ist es vielleicht doch Ihrem Fraktionsvorsitzen-
den und anderen deutlich geworden.
Ich bin übrigens nicht dagegen, dass man darüber ver-
handelt, ob Jahre in Lamsdorf oder anderswo angerechnet
werden können. Dagegen habe ich überhaupt nichts. Nur,
ein Antrag, der mit der Forderung beginnt, die fünf Jahre
Dienst in einer Armee, die eine Besatzungsarmee war, mit
anzurechnen, lässt die Frage der Gegenseitigkeit völlig
außer Acht. Man beachtet dabei nämlich nicht, dass kein
Pole, der in der Armia Krajowa gegen die Deutschen
gekämpft hat und jetzt hier lebt, solche Ansprüche stellen
kann. Er wäre dazu wahrscheinlich auch viel zu stolz. Sie
und ebenso die deutsche Bürokratie würden Dienstjahre
in der Armia Krajowa wahrscheinlich auch gar nicht an-
erkennen wollen.
Gut.
Ich habe mich mit den Rentenabkommen zwischen
Deutschland und Polen beschäftigt, die es in den 20er-
und 30er-Jahren gab.
Ich kenne die Situation genau. Ich habe darüber einen
Aufsatz in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte ge-
schrieben. Also keine Angst, das können Sie alles nachle-
sen.
Nur: Sie müssen doch bemerken, auf was für ein Ge-
biet Sie sich begeben, wenn Sie eine solche Forderung
stellen. Wenn Herr Zöpel sagt: Gut, ich will das zur Spra-
che bringen, dann ist das okay.
Bitte bringen Sie es aber nicht hier als Forderung ein. Es
muss immer der Dienst im Zusammenhang mit den Taten
dieser Armee betrachtet werden. Dass die Opfer für die
Untaten dieser Armee auch noch den Sold zahlen sollen,
das ist skandalös. Ich bleibe dabei. Denken Sie über die
von mir hergestellte Verbindung nach. Unter welchen For-
meln etwas verhandelt wird, sollten wir dem Staats-
minister überlassen. Vielleicht bekommen Sie ja auch Ihr
Anliegen befriedigt.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion
der PDS.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zu Anfang möchte ich etwas
sagen, von dem ich überzeugt bin, dass es mir eigentlich
nicht zusteht, so etwas zu formulieren.
Gleichwohl halte ich es für notwendig.
Aus gesamtpolitischen Gründen bedaure ich es sehr,
dass dieser Antrag der CDU/CSU-Fraktion das Bundes-
tagsplenum überhaupt in dieser Form erreicht hat. Selbst-
verständlich hat jede Fraktion das Recht dieses Recht
verteidige ich auch , das zu beantragen, was sie für rich-
tig hält. Sie hat aber auch die Verantwortung, einige Ge-
danken auf die Folgen ihrer Anträge zu verschwenden.
Bei diesem Antrag bin ich zur Auffassung gelangt, dass es
bereits enorm schadet, dass er überhaupt an das Plenum
überwiesen und hier noch einmal ernsthaft vertreten wor-
den ist. Dass die Rede von Herrn Merz überhaupt nicht
zum Antrag passte, hat hier jeder registriert. Das macht
vielleicht die Rede besser. Es kann aber auch sein, dass die
Rede über die politische Grundlinie hinwegtäuschen
wollte, die im Antrag zum Ausdruck kommt.
Ich möchte begründen, warum ich diesen Antrag für
eine solche Belastung halte: Der Antrag unterzieht sich
überhaupt nicht der Mühe, Herr Koschyk, vor dem Hin-
tergrund des Nachbarschaftsvertrages einmal nachzuprü-
fen, was wir selber in Deutschland zu leisten hätten, da-
mit in unserem Land das Verhältnis zu polnischen
Bürgerinnen und Bürgern, die hier leben übrigens auch
zu denen, die hier in ungesicherten Arbeitsverhältnissen
tätig sind , und zum polnischen Staat besser wird. Ich re-
gistriere eine Zunahme von außerordentlich komplizier-
ten und alte Ressentiments bedienenden Stimmungslagen
in der deutschen Bevölkerung. Ein kritisches Herangehen
an das, was wir zu leisten hätten, verbunden mit Debatten,
die wir mit Polen zu führen hätten, stellt eher einen ange-
messenen Gestus dar, als nur einseitig und sehr katego-
risch Forderungen an die polnische Seite zu stellen.
Ich räume in diesem Zusammenhang gleich mit einer
Geschichtslegende von Herrn Kollegen Meckel auf, die
ich auf unterschiedliche Entwicklungswege in Ost und
West zurückführe: Zumindest die Linke im Westen hatte
nie ein Problem mit der deutschen Minderheit in Polen.
Wir haben Probleme mit deren Verbandsvertretern und
deren aggressiven Reden und Auftreten in der Bundesre-
publik Deutschland gehabt. Das ist schon ein beachtlicher
Unterschied. Aber ich gestehe solche unterschiedlichen
Entwicklungswege zu.
Ich bin besorgt, dass der Geist dieses Antrags einer
wirklichen Versöhnung und Zusammenarbeit mit Polen
schadet. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass das
deutsch-polnische Verhältnis aus meiner Sicht derzeit
neuen Belastungen ausgesetzt ist. Ich bedaure sehr, dass
sich in Polen der Eindruck breit machen muss und breit
macht, dass sich die Bedingungen für den polnischen Bei-
tritt zur Europäischen Union in Richtung auf einen Bei-
tritt zweiter Klasse zu verschlechtern beginnen. Dafür al-
lerdings trägt nicht die CDU/CSU-Fraktion, sondern in
weiten Teilen die Bundesregierung mit unüberlegten Re-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Helmut Lippelt
16474
den und Forderungen und nach meiner Auffassung auch
mit dem Eindruck eines gewissen Schacherns die Verant-
wortung.
Dazu müsste der Herr Staatsminister hier Stellung neh-
men.
Was die inhaltliche Kritik angeht, beschränke ich mich
wegen der kurzen Redezeiten auf die Bemerkung, dass ich
ausnahmsweise mit dem Kollegen Helmut Lippelt von
den Grünen übereinstimme. Halte dies fest, Helmut; es
ist das erste Mal in diesem Jahr, dass wir wirklich überein-
stimmen.
Das ist ja schon ein Fortschritt.
Er muss auch einmal gelobt werden, wenn er etwas Ver-
nünftiges sagt.
Ich muss zum Schluss kommen, da mich der Herr Prä-
sident schon mahnt.
Der Bundestag sollte deutlich machen, dass für ihn das
deutsch-polnische Verhältnis ähnlich wie das deutsch-
französische Verhältnis nicht taktischer, sondern strategi-
scher Natur ist, dass wir eine Neubegründung dieses Ver-
hältnisses wollen und dass wir in der Praxis der
Zusammenarbeit wirklich das einlösen wollen, was der
Antrag vorgibt, nämlich Versöhnung und Kooperation.
Herzlichen Dank.
Das Wort
hat nun der Staatsminister im Auswärtigen Amt
Dr. Christoph Zöpel.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Das heutige deutsch-polnische Verhältnis
ist eine historische Leistung, die glücklich machen kann,
die stolz machen kann auf die Fähigkeiten demokratischer
Politik. Dazu haben viele beigetragen, Regierungen, ge-
sellschaftliche Institutionen wie Kirchen und Gewerk-
schaften und die Menschen, indem sie zustimmen, denn
dadurch haben sie ihre Regierungen in diesem Punkt le-
gitimiert.
Ich kann das deshalb auch mit so viel persönlicher
Überzeugung sagen, weil ich von meinem frühesten Erin-
nerungsvermögen her das häusliche Gespräch über das
Schicksal von deutschen Minderheiten in Polen kenne, als
Alltagserfahrung der ersten Worte, die ich überhaupt von
meiner Mutter und meiner Großmutter gehört habe. Ich
bin mit den Menschen, über die wir hier sprechen, mit den
Vertriebenen, insoweit verbunden, als ich einer bin. Ich
muss nicht zu ihnen sprechen. Das wollte ich auch sehr
deutlich sagen.
Herr Kollege Merz, es gibt keinen Zweifel: Ihre Rede
hat zu der Leistung, zu dem guten deutsch-polnischen Ver-
hältnis beigetragen. Das sage ich ausdrücklich. Ich muss
eine einzige Anmerkung machen, damit wir nicht an fal-
schen Punkten Auseinandersetzungen führen. Im Hinblick
auf die Freizügigkeit geht es darum, dass wir sieben-
jährige Übergangsfristen mit vielen Möglichkeiten der
Ausnahme und der Flexibilität in nationaler Verantwor-
tung bekommen. Wir sind für höchste Flexibilisierung!
Wir sind gegen die Einschränkung der Freizügigkeit für alle
Dienstleistungen. Ich will das deutlich sagen. Mit Dienst-
leistungen meinen wir nur das Baugewerbe und einige Bau-
nebengewerbe. Etwas anderes wird nie gefordert. Das
möchte ich hier klarstellen. Anderenfalls würden Sie wie ich
bei Gesprächen mit Wirtschaftsverbänden in den Grenzge-
bieten auf unserer Seite Schwierigkeiten bekommen.
Wenn man über die Übergangsfrist von sieben Jahren
anderer Meinung ist, dann kann man darüber streiten. Wir
sollten nur nicht über Dinge streiten, die nicht strittig sind.
Zu dem Antrag: Ich will es vorsichtig formulieren. Ich
halte ihn nicht für weise und nicht für auf der Höhe der
Zeit. Darin ist ein Punkt enthalten, bei dem ich glaube,
dass wir keinen Erfolg haben werden.
Es ist unstreitig so habe ich Ihnen auch geantwortet ,
dass die Bundesregierung alles tut, um Rentenansprüche
auch von Menschen, die auf deutscher Seite am Krieg teil-
genommen haben, zu erfüllen. Für 90 bis 95 Prozent der
Betroffenen gilt dies. Es sind polnische Rentenzahlungen.
Im Hinblick auf die Anrechnung von Kriegsgefangen-
schaft gibt es ein Problem. Einen solchen Tatbestand gibt
es im polnischen Recht nicht. Ich glaube, wir würden
nicht anders reagieren. Es ist schwierig, von einem ande-
ren Land etwas zugunsten von mit deutschem Schicksal
Behafteten zu fordern, was in diesem Fall Polen den ei-
genen Landsleuten, die ein rein polnisches Schicksal ha-
ben, nicht gewährt. Das ist schwierig durchzusetzen. Ich
rate dazu, das sehr zurückhaltend zu behandeln und auf
keinen Fall in den Vordergrund zu stellen.
Nun zum Kern des Problems. Wenn wir irgendwie über
das, was an Handlungen und an politischer Aufarbeitung
der Betroffenheit deutscher Menschen Ihr dahinter ste-
hendes Anliegen kenne ich ja noch erfolgen kann, spre-
chen, dann sollten wir dies aus den Erkenntnissen des Jah-
res 2001 heraus ableiten, und die sind anders als viele
Debatten früher.
Ein Punkt ist weiter zu konzedieren. Polen hatte etwa
40 Jahre weniger Zeit als Deutschland, sich demokratisch
damit auseinander zu setzen. 40 Jahre aufzuholen ist eine
große Leistung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Wolfgang Gehrcke
16475
Wenn Sie bei der deutsch-polnischen Buchmesse wir
werden alle nicht alle Bücher gelesen, sondern nur in die
Besprechungen geguckt haben sehen, wie sehr eine
junge polnische Generation sich damit beschäftigt, dass
viele Städte Gdansk und Breslau oder Wroclaw und
Warschau; auch diese Stadt gehörte einmal zu Preußen
in unterschiedlichen Epochen deutsche Geschichte hat-
ten, dann ist das bemerkenswert und zeigt, dass das läuft.
Bei allem, was wir aufschreiben, sollten wir immer
gleichzeitig sagen: Die Polen hatten 40 Jahre weniger de-
mokratische Zeit. Das ist der erste und wichtigste Punkt.
Der zweite wichtige Punkt gilt für das Verhältnis zu Po-
len wie für das zu Tschechien. Mit Tschechien beschäfti-
gen wir uns genauso intensiv. Wir brauchen eine gemein-
same Position, aus der heraus wir überhaupt mit dem
Unrecht der Vergangenheit umgehen können. Diese Po-
sition lautet: Es gab rechte und linke totalitäre Systeme,
die die Ursache dafür waren, dass Deutsche Polen und Po-
len Deutschen mindestens individuell Unrecht, auch
schreckliches Unrecht, angetan haben. Die Voraussetzung
für alles Weitere ist die Distanzierung von den totalitären
Regimen, die dafür verantwortlich waren. Das ist eine Ge-
meinsamkeit, die wir brauchen. Dann geht es.
Sicherlich gehört auch heute dazu, zu sehen, dass die
Abgrenzung, die mit dem Begriff der Nation verbunden
ist, ins Unglück geführt hat. Diesen Begriff zu gebrauchen
macht durchaus Sinn. Für einen Franzosen ist dies etwas
einfacher, weil der Sprachgebrauch in Frankreich anders
ist als bei uns. Die Verwendung des Begriffes Nation
sollte aber als Bereicherung für den anderen und nicht als
Abgrenzung gemeint sein. Dann funktioniert es. Das ist
der Weg nach Europa.
Damit komme ich zur Sprache. Im Einzelnen ist dem
nicht zu widersprechen, jedes Ortsschild mit den unter-
schiedlichen Namen, also mit dem deutschen Namen in
polnischen Städten und dem sorbischen Namen in deut-
schen Städten, zu versehen. Es ist doch etwas Wunder-
schönes, zum Beispiel auf dem Ortsschild von Cottbus
den sorbischen Namen lesen zu können. Für Westdeut-
sche wäre das eine Sensation; das füge ich einmal hinzu.
Aber ich glaube, einen Appell an Polen zu richten, et-
was für die deutsche Sprache zu tun, das kann nicht erfol-
gen, auch nicht in einem Antrag. Das halte ich nicht für
weise und ich möchte in diesem Zusammenhang nicht
darüber sprechen, was wir tun, um den Unterricht in Pol-
nisch aus welchen Gründen auch immer zu fördern. Im
Jahre 2001, so meine ich, sollte man den Anspruch auf
deutschen Unterricht in Polen für wen auch immer nicht
mehr mit der Vergangenheit und mit Minderheitenrechten
begründen, sondern mit der Notwendigkeit und der
Chance, innerhalb der Europäischen Union multisprach-
lich miteinander zu verkehren. Das halte ich für die rich-
tige Botschaft.
Ich glaube, die Polen sind in dieser Hinsicht toleranter.
Es gibt ja oft schöne Zufälle: Antenne Brandenburg
meldete heute Morgen, es beginne heute eine Radrund-
fahrt von Lodz nach Potsdam, wobei das Wort Lodz auf
Polnisch ausgesprochen wurde.
Sie haben Recht; ich erinnere mich. Ich war gerade da-
rauf konzentriert, den Namen Lodz polnisch auszuspre-
chen. Wer in Deutschland weiß, welche Stadt gemeint
ist, wenn man Lodz so ausspricht, wie man das in Polen
tut? Polen, die Deutschen begegnen, sind meist so höflich,
Lodz zu sagen. Wenn man sie dann verbessert, dann
freuen sie sich. Es gab ja von Vicky Leandros einen Schla-
ger, in dem auch sie den Namen Lodz auf deutsche Weise
verwendete. Es ist bemerkenswert, dass Antenne Bran-
denburg heute die polnische Aussprache verwendete. Ich
fand das gut. Das passte zur heutigen Debatte.
Jede Aufforderung, dass Polen Deutsch für wen auch
immer unterrichten sollten, sollten wir immer mit der Re-
flexion verbinden, dass wir beim Umgang mit anderen
Sprachen tolerant sein sollten. Man muss entweder Gli-
wice oder Gleiwitz sagen können; man muss diese Namen
austauschen können. Es muss egal sein, welchen man ver-
wendet. Vielleicht macht es überhaupt Sinn, überall dort,
wo es eine längere Geschichte gibt, das Ortsschild mit drei
oder vier Namen zu versehen. Es gibt viele in Deutsch-
land, die geradezu allergisch reagieren, wenn man
Wroclaw sagt. Diesen Namen muss man aber genauso wie
das Wort Breslau verwenden können.
