Gesamtes Protokol
Guten Morgen, mei-ne Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Dr. Rolf Bau-er, der am 5. März seinen 60. Geburtstag feierte, unddem Kollegen Dieter Maaß , der am 7. Märzebenfalls seinen 60. Geburtstag beging, nachträglich imNamen des ganzen Hauses sehr herzlich.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müsseneinige Nachwahlen zu Gremien vorgenommen werden.Aus dem Kontrollausschuß beim Bundesausgleichs-amt scheidet der Kollege Jochen Welt als ordentlichesMitglied aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfol-ger den Kollegen Günter Graf , der bisherstellvertretendes Mitglied war, und als neues stellver-tretendes Mitglied den Kollegen Hans-Peter Kempervor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind der KollegeGraf als ordentliches und der Kollege Kemper als stell-vertretendes Mitglied in den Kontrollausschuß beimBundesausgleichsamt gewählt.Für den noch offenstehenden stellvertretenden Sitz imWahlprüfungsausschuß schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Steffi Lemke vor. Sind Sieauch damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-spruch. Damit ist die Kollegin Steffi Lemke als stell-vertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschußgewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktlistevorliegenden Punkte zu erweitern:ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Stand derAgenda 2000 nach dem Rücktritt der europäischen Kom-missionZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Hauss-mann, Ulrich Heinrich, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Agenda2000 – Die Europäische Union erweiterungs- und zu-kunftsfähig machen – Drucksache 14/547 –ZP4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.:Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaineund Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuerge-setzenZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury,Ernst Schwanhold, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz(Leipzig), Margareta Wolf und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Initiative gegen die Auswir-kungen der asiatischen Finanzkrise und des internationa-len Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäi-sche Werftindustrie – Drucksache 14/540 –ZP6 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rütt-gers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abge-ordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Staatsangehö-rigkeitsrechts – Drucksache 14/535 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers,Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU: Modernes Ausländerrecht– Drucksache 14/532 – c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers,Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU: Integration und Toleranz– Drucksache 14/534 –ZP7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ralf Brauksiepe,Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU: Europäische Ent-wicklungszusammenarbeit reformieren – Drucksache14/537 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Günther,Gerhard Schüßler, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigenverantwortlich-keit der AKP-Staaten fördern – Drucksache 14/531 –ZP8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Hal-tung der Bundesregierung zu den u.a. durch die ökologi-sche Steuerreform bedingten Tariferhöhungen der Deut-schen Bahn AG unter besonderer Berücksichtigung derzusätzlichen Belastungen in den neuen BundesländernWeiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungs-punkt 5c – es handelt sich um die Sammelübersicht 12zu Petitionen – sowie das Integrationsförderungsgesetz,das ursprünglich mit der Beratung zur Reform desStaatsangehörigkeitsrechts unter Tagesordnung 9b vor-gesehen war, abzusetzen.Außerdem weise ich auf eine nachträgliche Aus-schußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste hin:
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Der in der 19. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-sene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschußfür Angelegenheiten der neuen Länder zur Mitberatungüberwiesen werden.Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fi-scher , Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUDas Wohngeld jetzt und familiengerecht reformieren– Drucksache 14/292 –
Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konnte manin diesen Tagen entnehmen, daß der Wirtschaftsministerund designierte Übergangs- und AushilfsfinanzministerMüller gesagt hat:Wenn ich die Schätzungen der Industrie gekannthätte, hätte ich der Steuerreform– um sie geht es morgen im Bundesrat –im Kabinett nicht zugestimmt.
Der Kollege Mosdorf, Parlamentarischer Staatsse-kretär dieser Regierung, sagt – heute morgen in der„Welt“ nachzulesen –, daß selbstverständlich Korrektu-ren an diesem Vorhaben vonnöten seien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Chefdieses Unternehmens hüllt sich erst in Schweigen, dannin Kaschmir
und teilt dann vor wenigen Tagen über die „Bild“-Zeitung mit:Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaftmachen! . . . Es wird einen Punkt geben, wo ich dieVerantwortung für eine solche Politik nicht mehrübernehmen werde!Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier spricht der Bun-deskanzler über die Politik der ersten fünf Monate seinerRegierung. Der Fahrer des Wagens dieser Chaos-Combozieht in der Einsicht des Scheiterns seiner Politik dieKonsequenz und begeht Unfallflucht. Er hinterläßt einenScherbenhaufen sowohl im nationalen wie im europäi-Präsident Wolfgang Thierse
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schen Bereich. Darüber werden wir nachher noch disku-tieren.
– Nein. Keine Sorge, Herr Fischer. Und ich habe esselbst finanziert.
Das Thema ist so ernst – deshalb müssen wir heutedarüber diskutieren –, weil wir seit dem Amtsantritt derSchröder-Regierung in der Bundesrepublik Deutschlandeine halbe Million Arbeitslose mehr haben, weil derRückgang der Investitionsquote beängstigend ist undweil die Frühindikatoren bezüglich der zukünftigenwirtschaftlichen Entwicklung geradezu besorgniserre-gend sind.Wir haben eine einmalige Situation. Die Mehrheit indiesem Hohen Hause hat gegen unseren Widerstand dreiGesetze durchgepeitscht.
Nun erkennt man die Schwächen. Man will korrigieren.Man nutzt aber nicht die letztmögliche Chance für dieseKorrektur.Genau hier setzt unser Antrag an. Morgen stehen imBundesrat diese drei Gesetze auf der Tagesordnung.Wenn der Bundesrat gegen jegliche ökonomische Ver-nunft aus parteipolitischen Interessen heraus morgendiese drei Gesetze durchwinkt, dann wird dies verhäng-nisvolle Auswirkungen für den Mittelstand, für die Ga-stronomie, für die Versicherungswirtschaft, für dieEnergiewirtschaft, für die Braunkohle, für die neuenLänder haben, und dies in einer Zeit, wo wir bereitswieder eine Trendwende zum Negativen auf dem Ar-beitsmarkt haben.Deshalb, Herr Präsident, erwarten wir, daß dieserAntrag heute auf die Tagesordnung kommt, damit wiruns austauschen können, damit wir an den Bundesratappellieren können, Abstand von diesem verhängnis-vollen Vorhaben zu nehmen und Korrekturen möglichzu machen, damit sich die Ministerpräsidenten der SPD,seien es Glogowski oder Clement, seien es Stolpe oderHöppner, dem Beispiel der Ministerpräsidenten von Ba-den-Württemberg, Sachsen und Bayern anschließen undden Vermittlungsausschuß anrufen.
Bundeskanzler Schröder ist mit dem Versprechen an-getreten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn es ihmmit seiner Aussage Ernst ist, daß er nicht gegen dieWirtschaft regieren möchte, dann bedeutet dies, daß erdieses unheilvolle Vorhaben stoppt. Er hat morgen überdie SPD-Mehrheit im Bundesrat die Möglichkeit dazu.Wir fordern ihn nachhaltig auf, diese Möglichkeit zunutzen. Dieser Bundeskanzler hat einen Amtseid auf dieVerfassung und nicht auf eine Parteifibel geleistet. Ersoll dem Amtseid gerecht werden. Deshalb bitten wirdarum, daß wir dieses Thema heute – unserem Antragentsprechend – auf die Tagesordnung setzen und disku-tieren.
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat Kollege Wilhelm Schmidt.
Guten Mor-gen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Jeder hier im Saal weiß: Dasist jetzt die sechste Geschäftsordnungsdebatte, die dieOpposition vom Zaun bricht.
Es ist übrigens schon die zweite, die sich gegen dasSteuerentlastungsgesetz wendet. Da muß ich zunächsteinmal fragen: Wo sind denn Ihre konkreten Anträgezum Steuerentlastungsgesetz?
Sie haben hier bisher nur Obstruktion betrieben. Nichtein einziger Vorschlag von Ihnen liegt auf dem Tisch,der sich damit beschäftigt, wie Sie denn die Steuerre-form angehen würden. Insofern müssen wir zunächsteinmal registrieren, daß Sie hier ins Leere laufen wer-den.
Sie werden nicht nur wegen der Mehrheitsverhältnis-se hier im Hause ins Leere laufen, an die Sie sich offen-sichtlich noch immer nicht gewöhnen wollen oder kön-nen, sondern auch wegen der rechtlichen Schwäche Ih-rer Anträge. Wir sind überrascht, meine Damen undHerren von der CDU/CSU und von der F.D.P., daß Sieuns nicht schon wieder damit kommen, daß wir mögli-cherweise Verfassungsbruch begangen hätten, wie Sie inden vergangenen Geschäftsordnungsdebatten behauptethaben. Insofern erreicht Ihre heutige Antragstellung eineneue Dimension: Sie werfen uns nicht Verfassungsbruchvor, sondern Sie rufen andere Verfassungsorgane zumVerfassungsbruch auf. Das hat nun wirklich eine ganzneue Qualität.
Eigentlich bin ich es leid, Ihnen hier jedesmal Nach-hilfeunterricht in Parlamentsrecht und in Verfassungs-recht zu geben. Aber wenn es denn sein muß, dann willich Ihnen das gerne in aller Genauigkeit erklären. SoweitSie die Bundesregierung auffordern, wegen eines Ein-spruchsgesetzes, nämlich wegen des Ökosteuergesetzes,den Vermittlungsausschuß anzurufen, ist das verfas-sungsrechtlich schlicht unzulässig. Anrufungsberechtigtin diesen Fällen ist allein der Bundesrat. Damit Sie dasHans-Peter Repnik
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auch nachlesen können, nenne ich Ihnen die Fundstelle:Das steht in Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes – nur da-mit Sie Bescheid wissen.
Soweit die Bundesregierung aufgefordert werden soll,den Vermittlungsausschuß wegen Zustimmungsgeset-zen, nämlich wegen des Steuerentlastungsgesetzes unddes Gesetzes zur Regelung der geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnisse, anzurufen, ist das schlicht kurios.Hier sind zwar neben dem Bundesrat auch Bundestagund Bundesregierung zur Anrufung berechtigt – dassteht in Art. 77 Abs. 2 Satz 4 –, aber erst dann, wennfeststeht, daß der Bundesrat das Gesetz scheitern lassenwird. Das ist übrigens – damit Sie auch das nachlesenkönnen – die einhellige Meinung der Kommentatoren;ich verweise auf Maunz/Dürig/Herzog zu Art. 77, Rand-ziffer 15. Aber ich schenke es mir jetzt, Ihnen die weite-ren Fundstellen zu nennen.Zweck der Anrufungsmöglichkeit der Bundesregie-rung bei Zustimmungsgesetzen ist es, den Bundesratmöglichst zur Annahme des Gesetzentwurfs zu bewegenund nicht zur Ablehnung. Also ist das, was Sie da ma-chen, widersprüchlich.Soweit der Bundesrat aufgefordert werden soll, denVermittlungsausschuß anzurufen, offenbart dies ein ge-störtes Verfassungsverständnis gegenüber unserer föde-rativen Rechtsordnung. Mit dem Gesetzesbeschluß inder zweiten und dritten Lesung endet nämlich die Dis-positionsbefugnis des Deutschen Bundestages. Sie aberglauben, wir könnten von hier aus den Bundesrat imRahmen einer erneuten Debatte auffordern, etwas ande-res zu machen als das, was wir ihm vor einigen Wochenmit dem Abschlußbericht zu diesem Gesetz auf denTisch gebracht haben.
Das ist schlicht gesetzeswidrig. Es ist ein Verfassungs-bruch, zu dem Sie aufrufen wollen. Das machen wirnicht mit.
Daß für Ihre Anträge kein Aufsetzungsrecht besteht,wissen Sie ohnehin. Von daher brauchen wir nicht auchnoch die Geschäftsordnung zu zitieren.Daß Sie aber mit der Zielsetzung Ihrer Anträge auchim politischen Sinne verantwortungslos handeln, will ichdoch noch erwähnen. Wir alle wissen, daß Sie aus-schließlich zerstörerisch tätig sein wollen. Von daherweisen wir Sie noch einmal auf folgendes hin: Wir wol-len eine Steuersenkung, und zwar für Familien sowieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wollen dieEntlastung des Mittelstandes. Das wird mit der von unseingebrachten Gesetzgebung erzielt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Siewürden im übrigen, wenn Sie mit Ihrem Antrag Erfolghätten, ein absolutes Chaos auf den Finanzmärkten undin den Staatskassen herbeiführen.
– Sie haben das ja an anderer Stelle schon vergeblichversucht. Das sollten Sie einfach einmal zur Kenntnisnehmen. Von daher lassen wir Ihr Vorgehen nicht zu.Ich will, da Sie sich gegen den bisher amtierendenBundesfinanzminister wenden, noch ein abschließendesWort zu seinem Rücktritt sagen: Wir lassen Oskar La-fontaine weder von Ihnen noch von Teilen der Öffent-lichkeit in der Weise niedermachen und mit Schmutzbewerfen, wie das zum Teil geschehen ist.
Wir bedauern seinen Rücktritt, und wir danken ihm fürseine großen Leistungen, die er in den vergangenen Mo-naten und Jahren hier und an anderer Stelle erbracht hat.
Ich stelle fest – denn ich empfinde Ihre Verfahrensweiseals nicht menschenwürdig –:
Wir danken ihm nicht nur, sondern wir wünschen ihmauch persönlich für die Zukunft alles Gute.
Für die F.D.P.-
Fraktion erteile ich dem Kollegen Jörg van Essen das
Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! All das gekünstelte Begrün-den des Kollegen Schmidt hilft über eines nicht hinweg:Es geht nicht an, daß im ganzen Land und in vielenHauptstädten der Welt immer noch über den Rücktrittdes SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Os-kar Lafontaine heftig diskutiert wird und daß wir imParlament, dem er als Finanzminister rechenschafts-pflichtig ist, gehindert werden, darüber zu debattieren.
Es ist auch nicht hinnehmbar, daß sich die Menschenin Deutschland zu Recht darüber wundern, daß sie ihreigenes Beschäftigungsverhältnis nicht einfach aufgebenkönnen, ohne Kündigungsfristen einzuhalten, und daßsie nicht einfach den Bettel hinschmeißen können, ohnedie Folgen zu tragen, daß aber der Bundesfinanzministerdas offensichtlich tun kann. Wir wollen darüber spre-chen, ob das so richtig ist.
Wilhelm Schmidt
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Es muß uns im Parlament doch herausfordern, daßOskar Lafontaine ein schlechtes Mannschaftsspiel in-nerhalb der Regierung kritisiert und daß Minister Trittinvon den Grünen das rotgrüne Experiment für gescheiterterklärt. Wir wollen von der Regierung erfahren, was siedazu zu sagen hat.
Es ist schlicht unerträglich, daß wir uns tagtäglich vonSPD-Ministerpräsidenten anhören müssen, wie schlechtdie von Rotgrün durchgeboxten Steuergesetze sind. Wirwollen hören, was die Regierung dazu zu sagen hat.
Wir nehmen es nicht hin, daß mitten in den Haus-haltsberatungen und während der deutschen EU-Präsidentschaft das wichtige Amt des Finanzministersvom Bundeswirtschaftsminister als Nebenjob wahrge-nommen wird. Wir möchten hier im Parlament darübersprechen, ob das so geht.
Wir nehmen es auch nicht hin, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende für die Osterpause eine teure Son-dersitzung des Bundestages ankündigt – nur damit derabgewählte hessische Ministerpräsident sein Verspre-chen brechen und morgen im Bundesrat Gesetzen zu-stimmen kann, von denen alle wissen, daß sie geändertwerden müssen. Wir wollen das hier im Parlament zumAusdruck bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das macht deut-lich: Ein Parlament, das wichtige Fragen beiseite schiebtbzw. übergeht, gibt sich auf. Wie schlecht muß eigent-lich die Lage der Koalition, wie schwach müssen ei-gentlich die Argumente sein, wenn man sich hier derDebatte nicht stellt? Wir verlangen eine Ausspracheüber diese Fragen.
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Kollegin Kri-
stin Heyne.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Eine Geschäfts-ordnungsdebatte am Donnerstagmorgen zu führen, daswird allmählich zu einer regelmäßigen, schlechten An-gewohnheit.
Diesmal liegen sogar zwei Anträge vor. Kollege van Es-sen, nachdem die CDU/CSU hier einen verfassungsmä-ßig unhaltbaren Antrag eingebracht hat – der KollegeSchmidt hat das dargestellt –, habe ich gedacht, Siewollten das korrigieren. Aber als ich in Ihren Antraghineingeschaut habe, mußte ich feststellen, daß Sie denUnfug wortwörtlich von der CDU/CSU abgeschriebenhaben. Wollen Sie den Bundestag tatsächlich dazu auf-fordern, daß er dem Bundesrat vorschreibt, wie er abzu-stimmen hat? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das istverfassungsmäßig völlig unhaltbar.
Aber, meine Damen und Herren, die F.D.P. will janoch ein bißchen mehr. Die F.D.P. hat die Stirn, dieneue Bundesregierung aufzufordern, bis zum 21. Juni –das Datum wird exakt benannt – das Verfassungsge-richtsurteil zum Familienlastenausgleich umzusetzen.Das fordert die F.D.P., nachdem sie 29 Jahre lang in derRegierung war, nachdem sie 29 Jahre die Möglichkeitdazu hatte.
Sie sind vom Bundesverfassungsgericht mehrfach, inverschiedenen Urteilen, aufgefordert worden, endlichdie Familien zu entlasten.
All diese Jahre über haben Sie – das war verfassungs-widrig – den Familien zu hohe Steuern aufgebürdet,
und jetzt haben Sie die Unverfrorenheit, für die Bera-tung eines solchen Antrags auch noch eine extra Debattezu beantragen. Meine Damen und Herren von derF.D.P., das machen wir ganz sicher nicht mit.
Sie nutzen das Mittel der Geschäftsordnungsdebatte,um ein weiteres Mal Ihre Horrormeldungen in die Weltzu blasen.
Man kann da lesen, daß insbesondere für die mittelstän-dische Wirtschaft die Auswirkungen der Steuerreformenkatastrophal seien. So tönt der bewährte Chor von Ver-bandssprechern und schwarzgelben Politikern. Henkel,Hundt, Stihl
und Vertreter von CDU und F.D.P. tragen gern die Fah-ne des Mittelstands vor sich her; aber der Karren, vorden sie gespannt sind, ist der Karren der großen Konzer-ne und der Großindustrie.
Jörg van Essen
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2142 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Mit Ihren hier im Eilverfahren eingebrachten Anträgenspielen Sie ein weiteres Mal den Retter des Mittelstan-des. Sie hatten viele, viele Jahre Zeit, den Mittelstand zuunterstützen; Sie haben das versäumt. Wir setzen jetztmit beiden Steuerprojekten, mit der Einkommensteuer-reform und mit der Ökosteuer, Bedingungen, die eineEntlastung des Mittelstandes ermöglichen.
Das ist notwendig für die Schaffung von Arbeitsplätzen,und das tun wir.
Meine Damen und Herren von der Opposition, diebisher vorgelegten Steuergesetze sind der erste Schritt;das wissen auch Sie. Es wird eine Reform der Unter-nehmensbesteuerung folgen. Wir haben in der Koalitiongemeinsam das Ziel dieser Reform festgelegt – Sie kön-nen das in unserem Koalitionsvertrag nachlesen –: Wirhaben vor, die Unternehmensteuern auf 35 Prozent zusenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-sition, eine Aufforderung dazu von Ihrer Seite ist über-haupt nicht notwendig.Aber notwendig ist, daß das inzwischen schon hyste-rische Herunterreden und Schlechtreden der Investiti-onsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschlandendlich aufhört.
Auch Sie, meine Damen und Herren von den Oppositi-onsparteien, und die Ihnen nahestehenden Institute undVerbände müssen endlich Verantwortung für die fahr-lässig überzogene Kritik, die Sie äußern, übernehmen.Eine starke Wirtschaft und einen guten Wirtschafts-standort kann man auch kaputtreden. Ich fordere Sie auf:Kehren Sie zu einem Mindestmaß an politischer Red-lichkeit in dieser Debatte zurück, insbesondere auch inder Debatte in diesem Haus!
Es ist natürlich Ihre Pflicht als Opposition, unsereArbeit als Regierungsfraktionen kritisch zu beäugen undkritisch zu begleiten. Dazu gehört auch das Mittel derGeschäftsordnungsdebatte; das ist völlig klar. Aber dieInflation an Geschäftsordnungsauseinandersetzungen,die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, wirddem Ernst der Aufgabe, endlich die skandalös hohe Ar-beitslosigkeit in diesem Land zu bekämpfen, nicht ge-recht.
Meine Damen und Herren von der Opposition, mitder grundlegenden Reform der Unternehmensbesteue-rung haben wir eine wichtige, schwierige und viel zulange vernachlässigte politische Aufgabe übernommen.Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns in einen konstrukti-ven Wettstreit um vernünftige Lösungen für diese Auf-gabe eintreten! Dann erfüllen wir unseren Auftrag.
Für die Fraktion der
PDS spricht nun der Kollege Roland Claus.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Das Grundanliegen der beiden Geschäfts-ordnungsanträge, die uns vorliegen, ist, drei Gesetze zukippen, die wir erst kürzlich beschlossen haben, weil einmaßgeblicher Erfinder dieser Gesetze zurücktrat.Die PDS hat zweien dieser Gesetze nicht zugestimmtund sich bei einem enthalten. Demnach stehen wir die-sem Vorgang aufgeschlossen gegenüber.
Wir können dies im einzelnen mit einiger Unbefangen-heit beleuchten. Die Unbefangenheit begründet sich ausder Tatsache, daß wir zwischen den alten und den neuenRegierungsfraktionen stehen.
– Sie müssen doch zugeben: Den Zustand, daß wir be-teiligt gewesen sind, hatten wir noch nicht.In der Frage der rechtlichen Beurteilung der beidenGeschäftsordnungsanträge können wir uns diese Unbe-fangenheit durchaus leisten. Aber beide Anträge habendiametrale Vorzüge und Schwächen. Der F.D.P.-Antragist rechtlich wesentlich korrekter als der der CDU/CSU;aber er ist aus unserer Sicht – dazu komme ich noch –politisch-moralisch unvertretbar.
Der CDU/CSU-Antrag geht unseres Erachtens politischin Ordnung, hat aber gravierende verfassungsrechtlicheFehler.
Was nun tun? Wir halten den CDU/CSU-Antrag fürheilbar. Hätten Sie den Antrag doch in zwei Teilen ge-stellt: Erstens hätten Sie einen Gesetzentwurf zur Auf-hebung der drei Gesetze einbringen können und zwei-tens einen Antrag, die Verhandlungen im Bundesratmöglichst aufzuhalten. Dann wäre es möglich gewesen,dem zuzustimmen.
Kristin Heyne
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Wir denken, daß dieser Fehler bei der Behandlung be-hoben werden kann, und werden deshalb demCDU/CSU-Antrag zustimmen.
Der F.D.P.-Antrag geht formalrechtlich in Ordnung.Zudem wird die SPD bei Tricksereien erwischt. Aber IhrAntrag ist so voller Häme gegenüber Oskar Lafontaineund menschlich daneben, daß wir ihn ablehnen. Ein sol-ches Nachtreten machen wir einfach nicht mit.
Sie haben übrigens eine Glaubwürdigkeitslücke, weilSie einerseits den Rücktritt begrüßt haben und ihn ande-rerseits hier bejammern.In diesem Sinne unser Fazit: Der CDU/CSU-Antraghat rechtliche Schwächen, die heilbar sind; er geht poli-tisch in Ordnung. Der F.D.P.-Antrag ist moralisch dane-ben. Unser Votum habe ich Ihnen mitgeteilt.
Wir kommen zurAbstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantragder CDU/CSU? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Ent-haltungen? – Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stim-men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der F.D.P.? –Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Auf-setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.Ich rufe den Zusatzpunkt 2, die Tagesordnungspunkte4 a und 4 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf:ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierungzum Stand der Agenda 2000 nach dem Rück-tritt der Europäischen Kommission4 a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSUAgenda 2000 – Europa voranbringen, einenfairen Interessenausgleich sichern– Drucksache 14/396 – b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungAgenda 20001. Eine stärkere und erweiterte Union
2. Die Erweiterung der Union – Eine Heraus-forderung
3. Zusammenfassungen und Schlußfolgerun-gen der Stellungnahmen der Kommission zuden Beitrittsanträgen zur Europäischen Unionfolgender Länder:– Bulgarien– Estland– Ungarn– Lettland– Litauen– Polen– Tschechische Republik– Rumänien– Slowenien– Slowakei– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungMitteilung der KommissionAgenda 2000:Die LegislativvorschlägeAllgemeiner Überblick– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschläge für Beschlüsse des Rates über dieGrundsätze, Prioritäten, unmittelbaren Zieleund Bedingungen der Beitrittspartnerschaften– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes über ein strukturpolitisches Instrumentzur Vorbereitung auf den Beitritt– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes über eine gemeinschaftliche Förderung fürMaßnahmen in den Bereichen Landwirtschaftund Entwicklung des ländlichen Raumes zurVorbereitung des Beitritts der Bewerberlän-der in Mittel- und Osteuropa während desHeranführungszeitraums– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes zur Koordinierung der Hilfe für die bei-trittswilligen Länder im Rahmen der Heran-führungsstrategie– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes mit allgemeinen Bestimmungen zu denStrukturfondsVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes über den Europäischen Fonds für regio-nale EntwicklungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes betreffend den Europäischen SozialfondsVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes über Strukturmaßnahmen im Fischerei-sektor– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung desRates zur Änderung der Verordnung
Nr. 1164/94 zur Errichtung des KohäsionsfondsRoland Claus
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2144 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Vorschlag für eine Verordnung des Ra-tes zur Änderung von Anhang II der Verord-nung Nr. 1164/94 zur Errichtung desKohäsionsfonds– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes betreffend die Reform der gemeinsamenAgrarpolitik– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungMitteilung der Kommission an den Rat unddas Europäische Parlament über die Erstel-lung einer neuen finanziellen Vorausschau fürden Zeitraum 2000–2006– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungDie Finanzierung der Europäischen UnionBericht der Kommission über das Funktionie-ren des Eigenmittelsystems– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungBericht über die Umsetzung der interinstitu-tionellen Vereinbarung vom 29. Oktober 1993über die Haushaltsdisziplin und die Verbesse-rung des HaushaltsverfahrensVorschläge für eine neue Vereinbarung– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Verordnung des Ra-tes zur Änderung der Verordnung
Nr. 2236/95 über die Grundregeln für die Ge-währung von Gemeinschaftszuschüssen fürtranseuropäische Netze– zu der Unterrichtung durch das EuropäischeParlamentEntschließung des Europäischen Parlamentszur Mitteilung der Kommission zur Agenda2000Erster Teil Kapitel II „Wirtschaftlicher undsozialer Zusammenhang“– zu der Unterrichtung durch das EuropäischeParlamentEntschließung des Europäischen Parlamentszur Agenda 2000 – Reform der GemeinsamenAgrarpolitik– zu der Unterrichtung durch das EuropäischeParlamentEntschließung des Europäischen Parlamentszur Mitteilung der Kommission „Agenda2000“: Finanzrahmen der Union für den Zeit-raum 2000–2006 und künftiges Finanzierungs-system– Drucksachen 13/8391, 14/272 Nrn. 192, 196,194, 202, 195, 199, 201, 200, 14/309 Nrn. 2.2,2.1, 2.5, 14/272 Nrn. 197, 203, 205, 14/342Nr. 1.4, 14/272 Nr. 193, 14/514 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Norbert WieczorekPeter HintzeChristian SterzingDr. Helmut HaussmannManfred Müller
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, SabineLeutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der F.D.P.Agenda 2000 – Die Europäische Union erwei-terungs- und zukunftsfähig machen– Drucksache 14/547 –Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsan-trag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grü-nen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluß an die Regierungserklä-rung drei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Wo-che werden die Staats- und Regierungschefs der Euro-päischen Union über die Agenda 2000, das heißt überzentrale Reformen der finanziell wichtigsten Aufgaben-bereiche der Europäischen Union, zu entscheiden haben:über Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik, derStrukturpolitik und des Beitragssystems sowie über denkünftigen Finanzrahmen der Union für den Zeitraum2000 bis 2006. Insgesamt reden wir über eine Größen-ordnung von um die 600 Milliarden Euro.Für alle Beteiligten geht es dabei um massive natio-nale Interessen und um sehr viel Geld. Entscheidend istjedoch die politische Bedeutung der Agenda 2000 fürdie Zukunft Europas. Mit einem erfolgreichen Abschlußin Berlin würde eine der beiden entscheidenden Hürdenfür die Osterweiterung der Europäischen Union aus demWeg geräumt. Dies wäre ein Signal an die Beitrittslän-der, daß sich die Europäische Union ernsthaft auf ihreAufnahme vorbereitet, und zugleich ein Ansporn, aufReformkurs zu bleiben. Ein Scheitern in Berlin würdedagegen den Zeitplan der Erweiterung gefährden. Dieswollen und dürfen wir keinesfalls zulassen.
Die Erweiterung ist nach der erfolgreichen Einfüh-rung des Euro das wichtigste Zukunftsprojekt der Euro-päischen Union. Die Bundesregierung wird alle An-strengungen unternehmen, um dieses Ziel schnellstmög-lich zu erreichen.
Präsident Wolfgang Thierse
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2145
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Zudem liegt die Erweiterung der Europäischen Unionnicht nur im europäischen, sondern vor allem auch imdeutschen Interesse.Aber, meine Damen und Herren, noch mehr steht aufdem Spiel. Eine Einigung über die Agenda 2000 wäreein notwendiges Signal an unsere Bürgerinnen und Bür-ger, daß die Europäische Union handlungsfähig bleibt.Damit wir die Zustimmung der Menschen zu Europa er-halten, müssen wir ihnen beweisen, daß die EU zu Re-formen und zu einer vernünftigen Haushaltspolitik in derLage ist. Wenn die Europäische Union gerade in der jet-zigen Lage – nach dem Rücktritt der Kommission – ihreHausaufgaben nicht macht, würde sie sich als hand-lungsunfähig und politisch zerrissen darstellen. Dieswürde zu einem Rückfall in nationale Eigensucht füh-ren.Der Rücktritt der Kommission stellt eine schwereBelastungsprobe für die laufenden Europageschäfte dar.Die Kommission hat mit ihrem Rücktritt die politischeVerantwortung für die in dem Bericht der „Unabhängi-gen Sachverständigen“ erhobenen Vorwürfe übernom-men. Dieser Schritt verlangt Respekt.So bedauerlich dieser präzedenzlose Vorgang ist, erzeigt doch auch, daß sich in Europa langsam, aber stetigeine europäische Öffentlichkeit und eine Stärkung derparlamentarischen Demokratie innerhalb der EU-Institutionen herauszubilden beginnt. Das muß man be-grüßen.
Von überragender Bedeutung ist es jetzt, sicherzu-stellen, daß der Abschluß der Agenda 2000 auf demBerliner Gipfel nicht gefährdet wird. In der gegenwär-tigen Situation wäre es ein verheerendes Signal für dieHandlungsfähigkeit Europas, die Agenda auszusetzen.Das ist auch die Meinung meiner EU-Kollegen, mit de-nen ich hierüber in engstem Kontakt stehe. Gerade jetztbraucht Europa dringender denn je den Erfolg bei derReform seiner Finanzverfassung.
Lassen Sie mich an diesem Punkt ganz kurz auf dieabwegige Kritik zu sprechen kommen, die am Bundes-kanzler geübt wurde, die Kritik, daß er auf dem Rücktrittder Kommission nicht bereits im Januar bestanden habe.
– „So war es doch!“ Ihre Zwischenrufe, Herr KollegeHaussmann, stehen wirklich im berechtigten Ruf, sichdurch besondere Intelligenz auszuzeichnen.
Sie zeichnen sich durch besondere Intelligenz deswegenaus, weil ich von Herrn Haussmann im Zusammenhangmit Europa immer nur die Forderung nach einemneuen Datum höre. Das ist das Ceterum censeoseiner europapolitischen Vorstellungen. Jetzt sehe ichihn – man könnte fast sagen: im Stile eines Horror-schockers – auf der B 9 mit einer „Gelben Karte für Rot-Grün“ dräuend auf die Autofahrer herabblicken. Das istsein Beitrag zum europapolitischen Wahlkampf.
Ich hoffe, Herr Haussmann zeigt uns noch lange die gel-be Karte. Ich kann Ihnen nur sagen: Man wird eher far-benblind, als daß sich politisch etwas ändert, wenn ei-nem Herr Haussmann die gelbe Karte zeigt.
Ich möchte Ihnen an diesem Punkt aber klar entge-genhalten: Die Kritik am Bundeskanzler ist deswegenabwegig, weil der Bundeskanzler auf dieser unabhängi-gen Untersuchung bestanden hat, und dies war richtig.
Die Vorgehensweise, die Sie vorgeschlagen haben, hättebedeutet, daß wir unmittelbar in einen schweren Kon-flikt unter anderem mit der französischen Regierung ge-raten wären. Das Insistieren auf einer unabhängigenUntersuchungskommission, auf dem „Rat der Weisen“– wie es mit dem Kommissionspräsidenten vereinbartwurde –, war eine richtige Vorgehensweise. Daß dieKommission daraus jetzt die politischen Konsequenzengezogen hat, war ebenfalls richtig und verdient unserenRespekt. Ich muß diese Kritik in aller Form zurückwei-sen.
Aber es kam in diesen Tagen noch toller. Der Vor-schlag aus der bayerischen Staatskanzlei und der CSU,von den Herren Huber, Stoiber und Glos, den Europäi-schen Rat in Berlin abzusagen, ist nicht nur europa-feindlich und verantwortungslos, er ist auch der Ver-such, der deutschen EU-Präsidentschaft in einer wirklichentscheidenden Phase für unser Land und für Europa inden Rücken zu fallen, und zwar aus nur allzu durchsich-tigen innenpolitischen Gründen.
Eine Verschiebung, die schon vorher von dem bayeri-schen Ministerpräsidenten gefordert wurde – Stoiberfordert sie schon seit längerem –, ist keine reale Option;sie hätte nur Nachteile, und die Kompromißstrukturwürde auch zu einem späteren Zeitpunkt ganz exakt die-selbe bleiben. Die Bundesregierung wird sich deshalbweiterhin gemeinsam mit ihren EU-Partnern mit großemNachdruck für eine Einigung in Berlin einsetzen.
Mich würde schon interessieren, welches die Haltungder CDU/CSU-Fraktion ist. Herr Kollege Schäuble, Siesprechen noch. Mich interessiert, ob Sie in der Tat füreine Verschiebung sind. Hier sind heute klare Worte an-gesagt. Sie müssen sich einmal vorstellen – daran sehenBundesminister Joseph Fischer
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2146 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Sie die ganze Verantwortungslosigkeit dieser Position –,die Bundesregierung, die Ratspräsidentschaft würde er-klären: Wir sagen den Berliner Gipfel auf Grund derKrise, die durch den Rücktritt der Kommission einge-treten ist, ab. Man muß sich das einmal in den Konse-quenzen vorstellen. Eine solche Belastung für Europahätte es in der Geschichte der Europäischen Union nochnicht gegeben. CDU und CSU schlagen dies allen Ern-stes vor!
Sie wissen es doch besser. Es ist doch nicht so, daßman hier wirklich einem Ochsen ins Ohr petzen muß.Sie wissen doch ganz genau, wie verantwortungslos dieHaltung der Herren Glos, Stoiber und Huber an diesemPunkt ist. Deswegen, Herr Schäuble: Kommen Sie hier-her, und stellen Sie zweifelsfrei richtig, daß dies nichtdie Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.
Meine Damen und Herren, die Kommission bleibtzunächst noch im Amt. Das ist notwendig, um einen sta-bilen Übergang zu sichern. Angesichts des gravierendenGlaubwürdigkeitsproblems, das die Kommission jetzthat, wird die Bundesregierung aber darauf drängen,möglichst schnell einen neuen Kommissionspräsiden-ten zu nominieren, der dann eine neue Kommission zu-sammenstellen soll. Allerdings – das muß allen klar sein– bedarf die Lösung dieser Frage einer Zustimmung al-ler Partner.
– Zudem bedarf es der Zustimmung des Parlaments, dassich in einer schwierigen Situation befindet. Es gibt beider Kommissionsbesetzung nämlich zwei konstitutio-nelle Probleme, die zu berücksichtigen sind:Das erste konstitutionelle Problem ist, daß nicht nurdie Zustimmung des Parlaments notwendig ist, sonderndaß wir uns, was den EU-Vertrag betrifft, sozusagen imZustand eines Vertragsübergangs befinden. Es gibt zurZeit den Maastricht-Vertrag und dann den Amster-dam-Vertrag, der hoffentlich zum 1. Juni dieses Jahresin Kraft tritt. Letzterer führt zu erweiterten Rechten desParlamentes beim Vorschlag und bei der späteren Be-nennung des Präsidenten. Das ist eine Schwierigkeit, diezu berücksichtigen ist.Die zweite konstitutionelle Hürde, die in diesem Zu-sammenhang eine Rolle spielt, ist die Tatsache, daß esselbst dann, wenn jetzt eine neue Kommission eingesetztwird, zu Beginn des nächsten Jahres des erneuten Proze-deres bedürfte, um diese Kommission für die Dauer vonfünf Jahren einzusetzen. Ich sehe wenig Sinn darin, jetzteine neue Kommission zu berufen, die ausschließlich biszum Jahresende im Amt wäre. Das sind die beiden zu-sätzlichen konstitutionellen Hürden.Es kommt eine dritte Hürde, eine politische Hürde,hinzu. Das ist die Tatsache, daß die Neuzusammenset-zung des Europaparlaments zu berücksichtigen ist.Denn dieses Parlament muß ja – nicht nur, was die not-wendigen Erweiterungsschritte betrifft, sondern vor al-len Dingen, was die jetzt notwendigen unabweisbareninneren Reformen betrifft – mit der neuen Kommissionzusammenarbeiten. Daran können Sie bereits die Pro-bleme sehen, die sich jenseits der nationalen Interessen,die bei der Besetzung so wichtiger Positionen völlig le-gitim sind, auftun. Deswegen wollen wir, so schnell esgeht, eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. Aller-dings sind eine Reihe von Problemen zu berücksichti-gen.Unsere Präsidentschaftsrolle verlangt uns einenschwierigen Balanceakt ab. Wir tragen in einer ent-scheidenden Phase Verantwortung für die Zukunft Eu-ropas. Deutschland vertritt – wie die anderen Partnerauch – mit Festigkeit seine legitimen Interessen.
Wir werden das auch weiterhin tun. Unser Ziel ist einefaire, gleichgewichtige Gesamtlösung, bei der es keineGewinner und keine Verlierer gibt. Denn sonst würde esdiesen Kompromiß nicht geben. In Berlin geht es kon-kret um drei Elemente, die in einem ausgewogenen Ge-samtpaket enthalten sein müssen.Erstens. Es geht um eine Reform der Agrarpolitik undeine Senkung der Agrarausgaben, die durch die Erweite-rung und die bevorstehende WTO-Runde – wir hoffen,ab 2002 – unausweichlich geworden sind. Die gemein-same Agrarpolitik muß durch die Reform auf mehrWettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit ausge-richtet werden. Für uns ist insbesondere wichtig, daß dieInteressen der deutschen Bauern in Ost und West ge-wahrt bleiben. Das ist beim Kompromiß des Agrarratsvom 11. März der Fall.
– Wenn Sie das als Katastrophe bezeichnen, dann kannich Ihnen nur sagen: Ich bin einmal gespannt, wie Siesich verhalten. Wenn das eine Katastrophe ist, dannmüssen Sie für ein Wiederaufknüpfen des Agrarkom-promisses eintreten, und dann werden Sie die Interessender deutschen Landwirte in Ostdeutschland wie inWestdeutschland schädigen, meine Damen und Herren.Das sage ich Ihnen.
Die Bauern – ich verstehe, daß, wenn es darum geht,Interessen durchzusetzen, demonstriert wird – sind aberauch kühle Rechner. Wenn Sie meinen, das sei eine Ka-tastrophe, dann müssen Sie für das Wiederaufknüpfendes Kompromisses sein. Ich sage Ihnen: Dann werdendie deutschen Bauern zu den Verlierern gehören undnicht zu den Gewinnern. Das wird die Konsequenz IhrerPosition sein.
Bundesminister Joseph Fischer
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Zweitens. In der Strukturpolitik geht es um eine Effi-zienzsteigerung und um eine Konzentration auf diestrukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Re-gionen, und zwar mit höheren Mitteln auch für die deut-schen Ziel-1-Regionen – das sind die neuen Bundeslän-der –, und es geht um eine ausreichenden Flexibilität derMitgliedstaaten bei der Auswahl der Ziel-2-Gebiete –das sind bei uns die alten Bundesländer. Außerdembrauchen wir angemessene nationale Spielräume für ei-ne eigenständige Regionalpolitik in den Mitgliedstaaten.Drittens. Es geht um eine fairere Lastenteilung in derEuropäischen Union. Es ist für die Bundesregierung einwesentliches Ziel, die Ungerechtigkeiten bezüglich desdeutschen Nettosaldos zu korrigieren. Es kann nicht sobleiben, daß ein einziger Staat 60 Prozent des Netto-transfers in der EU bestreitet. Das erkennen auch unse-re Partner an, und das wird ebenso im Eigenmittelberichtder EU-Kommission anerkannt. Aber wir müssen hiermit Realismus und Augenmaß vorgehen. Deutschlandwird nach einer erfolgreichen Reform auch weiterhingrößter Nettozahler bleiben. Entscheidend ist, daß wireine gerechtere Lastenteilung erreichen, was angesichtsder notwendigen Zustimmung unserer Partner alles an-dere als einfach sein wird.Die CDU/CSU hat für die Bundesregierung eine so-genannte „Meßlatte“ aufgestellt. Danach soll der deut-sche Nettosaldo um 7 Milliarden DM bzw. nach HerrnStoiber, dem bayerischen Ministerpräsidenten, sogar um14 Milliarden DM verringert werden. Das soll unteranderem – jetzt hören Sie genau zu – über eine50prozentige Kofinanzierung in der Agrarpolitik erreichtwerden, obwohl Sie, Herr Schäuble, und auch Herr Stoi-ber genau wissen – das hat sich inzwischen auch ge-zeigt –, daß dies mit Frankreich, unserem wichtigstenPartner, nie und nimmer zu machen ist.
– Ich könnte es mir jetzt ganz einfach machen. Es wurdegesagt: „Wir hätten das durchgesetzt.“ – Liebe Kollegen,warum habt ihr das dann nicht in den 16 Jahren eurerRegierung durchgesetzt, wenn ihr so tapfer seid? Ihrhabt doch 16 Jahre Zeit gehabt. Die Frage der Kofinan-zierung stellt sich doch nicht erst seit heute.
Wir müssen doch nicht über die Sache streiten. Ichfinde es schon erstaunlich, wie sich die europapoliti-schen Debatten seit dem Wahlausgang im Septemberletzten Jahres verändert haben.
– Wir eiern überhaupt nicht. – In der Sache vertrete ichheute die gleiche Position wie damals in der Opposition,als ich die Position der früheren Bundesregierungunterstützt habe. Ich bin ebenso wie die Bundesregie-rung nach wie vor der Überzeugung, daß die Kofinan-zierung für einen sich erweiternden EU-Agrarmarktnicht nur aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit inder Nettozahlerfrage, sondern auch für das Managementund die Handhabbarkeit eines sich so entwickelndenAgrarmarktes der richtige Weg ist. Nur, es hat sich ge-zeigt – da nützt alle bayerische Großmäuligkeit über-haupt nichts –,
daß die französische Regierung es zum „vitalen Interes-se“ erklärt hat, sich nicht in dem Maß an der Kofinanzie-rung zu beteiligen.
Lassen Sie sich einmal von Ihrem Bundeskanzler a. D.Dr. Helmut Kohl erklären, was es heißt, wenn eine Re-gierung innerhalb der EU etwas zu ihrem „vitalen Inter-esse“ erklärt. Dies ist ein Hinweis auf die mögliche In-anspruchnahme des Vetos. Ich werfe Ihnen vor, daß Siejetzt hier auf Grund innenpolitischer Oppositionsgründeein europapolitisches Erbe in Stücke schlagen, und zwarin einer Geschwindigkeit, die ich nicht für möglich ge-halten hätte.
Sie verlangen, daß sich Frankreich mit 50 Prozent ander Kofinanzierung beteiligt. Sie wissen ganz genau, daßes irreal ist, den deutschen Nettobeitrag über eine50prozentige Kofinanzierung um 7 Milliarden DM zusenken. Wenn man das durchsetzen wollte, würde mandas in Jahrzehnten im Rahmen der deutsch-französischen Partnerschaft Erreichte in Frage stellen.An diesem Punkt mußten wir uns entscheiden, ob wirein Veto bzw. einen Konflikt in Kauf nehmen wollenoder ob uns der nächste Schritt im europäischen Eini-gungsprozeß und die Fortentwicklung der deutsch-französischen Partnerschaft als Motor dieses Einigungs-prozesses wichtiger sind. Wir haben uns für Europa undgegen kleinkarierte oppositionelle innenpolitische Inter-essen entschieden.
Was Sie machen, ist purer Populismus. Das weiß jeder.
– Zu Ihrer „Substanzlosigkeit“, die Sie offenbar zumSchlüsselbegriff der Opposition auserkoren haben, willich Ihnen sagen: Wenn Sie alles als substanzlos be-zeichnen, selbst wenn man Ihnen Substanz liefert, mitder Sie aber nicht einverstanden sind, dann macht dasIhre Position nicht glaubwürdiger. Wenn das, was HerrStoiber verkündet, substanzvoll ist, dann bin ich gernesubstanzlos in der Europapolitik; denn seine Auffassungteile ich überhaupt nicht.
Bundesminister Joseph Fischer
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Da weiß ich mich in der Kontinuität eines anderen,den ich schon in meiner Position als Oppositionspoliti-ker unterstützt habe. Diese Politik führen wir fort; dennwir wollen die Einigung Europas. Bleiben Sie mit IhremStoiber und Ihrer Substanz, wo der Pfeffer wächst,
meinetwegen auch dort, wo die Alpen glühen; das istmir egal.
Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß die heuti-ge Nettozahlersituation auf dem Europäischen Rat 1992in Edinburgh unter tätiger Mitwirkung von Bundes-kanzler Kohl und des seinerzeitigen CSU-Vorsitzendenund Finanzministers festgelegt wurde. Damit wir unsnicht mißverstehen: Ich habe diese Position unterstützt.
Wir haben Sie, Herr Dr. Kohl, damals aus der Opposi-tion heraus unterstützt, weil es gute Gründe für dieseEntscheidung gab. Um so bitterer ist jetzt dieser wirklichbodenlose Populismus, den Teile Ihrer Fraktion und Ih-rer Partei gegen Ihre damalige Position vorbringen.
Sie wissen nur zu gut, in welch schwierigen Fahrwas-sern Europa heute ist. Sie wissen auch, was von derdeutschen Position abhängt. Ich appelliere hier nocheinmal nachdrücklich an alle, zu begreifen, daß wir unsin einer Situation befinden, in der Zuwächse nur nochbedingt oder gar nicht vorhanden sind und in der es umeine Neuverteilung geht, eine Situation, in der vonDeutschland erwartet wird, während der Präsidentschafteine Gesamtlösung anzubieten, die der historischen Her-ausforderung gerecht wird, anstatt in kleinkarierten in-nenpolitischen Populismus zu verfallen. Keiner weißdies besser als Dr. Helmut Kohl.Wir haben Sie damals unterstützt. Heute aber hörenwir das glatte Gegenteil. Das ist auch eine klare Kampf-ansage gegen die Politik von Dr. Helmut Kohl in seinerdamaligen Eigenschaft als Bundeskanzler, der für dieseeuropapolitische Entwicklung stand, die hier im Hauseine breite Unterstützung gefunden hat.
Das eigentlich Widersprüchliche und Doppelzüngigeist aber, daß die Opposition einerseits öffentlich eineschnelle Osterweiterung befürwortet, wie kürzlich HerrStoiber in Budapest – wir sehen dies ganz genauso: soschnell es geht –, gleichzeitig aber einer Verschiebungder Agenda 2000 das Wort redet. Einerseits soll wenigeran Brüssel bezahlt werden, andererseits aber wird mehrfür die bayrischen Bauern gefordert, was wir von denPartnern regelmäßig aufs Butterbrot geschmiert bekom-men.
Das ist keine Milchmädchenrechnung – höchstens eineMilchbubirechnung, wenn ich mir Sie so ansehe –,
sondern eine bewußte Irreführung. Dies ist zutiefst un-historisch und gegenüber unseren Partnern in Mittel-und Osteuropa in hohem Maße undankbar und verant-wortungslos.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Wochen-ende haben wir auf dem informellen Treffen der EU-Außenminister in Reinhartshausen substantielle Fort-schritte erzielt. Die Aussichten für eine Lösung in Berlinhaben sich damit verbessert. Es liegt noch ein erhebli-ches Stück Arbeit vor uns. Allerdings – das ist meinepersönliche Meinung –: Ein Kompromiß ist in Sicht;dies ist bei einigem guten Willen machbar und erreich-bar. In Reinhartshausen und am Montag im Ecofin-Ratist es gelungen, das im Agrarministerrat am 11. Märzvereinbarte Kompromißpaket über die Eckwerte einersubstantiellen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik– das ist ein sehr wichtiges Faktum – zusammenzuhal-ten. Damit ist in einem wichtigen, bislang kontroversenTeilbereich der Agenda 2000 eine Lösung in Sicht.Für die Aushandlung dieses nicht einfachen Kom-promisses gebührt dem Kollegen Funke aller Dank undalle Anerkennung.
Das ist keine diplomatische Floskel – ich meine diesallen Ernstes. Wer die Probleme, die dort zu bündelnwaren, und die Schwierigkeiten der Überwindung dernationalen Positionen auch und gerade in diesem euro-papolitischen Wahljahr – in Europa sind immer irgend-wo auch nationale Wahlen, die zu berücksichtigen sind –kennt, wer auch die Schwierigkeiten der Kompromißbil-dung mitbekommen hat, der weiß, welch wirklich großerErfolg dem Kollegen Funke gelungen ist. Dafür möchteich ihm allen Dank und alle Anerkennung aussprechen.
Der Kompromiß ist ein wichtiger Schritt in RichtungMarkt- und Umweltorientierung sowie Stärkung derWettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft. Wirhätten uns – daran besteht überhaupt kein Zweifel – eineweiterführende Lösung gewünscht; aber hierfür war beieinigen Partnern kein Konsens zu erzielen. Die erzielteEinigung ist ein für alle akzeptabler Kompromiß, dernahe an unserem Ziel der realen Konstanz von40,5 Milliarden Euro im Jahresmittel für die siebenJahre von 2000 und 2006 liegt. Mehrere Partner sind derBundesminister Joseph Fischer
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Auffassung, daß weitere Anstrengungen unternommenwerden müssen, um das Ziel zu erreichen, allerdings oh-ne das Kompromißpaket wieder in Frage zu stellen.Licht am Ende des Tunnels – auch dies ist ein wichti-ges Faktum – gibt es auch bei den Strukturfonds. AlleKomponenten für einen Kompromiß liegen jetzt auf demTisch; allerdings sind noch schwierige Probleme zu lö-sen.In der EU zeichnet sich die Bereitschaft ab, auch dieStrukturausgaben einschließlich der Kohäsionsfonds fürdie Zeit bis 2006 auf einen Wert zwischen 190 Milliar-den Euro und 216 Milliarden Euro zu stabilisieren. Derexakte Wert muß noch festgelegt werden. Das gegen-wärtige Niveau der Pro-Kopf-Förderung soll beibehaltenwerden. Grundsätzlich soll auch für Euro-Teilnehmer,sofern ihr Bruttosozialprodukt pro Kopf unter 90 Pro-zent des EU-Durchschnitts liegt, das Weiterlaufen desKohäsionsfonds akzeptiert werden. Über deren Mittel-ausstattung muß allerdings noch entschieden werden,wobei nach Meinung einer Reihe von Partnern die öko-nomischen Fortschritte der Kohäsionsländer, die soge-nannte reale Konvergenz, berücksichtigt werden müs-sen. Es zeichnet sich zudem eine Konzentration bei denFörderzielen und eine Reduzierung der Zahl der Ge-meinschaftsinitiativen ab. Dies sind wichtige Beiträgezur Steigerung der Effizienz, die in Deutschland insbe-sondere der ostdeutschen Wirtschaft zugute kommenwerden.Wir sind uns in der Europäischen Union einig, daßeine Stabilisierung der Ausgaben und eine disziplinierteHaushaltsführung vor dem Hintergrund der angespann-ten Haushaltslage der nationalen Haushalte dringend ge-boten sind. Das Prinzip der realen Konstanz ist inzwi-schen weitgehend anerkannt, und auch über die Beibe-haltung der gegenwärtigen Eigenmittelobergrenze von1,27 Prozent des EU-Bruttosozialprodukts sowie übereine klare Trennung der Ausgaben für die 15 von denfür die Erweiterung bestimmten Mitteln besteht weitge-hendes Einvernehmen.Die künftigen Ausgaben werden damit unter den ur-sprünglichen Kommissionsansätzen liegen. Das ist vordem Hintergrund enormer Haushaltssteigerungen in derVergangenheit keineswegs selbstverständlich. Die Ein-sicht, daß den Bürgerinnen und Bürgern ein „Weiter so“nicht mehr zu vermitteln wäre, hat sich Gott sei Dankdurchgesetzt.Die meisten offenen Fragen gibt es noch bei der Re-form des Eigenmittelsystems, also den eigenen Ein-nahmen der Europäischen Union. Hier zeichnet sich einegenerelle Bereitschaft zur Änderung des Eigenmittelbe-schlusses ab 2002 im Rahmen eines ausgewogenen Ge-samtkompromisses ab. Es wird unter anderem weiterüber den Ersatz der Mehrwertsteuer – durch Bruttosozi-alprodukt-Eigenmittel verhandelt, durch die die Zahlun-gen stärker an die Wirtschaftsleistungen geknüpft wür-den – das deutsche Nettosaldo würde sich dadurch ver-ringern –, sowie über höhere Pauschalen bei der Erhe-bung der traditionellen Eigenmittel-Zölle und Agrarab-schöpfungen –, über eine Anpassung des Großbritanni-en-Rabatts und schließlich auch über einen allgemeinenKorrekturmechanismus als Sicherheitsnetz für die Net-tozahler. Für uns kommt es darauf an, in Berlin unseremZiel eines fairen Lastenausgleichs näher zu kommen undeine fallende Kurve beim Nettosaldo einzuleiten.Bundeskanzler Gerhard Schröder bereist in dieserWoche die Hauptstädte unserer Partner, um Möglich-keiten einer weiteren Positionsannäherung auszuloten.Am 21. März werden die Außenminister auf ihrer Kon-klave in Brüssel den Stand noch einmal beraten, und am24./25. März werden die Staats- und Regierungschefszum Sondergipfel des Europäischen Rates in Berlinmit dem Ziel einer politischen Einigung über ein Ge-samtpaket zur Agenda 2000 zusammenkommen.Die Chancen dafür – ich habe es schon vorher ge-sagt – stehen mittlerweile dank der geleisteten Arbeitder Präsidentschaft alles andere als schlecht. Aber zueinem guten Ergebnis werden wir nur kommen, wennjeder Mitgliedstaat seinen Beitrag zu dem notwendigenKompromiß leistet. Ich bin zuversichtlich, daß es inBerlin gelingen wird, trotz der noch offenen Einzel-fragen eine faire und ausgewogene Lösung zu finden.Allerdings ist vor überzogenen Erwartungen zu warnen.Es ist immer ein Zeichen für einen guten Kompromiß,daß mit ihm keiner so richtig glücklich ist, aber auchniemand in ihm eine nationale Katastrophe sieht. Sowird es auch in Berlin sein.In Berlin geht es für Europa um sehr viel. Eine um-fassende Lösung der Agenda 2000 wäre die bedeutend-ste Finanzreform der Europäischen Union seit ihrerGründung. Mit ihr würde ein wesentliches noch beste-hendes Hindernis für die baldige Aufnahme der Bei-trittskandidaten beseitigt.Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich forderedeshalb den Deutschen Bundestag auf, die Bundesregie-rung bei ihrem Bemühen um einen erfolgreichen Ab-schluß der Agenda 2000 in Berlin zu unterstützen. Ichappelliere insbesondere auch an die Opposition, dieZiele der Bundesregierung für den Europäischen Rat zuunterstützen, anstatt sie durch unerfüllbare Forderungenzu konterkarieren und Zweifel an der integrationspoliti-schen Haltung Deutschlands zu wecken.Die CDU/CSU sollte nicht vergessen – Sie wissen esja –: Deutschland verdankt Europa unendlich viel. UnserLand ist der große Gewinner, nicht nur ökonomisch,sondern auch sicherheitspolitisch, historisch und kultu-rell. Unser Land ist der große Gewinner des europäi-schen Integrationsprozesses. Die Bürden unserer Mit-tellage wurden im Integrationsprozeß aufgelöst. DieWiedervereinigung wäre ohne die Zustimmung unserereuropäischen Partner nicht möglich gewesen. Das „Ja“zu Europa war über Jahrzehnte demokratischer Grund-konsens in Deutschland. Jetzt unsere europäischen Bin-dungen zu lockern, wäre ein Irrweg und ein gefährlicherSchritt nach hinten, der nicht nur Europa, sondern vorallem uns selber beschädigen würde.
Wir sollten deshalb alles tun, um den jahrzehntelan-gen europapolitischen Grundkonsens in Deutschlandzu bewahren. Die Vollendung der europäischen Integra-Bundesminister Joseph Fischer
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tion ist die große Aufgabe, die jetzt nach dem Ende deskalten Krieges und zu Beginn des nächsten Jahrtausendsvor uns liegt und die wir praktisch zu bewältigen haben.Deutschland wird dabei eine entscheidende Rolle zu-kommen. Unser Land kann sich einen Rückzug aus sei-ner europapolitischen Verantwortung nicht erlauben,denn wir würden uns dadurch nur selber schädigen.Nach der Einführung des Euro müssen wir jetzt dienächste historische Herausforderung auf dem Weg zureuropäischen Einheit bewältigen, nämlich die Osterwei-terung der EU. Die Agenda 2000 ist dafür eine unum-gängliche Voraussetzung. Deswegen kommt dem Erfolgdes Europäischen Rates in Berlin eine so große Bedeu-tung zu. Neben den danach anzupackenden institutio-nellen Reformen während der nächsten Ratspräsident-schaften gehört eine erfolgreiche Reform der Finanzver-fassung und -verteilung der EU zu den jetzt zu lösendenAufgaben, um das gemeinsame Europa und die politi-sche Union wirklich zu schaffen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bun-desregierung weiß sich, wie alle ihre Vorgängerregie-rungen in der Bundesrepublik Deutschland, dieser histo-rischen Herausforderung verpflichtet und wird deshalballes in ihrer Kraft Stehende tun, um den EuropäischenRat in Berlin zum Erfolg zu führen.
Ich eröffne die Aus-
sprache und erteile dem Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, das Wort.
Herr Präsi-dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Die europäische Einigung ist das wichtigste Projekt imInteresse der Deutschen am Ende dieses Jahrhunderts.
Wir haben die Chance, ganz Europa zu einem Kontinentvon sicherem Frieden, von wirtschaftlichem Wohlstand,von sozialer Stabilität, von ökologischer Nachhaltigkeitzu entwickeln. Das ist das wichtigste Ziel, das wir amEnde eines Jahrhunderts mit zwei so grausamen Welt-kriegen erreichen wollen. Darin sind wir uns in diesemHause ganz überwiegend einig. Da brauchen wir, HerrBundesaußenminister, auch keine großen Ermahnungen.Die CDU und die CSU bleiben die große politischeKraft der europäischen Einigung. Das war in den letzten50 Jahren so – Sie waren oft auf der anderen Seite –, unddas wird auch in den nächsten 50 Jahren so bleiben.
Nun ist der Außenminister ja früher ein ziemlich leb-hafter Parlamentarier gewesen.
Deswegen hat er sich so verhalten, wie man sich als Re-gierung verhält, wenn man in ausgesprochenen Schwie-rigkeiten steckt: Er hat einen Popanz aufgebaut undkräftige Angriffe auf einen Pappkameraden gestartet, derin Wahrheit gar nicht existiert.
Das war allerdings der Regierungserklärung eines Au-ßenministers eine Woche vor dem Europäischen Rat un-angemessen. Es zeigt nur die Verlegenheit, in der dieRegierung sich befindet.
Ich will Ihnen auch sogleich die Frage beantworten,Herr Vizekanzler – es ist um Sie herum auf der Regie-rungsbank ein bißchen einsam –, wenn Sie mir, da Siemich so gefragt haben, einen Moment Ihre geschätzteAufmerksamkeit schenken wollen.Wir haben am Dienstag für die CDU/CSU-Fraktioneine Erklärung abgegeben. Sie liegt schriftlich vor; ichgebe Ihnen nachher den Wortlaut noch einmal. Sie ist –das kann ich Ihnen versichern – mit den Vorsitzendender beiden Unionsparteien wörtlich abgestimmt. In die-ser Erklärung steht nicht ein einziges Wort von einerVerschiebung des Europäischen Rates in Berlin, nichtein einziges Wort. Ich sage das nur, damit der Popanzklar wird und das ausgeräumt wird; dann können wir zurSache reden.Ich habe mir vorsichtshalber – darum habe ich Mi-chael Glos gebeten – von Herrn Bocklet den Wortlautder Erklärung des bayerischen Kabinetts nach der Sit-zung am 16. März – das war Dienstag dieser Woche –geben lassen. Auch in dieser Erklärung, in diesem Kabi-nettsbericht steht nicht ein Wort von der Verschiebungdes Berliner Gipfels.
– Dann war die Agenturmeldung falsch. Ich gebe Ihnennachher beide Erklärungen. Herr Bundesaußenminister,nehmen Sie es einfach zurück. Sie haben die Unwahrheitgesagt, und das gehört sich nicht in einer Regierungser-klärung.
Ich habe die Dokumente hier. Sie können machen, wasSie wollen.
Sie haben im Schlußteil Ihrer Regierungserklärungauch Dinge gesagt, die wir unterstützen, denen wir zu-stimmen, was die Bedeutung der europäischen Politik,der europäischen Einigung und was die Bedeutung einesErfolges der Agenda 2000 auch für die Osterweiterunganbetrifft. Darüber besteht doch gar kein Streit. Es gehtaber nicht, hier einen Popanz aufzubauen und zu sagen,die anderen seien anderer Meinung. Deswegen muß dasam Anfang ausgeräumt werden.
Bundesminister Joseph Fischer
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Nun steht dieses Europa – das ist auch wahr; darüberläßt sich doch auch in Ruhe und der Bedeutung der Sa-che angemessen diskutieren – nicht nur vor einer großenHerausforderung. Ich habe übrigens von diesem Platzaus bei der europapolitischen Debatte im Dezember zumBundeskanzler gesagt: Jede deutsche Regierung, jederdeutsche Bundeskanzler wird angesichts des gewaltigenReformbedarfs im Zusammenhang mit der Agenda 2000eine Riesenaufgabe haben. Man wird in Europa nichtalles erreichen, was wir aus nationaler Sicht für wün-schenswert halten, weil man sich unter 15 einigen muß.Wir werden Sie nicht an Maximalforderungen mes-sen, sondern wir werden Sie dabei unterstützen, daßman das Bestmögliche erreicht. Darüber besteht keinStreit.Jetzt stehen wir in Europa aber nicht nur vor Heraus-forderungen mit der Agenda 2000, sondern zugleich voreiner Krise. Es war natürlich falsch, daß der Bundes-kanzler am Dienstag als erste Reaktion auf den Rück-tritt der Kommission der Europäischen Union gesagthat, das sei gar keine Krise; die Kommission solle ein-fach geschäftsführend weitermachen und so tun, als wä-re business as usual. Das war genau die falsche, unan-gemessene Reaktion.
Man kann jetzt nicht so tun, als ginge es einfach soweiter. Man kann bei der Kommission der EuropäischenUnion, die vom Europäischen Parlament zum Rücktrittgezwungen worden ist, obwohl der deutsche Ratspräsi-dent, Bundeskanzler Schröder, noch im Januar versuchthat, das Parlament daran zu hindern, angesichts derMittelverschwendung Aufklärung im Verantwortungs-bereich der Europäischen Kommission zu schaffen,nicht einfach sagen, sie bleibt geschäftsführend im Amt,und kein Mensch kümmert sich darum. Das wäre genauder falsche Weg, um die Zustimmung der Menschen füreuropäische Politik zu gewinnen. Deswegen ist es gut,daß Schröder diese Position wenigstens korrigiert hat.
Die Aufgabe der Agenda 2000 ist nicht so oberfläch-lich, wie Sie es hier dargestellt haben. Es geht darum,die Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union undder Institutionen der Europäischen Union so zu verbes-sern, daß dieses Europa der 15 in der Lage ist, die ge-waltigen Herausforderungen, auch was den Beitritt neu-er Länder betrifft, der in unserem Interesse ist, zu mei-stern. Das ist die Aufgabe der Agenda 2000.
Das kann man doch auch nicht bestreiten. Herr Au-ßenminister, Sie sind viel beschäftigt. Aber man legt Ih-nen doch die Pressestimmen aus ganz Europa vor. Ausallen europäischen Hauptstädten haben wir doch in denletzten Wochen die Klagen gehört – ich will die Stim-men gar nicht vorlesen, aber ich schenke Ihnen eine Do-kumentation –, daß die deutsche Präsidentschaft ausge-sprochen schlecht gearbeitet hat und ausgesprochenschlecht vorbereitet war. Unsere Kritik ist: Durch Ihreschlechte Arbeit schaden Sie Europa.
Nach dem Rücktritt der Kommission darf die deut-sche Präsidentschaft nicht so weitermachen wie bisher,nur damit nicht der Eindruck einer Krise entsteht. In derKrise kann auch eine Chance liegen; in ihr kann man dieTiefe des Reformbedarfs erkennen. Nach dem Rücktrittder Kommission ist die Aufgabe der deutschen Präsi-dentschaft, Europa aus der Krise zu führen. Je schnellerdies gelingt, um so besser. Wir brauchen eine neueKommission. Natürlich ist es schwierig, darüber einenKonsens zu erzielen.Ich will mich mit Ratschlägen zurückhalten. Trotz-dem will ich eine Bemerkung machen: Wenn es gelin-gen sollte, den früheren italienischen Ministerpräsiden-ten Romano Prodi als Präsident der EU-Kommissionzu gewinnen, dann sollte seine Präsidentschaft auf fünfJahre angelegt sein. Herr Bundesaußenminister, Siewollen doch unsere Unterstützung. Ich gebe Ihnen dieseUnterstützung: Es wäre sehr gut, sich darauf zu verstän-digen, die Neubesetzung nach den Regelungen des Am-sterdamer Vertrages durchzuführen. Am allerbesten wä-re es, man würde dem zukünftigen Präsidenten dieChance geben, ein Programm für die weitere Politik derEuropäischen Union vorzulegen. Wenn Sie darauf dieAnstrengungen der deutschen Präsidentschaft konzen-trieren, dann nutzen Sie die Krise, um die europäischePolitik hinsichtlich der vor ihr liegenden Herausforde-rungen voranzubringen.
Mit Blick auf die Agenda 2000 haben Sie ebenfallseinen Popanz aufgebaut. Ich verstehe, daß Sie ein biß-chen von Ihrer schwierigen Lage ablenken müssen. Ihreigentlicher Fehler ist: Sie haben im Rahmen der Agen-da 2000 zu sehr an der Oberfläche gearbeitet. Wenn Siedie Reform erfolgreich durchführen wollen, dann müs-sen Sie sozusagen tiefer pflügen. Ich will Ihnen ein paarBeispiele nennen.
– Herr Staatsminister Verheugen, lachen Sie nicht! Siesind ja ständig damit beschäftigt, die Erklärungen desBundeskanzlers so zu interpretieren, daß sie nicht nochmehr Schaden anrichten. Wir haben dies erst gestern inder Aktuellen Stunde des Bundestages wieder erlebt.
Wenn die deutsche Präsidentschaft damit beginnt,daß der Bundeskanzler öffentlich erklärt, die Hälfte desGeldes, das in Brüssel verbraten werde, stammeschließlich aus Deutschland und es müsse mit der euro-päischen Scheckbuchpolitik des ehemaligen Bundes-kanzlers Kohl Schluß sein, dann beraubt sich der Bun-deskanzler der Chancen für eine erfolgreiche Arbeit derdeutschen Ratspräsidentschaft. Darüber kann Ihrdümmliches Lachen nicht hinwegtäuschen.
Dr. Wolfgang Schäuble
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Wenn Sie die Debatte in Europa um die Agenda 2000mit der Aussage beginnen – das ist die Scheckbuchpoli-tik von Schröder – „Wir zahlen ein paar Milliarden DMweniger und andere ein paar Milliarden DM mehr“,dann haben Sie natürlich keine Chancen, Frankreich,Spanien und die anderen Mitgliedsländer dafür zu ge-winnen, zuzustimmen, ein paar Milliarden DM mehr zuzahlen, damit Deutschland weniger zahlen muß. So gehtes nicht.Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie haben in ei-nem weiteren Punkt die Unwahrheit gesagt.
– Bleiben Sie ganz ruhig; ich habe die Dokumente da.
Wenn es Ihnen mit europäischer Politik Ernst ist, dannlassen Sie uns ehrlich und an der Sache orientiert disku-tieren. Arbeiten Sie nicht mit Verfälschungen!
Sie haben die Behauptung aufgestellt, die CDU/CSU-Fraktion und die Parteien CDU und CSU hätten eineReduzierung der deutschen Nettozahlungen um 14 Mil-liarden DM zur Meßlatte erhoben. Das ist falsch.
– Auch Herr Stoiber nicht! Der Kollege Stoiber und ichsind als Vorsitzende unserer Parteien vor die Bun-despressekonferenz gegangen. Wir haben dort gemein-sam eine Erklärung vorgetragen. Sie können sie nachle-sen. In dieser Erklärung wird daran erinnert – das istwahr –, daß die deutschen Länderfinanzminister und dieMinisterpräsidenten aller Bundesländer einstimmig be-schlossen haben, also auch mit den Stimmen von HerrnSchröder und Herrn Lafontaine
– auch Eichel; ich will nicht alle 16 Ministerpräsidentenaufzählen, zumal sich die Namen schneller ändern, alsman sich vorstellen kann; die drei von mir Genanntensind ja nicht mehr Ministerpräsidenten –,
die Entlastung müsse 14 Milliarden DM betragen. Wirhaben nur daran erinnert, daß auch die SPD-Ministerpräsidenten diese Forderungen aufgestellt ha-ben. Nichts anderes hat Stoiber in der Bundestagsdebattegesagt. Aber CDU und CSU haben diese Zahl ausdrück-lich nicht zur Meßlatte erklärt.Ich nenne Ihnen unsere Meßlatte – wir haben dasimmer gesagt, und das gilt auch eine Woche vor demEuropäischen Rat –: Es muß im Rahmen der Agenda2000 gelingen – ich sprach vorhin davon, tiefer zu pflü-gen –, die Subsidiarität in Europa stärker zu verwirkli-chen.Wir kommen in Europa nicht weiter voran – auch dieEreignisse, die zum Rücktritt der Europäischen Kom-mission geführt haben, unterstreichen die Richtigkeitdieser These –, wenn wir nicht zu einer klareren Ab-schichtung der Aufgaben kommen und neu festlegen,wofür die europäische Ebene, die Mitgliedstaaten unddie Regionen zuständig sind. Das nennt man Subsidia-rität, und das ist die entscheidende Aufgabe. Genau andiesem Punkt haben Sie während der deutschen Präsi-dentschaft nicht gearbeitet und keinerlei Ergebnisse er-zielt. Deswegen haben Sie zu oberflächlich gearbeitet.
Nur wenn wir hier Ergebnisse erzielen, haben wirauch die Chance, daß wir mehr Transparenz und mehrKontrolle erreichen und daß in Europa die Gefahr gerin-ger wird, daß es zu Mittelverschwendung und zu Kor-ruption kommt. Deswegen ist die Verwirklichung desSubsidiaritätsprinzips so entscheidend, und deswegenfordern wir, daß wir einen neuen Verfassungsvertrag inEuropa bekommen, weil wir nur auf diese Weise dieFrage beantworten können, wer was in Europa entschei-det. Nur mit mehr Subsidiarität, mit klarerer Abschich-tung zwischen Europa und den Mitgliedstaaten, ist daszu erreichen.Das war immer die Politik von CDU und CSU. Sie istrichtig und bleibt unsere Meßlatte für den europäischenGipfel in Berlin. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie we-nigstens kleine Schritte in diese Richtung erzielen.Wenn Sie bei der Kofinanzierung nicht 50 Prozent er-reichten, würden wir Sie nicht kritisieren. Aber daß Siesie als Prinzip ganz aufgeben, ist grundfalsch, weil dieKofinanzierung eben ein Schritt in Richtung auf mehrSubsidiarität gewesen wäre.
Sie haben also die Präsidentschaft falsch eingeleitetund nichts zustande gebracht. Deswegen ist der jetzigeStand der Vorbereitung des Berliner Gipfels nach un-serer Bewertung – das sage ich jetzt auch nach Ihrer Re-gierungserklärung – unzureichend.
Sie hätten mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgreicherverhandeln können, wenn Sie nicht über Milliarden hinoder her diskutiert hätten. Über die Frage, wofür Europaund wofür die Mitgliedstaaten zuständig sind, kann manmit jeder französischen Regierung sehr intensiv, zu-kunftsbezogen und konstruktiv diskutieren. Nur, wennman so albern redet, wie es Schröder gemacht hat, dannerreicht man mit Frankreich natürlich nichts.
Es geht bei der Agenda 2000 immerhin um die Klei-nigkeit von 1 400 Milliarden DM bis zum Jahre 2006.Gemessen daran, Herr Bundesaußenminister, bewertenwir das, was jetzt an Vorbereitung erreicht ist, als unge-nügend.
Dr. Wolfgang Schäuble
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2153
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– Ja, natürlich. Es zeichnet sich doch nach dem jetzigenStand ab, daß wir in Europa höhere Ausgaben bekom-men,
gekoppelt mit mehr Bürokratie, weniger Effizienz undweniger Leistungen für Deutschland.
Das verstehen die Deutschen ganz gewiß nicht untermehr Fairneß, was Beitragsgerechtigkeit in Europa an-betrifft.
Ich möchte das mit wenigen Beispielen illustrieren.Natürlich ist es schwierig, in der Agrarpolitik einenKompromiß zu erreichen. Aber die Milchpreise um15 Prozent zu senken und gleichzeitig die Milchquotenzu erhöhen, das ist ordnungspolitisch wie markttech-nisch vollkommener Unfug. Dafür kann ich HerrnFunke nicht loben.
Bei Rindfleisch und Getreide die Preise zu senken undnur noch die Hälfte der Preissenkungen im Gegensatz zubisherigen Verabredungen auszugleichen, das ist auchder falsche Weg. Deswegen wäre ein Einstieg in die Ko-finanzierung besser gewesen.Nach dem jetzigen Stand müssen die deutschen Bau-ern bei einem Gesamteinkommen von etwa 10 Milliar-den DM Einkommenseinbußen in der Größenordnungvon 2 Milliarden DM hinnehmen. Das sind 20 Prozent,und darüber kann man nicht leichtfertig hinwegreden.Dann wollen Sie morgen im Bundesrat noch eineSteuererhöhung durchziehen, die die Landwirtschaftnoch einmal mit 1,5 Milliarden DM belastet. Schließlichkommen bei der Ökosteuer noch 350 Millionen DM da-zu. So zerstört man die Lebensfähigkeit der deutschenLandwirtschaft.
Ich will noch einmal sagen, warum wir in der Agrar-politik eine bessere Aufgabenabschichtung brauchen.Wenn Preissenkungen in Europa unvermeidlich sind,dann muß man durch direkte EinkommensbeihilfenAusgleich schaffen. Man muß der Bevölkerung im übri-gen immer wieder sagen: Wir verlangen in Europa einenbesseren Verbraucherschutz, als er weltweit Standardist, ein höheres Niveau im Tierschutz, ein höheres Ni-veau im Umweltschutz. Das halten wir alle für richtig.Wenn wir der Landwirtschaft das alles auferlegen, dannmüssen wir durch direkte Einkommensbeihilfen helfen,dieses höhere Niveau zu ertragen. Man kann es nicht nurzu Lasten der Landwirtschaft fordern. Deswegen ist einePolitik der Einkommensbeihilfen notwendig und richtig,um dieses höhere Niveau für uns alle in unserem Landeund in Europa zu erhalten.Diese direkten Einkommensbeihilfen kann man inEuropa zwischen Lissabon und Helsinki nicht einheit-lich regeln. Das wird nie gelingen. Deswegen ist dieSubsidiarität, die klarere Aufgabenabschichtung, derrichtige Weg. Die Kofinanzierung wäre ein Einstieg.Das haben Sie ohne Not trotz der Unterstützung durchdie Mehrheit aller Mitgliedstaaten aufgegeben. Daswerfen wir Ihnen vor.
Was machen Sie nach dem jetzigen Stand in derStrukturförderung?
– Herr Bundesaußenminister, Sie haben appelliert, undIhr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß Sie esernst meinten, als Sie sagten, wir sollten uns sachlichmit den Fragen auseinandersetzen.
Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie zu! UnterhaltenSie sich jedenfalls nicht währenddessen!
– Aber im Parlament müssen Sie sich ein bißchen an-ständiger benehmen, als Sie sich als Schüler benommenhaben. Das muß ich Ihnen sagen, weil Sie hier gerufenhaben, Sie hätten sich schon in der Schule so verhalten.
Sie sind doch inzwischen auch feiner gewandet.
– Herr Präsident, ich übernehme eben Ihre Arbeit: Esgeht nicht an, wenn der Oppositionsführer – –
– Machen Sie nur! Jetzt will ich Ihnen einmal den Un-terschied sagen, verehrter Herr Kollege Zwischenrufer:Wenn der Bundesaußenminster eine Regierungserklä-rung zur Europapolitik abgibt und dafür wirbt, daß mander Bedeutung der europäischen Verantwortung gerechtwird, und der Oppositionsführer darauf antwortet
und einige seiner Bitten erfüllt – er hat gesagt, ich solleklarstellen, daß wir nicht eine Verschiebung des euro-päischen Gipfels gefordert haben; das habe ich getan –,dann können Sie sich benehmen, wie Sie wollen. Das istIhre Sache. Aber von dem Vertreter der Bundesregie-rung auf dieser zwei Meter entfernten Regierungsbankerwarte ich, daß er sich gegenüber dem Parlament re-spektvoll verhält – nicht mehr und nicht weniger.
Dr. Wolfgang Schäuble
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2154 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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– Wir können ein bißchen warten. – Es ist übrigens nachden Regeln dieses Parlaments immer noch nicht erlaubt,von der Regierungsbank oder von der Bundesratsbankaus Zwischenrufe zu machen.
– Sie können es machen, wie Sie wollen; ich warte. Of-fenbar ist es die Aufgabe der Opposition, die Minimal-rechte des Parlaments auch gegen die Mehrheit zu ver-teidigen.
– Ja, so ist das. Sie werden es ertragen.
Ich möchte gerne etwas zum Thema Subsidiarität imZusammenhang mit Strukturpolitik und damit etwas zueinem anderen wichtigen Bereich der Agenda 2000 sa-gen. Wir sind – das haben wir, CDU und CSU, immergesagt, als Helmut Kohl und Theo Waigel Regierungs-verantwortung getragen haben, auch in der Opposition,völlig unverändert – immer bereit gewesen, zu akzeptie-ren, daß die Mittel der Europäischen Union für Regio-nalförderung in Deutschland zurückgefahren werden.Deswegen handeln wir nicht widersprüchlich, wennwir klar eine Begrenzung des deutschen Beitrags for-dern. Sie haben eine Beitragsrückführung und ein Endeder Scheckbuchdiplomatie und gleichzeitig europäischeBeschäftigungsprogramme gefordert. Das war doch HerrSchröder und nicht die Opposition. Wir haben gesagt:Jawohl, wir sind bereit, eine Rückführung der Mittel derRegionalförderung auch für Deutschland zu akzeptieren.Aber das muß dann im Sinne der Aufgabenabschichtungmit einer größeren Zuständigkeit der Mitgliedstaatenund der Regionen für Regionalförderung verbundenwerden: Regionalpolitik in eigener Verantwortung. Dasist der Punkt. Jetzt haben wir die Situation, daß die Mit-tel für Regionalförderung in Europa weiter erhöht wer-den sollen, daß sie für Deutschland überproportional zu-rückgeführt werden sollen.
Noch immer ist nicht geklärt, daß der Unfug aufgegebenwerden soll, daß die Förderung ländlicher Räume in derRegionalpolitik in Europa kein Förderkriterium mehrsein soll. Offenbar wird noch immer daran festgehalten,daß nur noch städtische Ballungszentren gefördert wer-den sollen. Damit schwächen Sie den ländlichen Raumnicht nur über die Agrarpolitik, sondern auch über dieStrukturpolitik.
Ich sage Ihnen: Ein Teil der Stabilität Deutschlandshat gerade damit zu tun, daß wir ein ausgewogenes Ver-hältnis zwischen ländlichen Räumen und städtischenBallungszentren haben. Wer die Lebensfähigkeit derländlichen Räume erhält, nützt auch den städtischenBallungszentren.
Was die Finanzreform anbetrifft: Wir halten – wirhaben das oft gesagt; noch immer ist nicht geklärt, daßdas vermieden wird – die Neuregelung der Beiträge fürrichtig. Wir sind einig, daß das entsprechend dem Brut-toinlandsprodukt in Kaufkraft ausgedrückt werden soll.Wenn das erreicht wird, macht das 7,5 Milliarden DMaus. Dafür sind Sie doch auch; das können Sie uns nichtvorwerfen. Sie haben gesagt, wir sollen Sie unterstützen.Wir treten für die Finanzreform ein, aber wir sagen zu-gleich: Solange nicht eine Neuregelung der Beitragsfi-nanzierung erreicht ist, können die Ausgaben der Euro-päischen Union für die jetzigen Mitgliedstaaten in denkommenden Jahren nicht weiter gesteigert werden. DieErhöhung der Mittel um 170 Milliarden DM bis 2006für die jetzigen 15 Mitgliedstaaten ist angesichts derRiesenaufgabe der Osterweiterung der falsche Weg indie falsche Richtung. Deswegen lehnen wir das ab.
Noch falscher ist – durch den Rücktritt der Kommis-sion der Europäischen Union wird das noch unterstri-chen –, daß man für die Kommission eine Effizienzre-serve, quasi zur freihändigen Vergabe, einführt. Manfördert doch, wenn man in Europa nicht klarere Zustän-digkeiten und Regelungen erreicht, geradezu die Mittel-verschwendung, wenn man für die Kommission zurfreihändigen Vergabe noch eine Effizienzreserve ein-führt. Deswegen halten wir das für falsch und sagen:Versuchen Sie, das auf dem Berliner Gipfel zu verhin-dern.
Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir eine Erhö-hung der Mittel der Europäischen Union für die jetzigen15 Mitgliedstaaten um 170 Milliarden DM vor allemdeswegen für falsch halten, weil wir uns so nicht richtigauf die Osterweiterung vorbereiten, dann will ich denSatz hinzufügen: Die Osterweiterung ist entsprechenddem deutschen Interesse das Wichtigste. Auch darinstimmen wir überein, Herr Bundesaußenminister. Wirsind nicht in allem unterschiedlicher Meinung. Das mußauch gar nicht sein. Die Osterweiterung muß allerdingsrichtig und gut durchgeführt werden. Sie muß dazu bei-tragen – auch das will ich angesichts einer Debatte, diegestern geführt worden ist, sagen –, daß sich in diesemProzeß alle auf diesem Kontinent wieder zusammenfin-den. Das gilt auch für die deutschen Heimatvertriebenen.Der Beitritt von Polen, Tschechien und anderen osteuro-päischen Staaten muß dazu führen, daß die Wunden vonKrieg und Vertreibung geheilt werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
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Deswegen ist es schlimm und falsch, daß der Bun-deskanzler schon wieder in Gutsherrenart in dem Ge-spräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Ze-man den Eindruck erweckt hat – Sie haben ja in denletzten Tagen verzweifelt versucht, das so zu interpretie-ren, daß es nicht mehr ganz so falsch erschien, wie esgewirkt hat –, man gehe jetzt großzügig über die Rechteder Vertriebenen und der Sudetendeutschen hinweg. Ichsage Ihnen: Keine deutsche Regierung hat das Recht, aufprivatrechtliche Ansprüche von Vertriebenen zu ver-zichten.
– Das ist das Problem bei den Äußerungen des Bundes-kanzlers. Er behandelt die Probleme ungefähr so wie dernordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement dasProblem des Justizministers in Nordrhein-Westfalen.Das geht schief, und es schadet unserem Land. Deswe-gen sage ich Ihnen: Auf diesem Wege kommen wir inBerlin nicht zu den Ergebnissen, die wir brauchen.Ich sagte: Europa steht vor einer großen Herausforde-rung und steckt zugleich in der Krise. Krise und Heraus-forderung sind fast dasselbe; im Chinesischen habenKrise und Chance das gleiche Schriftzeichen. Deswegenbleibt die Aufgabe, Europa jetzt aus dieser Krise heraus-zuführen.Daher komme ich noch einmal auf folgenden Punktzu sprechen: Wir haben in den 90er Jahren unter derVerantwortung von Helmut Kohl und Theo Waigel dasvielleicht schwierigste Projekt europäischer Politik indiesem Jahrzehnt, den Beginn der Europäischen Wäh-rungsunion, zu einem Erfolg geführt, den viele nicht fürmöglich gehalten haben. Wir haben in jenen schwierigenDebatten, in denen Lafontaine, Schröder und anderejahraus, jahrein Wahlkampf und Demagogie quer durchdeutsche Lande betrieben haben, immer Kurs gehalten.
