Protokoll:
13155

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 155

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1997

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:41 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/155 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 8: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland 13947 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 9: Debatte zur Arbeitsmarktsituation und zum Wirtschaftswachstum 13947 A Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 13947 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 13956 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 13963 A Joachim Poß SPD 13968 B Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13968 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 13974 D Dr. Gregor Gysi PDS 13977 C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13980 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 13983 B Rudolf Scharping SPD 13986 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . 13989 B Michael Glos CDU/CSU 13991 C Paul K. Friedhoff F.D.P 13994 C Rudolf Dreßler SPD 13996 D Michael Glos CDU/CSU 13997 D Dr. Helmut Kohl CDU/CSU 13998 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 13999 D Anke Fuchs SPD 14003 A Petra Bläss PDS 14005 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (ArbeitsförderungsReformgesetz) (Drucksachen 13/5676, 13/5730, 13/6845, 13/6846) 14007 A Heinz Schemken CDU/CSU 14007 B Adolf Ostertag SPD 14008 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14010 D Dr. Gisela Babel F.D.P 14012 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 14013 A Ulrike Mascher SPD 14014 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 14014 B Namentliche Abstimmung 14015 A Ergebnis 14015 B Nächste Sitzung 14017 C Berichtigungen 14017 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14018* A Anlage 2 Neuabdruck der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank und weiterer Abgeordneter zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) . . 14018* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach SPD 14020*A Manfred Grund CDU/CSU 14022* B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 14023* B Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 14024* B 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen 154. Sitzung, Seite 13864 D: In der 14. Zeile von unten sind die Worte „Diese ermöglicht eine Prognose" durch die Worte „Diese erfordert eine Prognose" zu ersetzen. Auf Seite 13865 D sind die letzten vier Absätze durch folgende Fassung zu ersetzen: Die Prognosen im Verkehrsbereich sind in der Praxis oft weit übertroffen worden. Die SNCF- Stammstrecke Paris-Lyon hatte 6 Millionen Passagiere. Im ersten Jahr der Inbetriebnahme des TGV 1982 waren es schon 8 Millionen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) Heute sind es bereits 23 Millionen. Eurotunnel, erstes Betriebsjahr, 1995: 8 Millionen Passagiere. Im letzten Jahr waren es 13 Millionen. Der Flughafen München-Riem hatte 6 Millionen Passagiere. Der neue Flughafen hat für das Jahr 2000 eine Prognose von 12 Millionen. Auf Seite 13866 A ist im siebten Absatz in der dritten Zeile das Wort „Laatzen" durch das Wort „Lathen" zu ersetzen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 31. 1. 97 * Antretter, Robert Behrendt, Wolfgang Brähmig, Klaus SPD 31. 1. 97 * Bühler (Bruchsal), Klaus Büttner (Schönebeck), Hartmut SPD 31. 1. 97 * Buntenbach, Annelie CDU/CSU 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Fischer (Unna), Leni Gansel, Norbert CDU/CSU 31. 1. 97 * Gysi, Andrea Hartenbach, Allred Dr. Hartenstein, Liesel Horn, Erwin SPD 31. 1. 97 Hornung, Siegfried Dr. Jacob, Willibald Dr. Klaußner, Bernd Kolbow, Walter PDS 31. 1. 97 Lange, Brigitte Leidinger, Robert Lenzer, Christian Marten, Günter Metzger, Oswald SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * PDS 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 ** SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Probst, Albert Purps, Rudolf Reschke, Otto Reuter, Bernd CDU/CSU 31. 1. 97 * Dr. Rochlitz, Jürgen SPD 31. 1. 97 Saibold, Halo SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Scheer, Hermann Schild, Horst CDU/CSU 31. 1. 97 von Schmude, Michael Dr. Schnell, Emil Steindor, Marina SPD 31. 1. 97 * Sterzing, Christian SPD 31. 1. 97 CDU/CDU 31. 1. 97 * SPD 31. 1.97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen SPD 31. 1. 97 Vosen, Josef F.D.P. 31. 1. 97 Wagner, Hans Georg Zierer, Benno SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Auf Grund eines technischen Versehens bei der Wiedergabe der im Stenographischen Bericht über die 154. Sitzung, Seite 13941 (A), als Anlage 3 abgedruckten Erklärung erfolgt ein Neuabdruck in folgender Fassung: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank, Dr. Wolfgang Bötsch, Maria Eichhorn, Herbert Frankenhauer, Dr. Gerhard Friedrich, Michaela Geiger, Norbert Geis, Wolfgang Gröbl, Gerda Hasselfeldt, Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach), Ernst Hinsken, Josef Hollerith, Helmut Jawurek, Bartholomäus Kalb, Peter Keller, Hartmut Koschyk, Rudolf Kraus, Eduard Lintner, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Hans Michelbach, Dr. Gerd Müller, Elmar Müller (Kirchberg), Eduard Oswald, Dr. Bernd Protzner, Hans Raidel, Dr. Peter Ramsauer, Otto Regenspurger, Dr. Klaus Rose, Dr. Christian Ruck, Gerhard Scheu, Christian Schmidt (Fürth), Horst Seehofer, Marion Seib, Carl-Dieter Spranger, Max Straubinger, Matthäus Strebl, Dr. Jürgen Warnke, Dagmar Wöhrl, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Heinz Schemken, Georg Janovsky, Bärbel Sothmann, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Erich G. Fritz, Roland Richter, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Heinz-Georg Seiffert, Sigrun Löwisch, Friedrich Merz, Dietmar Schlee, zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) Zu der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom 21. Januar 1997 stellen wir fest: Erstens. Gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn sind unser zentrales Anliegen. In den vergangenen sieben Jahren ist die deutsch-tschechische Verständigung entscheidend vorangekommen und vollzieht sich auf allen Ebenen. In vielfachen menschlichen Begegnungen sind gerade von den Sudetendeutschen Brücken in die Zukunft gebaut worden. Wir erwarten, daß die Sudetendeutschen und ihre offiziellen Vertreter jetzt auch von seiten des tschechischen Staates und seiner Regierung in den Versöhnungsprozeß und den Dialog miteinbezogen werden. Die DeutschTschechische Erklärung bedeutet weder Schlußstrich noch Abschluß im deutsch-tschechischen Verhältnis. Sie ist eine politische Absichtserklärung der Regierungen, die die Gültigkeit von Verträgen und individuellen Rechtsansprüchen nicht berührt und zu den offenen Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses keine abschließende Regelung enthält. Zweitens. Die Darstellung der historischen Abläufe in der Erklärung ist nicht vollständig. Die Geschichte hat nicht erst 1938 begonnen. In der Erklärung wird die Vertreibung klar beim Namen genannt. Im deutschen Text wird das Wort „Vertreibung" benutzt. In der tschechischen Version hat man zu einem ungebräuchlicheren Begriff Zuflucht genommen, der übersetzt allerdings auch „Vertreibung" bedeutet. Drittens. Das Recht auf die Heimat ist durch die Erklärung nicht verwirklicht. Wir anerkennen allerdings, daß durch die Erklärung und den dazugehörigen Briefwechsel Wege zu einem Daueraufenthaltsrecht in der Tschechischen Republik eröffnet werden, wodurch auch Eigentumserwerb möglich wird. Wir erwarten, daß in der weiteren Ausgestaltung der deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem im Vorfeld der Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU weitere konkrete Möglichkeiten zur Verwirklichung des Heimatrechts folgen. Viertens. Die Erklärung kann in die Zukunft weisen, wenn sie im Sinne der Versöhnung, der Gerechtigkeit und der historischen Wahrheit ausgelegt wird. Die Erklärung spricht klar aus, daß durch die Vertreibung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. Vertreibung läßt sich durch nichts rechtfertigen. Die Vertreibung der Sudetendeutschen war völkerrechtswidriges Unrecht. Die Erklärung bezeichnet auch die Folgen der Vertreibung, Enteignung und Ausbürgerung, als Quelle von Leid und Unrecht unschuldiger Menschen. Wir begrüßen dies als Distanzierung von den sogenannten Beneš-Dekreten. Erstmals bedauert die tschechische Seite explizit den kollektiven Charakter der Schuldzuweisung an die Sudetendeutschen. Mit Genugtuung sehen wir, daß sich die Tschechische Republik vom sogenannten Amnestiegesetz von 1946 distanziert und dessen rechtsstaatswidrigen Kern bloßlegt, der im Klima des Hasses und der Revanche der Nachkriegszeit wurzelt. Die Erklärung bedeutet keine Billigung der nach dem Krieg erlassenen tschechoslowakischen Gesetze, die sich auf die Vertreibung der Sudetendeutschen beziehen, oder die Anerkennung der auf deren Grundlage ergangenen Rechtsprechung. Fünftens. Wir begrüßen die Schaffung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, aus dem Projekte gemeinsamen Interesses finanziert werden sollen, insbesondere die Jugendbegegnung und ein deutsch-tschechisches Gesprächsforum. Der Ausgestaltung dieser Zukunftsprojekte kommt für das deutsch-tschechische Verhältnis entscheidende Bedeutung zu. Die Sudetendeutschen müssen darin einen nach Geschichte und Tradition angemessenen Platz finden. Die Mittel des Zukunftsfonds müssen auch den Anliegen der Sudetendeutschen zugute kommen. Aus den Mitteln des Zukunftsfonds sollten auch Projekte finanziert werden, die Sudetendeutschen zugute kommen, die von der Vertreibung besonders schwer und nachhaltig betroffen wurden. Wir begrüßen die im Verlauf der Verhandlungen erreichten substantiellen Verbesserungen der Erklärung und werden den weiteren Prozeß der Versöhnung konstruktiv begleiten. Wir werden auch weiterhin mit ganzer Kraft für die berechtigten Anliegen unserer sudetendeutschen Landsleute eintreten. Die Annäherung der Tschechischen Republik an EU und NATO muß genutzt werden, Lösungen für noch offene Fragen zu finden. Angesichts der vielfältigen individuellen Verständigungsarbeit der Betroffenen hoffen wir, daß rund 50 Jahre nach der Vertreibung und rund acht Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft die Zeit dafür reif ist, für die noch offenen Fragen im deutsch-tschechischen Verhältnis schrittweise für alle Seiten befriedigende Lösungen zu erreichen. Das aber wird nur gelingen, wenn Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit der Maßstab sind. In der Absicht zu einer gemeinsamen Zukunft in Europa beizutragen, stimmen wir der DeutschTschechischen Erklärung trotz ihrer Schwächen zu. Dr. Theodor Waigel Michael Glos Dr. Alfred Dregger Dr. Wolfgang Bötsch Maria Eichhorn Herbert Frankenhauer Dr. Gerhard Friedrich Michaela Geiger Norbert Geis Wolfgang Gröbl Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Ernst Hinsken Helmut Jawurek Bartholomäus Kalb Peter Keller Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Eduard Lintner Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Hans Michelbach Elmar Müller (Kirchberg) Eduard Oswald Dr. Bernd Protzner Hans Raidel Otto Regenspurger Dr. Klaus Rose Dr. Christian Ruck Gerhard Scheu Christian Schmidt (Fürth) Horst Seehofer Marion Seib Carl-Dieter Spranger Max Straubinger Matthäus Strebl Dr. Jürgen Warnke Dagmar Wöhrl Alois Graf von Waldburg-Zeil Heinz Schemken Bärbel Sothmann Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Erich G. Fritz Roland Richter Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Heinz-Georg Seiffert Sigrun Löwisch Friedrich Merz Dietmar Schlee Der Interpretation und Bewertung der DeutschTschechischen Erklärung schließen wir uns an und unterstützen die darin ausgedrückten Erwartungen an die künftigen deutsch-tschechischen Beziehungen. In Abwägung des Leides und Unrechts, das durch Vertreibung den Sudetendeutschen geschehen ist, können wir wegen der Schwächen der DeutschTschechischen Erklärung nicht zustimmen. Renate Blank Josef Hollerith Dr. Gerd Müller Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Georg Janovsky Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach (SPD): Wer die bisherige Debatte heute morgen zum Thema Arbeitsmarktpolitik verfolgt hat und ebenso die Äußerungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, der weiß eines ganz gewiß: Das einzige Ziel, das hier verfolgt wird, ist: Die desolate Arbeitsmarktsituation soll gesundgebetet werden. Dabei setzen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, schamlos darauf, daß sich die Gesellschaft an die anhaltende Massenarbeitslosigkeit gewöhnt hat. Dies ist zynisch, dies ist Ignoranz