Dies alles fehlt in Ihrem Antrag. Meine Bitte ist: Las-
sen Sie uns da, wo es unstreitige und berechtigte Positio-
nen von Deutschen gibt, die unter totalitärem Unrecht ge-
litten haben, gemeinsam in die Zukunft blicken und die
Ursachen herausarbeiten. Dies war der Totalitarismus und
eine fehlgeleitete Weiterentwicklung von Nationalismus,
wobei auf beiden Seiten Unrecht geschehen ist! Lassen
Sie uns immer wieder darüber sprechen, dass wir uns auf-
grund der europäischen Perspektive in Zukunft gegensei-
tig bereichern können, auch dadurch, dass wir uns gegen-
seitig unsere Sprachen vermitteln.
Herzlichen Dank.
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel Chancen des deutsch-polni-
schen Nachbarschaftsvertrages für Versöhnung stärker
nutzen, Drucksache 14/5814. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/5138 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe!
Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
16476
zur Neuregelung von Beschränkungen des
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
Drucksache 14/5655
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 14/5981
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Wolfgang Zeitlmann
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Es liegen 13 Änderungsanträge der Fraktion der PDS
sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P.
und der Fraktion der PDS vor.
Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen.
Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Par-
lamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, dem
Kollegen Fritz Rudolf Körper, das Wort.
F
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wurde not-
wendig, weil es eine entsprechende Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juli 1999 gegeben
hat. Das Gericht hat einige Bestimmungen des so ge-
nannten G 10 im Bereich der vom Bundesnachrich-
tendienst durchgeführten strategischen Fernmeldekon-
trolle beanstandet und dem Gesetzgeber zur Herstellung
eines verfassungsmäßigen Zustandes eine Frist bis zum
30. Juni 2001 gesetzt. Es ist wichtig, diese Frist zu er-
wähnen.
Die Bundesregierung hat die seither vorhandene Zeit
intensiv genutzt, um den vorliegenden Gesetzentwurf mit
den Beteiligten zu besprechen und mit den Bundesressorts,
den nachgeordneten Dienststellen, dem Bundesbeauf-
tragten für den Datenschutz, der von Anfang an beteiligt
gewesen ist, aber auch den Mitgliedern der G-10-Kom-
mission zu entscheiden. Der parlamentarische Bereich ist
in die Beratungen fortwährend einbezogen worden. Die
daraus entstammenden Überlegungen sind, soweit wie
möglich, in diesen Entwurf übernommen worden.
Ich will hinzufügen, dass es durch die Mitwirkung der
Länder weitere Verbesserungen gegeben hat. So konnten
Anregungen des Bundesrates in die Schlussfassung des
Entwurfes übernommen werden. Ich bin der Auffassung,
dass sich das Ergebnis all dieser Bemühungen sehr gut se-
hen lassen kann.
Es ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen,
die Möglichkeiten zur Abwehr von drohenden Gefah-
ren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung
und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu stär-
ken. Das Instrumentarium der zuständigen Behörden ist
wesentlich verbessert worden. Dabei ist es möglich ge-
worden, die fortschreitende technologische Entwicklung
im Bereich der internationalen Telekommunikation durch
eine Änderung des Verfahrens bei der strategischen Fern-
meldekontrolle zu berücksichtigen. Nicht unerheblich ist
auch, dass künftig die Zusammenarbeit des Bundesnach-
richtendienstes mit dem Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle im Bereich der Proliferation entschei-
dend verbessert wird.
Ebenso wird das Bundesamt für Verfassungsschutz
weitere Abwehrmöglichkeiten im Kampf gegen extre-
mistische Bestrebungen erhalten. So wird es zukünftig
möglich sein, bei bestimmten schweren Straftaten der ge-
waltbereiten links- und rechtsextremistischen Szene auf
die Voraussetzung des Vorliegens einer festgefügten Tä-
tergruppe zu verzichten.
Zugleich ist es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
gelungen, auch die Rechte der Betroffenen zu stärken.
Der Umgang der Behörden mit personenbezogenen
Daten wird entscheidend verändert. Dies hatte das Bun-
desverfassungsgericht im Bereich der strategischen
Fernmeldekontrolle gefordert. Die Bundesregierung hat
darüber hinaus auch für den Bereich der Individualkon-
trolle die gleichen Anforderungen normiert. Dies ist eine
richtungsweisende und datenschutzfreundliche Entschei-
dung.
Durch den vorliegenden Entwurf ist die Funktion der
G-10-Kommission erheblich gestärkt und verbessert wor-
den. Dies gilt nicht nur für die neuen Aufgaben der Kom-
mission. Es wird nunmehr gesetzlich normiert, dass ihr
für die Erfüllung ihrer Aufgaben die notwendige Perso-
nal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen ist. Ich
denke, auch das ist ein gutes Ergebnis.
Herr Staats-
sekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ulla Jelpke?
F
Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben
eben davon gesprochen, dass die Rechte der Betroffenen
gestärkt werden. Ist Ihnen bekannt, dass die Betroffenen
erst dann gegen eine Abhörmaßnahme klagen können,
wenn der amtliche Beschluss vom Gericht vorliegt, dass
sie abgehört werden? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass
die Betroffenen bis zu einem halben Jahr abwarten müs-
sen, bis sie überhaupt Bescheid bekommen?
F
Liebe Frau Kollegin Jelpke, wenn
Sie sich den Gesetzentwurf anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass wir bei dem Thema von Fristen und
Verfahren ebenso wie mit dem der Benachrichtigung der
Betroffenen gegenüber der bisherigen Situation wesentli-
che Verbesserungen erreicht haben. Deswegen komme
ich zu dem klaren und deutlichen Ergebnis, dass auch aus
datenschutzrechtlichen Gründen unser Gesetzentwurf für
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
16477
die Betroffenen richtungsweisend ist. Daran ändert auch
Ihre Zwischenfrage nichts.
Schließlich sollten durch die Beschlussempfehlung, die
die Koalition heute vorlegt, eventuell noch bestehende da-
tenschutzrechtliche und politische Bedenken gegen den
vorliegenden Entwurf zerstreut werden.
Die Bundesregierung ist das sage ich im Hinblick auf
die Diskussion im Innenausschuss bereit, nach Ablauf
von zwei Jahren über die mit der Novellierung gemachten
Erfahrungen im Deutschen Bundestag Bericht zu erstat-
ten. Ich denke, das ist eine gute Maßnahme, denn es ist
sinnvoll zu hinterfragen, ob das, was man vor zwei Jahren
beschlossen hat, auch die Erfolge gezeitigt hat, die man
sich vorgestellt hat. Darüber hinaus wird die Bundesre-
gierung im laufenden Verbotsverfahren gegen die NPD
keinen Gebrauch von der im Entwurf geregelten Daten-
übermittlung zur Vorbereitung und Durchführung von
Parteiverbotsverfahren machen. Auch dieser Hinweis ist
mir wichtig und ich unterstreiche ihn, denn dieser Punkt
hat während des gesamten Verfahrens im Innenausschuss
eine Rolle gespielt.
Ich hoffe, dass dieser sehr ausgewogene Entwurf in der
nunmehr vorliegenden Fassung vom Deutschen Bundes-
tag beschlossen und auch vom Bundesrat akzeptiert wer-
den kann. Damit kann das Gesetz rechtzeitig zu dem vom
Bundesverfassungsgericht gesetzten Termin in Kraft tre-
ten. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich
bei all denjenigen Abgeordneten ganz herzlich bedanken,
die mit einem sehr konstruktiven Verhalten und mit sehr
konstruktiven Beiträgen zu diesem Gesetzentwurf beige-
tragen haben.
Schönen Dank.
Für die
Fraktion von CDU und CSU gebe ich nun dem Kollegen
Erwin Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Lieber Fritz Rudolf Körper, ich finde es gut, dass Sie den
Datenschutzbeauftragten in die Beratungen des Gesetzes
einbezogen haben. Es wäre aber noch besser gewesen, Sie
hätten auch mit der Union gesprochen, die damals zu-
sammen mit der F.D.P. für das Gesetz Verantwortung ge-
tragen hat. Wir haben dieses wichtige Gesetz zur Verbre-
chensbekämpfung eingeführt! Sie kennen doch, was wir
immer sagen: Datenschutz darf nicht zum Täterschutz
werden. Dafür sind wir als Union ein Garant.
Das Bundesverfassungsgericht hat das G-10-Gesetz
bestätigt.
Es hat kleine Änderungen vorgenommen, es aber insge-
samt bestätigt; und das ist gut so.
Mit dem G-10-Gesetz haben wir unter anderem die
Möglichkeit, gegen organisierten Drogenhandel, gegen
Terrorismus und gegen die Weiterverbreitung von
Kriegswaffen vorzugehen. Das alles sind elementare Be-
drohungen der inneren Sicherheit und der Menschen in
unserem Lande.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Bundes-
nachrichtendienst und dieses Land insgesamt brauchten
die strategische Fernmeldekontrolle, um gegen diese
elementare Bedrohung vorgehen zu können. Ich meine,
dieses Instrument hat sich in der Praxis bewährt: Wir ha-
ben den Drogendealern und Menschenhändlern den
Kampf ansagen können, die von Moskau oder Minsk nach
Kolumbien telefonieren, um Frauen gegen Drogen auszu-
tauschen.
Das ist doch, meine ich, ein Erfolg.
Wir sprechen über das erste Gesetz, das diese Regie-
rung in dieser Legislaturperiode zur Bekämpfung der or-
ganisierten Kriminalität vorlegt. Und: Sie tun das nur des-
wegen, weil Sie durch ein Gericht dazu gezwungen
worden sind. Sie haben im Bereich der inneren Sicherheit
Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wohl aber haben Sie,
Herr Staatssekretär, aber insbesondere der Innenminister,
viele Worte gemacht. So gab es vor 14 Tagen eine Konfe-
renz im schönen Rom, bei der sich Innenminister getrof-
fen haben und Eckpunkte sozialdemokratisch geprägter
Innenpolitik beschlossen haben. Ich weiß gar nicht, was
eine sozialdemokratische Innenpolitik überhaupt ist; ich
habe immer gemeint, dass Innenminister, die sich auf
Staatskosten zusammensetzen, deutsche Innenpolitik ma-
chen. Vielleicht können Sie aber einmal erklären, was das
für eine Innenpolitik ist.
Jedenfalls haben Sie unwahrscheinlich interessante
Beschlüsse gefasst. Meine Damen und Herren, hören Sie
genau zu, denn es ist sehr wichtig! So haben Sie den völ-
lig überraschenden Beschluss gefasst, dass jeder Rechts-
bruch unnachsichtig bekämpft werden müsse. Ja, das ist
wirklich eine neue Erkenntnis. Ich würde Ihnen raten:
Machen Sie das und seien Sie bei den Bagatelldelikten ge-
nauso hart, wie Ihre Worte hier klingen, denn oft bilden
Bagatelldelikte den Einstieg zur schwereren Kriminalität.
Wir sagen: Wehret den Anfängen! Sie sollten nicht nur
solche Sprüche machen, sondern den Organen der inneren
Sicherheit Polizei, Gerichten, Staatsanwaltschaften
das entsprechende Werkzeug zur Verfügung stellen.
Herr Kollege, Sie können sich zu einer Replik melden,
Sie können auch Fragen stellen. Wir sind sehr wenige und
ich diskutiere diese Fragen der inneren Sicherheit auch
mit Ihnen sehr gerne.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
16478
Der Gesetzentwurf bringt einige Verbesserungen, das
ist wahr: Wir erweitern den Katalog der Straftaten um
Geiselnahme, Mord und Menschenraub das ist gut so
und vollziehen den technischen Fortschritt in Bezug auf
Lichtwellenleiter. Wir haben nunmehr die Möglichkeit
abzuhören, wenn es darum geht, Verbrechen zu bekämp-
fen, und wir haben die Chance, Geiselnehmer im Ausland
abzuhören. Das schlimme Beispiel Jolo hat uns dazu ge-
bracht, diese Möglichkeit zu schaffen. Was dringend von-
nöten ist und was wir auch in der Vergangenheit schon
hätten machen können: Wir können in Zukunft gesam-
melte Erkenntnisse für Parteiverbotsverfahren verwerten.
Das ist gut so und deswegen ist in diesem Bereich das Ge-
setz sicherlich in Ordnung.
Herr Kol-
lege Marschewski, nachdem Sie zu Zwischenfragen auf-
gefordert haben, hat sich der Kollege Wiefelspütz gemel-
det. Gestatten Sie diese Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Marschewski,
nach langem Zögern habe ich mich jetzt doch entschlossen,
Ihnen eine Frage zu stellen: Können Sie uns erläutern,
warum Sie ein Gesetz, das Sie so verschämt loben, nicht
selbst vor ein paar Jahren zustande gebracht haben? Ich
finde, der Gesetzentwurf, den wir gemacht haben, ist ein
sehr guter. Woran liegt es, dass Sie das nicht zustande ge-
bracht haben?
Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben vor ein paar Jah-
ren zusammen mit der F.D.P. das Verbrechensbekämp-
fungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Wir wollten damit die Hilfsmittel des Bundesnachrich-
tendienstes nutzen, um das organisierte Verbrechen zu
bekämpfen. Im Deutschen Bundestag hat Ihre Fraktion zu
diesem Entwurf Nein gesagt. Erst im Vermittlungsaus-
schuss haben Sie sich nach hartem Ringen ich selbst
habe die Verhandlungen mit Frau Däubler-Gmelin ge-
führt zu einem Minimalkonsens bereit erklärt. Sie tra-
gen die Schuld daran, dass damals die Vorschläge, die ich
gemacht habe, die Burkhard Hirsch und Max Stadler ge-
macht haben, nicht schon ins Gesetz geschrieben werden
konnten, weil Sie im Deutschen Bundestag und im Ver-
mittlungsausschuss dem nicht zugestimmt haben.
Bei dieser
Diskussion möchte die F.D.P. nicht fehlen. Gestatten Sie
auch eine Zwischenfrage des Kollegen Max Stadler?
Ja.
Herr Kollege Marschewski,
sind Sie bereit, Herrn Wiefelspütz darüber aufzuklären,
dass der Inhalt eines Gesetzes, für das man eine Mehrheit
im Parlament bekommt, auch von der Art und Qualität des
jeweiligen Koalitionspartners abhängt und dass es der
CDU/CSU mit dem Koalitionspartner F.D.P. nicht mög-
lich gewesen ist, im Bundestag ein Gesetz zu verabschie-
den, in dem der Rechtsweg ausgeschlossen ist, wie dies
nun in Art. 1 § 13 des Entwurfs der Fall ist, was dem klei-
nen Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen offenbar
durchaus zustimmungsfähig erschienen ist?
Herr Kollege Dr. Stadler, Sie haben Recht: In diesem
Punkt haben Sie uns davon abgehalten, das eine oder an-
dere zu machen. Aber eines ist auch klar: Kollege
Dr. Hirsch, der damals mit mir zusammen die Verantwor-
tung getragen hat, war nicht immer ein Vorreiter bei der
Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die Arbeit
dazu ist von uns geleistet worden, Herr Kollege
Dr. Stadler.
Ich will jetzt fortfahren und meine Rede zu Ende
führen, obwohl es schön ist, universitätsmäßige Diskus-
sionen abzuhalten.
Sie wissen, dass wir im Innenausschuss Anträge ge-
stellt haben. Ich habe nicht verstanden, warum Sie diesen
Anträgen nicht entsprochen haben. Wir hätten durch den
Innenminister oder den zuständigen Staatssekretär in die
Verhandlungen mit einbezogen werden müssen. Wenn wir
Mord und Totschlag in den Katalog einbeziehen, warum
dann nicht auch Völkermord? Wichtig wäre auch gewe-
sen, die Planung für andere Straftaten, etwa gemeinge-
fährliche Vergiftungen oder für Menschenhandel sowie
für das erwerbs- und bandenmäßige Einschleusen von
Ausländern, zu berücksichtigen. Hier werden schlimme
Dinge gemacht; es werden Menschen im Ausland ausge-
beutet, die ihr Hab und Gut verkaufen und hoffnungsvoll
nach Deutschland kommen. Die Schleuser verdienen da-
ran. Ich meine jeder, der Mitglied im PKG ist, wird das
sicherlich bestätigen , dass wir dies hätten mit einbezie-
hen müssen, um die Verbrechensbekämpfung zu intensi-
vieren. Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Wir
sind, wie gesagt, Urheber des Gesetzes. Wir finden die Er-
gänzungen in Ordnung. Es wäre besser gewesen, wenn
Sie noch ein wenig weitergegangen wären.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung,
der heute verabschiedet werden soll, ist der erste Entwurf
eines Gesetzes zur inneren Sicherheit. Wir stimmen ihm
zu, weil wir zu jedem Gesetz Ja sagen, mit dem sich die
innere Sicherheit verbessern lässt. Aber es gibt noch vie-
les zu tun. Ich möchte nur an die vor kurzem stattgefun-
dene Diskussion über unseren Vorschlag erinnern, zur
Bekämpfung des Schlepperunwesens eine Warndatei
einzurichten. Herr Wiefelspütz Sie reden wohl nach
mir , Sie haben damals gesagt, es seien Maßnahmen ge-
plant. Wann werden diese auf den Weg gebracht? Es wäre
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Erwin Marschewski
16479
wichtig, dass bald etwas gegen das schlimme Schlepper-
unwesen getan wird. Leider haben Sie bis heute keine ent-
sprechenden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Fehlan-
zeige! Ich bin gespannt, wie Sie fortfahren werden. Wir
werden in ein paar Wochen einen Entwurf eines neuen
Verbrechensbekämpfungsgesetzes vorlegen. Ich hoffe,
dass wir auch darüber ganz offen diskutieren werden kön-
nen.