Wir haben immer gesagt: Wenn es zu einem Konfliktzwischen der Einhaltung des Zeitplanes und der Einhal-tung der Kriterien kommen sollte, dann wären wir eherdafür, den Zeitplan zu verschieben, als die Stabilität dereuropäischen Währung aufzugeben.
– Ja, wir haben gefordert, beides zu erreichen. Aber imKonfliktfall, Herr Kollege Haussmann – das war immerunsere gemeinsame Politik –, hat die SubstanzerhaltungVorrang gegenüber der Einhaltung des Zeitplans.Das gilt auch für die Agenda 2000 – nicht mehr undnicht weniger. Die Substanz geht vor. An der Substanzmüssen sich der Erfolg des Berliner Gipfels und dieBundesregierung messen lassen.Ich möchte noch auf die Tatsache hinweisen, daß derdeutsche Bundeskanzler und Ratspräsident vor demBerliner Gipfel in seinem – zugegebenermaßen reichlichgefüllten – Terminkalender keine Zeit findet, mit demdeutschen Parlament über den Berliner Gipfel und denStand der europäischen Politik zu diskutieren und hierRede und Antwort zu stehen.
– Bundeskanzler Kohl war vor jedem Gipfel hier imDeutschen Bundestag. Das war schon wieder gelogen!
Wir haben Respekt davor, daß der deutsche Ratsprä-sident in dieser Woche die europäischen Hauptstädte be-sucht.
– Ja, natürlich. – Deswegen haben wir angeboten, diejetzige Debatte am Montag oder Dienstag der kommen-den Woche zu führen. Das haben Sie abgelehnt.Wir haben kein Verständnis dafür, daß ein Bundes-kanzler in den Wochen vor dem europäischen Gipfelzwar Zeit findet, stundenlang in Kaschmir und sonstigenStoffen für Modezeitschriften zu posieren,
aber keine Zeit dafür hat, europäische Politik vor demForum der Nation zu vertreten und zu erläutern. Daszeigt die Substanzlosigkeit dieses Bundeskanzlers!
Europa – ich sagte das zu Beginn meiner Rede undwill das zum Schluß wiederholen – ist das wichtigsteund das beste Projekt deutscher Politik am Ende diesesJahrhunderts bzw. an der Schwelle zum kommendenJahrhundert. Dieses Europa voranzubringen ist aber an-gesichts der Probleme eine sehr große Aufgabe.Deswegen muß man die Substanz der europäischenPolitik bewahren. Deshalb sollte man mit den Proble-men so umgehen, daß sich die Menschen auch ange-sichts der Entwicklungen in Europa zu Hause fühlen.Dies gilt für die Heimatvertriebenen, die Landwirte unddie Bevölkerung insgesamt, die nicht das Gefühl habensollen, nur zu zahlen und immer weniger zu verstehen,was in Europa passiert. Behutsamkeit, Substanz in derSache, Klarheit im Hinblick auf die Regelungen undvielleicht auch Zurückhaltung in der Sprache – mansollte nicht von Scheckbuchdiplomatie sprechen – sindbesser.Diese Dinge kann man nicht dadurch ersetzen, daßman eine Show inszenieren läßt. Geschäftigkeit undShow reichen nicht aus. Wir werden den Erfolg desBerliner Gipfels und der deutschen EU-Präsidentschaftan der Substanz messen. Wir hoffen, daß gute Ergebnis-se erzielt werden. Darin unterstützen wir Sie. Aber wennSie durch Show und Geschäftigkeit von der Substanzablenken, dann werden Sie auf entschiedene Kritik derOpposition stoßen.
Kollege Schäuble,gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des KollegenWieczorek?Dr. Wolfgang Schäuble
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2156 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich habe so-
eben meine Rede beendet.
Das Wort hat nun
Staatsminister Günter Verheugen.
G
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das Verfallsdatum der giftigen Rede, die wirgerade gehört haben, ist eine Woche und wenige Stun-den,
und das Verfallsdatum der inhaltlichen Aussagen, dieSie, Herr Schäuble, gemacht haben, ist nicht einmal einehalbe Stunde.
Ich habe noch nie in diesem Haus eine Rede gehört, beider nicht ein einziges Wort richtig war. Bei Ihrer Redewar das aber so.
Richtig in Ihrer Rede war nur eines, nämlich daß Europawichtig ist. Alles, was Sie zum Stand, zur Vorbereitung,zum Ergebnis, zu den Zielen der derzeitigen Europapo-litik gesagt haben, ist falsch.
Sie haben behauptet, Ihre Bundestagsfraktion und diebeiden Parteien stünden geschlossen hinter dem Ziel, dasReformprojekt jetzt abzuschließen. Herr Dr. Schäuble,hier sind Agenturmeldungen von heute mit der Über-schrift: Stoiber verlangt Verschiebung der Entscheidungüber Agenda 2000. – Hier habe ich das; es ist von heute.
Ich erwarte von Ihnen, Herr Dr. Schäuble, daß Sie sichbeim Bundesaußenminister für den Vorwurf der Lügeentschuldigen, und zwar so schnell wie möglich.
Sie haben Ihren Laden nicht im Griff. Sie wissennicht, was Ihre eigenen Abgeordneten im Europaaus-schuß hören und was sie dort sagen. Sie wissen nicht,was gestern im Europaausschuß des Bundesrates gesagtworden ist. Sie wissen nicht, was zwischen der Bundes-regierung und den Ministerpräsidenten der Länder be-sprochen worden ist. Wüßten Sie es nämlich, dannkönnten Sie nicht einen einzigen von den Vorwürfen,die Sie erhoben haben, aufrechterhalten.Ich stelle fest, Herr Abgeordneter Dr. Schäuble: Er-stens – das ist heute schon erkennbar – wird die Agenda2000 auf dem Gipfel in Berlin fristgerecht verabschiedetwerden, und zwar handelt es sich dabei um einen Ter-min, den Sie mit Ihrer Regierung im vergangenen Jahr,im Juni, festgelegt haben. Sie haben das erzeugt, was Sieselber jetzt als unziemlichen Termindruck bezeichnenlassen oder bezeichnen. Aber wir halten diesen Terminein.Zweitens. Das Ergebnis der Beratungen in Berlinwird nicht die Bestätigung des Vorschlags der Kommis-sion zur Agenda 2000 sein, auf den Sie die ganze ZeitBezug genommen haben, auch mit den Horrorzahlen,die Sie verbreitet haben, um die Kolleginnen und Kolle-gen erschaudern zu lassen und das deutsche Volk zu er-schrecken. Vielmehr wird über den derzeitigen Vor-schlag der Präsidentschaft verhandelt, der in seinen fi-nanziellen Auswirkungen um zig Milliarden unter demliegt, was die Kommission vorgeschlagen hat. DasSparziel in der europäischen Politik für die nächstensieben Jahre wird erreicht werden. Der Anteil der Bun-desrepublik Deutschland an den Nettoleistungen, denwir, gemessen an unserem eigenen Bruttosozialprodukt,für Brüssel erbringen müssen, wird zurückgehen, HerrSchäuble. Das können wir bereits heute sagen.
Wir werden auch erreichen, daß das Gesamtpaket soausgewogen gestaltet wird, daß das Reformziel derAgenda 2000 erreicht wird: mehr Effizienz, mehr Flexi-bilität, übrigens auch mehr Transparenz, mehr Gerech-tigkeit, mehr Zielgenauigkeit. Das ermöglicht eine Vor-bereitung auf die großen Aufgaben, die in Europa voruns stehen.Ich weise die Vorwürfe mit aller Entschiedenheit zu-rück – Sie, Herr Schäuble, haben sich diesen Vorwürfenangeschlossen –, die interessengeleitet aus einer be-stimmten europäischen Hauptstadt im Hinblick auf dieArt und Weise der Handhabung der deutschen Präsi-dentschaft gekommen sind. Sie, Herr Schäuble, könnensich nicht vorstellen, daß in einer Phase der Verhand-lungen, in der ein bestimmtes Mitgliedsland seinen Bei-trag zum Gelingen des Gesamtkompromisses leistenmuß, sich dieses Land vielleicht wehrt, indem es sagt:Deutschland verfolgt zu sehr seine eigenen Interessen. –Ich erwarte in einer solchen Situation, daß der DeutscheBundestag, daß alle demokratischen Parteien und Frak-tionen geschlossen hinter ihrer Regierung stehen.
In ganz Europa, von Finnland bis nach Lissabon, ist dieLage völlig anders als hier. Dort stehen alle Parteien unddie gesamte Öffentlichkeit hinter den Zielen, die ihrejeweilige Regierung im Zusammenhang mit der Agenda2000 verfolgt. Nur hier, in der Bundesrepublik Deutsch-land, ist das anders. Ich möchte Sie an Ihre nationaleVerantwortung erinnern, meine Damen und Herren vonder CSU und von der CDU.
Verhalten Sie sich so, wie wir uns verhalten haben,
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als der damalige Bundeskanzler Kohl unter ganz ande-ren finanzpolitischen Bedingungen Europapolitik ge-macht hat. Das hat es nie gegeben: daß die SPD derBundesregierung in einer schwierigen Phase der Euro-papolitik in den Rücken gefallen ist, so wie Sie das beider jetzigen Bundesregierung tun.
Sie schaden mit der Art und Weise, wie HerrDr. Schäuble diese Debatte heute begonnen hat, dendeutschen Interessen zutiefst.
Sie erschweren die Verhandlungsposition.Ich sage Ihnen: Die Beamten aus den Ministerien, diediese Verhandlungen vorbereiten, leisten eine großartigeArbeit, Tag und Nacht. Ich stelle mich ausdrücklichhinter die Beamten, die Sie mit angegriffen haben.
Der Bundeslandwirtschaftsminister hat im Agrarrateinen Kompromiß zustande gebracht, wie Sie das wäh-rend Ihrer ganzen Regierungszeit nie geschafft haben.An Hand eines Beispieles will ich Ihnen einmal aufzei-gen, was Sie geschafft haben. Sie haben während IhrerRegierungszeit für den Bereich Rindfleisch folgendesverabredet: Frankreich bestreitet zwar 22 Prozent derRindfleischproduktion in Europa, bekommt aber 27 Pro-zent der Prämien, während Deutschland bei 19 Prozentder Produktion 11 Prozent der Prämien bekommt.
Das haben Sie während Ihrer Regierungszeit verabre-det.Ich kann die Beispiele noch fortsetzen: Bundeskanz-ler Kohl hat – übrigens aus Gründen, die ich nicht fürfalsch halte und gar nicht kritisieren möchte – im Zu-sammenhang mit dem Delors-II-Paket Kohäsionsfondsfür die ärmeren Länder des Südens eingeführt.
– Aber wissen Sie, was Sie nicht getan haben, Herr Alt-bundeskanzler Kohl? Sie haben nicht dafür gesorgt, daßes bei diesen Kohäsionsfonds einen Korrekturmecha-nismus gibt. Wir müssen jetzt mühsam versuchen, daseinzuführen, damit wenigstens die durch die Milliarden-zahlungen aus dem Kohäsionsfonds erreichten Fort-schritte in die zukünftigen Zahlungen einbezogen wer-den. Das ist nämlich nicht der Fall; das haben Sie nichtverhandelt.Um Ihnen noch ein Beispiel zu geben: Sie haben sei-nerzeit einem Rabatt für Großbritannien zugestimmt.Ich will auch das nicht kritisieren. Die Lage in der Euro-päischen Union war damals entsprechend. Dieser Rabattfür Großbritannien beläuft sich heute auf immerhin8 Milliarden DM pro Jahr – obwohl sich die Verhältnis-se vollkommen geändert haben. Daß mit diesem Rabattetwas geschehen muß, weiß jeder. Aber Sie haben esdamals versäumt, eine zeitliche Begrenzung der Ermä-ßigung oder wenigstens eine Revisionsklausel zu ver-handeln.All das, was wir heute an Belastungen vorfinden, istwährend Ihrer Regierungszeit so verhandelt worden, daßes in Brüssel nur einstimmig, nur mit Zustimmung derBetroffenen, geändert werden kann. Und jetzt kommenSie daher und behaupten, hier werde schlecht verhan-delt. Wissen Sie, Herr Schäuble, eigentlich, was derBundeskanzler in dieser Woche mit den anderen Regie-rungschefs in Vier-Augen-Gesprächen verhandelt? – Siekönnen es überhaupt nicht wissen. Wir sind jetzt in einerPhase, in der die Elemente eines Kompromisses in ver-traulichsten Verhandlungen zwischen den Regierungs-chefs vorbereitet werden. Fragen Sie doch einmal Ihrenfrüheren Bundeskanzler, wie er solche Gipfel vorbereitethat, ob er mit seinen Kollegen Regierungschefs in Euro-pa das, was verabredet wurde, auf dem Markt ausge-breitet hat. Wenn Sie das tun, können Sie keine Europa-politik mehr beteiben.Die Präsidentschaft beinhaltet die Pflicht, Sachwalterder europäischen Interessen zu sein. Dabei müssen wir,so gut es geht, die deutschen Interessen wahren. Das istnur dann möglich, wenn die Gespräche mit den anderenRegierungen auf einer Ebene des Vertrauens und desVerständnisses stattfinden. Wenn die Gesprächspartnerdes Bundeskanzlers in dieser Woche befürchten müßten,daß Andeutungen von Konzessionen und mögliche Be-wegungen, die sie vollziehen, sofort auf dem öffent-lichen Markt diskutiert werden, dann erreichen Sienichts. Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie die ein-fachsten Grundregeln der internationalen Diplomatieund Verhandlungsführung nicht! Warten Sie ab, was inBerlin herauskommt, bevor Sie hier ein Urteil darüberabgeben!
Was in Berlin herauskommen wird, ist notwendig,um die Voraussetzungen für die Lösung der großen Pro-bleme, die wir in Europa haben, zu schaffen. Denn dieAgenda 2000 ist im Grunde ein mehr technisches Paket.Die eigentlichen politischen Aufgaben, mit denen diegroßen politischen Ziele verfolgt werden, kommen erstdanach, nämlich dann, wenn wir den Finanzrahmen si-chergestellt haben, wenn wir sichergestellt haben, daßwir uns auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrie-ren, wenn ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit – mehrals das ist nicht zu erwarten – hergestellt wurde.Auch hier bitte ich sehr darum, nicht zu vergessen,daß dies keine rein deutsche Position ist. Ich sage dasvor allen Dingen an die Adresse anderer Mitgliedstaa-ten. Schweden, Österreich, die Niederlande vertreten indieser Frage eine viel, viel härtere Position als Deutsch-land; sie können es auch, weil sie nicht unter demZwang stehen, einen Kompromiß vorlegen zu müssen.Glaubt denn irgend jemand, wir hätten es uns ausgesuchtund wären glücklich darüber, daß wir ein wirklich wich-tiges, unverzichtbares deutsches Ziel auf europäischerEbene gerade dann durchsetzen müssen, wenn wir selberdie EU-Ratspräsidentschaft haben? Diesen Zeitplan ha-ben nicht wir gemacht. Dieses Vorgehen ist unvermeid-bar. Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir diese DiskussionStaatsminister Günter Verheugen
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2158 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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führen? Die nächste Finanzdiskussion findet im Jahre2006 statt. Wenn jetzt nichts passiert, wenn alles soweitergeht wie bisher, dann wird die NettozahlungDeutschlands an die EU im Jahre 2006 weit über30 Milliarden DM betragen. Diese Entwicklung mußjetzt gestoppt werden. Wir können nicht zulassen, daßunsere Haushaltskonsolidierung auf der europäischenEbene konterkariert wird.Wenn wir ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit er-reicht haben – ich glaube, wir werden das schaffen –,dann kommen die nächsten großen Schritte. Für denGipfel in Köln ist der Einstieg in die notwendigen insti-tutionellen Reformen vorgesehen. Da geht es zunächstum die Reformen, die wir brauchen, um die Erweiterungvollziehen zu können, also die Zusammensetzung derKommission, Mehrheitsverfahren im Rat – eine ganzwichtige, schwierige Frage – und die Stimmengewich-tung. Wir müssen die institutionelle Diskussion in Euro-pa ein gutes Stück weiterführen. Es reicht nicht aus, sichauf diese Fragen zu konzentrieren. Die Menschen in Eu-ropa erwarten jetzt, daß wir ihnen eine Antwort auf dieFragen geben: Wo wollen wir eigentlich hin? WelcheArt von Verfassung soll Europa eigentlich haben? Wieschaffen wir ein System von „checks and balances“ zwi-schen den Institutionen? Dieses Verhältnis ist gestört;das ist gar keine Frage. Wodurch ist es gestört?
Es ist gestört durch das Europäische Parlament, dasnoch immer zu wenige Rechte hat, und durch eineKommission, die in den letzten zehn Jahren einen gi-gantischen Machtzuwachs erfahren hat. Schauen Siesich einmal an, was die Kommission vor zehn Jahren tundurfte, welche Mittel ihr damals zur Verfügung standenund was sie heute tun kann. Die Kommission hat heutedadurch Macht und Einfluß in Europa, daß sie die Her-rin über gewaltige Mittel ist. Dem stehen keine entspre-chenden demokratischen Kontrollen und vor allen Din-gen kein entsprechendes Transparenzerfordernis gegen-über. Das alles müssen wir schaffen. Wir müssen dieFrage beantworten: Wie schaffen wir ein demokrati-sches Europa, ein transparentes Europa und ein effizi-entes Europa?Ein weiteres Thema auf dem Gipfel in Köln ist dieeuropäische Außen- und Sicherheitspolitik. Auch hierwird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft erfolgreichsein können. Bereits heute zeichnet sich ab, daß wir ei-nen großen Schritt nach vorn tun können in dem Ziel,Europa handlungsfähig zu machen: im Krisenmanage-ment und in der Krisenprävention.Es ist wichtig, über Geld zu reden. Wir reden hierwahrlich nicht über Peanuts. Aber es ist vielleicht fastnoch ein bißchen wichtiger, darüber zu reden, wie wir inEuropa die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir un-ser eigenes Haus Europa in Ordnung halten können. Wirwerden auf dem Gipfel in Köln auch hier ein gutesStück vorankommen.Wir treiben die Erweiterung voran. Wir haben dasTempo des Erweiterungsprozesses deutlich beschleu-nigt. Die Ergebnisse sind sehr zufriedenstellend. Wirkönnen erkennen, daß die Erweiterung gelingen wird.Wir können heute auch schon erkennen, daß die ge-wählte Strategie in einer Reihe von europäischen Staatendazu geführt hat, daß die Transformationsprozesseernsthaft und auch erfolgreich vorangehen.Ich war gerade in Lettland und in Litauen. Ich binsehr beeindruckt von den Bemühungen, die die Regie-rungen und die Parlamente dort unternommen haben.Ich bin sicher: Diese Bemühungen wären nicht möglichgewesen und sie könnten von den dort lebenden Men-schen nicht getragen werden, wenn es nicht die Per-spektive der Mitgliedschaft in der Europäischen Uniongäbe. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diejenigen, diedie Zusammenhänge kennen, werden wissen, was ichdamit meine. Mehr kann ich dazu nicht sagen, außer:Wir müssen jetzt darauf achten, daß die Spielregelnnicht geändert werden; denn das Spiel hat bereits be-gonnen. Das heißt, wir müssen darauf bestehen, daß je-des einzelne Land individuell nach seinen Fortschritten,nach seinen Bemühungen, nach seinen Erfolgen behan-delt wird. Das gilt sowohl für den Vollzug des Beitrittsals auch für den Beginn neuer Beitrittsverhandlungen.Das sind die Spielregeln gewesen, die in Luxemburgvereinbart wurden. Ob man sie für gut hält oder nicht,spielt überhaupt keine Rolle mehr. Sie sind vereinbart,sie gelten. Die europäischen Partner – diejenigen, dieMitglied werden wollen – orientieren sich daran. Wirdürfen die Regeln jetzt nicht ändern. Am Ende diesesJahres sind Entscheidungen bezüglich der Aufnahmevon weiteren Verhandlungen fällig.Ein letztes Wort zu der personellen Situation. Hiermuß ich in der langen Liste der Fehler in der Rede vonHerrn Schäuble noch etwas richtigstellen. Der Bundes-kanzler hat das, was Sie, Herr Schäuble, dargestellt ha-ben, nicht gesagt. Zufälligerweise stand ich neben ihm,als er sich zu der Frage geäußert hat, wie wir mit dieserKrise, die durch den Rücktritt der Kommission aus-gelöst worden ist, umgehen. Er hat schlicht und einfacherst einmal das festgestellt, was in Art. 159 des EG-Vertrags steht. Dort steht: Die Kommission bleibt „imAmt“. Dort steht nicht „führt die Geschäfte weiter“, wieimmer falsch dargestellt wird. Die Kommission, die wirjetzt haben, ist nicht eine eingeschränkte Kommission.
Sie ist im Amt geblieben. Es wäre anders, HerrSchäuble, wenn das Parlament die Kommission gestürzthätte. Dann wäre sie geschäftsführend im Amt. Jetztkommt es darauf an, daß wir uns mit den anderen euro-päischen Regierungen zunächst auf ein Verfahren hin-sichtlich der Frage verständigen, ob eine Interimskom-mission eingesetzt wird oder jetzt die Kommission vor-geschlagen wird, die dann auch die folgenden fünf Jahreim Amt sein soll. Man muß erst diese Frage beantwor-ten, bevor man sich der Personalfrage zuwenden kann.Auf dem Gipfel in Berlin wird zu entscheiden sein, wieman das macht. So ist es auch vorgesehen. Ich weiß ausden Gesprächen, die der Bundeskanzler in dieser Wochegeführt hat, daß eine Einigungsmöglichkeit besteht. Re-lativ schnell danach wird man dann als Konferenz derRegierungschefs der Mitgliedsländer der EuropäischenStaatsminister Günter Verheugen
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Union – das ist wieder ein anderes Gremium – zusam-menkommen und einen Vorschlag machen können.Wir sollten als Deutsche sehr darauf achten – damitmöchte ich schließen –, daß wir an die Spitze der Kom-mission einen Mann oder eine Frau berufen, der bzw.die Reformwillen, Reformfähigkeit, tiefe europäischeÜberzeugung und auch europäische Überzeugungsfä-higkeit gegenüber den Menschen mitbringt. Kommissi-onspräsidenten waren immer wichtig. Aber ich glaube,daß in der Situation, in der wir jetzt sind, die wichtigstePersonalentscheidung zumindest der letzten Jahre in derEuropäischen Union vor uns steht. Auch eine solcheEntscheidung muß gründlich vorbereitet sein. Sie mußim Konsens mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgen.Es hat überhaupt keinen Zweck, Namen auf dem öffent-lichen Markt auszubreiten. Namen, die jetzt genanntwerden, sind verbraucht und verbrannt. Deshalb rate ichhier zu großer Zurückhaltung.Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Diedeutsche Präsidentschaft hat nach wenigen Wochen dieVoraussetzungen dafür geschaffen, daß alle die Re-formaufgaben, die Europa in diesem halben Jahr lösenmuß, bewältigt werden können. Ich bin zuversichtlich,daß wir mit der Unterstützung des Hauses – ich werbeum Unterstützung auch der Opposition – auch die Zu-stimmung der Menschen in Deutschland und Europa fürdiesen Weg finden werden.
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Helmut Haussmann.
Herr Präsident!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hatdie EU-Ratspräsidentschaft. Die Bürger erwarten vondieser Präsidentschaft, daß die europäische Integrationvoranschreitet, daß die neue europäische Währung stabilbleibt und daß die Reformer in Osteuropa sicher seinkönnen, heim nach Europa zu kommen. Wir haben so-eben eine Bundesregierung erlebt – sie ist auf der Regie-rungsbank noch in Abstimmungsgesprächen –, die we-nig souverän und sehr aggressiv ist. Die Bundesregie-rung macht einen sehr angeschlagenen Eindruck. Inso-fern, Herr Verheugen, erwarten wir jetzt auch nicht viel.Ich sage Ihnen gleich, was wir vom Verhandlungsstandder Agenda 2000 wissen. Die Agenda 2000 ist in der unsjetzt bekannten Form nicht zustimmungsfähig, Herr Fi-scher. Nicht, daß wir uns mißverstehen!
Es darf nicht einen Kompromiß um jeden Preis geben,nur weil wir eine extrem schwache Präsidentschaft ha-ben. Sie müssen mehr liefern, Sie müssen mehr zeigen!Denn den Osteuropäern, dem Euro und den Bürgern inDeutschland ist nicht damit gedient, daß eine angeschla-gene deutsche Bundesregierung verhandelt – im übrigenohne den wichtigsten Fachminister; das hat bisher janoch keine Rolle gespielt.
Das Aparte war, daß der Finanzminister bei der ent-scheidenden Sitzung des Ecofin-Rats am Montag garnicht mehr da war. Der Wirtschaftsminister, dem vorherdie Europakompetenz weggenommen wurde, mußte alsErsatzmann in die Bresche springen. Natürlich kannman nicht erwarten, daß die anderen europäischen Fi-nanzminister von einer solchen Verhandlungsführungder deutschen Präsidentschaft sehr beeindruckt sind.
Wir sind also nicht nur in einer Krise der europäischenEinrichtungen, sondern auch in einer Krise der deut-schen Präsidentschaft. Es heißt – so hört man, wennman mit Fachleuten redet –: So billig waren mit einerdeutschen Regierung Kompromisse noch nie zu be-kommen.
Das ist die Wahrheit; das ist nicht gut für Europa, unddas ist auch nicht gut für Deutschland.Herr Fischer, Sie wollen ja den Vergleich: Im Jahr1998 haben wir den Euro unter der Regierung Kohl,Kinkel und Waigel vollendet. Ihre Fraktion – das sollteman am heutigen Tag nicht vergessen – hat gegen denVertrag von Maastricht gestimmt. Jetzt aber sagen Sieimmer: Wir waren von Anfang an dabei. Ihre Restfrakti-on im Deutschen Bundestag hat dem Vertrag von Maas-tricht nicht zugestimmt. Wenn Sie sich heute so freuen,daß das Europäische Parlament endlich von seinenRechten Gebrauch gemacht hat, dann erinnern Sie sichdoch bitte auch daran, daß die Fraktion der Grünen demVertrag von Amsterdam nicht zugestimmt hat.
– Sie haben dem nicht zugestimmt, Herr Schlauch. Daskann jeder im Protokoll nachlesen. Ohne den Vertragvon Amsterdam gäbe es diese Rechte des EuropäischenParlaments überhaupt nicht, und deswegen hätte dieKommission auch nicht abgelöst werden können. So istdie Wahrheit.
An dieser Stelle möchte ich auf das zurückblenden,was im Januar passiert ist. Im Januar waren die gravie-renden Vorwürfe gegen die sozialistische KommissarinFrau Cresson bereits wohlbekannt. Es gab einen Antragder liberalen Fraktion in Straßburg, für den eine Zwei-drittelmehrheit notwendig gewesen wäre. Durch die In-tervention des Bundeskanzlers Schröder hat das Parla-ment – vor allem die große Fraktion der Sozialisten –dem nicht zugestimmt. Frau Green, die sich jetzt an dieSpitze der Kritiker stellt, war diejenige, die die Ablö-sung von Frau Cresson verhindert hat.
Wäre man damals den Liberalen im Europaparlamentgefolgt, dann wäre Frau Cresson zurückgetreten, und wirhätten heute zumindest noch eine handlungsfähigeKommission, was bei der Agenda 2000 entscheidend ist.In Deutschland haben wir keinen Finanzminister mehr,Staatsminister Günter Verheugen
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und in Brüssel haben wir keine Kommission mehr. Dasist der Tatbestand.Als Europäer kann man in dieser Situation eigentlichnur traurig sein. Das alles bringt parteipolitisch nichtviel, weil die Wähler nicht unterscheiden. Sie sagen, dieKommission müsse zurücktreten, in Brüssel gebe es oh-nehin nur Vetternwirtschaft und Korruption, und deshalbseien sie im Grunde gegen Europa. Sie sind leider nichtso weit, daraus den Schluß zu ziehen: Aus dieser Lagekommen wir nur durch eine höhere Wahlbeteiligung unddurch ein stärkeres Europäisches Parlament heraus. Daswäre aber der richtige Ansatz.Zur Agenda 2000. Angefangen hat das ganze Unter-nehmen mit Herrn Schröder, der gesagt hat: Jetzt kom-me ich, und jetzt werden die deutschen Beiträge richtiggesenkt! Was vorher gemacht wurde, lief immer überdas Geld, das war reine Scheckbuchdiplomatie! Wir än-dern das sofort! – Das erklärt den Erwartungshorizontder Bürger in Deutschland. Ich kann Ihnen nur sagen:Wer als Tiger so abgesprungen ist, landet noch nichteinmal auf dem, sondern unter dem Bettvorleger.
Der entscheidende Punkt ist heute, daß die Regierungvon Woche zu Woche ihr Verhandlungsziel minimiert.Im Jahr 2002, so hören wir jetzt, soll die Umstellung er-folgen.
Herr Fischer und Herr Verheugen, die einzig reale Ver-besserung wäre nur durch eine Kofinanzierung erreichtworden. Diese haben Sie ohne Gegenleistung aus derHand gegeben, weil Sie vorher unfähig waren, mitFrankreich einen Kompromiß zu erzielen.
Das lag vor allem daran, daß Herr Trittin das Verhand-lungsklima zwischen Bonn und Paris so zerstört hat, daßman in Paris klar gesagt hat: In dieser Lage sehen wirüberhaupt keinen Anlaß, die deutsche Präsidentschaft zuunterstützen.
Das hat jetzt zu dem Ergebnis geführt, daß die Bauerngroße Veränderungen hinnehmen müssen. Dabei möchteich ausdrücklich darauf hinweisen: Sie müssen jetzt ihreProdukte 20 Prozent unter den Weltmarktpreisen ver-kaufen. Ich kann beurteilen, was das zum Beispiel fürdie Bauern auf der Schwäbischen Alb bedeutet und wiehoch ihre Einkommensverluste sind. Die deutschenLandwirte zeigen eine große Bereitschaft, im InteresseEuropas zu handeln. Aber wenn Sie sich bezüglich derKofinanzierung durchgesetzt hätten, dann hätten wirheute Instrumente, mit denen bäuerlichen Betrieben inden strukturschwachen Gebieten direkt geholfen werdenkönnte.
Insofern gibt es zwei Nachteile: Der deutsche Beitragist nicht effektiv gesunken. Man redet heute elegant vonrealer Konstanz. Was heißt denn reale Konstanz? Wirsparen nichts ein, wie Herr Schröder angekündigt hat,sondern bewegen uns auf dem bisherigen hohen Niveau.
– Entschuldigen Sie, Herr Verheugen, im Jahr 2002wenn Sie zum Glück nicht mehr im Amt sein werden – –
– Ich bin nicht umfragegläubig, Herr Schlauch. Manbraucht keine Umfragen, sondern muß sich nur im Landumhören und vor Augen führen, welches Chaos Sie inso kurzer Zeit angerichtet haben und wie uneinsichtigSie sich gegenüber Mittelständlern und Selbständigensowie in der Steuerpolitik gezeigt haben, um zu wissen,daß es keine vier Jahre mehr dauern wird, bis diese Re-gierung abgelöst ist. Das wäre nicht nur für Deutsch-land, sondern auch für Europa ein großer Fortschritt.
Zum Schluß möchte ich drei Forderungen aufstellen:Wir brauchen möglichst rasch eine neue EU-Kommission.
Wenn es der Bundesregierung gelingen sollte, HerrnProdi zu gewinnen und die Verabschiedung einesStrukturprogramms bis zum Jahre 2005 zu erreichen,dann wäre dies ein großer Fortschritt. Ich glaube, daßdies in der kurzen Zeit so nicht möglich sein wird. Wirsind aber in jedem Fall der Meinung, daß sich auch diesogenannte Übergangskommission von jetzt an bis zumJahre 2000 nach den Bestimmungen des neuen Vertra-ges von Amsterdam wählen lassen sollte. Das heißt, Siesollten nicht versuchen, die Schwächen des alten Ver-trages von Maastricht auszunutzen. Auch die Über-gangskommission sollte die Zustimmung des Europäi-schen Parlaments einholen. Hier kann ich Ihnen nur dieEmpfehlung geben, Ihre koalitionspolitischen Spiele beider Besetzung der Kommission zu überdenken; dennnach dem neuen Vertrag von Amsterdam brauchen Sieeine Zustimmung aller Beteiligten. Es läuft nicht mehrnach dem Motto: Wir schicken Herrn Trittin nach Brüs-sel, weil er vorher in der Bundesregierung angeeckt ist.Es läuft auch nicht mehr nach dem Motto: Wir lösen dieProbleme der Grünen mit der Frauenquote, indem dieMänner in Bonn die Politik machen und die Frauen nachBrüssel geschickt werden, weil das gut genug für sie ist.Nach der jetzigen Krise lassen sich die Probleme der Eu-ropäischen Kommission so nicht mehr lösen.
– Das ist ein wichtiger Punkt. Herr Bangemann ist durchdie Untersuchungsergebnisse bezüglich der VorgängeDr. Helmut Haussmann
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um die EU-Kommission in keiner Weise belastet wor-den.
– Regen Sie sich ab. Ich kann Ihnen nur sagen: HerrBangemann hat gegen Ihren Widerstand dafür gesorgt,daß es durch die Liberalisierung der Märkte heute inDeutschland und in Gesamteuropa Wettbewerb im Tele-kommunikationsbereich gibt.
Er hat eine Menge bewegt.Leider ist Frau Wulf-Mathies nicht frei von Vorwür-fen. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob Sie an ihrfesthalten. Ich bin der Meinung, daß auch die Über-gangskommission nur aus Kommissaren bestehen sollte,die völlig unbelastet sind.
Sie würden der Europawahl einen Tort antun, wenn SieKarrierewünschen einiger folgten.Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: WennSie das finanzielle Ergebnis der Agenda 2000 nichtnachbessern, wird sie nicht zustimmungsfähig sein.Das einzig Positive an dieser Krise ist, daß das Euro-päische Parlament zum erstenmal in seiner Geschichtezeigen konnte, daß es über eine Machtkontrolle verfügt,was hoffentlich bewirkt, daß die Wahlbeteiligung inDeutschland bei der Wahl des Europaparlamentes steigt.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Rezzo Schlauch vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Kollege Haussmann, nach Ihrer Rede kann man nurfeststellen: Es verwundert nicht, daß Ihre Partei gar nichtim Europaparlament vertreten ist.
Ich glaube auch nicht, daß Sie dadurch im Juni den Ein-zug in das Europaparlament schaffen werden.
Der 24. und 25. März werden für Deutschland äußerstwichtige Daten sein. Auf dem Sondergipfel der europäi-schen Staats- und Regierungschefs nächste Woche inBerlin werden die Weichen für Europas Zukunft gestellt.Es gilt, dort die Verhandlungen über die Agenda 2000zum Erfolg zu führen. Die Agenda 2000 ist nämlichnicht nur ein Haushaltsplan für die Europäische Union,sondern der Schlüssel zur Osterweiterung der EU. Einereformierte Finanzverfassung, wie sie in der Agendaformuliert ist, eröffnet den mittel- und osteuropäischenBeitrittskandidaten eine konkrete Perspektive.
Wir wollen den Beitritt dieser Länder. Wir wolleneine Erweiterung der Europäischen Union. Die Regie-rung Schröder/Fischer setzt mit ihrem Einsatz für denErfolg des Berliner Gipfels das fort, was unter KonradAdenauer mit der Gründung der Europäischen Gemein-schaft im Jahre 1957 begonnen wurde und bis heute vonallen Regierungen und den breiten Mehrheiten diesesHauses getragen wurde.Sie aber, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, stellen heute diesen breiten Konsens zurDisposition. Sie stellen die außenpolitische Verläßlich-keit unseres Landes in Frage. Ihnen sind die tagespoliti-schen und parteipolitischen Profilierungen wichtiger alsdie vorrangigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozia-len Interessen der Bundesrepublik an einem vereinigtenEuropa.
Herr Kollege Schäuble, in diesem Zusammenhangzitiere ich den Geschäftsführer des BDI, auf den Sie sichnormalerweise gerne berufen, aus einer Presseerklärungvom 14. März, in der erklärt wird:In diesem Zusammenhang kritisierte der BDI-Geschäftsführer auch die Forderung der BonnerOpposition,– hören Sie jetzt genau zu! –den deutschen Nettobetrag um 14 Milliarden DMzu reduzieren. Es sei kurzsichtig, wenn die CDU indieser Frage jetzt auf den populistischen Kurs vonCSU-Chef Edmund Stoiber einschwenke.So weit der BDI. Dies spricht eigentlich für sich.
Herr Schäuble, Europa schaut auch auf Sie. UnserePartner wollen wissen, ob die Union zum europäischenErbe von Helmut Kohl steht oder nicht. Die Stärke derdeutschen Europapolitik war nämlich, daß sie sich bis-lang immer auf breite Mehrheiten im Inland stützenkonnte. Was Sie heute betreiben, schwächt unsere Posi-tion und schadet somit denjenigen, für die Sie vorgeben,sich einzusetzen.Herr Schäuble, das, was Sie heute hier geboten ha-ben, ist an Ignoranz nicht zu überbieten,
Dr. Helmut Haussmann
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und zwar deshalb, weil Sie den Außenminister und dieseRegierung der Lüge bezichtigen. Ich zitiere die „ADN“vom 17. März:Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber
hält es für falsch, ohne eine legitimierte Kommissi-on eine Entscheidung über die Agenda 2000 zutreffen.Des weiteren:Die Agenda 2000 könne deshalb von deutscherSeite zur Zeit nicht verhandelt werden. Unter die-sen Umständen halte er es für fahrlässig, jetzt dieArchitektur Europas für die nächsten sieben Jahremit einem Volumen von 1 400 Milliarden DM ab-zuschließen.Und weiter – Union bzw. CSU für „Gipfel verschie-ben“ – :Führende CSU-Politiker– das haben Sie vorhin wider besseres Wissen bestrit-ten –sprachen sich indessen für einen Stopp des Re-formpakets Agenda 2000 aus. Der bayerische Mini-sterpräsident Edmund Stoiber forderte denvorläufigen Stopp. Auch der Münchner Staats-kanzleichef Erwin Huber verlangte, denBerliner Gipfel zu verschieben.Was haben Sie vorhin hier vorgetragen? Sie habengesagt, das sei eine Lüge. Daß das nicht so ist, ist hier-mit nachgewiesen. Ich habe Sie aufzufordern, diese Be-schuldigung gegen die Regierung zurückzunehmen.
Nehmen Sie die Situation der Bauern. Wer so wieder ehemalige Landwirtschaftsminister Ihrer Regierungin einem geradezu fundamentalistischen Nein zur Agen-da 2000 verharrt ist und keinerlei konstruktive Ver-handlungen geführt hat, wer so wie Sie den deutschenBauern sagt, daß alles so bleiben könne, wie es ist, dertut den Bauern wirklich überhaupt keinen Gefallen.
Auch in diesem Zusammenhang haben Sie das Par-lament belogen. Lesen Sie nach! Sie haben offensicht-lich nicht den Antrag der Regierungsfraktionen nachge-lesen. Ich zitiere:Der Deutsche Bundestag hält folgende Ziele für be-sonders wichtig. ... Dies gilt insbesondere für dieUmweltprogramme und die Politik zur Stärkungder ländlichen Räume, die auf der Basis integrierterProgramme zur Regionalentwicklung sowohl dieFörderung einer nachhaltigen Landwirtschaft alsauch alle für die Regionalentwicklung relevantenStrukturpolitiken umfassen sollte.Wie soll denn da Ihre Aussage stimmen, daß für dieFörderung des ländlichen Raumes nichts mehr getanwird? Diese Aussage ist eine bewußte Irreführung desParlaments gewesen.
Das ist die Art, wie Sie, Herr Kollege Schäuble, Poli-tik betreiben. Hier treten Sie als europolitisches Lammauf, und draußen bedienen Sie – jedenfalls Ihr Partner,die CSU – gleich anschließend die Presse mit antieuro-päischen Ressentiments.
Wie wenig ernst es Ihnen um dieses vereinigte Euro-pa ist, das sieht man doch an dem von Ihnen vorgelegtenAntrag. Sie wollen alles auf einmal. Das wollen Sie so-fort und umsonst. Die von mir zitierte Pressemitteilungzeigt genau auf, daß die Beitragszahlungen Deutsch-lands Ihrer Meinung nach um mindestens 7,5 MilliardenDM, nach der bayerischen Version sogar gleich um14 Milliarden DM sinken sollten, während die Zuwen-dungen an Deutschland gleich hoch sein sollten. Siewollen verbal die Osterweiterung, aber nur, wenn dieZuwendungen für Deutschland erhalten bleiben. Siewollen europäisch sein und stellen doch den kurzfristi-gen nationalen oder gar bajuwarischen Nutzen vor denlangfristigen Gewinn für alle Europäer.Wir wollen Europa erweitern und erneuern. Sie wol-len, daß es so bleibt, wie es ist. Ja, Sie nehmen mit ihrerVerweigerungshaltung einen nicht kalkulierbaren Rück-schlag zum Nachteil des gemeinsamen Europas und zumSchaden für unser Land gegen eine billige politischeTagesmünze in Kauf. So, Herr Schäuble, geht es nicht.
So wünschenswert jede einzelne Ihrer Forderungen ist,so fundamentalistisch und ohne jede Chance ist es,gleich alles ohne Abstriche durchsetzen zu wollen.Es ist doch kein Geheimnis, daß auch wir für Subsi-diarität sind. Aber wenn Frankreich als wichtigsterPartner an diesem Punkt nicht mitmacht, haben wir daszur Kenntnis zu nehmen. Ich kann Sie da nur fragen:Warum haben Sie es in 16 Jahren nicht geschafft, die-sem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen?
Sie wissen ganz genau, daß es bei diesem Punkt so nichtgeht, sonst hätten Sie ja während Ihrer Regierungszeitdahin gehende Anstrengungen unternommen.
Außerdem ist das Finanzsystem ja nicht während un-serer Regierungszeit, sondern während Ihrer Regie-rungszeit entstanden; es ist das Ergebnis Ihrer Verhand-lungen und aus Ihrer Einsicht in die Bedeutung des eu-ropäischen Integrationsprozesses entwickelt worden. Ichfrage mich nur, ob die Einsicht einer RegierungsfraktionRezzo Schlauch
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eine andere ist als die Einsicht einer Oppositionsfrak-tion. Sie hätten deutlich sagen müssen, daß Sie Ihre Ein-sichten geändert haben.
Ich verstehe auch nicht, Herr Schäuble, wie Sie ei-gentlich diesen nationalen Zungenschlag, der aus all die-sen Äußerungen, die ich zitiert habe und die nachzulesensind, hervorgeht, in einer Zeit vertreten können, in derdie Globalisierung so schnell voranschreitet. Da kom-men Sie mit Ihren nationalen Gedanken und nationalenIdeen nun wirklich nicht mehr hinterher.
Es ist klar, daß Ihnen der Rücktritt der Kommissiongerade recht kam. Die CSU witterte ihre Chance undbehauptete, die EU sei nicht handlungsfähig, der Gipfelmüsse abgesagt und die Verhandlungen zur Agenda2000 müßten verschoben werden. Das besagen die vonmir zitierten Aussagen von CSU-Politikern. Auch dieMotive sind klar: Die CSU wollte noch nie die Agendaund will sie nicht. Der CSU ist eben jede Subvention fürBayern wichtiger als die europäische Einigung und dieOsterweiterung.
Der Rücktritt zeigt auch, wie notwendig eine umfas-sende Reform der Strukturen der Europäischen Unionist. Herr Schäuble, die Grünen haben sowohl hier wieauch im Europäischen Parlament immer wieder dieStärkung des Parlaments gefordert und auf die Tages-ordnung gesetzt. Da hat man von Ihnen nichts gehört;dabei haben Sie uns nicht unterstützt.
Sie haben vielmehr immer das Übergewicht der Kom-mission und gleichzeitig ein schwaches Parlament hin-genommen.
Sie wollen den Rücktritt instrumentalisieren, um dieVerschiebung der Agenda 2000 zu befördern. Wir hin-gegen wollen die notwendigen Reformen auf europäi-scher Ebene angehen. Für uns ist der Rücktritt eineChance. Wir werden die Konsequenzen daraus ziehenund die Rechte des Parlaments, für die wir immer ge-stritten haben, gegenüber denen der Kommission stär-ken. Auch hierzu werden wir noch während der deut-schen Ratspräsidentschaft auf dem Gipfel in Köln dieInitiative ergreifen. Wir werden mehr Transparenzschaffen, mehr Kontrolle der Kommission durch dasParlament durchsetzen und mehr Bürgernähe herstel-len.Meine Damen und Herren, wenn wir heute über Eu-ropa reden, reden wir – das ist vorhin auch schon einmalgesagt worden, muß aber noch einmal angeführt werden– zu oft, zu viel und fast ausschließlich über Geld. Wirmüssen wieder mehr über das Herz Europas reden. DasHerz Europas sind seine Bürger.
Die Bürger Europas stellen Ansprüche. Sie erwarten zuRecht mehr Dienstleistung, weniger Bürokratie, mehrdemokratische Teilhabe und ein stärkeres EuropäischesParlament.
Es sollte uns Auftrag sein, diese Ansprüche und Wün-sche auch zu realisieren.Der Gipfel in Köln wird der zweite Schritt sein, da-mit die EU fähig zur Erweiterung wird. Den erstenSchritt werden wir nächste Woche in Berlin machen.Wir wollen mit der Agenda 2000 das Tor für die Bei-trittsländer in Osteuropa eröffnen. Wir schaffen die Vor-aussetzungen für eine neue Stufe der europäischen Inte-gration. Das wird nur gelingen, wenn sich die Vertreteraller Länder aufeinander zubewegen. Mit Positionen,wie Sie sie hier heute vertreten haben, Herr Schäuble,wäre das Scheitern des Gipfels vorprogrammiert. Dasbedeutete auf absehbare Zeit das Aus für die Osterweite-rung und eine schwere Störung der Beziehungen der eu-ropäischen Partner untereinander. Aber auch für die Sta-bilität des Euros ist der Erfolg der Verhandlungen vonentscheidender Bedeutung.
Die Agenda 2000 ist der Haushaltsplan für die Euro-päische Union für die nächsten Jahre. An ihr wird sichauch die Frage der Handlungs- und Reformfähigkeit derEuropäischen Union zeigen. Scheitern die Verhandlun-gen, so würde das Vertrauen in eine gemeinsame euro-päische Politik, aber auch in die gemeinsame europäi-sche Währung nachhaltig geschwächt. Daher werden wirauch gegen Ihre Opposition alles dafür tun, daß der Ber-liner Gipfel zum Erfolg wird.
Trotz Ihrer Rede, in der Sie offensichtlich die Realitätder CDU- und CSU-Position nicht zur Kenntnis nehmenwollten, mit der Sie die Realität im Parlament anders ge-schildert haben, als Sie es gegenüber der Presse getanhaben, trotz dieser Politik der gespaltenen Zunge appel-liere ich an die Opposition – zumindest an die vernünfti-gen Kräfte der Opposition –: Kommen Sie aus Ihrer op-positionellen Schmollecke heraus! Besinnen Sie sich aufdie Europapolitik Helmut Kohls! Dann müßten Sie unse-rem Entschließungsantrag zustimmen und Ihren einpak-ken.Danke schön.
DasWort hat jetzt der Kollege Manfred Müller von der PDS-Fraktion.Rezzo Schlauch
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2164 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Herr Präsident! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den letztenTagen nach dem Rücktritt der Europäischen Kommissi-on erlebt haben, war schlicht ein Trauerspiel. Das Me-dienecho macht es deutlich: Die Bürgerinnen und Bür-ger Europas verbinden dieses Europa mit Filz, Korrupti-on, Vetternwirtschaft und Unfähigkeit. Europa ist da, wodie Millionen versickern und wo Versager sechsstelligeÜbergangsgelder kassieren.Das ist das Bild, das die Bürgerinnen und Bürger indiesem Land von Europa vermittelt bekommen. Dieheutige Debatte hat auch keine besonderen neuen Ak-zente gesetzt. Außer Appellen ist da wenig gewesen,was den Bürgerinnen und Bürgern in diesem EuropaHoffnung machen konnte.
Europa erscheint nicht mehr als großartige Idee, dieauch Herr Schäuble wieder beschworen hat. Es ist keineRede mehr davon, was für ein gewaltiges Projekt es ist,unseren Kontinent nach zwei Weltkriegen und fast50 Jahren erzwungener Teilung einen zu wollen. Europaist den Menschen bestenfalls egal. Sie wenden sich ab,wenn sie das Gefeilsche um Quoten und Beiträge erle-ben.Die Europäische Kommission ist nicht zurückgetre-ten, sondern sie ist zurückgetreten worden. Diesen spä-ten Akt der politischen Hygiene verdanken wir auchdem Druck des Europäischen Parlaments. Ein Sieg derDemokratie ist das allerdings noch lange nicht. Europabraucht endlich eine europäische Verfassungsdiskussion.Diese darf nicht vom Europäischen Rat, sondern sie mußvom Europäischen Parlament ausgehen.Der Europäische Rat hat in der Brüsseler Krise jäm-merlich versagt.
Wir alle wissen doch, daß das Europäische Parlamentund der Europäische Rechnungshof jahrelang Ver-schwendung, Inkompetenz und Vetternwirtschaft in derKommission und der Bürokratie aufgedeckt haben, an-geprangert haben, ohne daß der Europäische Rat jemalseingegriffen hätte. Deshalb muß die Initiative vom Eu-ropäischen Parlament ausgehen. Ein bloßer Austauschvon Personen bringt überhaupt nichts. Europa brauchteine radikale Demokratisierung; Europa braucht einParlament mit demokratischem Biß; Europa brauchtmehr unmittelbare und mehr direkte Demokratie.
Die Bürgerinnen und Bürger Europas werden sich nurdann wieder für das europäische Projekt begeistern,wenn sie mit ihren Wünschen und Hoffnungen ernst ge-nommen werden. Warum ist zum Beispiel vor der Geld-union nichts unternommen worden, um ein europäi-sches Bürgerschaftsrecht zu schaffen? Es ist doch ana-chronistisch, daß wir alle demnächst mit den gleichenGeldscheinen ausgestattet werden, aber noch mit unter-schiedlichen Pässen herumlaufen. Ganz zu schweigendavon, daß ein solcher Ansatz auch dazu beigetragenhätte, der aktuellen Diskussion um das deutsche Staats-bürgerschaftsrecht jegliche nationale Borniertheit zunehmen.
Agenda 2000 ist ein Begriff, den die Bürgerinnen undBürger Europas überhaupt nicht verstehen können. Washeißt Agenda 2000? Warum hat die Europäische Kom-mission nicht einen Begriff gewählt – zum Beispiel: Zu-kunft Europa 2000 –, der nach vorne orientiert ist? Mitdiesem Wortungetüm Agenda 2000 versucht die Euro-päische Kommission, wesentliche Politikfelder der Uni-on – wie die Landwirtschaft, die Strukturpolitik und dieFinanzierung – nachhaltig zu reformieren.Die Notwendigkeit einer solchen Reform ergibt sichnicht nur aus dem anhaltenden Wunsch der StaatenMittelosteuropas, möglichst schnell der EU beizutreten,sondern auch und vor allem aus den neuen Aufgabenund Kompetenzen, wie sie der Union mit den Verträgenvon Maastricht und Amsterdam übertragen wurden.Zweifelsohne spielen dabei die finanziellen Fragen eineganz entscheidende Rolle. Allerdings war angesichts derGröße und der Vielfalt der im Rahmen der Agenda zulösenden Aufgaben die von Bundeskanzler Schröder an-gezettelte Nettozahler-Diskussion alles andere als hilf-reich. Sie hat, wie wir heute wissen, die Agenda-Verhandlungen eher erschwert als gefördert. Nur einemkam die ganze Nettozahler-Debatte wie gerufen, näm-lich Bayerns Ministerpräsident Stoiber, der mit krachle-dernem Charme gleich 14 Milliarden DM herausschin-den wollte.
– Ich sprach vom krachledernem Charme. – Mit dieserForm der Europa-Debatte befördert man nur eines: an-tieuropäische und nationalistische Stimmungen.Europa ist kein Armenhaus. Die Europäische Unionist kein Almosenempfänger. Europa kann und muß essich leisten, zuerst die politischen Ziele zu bestimmen,dann nach den Kosten zu fragen, und erst in einem drit-ten Schritt zu sehen, wie die erforderlichen Mittel dafüraufgebracht werden können. Das Primat der Politik mußsich in Europa gegen das derzeitige Primat des Geldesendlich durchsetzen.
Dies ist kein Plädoyer für europäische Luftschlösser.Aber es ist der dringende Appell, die europäische Ideenicht auf das Niveau eines Preiskrieges zwischen zweiSupermarktketten zu reduzieren, bei dem nicht der bes-sere Service, sondern die niedrigeren Sozial- und Um-weltstandards entscheiden.
Die PDS ist für eine gerechtere Lastenverteilung inEuropa. Doch das heißt für uns, daß der mehr zahlensoll, der am meisten von der Integration profitiert. Dazugehört nun einmal auch die Bundesrepublik. Wir sindnach wie vor Exportweltmeister. Mehr als zwei Drittelaller deutschen Exporte bleiben in der EU. Jeder drittedeutsche Arbeitsplatz hängt am Export. Was würde alsogeschehen, wenn nach gekürzten deutschen EU-Bei-
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trägen und reduzierter Strukturförderung die Auftragsla-ge auf den europäischen Markt zurückgeht?Eine Reform der EU-Finanzverfassung ist unum-gänglich. Wir sind auch der Auffassung, daß bei denEinnahmen der EU mehr Gerechtigkeit hergestellt wer-den muß. Für uns klafft die Gerechtigkeitslücke aller-dings nicht zwischen reicheren und ärmeren Ländern derEU; sie klafft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern,die mit ihren Steuern die nationalen EU-Beiträge finan-zieren, und jenen Unternehmen, die in erster Linie vomBinnenmarkt profitieren. Warum reden wir nicht endlichüber eine europäische Steuergesetzgebung, die in diesemPunkt ansetzt und so die Einnahme- und Finanzautono-mie der Europäischen Union stärkt?Die Bundesregierung will die Finanzierung der EUnach dem Prinzip der realen Ausgabenkonstanz gestal-ten. Das ist eine Mittelkürzung durch die „kalte Küche“,die wir für völlig unangemessen halten.Wer die Massenarbeitslosigkeit in Europa wirksambekämpfen will, wer neue Mitglieder aufnehmen willund wer immer mehr Aufgaben auf die EU-Ebene verla-gert, der braucht nicht weniger, sondern mehr, vor allemjedoch wirksam eingesetzte Fördermittel. Die PDS wen-det sich deshalb entschieden dagegen, im Rahmen dersogenannten realen Ausgabenkonstanz die Mittelzuwei-sung für die Strukturfonds de facto zu kürzen. Wir un-terstützen vielmehr den Vorschlag der Kommission, dieStrukturfonds in den Jahren 2000 bis 2006 mit insge-samt 240 Milliarden Euro, und zwar in Preisen von1999, auszustatten.Wir wollen, daß diese Fonds auf die bedürftigenStaaten und Regionen Europas konzentriert werden, undwir fordern, daß die Mittelvergabe einer stärkeren de-mokratischen Kontrolle unterliegt.
Das schafft mehr Gerechtigkeit, und es beugt solchenunseriösen Kungeleien vor, wie sie zum Rücktritt derKommission geführt haben.Es reicht jedoch nicht aus, Mittel aus den Struktur-fonds auf bedürftige Regionen zu konzentrieren. DieseFonds müssen so gebündelt werden, daß die innerenEntwicklungspotentiale in den betroffenen Regionenfreigesetzt werden. Vor allem aber ist die Strukturpolitikwesentlich stärker auf die Frage der Beschäftigungs-wirksamkeit zu konzentrieren.
Wir wollen, daß Strukturförderung an regionale Wohl-standskriterien gebunden wird, zu denen eben nicht nurdas regionale Bruttosozialprodukt, sondern auch Kenn-zahlen zur Arbeitslosigkeit gehören.Meine Damen und Herren, die PDS ist eine pro-europäische Partei.
Wir nehmen den Gedanken der europäischen Integrationsehr ernst. Wir wollen, daß die Menschen in Europa eineChance sehen, ihr Leben in Frieden sicherer und ge-rechter zu gestalten. Deshalb haben wir vor den nega-tiven Konsequenzen einer voreiligen Währungsuniongewarnt. Der Euro wird Europa in einem beispiellosensozialen Härtetest zusammenschweißen. Das kommt unsalle teuer genug. Wer jetzt auch noch die Reform dereuropäischen Finanz-, Struktur- und Agrarpolitik mo-netaristischen Kriterien unterwirft, der erhöht die sozialeSchieflage in Europa; der einigt Europa nicht, der spal-tet.Danke schön.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid Matthäus-
Maier für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Herr Kollege Schäuble, – – Herr Kollege Schäuble!
Herr Kollege Schäuble – –
– Ich habe Sie nicht gestört und möchte Sie bitten, mirzuzuhören. Wenn Sie es nicht tun, dann sage ich es ebenanders.
Ich wollte zum Kollegen Schäuble ein persönlichesWort am Anfang sagen. Ich kenne ihn seit 20 Jahren.Wir haben schon zusammen im Finanzausschuß geses-sen, und wir beide sind durchaus dafür bekannt, daß wirauch austeilen. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Schärfe,die Sie seit einigen Jahren in die Debatten hineinbrin-gen, ist mir nicht verständlich. Insbesondere sind dieGehässigkeit und das Gift, das Sie in den letzten Debat-ten, seitdem Sie die Wahl verloren haben, hier gegen dieKoalition verbreiten, unerträglich.
Dies hat es bisher noch nicht gegeben.
Wenn Sie sich dann aber immer wieder beschweren,sobald von uns Zwischenrufe auf wirklich schärfste At-tacken auf die Minister kommen, und Sie sie dann mitdem larmoyanten Hinweis zurückweisen, man würde Siedauernd unterbrechen, dann ist das widersprüchlich. Wirwerden das nicht hinnehmen. Ich bitte Sie, sich in Zu-kunft in den Debatten zu mäßigen, Herr Kollege.
Manfred Müller
Metadaten/Kopzeile:
2166 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Meine Damen und Herren, die Regierungschefs derEuropäischen Union wollen und sollen in der nächstenWoche in Berlin die Agenda 2000 beschließen. Auch ichbin der Meinung, daß es sich – das wurde schon gesagt –,um ein schreckliches Wort handelt; denn die Menschenwissen nicht, was sie unter „Agenda 2000“ verstehensollen. Sie hören nur Geld und Finanzrahmen. DieAgenda behandelt Dinge, die in den nächsten Jahren fürEuropa zu erledigen sind, erstens die Festlegung einesFinanzrahmens für die Jahre 2000 bis 2006, zweitensdie Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, damit sienicht zu teuer wird, drittens die Reform der Struktur-und Kohäsionsfonds, also der europäischen Förder-mittel, und viertens eine faire Lastenverteilung inner-halb der Europäischen Union zwischen denen, diemehr einzahlen, als sie von der EU zurückerhalten, undden anderen, die aus dem europäischen Topf mehr Geldbekommen, als sie einzahlen. Darum geht es nächsteWoche auf dem Gipfel.Zu der Festlegung des Finanzrahmens muß eines klarsein – die Regierung hat das heute wiederholt –: Das ra-sche Ausgabenwachstum, das es bisher in der Europäi-schen Union gab, können wir uns alle miteinander nichtmehr leisten. Das Stichwort heißt zu Recht „reale Kon-stanz“. Das heißt, auch in Europa dürfen die Haus-halte nur auf dem jetzigen Niveau wachsen, ergänzt umdie Inflationsrate, die Gott sei Dank sehr niedrig ist. Eskann nicht sein, daß wir in den nationalen Parlamentenkräftig sparen, und in Europa sind die Ausgabenzuwäch-se höher. Ich halte den Vorschlag der realen Konstanz,den die Bundesregierung gemacht hat, für gut. Esscheint Chancen zu geben, daß das nächste Wocheklappt.
Zweitens: die Reform der Strukturfonds. 52 Prozentder Fläche der Europäischen Union werden heute geför-dert. Das ist schlicht und einfach zuviel. Diese Geldermüssen auf die Gebiete konzentriert werden, die wirk-lich strukturschwach und förderungsbedürftig sind, ge-nauso wie wir es auf nationaler Ebene mit dem Länder-finanzausgleich versuchen.Drittens. Wir brauchen eine faire Lastenverteilunginnerhalb der EU. Das Stichwort „Nettozahler“ ruft beiden meisten Menschen schon Verärgerung hervor. Ichdanke den beiden Rednern der Regierung, daß sie klar-gemacht haben, daß nach allem, was wir wissen, nächsteWoche auf dem Gipfel beschlossen wird, daß die Netto-belastung der Bundesrepublik Deutschland relativ zu-rückgehen wird. Das ist gut so.
Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 ist einwichtiger Baustein für das weitere Zusammenwachsender Bürger in Europa. Deswegen, Herr Schäuble, ist esunverantwortlich, daß gefordert wird – in diesem Fallvon der CSU –, daß der Gipfel nächste Woche verscho-ben wird. Ihnen selbst ist das ja unangenehm. Sie sagenhier, das sei gar nicht so gesagt worden. Aber wenn manheute morgen die Erklärungen und Tickermeldungenliest, findet man immer wieder von Bayern die Forde-rung „Verschieben!“ oder jedenfalls „Wäre es nicht bes-ser zu verschieben?“ Es ist völlig klar: Sie versuchen ei-ne Arbeitsteilung. Herr Stoiber ist zuständig für denStammtisch, fürs Verschieben, und Sie versuchen, nocheinigermaßen zu retten, was Herr Kohl in den letzten16 Jahren aufgebaut hat. Das ist unglaubwürdig. StellenSie sich hinter die Bundesregierung, damit in der näch-sten Woche ein vernünftiges Konzept verabschiedetwird!
Es hat in den letzten Jahren viele wichtige Projektegegeben: den gemeinsamen Binnenmarkt, den Euro undjetzt die Agenda 2000, die nächste Woche verabschie-det werden soll. Das sind ganz wichtige Meilen-steine auf dem Weg der weiteren Integration: für Frie-den, für Freiheit und Wohlstand für die Menschen inEuropa.Rezzo Schlauch hat eben gesagt – das finde ich gut,obwohl ich für die Finanzen zuständig bin –: Wir dürfennicht nur über Geld reden, sondern müssen auch überdas Herz Europas sprechen. Die Vision für Europa gehtüber der Gelddebatte ein bißchen verloren. Denn was hatuns Europa gebracht? – Über ein halbes JahrhundertFrieden. Das hat es noch nie in der europäischen Ge-schichte gegeben.
Wer sich daran erinnert, daß eine oder anderthalb Flug-stunden von uns entfernt erbitterte kriegerische Ausein-andersetzungen stattfinden – im Kosovo, in Bosnienflammen sie wieder auf –, der weiß: Das ist nicht selbst-verständlich.Dazu gehört auch die Osterweiterung. Europa endeteben nicht an Oder und Neiße. Das war eine willkürlicheTrennung. Wir können froh und dankbar sein, daß wirsie in Sachen NATO schon überwunden haben; auch inSachen EU werden wir sie überwinden.
Zu den Fortschritten, die wir alle als selbstverständ-lich hinnehmen, die aber nicht selbstverständlich sind,gehören die Freizügigkeit – hier aus der rheinischenRegion fährt man am Wochenende nach Belgien oderHolland an die See; da wird keiner mehr geprüft; daweiß man gar nicht, ob man noch in Belgien oder schonin Holland ist – und der Wohlstand, den die europäischeIntegration den Menschen gebracht hat, ein Wohlstand,um den uns die meisten Menschen in der ganzen Weltbeneiden.Es wird oft von „Krieg oder Frieden“ gesprochen,wenn wir uns nicht einigen können. Wenn Sie das Wort„Krieg“ durch „Handelskrieg“ ersetzen, sehen Sie, wieschnell etwas passieren kann. Wenn Sie sich vorstellen,die Länder der EU würden bei den internationalen Unsi-cherheiten, bei den Turbulenzen in Südostasien oder inSüdamerika nicht gemeinsam handeln, sondern auf Pro-Ingrid Matthäus-Maier
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tektionismus, auf Handelskrieg zurückgreifen, dann be-kommen Sie eine Vorstellung davon, zu welchen enor-men Fortschritten wir es in Europa gebracht haben.
Mein Eindruck nach den Zeitungsanalysen ist, daßvermittelt werden soll, die Kriegsgeneration, diejenigen,die den Krieg noch miterlebt haben, verstünden das undwüßten, was das wert ist; aber die, die nach dem Krieggeboren sind – dazu gehöre auch ich –, wüßten das nichtmehr zu schätzen. Wenn das so wäre, wäre es falsch.Denn gerade die, die nach dem Krieg geboren sind, ineiner Zeit, in der wir über ein halbes Jahrhundert Frie-den mit klassischen Erbfeinden, ständig steigendenWohlstand und Freizügigkeit haben, wissen, daß es einGlück ist, in eine solche Zeit hineingeboren worden zusein. Ich bin mit meiner Generation dankbar dafür.
Dafür stehen viele Kanzler: Konrad Adenauer mit derWestintegration, Willy Brandt mit seiner Ostpolitik alsWegbereiter für die Osterweiterung, Helmut Schmidt alsVater des Europäischen Währungssystems und als Vor-reiter für den Euro und natürlich auch Helmut Kohl mitdem Euro und dem Amsterdamer Vertrag.
Ich habe es hier schon öfter gesagt, und jedermannweiß, daß ich es Herrn Waigel hoch anrechne, daß ertrotz Stoiber und Gauweiler im Nacken intensiv für denEuro gefochten hat.
Aber, Herr Waigel, Sie konnten sich in den 16 JahrenIhrer Regierung darauf verlassen, daß die damalige Op-position bei diesem schwierigen Thema hinter Ihnenstand, trotz Unterschieden im Detail. Was meinen Sie,was in diesem Lande los gewesen wäre, wenn wir unsoffiziell gegen den Euro gestemmt und wiederholt hät-ten, was an den Stammtischen gesagt wurde: „Er hat dieDeutsche Mark zum Fenster hinausgeworfen“?
Frau
Kollegin Matthäus-Maier, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Hirche?
Gerne.
Bitte
schön, Herr Hirche.
Frau Kollegin, können Sie
bestätigen, daß das Papier der Ministerpräsidenten vom
letzten Jahr, in dem eine Entlastung um 14 Milliarden
DM gefordert wurde, die Unterschrift aller SPD-
Ministerpräsidenten, auch die des heutigen Bundes-
kanzlers Schröder, trägt?
Gerade nicht! Ichsage Ihnen ausdrücklich – der Kollege Norbert Wieczo-rek hat mir die Unterlagen gerade auf den Tisch ge-legt –, daß die Entlastung um 14 Milliarden DM wedervom Bundesrat noch von den Ministerpräsidenten be-schlossen worden ist. Ich weiß, daß diese Zahl in derDiskussion der Finanzminister eine Rolle spielte. Aberdie Ministerpräsidenten haben das ausdrücklich nichtbeschlossen, um die Position der Deutschen in den in-ternationalen Verhandlungen nicht zusätzlich zu schwä-chen.
Es bleibt dabei: Wir haben in schwierigster Zeit, alsdie Menschen in Deutschland mehrheitlich gegen denEuro waren und es für uns ein leichtes gewesen wäre,schon den Bundestagswahlkampf 1994 mit dem Vor-wurf zu bestreiten, Kohl schmeißt die gute DeutscheMark aus dem Fenster, gesagt: Der Euro ist gut für dieWirtschaft, gut für die Menschen und gut für die Inte-gration.
Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie heute alsOpposition machen. Nachdem Sie jetzt in der Oppositi-on sind, verabschieden Sie sich von dem, was wir frühergemeinsam gemacht haben. Das ist nicht in Ordnung.
Denn nur wenn wir gemeinsam die nationalen InteressenDeutschlands vertreten und versuchen, gemeinsam zueinem fairen Kompromiß zu kommen, den auch die an-deren Staaten unterstützen können, werden wir in Euro-pa weiter vorankommen.
Deswegen ist es auch ein Fortschritt, daß die Kom-mission geschlossen zurückgetreten ist. Daß das eineWoche vor dem Gipfel nicht so angenehm ist, ist selbst-verständlich. Aber daß die Kommission die Konsequenzdaraus zieht, daß ihr Vetternwirtschaft und Unverant-wortlichkeiten nachgewiesen worden sind, ist richtig.Ich begrüße ausdrücklich, daß diejenigen Sozialde-mokraten, die im Januar dieses Jahres im EuropäischenParlament für eine Absetzung der Kommission gestimmthaben, jetzt recht bekommen haben. Aber ich erinnereauch daran: Es war erst Bundeskanzler Schröder, derden Vorschlag gemacht hat, eine überparteiliche Kom-mission einzusetzen, die jetzt durch Vorlage ihres Be-richtes den Rücktritt der Kommission bewirkt hat.
Ingrid Matthäus-Maier
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– Umwege hin, Umwege her, tun Sie doch nicht so, HerrHaussmann, als hätten Sie die Weisheit mit Löffeln ge-fressen.
Wir haben die Angelegenheit bewältigt. Deswegenmüssen wir jetzt den Erfolg, den das Europäische Par-lament erreicht hat, fortsetzen. Da gibt es ein Problem:Wir haben in den letzten Jahren – auch mit unsererStimme; denn wir sind dafür – Rechte der nationalenParlamente abgegeben. Gleichzeitig hat das Europäi-sche Parlament zwar zusätzliche Rechte bekommen,aber nicht in gleichem Maße.
Durch die Operation, daß von den nationalen Parlamen-ten Rechte abgegeben werden und das EuropäischeParlament sie nicht in gleichem Maße erhält, hat es ei-nen Schwund an Demokratie gegeben. Das darf nichtsein.
Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, daß sich dasändert, daß zum Beispiel in Zukunft das Recht besteht,daß das Europäische Parlament auch einzelnen Kom-missaren das Mißtrauen aussprechen kann. Denn ma-chen wir uns doch nichts vor: Wenn eine bestimmteKommissarin aus Frankreich rechtzeitig zurückgetretenwäre, hätte es dieses Desaster nicht gegeben.
Deswegen bin ich zutiefst überzeugt: So schwierigdie Lage im Augenblick auch ist, sie zwingt uns um somehr zu einem Erfolg. Denn wenn der Berliner Gipfelin der nächsten Woche scheitert, dann entsteht der Ein-druck, Europa sei nicht handlungsfähig. Das darf nichtsein. Deswegen stehen wir Sozialdemokraten hinter derRegierung und der deutschen Ratspräsidentschaft
mit ihren Kompromißvorschlägen für die nächste Wo-che.Danke.
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Verehrte KolleginMatthäus-Maier, daß Sie eine ganz normale parlamenta-rische Auseinandersetzung und eine sehr verantwortli-che Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. WolfgangSchäuble als „Gehässigkeit“ und „Gift“ bezeichnen,
disqualifiziert Sie als ernstzunehmende Gesprächspart-nerin in diesem Parlament.
Herr Außenminister, Sie kleiden sich mittlerweileunbestritten gut,
aber mit der Wahrheit gehen Sie sehr oberflächlich undschlecht um. Sie haben hier den Eindruck erweckt, alswürde die Opposition eine neue Europapolitik betreiben.Ich wiederhole das, was ich vor kurzem an dieser Stellegesagt habe – daraufhin trat der damalige Finanzministeran das Pult und sagte, daß die Positionen der Oppositiondie Positionen der Regierung seien –: Herr Fischer, wirvertreten auch heute als Opposition von der Beitragsfi-nanzierung bis hin zur Agrarpolitik exakt das, was wir inden 90er Jahren entwickelt haben, was auf einer Son-derministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanz-ler Helmut Kohl noch im Juli des Jahres 1998 abge-stimmt worden ist und was im Bundesrat behandeltworden ist. Die neue Bundesregierung unter GerhardSchröder ist es, die sich von den bisherigen Positionenverabschiedet hat. Sie haben den europapolitischen Kon-sens verlassen!
Frau Matthäus-Maier, auch hinsichtlich der von Ihnengenannten 14 Milliarden DM sagen Sie die Unwahrheit.
Die Länderfinanzminister – ich habe das Protokoll vor-liegen – haben am 13. Juni 1997 festgestellt, daßDeutschland im Zeitraum von 1991 bis 1996 insgesamtrund 140 Milliarden DM mehr an die EU gezahlt hat, alses von dort zurückerhalten hat. Also zahlt es über14 Milliarden DM pro Jahr mehr an die EU. Diese Posi-tion haben die Länderfinanzminister 1998 nach derBundestagswahl bekräftigt.Meine Damen und Herren, die Grundlinien der Euro-papolitik – ich verweise hier insbesondere auf unsereEinlassungen in bezug auf die Agenda 2000 – sind – ichsage es noch einmal – vom Bundesrat im Juni vor derletzten Bundestagswahl und von einer Sonderminister-präsidentenkonferenz beschlossen worden. Deshalbstelle ich hier noch einmal fest: Den europapolitischenKonsens in der Bundesrepublik Deutschland hat nur dieneue Regierung des Gerhard Schröder aufgegeben, nichtdie Opposition.
Wir vertreten exakt die gleichen Positionen wie vorher.Ingrid Matthäus-Maier
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Herr Fischer, Sie und die Grünen sind auch ein biß-chen oberflächlich mit dem Problem des EU-Beitragesder Deutschen umgegangen. Sie haben hier gesagt: Ichhabe das immer unterstützt. – Sie waren damals, 1995 –am 31. März ist das hier entschieden worden –, SprecherIhrer Fraktion. Im Protokoll findet sich nicht Zustim-mung der Grünen, sondern Enthaltung.
Auch hier haben Sie Ihre Position geändert.
Ähnlich verhält es sich mit Ihrer Position zur EU-Erweiterung. Ich habe Ihre diesbezügliche Rede nocheinmal nachgelesen. Ihre Position zur EU-Erweiterungvor Weihnachten war eine andere als die, die Sie dannspäter in Ihrer Rede vor dem Europäischen Parlamentvertreten haben. Wer so schludrig und oberflächlich mitder Wahrheit umgeht, kann uns nicht des Populismuszeihen. Das ist ganz eindeutig.
Jetzt komme ich zum EU-Beitrag. Wir bleiben beider Position: Die Deutschen werden immer Nettozahlersein. Wir verstehen Solidarität so, daß ein starker Staatfür die schwachen eintritt. Wir sind ein starker Staat,und deshalb üben wir Solidarität mit den schwachen.Wir haben immer für Beitragsgerechtigkeit plädiert,und zwar nicht erst jetzt, wo wir in der Opposition sind.Vielmehr war es 1997 Theo Waigel, der die Kommissi-on mit der offenen Frage der Beitragsgerechtigkeit kon-frontiert hat. Übrigens möchte ich erwähnen, daß dieSPD damals, 1995, der Höhe dieser Beiträge zugestimmthat. Es war noch die alte Regierung, die erreicht hat, daßdie Kommission die Berechtigung des deutschen Anlie-gens anerkannt hat.
So ist die historische Entwicklung gewesen.
Eine Entlastung um 14 Milliarden – ich wiederhole esnoch einmal – haben wir von der Union nie als politi-sche Forderung erhoben. Wir bleiben bei dem Betrag,den Theo Waigel in seinem Kappungsmodell genannthat, nämlich bei 7 bis 8 Milliarden DM. Wir sagen nur:Wenn die Ministerpräsidenten und die von der SPD ge-stellten Landesfinanzminister einen Betrag von 14 Mil-liarden einmal beschlossen und bestätigt haben, dannkann es nicht populistisch sein, wenn die Opposition alsMeßlatte für Sie bei den Verhandlungen über die Agen-da 2000 die Hälfte dieses Betrages nennt.
Dabei bleiben wir.
Herr
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Dr. Norbert Wieczorek?
Nein. – Gegen fol-gende Überlegungen spricht doch überhaupt nichts: Diedeutsche Regierung erhebt als Forderung, die Höhe desdeutschen Beitrages solle unserem Anteil am wirt-schaftlichen Wohlstand in Europa entsprechen. Im Mo-ment zahlen wir 29 Prozent; unser Anteil am Sozialpro-dukt, gemessen an der Kaufkraft, beträgt 24 Prozent.Deshalb sind unsere Beiträge um 7 bis 8 Milliarden zuhoch.Herr Fischer, auch wir wissen, daß man Kompromis-se schließen muß. Aber was wir Ihnen vorhalten, ist, daßSie die ganze Richtung der Europapolitik, nämlich wegvom Zentralismus und immer mehr Bürokratie, hin zumehr Föderalismus und mehr Subsidiarität, aufgegebenhaben. Es kann dann nicht einen Kompromiß geben,wenn die Richtung falsch ist. Wenn wir eine Kofinan-zierung von 50 Prozent fordern, dann können wir aucheinen entsprechenden Kompromiß mittragen. Aber wennSie völlig ohne Not 14 Tage vor dem entscheidendenGipfel das Prinzip der Kofinanzierung aufgeben, das amehesten geeignet ist, den Haushalt der EU massiv zuentlasten und mehr Subsidiarität und damit mehr Eigen-verantwortung in Deutschland zu gewährleisten, dann istdas eine politische Zumutung und hat mit Regierungs-kunst nichts mehr zu tun.
Der ehemalige Finanzminister Lafontaine
war im Europaausschuß und hat erklärt: Die Kofinanzie-rung ist ein zentrales Verhandlungsziel der Bundesregie-rung. – Das war vor 14 Tagen. Am gleichen Tag erklärtder Agrarminister Funke selbstbewußt, das Thema seivom Tisch. Am gleichen Tage findet der Kanzleramts-minister Hombach, daß die Kofinanzierung für Bonnohnehin nur Mittel zum Zweck der Deckelung derAgrarausgaben gewesen sei. Die stellvertretende Regie-rungssprecherin Reinhardt korrigiert daraufhin denLandwirtschaftsminister mit der Aussage, die Kofinan-zierung bleibe deutsches Verhandlungsziel, was denLandwirtschaftsminister veranlaßt, erneut zu beteuern,daß man über die Kofinanzierung nicht mehr redenwolle.
Der Bundeskanzler hat in der letzten Woche im Euro-paausschuß erklärt: Die deutsche Präsidentschaft kanndie Kofinanzierung gar nicht aufgeben. – Sie wiederumhaben heute in der Regierungserklärung ausgeführt, daßsie aufgegeben ist. Dafür ist das Wort „Chaos“ noch ei-ne Beschönigung. Es handelt sich nicht um eine chaoti-sche Politik; die Regierung in unserem Lande ist dasChaos.
Horst Seehofer
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2170 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Kommen Sie nicht in der nächsten Woche, am Frei-tag nach dem Gipfel, und sagen: Wir haben eine realeKonstanz der Ausgaben, und wir haben den Trend um-gekehrt! – Das haben Sie ja heute wieder versucht. Die-se Trendumkehr, die Sie als Ziel der Verhandlungen inacht Tagen darstellen, hat die vergangene Bundesregie-rung längst erreicht. Wir haben 1994 noch einen Netto-beitrag von 27,6 Milliarden gehabt. Dieser Betrag istauf 22,5 Milliarden DM im Jahre 1997 gesunken. Dasentspricht einer Reduzierung des Nettobeitrages von30 Prozent auf 26,4 Prozent. Nach allen Informationen,die wir haben, hat sich dieser Trend 1998 fortgesetzt undwird auch 1999 nicht gebrochen. Deshalb: Kommen Sienicht mit dem, was schon die alte Regierung erreicht hat,und versuchen sie nicht, uns das nächste Woche als Er-folg zu verkaufen!
Das Einfrieren der um die Inflationsrate bereinigtenAusgaben könnte in der Tat unsere Unterstützungfinden. Aber die entscheidende Frage, wie diese Aus-gaben dann von den Mitgliedsländern finanziert wer-den, lösen Sie nicht, wenn Sie die Beitragsgrundlagennicht verändern, und zwar in der Richtung, wie das dieBundesregierung unter Helmut Kohl bereits eingeleitethat.Zur Agrarpolitik, wo die größte Veränderung in Ih-rer Haltung festzustellen ist. Die Agenda wird in derForm, wie Sie sie jetzt zur Verhandlungsgrundlage ge-macht haben, mit Sicherheit von den Ministerpräsiden-ten abgelehnt. Ich stehe da als Vertreter der Oppositiongar nicht alleine mit meiner Einschätzung. Die SPD-Agrarminister haben sich am 12. März in Ludwigsburgzu diesem Verhandlungsergebnis geäußert – „zurKenntnis genommen“, „nicht schlecht“ –, dann aber inder Frage, warum die Verhandlungen im Landwirt-schaftsbereich nicht zustimmungsfähig sind, genau un-sere Position übernommen. Wir sagen: Es macht dochkeinen Sinn, eine Agrarreform durchzuführen, die fürdie Mitgliedsländer der Europäischen Union zu höherenAusgaben als heute, für die Landwirte zu deutlich gerin-geren Einkommen als heute und für alle miteinander zueiner gigantischen Bürokratie führt.
Herr Landwirtschaftsminister, das ist doch nicht Re-gierungskunst! Lesen Sie nach, was die Landwirt-schaftsminister Ihrer eigenen Partei gesagt haben: Aufdie Landwirtschaft werden erhebliche Einkommensver-luste zukommen. Und obwohl Herr Fischer heute erklärthat, all diese Positionen seien aufgegeben, haben dieLandwirtschaftsminister noch vor acht Tagen gesagt,daß sie an der Option der Kofinanzierung festhalten.Was die Bürokratie betrifft, so steht in diesem Beschlußder SPD-Agrarminister der bemerkenswerte Satz, daßder Agrarrat das Ziel einer durchgreifenden Vereinfa-chung der agrarpolitischen Maßnahmen nicht erreichthabe.
Das haben die SPD-Agrarminister festgestellt.
Und auch wir bleiben dabei: Dieser Agrarkompromiß istnicht hinzunehmen.Bundeskanzler Schröder hat von diesem Pult auseinmal definiert, was „Reform“ ist: „Reform ist dieVerbesserung der Lebensumstände von Menschen.“ Mitdieser Agrarreform verbessern Sie nicht die Lebens-umstände von Menschen, sondern Sie verordnen staat-licherseits ein massenhaftes Höfesterben, die Existenz-vernichtung bäuerlicher Familienbetriebe. Das istdie Realität, und deswegen werden wir das nicht mit-tragen.
Herr Außenminister, Sie sind in die ganze Schwierig-keit auch aus folgenden Gründen gekommen: Erstenshat es in der Geschichte des Bundestages noch nie einenBundeskanzler gegeben, der im Vorfeld eines Gipfelsmit dem Parlament so arrogant umgegangen ist wie deramtierende Bundeskanzler. Er hat nicht einmal dieChance ergriffen, sich der Unterstützung des Parlamen-tes zu versichern.
Zweitens hat es noch nie die Situation gegeben, daß ineiner historischen Stunde wie dieser – diesbezüglich ge-be ich Ihnen recht: Nach dem Beschluß des Euro ist dasdie wichtigste Weichenstellung für die europäische Zu-kunft – die deutsche Bundesregierung, zumal als Rats-präsidentin, über kein funktionsfähiges Finanzministeri-um verfügt. Das ist ein schwerer politischer Fehler.
Drittens gehen Sie bei diesen ganzen Verhandlungenrein fiskalistisch vor.
Sie haben kein geistiges Fundament und machen nichtsaubere ordnungspolitische Vorstellungen zur Grundla-ge. Sie haben weder eine Verhandlungsstrategie nochein Verhandlungskonzept.Sie sollten sich auf das rückbesinnen, was wir biszum Bundestagswahlkampf 1998 gemeinsam getragenhaben, nämlich daß wir ja sagen zu Europa, daß wir jasagen zur Fortentwicklung Europas – es ist schön, wennaus der westeuropäischen Union eines Tages eine ge-samteuropäische Union wird – und daß wir nein sagenzu einem zentralistischen und bürokratischen Europa.Wir wollen ein föderales, ein subsidiäres Europa. Fö-deral und subsidiär sind das Gegenteil von Zentralismus.Genau dieser Zentralismus – mit neuen Kompetenzen inStraßburg und Brüssel, mit neuen Aufgaben für dieKommission – ist die Grundlage Ihrer Verhandlungser-gebnisse. Weil Sie ordnungspolitisch die falscheGrundlage gewählt haben, werden Sie auch zu falschenHorst Seehofer
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Verhandlungsergebnissen kommen. Das werden wirnicht mittragen können.
Lassen Sie mich noch etwas zu der angeblich unter-schiedlichen Haltung von CDU und CSU sagen. Wirbleiben bei der Aussage, die sich beim Euro bewährthat: Substanz und Qualität gehen vor Zeitplan.