gegenüber den Betroffenen, und dies - das prophezeie ich Ihnen - wird diesmal nicht aufgehen. Meine Damen und Herren, das von der Regierung vorgelegte AFRG will genau das Gegenteil von dem, was in einer solchen Situation notwendig wäre: Statt einer Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll das schon als unzulänglich geltende Vorhandene nun auch noch zusammengestrichen werden. Und wie das für diese Regierung typisch ist, werden Expertenmeinungen nicht zur Kenntnis genommen und mit miesen Verfahrenstricks auf Teufel komm raus die unsinnigsten Sachen durchgepaukt. Vor knapp zwei Wochen ist in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum AFRG klipp und klar deutlich geworden, daß dieses Gesetzesvorhaben die ohnehin schon katastrophale Arbeitsmarktsituation noch weiter verschlechtern wird. Dies ist der Bundesregierung jedoch gleichgültig, da das AFRG im wesentlichen zu Kosteneinsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit beitragen soll. Die betroffenen Menschen spielen dabei keine Rolle. Auch der Bundesrat hat der Bundesregierung ebenso klar gesagt, daß mit dem AFRG ein falscher Weg noch weiter fortgesetzt wird. Der Bundesrat hat seine Entscheidung aus sachlichen Gründen getroffen und gut begründet. Ich möchte hier nur einige Punkte herausgreifen, die darstellen, daß das AFRG zum einen zum Teil gegen geltendes Recht verstößt und zum anderen die Arbeitslosigkeit nicht um ein Stück weit verringert, sondern enorm vergrößert. Nach bisherigem Recht gelten untertariflich bezahlte Tätigkeiten als Bruch unseres vorhandenen Rechts, zu dem auch das Tarifrecht gehört. Nunmehr sollen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit bis zu 18 % unter dem geltenden Tariflohn entlohnt werden. Demnach werden nach dem AFRG zukünftig Lohnkostenzuschüsse auch bei untertariflicher Entlohnung gewährt. Diese Vorgaben des Gesetzgebers bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind eine Aufforderung zum Umgehen von Tarifverträgen und somit ein Eingriff in die Tarifautonomie. Einen besonders radikalen Einschnitt stellt auch die Verschlechterung der Zumutbarkeitsregelung dar, wonach die Zumutbarkeit von Beschäftigungen nur noch an der Höhe des zu erzielenden Einkommens festgemacht wird. Damit wird aber der bisherige Berufs- und Qualifikationsschutz vollends aufgegeben. Die Folge ist: Die Höherqualifizierten drängen in Arbeitsplätze mit niedrigen Qualifikationsanforderungen, und von dort werden die Menschen in die Dauerarbeitslosigkeit abgeschoben - ein Verschiebebahnhof zu Lasten der Schwachen in unserem Land. Die drastischen Änderungen des AFRG treffen zudem wieder einmal die Frauen besonders hart. So werden künftig die Zeiten des Bezuges von Mutterschafts- oder Erziehungsgeld nicht mehr als versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten angerechnet. Sie begründen somit keinen Folgeanspruch auf Arbeitslosengeld mehr. Auch die Erhöhung der zumutbaren Pendelzeit bei Halbtagsstellen auf 2,5 Stunden täglich trifft Frauen besonders hart, und dies, wo unsere Regierung besonders die Frauen und Familien unterstützen will. Ich weise hier auch auf das entsprechende Bundesverfassungsgerichtsurteil zum § 218 hin. Die Unglaubwürdigkeit der Regierung ergibt sich auch insoweit von allein. Der Entwurf des AFRG bietet auch einige positive Ansätze, die schon seit geraumer Zeit von der SPD gefordert werden. So sind die direkten Lohnkostenzuschüsse nunmehr in gewerblichen Betrieben und für Existenzgründer vorgesehen. Allerdings gilt diese Fördermöglichkeit nur für die neuen Bundesländer und schafft somit unsinnige Mauern in der Förderpolitik. Im Gesamtpaket betrachtet, stellt das geplante AFRG einen weiteren Schritt zum beschleunigten Sozialabbau dar, da es mit keiner der geplanten Änderungen die Arbeit fördert, sondern nur die Arbeitslosigkeit. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1995 einen Gesetzentwurf für ein ASFG eingebracht, der im Grundsatz nach wie vor aktuell ist, aber mit dem AFRG schon vom Ansatz her nicht vereinbar ist. Uns geht es in erster Linie darum, den Vorrang der aktiven Arbeitsmarktpolitik rechtsverbindlich zu verankern. Die Lehre, die jedoch die Bundesregierung daraus zieht, ist nicht etwa, daß man vielleicht die zahlreichen Alternativvorschläge der Opposition berücksichtigt. Nein, die Bundesregierung verfällt wieder in verfahrenstaktische Spielchen und nimmt die zustimmungspflichtigen Teile aus dem Gesetzentwurf heraus, ohne daß sich in der Substanz der alte Entwurf maßgeblich geändert hätte. Meine Damen und Herren, das AFRG ist trotz der in Hülle und Fülle nachgeschobenen Änderungsanträge der Regierungskoalition ein Rückschrittsgesetz. Als solches Rückschrittsgesetz bekämpft das AFRG natürlich nicht die Ursachen für die desolate Lage des Landes, also die Arbeitslosigkeit, sondern wieder einmal die arbeitslosen Menschen. Das AFRG fördert nicht die Arbeit, da das Vollbeschäftigungsziel schon seit geraumer Zeit von der Bundesregierung aufgegeben wurde. Vielmehr bietet es die Grundlage, die Arbeitslosigkeit und die Armut hierzulande zu vergrößern. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wurden die zentralen Kritikpunkte des AFRG erneut von Experten und Verbänden bestätigt. Zum einen sollen durch das sogenannte Reformgesetz aktive Maßnahmen der Arbeitsförderung fast gänzlich gekappt werden. Zum anderen sollen die Rechtsansprüche auf Leistungen und Maßnahmen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Damit werden durch das „neue" AFRG zusätzlich 300 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit oder auch Hoffnungslosigkeit getrieben. Meine Damen und Herren, betrachtet man nun noch die finanziellen Auswirkungen des sogenannten Reformgesetzes auf die Länder und Kommunen, ist festzustellen, daß wieder einmal diese die Hauptlast zu tragen haben. Bereits heute sind 800 000 Bezieher von Arbeitslosenunterstützung sozialhilfebedürftig. Dabei werden die vorgesehenen Maßnahmen des AFRG diese Zahl noch wesentlich erhöhen. In diesem Zusammenhang möchte ich lediglich auf die Nichtverlängerung der ABM-Sonderkonditionen für Ostdeutschland in Höhe von 450 Millionen DM hinweisen. Die Folgekosten der Kommunen und Länder gerade in Ostdeutschland sind für diese untragbar. So werden die Kosten der Arbeitslosigkeit durch das AFRG vom Bund auf die Länder und Kommunen abgewälzt, die sowieso schon bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt werden. Der geplante Gesetzentwurf der Bundesregierung wird besonders drastische Einschnitte in den neuen Bundesländern bringen. Im Osten Deutschlands sind alleine bei Arbeitsförderungsmaßnahmen und Fortbildung und Umschulung große Einsparungen vorgesehen. Diese sollen allein 1997 1,7 Milliarden DM betragen und sich jedes Jahr erheblich erhöhen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in den neuen Bundesländern noch nicht von einer sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung gesprochen werden kann. Gerade aus diesem Grund sind nach wie vor hohe arbeitsmarktpolitische Transferleistungen erforderlich. Betrachtet man, daß in den neuen Bundesländern auf 100 Arbeitslose 43 Personen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in den alten Bundesländern gerade einmal 13 Personen kommen, läßt es sich unschwer erkennen, wie dringend notwendig eine besondere Unterstützung der neuen Bundesländer ist. Und wie wichtig es wäre, in der gesamten Republik eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu haben. In manchen Regionen sind die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit für eine Beschäftigung. Dabei ist es auch unerheblich, daß in Ostdeutschland in den Gebieten mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote anstatt wie bisher 100 % nunmehr 30 % der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weiterhin unterstützt werden sollen. Dies ist lediglich der sogenannte Tropfen auf den heißen Stein. An dem Leitsatz der Bundesregierung ändert dies hingegen gar nichts; der lautet: Das AFRG fördert nicht die Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit und Armut der Menschen. Aber durch all diese Fakten läßt sich die Bundesregierung keineswegs beirren. Sie baut weiterhin mit dem sogenannten Reformgesetz und mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich die sozialen Sicherungssysteme ab und soziale Gegensätze auf. Ihre Politik dient vorrangig der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Nach meiner Auffassung ist jedoch die Förderung von Beschäftigung und Qualifizierung von Arbeitslosen allemal arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch besser, als Arbeitslose zu alimentieren. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen an einigen Punkten zeigen, was es beispielsweise für das Land Berlin bedeuten würde, wenn dieses Gesetz in Kraft treten sollte. Die nur annähernde Angleichung der Fördermaßnahmen des Ostniveaus nach unten auf das Westniveau bedeutet allein für das Land Berlin eine Reduzierung des Fördervolumens der Bundesanstalt für Arbeit um zirka 600 Millionen DM pro Jahr. Zusätzlich würde ein Auslaufen der ABM-Sonderkonditionen zum Jahresende 1997 den Berliner Haushalt auf der Basis der bislang realisierten Förderzahlen um 160 Millionen pro Jahr stärker belasten. Durch diese Entwicklung der Berliner Arbeitsmarktpolitik ist der soziale Friede in der Region immer mehr bedroht. Von 1990 bis 1995 haben sich die Ausgaben für die Berliner Arbeitsmarktpolitik verfünffacht. So konnten 1995 noch 101 000 Menschen gefördert werden, hingegen wurden 1996 auf Grund der notwendigen Einsparungen im Landeshaushalt nur noch 93 000 Förderungen von Arbeitslosen registriert. Konkret werden von 6 700 Projekten in Berlin 2 900 mit Arbeitsmarktmitteln unterstützt. Dies zeigt, wie die Arbeitsmarktpolitik einen grundlegend wichtigen Beitrag für die soziale Infrastruktur Berlins leistet. Dies spiegelt sich auch deutlich in den Arbeitsmarktzahlen für Berlin wider. Im vergangenen Monat betrug die Arbeitslosenquote für Gesamtberlin 15,7 %. Dabei waren es im Westteil 16,4 % und im Ostteil 14,4 %. Diese Zahlen sind der eindeutige Beweis einerseits für die Wirksamkeit von aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie sie das alte AFG-Ost durchaus aufweist. Andererseits zeigen sie aber auch die schwache Position des alten AFG West, das wenig Spielraum läßt für kreative Arbeitsmarktpolitik. Dies soll nun gänzlich zerstört werden durch ein sogenanntes Reformgesetz. Wie nötig wäre hier ein Reinpowern statt koalitionstechnische Sparerei. An diesem Beispiel wird weiterhin auch deutlich, daß die Arbeitslosigkeit nicht nur eine individuelle Belastung darstellt, sondern zugleich auch eine gewollte Abwälzung der finanziellen Lasten von Bund auf die Länder, die gerade Berlin besonders trifft. So ist unsere Hauptstadt Berlin zum einen die größte Baustelle Europas und hat trotzdem die höchste Arbeitslosenquote beim Bau. Das ist pervers, meine Damen und Herren. Und dennoch wurde in dem neuen Gesetzesvorschlag die alte Regelung zum Schlechtwettergeld seitens der Bundesregierung nicht wieder auf genommen. Zwar wollte die Bundesregierung mit der Abschaffung des Schlechtwettergeldes zwischen 700 und 900 Millionen DM einsparen. Tatsächlich war die Abschaffung des Schlechtwettergeldes ein großer Flop. Denn selbst der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bestätigte, daß die finanziellen Auswirkungen der Winterarbeitslosigkeit im Baubereich seit der Einführung des Überbrückungsgeldes spürbar höher sind, als beim bewährten Schlechtwettergeld. Selbst Herr Eppelmann, der Arbeiterführer der CDU, forderte bereits einen Tag nach Abschaffung des Schlechtwettergeldes die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Am Donnerstag mit seiner Hilfe abgeschafft, am Freitag die Wiedereinführung gefordert! Und er wußte genau, warum! Und wo ist seine Forderung heute? Kolleginnen und Kollegen, wenn man im zusammenfassenden Vergleich betrachtet, was die SPD mit ihrem ASFG und nun die Regierung mit dem AFRG vorgelegt haben, wird klar: Der SPD geht es darum, mit wirksamen Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik die Massenarbeitslosigkeit zu senken oder zumindest angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik dieser Regierung einen noch weiteren Anstieg zu verhindern. Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, geht es dagegen nur darum, die von Ihnen durch Ihre falsche Politik aufgerissenen Haushaltslöcher zu stopfen, sei es bei der Bundesanstalt für Arbeit oder im Bundeshaushalt durch sinnloses Streichen und durch Lastenverschiebung auf die Länder und Kommunen. Und dabei interessierte es Sie auch nicht, daß Ihre Rechnung „Stärkung der Wirtschaft gleich Senkung der Arbeitslosigkeit" nicht aufgeht - was wir Ihnen übrigens schon immer gesagt haben. Sie setzen bei der jahrelangen Massenarbeitslosigkeit schamlos auf einen Gewöhnungseffekt bei den Bürgerinnen und Bürgern. Aber dies wird nicht aufgehen. Ich hoffe sehr, Sie werden spätestens 1998 die Quittung für diese, Ihre Politik bekommen. Manfred Grund (CDU/CSU): Nachdem wir gehört haben, was mit einem wie auch immer veränderten Arbeitsförderungsgesetz geleistet werden müßte, ist es notwendig, auf die Möglichkeiten und auf die Grenzen von Arbeitsmarktpolitik zu verweisen: Arbeitsmarktpolitik hat gerade in den neuen Bundesländern eine unverzichtbare Aufgabe im Transformationsprozeß. Aktive Arbeitsmarktpolitik kann und muß den Arbeitsmarkt entlasten und muß Arbeitslosen einen Neubeginn ermöglichen. Aber: Auf sich alleine gestellt ist Arbeitsmarktpolitik angesichts des millionenfachen Wegbruchs von Arbeitsplätzen nach der Wende, angesichts der Dimensionen des wirtschaftlichen Umbruchs nicht in der Lage, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitsmarktpolitik wirkt mit am Strukturwandel und hat sich selbst diesem Wandel zu stellen. Arbeitsmarktpolitik kann am Entstehen dauerhafter Arbeitsverhältnisse mitwirken, sie kann aber regionale Strukturpolitik nicht ersetzen. So hat die Arbeitsförderung, die wir heute beraten, mehrere Funktionen: Gegenwartsbezogen geht es um den Entlastungseffekt zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, zukunftsbezogen geht es um die „Brückenfunktion" mit dem Ziel, die volkswirtschaftlichen Angebotsbedingungen zu verbessern und neue Beschäftigungsfelder aufzubauen. In den neuen Bundesländern ist die Situation am Arbeitsmarkt dramatisch; die Quote aus offener und verdeckter Arbeitslosigkeit liegt über 25 Prozent. Mit dem bisher geltenden Arbeitsförderungsgesetz wurde seit 1990 der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern entlastet und gleichzeitig der Strukturwandel befördert und begleitet. Dazu bedurfte es schon bisher besonderer Instrumentarien, und notwendigerweise brauchte man viel Geld. Mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz bleiben all die wichtigen Instrumentarien wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse, Einstellungszuschüsse erhalten und werden weiterentwickelt. Über die notwendige Finanzausstattung, um diese Instrumentarien auch einsetzen zu können, werden wir uns bei der Aufstellung jedes neuen Bundeshaushaltes zu befassen haben. Dies wird in der Sache liegend manchmal strittig ausgehen. Denn bei allen notwendigen Sparzwängen: Weniger Bundeszuschuß darf nicht zu größerer Arbeitslosigkeit führen. Also gilt es, die Instrumentarien intelligent weiterzuentwickeln. Intelligentes Sparen ist notwendig und möglich! Dazu folgendes Beispiel aus dem heute zu beschließenden Arbeitsförderungs-Reformgesetz: Wer die bisherigen Instrumentarien aktiver Arbeitsmarktpolitik auf ihre Effizienz hinterfragt, stellt schnell fest, daß der Anteil der nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeitslos Verbliebenen zunimmt. Dies ist begründet im Fehlen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, aber auch gerade in der unzureichenden Verzahnung von zweitem und erstem Arbeitsmarkt. Denn wer in einer kommunalen ABM beschäftigt ist, hat keinen Zugang zu einem Unternehmen. I Dies wollen wir mit dem AFRG ändern Wirtschaftsun- ternehmen des gewerblichen Bereiches erhalten einen neuartigen Lohnkostenzuschuß: für jede zusätzliche Personaleinstellung einen Zuschuß in Höhe von 1 923,- DM je Monat - und das für ein Jahr. Also: Ein Handwerker mit acht Beschäftigten kann bei einer auf ein Jahr befristeten Einstellung von zwei Arbeitslosen 1 923,- DM je Arbeitslosen pro Monat erhalten. Und das für ein Jahr ohne anschließende Beschwernisse oder Auflagen. Allerdings werden wir einen Drehtüreffekt verhindern. Mit dem produktiven Lohnkostenzuschuß betreten wir in der Arbeitsmarktpolitik der neuen Bundesländer wirkliches Neuland. Klarer als bisher wird Arbeit gefördert statt Arbeitslosigkeit finanziert. Es ist allerdings eine Lohnsubventionierung, die immer problematisch, aber angesichts der Entwicklung am Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern dennoch gerechtfertigt ist. Der Lohnkostenzuschuß erfolgt in Höhe des pauschalierten Arbeitslosengeldes und ist im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu den Ansätzen für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unbegrenzt deckungsfähig. Ohne zusätzliches Geld zu benötigen wird mit diesem Instrumentarium die Zahl der Arbeitslosen verringert und eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt gebildet. Denn der hiermit geförderte Arbeitslose hat erstmals die Möglichkeit, einen Fuß in die Tür eines Unternehmens zu stellen, mit hoffentlich guten Übernahmechancen. Dieser produktive Lohnkostenzuschuß wird von Arbeitsämtern, Arbeitgebern, Arbeitslosen und Gewerkschaftern begrüßt. Besonders zu begrüßen ist die Verbesserung bei der Zuschußobergrenze bei ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen. Hier wird für die nächsten Jahre eine 100-Prozent-Förderung möglich bleiben. Das entlastet die freien Träger der Sozialarbeit und die ABS-Gesellschaften. Nur bis zur Opposition hat es sich nicht herumgesprochen, daß mit den hergebrachten Instrumentarien kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Das Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist eine neue Chance für die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern, die wir dringend benötigen. Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Heute erleben wir wieder einmal, wie ernst es die SPD mit ihrem Bekenntnis nimmt, die Arbeitslosenquote drücken zu wollen. Einerseits beklagt sie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, andererseits widersetzt sie sich hartnäckig sämtlichen dringend notwendigen Reformvorhaben. Und letztlich scheut sie sich nicht, dieses Haus für endlose Debatten zu mißbrauchen, Debatten, die allein dazu dienen sollen, die Bevölkerung zu verunsichern. Ich sage Ihnen, wie die Bevölkerung denkt: Es ist genug geredet und höchste Zeit, daß wir das anpacken, was uns allen unter den Nägeln brennt, nämlich die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Es wird aber kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie laufend Reformmaßnahmen torpedieren. Es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie allein zur eigenen Profilierung die Bevölkerung gegen die Regierungskoalition aufhetzen. Und es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn wir uns hier immer wieder zum gleichen Thema die Köpfe einschlagen und das Problem der Arbeitslosigkeit auf der Strecke bleibt. Sie scheuen sich auch nicht, bis an die Grenze des Zumutbaren zu gehen: Sie haben allein aus formalen Gründen auf einer zweiten Anhörung bestanden, obwohl Sie wußten, daß alle Argumente bereits in der ersten Anhörung ausgetauscht waren; Sie wollten nur eine Schau inszenieren - eine eklatante Mißachtung des Parlaments. Inhaltlich haben Sie nicht viel zu bieten: Teure Beschäftigungsprogramme könnten allenfalls ein Strohfeuer entfachen; am Ende würden Finanzlöcher übrigbleiben. Meine Damen und Herren von der SPD, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, wir haben ein neues Arbeitsförderungsrecht auf den Weg gebracht, das neue Beschäftigungsimpulse bringen wird. Durch Ihre Ablehnung im Bundesrat haben Sie sich gegen das heute zur Abstimmung stehende Bündel von neuen Instrumenten ausgesprochen: gegen Hilfen bei Existenzgründungen durch Arbeitslose, gegen Eingliederungsverträge für Langzeitarbeitslose, gegen frühzeitigere Beratungs- und Vermittlungsbemühungen und gegen die besondere Förderung von Ungelernten durch Weiterbildungsmaßnahmen, um nur einige neue Maßnahmen herauszugreifen. Ein besonderes Anliegen war mir die Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit. Diese wäre jedoch ohne die Zustimmung im Bundesrat nicht möglich gewesen. Sie hätte das Gesetz zustimmungsbedürftig gemacht und mußte deshalb herausgenommen werden. Sie und Ihre Freunde im Bundesrat, meine Damen und Herren von der SPD, haben damit verhindert, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit auf ein arbeitsfähiges Gremium zurückgeführt wird. Sie haben die Ausweitung der Verantwortungsbereiche bei den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter verhindert und damit die Stärkung der Tarifparteien in den Verwaltungsausschüssen nicht zugelassen - ein offenes Mißtrauensbekenntnis gegenüber den Gewerkschaften, die in den Verwaltungsausschüssen mehr Einfluß gehabt hätten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben Ihre Zustimmung verweigert, also blieb uns nichts anderes übrig, als ein zustimmungsfreies Gesetz weiter voranzubringen. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und ein zustimmungsfreies Gesetz auf den Weg gebracht, um die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und die Hilfen für Arbeitslose schnellstmöglich zu verwirklichen. Wir haben die Fehler der SPD so gut wie möglich ausgebügelt. Wir können auch jetzt ein Gesetz vorlegen, das den Namen Reform verdient. Ich trete ein für eine Politik mit mehr Eigenverantwortung und weniger Staat. Deshalb stehe ich auch zu den verbesserten Zumutbarkeitsregelungen oder auch zu der sozial verträglich ausgestalteten Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld: Maßnahmen, die dazu beitragen, Beschäftigung zu sichern und Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn es uns Ernst ist mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, verrechnen sich, wenn Sie meinen, Sie könnten durch Ihre Blokkadepolitik die Koalition in den Sumpf ziehen. Der Bevölkerung wird immer deutlicher, daß Ihre Strategie in der Verzögerung, Verhinderung und Verunsicherung liegt. Verzögern, verhindern und verunsichern: das sind die Schlagworte, die die SPD-Politik kennzeichnen. Die SPD: eine Verzögerungs-, Verhinderungs- und Verunsicherungspartei. Es wird sich aber nicht lohnen, wenn Ihnen die bloße Hoffnung auf mehr Wählerstimmen mehr bedeutet als die ehrliche Absicht, den Arbeitsmarkt zu entlasten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich bis heute als ernstzunehmender Vertragspartner disqualifiziert. Sicherlich ist es sinnvoll, zunächst einen breiten Konsens in diesem Hause herzustellen. Wir haben das versucht. Wir werden jedoch nicht die erforderliche Konsequenz verantwortungsvoller Politik auf Kosten irgendeines Konsenses gefährden. Es geht nämlich nicht um die Abkehr vom Sozialstaat, wie von der SPD hartnäckig, aber haltlos behauptet wird. Es geht um die Rückkehr zu einer freiheitlichen Sozialpolitik mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung im Sinne der Politik von Ludwig Erhard. In dieser Zeit ist jeder Monat ohne Reformschritte ein verlorener Monat. Deshalb gilt es, heute mit einem neuen Arbeitsförderungsrecht eine Weiche für mehr Beschäftigung zu stellen. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ihren Antrag „Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten" - Drucksache 13/6737 - sowie ihren Entschließungsantrag „zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1997" - Drucksache 13/6313 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß - Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 95. Interparlamentarische Konferenz vom 15. bis 20. April 1996 in Istanbul - Drucksachen 13/4954, 13/5550 Nr. 1.3 - Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1995 (Subsidiaritätsbericht 1995) - Drucksachen 13/5180, 13/5550 Nr. 1.6 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 1.17 Finanzausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 2.10 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.35 Drucksache 13/4678 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.34 Drucksache 13/6129 Nr. 1.19 Drucksache 13/6129 Nr. 1.20 Drucksache 13/6152 Nr. 1.4 Drucksache 13/6152 Nr. 2.2 Drucksache 13/6152 Nr. 2.5 Drucksache 13/6152 Nr. 2.9 Drucksache 13/6152 Nr. 2.11 Drucksache 13/6152 Nr. 2.13 Drucksache 13/6152 Nr. 2.14 Drucksache 13/6152 Nr. 2.15 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/4921 Nr. 2.11 Drucksache 13/6129 Nr. 1.31 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/6129 Nr. 1.10 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/4636 Nr. 2.5 Drucksache 13/5295 Nr. 3.1 Drucksache 13/6152 Nr. 1.7 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/5687 Nr. 2.2
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1315500000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe auf:
ZP8 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland
9. Debatte zur Arbeitsmarktsituation und zum Wirtschaftswachstum
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1315500100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Dienstag hat das Bundeskabinett den Jahreswirtschaftsbericht 1997 beraten und beschlossen.