Zum Schluss: Trotz seiner Verbesserungsbedürftigkeit
sagen wir Ja zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Ich be-
danke mich an dieser Stelle auch als Mitglied des Parla-
mentarischen Kontrollgremiums ganz besonders bei
unseren Diensten. Ich fordere die Bundesregierung auf,
dafür Sorge zu tragen, dass neben dem gesetzlichen Rah-
men auch die personelle und materielle Ausstattung der
Dienste verbessert wird, damit diese künftig die gesetz-
lich festgelegten Aufgaben besser erfüllen können.
Herr Kollege Ströbele ich sage das, damit Sie gleich
vernünftig beginnen können , ich hoffe, dass die von Ih-
nen und Ihrer Fraktion erhobene Forderung nach Ab-
schaffung der Dienste nunmehr endgültig vom Tisch ist.
Herzlichen Dank.
Es spricht
nun der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das G-10-Gesetz
zur Fernmeldeüberwachung ist kein grünes Gesetz. Es ist
wahrlich ungrün, ein Gesetz über Abhörmaßnahmen zu
beschließen. Mit den demokratischen und bürgerrechtli-
chen Vorstellungen der Grünen ist es schlechterdings
nicht zu vereinbaren, wenn Geheimdienste Bürgerinnen
und Bürger abhören.
Aber ich nehme zur Kenntnis, dass eine Mehrheit im
Bundestag für die Abschaffung der Fernmeldeüberwa-
chung nicht in Sicht ist und war.
Die Kritik der Bürgerrechtsorganisationen an Einzel-
bestimmungen des Gesetzes ist richtig. Auch das Verlan-
gen nach einer öffentlichen Anhörung hat unsere Unter-
stützung gefunden. Eine solche Anhörung wäre im Sinne
der Opposition richtig gewesen, nicht in unserem, weil
wir uns lange genug mit dem Gesetzentwurf auseinander
gesetzt haben.
Ich habe bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs nur
mitgemacht, um einen verfassungswidrigen Zustand in
der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Ein ande-
res Gesetz war nicht zu haben.
Ich habe überhaupt kein Verständnis, wenn nun aus
Kreisen der F.D.P. Kritik an dem vorliegenden Gesetzent-
wurf geäußert wird; denn gerade Sie haben es nötig. Sie
waren es doch der Kollege Marschewski hat ja eben da-
rauf hingewiesen , die gemeinsam mit der CDU/CSU
uns ein Gesetz eingebrockt und hinterlassen haben, das
den Geheimdiensten das Abhören erlaubt, das aber in we-
sentlichen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für ver-
fassungswidrig erklärt worden ist. Und nun wollen aus-
gerechnet Sie von der F.D.P. uns erzählen, wie man die
Bürger vor illegaler Überwachung durch Geheimdiens-
te schützt!
Wir müssen jetzt ein neues Gesetz machen, weil das
Bundesverfassungsgericht uns aufgefordert hat, bis zum
30. Juni 2001 Ihre Fehler zu korrigieren.
Nun komme ich zu sechs Punkten, auf die sich die öf-
fentliche Kritik bezieht.
Erstens. Durch dieses Gesetz wird die Überwachung
von Telefon und Internet nicht erheblich ausgedehnt.
Die gleichen Gespräche und die gleichen Sendungen wie
bisher können überwacht werden. Der Unterschied be-
steht allein darin, dass sie jetzt auf einem anderen techni-
schen Weg übertragen werden, nämlich über Lichtleitun-
gen in Zukunft wird das fast ausschließlich so sein und
nicht mehr über Satellit. Um einen Vergleich zu ziehen:
Man kontrolliert dieselben Briefe, die allerdings statt mit
der Postkutsche mit dem ICE oder mit dem Flugzeug
transportiert worden sind.
Zweitens. Das Gesetz schafft mit Ausnahme der
Volksverhetzung keine grundsätzlich neuen Überwa-
chungsanlässe. Es enthält zwar einige neue Strafvor-
schriften, deren Anwendung aber das ist ganz wichtig
auf den Fall beschränkt wird, dass sich die Taten gegen
den Bestand des Bundes oder eines Landes richten müs-
sen. Das ist eine wesentliche Einschränkung.
Drittens. Das Gesetz verbessert die Benachrichtigung
der Abgehörten. Es gibt nur eine einzige Ausnahme; Sie
haben einfach Unrecht, Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie
behaupten, ein Gericht müsse entscheiden. Da muss kein
Gericht entscheiden; natürlich ist die Benachrichtigung
obligatorisch. Die Ausnahme gilt dann, wenn die unab-
hängige, vom Parlament eingesetzte G-10-Kommission
kein Gericht und auch nicht die Geheimdienste selbst,
wie man in der Zeitung lesen konnte feststellt, dass die
Quelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
für alle Zukunft gefährdet und dass der Zweck nicht er-
füllt wird.
Viertens. Das Gesetz wird voraussichtlich keine nen-
nenswerte Nutzung von Geheimdienstinformationen
durch die Strafverfolgungsbehörden ermöglichen. In den
letzten fünf Jahren sind den Strafverfolgungsbehörden
drei Dutzend Fälle von der strategischen Fernmeldeüber-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Erwin Marschewski
16480
wachung mitgeteilt worden. Kein einziger dieser Fälle hat
zu einer Anklage oder zu einem Strafverfahren geführt.
Das wird sich auch nicht ändern.
Fünftens. Das Gesetz setzt die vom Bundesverfas-
sungsgericht geforderte Begrenzung um, dass nur ein be-
stimmter Teil des Fernmeldeverkehrs überwacht wird.
Letztlich war für uns wichtig, dass es sich dabei nicht um
eine Lex NPD handelt. Denn dieses Gesetz das hat die
Bundesregierung zugesichert und das Parlament hat es
bestätigt findet auf das laufende NPD-Verbotsverfahren
keine Anwendung.
Sechstens. Das Gesetz schafft deutliche Verbesserun-
gen. Es setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
um und es sichert die Zweckbindung für die Zukunft. Die
Rechte der Kontrollgremien werden gestärkt. So muss die
G-10-Kommission allen Überwachungen zustimmen und
sie muss die notwendige Sach- und Personalausstattung
erhalten. Die Mitglieder der Kommission haben Einsicht
in alle Vorgänge und Zutritt zu allen Diensträumen.
Nach zwei Jahren darauf ist schon hingewiesen wor-
den muss die Bundesregierung einen Bericht vorlegen.
Wenn das geschehen ist, werden wir überprüfen, ob sich
das Gesetz bewährt hat oder nicht. Wenn es erforderlich
ist, müssen Korrekturen angebracht werden.
Aus all diesen Gründen, vor allem weil wir den gesetz-
und verfassungswidrigen Zustand beenden und die Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen müssen,
stimmen wir dem Gesetz zu wenn auch mit erheblichen
Bauchschmerzen.
Nun spricht
der Kollege Dr. Max Stadler für die F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz ist zwar not-
wendig, aber nicht mit diesem Inhalt. Herr Ströbele, die
Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder ha-
ben Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben: Sie gehen
über eine Korrektur, die das Bundesverfassungsgericht
verlangt hat, deutlich hinaus; Sie treffen Neuregelungen,
die kritikwürdig sind und die zur Ablehnung durch die
F.D.P. führen.
Herr Kol-
lege Stadler, gestatten Sie Herrn Ströbele eine Zwi-
schenfrage?
Ja.
nur Sie selbst und der Kollege Hirsch zu den Beratungen
über dieses Gesetz hinzugezogen worden sind, sondern
dass auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz an
sämtlichen Beratungen dieses Gesetzes in der Koalition,
mit den Ministerien beteiligt gewesen ist? Ist Ihnen be-
kannt, dass er dieses Gesetz als im Grunde ausreichend
datensicher bezeichnet hat? Er hat lediglich die kleine An-
regung hinzugefügt sie wird jetzt aufgegriffen , dass
eine Befristung angemessen ist. Daher soll nach zwei Jah-
ren überprüft werden, ob sich dieses Gesetz bewährt hat.
Hat Ihnen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz
mitgeteilt, dass er an sämtlichen Beratungen im Vorfeld
beteiligt und in die Diskussion eingebunden war?
Lieber Herr Kollege
Ströbele, ich habe diesen unvergleichlichen Moment
natürlich nicht vergessen. Sie haben unseren früheren
Kollegen Hirsch und mich eingeladen, damit wir Kri-
tikpunkte, die Sie selber gegenüber Ihrem Koalitionspart-
ner nicht durchsetzen konnten, noch einmal erörtern und
Ihnen behilflich sind, das Gesetz zustimmungsfähig zu
machen.
Leider ist dies nicht geglückt, weil Sie unsere Anregungen
zwar aufgenommen, aber nicht verwirklicht haben.
Zum Verfahren darf ich Ihnen noch sagen: Ich bin
Herrn Wiefelspütz dankbar, dass wir als Opposition die
Möglichkeit haben, unsere Bedenken einzubringen. Ich
bestätige Ihnen auch, dass innerhalb der G-10-Kommis-
sion von Anfang an umfassend informiert worden ist.
Aber Ihre Folgerung, Sie hätten damit die Anregung des
Datenschutzbeauftragten Jacob aufgegriffen, das Gesetz
zeitlich zu befristen, trifft leider gerade nicht zu. Was Sie
machen, ist etwas ganz anderes: Sie verlangen, dass nach
zwei Jahren ein Erfahrungsbericht gegeben wird. Der Da-
tenschutzbeauftragte aber hat eine Befristung strittiger
Neuregelungen vorgeschlagen, damit das Parlament in
zwei Jahren Farbe bekennen und darüber entscheiden
muss, ob die Neuregelungen, die jetzt heftig kritisiert wer-
den, gültig bleiben oder nicht. Dies wäre eine viel schär-
fere Kontrolle durch das Parlament.
Ich finde es besonders schlimm, dass es Ihnen nicht ein-
mal gelungen ist, diese Befristung durchzusetzen. Daher
sollten Sie jetzt auch nicht in einer Zwischenfrage so tun,
als hätten Sie die Bedenken des Datenschutzbeauftragten
wirklich aufgegriffen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
noch einmal auf das Verfahren zu sprechen und möchte
auf Folgendes hinweisen: Es ist richtig das haben wir ja
jetzt gerade schon im Zwiegespräch erörtert , dass es
über die Monate hinweg umfassende Diskussionen gege-
ben hat. Aber die endgültige Fassung dieses Gesetzes hat
uns weil die Koalitionsfraktionen noch bis zuletzt Än-
derungsanträge eingebracht haben erst am 4. Mai vor-
gelegen. Das bedeutet, dass Sie ein derartiges Gesetz, das
so massiv in Grundrechte eingreift, innerhalb einer Woche
durch das Parlament bringen, ohne dass Gelegenheit
bestände, die von F.D.P. und PDS beantragte Sachver-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Hans-Christian Ströbele
16481
ständigenanhörung durchzuführen. Ich finde das nicht
angemessen.
Für mich ist das nur aus einem einzigen Grund erklär-
bar: Sie haben in der Koalition Schwierigkeiten gehabt,
sich auf dieses Gesetz zu verständigen. Deswegen haben
Sie so lange gebraucht, dass Sie in Zeitnot geraten sind,
die Terminvorgabe des Bundesverfassungsgerichts noch
einhalten zu können. Darunter leiden nun die Rechte des
Parlaments, insbesondere der Opposition. Sie lassen es
nicht einmal zu, dass Sachverständige zu diesem Gesetz
in einer Anhörung Stellung nehmen.
Das können wir nicht billigen. Allein dieses Verfahren ist
für die Ablehnung Grund genug.
Sie haben noch mehr versäumt: Es wäre notwendig,
den gesamten Bereich des Abhörens einmal neu zu durch-
denken. Dazu gehört auch § 100 a StPO. Die nach dieser
Vorschrift durchgeführten Maßnahmen sind von 3 000 bis
4 000 pro Jahr auf 12 000 bis 13 000 gestiegen, was dazu
geführt hat, dass Deutschland mittlerweile als Weltmeis-
ter in der Telefonüberwachung gilt. Das muss doch ein-
mal in ein Gesamtkonzept gebracht werden. Auch diese
Chance haben Sie mit der Vorlage des Gesetzes versäumt.
Ich würdige durchaus positiv, dass mit diesem Gesetz
die Rechte der G-10-Kommission gestärkt werden. Aber
das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiens-
ten verschwimmt weiter. Der Straftatenkatalog, aufgrund
dessen abgehört werden darf, erscheint sehr willkürlich.
Ich komme jetzt zum Hauptpunkt unserer Kritik. § 12
des G-10-Gesetzes soll nach neuer Fassung etwas vorse-
hen, was wir in der Vergangenheit als kleiner Koalitions-
partner niemals zugelassen hätten, was Sie als Grüne jetzt
der SPD aber zugestanden haben: In bestimmten Fällen
muss der Betroffene einer Abhörmaßnahme überhaupt
nicht mehr unterrichtet werden.
Das ist nicht akzeptabel. Aber es geht noch weiter: In § 13
sehen Sie vor, dass der Rechtsweg, um gegen eine Abhör-
maßnahme vorzugehen, erst beschritten werden darf,
wenn man über die Abhörmaßnahme benachrichtigt wor-
den ist. Über die Benachrichtigung entscheidet aber der-
selbe Staat, der den Grundrechtseingriff vornimmt.
Ja, in Gestalt der G-10-Kommission. Es ist nicht akzep-
tabel, dass Sie den Rechtsweg auch denjenigen Personen
abschneiden, die anderweitig von einer Abhörmaßnahme
erfahren haben, aber noch nicht benachrichtigt worden
sind. Das ist mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht
vereinbar. Das ist der Grund dafür, warum wir diesen Ge-
setzentwurf ablehnen.
Wir teilen die Kritik der Datenschutzbeauftragten und
zum Beispiel des Anwaltvereins. Nur in einem Punkt ha-
ben wir wirklich Gnade vor Recht walten lassen und ha-
ben hier für eine Geheimhaltung gestimmt, was vielleicht
ein wenig zu großzügig ist: Wir haben auf namentliche
Abstimmung verzichtet, damit Sie später nicht im Proto-
koll nachlesen müssen, wer alles zugestimmt hat; denn
Einzelne von Ihnen werden sich enthalten.
Aber, Herr Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen insge-
samt trägt als Fraktion die Verantwortung für dieses Ge-
setz, das in dieser Form unsere Zustimmung nicht findet.
Für die
PDS-Fraktion spricht die Kollegin Ulla Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Auch ich bin der Meinung, dass wir, wenn die
vorliegende Novelle heute verabschiedet wird, einen wei-
teren schwarzen Tag für die Bürgerrechte in diesem Land
zu verzeichnen haben werden. Geheimdiensten und Poli-
zei bietet dieses G-10-Gesetz künftig Möglichkeiten zum
Belauschen von Telefongesprächen, zum Lesen von Fa-
xen und E-Mails sowie zum heimlichen Öffnen von Brie-
fen und Paketen. Das ist unserer Meinung nach einmalig
in der Geschichte der Bundesrepublik.
Herr Ströbele, Sie haben zwar heute versucht, den An-
schein aufrechtzuerhalten, als hätten Sie dazu eine kriti-
sche Meinung, aber entscheidend sind immer noch die Ta-
ten. Zum Glück wird Ihnen das auch von der Presse
bescheinigt. Wenn die Grünen heute dieser Novelle zu-
stimmen, werden sie faktisch zur Stärkung der Geheim-
dienste beitragen und am Abbau der Bürgerrechte betei-
ligt sein.