Deshalb werden wir Sie daran messen – das sage ichauch im Namen der CSU –, welche Substanz Sie bisnächste Woche zustande bringen. Das, was jetzt aufdem Tisch liegt und bekannt ist, ist unzureichend. Des-halb fordern wir Sie auf, diese Substanz so zu verändern,daß sie europäischen und deutschen Interessen gerechtwird.Wir von der Union wollen ein in gutem Sinne mäch-tiges Europa, das eine starke Wirtschaft, eine solidari-sche Gesellschaft und eine demokratische Ordnung mit-einander verbindet. Niemand hat das in der Geschichteunserer Republik so realisiert wie die Union von KonradAdenauer und Helmut Kohl: ein Europa, das die Interes-sen seiner Völker gegenüber der übrigen Welt kraftvollvertritt, das seinen Beitrag zu einer friedlicheren undbesseren Welt leistet und – darauf kommt es jetzt ent-scheidend an – das sich den Bürgern nähert.Deshalb, Herr Außenminister, lassen Sie ab von die-ser Beschimpfung der Opposition und kehren Sie wiederzurück zum europapolitischen Konsens! Nur dann wer-den Sie unsere Unterstützung der Ergebnisse der näch-sten Woche erwarten können.
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind inden letzten Minuten mit den zentralen Sätzen des CDU-Leitantrages für den Erfurter Parteitag beglückt worden.Darin gibt es erneut Widersprüche zwischen den voll-mundigen europapolitischen Bekenntnissen auf der ei-nen Seite und den verschiedenen politischen Forderun-gen auf der anderen Seite.Wir haben – da sind wir uns, glaube ich, hier weitge-hend einig – in Brüssel auf Grund des Rücktritts derKommission eine sehr schwierige Situation. Die EU istin einer institutionellen Krise. Wir stehen wenige Tagevor wichtigen Entscheidungen in Berlin. Die Opposi-tion in diesem Hause – so habe ich den Eindruck – rea-giert mit einer gewissen Schadenfreude über diesen Zu-stand.
– Doch! Das war in den letzten zwei Stunden dieser De-batte sehr deutlich zu spüren.
Wenn ich die europapolitischen Debatten der letztenJahre in diesem Hause Revue passieren lasse, kann ichnur feststellen, daß eine so schwierige europapolitischeSituation noch nie so rücksichtslos, so hemmungslos fürparteipolitische Zwecke mißbraucht worden ist, wie dieshier heute geschehen ist.
Dabei haben wir in der EU im Augenblick ganz sichereinen Zustand, der genaue Analyse und auch Phantasiefür Problemlösungen erfordert und der es notwendigmacht, daß alle Beteiligten konstruktiv über weitereSchritte nachdenken.Der kollektive Rücktritt der Kommission wirft eineganze Reihe von Fragen auf. Ein Teil dieser Fragen isthier heute angeschnitten worden: Da haben wir einevertraglich nicht ganz klare Situation; da müssen wireine Übergangsregelung mit einer dauerhaften Regelungfür den Kommissionspräsidenten und die Kommissionverbinden; da haben wir einen Übergang vom Maas-trichter Vertrag zum Amsterdamer Vertrag; da stehendie Europawahlen vor der Tür; da geht es darum, im Zu-sammenhang mit der Agenda 2000 möglichst rasch einehandlungsfähige Kommission zusammenzustellen.Es ist – darin hat sich hier schon Übereinstimmunggezeigt – deutlich geworden, daß die neue Kommissionauf jeden Fall in enger Abstimmung mit dem Europäi-schen Parlament zusammengestellt werden muß. ImAmsterdamer Vertrag erhält das Europäische Parlamenterweiterte Rechte bei der Benennung des Kommissi-onspräsidenten. Wir müssen ganz deutlich sagen: EineBenennung, die diese – wahrscheinlich erst am 1. Juni inKraft tretenden – neuen Regelungen nicht berücksich-tigt, also eine Umgehung der neuen Rechtsstellung desEuropäischen Parlaments mit sich bringen würde, kannunsere Zustimmung nicht finden. Ich bin sehr froh dar-über, daß die Bundesregierung, namentlich auch derKanzler, in den letzten Tagen schon damit begonnen hat,in Konsultationen auch mit dem Präsidenten des Euro-päischen Parlaments zu einer einvernehmlichen Rege-lung zu kommen. Gerade so kurz vor den Europawahlenwäre es ein verheerendes Signal, wenn das Europapar-lament nicht in ausreichender Weise an der Bildung derneuen Kommission beteiligt würde.
Damit bin ich auch schon bei den mittelfristigen Kon-sequenzen, die sich aus der augenblicklichen Situationin Brüssel ergeben. Das Stichwort heißt hier sicherlich:innere oder institutionelle Reformen. In diesen Tagenwird deutlich, daß wir nicht nur über Stimmengewich-tung im Rat, über Mehrheitsentscheidungen und über dieAnzahl der Kommissare reden müssen, sondern daß esHorst Seehofer
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um eine durchgreifende Demokratisierung der Institu-tionen, der Verfahren und Entscheidungsprozesse in derEU geht. Wir müssen über die Stellung der Kommissionund auch der einzelnen Kommissare im Institutionenge-füge nachdenken. Wir müssen die demokratische Legi-timation dieses so wichtigen Organs verbreitern. Dasheißt, wir müssen endlich konsequent auf eine Stärkungdes Europäischen Parlaments hinarbeiten und die Mit-entscheidungsrechte, die Kontrollrechte des Parlamentsauch und gerade gegenüber der Kommission stärken.Das sind reformpolitische Herausforderungen, denen wiruns stellen müssen.Auch wenn dieser Rücktritt bzw. die lange, mühsameund auch sehr zähflüssige Auseinandersetzung, die die-sem Rücktritt vorausgegangen ist, eine ganze Reihe vonProblemen aufwirft, so dürfen wir diese nicht auf dieFrage nach dem menschlichen oder politischen Versa-gen einiger Kommissare oder Kommissarinnen reduzie-ren. Wir müssen deutlich erkennen, daß schlaglichtartigMängel in der demokratischen Verfaßtheit dieser Unionsichtbar geworden sind.
Damit weisen diese Ereignisse auch ein Stück weitüber die Agenda 2000 hinaus. Wir brauchen dringendeinen Abschluß der Agenda 2000, weil sie zum einenüberfällige Reformen in den verschiedenen Politikberei-chen der EU einleitet und weil sie zum anderen notwen-dig ist, um die EU erweiterungsfähig zu machen.
Wenn wir die Agenda nicht schleunigst abschließen,dann drohen wir die historische Chance auf die Erweite-rung der EU zu verpassen. Dies sollten sich gerade alldie Damen und Herren der Opposition überlegen, die indiesen Tagen mit dem Gedanken einer Verschiebung derAgenda spielen. Wir brauchen ein solches Zeichen derHandlungsfähigkeit innerhalb der EU, und die Beitritts-länder brauchen das Zeichen, daß wir bereit und fähigsind, alles zu tun, was für die Erweiterung der EU erfor-derlich ist. Dieses Zeichen sind wir gerade den Bei-trittsländern schuldig.
Herr Kollege Seehofer, Sie haben gesagt, die Positionder Grünen im Hinblick auf die Erweiterung habe sich inden letzten Wochen geändert.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies genauer belegenwürden. Gerade die Grünen haben sich in den letztenJahren immer eindeutig für eine gesamteuropäische Per-spektive ausgesprochen.
– Das hatte mit unserer Kritik an den Mängeln der de-mokratischen Verfaßtheit der EU zu tun. Das habenwir damals sehr deutlich gemacht. Wir haben gesagt,wir enthalten uns, stellen aber das Ziel der Erweiterungin keiner Weise in Frage. Das ist damals sehr deutlichgeworden; alles andere wäre wirklich ein Mißver-ständnis.Die Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der EUist das Ziel. Wenn wir das vor dem Hintergrund der Er-eignisse der letzten Tage in Brüssel überdenken, dannerkennen wir, daß für die Überlebensfähigkeit der Euro-päischen Union ein Weiteres notwendig ist, nämlich dieHerstellung demokratischerer Strukturen. Das sind zweizentrale Reformprojekte für die Europäische Union, diewir angehen müssen. Das sind zwei Herausforderungen,die wir zu bewältigen haben. Mit der Agenda 2000 ge-ben wir ein Zeichen in Richtung Beitrittsländer; mit deninneren Reformen geben wir ein Zeichen in RichtungBürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union, daßdie Union in der Lage ist, sich demokratisch zu refor-mieren.Es ist traurig – dieser Eindruck verfestigt sich –, daßsich die Opposition diesen Aufgaben in weiten Teilenentzieht und nicht bereit ist, daran mitzuarbeiten. Wennman sich die Äußerungen und Vorschläge der letztenTage und Wochen – insbesondere der CSU, aber auchder CDU – anschaut, dann stellt man fest, daß darin we-nig von einer europapolitischen Gesamtverantwortungzu spüren ist. Es gibt die Forderung nach der Verschie-bung der Agenda-Entscheidungen, und zwar nicht nurin Interviews. Wir haben diese Töne noch gestern auchim Europaausschuß gehört. Das ist jenes Doppelspiel,das heute wieder sichtbar wurde: auf der einen Seite inErklärungen – zum Beispiel in denen des bayerischenKabinetts – rhetorische Bekenntnisse zum Integrations-prozeß abzugeben, auf der anderen Seite in Interviewsantieuropäische Vorurteile zu bedienen. Das ist dieaugeblickliche Situation in der CDU und CSU.Es ist die christdemokratische Seite in diesem Haus,die, glaube ich, einen dramatischen Wandel in ihrer Eu-ropapolitik vollzieht. Das wird besonders deutlich, wennman sich den Leitantrag der CDU für ihren Parteitag inErfurt anschaut, der wie von zwei Autoren geschriebenerscheint. Darin finden sich eine ganze Reihe von wider-sprüchlichen Vorstellungen und Vorschlägen. Schonwährend der Regierungszeit der alten Bundesregierunghaben wir erlebt, daß es ihr nicht gelungen ist, zu einerübereinstimmenden Position in Sachen Agenda 2000 zugelangen. An den unterschiedlichen Äußerungen ist ab-zulesen, daß die schleichende „Stoiberisierung“ der Eu-ropapolitik der CDU/CSU schon ein fortgeschrittenesStadium erreicht hat.Wir sagen ganz klar: Wer die Verschiebung derAgenda 2000 fordert, der sabotiert die Erweiterung derEU und will sie handlungsunfähig machen. Da werdenwir natürlich nicht mitmachen.
Nach meiner Einschätzung ist es eine Art „europapoliti-sche Sonthofen-Strategie“, die aus dem bayerischenRaum heraus betrieben wird und welche die Krise derEU für innenpolitische Zwecke mißbrauchen will.Christian Sterzing
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2173
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Schauen wir uns die Forderungen der CDU/CSU imeinzelnen an, so wird deutlich, daß es kein Konzept fürdie Lösung der anstehenden Probleme gibt und daß vieleÄußerungen – gerade vom Kollegen Schäuble – vonwenig Sachkenntnis geprägt sind. Vieles, was er heutean Kritik angeführt hat, trifft auf die Entscheidungenund die Vorlagen der Bundesregierung längst nicht mehrzu. Er hat die stärkere Förderung der ländlichen Räumeangemahnt. Das ist eine alte Forderung sowohl der SPDals auch der Grünen und in den Vorschlägen längst be-rücksichtigt. Wenn er die Effizienzreserve in den Hän-den der Kommission kritisiert, dann ist daran zu erin-nern, daß diese Effizienzreserve längst von 10 Prozentauf 4 Prozent reduziert worden ist. Auch ist längst gere-gelt worden, daß ihre Verwendung in der Verantwortungder einzelnen nationalen Regierungen und nicht in derder Kommission liegt.Hier werden die Augen vor dem verschlossen, was inden Verhandlungen der letzten Wochen erreicht wordenist. Es werden Maximalforderungen aufgestellt, die nichtverhandelbar sind, die die deutsche Verhandlungspositi-on diskreditieren und insbesondere auch die Chancenund Möglichkeiten der deutschen Präsidentschaft erheb-lich erschweren würden, im augenblicklich schwierigenKompromißprozeß zu vermitteln. Das muß man sehrdeutlich herausstellen, auch mit Blick auf die Kroko-dilstränen, die von Ihrer Seite im Hinblick auf die an-gebliche Verschlechterung des deutsch-französischenVerhältnisses vergossen werden. Mit Ihren Forderungen– 14 Milliarden DM an Einsparungen und 50 ProzentKofinanzierung – haben Sie doch keinerlei Chance, dieUnterstützung der Franzosen zu finden. Insofern bauenSie hier eine Position auf, die eine konstruktive Ausein-andersetzung über die Agenda 2000 unmöglich macht.Das sollten Sie ganz deutlich sehen.
Die europäische Integration ist in den letzten Tagenund Wochen in ein schwieriges Fahrwasser geraten. Esgeht jetzt darum, einen klaren Kurs einzuschlagen. DieVerabschiedung der Agenda 2000 in Berlin im Vorfeldder Europawahlen könnte zum einen den Beitrittslän-dern signalisieren, daß wir zur EU-Erweiterung bereitsind, und zum anderen innerhalb der EU signalisieren,daß wir auch weiterhin reform- und handlungsfähigsind. Dafür verdient die Bundesregierung unsere ganzeUnterstützung.Vielen Dank.
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichtsder bekannten – nicht nur europapolitischen – Nöte undBedrängnisse der Bundesregierung kann sich selbst eineVertreterin der Opposition eines gewissen Mitgefühlsnicht ganz erwehren. Deshalb werde ich sorgsam undsparsam mit dem Salz umgehen, das ich in die vielen of-fenen Wunden der Bundesregierung und der sie tragen-den Parteien streuen möchte.Aber eines, Herr Sterzing, möchte ich gleich zu An-fang sagen: Sie haben eben zu Recht betont, wie not-wendig eine stärkere Demokratisierung der Europäi-schen Union, die Stärkung des Parlaments und einausgeglicheneres Verhältnis zwischen Kommission undParlament sind. Genau das ist im Vertrag von Amster-dam angelegt, mit dem zwar nicht alle Wünsche erfüllt,aber doch die richtigen Weichen gestellt werden konn-ten. Deshalb ist es ein Zeichen für europapolitischeWeitsicht, solchen grundlegenden Weichenstellungenzuzustimmen, wenn man sieht, daß sie in die richtigeRichtung erfolgen, nämlich in Richtung einer stärkerenVertiefung der Europäischen Politischen Union. Dafürhat die Fraktion der Grünen, als entsprechende Be-schlüsse zur Verabschiedung anstanden, nicht gesorgt.Vielleicht hat sie auch die Notwendigkeit dazu nicht ge-sehen.
In der nächsten Woche steht europapolitisch sehr vielauf dem Spiel, mehr, als es ein kurzatmiger Parteien-streit um den einen oder anderen Punkt rechtfertigenwürde: Es geht nämlich um die Zukunft Europas. DieReform „Agenda 2000“, deren Gelingen nicht nur fürdie Finanzierbarkeit der Osterweiterung, sondern auchfür die den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend ab-verlangte übernationale Solidarität und für die öffentli-che Akzeptanz der weiteren europäischen Integrationwichtig ist, ist wenige Tage vor dem entscheidendenGipfel in Berlin noch nicht unter Dach und Fach ge-bracht. Zumindest läßt das, was uns bis heute mitgeteiltworden ist, unserer Meinung nach nicht erkennen, ob eszu einem tragfähigen Kompromiß kommen kann, derdann die notwendige Grundlage für den Erweiterungs-prozeß ist. Ich glaube für die Liberalen in Anspruchnehmen zu können: Wir waren es, die sich ohne Wennund Aber für die Osterweiterung, für die Vertiefung derEuropäischen Politischen Union
und für die Europäische Wirtschafts- und Währungs-union eingesetzt und sich für ein Europa der Bürgerin-nen und Bürger stark gemacht haben.
Um den Agrarkompromiß, auch um die Vorstellun-gen im Bereich der nationalen Kofinanzierung – wohlauf Grund allzu forscher Verhandlungsstrategie derdeutschen EU-Präsidentschaft – ist es wenige Tage vordem Berliner Gipfel schlecht bestellt. Deshalb sieht esauch für die angekündigte substantielle Entlastung durcheine Verringerung des deutschen EU-Beitrages schlechtaus.
Christian Sterzing
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2174 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich lege für die Liberalen Wert auf die Feststellung: Niewaren wir diejenigen, die in dieser Form – ich beziehemich hier auf den Populismus, den Herr Schröder, derBundeskanzler, verfolgt, aber auch auf den Populismus,der aus Bayern zu hören ist –
das Zahlmeisterargument in die Welt gesetzt haben.
Leider hat sich Bundeskanzler Schröder in eine unse-lige Allianz mit denen begeben, die nicht so sehr denFortschritt und die Vertiefung der Europäischen Politi-schen Union auf ihre Agenda geschrieben haben. WirLiberale können belegen, daß wir nie die Verweigereroder Blockierer im europäischen Integrationsprozeß ge-wesen sind. Das werden Sie an jeder einzelnen Abstim-mung in den letzten 27 Jahren erkennen können.
In dieser derzeit wirklich tristen Situation aber müs-sen die Chancen erkannt werden, die aus der Not herauserwachsen – so widersprüchlich sich das anhören mag –,auf Grund des Rücktritts der Kommission und der Vor-geschichte, eine weitergehende grundlegende Reformder europäischen Strukturen und Institutionen be-herzt in Angriff zu nehmen. Unabhängig von derschwierigen Frage, wie mit einer wohlüberlegten Inte-rimslösung nach dem Beteiligungsverfahren des Vertra-ges von Amsterdam die Zeit bis zur endgültigen Neubil-dung der Europäischen Kommission überbrückt wird, istdie Zeit reif, die Entscheidungs- und Abhängigkeits-strukturen in der Kommission und das Verhältnis vonKommission zu Parlament zu überdenken.Es ist unstrittig, daß die Position des Kommissions-präsidenten gegenüber den Kommissaren gestärkt unddamit auch seine politische Verantwortung ausgeweitetwerden muß. Es darf nicht länger sein, daß mit Hilfe desKollegialitätsprinzips die begründete Forderung nachEntlassung eines Kommissionsmitglieds grundsätzlichabgeblockt werden kann.
Aber auch die Position der Kommissare muß gestärktwerden, und zwar gegenüber den ihnen unterstelltenGeneraldirektionen. Wenn – zu Recht – den einzelnenKommissaren die Übernahme der vollen Ressortverant-wortung abverlangt wird – nach dem Untersuchungsbe-richt ist sie anscheinend nicht wahrgenommen worden –,dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, die Richt-linien ihrer Ressortpolitik notfalls durch Personalent-scheidungen durchzusetzen. Das können sie zum jetzi-gen Zeitpunkt nicht.
Also muß es auch dort Änderungen geben.
Die Arbeits- und Entscheidungsabläufe in der Kom-mission müssen von übersteigertem Formalismus befreitund damit effizienter werden. Die von der Kommissionzu Recht verlangte Transparenz darf nicht durch immermehr unüberschaubare Formalisierung und Bürokratisie-rung in ihr Gegenteil verkehrt werden.Es ist natürlich nicht hinnehmbar, daß die zur Kon-trolle der Kommissionsarbeit und zur Verhinderung vonFehlverhalten eingerichteten Institutionen wie die beste-hende UCLAF als Einheiten der Kommission derenEinflußnahme direkt unterworfen sind. Wenn es jetzt zurUmgestaltung dieser Antibetrugseinheit kommt, dannmuß dem Aspekt der institutionellen Unabhängigkeitsehr viel stärker Rechnung getragen werden, als wir esden bisherigen Vorschlägen entnehmen können. Anson-sten wird es nicht zu einer unabhängigen Kontrollekommen.Neben diesen Chancen für eine grundlegende Reformder Kommission eröffnet der Rücktritt der Kommissionin dem Sinne Chancen, daß sich der Europäische Rat,an den jetzt immense Erwartungen gerichtet werden,seiner Verantwortung wirklich voll bewußt ist.
Die Verhandlungsführung der deutschen Ratspräsi-dentschaft sollte daher viel stärker darauf drängen, zuvernünftigen Kompromissen durch Beiträge andererMitgliedstaaten zu kommen.
Das heißt, aus der Krise erwächst eine Chance, wennsie genutzt wird, wenn die Verhandlungsführung diesmöglich macht.Wir als Opposition wollen, daß Sie in Berlin Er-folg bei der Fortsetzung der europäischen Integrationhaben.
Nur, Sie dürfen uns nicht verwehren, deutlich zu ma-chen, daß das, was uns bisher bekannt ist, noch nichtausreicht, um zu sagen: Ja, der Berliner Gipfel bringtEuropa wirklich entscheidend voran. Wir sollten vomBundeskanzler eines erwarten: Er sollte in Berlin end-lich unter Beweis stellen, daß er mit Europa eine Visionverbindet.
Er sollte mit Europa die Vision verbinden, daß erEuropäer ist, vom Verstand und vom Herzen her.
Das haben wir als Liberale in den letzten Jahrenwirklich ausreichend unter Beweis stellen können. Wenndeutlich wird, daß man keine europäische Vision hat,wenn deutlich wird, daß man ohne eine solche Einstel-lung verhandelt, dann kommen eben nur kleine Kom-promisse zustande, die für ein tragfähiges Europa nichtweiterführend sind. Auch darum geht es uns in dieserheutigen Debatte.Vielen Dank.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2175
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Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren Abgeordnete! Mit den heute zu be-
ratenden Anträgen versuchen die CDU/CSU und – wenn
auch etwas weniger, wie meine Vorrednerin beteuerte –
die F.D.P., Salz in offene Wunden zu streuen und daraus
auf Kosten der Bauern politisches Kapital zu schlagen.
Der von den unionsgeführten Ländern in der Konfe-
renz der Länderagrarminister in der vergangenen Woche
provozierte Konflikt wird sich als Versuch entpuppen,
die eigentlichen politischen Absichten zu verschleiern
und dem Bundestag ein Kuckucksei unterzuschieben –
und das kurz vor dem christlichen Osterfest.
Die CDU/CSU und die F.D.P. erwarten vom Bun-
destag, daß er sich entsprechend ihren Anträgen für das
Modell der Kofinanzierung ausspricht. Dabei sollte Ih-
nen doch völlig klar sein, daß erstens das Solidari-
tätsprinzip unterlaufen wird, daß zweitens dieses Modell
in der EU unter 15 sehr differenziert entwickelten EU-
Staaten nicht konsensfähig ist und daß drittens die Ein-
sparung bei Nettozahlern zu geringeren Auszahlungen
an Nettoempfänger führt. Vereinfacht gesagt, heißt das:
Das Geld fehlt dann bei anderen Bauern in der EU.
Wer die Landwirtschaft der EU gestalten will, der
muß die Agrarpolitik demokratisieren und vor allem fair
mit anderen umgehen.
Die CDU/CSU und auch die F.D.P. sprechen in ihren
Anträgen sogar von „solidarischer und fairer Lastentei-
lung“. Solidarität besteht für Sie – entgegen der vorhin
gemachten Äußerung von Herrn Seehofer – aber nicht
darin, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft; vielmehr
soll ökonomische Stärke dazu benutzt werden, um mit
formalen Gleichheitskriterien den eigenen Vorteil auf
Kosten anderer zu maximieren.
Die Chance, langjährig Voraussetzungen dafür zu
schaffen, daß sich regionale Strukturen unter Einbezie-
hung einer marktfähigen Landwirtschaft entwickeln,
wurde verpaßt. Auch mit dem Euro und den mit ihm
verbundenen Versprechungen wurden keine Vorausset-
zungen für eine gleichberechtigte Entwicklung geschaf-
fen. Erst wollte man den Euro, und jetzt steht man vor
dem Dilemma, daß die Mitgliedstaaten mit geringerer
Produktivität nicht mehr die Möglichkeit haben, beste-
hende Wettbewerbsnachteile auf den Märkten durch
Währungsveränderungen aufzufangen.
Dieser Nachteil der ökonomisch schwächeren EU-
Mitglieder wird zudem noch durch Ihre Forderungen
vertieft, meine Damen und Herren von der CDU/CSU
und der F.D.P., die Mittel für die Struktur- und Regio-
nalförderung zu kürzen mit dem Effekt, daß die dis-
proportionale Entwicklung zwischen den einzelnen
EU-Ländern und -Regionen nicht abgebaut, sondern
weiter verschärft wird.
Der Gipfel des nationalen Egoismus ist es aber, wenn
gefordert wird, die Möglichkeiten zur regionalen Wirt-
schaftsförderung als Ausgleich für die Kürzungen der
EU-Hilfen zu erweitern. Glauben die christlichen und li-
beralen Parteien wirklich, daß die ärmeren EU-Partner,
die kein Geld für zusätzliche nationale Förderprogram-
me haben, diesem Vorschlag zustimmen werden?
Der von der CDU/CSU geforderte faire Interessen-
ausgleich erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein
Versuch, hinter moralisch klingenden Parolen die Inter-
essen des Stärkeren durchzusetzen. Geld ist immer nur
genug da, wenn es um die Nachrüstung der neuen osteu-
ropäischen NATO-Staaten geht. Viel zuwenig Geld wird
allerdings dafür aufgewendet, daß die beitrittswilligen
Länder die politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Voraussetzungen für den Beitritt zur EU erfüllen kön-
nen. Statt dafür Hilfen zu geben, mahnen CDU und CSU
ausreichend lange Übergangsfristen an. Man kann es
drehen und wenden wie man will, die Anträge der
CDU/CSU und der F.D.P. sind nicht zustimmungsfähig.
Meine Damen und Herren, in der Politik der PDS
sind Subsidiarität und Solidarität zwei wesentliche, un-
trennbar miteinander verbundene Prinzipien. Sie müssen
aber inhaltlich durch das Ziel bestimmt sein, mit ihnen
ein menschenwürdiges Europa zu gestalten. Unter den
Bedingungen der Agenda 2000 ist der Zeitpunkt für eine
neue nationale Agrarpolitik gekommen, wie sie auch der
Bauernverband fordert. Ihr Inhalt muß nach Meinung
der PDS vor allem in folgendem bestehen:
Erstens. Der bevorstehende Agrarstrukturwandel
darf nicht den Marktkräften überlassen, er muß gesell-
schaftlich gestaltet werden.
Zweitens. Die Kooperation als der Hauptweg für den
Strukturwandel ist staatlich zu fördern, da sie die Chan-
ce bietet, für die Agrarproduktion Produktionsmittel
auszutauschen und Arbeitsplätze zu erhalten.
Drittens. Der Strukturwandel muß die Veränderung
der Produktionsweise einschließen und zu einem nach-
haltigen Wirtschaften führen.
Viertens. Die Anpassung der Produktion an die Nach-
frage ist durch die Förderung einer Vertragslandwirt-
schaft zu realisieren.
Eine solche nationale Agrarpolitik stünde nicht im
Widerspruch zur Agenda 2000. Sie würde aber die
Chance eröffnen, deren schlimmste Auswirkungen abzu-
federn und den Weg für eine tatsächlich zukunftsfähige
Agrarentwicklung frei zu machen. Die Europawahlen
werden den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit ge-
ben, die Agrarkonzepte der Parteien auf den Prüfstand
zu stellen.
Danke schön.
Alsnächster Redner hat der Bundesminister Karl-HeinzFunke das Wort.
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2176 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Die Agrarpolitik hat inder Politik der Europäischen Gemeinschaft immer eineherausragende Rolle gespielt. Zu Beginn war sie derMotor der europäischen Einigung; für Frankreich warsie unbestrittenermaßen auch eine ganz besondere Ge-schäftsgrundlage. Ich denke, alle, die die EntwicklungEuropas seit den 50er Jahren verfolgt haben, wissen, umdie politische Bedeutung ebendieser Agrarpolitik insbe-sondere auch für die Integration Europas. Ansonstenkann man das sicherlich auch nachlesen.Ich glaube – da stehe ich nicht allein –, daß wir imAgrarministerrat – das ist hier heute wiederholt ange-sprochen und diskutiert worden – insgesamt eine guteArbeit gemacht haben. Ich sage bewußt nicht, daß wiralles zur Zufriedenheit gelöst und alle Wünsche erfüllthätten. Wir haben aber insgesamt eine gute Arbeit gelei-stet und auch für die Landwirtschaft einen vertretbarenKompromiß erzielt.
Ich möchte auch angesichts der teilweise weit aus-einanderliegenden Positionen, die zunächst überhauptnicht miteinander vereinbar und wirklich konträr waren,den Kolleginnen und Kollegen der anderen Mitglied-staaten dafür danken, daß sie es durch ihr Verhalten er-möglicht haben, daß wir uns aufeinander zubewegenkonnten. Ich danke diesen Kolleginnen und Kollegensehr dafür.
Ich danke auch dafür, daß sie letztlich nationale Einzel-interessen, so berechtigt sie auch immer sind, zurückge-stellt haben und damit, wenn man so will, den Abschlußdieser Verhandlungen ermöglichten. Ich schließe trotzaller Kontroversen, die wir hatten, hier den Dank an denzuständigen Kommissar und seine Mitarbeiterinnen undMitarbeiter ein. Daß wir manchmal 20 Stunden langohne Pause tagten, hat auch bei denen Tribut verlangt;auch ihnen ein herzliches Dankeschön. Ich sage das aus-drücklich, und zwar unabhängig davon, daß wir, zumin-dest zunächst, bevor wir uns einigten, sehr kontroversePositionen hatten.Im übrigen habe ich – das will ich der heutigen Op-position einmal sagen –
von Beginn an, also auch in Wahlveranstaltungen, im-mer die Auffassung vertreten, daß auf der Grundlage desKommissionsvorschlags zu verhandeln ist. So ist es vor-gesehen. So war auch der Auftrag der Regierungschefsvom Dezember 1995.
– Ich komme gleich dazu. Es ist – um in bayerischerSprache zu bleiben – ein Schmarren, was Sie hier zurAgrarpolitik erzählen.
Herr Seehofer, Sie haben sich in der letzten Zeit abund zu zur Agrarpolitik geäußert. Das erste, was ich vonIhnen hier im Deutschen Bundestag gehört habe, warIhre Äußerung, Sie hätten im Gesundheitsministeriumüberwintert. Das war schon höchst eindrucksvoll.
– Doch, das haben Sie wörtlich gesagt. Es ging um die-ses Hamsterverhalten: Im Sommer ein bißchen Kraftsammeln, um dann nahtlos in den Winterschlaf überge-hen zu können.
Sie hätten sich ab und zu mit einem agrarpolitischenKompendium beschäftigen können. Ihre ganzen agrar-politischen Reden laufen so nach dem Motto: Wer jedenTag ein Eisbein ißt, ist ein Polarforscher. – Meine Da-men und Herren, das langt nicht!
Herr Kollege Seehofer, zugestandenermaßen habe ichmich bisher wenig mit Gesundheitspolitik beschäftigt.Daher bin ich bis zu Ihrem eigenen Bekenntnis, Sie hät-ten im Gesundheitsministerium überwintert, davon aus-gegangen, davon hätten Sie Ahnung. Von Agrarpolitikhaben Sie aber nun wirklich keine Ahnung.
Das Problem der letzten Bundesregierung ist gewesen,daß man den Eindruck erweckt hat, als könne man das,was die Kommission vorschlägt, gänzlich vom Tisch wi-schen, als könne man etwas gänzlich anderes beschließen.Deswegen war man auch immer gegen die Mehrheit imMinisterrat, und man war gegen den zuständigen Kom-missar. Ich will Ihnen sagen, da das von Ihnen zum Teilunterstützt wird: Daß der Agrarkommissar Fischler nunzum Buhmann der Nation oder europäischer Bauern ab-gestempelt wird, das mache ich nicht mit. Ich stimmeweiß Gott nicht in allem mit ihm überein. Aber das ist ei-ne Verhaltensweise, die meinem Verhaltens- und Denk-muster nicht entspricht.
So, wie Sie es angelegt haben, wäre eines passiert –das brauchen Sie mir nicht zu glauben; aber das könnenSie nachlesen; Sie brauchen es sich nur von Fachleutenin Brüssel sagen zu lassen –: Sie hätten für die Land-wirte Europas und für die deutschen Landwirte ausBrüssel ein wesentlich schlechteres Ergebnis mitge-bracht. Sie haben nur die Schwierigkeit, das eingeste-hen zu müssen. Ein von mir durchaus sehr geschätzterKollege der Opposition hat mir im Europaausschuß ge-sagt: Wir sind im Grunde froh, daß Ihr Amtsvorgän-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2177
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ger nicht zu verhandeln brauchte. – Er wußte schon,worüber er redete.
Wir waren mit unserer Strategie letztlich durchaus er-folgreich.
– Sie reden dauernd von Bayern. Nun ist Bayern wich-tig, aber es gibt auch noch andere Länder in der Bundes-republik Deutschland.
Herr Glos, ich will Ihnen einmal eines sagen: Zugegebe-nermaßen ist der Anpassungsdruck bei Ihren Strukturenin Bayern größer als der bei den Strukturen in meinemHeimatland Niedersachsen. Da Sie nicken, bitte ich Sie,zumindest einmal darüber nachzudenken, ob Sie überdie Jahre eigentlich die richtige Landesagrarpolitik be-trieben haben.
Damit wollen wir uns gerne einmal auseinandersetzen.
Ich habe noch die Kritik im Ohr, die Bayern geäußerthat, als ich Agrarminister in Niedersachsen war: Dastreicht der böse Funke in Niedersachsen die Aus-gleichszulage für benachteiligte Gebiete, zunächst teil-weise, dann ganz, und bringt es ins einzelbetrieblicheFörderprogramm, in die Investitionsprogramme hinein.– Ich habe das für notwendig gehalten, weil ich wußte,daß der Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft zu-nehmen wird. Das hat mir Kritik eingebracht, vor allemvon Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern.Es zeigt sich heute, daß mein Handeln richtig war, denBetrieben, die einem stärkeren Wettbewerbsdruck aus-gesetzt sind, durch zukunftsträchtige Investitionen zuhelfen, diesem Wettbewerb standzuhalten, und die Aus-gleichszahlungen nicht sozusagen mit der Gießkanneüber die gesamte Fläche zu verteilen.
Im übrigen will ich erwähnen, daß ich damals in dieserFrage von der F.D.P. ausdrücklich unterstützt wurde.Dies ist ein vernünftiger Ansatz der Landesagrarpoli-tik. Sie müssen sich aber einmal fragen lassen, warumSie in Bayern einen anderen Weg gewählt haben, näm-lich höhere Ausgleichszahlungen über die Fläche verteiltund geringere Investitionstätigkeit. Sie dürfen nicht im-mer alles auf Bonn und Brüssel schieben. Sie haben ei-nen Weg gewählt, der nicht zukunftsträchtig ist.
– Herr Kollege Hirche, ich nehme Ihr Stichwort gerneauf. Wir sind uns einig darin, daß es um die Leistungs-fähigkeit des bäuerlichen Familienbetriebs geht.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Glos?
Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Gern.
Herr
Glos.
Herr Bundesminister,nachdem Sie mich angesprochen haben, möchte ich Siefragen, was das Ziel Ihrer Landwirtschaftspolitik ist.Bisher haben wir auch in Bayern das Ziel verfolgt,möglichst viele selbständige bäuerliche Existenzen zuerhalten. Wenn Sie allerdings dieses Ziel aufgeben undeine Strategie des Wachsens und Weichens mit Gewaltbetreiben, sind wir ein ganzes Stück auseinander.
Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten: Wer will denn Ihrer Aussa-ge widersprechen, daß wir möglichst viele selbständigeExistenzen erhalten wollen? Ihre Aussage ist ein Allge-meinplatz sondergleichen. Wenn das Ihr agrarpolitischesKredo ist, dann muß ich sagen, daß Ihre Politik keinenInhalt hat. Selbständige Existenzen erhalten will dochjeder von uns. Auf Ihren Vorwurf – so habe ich Sie ver-standen –, wir würden eine Politik des Wachsens oder-Weichens betreiben, sage ich Ihnen: Auch Ihre Agrar-politik war nicht eine Politik des Wachsens oder Wei-chens, sondern eine Politik des Wachsens und Wei-chens. Die Konjunktion, die Sie gewählt haben, warvöllig falsch.
Ihre Auffassung beruht doch nur auf platter Ökono-mie. Wie wollen Sie angesichts von Sättigungsgraden –nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa –, an-gesichts von Überschüssen bei einigen zentralen Pro-dukten der Landwirtschaft und angesichts eines Produk-tivitätsfortschritts von 3 Prozent im Durchschnitt derletzten 30 Jahre – er hält weiter an – die Existenz derLandwirte sichern? Dies geht ökonomisch gesehennicht. Daß Sie diesen Zusammenhang unter Umständenzwar erkannt haben – das traue ich Ihnen zu –, daß Sieihn den Landwirten aber nicht erläutert haben, ist Ihrer-seits ein Stück Versäumnis in Sachen Glaubwürdigkeitder Agrarpolitik. Das muß ich Ihnen sehr deutlich sagen.
– Ich soll es also nicht können, aber Sie!Bundesminister Karl-Heinz Funke
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2178 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich bin froh darüber, daß die Stützpreise im Rinder-sektor nicht um 30 Prozent, sondern um 20 Prozent ge-senkt wurden, daß wir bei der Milchreform und bei denGetreidepreisen Korrekturen erreicht haben und – ichwiederhole es – daß wir das katastrophale Verhand-lungsergebnis hinsichtlich des Rindersektors von 1992– 19 Prozent Produktionsanteil, aber nur 9 Prozent Prä-mienanteil – auf 14 Prozent Prämienanteil korrigiert ha-ben.
Man weiß es ja im Moment gar nicht mehr so genau.Aber ich vermute mal, 1992 haben nicht SPD und Grüneregiert. Angesichts Ihrer Äußerungen könnte man fastmeinen, daß wir auch schon 1992 regiert haben.Die spezifisch deutschen Anliegen, die wir im Inter-esse der fünf neuen Länder und auch der alten Län-der vertreten haben, sind insgesamt berücksichtigtworden. Auch diesen Punkt sollte man einmal hervor-heben. Wenn Sie mir nicht glauben, will ich einmalzitieren, was die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rin-derzüchter sagt. Kein Sozialdemokrat und auch keinGrüner – ich weiß es genau – ist Mitglied des Vor-standes.
– In der Tat sind es Unternehmer. Deswegen ist es inter-essant, ihre Meinung dazu zu hören:Der präsidierende BundeslandwirtschaftsministerKarl-Heinz Funke hat angesichts der divergieren-den Interessenlage einen beachtlichen Verhand-lungserfolg erzielt.
In aller Bescheidenheit und Demut habe ich nur von ei-nem Erfolg und nicht davon gesprochen, daß es ein be-achtlicher Erfolg sei. Ich bedanke mich für das Kompli-ment.Wem das nicht genügt, dem zitiere ich eine Erklärungdes Deutschen Raiffeisenverbandes.
Es ist völlig richtig, daß dies ebenfalls keine sozialde-mokratische Kampforganisation ist. Ich könnte Ihnen dieentsprechenden Mitglieder nennen; einige kenne ichnoch aus der evangelischen Landjugendbewegung. Da heißt es:Einer Forderung des Deutschen Raiffeisenver-bandes e.V. , Bonn, entsprechend sind dieAgrarminister vom ursprünglichen Kommissions-vorschlag des „Sturzfluges auf Weltmarktpreisni-veau“ abgerückt. Vorgesehen sind nun schrittweisePreissenkungen. Das werde den unternehmerischenErfordernissen bei der Anpassung an die neuenRahmenbedingungen eher gerecht ...Wohl wahr, der Raiffeisenverband erkennt es richtig; diehaben den Boden der Realität unter den Füßen.
Damit wir das vollmachen – dreimal ist ja wohl Ol-denburger Recht, meine Damen und Herren –
will ich noch darauf hinweisen, was mein ThüringerKollege Volker Sklenar dazu sagt.
Wenn ich Zeit dazu hätte, würde ich jetzt auf eine Pres-seerklärung nach der anderen eingehen. Volker Sklenar– gegenwärtig sicherlich noch in Ihrer Partei, nehme ichan – wird von der „Ostthüringer Zeitung“ zitiert:Das Gesamtpaket der Agenda 2000 biete zwar kei-nen Grund zum Jubeln, sei aber eine echte Chancezur Konsolidierung der Agrarbetriebe in Thüringen.
Er soll auch nicht jubeln, das erwarte ich von ihm nicht.Aber wenn er so etwas sagt, dann freue ich mich dar-über. Wäre er ein Sozialdemokrat, wäre das ein einzigesHosianna.
Da soll Herr Kollege Schäuble ruhig von Milliarden-verlusten für die Landwirtschaft reden. Das hat er hiereben getan; ich verzeihe ihm das, er kann das alles auchnicht wissen.
– Herr Müller, seien Sie einmal ruhig! Ich habe Sie ge-stern im Europaausschuß erlebt. Ich kann Ihnen sagen:Das war eine Freude!
Das war eine agrarpolitische, agrarökonomische undbetriebswirtschaftliche Lehrstunde. Mein Volkswirt-schaftsprofessor, der Hamburger Harald Jürgensen, hätteunter Ihren Beitrag eine 13 geschrieben – keine sechs,eine 13. So abenteuerlich war Ihr Beitrag.
Ich weiß nicht, ob ich das Protokoll der Sitzung be-komme. Ich hoffe es aber. Daraus werde ich landauf,landab zitieren. Dann werde ich bei den Beiträgen, dieSie da geliefert haben, in Bayern heiliggesprochen.
Wenn hier also behauptet wird, es gebe Milliarden-verluste für die deutschen Bauern, dann stimmt das indieser Form überhaupt nicht.
Bundesminister Karl-Heinz Funke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2179
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– Es stimmt nicht. Ich habe Ihnen schon im Ausschußgesagt: Kein Mensch hat dazu im Moment korrekteRechnungen.Was gilt, ist eines – das sage ich ernsthaft; das habeich vorher schon gesagt, und ich sage es auch heute –:Der Wettbewerbsdruck auf die deutsche Landwirtschaftwird zunehmen. Das ist schon seit 1992 und erst rechtseit dem 1994er GATT-Beschluß so. Die Liberalisie-rung der Weltmärkte – auch des Agrarhandels – wirdzunehmen. Ich sage den Landwirten nichts anderes. Werglaubt, durch die WTO kämen wir hinter die Beschluß-lage von Marrakesch des GATT im Jahre 1994 zurück,sagt den Leuten bewußt Falsches. Ich kann Sie nur bit-ten, auch was die Agenda betrifft, nicht durchs Land zuziehen und angenehme Unwahrheiten zu verbreiten.Vielmehr sollten Sie über die unangenehmen Wahrhei-ten reden.
Das dient den jungen Leuten in den Betrieben amehesten. Sie wollen klare Rahmenbedingungen, aberauch klare Aussagen. Wir werden unseren Beitrag dazuleisten, auch wenn ich dafür Kritik einstecken muß;denn eines möchte ich mir am Ende meiner Amtszeit –wie lange sie auch dauern mag – nicht sagen lassen
– ich bin da sehr bescheiden, Herr Kollege Seehofer –:daß ich wohlwissend Dinge verschwiegen hätte unddamit junge Unternehmerinnen und Unternehmer in derLandwirtschaft in die Irre geführt hätte. Diesem Vor-wurf möchte ich mich moralisch-ethisch nicht aussetzen.Das sollten auch Sie nicht tun.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Hintze von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Tausende von Bauernin Deutschland schauen auf die Verhandlungen zurAgenda 2000. Tausende von Bauern bangen um ihreExistenz, weil sie nicht wissen, ob sie mit den stark ab-gesenkten Preisen und den unzureichenden Teilausglei-chen in Zukunft zurechtkommen. Und in einer solchenSituation stellt sich Landwirtschaftsminister Funke hierhin und preist seine eigene Arbeit. Ich finde das unan-gemessen.
Es nützt auch nichts, wenn Sie, Herr Funke, hier lu-stige Witze über Eisbeinessen oder über andere Sachenmachen, aber in der Sache genau das Gegenteil von demtun, was Sie hier proklamieren. Ich will ein Beispiel her-ausgreifen. Sie sagen: Wir haben einen Überschuß inder landwirtschaftlichen Produktion; dagegen muß manetwas tun. Das ist ein Gedanke, dem man sich anschlie-ßen könnte. Aber es waren doch Sie, der im Bereich derMilch eine Quotenerhöhung mitvereinbart hat und füreine weitere Überschußproduktion gesorgt hat,
die Preise drückt, die landwirtschaftlichen Existenzenangreift und so die Situation verschlechtert.Ich will in diesem Zusammenhang noch etwas sagen.Diese Bundesregierung ist mit dem Versprechen ange-treten, die Arbeitslosigkeit zu senken, was auch dieMenschen in Deutschland für eine wichtige Sache hal-ten. Wir können feststellen: in der Steuerpolitik bisherkrasse Fehlanzeige,
jetzt leider auch in der Landwirtschaftspolitik.Ich will noch einen Punkt nennen – Kollege Ronsöhrwird hinterher die Sache im einzelnen ausführen –: HerrMinister Funke, Sie haben noch im letzten Jahr einerVereinbarung der Agrarministerkonferenz zugestimmt –Sie haben sie mit herbeigeführt –, die zur Agenda 2000zu folgendem Ergebnis kommt:Die zu erwartenden Einkommensrückgänge entzie-hen der deutschen Landwirtschaft das Einkom-menspotential von über 100 000 Vollarbeitskräften.Darüber hinaus dürfte im vor- und nachgelagertenBereich nochmals mindestens dieselbe Zahl vonArbeitsplätzen wegbrechen.Meine Damen und Herren, wir muten unseren Land-wirten zu, daß sie Einkommenseinbußen hinnehmen.Wir muten dem deutschen Steuerzahler zu, daß er mehrfür die Landwirtschaft in Europa zahlt, wobei wenigerdabei herauskommt. Aber das Schlimmste ist, daß Siehier einen sogenannten Kompromiß geschmiedet haben,der über 100 000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft ge-fährdet. Das halten wir für verwerflich.
Es war wirklich der Gipfel, daß Sie, Herr MinisterFunke, in der Frage der Lastengerechtigkeit vorge-prescht sind, möglicherweise das Auswärtige Amt inSchwierigkeiten gebracht haben und lakonisch erklärthaben: Die Kofinanzierung ist vom Tisch. Damit habenSie nicht nur ein wichtiges Element der Lastengerech-tigkeit zerstört und einen schweren Verhandlungsfehlerbegangen, sondern auch der Erweiterungsfähigkeit derEuropäischen Union einen Bärendienst erwiesen. Denneine Neustrukturierung, eine andere Verteilung der La-sten wäre eine wichtige Aufgabe in Vorbereitung auf dieOsterweiterung.
Nun, wie ist die allgemeine Lage? Erstens. DieKommission ist zurückgetreten. Zweitens. Der Bundes-regierung ist der Bundesfinanzminister abhanden ge-kommen. Drittens. Gestern, eine Woche vor dem GipfelBundesminister Karl-Heinz Funke
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2180 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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in Berlin, ist das Ratssekretariat in den Streik getreten.Ich habe heute von der Bundesregierung kein Wort dazugehört. Ich habe bewußt die ganze Debatte abgewartet.Es sitzt auch nur noch Herr Staatsminister Verheugenhier.
– Ich meine das zahlenmäßig.
– Schon recht. Wir hätten bei einer Europadebatte er-wartet, daß der Bundeskanzler hier sitzt; er ist nicht da.Wir hätten erwartet, daß der Herr Außenminister diekurze Zeit hier ausharrt; auch er ist nicht da. Daß Sie dasind, verdient weiß Gott kein Sonderlob.Sie haben dazu keinen Ton gesagt. Dann greifen Siedie CDU/CSU an, weil sie gesagt hat: Die Kommissionist weg, die Bundesregierung ist ins Schlingern geraten,das Ratssekretariat streikt; da stellt sich die Frage, obdann ein Gipfel gutgehen kann. Da sagen Sie – das isteine tolle Argumentation –, es wäre für sich gesehenschon gut, wenn überhaupt irgend etwas beschlossenwürde. Meine Damen und Herren, das ist eine Ver-wechslung von Form und Inhalt, die ich noch nie erlebthabe. Zu sagen: „Egal, was für ein Quatsch beschlossenwird – wenn wir etwas beschließen, ist es gut“, ent-spricht nicht dem Grundsatz unserer Europapolitik. Dasist keine verantwortliche Politik.
Dann haben Sie gesagt, jetzt mache die OppositionIhnen Schwierigkeiten in der Außenpolitik oder in derEuropapolitik. Was war denn in den letzten Wochen undMonaten? Erst verprellt Herr Trittin Frankreich undGroßbritannien, und dann wundert man sich, daß wirSchwierigkeiten bei den Verhandlungen mit diesen Län-dern haben. Anschließend verprellt Herr Lafontaine allein Europa mit seinen Vorschlägen, die Unabhängigkeitder Europäischen Zentralbank in Frage zu stellen unddie gesamte Besteuerung zu harmonisieren.
Dann verprellt Herr Fischer die gesamte NATO, undHerr Schröder stellt sich zu Beginn der Präsidentschafthin und spricht von den Dingen, die in Europa verbratenwerden. Wer die Europapolitik so angeht, der geht siefalsch an. Wenn hier einer den Konsens aufgelöst hat,dann ist das Rotgrün.
Das setzt sich fort. Jetzt wird die Kommission neuberufen. Nun gibt es den Gedanken, das sei eine guteMöglichkeit, die Quotenprobleme bei den Grünen zu be-seitigen. Das kann aber doch weiß Gott kein Kriteriumfür die Besetzung der Kommission sein. Alle großenStaaten in Europa sagen: Europa muß man gemeinsamgestalten, nicht Regierung gegen Opposition und Oppo-sition gegen Regierung, sondern da muß man die ganzeBevölkerung mitnehmen. Frankreich, England, Italienund bisher auch Deutschland sagen: Wir werden durchdie Regierungsparteien und durch die Oppositionspartei-en vertreten. Aber Sie sagen: Nein, wir müssen denGrünen helfen, ihre Probleme zu lösen. Damit brechenSie schon wieder den Konsens. Sie brechen den Kon-sens, nicht wir.
Es ist schon traurig – das muß ich doch sagen –, wieder Herr Bundeskanzler, der heute leider nicht da ist,diese Fragen handhabt.
– Frau Matthäus-Maier, das muß ich Ihnen jetzt einmalsagen: Sie haben Ihr Kontingent wirklich erschöpft.
Ihren Beitrag heute morgen und einige Ihrer Anmerkun-gen in parlamentarischen Debatten in der Vergangenheitfinde ich voll daneben. Ich will das nicht weiter kom-mentieren; aber ich bitte Sie, jetzt nicht weiter dazwi-schenzubrüllen.
Wenn der Herr Bundeskanzler hier wäre, dann würdeich ihn fragen: Welche Vision haben Sie eigentlich inder Europapolitik? Welche Vorstellung haben Sie? Wel-chen Plan haben Sie? Wir müssen feststellen: Er hat kei-ne Vision, er hat keine Vorstellung, und er hat keinenPlan.
Herr
Kollege Hintze – –
Nein, lasse ich nicht zu.
Ich will das fürs Protokoll gerne erklären. Nach denwirklich bösartigen Ausführungen gegen unseren Frak-tionsvorsitzenden sehe ich es nicht ein, ihr hier Zeit füreine Zwischenfrage einzuräumen. Das muß ich einmalsagen.
Die Tatsache, daß der leere Stuhl des Kanzlers dasSymbol für die Europapolitik der Bundesregierung ist,für einen Kanzler, der keine Vision und keine Idee hat,ist die Quelle für die vielen Verhandlungspannen: Kofi-nanzierung von Funke kassiert; das Auswärtige Amtrauft sich die Haare; Frankreich und England vor denVerhandlungen verprellt; dann will man das Geld usw.Das klappt alles nicht. Das liegt daran, daß er, der nichtda ist, der so gerne seine Zeit bei Fotosessions ver-bringt – –Peter Hintze
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Herr
Kollege Hintze, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Verheugen?
Bitte schön.
Herr Kollege Hintze,
nachdem Sie nun mehrfach auf die Abwesenheit des
Bundeskanzlers angespielt haben: Ist Ihnen bewußt, daß
jeder Ratspräsident, bevor ein ordentlicher Gipfel statt-
findet, sämtliche europäischen Hauptstädte zu besuchen
hat, daß das auch jeder frühere Bundeskanzler getan hat,
daß der Termin für diese Reise seit langer Zeit feststand,
daß in fünf Tagen 14 Hauptstädte besucht werden müs-
sen und daß der Bundeskanzler heute Gespräche mit
dem spanischen Ministerpräsidenten, dem portugiesi-
schen Ministerpräsidenten und dem luxemburgischen
Ministerpräsidenten zu führen hat, um den Kompromiß
in der nächsten Woche möglich zu machen? Ist Ihnen
klar, daß das dem Parlament bekannt war und daß des-
halb besprochen war, daß heute der Außenminister und
nach dem Rat der Bundeskanzler die Regierungserklä-
rung abgibt? Sind Sie nicht der Meinung, Herr Kollege
Hintze, daß Sie vor diesem Hintergrund dem, was der
Bundeskanzler in dieser Woche für Deutschland und für
Europa leistet, Respekt und Anerkennung zollen sollten?
Ich werde diese Frage
gerne beantworten. Mir ist bekannt, daß der Herr Bun-
deskanzler diese politische Reise macht. Mir ist bekannt,
daß das üblich ist. Ich halte sie auch für richtig.
– Es geht weiter. – Was wir allerdings in der Europapo-
litik noch nie gehabt haben, Herr Kollege Verheugen,
ist, daß uns ein Bundeskanzler über Wochen im Deut-
schen Bundestag die Aussprache über einen solch wich-
tigen Gipfel verweigert.
– Dazu komme ich noch.
Ich erinnere daran, daß die CDU/CSU und die F.D.P.
im Deutschen Bundestag den Antrag gestellt haben, we-
nigstens am Freitag der Haushaltswoche im Februar die-
ses Jahres eine europapolitische Debatte über diese Din-
ge zuzulassen, damit es vor dem Gipfel nicht zu zeitli-
chen Engpässen kommt. Das haben Sie mit Ihrer Mehr-
heit abgelehnt.
Herr Verheugen, mich als Parlamentarier bedrückt es,
daß ein deutscher Kanzler zwei Stunden Zeit für eine
Fotosession mit Pferdelederschuhen und Kaschmirman-
tel, aber nicht eine Stunde Zeit für eine Plenardebatte im
Deutschen Bundestag hat. Das bedrückt mich sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Bertl?
Ja, das gestatte ich.
Herr Kollege Hintze,
können Sie mir und dem Hause bestätigen – ich habe in
meinem Terminkalender nachgeschaut –, daß der Bun-
deskanzler am Mittwoch letzter Woche, am 10. März,
weit über eine Stunde im Europaausschuß anwesend war
und daß wir über alle Bereiche der von Ihnen hier re-
klamierten Positionen informiert wurden? Hat dieser
Termin stattgefunden oder nicht?
Das will ich Ihnen, lieber
Herr Kollege, gerne bestätigen. Auch das war ein inter-
essanter Vorgang. Denn es war ja so: Wir haben eine
Möglichkeit gesucht, mit dem Bundeskanzler vor der
deutschen Öffentlichkeit über diese Dinge zu diskutie-
ren. Wir sind dann damit beschieden worden, er sei be-
reit, in nichtöffentlicher Sitzung in den Europaausschuß
zu kommen. Das haben wir als ein kleines Zugeständnis
seinerseits angenommen.
Aber daß man sich jetzt quasi dafür bedanken muß,
daß der Bundeskanzler, wenn er dem Plenum über Wo-
chen die Aussprache verweigert, für eine Stunde in den
Europaauschuß kommt und gleich zu Beginn der Sit-
zung sagt, man müsse auf die Zeit achten, das kann doch
wohl nicht wahr sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Bertl?
Gerne. – Bitte schön.
Ich möchte nur noch aufeine Bemerkung von Ihnen eingehen: Können Sie mirbestätigen, daß der Europaausschuß öffentlich getagt hatund daß insofern Ihre Forderung, eine öffentliche Aus-sprache zu führen, letzte Woche im Europaausschuß er-füllt wurde?
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2182 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich erkläre das gerne: Der
Bundeskanzler hat Wert darauf gelegt – das ist auch sein
gutes Recht –, daß sein Erscheinen im Ausschuß, also
die Tatsache seiner Anwesenheit, von Fernsehkameras
vor Beginn der Sitzung aufgenommen wurde. Daß das
bei Ihnen als Ausschußmitglied den Irrtum hervorgeru-
fen hat, die Sitzung sei öffentlich, ist um so verständli-
cher, als die Einlassungen des Bundeskanzlers in dieser
Sitzung materiell so gegen Null gingen, daß man wirk-
lich dem Irrtum erliegen kann, es sei eine öffentliche
Sitzung gewesen, Herr Kollege.
Die Londoner „Times“ hat geschrieben, es brauche
wahrscheinlich noch lange, bis Bundeskanzler Schröder
die Statur von Helmut Kohl erreicht habe. Ich halte die-
se Einschätzung für zu optimistisch. Er wird das nie
schaffen.
Ich komme zum Schluß. Wir selber in der CDU/CSU
bleiben der europäischen Idee in Wort und Tat verbun-
den. Aber wir lassen nicht zu, daß mit dem Ruf nach der
europäischen Idee politisch alles und jedes, wie wir das
soeben hier traurigerweise vom Landwirtschaftsminister
gehört haben, verkleistert und gerechtfertigt wird.
Wir wollen, weil wir es mit der Erweiterung und mit Eu-
ropa ernst meinen, nicht zulassen, daß mit heißer Nadel
ein Kleid gestrickt wird, das schon nach der ersten Be-
nutzung auseinanderfällt.
Deswegen lautet unser Appell: Nutzen Sie die letzten
Tage und Stunden, um aus der Agenda 2000 noch etwas
Vernünftiges zu machen. Das, was bis jetzt vorliegt,
wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt
der Kollege Günter Gloser, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Ich muß den Kollegen Hintze,den ich im Ausschuß anders erlebe, fragen: Glauben Siedas wirklich, was Sie gerade hier geäußert haben?
Ich erlebe Sie ja auch in den Ausschußsitzungen.
– Lassen Sie mich einmal ausreden.Ich komme auf die Erfahrungen zurück, die wir mitBundeskanzler Helmut Kohl gemacht haben. In bezugdarauf waren wir uns einig. Ich nehme das einmal alsMaßstab.
Kohl hat immer wieder gesagt: Sie glauben doch nicht,daß ich in einer öffentlichen oder teilweise öffentlichenAusschußsitzung darüber spreche, was ich in Konferen-zen verhandeln will. Wenn ich das nämlich sage, wird esnach draußen gegeben. Auch Schröder hat nichts ande-res gemacht.
Bundeskanzler Schröder stand für Ihre Fragen zurVerfügung, und das Gegenteil von dem ist richtig, wasSie gerade behauptet und unterstellt haben, nämlich daßer nichts gesagt habe. Er hat ganz konkrete Fragen sehrdetailliert beantwortet. Ich weiß aus Ihrem eigenen La-ger, daß Sie baß erstaunt waren, wie der Bundeskanzlerdiese Fragen alle beantwortet hat. Insofern wollen wirdoch hier keine Legenden bilden.
Nun zu Herrn Seehofer. Wenn Sie nicht aus dem Amtgeschieden wären, müßte ich sagen: Schuster, bleib beideinem Leisten.
Aber auf das Gebiet der Agrarpolitik hätten Sie sichnicht begeben sollen; denn es wurde ja gerade deutlich,was hier passiert ist.
Ich möchte noch einmal der Bundesregierung unsereUnterstützung dokumentieren und versichern, daß esrichtig war, an dem Zeitplan festzuhalten, nämlich letzteWoche diese Sitzung und in der nächsten diese Konfe-renz durchzuführen. Auch wenn vielleicht mancher beiuns skeptisch war: Gerade weil die jetzige Situation mitihren turbulenten Tagen eingetreten ist, ist es wichtig,daß die Europäische Union Handlungsfähigkeit nachaußen demonstriert und zeigt, daß sie für die nächstenJahre reformfähig ist.
Auch ich komme aus Bayern. Ich kann das Feldge-schrei der CSU überhaupt nicht mehr kapieren. Ichmöchte die Herren Glos und Seehofer einmal fragen:Wie viele Kerzen müssen Sie eigentlich am Sonntag inder Kirche wegen Ihrer Scheinheiligkeit aufstellen?
Es ist wirklich wahr: Sie müssen doch jedesmal hintre-ten und sagen: Herr, verzeih mir; ich habe es nicht sogemeint, aber ich mußte es so sagen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2183
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Es ist doch wirklich fatal. Ich habe das in den letztenMonaten verfolgt. Der Ajatollah des Alpenvorlands Ed-mund Stoiber pflegt auf der einen Seite einen ordinärenPopulismus – auch ich bin der Meinung, wie das ver-schiedene Kollegen, beispielsweise Herr Sterzing, ge-sagt haben, daß man in verschiedenen Punkten unter-schiedlicher Auffassung sein kann –, und auf der ande-ren Seite stellt er sich ständig hin und sagt: Wir müssenden Nettobeitrag reduzieren; ich möchte aber nicht, daßmeine Bauern Opfer bringen müssen.Das Schönste war ja: An einem Tag wettert EdmundStoiber, daß er keine rasche Osterweiterung will, undam nächsten Tag macht er vor den Ungarn einen Kotauund sagt: Doch, ich bin für eine rasche Erweiterung. –Dies ist eine Scheinheiligkeit, und das ist überhauptnicht mehr zu vertreten.
Damit komme ich zu folgendem Punkt. In den erstenWochen haben Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, die Legende verbreitet, die Sozialdemokra-ten und natürlich auch Bündnis 90/Die Grünen wolltendie Osterweiterung nicht. Bei Besuchen im Ausland ha-ben Sie anscheinend gesagt, wir seien diejenigen, die dieOsterweiterung nicht wollten.Wir bestätigen ausdrücklich, daß wir für diese Oster-weiterung sind. In der nächsten Woche gibt es dieseKonferenz, und wir werden ein Ergebnis zustande brin-gen. Damit setzen wir ein deutliches Zeichen für dieseOsterweiterung.
Ein weiterer Punkt. Vielleicht sollten Sie einmal dieSeminare Ihrer Hanns-Seidel-Stiftung besuchen; denndort wird vermutlich weit transparenter und ehrlicherdargestellt, wie auf europäischer Ebene bestimmte Pro-zesse ablaufen. Auch Herr Kohl hat sicher gelegentlichZiele formuliert, mit denen er in eine Konferenz gegan-gen ist; aber ich habe noch nie erlebt, daß er mit einemErgebnis herausgekommen ist, das dem vorher genann-ten Ziel vollständig entsprach.
– Weil man Kompromisse schließen muß, Herr See-hofer.
In Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung werden dieseProzesse dargestellt, und es wird nicht dieses Wischiwa-schi gemacht, das Sie dem Deutschen Bundestag, derdeutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus präsentierthaben.
– Hören Sie doch mit diesen Stichworten auf, wer wenwann verraten hat.Ich stelle eindeutig fest: Herzlichen Dank an denAgrarministerrat, daß es zu diesem Ergebnis gekommenist. Es ist ein Funke übergesprungen!
Aber ich möchte schon noch ein paar kritische Dingeanmerken. Ist es wirklich das Europa, das wir wollen,wenn wir tagelang, wochenlang über Garantiepreise,-mengen, Milchquoten, Rindfleisch usw. diskutieren?Die Generationen, die nach 1950 geboren sind, habendoch andere Ziele in Europa. Damit kein Mißverständnisentsteht: Mir ist die Existenz und die Wettbewerbsfähig-keit der Landwirtschaft wichtig, ohne Zweifel. Aber Siekönnen nicht dauernd auf Bauernversammlungen in die-sem Lande etwas verkünden, was Sie selbst nicht ein-halten können, Herr Müller. Das sollten Sie endlicheinmal gelernt haben – auch wenn Sie aus dem Allgäukommen.
Europa hat eine andere Zukunft: Wie gehen wir mit-einander um in der Frage der Bildungspolitik, in derFrage der Technik? Wir können uns doch nicht stun-denlang über Agrarquoten unterhalten. Ich bin, wie vieleKolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion,der Auffassung, daß wir endlich zu einer europäischenVerfassung, zu europäischen Bürgerrechten kommenmüssen. Damit erfüllen wir den Auftrag, darin liegtSinnstiftendes.Insofern bin ich auch etwas enttäuscht über die fran-zösischen Partner, die partout keine Kofinanzierungwollten, weil sie, so wie ich hörte, noch in dem Glaubensind, diese gemeinsame Agrarpolitik sei etwas Sinnstif-tendes aus der Gründungszeit der Europäischen Union.Diesbezüglich habe ich eine andere Auffassung. AberSie wissen ganz genau – auch das wird auf den Semina-ren der Hanns-Seidel-Stiftung verkündet –, daß manEinstimmigkeit, daß man einen Konsens, eine Zustim-mung aller braucht, um zu bestimmten Ergebnissen zukommen. Insofern ist der Weg, der geebnet wurde, sehrgut.Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlichwerden wir auf diesem Gipfel nicht alles von dem, waswir uns vorgenommen haben, erreichen. Aber es war diein diesen Tagen gescholtene Kommission, die dieseAgenda 2000, dieses Europa der Zukunft, entwickelt hatund dazu konkrete Vorschläge vorgelegt hat. Sie war es,die deutlich gemacht hat: Es nützt nichts, wenn man nurin den Nischen, in den Schrebergärten Politik macht.Wir wollen eben keine Renationalisierung der Landwirt-schaftspolitik, wir wollen eine gemeinschaftliche Politik.Die gemeinsamen Probleme kann man in der Europäi-schen Union auch nur gemeinsam lösen. Wenn Bayernbei diesem fundamentalistischen Ansatz bleibt, dannsind Sie auf dem berühmten Holzweg, Herr KollegeMüller.Ich möchte dazu ein Zitat einbringen:Wir müssen die europäische Flagge hissen, weil dieschrebergärtnerischen Größenordnungen der euro-Günter Gloser
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2184 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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päischen Nationalstaaten nicht mehr ausreichen, ummit den Notwendigkeiten und Problemen der näch-sten Generation fertig zu werden. Jeder, der es ernstmeint mit Europa, weiß und muß nach diesem Wis-sen handeln, daß die europäische Kleinstaaterei derVergangenheit nicht ihre Fortsetzung im kleineuro-päischen Denken der Gemeinschaft finden darf.Ich kann dem nur zustimmen.
– Das sage ich Ihnen – Sie hätten eigentlich klatschenkönnen; es irritiert mich, daß die Praxis bei Ihnen heuteanders aussieht –: Es war Franz Josef Strauß, der das vorvielen Jahren gesagt hat.
Das eben trifft den Punkt: Der liebe Edmund Stoiberwill sich aus allem zurückziehen, will nur in seinemSchrebergarten Bayern gestalten. Gestaltung muß dar-über hinaus stattfinden. Er tritt auf europäischer Ebeneimmer wieder als vehementer Kämpfer für den Födera-lismus auf. Er sollte lieber einmal in Bayern als Födera-list auftreten; dort redet er gegenüber Kreisen undKommunen nämlich dem Zentralismus das Wort. Ersollte nicht den anderen Wasser predigen und selberWein trinken.
Ich danke der Bundesregierung für ihren massivenEinsatz für das Zustandekommen dieses Gipfels. Wirwünschen ihr Glück und Erfolg, weil ihr Erfolg auch derunsrige ist. Ich bedanke mich bei den vielen Kolleginnenund Kollegen in der CDU, die bis zuletzt versucht ha-ben, eine gemeinsame Entschließung des Bundestageszustande zu bringen. Im Interesse dieser Kollegen – da-mit sie keinen Schaden nehmen – nenne ich keinen Na-men.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wis-sen Sie, was ich an dieser Debatte schlimm finde? Ichfinde es schlimm, daß die Existenzfähigkeit der Land-wirtschaft gegen die Weiterentwicklung der Europäi-schen Union ausgespielt wird. Das will ich, das wollenwir von der CDU/CSU nicht. Die Bauern in unseremLande haben schon auf Europa gesetzt, als der jetzigeLandwirtschaftsminister, der damals niedersächsischerLandwirtschaftsminister gewesen ist, noch aus der Eu-ropäischen Union austreten wollte.
Das ist damals lächerlich gewesen; aber er hat es alsErnst verkauft. Dann hat er hier erklärt, daß er mit derbayerischen Strukturpolitik nicht einverstanden sei. Erhat die Bayern massiv belehrt und damit natürlich seineEinsparpolitik verteidigt. Das macht er heute noch.Ich kann mich an eine Veranstaltung erinnern, auf derKarl-Heinz Funke – er war damals Diskussionsredner;ich kann dafür Zeugen nennen – dafür eingetreten ist,daß ein Bauer mit 8 Kühen einen höheren Milchpreisbekommt als einer mit 80 Kühen, weil er den Struktur-wandel behindern wollte. Das sind Widersprüche, an dieman auch einmal erinnern muß. Ich glaube, daß er heutevon dieser Politik weg ist.
Aber ich will wenigstens einmal darauf aufmerksammachen dürfen.Mein Vorredner, Herr Gloser, hat davon gesprochen,daß ein Funke überspringen müsse. Der ist auch überge-sprungen. Wissen Sie: Wenn ein Funke überspringt –das sage ich Ihnen jetzt als Bauer –, kann es auch bren-nen.
Meine Damen und Herren, Herr Seehofer hat die Fra-ge gestellt: Wer hat eigentlich den Konsens in derAgrarpolitik aufgekündigt?
Dieser Landwirtschaftsminister war an einer Beschluß-fassung der Länder beteiligt. Er hat als Landwirt-schaftsminister dieser Beschlußfassung zugestimmt.Aber nachdem wir die damalige Beschlußfassung zumAntrag erhoben hatten, waren Kollegen von SPD undBündnis 90/Die Grünen dagegen. Da liegt die Konsens-aufkündigung.
Jetzt sagt man: Wir brauchen das alles, damit dasWTO-konform ist. Meine Damen und Herren, war derdamalige Beschluß nicht WTO-konform? Wir verlangendazu zumindest eine ganz eindeutige Erklärung. DieAufkündigung dieses Konsenses kommt der Landwirt-schaft und den deutschen Steuerzahler – das ist ja dasEigenartige; das ist ja das Widersprüchliche – teuer zustehen. Wir wollten mit dem damaligen Beschluß undauch mit unserem heutigen Antrag die Existenzfähigkeitder Landwirtschaft sichern.Jetzt wird die Agenda 2000 noch sehr positiv darge-stellt. Ich hätte von diesem Landwirtschaftsminister –das sage ich in aller Ehrlichkeit und Offenheit – wenig-stens einen Satz des Bedauerns erwartet, daß die Land-wirte durch die Agenda 2000 so starke Einkommens-einbußen erfahren.
Ich habe mich da geirrt. Ich entschuldige mich bei de-nen, die ich immer wieder von etwas anderem überzeu-gen wollte.Günter Gloser
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ron-
söhr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seehofer?
Bitte.
Herr Kollege Ron-
söhr, können Sie meine Einschätzung teilen, daß es
heute ein unerträglicher Zynismus war, daß der deutsche
Landwirtschaftsminister von einem großen Erfolg
spricht, daß er das Ganze hier im deutschen Parlament
zum Teil noch in ein Gaudium umwandelt, während
draußen 50 000 bis 60 000 kleine und mittlere Betriebe
um ihre Existenz bangen und die realen Einkommen der
Landwirte durch diese Reform, die Herr Funke als Er-
folg feiert, unbestritten zwischen 10 und 20 Prozent zu-
rückgehen werden? Ist dies nicht blanker Zynismus?
Auch ichsehe das als Zynismus an. Der Landwirtschaftsministerhält hier Karnevalsreden, und die Landwirte haben Sor-gen um ihre Existenz.
Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 wirdimmer nur vordergründig diskutiert. Jetzt wird davongesprochen, daß die Milchpreissenkung verschobenwird. Nur – Herr Schäuble, Herr Seehofer und HerrHintze sind bereits darauf eingegangen –: Wir haben be-reits im nächsten Jahr eine Ausweitung der Milchpro-duktion um fast 1 Prozent. Das führt zu einem Preis-druck. Davon geht ein enormer Preisdruck auch für diedeutsche Landwirtschaft aus, obwohl sie die Ausweitungder Produktion gar nicht mitmachen kann.Es wird davon gesprochen, der Getreidepreis sinkezweimal um 10 Prozent. Aber es wird auch in dem Pa-pier, das wir gestern in der Ausschußsitzung vom Er-nährungsministerium bekommen haben, verschwiegen,daß man auch die sogenannten Reports-Preisaufschlägeabbaut. Das bedeutet noch einmal 3 Prozent Preissen-kung.Es wird immer vom Sicherheitsnetz beim Rindfleischgesprochen. Wissen Sie eigentlich, daß das Sicherheits-netz erst greift, wenn der Rindfleischpreis um 44 Pro-zent, um fast die Hälfte gesunken ist? Wer kann denn danoch von einem Sicherheitsnetz sprechen? So kann esdoch nicht gehen.
Die Agenda 2000 wird in der Form, in der sie jetzt zurBeschlußfassung vorliegt, noch nicht einmal richtig dar-gestellt. Das wäre doch das mindeste, was man erwartenkann.
Die deutschen Winzer produzieren einen ehrlichenWein. Der Wein dieses Landwirtschaftsministers ist trü-be.
Meine Damen und Herren, ich finde gut, daß unserFraktionsvorsitzender einmal über die nationalen Bela-stungen der Landwirtschaft gesprochen hat.
– Ich habe Sie auch ausreden lassen. Hören Sie sich dasUnangenehme ruhig einmal an! – Vor einiger Zeit hatdieser Bundeslandwirtschaftsminister dem früheren undvielleicht auch noch heutigen Finanzminister Lafontaineeinen Schinken überreicht, damit er eine Milliardenbe-lastung durch die Steuergesetzgebung von den deut-schen Bauern fernhält. Nun haben die fleißigen Bauernin Deutschland eine Milliardenbelastung, und Lafontai-ne hat seinen Schinken, hat sein Einkommen und ver-weigert auch noch die Arbeit.
Wenn die Sozialdemokratie angesichts dieser Lagenoch von Gerechtigkeit spricht, dann verläßt sie ihreTradition, denn Tradition ist bei ihr auch der Anspruchauf Gerechtigkeit. Vor einiger Zeit wurden hierzu nochReden gehalten. Ich habe das, weil man als Hannovera-ner zum britischen Königshaus immer eine positive Ein-stellung hatte, nie mitgemacht. Aber die Sozialdemo-kraten haben immer davon gesprochen, die britischeKönigin würde die meisten Subventionen bekommen.Die Wahrscheinlichkeit, daß sie jetzt noch mehr Sub-ventionen bekommt, ist sehr hoch, aber die deutschenBauern erhalten weniger Einkommen. Das sind die Tat-sachen, über die es hier zu diskutieren gilt.
Die deutschen Bauern wollten keine Subventionser-höhung. Die deutschen Bauern wollten – dies wird vomLandwirtschaftsminister und vielen aus der SPD wiedereinmal falsch dargestellt – Gerechtigkeit, Gerechtigkeitangesichts der Leistungen, die sie in unserer Gesell-schaft erbringen.
Sie wollten, daß ihre Leistungen auch gerecht bewertetwerden. Aber die Antwort durch die Agenda 2000 ist,daß sie jetzt existenzgefährdende Rahmenbedingungenbekommen.Wenn Sie es, Herr Funke, gegenüber den deutschenBauern und dem Bundestag ehrlich meinen, dann neh-men Sie die hausgemachten Belastungen, die die Bauerndurch die Steuergesetzgebung erfahren, wieder zurück,damit die Landwirtschaft nicht noch mehr ausblutet.Wenn Sie ein wenig Herzblut für die deutsche Land-wirtschaft haben, dann setzen Sie zumindest diese For-derung um!
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2186 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich glaube, die Bauern haben es verdient. Sie haben im-mer zu Europa gestanden. Jetzt wollen sie, daß Europazu ihnen steht. Sie haben früher als der Bundeskanzler,der heute nicht anwesend ist,
zum Euro gestanden, und jetzt werden sie Leidtragendeeiner europäischen Entwicklung, die dieser Landwirt-schaftsminister und diese Bundesregierung zu verant-worten hat.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ulrike
Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Immerhin hatte die Quotierungsdiskussion bei
den Grünen keine Hintzes und Ronsöhrs als Ergeb-
nis. Das ist allein schon mal gut. Die ganze heutige
Debatte entwickelt sich ja zur Wadenbeißerei auf Dak-
kelhöhe.
Herr Schäuble, Sie haben heute morgen die mangel-
hafte Vorbereitung der deutschen Ratspräsidentschaft
beklagt. An diesem Punkt haben Sie ganz gewiß Recht.
Aber genau das war das Versäumnis der alten Bundes-
regierung.
Borchert hat immer unter dem Tisch gesessen, und nun
wird das von dem eigenen Fraktionsvorsitzenden be-
klagt. Minister Funke hat auf der Basis dessen, was in
Anbetracht der mangelhaften Vorbereitung und in An-
betracht der zu Beginn der Verhandlungen völlig aus-
einanderklaffenden Interessen der Mitgliedstaaten mög-
lich war, ein gutes Ergebnis erzielt.
Niemand bestreitet übrigens die schwierige Lage der
Landwirtschaft in Deutschland und in weiten Teilen Eu-
ropas. Darüber gibt übrigens, Herr Hintze, der Situati-
onsbericht des Deutschen Bauernverbandes Auf-
schluß, der den Verlust von 82 000 Arbeitsplätzen be-
klagt. Dieser Bericht bezieht sich aber gerade auf die
Arbeit der alten Bundesregierung und damit auf genau
die alte Agrarpolitik, die überhaupt keine Lösungen ge-
schaffen hat. Diese Politik hat zu enormen finanziellen
Fehlbelastungen geführt – zu Lasten der Steuerzahler, zu
Lasten der Mehrzahl der Bauern und zu Lasten der Um-
welt und Verbraucher. Die Endzeitstimmung, die Herr
Seehofer, Herr Deß oder Herr Hintze heute verbreiten,
hat durchaus ihre Berechtigung. Man muß aber ganz klar
sagen, daß die Kohl-Regierung in 16 Jahren die Land-
wirtschaft marginalisiert hat.
Dabei halten wir die Fragen der Agrarrohstoffe, der
gesunden Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung
und der Zurverfügungstellung von sauberem Wasser für
Zukunftsfragen, die bislang keine Beantwortung gefun-
den haben.
Die Überschüsse, die die alte Politik bewirkt hat, ha-
ben zu der Entwertung von landwirtschaftlichen Pro-
dukten und Lebensmitteln geführt. Ich bin sehr ge-
spannt, wie Sie sich beispielsweise bei der Debatte um
den Tierschutz im Grundgesetz verhalten werden, bei
der es darum geht, Werte und Bewertungen wieder
ethisch zu verankern. Wie ich das sehe, werden Sie dann
wieder kneifen.
Ordnungspolitische Maßnahmen und Mengenregulie-
rung fordert die CDU/CSU jetzt. Aber die Maßnahmen,
die der Umwelt und der Qualität gedient hätten – Quali-
tätsinstrumente wie beispielsweise die Stickstoffdün-
ger –, haben Sie immer abgelehnt. Direkte Einkom-
mensübertragungen werden jetzt gefordert – zuletzt
heute morgen von Herrn Schäuble –, als ob sich ein
Wirtschaftsbereich mit Transferzahlungen und Sozial-
hilfeleistungen überhaupt über Wasser halten könnte.
Das ist genau das Aufs-falsche-Gleis-Setzen, das Mi-
nister Funke vorhin erwähnt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, lassen
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr zu?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Frau
Kollegin Höfken, sind Sie bereit, einmal den Kollegen
Weisheit zu fragen, was er gegenüber dem Bund der
Deutschen Landjugend, bei dem wir uns am Dienstag
befunden haben, für eine Erklärung abgegeben hat? Herr
Weisheit hat dort gegenüber dem Bund der Deutschen
Landjugend erklärt, daß die Aufnahme des Tierschutzes
ins Grundgesetz überhaupt keine Veränderung mit sich
bringt. Das mag man woanders wieder anders darstellen.
Nur, dieses Spiel machen wir nicht mit, nämlich das
Spiel, das zum einen um die Aufnahme des Tierschutzes
ins Grundgesetz und zum andern mit den Bauern betrie-
ben wird. Sie müssen schon ehrlich erklären, was Sie ei-
gentlich wollen.
Ichdanke Ihnen sehr für Ihre Zwischenfrage und kann Ihnendarauf antworten: Wenn Herr Weisheit gesagt hat, daßsich durch eine entsprechende Grundgesetzänderung fürHeinrich-Wilhelm Ronsöhr
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2187
(C)
(D)
die Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Produk-tion nichts ändern wird, dann muß man feststellen, daßer recht hat. Aber die Wertigkeit der artgerechten Tier-haltung und der Produktion und das Verhalten sowie dasBewußtsein der Verbraucher ändern sich. Genau hierliegt Ihr Problem: Sie sind unglaubwürdig bei der Be-rücksichtigung der Interessen der Bevölkerung. Diesenutzen Sie nur, wenn es um ausländerfeindliche Parolengeht.
Mit der Agenda 2000 wird der schwierige Einstieg ineine Marktorientierung und eine stärkere Umweltge-rechtigkeit geschaffen. Auch wenn es hier mehr Konse-quenz und sanftere Übergänge hätte geben können, mußman feststellen: Ein modernes Leitbild für die Landwirt-schaft wäre schon längst gestaltet worden, wenn Sie hierrechtzeitig einen Konsens erzielt hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, es
gibt eine weitere Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu?
Ja.
Frau Kollegin
Höfken, stimmen Sie mir darin zu, daß durch die Be-
schlüsse, die im Rahmen der Agenda 2000 getroffen
werden, die Situation sowohl bezüglich Milchüber-
schüsse als auch der Stillegung von Getreideflächen ver-
schärft wird? Oder sind Sie anderer Auffassung?
Man muß in der heutigen Debatte auf folgendes deut-
lich hinweisen: In diesen Tagen beschließen wir im
Rahmen der Agenda 2000 Umsatzrückgänge für die
Wertschöpfung der deutschen Landwirtschaft in Höhe
von 2,5 Milliarden DM. Dieser Umsatzrückgang erhöht
sich noch um weitere 1,5 Milliarden DM durch das be-
schlossene Steuerentlastungsgesetz. Die Wertschöpfung
der deutschen Landwirtschaft liegt bei etwa 40 Milliar-
den DM. Durch unsere Beschlüsse verlieren die deut-
schen Landwirte 10 Prozent ihres Umsatzes, der voll auf
die Gewinne durchschlägt. Das kann man um Gottes
willen doch nicht als Erfolg einer zukunftsorientierten
Wirtschafts- und Agrarpolitik verkaufen. Dazu hätte ich
gerne eine Antwort von Ihnen.
Sehrgeehrter Herr Kollege Schindler, ich habe vorhin auf dieErgebnisse des Situationsberichtes des Deutschen Bau-ernverbandes hingewiesen. Ich kann dazu nur sagen: DieInstrumente, die Sie einfordern, haben zu gar nichts ge-führt. Es kann also nur besser werden. Für diese Chanceund die neuen Wege soll die Agenda 2000 genutzt wer-den. Wenn es zu Ergebnissen kommen soll, dann mußman sagen, daß sie nur auf der Basis dessen, was jetzthier erarbeitet wird, erzielt werden; denn die Verant-wortung für die jetzige Situation tragen Sie. VielenDank.