(Zuruf von der SPD)

- Ich weiß, daß Sie für heute früh so eingestimmt sind.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erwartungsfroh sind wir!)

- Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie versuchen, die Sitzung in dieser Weise zu gestalten. Dann wird sie lebhaft. Ob das der Sache dient, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber je mehr Sie heute den Versuch machen, die Debatte auf diese Weise zu gestalten, um so köstlicher wird sie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) In diesem Jahreswirtschaftsbericht 1997


(Zuruf von der SPD: Kanzler der Arbeitslosigkeit!)

wird ein realistisches Bild der Erwartungen für 1997 gezeichnet. Wir rechnen, ebenso wie die meisten Konjunkturexperten, damit, daß sich das Wachstum von plus 1,4 Prozent im Jahre 1996 auf plus
2,5 Prozent in diesem Jahr beschleunigen wird. Ich denke, diese Erwartungen sind gut begründet. Der Welthandel expandiert kräftig. Die übersteigerte Aufwertung der D-Mark vom Frühjahr 1995 hat sich weitgehend zurückgebildet. Die deutschen Exporte profitieren von der guten Weltkonjunktur und der D-Mark-Kursentwicklung. Der erwartete Anstieg der deutschen Ausfuhr von etwa sechseinhalb Prozent schafft Arbeitsplätze. Immerhin hängt jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab.
Die Zinsen sind auf das niedrigste Niveau gesunken, seit es in Deutschland eine Zentralbank gibt. Das ist ein großer Erfolg, und ich will ihn bei dieser Gelegenheit noch einmal herausstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die für die Investitionen entscheidenden langfristigen Zinsen liegen bei 5 Prozent und teilweise bereits darunter. Ich will darauf hinweisen, daß es für den Eigenheimbau ganz besonders wichtig ist, daß die Hypothekenzinsen bei zehnjähriger Bindung nur noch knapp über 7 Prozent betragen. Das sind besonders günstige Bedingungen, wie wir sie in vielen Jahren nicht hatten.

(Zuruf von der SPD: Und die Arbeitslosen?)