Sie haben nicht einmal mein Kollege Stadler hat das
schon gesagt für eine Anhörung zu den weitreichenden
Maßnahmen nach dem G-10-Gesetz gekämpft. Sie haben
sich im Gegenteil davor gedrückt. Es gab nicht nur die
Stellungnahme der Datenschutzbeauftragen, sondern
auch die des Anwaltvereins und der Humanistischen
Union sowie noch viele weitere, die Sie meiner Meinung
nach hätten ermutigen können, eine Anhörung durchzu-
setzen. Jedoch wurden diese Meinungen nicht einmal
gehört. Im Gegenteil ist dieses Gesetz im wahrsten Sinne
des Wortes durch das Parlament gepeitscht worden, weil
Sie nicht wollen, dass allzu viel über die veränderte Auf-
fassung der Grünen diskutiert wird.
Für mich ist es keine Frage: Indem ihr hier zustimmt,
werdet ihr euch insbesondere die Grünen-Partei end-
gültig als Bürgerrechtspartei verabschieden.
Ich bin froh, dass viele Medien das bereits aufgegriffen
haben und den Grünen dies bescheinigen. Ich hoffe, ihr
bekommt die entsprechende Quittung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dr. Max Stadler
16482
Mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 1999 ist die
Chance eröffnet worden, den von der Kohl-Regierung
vorgenommenen Abbau von Bürgerrechten zu korrigie-
ren. Mit dieser Novelle hätte einer zunehmenden Perfek-
tionierung des Überwachungsstaates entgegengewirkt
werden können.
In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1999 wurde unter anderem gefordert, die Telefonüberwa-
chung wegen Verdachts der Geldwäsche wieder einzu-
stellen, weil diese mit dem bis 1994 allein geltenden
Überwachungsgrund der Vermeidung eines bewaffneten
Angriffs oder ähnlicher Gefahren nicht vergleichbar ist.
Es hatte gefordert, bei der Weitergabe der Ergebnisse der
Telefonüberwachung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
zu beachten. Davon ist in diesem Gesetzentwurf über-
haupt nichts wiederzufinden. Ich teile hier voll die Mei-
nung von Herrn Stadler.
Schon jetzt belauscht der Bundesnachrichtendienst
jährlich 5,5 Millionen Fernmeldegespräche. Die Bundes-
republik ist damit einsame Weltspitze, was das Abhören
angeht. Diese Kapazität des BND sollte abgebaut werden.
Mit dem Gesetz wird hier tatsächlich eine Verdoppelung
stattfinden.
1997 hat der BND 15 000 Gespräche als nachrichten-
dienstlich relevant herausgefiltert. Mit der Novelle soll
die Kapazität des BND auf 100 000 Gespräche, Faxe und
E-Mails im Jahr erhöht werden.
Das ist das Siebenfache. Auch das Gebot der Trennung
von Polizei und Geheimdiensten wird mit diesem Gesetz
keinesfalls erfüllt. Diese strikte Trennung ist eine der Leh-
ren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Es
war einmal Konsens in dieser Republik, dass diese Tren-
nung notwendig ist und mit gesetzlichen Mitteln auch
tatsächlich durchzusetzen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich möchte noch kurz sagen, dass
wir 13 Änderungsanträge eingebracht haben. Sie spiegeln
die Kritik der Bürgerrechtsorganisationen wider. Wir wer-
den einen Entschließungsantrag einbringen und dem
F.D.P.-Entschließungsantrag werden wir zustimmen. Ich
kann nur hoffen, dass diese Diskussion mit dem heutigen
Tag nicht beendet ist, sondern dass es einen Aufschrei der
Bürgerrechtsbewegung in diesem Lande geben wird, vor
allem gegen die grüne Partei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dieter Wiefelspütz für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute eine
notwendige Novelle zum G-10-Gesetz. Ich freue mich,
dass dieses wichtige Gesetz die Mehrheit nicht nur von
Rot-Grün im Parlament hat, sondern auch die Zustim-
mung der CDU/CSU findet. Herr Marschewski, ich will
Ihnen ausdrücklich dafür danken. Es ist gut, dass ein sol-
ches Gesetz, das die äußere und die innere Sicherheit un-
seres Landes in besonderem Maße betrifft, im Deutschen
Bundestag eine ganz breite Mehrheit hat. Das ist etwas,
was ich ausdrücklich anerkenne.
Dieses Gesetz darauf ist mehrfach hingewiesen wor-
den ist durch eine Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts notwendig geworden. Wir haben diese Ent-
scheidung aber nicht nur umgesetzt, sondern wir haben
auch technische Veränderungen im Bereich der interna-
tionalen Kommunikation mit berücksichtigt. Die satelli-
tengestützte Kommunikation wird weniger. Es gibt mehr
Kommunikation im internationalen Bereich über Kabel,
über Lichtwellenleiter. Dem ist Rechnung getragen wor-
den.
Ich will sehr deutlich sagen, lieber Kollege Ströbele,
dass ich anerkenne, dass wir kritische, aber immer gute
Verhandlungen mit Ihnen über mehr als ein halbes Jahr
hatten. Ich glaube, dass sich dieses Gesetz auch sehr kri-
tischen Augen gegenüber sehen lassen kann. Die Bundes-
republik Deutschland benötigt ein solches Gesetz. Es ist
ein Gesetz, das im Kontext von Rechtsstaat und Grund-
rechtssicherung verabschiedet wird. Wir haben sicher das
eine oder andere dazu beigetragen, dass die parlamenta-
rische Kontrolle intensiviert worden ist. Es war ein An-
liegen von Kollegen Ströbele, aber auch ein Anliegen der
SPD-Bundestagsfraktion, diesen Bereich zu verstärken.
Wenn Maßnahmen notwendig sind, die in vitale Bürger-
rechtsinteressen eingreifen, ist das nur vertretbar, wenn
im gleichen Zuge parlamentarische Kontrolle optimiert
wird, damit es nicht zu einer Schieflage kommt. Ich
glaube, dass uns hier einiges gelungen ist und dass eini-
ges erreicht worden ist, was bei früheren Regierungen
nicht möglich war aus den verschiedensten Gründen.
Ich will gar nicht richten oder rechten, was früher gewe-
sen ist.
Wir haben die Gelegenheit genutzt, aus Anlass einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur
ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen, insoweit ein
verfassungswidriges Gesetz zu reparieren, sondern wir
haben es auch angemessen weiterentwickelt. Ich meine,
es ist ein gutes, vernünftiges Gesetz.
Ich bin sehr froh, Herr Ströbele, dass die Bündnisgrü-
nen inzwischen auch ein konstruktives Verhältnis zu un-
seren Nachrichtendiensten haben. Die Nachrichtendiens-
te der Bundesrepublik Deutschland sind in der Welt, so
wie sie ist, notwendig. Die Menschen, die dort arbeiten,
Herr Ströbele, dienen unserem Land genau so wie Sie und
ich das tun. Deswegen sollte man über Nachrichtendiens-
te nicht verschämt reden, sondern sie gehören, soweit das
irgend möglich ist, in das Rampenlicht der Öffentlich-
keit. Über die Belange dieser wichtigen Organisation un-
seres Landes muss geredet werden. Es freut mich, dass
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ulla Jelpke
16483
wir in diesem Punkt ein gutes Stück weitergekommen
sind.
Ich will mich sehr herzlich für die gute Zusammen-
arbeit auf diesem Sektor bedanken. Dieses Gesetz ist ein
gutes, solides und notwendiges Gesetz. Ich freue mich
über die breite Mehrheit, die heute bei der Abstimmung
über dieses Gesetz zustande kommt. Ich freue mich auch
darüber, dass wir nach aller Wahrscheinlichkeit die zeitli-
chen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes einhalten
können und dass dieses Gesetz bis zum 30. Juni in Kraft
getreten ist.
Weil ich sehr lange Oppositionsabgeordneter gewesen
bin, lege ich persönlich großen Wert darauf, dass die Kol-
leginnen und Kollegen anderer Fraktionen nach Möglich-
keit optimale Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Sie ha-
ben Ihren Antrag auf Anhörung gestellt, Herr Stadler. Sie
haben dafür aber nicht die notwendige qualifizierte Min-
derheit zustande gebracht. Das ist aber nicht mein Pro-
blem, sondern Ihr Problem.
Ich muss Ihre Schlussfolgerung zurückweisen, das Ver-
fahren sei nicht ordnungsgemäß gewesen.
Ich räume ein, dass wir zum Schluss unter Zeitdruck
standen, weil wir die zeitlichen Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts natürlich einhalten wollten, und bitte
dafür um Verständnis. Ich denke aber, dass wir ein
geordnetes Verfahren hatten.
Ich bin jederzeit bereit, sehr ungewöhnliche Wege zu
gehen. Deswegen war es für mich überhaupt kein Pro-
blem, dass ausgerechnet die Bündnisgrünen vorgeschla-
gen haben, unseren früheren, geschätzten Kollegen Herrn
Hirsch einzubeziehen.
Wenn es gute Argumente gibt, ist es mir völlig gleichgül-
tig, aus welcher Ecke sie kommen. Ich übernehme sogar
gute Argumente von Ihnen, Herr Marschewski. Sie gibt es
aber nur zu selten.
Ich sage noch einmal: Ich freue mich, dass Ihre Frak-
tion heute dem Gesetz zustimmt. Es ist ein solides und
notwendiges Gesetz.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmel-
degeheimnisses. Es handelt sich um die Drucksachen
14/5655 und 14/5981. Der Innenausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen.
Es liegen 13 Änderungsanträge der Fraktion der PDS
vor, über die wir in der Reihenfolge der Drucksachen-
nummern zuerst abstimmen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/5997 auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt
dagegen? Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P.-Frak-
tion und einer Enthaltung aus der CDU/CSU abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/5998
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion
abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
14/5999. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion
abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6000
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
14/6001. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
14/6002. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6003
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Wer ent-
hält sich? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-
Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6004
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Wer ent-
hält sich? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
14/6005. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Auch dieser Änderungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abge-
lehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6006
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Wer ent-
hält sich? Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/6007. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6008
auf. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Wer ent-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Dieter Wiefelspütz
16484
hält sich? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.
abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/6009. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.
abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen,
um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen von PDS- und F.D.P.-Frak-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von PDS- und F.D.P.-Frak-
tion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/5965? Gegenprobe!
Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen von F.D.P.- und PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6010? Gegenprobe! Ent-
haltungen? Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt noch einmal zur Beschlussempfeh-
lung des Innenausschusses auf Drucksache 14/5981
zurück. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
den Bundestag nach Ablauf von zwei Jahren nach In-
Kraft-Treten des Gesetzes über die mit der Novellierung
gemachten Erfahrungen, insbesondere unter dem Ge-
sichtspunkt des Datenschutzes, zu unterrichten. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt da-
gegen? Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Enthaltung
der CDU/CSU angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, die Erklärung des Vertreters der
Bundesregierung am 9. Mai 2001 vor dem Innenaus-
schuss zur Kenntnis zu nehmen. Den Wortlaut entnehmen
Sie bitte der Beschlussempfehlung. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der CDU/CSU gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS
angenommen.
Nun noch eine Korrektur. Es gab bei der ersten Ab-
stimmung bei der CDU/CSU keine Enthaltung. Ich habe
auch keine gesehen. Das wurde mir nur mitgeteilt. Damit
ist die Korrektur erfolgt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung der rechtlichen und sozialen Situation der
Prostituierten
Drucksache 14/5958
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Anni Brandt-Elsweier.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Prostitution ist das älteste Ge-
werbe der Welt und seit mehr als 2 000 Jahren werden
Prostituierte nicht nur gesellschaftlich, sondern auch,
juristisch diskriminiert. Hier in Deutschland ist Prostitu-
tion seit der Strafrechtsreform in den 70er-Jahren eine
rechtlich zulässige Tätigkeit. Seriösen Schätzungen zu-
folge gehen ihr circa 400 000 Personen nach, überwie-
gend Frauen, und ihre Dienste werden täglich von über
1 Million Männern in Anspruch genommen.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt wohl keinen
anderen Bereich, in dem das Geschäft mit der Doppelmo-
ral so blüht. Pecunia non olet, Geld stinkt nicht, das wuss-
te schon der römische Kaiser Vespasian im ersten Jahr-
hundert nach Christus. Knapp 2 000 Jahre später weiß
dies auch der deutsche Fiskus; denn Prostituierte sind
einkommensteuerpflichtig und sie unterliegen der
Umsatzsteuerpflicht. Prostituierte haben also Pflichten in
diesem Staat. Bei einem geschätzten Jahresumsatz der
Branche von bis zu 12 Milliarden DM sind das nicht ge-
rade geringe Pflichten.
Mit der Zuerkennung von Rechten sieht es aller-
dings schlecht aus. Freiwillige Prostitution ist zwar nicht
verboten, sie wird aber nach überwiegender Rechtspre-
chung gemäß § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig bewer-
tet. Als Maßstab für die guten Sitten gilt noch immer das
Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden,
eine Formel, die das deutsche Reichsgericht im
Jahre 1901 immerhin vor 100 Jahren entwickelt hat.
Aufgrund dieser verstaubten Formel sind Vereinbarun-
gen von Prostituierten nicht rechtswirksam. Das bedeutet
im Klartext: Sexuelle Leistung ist steuerpflichtig, der An-
spruch auf Lohn für diese Leistung wird aufgrund der Sit-
tenwidrigkeit jedoch rechtlich nicht anerkannt.
Dies hat schwerwiegende Folgen für die materielle
und soziale Existenzsicherung der betroffenen Frauen; denn
sie können zum Beispiel ihren Lohn nicht einklagen. Es be-
deutet auch, dass sie derzeit keinen Anspruch auf Pflicht-
versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
16485
der Arbeitslosenversicherung sowie in der Rentenversi-
cherung haben. Dies sind unhaltbare Zustände.
Die herrschende Ungerechtigkeit, auf der einen Seite
Steuern zu kassieren, auf der anderen Seite aber den Men-
schen jede Möglichkeit zur sozialen Absicherung zu ver-
weigern, ist nicht länger hinnehmbar und sie entspricht
auch nicht mehr dem Zeitgeist. Darum freue ich mich,
dass wir unser Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um-
setzen und damit gleichzeitig einer Aufforderung der
Vereinten Nationen nachkommen können. Wir haben
eine Regelung gefunden, die sowohl die rechtliche als
auch die soziale Situation der betroffenen Frauen und
auch der Männer in diesem Gewerbe verbessern wird. Sie
erfasst sowohl die selbstständig Tätigen als auch die ab-
hängig Beschäftigten.
Unser Gesetzentwurf stellt ganz klar fest, dass sexuelle
Handlungen, die gegen ein vorher vereinbartes Entgelt
vorgenommen worden sind, eine rechtswirksame Forde-
rung nach sich ziehen, das heißt, derartige Vereinbarun-
gen verstoßen nicht mehr gegen die guten Sitten.
Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit entspricht
dem Wandel im Moral- und Rechtsempfinden unserer Ge-
sellschaft, dem wir endlich Rechnung tragen.
Gerade im Bereich der Sexualität hat im letzten Jahrhun-
dert eine besonders schnelle Veränderung der Wertvor-
stellungen stattgefunden. Wer kann sich heute noch vor-
stellen, dass sich eine Mutter der Kuppelei schuldig
machte, wenn sie ihre Tochter und deren Verlobten bei
sich übernachten ließ? Oder wer weiß noch, dass Ehe-
bruch strafbar war und Beamte wegen dieses Deliktes ent-
lassen werden konnten?
Auch die Gerichte haben diesen Wertewandel erkannt.
Der BGH hat bereits 1976 in einer Entscheidung anklin-
gen lassen, dass angesichts der Legalität der Prostitution
durchaus ein Wandel in der Beurteilung nach § 138 BGB
möglich ist. Eines der letzten nicht rechtskräftigen Ur-
teile in diesem Zusammenhang erließ das Verwaltungsge-
richt Berlin im Dezember 2000. Es stellt fest, dass Pros-
titution ... heute grundsätzlich nicht mehr als sittenwidrig
einzustufen ist.