Marktorientierung heißt, die faktisch vorhandenenAufteilungen der Märkte politisch zu gestalten. Allesandere würde nämlich bedeuten, die Realität völlig zuignorieren. Diese Gestaltung bedeutet auf der einenSeite eine Weltmarktorientierung und auf der anderenSeite – das ist für Europa die wichtigste – die Orientie-rung an einer differenzierten Qualitätsanforderung nachhochwertigen Nahrungsmitteln durch die europäischenVerbraucher des europäischen Binnenmarkts, an derNachfrage nach den gesellschaftlichen Leistungen derLandwirtschaft für den Naturschutz und die Land-schaftspflege sowie nach sauberem Wasser und saube-ren Formen der Energieerzeugung. Solche Entwicklun-gen bieten auch kleinen und mittleren Betrieben Per-spektiven, die diesen bisher eher verschlossen als eröff-net worden sind.Durch die Agenda 2000 kann der agrarpolitischeMarkt noch nicht richtig rundlaufen. Aber sie bietetMöglichkeiten der Entwicklung. Auch wenn die Welt-marktorientierung sicherlich nur für einen kleinen Teilder Betriebe interessant ist, sehen wir dennoch in derSteigerung der Nachfrage nach Qualitätsproduktendurch die 340 Millionen Verbraucher des EU-Binnenmarktes eine Chance für die Entwicklung einesWirtschaftsbereiches, der in der letzten Zeit nur an dieWand gedrückt wurde.Minister Funke konnte mit seiner Politik die Über-gangs- und Anpassungsprobleme deutlich erleichtern.Niemand hat gesagt, das Ganze sei ein wunderbarer Er-folg. Wenn man einen solchen erzielen wollte, müßteman die letzten 40 Jahre Agrarpolitik ungeschehenmachen. Das kann man nicht in fünf Monaten Re-gierungszeit schaffen, und schon gar nicht in einigenTagen Ratspräsidentschaft. Aber die Kosten halten sichimmerhin in dem engen Rahmen, den wir uns zum Zielgesetzt hatten. Zum Beispiel im Rindfleischbereich flie-ßen statt 9 Prozent nun 14 Prozent Prämien nachDeutschland. Das haben Sie doch immer verlangt, abernie eingeleitet.Es gibt Lösungen explizit für Deutschland, insbeson-dere für die neuen Länder – diese wären bei den vor-herigen Kommissionsbeschlüssen sehr arm dran gewe-sen –: Die Grundflächen werden verankert. Eine Grün-landprämie wird eingeführt. Die Variabilität bei den90 Tiergrenzen wird eingeführt. Es gibt keine Degres-sion, die einseitig zu Lasten der ostdeutschen Betriebegeht. Es gibt – das ist das Wichtigste – eine neueRechtsgrundlage für den Bereich Milch.Um noch einmal auf das einzugehen, was der KollegeSchindler angesprochen hat: Es konnte den enormenAnsprüchen des London Club entgegengewirkt werden.Eine Absenkung der Milchquote wäre sinnvoller gewe-sen; das gebe ich zu. Doch die jetzigen Aufstockungen –das ist gestern auch im Agrarausschuß so gesagt worden– bringen real nicht mehr Milch auf den Markt. Sie le-galisieren nur die entstandenen Übermengen in Italien,Griechenland, Spanien und Irland und verursachen somitkeinen weiteren Preisdruck. Insofern ist falsch, wasKollege Schindler gesagt hat. Es werden nicht mehrMengen auf dem Markt sein als heute; und für diesewurden nur bisher die Superabgaben gezahlt.Ulrike Höfken
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Entscheidend ist das Auslaufen der jetzigen Milch-mengengarantieordnung im Jahr 2006 und die Überprü-fung im Jahr 2003. Damit wird endlich eine Rechts-grundlage für ein Lieferrecht geschaffen, das den zu-kunftsfähigen und entwicklungsfähigen Betrieben undden jungen Landwirten eine Wirtschaftsperspektive er-öffnet.Es gibt auch beim Wein durchaus gute Ergebnisse;sie sind nicht getrübt. Insgesamt konnten Mengenregu-lierungsinstrumente aufrechterhalten werden.Der Bauernverband hat gesagt, 4,2 Milliarden DMwäre das Volumen, um das die Landwirtschaft durch diealten Kommissionsvorschläge belastet worden wäre.Minister Funke hat nun erzielt, daß diese Belastung umfast die Hälfte reduziert wird. Was also sind die Klagen?Ein Verschieben der Agenda 2000 – das will ich zumSchluß sagen – ist das Absurdeste, was man jetzt for-dern könnte. Dies hieße wirklich: Die EU-Wahl vorAugen benutzen CDU/CSU und F.D.P. die Bauern wie-der in unverantwortlicher Weise als parteipolitischeSpielmasse – entgegen den nationalen Interessen, denInteressen der Landwirtschaft und ihrer eigenen Europa-politik.
Mit den Vorschlägen zur horizontalen Verordnungund den Strukturfonds eröffnen sich neue Spielräume. Inder nationalen Ausgestaltung gibt es Spielräume fürmehr Beschäftigung, mehr Umweltschutz und mehrTierschutz. Diese gilt es zu nutzen. Dazu laden wir auchdie Opposition ein.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Schindler, CDU/CSU,
das Wort.
Frau Höfken, Sie
haben hier gesagt, daß die schlimmsten Befürchtungen –
ob es nun 2,5 Milliarden DM, 4 Milliarden DM oder
5 Milliarden DM sein werden – abgeschwächt werden.
Die Philosophie aber „Weniger ist mehr, gesteuerte
Märkte und keine Überschüsse“ – so Frau Höfken – ist
mit der Entscheidung, die Milchquote zu erweitern, be-
schlossene Sache. Das bedeutet einen Preisdruck auf
den Märkten und ein vermindertes Einkommen für die
Bauern.
Es ist unumstritten – das muß man doch einmal
sagen –, daß die Agrarpreise zurückgenommen und im
Schnitt nur hälftig ausgeglichen werden. Dies schlägt
sich letztendlich auf die Gewinne nieder. Dies muß in
einer solchen Debatte doch deutlich gesagt werden. Es
gibt in Deutschland keine Gewinner. Die deutschen und
auch die europäischen Bauern sind weitestgehend Ver-
lierer dieses Beschlusses. Was wir heute morgen seitens
der Regierungskoalition gehört haben, war doch das
Belobigen eines falschen Ergebnisses.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung,
Frau Kollegin Höfken, bitte.
Ich
muß nicht wiederholen, wie problematisch ich immer
die erste Säule der Agenda 2000 gefunden habe.
Nichtsdestotrotz: Man muß betonen, daß all dies doch
auf dem Mist der alten Bundesregierung gewachsen ist.
Gerade im Milchbereich war das, worüber jetzt geklagt
wird, ein Schildbürgerstreich des alten Landwirt-
schaftsministers Borchert. Das einzige Engagement von
Minister Borchert richtete sich doch damals auf die Si-
cherung der Maisgrundflächen. Silomaisprämien waren
das bundesdeutsche Ziel in den europäischen Verhand-
lungen. Die Durchsetzung genau dieser Zielanforderun-
gen hat zu dem verhängnisvollen Rattenschwanz ge-
führt, nämlich zu den Forderungen nach Quotenaufstok-
kungen und zu der jetzigen Entwicklung. Insofern ist
das, womit wir es heute zu tun haben, das Ergebnis eines
strategischen Fehlers der alten Bundesregierung. Zum
Glück konnte dieses Ergebnis noch abgemildert werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner der
Debatte ist der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr ver-ehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen undKollegen! Nach den letzten Reden möchte man meinen,die Landwirtschaft stehe im Zentrum europäischen In-teresses.
Viele Menschen in ganz Europa werden das kaum ver-stehen. Ich sage gleichzeitig: Es gehört nun einmal zurGeburtsgeschichte und zur Geschichte der EuropäischenUnion insgesamt: Wenn man die Landwirtschaft alleinals Wirtschaftszweig betrachtete – so war sie am Anfanggeplant; dafür kämpfen Sie offensichtlich noch immer –und wenn es nur noch um die Frage der Preissubventio-nen ginge, müßten wir sagen, daß Europa falsch struktu-riert bleibt.Was jetzt passiert ist und wobei unser Bundesland-wirtschaftsminister geholfen hat, ist zum einen, einStück weit dabei voranzukommen, die wirtschaftlicheDimension der Landwirtschaft durch die Veränderungvon Preissubventionen hin zu mehr Marktorientierungumzugestalten. Zum anderen hat der Bundeslandwirt-Ulrike Höfken
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schaftsminister geholfen, anzuerkennen, daß das Wohlder Landwirtschaft und das Wohl aller, die mit der Ge-staltung des ländlichen Raumes zu tun haben, im öffent-lichen Interesse liegt. Deshalb ist es richtig, denjenigenLandwirten, die gleichzeitig Landschaftspflege betrei-ben, angemessene Direkthilfen zu gewähren. Diesenschwierigen Schritt zu gestalten ist die Aufgabe, vor derwir in Europa stehen.
Wir wissen alle, daß es eine ausgesprochen schwierigeAufgabe ist. Ich möchte zu diesem Punkt keine weiterenAusführungen machen.
– Herr Kollege, deshalb will ich mich nicht weiter mitder Landwirtschaft beschäftigen.Ich weiß, wie schwer es ist, diesen Schritt zu gehen;aber ich möchte gleichzeitig sagen: Es gibt anderes, dasebenfalls in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerücktwerden muß. Ich meine die Gestaltung ganz Europas.Wir haben vor zehn Jahren mit dem Zusammenbruchder kommunistischen Systeme die Chance erhalten, daszusammenwachsende Europa zu gestalten. Die LänderOst- und Ostmitteleuropas drängen in die Institutionendes Westens. Wir erinnern uns daran – ich denke, wirsehen das im ganzen Haus mit Freude –, daß die Polen,die Tschechen und die Ungarn vor kurzem in die NATOeingetreten sind. Andere Staaten wollen folgen.Wir sind jetzt bei einem sehr viel schwierigerenThema, das alle Bereiche der Gesellschaft und der Wirt-schaft angeht; es geht um die Gestaltung Europas imRahmen der Europäischen Union.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mek-
kel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schindler?
Nein, da sie sich offensicht-lich auf Landwirtschaft bezieht und ich dieses Themahinter mir lassen will, möchte ich das nicht tun.
Im Auswärtigen Ausschuß war gestern die bulgari-sche Außenministerin Michailowa zu Gast, die uns denWunsch ihres Landes auf Mitgliedschaft in der Europäi-schen Union eindrücklich vorgetragen hat. Bulgarien istein Land, das von der Geschichte wahrhaftig schwer ge-schlagen ist. Es hatte ferner in den Jahren nach 1990nicht immer Glück mit seinen Regierungen. Sie hat unsgebeten, bei der Aufnahme zu helfen. Sie sagte: Wirwollen hinzukommen; wir wollen, daß diese Europäi-sche Union erweitert wird; macht dies nicht von eurerFähigkeit zu inneren Reformen abhängig!Wir alle wissen, daß dieser Wunsch nicht erfüllt wer-den kann. Die Europäische Union ist nur wirklich er-weiterungsfähig, wenn wir im Rahmen der Agenda 2000den Finanzrahmen und die Agrarpolitik verändern undStrukturreformen vornehmen. Wir müssen neue Struktu-ren schaffen bzw. bestehende anpassen, um so ein er-weitertes Europa gestalten zu können. Wir müssen Eu-ropa fit für die Erweiterungen machen. Deshalb ist esder wichtigste Dienst, der den Beitrittskandidaten wäh-rend der deutschen Präsidentschaft geleistet werdenkann, diese Agenda 2000 zu verabschieden. Von daherkann ich es überhaupt nicht verstehen, meine verehrtenDamen und Herren von der Opposition, wenn Sie hierdie Frage aufwerfen, ob die Agenda verschoben werdensoll, oder sagen, daß die Dinge lieber gut als zeitnahgemacht werden sollen, so wie es Herr Hintze gesternvorgeschlagen hat. Ich glaube, daß deutlich gemachtwerden muß, daß jetzt gerade dieses Fitmachen der EUdurch die Agenda auf der Tagesordnung steht.Ich habe die große Befürchtung – das ist heute schonmehrfach gesagt worden –, daß der Konsens in der Eu-ropapolitik, der bisher dieses Haus beherrscht hat, vonder rechten Seite dieses Hauses zerstört wird. Jedenfallshat die Diskussion vieles dazu beigetragen. Gleichzeitighabe ich die Befürchtung – das sage ich aus Mitgefühl –,daß die Union sich der Lage nähert, in der sie Anfangder 70er Jahre schon einmal war. Damals hat sie sich ausdem breiten europäischen Konsens in bezug auf dieKSZE verabschiedet, heute geschieht es offensichtlich inbezug auf die Gestaltung Europas durch die EU genau-so. Ich möchte Sie warnen und bitten, zu diesem Kon-sens zurückzukehren.
Zehn plus zwei Staaten, das heißt zehn Staaten Ost-mitteleuropas und zwei Staaten des Mittelmeers, stehenvor der Tür der Europäischen Union und klopfen an. Siewollen differenziert nach ihren Möglichkeiten behandeltwerden. In der Vergangenheit hat es ja bei uns manchenStreit darüber gegeben, ob man nicht alle Staaten gleichbehandeln sollte, zum Beispiel durch gleichzeitige Ver-handlungen. Ich halte die damalige Entscheidung zu dif-ferenzieren für richtig, weil die Staaten Ostmitteleuropasnicht mehr als Ostblock zu betrachten sind, sondernnach ihren jeweils konkreten Möglichkeiten und Re-formschritten individuell behandelt und beurteilt werdenmüssen.Gleichwohl ist es ein wichtiger Erfolg des damaligenAußenministers Kinkel und der deutschen Bundesregie-rung gewesen, hier so zu differenzieren, daß es nichtzwei festgeschriebene Gruppen gibt und es nicht vonvornherein klar ist, daß alle diejenigen, mit denen zurgleichen Zeit verhandelt wird, auch gemeinsam beitretenwerden, sondern diejenigen, die in der zweiten Reihestehen, im Beitrittsprozeß andere überholen können. Ichhalte es für wichtig, daß hier genau hingesehen wird.Deshalb sollte man zum Beispiel Lettland – das wurdeheute schon gesagt – und die Slowakei mit in den Blicknehmen.Wir haben damals gerade auf Grund der Demokratie-defizite einer Verhandlungsaufnahme mit den Slowaken– sie haben inzwischen Herrn Meciar abgewählt – nichtzustimmen können. Heute stehen sie außerhalb derMarkus Meckel
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NATO. Bei den Eröffnungsreden zum NATO-Beitrittder Tschechen hat das eine Rolle gespielt. Manche er-innerten an den Prager Frühling 1968 und an HerrnDubcek, der ein Slowake war. Das heißt, hier stehen wirjetzt in der Verantwortung, den Slowaken eine Perspek-tive und ein klares Signal zu geben, damit sie ihre jetztbegonnene demokratische und wirtschaftliche Entwick-lung fortsetzen. Ich hoffe sehr, daß für die Slowakei,Lettland und auch Litauen am Ende dieses Jahres einsolches Signal möglich wird.Jetzt kommt es darauf an, entsprechende Verhand-lungen parallel zu den aktuellen Verhandlungen um dieAgenda 2000 zu führen. Bei diesen Verhandlungen wirdes darauf ankommen, den Fahrplan zügig zu gestalten.Das ist, wie ich glaube, das wesentliche Verdienst unse-rer Präsidentschaft, während der wir uns klar und deut-lich an diesen Fahrplan halten. Dadurch eröffnen wir diePerspektive, am Ende dieses oder Anfang nächsten Jah-res zu sagen, wann ein solcher Verhandlungsprozeß fürkonkrete Länder abgeschlossen sein kann.Hier wurde immer wieder die Debatte darüber ge-führt, ob man schon heute ein Datum nennen könnte.Manche in diesem Hause – auch ich selbst – waren An-fang der 90er Jahre dafür, Daten zu nennen, weil es die-sen Verhandlungsprozeß noch nicht gab. Damals wardas sinnvoll, weil es durchaus möglich ist, durch DatenProzesse zu beschleunigen. Aber wenn man konkret imVerhandlungsprozeß steht, dann ist dies meiner Mei-nung nach keine sinnvolle Forderung.Wir wissen alle, daß es Probleme gibt, und zwar eineFülle von Problemen, sowohl für die Beitrittsstaaten alsauch für uns selbst. Es wird darauf ankommen, diese mitgroßem Realismus, mit großer Klarheit anzugehen undBedingungen dafür zu schaffen, daß auch die StaatenOstmitteleuropas, und zwar nicht nur die, die jetzt ver-handeln, sondern auch die, die in der zweiten Reihe ste-hen, möglichst bald durch einen deutlichen Fahrplaneine klare Perspektive dafür erhalten, zu diesem verein-ten Europa zu gehören. Ich glaube, die Kommission undauch der Ministerrat müssen dafür gelobt werden, daßder Finanzrahmen, der jetzt beschlossen werden soll, diePerspektive eröffnet, diesen Staaten noch mehr als bis-her zu helfen, die Anforderungen zu erfüllen, die dafürdringend notwendig sind.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 14/550. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe!– Stimmenthaltungen? – Der Entschließungsantrag istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung derPDS angenommen.Abstimmung über den Antrag der Fraktion derCDU/CSU mit dem Titel „Agenda 2000 – Europavoranbringen, einen fairen Interessenausgleich sichern“auf der Drucksache 14/396. Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Antrag istgegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P.„Agenda 2000 – Die Europäische Union erweiterungs-und zukunftsfähig machen“ auf der Drucksache 14/547.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Stimment-haltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen derF.D.P.-Fraktion abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über die Be-schlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheitender Europäischen Union zu mehreren Vorlagen der Eu-ropäischen Union auf der Drucksache 14/514. Werstimmt für diese Beschlußempfehlung? – Gegenprobe! –Stimmenthaltungen? – Die Beschlußempfehlung ist mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-men der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. beiEnthaltung der PDS angenommen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungJahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesre-gierung „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“– Drucksache 14/334 –
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Die konjunkturellen Perspektiven für unsereVolkswirtschaft haben sich seit Herbst letzten Jahreseingetrübt. Daß das für alle europäischen Volkswirt-schaften gleichermaßen gilt, wurde an diesem Montag inder Sitzung der Euro-Finanzminister einvernehmlichfestgestellt. Das ist für unsere deutsche Volkswirtschaftnatürlich nur ein sehr begrenzter Trost. Es zeigt aber,daß die Hauptgründe für den Wachstumsverlust – denMarkus Meckel
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schon eingetretenen wie den im Jahreswirtschaftsberichterwarteten – hauptsächlich in den anhaltend ungünstigenweltwirtschaftlichen Rahmendaten liegen.Der deutsche Export hat kräftige Einbußen zu ver-zeichnen. Das ist ein objektiver Grund für eine mäßigeStimmung in der Wirtschaft. Daneben – ich will es nichtverkennen – gibt es auch subjektive Gründe für die ak-tuell ungute Stimmung in unserer Wirtschaft. SeitHerbst letzten Jahres lassen etliche Verbände der Wirt-schaft deutlich erkennen, daß ihnen das Votum desWählers vom 27. September nicht gefällt. Das ist für dieheutigen Regierungsparteien zwar nicht unbedingtschön, aber auch nicht gänzlich unerwartet.
Eher schon unerwartet ist die Beobachtung, daß soziemlich jedes bisherige Reformvorhaben dieser Bun-desregierung benutzt wird, Stimmung gegen die Regie-rung zu machen und die Stimmung in der Wirtschaftbewußt schlechtzureden. Es ist nicht gut, wenn die Wirt-schaft den Anschein erweckt, sie wolle diese Bundesre-gierung vor sich hertreiben.
Öffentliche Drohungen, Einladungen zu Bündnis- undKonsensgesprächen abzulehnen, es sei denn, die Regie-rung mache dieses oder jenes, sind nicht nur schlechterStil, sondern sie deuten auf ein mangelndes Politikver-ständnis hin.
Öffentliche Drohungen, man werde mit seinem Unter-nehmen dieses Land verlassen, können sehr tiefgreifen-de Fragen zur Rolle der Wirtschaft in unserem Staataufwerfen.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang der Wirt-schaft sehr ernsthaft die Durchsicht der Rede des HerrnBundespräsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum vonDavos vom 28. Januar dieses Jahres.
Im Sinne dieser Rede des Herrn Bundespräsidentenmöchte ich sagen dürfen: Diese Bundesregierung wirdnicht zulassen, daß unter dem Stichwort der Globalitätdie Politik ihres Wesens beraubt wird.
Zu etlichen hämischen Kommentaren aus der Wirt-schaft nach dem Rücktritt des Bundesfinanzministerskann ich nur feststellen: substanzlos und oft sogar un-verschämt.
Offen und im Klartext gesagt: Es ist und bleibt einIrrglauben, man könne diese Bundesregierung vor sichhertreiben.
Dies vorausgeschickt will ich ebenso im Klartext sagen:Diese Bundesregierung will eine Wirtschafts- und Fi-nanzpolitik für die Wirtschaft und nicht etwa gegen dieWirtschaft machen.
Dies gilt heute um so mehr, als diese Bundesregierungweiß, daß nur mit der Wirtschaft die Arbeitslosigkeitspürbar abgebaut werden kann. Eine wirtschaftsfreund-liche Politik kann aber nur funktionieren, wenn dieWirtschaft, ihre Verbände, ihre Unternehmen und ihreUnternehmer einige zentrale Grundsätze der Wirt-schafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregie-rung akzeptieren:Erstens. Im Mittelpunkt der Wirtschaft steht nicht derBörsenkurs oder etwa gar der Shareholder Value; imMittelpunkt der Wirtschaft stehen der Mensch, seine le-benswerte Gegenwart und erlebenswerte Zukunft.
Zweitens. Die soziale Marktwirtschaft ist seit vielenJahren peu à peu unsozialer geworden. Hier besteht einobjektiver Korrekturbedarf.
Drittens. Gewinn ist ebenso selbstverständlich zu ver-steuern wie Lohn. Auch die Wirtschaft muß einen Bei-trag zur Finanzierung unseres Staates leisten.
Viertens. Zuviel Staat in Wirtschaft und Gesellschaftlähmt private, also auch unternehmerische, Initiative undVorsorge. Deswegen müssen alle Teile der Gesellschaft,also auch die Wirtschaft, die Ansprüche an den Staat zu-rückschrauben.
Fünftens. Der Versuch, Politik durch Bündnis- undKonsensgespräche konsensual zu betreiben, setzt kon-sensfähige und konsenswillige Partner in Wirtschaft undGesellschaft voraus.Ich denke, daß jeder dieser fünf einfachen, von mirvorgetragenen Grundsätze allgemeine Zustimmung fin-den kann. Dann sollte man auch die wichtigsten wirt-schafts- und finanzpolitischen Konsequenzen, die dieBundesregierung aus diesen einfachen Grundsätzenzieht, grundsätzlich akzeptieren. Wir müssen die nega-tiven Trends auf dem Arbeitsmarkt korrigieren; denn esBundesminister Dr. Werner Müller
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kann gar kein wichtigeres wirtschaftspolitisches Ziel ge-ben als den Abbau der Arbeitslosigkeit.
Wir müssen korrigieren, daß seit bald 20 Jahren dieVerteuerung des Faktors Arbeit, also die Lohnerhöhun-gen, permanent von Inflation und erhöhten Steuern undAbgaben vollständig aufgefressen wird.
Wir müssen korrigieren, daß sich die Subventionen andie Wirtschaft mit den Steuern aus der Wirtschaft unge-fähr zu Null saldieren. Wir müssen korrigieren, daß dienominalen Steuersätze weit über der effektiven Steuer-last liegen. Wir müssen den Trend zu wachsenderStaatsverschuldung, ferner die Höhe der Staatsquotekorrigieren, um so die Voraussetzung für eine Korrekturder steuerlichen Belastungen aller Wirtschaftssubjektezu schaffen.
Wir müssen die relative Schlechterstellung der Fa-milien korrigieren.All diese Ziele kennzeichnen in jedem Einzelfalldringend notwendigen Korrekturbedarf bei dem über dieletzten rund 20 Jahre herbeigeführten Zustand. All dieseKorrekturen bzw. Reformziele der neuen Bundesregie-rung in ihrer Gesamtheit schaffen die Voraussetzung da-für, unsere Volkswirtschaft mittel- und langfristig aufeinen ebenso gewinnträchtigen wie zugleich wieder so-zial gerechten Wachstumspfad zurückzuführen.
Dazu brauchen wir die Einsicht, daß diese eingelei-teten und beabsichtigten Korrekturen unbequem sind.Das erfordert ferner die Einsicht, daß wir nicht in fünfMonaten Regierungszeit korrigiert haben können, was in200 Monaten zuvor mißentwickelt wurde.
Dazu brauchen wir die Einsicht, daß das bequeme„Weiter so“ keine Zukunft hätte. Dazu brauchen wir vorallem die Einsicht, daß jeder sein ihm mögliches Maßzur Zukunftsgestaltung selber beitragen kann und einzumutbares Maß selber beitragen muß.Das waren die Ziele und Erwartungen dieser Bundes-regierung bei Amtsantritt. Das sind sie unverändertheute. Ich wüßte also nicht, weshalb überhaupt oder we-gen des Rücktritts eines einzelnen Ministers ein grund-sätzlicher Neuanfang erforderlich wäre.
Wer das heute fordert, der behauptet, daß es nach denletzten 20 Jahren hierzulande nichts zu korrigieren gäbe.
Das ist ja wohl eine etwas arg blinde Vorstellung.Deswegen – auch angesichts so manchen Zwischen-rufes – an die Opposition: Ihre heutigen wirtschafts- undfinanzpolitischen Forderungen werden hinsichtlich desMangels an Substanz allenfalls noch von der Leere deröffentlichen Kassen, die Sie hinterlassen haben, über-troffen.
– Herr Schäuble, Sie meinen wahrscheinlich – Sie wis-sen, ich schätze Sie –, daß das wieder einmal eine mes-serscharfe Bemerkung war. Ich sitze hier schon den gan-zen Morgen; ich will Ihnen sagen, mit was für einemMesser Sie immer nach uns werfen: Es ist ein Messerohne Stiel, dem die Klinge fehlt.
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Mo-dernisierung der Wirtschaft setzen wir auf eine Kom-bination von Maßnahmen, die sowohl die Wirtschaftentlasten als auch die private Nachfrage stärken undso die Investitionsbedingungen und insbesondere auchdie Investitionsnachfrage verbessern. In Ihrem Jahres-wirtschaftsbericht hat die Bundesregierung ihre Kon-zeption noch einmal dargelegt. Auf einige Aspekte desJahreswirtschaftsberichtes habe ich besonderen Wertgelegt.Erstens. Es ist nunmehr Teil der wirtschaftspoliti-schen Strategie, daß die Nettolöhne vor allem auchdurch Senkung von Steuern und Abgaben steigen sollen.Zweitens. Die makroökonomische Politikkoordinati-on muß durch eine Abstimmung der mikroökonomi-schen Politikbereiche auch auf europäischer Ebenekomplementär begleitet werden. Durch Strukturrefor-men auf den Güter- und Faktormärkten müssen Inflexi-bilitäten auf der Angebotsseite, insbesondere Marktzu-trittsbarrieren, abgebaut werden. Das ist eine Aufgabefür uns und eine Daueraufgabe des EU-Binnenmarkt-rates und anderer EU-Fachräte.Drittens. Der Jahreswirtschaftsbericht stellt aus-drücklich fest, daß das spannungsfreie Zusammenspielder makroökonomischen Politikbereiche mit einer aus-reichenden Flexibilisierung auf der Angebotsseite Handin Hand gehen muß. Er stellt weiter fest, daß Angebots-politik zur Verbesserung der einzelwirtschaftlichen An-passungsfähigkeit eine permanente Aufgabe der Wirt-schaftspolitik ist.Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Situati-on in früheren Legislaturperioden setzt diese Bundesre-gierung um, was sie in ihrem Jahreswirtschaftsberichtangekündigt hat.
Bundesminister Dr. Werner Müller
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Das Steuerentlastungsgesetz ist, wie Sie wissen, nureinen Monat nach Veröffentlichung des Jahreswirt-schaftsberichtes vom Bundestag verabschiedet worden.
– Ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück. Dasist ein interessanter Punkt.Schrittweise sinken die steuerlichen Höchstsätze aufLohn und Einkommen, auf gewerbliche Einkommen undfür einbehaltene Gewinne. Im Gegenzug wird die Be-messungsgrundlage verbreitert. Durch die Nachbesse-rungen beim Steuerentlastungsgesetz haben wir zusätzli-che Erleichterungen für Mittelstand und Handwerkschaffen können, die über die Pläne der vorhergehendenRegierung weit hinausgehen: Die Teilwertabschreibungwird beibehalten; die Ansparabschreibung für kleine undmittlere Unternehmen bleibt dauerhaft bestehen; eineinjähriger Verlustrücktrag mit einem mittelstandsori-entierten Höchstbetrag von 1 Million DM wird dauerhaftbeibehalten;
die Freibeträge bei der Besteuerung von Betriebsver-äußerungen bleiben erhalten. Zusammen mit der rechne-rischen Verteilung der Veräußerungsgewinne – nicht derErlöse – auf fünf Jahre wird die Altersvorsorge durchBetriebsveräußerung gesichert.Dafür, daß diese Punkte ins Gesetz geschrieben wer-den konnten, habe ich mich mit Nachdruck verwendet.Daß es geklappt hat, freut mich auch für Handwerk undMittelstand.
Der Bundesrat wird dieses Steuerreformpaket morgenerörtern und verabschieden.Die Bundesregierung beabsichtigt, noch vor derSommerpause die Eckpunkte einer Unternehmensteu-erreform verbindlich vorzulegen. Die Wirtschaft sollsich definitiv darauf einstellen können, daß die Steuerauf unternehmerische Erträge im nächsten Jahr höch-stens 35 Prozent betragen wird. Wir wollen dies nachsorgfältiger und nicht hastiger Vorbereitung vor derSommerpause vor allem aus zwei Gründen vorlegen:Erstens belastet die jetzt zu verabschiedende Steuer-reform die Unternehmen in diesem Jahr. Hier muß einenger zeitlicher Zusammenhang zur geplanten Entla-stung hergestellt werden.
Zweitens wollen wir ein deutliches Zeichen für wirt-schaftlichen Aufbruch setzen, ehe sich etwa Attentismusverbreitet.
Im übrigen sei angemerkt, daß wir bis zur Sommer-pause auch geklärt haben werden, wie dem Verfas-sungsgerichtsbeschluß zur Familienentlastung Rechnunggetragen wird.Um die politische Handlungsfähigkeit zu sichern undöffentliche Investitionen, die von der alten Bundesregie-rung sträflich vernachlässigt worden sind, zu ermögli-chen, brauchen wir solide Staatsfinanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Frage des Kollegen Schäuble?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Sicher, gerne.
Herr Minister
Müller, Sie sprechen im Augenblick in Wahrnehmung
der Geschäftsführung für den Bundesfinanzminister. Ich
hatte gehofft, daß Sie auf meinen Zwischenruf antwor-
ten würden. Sie hatten das angekündigt. Jetzt habe ich
die Antwort vermißt.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich rede noch, wie Sie feststellen.
Sie sind aberschon über die Passage zum Steuerentlastungsgesetzhinweg. Beim Familienlastenausgleich werden Sie dochnicht auf das Thema kommen, zu dem ich Sie gerne be-fragen möchte.Ich habe von Ihnen als Wirtschaftsminister die Erklä-rung gelesen, daß Sie, wenn Sie gewußt hätten, daß diein Zahlen ausgedrückten Auswirkungen der Verände-rungen durch diesen Gesetzentwurf, der morgen imBundesrat verabschiedet werden soll, so sind, wie siejetzt bis Ostern in einer Arbeitsgruppe geprüft werdensollen, diesem Gesetzentwurf im Kabinett nicht zuge-stimmt hätten. Darf ich Sie fragen, was Sie dazu sagen?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Das ist, ehrlich gesagt, nicht ganzsauber zitiert. Ich kann doch nicht gesagt haben, daß ichnicht zugestimmt hätte, wenn ich es noch gar nicht ge-wußt habe.
– Das ist richtig. Aber weil die Zahlen offensichtlich hinund her schwanken – –
– Ich mache daraus keinen Hehl. Ich will daran erinnern,daß ich am Wochenende gesagt habe, ein Mannschafts-spieler kann nur so gut spielen, wie er durch sein Hausvorbereitet wird.
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2194 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich sage das in aller Deutlichkeit. In diesem konkretenFalle will ich Ihnen sagen: Wenn ich an dem Tage, alsim Kabinett darüber beraten wurde, gewußt hätte, daßzum Beispiel allein das Gebot der Abzinsung späterfälliger Sachleistungsverpflichtungen zwischen 17 und20 Milliarden DM kosten würde, hätte ich dem nicht zu-gestimmt. Diese Aussage kann ich inzwischen wiederrevidieren, weil diese Zahlen, die die Stromwirtschafterrechnet hat, bei weitem nicht stimmen.
– Wenn Sie so ungeduldig sind, darf ich aus meiner Re-de etwas vorziehen, was eigentlich erst später gekom-men wäre. Zu jeder Abzinsung gehört eine Aufzinsung.
Im ersten Jahr erhöhen sich durch die Abzinsung derRückstellungen die Gewinne und damit die Steuerlast.Das bringt dem Staat eine Kasseneinnahme. Dabei ist esegal, ob das, wie es das Finanzministerium ausgerechnethat, 17 Milliarden DM oder, wie die EVUs sagen,19 Milliarden DM sind. Wichtig ist nur, daß die Rück-stellungen in den Folgejahren wieder aufgezinst werdenund daß der Aufzinsungsbetrag genauso groß wie derAbzinsungsbetrag ist, so daß sich die Sache nach AdamRiese zu Null saldiert.
Die Unternehmen haben natürlich Belastungen; ichweiß das. Sie haben Liquiditätsverluste etc. Ich will nichtsagen, daß die Belastung gleich null ist, aber sie beträgtnicht 19 Milliarden DM. Da sind wir uns doch einig.Zweitens entsteht für die Unternehmen ein dauerhaf-ter Verlust, wenn wir das wahr machen, was wir gesagthaben, nämlich daß wir die Unternehmensteuersätzedeutlich senken.
Diese Fragen beschäftigen mich auch. Deswegen bildenwir nun eine Arbeitsgruppe zusammen mit den Finanz-vorständen der EVUs.
Was folgt daraus, wenn die Steuersätze, die in der mor-gigen Bundesratssitzung Gesetz werden, unverändertangewandt werden? Wir sind uns einig, daß es bei dieserAbzinsung mit weitem Abstand nicht die 17 bis 19 Mil-liarden DM sein können.
Jetzt darf ich Ihnen sagen: Wenn ich in der Kabinetts-sitzung am 10. Februar mein heutiges Wissen gehabthätte, hätte ich vielleicht wieder zugestimmt.
– Das glaube ich nicht.
– Die Leute, die das ausrechnen, haben schon vorher fürFinanzminister gerechnet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Mir macht es Spaß.
Herr MinisterMüller, mir macht dieser Teil hier nicht Spaß. Denn ichfinde, wir sollten politische Verantwortung nicht aufMitarbeiter abschieben.
Deswegen möchte ich Sie fragen: Habe ich es richtiggelesen, daß sich das Bundesfinanzministerium bei derBerechnung der finanziellen Auswirkungen dieser Ge-setze – wie frühere Bundesfinanzministerien auch – aufdie Zuarbeit aus Länderfinanzministerien gestützt hatund daß in dem vorliegenden Fall das Finanzministeri-um in Nordrhein-Westfalen die wesentlichen Berech-nungsgrundlagen geliefert hat? Habe ich das richtig ge-lesen, oder ist das unzutreffend?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Ob Sie das richtig gelesen haben, weißich nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß.
Ich bin in diesen wenigen Tagen der kommissarischenAmtsführung des Bundesfinanzministeriums noch nichtso tief in die Einzelheiten dieses Ministeriums einge-drungen, um Ihnen auch diese Frage schon beantwortenzu können.
Mir geht es darum, daß wir stimmige Zahlen erhalten.Ich akzeptiere Ihren Hinweis, man solle nicht alles aufMitarbeiter abschieben. Das ist richtig. Aber ich habevorhin deutlich gesagt: Es stimmt mich ein bißchen be-denklich, daß man in der Stromwirtschaft nur die Be-lastungen errechnet. Denn daß man hernach gleich wie-der aufzinsen muß, das wußte man ja. Man weiß auchungefähr, in welcher Größenordnung das dann zu steu-erlichen Mindereinnahmen bei der öffentlichen Handführt.Bundesminister Dr. Werner Müller
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Das ist nun einmal so passiert. Schön war es nicht.Ich möchte jedoch eines in aller Deutlichkeit sagen dür-fen: Es soll nicht der Eindruck entstehen, wir würdeneinzelne Punkte in bezug auf die Steuerbelastungen kor-rigieren, weil man sonst meinen könnte, man sei jeman-dem hinterhergelaufen. Die Gesetze werden unverändertangewandt. Man muß berechnen, zu welchem Ergebnisderen Umsetzung führt.
Ich war an folgendem Punkt stehengeblieben: Wennwir eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben wollen,dann benötigen wir solide Staatsfinanzen. SolideStaatsfinanzen sind die Basis für ein stetiges Wirt-schaftswachstum, für eine stabile Nachfrage und fürgute Angebotsbedingungen. Deshalb muß im Gegensatzzur Finanzpolitik der letzten Jahre wieder ein soliderKurs gefahren werden.Ein solider Haushalt ist ein Kernelement der Be-schäftigungspolitik. Wir wollen Schluß machen mit derAnhäufung öffentlicher Schulden, wie sie in den letz-ten Jahren immer wieder stattgefunden hat. Im deut-schen Stabilitätsprogramm, welches im EU-Finanzmi-nisterrat am Montag dieser Woche ohne einschränkendeBemerkungen akzeptiert wurde, haben wir uns klar fürden Kurs der fiskalischen Stabilität ausgesprochen.Meine Damen und Herren, bei all dem räume ich ein,daß im Verlaufe der bisherigen Reformbemühungen die-ser Bundesregierung nicht alles nach Wunsch gelaufenist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den Regie-rungsfraktionen für ihre gelegentlich sogar sehr ver-ständnisvolle Unterstützung unserer Arbeit danken.
Über manche Belastungen, die durch die eine oderandere gesetzliche Maßnahme möglicherweise entste-hen, wird noch gesprochen werden müssen. Aber dazumüssen wir zusammen mit den Betroffenen die genaueHöhe der Belastungen feststellen.Nun folgt der Passus, den ich bereits vorgetragen ha-be. Ich bleibe dabei: Die Belastungen der deutschenStromwirtschaft, übrigens auch die des Braunkohleberg-baus, scheinen nur besonders hoch zu sein. Es ist einfacheinmal gesagt worden, es werde nur abgezinst. Das mußaber in Verbindung gebracht werden mit dem Stand undmit dem Zeitpunkt der Rekultivierung. Dann sieht dieSituation schon wieder anders aus. Das sage ich in allerDeutlichkeit, weil man sich im Bereich des ostdeutschenBraunkohlebergbaus auf Grund der Belastungen Sorgengemacht hat. So groß müssen die Sorgen also nicht sein.Wenn wir diese Zahlen mit der Stromwirtschaft ab-geglichen haben, dann – davon bin ich fest überzeugt –werden wir die Gespräche über das geordnete Aus-laufen der Kernenergienutzung zügig voran- und miteinem vernünftigen Ergebnis auch zügig zu Ende brin-gen.Meine Damen und Herren, konstitutives Merkmal ei-ner wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft ist es,daß sie den Menschen ausreichende Entfaltungsmög-lichkeiten bietet. Angesichts einer Staatsquote von fast50 Prozent bedeutet zeitgemäße Wirtschaftspolitik des-halb für mich auch: Der Staat muß sich zurücknehmen,damit die Wirtschaft, die Menschen im Lande endlichwieder besser vorankommen. Wenn die Staatsquotenun rund 50 Prozent beträgt, so sind Ursache dafür dieallgegenwärtigen, sehr konkreten Ansprüche aller Grup-pen an den Staat. Dagegen hört man oft nur sehr allge-meine Forderungen nach staatlicher Zurückhaltung,meist von den gleichen Gruppen; gelegentlich hört manauch schon einmal Sparvorschläge der einen Gruppe, diedann aber nur eine andere Gruppe betreffen. Dazu sageich: Wir alle müssen unsere Anforderungen an staatlicheAufgaben und Hilfen zurücknehmen. Wir wollen aberkeineswegs etwa einen Nachtwächterstaat.Wir wollen einen aktivierenden Staat, der die indivi-duelle Entfaltung der Person, ob als Arbeitnehmer oderUnternehmer, fördert und zugleich Gemeinwohl undSolidarität im Blick behält. Hierzu müssen wir Refor-men der Steuer- und Sozialsysteme einleiten, die Inno-vationstätigkeit und Risikobereitschaft in der Wirtschaftstärken und insbesondere Mittelstand und Handwerkals wichtigste Arbeitgeber unterstützen. Dabei darf derAufbruch zu mehr Eigenverantwortlichkeit nicht immernur für die Arbeitnehmer gelten; die Unternehmer sindhier gleichermaßen gefragt. Subventionsabbau muß alsoTeil der Reform des Steuersystems werden.
Vielleicht müssen wir ab sofort darauf achten, daß öf-fentliche Hilfen zeitlich befristet und degressiv ausge-staltet werden.
Das schafft Klarheit, verhindert das Entstehen von Ab-hängigkeiten und bewirkt wachsende Selbstverantwor-tung für wirtschaftliche Tätigkeit.
Es wird dann auch leichter, Abgabenentlastung undHaushaltskonsolidierung gleichzeitig anzugehen.Meine Damen und Herren, so schafft zeitgemäßeWirtschaftspolitik auch mehr Beschäftigung in unseremLand. Die mittelfristigen Aussichten werden schon heutevon den Konjunkturforschern der Institute wieder deutlichpositiver gesehen. Die Wirtschaftsaussichten werden nochpositiver werden, wenn wir vor der Sommerpause unse-re verläßlichen steuerlichen Eckdaten vorlegen.
Der Fahrplan der Wirtschaftspolitik liegt Ihnen heutemit dem Jahreswirtschaftsbericht 1999 vor. Anders alsBundesminister Dr. Werner Müller
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viele seiner Vorgänger in den vergangenen Jahren ist erebenso lesens- wie bedenkenswert,
unter anderem auch deswegen, weil er von zwei Autorengeschrieben wurde.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion hat jetzt der Kollege Matthias Wissmann das
Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsberichtbeschreibt die Erwartungen der Schröder-Regierung fürdie wirtschaftliche Entwicklung. Unter dem Begriff des„aktivierenden Sozialstaats“ wird den Menschen derAbbau der Arbeitslosigkeit und mehr Gerechtigkeit inAussicht gestellt. Bedauerlicherweise sprechen die wirt-schaftlichen Daten und Fakten der letzten Monate einedeutlich andere Sprache. In den letzten drei Monaten desJahres 1998 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Pro-zent gesunken. Auch die Wachstumsperspektiven für1999 haben sich deutlich verschlechtert. Einzelne Bran-chen wie der Maschinenbau sprechen von einer pro-blematisch eingetrübten Entwicklung. Aber es verhältsich nicht nur so, daß große Unternehmen Sorgen überdie Entwicklung haben und die Regierung kritisieren,Herr Bundeswirtschaftsminister, und es sind auch nichtnur Industrieverbände, die das äußern. Gestern, bei derEröffnung der größten Handwerksmesse der Welt, hatder Präsident des Zentralverbandes des DeutschenHandwerks wörtlich gesagt – ich zitiere –, nach Rück-frage bei vielen Betrieben habe er den Eindruck, dieBetriebe hätten „das Vertrauen in die wirtschaftlicheZukunft verloren“. Er fügte hinzu, in seinem Wirt-schaftszweig drohten jetzt Entlassungen. Der DeutscheIndustrie- und Handelstag geht von einer Steuermehr-belastung des Mittelstandes durch die neuen Steuerge-setze von 10 Milliarden DM aus.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich verstehe gut, daßman nicht in fünf Monaten all das, was man im Pro-gramm hat, umsetzen kann. Ich verstehe auch, daß man,wenn man regiert, Fehler macht. Auch wir haben Fehlergemacht.
Aber hören Sie dazu einmal die Meinung der Fachwelt,lesen Sie einmal die nationale und internationale Presse.Immerhin vergleichen Sie fünf Monate mit 200 Mona-ten. Das Maß an handwerklichen Fehlern, an Schnitzernbeim professionellen Vorgehen, an wirtschafts- undsteuerpolitischen Fehlentscheidungen, die Sie in fünfMonaten hingelegt haben, ist einzigartig. Anderebrauchten Jahre, um nur einen Teil dessen hinzube-kommen.
Es läßt aufhorchen, daß der Bundeswirtschaftsmini-ster für sich und die Wirtschaftspolitik der Bundesregie-rung gar keinen Neuanfang in Anspruch nimmt. Denneines ist doch klar: Sie haben den rotgrünen Tanker, zudem sich gestern die grüne Seite noch einmal öffentlichgeäußert hat, in voller Fahrt auf einen Eisberg zugesteu-ert. Jetzt hat Lafontaine fluchtartig das sinkende Schiffverlassen. Aber es ist doch völlig klar: Ein Austauschenvon Personen reicht nicht aus. Sie müssen das wirt-schafts- und steuerpolitische Ruder grundsätzlich her-umreißen. Es reicht auch nicht aus, einzugestehen, daßdieses und jenes beim Ökosteuergesetz, beim 630-Mark-Gesetz, bei der Steuerreformkonzeption nicht in Ord-nung ist. Wenn es nicht in Ordnung ist, dann korrigierenSie das – sofern Sie große wirtschaftspolitische Fehlervermeiden wollen –, bevor die Maßnahmen Rechtskrafterlangen!
Machen wir uns keine Illusionen: Wenn diese Regie-rung ihren wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischenKurs nicht grundlegend ändert, dann werden wir nichtdas Wirtschaftswachstum und nicht die Arbeitsplatzent-wicklung bekommen, die wir dringend brauchen. Ihrebisherige Politik ist gekennzeichnet von Durcheinander,Konfusion und Unsicherheit. Schnelligkeit geht vorSorgfältigkeit, Ideologie vor Sachverstand.Der Begriff „nachbessern“ hat die besten Chancen,zum politischen Unwort des Jahres zu werden.
Ich könnte Ihnen das an Hand vieler Bereiche belegen.Als die Energiewirtschaft zum Bundeskanzler gegan-gen ist, sagte er: Wenn nicht unsere, sondern eure Zah-len stimmen, dann wird nachgebessert. – Als die Versi-cherungswirtschaft zum Bundeskanzler gegangen ist,sagte er: Wenn unsere Zahlen nicht stimmen sollten,dann wird nachgebessert. – In einem Fernsehgesprächzur 630-Mark-Regelung sagte mir Herr Glogowski, erfinde das alles ganz verheerend, weil hoch bürokratisch.Auf meine Frage, ob er zustimme, sagte er: Ja, aber mankann ja nachbessern.Bezüglich der Ökosteuer gibt es aus Ihren Reihen ei-ne Vielzahl von kritischen Hinweisen auf die Belastungder kleinen und mittleren Unternehmen durch die büro-kratischen Regelungen, die aus diesem Steuerkonvoluterwachsen. Wenn man vernünftige Leute aus Ihren Rei-hen darauf anspricht, hört man: Sie haben eigentlichrecht, Herr Wissmann, das ist handwerklich problema-tisch. – Aber auf die Frage, ob sie dennoch zustimmenwollten, sagen sie: Ja, wir stimmen zu, aber wir könnenja nachbessern. – Der Begriff „handwerkliche Fehler“,den Sie gebrauchen, ist eine Beleidigung des HandwerksBundesminister Dr. Werner Müller
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in Deutschland. Das Handwerk arbeitet fachlich besser,als Sie es tun.
Herr Bundeswirtschaftsminister, den Begriff Steuer-vereinfachung können Sie angesichts Ihrer Gesetzent-würfe endgültig aus dem Vokabular streichen. Einesolch chaotische Vorbereitung der Steuergesetze, wieSie sie sich geleistet haben, ist in der deutschen Steuer-gesetzgebung einzigartig.
Da Sie sich, Herr Bundeswirtschaftsminister, darumauch persönlich kümmern, möchte ich es mit Sorge an-sprechen: Ähnliche Gefahren wie in der Steuerpolitikmit unmittelbaren Wirkungen für Arbeitsplätze im Mit-telstand und in der Wirtschaft drohen auch in der Ener-giepolitik. Die Energiekonsensgespräche, wie Sie sienennen, drohen zu Gesprächen über die Restlaufzeitenvon Kernkraftwerken zu werden. Es sind keine Gesprä-che über die Entwicklung eines energiepolitischen Ge-samtkonzepts für Deutschland, für Arbeitsplätze, fürBetriebe und für Wettbewerbsfähigkeit.
Wirkliche Energiekonsensgespräche beinhalten mehrals nur einen ideologischen oder betriebswirtschaftlichenBekenntnisstreit über den Ausstieg aus der Kernenergieund über Restlaufzeiten. Es geht darum, ein wider-spruchsfreies energiepolitisches Gesamtkonzept zu ent-wickeln, das den Kriterien Versorgungssicherheit, Um-weltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Ressourcen-schonung genügt. Ein solches Zukunftskonzept müßtefolgende Punkte enthalten: ein langfristiges Konzeptzum Strombedarf und zu Kraftwerkskapazitäten für diekommenden Jahrzehnte, ein langfristiges Konzept zurSicherung wettbewerbsfähiger Stromkosten – wir stehenschließlich in einem härter werdenden europäischen undinternationalen Wettbewerb –, ein überzeugendes Pro-gramm zur Energieeinsparung, ein wirtschaftlich tragfä-higes Konzept zur Entwicklung alternativer Energie-quellen – ich betone: ein wirtschaftlich tragfähiges Kon-zept –, ein Gesamtkonzept für die End- und Zwischenla-gerung der Kernenergieabfälle und nicht zuletzt eineklare Formulierung der Klimaziele auf der Grundlageeiner veränderten Energiepolitik.Wer aussteigen will, muß sagen, wie die notwen-dige Energieversorgung, die sich die Volkswirtschaftund die Arbeitnehmer auch leisten können, sichergestelltwerden soll. Wie sollen die rund 150 000 Arbeitsplätze,die durch den Atomausstieg verlorengehen können,ersetzt werden? Wie soll – auch zum Schutz unserereigenen Bevölkerung – der Einfluß Deutschlands auf dieVerbesserung der Sicherheit mittel- und osteuropäischerKernkraftwerke gewahrt bleiben? Wie wollen wir dieEnergieversorgung langfristig sichern? Mir wäre eszuwenig, wenn sich am Ende die Stromunternehmenund die Bundesregierung über Restlaufzeiten einigwerden würden, wir aber kein wirkliches Zukunfts-konzept für die Energieversorgung hätten. Ein solchesbrauchen wir aber für Arbeitsplätze und Volkswirt-schaft.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einengrundlegenden Kurswechsel. Wir brauchen eine Wirt-schafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die Deutschland lei-stungsfähiger und moderner macht. Was wirtschaftlicheVokabeln angeht, ist der Bundeskanzler meistens höchstmodern. Wenn es aber um die Substanz geht, die Geset-ze, unter denen sein Name steht, dann wird er ganz undgar altmodisch:
630-Mark-Gesetz,
Steuerentlastungsgesetz, das morgen im Bundesrat be-raten wird. Das werden Ihnen nicht nur wir, sondernauch die Bürger nicht mehr lange durchgehen lassen:sozusagen einen modernen Lifestyle darzustellen, aberein unmodernes Programm zu realisieren.
Sie müssen ein modernes wirtschaftliches Programmrealisieren. Dazu gehören – das haben Sie, Herr Bun-deswirtschaftsminister, zu Recht angesprochen – dieSelbstbeschränkung des Staates zugunsten der Bürgerund die Rückführung des Staatsanteils am Bruttosozial-produkt, der seit 1996 erfreulicherweise wieder sinkt.Ziel muß es sein, die Staatsquote langfristig auf etwa40 Prozent zu senken.
Mittelfristiges Ziel – ich weiß, daß das morgen nicht zuerreichen ist – muß es sein, zu einem Haushalt ohneNettokreditaufnahme zurückzukehren.
Wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen für In-vestitionen und für mehr Selbständigkeit. Glauben Siebloß nicht, daß die Wirtschaft allein dadurch ermutigtwird, daß abwechselnd Unternehmensteuersätze von 35,27, 25 oder 22 Prozent genannt werden, wobei die Ver-fasser teilweise gar nicht wissen, welche Steuersätze sieeinrechnen sollen und welche nicht.Eines ist ganz klar. Ludwig Erhard, Herr Bundeswirt-schaftsminister, hat recht gehabt, als er gesagt hat:50 Prozent der Wirtschaftspolitik sind Psychologie.Aber psychologische Veränderungen erarbeitet mannicht mit modernen Vokabeln, nicht mit der einen oderanderen auch richtigen Rede, sondern nur dadurch, daßman die Substanz seiner Politik so modern, wirtschafts-freundlich, mittelstandsfördernd und zur Selbständigkeitermutigend entwickelt, wie es dringend vonnöten ist.Davon haben wir in den letzten fünf Monaten leiderüberhaupt nichts gesehen.
Matthias Wissmann
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Ideen aus der ideologischen Mottenkiste helfen demStandort Deutschland im Zeitalter der Globalisierungnicht weiter. Es kommt jetzt darauf an, daß Sie wirklichzu einem Neuanfang finden, daß Sie nicht bei einemAustausch von ein oder zwei Personen stehenbleiben.Wir und – davon bin ich überzeugt – auch ein immergrößerer Teil der deutschen Öffentlichkeit werden Sienicht danach beurteilen, ob Sie die eine oder andereschöne Pressekonferenz machen, die eine oder anderegelungene Selbstdarstellung vornehmen, sondern da-nach, ob es Ihnen wirklich gelingt, ein im wahrsten Sin-ne des Wortes modernes Wirtschafts-, Finanz- und Steu-erkonzept zu entwickeln.Es tut mir leid, Herr Bundeswirtschaftsminister, auchwenn ich Sie persönlich symphatisch finde: Heute habenSie zu einem inhaltlichen Neuanfang Ihrer Politik nichtsSubstantielles beigetragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege WernerSchulz.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Eines kann man der Politik im Moment wahrlichnicht nachsagen: einen Mangel an Überraschungen.Während wir den Jahreswirtschaftsbericht der Bundes-regierung heute auf der Tagesordnung haben, ist derHerausgeber zwischenzeitlich und auf eine völlig unge-wöhnliche Weise verschwunden, allenfalls noch einmalals Privatmann auf der Bildfläche erschienen. So schnellsind natürlich die Probleme leider nicht weg. Zwar hatteman beim Jubel an der Börse kurzzeitig den Eindruck,als würde der Rücktritt des deutschen Finanzministersschon die Lösung aller Dinge darstellen, als könnten dieFreudensprünge der Börsianer den Dax und den Euro,also diese modernen Einschaltquoten der Wirtschaftspo-litik, dauerhaft nach oben treiben. Aber, Herr Wissmann,da ist eben nicht nur die Hälfte Psychologie, sondern of-fenbar auch ein gerüttelt Maß an Irrationalität mit imSpiel.Welches sind denn unsere Probleme? Wenn man Ih-nen zuhört, hat man den Eindruck, als hätten die Anlauf-schwierigkeiten, meinetwegen auch die handwerklichenFehler – sie hat bisher keiner bestritten, und sie werdenimmer wieder zugestanden – den Ausschlag gegeben. Sokann man sich für meine Begriffe auch nachträglich ausder Verantwortung stehlen. Die Probleme von heutehängen doch mit den verschleppten, mit den vertanenund versäumten Entscheidungen von gestern, den letztenJahren Ihrer Regierung und eigentlich schon mit der Zeitweit vor der deutschen Einheit, wenn ich mich an dieAusführungen des Exbundeskanzlers erinnere, zusam-men. Wir haben doch kein zukunftsfähiges, kein blü-hendes Staatsunternehmen übernommen, sondern ehereine wilde Altlastendeponie: über viereinhalb MillionenArbeitslose bei einer strukturell verfestigten Dauerar-beitslosigkeit, ein unüberschaubares Steuersystem, daszu sozialer Ungerechtigkeit, zur Erosion der Steuerbasis,zu Fehlkalkulationen ungeheuren Ausmaßes geführt hat,eine exorbitante Staatsverschuldung, die auch mit derFehlfinanzierung der deutschen Einheit zu Lasten derSozialversicherungssysteme zusammenhängt.Deswegen waren die ersten Bemühungen der neuenBundesregierung darauf gerichtet, eben nicht die „NeueMitte“ zu bedienen, sondern die alte soziale Schieflagezu beheben. Es gab einen finanziellen Nachholbedarf beiden unteren und mittleren Einkommen, bei Familien mitKindern. Daß wir hier sogar zu kurz gegriffen haben,zeigt doch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtsüber das, was in den letzten Regierungsjahren gelaufenist. Dieser Beschluß müßte Sie in gewisser Weise be-schämen.Die rotgrüne Regierung wurde gewählt, um diesenProblemstau aufzulösen. Unsere Politik zielt darauf ab,Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen, denSozialstaat durch grundlegende Reformen zu sichernund die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaftanzupacken. Im Zentrum unserer Bemühungen steht derAbbau der Arbeitslosigkeit. Sicherlich – das ist mittler-weile eine Binsenweisheit – schafft eine Regierung kei-ne neuen Arbeitsplätze, es sei denn im öffentlichenDienst. Dort sollten wir durch Arbeitszeitverkürzungund durch eine mutige Teilzeitoffensive durchaus Bei-spiele setzen, wie die vorhandene Arbeit auf mehr Be-schäftigte verteilt werden kann.Wenn wir vom klassischen Ideal der Vollbeschäf-tigung Abschied nehmen, werden wir schnell sehen,daß es genügend Arbeit gibt. Wenn es gelingt, im„Bündnis für Arbeit“ endlich der Frage der Über-stunden, der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaftzu Leibe zu rücken, wird sich das auch in der Statistikniederschlagen. Wichtig ist, daß das „Bündnis fürArbeit“ jetzt möglichst schnell und bald zu konkretenErgebnissen kommt, daß es Befindlichkeitsanalysenund reinen Meinungsaustausch überwindet und daß dieProbleme nicht vom runden Tisch auf die lange Bankgeschoben werden. In diesem Bereich ist das Tempo ge-fragt, das wir bei anderen Reformmaßnahmen jetztherausgenommen haben, um die Dinge gründlicher zuberaten.
Richtig ist, daß im „Bündnis für Arbeit“ keine Tarif-gespräche stattfinden. Dennoch ist es, wenn wir an denErfolg bestimmter Nachbarländer anknüpfen wollen,sinnvoll, sich über die Ziele künftiger Tarifpolitik zuverständigen, um den Arbeitslosen, die an diesen Ge-sprächen – sowohl an den Gesprächen im Rahmendes „Bündnisses für Arbeit“ als auch an den Tarif-gesprächen – nicht beteiligt sind, vor Augen zu führen,daß es künftig lohn- und beschäftigungspolitische Kom-ponenten gibt, die auch entsprechend ausgewiesen wer-den.Nach der Neuregelung und Erprobung der 630-DM-Jobs werden wir uns dem Niedriglohnsektor zuwenden.Hauptsächlich im Dienstleistungsgewerbe, das nochetliches zu wünschen übrigläßt, können neue Arbeits-plätze erschlossen werden. Dazu bedarf es Anreize,jenseits der 630-DM-Grenze eine Beschäftigung auf-Matthias Wissmann
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zunehmen, zum Beispiel durch degressive Zuschüssezu den Sozialbeiträgen.
Wir wollen die Motivation von Langzeitarbeitslosenzur Annahme von Arbeitsplätzen fördern. Für diejeni-gen, die einen Arbeitsplatz annehmen, soll das zusätzli-che Einkommen ein Jahr lang nur zur Hälfte auf die Ar-beitslosen- und Sozialhilfe angerechnet werden. Dasspart unter dem Strich Kosten, hilft den Betroffenen undverringert die Flucht in die Schwarzarbeit.
Solchen Angeboten für Arbeitslose werden aber auchPflichten gegenüberstehen, diese Angebote zu nutzen.Einen allgemeinen öffentlich subventionierten Nied-riglohnsektor, wie ihn zum Beispiel der BDA fordert,halten wir allerdings aus ordnungspolitischen Gründenfür nicht vertretbar.Das „Bündnis für Arbeit“ ist zweckmäßigerweise zueinem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbe-werbsfähigkeit erweitert worden. Die Gespräche sollteneigentlich ohne politische Vorbedingungen ablaufen.Doch gerade die Verbände und Großunternehmen, diedas lauthals gefordert haben, sind jetzt emsig dabei, eineeinzigartige Drohkulisse aufzubauen. Sie drohen offenmit Abwanderung und Investitionszurückhaltung. Teil-weise trägt das Ganze groteskabsurde Züge, wenn sichzum Beispiel der Daimler-Chrysler-Konzern in die De-batte über eine vernünftige Steuerregelung einschaltet.Das ist ein Unternehmen, das in den letzten Jahren kaumSteuern gezahlt hat und dem der Staat allenfalls bei derInanspruchnahme von Subventionen für Luft- undRaumfahrt in Erinnerung kommt.
Gerade die Global Players haben doch den Bogen raus,Steuern dort zu bezahlen, wo es am billigsten ist, unddort zu leben, wo es am schönsten ist – blind dafür, daßsie den Ast absägen, auf dem sie ihren eigenen Stamm-sitz haben.Die Art und Weise, wie momentan bestimmte Kreiseder Wirtschaft versuchen, die Politik unter Druck zu set-zen, grenzt an Erpressung. Wer so handelt, gefährdetnicht nur den Standort Deutschland, sondern auch dendemokratischen Konsens in unserem Land. Ich kanndiese noble außerparlamentarische Opposition mit ihrengewichtigen Unterschriften nur auffordern, wieder aufden Boden der Tatsachen zurückzukommen. Das würdeuns allen bei der Modernisierung der Wirtschaft helfen.Von den akademischen Debatten einmal abgesehen,hat auch der zurückgetretene Finanzminister – wennman den Jahreswirtschaftsbericht genau liest, erkenntman das – keine reine Nachfragepolitik betrieben.Heute gehört es doch zum politischen Allgemeinwissen,daß man einen ausgewogenen Mix aus Angebots- undNachfragepolitik braucht. Wenn die Daten aus den em-pirischen Untersuchungen der Zukunftskommissionstimmen, daß ein Viertel der Arbeitslosigkeit nachfrage-und drei Viertel struktur- und angebotsbedingt sind,dann ergeben sich daraus auch die Proportionen desHandlungsbedarfs. Die Kosten des immobilen FaktorsArbeit müssen wieder mit denen der mobilen FaktorenKapital und Technologie in Einklang gebracht werden,die im Land bleiben oder wieder verstärkt ins Land zu-rückgeholt werden müssen. Deswegen haben wir auchdie Ökosteuer eingeführt, um von den hohen Lohnzu-satzkosten herunterzukommen, um die Rentenversiche-rung zu entlasten und um wieder einen Gleichklang zwi-schen dem immobilen Faktor Arbeit und dem mobilenFaktor Kapital herzustellen.
Die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Stand-ortes Deutschland wird durch ein zugegebenermaßeninternational nicht mehr wettbewerbsfähiges Steuersy-stem verdeckt, das keine Anziehungskraft besitzt. Esgibt bei uns sehr hohe Spitzensteuersätze, die in Europaeinmalig sind. Aber wie wir wissen – der Finanzaus-schuß hat es in dieser Woche bei der OECD noch einmalin Erfahrung gebracht –, ist die steuerliche Belastungder Unternehmen in Deutschland eher zurückgegan-gen, nämlich von 5 Prozent auf heute etwa 3,8 Pro-zent. In der EU liegt die Belastung im Durchschnitt bei7,5 Prozent, in den OECD-Staaten sogar bei 8,2 Prozent.Schaut man sich die effektive Steuerbelastung genauan, dann muß man feststellen, daß Unternehmen inDeutschland, verglichen mit anderen Ländern, überhauptnicht stark belastet werden, nämlich im Durchschnitt nurmit 8 Prozent. In Großbritannien liegt die Belastung bei48 Prozent und in den USA bei 24 Prozent.Unser Problem ist die ungerechte Verteilung.
Während sich die einen darauf verstehen, überhaupt kei-ne Steuern zu zahlen, müssen andere einen relativ hohenAnteil tragen. Das gilt für allem für die kleinen undmittelständischen Betriebe, die die Hauptlast tragen.
Seit langem wird eine größere Klarheit und Vereinfa-chung im Steuersystem gefordert. Wir wissen natürlich,daß die Entlastung von Unternehmen einen Beitrag fürInvestitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplät-zen darstellen kann. Wir haben bereits mit der erstenStufe der Steuerreform etwas dazu beigetragen. Trotzaller bisherigen gegenteiligen Behauptungen wird manerkennen können – wenn der Pulverdampf erst einmalverzogen ist –, daß dies den kleinen und mittelständi-schen Betrieben genutzt hat. Die jüngsten Berechnungendes Bundesfinanzministeriums weisen für die erste Stufeder Steuerreform eine Entlastung von 5,5 MilliardenDM aus. Darüber werden wir uns in den nächsten Jahrennoch reichlich auseinandersetzen können.Ein modernes Unternehmensteuerrecht wird sichaber nicht nur an der Höhe der Steuersätze zeigen, son-dern auch daran, daß die Ungerechtigkeit, die ich hierWerner Schulz
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skizziert habe, beseitigt wird und daß zwischen denhochbelasteten kleinen und mittleren Unternehmen undden Unternehmen, die bisher das Gros der Besteuerunggetragen haben, unterschieden wird. Hier geht es vorallem um Besitzstandswahrung und Rückversiche-rungsmentalität, die wir abbauen müssen, wenn wir iminternationalen Vergleich bestehen wollen.Das steuerliche Rückstellungswesen in der deutschenWirtschaft ist in anderen Ländern, die ein vergleichs-weise hohes Wachstum haben, so nicht bekannt. DieBundesbank beziffert in ihrem jüngsten Bericht dieHöhe der aufgelaufenen Rückstellungen auf etwa690 Milliarden DM. Der Nettowert aller Sachanlagen inDeutschland beträgt demgegenüber 758 Milliarden DMund liegt damit nur wenig über der eben erwähntenSumme. Das muß man sich vor Augen führen und mit-einander vergleichen. Insofern ist die Abzinsung derRücklagen der Energie- und Versicherungsbranchenvöllig gerechtfertigt. Gerade die Atomkonzerne habenihre steuersparenden Rückstellungen doch bisher dazugenutzt, in andere Branchen wie die Telekommunikationoder die Abfallentsorgung zu investieren. Damit sindaus Rücklagen eigentlich verdeckte Subventionen ge-worden. Wir wollen nichts anderes als eine schrittweiseAuflösung dieser Rücklagen, die selbstverständlich, so-lange sie nicht gebraucht werden, versteuert werdenmüssen.Ich hoffe, daß wir beim Abbau der Subventionenauf genauso viel Gegenliebe stoßen wie bei der Senkungder Steuersätze. An der Notwendigkeit eines Subven-tionsabbaus wird so lange nicht gezweifelt, wie es einennicht selbst trifft. Ich glaube, wir müssen uns hier vorallen Dingen von dem Sankt-Florians-Prinzip verab-schieden.In diesem Zusammenhang stimme ich WolfgangSchäuble zu, der in der „Wirtschaftswoche“ vom11. März betont hat:Wir müssen uns von unseren sozialen Besitzstän-den trennen, wenn sie nicht mehr finanzierbar sind.Genau darum geht es, wenn wir nicht mehr bereit sind,Altindustrien durch Subventionen vor der Grablegungzu bewahren und Industriezweigen wie Atomwirtschaft,Steinkohle und Werften im bisherigen Maße Subventio-nen zukommen zu lassen.
Ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Steinkohlesub-vention ist eben nicht abrupt möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja.
Herr Kollege
Schulz, trügt mich meine Erinnerung, daß die Spitzen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei den Demon-
strationen der Bergarbeiter, als es darum ging, ob die
Subventionen für den Steinkohlebergbau abgebaut wer-
den sollen oder nicht, vorneweg gegangen sind? Wenn
Sie jetzt erklären, Sie seien für einen Subventionsabbau,
dann machen Sie doch das Gegenteil von dem, was Sie
noch vor ein, zwei Jahren hier in Bonn gesagt haben.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich kenne das Beispiel. Sie haben sich des-
sen zur Genüge bedient; Sie haben es immer wieder an-
geführt. Ich habe deutlich gesagt, daß wir keinen abrup-
ten Ausstieg aus der Subventionierung wollen.
– Ähnliches haben Sie selbst vorgehabt. Ich bestätige
Sie doch in Ihrer Auffassung. Auch die alte Bundesre-
gierung hat gesagt, daß man nicht von heute auf morgen
aus der Steinkohlesubvention aussteigen kann.
– Ich denke, die Richtung ist klar. Deswegen habe ich
das hier noch einmal betont. Wir können uns gern dar-
über verständigen, wie der Ausstieg schneller erfolgen
kann. Wir sind dabei; das war bisher nicht unser Pro-
blem.
Wir brauchen die finanziellen Spielräume für die
ökologische Modernisierung der sozialen Marktwirt-
schaft. Denn wenn etwas in der Wirtschaft stattfinden
muß, dann ist das die Ökologie, die mehr als Natur- und
Umweltschutz ist, auch wenn sich das in der Bevölke-
rung noch nicht in dem Maße herumgesprochen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Friedhoff?
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja.
Herr Schulz, habe ichSie gerade richtig verstanden, daß es Ziel der Politikdieser Bundesregierung ist, zu einem Auslaufbergbau zukommen?Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Wir werden die Steinkohlesubventionen aufden Prüfstand stellen und die Subventionen generellweiter abbauen.Sie haben vielleicht in den letzten Tagen ein Diskus-sionspapier von uns gelesen, in dem wir vorschlagen,die Subventionen generell um 10 Prozent pro Jahr abzu-schmelzen. Das gilt natürlich für die Subventionen fürAltindustrien noch viel stärker, aber auch für Subventio-Werner Schulz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2201
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nen, deren Notwendigkeit schon seit Jahren überhauptnicht mehr geprüft worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, es gibt
eine weitere Frage.
Herr Schulz, gilt das
auch für die neuen Länder? Und habe ich es richtig ver-
standen, daß Sie meine Frage, ob Sie zu einem Auslauf-
bergbau kommen wollen, mit Ja beantwortet haben?
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Der Steinkohlebergbau in den neuen Ländern ist
bereits in den 70er Jahren ausgelaufen.
Die Braunkohle ist natürlich ein Rohstoff, den wir bei
einer Neukonzipierung der Energiewirtschaft gerne als
Verstromungsgrundlage ablösen würden. Aber auch das
braucht Zeit. Selbstverständlich brauchen wir Über-
gangsfristen. In zehn oder zwanzig Jahren ist es im
Osten mit der Braunkohle vorbei. Ich setze nicht darauf,
daß wir die SED-Wirtschaftspolitik fortsetzen, indem
wir zur Verstromung die halbe Lausitz abbaggern. Das
ist auf Dauer weder wettbewerbsfähig noch ökologisch
verträglich.
Wir brauchen diese finanziellen Spielräume, um in
der Energiewirtschaft umzusteigen. Natürlich brauchen
wir längere Zeiträume. Das geht nicht von heute auf
morgen und auch nicht in dieser einen Legislaturperi-
ode. Ich glaube aber, daß wir gut beraten sind, wenn wir
auf die Art des ökologischen Aufbruchs eines klassi-
schen Industrielandes setzen: auf der Grundlage von
ökologischer Modernisierung, von Produkt- und Verfah-
rensinnovationen.
Um es am Schluß in aller Klarheit zu sagen: Die
Bundesregierung betreibt keine wirtschaftsfeindliche
Politik, schon gar keine mittelstandsfeindliche Politik.
Auch wenn einige die Anlaufschwierigkeiten der Regie-
rung genutzt haben, um dieses Zerrbild aufzubauen: Die
Bundesregierung setzt in Verbindung mit den Zielen so-
ziale Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung auf
eine wirtschaftsfreundliche Politik. Allerdings sollte nun
auch die Wirtschaft beweisen, daß sie letztlich den Men-
schen dient und daß sie bereit, willens und fähig ist,
neue Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Brüderle.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht solldie Leitlinien der Bundesregierung für die Wirtschafts-und Finanzpolitik vorstellen. Diese Leitlinien sindfalsch. Sie müssen geändert werden. Es hat ja seinenGrund, weshalb Oskar Lafontaine aus dem Amt ge-flüchtet ist. Er ist doch nicht deshalb gegangen, weil al-les in Ordnung war und so toll gelaufen ist. Es hat ja ei-nen tieferen Grund, weshalb er inzwischen als zweiternach Stollmann von diesem Dampfer geflüchtet ist. Diespannende Frage wird sein: Wer ist der nächste, dergeht?
Es ist sicherlich nicht redlich, in der öffentlichen Dis-kussion Lafontaine zum Sündenbock für alles zu ma-chen. Die Verantwortung für die Politik der Bundesre-gierung hat in erster Linie der Bundeskanzler.
Er bestimmt die Richtlinien der Politik. Er erklärt alleszur Chefsache: Gespräche, Fototermine, seine persönli-che Begleitung oder Treffen mit Gewerkschafts- und In-dustriebossen.
– Frau Kollegin, es handelt sich um eine Geschmacks-frage, wenn sich ein Kanzler hinstellt und behauptet, indiesem Land Politik mit dem Anspruch, soziale Gerech-tigkeit herzustellen, zu machen, und sich dann damitbrüstet, was ein Kaschmirmantel kostet. Das ist ein Un-ding.
Das muß er mit seiner Partei und seinen Wählern austra-gen. Wenn Sie aber mit einem Zwischenruf die Sacheansprechen, dann muß das gesagt werden.Mit Ihrer Politik haben Sie eine umfassende Verun-sicherung der Wirtschaft ausgelöst. Herr Müller, ichfinde es schon dreist, wenn Sie als Bundeswirtschafts-minister die Hilferufe aus der Wirtschaft zurückweisen.Die Handwerker haben sich zu Recht beschwert, daßsich ihre Lage nicht verbessert, sondern verschlechterthat. Das jüngste Warnsignal kommt aus der Bauwirt-schaft, wo weitere 50 000 Arbeitsplätze verlorenzugehendrohen. Wenn Sie es diffamieren, daß die Wirtschaft ge-gen sie mobil macht, dann frage ich Sie: Wie dummschätzen Sie die Menschen denn ein? Erst werden ihreRahmenbedingungen verschlechtert, man kassiert beiihnen mehr ab, vieles wird bürokratischer und inflexib-ler, die Stimmung im Lande wird schlechter, und dannsollen sie noch Beifall für eine falsche Politik klatschen?Was erwarten Sie denn von der Wirtschaft und vomMittelstand? Sie haben es doch nicht mit Doofmännernzu tun! Auch diese Menschen können bis drei zählen.
Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine ist. Siesind für das unerträgliche Theater um die 630-Mark-Verträge verantwortlich. Es ist interessant, zu sehen: Dadie Verleger betroffen sind, merken auch die SPD-Ministerpräsidenten, daß etwas falsch läuft. Herr Glo-gowski traut sich nicht, das auszusprechen. Vor denVerlegern spricht man anders, in der Hoffnung, so einegute Presse zu bekommen.Werner Schulz
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2202 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Die Reform der Sozialsysteme wird nicht angegan-gen. Gleichzeitig wird durcheinanderdiskutiert. HerrRiester sagt: Die Höhe der Rente wird nach Kassenlagefestgelegt; ab 60 Jahren gehören alle in die Rente. Äuße-rungen dieser Art fördern eine Stimmung, die den At-tentismus, die die Zurückhaltung bei Investitionen gera-dezu beschwört. Es handelt sich um einen normalen Re-flex der Wirtschaft, abzuwarten, wenn man nicht weiß,wohin die Reise geht. Keiner ist so dumm, sein gutesGeld in etwas zu investieren, was sich am Schluß alsFehlinvestition herausstellen könnte. Deshalb muß manKlarheit schaffen, richtige Rahmenbedingungen setzenund Ordnungspolitik betreiben.
Die von Ihnen vorgenommene Verschärfung der Ein-stellbedingungen für den Mittelstand, für die kleinenund mittleren Unternehmen, ist natürlich kontraproduk-tiv. Zu dieser falschen Denkweise, zu dieser falschenGrundhaltung, die auch in Ihrem Jahreswirtschaftsbe-richt deutlich wird, paßt die Vorgehensweise der Ver-gangenheit bis hin zur Beschimpfung der Notenbank.Es ist ein Münchhausen-Theorem, zu meinen, durchdie Steigerung der Nachfrage die Strukturprobleme die-ses Landes lösen zu können. Das geht so nicht. Das istüberall, wo man es ausprobiert hat, schiefgegangen.
Sie sind da völlig isoliert gegenüber der erdrückendenMehrheit der Wirtschaftswissenschaftler und der Fach-leute. Deshalb hätten Sie die Chance nutzen sollen,nachdem Lafontaine davongelaufen ist, Ihre Politik zuändern, und hätten das zum Anlaß nehmen sollen, vondem falschen Weg herunterzukommen und den richtigenWeg einzuschlagen, aber nicht „business as usual“ zubetreiben und starr auf den falschen Vorstellungen zubeharren.
Es bleibt alles, wie es ist. Sie müssen doch nachbessern.Machen Sie es doch gleich, dann kommen wir schnellervoran. Belästigen Sie nicht die Wirtschaft mit diesen fal-schen Vorstellungen!
– Weil Sie mich ja nicht rangelassen haben. Ich würdees Ihnen schon zeigen!
Die Verschleißerscheinungen nach dieser kurzenZeit – –
– Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, HerrMosdorf, sondern meine Ausführungen inhaltlich zu-sammenhängend darlegen. Ich habe nur ein paar Minu-ten, die brauche ich. Anschließend können Sie fragen.Dann bekommen Sie auch eine Antwort. Jetzt hören Sieeinmal zu. Vielleicht lernen Sie etwas.Sie haben im Jahreswirtschaftsbericht eine sehr „mu-tige“ Prognose aufgestellt: 60 000 Arbeitsplätze sollenin diesem Jahr neu geschaffen werden. Das ist einewirklich mutige Zielsetzung und eine hohe Zielmarke,an der Sie sich orientieren. Aber Sie werden auch sienicht schaffen. Sie werden nicht einmal dieses beschei-dene Ziel der 60 000 Arbeitsplätze schaffen. Das istschon Makulatur, weil Sie Verunsicherung und Atten-tismus ausgelöst haben. Bringen Sie ja nicht die Be-gründung, das liege alles an Übersee. Sie können die50 000 Arbeitsplätze, die in der Bauwirtschaft verloren-zugehen drohen, nicht mit der Entwicklung in Brasilienoder China begründen. Verantwortlich sind dafür Ursa-chen hier vor Ort in unserem Land.
Sie bekommen das nur hin, wenn Sie Klarheit schaf-fen und von einer falschen Denke herunterkommen.Symptomatisch für diese falsche Denke ist auch Ihr Ka-pitel über die internationale Koordination der Wirt-schaftspolitiken. Die anderen werden nicht so blöd sein,unsere Fehler zu kopieren, sondern werden ihren eige-nen Weg suchen. Das heißt nichts anderes, als daß manStrukturprobleme nur vor Ort lösen kann. Man kann sienur in einer Region lösen. Sie bauen sich ein Alibi auf,weil Sie es nicht schaffen: Einmal sind die Europäerschuld, dann die Weltwirtschaft. Alle sind schuld, nurMüller nicht. Das kann es nicht sein.
Es ist auch ein Alarmsignal, wenn die KPMG, eineder renommiertesten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,auf Grund des Vergleichs ihrer weltweit tätigen Kundensagt: Nur Japan ist teurer und schlechter in den Stand-ortbedingungen als Deutschland. Daran müssen Sie an-setzen. Das kann man auch nicht mit dem „Bündnis fürArbeit“ wegreden. Man kann Probleme sowieso nichtwegreden. Wirtschaftspolitik muß durch den ordnungs-politischen Rahmen Wettbewerb in der Breite auslösen.Die Illusion, daß dann, wenn sich vier zusammensetzen,die selbst gar keine Arbeitsplätze schaffen, etwas be-wirkt werden könnte, ist ein völlig falscher Weg. Redenschadet zwar nicht; Sie bräuchten aber ein Bündnis fürden Mittelstand, um den kleinen und mittleren Betriebenzu helfen. Indem Sie Steuervereinfachungen nicht reali-sieren, sondern alles noch komplizierter machen, schaf-fen Sie nur bei den Steuerberatern einige wenige Ar-beitsplätze. Dafür nehmen Sie sie woanders weg. Sieentlasten nicht, wie es nötig wäre.
– Herr Schwanhold, hören Sie doch zu! Sie kriegen essonst nicht mit. – Sie versuchen, die Verantwortung fürIhre falsche Politik auf Europa zu verlagern.
Rainer Brüderle
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2203
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Nutzen Sie, Herr Müller, wenigstens jetzt, woLafontaine weg ist, die Gelegenheit, und holen Sie dieZuständigkeit für die Ordnungspolitik wieder in IhrHaus zurück.
Vielleicht wäre der Bericht etwas anständiger ausgefal-len, wenn er in Ihrem Hause gemacht worden wäre. DasWirtschaftsministerium muß das ordnungspolitischeGewissen einer Regierung sein. Jetzt besteht die Chance,dies zu korrigieren und wenigstens eine Mannschaft zu-sammenzusetzen, die arbeitet und dies richtig macht. Eshilft nicht, wenn Sie mit gelegentlich etwas lockerenÄußerungen, die wirtschaftspolitisch gar nicht so falschsind, das Feigenblatt für Grünrot abgeben. Sie müssenetwas durchsetzen. Wenn Sie das nicht können, weilman Sie nicht läßt, überlegen Sie sich, ob Sie an derrichtigen Stelle sind.
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Herr Brüderle, auch Ihre Vorschlägesind natürlich problematisch. Wenn ich Sie richtig ver-standen habe, haben Sie der Bundesregierung empfoh-len, dieselbe Politik zu verfolgen, die die vorhergehendeBundesregierung gemacht hat. Das würde dann aller-dings zwingend bedeuten, daß auch sie abgewählt wür-de. Warum sollte sie diesen Weg beschreiten? Ichdenke, ein paar Änderungen und Korrekturen in derPolitik brauchen wir schon.
Auf der anderen Seite sage ich aber auch, daß dieletzten Tage und Wochen eines klar gezeigt haben: Wirmüssen über die Wirtschaft, den Zweck von Wirtschaft,das Verhältnis von Politik und Wirtschaft hier sehr vieleingehender diskutieren und nachdenken; denn da habensich Verschiebungen ergeben, die viele Fragen in unse-rer Gesellschaft aufwerfen.Der letzte Zweck von Wirtschaft ist der Austauschzwischen Mensch und Natur im Interesse der allgemei-nen Wohlfahrt der Menschen. Das muß man sich immervor Augen führen. Wirtschaft hat keinen Selbstzweck,sondern einen Zweck im Zusammenhang mit den Inter-essen von Millionen Menschen.
Was das Verhältnis von Politik und Wirtschaft be-trifft, so gibt es eigentlich den Primat der Politik. Dasführt ja auch dazu, daß Politikerinnen und Politiker ge-wählt werden. Herr Henkel, Herr Hundt und Herr Stihlstellen sich zwar hin und wissen alles besser. Sie übenden größten Druck aus. Sie nötigen zum Teil; sie drohensogar. Aber den Mut, sich einmal einer Wahl der Bevöl-kerung zu stellen, den haben sie nicht.
Deshalb sage ich: Wenn es soweit gekommen ist,daß die Wirtschaftsverbände entscheiden, wer Bundes-finanzminister ist oder nicht, besteht darin eine Gefähr-dung der Demokratie, gegen die sich eigentlich allePolitikerinnen und Politiker wenden müßten.
Aber mit Demokratie hat natürlich auch zu tun, wennich ein Bündnis für Arbeit zunächst so aufbaue, daßder Eindruck entsteht, es gehe darum, einen breitenKonsens zur Schaffung von Arbeitsplätzen, für mehrBildung, Innovation und Forschung zu erreichen. Es istim Prinzip nichts dagegen zu sagen, daß so viel Konsenswie möglich erreicht werden soll. Aber wenn er nicht zuerreichen ist, muß natürlich auch einmal entschiedenwerden. Das scheint mir nun eine ausgesprochen schwa-che Strecke des Bundeskanzlers zu sein.Ich füge an dieser Stelle hinzu: Wenn der Bundes-kanzler erklärt, er wolle die Steuergesetze und alles an-dere in diesem Bündnis für Arbeit verabreden, dann istdas verfassungsrechtlich höchst problematisch; denn fürdie Entwürfe solcher Gesetze ist immer noch die Regie-rung zuständig und für die Verabschiedung der Bundes-tag und der Bundesrat, nicht das Bündnis für Arbeit.Wenn ich so herangehe, dann animiere ich Wirtschafts-verbände natürlich geradezu dazu, sich als zuständig zuempfinden und eine solche Politik zu betreiben. Deshalbhoffe ich sehr, daß das korrigiert wird.
Das Bündnis für Arbeit darf keine Zentrale zum Befehls-empfang an den Kanzler durch die Wirtschaftsverbändewerden. Diese Gefahr besteht augenblicklich. Das mußman deutlich formulieren.
Ich habe allerdings auch mit großem Erstaunen HerrnSchulz hier zugehört. Ich bin Ihnen auch für Ihre Zwi-schenfragen wirklich dankbar, weil dadurch Klarheit ge-schaffen worden ist. Ich habe den Koalitionsvertragdurchgelesen. Da stand von alledem nichts drin. Es mußein Geheimpapier geben, in dem steht, daß SPD undGrüne ernsthaft entschlossen sind, Braun- und Stein-kohle auslaufen zu lassen, die Subventionen zu strei-chen und damit Tausende von Arbeitsplätzen in den ent-sprechenden Regionen zu vernichten und die Energie-politik zu gefährden.Was den Ausstieg aus der Atomenergie betrifft, sosind wir sehr dafür. Aber ansonsten braucht man einenMix verschiedener Energieformen. Worauf wollen Siedas denn reduzieren? Wie wollen Sie denn die Strom-versorgung dann überhaupt noch sichern?Die Leute in den Kohlengruben jetzt so zu verunsi-chern, wie Sie es getan haben, Herr Schulz, und gleich-zeitig zuzulassen, daß neue Lehrlinge ausgebildetwerden, denen man aber heute schon sagt, daß sie garkeine Perspektive hätten, ist meiner Ansicht nach einehöchst verfehlte Politik. Ich kann nur hoffen, daß dieSPD diese Rede korrigiert. Sonst bleibt das so im Rau-me stehen, als wäre es zwischen den Koalitionären ver-einbart.Rainer Brüderle
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2204 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich denke, daß in den letzten Tagen – auch im Zu-sammenhang mit dem Rücktritt, der übrigens im Grund-gesetz nicht vorgesehen ist, von Oskar Lafontaine –
auch andere Fragen aufgeworfen worden sind, zum Bei-spiel die Frage: Wer repräsentiert eigentlich Wirtschaft,und was sollen eigentlich die Begriffe „wirtschafts-feindlich“ und „wirtschaftsfreundlich“? Ich meine, dasist völlig absurd und geht völlig daneben. Das macht dieWirtschaft zu einem Einheitsblock, der sie niemals ist.Wir haben zehntausende Unternehmen, die am Exi-stenzminimum nagen. Dazu gehört gerade – wir habenheute vormittag darüber gesprochen – eine Vielzahllandwirtschaftlicher Betriebe. Die kann ich doch nichtgenauso behandeln wie riesige Versicherungen, Bankenund große Konzerne, die seit Jahren und Jahrzehntenimmer mehr Gewinne machen und immer weniger zumGemeinwohl in dieser Gesellschaft beitragen.