Die Tarifparteien haben in der jüngsten Tarifrunde mehr Rücksicht auf Wettbewerbslage und Beschäftigung genommen.
In Deutschland herrscht praktisch Preisstabilität. Auch für 1997 ist eine Inflationsrate von nur eineinhalb Prozent zu erwarten. Auch das halte ich für ein bedeutendes Ereignis und für einen großen Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wichtig ist jedoch, daß all diese zu Recht hervorgehobenen Daten und Tatsachen nach unserer Erfahrung aus den letzten Jahren nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führen. Deshalb brauchen wir beides: Wachstum und strukturelle Reformen, die dazu führen, daß das Wachstum beschäftigungsintensiver wird, also Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wollen, müssen wir die Investitionsschwäche überwinden.

(Zurufe von der SPD)

- Was soll das eigentlich? Meinen Sie wirklich, daß es eindrucksvoll ist, daß Sie mich stören, wenn Sie unentwegt dazwischenschreien? Das ist mir völlig gleichgültig. Ich hoffe nur, daß das Fernsehen Sie fortdauernd im Bild hat, damit die Bürger in Deutschland erkennen, mit welcher Gesinnung Sie hier im Saal sitzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir die Investitionsschwäche überwinden, Strukturreformen vorantreiben und nicht zuletzt im Blick auf die Zukunft im Forschungsbereich das Notwendige tun.
Wir rechnen für 1997 mit einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn die Arbeitslosigkeit nach ihrem Höhepunkt im Frühjahr im weiteren Jahresverlauf zurückgeht, wird die Zahl der Arbeitslosen 1997 im Jahresdurchschnitt etwa 4,1 Millionen betragen. Das ist eine Zahl, die niemand akzeptieren kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Alle, die hier betroffen sind - das gilt vor allem für die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Politik -, haben eine gemeinsame Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit. Deshalb haben wir vor einem Jahr im Bündnis für Arbeit und Standortsicherung gemeinsam vereinbart - ich zitiere es immer wieder -: Wirtschaft, Gewerkschaft und Bundesregierung streben einen nachhaltigen Beschäftigungsaufschwung an und setzen sich das gemeinsame Ziel, bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Zahl der registrierten Arbeitslosen zu halbieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Jeder weiß, daß dies ein anspruchsvolles und ehrgeiziges Ziel ist. Ich halte wenig davon, unentwegt darüber nachzudenken, warum wir dieses Ziel nicht erreichen; ich halte sehr viel mehr davon, daß wir uns statt dessen gemeinsam darum bemühen, diesem Ziel näherzukommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich lege auch Wert auf die Feststellung - gelegentlich gibt es die eine oder andere Stimme, die etwas anderes sagt -, daß dies damals von allen drei Gruppen als gemeinsam vorgenommenes Ziel herausgestellt worden ist. Alle drei - Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik - haben keinen Grund, von diesem Ziel abzulassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir wissen auch, daß niemand allein, weder die Wirtschaft allein noch die Gewerkschaften allein, noch die Politik bzw. die Bundesregierung, dieses
Problem lösen kann. Dazu gehört ein Stück Gemeinsamkeit beim Handeln.
Meine Damen und Herren, ein kräftiger Beschäftigungsaufschwung in Deutschland ist natürlich möglich. Wir haben es alle vor wenigen Jahren erlebt, wir haben es uns selbst bewiesen: Zwischen 1983 und 1992 wurden mehr als 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in den alten Ländern geschaffen, und heute - diese Zahl ist so wichtig, daß man sie sich merken sollte - gibt es in den alten Bundesländern trotz des Beschäftigungsrückgangs der letzten Jahre rund 2 Millionen Arbeitsplätze mehr als 1983.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wichtig ist es, dabei die Erfahrung nicht zu vergessen, daß selbst bei zunehmender Beschäftigung und selbst dann, wenn die Wirtschaft mehr Erträge abwirft, die Arbeitslosigkeit nicht automatisch zurückgeht. Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß sich in Deutschland wie übrigens auch anderswo in Europa die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ganz erheblich verändert haben, und zwar aus durchaus respektablen und erfreulichen Gründen. Ich nenne das Beispiel, daß heute sehr viel mehr Frauen als früher eine Erwerbstätigkeit anstreben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Unruhe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Das ist ja furchtbar!)

- Offensichtlich sind Sie gegen diese Entwicklung; das mag ja sein. - Es ist eine Entwicklung, die die veränderten Lebensgewohnheiten widerspiegelt, eine Entwicklung, die auf der freien Entscheidung einer Frauengeneration beruht. Wir in der Union, in der Koalition und in der Bundesregierung kritisieren das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber die Folgen für den Arbeitsmarkt sind unübersehbar: Die Zahl der Frauen, die einen Arbeitsplatz haben oder anstreben, ist in den alten Ländern von 46 Prozent im Jahre 1970 auf heute 60 Prozent gestiegen; in den neuen Ländern beträgt die Zahl 74 Prozent. Von den drei Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen, die zwischen 1983 und 1992 in den alten Ländern geschaffen wurden, kamen knapp zwei Millionen Frauen zugute.
Eine ganz erhebliche Veränderung mit enormen Konsequenzen zeigt sich auch bei der Zuwanderung nach Deutschland.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Sie war in den vergangenen Jahren höher als die Zuwanderung in das klassische Einwanderungsland USA.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört, hört!)

Im Jahre 1995 wanderten in die USA 720 000 Personen ein, zu uns kamen 1,1 Millionen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hört, hört!)


Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Allein in den acht Jahren zwischen 1988 und 1996 sind per Saldo über 2,5 Millionen erwerbsfähige Zuwanderer nach Deutschland gekommen, von denen verständlicherweise viele einen Platz auf dem Arbeitsmarkt suchten.

(Anhaltende Unruhe)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1315500200
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, wenigstens die Regierungserklärung in Ruhe anzuhören. Die Geräuschkulisse ist zu laut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1315500300
Die Zahl der beschäftigten Ausländer hat im gleichen Zeitraum um 420 000 zugenommen.
Meine Damen und Herren, ich trage hier nüchterne Zahlen vor. Wenn in diesen Tagen - ich mache mir diese Meinung nicht automatisch zu eigen - der Vorsitzende einer der großen Industriegewerkschaften Deutschlands, der Ihnen doch politisch sehr nahe steht, auf diesen Sachverhalt hingewiesen hat, dann müssen Sie diese Zahlen auch von meiner Seite ertragen. Das gehört zur offenen Diskussion über diesen Punkt.
Ich nenne ein praktisches Beispiel, meine Damen und Herren, das Sie alle sehr leicht nachprüfen können. Auf einer der größten Baustellen der Welt - in Berlin - arbeiten gegenwärtig 110 000 deutsche Bauarbeiter, außerdem 30 000 aus EU-Ländern und rund 7 000 aus unseren östlichen Nachbarländern. Wir wissen auch, daß zu dieser Zahl eine nicht genau zu fixierende Zahl von illegalen, nicht dort gemeldeten Arbeitern kommt. Zur gleichen Zeit - Sie können nicht leugnen, daß hier ein Problem offenbar wird -

(Lachen bei der SPD)

gibt es aber in Berlin trotz der eben von mir geschilderten Lage 14 000 arbeitslose Baufacharbeiter.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Woran liegt das denn? Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben doch das Entsendegesetz gefordert!)

- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Mit dem Entsendegesetz - -

(Lebhafte Zurufe von der SPD)

- Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Mich stört das wirklich überhaupt nicht.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1315500400
Können wir uns wenigstens darauf einigen, daß sich der Redner Gehör verschafft? Sie können sich dann gleich zu Wort melden. Wir haben feste Regeln für unsere Beratungen.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1315500500
Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr für Ihre Intervention. Ich füge hinzu: Man benimmt sich in diesem Hohen Hause, wie man eben glaubt, daß man sich benehmen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit dem Entsendegesetz haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, solche Fehlentwicklungen zu bekämpfen. Natürlich ist es heute zu früh,

(Rudolf Scharping [SPD]: Zu spät!)

über die Wirksamkeit dieser Maßnahme zu sprechen. Denn schließlich ist der Tarifvertrag, mit dem das Entsendegesetz wirksam wird, erst zu Beginn dieses Jahres, vor wenigen Wochen, in Kraft getreten.
Ich sage allerdings auch: Ich bin dafür, daß wir sehr sorgfältig beobachten, wie diese getroffenen Maßnahmen wirken. Dazu braucht es etwas Zeit; aber ich meine, es ist wichtig.
Zur deutschen Wirklichkeit des Jahres 1997 gehört auch, daß ausländische Arbeitnehmer Tätigkeiten übernehmen, die von deutschen Arbeitslosen abgelehnt werden.

(Unruhe bei der SPD)

1995 wurden 1,3 Millionen zeitlich befristete Arbeitserlaubnisse für Ausländer erteilt, davon rund 720 000, weil sich keine deutschen und auch keine EU-Arbeitnehmer für die angebotene Arbeit bereit fanden.
Nur so, meine Damen und Herren, ist es doch zu erklären, daß in der Land- und Forstwirtschaft 30 000 offene Stellen gemeldet sind, es aber gleichzeitig auch 30 000 Arbeitslose gibt. In der Gastronomie werden gegenwärtig 20 000 offene Stellen geführt, bei 56 000 Arbeitslosen. Die Wahrheit ist - jeder in diesem Saal weiß das doch -, daß diese Lücken vielfach durch Schwarzarbeit und durch Ausländer geschlossen werden, die hier zum Teil gar nicht angemeldet sind.
Das heißt, wenn wir zu Beginn des Jahres 1997 eine ehrliche Bilanz ziehen, dann müssen wir sagen - und ich sage das klar und deutlich -, daß wir in vielen Bereichen unserer Wirtschaft ohne die Hilfe ausländischer Arbeitskräfte gar nicht mehr funktionsfähig wären. Deswegen ist es auch sehr wichtig, daß in die Debatte über diese Frage nicht ein Touch kommt, der sich gegen Ausländer richtet. Hier geht es um ein deutsches Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Geht das nach dem Motto: Haltet den Dieb! Oder was?)