Das vonseiten der CDU/CSU vorgebrachte Argument,
das Angebot sexueller Dienste sei mit dem in Art. 1 des
Grundgesetzes verankerten Schutz der menschlichen
Würde unvereinbar, zieht nicht. Wir haben dies eingehend
prüfen lassen. Ich zitiere aus dem Rechtsgutachten von
Frau Dr. Susanne Baer von der Humboldt-Universität hier
in Berlin:
Das ... freiwillige Angebot sexueller Dienstleistun-
gen gegen Entgelt, die weder Verletzungen noch Ge-
walt beinhalten, ist kein Verstoß gegen die Men-
schenwürde. Entsprechende Verträge sind daher
nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichtig.
Die Verfassung steht demnach unserer Gesetzesvorlage
nicht entgegen.
Durch die Abschaffung der Sittenwidrigkeit erreichen
wir vor allem zwei Ziele: Die Frauen können zukünftig
rechtswirksame Vereinbarungen treffen, das heißt, sie
können ihren Lohn wirksam einklagen, und Prostituierte
erhalten dadurch über ihre eigentliche Tätigkeit, nicht
über Scheinberufe, Anspruch auf Pflichtversicherung
in der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- sowie Ren-
tenversicherung.
Wir haben des Weiteren bei unserem Gesetz eine be-
sondere rechtliche Ausgestaltung gewählt. Die Vereinba-
rung einer Prostituierten über die Erbringung sexueller
Handlungen wird als einseitig verpflichtender Vertrag an-
gesehen. Die Forderung, die eine Prostituierte erwirbt,
kann nicht abgetreten werden. Wir haben dies bewusst so
geregelt, denn es ist unser Anliegen, die Rechtsstellung
der Frauen zu verbessern und nicht die anderer Beteilig-
ter.
Konkret heißt das: Kunden können aus diesem Vertrag
keine Ansprüche auf bestimmte sexuelle Leistungen ge-
genüber Prostituierten herleiten. Die Prostituierte behält
auch gegenüber dem Bordellbesitzer ihr Recht auf die
freie Auswahl der Kunden und das alleinige Bestim-
mungsrecht, welche Art von sexueller Dienstleistung sie
erbringt. Durch die Nichtabtretbarkeit der Forderung wird
sichergestellt, dass Bordellbesitzer gegenüber den Prosti-
tuierten kein Erpressungspotenzial in die Hände bekom-
men.
Ich möchte klarstellen, dass wir mit diesem Gesetzent-
wurf Prostitution nicht als einen normalen Beruf anerken-
nen. Dies hat seine Gründe. Wir wollen damit nicht die
Prostituierten abwerten, sondern tragen lediglich den Be-
sonderheiten ihrer Tätigkeit Rechnung. Zu einem Beruf
im arbeitsrechtlich korrekten Sinne gehört nämlich zum
Beispiel auch, dass in diesem ausgebildet werden kann
oder dass dem Arbeitsamt freie Stellen gemeldet werden
können, und dieses seinerseits in freie Stellen vermitteln
kann. Ich sage hier und klar deutlich: Das ist von uns nicht
gewollt und das wird es auch nicht geben.
Prostituierte können sich zukünftig gegen Arbeitslo-
sigkeit versichern, sich nach Einhaltung der Fristen bei
Verlust ihrer Arbeit arbeitslos melden und haben An-
spruch auf Arbeitslosengeld. Sie haben vor allem die
Möglichkeit, über das Arbeitsamt eine Umschulung zu
beantragen oder sich ohne Umschulung in einen anderen
Beruf vermitteln zu lassen. Ich halte dies für eine deutlich
verbesserte Perspektive.
Sehen wir uns doch einmal die Realität an: Wenn Prosti-
tuierte ihren Beruf nicht mehr ausüben können, sind viele
von ihnen auf die Sozialhilfe angewiesen. Der vorlie-
gende Gesetzentwurf schafft hier Abhilfe.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Anni Brandt-Elsweier
16486
Ich betone noch einmal ausdrücklich unser Ziel, die Si-
tuation der Prostituierten zu verbessern, ihnen mehr
Rechte an die Hand zu geben, ihr Selbstverständnis und
ihre Position gegenüber Freiern und Zuhältern zu stärken.
Von diesem Gedanken haben wir uns auch bei den Än-
derungen im Strafrecht leiten lassen. Durch die Strei-
chung des § 180 a Abs. 1 Ziffer 2 StGB ist die Schaffung
angemessener Arbeitsbedingungen zukünftig nicht mehr
strafrechtlich sanktioniert. Das bedeutet für die Praxis,
dass es zum Beispiel möglich sein wird, in einem Bordell
Kondome auszulegen, einen Sicherheitsdienst zu be-
schäftigen oder ein angenehmes Ambiente herzustellen.
Die Änderung im Strafrecht stellt auch klar, dass sich
ein Bordellbesitzer, der Prostituierte beschäftigt, nicht
mehr strafbar macht. Die Frauen können also zukünftig
mit einem Bordellbesitzer eine Vereinbarung eingehen
und dafür einen monatlichen Lohn bekommen. Diese
Tätigkeit ist dann, wie jede andere berufliche Tätigkeit
auch, sozialversicherungspflichtig.
Wir haben jedoch den § 181 a StGB, Zuhälterei, nicht
geändert auch dies zum Schutze der Frauen. Zwang,
Ausbeutung oder unzumutbare Beeinflussung der Betrof-
fenen bleiben weiterhin strafbar, auch der Schutz der Min-
derjährigen bleibt gewährleistet.
Prostituierte können also zukünftig einen eigenen Bei-
trag zu ihrer Absicherung leisten. Wir schaffen ihnen da-
mit auch einen größeren Spielraum, aus ihrer Tätigkeit
auszusteigen, wenn sie dies wollen. Sie können die Hilfe
des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen, haben die Mög-
lichkeit, für Alter und Krankheit vorzusorgen.
Ich befürworte hiermit ausdrücklich, weitere Modell-
projekte für ausstiegswillige Prostituierte zu fördern und
zu unterstützen. In Nordrhein-Westfalen läuft seit 1997
ein derartiges Modellprojekt in Zusammenarbeit mit Or-
ganisationen der Prostituierten. Ich halte dies für den rich-
tigen Ansatz und wünschte mir, mehr Projekte dieser Art
auf Länderebene zu finden.
Ich möchte auch noch kurz auf den Einwand eingehen,
unser Gesetz würde vor allem für die ausländischen Pros-
tituierten keine Verbesserungen bringen. Auch das stimmt
so nicht. Das Gesetz gilt natürlich auch für ausländische
Prostituierte, soweit sie einen legalen Aufenthaltsstatus
haben. Dies ist allerdings kein Gesetz, das organisierte
Kriminalität, Frauenhandel und Zwangsprostitution be-
kämpft. Das ist eine völlig andere Problematik, mit der
wir uns an anderer Stelle zu beschäftigen haben. Wir kön-
nen mit dieser Regelung auch nicht den Menschenhandel
bekämpfen. Wir können jedoch dazu beitragen, dass das
Prostitutionsgewerbe insgesamt durchsichtiger wird. Es
wird den Tätern künftig schwerer fallen, ihre Taten im
Dunkeln zu halten.
Die Einflussnahme durch Zuhälter wird zurückge-
drängt, das Selbstverständnis der Prostituierten wird
gestärkt. Dadurch verstärken wir auch die Steuerungs-
möglichkeiten der Behörden und damit auch die Mög-
lichkeiten der Bekämpfung der organisierten Kriminalität
in diesem Bereich.
Ich halte unsere Regelungen für eine gute und ausge-
wogene Lösung und würde mir wünschen , dass wir in den
uns bevorstehenden Diskussionen Einvernehmen über
diesen Gesetzentwurf erreichen.
Zum Abschluss möchte ich die betroffenen Frauen bit-
ten, von den Möglichkeiten, die das Gesetz ihnen einräu-
men wird, Gebrauch zu machen. Es wird nur dann wirk-
lich Verbesserungen im praktischen Alltag bringen, wenn
die Frauen ihre Rechte auch nutzen. Dazu fordere ich sie
mit allem Nachdruck auf.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ilse Falk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Unendlich lange scheint es her zu
sein, seit wir uns 1992 von Bonn aus nach Berlin auf den
Weg machten, um uns neben anderen Themen auch mit
der Problematik der Prostitution zu befassen. Wir, das wa-
ren Mitglieder des Ausschusses Frauen und Jugend, die
im Gespräch mit Prostituierten vom Projekt Hydra Nähe-
res über deren Lebenswirklichkeit erfahren wollten. Wir,
das waren acht oder zehn Frauen und ein junger Parla-
mentsreferent.
Wir lernten damals Frauen kennen, die selbstbewusst
ihren Beruf vertraten und vehement forderten, diesen
auch als solchen anerkannt zu bekommen. Klagen über
Doppelmoral, fehlende arbeitsvertragliche Regelungen
und damit verbunden einen versperrten Zugang zur Sozi-
alversicherung waren wesentliche Gesprächsschwer-
punkte. Sie berichteten uns, die Arbeit mache ihnen im
Übrigen Spaß und sie sähen nichts Unsittliches dabei. Wir
waren beeindruckt, aber auch höchst irritiert, weil wir uns
eigentlich nicht vorstellen konnten, dass diese Tätigkeit
tatsächlich so angenehm sein könnte, und beschlossen,
dies intensiv zu hinterfragen.
Vieles haben wir seitdem über Schicksale und Wege er-
fahren, die in die Prostitution geführt haben. Mitnichten
war es immer freiwillig und schon gar nicht immer schön.
Was wir damals schon vermutet hatten, hat sich bestätigt:
Frauen wie bei Hydra oder in anderen Hurenorganisatio-
nen sind eher die Starken, also diejenigen, die in der Lage
sind, sich zu wehren und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie
sind ganz sicher nicht die Mehrheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun sind wir nicht
mehr nur zu Besuch in Berlin, sondern leben hier, zumin-
dest wochenweise. Jeder, der nicht mit Blindheit geschla-
gen ist, kann sehen, dass Nacht für Nacht Frauen und
Mädchen, aber auch Männer und Jungen ihren Körper als
Ware anbieten und ganz offensichtlich genügend Freier
ihre Dienste nachfragen. Was wir aber immer noch nicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Anni Brandt-Elsweier
16487
sehen und nicht wissen können, ist, ob sich die Prostitu-
ierten freiwillig oder unter Druck anbieten, ob sie anstän-
dig behandelt werden oder Gewalt erleben und ausgebeu-
tet werden. Wir wissen aber, dass sich tagtäglich viel zu
vieles im Milieu abspielt, was an Erniedrigung weit über
unser Vorstellungsvermögen hinausgeht. Unvorstellbar
ist auch die Zahl der Kinder, die in diesem Gewerbe an-
zutreffen ist.
Aber heute können weder sie noch diejenigen, die der
Beschaffungsprostitution nachgehen oder unter unvor-
stellbaren Zwängen illegal in diesem Metier eine Art
Sklavenarbeit leisten, im Mittelpunkt der Überlegungen
stehen. Für sie müssen wir andere Antworten finden, Ant-
worten die zum Beispiel bei der Bekämpfung von Sucht
und Menschenhandel ansetzen.
Heute kann es nur um die Menschen gehen, die mehr
oder weniger freiwillig der Prostitution nachgehen. Aber
auch von ihnen wissen wir, dass sie oft in einen Teufels-
kreis geraten. Da sind zum Beispiel die Frauen, die nach
Scheidung oder Trennung als Alleinerziehende massive
finanzielle Probleme haben. Da verweigert der Mann die
Unterhaltszahlung. Die Frau geht zum Sozialamt, um dort
zu erfahren, dass sie zunächst ihren Mann auf Unterhalt
verklagen müsse, ehe Sozialhilfe zur Auszahlung kom-
men könne. Geld braucht sie aber sofort und da ist es
schnell passiert, dass sie der Versuchung von Kleinanzei-
gen erliegt, die mit leicht verdientem Geld in Saunaclubs
oder ähnlichen Etablissements locken.
Oft beginnt damit ein zunächst freiwilliges, aber später
verhängnisvolles Doppelleben, in dem der Traum vom
Reichtum immer ein Traum bleibt. Miete und Steuern
müssen bezahlt werden, Zuhälter und Bordellwirte schöp-
fen 40 bis 60 Prozent vom Lohn ab. Für die Sozialversi-
cherung reicht das Geld schon gar nicht aus oder aber die
Krankenversicherung verweigert die Aufnahme, was bei
entstehenden Krankheitskosten dann definitiv in die Ver-
schuldung führt. Die Bedingungen, unter denen Prostitu-
ierte arbeiten, sind womöglich auch noch erbärmlich, weil
jeder Betreiber eines Etablissements sich der Förderung
der Prostitution schuldig macht, wenn er angenehmere
Arbeitsbedingungen schafft. Das ist ein Teufelskreis; es
gibt viele Fragen, auf die wir endlich Antworten finden
müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der letzten
Legislaturperiode haben wir uns aus Anlass eines Antrags
der Grünen intensiv mit diesem Thema befasst, aber
tatsächlich sind wir seit 1992 der Lösung dieses Problems
nicht wirklich näher gekommen. Heute starten wir einen
neuen Versuch.
Die Abwägung, welche Regelungen notwendig und
wünschenswert sind, ist schwierig. Neuregelungen dürfen
die Würde der betroffenen Frauen insbesondere hinsicht-
lich ihrer sexuellen Selbstbestimmung nicht verletzen,
müssen von der Gesellschaft mitgetragen werden können
und sollen gleichzeitig den Frauen mehr Rechte geben.
Die Erfüllung dieser Erfordernisse gleicht in mancher
Hinsicht einem Spagat. Wohl auch aus diesen Gründen
haben die Koalitionsfraktionen den schon so lange an-
gekündigten Gesetzentwurf erst jetzt vorgelegt.
Ist der Gesetzgeber aus den genannten Gründen also
bisher noch nicht erfolgreich gewesen, so hat sich in der
Gesellschaft ein Wandel in der Einstellung zur Prostitu-
tion vollzogen. Frauen, die sich offen dazu bekennen, als
Prostituierte zu arbeiten, werden heute gesellschaftlich
nicht mehr geächtet. Viele Prostituierte treten selbstbe-
wusst auf und fordern ihre Rechte ein. Dabei werden sie
von einem Großteil der Gesellschaft unterstützt. Frauen
wie Felicitas Weigmann, die in ihrem Café Pssst! ange-
nehme Arbeitsbedingungen für Prostituierte geschaffen
hat, gelten als Vorbild, ihr Tun gilt nicht mehr als ver-
werflich.
Als Gesetzgeber müssen wir nun die Frage beantwor-
ten, ob und gegebenenfalls wie dieser Wandel in der Be-
wertung von Prostitution durch die Gesellschaft auch ge-
setzgeberisch begleitet werden muss.
Müssen wir grundlegende Wertvorstellungen tatsäch-
lich aufgeben, um da zu helfen, wo Hilfe so dringend
nötig ist? Müssen wir tatsächlich Prostitution als einen
Beruf wie jeden anderen akzeptieren?
Ist es nicht vielmehr richtig, wenn wir es weiterhin für
moralisch höchst fragwürdig halten, wenn der eigene
Körper zur Ware gemacht wird und einen großen Käufer-
kreis findet?
Als CDU/CSU können und wollen wir Prostitution
nicht zu einem normalen Beruf machen,
sondern zuallererst unser Augenmerk darauf richten, wie
wir Frauen entweder erreichen können, bevor sie auf die
Straße oder in Bordelle gehen, oder aber darauf, wie wir
ihnen reale Ausstiegshilfen geben können. Darüber sind
wir uns sicher fraktionsübergreifend einig.
Wir sind allerdings nicht so naiv, zu glauben, dass wir
damit auch nur annähernd alle Probleme gelöst hätten.
Natürlich wird es die Prostitution in allen Variationen im-
mer geben. Manchmal ist man auch geneigt, zu sagen, es
muss sie immer geben, so wie es sie seit Jahrtausenden
schon immer gegeben hat. Kein noch so gutes Gesetz,
keine noch so drakonischen Strafen haben daran etwas
Entscheidendes geändert.
Seien wir doch ehrlich: Die Gesetze, die wir über all
die Jahre so heftig verteidigt haben, haben Zustände und
Entwicklungen, die wir heute diskutieren, mitnichten ver-
hindert.