Wirtschaft muß im Interesse von Menschen funktionie-ren; darüber muß man sich Gedanken machen.Was mich übrigens schon seit Jahren stört, ist folgen-des: Alle Fraktionen – unsere eingeschlossen – redenimmer von kleinen und mittelständischen Unterneh-men. Bei Ihnen hatte ich allerdings immer den Ein-druck, daß Sie zwar von kleinen und mittelständischenUnternehmen reden, aber immer die großen Konzerneund Banken meinen, für die Sie dann auch die Politikgemacht haben – und eben nicht für die kleinen undmittelständischen Unternehmen.
Schauen wir uns doch einmal die realen Zahlen an.Die Gewinne haben sich von 1980 bis 1998 verdoppelt.Das Problem ist natürlich, daß dies nur für einen Teil derUnternehmen gilt.Aber wenn man schon mit Zahlen operiert, muß manauch diese Zahl nennen: Im gleichen Zeitraum habensich die Steuerzahlungen der Wirtschaft auf wenigerals die Hälfte reduziert. Der Anteil der Unternehmen-steuern am Gesamtsteueraufkommen betrug 197024 Prozent. Heute liegt der Anteil bei 7 Prozent. Mankann fast schon sagen, daß man diese Steuern auf Grundihres geringen Anteils ganz abschaffen könnte. Die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zum Teil auchdie kleinen und mittelständischen Unternehmen mußtendiese Steuerausfälle ausgleichen. Das wurde auch durchSozialabbau erreicht. Genau dies ist nicht Politik derPDS; es ist nicht linke Politik und nicht Politik der so-zialen Gerechtigkeit. Mit dieser Politik werden wir unsimmer auseinandersetzen.
Auch der Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaatenkann für Ihre Politik nicht herhalten. Sie ziehen zumVergleich immer den nominalen Steuersatz heran undfügen niemals hinzu – das hat schon in der letzten Le-gislaturperiode die rechte Seite dieses Hauses nicht ge-macht –, daß es nicht um den theoretisch veranschlagtenSteuersatz geht, sondern um die tatsächlich von derWirtschaft gezahlten Steuern. Diesbezüglich stehen wirunter allen EU-Mitgliedsländern an vorletzter Stelle. Esgibt nur ein EU-Mitgliedsland, in dem die Wirtschaftweniger Steuern zahlt als in Deutschland. Das ist dieRealität.Was passiert nach dem Rücktritt des Bundesfinanz-ministers? Herr Bundeswirtschaftsminister Müller – erist bei der Debatte über seine Politik nicht mehr anwe-send –
sagt heute als Vertreter der Bundesregierung, er wolledie Unternehmensteuer von 45 Prozent auf 35 Prozentsenken. Dann sagt Herr Clement, ein Steuersatz von35 Prozent sei ihm eigentlich noch zu hoch; er trete füreinen Steuersatz von 28 Prozent ein. Im Rahmen desewigen Wettbewerbs, die F.D.P. neoliberal zu über-holen, sagt dann Frau Scheel vom Bündnis 90/Die Grü-nen, ein Steuersatz von 22 Prozent entspreche ihrenVorstellungen. Ich warte jetzt auf den ersten Vorschlag,der auf 0 Prozent hinausläuft.Ich frage Sie: Wohin soll das führen? Es handelt sichdoch um eine Art Rasenmäherpolitik. Tausende Unter-nehmen können keine Steuern zahlen, weil sie am Exi-stenzminimum sind. Andere Unternehmen haben ständigsteigende Gewinne, ohne daß sie ihren angemessenenBeitrag zum Gemeinwohl dieser Gesellschaft leisten.Hören Sie doch auf mit dem Hoch- und Runtersetzenvon pauschalen Steuersätzen! Lassen Sie uns eine Steu-er einführen, die sich differenziert nach der Leistungs-fähigkeit der Unternehmen richtet! Dieses Ziel wirdweder mit einem Steuersatz von 35 Prozent noch miteinem Steuersatz von 22 oder 28 oder 45 Prozent er-reicht, sondern nur mit einer Steuer, die sich in gerechterWeise nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmenrichtet.
Zum vorauseilenden Gehorsam nach dem Motto„Wer macht sich jetzt bei Wirtschaftsverbänden am be-liebtesten? Wer bekommt die meisten Pluspunkte?“kann ich Ihnen nur sagen: Dieses Handeln hilft nichtweiter und wird Ihrer Regierung nicht bekommen. Wennjetzt schon Herr Rühe im Fernsehen sagt, daß die Regie-rung seiner Meinung nach erst der Wirtschaft geschadethabe und nun anscheinend zum Lakaien der Wirtschaftwerde, was ebenso falsch sei, dann sollte dies für Sie einWarnsignal sein. Sie haben meines Erachtens einen fal-schen Ansatz für Ihre Politik gewählt.Wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will, sokommt man um verschiedene Änderungen nicht herum.Wir müssen einfach über eine gerechtere Verteilung derArbeit in unserer Gesellschaft nachdenken. Wir kommendoch um die Fragen des Abbaus von Überstunden undder Arbeitszeitverkürzung nicht herum. Aber auch dieseKoalition verweigert im Grunde genommen dasDr. Gregor Gysi
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Gespräch über diese Fragen, obwohl wir es brauchen.Wir kommen um die Schaffung eines öffentlich geför-derten Beschäftigungssektors nicht herum, mit dem Ar-beitsplätze dauerhaft in Bereichen entstehen, in denen eskeine Konkurrenz gibt, aber auf die die Gesellschaftdringend angewiesen ist, nämlich Arbeitsplätze im Bil-dungsbereich, im Sozialbereich, im Ökologiebereich undin vielen anderen Bereichen.
Natürlich hatte Oskar Lafontaine recht, als er dieNachfrageseite in die Diskussion gebracht hatte. In die-sem Zusammenhang muß man sagen, daß es überhauptkeinen ernstzunehmenden Wirtschaftspolitiker gibt – daswill ich einmal den Damen und Herren von der F.D.P.sagen –, der sich zwischen Angebots- und Nachfrage-politik entscheiden würde. Man braucht immer ein aus-gewogenes Verhältnis von beiden. Das Problem ist nur,daß Sie über Jahre die Kaufkraft – mit ruinösen Folgengerade für die kleinen und mittelständischen Unterneh-men – reduziert haben. Das ist die Tatsache.
Deswegen ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit zu-gleich eine Frage vernünftiger Wirtschaftspolitik.Ich habe den Kanzler immer verteidigt, wenn er hierim Hause persönlich angegriffen wurde. Allerdings mußich sagen, daß er jetzt eine Grenze überschritten hat.Sein Verhältnis zur Kaufkraft sollte man nicht darstel-len, indem man sich als Model in einer Zeitschrift ab-lichten läßt, mit 6 000-Mark-Mänteln und 4 000-Mark-Schuhen.
Damit entfernt man sich nämlich von der Bevölkerungin einem Maße, wie es nicht akzeptabel ist. Ganz egal,wer den Kanzler stellt: Ein Kanzler darf sich eine solcheEntfernung von der Bevölkerung meines Erachtens nichterlauben. Er beschädigt damit die Politik insgesamt.
Natürlich gehören auch Bildung, Wissenschaft undForschung sowie ökologischer Umbau zur Arbeits-marktpolitik. Die Ökosteuer führt aber zu keinem öko-logischen Umbau. Wir kommen damit bei der Schaffungvon Arbeitsplätzen keinen Schritt weiter. Zur Arbeits-marktpolitik gehört auch die direkte Förderung kleinerund mittelständischer Unternehmen. Ich sage Ihnenauch, weshalb: Es gibt viele, die gar keine Steuern zah-len können. Denen helfen Sie auch mit einer Steuersen-kung nicht mehr. Denen können Sie nur noch mit einerdirekten Förderung helfen, für die wir seit langer Zeiteintreten. Das setzt aber voraus, daß die Unternehmenmit hohem Gewinn endlich angemessene Steuern zah-len, damit die Förderung der anderen finanziert werdenkann.
Natürlich brauchen wir einen neuen Ansatz bei denLohnnebenkosten. Ihr Projekt, über eine Ökosteuer dieLohnnebenkosten zu senken, ist aber in vielfacher Hin-sicht abenteuerlich. Erstens hat das miteinander nichtszu tun. Zweitens ist eine solche Maßnahme nicht dauer-haft. Was machen Sie denn, wenn Ihre Ökosteuer jewirkt? Was machen Sie denn, wenn die Leute ernsthaftweniger Energie verbrauchen und Ihre Mehreinnahmenaus der Ökosteuer verloren gehen? Wollen Sie dann dieLohnnebenkosten wieder erhöhen, oder soll das zu einerdauerhaften Spirale der Energiesteuererhöhung werden,mit all ihren schädlichen Folgen für Rentnerinnen undRentner, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, fürSozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängerund für die Wirtschaft?
Sie behandeln die Wirtschaft im übrigen extrem un-gleich. Weshalb die Industrie fast vollen Ausgleich be-kommt, der Dienstleistungsbereich aber nicht, und dieLandwirtschaft geradezu ruinös beteiligt wird, konntemir von der Bundesregierung noch niemand erklären.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wer Wirtschaftspolitikmachen und Arbeitsplätze schaffen will, der muß auchbereit sein, den Kommunen und den Ländern Mög-lichkeiten zur Investition zu geben. Alle drei Gesetze,die morgen im Bundesrat verabschiedet werden sollen,kürzen die Einnahmen von Ländern und Kommunen,was erhebliche Folgen für deren Investitionstätigkeitenund Investitionsmöglichkeiten und damit auch für dieArbeitsplätze hat.Vielleicht noch ein Wort zum Osten: Wir brauchen inden Kommunen wieder eine Investitionspauschale, da-mit die Kommunen – gerade in den neuen Bundeslän-dern –, was Arbeitsplätze, was soziale, ökologische undkulturelle Fragen betrifft, endlich wieder investieren undaktiv werden können.
Herr Kollege Gysi,
ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch einen Satz: Natürlichbrauchen wir auch eine internationale Regulierung derFinanzen. Ich sage Ihnen: Sie haben aus unserer Gesell-schaft, die einmal eine hochproduktive Produktionsge-sellschaft war, eine Lottogesellschaft gemacht, in deraus Geld Geld gemacht wird. Wenn wir das nicht än-dern, wenn nicht wieder die Produktion attraktiver wird,sondern Spekulation das Attraktive in dieser Gesell-schaft bleibt, werden wir die Arbeitsplatzsituation nichtändern.
Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung: Gewin-nen Sie den Primat der Politik zurück. Werden Sie nichtExekutive der Wirtschaftsverbände und auch nicht Die-ner der Medien. Das ist zuwenig für eine Bundesregie-rung.
Dr. Gregor Gysi
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2206 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Liebe Kolleginnenund Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, möchteich eine Bemerkung machen. Es gehört wohl zu denAufgaben des amtierenden Präsidenten, die Rechte unddie Würde des Parlaments zu wahren. Ich stelle fest,daß bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes1999 der Bundesregierung mit dem Titel „Neue Wegezu mehr Beschäftigung“ das federführende Ressort nichtvertreten ist, das Bundeskanzleramt nicht vertreten ist
und auch der Bundeswirtschaftsminister nicht anwesendist – auch kein anderer Minister.
Es tut mir leid, daß ich das jetzt sagen muß, aber ichdenke, es gehört zu meinen Aufgaben, darauf hinzuwei-sen. Ich muß mir vorbehalten, diesen Punkt gegenüberder Bundesregierung zur Sprache zu bringen.
Das Wort hat Ministerpräsident Teufel aus Baden-Württemberg.
– Das Wort hat der baden-württembergische Minister-präsident Erwin Teufel.
Herren! Ein Jahreswirtschaftsbericht für 1999 muß miteinem Blick auf das gute Jahr 1998 beginnen. Wir hattenein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent, in Baden-Württemberg von 4,1 Prozent, eine Exportsteigerungvon 7 Prozent bundesweit,
in Baden-Württemberg von 10 Prozent, rund 130 000zusätzliche Arbeitsplätze in Westdeutschland, allein40 000 davon in Baden-Württemberg.Nun ist dieser positive Trend seit mehreren Monatenabgebrochen.
Der Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierungträgt den Titel „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“. Erist in diesem zentralen Punkt schon heute Makulatur.
Nach dem Urteil der überwiegenden Mehrzahl der In-stitute und Sachverständigen, der Wirtschaftsverbändeund Finanzmärkte wird das Wirtschaftswachstum 1999nicht, wie im Jahreswirtschaftsbericht angenommen,2 Prozent betragen, sondern allenfalls 1,5 Prozent. Da-mit bildet Deutschland das Schlußlicht innerhalb derEuropäischen Union.Seit dem Amtsantritt des Bundeskanzlers ist die Zahlder Arbeitslosen in Deutschland um genau 500 000 ge-stiegen.
Das ist nicht nur der im Winter übliche saisonale An-stieg.
Die Beschäftigungsschwelle, ab der wirtschaftlichesWachstum zu mehr Arbeitsplätzen führt, liegt bei ca.2,5 Prozent. Das heißt, mit einem Wachstum 1999 vonmaximal 1,5 Prozent steuern wir nicht auf mehr, sondernauf weniger Arbeitsplätze zu. Das bedeutet wenigerChancen für Arbeitslose, weniger Chancen für Berufs-anfänger, weniger Steuereinnahmen, eine zusätzlicheBelastung der sozialen Sicherungssysteme, und das be-deutet, daß all die Vorausschätzungen des Jahreswirt-schaftsberichts auch zur Konsumnachfrage vorne undhinten nicht mehr aufgehen.
Es ist ein Scherbenhaufen, den Sie nach nur 140 Ta-gen angerichtet haben. Noch nie hat eine Regierung inso kurzer Zeit so viel Erwartung, so viel Vertrauen, soviel Kredit verspielt.
Der designierte Wirtschaftsminister ist gar nicht erst an-getreten, und nun der Abgang des Finanzministers. Nochvor wenigen Wochen wollte er das gesamte Weltfinanz-system umgestalten. Jetzt zieht er sich sang- und klang-los, verantwortungslos und stillos auf einen Bauernhofim Saarland zurück.
Daß die Konjunktur durch die Krisen in Fernost, inRußland, in Lateinamerika schon Ende 1998 ihren vor-läufigen Zenit überschritten hat, kann man dieser Regie-rung sicher nicht anlasten. Aber wofür einzig und alleinsie die Verantwortung trägt, ist die Tatsache, daß nunauch die Stimmungslage und das unternehmerischeBinnenklima von Monat zu Monat weiter in den Kellergeht.
Es ist bestürzend, mit ansehen zu müssen, wie die an-fängliche Erwartung und Skepsis der Wirtschaft in vie-len Branchen, angefangen von den Chefetagen derGroßunternehmen bis tief hinein in den Mittelstand, inden Bereich des Handwerks, der Selbständigen, derfreien Berufe, nun in blankes Entsetzen umgeschlagenist.
Die Stimmung ist so verheerend, weil diese Regie-rung das reine Chaos angerichtet hat.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2207
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Nichts, was diese Regierung bisher angepackt hat,nichts, was sie entworfen, zurückgenommen, wiederkorrigiert, dann, mehr oder weniger umgekrempelt, inimmer kürzeren Intervallen wieder vorgelegt hat, läßtauch nur ansatzweise „neue Wege zu mehr Beschäfti-gung“ erkennen.
– Baden-Württemberg ist ein positives Beispiel. Unterallen 16 deutschen Ländern das höchste Wachstum –machen Sie das einmal bundesweit nach!
Was am Ende dieser beispiellos hektischen, Verwir-rung stiftenden und inhaltlich geradezu dilettantischenPhase nun summa summarum auf dem Tisch liegt, istein Programm, das die Wirtschaft belastet und nichtentlastet,
das Investitionen blockiert und nicht fördert, das Ar-beitsplätze gefährdet und nicht schafft, das die sozialenSicherungssysteme neuen Belastungen aussetzt und denStandort Deutschland geradezu systematisch abwertet.Herr Minister Hombach empfiehlt der SPD, LudwigErhard und die Freiburger Schule zu entdecken und ihreErkenntnisse zu nutzen. Wie wahr! Lesen Sie einmalnach, was in den „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“von Walter Eucken steht:Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oftheute verwirft, was gestern galt, schafft ein großesMaß von Unsicherheit und verhindert viele Investi-tionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens. ...Wenn aber die Wirtschaftspolitik nicht eine zurei-chende Konstanz besitzt, kann auch die Wettbe-werbsordnung nicht voll funktionsfähig sein.Meine Herren von der Bundesregierung, gehen Sie indie Freiburger Schule!
Lassen Sie mich auf Einzelbeispiele kommen, zu-nächst zur Steuerreform. Es liegt klar auf der Hand,was gefordert ist, um Innovationen, Investitionen unddamit Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere Unternehmen,die auf dem heimischen Binnenmarkt und auf allenMärkten der Welt einem harten Wettbewerb ausgesetztsind, brauchen die gleichen Rahmenbedingungen, diegleichen Steuertarife und die gleichen Wettbewerbsbe-dingungen wie ihre Wettbewerber. Wir brauchen ver-besserte Investitionsbedingungen für private Unterneh-men. Das sehen alle ein – außer dem Spitzentrio imBundesfinanzministerium, das sowohl für den Entwurfder Steuerreform wie auch für den Jahreswirtschaftsbe-richt verantwortlich ist. Der Bundeskanzler und die gan-ze Bundesregierung stimmen zu oder lassen gewähren.Der Kardinalfehler Ihrer Steuerpolitik besteht darin,daß Sie die zentrale Bedeutung des Steuersystems fürdie Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen imRahmen einer globalisierten Wirtschaft bis heute nichteinsehen oder schlicht und einfach nicht wahrhabenwollen.
Statt dessen steht Ihre Steuerreform unter dem Primatder Umverteilung. Sie haben damit genau dort angesetzt,wo sozialdemokratische Politik schon in den 70er Jahrengescheitert ist. Karl Schiller hat Ihnen damals den Rük-ken gekehrt. Viele Ihrer Wähler vom 27. Septemberkehren Ihnen schon heute den Rücken.
Die Unternehmen in Deutschland seien nicht höherbelastet als die Unternehmen in vergleichbaren Ländern,hört man vom Bundesfinanzministerium und dieserBundesregierung immer wieder. Das Gegenteil ist rich-tig. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschungin Mannheim hat jüngsten Datums eine große Studieveröffentlicht, in der die Steuerlast der Unternehmenin fünf westlichen Industriestaaten über mehrere Jahrehinweg untersucht wurde. Das niederschmetternde Er-gebnis: Eine Kapitalgesellschaft zahlt in Deutschlandzwischen 10 Prozent und 38 Prozent mehr Steuern als inden USA, den Niederlanden und Großbritannien.
Es wurde die Steuerbelastung für eine typische mittel-ständische GmbH in fünf Ländern ermittelt. Bei identi-scher Ausgangslage beträgt die Steuerbelastung der Be-triebe in Großbritannien 14 Millionen DM, in den Nie-derlanden 16 Millionen DM, in den USA 20 MillionenDM, in Deutschland 23 Millionen DM und in Frankreich24 Millionen DM.Großbritannien und die Niederlande haben nicht nurdie niedrigste Gesamtbelastung, sondern auch die ein-fachsten Steuersysteme. Dagegen sind 60 Prozent derSteuerrechtsliteratur der Welt in deutscher Sprache ver-faßt. Da brauchen wir sicher nicht Weltmeister zu sein.
– Sie machen nachweisbar alles noch komplizierter! Dasist doch das Problem.
Das heißt doch, wir brauchen auch für die Unterneh-men und insbesondere für die mittelständische Wirt-schaft eine deutliche Nettoentlastung. Denn wo sollendenn sonst neue Arbeitsplätze entstehen?Sie sind also mit Ihrer Steuerreform nicht ein bißchenvom Weg abgekommen, nein, Ihr Weg führt in die ver-kehrte Richtung. Sie entlasten nicht Investitionen, son-dern Sie belasten sie. Sie begünstigen nicht das Entste-hen neuer Arbeitsplätze, sondern Sie verhindern dies.Nur bei den Finanzämtern werden Sie ein neues Be-schäftigungswunder auslösen, weil Sie das kompliziertedeutsche Steuerrecht noch komplizierter machen.Sie handeln nicht nur gegen die Interessen der Wirt-schaft und gegen die Hoffnung der Bürger auf neue Ar-Ministerpräsident Erwin Teufel
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2208 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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beitsplätze, sondern auch gegen den gesamten ökonomi-schen Sachverstand der Wissenschaft. Die Wissen-schaftler fordern schon für 1999, und zwar ohne Gegen-finanzierung, eine Steuerentlastung von 15 bis 20 Milli-arden DM.Nun zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnisssen: WasSie mit der Neuregelung der 630-Mark-Arbeitsver-hältnisse vorgelegt haben, ist wahrlich kein Meister-stück. Ihrem ersten Entwurf hat man die Verfassungs-widrigkeit schon aus 100 Meter Entfernung angesehen.Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat Ihnendurch ein Gutachten von Professor Kirchhof aus Tübin-gen in mehreren Punkten Verfassungswidrigkeit nach-gewiesen. Wir haben eine Klage vor dem Bundesverfas-sungsgericht angekündigt, falls Ihr Entwurf Gesetz wird.Daraufhin haben Sie Ihren Gesetzentwurf geflickt bzw.zumindest korrigiert.Aber es bleibt doch die Tatsache: Mit diesem Gesetzentfachen Sie einen neuen bürokratischen Aufwand beiden Arbeitnehmern, den Arbeitgebern, den Sozialversi-cherungsanstalten und den Finanzämtern. Sie werdendamit nur eines erreichen, nämlich weitere Beschäftigtemassiv in die Schwarzarbeit zu treiben.
Sie verringern die Zahl der Arbeitsplätze. Sie schadenden an dieser Beschäftigung interessierten Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern. Sie gefährden ganze Bran-chen – etwa den Handel, das Zeitungsgewerbe, dasHandwerk und den Hotel- und Gaststättenbereich.Schauen Sie sich einmal den Aufschrei und den ge-schlossenen Widerstand des gesamten Mittelstandes an.
Die vielen Kleinbetriebe sind leider nicht so stark, daßsie eine Audienz beim Bundeskanzler und ein Korrek-turversprechen erlangen, wie es einigen großen Bran-chen erfreulicherweise gelungen ist. Auch Ministerprä-sident Glogowski sagte: Dieses Gesetz treibt die Leuteeher in die Schwarzarbeit. Deshalb mein Appell anHerrn Glogowski und die SPD-Ministerpräsidenten:Lassen Sie morgen die Hände unten, wenn dieses Gesetzim Bundesrat zur Abstimmung steht.
Nun komme ich zur Ökosteuer. Mit der Ökosteuerwollen Sie durch eine Belastung von Bürgern und Un-ternehmen eine zusätzliche Steuerquelle erschließen.Der Begriff „ökologische Steuerreform“ ist eine Irrefüh-rung der Öffentlichkeit; denn mit Ökologie und Reformhat dieses Gesetzesvorhaben nichts zu tun. Es bringtschlicht eine Steuererhöhung mit sich, obwohl schonheute Deutschlands Energiesteuern mit 67 MilliardenDM deutlich höher sind als die Beschaffungskosten fürEnergie. Es gilt wieder einmal: Bürokratie und nochmalsBürokratie!Ich zitiere das „Handelsblatt“, das sich auf Aussagendes Bundesfinanzministeriums beruft: Im produzieren-den Gewerbe müßten rund 200 000 Erlaubnisse zumsteuerbegünstigten Bezug von Strom erteilt werden.Rund 130 000 Unternehmen und rund 5 500 Kraftwer-ken müsse die Mineralölsteuer auf Heizöl und Erdgasvergütet werden, und rund 30 000 Unternehmen müssedie Ökosteuer erstattet werden. – Es müssen also hun-derttausendfach Anträge gestellt und bearbeitet werden,und das trotz der ständigen Forderungen nach einerVerwaltungsvereinfachung.Meine Damen und Herren, Sie treiben auch die Preisein den Bereichen der Bahn und des Nahverkehrs in dieHöhe. Ist das ökologisch?
Schüler und Studenten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfän-ger und Rentner werden voll belastet, ohne daß sie vonder Absenkung der Sozialbeiträge profitieren. Ist diesdie neue soziale Gerechtigkeit?Meine Damen und Herren der Regierung und der Ko-alition, kehren Sie um!
Sie sind in einer Sackgasse, und wenn man in einerSackgasse ist, ist es das Beste, so früh wie möglich um-zukehren.
Ihr ideologischer Politikansatz ist gescheitert.
Gehen Sie bei Kurt Schumacher in die Lehre!
Ich zitiere ihn immer wieder mit dem Satz: Politik be-ginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.
Das ganze Chaos, das Sie schon in den ersten fünfMonaten bei nahezu jedem Vorhaben gestiftet haben,läßt sich auf einen Nenner bringen: Ihr Politikansatz istweder ökonomisch noch ökologisch; vielmehr ist erideologisch. Eine solche Politik kann nur scheitern.
Eine Politik, die die Wirklichkeit der globalen Märkteund den internationalen Wettbewerb ignoriert, eine Po-litik, die nicht zur Kenntnis nehmen will, welch enormeHerausforderungen sich daraus für Wirtschaft, Politikund Gesellschaft der drittgrößten Industrienation erge-ben, eine solche ideologisch angelegte Politik muß sichzwangsläufig gegen die Interessen der Bürgerinnen undBürger richten. Dafür haben Sie in Hessen bereits dieQuittung bekommen.Es ist doch nicht nur Herr Lafontaine gescheitert; sei-ne Politik ist gescheitert
und muß korrigiert werden.
Ministerpräsident Erwin Teufel
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Der Vorhang fiel, und alle Fragen blieben offen. Nochhat der Bundeskanzler eine große Chance für einenNeuanfang. Legen Sie eine Denkpause ein und legenSie ein neues Gesamtkonzept vor. Es muß doch dieGrundsatzfrage entschieden werden, ob die Nachfrage-politik, die zur Isolierung der Bundesrepublik in ganzEuropa geführt hat, fortgeschrieben werden soll oder obdie Angebotsbedingungen so verbessert werden, daß dieWirtschaft wieder Vertrauen fassen kann.
Es kann doch nicht so weitergehen, daß Sie einzelneBranchen mit 15 Milliarden oder 20 Milliarden DMmehr belasten und der Bundeskanzler dann mit einzel-nen Branchen Rabattverhandlungen führt und als Aus-putzer tätig wird. Wider den Wortlaut des Gesetzent-wurfs verspricht er Höchstbelastungsgrenzen, die nichtüberschritten werden dürfen, und er beruhigt, er tröstet,er verbreitet Hoffnung auf eine zukünftige Steuerreform– so wie auch der Bundeswirtschaftsminister vorhin –und fügt hinzu, daß er den Gesetzentwurf mit seinenschlimmen Belastungen leider nicht mehr ändern könne.Das ist doch eine Politik nach dem Motto: Jetzt mach'ich meinem Hund a Freud. Zuerst schlag ich ihn rum –und dann hör’ ich auf. Das ist die Politik der Bundes-regierung.
Der Bundeskanzler räumt handwerkliche Fehler ein.Das ist nicht nur eine Verniedlichung, sondern ganz undgar unzutreffend. Denn Handwerksmeister können er-stens rechnen, und Handwerksmeister legen zweitenseine Meisterleistung vor und keinen Murks. Ihr Flick-werk erinnert mich an die beiden Schustergesellen, diezu ihrem Meister sagen: „Meister, die Schuhe sindfertig. Sollen wir gleich mit dem Flicken anfangen?“
Flickschustern Sie nicht weiter, sondern bringen Sieendlich neue Schuhe! Machen Sie einen neuen Anfang!Nehmen Sie die Gesetze zur Steuerreform, zur Öko-steuer und zu 630-Mark-Arbeitsverhältnissen vom Tischdes Bundesrats. Wenn Sie es nicht tun, ist diese in jederHinsicht mißratene Reform nicht mehr das Werk La-fontaines, sondern Ausweis des Versagens des Bundes-kanzlers und das Werk Eichels, der ohne Mandat desWählers diesem schädlichen Gesetzentwurf durch seinUmfallen zu einer Mehrheit verhelfen will.
Herr Bundeswirtschaftsminister Müller, der Sie heuteauch als Finanzminister diese Politik Lafontaines ver-treten müssen, kennen Sie die Äußerungen Ihres öster-reichischen Kollegen? Ich zitiere aus der „Presse“ inWien nach einer dpa-Meldung – Überschrift: „Firmenfliehen vor rot-grünen Reformen“ –:Täglich gebe es bis zu 30 Anfragen aus Deutsch-land, ob man sich in Österreich ansiedeln könne.Das teilte Österreichs Wirtschaftsminister JohannesFarnleitner der Zeitung mit. Der Minister habe voneinem regelrechten Ansturm auf Firmenniederlas-sungen in Österreich berichtet, der vom Kurs derneuen deutschen Koalition ausgelöst worden sei.
Herr Kollege Müller, Sie äußern sich von allen Regie-rungsmitgliedern noch am vernünftigsten. Aber was tunSie denn ganz persönlich konkret als Wirtschaftsmi-nister gegen eine Politik, die solche Folgen hat?
Sie müßten doch derjenige sein, der vor Risiken undNebenwirkungen dieser Arznei warnt.
Meine Damen und Herren, das Innovationsklima inWirtschaft und Gesellschaft hatte sich in den letztenJahren spürbar gebessert. Die Bundesregierung ist draufund dran, dies alles wieder zunichte zu machen. Nichtdas Land, nicht die Leute, nicht die Wirtschaft, sonderndie Regierung ist das Problem, das wir haben.
Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas für die Zu-kunftschancen von Millionen Menschen!Im SPD-Programm zur Bundestagswahl 1998 standganz am Anfang: „Deutschland ist ein starkes Land.Aber es hat eine schwache Bundesregierung.“
Nach 140 Tagen Regierung Schröder steht fest: DieserSatz war noch nie so richtig wie heute. Deutschland istein starkes Land, aber es hat eine schwache Regierung.
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Herr Ministerpräsident Teufel, Sie habenrecht:
Sie haben mit dazu beigetragen, daß unser Land in denletzten anderthalb Jahrzehnten in eine Sackgasse geführtwurde.
Sie sind mit verantwortlich dafür, daß die Facharbeiterin Ihrem schönen Ländle in den letzten Jahren mit hohenSteuern und Abgaben belastet wurden, die leistungs-feindlich sind. Das liegt in Ihrer Verantwortung, HerrTeufel.
Ministerpräsident Erwin Teufel
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2210 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Sie tragen mit Verantwortung dafür, daß es eine Schief-lage gibt bei der Besteuerung der mittelständischenWirtschaft einerseits und der Großindustrie andererseits,das heißt, daß die Handwerksmeister in Ihrem Ländle imVerhältnis zu Daimler – die sich jetzt sogar noch be-schwert haben, obwohl sie für 1997 eine Körper-schaftsteuererstattung von 3,2 Milliarden DM bekom-men haben – so hoch besteuert werden. Das liegt in IhrerVerantwortung, und darüber müßten Sie eigentlichreden, wenn Sie hier schon das Wort nehmen.
Also: Beklagen Sie nicht die Folgen Ihrer Politik,Herr Ministerpräsident. Eigentlich haben Sie einen vielzu guten Ruf
– doch, gelegentlich sagt er schon einmal etwas Ver-nünftiges; heute war das nicht der Fall –, um solchekurzsichtigen und falschen Reden zu halten.
Wenn man von wahren Zahlen und Fakten ausgehenwill, Herr Ministerpräsident, Herr Wissmann, dannreicht ein Besuch bei der OECD in Paris, wie ihn derFinanzausschuß des Deutschen Bundestages gesterngemacht hat, um die Standort- und Steuerdebatte derWirtschaft und der Opposition als das zu entlarven, wassie ist: unsinnig und schädlich.
Dieses Ergebnis hat der gestrige Besuch des Finanzaus-schusses bei der OECD gebracht. Ich empfehle also Rei-sen zur OECD.Ich begrüße es auch, daß die gemeinsamen Vorbe-reitungen und Aktivitäten zum „Bündnis für Arbeit“Anlaß dazu bieten, die wahren Fakten und Zahlen überdie Bundesrepublik und ihre Stellung im internationalenWettbewerb aufzuzeigen. Das gilt nicht zuletzt für dasSteuerrecht im internationalen Vergleich. Ich werdeHerrn Wissmann, falls er von seiner Fraktion über dengestrigen Besuch bei der OECD nicht informiert wurde,die wesentlichen Ergebnisse einmal zufaxen.Die Experten der OECD haben gestern im Gesprächmit den Mitgliedern des Finanzausschusses unmißver-ständlich festgestellt: Erstens. Anlage und Konzeptionder Steuerreform von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,die zur Entlastung des Faktors Arbeit führen, sindrichtig.Zweitens. Die von uns begonnenen Maßnahmen zurVerbreiterung der Bemessungsgrundlage tragen demProzeß der Globalisierung Rechnung. Die hochrangigenExperten der OECD haben in diesem Zusammenhangausdrücklich genannt: die Einschränkung der Teilwert-abschreibung und das Wertaufholungsgebot, die Ab-zinsung bei Rückstellungen und die Begrenzung derAbziehbarkeit der Verluste, die im Ausland gemachtwerden.Die OECD hat eine Statistik vorgelegt, die hier heuteschon zitiert wurde. Danach hat die BundesrepublikDeutschland mit 8 Prozent die weitaus niedrigste Effek-tivbelastung in der gesamten OECD. Darüber liegen dieNiederlande mit 22 Prozent, die Vereinigten Staaten mit24 Prozent; United Kingdom liegt bei 49 Prozent Effek-tivbelastung. Das sind die Zahlen und Fakten, dieGrundlage unserer Steuerpolitik sind, und nicht ideolo-gische Erkenntnisse.
Die Koalition von SPD und Grünen ist also nach demUrteil der OECD auf dem richtigen Weg;
denn sie bestätigt: Die Bemessungsgrundlage ist inDeutschland sehr schmal, im EU-Vergleich extremschmal. Unternehmen haben in Deutschland in hohemMaße die Möglichkeit, ihre Erträge in den Bilanzen zuverstecken. Sie können hohe stille Reserven bilden unddamit die Steuern geringhalten. Deutsche Unternehmenschreiben doppelt soviel ab wie amerikanische Unter-nehmen. Die Besonderheiten des deutschen Bilanz- undSteuerrechts haben historische Gründe.
Herr Kollege Poß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Ja, bitte.
Herr Poß, ich war an der
gestrigen Sitzung ebenfalls beteiligt. Die grundlegende
Einschätzung, die Sie hier vorgetragen haben, stimmt si-
cherlich. Einige Punkte müßte man vielleicht etwas kor-
rigieren. Meine Frage: Wenn diese Einschätzung der
OECD stimmt, warum diskutieren Sie dann jetzt hier
weiter über eine Unternehmensteuerreform, die eine
pauschale Senkung des Satzes auf 35 Prozent vor-
sieht? Das ist mir noch nicht ersichtlich. Vor allem wis-
sen wir nicht, inwieweit da die Gewerbeertragsteuer und
der Solizuschlag enthalten sind. Sind sie nicht enthalten,
würde das im Klartext heißen, daß die Unternehmen-
steuer noch weiter sinkt. Sie ist bereits niedrig. Dazu
kommt: Was wird, wenn Sie es rechtsformunabhängig
machen wollen, mit den Spitzensteuersätzen, mit den
Einkommensteuersätzen insgesamt?
Frau Kollegin Höll, Sie konn-ten bei der gestrigen Diskussion doch folgendes zurKenntnis nehmen – ich kann ja nicht alles zitieren –:Wir haben hohe Sätze; damit liegen wir an der Spitze.Das kann Investoren abschrecken. Wir haben aber auchdie niedrigste faktische Belastung. Unsere Aufgabe ist,die Sätze zu senken
Joachim Poß
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und die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Das wol-len wir konsequent tun, Frau Kollegin Höll.
Die deutschen Unternehmen wollen dieses neue Bi-lanz- und Steuerrecht nicht. Sie fordern niedrige Steuer-sätze. Diese können sie aber nur bekommen, wenn wirdie Bemessungsgrundlage verbreitern. Niedrige Steuer-sätze und schmale Bemessungsgrundlage schließen sichaus.
Beides gleichzeitig ist ungerecht und nicht zu finan-zieren.
Deswegen machen wir eine Steuerreform, auch eineUnternehmensteuerreform, bei der die Bemessungs-grundlage verbreitert und die Gewinnermittlung objekti-viert wird. Daher sind zum Beispiel die hohen Rück-stellungen, die Unternehmen in anderen Ländern nichtbilden können, zurückzuführen.
Herr Kollege Poß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Fromme?
Bitte schön.
Herr Kolle-
ge Poß, wollten Sie mit Ihrer Antwort auf die Frage der
Kollegin Höll zum Ausdruck bringen, daß Sie keine
Steuersenkung für Unternehmen wollen?
Herr Kollege Fromme, die
Diskussion leidet in der Tat ein wenig an begrifflichen
Unschärfen. Manchmal wird man auch Opfer der eige-
nen begrifflichen Unschärfe. Ich habe vorhin gesagt:
Wir müssen die Steuersätze senken. Das ist über Jahre
die gemeinsame Auffassung dieses Parlaments gewesen.
Wir wollen Steuersatzsenkungen und die Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage. Das heißt aber, daß wir – ich
jedenfalls vermag ihn nicht zu erkennen – finanzpoliti-
schen Spielraum für eine Effektiventlastung wahr-
scheinlich nur in einem sehr geringen Umfang haben.
Aber das ist nicht so sehr das Problem. Das Problem
sind – siehe OECD-Zahlen – die hohen Steuersätze ei-
nerseits und die geringe Effektivbelastung andererseits.
Beides müssen wir zusammenführen. Eigentlich müßten
Sie bei dieser Operation mitmachen.
Es besteht der
Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, Herr Kol-
lege Poß.
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kolle-
ge Poß, können Sie mir dann erklären, warum der Bun-
deswirtschaftsminister und Vertreter Ihrer Koalition ge-
genüber der Wirtschaft ständig den Eindruck erwecken,
daß die Steuern in der Summe gesenkt werden sollen?
Der Bundeswirtschaftsminister
hat auch in der heutigen Sitzung nichts anderes gesagt
als das, was ich hier ausgeführt habe. Wir haben hohe
Steuersätze und müssen diese herunterfahren. Der Bun-
deswirtschaftsminister hat auch in den letzten Debatten
darauf hingewiesen, daß wir großzügige Rückstellungs-
möglichkeiten und anderes mehr haben und daß es dar-
um geht, beides zusammenzuführen. Ich jedenfalls ver-
mag weder heute noch im Zusammenhang mit den letz-
ten Sitzungen einen Unterschied zwischen den Äuße-
rungen des Bundeswirtschaftsministers und meinen zu
erkennen. In der öffentlichen Diskussion wird oft nicht
zwischen der Senkung von Steuersätzen und der Sen-
kung der Steuerlast insgesamt unterschieden. Das müs-
sen wir begrifflich auseinanderhalten.
Im übrigen, der Bundeswirtschaftsminister und ich
stimmen in der Analyse überein, daß die Schieflage bei
der Belastung der Wirtschaft, die daran deutlich wird,
daß ein Handwerksmeister relativ hoch belastet wird,
während Daimler-Chrysler alle Möglichkeiten hat, sich
der Besteuerung zu entziehen, eine Erblast der Regie-
rung Kohl und kein aktuelles Problem der Steuerbe-
schlüsse dieser Koalition ist.
Herr Kollege Poß,
es liegen noch zwei Wünsche nach Zwischenfragen vor.
Bitte, ich stehe zur Verfügung.
Bitte schön, Herr
Kollege Hauser.
Herr Kollege Poß, Sie sprechen wiederholt die FirmaDaimler-Chrysler an. Ich will nicht weiter auf das The-ma Verlustvortrag zu sprechen kommen, sondern auf ei-ne Äußerung Ihres Kollegen, des ParlamentarischenStaatssekretärs Mosdorf. Er sagt zum Brief von Daim-Joachim Poß
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2212 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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ler-Chrysler, man müsse die Kritik von Daimler-Chrysler ernst nehmen. Er stellt fest, die Besteuerungder Schachteldividenden ist ein eklatanter Fehler; siewird auch im internationalen Vergleich so nicht vorge-nommen. Wir haben darüber im Ausschuß sehr ernsthaftdiskutiert. Ich frage Sie deshalb, ob Sie die ÄußerungIhres Kollegen Mosdorf für richtig halten, der sagt, manmuß in diesem Punkt – im Rahmen der von Ihnen ge-planten Unternehmensteuerreform – eine Korrektur an-bringen, das heißt, die Besteuerung der Schachteldivi-denden wieder zurücknehmen. Sind Sie der gleichenMeinung? Als ich Herrn Mosdorf diese Frage gestellthabe, hat er mich an Sie verwiesen. Er hat mir gesagt, erkönne das nicht beantworten, nur Sie könnten das.
Herr Hauser, natürlich gibt es
in der Beurteilung einzelner Maßnahmen unterschiedli-
che Meinungen in dieser Regierung oder Koalition – ge-
nauso, wie das in Ihrer Partei der Fall ist. Wir werden
das im einzelnen sorgfältig diskutieren. Ich kenne die
Äußerung des Kollegen nicht; ich habe sie heute noch
nicht zur Kenntnis nehmen können. Wir werden im Zu-
sammenhang mit der Unternehmensteuerreform noch
viele Probleme in aller Ruhe, wie auch der Bundeswirt-
schaftsminister ausgeführt hat, diskutieren. Dies wird
dann eines von vielen sein.
Herr Kollege Daut-
zenberg, bitte schön.
Herr Kollege Poß,
wenn Sie schon die Zusammenstellung der OECD von
gestern zitieren, würden Sie dann bitte zumindest der
Vollständigkeit halber, damit Sie nicht der selektiven
Wahrnehmung nur einzelner Aussagen erliegen, zur
Kenntnis geben, daß sich diese Statistik über die Ge-
samtbelastung der Unternehmen ausschließlich auf
Kapitalgesellschaften und eben nicht auf natürliche
Personen und Personengesellschaften bezieht, die 80 bis
85 Prozent unserer gesamten Unternehmen ausmachen
und die, weil sie Einkommensteuer bezahlen, in diese
Betrachtung gar nicht einbezogen sind?
Ich habe nichts anderes gesagt
und auch nicht versucht, einen anderen Eindruck zu er-
wecken.
– Herr Kollege Michelbach, Sie waren doch gar nicht
dabei. Sie sollten gelegentlich einmal an sich halten und
zuhören. Wir haben das gestern sehr sachlich und ge-
meinschaftlich bei der OECD diskutiert. Es ist richtig,
das bezieht sich auf Kapitalgesellschaften, also auf Ak-
tiengesellschaften und GmbHs, aber eben auch – inso-
weit zu Ihrer Nachfrage, Herr Kollege – auf GmbH &
Co. KGs. Wenn wir in Italien eine Spitzenbelastung von
75 Prozent bzw. in England von 49 Prozent haben und
Deutschland in diesem Bereich mit einer Effektivbela-
stung von 8 Prozent ausgewiesen wird, dann ist doch
evident, daß Ihr Propagandagerede überhaupt nicht trägt.
Eine weitere Zwi-
schenfrage.
Herr Kollege Poß,
wenn das so zutreffen sollte, wenn das also die beste
Grundlage für Investitionen in Deutschland wäre, dann
müßten Sie doch Überlegungen anstellen, den Zufluß
von Investitionskapital aus dem Ausland zu begrenzen.
Herr Kollege Dautzenberg,
nachdem wir gestern so sachlich diskutiert haben, soll-
ten Sie jetzt nicht versuchen, den Problemen mit Pole-
mik zu begegnen. Es bleibt bei der Grundlinie, die ich
dargestellt habe, die richtig ist und die für unsere Unter-
nehmen auch notwendig ist. Wenn wir über den interna-
tionalen Wettbewerb sprechen, dann sprechen wir eben
in erster Linie über Aktiengesellschaften und GmbHs
und nicht über Personengesellschaften. Ich weiß also gar
nicht, was das soll, mir das vorzuwerfen. Wir haben
über internationale Wettbewerbsfähigkeit gesprochen.
Also machen wir Regeln für die internationale Wettbe-
werbsfähigkeit. Das gilt auch für das Steuerrecht.
Herr Kollege
Schindler, bitte schön.
Herr Kollege Poß,
ich war gestern bei der Diskussion dabei. Jetzt will ich
noch einmal bei dem nachkarten, was Kollege Dautzen-
berg sagte. Sie haben vorhin ausgeführt, es seien 8 Pro-
zent Steuerbelastung in Deutschland – so die Aussage
der OECD – und 49 Prozent im United Kingdom. Glau-
ben Sie diesen Zahlen der OECD? Mir sind mittlerweile
andere Zahlen bekannt. Lassen Sie im Bundesministeri-
um der Finanzen einmal nachfragen, ob diese Zahlen im
internationalen Vergleich überhaupt fair dargestellt sind.
Herr Kollege, ich habe, ummich zu vergewissern, diese Frage heute schriftlich andas Bundesfinanzministerium gerichtet. Ich bin dafür,daß wir in der Tat alle Quellen der Erkenntnis ausschöp-fen. Aber selbst wenn die Zahl von 8 Prozent nichtstimmen sollte und es in Wirklichkeit 16 Prozent wären,ändert das nichts am Ergebnis. Übrigens sind das nichtnur die Zahlen von der OECD. Wir haben die WeltbankHansgeorg Hauser
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und andere Quellen, die sagen: In der effektiven Steuer-belastung liegen wir im weltweiten Vergleich unten.Herr Kollege, Sie können reden, was Sie wollen: Das istdas Ergebnis.
Eine weitere Zwi-
schenfrage?
Ja, natürlich.
Ich bin Ihnen
dankbar, daß auch Sie in diesem Zweifel sind, den ich
hinsichtlich dieser Aussage seit gestern mittag selbst
habe. Danke schön.
Nein, Herr Kollege – jetzt
müssen Sie auch stehenbleiben –, ich bin überhaupt
nicht im Zweifel. Ich will nur ganz sichergehen, weil ich
immer wissen will, worüber ich rede. Das unterscheidet
mich womöglich von einigen in diesem Hause.
– Keine Zwischenfragen mehr? Das enttäuscht mich ein
wenig, meine Damen und Herren von der Opposition.
Wir haben in den letzten Wochen den medienwirk-
samen Widerstand zweier großer Branchen gegen die
Besteuerung ihrer sehr hohen Rückstellungen nach
dem Steuerreformpaket erlebt. Unternehmen, die in der
Vergangenheit in der Lage waren, riesige Rückstellun-
gen steuerfrei anzusammeln, haben mit falschen Zahlen,
Horrormeldungen und Abwanderungsdrohungen ver-
sucht, die Öffentlichkeit zu verängstigen. Ich kann mich
des Eindrucks nicht erwehren, daß die Vorstände dieser
Unternehmen wenig Vorstellung davon hatten, wovon
sie redeten oder worüber sie lamentierten. Sie sind die
wahren Besitzstands- und Privilegienverteidiger. Insbe-
sondere waren sie sich angesichts der geringen Steuer-
zahlungen in der Vergangenheit offensichtlich nicht klar
darüber, welche steuerlichen Vergünstigungen sie bei ih-
ren Rückstellungen erhalten hatten. Auch die Regierung
Kohl hatte dies eingesehen und begonnen, dagegen an-
zugehen. Jetzt sind den Unternehmen von der jetzigen
Bundesregierung Fristen von bis zu zehn Jahren einge-
räumt worden, damit sie sich auf eine Besteuerung ein-
stellen können, die man vielleicht als normal bezeichnen
kann.
Wir haben gestern bei der OECD in Paris erfahren –
das finde ich richtig und wichtig –, daß es verantwor-
tungslos ist, wenn kein gutes Haar am Standort
Deutschland gelassen wird. Dieser Produktionsstandort
ist attraktiv.
Zur Attraktivität zählt nicht nur die Besteuerung, son-
dern zählen alle wirtschaftlichen und sozialen Voraus-
setzungen für die Produktion. Dazu gehören eine gute
Infrastruktur, eine gute Ausbildung der Arbeitnehmer
und sozialer Friede. Die Zuspitzung der Diskussion auf
die Besteuerung der Industrie ist einäugig und eindi-
mensional. Selbstverständlich beeinflußt das Steuersy-
stem die Produktionsbedingungen in Deutschland, wie
wir alle wissen. Aber mit der Steuerpolitik allein läßt
sich hohe Arbeitslosigkeit eben nicht beseitigen. Daß
man das kann, ist ebenfalls eine Legende, die unsere
Vorgängerregierung gebildet hat. Die Steuerreform ist
keine Jobmaschine. Sie kann zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit nur einen Beitrag leisten.
Wer Finanzpolitik betreibt, darf die Haushaltspolitik
nicht vernachlässigen. Man kann die Steuersätze nur
verringern, wenn dadurch keine unvertretbaren Lücken
im Haushalt entstehen. Eine Senkung der Steuersätze
auf Pump verlagert die Lasten auf nachfolgende Gene-
rationen und ist unverantwortlich.
Eine Senkung der Steuersätze, die dazu führt, daß
notwendige Aufgaben des Staates nicht mehr wahrge-
nommen werden können, ist auch ungerecht. Der Staat
hat Aufgaben im Interesse der Wirtschaft, aber auch
zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu erledigen,
Aufgaben, die notwendig sind und auch bei größten
Sparanstrengungen nicht einfach zurückgeführt und ver-
nachlässigt werden können. Eine Vernachlässigung sol-
cher staatlichen Aufgaben geht zum Beispiel zu Lasten
der Arbeitnehmer, Familien, Arbeitslosen und anderer
Gruppen der Bevölkerung. Eine Senkung der Steuersät-
ze für Unternehmen mit solchen Auswirkungen kann
von uns nicht akzeptiert werden, übrigens, Herr Teufel,
auch nicht im Interesse der gewerblichen Wirtschaft
vor Ort. Wenn die Kommunen nicht mehr investitions-
fähig sind, dann leiden darunter die kleinen und mittle-
ren Betriebe sowie die Arbeitnehmer, die dort beschäf-
tigt sind. Das ist die ökonomische Realität, mit der wir
uns auseinandersetzen müssen.
Ich habe mich gefreut, heute hier ein paar Zahlen, die
für einige von Ihnen vielleicht etwas überraschend wa-
ren, zu präsentieren. Es hat mir Spaß gemacht. Ich hoffe,
Ihnen auch.
Eine Bemerkung möchte ich noch an den grünen
Bündnispartner richten: Herr Kollege Schulz, der Bun-
deskanzler hat von dieser Stelle aus ein klares Wort zur
Energiepolitik und auch zur Braun- und Steinkohle ge-
sagt. Daran ändert sich für die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion nichts. Die Bergleute können sich
auf die Sozialdemokraten hier im deutschen Parlament
verlassen.
Ich gebe dem Ab-geordneten Gunnar Uldall für die CDU/CSU-Fraktiondas Wort.Joachim Poß
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2214 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Unter dem vielen, was Herr KollegePoß gesagt hat, ist sicherlich ein richtiger Gedanke ge-wesen:
Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage muß im-mer im Zusammenhang mit der Senkung der Steuersätzegesehen werden. Aber genau das tun Sie nicht, HerrPoß. Sie verbreitern die Bemessungsgrundlage, ohne dieSteuersätze zu reduzieren.
Dies nennt man auf deutsch schlichtweg Steuererhö-hung.Nachdem die Sozialdemokraten die Bemessungs-grundlage verbreitert haben, versprechen sie jetzt vage,die Steuern in der Zukunft zu senken. Sie sagen: Ir-gendwann wird es eine Senkung der Steuersätze geben.Herr Poß, die Amerikaner haben einen Spruch, der lau-tet: „Buy now, pay later.“ Übersetzt: „Kauf jetzt, zahlespäter.“ Sie drehen diesen Spruch um, indem Sie sagen:Zahle heute, und wir sagen dir später, was wir dir dafürliefern werden. – So darf man Finanzpolitik nicht betrei-ben, Herr Poß.
Wirtschaftsminister Müller hat dargestellt, daß er imLaufe der Beratungen über das Steuergesetz mehrfachunterschiedliche Berechnungen angestellt hat und mehr-fach seine Haltung von Zustimmung in Ablehnung undvon Ablehnung in Zustimmung geändert hat. Das kriti-siere ich überhaupt nicht. Es gehört zu einer Beratung,daß man weitere Erkenntnisse gewinnt.Was ich Ihnen aber vorwerfe, Herr Minister, ist, daßSie dieses Gesetz verabschiedet haben, ohne sich end-gültig darüber im klaren zu sein, welche Folgen es ha-ben wird. Das darf man nicht machen.
Durch eine Politik, die da heißt: „Wenn sich später ir-gendwelche negativen Effekte ergeben, werden wir eineNachbesserung vornehmen“, gefährden Sie Tausendevon Existenzen in Deutschland. Man muß deswegensehr vorsichtig mit dem sein, was man in ein Gesetzschreibt.
Das, was Sie gemacht haben, Herr Müller, war falsch.
Herr Poß und Herr Müller haben davon gesprochen,daß eine Entlastung notwendig ist. Ich glaube, demstimmen wir alle zu; darüber sind wir uns einig. Vagefür die Zukunft versprochen ist nach den jetzigen Papie-ren eine Senkung der Steuern im Jahre 2002 – zufälligim Wahljahr – um 20 Milliarden DM. Gleichzeitig abersteigt bis zum Jahr 2002 das jährliche Steueraufkommenum 110 Milliarden DM. Das heißt: Sie senken die Steu-ern gar nicht, sondern nehmen eine Erhöhung nur nichtin dem Maße vor, wie Sie es sonst getan hätten. Von110 Milliarden DM Mehreinnahmen verbleiben 90 Mil-liarden DM beim Staat, und 20 Milliarden DM gebenSie als Steuerermäßigung zurück. Das, meine Damenund Herren, ist keine Steuersenkung, sondern lediglicheine geringere Mehrbelastung. Es bleibt nach wie vorbei einer satten Steuermehrbelastung für die Bürger.Die negativen Folgen einer solchen Politik, mit einemHin und Her und mit vagen Versprechungen für die Zu-kunft, ohne zu sagen, was in der Zukunft tatsächlichpassieren wird, sind für jedermann erkennbar. Wir habenim vergangenen Jahr in Deutschland ein Wachstum von2,8 Prozent verzeichnet. Herr Ministerpräsident Teufelhat dies vorhin dargelegt und hinzugefügt, daß dasWachstum in Baden-Württemberg 4,1 Prozent betragenhat. Herr Ministerpräsident, herzlichen Glückwunsch fürdiesen großartigen Erfolg!
Wovon man hätte ausgehen müssen, ist, daß dieseRegierung nicht nur ein Wachstum von 2,8 Prozent er-reicht, sondern eines noch darüber hinaus. Die deutscheWirtschaft befand sich schließlich auf dem Weg nachoben. Insofern hätten aus diesen 2,8 Prozent auch3,5 oder 4,0 Prozent, vielleicht sogar die 4,1 Prozent vonBaden-Württemberg werden müssen. Aber die Regie-rung selbst glaubt schon nicht mehr an solche Werte undhat im Jahreswirtschaftsbericht gerade einmal einWachstum von 2,0 Prozent angesetzt.Wenn man der Meinung der Forschungsinstitute folgt– sie sagen wahrscheinlich die bittere Wahrheit –, dannwerden die Ist-Ergebnisse noch darunter liegen.
Das DIW, wirklich kein der CDU oder der F.D.P. nahe-stehendes Institut, rechnet mit 1,4 Prozent, der DeutscheIndustrie- und Handelstag mit 1,5 Prozent und das In-stitut für Weltwirtschaft in Kiel mit 1,6 Prozent. Allediese Werte liegen deutlich unter dem Wert der Regie-rung in ihrer Prognose für dieses Jahr.Das Schlimme daran ist aber, meine Damen und Her-ren, daß mit dieser Wachstumserwartung der Regierungnie die Schwelle zur Einstellung neuer Mitarbeiter inden Unternehmen überschritten werden wird. Deswegenwerden wir bedauerlicherweise erleben, daß statt einesweiteren Aufbaus von Beschäftigung und einer weiterenAbnahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland besten-falls eine Stagnation auf dem Arbeitsmarkt eintritt,wahrscheinlich sogar eine weitere Erhöhung der Zahlder Arbeitslosen.
Entsprechend schlecht ist auch die Stimmung in derWirtschaft insgesamt. Das ist von vielen Rednern aus-führlich dargelegt worden. Deswegen möchte ich diesnicht wiederholen.Ich will aber darauf hinweisen, daß es auch Freudeüber diese Entwicklung gibt, aber leider nicht inDeutschland. Kürzlich hat die „FAZ“ berichtet, daß dieVerwaltungs- und Privatbank AG in Liechtenstein neben
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ihrer ohnehin schon sehr satten Dividende eine Sonder-dividende in Höhe von 4 Franken ausschütten möchte.Diese Sonderdividende bezeichnet sie als „Lafontaine-Effekt“, weil auf Grund der falschen Wirtschafts- undFinanzpolitik so viel Geld aus Deutschland abgeflossensei, daß eine Erhöhung der Dividende vorgenommenwerden könne. – Dies muß uns zum Nachdenken anre-gen und uns zeigen, daß wir diesen Weg so auf keinenFall weitergehen können.Eines ist klar: Wenn alle am öffentlichen Meinungs-bild in Deutschland Beteiligten – die Unternehmen, dieGewerkschaften, die Medien und auch das Ausland – dieWirtschaftspolitik dieser Regierung in höchstem Maßegelobt hätten, dann wäre Oskar Lafontaine natürlichnicht zurückgetreten. Insofern mögen die personellenQuerelen in der Bundesregierung wohl der Anlaß fürden Rücktritt gewesen sein. Die Ursache hierfür waraber die fehlgeschlagene Politik. Dabei hat Lafontainenur das getan, was in den Parteiprogrammen und in derKoalitionsvereinbarung steht. Er tat das alles unter derRichtlinienkompetenz des Kanzlers.Wir können festhalten: Gescheitert ist nicht ein ein-zelner Minister, sondern die Wirtschafts- und Finanzpo-litik der gesamten Regierung. Der Verantwortliche fürdieses Chaos ist nach wie vor im Amt. Er heißt Bundes-kanzler Schröder.
Meine Damen und Herren, wir müssen leider erken-nen, daß die notwendigen zukunftsweisenden Konse-quenzen von der Regierung im Jahreswirtschaftsberichtnicht gezogen worden sind. Die rotgrüne Koalitionnimmt immer andere in die Pflicht. Für diejenigen Pro-bleme, für die sie eigentlich selbst zuständig ist, wirdimmer irgend jemand anderes in die Verantwortung ge-nommen. So soll zum Beispiel das „Bündnis für Arbeit“Arbeitsplätze schaffen. Die Europäische Zentralbank sollüber Zinssenkungen die Nachfrage beleben. Eine neue,noch unbekannte Institution soll über eine Währungs-koordination außenwirtschaftliche Gefahren abwenden,und die EU soll die Beschäftigungspolitik vorantreiben.Dahinter steht Methode: Man will immer einen ande-ren Schuldigen schon parat haben, wenn sich die Politikder Bundesregierung als gescheitert herausgestellt hat.Wenn man schon nach einem Schuldigen sucht, bevorman mit dem Regieren überhaupt richtig begonnen hat,dann ist das ein Zeichen dafür, daß man selber keinVertrauen in seine politischen Maßnahmen hat.
Ich kann nur sagen: Die letzte Gelegenheit, um dieKonsequenzen aus dieser gescheiterten Politik zu zie-hen, ist die Abstimmung morgen im Bundesrat. Deswe-gen lautet mein Appell: Stimmen Sie, die Ministerpräsi-denten, die der Sozialdemokratischen Partei angehören,diesen verworrenen Gesetzen nicht zu! Tun Sie etwasfür die Konjunktur, tun Sie etwas für die Arbeitsplätzein Deutschland!
Das Wort für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Mar-gareta Wolf.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damenund Herren! Herr Uldall, Sie unterliegen einem grund-sätzlichen Mißverständnis. Sie haben gerade gesagt, wirnähmen immer andere in die Haftung. Ein Beispiel dafürist für Sie das „Bündnis für Arbeit“. Das „Bündnis fürArbeit“ ist Ausdruck einer von einer breiten gesell-schaftlichen Schicht getragenen Verantwortungsdemo-kratie. In anderen Ländern, wie in den Niederlanden, istman damit sehr gut gefahren. Ihr „Bündnis für Arbeit“ist gescheitert, weil Sie den Dialog mit der Wirtschaftund mit den Gewerkschaften nicht mehr gesucht haben.Wir wagen explizit einen Neuanfang.
Verehrter Herr Ministerpräsident, ich habe Sie in Indo-nesien als einen Mann des Stils und der Redlichkeit er-lebt. Als ich heute Ihre Rede gehört habe, habe ich mirgedacht: Vielleicht wäre es besser gewesen, Sie hättendiese Rede im Juni oder im August letzten Jahres in die-sem Hause gehalten. Um der Redlichkeit Genüge zu tun,hätten Sie sagen müssen, daß wir vor vier Monaten dieRegierung mit einem Höchststand an Arbeitslosigkeit, miteinem Höchststand an Abgaben auf Arbeit, mit einemHöchststand an Staatsverschuldung und mit einer immen-sen Investitionszurückhaltung, die es damals auch imLand Baden-Württemberg gab, übernommen haben.
Wenn es Ihnen um die Redlichkeit gegangen wäre, dannhätten Sie als Vertreter der Christlich DemokratischenUnion auch etwas dazu sagen müssen, wie die Lage derFamilien war. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsist für Ihre Regierung eine schallende Ohrfeige.
Das hier ständig inkriminierte Steuerentlastungsge-setz, das morgen den Bundesrat passieren wird, hat aufjeden Fall eine Wirkung, die auch Sie positiv findenmüßten – es wäre schön gewesen, wenn Sie es erwähnthätten –: Es entlastet die Privathaushalte und die Fami-lien um 2,5 Milliarden DM.
Sie reden immer nur über eine Entlastung bei der Wirt-schaft. Man kann es nun wirklich nachlesen, wie diePrivathaushalte entlastet werden.
Noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Brüderle: Siehaben vorhin dem Wirtschaftsminister der Koalitionvorgeworfen – –
Gunnar Uldall
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2216 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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– Wissen Sie, daß ich Sie schon einmal gefragt habe, obSie keinen Friseur haben, der mit Ihnen redet? Sie quat-schen den ganzen Tag dazwischen. Sagen Sie hier docheinmal etwas wirklich Konstruktives!
Herr Brüderle, Sie haben vorhin gesagt, die Leitliniender Wirtschaftspolitik seien falsch. Wir debattierenheute über den ersten Jahreswirtschaftsbericht der rot-grünen Bundesregierung. Jetzt nenne ich Ihnen einmalein paar Leitlinien dieses Jahreswirtschaftsberichtes undmöchte von Ihnen wissen, ob diese Leitlinien falschsind. Diese sind nämlich nicht falsch.
Frau Kollegin Wolf,
gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage? – Bitte schön.
Frau Kollegin Wolf,
ich habe einen Friseur, mit dem ich sprechen kann.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das ist schön für Sie!
Ich möchte Ihnenaber eine Frage stellen, da Sie das Familienurteil ausKarlsruhe angesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, daßder Steuerbescheid der Beschwerdeführer auf das Jahr1983 zurückgeht? Das war gerade ein Jahr nach demdamaligen Regierungswechsel. Von den Beschwerde-führern wurde in Karlsruhe ein Steuertatbestand beklagt,der noch in die Regierungszeit der SPD zurückreichte.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das Bun-desverfassungsgericht hat in seinem Urteil durchaus dieBelastung der Familien durch die Politik der letzten16 Jahre beurteilt. Wenn wir uns hier immer wieder nurvorhalten, daß der eine dies und der andere das gemachthabe, aber nie eine Lösung suchen, dann kommen wirnicht weiter.
Nein, es geht um die Politik, die Sie in den letzten 16Jahren gemacht haben.
Herr Kollege Brüderle, man sollte in diesem Parla-ment tatsächlich kommunizieren. Auf Ihre Vorwürfe ge-gen den Jahreswirtschaftsbericht sage ich Ihnen, wasdort wirklich steht:Erstens steht da:Moderne Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, dieRahmenbedingungen für wirtschaftliche Dynamikund Beschäftigung zu verbessern.Das ist richtig.Zweitens steht da:Dem Bedürfnis der Menschen nach sozialer Ge-rechtigkeit muß wieder Geltung verschafft werden.Das ist ein ganz wichtiger Punkt vor dem Hintergrundder Debatte um die Gerechtigkeitslücke.Drittens steht da:Deutschland muß offen für Innovationen und at-traktiv für Investoren sein, um im internationalenWettbewerb leistungsfähig zu bleiben.Die Sachverständigen schreiben seit Jahren, daß wir hiererhebliche Defizite haben; ergo ist auch dieses richtig.Viertens steht da:Die ökologische Erneuerung muß vorangetriebenwerden.Sie können nicht negieren, daß auch das richtig ist.Weiter steht da:Die Rolle des Staates muß neu definiert werden.So geht es weiter. Sie haben es leider versäumt, den Be-richt zu lesen.
– Entschuldigen Sie, es ist doch ein Gebot der intellek-tuellen Redlichkeit, wenn man einen diskursiven Poli-tikstil pflegen will, nicht zu sagen, das sei alles Maku-latur oder falsch. Es ist schlicht nicht falsch. Man kannsich hinterher durchaus über die Instrumente streiten.
Aber, Herr Kollege Brüderle, das Ziel der rotgrünenBundesregierung ist eine Wirtschaftspolitik, die nichtBesitzstandswahrung und Egoismus befördert, sondernSolidarität und Eigenverantwortung. Ich bin der Mei-nung, daß der Jahreswirtschaftsbericht keine der tat-sächlich sehr schwierigen Herausforderungen, vor denenPolitik steht, ausblendet. Wir haben es mit hoher Ar-beitslosigkeit und dem Problem zu tun, daß die sozialenSicherungssysteme nicht mehr das Vertrauen bei derBevölkerung haben und ihre Finanzierung in Fragesteht. Wir haben es tatsächlich auch mit einem ange-nommenen maximalen Wirtschaftswachstum von 2 Pro-zent im Jahr 1999 zu tun.
– Seien Sie so freundlich – ich bin eine Frau, Sie sindein Mann –: Halten Sie einmal für fünf Minuten denMund.
Uns geht es darum, die Verbesserung der Angebots-bedingungen mit einem Zugewinn an Sicherheit undTeilhabe für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerzu verknüpfen. Unsere Wirtschaftspolitik sieht sich derBürgergesellschaft verpflichtet. Wir wollen die Rah-Margareta Wolf
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2217
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menbedingungen für mehr Freiheit und Eigenverant-wortung in diesem Lande verbessern. Wir wollen eineBrücke zwischen Kapital und Arbeit bauen.
– Das ist überhaupt kein Blabla!
– Wie heißen Sie überhaupt, sehr verehrter Herr Kolle-ge?
Sie sind wirklich unmöglich.Die Wirtschaftspolitik der letzten 16 Jahre, meineverehrten Kolleginnen und Kollegen, und auch die Poli-tik der 80er Jahre in Frankreich sind für uns Appell ge-nug, um uns auf eine intelligente Mischung von Ange-bots- und Nachfragepolitik zu verständigen. Die Erfah-rungen mit Ihrer Regierung, aber auch die Erfahrungenin Frankreich sind Anlaß genug, um endlich aus denGräben herauszukommen und im Interesse von wirt-schaftlichen strukturellen Reformen tatsächlich einPolicy-Mix in diesem Land zu machen.
Ich sprach schon davon: Wir verfolgen einen dialog-orientierten und verantwortungsorientierten Politikan-satz, Herr Kollege Uldall. Dafür steht das „Bündnis fürArbeit“. Es ist für mich – so verstehe ich es – ein Ort, andem abgeklärt wird: Wer hat welche Pflichten? Werübernimmt welche Aufgaben? Es ist auch ein Ort desGebens und Nehmens. Es ist ein Ort, an dem der Struk-turwandel in Deutschland besprochen werden kann.Uns geht es um die Erneuerung der sozialen Markt-wirtschaft. Aber wir wollen dies nicht durch Spaltungder Gesellschaft und zu Lasten künftiger Generationenerreichen. Uns geht es auch um die wirtschaftliche Kon-kurrenzfähigkeit. Dies steht alles auf einem Niveau undhat gleichwertigen Charakter.Ich möchte noch kurz auf den BDI zu sprechenkommen.
Frau Kollegin Wolf,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Nein, jetzt gestatte ich keine Zwischen-
frage, weil ich jetzt erst einmal auf den BDI zu sprechen
kommen möchte.
Der BDI hat in den letzten Jahren – wie manche Ver-
bandsvertreter – den Standort Deutschland – so habe ich
es empfunden – des öfteren schlechtgeredet. Ich kann
nur an den BDI appellieren, dieses nunmehr zu unterlas-
sen; denn nicht umsonst hat schon die alte Bundesregie-
rung einen Standortbeauftragten eingesetzt, der sich um
verstärkte Investitionen des Auslands in Deutschland
bemühen mußte.
Wenn der BDI – der BDI ist Teilnehmer am „Bünd-
nis für Arbeit“ und übernimmt dort auch gesellschafts-
politische Verantwortung – letzte Woche im „Handels-
blatt“ verlauten ließ – es handelte sich um ein Eckpunk-
tepapier zur Unternehmensteuerreform –:
Neue, die Wirtschaft belastende Gegenfinanzie-
rungsmaßnahmen durch den Abbau von Sondertat-
beständen und Steuervergünstigungen darf es nach
Auffassung des BDI nicht geben…
dann kann ich nur sagen: Vor dem Hintergrund der an-
gesprochenen Staatsverschuldung, vor dem Hintergrund
der OECD-Studie, die wir gerade hinlänglich diskutiert
haben, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Ka-
pitalgesellschaften nur 8 Prozent zum gesamten Steuer-
einkommen beitragen – das ist die niedrigste Quote in
Gesamteuropa; sie ist wesentlich niedriger als die in den
USA –, und angesichts der schmalen Bemessungs-
grundlage, die wir heute haben und die verantwortlich
dafür ist, daß die Großunternehmen wenig Steuern ge-
zahlt haben und wenig zum Steueraufkommen beitragen,
die kleinen Unternehmen aber sehr viel, muß der BDI
sich unter dem Stichwort „Verantwortung“ überlegen,
ob es verantwortbar ist, heute zu sagen, daß die Bemes-
sungsgrundlage nicht verbreitert werden darf.
Ich kann im Hinblick auf die Gesamtverantwortung
nur schärfstens an den BDI appellieren, von dieser Posi-
tion zurückzurudern, weil das „Bündnis für Arbeit“ nur
dann funktionieren wird, wenn sich alle in ihm auch
verantwortlich zeigen für eine wirtschaftliche Entwick-
lung in Deutschland, die gleichzeitig mit Gerechtigkeit
einhergeht.
Danke schön.
Das Wort für die
F.D.P. hat der Kollege Paul Friedhoff.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In diesen Tagen ist ja sehr häufig voneinem Neuanfang der rotgrünen Bundesregierung dieRede, vom Willen des Bundeskanzlers Schröder, mitder wirtschaftsfeindlichen Politik seines ehemaligenFinanzministers zu brechen. Darauf haben auch vieleLeute eine gewisse Hoffnung gesetzt. Ich muß sagen:Die heutige Debatte hat mich in dieser Richtung sehrenttäuscht. Herr Müller, Sie haben eben im Grunde ge-nommen gesagt: Es bleibt alles, wie es ist. Da ändertsich überhaupt nichts.
Wenn ich Herrn Poß richtig verstanden habe, dannzahlen die Unternehmen in Deutschland sowieso schondie niedrigsten Steuern, so daß man da also auch nichtsBesonderes machen muß. Ich glaube, das ist völlig ver-kehrt und geht an der Realität vorbei.
Margareta Wolf
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2218 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Die Realität ist so, daß die Erwartungen der Märktehoch sind. Es wird ja nicht umsonst von einer „Lafon-taine-Lücke“ gesprochen, davon, daß sich die Finanz-märkte anderswo anders entwickeln als bei uns. Diesist eine Realität, auf die man einmal hinweisen muß.Das paßt alles nicht so ganz zusammen. Wenn derRest der Welt vielleicht noch nicht gemerkt hat, wietoll es hier ist, bleibt nur eines: Wir müssen es ihnenzeigen.Ich bin fest davon überzeugt: Wenn jetzt das wirt-schaftspolitische Ruder nicht herumgeworfen wird, dannwird sich diese Lafontaine-Hausse auf Grund seinesRücktritts – der DAX hat innerhalb von drei Tagen im-merhin um 7 Prozent angezogen – in eine Schröder-Baisse umwandeln.Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagen-bau hat vor wenigen Tagen seine Wachstumsprognoserevidiert. Vor sechs Monaten, im Oktober 1998, hatteder VDMA im Bereich des Maschinenbaus noch miteinem Wachstum von 2 Prozent gerechnet. Jetzt progno-stiziert er Stagnation. Stagnation würde bedeuten, daßdie Zahl der Arbeitslosen weiter wächst, wie dies schonseit dem Amtsantritt der rotgrünen Regierung der Fallist.Das Baugewerbe hat zu Beginn dieser Woche be-kanntgegeben – Rainer Brüderle hat dies eben schonerwähnt –, daß es 1999 mit einem Verlust von etwa50 000 Arbeitsplätzen allein im Bauhauptgewerbe rech-net. Der Präsident des Zentralverbandes nennt als Ursa-che – ich darf wörtlich zitieren –:Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Inve-stitionen geradezu verhindert.Warum äußern die Verbände eine solche Meinung? Er-kennen sie etwa die Realität nicht? Sie sollten darüberwenigstens nachdenken.Die Botschaft an die Adresse der Bundesregierung isteindeutig: Ihre Wirtschaftspolitik gegen den Markt mußsofort beendet werden. Wenn Produkte mit einem hohenArbeitskostenanteil und Dienstleistungen am Wirt-schaftsstandort Deutschland nicht konkurrenzfähig sind,dann geraten Arbeitsplätze und Wohlstand in unseremLand in Gefahr. Deshalb müssen die Angebotsbedin-gungen in Deutschland verbessert werden, vor allembei den Arbeitskosten. Deshalb muß man Ausgabenbegrenzen und darf nicht, wie Sie es tun, einfach dieEinnahmen durch Umfinanzierung auf andere Arthereinholen.
Diese Tatsache haben die Altlinken von SPD undGRÜNEN noch nie begriffen und werden sie wohl auchnie begreifen.
Politiker wie Lafontaine interpretieren die Wirtschaftimmer noch als böse und raffgierige Erscheinungsformdes Kapitalismus, den es zu bekämpfen gilt. DiesenStandpunkt hat Lafontaine in seiner Abschiedserklärungnoch einmal sehr anschaulich gemacht, als er den Ver-gleich von dem Herzen und der Börse anstellte. Wennman in einer solchen Gedankenwelt lebt, darf man sichnicht wundern, wenn das Ergebnis eine falsche Politikist.
Herr Kollege Fried-
hoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Skarpelis-Sperk?
Immer.
Lieber Herr
Kollege Friedhoff, Sie haben vorhin die Konjunkturaus-
sagen und Prognosen des VDMA und der deutschen
Bauwirtschaft zitiert. Sind Sie bereit, sich zu erinnern,
daß sich der VDMA in seiner Erklärung, warum seine
Erwartungen zur Konjunkturentwicklung gedämpft sind,
auf die Situation der Exportwirtschaft bezogen hat?
Können Sie erläutern, was die Bundesregierung, insbe-
sondere der Bundesfinanzminister und der Bundeswirt-
schaftsminister, zur Rußland-Krise, zur Brasilien-Krise
und zur Ostasien-Krise in diesem Punkte beigetragen
haben? Oder sind Sie bereit, zuzugeben, daß überwie-
gend weltwirtschaftliche Entwicklungen zu der jetzigen
Situation beigetragen haben?
Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen – Sie
können dies in den Berichten der Bauwirtschaft der
letzten Jahre nachlesen –, daß die öffentlichen und pri-
vaten Investitionen, insbesondere die öffentlichen, in
den letzten acht Jahren kontinuierlich massiv abgenom-
men haben und daß sich deswegen die deutsche Bau-
wirtschaft beim Bundeswirtschaftsminister und beim
Bundesfinanzminister bitterlich beklagt hat? Sind Sie al-
so bereit, Ihre wirtschaftliche Bewertung nicht nur auf
die letzten vier Monate, sondern auf die vergangenen
drei oder vier Jahre zu beziehen?
Ich bin immer dazu be-reit, wenn Sie mir belehrende Worte sagen. Wenn manauf diese Punkte hingewiesen wird, wird der Wissens-stand erweitert.Ich habe Ihnen nur vorgelesen, was der Präsident desZentralverbandes als Ursache genannt hat. Er hat wört-lich gesagt – ich zitiere ihn noch einmal –:Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Inve-stitionen geradezu verhindert.Ich vermute, er hat nicht die alte Bundesregierung, son-dern die neue Bundesregierung gemeint.
Was die von Ihnen angesprochenen Krisen angeht –Herr Uldall ist vorhin schon darauf eingegangen –, sokann ich mich daran erinnern, daß vor vier Monaten inAsien, aber auch in Rußland nicht alles in Ordnung war.Das ist nicht plötzlich über uns gekommen, sondern dashat eine lange Entwicklung. Ich vermute, daß die Men-Paul K. Friedhoff
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schen klug genug gewesen sind und das vor vier Mona-ten ebenfalls berücksichtigt haben. Seitdem hat sich dieSituation aber noch einmal verschlechtert: nicht imAusland, sondern bei uns. Hinzugekommen sind alsohausgemachte Ursachen, für die Bundeskanzler Schrö-der die Verantwortung trägt.
Darüber müssen wir hier reden, und deswegen ist esIhnen auch peinlich, daß Sie heute morgen dagegenge-stimmt haben, daß hier über den Rücktritt des Finanzmi-nisters debattiert werden kann. Also tun wir es an dieserStelle.
Die Wirtschaftspolitik unter Lafontaine bestand auseinem Gemisch aus sozialistischem Umverteilungsdrangund keynesianischen Theorieresten; die reine Lehre hater ja auch nicht vertreten. Manches davon ist auch nachLafontaine geblieben. So dauert der Versuch der Bun-desregierung an, Großunternehmen und Mittelstand ge-geneinander auszuspielen; das haben wir heute morgenauch wieder von Ihnen gehört. Die rotgrüne Koalitionsucht den billigen Applaus, indem sie verkündet, denGroßen nun einmal richtig die Daumenschrauben anzu-legen.Entgegen allen Beteuerungen: Ihre Politik entlastetden Mittelstand nicht, sondern sie belastet ihn.Wenn die rotgrüne Bundesregierung an der ökonomi-schen Wahrheit interessiert wäre, erklärte sie den Men-schen, daß unser Land das Nebeneinander von Groß-,Mittel- und Kleinbetrieben dringend braucht. Sie würdedeutlich machen, daß die Großunternehmen ein Drittelder Arbeitnehmer beschäftigen, die Hälfte der Wert-schöpfung erzeugen und zu unverzichtbaren Auftrag-gebern gerade für viele kleine und mittlere Betriebe ge-hören.
Sie helfen dem Mittelstand also nicht, wenn Sie dieGroßunternehmen aus dem Land jagen, indem Sie ihnenso schlechte Rahmenbedingungen geben, daß sie ihreMöglichkeiten nutzen und aus dem Land gehen. Das istein Bumerang; die Folgen muß anschließend der Mittel-stand tragen.Es wirft kein gutes Licht auf Ihren Willen zur Verän-derung, Herr Minister Müller, daß Sie den Jahreswirt-schaftsbericht nicht schleunigst haben überarbeiten las-sen. Glauben Sie mir, in Ihrem Ministerium gibt es ex-zellente Leute, die das liebend gern gemacht hätten.
Aber statt dessen atmet der Bericht nach wie vor dieIdeen von Lafontaines Staatssekretär Flassbeck, dessenLieblingsidee fester Wechselkurszielzonen internatio-nal irgendwo zwischen Lachnummer und Absurditäteingeordnet wird.Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist inter-national in eine vollständige Isolation getrieben worden.Dafür trägt auch der Bundeskanzler die Verantwortung,denn er bestimmt die Richtlinien der Politik. Bundes-kanzler Schröder trägt die politische Verantwortung fürden jetzigen Scherbenhaufen in der deutschen Wirt-schafts- und Finanzpolitik.Wenn es einen Neuanfang in der Wirtschaftspolitikgeben soll, dann müssen die eklatanten Fehler der erstenMonate schleunigst revidiert werden. Herr Wirtschafts-minister, das könnte jetzt Ihre Stunde sein, wenn Sie da-für kämpften, daß das Steuererhöhungsgesetz der Koali-tion neu beraten wird. Jetzt haben Sie die Chance!Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, meineDamen und Herren, braucht in der Tat einen Neuanfang.Dazu gehört auch eine finanzierbare Energieversor-gung, die Planungssicherheit bietet. Chaos und Verunsi-cherung in der deutschen Energiepolitik haben bereitseinen Namen: Trittin. Bundeskanzler Schröder hat dazugesagt, er wolle „mehr Fischer und weniger Trittin“. Inden Betrieben unseres Landes wird aufmerksam beob-achtet werden, ob Kanzler Schröder weniger Trittinwirklich durchsetzen kann. Nach meiner Meinung wärees das Beste, er würde ihn ganz einfach rauswerfen.
Wirtschaftsminister Müller hat in den nächsten Wo-chen die Chance, einiges von dem verlorenen Vertrauender Märkte in den Wirtschaftsstandort Deutschland zu-rückzugewinnen. Dafür muß er sich aber das nötige In-strumentarium wieder verschaffen. Das Wirtschaftsmi-nisterium muß sein früheres ordnungspolitisches Wäch-teramt zurückgewinnen und gegenüber Finanzministeri-um und Kanzleramt zur alten Stärke zurückfinden.
Als erster Schritt sollten die ins Finanzministeriumüberführten Abteilungen umgehend in das Bundeswirt-schaftsministerium zurückverlagert werden:
Grundsatzabteilung, Europaabteilung und bei der Gele-genheit am besten auch gleich die Abteilung Geld undKredit. Der neue Finanzminister und frisch abgewählteMinisterpräsident von Hessen wird ohnehin genug damitzu tun haben, um den Augiasstall bei Steuer und Haus-halt auszumisten.Auf die Funktion des Wirtschaftsministeriums alsmarktwirtschaftliches Leuchtfeuer der Bundesregierungkann in diesen Monaten weniger denn je verzichtet wer-den. Das gilt auch nach dem Abgang von Oskar Lafon-taine. Denn Bundeskanzler Schröder selbst hat offenbarnur sehr unklare Vorstellungen von moderner Wirt-schaftspolitik; sonst würde er stärker auf die Wettbe-werbsfähigkeit deutscher Unternehmen setzen undnicht auf korporatistische Rezepte von gestern, die imglobalen Wettbewerb sicher überhaupt keine Chancemehr haben.Nicht daß wir uns falsch verstehen, meine Damenund Herren: Auch die Gespräche mit Verbänden überein Bündnis für Arbeit oder ähnliches können hilfreichPaul K. Friedhoff
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2220 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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sein, und wir begrüßen sie. Aber Arbeitsplätze werdennicht an diesen runden oder eckigen Tischen herbeidis-kutiert, sondern müssen in den Betrieben geschaffenwerden, insbesondere in den kleinen und mittleren Be-trieben. Das wiederum geht nur, wenn es dort Aufträgegibt. Und dort gibt es nur Aufträge, wenn man wettbe-werbsfähig ist. Das hat bei kleinen und mittleren Betrie-ben eine ganze Menge mit den Arbeitskosten zu tun.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.Die Glaubwürdigkeit der deutschen Wirtschafts– undFinanzpolitik ist seit dem Amtsantritt der rotgrünenBundesregierung schwer erschüttert.
Der Ruf einer soliden, seriösen Wirtschaftspolitik ist da-hin.
Die sogenannte nachfrageorientierte Wirtschaftspolitikvon Finanzminister Lafontaine hat die Wettbewerbsfä-higkeit der deutschen Wirtschaft verschlechtert
und bereits Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet.Jetzt müssen die Trümmer dieser Wirtschaftspolitik ent-schlossen beiseite geräumt werden, um den Schadenwenigstens zu begrenzen.Ich danke Ihnen.