Ein Blick auf die Struktur der Arbeitslosigkeit zeigt, daß sich das Beschäftigungsproblem nicht mit einfachen Rezepten lösen läßt. Zu den ungelösten Strukturproblemen, von denen ich sprach, gehört die Tatsache, daß 46 Prozent der Arbeitslosen in den alten Ländern keine Berufsausbildung haben und daß ein Drittel der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung ist. Um die wenig Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen müssen wir - das heißt: die Tarifparteien und die Politik - uns besonders kümmern und Bedingungen schaffen, die den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben erleichtern. Deshalb hat die Bundesregierung das Programm für Langzeitarbeitslose im vergangenen Jahr um drei weitere Jahre bis 1998 verlängert.

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Die bessere Eingliederung von Langzeitarbeitslosen ist auch ein wichtiges Ziel der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Dort sind zum Beispiel Trainingsmaßnahmen vorgesehen, mit denen der Verlust beruflicher und sozialer Fähigkeiten ausgeglichen werden kann, den eine längere Arbeitslosigkeit häufig mit sich bringt. Durch einen besonderen Wiedereingliederungsvertrag wird die Bundesanstalt für Arbeit das Risiko für den Arbeitgeber bei Neueinstellungen verringern können. Ein wesentliches Hemmnis für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen wird dadurch fortfallen. Ich hoffe sehr, daß die Bundesländer ihren Widerstand gegen die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes bald aufgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Erfreulicherweise gibt es in der Tarifpolitik gute Beispiele für die Erleichterung des Einstiegs von Berufsanfängern und für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. So haben die IG Chemie und die chemische Industrie entsprechende Einstiegstarife vereinbart. Ich halte das für eine ausgezeichnete Entwicklung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich wünsche mir sehr, daß andere Branchen diesem guten Beispiel möglichst bald folgen. Was hier versäumt wird, wenn wir jetzt in diesem Bereich nicht zu entsprechenden Abschlüssen kommen, kann auf gar keinen Fall durch Programme der Bundesanstalt für Arbeit in Milliardenhöhe ausgeglichen werden.
Die Bundesregierung hält an der mit Wirtschaft und Gewerkschaften im Januar letzten Jahres getroffenen Vereinbarung fest, die Beiträge zur Sozialversicherung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zu senken. Die jetzt anstehenden Entscheidungen müssen dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Es geht also darum, gesetzliche Lohnzusatzkosten zu senken und so das Schaffen von Arbeitsplätzen zu erleichtern.

(Zuruf von der SPD: Wie denn?)

Allerdings gilt auch für den Bereich der Lohnzusatzkosten, daß durchgreifende Erfolge nur möglich sind, wenn die Tarifpartner dabei mitwirken. Immerhin werden 55 Prozent der gesamten Lohnzusatzkosten durch tarifvertraglich vereinbarte und freiwillige Leistungen verursacht. Dieser Teil der Lohnzusatzkosten liegt also in der Verantwortung der Tarifpartner. Dies sollte in der Diskussion darüber nicht andauernd unterschlagen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu einer ehrlichen Diskussion über die Lohnzusatzkosten gehört auch, daß sich in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Großunternehmen in Deutschland auf Kosten der Sozialversicherung von Personalkosten entlastet haben. Ich füge ausdrücklich hinzu: Dies ist von vielen Seiten - auch von den Gewerkschaften - gewünscht worden. Wir als Politiker haben dies dann auch mitgetragen. Ich will mich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn man aber aus dem Bereich der Wirtschaft Abmahnungen vornimmt, gehört auch die Erwähnung dieser Tatsache zur Redlichkeit der Diskussion. Denn die Frühverrentungsaktionen der Großunternehmen haben der Solidargemeinschaft jährlich 9 Milliarden DM gekostet. Das ist umgerechnet mehr als ein halber Beitragssatzpunkt. Auch das muß man wieder einmal in Erinnerung rufen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben entsprechend unseren Zusagen eine ganze Reihe von Aufgaben nicht nur in Angriff genommen, sondern auch gelöst. Wir haben die Schwelle für den Kündigungsschutz auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt und so das Schaffen neuer Arbeitsplätze erleichtert.

(Widerspruch bei der SPD und der PDS)

Wir haben damit eine oft beklagte Hemmschwelle für die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Kleinbetrieben - vor allem auch im Handwerk - beseitigt. Das Handwerk hat ja auch zugesichert, im Sinne dieser Änderung die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen. Ich gehe davon aus, daß wir gerade nach diesem schwierigen Winter innerhalb der Handwerksorganisationen im Rahmen dessen, was dort möglich ist, die entsprechenden Aktivitäten erleben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Fairerweise muß man, wenn man diesen Vorgang beurteilt, sagen, daß diese Änderung erst seit Oktober 1996 in Kraft getreten ist, also erst seit einem knappen Vierteljahr. Ich gehe davon aus, daß dieses Angebot zügig genutzt wird.
Ich will auch darauf hinweisen, daß ungeachtet des Streits um die Absenkung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall festzustellen ist, daß im Bereich der Tarifpartner eine Menge in Gang gekommen ist. Viele bisher abgeschlossene Tarifverträge enthalten Regelungen, die zu erheblichen Entlastungen bei den Arbeitskosten und übrigens auch zu einem Rückgang der Krankenstände geführt haben.
Ich erwähne hier das Beispiel des Textiltarifvertrages vom Januar 1997. Einerseits bleibt es bei der bisherigen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen - aber auf der Grundlage der regelmäßigen Arbeitszeit, also ohne Anrechnung der Überstunden -, andererseits führen krankheitsbedingte Fehlzeiten entweder zu Abschlägen beim Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld oder zu einer entsprechenden Kürzung des Urlaubs. Auch eine Verrechnung mit dem Arbeitszeitkonto ist dort, wo es solche Konten schon gibt, möglich.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ganz wichtig aus meiner Sicht ist auch, daß wir im Bereich der sogenannten einfachen Arbeiten neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Nach Meinung vieler Experten fallen im nächsten Jahrzehnt - vielleicht in den nächsten 20 Jahren - rund 3 Millionen Arbeitsplätze für sogenannte Ungelernte weg. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik halte ich das für die größte soziale Herausforderung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Deshalb müssen wir uns - wiederum gemeinsam: Unternehmen, Gewerkschaften und Politik - immer wieder überlegen, was wir für jene tun können, die eher praktisch begabt sind, die wertvolle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind und selbstverständlich das Recht auf berufliche Erfüllung haben. So müssen wir mehr Arbeitsplätze in privaten Haushalten ermöglichen. Deshalb haben wir deren steuerliche Abzugsfähigkeit verbessert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der PDS)

Mit der Pflegeversicherung haben wir neue Beschäftigungschancen in den Pflegeberufen eröffnet. Allerdings habe ich hierzu die Anmerkung zu machen, daß ich mir schon wünsche, daß in diesem Bereich keine Berufseingangsvoraussetzungen geschaffen werden, die Leuten, die eine Begabung für den Pflegeberuf haben, aber im Theoretischen nicht all dem entsprechen, was man gegenwärtig diskutiert, wiederum die Chance für diesen Beruf verbauen. Auch das halte ich für ein wichtiges Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr fast 1,8 Milliarden Überstunden geleistet.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da hat er recht!)

Viele dieser Überstunden sind sicher notwendig - man kann dazu keine pauschale Betrachtung anstellen -, um kurzfristige Auftragsschwankungen auszugleichen. Aber wahr ist auch, daß viele Überstunden regelmäßig geleistet werden und durchaus in Dauerarbeitsplätze umgewandelt werden könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Möglichkeiten für den Abschluß befristeter Arbeitsverträge haben wir nicht zuletzt aus diesem Grund verbessert. Sie sollten jetzt in der Wirtschaft genutzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das setzt allerdings voraus, daß die Partner im Betrieb das auch wollen. Partner sind immer die Werksleitungen und die Betriebsräte. Natürlich weiß ich aus Erfahrung, daß die Frage, ob man etwas mehr Überstunden fährt, in der Erwartung eines höheren Gesamteinkommens in vielen Betrieben von beiden Seiten wie folgt - weil es eben weniger kompliziert ist - beantwortet wird: Wir fahren lieber Überstunden, als neue Leute einzustellen. Schon an dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Solidarität derer, die in Arbeit sind, mit denen, die Arbeit suchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich gehe nicht so weit wie das Nürnberger Institut, das bis zu 500 000 neue Arbeitsplätze durch den Abbau der Überstunden für möglich hält, aber ich halte es schon für möglich, daß wir Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 100 000 bis 200 000 durch Umwandlung von Überstunden schaffen können. Wenn das gewollt wird, kann das sehr kurzfristig erfolgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gab es da nicht mal ein „Bündnis für Arbeit"? Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Bevor Sie da waren!)

- Das gab es schon, da waren Sie noch gar nicht hier. Es ist nicht besser geworden, seit Sie hier sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Auch in einem anderen wichtigen Feld - Gott sei Dank ist die Meinungsbildung hier endlich vorangekommen - kann mehr getan werden. Ich meine an die Veränderungen im Denken, die notwendig sind, um zu mehr Teilzeitarbeit und Arbeitszeitkonten zu kommen, wobei ich gleich hinzufüge: In manchen Teilen halte ich die Entwicklung dieser Debatte für absolut unerträglich, und zwar dort, wo die Frage der Teilzeitarbeit von vielen zu einem Thema von Frauen gemacht wird. Teilzeitarbeit ist insgesamt eine gute Möglichkeit, auch private Lebensentscheidungen zu berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, daß - was ich immer wieder höre - die Verhältnisse in den Niederlanden mit den unseren völlig unvergleichbar wären. Natürlich gibt es Unterschiede, aber die können natürlich nicht dazu führen, daß dort weit über 30 Prozent Teilzeitarbeitsplätze bestehen und bei uns 15 Prozent. Wenn wir alle Teilzeitwünsche erfüllen würden, könnten theoretisch zwei Millionen Menschen mehr beschäftigt werden. Ich glaube nicht, daß diese Zahl realistisch ist. Aber wenn wir auf dem Weg zu dieser Zahl ein beachtliches Stück vorankommen würden, wäre das eine ganz wesentliche Entlastung des Arbeitsmarktes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zentral für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind Betriebsneugründungen. Unsere Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen, daß ein Existenzgründer im Durchschnitt vier neue Arbeitsplätze bringt. Die Gründung neuer Betriebe ist keineswegs nur eine Frage von Fördermitteln, sondern ganz entscheidend eine Frage des Klimas in unserer Gesellschaft. In dem Maße, in dem wir die Kultur der Selbständigkeit, den Willen zur Selbständigkeit unterstützen, werden wir hier Erfolge haben.
Wir haben begonnen, die Finanzierungsbedingungen für Existenzgründer und Mittelständler zu verbessern. So gibt es Programme zur Technologieförderung gerade im mittelständischen Bereich. Mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz ist ein Maßnahmenpaket in Vorbereitung, das den Zugang zur Börse und damit zu mehr Wagniskapital erleichtern wird.