Versuchen wir doch einmal neue Ansätze. Fesseln wir
uns doch nicht immer wieder selber mit dem Begriff der
Sittenwidrigkeit. Hierzu gibt es in der Gesellschaft so
vielfältige Meinungen, wie es Menschen gibt, die sich da-
mit befassen. Wir werden wahrscheinlich niemals auch
nur annähernd Übereinstimmung erreichen können.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ilse Falk
16488
Dennoch bin ich der Meinung, dass der Gesetzgeber
hier nicht leichtfertig Wertvorstellungen preisgeben darf,
die ihre guten Gründe für die Ordnung des Zusammenle-
bens in unserer Gesellschaft haben.
Hier können Grenzen überschritten werden, was die Ach-
tung und Respektierung der jedem Menschen eigenen
Menschenwürde aufs Spiel setzt. Das können wir nicht
wollen.
Natürlich gibt es ein ganz großes Aber. Auch wenn der
Staat das Recht und die Pflicht hat, hohe moralische Hür-
den aufrechtzuerhalten, so kann er es nicht allein bei der
Postulierung dieser Wertvorstellungen bewenden lassen,
sondern er hat vielmehr auch eine Fürsorgepflicht ge-
genüber denjenigen, die dieser Fürsorge bedürfen.
So müssen wir einerseits darüber sprechen, dass auch
diejenigen, die vielleicht nicht unseren moralischen Wert-
vorstellungen entsprechen, Anspruch auf die Unantast-
barkeit ihrer Menschenwürde haben. Andererseits müssen
wir über die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber allen
Bürgerinnen und Bürgern sprechen und auf den Prüfstand
stellen, was ihrer Umsetzung dienen könnte. Wenn wir
uns also darauf verständigen, uns allein von der Fürsor-
gepflicht leiten zu lassen, wird es vielleicht einfacher,
Vorschläge unvoreingenommen auf ihre Wirksamkeit zu
überprüfen und zu wirklichen Problemlösungen zu kom-
men.
Dann erst können wir ehrlich nachfragen, wen genau
wir mit diesen Lösungsvorschlägen überhaupt erreichen
können und wollen,
ob Arbeitsverträge tatsächlich die ideale Lösung sind, um
den Zugang zur Sozialversicherung zu bekommen, oder
ob sie nicht vielmehr ein hohes Druckpotenzial beinhal-
ten, das Prostituierte womöglich in neue Abhängigkeiten
bringen kann, ob nicht andere Zugänge zur gesetzlichen
Krankenversicherung wieder zu öffnen wären und ob
nicht an die Träger der privaten Krankenversicherung zu
appellieren ist, auch Prostituierte aufzunehmen.
Da sei nur am Rande angemerkt: Nachweislich stellt
diese Gruppe kein erhöhtes Krankheitsrisiko dar. Im Ge-
genteil: Der Anteil an HIV-Infizierten ist geringer als
beim Durchschnitt der Bevölkerung. Gesundheit ist das
Kapital der Prostituierten.
Gute Arbeitsbedingungen können dann eigentlich kein
strafbares Delikt mehr sein, sondern müssten eine Forde-
rung werden.
Meine Redezeit reicht nicht aus, um im Einzelnen auf
die konkreten Vorschläge des Gesetzentwurfes einzuge-
hen. Es werden sicherlich Anhörungen von Sachverstän-
digen notwendig sein. Mir war es heute aber wichtig, den
Versuch zu unternehmen, eine Basis herzustellen, die uns
die weiteren Schritte erleichtern kann. Nicht juristische
Spitzfindigkeiten, sondern ein gesundes Rechtsempfin-
den und eine Orientierung an den praktischen Notwen-
digkeiten lassen uns am Ende vielleicht gute Lösungen
finden. Versuchen wir es doch einmal!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Kollegen! Wie liberal ein Staat ist, zeigt sich daran, wie
liberal er im Umgang mit seinen Huren ist. Mit diesem
Satz hat die Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt
vor 30 Jahren eine Politik eingefordert, die der Diskrimi-
nierung von Prostituierten endlich ein Ende setzt.
Heute, elf Jahre, nachdem die Grünen ihren ersten Ge-
setzentwurf zur Beseitigung der rechtlichen Diskriminie-
rung von Prostituierten in den Bundestag eingebracht ha-
ben, nehmen wir Abschied von der Doppelmoral, von der
Doppelmoral in der Gesellschaft, in der täglich über
1 Million Männer sexuelle Dienste ganz selbstverständ-
lich in Anspruch nehmen, während die Frauen, die diese
Dienste erbringen, diskriminiert, kriminalisiert und stig-
matisiert werden. Wir nehmen aber auch Abschied von
der Doppelmoral des Staates, der von den Prostituierten
zwar Steuern aus gewerbsmäßiger Unzucht kassiert, ih-
nen aber soziale Rechte, die allen anderen Erwerbstätigen
zustehen, vorenthält.
Prostitution, die von erwachsenen Frauen und Män-
nern freiwillig ausgeübt wird, ist nach heutigen sozial-
ethischen Wertvorstellungen nicht als sittenwidrig anzu-
sehen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des
Verwaltungsgerichtes Berlin. Ich danke den Richtern
ausdrücklich dafür, dass sie sich erstmalig der Mühe un-
terzogen haben, die seit 100 Jahren gleich lautenden Ur-
teile auf den Prüfstand der heutigen sozialethischen Wert-
vorstellungen zu stellen; auf das Reichsgerichtshofurteil
hat Frau Brandt-Elsweier gerade hingewiesen.
Es ist aber kaum zu glauben, dass der Bundesgerichts-
hof noch 1987 geurteilt hat: Wer Prostituierte um den
vereinbarten Lohn prellt, begeht keinen Betrug. Un-
glaublich!
Heute stellen wir fest, dass die bestehenden rechtlichen
Vorschriften Prostituierte einseitig benachteiligen und mit
den Wertvorstellungen der Bevölkerung nicht mehr über-
einstimmen. Darum ist es höchste Zeit, Gesetze zu än-
dern, die aus der Mottenkiste der Geschichte stammen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ilse Falk
16489
Für uns Grüne ist dieses Thema ein Bürgerrechts-
und ein Menschenrechtsthema. Wir wollen gleiche
Rechte für Prostituierte und wir wollen, dass Prostituierte
nicht länger Bürgerinnen zweiter Klasse sind. Die Men-
schenwürde der Prostituierten wird durch ihre rechtliche
Ausgrenzung nicht geschützt, sondern verletzt, Frau Falk.
Darum schaffen wir den Tatbestand der Sittenwidrig-
keit ab. Damit sind Vereinbarungen über sexuelle Dienst-
leistungen gegen Entgelt sowohl mit dem Kunden als
auch mit dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin rechts-
wirksam. Das bedeutet: Prostituierte können künftig eine
Genossenschaft gründen, wie das in Frankfurt und Bo-
chum geplant ist. Sie können als Selbstständige oder auch
in einem Angestelltenverhältnis arbeiten. Sie können zu-
dem durch die Aufnahme in die Sozialversicherung gegen
Krankheit, Erwerbslosigkeit und für das Alter vorsorgen.
Dadurch ist ein Ausstieg der Prostituierten sehr viel leich-
ter. Sie haben ferner Umschulungsmöglichkeiten. Das
müsste Ihnen, verehrte Kolleginnen von der CSU, die Zu-
stimmung erleichtern.
Aber damit nicht genug. Auch im Strafgesetzbuch sind
Änderungen notwendig. Wir werden den Straftatbestand
Förderung der Prostitution streichen. Ich finde es gera-
dezu widersinnig, dass Personen, die humane Arbeits-
bedingungen für Prostituierte schaffen, bestraft werden,
während diejenigen straflos bleiben, die Prostituierte in
menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten lassen.
Diese gesetzlichen Regelungen sind eines liberalen
Rechtsstaats nicht würdig. Künftig werden nur noch die-
jenigen bestraft, die Prostituierte ausbeuten. An diesem
Punkt, Frau Falk, waren wir eigentlich schon 1997. Bei
der Debatte über den zweiten grünen Gesetzentwurf gab
es Übereinstimmung bei allen Fraktionen, dass Änderun-
gen notwendig sind. Zusammen mit dem rechts-
politischen Sprecher Herrn Eylmann von der CDU/CSU
und mit Herrn Braun von der F.D.P. wollten wir eine Än-
derung. Aber es kam nicht zu einem interfraktionellen An-
trag, weil die CDU/CSU kurz vor der Wahl der Mut ver-
lassen hatte.
Heute höre ich, dass wir auch von einigen aus der CDU
Zustimmung zu diesem Gesetz erhalten werden. Ich freue
mich darüber, dass der Kollege Pofalla die heutige Praxis
für nicht mehr zeitgemäß hält und sich die Kollegin
Schnieber-Jastram für eine soziale Absicherung stark
macht.
Es bleibt noch das von der Kollegin Eichhorn ange-
führte Argument der Menschenwürde. Dies möchte ich
gern mit einem Zitat aus dem Urteil des Ver-
waltungsgerichts entkräften:
Wer die Menschenwürde von Prostituierten gegen
ihren Willen schützen zu müssen meint, vergreift
sich in Wahrheit an ihrer von der Menschenwürde ge-
schützten Freiheit der Selbstbestimmung und zemen-
tiert ihre rechtliche und soziale Benachteiligung.
Genau das wollen wir verhindern.
Darum bitte ich Sie: Lassen Sie uns in einer Anhörung
deutlich machen, welche Möglichkeiten es gibt. Auch die
Kolleginnen und Kollegen von der PDS bitte ich um Zu-
stimmung. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt; er
ist sehr umfangreich. Ich als Grüne kann nicht verhehlen,
dass ich für ihn sehr viel Sympathie empfinde.
Aber wir vollziehen jetzt einen großen Einstieg. Es wäre
schön, wenn Sie in dieser Sache keine Fundamentaloppo-
sition machten, sondern zustimmen würden. Von der
F.D.P. als einer liberalen Partei erwarte ich dies selbstver-
ständlich auch.
Es ist im Interesse der gesamten Gesellschaft, wenn
wir diesen Einstieg einvernehmlich vornehmen, damit
den sozialen Rechten der Prostituierten zum Durchbruch
verholfen wird.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hören wir, was
die F.D.P. dazu zu sagen hat. Die Kollegin Lenke hat das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Nicht die Bundesregierung, sondern die
Fraktionen von Rot-Grün haben gesetzliche Regelungen
zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation
von männlichen und weiblichen Prostituierten in den
Bundestag eingebracht. Frau Bergmann, steht die Bun-
desregierung etwa nicht voll hinter diesem Gesetzent-
wurf?
Für die F.D.P.-Bundestagsfraktion will ich trotz aller
Unklarheiten und Unvollkommenheiten des rot-grünen
Entwurfs deutlich sagen, dass auch wir der Meinung sind:
Neue gesetzliche Regelungen müssen her.
Die F.D.P. als liberale Partei ist gegen jegliche Diskri-
minierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft.
Prostituierte sind besonders durch den Makel der Sitten-
widrigkeit diskriminiert. Die F.D.P. begrüßt in diesem
Entwurf erstens die Abschaffung der Sittenwidrigkeit,
zweitens die Möglichkeit, sozialversichert zu sein, drit-
tens die Durchsetzbarkeit des vereinbarten Lohns gegen-
über dem Freier.
Aber schon der rot-grüne Vorschlag zu § 180 a des
Strafgesetzbuches zeigt, dass SPD und Grüne nicht den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Irmingard Schewe-Gerigk
16490
Mut zu einer klareren und umfassenderen Regelung ha-
ben. Warum haben Sie sich nicht dazu entschieden, den
§ 180 a StGB gänzlich zu reformieren?
Wir schlagen vor, ihn komplett abzuschaffen. Der Schutz
von Jugendlichen oder die Abschaffung der Ausbeutung
von männlichen und weiblichen Prostituierten gemäß
Abs. 2 des § 180 a StGB werden durch Schutzvorschrif-
ten in anderen Gesetzen bereits abgedeckt. Überhaupt
sind wir der Auffassung, dass die gesetzlichen Änderun-
gen in bereits bestehende Gesetze zum Beispiel in das
Bürgerliche Gesetzbuch integriert werden sollten.
Genau das machen Sie aber nicht. Ich weiß von der Jus-
tizministerin, dass sie das in anderen Politikbereichen
sehr wohl will. Mit Ihrem Vorschlag kommen Sie aber
wieder zu einer einzelgesetzlichen Regelung. Aber viel-
leicht kann man das ja noch im Beratungsverfahren än-
dern.
Wir fordern ich finde es sehr schön, dass meine grüne
Kollegin Frau Schewe-Gerigk schon darauf eingegangen
ist und dafür geworben hat eine umfassende Anhörung
im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ich bin si-
cher, dass auch die CDU/CSU und die Koalitionsfraktio-
nen ein, wenn auch unterschiedliches, Interesse an einer
umfassenden Beratung haben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lenke,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer? Es
würde Ihnen nicht von der Redezeit abgezogen.
Ich möchte jetzt lieber weiterma-
chen und würde mich mit Herrn Meyer ins Benehmen set-
zen, wenn ich mit meiner Rede fertig bin.
Ich bin sicher, dass wir, wenn wir wollen, dass die
neuen Beschäftigungsverhältnisse in Bezug auf Renten-,
Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie
davon habe ich heute noch nichts gehört in Bezug auf
die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherung or-
dentlich ausgestaltet werden, den Rat von Expertinnen
und Experten zum Beispiel aus dem Bereich des Sozial-
versicherungsrechts brauchen. Dafür sind Anhörungen
doch da.
Wir wissen, wie unterschiedlich sich dieses Gewerbe
organisiert. Daher muss in der Anhörung geklärt werden,
wer mit wem in welcher Eigenschaft einen Vertrag
schließt: als Bordellbesitzer oder als Zuhälter, der sich
bisher noch nicht strafbar gemacht hat? Hinsichtlich die-
ser Frage können wir aus Ihrem Gesetzentwurf und der
Begründung dazu nicht viel herauslesen. Meines Erach-
tens reicht daher die Beratung nur in den Ausschüssen
nicht.
Wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion wollen prüfen, ob es
in Bezug auf die Rentenversicherung eine Versorgungs-
kassenlösung geben könnte. Wir Liberale sind für eine
Pflicht zur Versicherung, aber nicht für eine Versiche-
rungspflicht. Weiter fordert die F.D.P., dass das Ord-
nungswidrigkeitengesetz überprüft wird. Frau Brandt-
Elsweier, Sie haben sich sicher auch zum Beispiel § 120
Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Ordnungswidrigkeitengesetzes an-
geschaut, haben aber leider nichts dazu gesagt.
Nun zu meiner Kollegin Frau Schewe-Gerigk. Gestern
las ich in der Zeitung, dass die Grünen die Forderung ha-
ben, die Sperrbezirke abzuschaffen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, warum haben Sie sich denn gescheut, das
jetzt sofort zu regeln?
Wir wollen das machen. Wenn nämlich die Sittenwidrig-
keit wegfällt, wird die Aufrechterhaltung von Sperrbezir-
ken meines Erachtens zu einem Problem. Neben Woh-
nung und Bordellen ist wir in Berlin wissen das alle
auch die Straße Arbeitsplatz. Städte und Gemeinden wer-
den in Zugzwang kommen, straßenrechtliche Genehmi-
gungen erteilen zu müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lenke,
mit Herrn Kollegen Meyer haben Sie sich schon für die
Zeit nach Ihrer Rede verabredet. Wollen Sie das auch mit
der Kollegin Schewe-Gerigk tun, die gerne eine Zwi-
schenfrage stellen möchte?
Das mache ich auch mit meiner
Kollegin Schewe-Gerigk; wir verstehen uns ja ganz gut.
Die Rechtsvorschriften für den Bereich Prostitution
sollten nicht scheibchenweise, sondern umfassend verän-
dert werden. Die Städte und Gemeinden sind an einer um-
fassenden und eindeutigen Regelung interessiert.
Das können wir, auch wenn wir den Gesetzestext noch
nicht haben, schon in der Anhörung beraten; das gehört
doch auch zu einer umfassenden Beratung.
Ein Wort zum Schluss. Kirchen und Union sagen, Pros-
titution sei kein Beruf wie jeder andere. Ja, das ist so. Zur
Wirklichkeit gehört aber auch, dass männliche und weib-
liche Prostituierte heute rechtlich diskriminiert werden.