Die Kollegin Ulrike
Mehl gibt Ihre Rede zu Protokoll.*) Das Haus ist damit
einverstanden.
Jetzt hat der Kollege Schwanhold von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß dieDebatte um den Jahreswirtschaftsbericht sich nicht aus-schließlich um Steuerfragen kümmert, weil Wirtschafts-politik etwas anderes ist, als sich nur über Steuern zuunterhalten.Dieser Jahreswirtschaftsbericht legt die Prognose fürdas Jahr 1999 und die Ziele wirtschaftlicher Entwick-lung für 1999 fest. Das ist in realistischer und nüchternerWeise geschehen. Anders als in früheren Berichten wirddiesmal darauf verzichtet, die Situation schönzureden.Vielmehr wird von einer realistischen Wachstumsratevon 2 Prozent ausgegangen, die wir noch immer errei-chen können und für die wir uns angesichts der Risiken,die wir auf den internationalen Märkten haben, anstren-gen sollten.*) Anlage 2Es gibt ein paar Ausgangsparameter, die wir nichtvergessen dürfen.Erstens. Die Vorgängerregierung hat uns die höchsteStaatsverschuldung hinterlassen, die die Bundesrepu-blik Deutschland jemals hatte.Zweitens. Wir haben eine exorbitant hohe Arbeitslo-sigkeit, die zu bekämpfen unser allererstes Ziel seinmuß. Ursache auch dafür ist die falsche Wirtschafts–und Finanzpolitik der Vorgängerregierung, die minde-stens in den Instrumenten nicht richtig gepolt gewesenist.Drittens. Wir haben enge Vorgaben des europäischenStabilitätspaktes. Die Einführung des Euro ist insge-samt eine gelungene Maßnahme. Sie setzt uns in haus-haltspolitischer Sicht allerdings enge Grenzen.Viertens. Wir haben eine krisenhafte Entwicklung inwichtigen Wirtschaftsregionen dieser Erde. Stichwortar-tig seien der fernöstliche Markt, die GUS–Nachfolge-staaten, aber auch die kränkelnde Wirtschaft in Latein-amerika genannt.Vor diesem Hintergrund 2 Prozent Wachstum zu er-reichen ist eine wichtige Aufgabe, die gestellt werdenmuß und die wir lösen müssen. Die Senkung der Ein-gangssteuersätze und alles, was wir in der Steuerreformgemacht haben, gibt wichtige Impulse für die Nachfrage.Wenn die Exportwirtschaft krankt, muß man wenigstensdie Binnennachfrage dagegensetzen.Das allein reicht aber nicht. Wir brauchen eine euro-päisch abgestimmte Wachstumspolitik, die nur im Kon-zert, in der Verabredung der europäischen Länder zumachen ist. Wir brauchen eine zweite Stufe der Steuer-reform; sie wird folgen. Diese Unternehmensteuerre-form beinhaltet ein Paket an Maßnahmen zur Senkungder Lohnnebenkosten unter 40 Prozent und zur Schaf-fung einer rechtsformunabhängigen Unternehmensteuer;Ziel ist ein Satz von 35 Prozent. Dies alles sind Signale,die jetzt schnell gegeben werden müssen, damit dieWirtschaft Rahmendaten für die nächsten Jahre be-kommt. Sie kann sich darauf verlassen, daß sie diese er-hält, wenn die Expertenkommission, die durch Fachleuteder Wirtschaft in besonderem Maße ergänzt worden ist,ihren Bericht vorlegt.
Die Stimmung in der Wirtschaft ist zum gegenwärti-gen Zeitpunkt schlecht; wer wollte das leugnen. Aber IhrGerede hat natürlich nur ein Ziel, nämlich diese Stim-mung zu verschlechtern. Ihnen geht es in Wahrheit nichtum die Lage der Wirtschaft und nicht um Wachstum,sondern Ihnen geht es in Wahrheit ausschließlich darum,die Lage schlechter zu reden, als sie ist.
Sie ist in der Tat gut, nur die Stimmung muß verbessertwerden.Wir benötigen Investitionsanreize, damit die Hoff-nungen auf diesen Standort verstärkt werden und diemittelständische Wirtschaft ihren Investitionsattentismusaufgibt. Deshalb war das Signal der ersten Steuerreform,Paul K. Friedhoff
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2221
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die mittelständische Wirtschaft zu entlasten, richtig. Ichhoffe, wir können in der Unternehmensteuerreform nochetwas draufsatteln, damit die Investitionstätigkeit vondieser Seite wieder angeregt wird.Über den Kurs der ausgewogenen Verbesserungenvon Angebots- und Nachfragebedingungen für die Un-ternehmen und Arbeitnehmer hinaus müssen besondersdie Mittelstandspolitik, die Innovationspolitik, die Euro-pa- und Geldpolitik sowie die Außenpolitik ihre Beiträ-ge für Wachstum und Beschäftigung leisten. Auch diessteht begrüßenswerterweise im Einklang mit dem aktu-ellen Jahreswirtschaftsbericht.Der Mittelstand bedarf als Hauptträger von Arbeits-und Ausbildungsplätzen über verbesserte Rahmenbedin-gungen hinaus spezieller Aufmerksamkeit durch einekohärente und übersichtliche Mittelstandsförderung.Wir müssen die Förderung der kleinen und mittlerenUnternehmen und die Existenzgründungen auf wenige,aufeinander abgestimmte Programme konzentrieren undvereinfachen. In diesem Zusammenhang muß es auch zueiner tragfähigen und klaren Aufgabenabgrenzung zwi-schen den Förderbanken, der Deutschen Ausgleichsbankund der Kreditanstalt für Wiederaufbau, kommen.Richtigerweise unterstreicht übrigens das Bundes-wirtschaftsministerium die zentrale Bedeutung des Mit-telstandes auch in seinem aktuellen Haushaltsplan. Fürden Bereich Technologie- und Innovationspolitik wer-den 2,2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.Wir benötigen eine bessere Eigenkapitalausstattungder kleinen und mittleren Unternehmen, zunächst einmaldurch eigenen Ertrag, aber auch mit gezielter Hilfedurch das Eigenkapitalhilfeprogramm. Dieses Programmmuß erhalten und seine Finanzierungsmöglichkeit inZukunft gestärkt werden.Wir müssen den Zugang zur selbständigen Tätigkeitim Handwerk erleichtern. Der Große Befähigungsnach-weis bleibt Voraussetzung, aber wir müssen uns schoneinmal anschauen, warum gerade unterhalb des Meister-betriebes soviel Schwarzarbeit passiert und wie wir die-sen Teil wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrierenkönnen. Wenn es dort Hemmnisse gibt, müssen wir dar-über nachdenken, wie wir sie abbauen können.
Wir müssen den Bereich der Schattenwirtschaft auchim Dienstleistungssektor zu einem Teil des ersten Ar-beitsmarktes entwickeln. Dazu gehören kleine Arbeits-verhältnisse, die im Zweifelsfalle auch subventioniertsein können. Die Senkung der Lohnnebenkosten unddie weitere Senkung der Eingangsteuersätze sind aller-dings eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß bei ei-nem geringeren Bruttoeinkommen ein ausreichenderNettobetrag bleibt.Der Bereich des Tourismus wird bei uns erstaun-licherweise noch immer unterschätzt. Hier arbeiten in-zwischen 2,2 Millionen Menschen. Es ist eine Wachs-tumsbranche, die es zu stärken gilt. Dabei haben zu-nächst einmal die Betriebe ihre Chancen wahrzunehmen.Aber wir haben auch von seiten des Staates den Touris-musstandort Bundesrepublik Deutschland attraktiver zumachen und ihn insbesondere weltweit besser zu ver-markten.
Aus- und Weiterbildung müssen gerade im Bereichder mittelständischen Wirtschaft verstärkt werden. Esdarf für uns als rohstoffarmes Industrieland keineWachstumsgrenzen dadurch geben, daß Qualifizierungfehlt. Meine Damen und Herren, es ist doch Ihr Ver-säumnis, daß Unternehmen zum gegenwärtigen Zeit-punkt nicht wachsen können, weil es nicht ausreichendIngenieure gibt. Sie haben in der Ausbildung in der Ver-gangenheit falsche Schwerpunkte gesetzt. Das ist in denletzten vier Monaten nicht zu korrigieren gewesen. Dagibt es in weiten Bereichen Wachstumsgrenzen.
Die so verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedin-gungen schaffen finanzielle und andere Freiräume fürModernisierung und für innovative Investitionen. Hier-von ausgehend sind zusätzlich zielgerichtete, arbeits-platzschaffende Offensiven für Innovationen in neueProdukte, Prozesse und Strukturen notwendig. Ziel istes, neue Märkte im Bereich neue Werkstoffe, aber auchin den Bereichen des Umweltschutzes, der Telekommu-nikation, der Informations- und Kommunikationstech-nologie, der Luft- und Raumfahrt, der Bio- und Gen-technologie und der Dienstleistungen auszuschöpfen.Die Unternehmen müssen ihre Forschungsinvestitionenerhöhen. Dankenswerterweise wird genau hier einSchwerpunkt gesetzt. Der Wissenstransfer von For-schungseinrichtungen in die Unternehmen, insbesonderein den mittelständischen Bereich, muß gestärkt werden,damit wir endlich wieder aus Grundlagenforschung Pro-dukte und Arbeitsplätze schaffen. Allein hier liegt einPotential brach, welches uns im Arbeitsmarkt deutlichnach vorne bringen könnte.Wir haben also auch hier Defizite der Vergangenheitaufzuholen. Auch da sind Ihre Versäumnisse durchausspürbar.Ich möchte hinzufügen, daß die Förderung von er-neuerbaren Energien ebenso wie Energieeinsparungein wichtiges Potential für Handel, Handwerk und fürdezentrale Dienstleistungen ist, was zu einem Arbeit-nehmerpotential führt, das in den nächsten Jahren si-cherlich deutlich über die Hunderttausendergrenze hin-ausgeht. Wir müssen diesen Bereichen eine Marktein-führungshilfe gewähren.Zur Geld- und Europapolitik möchte ich einige Be-merkungen machen, die Sie sicherlich nicht sonderlicherfreuen werden. Zunächst zur Europapolitik: Trotz derKrise der Kommission bleibt die deutsche EU-Präsidentschaft solide und auf gutem Kurs. Die Koordi-nierung der Wirtschaftspolitik im europäischen Maßstabist übrigens das natürliche Spiegelbild der EuropäischenWährungsunion, die eine Vereinheitlichung fordert. Diesmuß die zweite Seite der gleichen Medaille sein. DieBasis für eine gute Koordinierung ist ein vernünftigerRahmen. Daran wird gearbeitet.Ferner ein Hinweis zur europäischen Geldpolitik:Unbestrittenes Hauptziel der Geldpolitik ist die Ge-Ernst Schwanhold
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2222 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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währleistung von niedrigen Inflationsraten. Dort aller-dings, wo währungspolitischer Spielraum vorhanden ist,muß eine verantwortungsbewußte Geldpolitik konjunk-tur- und arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte mit be-rücksichtigen. Ein solcher stabilitätspolitischer Spiel-raum ist mit einer Zuwachsrate der Verbraucherpreiseim Euro-Raum von voraussichtlich nur knapp über1 Prozent im Jahre 1999 durchaus gegeben. In Teilberei-chen gibt es erste deflationäre Tendenzen. Hier lohnt essich, anstatt zu kaufen, Geld zu horten. Dies führt nichtzum Entstehen von Arbeitsplätzen.In dieser Situation gilt es, dem Gründungsstatut derEuropäischen Zentralbank zu entsprechen. Letzteresbesagt – ich zitiere –:Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles derPreisstabilität möglich ist, unterstützt die EZB dieallgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft.Dies muß allerdings auch erwartet werden.Meine Damen und Herren, wir benötigen eine Absi-cherung auf der außenwirtschaftlichen Flanke, die zumgegenwärtigen Zeitpunkt Gefährdungen ausgesetzt ist.Wir müssen der mittelständischen Wirtschaft helfen,auch diesen Bereich für sich selbst zu erarbeiten. Auseiner gezielten Außenwirtschaftspolitik, aus einer Stär-kung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Angebotsseiteder mittelständischen Wirtschaft, aus einem intelligentenTechnologietransfer und aus der Öffnung des Dienstlei-stungssektors lassen sich jene Arbeitsplätze der Zukunftschaffen, die wir so dringend benötigen.
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Herr Minister Müller, Sie könntenheute ein sehr zufriedenes Gesicht machen. Sie konntenan diesem Tag Oskar Lafontaines Rede zum Jahreswirt-schaftsbericht halten, obwohl Sie als Wirtschaftsministereigentlich gar nicht zuständig sind. Sie können jetzt nachBrüssel fahren und dort die Finanzgespräche leiten,
obwohl Sie aller Zuständigkeiten auf europapolitischemGebiet beraubt worden sind. Außerdem können Sie ineinem Land herumreisen, in dem seit Oskar LafontainesRücktritt wieder eine hoffnungsvolle Stimmungherrscht.Aber diese Hoffnung trügt: Das Chaos und die Über-forderung der Regierung sind nämlich noch nicht been-det. Das Auswechseln von nur einer einzigen Person ge-nügt nicht. Notwendig wäre ein vollständiger Kurswech-sel, ein Kurswechsel auf ganzer Linie.
Meine Damen und Herren, die Verantwortung für dasChaos, das momentan herrscht, trägt derjenige, der nachunserem Grundgesetz für die Richtlinien der Politik zu-ständig ist und der sie bestimmt, nämlich der Bundes-kanzler. Alle verabschiedeten Gesetze tragen seine Un-terschrift. Er war es, der den Finanzminister gewährenließ. Eine konzeptionslose Steuerreform wurde auf dieseWeise trotz hektischer, ewig währender Dauerreparatu-ren zu einem enormen Belastungsgesetz für unsere Bür-ger und Bürgerinnen.Es ist der Bundeskanzler, der durch seinen ständigenMeinungswechsel das Chaos im Zusammenhang mit den630-Mark-Jobs herbeigeführt hat. Es ist die rotgrüneBundesregierung unter Gerhard Schröder, die die Bürge-rinnen und Bürger mit einer Ökosteuer drangsalierenwill. Und auf Weisung des Bundeskanzlers wird dienoch bestehende rotgrüne Bundesratsmehrheit morgendie entsprechenden Gesetze absegnen. Ich glaube, mansieht, wer hier für diese Pannen, für diesen Murks undfür diese Pleiten verantwortlich ist, nämlich derjenige,der in dieser Bundesregierung die Verantwortung trägt.Das ist der Bundeskanzler.
Wo bleiben denn die vielen neuen Arbeitsplätze, dieso vollmundig vor der Wahl versprochen worden sind?Sicher sind Konsensgespräche nützlich.
Aber was wir brauchen, ist ein klares Konzept. Wo istdenn dieses klare Konzept? – Es fehlt. Ein Medienspek-takel, das hier teilweise in großem Rahmen inszeniertwird, hilft uns hier nicht weiter.
Wie sieht es denn bei unseren Nachbarn aus? Erfolg-reiche Bündnisgespräche haben dort immer eine ganzwichtige Grundlage gehabt, nämlich eine moderateLohnpolitik. Bei uns will die Gewerkschaftsseite dar-über überhaupt nicht reden. Das wurde überhaupt nichtin die Gespräche einbezogen. Darüber hinaus haben wireinen Kanzler, der hier einseitig Partei ergreift, der diejüngsten Tarifabschlüsse für angemessen hält. Wir wis-sen ganz genau, daß diese Tarifabschlüsse nicht dazubeitragen werden, daß zukünftig neue Arbeitsplätze ge-schaffen werden können.Wir haben jetzt ein sogenanntes Steuerentlastungs-gesetz, von dem wir alle wissen, daß es ein Steuerbela-stungsgesetz ist – und das nicht nur für die Großunter-nehmen, sondern gerade auch für den Mittelstand. Danützen auch alle Ihre Rechenkünste nichts, die Sie inallen möglichen Facetten und Darstellungen immer wie-der unter Beweis stellen.
Allein bei der Besteuerung der Energieversorger habenSie sich mal so eben nebenbei um ein paar MilliardenDM verrechnet. Angesichts dieser immensen Fehlertole-Ernst Schwanhold
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ranzen kann man sicher sein, daß auch in der Bilanz fürden Mittelstand aus einem Plus ganz schnell ein Minuswird.Bei dem Thema Unternehmensteuerreform versu-chen Sie, die Unternehmen und die Betriebe zu vertrö-sten. Aber Sie täuschen sie auch. Auf der einen Seiteverspricht der Bundeskanzler den deutschen Unterneh-men irgendwann einmal in der Zukunft eine deutlicheSenkung der Unternehmensteuern; auf der anderen Seitewird ein Arbeitskreis „Unternehmensteuerreform“ ein-gesetzt, der bis Ende April Ergebnisse erzielen soll, aberdiese Ergebnisse sollen ohne Nettoentlastung sein.
Auf das bloße, vage Versprechen werden die Betriebenicht reagieren, und sie werden auch in Zukunft nichtdarauf bauen.
Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es: Deutschlandmuß wieder für Investoren attraktiv werden. Aber nachden vielen Fehlern, nach den vielen Schnellschüssen, dieSie sich bis jetzt geleistet haben, ist vom Interesse derInvestoren nicht mehr viel zu spüren. Wir stehen heutenach einer sehr kurzen Zeit von nur fünf Monaten voreinem immensen Trümmerhaufen. Das ist phantastisch,wie Sie das geschafft haben;
das muß Ihnen erst einmal einer nachmachen, in fünfMonaten ein solches Chaos in der Wirtschafts- undFinanzpolitik anzurichten.Unser Land fällt wirtschaftlich zurück. Letztes Jahrhatten wir noch ein Wachstum von fast 3 Prozent. Fürdas erste Vierteljahr 1999 sagt das DIW ein Wachstumvon 0 Prozent voraus; ich wiederhole: 0 Prozent. In denersten zehn Monaten des Jahres 1998 haben wir es ge-schafft, die Arbeitslosenzahl um 1 Million zu reduzie-ren. Was haben Sie geschafft? In der kurzen Zeit, in derSie an der Regierung sind, hat sich die Arbeitslosenzahlum fast 500 000 erhöht. Das sind Fakten. Leider ist esauch Fakt, daß wir keinen Aufschwung mehr haben,sondern daß wir inzwischen einen Abschwung haben.Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren in derBundesregierung, und auf das Konto dieses Bundes-kanzlers.
Wir brauchen eine konsequente Politik der sozialenMarktwirtschaft. Es sind die altbekannten Ziele, diewir anstreben müssen: Stabilität des Preisniveaus, hoherBeschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichge-wicht und stetiges Wirtschaftswachstum. Aber was ma-chen Sie daraus? Der Bundeskanzler hat es geschafft,aus diesem magischen Viereck ein ökonomisches Ber-mudadreieck zu machen.Beispiel Stabilität: Früher wurde die Stabilitätspoli-tik der Deutschen Bundesbank europaweit als Vorbildangesehen. Heute sind wir so weit, daß wir den Euro vordieser Bundesregierung schützen müssen. Der Euro hatim Vergleich zu seinem offiziellen Referenzkurs zu Jah-resbeginn 7 Prozent an Wert verloren. Wo bleibt denndas klare Signal eines Bundeskanzlers, daß er im deut-schen und im europäischen Interesse auf einen starkenEuro Wert legt?Was wir brauchen, sind nachhaltige Reformen – auchbei den Sozialversicherungen – statt der Umvertei-lungspolitik, wie sie momentan gemacht wird. Was wirbrauchen, sind flexiblere Arbeitsmärkte. Was wir nichtbrauchen, sind Arbeitsplatzvernichtungsprogramme.Schnellschüsse wie die Regelungen zu den sogenannten630-Mark-Jobs oder der sogenannten Scheinselbstän-digkeit werden nach hinten losgehen. Sie werden dassehen, schon in kürzester Zeit. Aber das Wichtigste, waswir brauchen, ist ein Bundeskanzler, der sich wirklichum unsere Arbeitslosen Sorgen macht
und sich darum kümmert, daß Arbeitsplätze geschaffenwerden, der eine gute Politik für unser Land macht unddem dies wichtiger ist als seine persönliche Selbstdar-stellung.Vielen Dank.
Für die SPD-
Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Christian
Müller .
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Frau Wöhrl, Siebeschreiben mit einer gewissen Genüßlichkeit die Rei-sen, die Herr Bundeswirtschaftsminister Müller dem-nächst machen kann. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir indiesem Hause so weit sind, daß ein hart arbeitender Mi-nister auf diese Art und Weise als ein Vergnügungsrei-sender abgestempelt wird. Das ist neu.Ich empfehle im übrigen, die Zahlen zur Arbeitslo-sigkeit etwas exakter zu formulieren. Ich hätte es vielbesser gefunden, wenn Sie erwähnt hätten, daß dieseBundesregierung ein Programm für 100 000 Jugendlicheauf den Weg gebracht hat, was sehr gut angenommenwird. Damit ist uns wahrscheinlich mehr gedient als mitdem Erwähnen der Zahl von 500 000 zusätzlichen Ar-beitslosen, die nicht mit der Politik der jetzigen Regie-rung im Zusammenhang steht.
Der Kollege Schwanhold hat dankenswerterweise aufdie Realitätsbezogenheit dieses Jahreswirtschaftsbe-richtes hingewiesen. Dem will ich hinzufügen, daß sichdieser Bericht zur gemeinsamen Verantwortung von Fi-nanz-, Lohn- und Wirtschaftspolitik für Wachstum undBeschäftigung bekennt. Dies erfordert auch Konsens.Deswegen ist das Bündnis für Arbeit so wichtig. DerKollege Gysi ist deshalb im Irrtum, wenn er meint, esDagmar Wöhrl
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handele sich dabei lediglich um eine Veranstaltung zurAusgabe von Befehlen seitens der Verbände. Zum einensitzen auch die Gewerkschaften mit am Tisch, zum an-deren ist das ganze Vorhaben viel zu wichtig für das,was wir gemeinsam vorhaben.
Das anzunehmende zweiprozentige Wirtschafts-wachstum – Orakeleien sollte man beiseite lassen – istwohl eine realistische Zahl; die Risiken sind benannt.Sicher ist es zu gering, insbesondere aus der Sicht derneuen Bundesländer. Denn – darin sind wir uns wohleinig – die Stärkung der Wirtschaftskraft in den neuenLändern bleibt das Kernproblem, auch aus volkswirt-schaftlicher Sicht. Dies ist die eigentliche Aufgabe, diezu lösen ist.Nach den jüngsten Prognosen fällt das Wachstum für1999 im Osten etwas stärker aus als im Westen. Das istzu begrüßen; denn nur mit einem über dem gesamtdeut-schen Durchschnitt liegenden Wachstum ist ein Auf-holprozeß überhaupt möglich und gibt es eine Chancefür eine Entwicklung zu einem selbsttragenden Auf-schwung.
Dabei ist seit geraumer Zeit eine in mehrfacher Hin-sicht differenzierte Entwicklung zu beobachten. Einersichtbar dynamisch verlaufenden Entwicklung im ver-arbeitenden Gewerbe als einer inzwischen bestimmen-den sektoralen Antriebskraft – deren Wertschöpfungnahm im vergangenen Jahr immerhin um 12 Prozent zu;wie man den jüngsten Berichten entnehmen kann, istbinnen Jahresfrist ein Auftragsplus von 13,7 Prozententstanden – steht nach dem sehr deutlichen Wechselder Antriebskräfte der Entwicklung in den letzten Jahrendie äußerst schwierige Situation der Bauwirtschaft in ih-rer strukturellen Anpassungskrise gegenüber. Das giltauch dann noch, wenn sich die Baukonjunktur in diesemJahr etwas besser entwickelt, als zu erwarten war. Dernach wie vor große Modernisierungsbedarf und die vor-handenen Fördermöglichkeiten in Ostdeutschland tragendazu jedenfalls bei.Die Bundesregierung versucht sinnvollerweise, mitder Aufstockung des Finanzrahmens von zwei Pro-grammen einer möglichen Verschlechterung der Si-tuation gegenzusteuern. Das KfW-Infrastrukturpro-gramm wird um 2 Milliarden DM auf insgesamt 7 Mil-liarden DM aufgestockt. Dadurch wird eine Absicherungvon insgesamt 47 000 Arbeitsplätzen am Bau erwartet.Ich halte das nicht für eine Kleinigkeit.Die Mittel für das KfW-Wohnraum-Modernisie-rungsprogramm werden – nachdem dessen Befristungbis 1998 unter der alten Bundesregierung aufgehobenworden ist – um weitere 5 Milliarden DM aufgestockt.Damit liegt dieses Fördervolumen bei insgesamt75 Milliarden DM.
Die Entwicklung nicht nur in den städtischen Gebieten– vor allem in den neuen Bundesländern – wird somitpositiv beeinflußt.Auf die Einschränkung der Steuervergünstigungenfür Gebäude in Sanierungsgebieten, in städtebaulichenEntwicklungsbereichen und für Baudenkmäler ist ver-zichtet worden. Dadurch wird auch weiterhin privatesKapital in die Stadterneuerung fließen, was nötig ist undworauf wir größten Wert legen.Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau wirdgestärkt – so, wie das in unserem Wahlprogramm ver-sprochen worden ist. Im Steuerentlastungsgesetz wirdauf eine gesetzliche Fixierung des Selbstnutzungsvorbe-haltes für die genossenschaftliche Förderung im Rahmendes Eigenheimzulagengesetzes verzichtet. Das ist gut fürdie Genossenschaften.Aber es gibt deutlicher werdende Unterschiede inder regionalen Entwicklung der neuen Länder. DieZahl der ostdeutschen Arbeitsmarktregionen mit einerdeutlich günstigeren Entwicklung nimmt zu. Zu ihnengehört – nicht unerwartet – in zunehmendem Maße dasUmfeld der großen Städte. Demgegenüber wird deutlich,daß die eher ländlich geprägten strukturschwachen Re-gionen, ganz besonders auch die Grenzregionen, nichtaufholen konnten. Es entsteht damit das aus den altenLändern bekannte und leider gewohnte Bild des Gegen-satzes zwischen Ballungsräumen und mehr oder wenigerausblutenden Randregionen.Daher ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierungdie Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der re-gionalen Wirtschaftsstruktur“ als maßgeblichen Beitragzur Förderung der Wirtschaft in den neuen Ländern an-sieht, und zwar ohne Kürzungen der Mittel, wie dies inden letzten Jahren stets der Fall war.
Allerdings ist angesichts der bleibenden Notwendigkeitdes Nachteilsausgleichs für den Osten an sich und derzunehmenden inneren Differenzierung innerhalb derneuen Länder anzumerken, daß die derzeitigen Haus-haltsansätze für die Gemeinschaftsaufgabe auch künftigohne Abstriche erhalten bleiben müssen.Eine erfolgreiche Regionalentwicklung ist ohneZweifel eine Angelegenheit mit vielen Facetten. Instrukturschwachen Regionen fällt diese Entwicklungganz besonders schwer. Neben politischem Willen be-nötigt man ohne Zweifel ein Mindestmaß an finanziellenMitteln. Gelingen kann die Regionalentwicklung abernur, wenn es genügend regionale Akteure gibt, die dieswollen und in der Lage sind, über den eigenen Kirch-turm hinauszudenken. Daran fehlt es im übrigen nicht zuselten.
Befördert werden kann eine solche Entwicklung aberauch durch ressortübergreifendes Handeln. Deshalb be-grüße ich ausdrücklich, daß im Zusammenhang mit derForschungs- und Technologieförderung das im Jahres-Christian Müller
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wirtschaftsbericht erwähnte Fördermodell Innoregioaufgelegt wird. Es ist dem Ziel verpflichtet, das ich aus-drücklich teile, nämlich an forschungs- und technologie-orientierten Entwicklungspolen in den schwachenRegionen – ich betone: in den schwachen Regionen –Ostdeutschlands anzusetzen und deren Entwicklungmodellhaft voranzubringen.
Daß dieser gute Ansatz des Forschungs- und Bil-dungsministeriums in enger Abstimmung mit dem Wirt-schaftsministerium verfolgt werden soll, läßt mich hof-fen, daß es gelingen kann, durch eine enge Verzahnungmit der Gemeinschaftsaufgabe Effekte zu erzielen, diesolche Modellregionen gegenüber den Ballungsregionenstärker voranbringen, als dies üblicherweise erwartetwerden kann.
Hier wäre auch darüber nachzudenken, ob nicht ange-sichts der Entwicklungsprobleme ganzer Regionen Ost-deutschlands, die sicherlich die Hälfte der dort wohnen-den Bevölkerung umfassen, ressortübergreifende Ansät-ze überhaupt der richtige Weg sind, um Rahmenbedin-gungen für eine bessere Entwicklung dieser Regionen zuschaffen. Das ist in den letzten Jahren stets versäumtworden.Ich denke, in diesen Ansatz gehören die schon er-wähnten Fördermaßnahmen für kleine und mittlereUnternehmen. Ich will nicht wiederholen, was KollegeSchwanhold vorhin schon dargestellt hat. Ich will ledig-lich noch erwähnen, daß in diesen Rahmen auch diewiederaufgelegte Forschungskooperation für mittelstän-dische Unternehmen gehört, die Ihre Regierung im letz-ten Herbst eingestellt hatte.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Ich schließe dieAussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/334 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-sung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Finanzausgleichsgesetzes– Drucksache 14/487 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-gliederung der Schulden von Sondervermögenin die Bundesschuld– Drucksache 14/513 –
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Die Chance könnte doch nur darin liegen, daß jetzt einNeuanfang in der Politik gemacht wird. Aber die Wäh-ler, die Ihnen zur Mehrheit verholfen haben, sind nundoppelt betrogen: Lafontaine ist angetreten, um den Be-ziehern von kleinen Einkommen zu helfen – er hat vieleSteuergeschenke versprochen –, und hat sich nun da-vongestohlen; Schröder ist angetreten, um der NeuenMitte zu helfen, macht aber die Lafontainesche Politikweiter, die auf Kosten der Neuen Mitte geht.
Das kann doch keine Botschaft für die Menschen in die-sem Lande sein.Ich möchte mit zwei kurzen Zitaten einmal daran er-innern, was Lafontaine und Schröder auf dem Sonder-parteitag der SPD nach der gewonnenen Bundestags-wahl gesagt haben. Lafontaine sagte:Wir haben jetzt eine klare Vereinbarung, liebe Ge-nossinnen und Genossen, die heißt: Die Regie-rung Schröder kann nur Erfolg haben, wenn Par-teivorsitzender und Kanzler, wenn Kanzler undParteivorsitzender zusammenarbeiten und sichnicht, von wem auch immer, auseinanderdividierenlassen.
Schröder sagte:Diese Form der Zusammenarbeit, dieses Zusam-menstehen in schwierigen Zeiten, das ist keineEintagsfliege; das wird dauern.
Das war die Basis unseres Wahlerfolges, und daswird die Basis des Erfolges unserer Regierung sein,liebe Genossinnen und Genossen. Deshalb ganzpersönlich, lieber Oskar: Laß sie bellen. Die Kara-wane zieht weiter.
Die Karawane ist im Sandsturm steckengeblieben.Was wir jetzt haben, ist nur noch Sand im Getriebe.
Was sind denn nun die Ergebnisse? Wie wirken siesich aus? Wenn Herr Poß heute erklärt, die deutschenUnternehmen würden im Vergleich zu anderen Ländernganz niedrig besteuert, darf man sich ja nicht wundern,daß Sie eine Politik machen, mit der die Unternehmenabkassiert werden. Das ist die logische Schlußfolgerungaus einer solchen Auffassung. Daß aber gleichzei-tig Tausende von Unternehmen jedes Jahr über dieVizepräsidentin Anke Fuchs
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Wupper gehen – Sie können es ja jeden Tag in der Zei-tung lesen –,
ist der Beweis dafür, daß eine solche Politik unverant-wortlich ist.
Den abgewählten Ministerpräsidenten Eichel dazu zuverpflichten, diesen falschen Gesetzen morgen im Bun-desrat über die Hürde zu helfen, ihn dann aber zum Fi-nanzminister zu machen! Was soll das für eine Botschaftsein? Er war ja ohnehin nur der Lautsprecher von La-fontaine und hat keine eigenen Beiträge zur Finanzpoli-tik geleistet, so daß daraus wieder keine Hoffnung ent-stehen kann.Morgen stehen das „Steuerbelastungsgesetz“, das630-Mark-Gesetz und die Ökosteuer zur Abstimmung;bedauerlicherweise haben Sie das Gesetz über dieScheinselbständigkeit schon verabschiedet. Mir ist nichtverborgen geblieben, daß in Ihren Fraktionen aufgeregteDiskussionen darüber stattgefunden haben, was Sie da-mit angerichtet haben. Es wäre eben besser – das habeich in der letzten Debatte schon gesagt –, erst einmalnachzudenken, bevor Sie handeln. Die Politik nach demMotto „Erst entscheiden und hinterher nachdenken“muß in die Irre führen. Aber Sie scheinen nicht belehr-bar zu sein.
Sie scheinen das weitermachen zu wollen. Jedenfallswerden Sie mit Ihrem Scheinselbständigkeitsgesetz vieleselbständige Existenzen in den Ruin treiben: Unterneh-mensberater, Handels- und Versicherungsvertreter –
Herr Kollege, den-
ken Sie an die Zeit?
ich komme zum
Schluß, Frau Präsidentin –, Musikerzieher, Kurier-
dienste, Speditionen, Werbeagenturen, Softwarespeziali-
sten, Ingenieur- und Architekturbüros und überall in der
Neuen Mitte. Das haben Sie dann zu verantworten; dafür
haben Sie sich zu rechtfertigen.
Es nützt und hilft nichts, in den Medien gut aufzu-
treten und teure und wertvolle Anzüge vorzuführen.
Menschlich habe ich zwar Verständnis dafür;
aber als Bundeskanzler hat man eine andere Aufgabe
wahrzunehmen.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist zu Ende.
Als Bundes-
kanzler muß man die Richtlinien der Politik so bestim-
men, daß sie im Interesse der Bürger wahrgenommen
werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun
die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es hatsich im Laufe der heutigen Diskussion wieder gezeigt,daß es nicht sehr einfach ist, mit Ihnen über die Sache zureden. Es scheint Ihnen sehr leicht zu fallen, reine Pole-mik zu betreiben. Ich kann verstehen, daß Ihnen imMoment Ihre Polemik über Ihren Frust, weil Sie Ihrealte Klientelpolitik nicht mehr fortsetzen können, hin-weghilft.
Deshalb erlauben Sie mir, ein paar grundsätzliche Be-merkungen über Ihr parlamentarisches Selbstverständnisim Zusammenhang mit Ihrem Antrag zur heutigen Ak-tuellen Stunde zu machen.Welches grundsätzliche parlamentarische Selbstver-ständnis steckt denn hinter Ihrem Antrag? Sie tun so, alshätten nicht gewählte Abgeordnete in diesem Parlamentüber ein Gesetz beraten und es beschlossen. Wir verste-hen parlamentarische Arbeit und parlamentarischesSelbstverständnis so, daß wir uns mit den Fakten ausein-andersetzen. Das haben wir im Ausschuß getan. Sie ha-ben das nicht getan, sondern nur mit Geschäftsord-nungsdebatten gearbeitet.
Wir haben in den Anhörungen, die es gegeben hat, Kri-tik angenommen und umgesetzt. Das muß so sein. Dasgehört auch zu unserem parlamentarischen Selbstver-ständnis. Nach den Anhörungen haben wir uns für einGesetz entschieden. Wenn wir uns für ein Gesetz ent-scheiden – hier spreche ich für alle meine Kolleginnenund Kollegen in der Fraktion –, dann hängt das nichtvon einem Minister oder einer Ministerin ab – bei allemRespekt vor Regierungsmitgliedern –, sondern davon,daß wir uns nach einer ordentlichen Diskussion für die-ses Gesetz entschieden haben. Deshalb verstehe ich Ihrparlamentarisches Verständnis, das Sie mit diesem An-trag offenbaren, gar nicht.
Es mag ja sein, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Opposition, daß Sie Ihr parlamentarisches Selbstver-ständnis mit der Person eines Ministers verknüpft haben.Dr. Hermann Otto Solms
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2228 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Für uns zählen die parlamentarischen Entscheidun-gen, die es gegeben hat.
Eine weitere Anmerkung zu Ihrem parlamentarischenSelbstverständnis. Ich habe erlebt, daß Sie in den Bera-tungen, die wir im Finanzausschuß geführt haben, IhreRolle als Opposition nicht wahrgenommen haben, dienatürlich auch kritische Anmerkungen erfordert. Sie sindsozusagen als Filiale der Interessenlobby im Ausschußaufgetreten.
Was haben Sie gemacht, als wir über Zahlen und Be-rechnungen diskutiert haben? Sie haben die Briefe derInteressenverbände herausgeholt und die darin enthalte-nen Zahlen wortwörtlich abgelesen, anstatt sich um or-dentliche Berechnungen zu kümmern. Wir haben tage-lang und seitenweise erlebt, wie Sie einfach nur dieBriefe der Interessenverbände vorgelesen haben. In die-sem Zusammenhang möchte ich Sie auf einen Bericht,der vor zwei Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“ er-schienen ist, hinweisen, in dem unsere Berechnungen fürrichtig erklärt wurden und deutlich wurde, daß auch of-fensichtlich Sie diese Berechnungen kannten. Trotzdemhat niemand aus Ihren Reihen gegen das eigene Steuer-konzept protestiert, weil niemand damit rechnen mußte,daß es Wirklichkeit wird.
Ich habe den Eindruck, Herr Rauen, daß es Ihnennicht um die Sache, sondern zum Schluß nur noch umDestruktion ging, ohne die Interessen der Menschen unddes Standortes zu berücksichtigen.
– Herr Thiele, Sie sagen: Reden Sie einmal zum Thema.Es ist ein besonderer Witz, wenn Sie so etwas sagen.Wir reden darüber, daß Sie etwas außer Kraft setzenwollen, was im Rahmen eines ordentlichen parlamenta-rischen Verfahrens im Bundestag verabschiedet wordenist. Darum geht es hier tatsächlich. Darüber sollten wirreden.Ich möchte auch noch einen inhaltlichen Hinweis ge-ben. Wenn Sie so tun, als sei alles furchtbar, dann habenSie offensichtlich nicht die Tatsache verkraftet, daß esjetzt eine Mehrheit gibt, die eine andere Richtung will,nämlich daß auch Familien und Arbeitnehmer entlastetwerden. Das ist die richtige Richtung. Es tut mir leid,wenn Sie das nicht akzeptieren können. Diese Mehrheithaben wir im übrigen auch dafür bekommen, in derSteuerpolitik andere Schwerpunkte zu setzen.
Ihr Kollege Koppelin hat noch nach dem Beschlußdes Verfassungsgerichts hier gesagt, die Erhöhung desKindergeldes sei ein Geschenk. Ich frage mich wirklich,wo Ihr politischer Sachverstand geblieben ist und IhrVerständnis für das, was in diesem Lande vor sich geht.
Wir halten die Entscheidungen, die wir hier getroffenhaben, für die richtige Ausgangsbasis, die Struktur derUnternehmensteuern zu verbessern – die Struktur näm-lich ist es, die daneben ist – und die Entlastung der Fa-milien, die Sie über Jahre hinweg vorzunehmen ver-säumt haben, endlich auf den Weg zu bringen.Eines noch als Anmerkung zu vorhin: Der Beschlußdes Verfassungsgerichts bezieht sich nicht auf das Jahr1983. Er macht vielmehr deutlich, daß Sie bis zum jetzi-gen Zeitpunkt die Freibeträge über Jahre hinweg zuniedrig angesetzt haben.
Frau Kollegin, wir
sind in der Aktuellen Stunde.
Ich weiß. – Weil dies die
richtige Ausgangsbasis für weitere Verbesserungen im
Bereich der Steuersystematik ist, können wir überzeugt
und selbstbewußt sagen: Die Entscheidungen waren
richtig. Dazu stehen wir noch immer.
Nun erteile ich dem
Kollegen Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern habeich durch eine Telefonhotline die Sorgen unserer Bürgererfahren können.
90 Prozent der Anrufer haben sich bitter über das rot-grüne Regierungsdesaster, die negativen Auswirkungenauf den Arbeitsmarkt und den wirtschaftspolitischenKurs beklagt. Das negative Meinungsbild hat ein Anru-fer mit der Frage auf den Punkt gebracht: Von welchenHallodris wird unser Land jetzt eigentlich regiert?
Es wundert mich nicht, wenn die Leute draußen den-ken, dem Ansehen der Politik und unserem Land werdeschwerer Schaden zugefügt. Wo sind wir, meine Damenund Herren dieses Hohen Hauses, heute inzwischen hin-gekommen? Der Bundesfinanzminister wird zum Kabi-nettsflüchtling und pervertiert seinen Amtseid zur Ter-rassenveranstaltung von Saarbrücken. Der Bundeskanz-Nicolette Kressl
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ler degeneriert zum Pfau eines Life-Style-Magazins un-ter der Überschrift „Smart, Smilie, Windei“.
– Ich kann nur feststellen: Eitelkeit ist das sichersteKennzeichen des Dilettanten; das ist eine alte Weisheit.– Der Umweltminister erklärt das rotgrüne Regierungs-projekt für tot. Der Wirtschaftsminister wird zunächstwirtschaftspolitisch kastriert und avanciert dann zumSuperversprechungsminister. Der neue TraumkandidatEichel ist schon heute das genaue Gegenteil von Wirt-schaftsdynamik.
Sie haben keine neuen Einfälle. Sie haben nur politischeAusfälle.
Meine Damen und Herren, dieses Regierungskunst-stück taugt nur noch für die Lach- und Schießgesell-schaft, nicht für unsere Menschen, nicht für unsere Ar-beitsplätze und nicht für dieses Land. Sie machen Politikgegen den Willen unserer Bürger. Von niemandem wer-den Sie wirklich ernst genommen. Niemand glaubt Ih-nen mehr, schon gar nicht in der Steuerpolitik. Wennalle Reformprojekte im Chaos münden, wenn Sie diemittelständischen Betriebe überfordern, wenn Sie alsmakroökonomische Geistertruppe auftreten, dann scha-det dies unserem Land und führt in die Wirtschaftskrise.Auch eine starke Volkswirtschaft kann durch schlechteRegierungsarbeit in die Krise geführt werden. Niemandkann bei dieser gemeinwohlwidrigen Politik Schaden-freude empfinden. Aber morgen im Bundesrat in großerHast den Wahlverlierer Eichel für die Steuergesetze ge-radezu zu mißbrauchen ist ein Angriff auf den demokra-tischen Anstand in diesem Land, meine Damen und Her-ren.
Das ist der Gipfel der Arroganz der Macht. Das ist einHandstreich gegen den Willen der Bürger und derWähler, ein Novum in der deutschen Nachkriegsge-schichte, eine politische Willfährigkeit ohne Beispiel.Das negative Meinungsbild zeigt die große Enttäu-schung über die verpaßte Chance zu einer grundlegen-den Steuerreform mit einer echten Nettoentlastung undmit Steuervereinfachungen. Ziehen Sie Ihre Steuergeset-ze zurück! Ihre selbstgesteckten Ziele werden in keinerWeise erreicht: Entlastung der Bürger, Bekämpfung derArbeitslosigkeit, Förderung von Wachstum und Be-schäftigung, Vereinfachung des Steuerrechts – allesFehlanzeige. Statt dessen kommen auf die Bürger inDeutschland massive Steuererhöhungen zu.
Wir haben es mit einem Kaufkraftmärchen zu tun.Man muß sich das einmal vorstellen: Wir haben aufGrund der Erhöhung des Kindergeldes und der Tarifsen-kung eine Entlastung von 6,7 Milliarden DM. In der Ge-genfinanzierung Ihres Finanztableaus sind 3,7 Milliar-den DM vorgesehen. Eine zusätzliche Nettoentlastungvon 3 Milliarden DM wäre möglich. Gleichzeitig sorgenSie durch die Ökosteuer für eine Steuererhöhung von4 Milliarden DM. Das heißt, unter dem Strich kommteine Mehrbelastung heraus. Hinzu kommt eine Steuerer-höhung von über 5 Prozent durch den Progressionszu-wachs. Wir haben es von hinten bis vorne mit einemKaufkraftmärchen zu tun. Sie ziehen den Leuten das,was Sie ihnen in die linke Tasche geben, aus der rechtenTasche heraus. Das ist die Wahrheit über Ihre Steuer-politik.
Es gibt auch ein deutliches Mittelstandsmärchen. DerGipfel von „tarnen und täuschen“ findet in der „Mittel-standsschönrechnung“ statt. Durch falsche Abgrenzunggegenüber den privaten Haushalten werden die Mittel-standsbelastungen vorsätzlich gefälscht. Dabei sind inDeutschland 90 Prozent der Mittelstandsbetriebe Perso-nengesellschaften, die überhaupt keine Trennung zwi-schen privater und betrieblicher Belastung kennen.Es bleibt bei Ihrer Belastungsprobe für die Wirtschaftund für die Arbeitsplätze mit einer Gegenfinanzierungvon über 30 Milliarden DM. Das ist die Wahrheit überIhre Steuerpolitik.
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluß.
Schröder hat si-
cherlich recht – –
Ihre Redezeit ist ab-
gelaufen.
Frau Präsidentin,
ich komme zum Ende. – Eine Tatsache Ihrer rotgrünen
Steuerpolitik ist sicherlich, daß Schröder recht hat: Die
Karawane zieht weiter, die Kamele laufen, laufen und
laufen, und selbst der Sand wird bei Ihnen teurer.
Wie Sie wissen, magich muntere Debatten. Wir sind aber in einer AktuellenStunde. Ich möchte daran erinnern, daß jeder Redebei-trag nur fünf Minuten betragen darf.Ich erteile nun das Wort Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Hans Michelbach
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2230 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): – Genau. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen von der F.D.P., Sie können hier noch soviele Geschäftsordnungsdebatten führen, Sie könnennoch so viele Aktuelle Stunden beantragen, ich kann Ih-nen versichern: Wir, die Koalition, werden an den Steu-ergesetzen festhalten.
Ich sage sehr deutlich zu Beginn: Meine Fraktion be-dauert den Rücktritt von Oskar Lafontaine. Wir habensehr gut mit Oskar Lafontaine zusammengearbeitet. Füruns ist aber auch klar – ich denke, ich kann das auch imNamen der SPD sagen –: Diese Koalition wird Kurshalten. Wir werden Schritt für Schritt unsere Reform-projekte umsetzen und diese Koalition zum Erfolg füh-ren.
Sie alle wissen, daß wir in manchen Fragen mit OskarLafontaine unterschiedlicher Meinung waren. Das istkein Geheimnis. Aber das heißt eben nicht, daß wir jetztdas Kind mit dem Bade ausschütten. Die Steuerreformwar kein Privatprojekt von Oskar Lafontaine; vielmehrist sie ein zentrales Reformprojekt dieser Regierung;deshalb werden wir an dieser Reform festhalten.
– Nein.Ich werde Ihnen jetzt erklären, warum wir an dieserReform festhalten. Wir werden zunächst einmal mehrSteuergerechtigkeit schaffen. Davon hat man in IhrenPlänen der letzten Legislaturperiode nichts sehen kön-nen. Wir werden mit der Steuerreform mehr Solidaritätund mehr soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaftschaffen. Das gilt zuallererst für die Menschen selbst.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU, habenin der letzten Legislaturperiode viel von Familien gere-det. Aber mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerich-tes ist doch eines deutlich geworden: Das waren allesnur Sonntagsreden. Sie haben den Familien fast 20 Mil-liarden DM vorenthalten. Diese Koalition hat auchden Auftrag – wir werden uns dieser Herausforderungstellen –, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtesumzusetzen.
Wir werden eine familienfreundliche und kinder-freundliche Politik machen. Das Steuerentlastungsgesetzist dazu ein erster wichtiger Schritt. Wir werden nämlichdie Situation der Menschen, die Kinder haben, die sichfür ein Leben mit Kindern entschieden haben, durch ei-nen niedrigen Eingangssteuersatz, durch ein höheresKindergeld und durch die Erhöhung des steuerlichenGrundfreibetrags entscheidend verbessern. Das sind al-les Verbesserungen für die Familien, zu denen Sie in16 Jahren nicht in der Lage waren.Ferner wollen wir den wirtschaftlichen Wettbewerbin diesem Lande wieder gerechter und fairer gestalten.Auch hier hat die alte Regierung völlig versagt. Esschreit doch zum Himmel, wie die alte Regierung mitden kleinen und mittelständischen Unternehmen inDeutschland umgegangen ist. Das war ja gerade Gegen-stand der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht. Fra-gen Sie doch einmal die Handwerksmeisterin um dieEcke, was sie davon hält, daß Daimler-Chrysler trotzMilliardengewinnen keine Steuern bezahlt. Fragen Sieeinmal die Menschen, ob sie es richtig finden, daß sichGroßkonzerne mit steuerfreien Rückstellungen immerneue Märkte zu Bedingungen sichern, mit denen keinMittelständler mithalten kann. Ich meine, das ist nichtmittelstandsfreundlich und hat mit fairem Wettbewerbüberhaupt nichts zu tun.
– Wir werden das mit unserer Steuerreform ändern. EinHauptziel unserer Unternehmensteuerreform wird essein, fairen Wettbewerb zu schaffen.
Wir streben – das ist jedenfalls unser Ziel – einenSteuersatz von 35 Prozent an. Ich sage dazu aber auchganz deutlich: Das gilt nur dann, wenn er auch gegenzu-finanzieren ist. Die Steuersätze unter Beibehaltung derSubventionen zu senken, wie es manchen Verbandsver-tretern vorschwebt, das wird es mit dieser Koalitionnicht geben.
Wir entlasten den Mittelstand auch noch durch einweiteres Kernstück unserer Politik, nämlich durch dieökologische Steuerreform.
– Daß Sie von ökologischer Innovation keine Ahnunghaben, meine Damen und Herren von der F.D.P., dashaben Sie dieser Gesellschaft nicht nur während derletzten 16, sondern während der letzten 29 Jahre bewie-sen.
Wir werden an der ökologischen Steuerreform fest-halten. Sie wird kommen. Wir werden auch die zweiteund dritte Stufe einleiten, weil wir endlich eine nachhal-tige Wirtschaftspolitik betreiben wollen. Ich kann dieVerbandsvertreter, die jetzt Morgenluft wittern, nurenttäuschen: Wir werden uns von diesen Projekten nichtabhalten lassen, und ich kann sie nur auffordern, sich
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konstruktiv an dem Prozeß des „Bündnisses für Arbeit“zu beteiligen. Dieses „Bündnis für Arbeit“ ist ein Ange-bot und der wichtige Versuch, aus der Konfrontation derletzten Jahre zwischen Regierung, Unternehmen undGewerkschaften, für die sich die rechte Seite des Hausesmitverantwortlich zeigt, herauszukommen. Wir wollenversuchen, neue Wege bei der Schaffung von Arbeits-plätzen zu gehen. Wer das „Bündnis für Arbeit“ dazumißbraucht, diese Regierung zu erpressen, indem erimmer wieder mit dem Scheitern droht, der hat denGeist des „Bündnisses für Arbeit“ nicht verstanden. Wirwollen den Erfolg, doch das Bündnis kann nur erfolg-reich sein, wenn wirklich alle Seiten einsehen, daß Ein-zelinteressen hinter dem gemeinsamen Interesse, daßdieses Land neue Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähig-keit braucht, zurückstehen müssen, und gleichzeitigauch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Frau Kollegin!
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich komme zum Schluß. – Wir werden dafür
kämpfen und diesen Weg gehen. Wir wären ihn gerne
auch mit Oskar Lafontaine gegangen. Nun ist er nicht
mehr dabei, aber das ist kein Grund, das will ich zum
Schluß noch einmal sagen –
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): – ja –, auf den Weg, den Sie 16 Jahre lang ge-
gangen sind, zurückzukehren. Das war nämlich ein Weg
in die Sackgasse. Den werden wir sicherlich nicht be-
schreiten.
Nun erteile ich das
Wort Herrn Dr. Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die Überschrift der Aktuellen Stun-de ist merkwürdig, Herr Solms. Ich muß zugleich ein-räumen, daß es fremd klingt, wenn Sie zweimal in IhrerRede von Genossinnen und Genossen sprechen.
– Ich weiß, daß Sie zitiert haben. Das ändert aber nichtsan der Fremdheit, die man dabei empfindet.
– Die muß ich mir mitdenken. Gut, ich gebe mir Mühe.Sie haben den Rücktritt des BundesfinanzministersOskar Lafontaine und das Festhalten der Bundesregie-rung an ihren Steuergesetzen zum Gegenstand der Ak-tuellen Stunde gemacht. Darf ich Sie darauf hinweisen,daß diese Steuergesetze durch eine Mehrheit des Bun-destages verabschiedet worden sind? Das heißt, dieBundesregierung könnte, selbst wenn sie es wollte, dieseGesetze überhaupt nicht zurücknehmen.
Sagen Sie einmal: Wo leben wir eigentlich? Wiewerden denn hier die Debatten geführt? Konsequent wä-re doch gewesen – das haben wir heute morgen schongesagt –, Sie hätten einen Gesetzentwurf eingebracht,bei dem es in § 1 heißt, daß die Gesetze vom Soundso-vielten und Soundsovielten aufgehoben werden. In § 2steht dann, wann das Gesetz in Kraft tritt. Dann würdeübrigens auch ein Beschluß des Parlaments Sinn ma-chen, in dem der Bundesrat gebeten wird, seine Ent-scheidung so lange auszusetzen, bis man über den Ge-setzentwurf entschieden hat. Aber was soll denn dashier: „das Festhalten der Bundesregierung an ihren Steu-ergesetzen“? Die Gesetze beschließt immer noch derBundestag. Die Bundesregierung hat da nichts festzu-halten oder loszulassen. Das müssen wir hier doch ein-fach einmal klären.
Wenn man in diesen Dingen so ungenau wird, alsooffensichtlich selbst handwerkliche Schwächen besitzt,dann darf man sie anderen nicht vorwerfen.
Bei zwei Gesetzen haben wir mit Nein gestimmt. Beieinem Gesetz haben wir uns der Stimme enthalten. Wirwären sehr froh, wenn der Bundesrat morgen zumindestbei zwei Gesetzen den Vermittlungsausschuß anrufenwürde, damit wir noch eine Chance haben, sie zu ver-bessern. Da stimmen wir sogar überein. Ob wir sie aller-dings in die gleiche Richtung verbessern wollen, da binich nicht ganz so sicher; das würde ich eher bezweifeln.Aber eine Verbessserung würden wir schon anstreben.
Natürlich ist es nicht hilfreich – das will ich aller-dings auch einmal deutlich sagen –, wenn von derMehrheit, die die Gesetze beschlossen hat, ständig ge-sagt wird, man akzeptiere es, daß die Gesetze korrigiertwerden müßten. Sie müssen auch einmal zu Ihrer Ent-scheidung stehen.
Wenn Sie sie korrigieren wollen, dann machen Sie esgleich und nicht erst in einem halben Jahr. Das wäredann wirklich Zeitverschwendung. Da muß ich aller-dings der anderen Seite der Opposition recht geben.
In der Überschrift zur Aktuellen Stunde ist auch vomRücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontainedie Rede. Ich habe in den Beiträgen hier sehr viel Hämegehört. Man konnte sie auch in Zeitungen lesen. LassenSie mich dazu einige wenige Bemerkungen machen.Kerstin Müller
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Zunächst einmal bin ich der Meinung, daß sich OskarLafontaine nicht verfassungskonform verhalten hat.
Das muß man einfach sagen. Das Grundgesetz sieht kei-nen Rücktritt eines Bundesministers vor.
Wenn man einen solchen Weg geht, dann schreibt manan den Kanzler und bittet ihn darum, den Bundespräsi-denten zu ersuchen, daß er einen mittels einer Entlas-sungsurkunde aus dem Amt entläßt, wie es heute ge-schehen ist. Aber solange das nicht passiert ist, ist manBundesfinanzminister. Solange trägt man auch die Ver-antwortung für die entsprechende Politik.Ich meine, auch dort müssen wir genau sein. Wennwir nämlich Verantwortung von jeder und jedem in je-dem Arbeitsverhältnis verlangen, dann müssen auch wirals Politiker uns in solchen Fragen konsequent verhaltenund das Grundgesetz achten.
Wir dürfen nicht einfach aus einer Stimmung, dieverständlich sein mag, heraus meinen, daß es möglichist, diese Vorschriften zu umgehen. Er hat sich ja nichteinmal formal krank gemeldet. Das wäre noch etwas an-deres gewesen. Die Form ist wirklich nicht gewahrtworden. Das sind – das will ich in diesem Zusammen-hang sagen – keine leeren Fragen.Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung ma-chen. Es geht uns hier zwar nichts an, aber wenn manParteivorsitzender ist, dann – so meine ich – schuldetman seinen Mitgliedern wenigstens eine Erklärung,wenn man von einer solchen Funktion zurücktritt. Dasist nicht Sache des Bundestages; aber ich wollte meineMeinung dazu sagen.
– Das ist auch nicht meine Sache. Aber ich darf trotz-dem eine Meinung dazu haben.Ein bißchen Respekt flößt mir diese Haltung dochein. Es kann einen ja auch um drei Minuten vor 18 Uhrein bißchen süchtig machen. Einfach so zu sagen:„Schluß, aus, das war es!“, das hat auch etwas Verführe-risches.
– Ich weiß, daß Sie sich sehr freuen würden. Ich überle-ge mir aber schon sehr genau, wem ich eine Freude ma-che und wem nicht. Das müssen Sie mir schon überlas-sen.
Ich sage Ihnen nur eines: Den Respekt davor, daß einMann die Konsequenz daraus zieht, daß er glaubt, esginge nicht mehr weiter, und daß er sie wirklich so totalzieht, sollte man in seinen Formulierungen schon zumAusdruck bringen. Ich halte die Häme, die in diesemZusammenhang an den Tag gelegt wird, für einfach un-fair.
Viele von uns, die schon in einer ähnlichen Situationwaren, haben aus vielen Motiven – nicht nur aus ehren-werten Motiven – vor einer solchen Konsequenz zu-rückgeschreckt. Wenn ein anderer diese Konsequenz anden Tag legt, dann muß man seinen Respekt zum Aus-druck bringen und zugeben – selbst wenn man einzelneUmstände rügen muß –, daß einem dieses Verhalten einbißchen imponiert. Den unfairen Umgang mit Lafontaineals Person lehnen wir ab. Nachtreten ist sowieso dasletzte an menschlichem Verhalten. Daran werden wiruns auf gar keinen Fall beteiligen.
Denken Sie an die
Zeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Frau Präsidentin.
Ich füge hinzu: Oskar Lafontaine war sicherlich ein
wichtiger Politiker. Ja, es ist wahr, ich habe seinen
Schritt bedauert.
Herr Kollege, wir
befinden uns in der Aktuellen Stunde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gut, Frau Präsidentin.
Lafontaine war ein Mann mit Visionen. Man muß
nicht mit allem einverstanden sein, was er gemacht hat.
Aber man muß sagen, daß er immer wußte, was er
wollte. Das kann man nicht von allen Politikerinnen und
Politikern in diesem Hause sagen. Ich wünsche mir mehr
Politiker von dieser Art.
Nun erteile ich das
Wort Ernst Schwanhold, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es ist schon erstaunlich, unter wel-cher Überschrift Sie diese Aktuelle Stunde beantragt ha-ben. In Vorbereitung dieser Aktuellen Stunde habe ichmir die Namen Ihrer Minister heraussuchen lassen, diein den letzten 16 Jahren zurückgetreten sind oder die zu-rückgetreten worden sind. Die Liste enthält 54 Namen.Darunter befinden sich allein vier Wirtschaftsminister.Einen Wirtschaftsminister wollten Sie herausmobben,Herr Solms. Das ist Ihnen nicht gelungen, was ich imnachhinein gut finde. Wie Sie mit Ihren zurückgetrete-nen Ministern umgegangen sind, war in hohem Maßeunanständig. Wie Sie mit Lafontaine umgehen, istNachtreten und kein würdiges Verhalten für dieses Par-lament.
Dr. Gregor Gysi
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Herr Solms redet von Pleiten. Herr Solms, heute istden Tickermeldungen zu entnehmen, daß in diesem Jahrder Pleitenanstieg erstmalig gebremst ist. Ich will Ihnendas Ergebnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik desJahres 1997 sagen: Über 20 000 Unternehmen gingen inKonkurs; es wurden 200 000 Arbeitsplätze mehr ver-nichtet, als durch Neugründungen geschaffen wurden.Sie sollten nicht über Pleiten reden, sondern Ihre Fehl-leistungen beklagen!
Was wir in der Finanz- und Steuerpolitik tun müssen,ist das Wegräumen des Schutts, den Sie aufgehäuft ha-ben.
Das Steuerrecht ist doch nicht von selbst so undurch-sichtig und so kompliziert geworden. Sie werfen unsvor, daß wir es noch nicht vereinfacht haben. Nun gut,vielleicht ist der Vorwurf berechtigt, daß wir nicht schonnach fünf Monaten alles beseitigt haben, was Sie in16 Jahren an Chaos angerichtet haben. Sie haben in denletzten vier Jahren rund ein Dutzend Steuererhöhungenvorgenommen und damit Unternehmen und Bevöl-kerung mit 120 Milliarden DM zusätzlich belastet. Jetztgeht es erstmalig mit den Lohnnebenkosten und mit denSteuersätzen herunter, schon schreien Sie Zeter undMordio – verlogen, nichts als verlogen.
Die Unternehmen wissen und die Bürgerinnen undBürger spüren es in ihrer Tasche, daß sie eine Entlastungerfahren. Ich will Ihnen einmal Zahlen vom Verband derChemischen Industrie nennen, die sich auf die Entla-stung durch die Ökosteuer in bestimmten Branchen be-ziehen. Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutz-mittel:
– in dieser Branche wird gearbeitet; darüber brauchenSie nicht zu lachen, Herr Bohl –: 990 000 DM Ent-lastung; Anstrichmittel und Druckfarben: 9,74 Millio-nen DM Entlastung; pharmazeutische Erzeugnisse:23,25 Millionen DM Entlastung; Seifen, Wasch-, Reini-gungs- und Körperpflegemittel: 8,46 Millionen DMEntlastung; sonstige chemische Erzeugnisse: 6,91 Mil-lionen DM Entlastung.Diese Zahlen sind einer Statistik des Verbandes derChemischen Industrie zu entnehmen, die ich Ihnen gernezur Verfügung stelle. Hören Sie mit Ihrem Geschwätzauf, daß die ökologische Steuerreform die Unternehmennur belastet! Ich komme aus einem mittelständischenUnternehmen der chemischen Industrie und weiß, wel-che Entlastungswirkung sich für die Unternehmen er-gibt, wenn man 40 Prozent Lohnkosten und nur 3 Pro-zent Energiekosten hat. Unser Gesetz führt zu einerdeutlichen Entlastung. Dies trifft für den Durchschnittder Industrie zu.
Daß Sie sich über die Einführung der Ökosteuer är-gern, kann ich verstehen. Diesen Paradigmenwechselhaben Sie nicht geschafft. Herr Repnik hat einmal einintelligentes Modell aufgestellt. Er bekam dafür von sei-nem jetzigen Fraktions- und Parteivorsitzenden eins aufden Deckel und mußte sein Modell wieder in dieSchublade packen.
Es ist schon ein vernünftiger Einstieg, nicht den FaktorArbeit, sondern den Ressourcen- und Umweltverbrauchimmer mehr zu belasten. Nur so können wir unser Sozi-alsystem stabilisieren und den Sozialstaat finanzieren.Das ist ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn benötigen.Sie dagegen haben den Faktor Arbeit immer teurer ge-macht, was schließlich zu dem großen Rationalisie-rungsdruck führte, und am Ende wunderten Sie sich dar-über, daß die Arbeitslosigkeit stieg.
Die Steuerreform hat natürlich noch nicht ausrei-chende Ergebnisse erbracht; darüber haben wir ebenschon geredet. Gleichwohl bin ich Ihnen für diese Aktu-elle Stunde dankbar, Herr Solms, bietet sie doch eineausgesprochen gute Möglichkeit, noch einmal darzu-stellen, welche positiven Wirkungen die Steuergesetz-gebung der ersten Monate auf Bürgerinnen und Bürgerund einen Teil der Unternehmen hat.
Herzlichen Dank, daß Sie uns diese Möglichkeit ver-schafft haben!
Ich lobe den Kolle-
gen Schwanhold dafür, daß er die Redezeit eingehalten
hat, und erteile dem Kollegen Dietrich Austermann,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich dieSituation der Bundesrepublik vor Augen halten will,muß man sich eigentlich nur die Regierungsbank anguk-ken. Damit sage ich nichts gegen den Kollegen Volmer,auch nichts gegen den Kollegen Mosdorf. Aber ich fra-ge, wie es eigentlich auf dem Platz des Bundesfinanz-ministers zur Zeit aussieht. Wer ist eigentlich in dieserStunde amtierender Bundesfinanzminister? Wir hören,daß um 16.15 Uhr der Bundesfinanzminister, der bis da-hin noch im Amt war, seine Entlassungsurkunde inEmpfang genommen hat. Wir haben aber bisher nichtgehört, daß nach der Geschäftsordnung der Bundesregie-rung ein neuer Minister berufen worden wäre. Die bei-den Parlamentarischen Staatssekretäre scheinen zur ZeitErnst Schwanhold
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2234 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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nicht im Amt zu sein. Das heißt, wir haben hier eineLeerstelle.
Zugleich müßte angesichts der schwierigen Situation dieRegierung aber handeln. Es sind Entscheidungen gefor-dert, und man müßte auf das eingehen, was wirtschaft-lich und politisch notwendig ist.Wir wissen, daß der Minister, der bis vor wenigenMinuten im Amt gewesen und jetzt ins Private geflohenist, immer davon gesprochen hat, unser Land brauchenach 16 Jahren schwarzgelber Regierung einen Kassen-sturz. Ich frage, warum man nicht auch nach 135 TagenSchröder/Lafontaine/Fischer einen Kassensturz machensollte.Wer sich heute mit der Situation auf dem Arbeits-markt sowie mit Haushalts- und Finanzfragen befaßt,stößt ständig auf Ungereimtheiten. Ich komme aus einerSitzung des Haushaltsausschusses, in der wir von derUnion und der F.D.P. versuchen mußten, Herrn Schar-ping gegen eine wildgewordene Truppe von rotgrünenPolitikern zu stützen, die ziemlich plan- und ziellos inden Verteidigungsetat hineinschneiden wollten, nach-dem sie uns vorher noch aufgefordert hatten, wir mögenbitte gemeinsam eine Position in Sachen Kosovo ein-nehmen.Die Bundesrepublik war bis zum Oktober letzten Jah-res in einer guten Verfassung; sie war ein Land mit einerguten Perspektive.
135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten jedoch Ab-schwung statt Rekordwirtschaftswachstum, Exportrisi-ken statt Exportboom, steigende Staatsquote statt sin-kenden Staatsverbrauchs, Rückschritt mit alten Politik-rezepten, Rücknahme und das Aussetzen von Reformen,hausgemachte falsche Politik statt Modernisierung unse-res gesamten Staates.In diesen 135 Tagen ist aus sinkender Arbeitslosig-keit steigende Arbeitslosigkeit geworden, aus einem kla-ren Steuerkonzept ein Steuerchaos, aus einem vernünfti-gen Energiemix mit funktionierenden Strukturen einAusstiegsdruck auf die Wirtschaft mit ruinösen Steuernfür die Energieversorger.Wenn man sich vor Augen hält, wie innerhalb vondrei, vier Monaten eine Regierung alles, aber auch allesvöllig durcheinanderbringt, dann ist es doch logisch, daßman dann, wenn der Finanzminister als einer derHauptverantwortlichen geht – wir sind ihm dafür dank-bar, daß er diese Entscheidung getroffen hat –, dieSchlußfolgerung zieht, man müsse die falsche Wei-chenstellung der letzten drei Monate aufgeben und zueinem Kurs kommen, der wieder mehr Arbeitsplätze be-deutet.135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten statt geord-neter Bundesfinanzen mit sinkenden Ausgaben und sin-kendem Staatsanteil bei höherer Investitionsquote immerneue rotgrüne Haushaltslöcher und Investitionsstau.Der Bundeskanzler hat vor acht Tagen gefordert – ichzitiere aus der „Bild“-Zeitung, die über die Kabinettssit-zung berichtet hat –: „Wir brauchen kräftige Signale zurVerbesserung der Stimmung in der Wirtschaft“, weil dieKonjunktur gerade „einbricht“. Herr Schröder wörtlich:Wir haben es nicht nur mit den Unternehmern zutun, sondern auch mit deren Gewerkschaften!Herr Schwanhold, die sind offensichtlich alle ganzdankbar für die Steuerentlastung. „Wir dürfen nichtignorieren“, sagt Schröder, „daß . . . Arbeiter auf derStraße waren“ und für ihre Arbeitsplätze demonstrierthaben.Auch gegen die Agenda 2000 würden die Bauerndemonstrieren.Da baut sich– sagt Schröder –eine ernstzunehmende Front auf. . . . Da ist dieDosis zu hoch. Wenn dies so weitergeht, weiß ichnicht, wie man diese Politik auf Dauer legitimierenkann.Ferner:Ich kann das nicht zusammenhalten, wenn wir derWirtschaft mehr zumuten, als sie tragen kann.Wenn er in dieser Situationsbeschreibung recht hat,muß doch der Rücktritt von Lafontaine ein Einschnittund eine Aufforderung sein, ein völliges Umsteuern inder Politik vorzunehmen. Ich glaube, daß es keine ande-re Konsequenz aus dieser Entscheidung gibt.Die Kritik an diesen bisher 135 Tagen kommt dochnicht nur von der Union. Herr Glogowski kritisiert; ersagt, er werde morgen im Bundesrat Anmerkungen zurSteuerreform, zu allen drei Steuergesetzen machen. Ersagt: „Wir haben schwere Bedenken, aber stimmen zu“und fordert dafür, daß man eine Gesetzesfolgenabschät-zung nachschiebt. Aus Mainz – auch keine Unionsregie-rung – und von Clement kommt genau das gleiche. Allefordern Korrekturen. Sie sind offensichtlich dankbar fürdas, Herr Schwanhold, was Sie in den letzten drei Mo-naten hier beschlossen haben. SPD-nahe Manager gehenauf Gegenkurs zum Finanzminister, fordern eine Dere-gulierung des Arbeitsmarktes, fordern eine Senkung vonSteuern und Abgaben.
Herr Kollege, den-
ken Sie an Ihre Zeit!
Ich glaube, ichkomme zum Schluß.
Genau das Gegenteil von Vernunft wird praktiziert.Wir fordern von Ihnen, daß Sie diesen Einschnitt, diesenRücktritt des Ministers zum Anlaß nehmen nachzuden-ken. Alle Bundesländer fordere ich auf, morgen bei derBeratung im Bundesrat die drei Gesetze, die wir und an-dere mit Recht kritisieren, nicht passieren zu lassen,sondern den Vermittlungsausschuß anzurufen, damit wirDietrich Austermann
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uns darüber vergewissern können, was not tut für mehrArbeitsplätze in Deutschland.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nunKlaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen.Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das scheint mir die Aktuelle Stunde der gro-ben Klötze zu sein. Jetzt zum Schluß wurde noch einmalordentlich draufgehauen. Ich finde, auf eine solche De-batte paßt nur ein grober Keil.Herr Solms, Sie haben von Vorbildern in der Politikgesprochen. Dazu fällt mir eine Menge ein, insbesonde-re: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.Ich erinnere nur an Antragsfristen, die man hier und dortversäumt. Bei Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhil-feempfängern schreit man dann gleich: kürzen! Bei an-deren versucht man, sich herauszuwinden. Ich finde, werhier von Vorbildern redet, sollte genau aufpassen, wo-von er redet.Die Finanzpolitik von Theo Waigel und Oskar La-fontaine war vielleicht gar nicht so unterschiedlich.Wenn man sich anguckt, was im Steuerentlastungsgesetzstand, stellt man fest, daß man gar nicht so weit vonein-ander entfernt war. Nur gibt es einen zentralen Unter-schied zwischen beiden Gesetzen: Ihr Gesetz war unso-lide und unsozial, und vor allem haben Sie es nicht reali-sieren können, während das Steuerentlastungsgesetz vonRotgrün die Steuersätze gerade im Eingangsbereichsenkt und solide gegenfinanziert ist.
Ich möchte Sie daran erinnern, was in Ihrem Gesetz-entwurf alles gestanden hat. Von der Mehrwertsteuer-erhöhung ganz zu schweigen, lasen wir da von derVerlängerung der Ansammlungsfristen für Rückstel-lungen, dem Rückstellungsverbot für Endlager, demWertaufholungsgebot, der eingeschränkten Schadens-rückstellung für die Versicherungswirtschaft, der Sen-kung der degressiven AfA auf Ausrüstungsinvestitionenund der Einführung einer Versicherungsteuer. Herrjemi-ne! Das ist genau das, worüber Sie sich jetzt aufregenund wogegen Sie heute zum allerletztenmal querzutrei-ben versucht haben. Ich sage Ihnen nur: Es wird nichtgelingen.Sie kritisieren immer das Nachbessern. Was ist dennIhr Verständnis von Gesetzgebung?
Was ist denn Ihr Verständnis von Beratung und einemvernünftigen Gesetzgeber, wenn man nicht aus berech-tigter Kritik lernt? Daß Sie im letzten September abge-wählt worden sind,
lag – falls Sie es schon vergessen haben – insbesonderedaran, daß Sie in Ihrem Gesetzgebungsverfahren ebennicht gelernt haben.
Sie haben versucht, Ihr Steuergesetz durchzupeitschen.
Sie sind damit aus berechtigten Gründen im Bundesratgescheitert, weil es nicht solide gegenfinanziert war.
– Oh, da höre ich das Stichwort „keine Entlastung“. Ichfinde, daß unser Gesetz mit 20 Milliarden DM Netto-entlastung
genau die richtige Antwort ist. Wie Sie sicherlich in derInformation des Finanzministeriums nachlesen konnten,entlasten wir die Privathaushalte in Höhe von 24 Milli-arden DM sowie den Mittelstand in Höhe von 5,5 Milli-arden DM
– wir fangen zum 1. Januar damit an, Herr Thiele – undbelasten zu Recht die großen internationalen Konzerne.Sie haben heute in der Debatte über den Jahreswirt-schaftsbericht von der Kollegin Wolf, vom KollegenSchulz und vom Kollegen Poß gehört, was die OECDdazu sagt. Die OECD, die Sie überhaupt nicht als einenicht neutrale Instanz anfeinden können, hat Ihnen insStammbuch geschrieben: 8 Prozent effektive Belastungfür Körperschaften. Daran sehen Sie, daß unser Steuer-entlastungsgesetz genau auf der richtigen Linie liegt.
Ich will deutlich sagen, daß wir den Rücktritt vonHerrn Lafontaine bedauert haben, denn Herr Lafontainehat für diese Koalition eine wichtige Rolle gespielt, under war für uns ein wichtiger Bündnispartner. Er war füruns deshalb wichtig, weil er tatsächlich eine Vision hat-te. An dieser Stelle will ich Herrn Gysi einmal recht ge-ben. Er war ein Politiker, der klar gesagt hat, daß erZiele hat, daß er streitbar ist und daß er für seine Zieleeinsteht. Das nötigt mir Respekt ab, denn das ist wirk-lich Politik und besser als ein Dahinlavieren und ständi-ges Herumkritisieren ohne einen einzigen Vorschlag.
Ich will aber auch sagen, daß ich mich persönlich aufdie Zusammenarbeit mit dem designierten Finanzmini-ster, Herrn Hans Eichel, freue, weil ich glaube, daß auchDietrich Austermann
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2236 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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er ein Garant für eine Modernisierung des Steuersy-stems,
für mehr Generationengerechtigkeit, für die Fortsetzungder ökologischen Steuerreform, für ein modernes inter-nationales Unternehmensteuerrecht
und für die Entlastung der Familien ist, was Ihnen nichtwichtig ist, was Ihnen nicht gelungen ist und was Sie imSteuerentlastungsgesetz abgelehnt und lächerlich ge-macht haben.
Last, not least: Ich hoffe, daß Sie den neuen Finanz-minister als eine zweite Chance begreifen, in Zukunftnicht nur herumzunölen, sondern mit konkreten eigenenVorschlägen in den Finanzausschuß zu gehen. Bis heutehabe ich da nichts von Ihnen gesehen. Das fand ich aus-gesprochen schade. Ich freue mich darauf.Vielen Dank.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen! Kein Kassierer eines Gesangvereins oder Kegel-klubs verläßt sein Amt so, wie Oskar Lafontaine seinAmt als Bundesfinanzminister verlassen hat.
Kein Arbeitnehmer kann sich einen solchen Abgang lei-sten, weil er dann mit Disziplinarverfahren, fristloserKündigung und Kürzung seiner Bezüge zu rechnen hat.
Kein Minister seit Bestehen der BundesrepublikDeutschland hat in dieser Art und Weise Fahnenfluchtvor seiner Verantwortung begangen wie FinanzministerOskar Lafontaine.
Das ganze Verhalten des Finanzministers ist einegrobe Mißachtung der Verfassung,
insbesondere des Verfassungsorgans Bundespräsident,indem Oskar Lafontaine sich selbst beurlaubt, ohnedie Urkunde des Bundespräsidenten in der Hand zuhaben.
Das Ganze ist ein Skandal.
Ein Skandal ist aber auch, daß die rotgrünen Bundes-tagsabgeordneten es ablehnen, diesen Vorgang im Deut-schen Bundestag zu debattieren. Was für ein Selbstver-ständnis haben Sie überhaupt?
Ist es für Sie normal, daß der Bundesfinanzminister sozurücktritt, daß es die Bundesregierung ablehnt, hierzuim Rahmen einer Regierungserklärung Stellung zu neh-men, daß jedes klare Wort einer Mißbilligung oder Rügevon Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner rotgrü-nen Chaostruppe zu diesem Vorgang ausbleibt? Dasnenne ich einen Skandal, und das ist ein Skandal, denwir hier noch nicht erlebt haben.
Wie schlecht muß eigentlich die Lage der Koalitionund wie schwach müssen Ihre Argumente sein, wenn Siesich dieser Debatte nicht stellen?
Deshalb ist es richtig, daß wir als F.D.P. darauf gedrängthaben, diese Vorgänge heute hier im Deutschen Bun-destag im Rahmen einer Aktuellen Stunde zur Sprachezu bringen.
Die rotgrüne Politik und ihre Gesetze sind doch derGrund dafür, daß wir heute 500 000 Arbeitslose mehrhaben als zum Zeitpunkt der Bundestagswahl.
Nach Art. 65 des Grundgesetzes bestimmt der Bun-deskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür dieVerantwortung.
Alle Gesetze tragen die Unterschrift des Bundeskanz-lers. Alle Gesetze sind vom Bundeskabinett verabschie-det worden.Die Steuergesetze zeigen, daß nicht die Politik vonOskar Lafontaine, sondern die bisherige Politik der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schrödergescheitert ist. Die Grünen – Bundesminister Trittin undeine der Vorstandssprecherinnen – erklären ja auch:Klaus Wolfgang Müller
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2237
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Rotgrün ist gescheitert. An dieser Stelle muß ich wirk-lich sagen: Sie haben recht.
Es ist ein Skandal, daß Ministerpräsident Eichel, dersich am Abend der verlorenen Hessen-Wahl als ausge-sprochen honoriger Verlierer gezeigt hat,
morgen, ohne die Legitimation zu haben, sein Wort, daßer am Abend der Wahl im Fernsehen gegenüber allenBürgern gegeben hat, bricht und den Gesetzen mit derStimme des Landes Hessen zustimmt, wozu er zwarformal das Recht hat, moralisch aber nicht mehr legiti-miert ist.
Es ist ferner ein Skandal, daß Ministerpräsident Ei-chel nicht am heutigen oder am morgigen Tag im Deut-schen Bundestag als Finanzminister vereidigt wird. Esist ein Skandal, daß statt dessen in der Osterpause am8. April dieses Jahres eine Sondersitzung des Bundesta-ges mit ungeheurer Kostenbelastung stattfinden soll, dieder deutsche Steuerzahler zu tragen hat.
Es ist ein Skandal, daß wir während der Zeit, in derHaushaltsberatungen anstehen – Kollege Austermannhat darüber berichtet –, während der deutschen Ratsprä-sidentschaft und während der Neuordnung der Finanzender Europäischen Union keinen amtierenden Finanzmi-nister haben, sondern daß das jemand neben seiner ei-gentlichen Kompetenz stellvertretend sowie vorläufigund auf Abruf zu bewerkstelligen hat. So kann eineBundesregierung in diesen Zeiten keine Regierung füh-ren. Das ist schäbig.
Viele Bürger in unserem Land haben sich bei derletzten Bundestagswahl von dem Schröder-Spruch „Wirmachen nicht alles anders, aber vieles besser“ einlullenlassen. Jetzt können wir feststellen: Rotgrün machtnichts besser; es macht vieles schlechter, als es zuvorder Fall war. Rotgrün – das zeigt auch Ihr Beitrag, HerrMüller – erweist sich in den Beratungen zu jedem Ge-setz in Mißachtung der Rechte der Abgeordneten derOpposition, was sogar die PDS bestätigt, als unerträglichüberheblich, wie es hier im Bundestag noch nie vorge-kommen ist.
Vor allem erweist sich Rotgrün als absolut beratungs-resistent.
Kein guter Vorschlag und keine berechtigte Kritik wer-den aufgenommen. Die eigenen Vorhaben werden ein-fach durchgezogen.Der „Spiegel“ tituliert in dieser Woche „Schröderszweite Chance“. Wenn Sie diese zweite Chance ernst-haft nutzen wollen, dann fordern wir Sie auf: StoppenSie das Steuerbelastungsgesetz! Das kann der Bundestagübrigens tun, Kollege Gysi. Stoppen Sie das Pseudo-Ökosteuergesetz! Stoppen Sie das Gesetz zur faktischenAbschaffung der 630-Mark-Jobs!
Und Sie stoppen
jetzt Ihre Rede. Denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Nur wenn Sie dies tun,
haben Sie eine zweite Chance.
Herzlichen Dank für die angenehme Verfahrenslei-
tung, Frau Präsidentin.
Herr Thiele, ich bin
hinsichtlich Ihrer Redezeit großzügig gewesen.
Ich entschuldige mich. Ich wollte mich nicht in Ihre
Rede einmischen; aber meine Bemerkung paßte ganz
gut, wie Sie sich vorstellen können. Aber es war nicht
richtig.
Jetzt hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Thiele,ich mache mir ein bißchen Sorgen um Ihre Gesundheit.Sie sind genauso aufgeregt wie vor dem Rücktritt vonOskar Lafontaine, den wir sehr bedauern.
Aber ich kann gut verstehen, daß Sie damals, zu denZeiten, als Oskar Lafontaine hier mit Ihnen debattierthat, feuchte Hände bekamen, weil Sie in der Debattekeinen Stich machen konnten.
Zum Kollegen Michelbach muß ich sagen: Sie sindein hochgewachsener Mensch. Sie spezialisieren sichjetzt nur noch auf das Wadenbeißen. Das führt zu Hal-tungsschäden.
Ich hatte die Hoffnung, Herr Kollege Solms und HerrKollege Thiele, daß die F.D.P. diese Aktuelle Stundebeantragt hat, weil sie jetzt doch erkannt hat, daß sieCarl-Ludwig Thiele
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sich in der Debatte um das Steuerentlastungsgesetz ge-irrt hat. Gestern – Frau Kollegin Frick war ja als Mit-glied des Finanzausschusses mit in Paris – haben wirvon der OECD nämlich bestätigt bekommen: Das Landin Europa mit der niedrigsten effektiven Steuerbelastungder Kapitalgesellschaften ist Deutschland. Der Durch-schnittssatz beträgt 8 Prozent der Gewinne. Darin liegt– Herr Kollege Thiele, Herr Kollege Solms – die eigent-liche Unaufrichtigkeit der F.D.P.In der Zeit, als die F.D.P. den Bundeswirtschaftsmi-nister stellte – das waren viele Jahre, egal, wie dieHerren hießen –, haben Sie hingenommen, daß dieWettbewerbsordnung völlig durchlöchert wurde, daß dasPrinzip eines fairen Wettbewerbs durch ein Chaos anVergünstigungen und Schlupflöchern ersetzt wurde, sodaß ein fairer Wettbewerb unter Ihrer Desorientierungnicht mehr möglich war.
Es trifft zu – manche Mittelständler fragen, warumdie immer über mäßige Steuerbelastung der Unterneh-men reden –, daß viele Unternehmen in Deutschland zuRecht über die hohe Belastung klagen.
Aber der Durchschnitt ist niedrig, weil Sie es durch Ihrezerstörerische Politik zugelassen haben, daß sich vieleUnternehmen mit Geschick der Steuerpflicht völlig ent-zogen haben. Das werden wir ändern. Der erste Schrittist das bereits vom Bundestag beschlossene Steuerentla-stungsgesetz. Der nächste Schritt wird die umfassendeReform der Unternehmensbesteuerung sein. Die Erfah-rung, die wir gestern in dem sehr fachlichen und sehrnüchternen Gespräch mit den Experten der OECD ge-macht haben, ermutigt uns sehr dazu.Ich möchte Sie bitten – ich weiß nicht, ob das et-was nutzt –: Besinnen Sie sich wieder darauf, daßeine politische Partei dem Gemeinwohl verpflichtet istund daß Sie nicht nur der Lautsprecher von Verbändensind!