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Im Mittelstand werden heute schon zwei Drittel aller Arbeitsplätze und vier Fünftel aller Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

Deswegen ist es so wichtig, daß wir gerade jetzt, in den nächsten Jahren, in Sachen Berufsausbildung alles tun, um das duale System weiter zu stabilisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß wir bis zum Jahr 2006, also in den nächsten zehn Jahren, Gott sei Dank noch einen deutlichen Anstieg der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden haben werden. Die Zahl wird von jetzt 630 000 auf über 700 000 steigen. Ein ausreichendes Angebot an Lehrstellen ist zugleich das beste Argument, um der Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe, die ich entschieden ablehne, einen Riegel vorzuschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Jahr ist es erfreulicherweise weitgehend - in der Gesamtzahl natürlich nicht für jede Region - gelungen, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten. Es ist die entschiedene Absicht der Bundesregierung, in den notwendigen Gesprächen mit den Unternehmern, mit der Wirtschaft im allgemeinen, nicht zuletzt mit dem Mittelstand und den Gewerkschaften, dafür Sorge zu tragen, daß wir dafür auch in diesem Jahr sehr schnell die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
Hier muß auch auf seiten der Bundesregierung mit den Ländern das eine oder andere noch schneller vorangebracht werden. Insbesondere gilt das für die Festlegung neuer Berufsbilder, die in den vergangenen Jahrzehnten ungewöhnlich lange gedauert hat, was mit Sicherheit ein Hemmnis war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen dafür eintreten, daß bei den jetzt anlaufenden Gesprächen - etwa zwischen den Verbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften - vor allem deutlich wird, daß das Prinzip „Ausbildung geht vor Übernahme" zur Bereitschaft möglichst vieler Betriebe führt, auch über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich denke, es muß - ohne daß wir das in irgendwelchen Gesetzestexten formulieren - selbstverständlich sein, daß diejenigen in der deutschen Wirtschaft - egal in welcher Größenordnung -, die immer wieder an staatlichen und sonstigen Aufträgen partizipieren, zu der Erkenntnis kommen, daß dann umgekehrt die Gemeinschaft unseres Staates und unserer Gesellschaft von ihnen erwartet, auch bei der Ausbildung ein gutes Stück mehr zu tun, als manche glauben tun zu können. Dies gilt auch für wichtige Bereiche der deutschen Großindustrie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nach dem Stand, den ich jetzt überblicken kann, gibt es zum erstenmal eine gute Chance, daß bei den Ausbildungsfragen von den Tarifpartnern neue Wege beschritten werden. In der Bauindustrie ist in diesen Tagen ein Tarifvertrag ausgehandelt worden, der sehr bemerkenswert ist. Hier haben sich die Verhandlungspartner auf eine Kürzung der Ausbildungsvergütung um 10 Prozent geeinigt, um Ausbildungsplätze zu sichern. Ich glaube schon, daß das eine sehr wichtige Entwicklung ist, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß beide Seiten etwas geben. Das heißt, daß die, die bei der Vergütung etwas reduzieren, dann auch mehr Auszubildende einstellen. Das gehört natürlich zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich trete deshalb so nachdrücklich für diese Entwicklung im dualen System ein, weil ich gerade in diesen schwierigen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt erkennen kann, wie Sie auch, daß wir mehr Nutzen aus dem dualen System ziehen als alle anderen in Europa und daß bei allen Sorgen um Arbeitslosigkeit bei uns die Jugendarbeitslosigkeit - auch wenn sie natürlich mit über 9 Prozent auch bei uns zu hoch ist - weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, der gegenwärtig über 21 Prozent beträgt. Wir haben eine Vielzahl von Ländern in der Europäischen Union - nehmen Sie Schweden mit 21 Prozent, Frankreich mit 29 Prozent und Spanien mit 42 Prozent Jugendarbeitslosigkeit -, die hier noch viel größere Probleme haben. Um so sorgsamer und sorgfältiger sollten wir mit dem dualen Systems umgehen. Auch das ist, glaube ich, eine
wichtige Erfahrung dieser Zeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich ist es gerade in dieser schwierigen Situation wichtig, daß sich der Aufschwung Ost auch 1997 fortsetzen wird, auch wenn sich das Tempo verlangsamen wird. Der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten für 1997 so formuliert: Von einem Stocken des Aufbauprozesses im Osten kann keine Rede sein.
Wahr ist, daß das Gewicht der Bauwirtschaft mit dem Fortschreiten des Aufholprozesses in der ostdeutschen Wirtschaft geringer wird. Wahr ist aber auch, daß die Produktion im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich selbst in dem konjunkturell schwierigen Jahr 1996 um jeweils 6 Prozent gestiegen ist. Das kann und muß mehr werden, aber es ist gleichwohl eine positive Entwicklung.
Die Bundesregierung wird ihre Unterstützung des Aufbaus Ost auch in Zukunft auf hohem Niveau fortsetzen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist weiterhin die Förderung von Investitionen und damit das Schaffen neuer, wettbewerbsfähiger Strukturen mit modernen Arbeitsplätzen.
Die steuerliche Förderung von Investitionen liegt bis Ende 1998 fest. Sie wurde bereits auf den Industriebereich konzentriert. Bis zum Frühjahr 1997, das heißt in wenigen Monaten, wird die Bundesregierung ihr Konzept für die Zeit nach 1998 vorlegen. Wir

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wollen dieses Konzept auch mit den Landesregierungen der neuen Bundesländer besprechen.
Es muß ganz klar sein, obwohl das manche in den alten Bundesländern nicht gerne hören: Wir werden auch in Zukunft unsere Verantwortung gegenüber den neuen Ländern wahrnehmen und ihnen klaren Vorrang einräumen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frei ist jetzt auch der Weg zur Aufstockung des Konsolidierungsfonds um 250 Millionen DM, mit dem Unternehmen schnell und, wie ich hoffe, unbürokratisch über Finanzierungsengpässe hinweggeholfen werden kann.
Meine Damen und Herren, ein sehr positives Signal für den Standort Ostdeutschland wäre die schnelle Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese substanzverzehrende Steuer ist eine schwere Belastung gerade für ostdeutsche Unternehmen mit einer besonders dünnen Eigenkapitaldecke. Ich hoffe sehr, daß alle Verantwortlichen im Bereich der Politik alles Mögliche tun, um den wirtschaftlichen Aufholprozeß in den neuen Ländern von dieser Fessel zu befreien.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Selbstverständlich ist der Aufbau Ost nicht allein eine öffentliche Aufgabe. Eine gravierende Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind dort die, gemessen an der Produktivität, zu hohen Arbeitskosten. Sie liegen fast ein Drittel über dem westdeutschen Niveau, mit dem wir, wie jeder weiß, international ohnedies zur Spitzengruppe zählen. Dies ist - das will ich hier doch sagen - ein Hinweis und, wenn Sie so wollen, auch eine Mahnung an die Tarifpartner, in den neuen Ländern das Notwendige zu tun, um die Wachstumskräfte der ostdeutschen Wirtschaft zu stärken und dem Thema der Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang vor allem anderen einzuräumen.
Jeder weiß, daß wir jetzt die Weichen für das bald beginnende neue Jahrhundert stellen müssen. Es ist ganz natürlich, daß wir angesichts der Notwendigkeit solcher dramatischen Umstellungen in vielen Bereichen zu einer sehr unterschiedlichen Meinungsbildung kommen. Ich finde das auch in gar keiner Weise schädlich, wenn wir gemeinsam den Willen haben, nach einer Phase der Diskussion mit möglichst wenig Diffamierung desjenigen, der anders denkt, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.
Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es jetzt vor allem darauf an, die Steuerlast zu senken, den Sozialstaat umzubauen, ihn angesichts der Tatsachen auf die neue Entwicklung auszurichten und Arbeitsplätze der Zukunft zu erschließen.
Der erste Schwerpunkt muß heißen, die Steuerlast zurückzuführen und die Investitionskraft zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist positiv, daß die investitions- und beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer seit Beginn dieses Jahres nicht mehr erhoben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eine lächerliche Auslegung! Unglaublich!)

Für Ihre Debatte draußen im Land ist es vielleicht ein wichtiger Hinweis, daß Sie gelegentlich darauf aufmerksam machen sollten, daß die Vermögensteuer für private Vermögen zwar gestrichen wurde, daß sie aber in die Erbschaft- und Schenkungsteuer einbezogen wurde und daß sich hierin die von Ihnen immer wieder vorgetragene Argumentation wiederfindet.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist bisher im Bundesrat gescheitert. Ich hoffe sehr, daß wir jetzt - in diesen Tagen gibt es ja viele Gespräche - alles unternehmen, um die Abschaffung durchzusetzen. Ich appelliere von diesem Platz aus auch an die deutschen Kommunen,

(Zuruf von der SPD)

die Chance zu einer Beteiligung an der Umsatzsteuer zu nutzen und nicht durch unannehmbare finanzielle Ausgleichsforderungen zu gefährden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

Die Bundesregierung und die Koalition von F.D.P. und CDU/CSU jedenfalls lassen sich nicht dabei beirren, die notwendigen Entscheidungen für die notwendigen Reformen herbeizuführen. Die große Steuerreform muß planmäßig zum 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD)

Die unternehmensbezogenen Steuern werden wir schon am 1. Januar 1998 senken, damit möglichst viel für Arbeitsplätze getan werden kann.
Was die Reformkommission in Sachen Steuern unter der Leitung des Kollegen Waigel jetzt vorgelegt hat, ist ein guter, wichtiger und notwendiger Schritt zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glauben nicht einmal Ihre eigenen Leute!)