Unabhängig von unserer Einstellung zu diesem Gewerbe
ist es unsere Aufgabe, die Rechte der einzelnen Prostitu-
ierten zu stärken. Die F.D.P. als liberale Partei
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Lenke, ich muss
Sie etwas bremsen, denn Ihr Schlusswort ist sehr lang.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ina Lenke
16491
will Minderheiten zu ihrem
Recht verhelfen, auch Prostituierten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk für die
PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Huren und Stricher in diesem Land
einige von ihnen verfolgen die Debatte von der Tribüne
aus erwarten vom Gesetzgeber schon seit langem, dass
die Tätigkeit der Prostitution mit anderen Berufen gleich-
gestellt wird. Ich will das noch einmal klar sagen, was
Frau Falk schon erwähnt hat: Es geht hier um nichts an-
deres als um die selbstbestimmte und freiwillig ausgeübte
Prostitution, nicht um Zwangsverhältnisse; diese wären
woanders zu regeln. Daher besteht für eine Ungleichbe-
handlung zwischen diesem Beruf und anderen berufli-
chen Tätigkeiten kein Grund.
Jetzt haben sich die Regierungsfraktionen endlich be-
wegt. Das ist in erster Linie den öffentlichkeitswirksamen
Aktionen der Huren und Stricher und ihrem ständigen
Druck auf Rot-Grün zu verdanken. Ich meine ich will
das für uns durchaus in Anspruch nehmen , auch der Ge-
setzentwurf der PDS hat dazu beigetragen, dass Bewe-
gung in die Sache gekommen ist. Wir unterstützen die Hu-
ren und Stricher seit langem in ihrer Forderung nach
beruflicherAnerkennung und haben aus diesem Grunde
Ende des vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf in den
Bundestag eingebracht, der bereits in erster Lesung de-
battiert worden ist. Die Annahme dieses Gesetzentwurfes
würde die berufliche Diskriminierung der sexuell Dienst-
leistenden vollständig beseitigen.
Der Entwurf von Rot-Grün ist absolut enttäuschend.
Zwar wird klargestellt, dass Prostitution nicht länger als
sittenwidrig gelten soll, aber die Rahmenbedingungen für
die Ausübung dieses Berufs bleiben weiterhin in der
rechtlichen Grauzone. Sexuell Dienstleistende werden
nun künftig ihren Lohn einklagen und Arbeitsverträge ab-
schließen können, was ihnen wiederum den Zugang zu
den Sozialkassen ermöglicht. Das ist begrüßenswert und
positiv, das ist aber auch schon alles.
Es bleiben sämtliche gesetzlichen Regelungen un-
berührt, die Prostitution kriminalisieren und Prostituierte
in ihrer freien Berufsausübung behindern. Es fehlt die
Aufhebung des Werbeverbots, es fehlen die notwendigen
Änderungen im Arbeitszeitgesetz und im Ausländerrecht.
Nach wie vor macht sich nach § 181 a Strafgesetzbuch
strafbar, wer Prostituierte gewerbsmäßig vermittelt. Auch
bleibt strafbar, wer die Umstände der Prostitutionsaus-
übung bestimmt. In der Begründung heißt es, dass ein ein-
vernehmlich begründetes Beschäftigungsverhältnis nicht
unter diesen Straftatbestand fällt. In diesem Punkt kann
ich nur hoffen, dass die Gerichte das ebenso sehen. Zu-
mindest bleibt bei denjenigen, die Prostituierte anstellen
wollen, eine Rechtsunsicherheit. Ich hoffe, dass wir we-
nigstens bei diesen Punkten in den Ausschussberatungen
noch zu einer Klärung kommen.
Dafür, dass auch die Sperrgebietsverordnung unan-
getastet bleibt, habe ich angesichts der Haltung von
CDU/CSU und den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im
Bundesrat durchaus Verständnis; kein Verständnis habe
ich aber für die verbliebene Entdiskriminierung von Pros-
titution in den Bereichen, über die wir hier im Bundestag
zu befinden haben. Was hier vorgelegt worden ist, ist das
absolute Minimum dessen, was notwendig ist. Mehr nicht!
Der jetzige Gesetzentwurf geht keinen Deut über das
Wenige hinaus, was die SPD bereits in der letzten Legis-
laturperiode angeboten hatte. Der Entwurf trägt die Hand-
schrift der SPD, nicht die der Grünen. Die Grünen, einst
angetreten, Prostitution vollständig zu entdiskriminieren,
sind an der SPD gescheitert. Ich halte es für ein Gebot der
politischen Fairness, dass Sie, meine Damen und Herren
von den Grünen, das zugeben.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktio-
nen, Sie haben die Rückendeckung der Gerichte. Es gibt
eine Mehrheit in der Bevölkerung für eine rechtliche An-
erkennung von Prostitution. Sie haben daraus nicht viel
gemacht.
Nicht nur die Doppelmoral bleibt, sondern auch die recht-
liche Diskriminierung derjenigen, die sexuelle Dienstleis-
tungen anbieten. Das ist schade und ich hoffe sehr, dass
wir in den Beratungen doch noch zu der einen oder ande-
ren Verbesserung kommen können.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
das Wort.
Kenntnis zu nehmen, dass wir in diesem Gesetzentwurf
keinen Beruf geregelt haben und das eigentlich auch nicht
müssen? Ist Ihnen bekannt, dass der CDU-Verfassungs-
rechtler Rupert Scholz in einem Kommentar zum Grund-
gesetz festgestellt hat, dass nach Art. 12 a Grundgesetz
Prostitution schon jetzt ein Beruf ist, wenn er eine auf
Dauer angelegte Beschäftigung ist, die zur Sicherung des
Lebensunterhalts notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lenke,
Sie müssen darauf nicht antworten, hätten aber von der
Möglichkeit Gebrauch machen können.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5958 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind alle
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 200116492
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Er-
richtung der Stiftung Geld und Währung und zur
Unterstützung der Rekonstruktion der Museums-
insel
Drucksache 14/5274
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es heißt, die D-Mark sei Status- und
Identifikationssymbol der Deutschen. Da ist wohl auch
eine ganze Menge dran. Nun wird die D-Mark bald abge-
schafft. Es ist völlig in Ordnung, wenn deshalb in Erinne-
rung an den Wert und die Kraft der D-Mark eine Ge-
denkmünze in Gold geprägt werden soll. Es ist nun
vorgeschlagen worden, dass der Erlös aus der Veräuße-
rung der Goldmünzen einer Stiftung Geld und Währung
zugute kommen soll.
Als Marktwirtschaftler sage ich: Geldwertstabilität ist
ein ganz wesentliches Element für eine funktionierende
Marktwirtschaft. Sich darum zu bemühen ist immer des
Schweißes der Edlen wert. Wenn man das akzeptiert und
sich fragt, was eine Stiftung Geld und Währung denn ma-
chen sollte, dann kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis,
dass eine solche Stiftung mehr oder weniger kluge Vorträge
und Veröffentlichungen von Professoren finanzieren würde.
Das ist zwar nichts Schlechtes. Aber man sollte auch darü-
ber nachdenken, ob man das für die Stiftung vorgesehene
Geld zumal Geldwertstabilität als Wert in unserer Gesell-
schaft und in der Fachwelt anerkannt ist nicht besser ver-
wenden kann. Wir sind der Meinung, dass es besser
verwendet werden kann. Die F.D.P. möchte, dass 100 Milli-
onen DM von dem Erlös aus der Veräußerung der Gold-
münzen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zugute
kommen, damit die Museumsinsel in Berlin innerhalb des
vorgesehenen Zeitraums von zehn Jahren ohne Verzögerung
und ohne Querelen rekonstruiert werden kann.
Die Museumsinsel, nur wenige Hundert Meter vom
Parlament entfernt gelegen, ist ein kulturhistorisches
Denkmal ersten Ranges. Sie ist im Zweiten Weltkrieg
schwer beschädigt, nach dem Krieg nur notdürftig wieder
hergerichtet worden und in weiten Teilen verrottet, weil
die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stan-
den. Die Museumsinsel kann und soll zu einem großen
Universalmuseum werden, dem wohl größten Universal-
museum auf dieser Welt. Das kostet zwar viel Geld. Aber
das ist auch eine Chance für Berlin und unser Land.
Die Ausbau- und Fertigstellungspläne sind aber, wie
das so ist, gefährdet. Es ist geplant, die Rekonstruktion
der Museumsinsel bis 2010 abzuschließen. Bisher fehlt
Geld. Wenn man aber nicht planmäßig investiert, kann
man den Zeitplan vergessen. Wenn man den Zeitplan ver-
gessen kann, wird auch die vorgesehene Summe nicht
ausreichen. Deshalb muss Geld nachgeschossen werden,
auch deshalb, weil beispielsweise der Wirtschaftsplan der
Stiftung im nächsten Jahr ein Defizit von 55 Milli-
onen DM, so wird es erwartet, aufweisen wird.
Das Ganze ist zu einem guten Teil auf die finanzwirt-
schaftlichen Konstellationen und Querelen zurückzu-
führen, für die die große Koalition in Berlin verantwort-
lich ist.
Diese Koalition hat abgewirtschaftet, wie es große Koali-
tionen nach einer gewissen Zeit immer tun. Die große Ko-
alition in Berlin hat besonders abgewirtschaftet. Der Aus-
bau und die Fertigstellung der Museumsinsel sollen nicht
darunter leiden.
Deshalb sind wir dafür, dass ein Teil des Erlöses aus der
Veräußerung der D-Mark-Gedenkmünze in Gold an die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz fließt. Ich glaube, das
ist einsichtig. Diese Betrachtungsweise liegt nicht nur im
Interesse der Berliner, sondern auch all derjenigen, die et-
was mit Kultur und Wirtschaft zu tun haben und sich wün-
schen, dass in Berlin ein einzigartiges kulturhistorisches
Denkmal wiederentsteht, das in diesem Land und viel-
leicht sogar in ganz Europa seinesgleichen sucht.
Vor diesem Hintergrund bitten wir um Zustimmung zu
unserem Gesetzentwurf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Wie mein Vorredner
bereits sagte und wie wir alle wissen, gilt ab dem 1. Ja-
nuar 2002 für uns und für unsere Nachbarn in Europa im
Ganzen handelt es sich um 320 Millionen Menschen der
Euro als neues Zahlungsmittel. Mit dem Beitritt zur
Währungsgemeinschaft nehmen die Deutschen Abschied
von der D-Mark. Dieser Abschied wird durch die neue
Goldmünze ein wenig versüßt. Die D-Mark hat sich in un-
serer Bevölkerung als eine stabile Währung eingeprägt.
Sie hat den Wohlstand und das Funktionieren unserer De-
mokratie ein Stück weit gesichert. Die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes verlangen das Gleiche vom Euro,
und das mit Recht. Er soll ebenso verlässlich sein. Die
Konsolidierung des Euro-Kurses in den letzten Monaten
gibt uns in dieser Hinsicht berechtigte Hoffnungen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
16493
Ungeachtet dieser guten Ausgangslage erwachsen mit
der Schaffung eines einheitlichen Währungsraumes und
mit den damit verbundenen fundamentalen Änderungen
in der europäischen Finanzarchitektur in Europa eine
Vielzahl von Fragen und Aufgabenstellungen, denen wir
uns widmen müssen. Damit der Euro eine ebenso stabile
Währung wie die D-Mark wird, halten wir es für sinnvoll,
währungs- und finanzpolitisch verstärkt Forschungsan-
strengungen zu unternehmen.
Wissenschaftliche Grundlagenforschung zu betreiben,
das wird die zentrale Aufgabe der Stiftung Geld und
Währung sein.
Stabiles Geld als solches ist kein Selbstläufer. Die Arbeit
der Stiftung soll und wird dazu beitragen, dieses wichtige
Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten. Die
Gründung der Stiftung Geld und Währung ist das Er-
gebnis eines intensiven Dialoges mit deutschen Finanz-
und Wirtschaftswissenschaftlern. Dieser Dialog ergab
einen Forschungsbedarf in verschiedenen Bereichen.
Exemplarisch möchte ich an dieser Stelle hat es in der
Vergangenheit manchmal gehapert die Umsetzung von
Forschungsergebnissen in politisches Handeln nennen. Es
stellt sich dabei die Frage, wie sich theoretische Modelle
zu konkreten Handlungsempfehlungen weiterentwickeln
lassen.
Weitere Forschungsfelder sind die Interaktionen
währungs- und geldpolitischer Institutionen in Europa
und mit den Institutionen anderer Politikbereiche. Nicht
zuletzt benötigen wir Ursachenforschung und Prävention
in Bezug auf Währungs- und Bankenkrisen.
Neben der Intensivierung bestehender Forschung be-
treten wir mit der Förderung rechtswissenschaftlicher
Forschung Neuland. Die qualifizierte Arbeit des Sachver-
ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli-
chen Entwicklung, der Bundesbank und der Wirtschafts-
forschungsinstitute erfährt somit eine sinnvolle
Ergänzung. All diesen Einrichtungen ist gemein, dass sie
eher anwendungsorientiert arbeiten und sich stark mit
dem aktuellen Geschehen beschäftigen; das soll auch so
sein. So müssen beispielsweise Forschungsergebnisse der
Bundesbank immer einen gewissen Bezug zur aktuellen
Geldpolitik Europas wahren, da diese als Teil des
Euro-Systems der genauen Beobachtung der Finanz-
märkte unterliegt.
Eine formal unabhängige Stiftung hingegen, die sich
vornehmlich der Grundlagenforschung widmen wird,
kann ihre Forschung mit einer größeren Unabhängigkeit
vom finanz- und währungspolitischen Tagesgeschehen
betreiben, zum Beispiel bei der Erarbeitung möglicher Al-
ternativen zur aktuellen Geld- und Währungspolitik.
Angesichts der fortschreitenden Integration und Ver-
flechtung der globalen Finanzmärkte stellt die Gründung
der Stiftung Geld und Währung eine notwendige und
sinnvolle Investition dar. Mit dieser Meinung stehen wir
keinesfalls alleine da. Auch die EZB hat die Absicht der
Regierung ausdrücklich begrüßt, die Bedeutung von sta-
bilem Geld in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen und zu
bewahren. Die Gründung der Stiftung Geld und
Währung mit einer soliden und kontinuierlichen Finanz-
ausstattung bietet hierfür das geeignete Fundament. Der
von Ihnen geforderte Verzicht auf die Gründung der Stif-
tung ist vor dem Hintergrund dieser Sachlage nicht zu
rechtfertigen. Ihr durchaus ehrbarer Versuch, sich für
Kunst und Kultur einzusetzen, ändert an dieser Tatsache
nichts.
Wie Ihnen bekannt ist, stehen alle Verkaufserlöse, die
die Summe von 100 Millionen DM übersteigen, unmittel-
bar für die Restaurierung der Museumsinsel zur Verfü-
gung. Je nach aktuellem Goldkurs werden das zwischen
50 und 60 Millionen DM sein. Hinzu kommen die Son-
dermittel der Bundesregierung zur Herrichtung der Berli-
ner Museumsinsel. Diese lassen wir uns innerhalb von
zehn Jahren insgesamt 250 Millionen DM kosten. Dieser
Betrag wird der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über ei-
nen Zeitraum von zehn Jahren als Kofinanzierungs-
mittel Bund, EU, Land zusätzlich zu den Leistungen
im Rahmen der Hauptstadtkulturförderung zur Verfügung
gestellt. Angesichts dieser kontinuierlichen Kulturförde-
rung auf so hohem Niveau braucht auch Ihnen, meine Da-
men und Herren von der F.D.P.-Fraktion, um die Zukunft
des UNESCO-Weltkulturerbes Museumsinsel nicht
bange zu sein.
Die Idee des Gesetzentwurfes verknüpft Währungs-
und Finanzpolitik auf der einen Seite und Kulturförde-
rung auf der anderen Seite. Der so eingeschlagene Weg,
Mittel für Kultur über den Verkauf von Münzen zu ge-
winnen, ist nicht beliebig übertragbar. Man überlege sich
die Sogwirkung auf viele Vorhaben auch außerhalb der
Kultur, so in Bereichen wie Soziales, Bildung, Sport usw.,
die zu unterstützen ebenfalls sinnvoll wäre. Auch diese
würden sicher gerne 100 Millionen DM verplanen. Hier
galt es eine einmalige Wahl zu treffen. Ich denke, das ist
uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in verantwor-
tungsvoller Weise gelungen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf
Ihr Verständnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rexrodt,
soweit Sie sich zu kulturellen Inhalten ausgesprochen ha-
ben, kann ich Ihnen weitgehend zustimmen. Deswegen
kann ich es relativ kurz machen.