Die Verbände können das alleine. Da müssen Sie nichtauch noch in dasselbe Horn blasen. Das Ganze klingtübrigens bei denen häufig vernünftiger als bei Ihnen.
Ich nenne noch ein Beispiel, was sehr niederschmet-ternd ist. Natürlich ist es völlig gerechtfertigt, daß dieFinanzvorstände von großen Unternehmen ihre Interes-sen wahren und wahrnehmen wollen. Aber laufen Siedoch nicht einfach hinterher. Ein Unternehmen – Daim-ler-Benz jetzt Daimler-Chrysler –, dessen Vorstandsvor-sitzender sich noch vor kurzem damit gebrüstet hat, inDeutschland für den Rest dieses Jahrhunderts – das ist janicht mehr lange, aber immerhin hat er das vor ein paarJahren erzählt – keine Steuern mehr zu zahlen, drohtjetzt, ins Ausland zu gehen, wenn es nicht entlastet wird.Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch noch angedroht ha-ben, ins Ausland zu gehen.
Wir müssen doch ein Stück Nüchternheit bewahren.Meine Damen und Herren, wir werden konsequentunsere Steuerpolitik fortsetzen zum Wohle eines fairenWettbewerbs und mit dem Ziel der Besteuerung nachder Leistungsfähigkeit. Es war leider nicht möglich, daßSie sich, Herr Kollege Rauen, obwohl Sie im Finanzaus-schuß oft vernünftige Beiträge leisten, in Ihrer Parteidurchsetzen. Die Koalition, die 16 Jahre dieses Land re-giert hat, hat dazu überhaupt nichts beigetragen. Sie ha-ben eine Unordnung hinterlassen, die der wirtschaft-lichen Leistungsfähigkeit unseres Landes leider gescha-det hat. Wir werden das wieder in Ordnung bringen.
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spiller,keine Angst, wir werden nicht – so wie Ihr Finanzmini-ster – fahnenflüchtig, auch wenn Sie uns dazu auffor-dern.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Ma-chen Sie mit den Ministerpräsidenten heute abend das,was Sie mit Herrn Eichel nach der Hessen-Wahl ge-macht haben! Fordern Sie sie auf, ihre Meinung zu än-dern und im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anzu-rufen!Die Gesetze, die Sie vorgelegt haben, schaffen – wieSie es versprochen haben – Arbeitsplätze, aber nicht aufdem ersten Arbeitsmarkt, sondern bei den Steuerbera-tern, bei der Finanzverwaltung, bei den Schwarzarbei-tern und insbesondere im Ausland, aber nicht, so wie eseigentlich Ihr Ziel war, in Deutschland.
Die Steuerberater selber sagen, daß sie funktionierendeGesetze haben möchten. Diese Gesetze möchten sie ge-rade nicht haben.
– Herr Poß, bleiben Sie ruhig!Sie haben vier Anläufe unternommen, um die Min-destbesteuerung durchzusetzen, und immer noch wirdsie als verfassungswidrig betrachtet.
Jörg-Otto Spiller
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Sie mußten nach Gesprächen mit der Versicherungswirt-schaft eine Kommission einsetzen, um nachzubessern.Sie haben – das wurde schon angesprochen – mitDaimler-Benz sprechen müssen. Sie haben gesagt – soauch Sie, Herr Poß, gerade eben –, die Kumpel in derBraunkohle- und Steinkohlewirtschaft könnten sich aufdie SPD verlassen. Ich weiß gar nicht, warum sie danngegen Ihre Steuerreform Sturm laufen. Die Zeitungs-verlage sind auf die Barrikaden gegangen.
Sie haben gesagt, Sie wollten einen Kurswechsel.Zumindest haben Sie das noch vor kurzem gesagt; hin-terher wollten Sie das nicht mehr wahrhaben. Dannmüssen Sie doch vorher etwas falsch gemacht haben;sonst hätten Sie gar keinen Kurswechsel ankündigenmüssen. Aber Sie vollziehen ihn natürlich nicht.Wie ein roter Faden zieht sich durch Ihr gesamtesKonzept das Ansinnen, Liquidität aus den Unternehmenabzuziehen, um einige wenige Wohltaten zu erfüllen. Esist verantwortungslos, wie Sie mit der Öffentlichkeitumgehen.
Sie tun immer so, als würden Sie nachbessern. An ei-nigen Stellen haben Sie auch etwas nachgebessert. Abernehmen wir das Beispiel der Teilwertabschreibung: Statt3,2 Milliarden DM wollen Sie jetzt noch 2,4 MilliardenDM erzielen. Also bleiben Sie doch bei dem Instrument.Wenn man aus einem Kardinalfehler einen Fehlermacht, dann bleibt es bei einem Fehler. Das kennzeich-net Ihre Steuerreform: Sie bleibt ein Fehler.
Sie haben die „Neue Mitte“, den Mittelstand ent-täuscht. Jetzt versuchen Sie, Nebelkerzen zu werfen, in-dem Sie auf die Unternehmensteuerreform verweisen.Sie tun immer so, als würde dieser Kreis in einem zwei-ten Schritt entlastet. Was wollen Sie denn eigentlich?Herr Poß hat gesagt, das Volumen werde nicht reduziert;Herr Schwanhold hat genau das Gegenteil gesagt. In derÖffentlichkeit erzeugen Sie immer den Eindruck, in ei-nem zweiten Schritt, mit einer Unternehmensteuerre-form, sollen die Steuern für diese Kreise gesenkt wer-den. Wenn Sie das wirklich vorhaben, kann ich nur sa-gen: Nehmen Sie das Ganze, machen Sie es neu, undverabschieden Sie es in einem Schritt! Dann wäre dasauch glaubwürdig, aber so nicht.
Die Regelungen zu den 630-Mark-Beschäftigungs-verhältnissen sind ein einziges Abkassierungsmodell.
Von den 4,5 Millionen Menschen, die jetzt in 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen stehen, werden in Zukunft3,5 Millionen steuerpflichtig. Im Finanzausschuß habenSie gesagt, Sie wollten nur 1 Million Bescheinigungenfür die Steuerbefreiung ausstellen. Also muß doch derRest steuerpflichtig werden.
Nun lassen die Ministerpräsidenten verlauten, siewollten eine Gesetzesfolgenabschätzung – nachdem dasGesetz verabschiedet ist. So etwas brauche ich doch alsGrundlage für eine Entscheidung. Sie verfahren nachdem Motto: Wir probieren aus, mal sehen, was raus-kommt. – Nachdem Sie die Richtung verloren haben,verdoppeln Sie beim Rudern die Anstrengungen. Sokann es nicht gehen.
Sie sagen, wir würden die Ministerpräsidenten in ver-fassungswidriger Weise beeinflussen. Nein, meine Da-men und Herren, wir ermahnen die Ministerpräsidenten,den Amtseid, den sie für ihr Land geleistet haben, ernstzu nehmen. Einer von ihnen hat gesagt: „Erst das Land,dann die Partei.“ Morgen wird genau das Gegenteil voll-zogen.Deshalb: Ziehen Sie den Gesetzenwurf zurück! Siehaben selbst gesagt, daß er Murks ist. Frau KolleginScheel – sie ist gerade nicht da – hat geäußert, daß derGesetzentwurf so nicht richtig ist.Ich erinnere mich an eine Äußerung im Finanzaus-schuß: Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß dieseNorm angewendet werden kann. Das ist handwerklicheSchlamperei. Da kann es nichts anderes geben als: Ein-packen, neu machen und dann Vertrauen erwerben!Danke schön.
Jetzt hat das Wort
der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.
Sehr geehrteFrau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ichhabe von Herrn Thiele gehört, daß es in den Osterferieneine Sondersitzung geben soll. Daraufhin habe ich michsehr aufgeregt und dachte: Das ist schlimm; das kostetwahnsinnig viel. Sie haben den Nährboden dafür berei-tet.
Jetzt habe ich gehört, daß der Ältestenrat beschlossenhat, keine Sondersitzung druchzuführen.
Ich glaube, daß mit diesem Beispiel Ihrer Öffentlich-keitsarbeit klar wird, wie Sie Politik machen.
Sie sagen, wir würden uns bestimmten Debatten ent-ziehen. Richtig ist aber, daß wir uns zielführenden De-batten sehr gern stellen. Das sind nämlich Debatten, dieunserer Gesellschaft helfen, die unserer Wirtschaft hel-Jochen-Konrad Fromme
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fen, die den Menschen helfen. Aber ich muß hier etwasganz anderes erleben: Es werden Aktuelle Stunden miteigentlich nur einem Ziel beantragt, nämlich Plenarzeitzu verbrauchen. Es werden Anhörungen unter demDeckmantel beantragt, Öffentlichkeit herzustellen, Be-troffene und Experten zu hören. In Wahrheit werdenaber so viele Experten eingeladen, daß von vornhereinklar ist: Man kann überhaupt nur 30 Prozent dieser Ex-perten befragen; die anderen 70 Prozent gehen verärgertnach Hause und sagen: Wir sind eingeladen worden unddurften gar nicht reden. Ich habe Ausschußsitzungenerlebt, in denen so lange filibustert wurde, daß die Sit-zung um 2 Uhr nachts noch immer nicht zu Ende war.Ich habe – das gibt mir zu denken – erlebt, daß ein Be-richterstatter versucht hat,
durch nicht vollzogene Protokollunterzeichnungen denParlamentsbetrieb aufzuhalten. Ich halte das alles nichtfür legitime Anliegen, die jemand, der seriöse Politikmacht, zu verfolgen hat.
Ich glaube, daß Parlament und Regierung die Ver-antwortung tragen, die Rahmenbedingungen für Gesell-schaft und Wirtschaft zu definieren. Aber die Rahmen-bedingungen werden auch durch das Verhalten der Op-position definiert. Das heißt, wenn man feststellt, daßeine Regierung oder eine Regierungskoalition einenFehler macht, muß man einen konstruktiven Gegenvor-schlag machen. Das ist die Aufgabe einer Opposition.Da, muß ich sagen, habe ich bei Ihnen relativ wenig ge-funden. Ich glaube, daß Sie Ihrer Verantwortung in derOpposition damit nicht gerecht werden.Mit dem Verfahren, das ich eingangs nannte, nämlichdurch eine Falschmeldung Aufregung zu erzeugen, umdas Dementi in den vielen anderen nachfolgendenFalschmeldungen untergehen zu lassen, haben Sie auchfür den deutschen Wirtschaftsstandort ein weltweitesNegativmarketing betrieben.
Ich glaube, daß unserem Volk durch die Summe IhrerÄußerungen großer Schaden zugefügt wurde. Ihr Ver-halten hilft nämlich weder der Wirtschaft noch demHandwerk, noch den Familien. Es hilft auch nicht unse-rer weltweiten Reputation.Es gibt ein weiteres Moment, das ich ansprechenmöchte: das der Verallgemeinerung. Es stimmt, wennSie sagen, wir würden „die Wirtschaft“ belasten.
All die, die bisher keine oder wenig Steuern zahlen,sollen künftig mehr Steuern zahlen. Aber Sie sagennicht, daß wir die Wirtschaft auch entlasten. GerechteBesteuerung heißt, die, die keine Steuern zahlen, aberdie Infrastruktur nutzen, die mit den Steuern der anderenbezahlt wurde, zu belasten.
Der entscheidende Punkt ist, daß Steuergerechtigkeitbeide Momente aufweist, nämlich Belastung derjenigen,die sich ihrer Pflicht entziehen, und Entlastung derjeni-gen, die ihre Steuern ehrlich zahlen.Ich glaube, daß wir einer gerechten gesellschaftlichenEntwicklung mit der Entlastung der Arbeitnehmer, mitder Entlastung des Mittelstandes, mit der Belastung derKonzerne, die bisher kaum Steuern zahlen, sehr wohleinen vernünftigen Boden bereitet haben. Ich bitte Sie,dies unter Marketinggesichtspunkten für Deutschlandentsprechend differenziert darzustellen. Ich glaube, daßwir gerade unter dem Gesichtspunkt der differenziertenDarstellung wirtschafts- und finanzpolitischer Zusam-menhänge Oskar Lafontaine noch sehr vermissen wer-den.
Jetzt hat das Wort
Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherrichtig, daß in der Bundesrepublik schon mancher Mi-nister zurückgetreten ist. Aber noch nie hat ein Rücktritteines Ministers so positive Signale ausgeübt,
sei es an den nationalen oder internationalen Börsenoder seien es die Erwartungen an die wirtschaftliche Zu-kunft.Mit dem Namen Lafontaine werden in Deutschlandinsbesondere vier Dinge verbunden: erstens das Steu-erchaos der letzten Monate, zweitens die in Wissen-schaft und Praxis längst widerlegte These von der nach-frageorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik,
drittens das sogenannte Steuerentlastungsgesetz – HerrKollege Müller, Sie wissen genau wie ich, die Entla-stung ist nicht für 1999 und nicht für das Jahr 2000 vor-gesehen, sondern, wenn überhaupt, für das Jahr 2002;von daher verdient dieses Gesetz sicher nicht den Na-men Entlastungsgesetz –,
viertens das Ökosteuergesetz. Wenn wir letzteres genaubetrachten, ist es doch auf der einen Seite schlicht einEnergiesteuererhöhungsgesetz und auf der anderen Seiteeine Erhöhung des Bundeszuschusses zu den Sozialver-sicherungen.
Allerdings gibt es nicht nur innerhalb der CDU/CSUund der F.D.P. sowie den von Ihnen vielzitierten Wirt-Lothar Binding
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schaftsverbänden unterschiedliche Beurteilungen dieserGesetze. Interessant ist, daß Minister Müller – er ist lei-der nicht da – zum Teil ein deutliches Absenken derKörperschaftsteuer auf 35 Prozent fordert. Die Grünen-Kollegin Frau Scheel sagt, das ist nicht genug, es müs-sen 23 Prozent sein. Klaus Müller von den Grünen er-klärt im WDR, die Unternehmensbesteuerung sei inter-national nicht wettbewerbsfähig. Recht hat er, meineDamen und Herren. Nur erklärt zur gleichen Zeit derVorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, es sei „Un-sinn, über neue Unternehmensbesteuerungen zu speku-lieren“. Der Kollege Poß von der SPD erklärt, es gebekeinen weiteren Spielraum für Steuersenkungen. Herrvon Larcher, ebenfalls sozialdemokratischer Kollege,sagt sogar, weitere Steuerentlastungen seien fahrlässig.
Meine Damen und Herren, wenn wir eine Bilanz derFinanzpolitik von Oskar Lafontaine ziehen, ist das Urteilvon Karl Otto Pöhl, ehemaliger Bundesbankpräsident,SPD-Mitglied besonders wichtig. Er nennt die Finanz-politik von Oskar Lafontaine eine „kurzsichtige und nai-ve Politik, die von wenig Kenntnis der Märkte zeugt“.Ich glaube, das ist ein Satz, über den wir alle nachden-ken sollten.
Mehrere Redner haben den Besuch gestern in Parisbei der OECD, an dem auch ich beteiligt war, angespro-chen. Die Aktuelle Stunde reicht leider nicht aus, umausführlich dazu Stellung zu nehmen. Dort ist gesagtworden, die Tendenz des Steuergesetzes – niedrigereSteuern, breitere Bemessungsgrundlage – sei richtig.Sehen Sie sich einmal das Petersberger Modell an! Daswar genau diese Richtung. Nur, die Steuersenkung imJahr 2002 auf 48,5 Prozent, das kann es doch nicht sein.Was die 8 Prozent effektive Steuerbelastung betrifft,ist auf Nachfrage klar gesagt worden: Dies gilt nicht fürEinzelunternehmen, nicht für Personengesellschaften.Jeder hier im Raum weiß doch: Acht von zehn Unter-nehmen in Deutschland sind Einzelunternehmungenoder Personengesellschaften.
Die Wirtschaft hat übrigens längst auf die Steuerpoli-tik von Rotgrün reagiert: 500 000 zusätzliche Arbeitslo-se seit dem Regierungswechsel, rückläufiges Wirt-schaftswachstum – Sie haben die Zahlen gehört –, Auf-tragsrückgänge in verschiedenen Branchen. Der langjäh-rige Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, denich persönlich sehr schätze, Herr Professor Giersch – Siesollten sich das anhören –, hat recht, wenn er sagt: Nied-rigere Steuern erfordern niedrigere Staatsausgaben, allesandere ist ökonomischer Unsinn.
Ich habe genau gehört: Als der Wirtschaftsminister vor-hin erklärt hat, der Staat müsse sich zurücknehmen, hatvon Ihrer Seite niemand geklatscht.
Ich komme zum Schluß und möchte folgendes erklä-ren. Oskar Lafontaine hat seinen Beitrag zur Verbesse-rung des wirtschaftspolitischen Klimas in Deutschlanddurch seinen Rücktritt geleistet. Leisten Sie Ihren Bei-trag, indem Sie diese unseligen Steuergesetze zurück-ziehen!
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht Braun
, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Ge-
– Drucksache 14/326 –
stina Schenk, Sabine Jünger, Christine Ostrows-
ki, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Übernahme der gemeinsamen Wohnung nach
Todesfall der Mieterin/des Mieters oder der
– Drucksache 14/308 –
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Meine Damen und Herren, morgen wird der DeutscheBundestag das Staatsangehörigkeitsrecht mit großerMehrheit neu gestalten. Parteien der Regierungskoaliti-on und der Opposition werden gemeinsam neues Rechtschaffen, weil sie der Meinung sind, daß die Grundlagenunserer Gesellschaft mit möglichst großen Mehrheitengeschaffen werden sollten.
Auch die Frage des Zusammenlebens der Menschen inunserem Land gehört zu den gesellschaftlichen Grund-lagen unseres Gemeinwesens.Ein Leben ohne Angst ist eine Voraussetzung für in-dividuelle Freiheit.
Diskriminierung ist Auslöser vielfältiger Angst. UnserGesetzentwurf soll dazu beitragen, in Zukunft Diskrimi-nierung in einem wichtigen Teilbereich zu verhindernund ein Leben ohne Angst vor dem Verlust der Woh-nung zu ermöglichen.
Ich fordere Sie daher alle auf, in den Beratungen imAusschuß, aber auch in der gesellschaftlichen Diskussi-on zur weiteren Verbesserung unseres Gesetzentwurfesbeizutragen und das Gesetz in Kürze gemeinsam zu be-schließen.Worum geht es nun im einzelnen? Der Gesetzgeberhat im Jahr 1964 den § 569a in das BGB eingefügt. Die-ser besagt, daß der überlebende Ehegatte, der nichtselbst Vertragspartner des Vermieters war, kraft Geset-zes an Stelle des verstorbenen Ehepartners in das Miet-verhältnis eintritt. Die Regelung trug dem UmstandRechnung, daß früher regelmäßig – heute allerdingsauch noch sehr häufig – der Ehemann den Mietvertragallein unterschrieben hat und die in den überwiegendenFällen überlebende Ehefrau nach dem Tod des Mannesschutzlos wäre, obwohl die Ehewohnung für sie natür-lich genau wie für den Ehemann Lebensmittelpunkt –man könnte auch sagen: Heimat – geworden war. Zu-gleich wurde damals festgelegt, daß auch Familienange-hörige in das Mietverhältnis eintreten, allerdings nur,wenn sie mit dem Verstorbenen einen gemeinsamenHausstand geführt haben. Das Gesetz stellte also erstensauf die rechtliche Sonderbeziehung der Ehe, zweitensauf die Angehörigeneigenschaft und drittens auf die be-sondere Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunktfür die Bewohner ab. Geschützt werden sollten Ehe undFamilie, aber insbesondere die Menschen, die dieseWohnung gemeinsam mit dem Vertragspartner, alsodem Mieter, bewohnt haben.Der Gesetzgeber entschied sich auch bei der Abwä-gung der Rechte des Vermieters, der über sein Eigentumverfügen können soll, und der Rechte der neben demMieter selbst in der Wohnung lebenden Menschen fürdie Mitbewohner, denen ein Umzug erspart werdensollte, aber eben nur dann, wenn es sich um Ehepartneroder überlebende Angehörige handelte.Seit Jahrzehnten beobachten wir nun eine gesell-schaftliche Veränderung, die jetzt auch im Gesetz ih-ren Ausdruck finden soll. Es ist auf der einen Seite nichtmehr selbstverständlich, daß Menschen, die sich lieben,auch heiraten. Auf der anderen Seite bilden Menschenauch ohne eine Liebesbeziehung oft einen gemeinsamenHausstand, weil sie nicht allein leben wollen. Ich denkehier zum Beispiel an die immer häufiger werdenden Se-niorengemeinschaften und an die vielen Witwen, aberauch an die große Zahl der Alleinlebenden, die im Alternicht in ein Altenheim gehen wollen, aber auch nichtmehr allein leben können, weil sie auf die Hilfe eineranderen Person angewiesen sind. Solche Gemeinschaf-ten von Menschen, die sicherlich unterschiedlich starkVerantwortung füreinander übernehmen wollen, sollenund dürfen in Zukunft nicht mehr das Recht auf dieWohnung verlieren, wenn der Partner oder die Partnerinverstirbt, der oder die den Mietvertrag abgeschlossenhat.
Der Bundesgerichtshof hat das geltende Recht schonbisher so ausgelegt, daß er ein Recht des überleben-den Partners einer heterosexuellen Lebensgemeinschaftauf Übernahme der gemeinsamen Wohnung ange-nommen hat. Aus unerfindlichen Gründen hat derBundesgerichtshof dieses Recht homosexuellen Le-bensgemeinschaften bisher nicht zugestanden. Für unsLiberale kommt eine solche Differenzierung nicht inFrage.
Warum sollte ein verschiedengeschlechtliches unverhei-ratetes Paar bessergestellt sein als ein Paar desselbenGeschlechts? – Der Bundesgerichtshof hätte sogar ver-ständlicher entschieden, wenn er einer gleichgeschlecht-lichen Lebensgemeinschaft das Übernahmerecht einge-räumt hätte, während er es Unverheirateten verschiede-nen Geschlechts verweigert hätte; denn letztere könnenheiraten und konnten auf diese Weise schon bisher dasRecht auf Übernahme der gemeinsamen Wohnung er-langen, was das Bundesverfassungsgericht homosexu-ellen Lebensgemeinschaften bisher verweigert.Wir wollen aber nicht nur auf die Rechtsprechungschauen. Wir wollen in das Gesetz hineinschreiben, werwelche Rechte hat. Wir wollen auch hineinschreiben,daß für uns die sexuelle Orientierung überhaupt kein ge-eignetes Kriterium ist. Wir stellen darauf ab, daß zweioder mehr Menschen, die einen gemeinsamen Hausstandhaben, in ihrer Wohnung ihren Lebensmittelpunkt einge-richtet haben, der auch dann Lebensmittelpunkt bleibensoll, wenn ein Partner verstirbt.
Hildebrecht Braun
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Wir sind uns dessen bewußt, daß mit einer solchenRegelung der Kreis der Übernahmeberechtigten ver-größert wird, was nicht ohne weiteres den Beifall derVermieter finden wird. Aber ich möchte bereits hier an-kündigen, daß wir in naher Zukunft einen Entwurf zurReform des Mietrechts in das Gesetzgebungsverfahreneinbringen werden. In einem Teil dieses Gesetzentwur-fes werden wir eine weitere Interpretation des geltendenRechts als durch den BGH vornehmen. Der BGH hat,wie ich vorhin schon ausführte, auch den Erben, dienicht mit dem Mieter einen gemeinsamen Hausstandhatten, sondern möglicherweise im fernen Ausland le-ben, das Recht auf Eintritt in einen bestehenden Miet-vertrag eingeräumt. Die Ausweitung des Kreises derje-nigen, die berechtigt sind, einen Mietvertrag zu über-nehmen, halten wir Liberale für falsch. Wir werden da-her eine Klarstellung im Gesetz beantragen, mit der je-dem deutlich gemacht werden soll, daß das Erbrechtnicht auch das Mietverhältnis, in dem ja eine sehr perso-nengebundene Komponente enthalten ist, mit allenRechten umfaßt.Der BGH hat in seiner Auslegung des geltendenRechts dem Erbrecht gar eine größere Bedeutung bei-gemessen als dem Recht, das einem Angehörigen einesHausstandes aus dem tatsächlichen gemeinsamen Lebenin einer bestimmten Wohnung zuwächst. Auch dieBund-Länder-Arbeitsgruppe, die bekanntlich von derSPD dominiert war, hat bereits 1996 einen § 575d vor-gesehen, der für die Kündigung des Mietverhältnissesgegenüber dem nicht in Wohngemeinschaft lebendenErben kein berechtigtes Interesse mehr erforderte. Diesbedeutet, anders ausgedrückt, daß die Mehrheit dieserArbeitsgruppe damals der Meinung war, daß das Erb-recht nicht in der Weise zum Tragen kommen darf, wiees der Bundesgerichtshof ausgelegt hat.Kurz: Wir werden für ein modernes Mietrecht sorgen,das nicht diskriminiert, sondern alle Menschen in einemKernbereich ihres Lebens schützt, nämlich in ihrem eng-sten Lebensbereich, in ihrer eigenen Wohnung.Vielen Dank.
Das Wort hat die
Kollegin Gabriele Iwersen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Stadtgesellschaft drohtzu vereinsamen. Das ist kein Geheimnis; denn die Ten-denz zu immer mehr Einpersonenhaushalten hält leiderungebrochen an. In den größten Städten Deutschlandsleben inzwischen schon 50 Prozent, in einigen sogarüber 50 Prozent der Einwohner alleine. Besonders imAlter führt das zur Isolation und zur Abhängigkeit vonöffentlichen und privatwirtschaftlich organisierten Hil-feangeboten, weil die Möglichkeit zur gegenseitigenHilfeleistung, wie sie in Familien selbstverständlich ist,entfällt. Diese Entwicklung führt außerdem zu einernicht zu verantwortenden Fehlbelegung großer Woh-nungen, und die wiederum führt maßgeblich zum explo-sionsartigen Wachstum der Städte, selbst bei gleichblei-benden Einwohnerzahlen.Wir Sozialdemokraten haben deshalb großes Interes-se an der Gründung von Lebensgemeinschaften, dienicht nur gemeinsam haushalten, sondern auch gegen-seitige Beistandspflichten übernehmen. Dadurch wirdeinerseits der verfügbare Wohnungsbestand besser ge-nutzt, andererseits der Tendenz zu immer mehr Einper-sonenhaushalten und der fortschreitenden Vereinsamunginsbesondere im Alter entgegengewirkt.Aus Sicht der Wohnungspolitiker ist es positiv zubewerten, daß sich mehr und mehr Abgeordnete desDeutschen Bundestages dafür einsetzen, nichtehelichenLebensgemeinschaften unabhängig davon, ob sie we-gen sexueller Orientierung oder aus völlig anderenGründen geschlossen worden sind, Rechtssicherheitauch über den Tod eines Partners hinaus zu verschaffen.
Insofern sind wir F.D.P. und PDS dankbar dafür, daß siedurch ihre Gesetzentwürfe den Anstoß zu dieser Debattegeben. Vielen Dank!
Der Aufschrei der Ehe- und Familienschützer – damuß ich mich wohl mehr an die Mitte dieses Hausesrichten – ist vorprogrammiert, beruht aber mit Sicherheitauf der Fehlannahme, Ehe und Familie könnten sichnur dann des wirkungsvollen Schutzes der staatlichenOrdnung erfreuen, wenn dieser Schutz anderen vorent-halten wird.Es macht mir übrigens Freude, zu beobachten, wiesich die F.D.P. Monat für Monat von den Fesseln dersozialliberalen Koalition erholt. 16 Jahre sind schließlicheine lange Zeit.
– Konservativliberale Koalition, die für Sie vermutlicheine dauerhafte Verpflichtung zur Enthaltsamkeit gewe-sen ist.In der Sache sind wir uns also mit den Antragstellernweitgehend einig. Auf Dauer angelegte Lebensgemein-schaften schaffen sich ein gemeinsames Wohnmilieu,welches für den Hinterbliebenen genauso wertvoll undunverzichtbar ist wie für einen Verwitweten.Wenn wir Ihrem Schnellschuß heute trotzdem keineZustimmung signalisieren – die Beratungen liegen abernoch vor uns –, liegt das an dem von Ihnen, der F.D.P.,erkannten umfangreichen Regelungsbedarf zum The-ma Lebenspartnerschaften. Denn eine Mietrechtsre-form muß eine Reihe von antiquierten Regelungen er-setzen, soll einerseits zu einer Mietrechtsvereinfachungführen – da sind wir uns sicherlich einig – und anderer-seits Mietern und Vermietern gerecht werden. Eine ent-sprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe – Herr Braun,Sie haben sie schon erwähnt – war bereits tätig und hat1996 ein Ergebnis vorgelegt. Dies hätten Sie in der altenKoalition bereits 1997 umsetzen können, wenn das Er-Hildebrecht Braun
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gebnis akzeptabel gewesen wäre und Sie als F.D.P. sichhätten durchsetzen können. Dafür, daß das nicht ge-schah, mag es unterschiedliche Gründe geben.Ich beschreibe einmal den heutzutage gültigenRechtsanspruch des Vermieters. Er kann sich in derRegel seine Mieter aussuchen. Dieses Recht wird nurdurch das Menschenrecht „Anspruch auf Ehe und Fami-lie“ eingeschränkt. Das heißt, wenn ihm, dem Vermieter,der neu hinzukommende Ehepartner nicht gefällt, dannkann er trotzdem nicht kündigen. Anders ist es beimEinzug eines Bekannten oder eines Freundes. DessenMitbenutzung läßt sich über ein Untermietverhältnis re-geln. Aber in diesem Fall hat der Vermieter wieder einMitspracherecht; er kann nämlich einfach nein sagen.Wenn ein Schutzanspruch für auf Dauer angelegteLebensgemeinschaften im Mietrecht bzw. im BGB ge-schaffen werden soll, dann brauchen wir vor allen Din-gen eine rechtliche Absicherung dieser Lebensgemein-schaften, die vom Vermieter akzeptiert werden muß, sowie er es auch bei der Ehe muß.
Über eine auf Dauer angelegte Veränderung der Le-bensumstände eines Mieters müßte – –
– Jetzt besteht ein Unterschied; aber wenn man das än-dern will, dann müßte man unter Umständen eine Formfinden, die auch das ermöglicht. – Darum müßte auf je-den Fall – was ich Ihrem Gesetzentwurf nicht entneh-men konnte – der Vermieter darüber informiert werden,daß eine solche Lebensgemeinschaft gebildet worden ist,damit nicht nach dem Tod des Mieters der Hinterbliebe-ne zu einer menschenunwürdigen nachträglichen Be-weisführung gezwungen wird, daß die Lebensgemein-schaft wirklich auf Dauer angelegt gewesen ist.Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren, natürlichauch von der PDS, wirklich um den Schutz nichteheli-cher Lebensgemeinschaften geht, dann bedenken Sie:Eine Veränderung des Mietrechts für den Todesfallreicht nach meiner Ansicht sowieso nicht aus. DenkenSie bitte auch einmal an den Fall, daß durch die Kündi-gung des Mieters eine Lebensgemeinschaft verändertwerden muß, weil zum Beispiel der Hauptmieter, somöchte ich ihn einmal nennen, in ein Pflegeheim gehenmuß. Trotzdem besteht ein Interesse daran, diese Woh-nung als einen letzten Hort des gemeinsamen Zuhauseszu erhalten. Auch das ist in Ihrem Gesetzentwurf nichtberücksichtigt; denn Sie sprechen immer nur vom Endedes Mietverhältnisses durch Tod, nicht aber vom Endedurch Kündigung. Man würde nämlich kündigen, wennman ins Pflegeheim geht, und sich nicht einfach totstel-len. Es fehlt also noch etwas.Es gibt auch noch den Fall der Wohngemeinschaftenälterer Personen. Beispiel: Ein Witwer will nicht mehrallein in einer zu großen Wohnung wohnen und suchtsich zwei Bekannte, die mit ihm zusammen wohnen. Sieleben dort bis zum Tod des Mieters gemeinsam und inguten Verhältnissen. Das Mietverhältnis geht aber auto-matisch – auch Sie haben es schon erwähnt – auf denErben des Verstorbenen und nicht auf die Mitbewohnerüber. Mieter – also der neue Mieter, der dazu durch Erbegeworden ist – und Vermieter haben das Recht, inner-halb der gesetzlichen Frist zu kündigen, während dieMitbewohner wiederum leer ausgehen. Es nützt ihnenüberhaupt nichts, sich auf eine jahrelange gemeinsameHaushaltsführung zu berufen; das Erbrecht hat leiderVorrang. Auch für dieses Problem fehlt eine Lösung. Siehaben angekündigt, noch mehr vorzulegen; aber solangekeine weiteren Vorlagen vorhanden sind, sind Ihre gan-zen Pläne nur sehr dürftig.
An diesem Beispiel können Sie erkennen, daß dieReihenfolge Ihrer Bemühungen einfach falsch ist. Erstbrauchen wir die Verbindlichkeit für die besondereForm der Lebens- oder Hausgemeinschaft, wie manes auch immer nennen will. Wenn das geschehen ist,kann man darauf Ansprüche im Mietrecht aufbauen.Sonst steht nämlich als erstes in jedem Mietvertrag, daßein gemeinsamer Hausstand von nicht verwandten Per-sonen ausgeschlossen wird.Wir wollen auf gar keinen Fall eine Mietrechtsände-rung, die die betroffenen Lebensgemeinschaften, also inerster Linie gleichgeschlechtliche Paare und die Wohn-gemeinschaften älterer Menschen, vor neue Problemestellt und ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt ver-schlechtert.
Frau Kollegin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Ja, wenn Sie mir das noch
gestatten.
Das gestatte ich
noch. An sich ist Ihre Redezeit abgelaufen. Darauf ha-
ben Sie zu Recht hingewiesen. Aber ich gestatte Herrn
Kollegen Braun eine Zwischenfrage.
Bitte, Herr Braun.
Frau Kol-
legin Iwersen, wollen Sie das Recht einer überlebenden
Witwe – nehmen wir wieder dieses Beispiel –, die über
Jahre hinweg mit einer anderen Witwe zusammenlebt,
davon abhängig machen, daß wir ein Statut im Bundes-
tag finden, das auch für eine solche Gemeinschaft zu-
sammenlebender Personen geeignet wäre?
Ich möchte Rechtssicher-heit für die Lebensgemeinschaft, wenn der Anspruch ge-stellt wird, in das Mietrecht eintreten zu können. Siemüssen davon ausgehen, daß der Vermieter Nachfolge-mieter, die er selber nie kennenlernt, über eine langeReihe von Jahren nicht immer akzeptieren muß. Darummuß ihm entweder eine Form von Lebensgemeinschaftpräsentiert werden, die er zu akzeptieren hat, oder erGabriele Iwersen
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muß darauf einen Einfluß haben. Beides ist hier nichtvorhanden.Wir müssen – da werden Sie mir sicherlich auch rechtgeben – Rechtsansprüche und Vertrauensschutz fürbeide Parteien, die Mietpartei und die Vermieter, organi-sieren. Sonst funktioniert es nicht. Es geht hier nämlichnicht in erster Linie um eine moralische Frage, sondernes steht ein rechtliches Problem zur Diskussion. Eswundert mich schon, daß sich gerade die F.D.P. über-haupt nicht um die Belange der Vermieter, die in derRegel Hausbesitzer sind, kümmert. Das wäre eigentlichgerade ihre Aufgabe.
Ich bin auf die Beratungen gespannt und bin sicher,daß in der Zwischenzeit auch von uns ein Gesetzentwurfvorgelegt werden kann, durch den gerade diese Art dernichtehelichen Lebensgemeinschaften eine neue rechtli-che Form erhalten wird. Dazu werden meine Nachrednernoch Stellung nehmen.Schönen Dank.
Das Wort hat nun
der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir uns inder Aktuellen Stunde gegenseitig alle Entsetzlichkeitendieser Welt bescheinigt haben, sind wir nun wieder imtrauten Kreis der Rechtspolitiker zusammen. Wir be-schäftigen uns heute wieder einmal mit einem alten Be-kannten, mit dem § 569 a des Bürgerlichen Gesetzbu-ches. Das einzige, was mich an diesem vertraulichenCurriculum im Vergleich zu denen, die wir in der letztenLegislaturperiode zu dem Thema abgehalten haben,stört, sind die geänderten Mehrheitsverhältnisse. Aberauch das mag sich vielleicht wieder geben.
– Ja, das habe ich mir gedacht, daß Sie das nicht stört.So ist das Empfinden dann doch bei aller Gemeinsam-keit unterschiedlich verteilt.Es wird Sie nicht wundern, daß wir mit Aufmerk-samkeit und Verwunderung zur Kenntnis genommenhaben, daß PDS und F.D.P. einen inhaltlich sehr ähnli-chen Antrag eingebracht haben, wir ihm aber trotzdemin trauter Gemeinsamkeit mit der SPD nicht werden zu-stimmen können. Das hat unterschiedliche Gründe.Nachdem ich davon gesprochen habe, daß es sich beidem § 569 a BGB um einen alten Bekannten handelt,will ich ein wenig auf seine Geschichte hinweisen – derKollege Braun hat es auch schon getan –: Er geht auf§ 19 des Mieterschutzgesetzes vom 1. Juni 1923 zurück.Er ist dann in den § 19 Abs. 1 und 2 des Mieterschutzge-setzes vom 15. Dezember 1942 eingegangen und ent-sprach damals schon im wesentlichen der heutigen Re-gelung. Er ist dann – darauf hat Kollege Braun richtighingewiesen – 1964 so in das Bürgerliche Gesetzbuchaufgenommen und seitdem nicht mehr verändert wor-den.Der Repetitor, Herr Dr. Hitzemann, den ich an derUniversität Göttingen zu besuchen die Freude hatte, hatdie damaligen patriarchalischen Verhältnisse, die insbe-sondere im Mietrecht zum Ausdruck kommen und unteranderem zur Entwicklung des sogenannten Vertrags mitSchutzwirkung zugunsten Dritter geführt haben, beson-ders anschaulich geschildert. Es wäre wohl nicht ganzangebracht, das auch hier zu tun. Trotzdem ist doch derHinweis wesentlich, daß damals – unter diesem Ein-druck ist diese Vorschrift entstanden – die wesentlichenAußenbeziehungen der Familie vom Haushaltsvorstandgeregelt wurden; das war in patriarchalischer Traditionder Mann oder Vater, der die Verträge unterschrieb,während die Frau, wie es immer wieder so schön hießund glücklicherweise heute von uns belächelt wird, fürKinder, Küche, Kirche usw. zuständig war. Diese Ver-hältnisse haben sich glücklicherweise geändert. Ichglaube nicht, daß es auf Grund der jetzt geänderten ge-sellschaftlichen Verhältnisse angezeigt ist, diese damalsberechtigte Schutzwirkung auf alle möglichen Gemein-schaftsverhältnisse auszudehnen, wie es der Vorschlagder F.D.P. vorsieht.Nun hat sich der BGH in der hier schon mehrfach zi-tierten Entscheidung dazu durchgerungen, diese Schutz-funktion auch auf eheähnliche Gemeinschaften auszu-dehnen. Ich will hier einmal die Definition des BGH zureheähnlichen Gemeinschaft vortragen. Danach ist eineeheähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaftzwischen Mann und Frau, die auf Dauer angelegt ist,daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Artzuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, dieein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander be-gründen, also über die Beziehungen in einer reinenHaushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. –Es heißt dort weiter:Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nach nur vor-übergehend angelegte Partnerschaften scheidendamit von vornherein aus.Nun ist damit aber keine Diskriminierung gleichge-schlechtlicher Lebensgemeinschaften gemeint gewesen;vielmehr hat der BGH einen wesentlichen Grund für dieAusdehnung dieser Schutzfunktion darin gesehen, daßinsbesondere den Kindern, die aus eheähnlichen Ge-meinschaften hervorgehen, eine besondere Schutzfunk-tion des Gesetzes zuteil werden soll. Es heißt dortwörtlich:Erst recht erscheint es nicht hinnehmbar, dem auseiner solchen – also einer eheähnlichen –Partnerschaft hervorgegangenen gemeinsamennichtehelichen Kind das Eintrittsrecht zu gewähren,dessen leiblichen überlebenden Elternteil aber aus-Gabriele Iwersen
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zuschließen und auf sein „Recht“ zu verweisen, alsFamilienangehöriger des Kindes in der Wohnungzu verbleiben.Ich glaube, mit diesem Hinweis hat der BGH zutref-fend beschrieben, warum es sinnvoll ist, die Schutz-funktion in Analogie auf die hier definierte eheähnlicheGemeinschaft, aber nicht auf weitere Lebensgemein-schaften auszudehnen.
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wester-
welle?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Sie haben jetzt die
Meinung des BGH vorgetragen. Als Juristen wissen wir,
daß der BGH die Gesetze anwendet und an Hand der
Gesetze, die wir hier beschließen, eine Rechtsprechung
entwickelt. Die Meinung des BGH kennen alle, die hier
sitzen. Wir wüßten nur gern Ihre Meinung; denn wie die
Rechtsprechung des BGH ist, entscheiden ja auch wir.
Deswegen ist meine Frage an Sie: Wie ist denn Ihre
Meinung dazu? Ist es Ihrer persönlichen Auffassung
nach wirklich zulässig, daß ein heterosexuelles nicht-
eheliches Paar gegenseitige Rechte aus einem Mietver-
trag herleiten kann, ein – selbstverständlich unverheira-
tetes – homosexuelles Paar dagegen nicht? Kann das
Kind, das aus nichtehelichen heterosexuellen Beziehun-
gen stammt, das einzige Kriterium sein, wo doch zahl-
reiche nichteheliche Lebensgemeinschaften geschützt
werden, ohne daß sie Kinder hätten?
Herr Kollege
Westerwelle, ich wäre zu diesem Punkt gleich gekom-
men. Ich halte das in der Tat für ein wesentliches Krite-
rium. – Sie können sich gerne setzen; denn ich bin mit
ausreichend Redezeit ausgestattet, so daß ich diese Un-
terbrechung nicht benötige.
Ich halte diese Differenzierung in der Tat für eine
vernünftige Differenzierung; denn der BGH führt in sei-
ner Entscheidung des weiteren aus, daß diese Auswei-
tung der Schutzfunktion die Dispositionsfreiheit des
Vermieters seiner Ansicht nach nicht über Gebühr stra-
paziert. Im Gegensatz dazu würde die Dispositionsfrei-
heit des Vermieters meiner Meinung nach in einer nicht
mehr vernünftigen Weise beschränkt, wenn wir die
Schutzfunktion auf weitere Lebensgemeinschaften aus-
dehnen würden, insbesondere – wie Sie es vorgeschla-
gen haben – auf alle möglichen Lebensgemeinschaften.
Ich bin nicht der Ansicht, daß das verfassungswidrig wä-
re. Aber ich bin durchaus der Meinung, daß es da Pro-
bleme gibt. Ich will dazu nur auf die Verfassungsge-
richtsentscheidung hinweisen, die in der „NJW“ 1990,
Heft 25, abgedruckt ist und in der es heißt:
Der Eigentümer darf auch nicht verpflichtet wer-
den, sämtliche Mitbewohner des jeweiligen Mieters
als Nachfolger zu akzeptieren, ohne auf die Person
des Vertragspartners noch in irgendeiner Weise
Einfluß nehmen zu können.
Ich glaube nicht, daß dieser Zustand bei Umsetzung
Ihres Vorschlages letztendlich erreicht würde. Meiner
Meinung nach aber würde dadurch in der Austarierung
von sinnvoller Schutzfunktion auf der einen Seite und
Vertragsfreiheit auf der anderen Seite der Ausschlag zu
sehr zuungunsten der Vertragsfreiheit gehen; denn zur
Vertragsfreiheit gehört nicht nur, daß die Vertragspart-
ner gemeinsam den Vertragsgegenstand bestimmen
können, sondern man muß sich seine Vertragspartner
auch aussuchen können. Aus vernünftigen Gründen ist
das im Mietrecht – wie wir das auch bei der Regelung
des § 569 a BGB feststellen können – zum Teil einge-
schränkt. Aber ich meine, daß es einer weiteren gesetzli-
chen Regelung hierzu jedenfalls nicht bedarf.
Ich will mit einem Zitat schließen und deutlich ma-
chen, warum wir an einer derartigen Regelung nicht
interessiert sind, gleichwohl aber der Ansicht sind,
daß Lebensgemeinschaften, in denen gegenseitig Ver-
antwortung übernommen wird, natürlich zu begrüßen
sind.
Lassen Sie noch eine
Zwischenfrage zu?
Bitte, wenn Herr
Braun noch eine Frage stellen möchte.
Herr von
Klaeden, bevor Sie zum Schluß kommen, möchte ich
Sie noch fragen: Können Sie sich erklären, warum Ihre
Vertreter in der alten Koalitionsarbeitsgruppe
„Mietrecht“, die ja in der letzten Legislaturperiode sehr
intensiv das gesamte Mietrecht diskutiert hat, in diesem
Punkt in Übereinstimmung mit der F.D.P. genau die
vorgeschlagene Formulierung für richtig erkannt haben?
Wenn zwei alte Menschen gleichen Geschlechts zu-
sammenwohnen, weil sie beide gebrechlich sind und
einander helfen wollen, dann erhält der Überlebende
dieser Gemeinschaft keinen Schutz. Wären sie verschie-
denen Geschlechts, würden sie von der Rechtsprechung
des BGH geschützt werden, auch wenn sie keine Ehe
führen. Können Sie mir erklären, worin der Unterschied
liegen soll?
Herr KollegeBraun, ich bin wie Sie der Ansicht – Sie haben es ja inIhrer Rede ausgeführt –, daß die sexuelle Orientierungmit der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einesMietverhältnisses überhaupt nichts zu tun hat. In diesemPunkt sind wir völlig einer Meinung. Ihre Anmerkungführt mich aber dazu, zu sagen, daß man Kritik an deranalogen Anwendung des § 569a BGB auf eheähnlicheGemeinschaften durch den BGH üben kann. Ich glaubeEckart von Klaeden
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nicht, daß man weitere Analogien auf andere Lebens-verhältnisse übertragen sollte.
In der Analyse stimmen wir überein. Ich bin abernicht der Meinung, daß das Aufstellen weiterer Analogi-en notwendig ist. Andere Kollegen – ich erinnere in die-sem Zusammenhang insbesondere an den von uns allengeschätzten Kollegen Dr. Dietrich Mahlo – haben in ih-ren Reden im Plenum immer wieder deutlich gemacht,daß sie einer Veränderung des § 569 a BGB, so wie siejetzt von beiden Flügeln des Hauses gemeinsam vorge-schlagen wurde, nicht zustimmen können.Ich will zum Schluß sagen, daß es für den Schutz die-ser Lebensgemeinschaften überhaupt keine Rolle spielt,ob es sich um hetero- oder homosexuelle Lebensge-meinschaften, um die von Ihnen angesprochene Senio-renwohngemeinschaft oder um eine andere Form desZusammenlebens handelt, in der man Verantwortungfüreinander übernimmt. Ich begrüße es, daß es diese Le-bensgemeinschaften gibt. Man sollte sie soweit wiemöglich schützen und unterstützen.
Ich bin aber der Meinung, daß die Einschränkung derVertragsfreiheit – dies habe ich bereits erläutert – hiernicht nötig ist. Ich bin ferner der Meinung, daß es einenentsprechenden sozialen Handlungsbedarf nicht gibt.Ich will mit einem Zitat des Kollegen Jürgen Sonnen-schein enden:Zu bedenken ist auch, daß die rechtlich einfachsteLösung immer noch die klarste ist. Beziehen diePartner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaftdie Wohnung gemeinsam, können sie den Mietver-trag als Mitmieter abschließen. Kommt der Partnererst später hinzu, sollte er im Einvernehmen mitdem Vermieter schon zu Lebzeiten des Mieters indas Mietverhältnis einbezogen oder von diesemzum Erben eingesetzt werden.Die Möglichkeit der Einbeziehung des Partners ist alsoschon gegeben, so daß das Mietrecht nicht weiter regu-liert oder verkompliziert werden muß.Die Vertragsfreiheit sollte man – ich hatte eine ähnli-che Haltung bei den Liberalen angenommen –, bei allerRegulierung, die es in diesem Staate ohnehin schon gibt,soweit wie möglich schützen. Deswegen bringt nachmeiner Ansicht die Ausweitung des § 569a BGB im Er-gebnis nichts, sondern führt nur zu weiteren Schwierig-keiten und zu weiteren Komplikationen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Meine Damen und Herren! Im Grunde sind wir unseinig: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orien-tierung diskriminiert oder benachteiligt werden.Wir arbeiten an einer Änderung des Mietrechts.Wir werden durch diese Änderung insbesondereauch die Benachteiligung gleichgeschlechtlicherPartner, die mit dem Mieter einen auf Dauer ange-legten gemeinsamen Haushalt geführt haben unddie nach dessen Tod in das Mietverhältnis eintretenwollen, beseitigen. Ich meine, daß wir auf dieseWeise insgesamt eine sachgerechte Weiterent-wicklung unseres Mietrechts erreichen.
– Das verdient eigentlich auch den Beifall der F.D.P.;das war nämlich der Wortlaut der Rede, die der dama-lige Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke am26. Juni 1997 hier im Hause gehalten hat.
Ich dachte mir, wenn Sie von der F.D.P. unseren grü-nen Gesetzentwurf aus der vergangenen WahlperiodeWort für Wort abschreiben, kann ich spaßeshalber Ihredamaligen Reden zum § 569 a BGB halten. In punctogeistiges Eigentum sind Sie heute offensichtlich nicht anArt. 14 GG gebunden gewesen. Sie hätten wenigstenseinmal darauf verweisen können, woher Sie den Texthaben.
Aber Spaß beiseite; es geht heute wirklich um ein ern-stes Thema.Es gibt allerdings einen riesigen Unterschied zwi-schen Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P.,und uns: Ihre damals groß angekündigte Mietrechtsre-form ist nie Wirklichkeit geworden, sondern ins Nirwa-na gebrochener Versprechen entschwunden. Unsere Ko-alition dagegen macht mit der umfassenden Mietrechts-reform ernst und wird in diesem Jahr Entsprechendesvorlegen. Darin werden wir auch die Sonderrechtsnach-folge im Todesfall neu regeln. Wir werden aber darüberhinausgehen. Wir wollen die Gleichstellung auch inweiteren Bereichen verwirklichen, in denen das geltendeMietrecht darauf abstellt, ob zum Hausstand des Mietersgehörende Personen oder Familienangehörige vorhan-den sind.Kurzum, wir wollen das gründlicher machen. Wir ha-ben jetzt die Kapazitäten und die Unterstützung desBundesjustizministeriums. Die werden wir politisch nut-zen. Damit kommen wir in einer kooperativen Atmo-sphäre ein gutes Stück voran. Es ist auch für die Men-schen draußen im Lande das Beste, wenn wir hier eineumfassende Reform anpacken.
Eckart von Klaeden
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Das Mietrecht ist aber nur ein kleiner Ausschnitt die-ses Themas. Es geht um eine ganze Reihe von anderenProblemen. Wenn Sie, Herr von Klaeden, hier zum Aus-druck bringen, daß Sie die Mietrechtslösung nicht woll-ten, zugleich aber davon sprechen, daß Sie auf Dauerangelegte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaf-ten schützen wollen,
dann möchte ich einmal Ihr rechtspolitisches Konzeptkennenlernen. Damit, daß Sie sagen, Sie fänden gleich-geschlechtliche Lebensgemeinschaften okay und wolltensie auch irgendwie schützen, ist diesen Menschen nichtgeholfen. Sie wollen von uns ganz konkrete Regelungen.Dazu ist die Politik, dazu sind wir als Gesetzgeber ver-pflichtet.
Daß Sie hier den BGH verteidigt haben, kritisiere ich;denn der Duktus der Begründung dieses Urteils war einausdrücklich diskriminierender. Der Satz, der zum Aus-schluß der Homosexuellen führt, besagte: Das gilt nichtfür homosexuelle und andere nicht auf Dauer angelegteLebensgemeinschaften.
Das spricht homosexuellen Menschen grundsätzlich dieFähigkeit zu auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaf-ten ab, und das ist eine Ungeheuerlichkeit, die man auchbei einem obersten Gericht zurückweisen muß.
Es ist ein gutes Zeichen – das darf man bei einer sol-chen Debatte auch einmal feststellen –, daß an einemTag wie dem heutigen zwei Drittel des Hauses – so gutist die CDU/CSU heute nicht besetzt; deshalb sind essogar mehr – dafür sind, etwas für die Rechte von ho-mosexuellen Paaren und auch von anderen Lebensfor-men zu tun. Vor 10 oder 15 Jahren wäre bei dieser Frageein solches Mehrheitsverhältnis nicht möglich gewesen.Das zeigt, daß die Gesellschaft auch hier vorangeschrit-ten ist. Wir stellen das mit Befriedigung fest.
Herr von Klaeden, Konservative beklagen – manch-mal durchaus mit unserer Unterstützung –, daß es in derGesellschaft zunehmend an Mitmenschlichkeit fehle,daß der Egoismus zunehme, daß Vereinzelungstenden-zen dazu führten, daß Menschen vereinsamen und Soli-daritätsstrukturen in der Gesellschaft zusammenbrechen,und daß nach dem Staat gerufen werde, weil es in derGesellschaft an entsprechenden Kräften fehle. Wenn wirdies aber beklagen, dann dürfen wir nicht da wegschau-en, wo Mitmenschlichkeit vorhanden ist, wo Verant-wortung von Menschen füreinander auf Dauer über-nommen wird und wo Menschen über Jahre und Jahr-zehnte füreinander einstehen. Dann dürfen wir uns alsGesetzgeber nicht nach einer gesellschaftspolitischenFiktion richten, sondern müssen uns hier an den Reali-täten ausrichten. Das heißt, wir brauchen die Anerken-nung auch gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaftenim Familienrecht. Diese Koalition hat sich diesen Punkt,die eingetragene Lebenspartnerschaft, als eines ihrer Re-formprojekte auf die Fahnen geschrieben. Ich lade alleOppositionsfraktionen ausdrücklich ein, sich an dem ge-sellschaftspolitischen Prozeß wie an der Gesetzgebungaktiv und konstruktiv zu beteiligen, weil wir eine guteLösung für die Menschen erreichen wollen.Ich will Ihnen ein paar Sachen nennen, um die es dageht. Da geht es nicht um Petitessen und auch nicht umSymbolik, sondern um brennende Probleme von Men-schen, die zusammen leben wollen, die dafür aber kei-nen rechtlichen Rahmen haben, weil das privatrechtlichvertraglich nicht zu regeln ist.Da werden Partner, die zum Beispiel zum Studierenaus den USA hierher gekommen sind und sich hier ander Universität verlieben – so etwas kommt ja vor, undzwar nicht nur bei Heterosexuellen, sondern auch beiHomosexuellen – und die nach Ende des Studiums ihrgemeinsam aufgebautes Leben fortsetzen wollen, desLandes verwiesen. Sie erhalten hier weder Aufent-haltstitel noch Arbeitsgenehmigung, weil die gleichge-schlechtliche Lebensgemeinschaft nicht den Schutz desRechtes verlangen kann. Hier werden Leben und Liebevon Menschen zerstört. Ich finde, dazu hat der Gesetz-geber kein Recht. Er darf da nicht wegschauen.
Es gibt Leute, die in Mietwohnungen wohnen. Ande-re wohnen in Eigentumswohnungen und haben sichdiese im Laufe des Lebens gemeinsam erspart, erarbei-tet, haben sie schuldenfrei gekriegt. Dann verstirbt einerder beiden Partner; das kommt auf Grund von Aids beijungen Männern und Männern mittleren Alters häufigervor. Der Überlebende ist dann trotz Testaments vor dieSituation gestellt, daß ein Teil der Wohnung auf Grundder Pflichtteilsansprüche auf einmal der „buckligen“Verwandtschaft gehört und ein anderer Teil dem Fi-nanzminister – wie auch immer er dann heißen mag –,
weil weder ein Freibetrag bei der Erbschaftsteuer über10 000 DM hinaus gewährt wird noch bei den Steuersät-zen darauf Rücksicht genommen wird, welche enge Be-ziehung das war und daß die Partner ihr Leben auchökonomisch gemeinsam geplant und gemeinsam auf dieSchiene gesetzt haben. Hier müssen die Menschen unterUmständen den Auszug aus der Wohnung und zusätz-lich den Verlust des Partners verkraften. Das ist eine un-nötige Grausamkeit, die der Gesetzgeber mit einem Fe-derstrich beseitigen kann. Deshalb brauchen wir ein sol-ches Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft.Ein weiteres Beispiel: Berlin-Umzug. Eine Frau ineiner lesbischen Partnerschaft arbeitet in der Bundes-tagsverwaltung. Ihre Freundin ist an einem Lehrstuhl derBonner Universität beschäftigt. Die Kollegin aus derBundestagsverwaltung zieht nach Berlin. Ihre FreundinVolker Beck
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möchte nach einer Weile nachziehen, weil sie beide dasPendeln auf Dauer satt haben. – Das ist nur zu verständ-lich; das ist kein Zustand auf Dauer. – Sie bekommtaber drei Monate lang kein Arbeitslosengeld, weil eskein rechtfertigender Grund ist, eine Stelle aufzugeben,um dem gleichgeschlechtlichen Partner hinterherzuzie-hen, weil diese Lebensgemeinschaft keine Anerkennungdes Rechtes genießt. Auch das ist eine nicht zu rechtfer-tigende Schikane, die wir dringend abstellen müssen.
Wir müssen klarmachen: Homosexuelle Menschensind Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch: mitgleichen Rechten, mit gleichen Pflichten. Sie sind Steu-erzahler und Steuerzahlerinnen. Sie sind Wähler undWählerinnen. Sie haben deshalb auch den Anspruch, daßwir als Gesetzgeber uns hier aufmachen. Wir solltenwürdigen, wenn Verantwortung füreinander übernom-men wird. Wir sollten uns gegenüber neuen Familien-formen öffnen und uns an den Realitäten und nicht anden Ideologien der 50er Jahre oder des 19. Jahrhundertsorientieren.Der Schutz von Ehe und Familie besteht darin, daßwir insbesondere das Zusammenleben mit Kindern för-dern: Familie ist, wo Kinder sind.
Sie haben bei der Familienförderung jahrelang nicht aufdie Kinderförderung geachtet. Der Schutz von Ehe undFamilie besteht für Sie darin, daß alles, was nicht IhrenVorstellungen von Zusammenleben entspricht, rechtlichbenachteiligt, gesellschaftlich unterdrückt wird.
Da hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht vor einigenWochen mit Recht eine klare Absage ins Stammbuchgeschrieben.Ich denke, Sie sollten sich jetzt für die rechtliche An-erkennung anderer und neuer Lebensformen öffnen. DasRecht muß sich an der Realität orientieren. Jede Liebeverdient Respekt.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christina
Schenk von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Nach geltendem Recht haben nurEhegatten oder andere Familienangehörige beim Todes-fall der Mieterin oder des Mieters das Recht, den Miet-vertrag für die gemeinsam bewohnte Wohnung fortzu-setzen. Das bedeutet Rechtsunsicherheit, und zwar nichtnur für nicht verheiratete Paare mit gemeinsamemHaushalt, sondern für alle, die aus den verschiedenstenGründen in einer Wohngemeinschaft zusammenleben.Beim Tod des Mieters oder der Mieterin haben sie kei-nen gesetzlichen Anspruch auf Fortsetzung des Miet-vertrages.Der Bundesgerichtshof – das ist hier schon öfter ge-sagt worden – hat diese Situation in seiner Rechtspre-chung ein wenig verbessert. Seit 1993 gilt der Miet-schutz von Ehegatten und Familienangehörigen nach§ 569 BGB auch für heterosexuelle Lebensgemein-schaften. Homosexuelle Paare hingegen hat der Bundes-gerichtshof von einer solchen Regelung ausdrücklichausgenommen.Wir meinen, daß eine solche Unterscheidung nichtakzeptabel ist.
Es gibt überhaupt keinen Grund, homosexuelle Lebens-gemeinschaften gegenüber heterosexuellen Paaren zubenachteiligen. Die notwendige Änderung in § 569 desBürgerlichen Gesetzbuches scheiterte bislang jedoch ander CDU/CSU, die sich in dieser Frage jeglichem Fort-schritt verweigert hat. Die Konservativen malen die Zer-störung von Ehe und Familie oder gar den Untergangdes Abendlandes schlechthin an die Wand, wenn es auchnur um ganz kleine Schritte in Richtung Gleichstellungaller Lebensweisen geht.
Die Diskussion um den Familienbegriff im Koalitions-vertrag hat das wieder auf sehr erschreckende Weisedeutlich werden lassen.Die PDS hat hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, derden Rechtsanspruch auf Übernahme einer Wohnungnach dem Tod des Mieters allen zuerkennt, die in einemHaushalt zusammenleben, und das unabhängig da-von, aus welchen Gründen sie dies tun. Es kommt nichtdarauf an – jedenfalls für uns nicht –, ob es sich umeine Zweckgemeinschaft zur Verringerung der indivi-duellen Mietbelastung, um eine Lebensgemeinschaft,um eine Pflege- oder Betreuungssituation oder um eineWohngemeinschaft von Seniorinnen und Senioren han-delt oder ob vielleicht versuchte Erbschleicherei derGrund des Zusammenlebens war. Der Gesetzgeber tutgut daran, nicht über die persönlichen Motive des Zu-sammenlebens zu urteilen, sondern sie zu respektieren.Genau das fordert der von uns eingebrachte Gesetzent-wurf.
Es freut mich, daß die F.D.P. unmittelbar nach unseinen Entwurf vorgelegt hat, der einen ähnlichen Grund-ansatz verfolgt. Allerdings – das möchte ich hier dochdeutlich machen – verlangen Sie von der hinterbliebenenPerson den Nachweis, daß die Haushaltsgemeinschaftauf Dauer angelegt war.
Volker Beck
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2250 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
(C)
Dieser Begriff ist, bislang zumindest, nicht klar definiertund eröffnet einen großen Interpretationsspielraum fürVermieter und Gerichte. Wir meinen, dieser Interpreta-tionsspielraum sollte unbedingt vermieden werden, dennRechtssicherheit entsteht dadurch nicht.Zum Abschluß möchte ich noch eine grundsätzlicheBemerkung machen. Wer wirklich Diskriminierungenund sachwidrige Ungleichbehandlungen beenden will,kommt nicht weit, wenn er sich auf ausgewählte Grup-pen, zum Beispiel Lesben und Schwule, beschränkt. Ei-ne Salamitaktik, die zwar die Diskriminierung für lesbi-sche und schwule eheähnliche Gemeinschaften beendet,sie aber für andere Gruppen bestehenläßt, setzt die Dis-kriminierung fort, wenn auch in veränderter Weise.Es geht also nicht um Minderheitenpolitik, sondernum die Anerkennung der Vielfalt der Formen des Zu-sammenlebens, um die Umsetzung des Grundsatzes„Gleiches Recht für alle“.
Heute dominiert nicht mehr ein einziges Lebensmodell,sondern es existiert eine große und zunehmende Vielfaltganz verschiedener Lebensformen. Wir meinen, demGesetzgeber steht es nicht zu, ungerechtfertigte Unter-schiede zwischen selbstgewählten Formen des Zusam-menlebens zwischen Erwachsenen zu machen. Das giltnicht nur im Mietrecht, sondern auch in den anderenRechtsbereichen, für die gegenwärtig der Reformbedarf– Herr Beck hat das eben kurz skizziert, allerdings leiderausschließlich in bezug auf Lesben und Schwule – dis-kutiert wird, zum Beispiel im Angehörigenrecht oder imErb- und im Strafrecht.Lassen Sie uns endlich einen Weg finden, die rechtli-chen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß keineLebensform gegenüber anderen privilegiert oder diskri-miniert wird. Im Mietrecht könnte der von der PDS vor-gelegte Gesetzentwurf dafür ein Anfang sein.Danke schön.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin von Renesse
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich kann nur sagen: Die F.D.P. ver-
blüfft einen mehr und mehr. Sie haben 16 Jahre lang das
Bundesjustizministerium geführt.
– Ich spreche gar nicht davon, daß Sie lange Zeit geflö-
tet haben und nicht gepfiffen und daß Sie jetzt erwarten,
daß wir tanzen, wenn Sie pfeifen. Das wird nicht passie-
ren.
Vor allem als Juristin interessiert mich: Welche juri-
stische Qualität hat der Gesetzentwurf der F.D.P.? Mit
Recht hat Frau Schenk darauf hingewiesen, daß sich die
Klärung der Frage, was ein auf Dauer angelegter
Hausstand ist, vielleicht für einen After-Dinner-Talk
bei Rotary eignet, aber nicht für das BGB. Ich kenne im
BGB die „unbestimmte Dauer“. Ich kenne im BGB die
„lange Dauer“. Ich kenne im BGB die „kurze Dauer“.
Aber die Formulierung „auf Dauer“ eignet sich nur für
Gespräche unter Freunden. Jeder weiß dann, was ge-
meint ist.
Frau
Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Westerwelle?
Herr Westerwelle ver-
steht etwas davon, deswegen immer. Erklären Sie es
mir.
Bitte
schön, Herr Westerwelle.
Zum ersten: Ihre
letzte Bemerkung trifft zu. Zum zweiten – ich muß eine
Frage formulieren –: Ist Ihnen bekannt, daß die Formu-
lierung „auf Dauer angelegt“ die wörtliche Übernahme
der entsprechenden Formulierung des Bundesverfas-
sungsgerichtes im Hinblick auf die Definition der nicht-
ehelichen Lebensgemeinschaft ist, die vom Bundesver-
fassungsgericht bislang bedauerlicherweise ausschließ-
lich auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemein-
schaften bezogen wurde?
Verehrter Herr We-sterwelle, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Urteilbegründet, dann haben wir es – übrigens auch beimBGH – mit einem anderen Text zu tun, als das im Rah-men eines Gesetzes der Fall ist.
Ein Gesetz muß gerichtsfest sein. Ich muß im Bestrei-tensfall einen gemeinsamen Hausstand im Ergebnisauch nachweisen können. In der Begründung Ihres Ge-setzentwurfes hört es sich ein wenig so an, als wolltenSie darauf abstellen, daß schon eine gewisse Dauer derHausgemeinschaft bestanden haben soll. Erklären Siebitte, welche, und überlassen Sie die diesbezüglicheKonkretisierung nicht der Arbeit des Rechtsausschusses.
Eine Legaldefinition will ich auch für den gemeinsa-men Hausstand haben. Was meinen Sie, welche Schwie-rigkeiten man als Familienrichter hat, im Bestreitensfallfestzustellen, ob Menschen im gemeinsamen Haus ge-trennt leben? Wie ist das bei einer WG, in der man diegemeinsame Küche benutzt und von Zeit zu Zeit dieVorräte auffüllt? Ist das dann ein gemeinsamer Haus-stand? Was soll denn angesichts dieser Ungenauigkeitenbei den Gerichten herauskommen?Christina Schenk
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2251
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Verehrter Herr Funke, als ehemaliger Parlamentari-scher Staatssekretär im Justizministerium müßten Sieeigentlich wissen, daß man im feinziselierten Garten desBGB nicht mit der Schubkarre ein paar Kieselsteine ab-laden kann, sondern daß eine Regelung in den übrigenBereich hineinpassen muß.
Mit Recht hat die Kollegin Iwersen darauf hingewie-sen, daß Sie immer in der Gefahr sind, alles zu Tode zuschützen, was Sie vorgeben, schützen zu wollen. Die be-stehenden Haushaltsgemeinschaften – ich vernachlässi-ge einmal die anderen bestehenden Probleme – werdenmöglicherweise auf Grund Ihrer Formulierung ge-schützt. Aber in jedem Mustermietvertrag des Hausei-gentümerverbandes wird stehen: Haushaltsgemein-schaften aufzunehmen ist verboten. Das, was Sie denHaushaltsgemeinschaften zugestehen wollen, kann jawohl nur für diejenigen gelten, die berechtigterweise dasind. Was unterscheidet eine Haushaltsgemeinschaft voneinem Untermietverhältnis? Der gemeinsame Hausstand,ist ein Pudding, ein Luftballon ohne Gummihülle. Damitkann ich als Juristin nicht viel anfangen.Dasselbe gilt natürlich bis zu einem gewissen Gradeauch für den Entwurf der PDS, die zwar die Formulie-rung „auf Dauer“ weggelassen hat, aber gleichzeitigauch die Ehe über Bord geworfen hat, und zwar mit fol-gendem Ergebnis: Wenn zum Beispiel ein Mieter, derHaushaltsvorstand, stirbt und seine Witwe mit ihrenzwei Kindern die Wohnung übernimmt, dann könnendie nur gemeinsam Mieter werden. Wenn ein Kind aus-zieht, dann müssen alle kündigen. Ich möchte einmalwissen, wie Sie das Ihrer biedermeierlich-konventio-nellen Klientel im Osten erklären wollen.
Das kommt mir vor wie eine Verhöhnung. Denn dieOstdeutschen leben, soweit ich das auf Grund meinerReisen in die neuen Bundesländer beurteilen kann, rela-tiv konventionell. Diese „fashionable“ Methode, die Siehier an den Tag legen, kommt mir wie eine „megacoole“Haltung vor. Mit Juristerei hat das nicht viel zu tun.
Das Schlimmste, was man der F.D.P. vorwerfen muß,ist, daß sie mogelt. Lieber Herr Braun, so sympathisch,wie Sie vieles verkaufen, so sehr mogeln Sie auch. DennSie wollen nicht über den Unterschied sprechen zwi-schen einer Haushaltsgemeinschaft und einer Perso-nengemeinschaft zweier einander nahestehender Men-schen mit der Exklusivität, die eine solche Gemeinschafthat, auch bei Homosexuellen in der Tat haben kann, dasind wir uns einig.Ich habe früher selber einmal die Überlegung gehabt,von Haushaltsgemeinschaften zu sprechen, um dasangst- und aggressionsbesetzte Wort „Homosexualität“nicht aussprechen zu müssen. Sie kommen aber nichtdrumherum, weil nämlich nur dann, wenn es sich um ei-ne solche Beziehung handelt – das ist der eigentlicheGrund, warum die Ehe geschützt ist –, das Menschen-recht des Mieters die Dispositionsfreiheit des Vermietersso weit in den Hintergrund rücken kann. Der Schutz derHaushaltsgemeinschaft muß anders erfolgen als derSchutz einer engen Personengemeinschaft. Das ist nuneinmal so, und Sie werden das auch noch sehen.
Frau
Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Braun?
Bitte, Herr Braun.
Frau von
Renesse, Sie verwundern mich natürlich schon etwas.
Wir führen Diskussionen über diese Thematik jetzt seit
nahezu fünf Jahren, meist in derselben Besetzung. Sie
sprechen für die SPD, Volker Beck spricht für die Grü-
nen, ich spreche für die F.D.P.;
Herr Mahlo, der sonst für die CDU/CSU gesprochen hat,
ist ausgeschieden, aber die Kollegin von der PDS ist
wieder dabei. Wie können Sie also sagen, daß ich je Be-
denken dagegen gehabt hätte, das Wort „Homosexuali-
tät“ aus- bzw. anzusprechen? Meine Frage an Sie ist: Ist
Ihnen unbekannt, daß es in § 569 a Abs. 2 BGB den Be-
griff des gemeinsamen Hausstands längst gibt, so daß
wir hier nur einen Begriff übernehmen und ihn jetzt für
das heranziehen, was wir politisch – wenn ich es richtig
sehe – im wesentlichen gemeinsam wollen?
Lieber Herr Braun, imBGB gibt es bisher – darum konnte man das Wort „ge-meinsamer Hausstand“ problemlos verwenden – nurfolgende drei Fälle. Erstens. Jemand lebt allein. Zwei-tens. Jemand lebt mit seinem Ehegatten zusammen.Drittens. Jemand lebt mit Ehegatten und Familie. Darumwar der gemeinsame Hausstand kein Problem, weil wirden dann nämlich im Familienrecht hatten. Da gibt esnämlich die Vorschrift des § 1353 BGB, der die Ver-pflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft vorsieht.Deswegen konnte man ihn da unterstellen.
– Herr Braun, Sie entschuldigen, ich würde das gerne zuEnde führen, weil Sie mir Gelegenheit gegeben haben,das zu definieren.Der gemeinsame Hausstand in der Familie ist keinProblem, weil er unterstellt wird. Darum habe ich ja dar-auf hingewiesen, wie problematisch der Begriff „Tren-nung“ für den Familienrichter im Bestreitensfall ist,wenn es die gemeinsame Wohnung betrifft. Sie werdenbei Ihrem Gesetzentwurf noch viel mehr Bestreitensfällebekommen. Weil das im BGB so ist, hat man den Tod –und nicht, wie Frau Iwersen mit Recht sagte, die Kündi-gung, die beim gemeinsamen Haushalt viel wichtigerund viel häufiger ist – als einzigen Anknüpfungspunktgenommen, weil man sich nämlich nur vorstellenkonnte: allein, verheiratet, mit Familie. Scheidung – wieMargot von Renesse
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in den letzten beiden Fällen immerhin denkbar – kannteman nicht. Eine Ehe wird nur durch den Tod geschieden,durch nichts sonst. – Das war auch mal so, aber es istnicht mehr so. Deswegen brauchen wir eine „Renovie-rung“ des gesamten Mietrechts.Dieselben Probleme stellen sich für den Fall, daß derMieter der Ehemann ist, geschieden wird und nun seineFrau im Wege des Prozesses zwingt, aus der Wohnungauszuziehen, weil sie dann kündigen muß. Da sehen Sie,wie problematisch das Mietrecht ist, weil es die Verhält-nisse nicht spiegelt, die wir heute haben.
Ein Letztes: Die Beziehung von zwei Menschen,egal, welcher Sexualität, die in der Tat so viel Nähe hat,daß sie verletzlich wird, braucht Verläßlichkeit in einemganz anderen Rechtsinstitut. Da mogeln wir nicht mehr,da werden wir sagen, was Sache ist. Ich hoffe, daß wirdann Ihre Stimme haben.Vielen Dank.
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat nun der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick das Wort.
D
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Ich bin sehr froh, daß wir heute Gelegenheithaben, über dieses Thema zu diskutieren, weil ich in derRückschau feststellen kann: Vor rund zwölf Jahren, alsich in den Bundestag kam, hätte man eine solche De-batte wohl nicht in dieser Fairneß miteinander führenkönnen.Das Bundesministerium der Justiz und auch michselbst erreichen immer wieder zahlreiche Eingaben, indenen Betroffene – aber vielfach auch deren Eltern –schildern, mit welchen Benachteiligungen gesellschaftli-cher und insbesondere auch rechtlicher Art Menschen,die in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaftleben, zu rechnen haben, unabhängig davon, ob es sichdabei um heterosexuelle oder gleichgeschlechtliche Le-bensgemeinschaften handelt.Ihnen liegen heute zwei Gesetzesanträge, einer derF.D.P.- und einer der PDS-Fraktion, vor, die das Wohn-recht hinterbliebener Haushaltsangehöriger betreffen.Damit wird ein großer Teil von nichtehelichen Lebens-gemeinschaften tangiert. Die meisten von Ihnen werdensich erinnern, daß die Frage des Eintrittsrechts hinter-bliebener Haushaltsangehöriger, oder anders gesagt:die Gleichstellung aller – ich bleibe zunächst bei diesemBegriff – auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaftenmit den nach geltendem Recht privilegierten Ehegattenund Familienangehörigen, dieses Haus bereits mehrfachbeschäftigt hat.Die Vorgängerregierung wollte dieses Thema zu-nächst im Rahmen der von ihr angestrebten Mietrechts-reform ansprechen, die dann jedoch im Streit zwischenF.D.P. und CSU zerrieben wurde. Auch ein – eher halb-herziger – Versuch am Ende der vergangenen Legis-laturperiode, die Gleichstellung auf Dauer angelegterLebensgemeinschaften im Mietrecht gesetzlich zu ver-ankern, scheiterte.Nach geltendem Recht treten – wir haben das ge-hört – mit dem Tod des Mieters nur der Ehegatte oderandere Familienangehörige in das Mietverhältnis ein,wenn sie mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushaltgeführt haben. Dieses Eintrittsrecht hat der BGH, wiewir gehört haben, auf eheähnliche Gemeinschaftenausgedehnt. Aus der Sicht des BGH ist das im übrigensicherlich auch schon ein mutiger Schritt, obwohl mannatürlich immer sagen kann, daß er noch mutiger hättesein können. Aber immerhin, diese Rechtsprechung warzumindest ein Fortschritt.Zugleich hat der BGH aber klargestellt, daß eine ehe-ähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwi-schen Mann und Frau voraussetzt und ein Eintrittsrechtbei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften damit vonvornherein ausscheidet. Im Gegensatz zur früheren Re-gierung besteht innerhalb dieser Regierung breiter Kon-sens darüber, daß dies diskriminierend ist und in Anbe-tracht der gewandelten sozialen Verhältnisse dringendgeändert werden muß.
Es sollte bei einer Neuregelung des Eintrittsrechtsdeshalb eine Lösung gefunden werden, die gerade nichtnach der jeweiligen sexuellen Orientierung der Partnerder Lebensgemeinschaft differenziert. Dies könnte bei-spielsweise durch die im F.D.P.-Entwurf vorgeschlageneFormulierung erreicht werden, wonach Personen einEintrittsrecht eingeräumt wird, die mit dem Mieter einenauf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführthaben. Dies ist zumindest ein diskussionswürdiger An-satz. Aber auch der Begriff der „auf Dauer angelegtenLebensgemeinschaft“ könnte weiterführend sein. Wirwerden das noch im einzelnen zu untersuchen haben.In jedem Fall müssen sowohl nichteheliche Lebens-gemeinschaften zwischen Mann und Frau als auchgleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erfaßt sein,die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushaltführen. In beiden Fällen haben nämlich die Mitbewoh-ner häufig einschneidende Dispositionen in ihrem per-sönlichen Lebensbereich getroffen. Sie haben mögli-cherweise eine frühere Wohnung aufgegeben und sind,je nach Dauer ihres Zusammenlebens, in ihrer Umge-bung sozial verwurzelt.Gleiches gilt aber auch für eine auf Dauer angelegtehäusliche Gemeinschaft beispielsweise zweier ältererMenschen als Alternative zum Alten- oder Pflegeheim.Auch diese Menschen haben ihren Lebensmittelpunkt inder Wohnung des verstorbenen Mieters gegründet unddamit eine grundlegende Weichenstellung in ihrer Le-bensplanung vorgenommen. Das rechtfertigt es nachAuffassung der Bundesregierung, auch ihnen beim Todedes Mieters das Recht zum Eintritt in den Mietvertrag ingleicher Weise zu gewähren wie Familienangehörigen.Margot von Renesse
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Ich möchte noch eine Bemerkung zum PDS-Entwurfmachen: Ich denke, daß dieser Entwurf eindeutig überdas Ziel hinausschießt. Sie von der PDS möchten immerdann ein Eintrittsrecht schaffen, wenn ein gemeinsamerHausstand geführt wird. Nach Ihrem Entwurf soll esgerade nicht erforderlich sein, daß Mieter und Mitbe-wohner eine auf Dauer angelegte häusliche Gemein-schaft führen, bei der die Verbundenheit über eine reineHaushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Beinur vorübergehenden Mitbewohnern überwiegt abernach Auffassung der Bundesregierung das Interesse desVermieters, seine Mieter selber auszusuchen. Ihr Antragverlagert die Optionen zu Lasten der Vermieter, so daßvon Vertragsfreiheit wohl nicht mehr die Rede seinkann.
Ich möchte zusammenfassend folgendes sagen: DieseBundesregierung will ein Eintrittsrecht für hinterblie-bene Haushaltsangehörige und damit die Gleichstellungder auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften –gleich welcher sexuellen Orientierung – auch imMietrecht.Ich möchte noch einmal betonen: Die Frage derGleichbehandlung stellt sich keineswegs nur beim Ein-trittsrecht, sondern überall da, wo das geltende Mietrechtdarauf abstellt, ob zum Hausstand des Mieters gehören-de Personen oder Familienangehörige vorhanden sind.Das heißt, es geht nicht nur um die hier zitierte Rege-lung beim Tod eines Ehegatten.Es wäre nicht konsequent, bei einer Änderung desMietrechts nur für den Fall des Todes des Mieters aufDauer angelegte Gemeinschaften der Ehe gleichzustel-len,
ansonsten aber eine entsprechende gesetzgeberischeKlarstellung zu unterlassen. Das weiß auch die F.D.P.sehr gut. Ich erinnere mich, daß ihr Justizminister schonauf diese Probleme hingewiesen hat.Das Bundesministerium der Justiz hat die Mietrechts-reform entsprechend der Koalitionsvereinbarung in An-griff genommen. Es wird mit Hochdruck daran gearbei-tet, um auch den hier zur Debatte stehenden Mißstandkonsequent zu beseitigen. Aber wir wollen kein Flick-werk, sondern eine in sich stimmige Reform. Damit istauch den Betroffenen am besten gedient.Ich möchte daher an Sie alle appellieren, die Bundes-regierung in ihrem Bemühen um eine Reform desMietrechts zu unterstützen, die den berechtigten Belan-gen von Mietern und Vermietern Rechnung trägt undzudem eine echte Vereinfachung mit sich bringt.Vielen Dank.
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 14/326 und 14/308 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften über parla-
mentarische Gremien
– Drucksache 14/539 –
Überweisungsvorschlag:
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich darf
als nächsten Redner den Kollegen Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig vorziehen, weil der Redner der CDU/CSU wohl
noch im Anmarsch ist. Bitte schön, Herr Schmidt-
Jortzig.
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da
es sich um eine Gemeinschaftsinitiative handelt, kann
ich ohne Umschweife erklären, daß die F.D.P. diese In-
itiative, diesen Reformschritt nicht nur begrüßt, sondern
ausdrücklich unterstützt und konstruktiv mit voranbrin-
gen will. Ich begrüße auch, daß das Ganze in dem auch
von Ihnen schon gewürdigten breiten Konsens zustande
kommt. Gerade der Bereich der Nachrichtendienste
und ihrer Kontrolle ist ein viel zu sensibler Bereich, als
daß man da parteipolitische Zerstreitung betreiben sollte.
Ich begrüße auch, daß dieses Reformstück, das uns jetzt
in der ersten Lesung zur Beratung vorliegt, so rasch und
zügig zustande gekommen ist. Sie wissen, wir haben bei
strenger Sicht ein gewisses Legitimationsproblem der
jetzt noch in Funktion befindlichen Kontrollgremien, die
sich noch aus der letzten Legislaturperiode legitimieren.
Daß wir in diesem Bereich ein Spannungsverhältnis
zwischen einerseits dem Funktionenschutz und dem Ge-
heimhaltungsbedürfnis der Nachrichtendienste und an-
dererseits der notwendigen Kontrolle und demokrati-
schen Rückbindung vorfinden, ist völlig unübersehbar.
Daß wir alle hier im Hause, egal ob in der Mehrheit, die
die Regierung trägt, oder in der Opposition, dieses
Spannungsverhältnis zugunsten der demokratischen und
vom Parlament vermittelten Kontrolle auflösen wollen,
ist eindeutig. Dabei müssen natürlich die notwendigen
Bedingungen für Arbeit und Wirkungsmöglickeiten bei
den Diensten gewahrt bleiben. Deswegen ist Ziel des
Reformschrittes, den wir jetzt zu beraten haben, eine
möglichst effektive und effiziente parlamentarische
Kontrolle zustande zu bringen, und zwar nicht nur orga-
nisatorisch, sondern auch funktionell.
Ich möchte eigentlich nur zum Organisatorischen et-
was sagen, weil nicht unerwähnt bleiben soll – ich weiß
das etwa von Ihnen, Herr Wiefelspütz –, daß es durchaus
noch weitergehendere Reformmöglichkeiten gegeben
hätte, sie aber – ich sage das einmal optimistisch – noch
nicht verwirklicht werden konnten. Wir fassen jetzt die
Parlamentarische Kontrollkommission provinzieller und
bisheriger Machart – ich sage ausdrücklich „provinziel-
ler Machart“, weil sie eben auf ihren ganz engen Bereich
konzentriert war – und das G-10-Gremium organisato-
risch zusammen. Sicherlich wäre es wünschenswert ge-
wesen, wenn wir auch noch das Vertrauensgremium des
Haushaltsausschusses mit einbezogen hätten. Ich sage
ausdrücklich: Ich hätte mir auch gut denken können, daß
wir die G-10-Kommission und vielleicht sogar das
Kontrollgremium nach dem Außenwirtschaftsgesetz
einbeziehen.
– Natürlich sind das andere Dinge. Man hätte nur orga-
nisatorisch noch weitergehen können.