Wir unterstützen diesen Gesetzentwurf, weil wir es be-
grüßen, dass die Mittel netto der Kultur zufließen und
nicht in einem Haushalt oder sonst wo untergehen. Wenn
wir uns gegen die Stiftung aussprechen, dann sprechen
wir uns nicht gegen die Bundesbank aus, die diese Stif-
tung ja verwalten soll, sondern dagegen, dass zusätzliche
Bürokratie neue Apparate, Posten und Ähnliches ge-
schaffen wird. Wir sind der Meinung, dass das Thema
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Ingrid Arndt-Brauer
16494
Währung von Universitäten und anderen Institutionen
von Amts wegen ausreichend begleitet wird, sodass es ei-
ner besonderen Stiftung nicht bedarf und die Mittel bei
der Museumsinsel besser angelegt sind.
Ich würde mich freuen, wenn diese schöne Münze eine
weite Verbreitung finden würde und wenn sich diese, so-
zusagen zum Abschied der D-Mark, weite Bevölkerungs-
kreise leisten könnten. Allerdings wenn wir schon über
Geld sprechen : Angesichts einer Inflationsrate von
2,8 Prozent habe ich doch erhebliche Zweifel, ob sich ge-
rade die breite Bevölkerung daran beteiligen kann.
Wir werden dem Entwurf zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Reden werden im-
mer kürzer.
Jetzt spricht die Kollegin Dr. Antje Vollmer für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Rexrodt, die F.D.P. versucht den Eindruck zu erwecken,
als tue der Bund nicht genügend für das Weltkulturerbe
Museumsinsel. Diesem Eindruck muss ich mit allem
Nachdruck widersprechen. Sie haben, so finde ich, über-
haupt eine seltsame Begabung, meine Damen und Herren
von der F.D.P., gerade die erfolgreichen Projekte der Bun-
desregierung mit einem eigenen Antrag begleiten zu wol-
len.
Dasselbe werden wir beim Stiftungsrecht erleben; dazu
kommen wir ja demnächst.
Ich bestehe aber darauf: Es war die Bundesregierung,
die die Bedeutung der Museumsinsel als kultureller
Schatz anerkannt und diese nicht nur materiell gefördert
hat, sondern auch ihre gesamte Bedeutung ins öffentliche
Bewusstsein gehoben hat. Ich verweise darauf, dass es der
Kanzler persönlich ist, der dies zu einem seiner Lieb-
lingsprojekte erklärt hat.
Über den Wert und den Rang dieses Unternehmens müs-
sen wir uns also nicht streiten. Ganz im Gegenteil: Was
auf der Museumsinsel gebaut werden wird, ist ein einzi-
ger Traum. Sie kann konkurrieren mit allem, was es an
großen Museen in der Welt gibt. Sogar der Leiter des Lou-
vre hat gesagt, das werde bedeutender sein als das, was
man in Paris hat. Um ein solch großartiges Projekt geht es.
Hören Sie doch bitte einmal zu.
Ich bin froh trotz mancher ironischer Bemerkung ,
dass das Thema heute auf der Tagesordnung steht. Denn
ich glaube, dass dieses Projekt derzeit in der Tat aller-
dings anders, als Sie das meinen an einem ganz ent-
scheidenden Punkt angelangt ist. Auch ich habe mit dem
Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gespro-
chen und auch ich weiß, dass es in der nächsten Woche zu
einer hochdramatischen Situation kommen kann: Der
Masterplan, der von allen Verantwortlichen bisher exakt
eingehalten worden ist sowohl in Bezug auf den Zeit-
rahmen als auch in Bezug auf den finanziellen Rahmen ,
ist gefährdet, und zwar deswegen, weil das Land Berlin
die 55 Millionen DM für die Jahre 2000 und 2001, deren
Bereitstellung es bis zum nächsten Jahr zugesagt hat, of-
fensichtlich nicht zahlen kann.
Was steckt dahinter? Das Land Berlin hat 25 Milli-
onen DM und 30 Millionen DM aus dem Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung beantragt. Diese Gelder
werden aber erst in den Jahren 2003 bis 2005 abfließen.
Nun haben wir mit der Berliner Finanzverwaltung lei-
dige Erfahrungen gemacht. Da könnte ich manches Kla-
gelied anstimmen. Aber in diesem Fall liegt eine Ver-
pflichtungsermächtigung vor, und zwar basierend auf
Beschlüssen des Hauptausschusses vom 14. März und
4. April dieses Jahres. Somit geht es nur darum, dass der
Bund in Vorleistung tritt und sich die Berliner verpflich-
ten, das Geld umgehend zurückzuzahlen, sobald die Mit-
tel aus dem europäischen Fonds da sind, und dann, wenn
diese Mittel nicht kommen sollten das ist der entschei-
dende Punkt , diesen Betrag aus anderen Ressourcen zu
bezahlen. Es gibt also eine doppelte Verpflichtungser-
mächtigung des Landes Berlin. Das ist anders als in an-
deren Fällen.
Angesichts dieser aktuellen Situation bin auch ich
dafür, den Bundesfinanzminister ausdrücklich seitens die-
ses Hauses und aller Kulturpolitiker aufzufordern, dafür
einzutreten, dass der Bund diese Mittel vorschießt, für de-
ren Rückerstattung er eine Verpflichtungsermächtigung
hat.
Was sonst droht, ist tatsächlich dramatisch: Wenn das
Büro des Architekten in der nächsten Woche aufgelöst
werden sollte, drohen ein Planungsverlust von anderthalb
Jahren sowie mögliche Regressforderungen. Das will si-
cherlich niemand in diesem Hause.
Weil wir so auf diese Situation, den Ernst der Lage hin-
weisen und einen ausdrücklichen Appell an den Finanz-
minister aussenden konnten, sich in diesem Fall zu bewe-
gen, bin ich für Ihren Antrag dankbar, obwohl ich ihn vom
Grundsatz her für nicht relevant halte. Aber ich bin dank-
bar dafür, dass wir auf diese Weise heute die Gelegenheit
hatten, darüber zu diskutieren. Meine Fraktion, die Kul-
turpolitiker und alle, denen etwas am Schicksal dieser
Museumsinsel liegt, unterstützen das ausdrücklich. Die-
ses Projekt ist sehr bedeutsam. Es darf auf gar keinen Fall
scheitern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Jochen-Konrad Fromme
16495
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel für die
PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Museumsin-
sel in Berlin-Mitte ein Architekturensemble von Weltgel-
tung und ein Touristenmagnet. Sie gehört zum UNESCO-
Weltkulturerbe. Das ist bereits mehrfach angesprochen
worden. Daher ist ein dauerhaft anhaltendes Engagement
der öffentlichen Hand in diesem Fall des Bundes sowie
des Landes Berlin für die Sanierung und Herrichtung
dieser herausragenden Stätte von Kunst und Architektur
unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz un-
abdingbar.
Anspruch und Wirklichkeit allerdings stimmen das
ist von der Kollegin Vollmer gesagt worden hier nicht
überein. Die Gründe für den drohenden Baustopp sind ge-
nannt worden. Ich halte den Vorschlag, den die Kollegin
Vollmer unterbreitet hat wonach der Bund zur Über-
brückung der zeitweiligen Finanzierungslücke des Lan-
des Berlin in Vorleistung tritt für richtig und unterstütze
ihn. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass das Land
Berlin durch das Engagement des Bundes für bundespoli-
tisch wichtige Kulturvorhaben in der Bundeshauptstadt
bereits eine ganze Reihe von Entlastungen erfahren hat.
Der Bundesfinanzminister ist von den Berichterstattern
im Haushaltsausschuss aufgefordert worden, einen derar-
tigen Vorschlag zu unterstützen. Er hat eine Prüfung zu-
gesagt.
Was den Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion, den Kol-
lege Dr. Rexrodt zusammen mit anderen Kolleginnen und
Kollegen seiner Fraktion eingebracht hat, betrifft, möchte
ich sagen, dass ich ihn für sehr lobenswert halte. Er hat in
vielen Punkten unsere Unterstützung verdient. In der Tat
könnte durch weitere Mittel aus der Stiftung Geld und
Währung, die aus dem Verkauf von 1-DM-Goldmünzen
stammen, eine zusätzliche Finanzierungsquelle für die
Sanierung und Herrichtung der Berliner Museumsinsel
mobilisiert werden. Ich sage ausdrücklich zusätzliche Fi-
nanzierungsquelle, weil uns daran gelegen sein muss,
dass sich die öffentlichen Hände, der Bund und das Land
Berlin, langfristig und auch über zeitweilige Finanzie-
rungsprobleme hinweg engagieren. Ich bin der Auffas-
sung, dass eine weitere Aufstockung der Leistungen des
Bundes im Rahmen des Einzelplanes 04/05 Kultur und
Medien durchaus angebracht wäre.
Deshalb sagen wir, dass die Mittel, die die Stiftung
Geld und Währung für finanzwissenschaftliche Unter-
suchungen einsetzen will, dort nicht gut angelegt wären,
auch ein bisschen Verschwendung wären. Sie werden dem
Euro-Kurs ich sage das etwas sarkastisch auch nicht
auf die Beine helfen. Es gibt genügend andere Quellen,
woraus diese finanzwissenschaftlichen Studien finanziert
werden können. Die Bundesbank hat hier ein gerüttelt
Maß an Verantwortung.
Deswegen ist es richtig, den Antrag der F.D.P.-Fraktion
zu unterstützen und die zusätzlichen Mittel für dieses Pro-
jekt der Berliner Museumsinsel einzusetzen, aber zu-
gleich darauf hinzuweisen, dass wir die öffentlichen
Hände dauerhaft nicht aus ihrer Verantwortung entlassen
dürfen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5274 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21, der zugleich der
letzte ist, auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Kersten Naumann, Rosel
Neuhäuser, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung des Naturschutzes und der
Landschaftspflege
Drucksache 14/5766
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
PDS-Fraktion die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1950 verlor die
Bundesrepublik rund 60 Prozent ihrer Feuchtgebiete. In
einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen gingen
80 Prozent der Kleingewässer verloren. Die norddeut-
schen Moore wurden auf die Hälfte reduziert.
Als Konsequenz dieser Entwicklung stehen heute, je
nach Artengruppen, 30 bis 70 Prozent aller Tier- und
Pflanzenarten auf der Roten Liste. Für diese Entwick-
lung wird an erster Stelle die Intensivierung der Land-
wirtschaft, insbesondere die Ausräumung, die Boden-
erosion und die seit 1996 wieder steigenden Dünger-
und Pestizidfrachten, verantwortlich gemacht. Danach
folgen der Flächendruck durch Verkehr, Gewerbe und
Siedlung sowie die Schadstofffrachten über den Luft-
pfad.
Das nicht mehr den Anforderungen einer modernen
Naturschutzpolitik genügende Bundesnaturschutzgesetz
ist nunmehr 25 Jahre alt. Umfassende Novellierungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 200116496
scheiterten stets am Widerstand der Bundesländer oder
der Wirtschaft.
Nunmehr hat das BMU Anfang Februar den Referen-
tenentwurf eines neuen Bundesnaturschutzgesetzes vor-
gelegt. Wir meinen, dieser Entwurf enthält manch Gutes,
drückt sich aber um die Kernfragen wie beispielsweise
das Verhältnis zur Landwirtschaft herum. Deshalb hat die
PDS einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Im Gegen-
satz zum Referentenentwurf des BMU ist in ihm vor al-
lem das Verhältnis zur Landwirtschaft verbindlicher und
sowohl für die Landwirte als auch für die Naturschutz-
behörden vollziehbarer gestaltet worden. Die Rechte der
Bürgerinnen und Bürger sowie der Verbände werden
deutlich gestärkt.
Das geltende Naturschutzgesetz zielt ausschließlich
auf den Schutz der Natur zum Erhalt der Lebensgrund-
lagen des Menschen ab. Das Ziel ist, die Leistungsfä-
higkeit des Naturhaushaltes zu erhalten. Die neue Ziel-
bestimmung in unserem Gesetzentwurf sieht dagegen
auch den Erhalt der Natur um ihrer selbst willen vor und
stellt deshalb auf die Funktionsfähigkeit des Naturhaus-
halts ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abwägung der
Naturschutzbelange mit den verschiedenen Formen der
Naturnutzung seien es Landwirtschaft, sei es Forst, Ver-
kehr oder Besiedelung durchzieht unseren Gesetzent-
wurf wie ein roter Faden.
Die PDS definiert klar die Betreiberpflichten für die
Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die so genannte gute
fachliche Praxis. Die diesbezüglichen Formulierungen im
Referentenentwurf sind dagegen nicht ausreichend, weil
die Betreiberpflichten dort wieder zu allgemein formuliert
werden. Eine klare Definition der Betreiberpflichten ist
aber zwingend für eine verlässliche und umsetzbare
Grenzziehung zwischen unentgeltlich einzufordernder
Rücksichtnahme der Landnutzer auf die natürliche Um-
welt und entgeltwürdigen ökologischen Leistungen. Sie
nutzt damit Landwirten genauso wie dem Naturschutz.
Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, beispielsweise
durch Baumaßnahmen, sind nach dem PDS-Entwurf die
Belange des Naturschutzes deutlich stärker zu berück-
sichtigen. Wir fordern bei Eingriffen eine Einverneh-
mensregelung mit den Naturschutzbehörden, um die bis-
herige Entwicklung zu korrigieren.
Die PDS sieht vor, 15 Prozent aller Landesflächen ei-
nem Biotopverbundsystem zur Verfügung und unter ent-
sprechenden Schutz zu stellen.
Eine Flächenvorgabe von mindestens 10 Prozent der Lan-
desfläche ist für die Länder im PDS-Entwurf verbindlich.
Der Bund soll aber über geeignete Instrumente dafür sor-
gen, dass künftig ein Gesamtanteil von insgesamt mindes-
tens 15 Prozent aller Landesflächen dem Biotopverbund-
system der Bundesrepublik zur Verfügung stehen.
Dabei soll ein geeigneter finanzieller Ausgleich zwi-
schen Bundesländern organisiert werden, so zwischen
Ländern, die aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Natur-
ausstattung große Aufwendungen für den Naturschutz
bzw. Nutzungsbeschränkungen haben, und Ländern, die
nur den genannten Mindestanteil ausweisen können. Öko-
logisch bedeutsame Flächen sind bei uns, soweit sie Ei-
gentum des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sons-
tiger Gebietskörperschaften sind, im Grundsatz von
Privatisierungen ausgeschlossen.
Der PDS-Entwurf enthält eine Verpflichtung zur
flächendeckenden Landschaftsplanung. Bislang stand
diese unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Gerade bei
der Ausweisung der FFH-Gebiete hat sich aber gezeigt,
dass die Bundesländer oft nicht in der Lage sind, korrekte
Angaben zu ihrem natürlichen Inventar und deren Vernet-
zung zu machen. Wir sehen da übrigens auch ein Potenzial
für hoch qualifizierte und attraktive Arbeitsplätze.
Unser Entwurf schlägt weiterhin eine Novellierung der
Verwaltungsgerichtsordnung vor. Es sollen zum einen
eine Verbandsklage auf Bundesebene eingeführt und zum
anderen die bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten der
Bürger ausgedehnt werden.
Bisher können Vorhaben unter Regie des Bundes lediglich
von direkt in ihren Rechten Betroffenen, aber nicht von
Verbänden als Interessenvertreter der natürlichen Um-
welt beklagt werden. Das muss sich ändern.
Wir erleichtern mit unserem Entwurf weiterhin den
Ablauf des Handels mit Wildtieren in Verwaltung und
Vollzug, und zwar durch eine Positivliste. Ab 2003 sollen
Einfuhren nur noch von überprüften Arten genehmigt
werden. Die Nachweispflicht der Unbedenklichkeit liegt
damit nicht länger aufseiten des Artenschutzes, sondern
aufseiten des Handels.
Herr Trittin hat nun eine Vorlage im Parlament. Der Re-
ferentenentwurf seines Hauses muss sich falls er nicht
wieder einmal beerdigt wird an unserem Entwurf mes-
sen lassen. Wir hoffen deshalb, dass sich bezüglich des
BMU-Entwurfs noch etwas bewegt. Die Umweltver-
bände werden dies sicher sorgfältig beobachten.
Zum Schluss: Vielen Dank für die große Beteiligung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die
Aussprache, da die Kolleginnen und Kollegen Christel
Deichmann, Franz Obermeier, Sylvia Voß und Marita
Sehn ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5766 an die in der Tagesordnung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 168. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2001
Eva Bulling-Schröter
16497
1) Anlage 2
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 16. Mai 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.