Was wir im funktionalen Bereich zustande bringen,
finde ich allerdings erfreulich. Denn dort gibt es nicht
nur die ausführlich genannten Berichtspflichten, Aus-
kunftsverlangen, Akten- und Dateneinsicht, das Recht
zur Sachverständigenbestellung. Auch die Befugnis,
Eingaben entgegennehmen zu können, halte ich für eine
ganz wichtige Einrichtung bei einer demokratischen
Kontrolle. Schließlich ist auch die nebeneinander ablau-
fende, aber sich doch in einem gemeinsamen Wirken
äußernde Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium
des Haushaltsausschusses derart kooperativ und ver-
nünftig gelöst, daß es, glaube ich, wirklich ein guter Re-
formschritt ist. Ich hoffe deshalb sehr, daß wir, wo es
nötig ist – ich bin sicher, das wird gelingen –, in den Be-
ratungen noch die eine oder andere Verbesserung errei-
chen und diesen fälligen Reformschritt im übrigen aber
zügig vollenden.
Vielen Dank.
Alsnächster Redner hat nun der Kollege Hans-ChristianStröbele von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Kollegen! Es ist richtig, daß wir – ich vertrete das auchselber – gemeinsam mit der SPD-Fraktion und andereneinen Gesetzentwurf vorlegen, der nicht bündnisgrünesProgramm, das bekanntlich die Abschaffung der Ge-heimdienste fordert, umsetzt. Der Gesetzentwurf ent-spricht aber auch nicht – das muß ich dem KollegenPenner sagen – der Vorlage, die Sie in der letztenDieter Wiefelspütz
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Legislaturperiode, im März vergangenen Jahres, alsSie noch in der Opposition waren, vorgelegt haben. Wir– beide Fraktionen – sind gleichwohl dafür, dieses Ge-setz zu verabschieden, weil damit endlich gesetzlichfestgeschrieben wird, daß und wie die Geheimdienstein Deutschland durch Parlamentsgremien besser kon-trolliert werden.Zum erstenmal in der deutschen Geschichte wird Ab-geordneten des Parlaments – solchen von Regierungs-und Oppositionsfraktionen – per Gesetz das Recht ein-geräumt,
Einsicht in Akten von Geheimdiensten zu nehmen, Da-teien einzusehen, Mitarbeiter der Dienste anzuhören undBesuche bei Diensten durchzuführen. In Einzelfällenkann das PKG – wie das Gremium jetzt heißen soll, da-mit es nicht mit anderen Kommissionen und vor allenDingen nicht mit anderen Parteien verwechselt wird –sogar einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahr-nehmung der Kontrollaufgaben Untersuchungen durch-zuführen. Das sind Rechte, die sich Parlamentsabgeord-nete vor 1945 oder auch Volkskammerabgeordnete nach1949 sehr gewünscht hätten und die vielleicht auch zueffektiven Ergebnissen geführt hätten. Aber auch wir inder Bundesrepublik haben das in den letzten Jahrzehntenleider nicht gehabt – jedenfalls nicht in der Form einesGesetzes. Die Mitglieder der PKK – unter anderem derKollege Penner – waren darauf angewiesen, daß die je-weiligen Regierungen ihnen diese Möglichkeiten zurKontrolle gewährt haben.Als Mitglied eines Untersuchungsausschusses, dersich von 1985 bis 1987 mit dem Bundesamt für Verfas-sungsschutz beschäftigt hat, habe ich damals in unseremVotum festgestellt, daß die Geschichte der Geheimdien-ste in der Bundesrepublik auch eine Geschichte vonSkandalen ist, die alle – alle, ausnahmslos – über diePresse ans Licht gekommen und aufgeklärt worden sind.Die gesetzlichen Rechte, die jetzt eingeräumt werden,sollen helfen, daß das anders wird. Vielleicht könnendamit in Zukunft Fehlentwicklungen und Skandale –auch in den Geheimdiensten – vermieden werden.Ich verhehle allerdings nicht, daß ich skeptisch bin,ob die Rechte, die jetzt in dem Gesetzentwurf enthaltensind, ausreichen. Vielleicht wäre etwas anderes dochrichtiger gewesen; der Kollege Struck hat das einmal ineiner Kritik formuliert hat, als er aus der PKK ausgetre-ten ist: Wirkliche Aufklärung kann nur durch die Rechteeines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ge-währleistet werden. Ich frage mich, wie wir zu anderenErgebnissen kommen können als zu dem, was der Kol-lege Penner 1991 als Mitglied der PKK so formulierthat: die zu Kontrollierenden kontrollieren, was die Kon-trolleure kontrollieren sollen. Das ist eine sehr flotteFormulierung; das gebe ich zu.
– „Sehr intelligente Formulierung“. – Wir denken, daßdas in Zukunft anders werden soll. Dazu soll das Gesetzbeitragen.Wir hätten gern etwas mehr erreicht. Aber das konn-ten wir nicht schaffen. Dafür gab es viele Gründe; wirwerden das noch diskutieren.Ich bin der Meinung, daß die Effektivität des neuenGremiums wichtig ist. Sie wird auch davon abhängen,ob alle Seiten, alle Flügel und alle Fraktionen diesesParlaments an dem jetzigen PKG, dem Parlamentari-schen Kontrollgremium, beteiligt werden. Wenn dasnicht der Fall ist, dann fehlt auch diesem Gremium einbißchen die Legitimation. In diesem Zusammenhangkann ich den jetzigen Innenminister zitieren, der 1986,als die Grünen nicht in die PKK aufgenommen wordenwaren, erklärt hat, daß es ein Flurschaden für die Demo-kratie oder eine Niederlage für das ganze Parlament ist,wenn eine Fraktion dieses Hauses nicht in einem sol-chen Gremium vertreten ist.In Richtung der PDS sage ich: Mir ist völlig unver-ständlich, wie Kritiker der Geheimdienste und der Praxisvon Geheimdiensten Überlegungen in der Öffentlichkeitdahin gehend anstellen können, daß sie den Dunkelmän-nern, die sie ja fürchten, nicht auf die Finger und in ihreAkten schauen wollen. Das ist kein glaubwürdiges par-lamentarisches Verhalten.Unser Ziel bleibt es, Licht in das Dunkel der Ge-heimdienste zu bringen und damit den Geheimdienstenein bißchen das Bedrohliche und auch das Geheime zunehmen. Nur so kann ein solcher Dienst vielleichtirgendwann einmal ein allseits akzeptierter Teil einesdemokratischen Gemeinwesens werden. Deshalb brin-gen wir den vorliegenden Gesetzentwurf mit ein. Wennsich in den nächsten Jahren herausstellen sollte – dagebe ich Ihnen wiederum recht –, daß die hier vorgese-henen Rechte und Befugnisse nicht ausreichen, dannmüssen wir noch einmal nachbessern. Ich hoffe dann aufeine ähnlich große Mehrheit in diesem Hause, wie siesich jetzt abzeichnet.Danke sehr.
Das
Wort hat nun der Kollege Erwin Marschewski von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Par-lamentarische Kontrollkommission treten nur selten,Herr Kollege Penner, an die Öffentlichkeit. Dabei sinddie dort anfallenden Themen von großer Bedeutung. Esgeht um nicht mehr und nicht weniger, als Gefahren vonden Menschen und von unserem Land abzuwenden. AlsStichworte nenne ich Bedrohung der inneren und äuße-ren Sicherheit durch Spionage, internationalen Terrorund Schleusertum. Mit anderen Worten: Es geht um dieSicherung der freiheitlich-demokratischen Grund-ordnung in Deutschland und um die Abwehr möglicherEingriffe von außen. Es geht dabei um die Bekämpfungvon Terrorismus, Waffenhandel, Geldfälschung undschweren Drogendelikten.Hans-Christian Ströbele
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2256 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt fürVerfassungsschutz und der Militärische Abschirm-dienst erfüllen meines Erachtens ihre Aufgaben – daskann ich nach ein paar Jahren Mitgliedschaft in derPKK sagen – mit großer Sorgfalt. Ich möchte daher alsaugenblicklicher Vorsitzender der PKK diesen Dienstenund ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diewertvolle Arbeit und die vorbildliche Aufgabenerfüllungin schwieriger Zeit herzlich danken.
Diese Leute tun mehr als ihre Pflicht. In der Presse oft-mals hochgespielte sogenannte Pannen sind oftmals nurein Produkt einzelner Vertreter der veröffentlichtenMeinung.Meine Erfahrung bei der parlamentarischen Kontrolleder Dienste zeigt: Die Arbeit der Dienste erfolgt nachRecht und Gesetz, zum Nutzen unseres Landes und zumWohle der Menschen. Man braucht da nicht Licht insDunkel zu bringen, Herr Kollege Ströbele. Wer so etwassagt, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. UnsereArbeit klappt wirklich vorzüglich.Die Erfahrung zeigt auch – in dem Punkt gebe ich Ih-nen sogar recht –, daß die Kontrolle nur dann gelingt,wenn sie auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit vonPolitikern aller demokratischen Gruppierungen beruht,die die verfassungsmäßige Grundordnung unseres Lan-des verteidigen wollen. Das allein garantiert den Erfolg;auch in der Vergangenheit war das so. Das werden alleKollegen bestätigen: Ihre Kollegen, insbesondere derKollege Such, die Kollegen der SPD und die Kollegender F.D.P.Eine Fraktion jedoch – hier unterscheide ich michvon Ihnen Herr Ströbele –, nämlich die, die den Ex-Spion „Topas“ beschäftigen wollte, die seine schädlicheTätigkeit hoffähig machen wollte, erfüllt diese Voraus-setzungen nicht.
„Topas“-Freunde als Mitglied der ParlamentarischenKontrollkommission? Undenkbar! Dies würde geradeden Flurschaden anrichten, von dem Sie gesprochen ha-ben.
– Ich möchte weiter ausführen. Ich bitte um Verständnisdafür.
Sie
wollen keine Zwischenfrage zulassen?
Nein. – Es bleibtdaher richtig, daß die Mitglieder der PKK unmittelbarund ausschließlich von der Mehrheit aller Abgeordnetengewählt werden. Das macht sie unabhängig gegenüberjedermann.Der Deutsche Bundestag unterstreicht damit auch,daß ihm an einer ernsthaften und effektiven Kontrolledes Regierungshandelns auf diesem Feld gelegen ist.Diesem Ziel dient auch die Begrenzung der Mitglieder-zahl auf neun. Ich meine, ein größerer Kreis – das isteben das Hauptproblem; das ist wirklich unsere Erfah-rung – würde die vertrauliche Kontrolltätigkeit nichtmehr gewährleisten.Zum heutigen Gesetzentwurf. Die Kollegen haben esschon gesagt: Dieser Gesetzentwurf verbessert dieMöglichkeit der parlamentarischen Kontrolle. Bisherkannten wir nur die umfassende Informationspflicht derBundesregierung. Ich muß sagen: Dies hat die alte Bun-desregierung wirklich getan. Daher darf ich dem ehe-maligen Kanzleramtsminister Bohl und dem ehemaligenStaatsminister Schmidbauer an dieser Stelle einen herz-lichen Dank aussprechen.
Ich will aber auch die neue Bundesregierung auffordern,diese vertrauensvolle Zusammenarbeit – ich denke dainsbesondere an Herrn Hombach – ungeschmälert fort-zusetzen.Zur Gesetzeslage. Die Regelungen, die wir haben,werden ergänzt oder festgeschrieben. Rechte wie bei-spielsweise das Akteneinsichtsrecht, die Mitarbeiteran-hörung und auch die Mitberatung der Wirtschaftsplänewaren in der Praxis schon vorhanden; sie wurden unsdurch die alte Bundesregierung gewährt. Diese wollenwir jetzt in das Gesetz aufnehmen. Neu ist die Zusam-menarbeit mit dem G-10-Gremium, die wir alle seit lan-gem für sinnvoll erachtet und angeregt haben.An eines müssen wir denken: Wenn wir die Aufgabender PKK erweitern, müssen wir die PKK selbstver-ständlich auch organisatorisch verstärken, um sie in dieLage zu versetzen, den großen Bereichen, dem Militäri-schen Abschirmdienst, dem BND – mit 6 000 Mitarbei-tern – oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz, Ent-sprechendes entgegenzusetzen.Meine Damen und Herren, was den neuen Namen„Parlamentarisches Kontrollgremium“ anbetrifft: Dabisher niemand die PKK des Bundestages je mit dergleichnamigen Terrororganisation verwechselt hat,könnten wir auf eine solche Umbenennung, so meineich, verzichten. Darüber wollen wir noch reden.Leider nicht im Gesetz festgeschrieben wird unsereEmpfehlung, der PKK ein Vorschlagsrecht für die Be-setzung der Präsidentenämter des BND, des BfV unddes MAD zuzubilligen. Da aber sind sich offensichtlichalle Regierungen gleich, Herr Kollege Penner. Das istvöllig richtig, und deswegen wollen wir dies hier erwäh-nen. Es war auch in der Vergangenheit so. Ich halte die-se Regelung für richtig, weil jede Bundesregierung dieenormen Erfahrungen – da spreche ich für uns –, die wirin der PKK in all den Jahren in diesem Bereich gesam-melt haben, nutzen sollte.Abschließend begrüße ich es sehr, daß wir diesen Ge-setzentwurf interfraktionell einbringen. Jede Bundesre-gierung sollte wissen: Dem Deutschen Bundestag ist esErnst mit der Durchsetzung seiner Kontrollrechte. DieErwin Marschewski
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2257
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Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommissionwerden diese Aufgabe auch in Zukunft selbstbewußt undverantwortungsbewußt wahrnehmen. Denn unsere ge-meinsame Überzeugung ist: Es lohnt sich, für unserenStaat und den Schutz seiner freiheitlich-demokratischenGrundordnung einzutreten, Gefahren abzuwehren und sozum Wohlergehen der Menschen in unserem Lande bei-zutragen.Herzlichen Dank.
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Ro-
land Claus von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn vier Fraktionen in
diesem Hohen Hause einen Gesetzentwurf gemeinsam
einbringen, dann sieht das natürlich nach großer Einmü-
tigkeit aus.
Ich finde, Sie übertreiben die Darstellung dieser Einmü-
tigkeit ein klein wenig. So friedfertig ging es nämlich
auf dem Weg bis hierher nicht zu. Das wissen Sie ganz
genau. Herr Kollege Marschewski, ganz interfraktionell
ist der Antrag hier natürlich auch nicht eingebracht wor-
den.
Ich will Sie an Pressemeldungen von vor wenigen
Wochen erinnern. Was haben Sie sich gegenseitig – die
SPD an die Adresse der CDU, aber auch umgekehrt und
innerhalb der Koalition – genau zu diesem Thema vor-
geworfen! Alles hatte nur einen einzigen Schwerpunkt –
offenbar handelt es sich um Ihr Lieblingsthema –: Be-
teiligt man die PDS an diesem Gremium oder nicht? Ich
denke, Sie alle haben diese Erklärungen noch nicht ver-
gessen.
Bis auf den Kollegen Ströbele blenden Sie alle das
aus und sagen: Eine Zahl ist im Gesetzentwurf gegen-
wärtig nicht enthalten. Aber schon in der nächsten Wo-
che – so sieht Ihr Fahrplan wohl aus – müssen Sie hier
Farbe bekennen. An die Adresse des Kollegen Ströbele
sage ich ausdrücklich: Natürlich gibt es auch bei uns –
wie bei Ihnen – die Auffassung, sich nicht zu beteiligen.
Für die Bundestagsfraktion der PDS erkläre ich deutlich:
Wir wollen schon; nur, Sie lassen uns bisher noch nicht.
Ich möchte an die Geschichte des Gesetzentwurfs
erinnern: Nach einer kurzen Zeit anfänglicher Ratlosig-
keit machte die Fraktionsspitze der SPD den Vorschlag,
das Gremium auf 15 Mitglieder – also mit Beteiligung
der PDS – auszudehnen. Wenig später hat sich der Kol-
lege Struck zu der Formel „keine Beteiligung der PDS“
durchgerungen. Das stand damals im ausdrücklichen
Zusammenhang mit einem von ihm so verstandenen
Fehlverhalten unserer Fraktion.
Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Selbstver-
ständlich steht der Mehrheit im Bundestag zu, die Größe
dieses Gremiums beliebig zuzuschneiden. Das Bedenk-
liche aber ist die Aussage des Kollegen Struck, man
müsse das Gremium klein halten, um eine Fraktion her-
auszuhalten. Das hat er unglücklicherweise so ver-
knüpft, und das weiß er auch.
Wenn der Kollege Marschewski hier allerdings in-
direkt sagt, daß die freiheitlich-demokratische Grund-
ordnung gefährdet wäre, wenn man das Gremium größer
machte und die PDS daran beteiligte, dann muß ich
dem entgegnen: Das ist eine Einteilung des Bundes-
tages in Abgeordnete mit größeren und Abgeordnete
mit minderen Rechten, die wir so nicht hinnehmen
wollen.
Wenn das Gesetz und die darin vorgesehene Mit-
gliederzahl so beschlossen werden, muß über eine ver-
fassungsrechtliche Überprüfung nachgedacht werden.
Ich will das hier moderat ansprechen und diese Mög-
lichkeit offenhalten. Vielleicht korrigieren Sie sich noch
selbst bis zur zweiten und dritten Lesung dieses Ge-
setzes.
Ich möchte noch einen inhaltlichen Einwand machen,
der nicht nur von uns, sondern auch von Konservativen
vorgebracht wird. Er betrifft die Zusammenlegung. Ich
denke, daß das von Ihnen vorgetragene Argument, es
werde transparenter, an vielen Stellen stimmt. Aber
wenn man aus zwei vorhandenen Kontrollgremien nur
noch eins macht, dann ist das auch ein Einschnitt in die
bisherigen Möglichkeiten der parlamentarischen Kon-
trolle.
Einer Überweisung werden wir uns natürlich nicht
verweigern.
Vielen Dank.
Ichschließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-entwurfs auf Drucksache 14/539 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Bevor ich den Tagesordnungspunkt 7 und den Zu-satzpunkt 5 aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daßdie Redebeiträge zu Tagesordnungspunkt 8 mit Aus-nahme des Beitrags der PDS zu Protokoll gegeben wer-den sollen. Die namentliche Abstimmung wird also et-was früher stattfinden. Ich sage das, damit Sie in denFraktionen schon einmal eine Vorwarnung geben kön-nen.
– Ich schätze, daß die namentliche Abstimmung in etwasmehr als einer Stunde, also nach neun Uhr, stattfindenwird.Erwin Marschewski
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2258 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Ich rufe den Tagesordnungpunkt 7 und den Zusatz-punkt 5 auf: 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolf-gang Börnsen , Gunnar Uldall, UlrichAdam, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUInitiative gegen die Auswirkungen der asiati-schen Finanzkrise und des internationalenSubventionswettlaufs auf die deutsche und eu-ropäische Werftindustrie– Drucksache 14/400 –
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENInitiative gegen die Auswirkungen der asiati-schen Finanzkrise und des internationalenSubventionswettlaufs auf die deutsche und eu-ropäische Werftindustrie– Drucksache 14/540 –
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– Die reicht nur bis zum Jahre 2000, länger nicht.In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenenJahren – diese Zahl stammt vom Wirtschaftsministerselbst – bei der Schiffbauförderung 35 Millionen DMeingespart. Die norddeutschen Küstenländer müssenmorgen, am Freitag, Farbe bekennen. Ich fordere sie auf,deutlich zu machen, was sie von der maritimen Politikhalten, und am Freitag nein zur Steueränderung zu sa-gen.
Diese Aufforderung begründet sich auch durch dieinternationale Lage auf dem Schiffbaumarkt. Die Dauerdieser Krise ist noch gar nicht absehbar. Als Reaktionauf die koreanische Krise haben chinesische Schiffbauereine Abwertung des chinesischen Yuang um 20 Prozentgefordert mit der Begründung, nur so könne man demPreisdruck standhalten. Japan hat diesen Schritt mit derAbwertung des Yen bereits vollzogen. Eine Abwer-tungsspirale mit unabsehbaren Folgen für Europa hateingesetzt.Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, halten einSechs-Punkte-Sofortprogramm für die Stärkung dermaritimen Wirtschaft für notwendig:Erstens. Der IWF muß dafür Sorge tragen, daß seineMittel in Südkorea nicht weiter zu Wettbewerbsverzer-rungen im Weltschiffbau führen. Auch die Bundesregie-rung als Mitglied des IWF trägt eine Mitverantwortung.Wir erwarten klare Aussagen darüber, daß ein Miß-brauch der Währungshilfen ausgeschlossen wird.Zweitens. Die Wettbewerbshilfen sind kurz- undmittelfristig in voller Höhe fortzusetzen und gegebenen-falls auszubauen. Die Reduzierung der Mittel im Bun-deshaushalt von bisher 70 auf jetzt 50 Millionen DM istrückgängig zu machen. Sie ist ein falsches Signal zurfalschen Zeit. Mit den jetzt diskutierten Wettbewerbshil-fen von Bund und Ländern in Höhe von insgesamt150 Millionen DM wird nicht einmal die Hälfte des au-genblicklichen Auftragsvolumen von 4 bis 5 MilliardenDM gebunden. Die koreanischen Herausforderungensind dabei noch gar nicht berücksichtigt.Drittens. Die Streichung der Sonderabschreibungenzum 31. Dezember des nächsten Jahres muß zurückge-nommen werden. Eigenkapital und Risikobereitschaftsind das Rückgrat des Schiffbaus. Nur durch steuerlicheAnreize werden ausreichend Mittel für Investitionenfreigesetzt.Viertens. Bedingt durch die zunehmende Änderungder Wertschöpfung beim Schiffbau – die Zulieferindu-strie, deren Standorte besonders in West- und Süd-deutschland liegen, hat bereits einen 70prozentigen An-teil – ist es sachgerecht, wenn man bei den Wettbe-werbshilfen von einer Fördermittelregelung mit demVerhältnis ein Drittel Bund und zwei Drittel Länder zueiner hälftigen Aufteilung der Förderbeiträge kommt.Fünftens. Auch die Bundesländer dürfen bei derSchiffbauförderung nicht zögern und zaudern. Sie stehenbesonders in der Verantwortung. Mittelkürzung zur Un-zeit bedeuten Arbeitslosigkeit und Abwanderung vonKnow-how. Es geht nicht an, daß zum Beispiel Schles-wig-Holstein Fördergelder in Höhe von 35 MillionenDM ausläßt.Sechstens. Das internationale OECD-Abkommen,das wegen der fehlenden Unterschrift der Amerikanerauf Eis liegt, muß endlich zum Abschluß gebracht wer-den. Der internationale Subventionswettlauf ist endlichzu beenden. Das nächste G-8-Treffen wäre für eine der-artige Entscheidung durchaus geeignet. Doch dafür mußdie Bundesregierung jetzt offensiv werden.
Wolfgang Börnsen
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Wird jetzt nicht konsequent gehandelt, ist eine Kriseim deutschen Schiffbau unausweichlich. Verantwor-tungsvolle Politik muß das verhindern. Die Werftenselbst haben in den vergangenen Jahren bis an die Gren-ze des Verantwortbaren rationalisiert und die Arbeit op-timiert. Ich nenne Ihnen dazu ein Beispiel aus meinemWahlkreis Flensburg. Die FSG hat vor zehn Jahren zweiSchiffe pro Jahr gebaut. Neun Jahre später baut sie inder gleichen Zeit mit der gleichen Größe der Belegschaftsechs Schiffe. Das zeigt ganz deutlich, wie stark die Op-timierung im Schiffbau vorangeschritten ist. Auch ande-re Werften in Deutschland haben trotz reduzierter Be-legschaft ähnliche Erfolge zu verzeichnen.Experten prognostizieren einen Boom im Weltschiff-bau. Über 10 000 Einheiten sind über 20 Jahre alt. NeueMärkte erschließen sich aus dem Programm „From Roadto Sea“. An diesem maritimen Zukunftsmarkt sollte un-ser Land beteiligt sein. Technologisch sind wir führendin der Welt. Doch wenn wir jetzt nicht auf die koreani-sche Herausforderung reagieren, haben nicht nur dieMenschen an der Küste das Nachsehen, sondern die ma-ritime Verbundwirtschaft insgesamt.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Margrit Wetzel von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne!Ich kann mir Ausführungen zur Finanzkrise in Korea,die zu der dramatischen Krise im deutschen Schiffbaugeführt hat, sparen, weil all das, was Herr Börnsen dazugesagt hat, zweifellos richtig ist. Ich will nur ergänzendhinzufügen, daß mit dem gigantischen Ausbau derWerftkapazitäten in Korea die führende Schiffbaunationnoch weitere Marktanteile zu Lasten der Stabilität derWerftwirtschaft gewonnen hat.Ich gebe ein Beispiel: Der Halla-Konzern hat alleindurch die Errichtung einer neuen riesigen Großwerft ei-ne Verschuldungsrate von über 2000 Prozent Fremdka-pital zu Eigenkapital erreicht. Als die koreanische Wirt-schaft vor dem totalen Zusammenbruch stand, war esvöllig richtig, daß der Internationale Währungsfondseinen großen Kredit gegeben hat. Bedauerlicherweisesind mit diesem Kredit keine Kapazitätsbeschränkungenfür den Schiffbau verbunden gewesen. In diesem Punktsind ihre Ausführungen, Herr Börnsen, völlig richtig.Aber einige Ihrer Schlußfolgerungen sind falsch. Esist überhaupt keine Frage, daß Deutschland reagierenmuß. Wir müssen national und gemeinsam mit den an-deren europäischen Schiffbaunationen auf EU-Ebenehandeln. Die deutschen Werften und die Arbeitnehmeran den Küstenstandorten können sich dabei auf die Ko-alitionsfraktionen verlassen.
Wir fordern ganz eindeutig, daß die Auflagen des Inter-nationalen Währungsfonds streng eingehalten und über-wacht werden.Eine freiwillige Selbstbeschränkung, wie sie in Ih-rem Antrag vorgesehen ist, ist insofern schon hanebü-chen, als Sie selber gesagt haben, daß Korea versuche,Marktführer zu werden. Wir können uns die Zahlen an-schauen; Sie haben sie hier ja selber vorgeführt. Die Ko-reaner versuchen mit aller Macht, Japan zu übertrump-fen. Wenn man dann auf freiwillige Selbstbeschränkungabhebt, wird man nicht allzuviel erreichen.Wir müssen also auf allen Ebenen und mit allemNachdruck darauf hinwirken, daß Korea zu langfristigverbindlichen Kapazitätsbeschränkungen verpflichtetwird. Auch sollten wir Herrn Bangemann bei seinerletzten Amtshandlung als EU-Kommissar durchaus denRücken stärken; denn er wird bereits in der nächstenWoche in Korea Gespräche zu diesem Thema führen.Der Deutsche Bundestag sollte ebenso wie die Bundes-regierung klarmachen, daß wir ihn unterstützen und ihmhelfen.
Des weiteren müssen wir darauf hinwirken, daß IWF-Kredite in Zukunft grundsätzlich mit Auflagen zur Ka-pazitätsbegrenzung verbunden werden, wenn sie anSchiffbaunationen gegeben werden.
Sie haben das OECD-Abkommen erwähnt, HerrBörnsen. Sie wissen aber ganz genau, daß es nie in Kraftgetreten ist, weil die USA es nicht ratifiziert haben, unddaß es inzwischen schlicht und einfach überholt ist. Wirmüssen daran arbeiten, daß die Probleme im deutschenund im europäischen Schiffbau mit einer globalen Stra-tegie gelöst werden. Das heißt, wir brauchen auf euro-päischer Ebene eine ganz schnelle Einigung über einneues Abkommen.Besser wäre es, wenn es uns gelänge, die führendenSchiffbaunationen Japan, Korea und China – die Chine-sen überholen uns gerade und werden wohl auch in Zu-kunft vor uns liegen –, aber auch die USA, Norwegenund Polen einzubinden. Wenn wir den Schiffbaumarktlangfristig tatsächlich stabilisieren wollen, wären wir miteinem neuen Abkommen ein ganzes Stück weiter.Ferner sollte die Bundesregierung darauf drängen –ich bin sicher, sie wird es auch tun –, daß die Wettbe-werbsfragen in einem solchen neuen Abkommen gere-gelt werden, daß Sanktionsmöglichkeiten vorgesehenwerden und daß Preisdumping verhindert wird.
Nur dann können wir einen stabilen Schiffbaumarkt be-kommen.Die liberale europäische Wirtschaftspolitik der letztenJahre – dessen bin ich mir ganz sicher – können wir unsim Gegensatz zu einer dauerhaft zielgerichteten undkonsequent durchgehaltenen asiatischen Industriepolitiknicht mehr leisten. Wir müssen da etwas ändern; dennunseren Werften steht – das haben Sie durchaus zutref-fend geschildert – das Wasser bis zum Hals. Die großenWerften haben noch Aufträge bis ins Jahr 2000, bei denWolfgang Börnsen
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kleinen sind die Auftragsbücher bereits im Herbst 1999leer. Ohne unsere Hilfe – das ist völlig klar – werden ei-nige dieser Werften die nächsten zwei Jahre nicht über-stehen können. Wir wissen, daß Fachleute wegen derWettbewerbsvorteile Koreas davon ausgehen, daß sichder Schiffbaumarkt frühestens in zwei Jahren etwas sta-bilisieren wird. Es geht also darum, diese zwei Jahre zuüberbrücken.Auch die Zulieferindustrie, auf die – auch das habenSie völlig zutreffend dargestellt – 70 Prozent der Wert-schöpfung im Schiffbau entfällt, ist auf die Aufträge ausdem deutschen Schiffbau angewiesen; denn nur im deut-schen Schiffbau können sie tatsächlich Leistungen imBereich der Hochtechnologie erbringen und sich selbstweiterentwickeln. Sie können so etwas nicht mit Ver-käufen in Billigschiffbauländer erreichen. Den Zuliefe-rern geht es um Aufträge aus dem deutschen Schiffbau.Immerhin handelt es sich dabei nicht nur um ein Kü-stenproblem, denn mehr als 50 Prozent der Zulieferlei-stungen werden mittlerweile in Bayern und Baden-Württemberg erbracht. Das heißt, alles, was wir für diedeutschen Werften tun, tun wir zugleich für Bayern undBaden-Württemberg.Wir haben technologisch die Nase nur vorn, wennwir den Werften und den Zulieferern die Möglichkeitgeben, im Hochtechnologie- und Spezialschiffbau For-schung zu betreiben, Konstruktionen zu entwickelnund Produkte zu verkaufen. Schiffbau ist nämlichnur zu einem geringen Anteil Stahlbau. Schiffbau ist vorallem auch Maschinenbau, Elektrotechnik und Elek-tronik von allerhöchster Qualität. Dazu kommt dieSystemtechnik, um alle diese Bereiche effizient zu ver-knüpfen.Sie haben auch völlig zutreffend gesagt, daß derSchiffbaumarkt kontinuierlich wächst. Die Abwrackra-ten nehmen zu. Das heißt, wir haben einen gewaltigenMarkt. Deshalb dürfen wir nicht einfach zusehen, daßdie deutschen Werften nicht in der Lage sind, Aufträgezu akquirieren.Herr Börnsen, bei Ihren Worten kommen mir fast dieTränen. Man hat das Gefühl, Sie waren die letzten16 Jahre nicht im Bundestag. Ich glaube aber, Sie wareneine ganze Reihe von Jahren hier. Sie müßten eigentlichwissen – zumindest ich erinnere mich ganz gut daran –,welche Anträge Sie selber gestellt haben bzw. welcheAnträge der damaligen Opposition Sie abgebügelt ha-ben.Gucken wir uns doch einmal an, wie Deutschland imeuropäischen Wettbewerb steht. Die Fördermöglichkei-ten, die die europäischen Nachbarländer ausnutzen, ha-ben Sie mit Ihrer früheren Mehrheit den deutschenWerften über all die Jahre hinweg nicht gegeben. Siewaren es doch, die die Förderquoten des Bundes imVerhältnis zu den Ländern kontinuierlich abgebaut ha-ben. Das ist ab dem Jahre 1991 passiert. Zunächst wardas Verhältnis zwei Drittel Bund, ein Drittel Land, wiees sicherlich auch angemessen war.
Sie haben das kontinuierlich geändert. Sie haben dafürgesorgt, daß die Förderung von den Ländern nicht finan-ziert werden kann, weil sie keine entsprechende Finanz-ausstattung haben.
Deshalb ist die Forderung der Küstenländer, wieder zueiner Fifty–fifty–Quote zu kommen, doch durchaus le-gitim.
Ich denke, an dieser Quote müssen wir arbeiten.
Das müssen wir prüfen. Die Koalitionsfraktionen bittendie Bundesregierung darum, das wohlwollend zu prüfen.
Darauf können Sie sich verlassen.Sie haben einen weiteren Fehler gemacht, den Siejetzt offensichtlich auf einmal vergessen haben. Sie alsMehrheitsfraktionen haben damals Verpflichtungser-mächtigungen für die Werftenhilfe nicht in ausreichen-dem Maße zur Verfügung gestellt.Wie sieht es bei den Werften aus? – Sie akquirierenIhre Aufträge doch nach vorne und nicht nach hinten. Eskann nicht darum gehen, die Zinsbeihilfen zu erhöhen,wenn wir ein niedriges Zinsniveau haben und sicher seinkönnen, daß die Zinsbeihilfen wegen des OECD-Abkommens für Schiffsexportkredite überhaupt nichtausgeschöpft werden. Das heißt, diese Hilfe wäre wir-kungslos.Es geht jetzt darum, den Werften die Möglichkeit zugeben, Aufträge zu akquirieren. Das geht nur mit Ver-pflichtungsermächtigungen, die nach EU–Recht zur Zeitnur noch für 1999 und 2000 möglich sind. Nur wenndiese Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalteingestellt werden – wir bitten wirklich eindringlichdarum, das zu prüfen –, können die Werften bankfähigeTitel erwerben, damit sie die Vorausfinanzierung fürAufträge, die sie dann hoffentlich akquirieren können,bekommen. Ihre falsche Politik hat die Werften Markt-anteile gekostet und dazu geführt, daß sie diese Mög-lichkeiten nicht ausschöpfen konnten.Ich weiß natürlich, daß weder der Finanzministernoch der Wirtschaftsminister, nicht einmal in Personal-union, einen Goldesel neben sich am Kabinettstisch ha-ben.
Trotzdem richte ich für die Koalitionsfraktionen die ein-dringliche Bitte an die Bundesregierung, zu prüfen, wiewir den Werften wirklich helfen können.Dr. Margrit Wetzel
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Ich denke, notwendig ist – das sollte man ganz klarsagen – eine wirtschaftspolitische Kriseninterventionfür die Dauer der nächsten zwei Jahre. Es geht nichtdarum, die Zinsbeihilfen zu erhöhen. Es geht auch nichtdarum, Dauersubventionen für die Werftindustrie fest-zuzurren.
Vielmehr geht es wirklich um eine Krisenintervention –ich wiederhole das – für die nächsten zwei Jahre. DieWerften brauchen Möglichkeiten, bankfähige Titel zuerhalten, mit denen sie Aufträge akquirieren können.
– Natürlich stimmt das mit der VE. Aber klar! PrüfenSie das doch!
Eine Werft, die pleite ist, kann nicht wieder auf die Bei-ne kommen. Sie kann auch keine Aufträge mehr ertei-len, und die Zulieferindustrie leidet mit.Ich denke, wenn es uns gelingt, die nächsten zweiJahre zu überbrücken, dann haben wir Zeit, um die Ab-kommen auf europäischer und internationaler Ebeneunter Dach und Fach zu bringen.
Der Schiffbau ist eine Schlüsselindustrie in der Ver-kehrstechnik, in der Sicherheitstechnik und in der Um-welttechnik. 90 Prozent aller Exporte der EU gehen überden Wasserweg.Damit komme ich zum dem Part, den ich eigentlichvon der Industrie, und zwar von der gesamten maritimenIndustrie, erwarte. Werften und Zulieferer müssen ihreenormen und bisher außerordentlich erfolgreichen An-strengungen zur Qualitätssicherung und Liefertreueweiterbetreiben. Sie müssen weiter daran arbeiten, ihreKapitalkosten und Overheads noch mehr zu senken.Werften und Zulieferer sollten dabei unterstützt werden,noch besser als bisher zu kooperieren, damit sie gemein-sam technische Entwicklungen vorantreiben können unddamit sie Einkaufs-, Vermarktungs- oder Produktions-vorteile nutzen können.Was aber meines Erachtens am wichtigsten ist: Diemaritime Industrie muß sich dessen bewußt sein, daß dieBindung an den Nationalstaat der Schlüssel zu belastba-ren nationalen Wertschöpfungsketten ist. Ich frage mich,ob wir von den Japanern noch immer nichts gelernt ha-ben. Sie haben geschlossene Märkte. Es geht in diesemFall für die Werften nicht nur um staatliche Hilfen. Dar-um geht es auch. Aber es geht vor allem darum, daßdeutsche Reeder die Schiffe in Deutschland und nicht inKorea oder China bestellen.Ich sage Ihnen etwas, Herr Börnsen: Auch ich habeeinen Wahlkreis an der Küste. Als wir mit den Steuerge-setzen beschlossen haben, daß die Verlustzuweisungs-gesellschaften nicht mehr unbefristet weiter so agierenkönnen wie zuvor, sind in der kurzen Zeit, die die Ge-sellschaften zur Verfügung hatten, das heißt in exaktsechs Stunden, allein aus meinem Wahlkreis 40 Schiffein Korea bestellt worden. Das ärgert mich maßlos. Dasist nichts weiter als eine Reaktion darauf, daß eine Poli-tik, die Sie jahrelang betrieben haben, auf einmal been-det werden sollte.Die Korrelation der nationalen Bindung von Schiff-bau, Reeder, Flagge und Besatzung dürfen wir nichtlänger übersehen. Denn wer den guten alten Reederdurch Verlustzuweisungsgesellschaften ersetzt, wer Bare-boatschiffe unter Billigflagge mit Minimalbesatzungfahren läßt, darf sich nicht ernsthaft wundern, wenndann die deutschen Reeder ihre Schiffe in Korea be-stellen.
Frau
Kollegin Wetzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Aber gern.
Bitte
schön.
Frau Kollegin, ich
bedanke mich dafür. Ich möchte an einen Vorgang im
Herbst des Jahres 1997 erinnern. Wir waren damals da-
bei, die Subventionierung über die Verlustzuweisungen
zu unterbinden. Insbesondere ärgerte uns, daß Zahnärzte
aus Baden-Württemberg Kapitäne zur See von Schiffen
wurden, die in Korea gebaut wurden. Wir hatten einen
entsprechenden Ansatz im Wirtschafts- und Finanzaus-
schuß. Es war die SPD-Arbeitsgruppe im Wirtschaftsar-
beitskreis, gestützt von den SPD-Landesregierungen aus
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hamburg
– damals noch relativ stark SPD – und Mecklenburg-
Vorpommern, die darum gebeten haben, genau das nicht
zu tun, weil sie der Meinung waren, das würde dem
Standort schaden und Arbeitsplätze in der maritimen
Wirtschaft vernichten.
So war die Wirklichkeit. Sind Sie nicht mit mir der Mei-
nung, daß man bei der Wahrheit bleiben sollte, statt hier
Schuldzuweisungen auszusprechen?
Ich kann mich insofernnicht erinnern, als ich im Herbst nicht dabei war. Ich binerst in dieser Legislaturperiode wieder in den Bundestaggekommen; insofern konnte ich nicht dabeisein. Abereines kann ich Ihnen sicher sagen, Herr Schauerte: Daßdie Küstenländer so reagieren mußten, war völlig klar,denn sie konnten das Wahlergebnis vom 27. Septembernicht voraussehen. Sie kannten Ihre Politik und wußtennicht, daß wir eine Mehrheit bekommen. Das Problemist nicht unbedingt, daß man den Werften durch die Be-Dr. Margrit Wetzel
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schränkungen bei den Verlustzuweisungsgesellschaftendie Aufträge wegnimmt. Das haben wir auch gesehen.Die Küstenländer haben uns sofort gebeten, ihnen Ver-trauensschutz zu gewähren und eine Übergangsfristeinzuräumen. Das ist auch vollständig in Ordnung. Nie-mand von uns will, daß Aufträge zurückgezogen werdenoder daß die Werften weniger Beschäftigung haben.Deshalb haben auch wir in unserer Arbeitsgruppe dafürgekämpft, daß es den Vertrauensschutz gibt.
Ich bin vollständig davon überzeugt, daß das richtig ist,denn wir können uns diese Auftragseinbrüche überhauptnicht leisten.Aber wir müssen – da wäre es nett gewesen, wennSie mir zugehört hätten – die gesamte Schiffbau- undSchiffahrtspolitik an grundlegenden Stellen verändernund wirklich darauf abzielen, nationale Wertschöp-fungsketten zu haben. Das ist wichtig. Eine solche Poli-tik ist nur mit einer veränderten Regierung und mit einerveränderten Mehrheit möglich geworden. Insofern ha-ben die Länder völlig recht. Da geht es nicht um Schuld-zuweisungen und auch nicht darum, wer die Wahrheitsagt. Es geht um die Frage, aus welcher Perspektive manan diese äußerst wichtigen Dinge herangeht.
– Das tun wir auch. Keine Sorge!Der Punkt ist – ich komme zu meinem Ausgangs-punkt zurück –: Wir können auf dem globalen Schiff-bau- und Schiffahrtsmarkt nur dann bestehen, wenn wirim wirklich guten Sinne ein neues Nationalbewußtseinentwickeln.
– Doch. – Dabei müssen Politik, Reeder und Werftindu-strie gemeinsam handeln. Denn es geht um die Siche-rung von Beschäftigung, um die Sicherung von Arbeits-plätzen. Das schaffen wir nur gemeinsam mit den Ree-dern, der Werftindustrie und den Küstenländern.Herr Goldmann, Sie sagen so locker: Nein. Lesen Sieeinmal den Antrag der CDU/CSU. Dort steht im Grundegenau das gleiche, nur mit einem Unterschied: DieCDU/CSU will nämlich gar nicht, daß wir das wirklichso umsetzen, wie sie es fordert, sondern sie will, daß wirBerichte darüber vorlegen.
Das ist es, was mich am meisten ärgert. Herr Börnsen, inIhrer Rede klang es so, als stellten Sie inhaltliche Forde-rungen. Wenn Sie Ihren Antrag genau lesen, dann kön-nen Sie feststellen, daß Sie zu all den von Ihnen gefor-derten Aktivitäten nur die Vorlage von Berichten ver-langen.Ich freue mich, daß wir einen Bundeswirtschaftsmini-ster haben, der wirklich alles dazu tut, um die Wirtschaftmit einem guten Konzept und einer guten Strategie zuunterstützen. Ich denke, daß die hochmotivierten Mitar-beiter des Wirtschaftsministeriums wesentlich mehr Lustdazu haben, die entsprechenden notwendigen Verhand-lungen vorzubereiten, als für die Opposition Berichte zuschreiben.
Bei all diesen Dingen geht es um die Sicherung vonBeschäftigung bzw. um die Sicherung von Arbeitsplät-zen. Wir werden daran mitwirken. Für die Beratung un-serer Anträge wünsche ich uns deshalb ein klares Zielvor Augen, einen sicheren Kurs und hinsichtlich der Fi-nanzen die notwendige Handbreit Wasser unter demKiel.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Gudrun
Kopp von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrteHerren und Damen! Liebe Frau Wetzel, ich denke, wiralle zusammen müssen uns gerade im Hinblick auf dieSchiffbauindustrie und auch im Hinblick auf die ge-samte Wirtschaft auf globale Zusammenhänge einstellenund können nicht zu nationalen Alleingängen zurück-kehren, die uns auf Dauer absolut nichts nützen.
Man muß zum einen bedenken, daß es durch die Politikder neuen Bundesregierung leider nicht mehr genügendreiche Zahnärzte gibt, die sich bei solchen Projekten en-gagieren könnten.
Sie sprachen zum anderen davon, daß man sich nur mitHilfe von Übergangsfristen auf Gesetzesänderungen ein-stellen kann. Genau das wünschten wir uns im Hinblickauf Ihre Gesetzesvorhaben, und zwar beim Thema 630-Mark-Jobs. Man sollte wissen, was auf einen zukommt.Dies könnte man auf weitere Politikbereiche übertragen.Zurück zum eigentlichen Thema, nämlich zur mari-timen Wirtschaft, die auch bei uns in Deutschland einwichtiger Teil der mittelständischen Wirtschaft ist.70 Prozent der Wertschöpfung – auch ich weise nocheinmal darauf hin – entstehen in der Tat unter anderembei der mittelständischen Wirtschaft der Küstenländer,auch wenn Sie sagen, daß diesbezügliche Schwerpunktein Süddeutschland liegen. Ich kann nur sagen: Haupt-sache, es gibt in unserem Land Aufträge.
Ich möchte nicht in den Wettbewerb zwischen Bayern,Nordrhein-Westfalen oder sonstigen Ländern eintreten.Arbeit ist Arbeit, und sie tut uns gut.
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Die kleinenWerften haben – das ist mir von Experten meiner Frak-Dr. Margrit Wetzel
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tion glaubwürdig berichtet worden – nur für das nächsteJahr bzw. maximal die nächsten anderthalb Jahre Auf-träge. Was diese Werften brauchen, ist in erster Linie ei-ne finanzpolitische Planungssicherheit.
Wir brauchen keine Absichtserklärungen und Initiativen,die nebulös bleiben. Wir brauchen vielmehr konkreteAussagen der jetzigen Bundesregierung – Sie haben da-zu die Chance – zum Haushalt 1999.
Ich muß Ihnen hier etwas vorhalten: In Ihrem Antragist zwar von lobenswerten Initiativen, nämlich davon,daß man manches tun müßte und vielleicht eine höherefinanzielle Unterstützung bräuchte, zu lesen. In IhrenAnsätzen werden Sie jedoch nicht konkret. Ich habeheute im Jahreswirtschaftsbericht einen Satz gelesen,in dem die Bundesregierung in Hinblick auf den Schiff-bau Stellung bezieht. Sie schreibt hier einen Satz – es istnachzulesen auf Seite 60 im Jahreswirtschaftsbericht –:Einige Branchen wie z.B. Stahl und Schiffbau sinddurch die Auswirkungen der weltweiten Turbulen-zen an den Finanz- und Devisenmärkten besondersbetroffen.Dann geht es nur mit der Stahlindustrie weiter. DerSchiffbau kommt überhaupt nicht mehr vor, keinerleiPerspektiven und schon gar keine Planungssicherheiten.So können Sie auch in diesem Bereich dieses Politikfeldnicht beackern, jedenfalls nicht erfolgreich.
– Richtig, Herr Börnsen, es geht um 100 000 Arbeits-plätze in unserem Land.Bedenken Sie, daß während der letzten 12 Monateallein bereits zirka 3 500 Arbeitsplätze abgebaut wur-den. Dieser Industriezweig ist einer, der von hoher Ef-fektivität und von einem sehr hohen technischen Stan-dard geprägt ist. Das heißt, was an Produktivität, an in-ternationaler Wettbewerbsfähigkeit herauszuholen ist,wird von dem Schiffbauzweig geleistet.
Selbstverständlich geht es darum, diesen irrsinnigenSubventionswettlauf, der derzeit weltweit tobt, in ir-gendeiner Weise aufzuhalten. Das können wir nur, in-dem Sie, die Vertreter der Bundesregierung, endlichkonkrete Gespräche aufnehmen und zusehen, daß wir indiesem Bereich multilaterale Abkommen bekommen.
Wir müssen in der Tat die derzeitige Diskrepanz vonzirka 30 Prozent durch den Währungsvorteil in der ko-reanischen Schiffsindustrie überwinden und die schlim-me Zeit, die derzeit die Werftindustrie durchleben muß,überbrücken.Nun komme ich noch einmal auf die Frage zurück:Wie stellen Sie sich das Ganze denn vor? Ich nenne Ih-nen ein Beispiel. Die F.D.P.-Fraktion hat im Haushalts-ausschuß einen Antrag vorgelegt, der besagt, daß wir ei-ne Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen fürdiesen Bereich fordern. Wir möchten nämlich, daß dieVerpflichtungsermächtigungen um 55 Millionen DM auf105 Millionen DM erhöht werden, weil wir sagen, dieserFinanzbedarf wird insgesamt bestehen. Die Beratungdieses Antrags ist vertagt worden. Im Ausschuß ist mitMehrheit entschieden worden, in der Bereinigungssit-zung im April werde man darüber noch einmal konferie-ren. Wenn ich mich an die Sitzung im Wirtschaftsaus-schuß und an den Antrag der CDU/CSU-Fraktion aufMittelerhöhung erinnere: wiederum abgeschmettert,vom Tisch gefegt.Ich nehme Ihnen ab, daß Sie vom Fach sind, was denSchiffbau betrifft; das ist gar keine Frage. Aber Sie sindder konkreten Frage, wie Sie das Ganze denn finanzie-ren wollen, völlig ausgewichen. Auch in Ihrem Papierist nur die Rede davon, daß die Industrie 50 MillionenDM Mitteleinstellungen in den Haushalt für nicht aus-reichend hält. Sie ziehen das in Erwägung, und damit hates sich. Ich kann Ihnen zum ersten nur raten und fordereauch diese Bundesregierung auf: Werden Sie in den fi-nanziellen Dingen konkret.
Schaffen Sie zum zweiten bei multilateralen AbkommenFakten, und berichten Sie über Ihre ganz konkretenSchritte: Wie wollen Sie unsere Werftwirtschaft auchinternational in die Lage versetzen, daß wir diesem Sub-ventionswettlauf zu Lasten unserer Arbeitsplätze, zu La-sten dieser Industrie nicht weiter ausgesetzt sind?Ich kann Ihnen zum Schluß nur raten: Handeln Siesofort! Bessern Sie nach! Denn Sie wissen: Das ist nichtdas erste Mal, darin haben Sie Übung.Danke schön.
Alsnächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vomBündnis 90/Die Grünen das Wort.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Vielleicht kann ich ungezwungener über dieses Themareden, weil ich den Werften nicht so nahe bin.Ich muß eine sehr merkwürdige Diskrepanz in einerSache am heutigen Tage feststellen. Als wir heute mittagden Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung dis-kutiert haben, sind wir uns in der Frage des Subven-tionsabbaus sehr nahe gekommen. Das scheint, wennman das Thema sehr allgemein behandelt, relativ ein-fach zu sein.
Wenn es dann allerdings konkret wird, wenn es zur Sa-che geht – um Steinkohle, um Landwirtschaft, umGudrun Kopp
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Werften –, dann kommen die mehr oder weniger hin-länglich bekannten Argumente, dann ist in der Sacherelativ wenig Bewegung.Nun will ich es mir nicht so einfach machen. Denndie Sorge an der Küste ist durchaus berechtigt. Wenn dieZahlen, die mir vorliegen, in Ordnung sind, sind dieAufträge zurückgegangen oder stagnieren zumindest.Allerdings muß man dies natürlich vor dem Hintergrundder sehr günstigen Auftragslage sehen, die sich zwi-schen Herbst 1997 und Frühjahr 1998 auf Grund der –so würde ich das zumindest einschätzen – Unsicherheitin Südkorea ergeben hat. Dies spiegelt sich auch in derTatsache wider, daß das Auftragsvolumen in 1998 mit,so glaube ich, 6,5 oder 6,6 Milliarden DM deutlich überdem Auftragsvolumen von 1997 liegt. Meine Vorrednerhaben zu Recht ausgeführt, daß die Auftragsbücher nochbis Herbst 1999, bei vielen Werften sogar bis 2000, ge-füllt sind – noch, das ist das Problem.Wir haben es im Moment mit äußerst rabiaten Wett-bewerbern aus Südkorea zu tun. Nach dem, was unsvorliegt, handelt es sich nicht um Dumping, werden dieMittel des Internationalen Währungsfonds also offen-sichtlich nicht zweckfremd verwandt. Aber dennochverzeichnen wir einen drastischen Rückgang bei denLöhnen,
und die Beschäftigung nimmt rapide ab. Zudem wirktsich natürlich auch die Währungsabwertung des Wonsaus. Insofern ist das Problem nicht von der Hand zu wei-sen.Auf der anderen Seite gibt es seit Jahren – auch dashaben Sie erwähnt – Bemühungen auf internationalerEbene, zu einem verbindlichen Subventionsabbau imSchiffsbau zu kommen. Eine entsprechende OECD-Vereinbarung ist seit 1996 praktisch nicht ratifiziert,obwohl sie ursprünglich sogar von den USA mit initiiertwurde. Die Bundesregierung muß sich intensiv darumbemühen, daß wir zu international vergleichbaren Wett-bewerbsbedingungen kommen. Das scheint mir der aus-schlaggebende Punkt zu sein.
– Ich denke, das werden wir schon in die Wege leiten.Sie können sehen, daß es offenbar nicht so einfach ist;denn auch die alte Bundesregierung hat dies nicht ge-schafft. Das reicht, wie gesagt, bis 1996 – das sind jadoch ein paar Jährchen – zurück. Ganz so schnell ist dasalso offenbar nicht zu machen.
– Wir können uns noch nachher unterhalten. Dann wür-de ich Ihnen auf Ihre Halbsätze auch antworten.In einigen Punkten stimmen wir grundsätzlich mit derOpposition überein, insbesondere darin, daß wir diesenSubventionsabbau zügig vorantreiben müssen. Wirsollten die Möglichkeiten der Wettbewerbshilfe, die dieHaushaltsansätze bis 2000 bieten, möglichst ausschöp-fen. Und wenn es wirklich hart kommen sollte, müssenwir über die ganze Sache noch einmal reden. Ich sehe imMoment jedenfalls keine Möglichkeit, über den Haus-haltsansatz, den wir für dieses Jahr zur Verfügung ha-ben, hinaus etwas zu tun. Eigentlich handelt es sich jaum einen etwas verklausulierten Haushaltsantrag, HerrBörnsen, der mit einer besonderen Situation begründetwird. Sie hätten Ihr Anliegen ebensogut als Änderungs-antrag im Haushalts- und im Wirtschaftsausschuß ein-bringen können.
Für Zinszuschüsse sehe ich im Moment – jedenfallsfür 1999 – keine Notwendigkeit. Wir sollten zumindestin dem Einvernehmen auseinandergehen, daß wir dar-über eine vertiefte Diskussion führen, wenn wir genaue-res Material vorliegen haben. Falls sich Ihre Befürch-tungen in dieser dramatischen Art und Weise bestätigensollten – daß ein maritimer Standort tatsächlich nachFernost verschwindet –, dann ist es, um mit einer ande-ren Branche zu sprechen, höchste Eisenbahn zu handeln.
Als
nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Die von dem Kollegen Börnsen undder CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag öffentlichdargelegten Probleme sind in der Tat dramatisch. Nichtumsonst hat die Koalition einen – wenn auch kleinen –Antrag nachgelegt. In der Beschreibung der Situationbin ich mit meinen Vorrednerinnen und Vorrednernweitgehend einig.Ich möchte nur eine – allerdings wichtige – Anmer-kung zur Beurteilung des IWF durch die Koalition ma-chen. Vermutlich haben Sie sogar recht, wenn Sie sagen,daß es sich nicht um Subventionen in rechtsförmlichemSinne handelt. Aber das ändert nichts an der praktischenWirkung.
Die IWF-Politik hat – nicht zuletzt auf Kosten der süd-koreanischen Beschäftigten – den Rahmen für die all-seits beklagte koreanische Exportoffensive erst geschaf-fen. Zu den Bedingungen gehörten Lohn- und Beschäf-tigungskürzungen. Für mich ist es schon pikant, daß indem Antrag der Sozialdemokraten ausgerechnet dieseProbleme ganz restriktiv gehandhabt, also unter beson-dere Kontrolle gestellt werden. Mit jeder weiterenWerner Schulz
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Lohnkürzung, mit jedem weiteren Beschäftigungsabbauin Korea werden sich gerade die Probleme ausweiten,die wir hier lösen wollen – gemeinsam; davon gehe ichnoch immer aus.
Es muß jetzt gehandelt werden; das ist richtig. Aber das,was von beiden Antragstellern vorgeschlagen wird, istnicht mehr als weiße Salbe. Mehr kann man dazu nichtsagen.Was soll die schnellstmögliche Ratifizierung des seit1994 vorliegenden OECD-Schiffbauabkommens? Wassoll die Fortschreibung der bisherigen nationalen För-dermöglichkeiten? Was sollen energische Bund-Länder-Tätigkeitsberichte bis Mitte Mai in dieser Situation? Dasschadet zwar nichts, aber es hilft auch nichts.
Wir wissen doch wohl alle, Herr Börnsen, daß diesesAbkommen von Südkorea längst ratifiziert worden ist,daß die Säge vielmehr bei den USA klemmt. Ebensosind wir uns doch wohl einig, daß 7 Prozent Zuschußzum Auftragspreis und 2 Prozent Zinsverbilligung fürWerftkunden, die noch dazu nur bei einem Zinsniveauvon über 10 Prozent greifen, angesichts der gegenwärti-gen Kostenvorteile der südkoreanischen Werften dasKapital einfach nicht anlocken werden. Wohl niemandglaubt hier tatsächlich daran, daß sich die Südkoreanerbei mindestens 30 Prozent Preisvorteil zur – ich zitiere –„freiwilligen Selbsteinschränkung der Schiffbaukapazi-täten“ bewegen lassen. Herr Börnsen, auch in Fernostsind Arbeitsplätze – gerade angesichts der dortigen dra-matischen sozialen Lage – viel zu wertvoll, als daß einLand freiwillig auf solche Vorteile verzichten würde.Natürlich könnten wir in dieser Lage sagen: Laßt unsstatt ein paar Millionen gleich ein paar Milliarden mehran direkten Zuschüssen oder indirekten Steuervergünsti-gungen für den Schiffbau hierzulande lockermachen.Die zahlreichen innovativen Arbeitsplätze und diesesökologische Verkehrsmittel seien es uns wert. – Aber er-stens fehlt uns dazu das Geld, und zweitens wäre selbstbei vorhandenen Mitteln das Pferd dann von hinten auf-gezäumt. Das hieße nämlich – bildlich gesprochen –,den Kuponabschneider durch die Allgemeinheit gleichzweimal zu subventionieren.
Das aber ist auf die Dauer nicht nur unbezahlbar, son-dern es ist auch zutiefst unsozial, auch unmoralisch.Das Grundproblem ist ein anderes. Die von derCDU/CSU verlangten Initiativen gegen die Auswirkun-gen der asiatischen Finanzkrise auf die deutsche und eu-ropäische Werftindustrie lösen dieses Problem nicht,auch nicht das von Frau Wetzel angesprochene nationaleBewußtsein und das nationale Handeln. Es muß parallelzu all den Maßnahmen, die wir hier besprechen, grund-sätzlich um eine Reform der Weltwirtschaftsordnunggehen;
denn die jetzige Lage der Werften und die bisher disku-tierten Rettungsanker sind nur ein Symptom eines Teu-felskreises, den es zu durchbrechen gilt, weil er nicht zukurieren ist.Wir können übrigens schon morgen in anderen Bran-chen mit solchen Problemen konfrontiert sein, wenn inder nächsten Weltgegend der Finanzkollaps droht undder IWF wie gehabt beispringt.Gerade Sie von der CDU/CSU haben immer die De-regulierung der Weltfinanzmärkte propagiert. Sie habenheute in manchen Reden den Rücktritt von Herrn La-fontaine unter anderem auch wegen seiner Meinung zudiesem Problem gefeiert. Mit den von Ihnen jetzt insPlenum gebrachten Problemen haben Sie gewiß unfrei-willig ein Menetekel Ihrer eigenen bisherigen Politik be-schrieben.Ich hielte es übrigens für fatal, wenn mit dem Rück-tritt von Herrn Lafontaine auch das Ende von so man-cher politischen Idee vollzogen würde, die er hier ver-treten hat. Das sage ich übrigens auch in Richtung derKoalition.Ich erinnere die Bundesregierung an ihre eigeneAntwort von Anfang März auf eine entsprechende Frageunserer Fraktion:Eine verstärkte Kooperation bei der Einführung undDurchsetzung von Sozial- und Umweltstandardskann international zu mehr Effizienz und Kosten-vorteilen führen.Gleiches gilt für die ebenfalls von der RegierungSchröder beschworene Ausweitung der Finanzmarktauf-sicht. Wenn es nicht gelingt, Strukturen aufzubauen, beidenen die Gewinner der Deregulierung der Finanz-märkte – die Banken, Versicherungen und Fonds –weltweit künftig die Verluste ihrer Transaktionen selbstzu tragen haben, dann brauchen wir über die Hilfsmaß-nahmen, über die wir heute sprechen, nicht länger zu re-den.
Solange Worte wie „Wechselkurszielzonen“, „Devi-senumsatzsteuer“ oder „Beschränkungen des Kapitalex-ports“ nicht in den Mund genommen, geschweige dennin Überlegungen zur Stabilisierung der Weltwährungs-systeme einbezogen werden, wird es immer wieder zuplötzlichen und riesigen Kapitalbewegungen mit solchkatastrophalen Wirkungen wie in Südostasien, Südame-rika oder Rußland kommen. Deshalb geht es darum, daßsich die Bundesregierung parallel zu den Maßnahmen,die heute angesprochen werden, für eine grundlegendeReform der Weltwirtschaftsordnung einsetzt und sieauch durchsetzen hilft. Ansonsten wird die Politik undmit ihr die zahlende Allgemeinheit die Geschichte vonHase und Igel stets weiter nur aus der Hasenperspektivebetrachten dürfen.Danke schön.
Rolf Kutzmutz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2267
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Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich Adam
von der CDU/CSU–Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Von meinen Vorred-nerinnen und -rednern wurde die Situation ausführlichdargestellt. Es sei mir als Vertreter aus den neuen Län-dern gestattet, noch einige Aspekte hinzuzufügen, diedie Situation gerade für den Schiffbau in den neuenLändern und speziell in Mecklenburg-Vorpommernnoch deutlicher und, so glaube ich, als noch schwierigerdarstellen.Wir haben in den letzten acht Jahren – das war dieBundesregierung unter Helmut Kohl – über 4 MilliardenDM in den Aufbau der Werften von Mecklenburg-Vorpommern gesteckt; das sei hier einmal vermerkt.
In dieser Zahl sind nicht die Kosten für die zweite Pri-vatisierung auf Grund des Konkurses des Bremer Vul-kan – es handelte sich um Kosten in Höhe von fast1 Milliarde DM – enthalten. Ich erspare mir jetzt, auf dieHintergründe einzugehen; damit haben sich ja mehrereUntersuchungsausschüsse befaßt.Auf Grund dieser Investitionen konnte das Produkti-onsvolumen von 1993 bis zum letzten Jahr von 1,3 Mil-liarden DM auf 1,6 Milliarden DM gesteigert werden.Es handelt sich um eine sehr gute Entwicklung, die sichnatürlich besonders in unserem Land bemerkbar macht,da die Werftenindustrie – das wissen Sie – der einzigebemerkenswerte industrielle Zweig ist, den wir in unse-rem Lande haben.Aus diesem Grunde machte sich gerade in den letztenJahren verstärkt folgende zusätzliche Schwierigkeit be-merkbar: Zusammen mit den Investitionsverpflichtun-gen wurden die Werften von Mecklenburg-Vorpommernmit einer Begrenzung ihrer Tonnageproduktion belegt.Das möchte ich am Beispiel der Peene-Werft in Wol-gast belegen. Diese Werft ist an eine Tonnageprodukti-on von 35 000 cgt pro Jahr gebunden. Das bedeutet, imletzten Jahr mußte die Produktion um 20 000 Betriebs-stunden reduziert werden, da eine Überschreitung diesercgt-Zahl eine Rückzahlung der Unterstützung zur Folgegehabt hätte.Diese Regelung ist bis zum Jahre 2001 begrenzt. DieEU-Kommission hat schon signalisiert, daß ab dem Jah-re 2001 die Möglichkeit besteht, die Obergrenzen neu zuverhandeln. Sie hat aber auch bereits deutlich gemacht,daß sie an sich dazu nicht bereit ist. Das bedeutet prak-tisch, daß diese Grenzen bis zum Jahre 2005 bestehen-bleiben. Auf Grund der Produktionssteigerungen würdendiese Probleme dann noch stärker zu Buche schlagen.Deswegen fordere ich – zusätzlich zu den aufgestell-ten Forderungen – die Bundesregierung auf, auch in die-sem Zusammenhang tätig zu werden
und in Verhandlungen mit der EU-Kommission zu tre-ten, damit diese Grenzen schon im Jahre 2001 fallen, umhier nicht eine zusätzliche Bremse einzubauen. Das glei-che gilt natürlich auch für die Landesregierung vonMecklenburg-Vorpommern. Auch von ihr erwarte ich,daß sie sich für die Interessen des Landes Mecklenburg-Vorpommern einsetzt.
Denn eins ist klar: Wenn die genannten Beihilfennicht angepaßt werden und wenn die Gleichstellung desWettbewerbs in Deutschland insgesamt – unter diesenschwierigen Bedingungen bedeutet das natürlich: beson-ders in Mecklenburg-Vorpommern – jetzt nicht herge-stellt wird, bestehen sowohl für die Peene-Werft alsauch für die anderen Werften in Mecklenburg-Vorpommern keinerlei Überlebenschancen. Das heißt,wir erwarten von einer Bundesregierung, die vollmundigdie Priorität für den Aufbau Ost propagiert, daß sie imSinne eines notwendigen Erhaltes der Arbeitsstellenhandelt.
Die gleiche politische Verantwortung trifft auch dieLandesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Ich fra-ge deshalb: Ist Ministerpräsident Ringstorff nicht klar,daß er mit seiner wirtschaftsfeindlichen Politik den ein-zigen Industriezweig in Mecklenburg-Vorpommern,nämlich die Werftindustrie, unmittelbar gefährdet? Ichdarf an dieser Stelle hinzufügen, daß durch sein zögerli-ches Handeln bei der Ansiedlung des Airbusses A3XXbereits eine weitere Chance für das Land vertan wurde.Auf Grund der Steuer- und Gesetzesvorhaben der Bun-desregierung ist der Industriestandort Lubmin – dort sollein weiteres Industriezentrum aufgebaut werden – ge-fährdet. Auch insofern ist die Landesregierung nicht tä-tig geworden. Im Gegenteil: Es wird so sein, daß sichdie Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern nurdurch den Widerstand der PDS – man höre und staune!– in der morgigen Abstimmung über die Steuergesetzeim Bundesrat der Stimme enthalten wird.Ich darf an dieser Stelle den Umweltminister vonMecklenburg-Vorpommern, Herrn Professor Methling,zitieren, der gestern in der „Ostsee-Zeitung“ sagte:Der vorliegende Gesetzestext weist erheblicheMängel auf. Die Ökosteuer wird dem Anspruch ei-nes politischen Steuerinstrumentariums nicht ge-recht.Desgleichen bin ich persönlich maßlos von den SPD-Kolleginnen und Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern im Deutschen Bundestag enttäuscht, dieden Steuerreformgesetzen trotz der besonderen Bela-stungen der Menschen in unserem Land durch die rot-grüne Steuerpolitik zugestimmt haben. Damit haben siedie Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Mecklen-burg-Vorpommern mit Füßen getreten
und dazu beigetragen, daß die Kluft zwischen den altenund den neuen Bundesländern hinsichtlich der Abga-benbelastungen noch größer wird.
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2268 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Die Tatsachen, daß sowohl der niedersächsische alsauch der nordrhein-westfälische MinisterpräsidentNachbesserungen an der Steuerreform verlangen und dieSPD-Regierung in Sachsen-Anhalt in der morgigenBundesratssitzung ihren Protest gegen die Einführungder Ökosteuer sogar schriftlich zu Protokoll geben will,halte ich in diesem Zusammenhang schon für äußerstbemerkenswert. Das sollte Sie doch sehr nachdenklichstimmen.
– Ich bin beim Thema. – Es ging doch um die Frage,wer denn diese Verhandlungen führen soll. Ich denke,Herr Lafontaine hat mit seiner Flucht aus der steuer- undfinanzpolitischen Verantwortung dieser Bundesregie-rung das entsprechende Signal gesetzt und das Versagender Bonner Regierungspolitik deutlich genug gemacht.Dazu schreibt der „Stern“ in seinem Leitartikel:Lafontaine hatte nur einen Grund hinzuschmeißen:Sein Machtkonzept ist nicht aufgegangen. Als star-ker Finanzminister wollte er die heimliche Nummereins sein und den – vermeintlich – schwachenKanzler dominieren. Es kam anders. Während La-fontaine von der Presse um die Ohren bekam,sonnte sich Schröder als „Cashmere-Kanzler“ inden Fernsehshows des Landes. Nein, Oskar Lafon-taines Flucht von all seinen Funktionen verdientkeinen Respekt. Weil er aus gekränkter Eitelkeitgeht, ist sein Abgang ruhmlos, wie seine Amtszeitsinnlos war.
Das erinnert mich an einen Slogan, den wir im Wahl-kampf 1990 verwendet haben – vielleicht hätten wir ihnwieder benutzen sollen; ich gestehe, ich weiß nicht, obdas der Grund war, warum wir im letzten Jahr die Wahlverloren haben –: „Ein Saarländer reicht uns!“
Als
letzter Redner hat jetzt der Parlamentarische Staatsse-
kretär Siegmar Mosdorf das Wort.
S
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf nachdieser sachlichen Debatte über den Schiffbau zunächsteinmal sagen, daß der Schiffbau eine der wichtigstenBranchen in Deutschland und auch eine High-Tech-Branche ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß dasnicht so sei. Die Schiffbauindustrie gehört nicht mehrzur klassischen Schwerindustrie, sondern ist inzwischeneine High-Tech-Industrie. Wir sollten auch in Zukunftauf den Schiffbau setzen.
Die Bundesregierung will das jedenfalls tun. Ich denke,darauf sollten auch unsere gemeinsamen Anstrengungenabzielen, gerade in einer Zeit, in der sich die Schiffbau-industrie weltweit fundamental verändert. Es gab dieKoreakrise. Sie hat die Globaldaten erheblich verän-dert. In Korea sind die Löhne um 25 Prozent gesenktworden. Auch die Beschäftigtenzahl hat um mehr als 20Prozent abgenommen. Gleichzeitig erfolgte eine starkeAbwertung des Won. Danach gab es Wettbewerbsbe-dingungen, die nicht mehr fair waren. Deshalb habenwir diese Bedingungen untersuchen lassen. Wir habenvor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen derKoreakrise dem IMF deutlich gemacht, daß mit Hilfeunserer Stützungskredite in speziellen Branchen nichtBedingungen geschaffen werden dürfen, die den Wett-bewerb auf den Weltmärkten verzerren. Darauf wer-den wir auch in Zukunft achten.
Herr Börnsen, Sie haben vorhin aus dem Brief desschleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers vom De-zember an den Bundesfinanzminister zitiert. DiesenBrief habe ich mir gerade noch einmal durchgelesen,weil Sie behauptet haben, daß dort stehe, es gebe keinenHandlungsbedarf.
– Stimmt, lieber Herr Börnsen. Wir kennen uns nunschon so lange, und Sie wissen, daß man das, was in derZeitung steht, immer genau lesen muß. Den von Ihnenzitierten Brief gebe ich Ihnen gleich. Sie werden dannfeststellen, daß dort nichts über „keinen Handlungsbe-darf“ steht. In dem Brief geht es nur um die Frage, wiemit dem Verteilungsschlüssel verfahren werden soll.Sie wissen, daß es eine lange Diskussion über die Höhedes Anteils des Bundes und des Anteils der Länder gibt.Dort stand aber nichts von „kein Handlungsbedarf“. ImGegenteil: Der Minister hat in dem Brief ausgeführt, ersei durch die Bedingungen auf dem Weltmarkt alar-miert.Die veränderten Bedingungen hängen nicht nur mitder Koreakrise, sondern auch mit dem Aufbau von neu-en Kapazitäten in China zusammen, das inzwischenmassiv auf den Weltmarkt drängt und mit erheblichenAnstrengungen versucht, dort eine wichtige Rolle zuspielen. Deshalb will ich nur darauf hinweisen: Es mußunser gemeinsames Interesse sein, daß wir nur dann zu-sammen mit dem IMF und der Weltbank – auch wennes dafür gute Gründe gibt – ausländische Volkswirt-schaften unterstützen, wenn ein paar Bedingungen er-füllt sind, zum Beispiel daß der Bankensektor in denunterstützten Volkswirtschaften so transparent ist, daßauch Fairneß gegenüber den Wettbewerbern herrscht,zum Beispiel daß die Kreditvergabe nicht an staatlicheVorgaben geknüpft wird, die dann für Subventionenverwendet werden, zum Beispiel daß es Rechnungsle-gungsvorschriften gibt, die für alle gleich und nicht nurfür bestimmte Volkswirtschaften gelten, und zum Bei-spiel daß bei gruppeninterner Kreditvergabe garantiertwird, daß mit diesen Krediten keine Kapazitätserweite-rungen vorgenommen werden – das ist der Punkt, umden es bei den multilateralen Abkommen geht –, dieUlrich Adam
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2269
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dann zu einem nicht fairen und nicht korrekten interna-tionalen Wettbewerb führen.
Der Wettbewerbsdruck ist enorm. Deshalb müssenwir alles tun, wenn wir den heimischen Schiffbau erhal-ten wollen, um sehr gut und exzellent zu sein. Das istunsere erste Antwort auf die Globalisierung. Die deut-sche Schiffbauindustrie unternimmt in dieser Hinsichtentsprechende Anstrengungen.Zweitens müssen wir auch das in Angriff nehmen– das gehört dazu –, worüber wir in den letzten Wochenpolemisch diskutiert haben: Wir brauchen nämlich in-ternationale Standards, Koordination und Spielregeln,die zu Fairneß auf dem Weltmarkt beitragen. Ich glaube,hier sind wir uns einig. Deshalb sollten wir an diesemPunkt die Polemik herausnehmen. Für eine Weltwirt-schaft, die grenzenlos ist, braucht man Spielregeln, dieinternational akzeptiert werden. Entsprechende multi-laterale Abkommen gibt es noch nicht. Wir wollen unsjedenfalls in Zukunft dafür einsetzen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch drei Punkte auf-zählen: Erstens. Die Bundesregierung tut alles, um dieSchiffbauindustrie in Deutschland zu stabilisieren undauch weiterhin zu stärken. Wir wissen, wie wichtig dieseBranche ist. Deshalb wollten wir als Wirtschaftsministe-rium – das will ich ausdrücklich sagen – in unserenHaushalt 70 Millionen DM an Verpflichtungsermächti-gungen einstellen. Aus Gründen fehlender Haushalts-mittel sah sich das Ministerium nur in der Lage, bisher50 Millionen DM vorzusehen.Das Wirtschaftsministerium hat aus Gründen der Pla-nungssicherheit alles getan – und wir wollen auch wei-terhin alles tun –, um deutlich zu machen, daß es eineStabilität gibt. Wir kämpfen darum. Sie kennen aberauch die Haushaltsbedingungen; diese haben wir nichtzu verantworten. Das sind die Baustellen unserer Vor-gänger; wir können dies nicht ändern.
Zweitens. Ich glaube, es ist sehr wichtig, gemeinsamfesthalten zu können, daß wir für den Haushalt 1999Barmittel in Höhe von 217 Millionen DM vorge-sehen haben. Das ist auch wichtig, was die Zins-zuschüsse angeht. Darauf kann sich die Werftindustrieverlassen.Drittens. Das Forschungsministerium hat vor – diesmöchte ich sagen, weil es ein bißchen untergegangenist –, die Mittel für die Forschungs- und Entwick-lungsförderung im Schiffbausektor in den nächstenJahren von 30 Millionen DM auf 90 Millionen DM an-zuheben. Das ist ein wichtiger Schritt; denn damit wirdklar: Wir gehen nicht in die Direktsubventionen. Daswäre auch nach den Standards der Beihilfekonzepte garnicht möglich. Durch Forschung und Technologie zuhelfen ist ein sinnvolles Konzept. Deshalb ist die Anhe-bung der Mittel im Rahmen der Forschungs- und Tech-nologiepolitik in diesem Bereich zum Schluß der De-batte eine gute Nachricht.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch für einige Mi-
nuten um Aufmerksamkeit. Wir werden gleich zur na-
mentlichen Abstimmung kommen.
Zunächst einmal schließe ich die Aussprache zu die-
sem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/400 und
14/540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Er-
sten Gesetzes zur Korrektur von Fehlentwicklun-
– Drucksache 14/15 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
– Drucksache 14/391 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dirk Niebel
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen wer-
den.
Folgende Redner haben ihre Rede zu Protokoll gege-
ben: Ute Kumpf, SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Dr.
Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel,
F.D.P.*)
Der Redner der PDS, der Kollege Dr. Klaus Grehn,
möchte gerne sprechen. Bitte schön, Herr Grehn, Sie ha-
ben das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Es ist schon seltsam – das muß ich sa-gen –: Diese Bundesregierung ist unter dem von denWählern honorierten Motto der Herstellung der sozialenGerechtigkeit angetreten. Die Botschaft hörte ich wohl,und sie ist richtig.
*) Anlage 3Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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2270 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
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Das Seltsame hingegen ist, daß Themen, die dieser Bot-schaft gerecht werden, speziell wenn sie von der PDSeingebracht werden, auf den späten Abend gelegt wer-den.
Ich frage Sie: Soll so der Öffentlichkeit signalisiert wer-den, daß es so ernst gar nicht gemeint ist? Oder ist es einklein wenig das schlechte Gewissen? Sollen möglichstwenige davon erfahren, mit welch fadenscheinigen Be-gründungen sinnvolle, sozial gerechte und eigentlichleicht zu bedienende Gesetzesvorschläge der PDS ab-gelehnt oder in die Unendlichkeit verschoben werden?Im übrigen: Mit diesen Ablehnungen stoßen Sie in er-ster Linie die Betroffenen, von denen im Septembernicht wenige Sie gewählt haben, vor den Kopf, nicht diePDS!
Mit flammendem Eifer sprachen sich Rednerinnenund Redner der Koalition gegen sozialpolitisch relevanteAnträge und Gesetzentwürfe der PDS-Fraktion aus. Manließe sich nicht die Schrittfolge diktieren, so wurde ge-sagt. In der Sache selbst gab es ausgesprochen oder un-ausgesprochen oftmals identische Auffassungen.Wie aber steht es nun mit den Argumenten, daß allesin einer grundlegenden Reform des SGB III geregeltwerde und die Eile der PDS ungerechtfertigt sei? Stattder grundlegenden Reform des SGB III legen Sie nunTeillösung nach Teillösung vor: Entlassungsentschädi-gungsänderungsgesetz, Vorschaltgesetz zum SGB III,Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfege-setzes einschließlich erster Änderung zur Änderung.Das, was Sie an den Entwürfen der PDS kritisieren,tun Sie nun selbst. Offenbar hat sich Ihre Auffassungvon späteren grundsätzlichen Regelungen gewandelt.
Herr
Kollege Grehn, ich darf Sie einen Moment unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie dem
Kollegen noch die letzten zweieinhalb Minuten Zeit, Ih-
nen seine Ausführungen vorzutragen, und bewahren Sie
bitte etwas mehr Ruhe.
Bitte schön, Herr Kollege.
Wo bleibt da die Logik der
Argumente? Lassen Sie endlich zu, daß wir aus den of-
fenbar gleichen Gründen wie Sie den Finger auf grobe
Ungerechtigkeiten der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
der alten Regierung legen. Ihre hoffentlich bessere Poli-
tik wird doch dadurch nicht beschädigt. Grundsätzlich
gegen Anträge der PDS zu sein, nur weil es die PDS
ist, ist ein alter Hut, den Sie zumindest landesweit nicht
mehr verkaufen können.
Sprechen wir also über das, was rasch geändert wer-
den muß. Wenden Sie sich den bedürftigen Menschen
zu! Die PDS hat mit Gesetzesinitiativen maßvolle, aber
sofortige Korrekturen am SGB III gefordert. Für den
großen Bereich der Arbeitslosenhilfe fordert sie mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf lediglich die Aufhebung
einer völlig ungerechtfertigten Willkür, die jährliche
Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Ar-
beitslosenhilfe um 3 Prozent.
Da es hier um Menschen geht, die auf absehbare Zeit
kaum eine Chance auf Wiedereinstellung in einen Ar-
beitsplatz haben und die bereits arm sind, trifft sie diese
Ungerechtigkeit doppelt.
Die Einführung dieser Böswilligkeit durch die Kohl-
Regierung war neben anderen Schikanen ein Signal für
den Umgang mit Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen. Fis-
kalisch ist für den Staat dabei kaum etwas herausge-
kommen. Dafür müssen allerdings die Kommunen nun-
mehr Ausgleich für das schaffen, was den Sozialhilfe-
empfängern verlorengeht.
Wie nur kann eine sozialdemokratisch geführte Re-
gierung diesen Stil fortsetzen? Die Zahl der registrierten
Arbeitslosen konnten Sie in den letzten fünf Monaten
Ihrer Regierungszeit nicht senken. Vielleicht war das so
rasch nicht möglich. Allerdings stehen die Signale in
diesem Bereich sehr stark auf Rot.
Sie haben einige Dinge in Angriff genommen. Das
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
war ein erster Schritt. Die Bereitstellung von mehr Mit-
teln für die Arbeitsmarktpolitik ist verdienstvoll. Aber
beide Maßnahmen sind kein Argument für die Ableh-
nung des Gesetzentwurfs, der auf die Hilfe für Langzeit-
arbeitslose und schwer vermittelbare ehemalige Arbeit-
nehmer ausgerichtet ist, die auch auf dem zweiten Ar-
beitsmarkt keine Chance haben. Das sind viele.
Es ist höchste Zeit, jenen zu helfen, die wegen ihrer
unverschuldeten Arbeitslosigkeit immer weiter von der
Gesellschaft abgekoppelt werden. Während die durch
einen Arbeitsplatz Privilegierten über Tarifmaßnahmen,
Diätenerhöhungen und anderes eine regelmäßige Bes-
serstellung erreichen, werden die kargen Mittel zum
Lebensunterhalt dieser um ein Mehrfaches schlechter-
gestellten arbeitslosen Sozialhilfeempfänger jährlich
gekürzt. Das ist nicht hinnehmbar. Das ist von sozialer
Gerechtigkeit weit entfernt.
Wir appellieren an Sie, keinen Alleinvertretungsan-
spruch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aufrecht-
zuerhalten. Beweisen Sie, daß auch ohne Oskar Lafon-
taine nicht vergessen wird, warum Sie und nicht die alte
Regierungskoalition gewählt wurde.
HerrKollege, kommen Sie bitte zum Schluß.Dr. Klaus Grehn
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Letzter Satz.
Gegen den vorliegenden Gesetzentwurf gibt es keine
sachlichen Einwände. Sie können ihm zustimmen, ohne
in Ihrer eigenen Politik Schaden anzurichten. Ersparen
Sie diesem Haus eine Blamage durch eine etwaige Ab-
lehnung!
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der PDS zur Korrektur von Fehlent-
wicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksa-
che 14/15. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt auf Drucksache 14/391, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS
auf Drucksache 14/15 abstimmen. Die Fraktion der PDS
verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröff-
ne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergeb-
nisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich
die Sitzung.
Die un-terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Kor-rektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeits-losenhilfe auf Drucksachen 14/15 und 14/391 bekannt:Abgegebene Stimmen 506. Mit Ja haben gestimmt 28,mit Nein haben gestimmt 478, keine Enthaltungen. DerGesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damitentfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Be-ratung.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 504;davonja: 28nein: 476JaPDSDr. Dietmar BartschPetra BlässEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsFred GebhardtWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Klaus GrehnDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi Lippmann-KastenDr. Christa LuftHeidemarie LüthAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Winfried WolfNeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerNorbert BarthleGünter BaumannMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingRenate BlankPeter BleserDr. Norbert BlümFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Cajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßWilhelm DietzelThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke EymerIlse FalkDr. Hans Georg FaustUlf FinkIngrid FischbachDr. Hans-Peter Friedrich
Jochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbDr. Heiner GeißlerGeorg GirischMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillManfred GrundGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichManfred HeiseSiegfried HeliasErnst HinskenMartin HohmannKlaus HoletschekDr. Karl-Heinz HornhuesJoachim HörsterHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlDr. Dietmar KansyManfred KantherIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Dr. Klaus Lippold
Dr. Manfred LischewskiDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin MarschewskiDr. Martin Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferBeatrix Philipp
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2272 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999
(C)
Ronald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffHans RaidelHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtKlaus RiegertFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseDr. Christian RuckVolker RüheDr. Jürgen RüttgersDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar SchleeBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtClemens SchwalbeWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertRudolf SeitersJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteErika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallArnold Eugen Hugo VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffDr. Theodor WaigelPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingPeter Kurt WürzbachBenno ZiererWolfgang ZöllerSPDBrigitte AdlerGerd AndresRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Wolf-Michael CatenhusenDr. Peter Wilhelm DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseArne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerAlfred HartenbachAnke HartnagelNina HauerHubertus HeilFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumUwe HikschReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensJohannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerUte KumpfDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdUlrike MascherChristoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes Andreas PflugKarin Rehbock-ZureichMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeRenè RöspelDr. Ernst Dieter RossmannBirgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Olaf ScholzFritz SchösserOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Volkmar Schultz
Ilse SchumannDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenErnst SchwanholdRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1999 2273
(C)
(D)
Rita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hedi WegenerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Gert Weisskirchen
Hans-Joachim WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Dieter WiefelspützHeino Wiese
Klaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelBÜNDNIS 90 /DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligHans-Josef FellKatrin Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannKristin HeyneMichaele HustedtSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
F.D.P.Hildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppIna LenkeDirk NiebelGünter Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrDr. Edzard Schmidt-JortzigDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungendes Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordneteBehrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSUWir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 19. März 1999, 9 Uhrein.Die Sitzung ist geschlossen.