Die vorgesehenen Steuersätze werden gegenüber allen anderen großen Industrieländern wettbewerbsfähig sein; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei den Personengesellschaften und Einzelfirmen, also bei 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland, werden wir mit einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent niedriger liegen als andere wichtige Nachbarländer. Bei der Körperschaftsteuer geraten wir mit diesem Vorschlag in ein gutes Mittelfeld.
Meine Damen und Herren, um es zu diesem Bereich gleich genauso zu sagen wie zum Bereich der sozialen Sicherungssysteme: Ich kann Sie nur einladen, an dieser Arbeit mitzuwirken. Wenn wir wirklich gemeinsam den Standort Deutschland sichern

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
und Arbeitsplätze nicht irgendwann im kommenden Jahrhundert, sondern sofort neu schaffen wollen, dann ist es doch eine gute Sache, miteinander in einen Wettbewerb zu treten; nicht in einen Wettbewerb der gegenseitigen Beschimpfungen - das können wir auch machen; es bringt bloß überhaupt nichts, schon gar nicht für die Arbeitslosen -, sondern in einen Wettbewerb um die besseren Ideen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich sind die Vorlagen, die jetzt in die Diskussion gebracht wurden, noch keine Gesetzestexte. Zunächst findet in gewohnter Weise eine breite Diskussion statt. Ich biete auch den Bundesländern ausdrücklich an, daß wir nicht die normalen Abläufe abwarten, bis eine Regierungsvorlage nach einem Beschluß der Bundesregierung in den Bundesrat geht, sondern daß wir möglichst wenig Zeit verlieren und im Zusammenhang mit den Anhörungen und Diskussionen, die normalerweise auf der Ebene der Erstellung eines Referentenentwurfes stattfinden, sofort mit den erforderlichen Gesprächen beginnen. Wir werden dann sehen, wer die besseren Ideen hat. Lassen Sie uns auf diese Weise miteinander konkurrieren!

(Zuruf von der SPD: Sie haben doch gar keine Ideen!)

- Es wird nicht besser, wenn Sie in einem fort diese Art Sottisen von sich geben. Das trägt nur zu Ihrer persönlichen Befriedigung bei; das ist aber auch das einzige. Was soll das?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir reden hier doch über ein wirklich wichtiges Thema!

(Lachen bei der SPD)

Wenn Sie wirklich an der Zukunft unseres Landes interessiert sind, dann treten Sie doch in den Wettstreit ein. Sie können das aber doch nicht tun, indem Sie beweisen, daß Sie laut schreien können. Das unterstellen wir Ihnen gerne. Wenn Sie wollen, bestätige ich Ihnen das noch einmal ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben ein zweites Feld, auf dem ganz wichtige Zukunftsfragen zu entscheiden sind: die Entwicklung und Zukunftssicherung der sozialen Sicherungssysteme. Aber auch diese Debatte verläuft zum Teil in einer unverständlichen Weise; denn der Ausgangspunkt sind in diesem Fall objektive Daten, die über die deutsche Bevölkerung vorliegen.
In der Statistik der Europäischen Union können Sie nachlesen, daß Deutschland zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenziffer in Europa zählt. Das ist eine Tatsache, die enorme Auswirkungen haben muß. Eine zweite Tatsache ist, daß heute 13 Millionen Deutsche 65 Jahre und älter sind; in ein paar Jahrzehnten - im Jahr 2030 - werden es 19 Millionen sein. Der Anteil der 65jährigen und älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung wird sich von heute 15 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 26 Prozent - das ist ungefähr ein Viertel der Bevölkerung unseres
Landes - erhöht haben. In drei Jahren leben in Deutschland 3 Millionen Menschen, die 80 Jahre und älter sind. Die Fortsetzung dieser Entwicklung ist absehbar.
Gleichzeitig hat - das ist eine freie Entscheidung von Millionen Menschen in Deutschland - der Anteil der Single-Haushalte zugenommen: 36 Prozent in den alten Ländern und 30 Prozent in den neuen Ländern.
Wenn Sie diese Entwicklungen nehmen, die Entwicklung der Geburtenzahlen und die steigende Lebenserwartung, dann ist doch für jedermann erkennbar, daß entscheidende Veränderungen stattfinden müssen, ob wir es wollen oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist aber schon ein bißchen länger erkennbar!)

Das heißt, daß beispielsweise das Gesundheitssystem unter diesen Bedingungen nicht das gleiche sein kann wie vor 20 Jahren.
Es kommt noch hinzu, daß die Zeit produktiver Erwerbstätigkeit in Deutschland immer kürzer wurde. Der deutsche Hochschulabsolvent ist heute bei Berufsbeginn im Durchschnitt nahezu 30 Jahre alt. Wir hören doch immer das Wort von der Gerechtigkeit. Zur Diskussion über die Gerechtigkeit gehört doch auch die folgende Feststellung: Es ist indiskutabel, daß im Durchschnitt der junge deutsche Hochschulabsolvent beim Eintritt in den Beruf fast 30 Jahre und sein Kollege in irgendeinem EU-Land 25 Jahre alt ist.
Das ist nun eine Frage, über die nicht in diesem Saal entschieden wird,

(Zustimmung bei der CDU/CSU Lachen bei der SPD)

sondern es wäre endlich an der Zeit, daß in den Bundesländern in der Frage der Universitätsreform die notwendigen Entscheidungen getroffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie diese Zahlen untereinander in einen Bezug stellen, dann bedeutet das, daß in vielen Fällen - und das ist doch heute die Realität - 50 Jahren Ausbildung und Ruhestand etwa 30 Jahre Erwerbstätigkeit gegenüberstehen. Niemand in diesem Haus kann diese Rechnung bezweifeln. Ich denke also, wenn die Rechnung, die wir jahrelang aufgemacht haben, wie jetzt nicht mehr aufgeht, haben wir eine gemeinsame Verpflichtung, daraus nüchterne Konsequenzen zu ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD)

- Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Machen Sie das doch. Ich freue mich darauf, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland das zu sagen, was Sie als Beitrag in dieser Debatte leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Rentenreformkommission unter dem Vorsitz von Bundesminister Blüm hat jetzt ihren Bericht vor-

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
gelegt. Dieser Bericht muß verständlicherweise in allen Bereichen unserer Gesellschaft intensiv diskutiert werden. Das ist eine Entscheidung von weitreichendster Bedeutung,

(Zuruf von der SPD: Aha!)

und zwar nicht nur im theoretischen Fall, sondern in den Lebensbezügen von Millionen und Abermillionen Menschen heute und auch von vielen jungen Leuten, die heute überhaupt noch nicht im Arbeitsprozeß stehen.
Natürlich ist das eine ganz ungewöhnlich schwierige Frage, und natürlich gibt es notwendigerweise - das sage ich auch in meine eigene Partei hinein - Diskussionsbedarf, weil das zum Wesen einer freiheitlichen Demokratie und von Parteien gehört. Aber das heißt, daß wir miteinander sprechen und diskutieren und zu gemeinsamen Ergebnissen kommen. Ich sage Ihnen voraus: Das wird in der Union wie immer in der Vergangenheit auch dieses Mal so sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Erst am Ende dieser Diskussion, wie auch der im Bereich der Steuerreform, können dann die Entscheidungen über die jeweilige Finanzierungsnotwendigkeit stehen. Dies haben wir immer gesagt, und daran werden wir uns halten.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der arme Nobby!)

Meine Damen und Herren, mit dem Strukturwandel erleben wir vielfältige Veränderungen in unserer Arbeitswelt. Wir erleben, daß Information ein Rohstoff von größter Bedeutung geworden ist. Wir erleben, daß Bildung, Forschung und Ausbildung eine noch viel größere Schlüsselfunktion für die Zukunft haben.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es hat keinen Sinn, dann über die offenkundigen Schwächen, die wir in diesen Bereichen haben, hinwegzugehen. Wenn wir beispielsweise von den Ausbildungsbetrieben hören, daß rund 10 Prozent der Anwärter für Ausbildung in Betrieben im dualen System aus der Schule, aus der sie kommen, nicht die Voraussetzungen mitbringen, um einen Ausbildungsvertrag erfüllen zu können, muß das System daraufhin überprüft werden, ob es da nicht Abhilfe schaffen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn es an den Universitäten so ist, wie ich gerade gesagt habe, daß wir im Durchschnitt bei jungen Männern eine zeitliche Differenz von fünf Jahren gegenüber ihren Kollegen in den EU-Ländern beim Abschluß ihres Studiums haben, ist das ein Zustand, den wir auf die Dauer nicht akzeptieren können.
An diesem Beispiel kann man erkennen, daß dies alles nicht eine Frage ist, die auf der engen Schiene und in der Kurzsichtigkeit rein parteipolitischer Betrachtungen erledigt werden kann, sondern wo wirklich Bund, Länder und Gemeinden sowie die politischen Kräfte in unserem Land zusammenwirken müssen. Das ist doch das Ergebnis, das wir in diesem Zusammenhang sehen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In dem ganzen Bereich Bildung und Ausbildung entscheidet sich, ob junge Leute in Deutschland das Rüstzeug erhalten, um sich selbst eine erfolgreiche berufliche Laufbahn ermöglichen zu können. Hier entscheidet sich auch, ob wir in unserem Land das notwendige Wissen aufbauen und nutzen, um wettbewerbsfähig zu sein und damit Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern.
In Forschung und Innovation ist gegenwärtig in Deutschland eine neue Konjunktur zu verzeichnen; das ist eine glückliche Entwicklung. Es ist ein sichtbarer Stimmungsumschwung eingetreten.
Bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft hat unser Land wieder Anschluß an die internationale Spitze gefunden. Ich nenne als Beispiel nur die Biotechnologie. Dafür haben wir in Deutschland heute wieder eine gute wissenschaftliche Basis. Wir haben seitens der Bundesregierung seit 1993 ganz Wesentliches getan, um das Gentechnikrecht konsequent zu entbürokratisieren.
Hier ist eine Zahl sehr wichtig: Die Zahl der Patentanmeldungen in den Biowissenschaften hat zwischen 1987 und 1994 um 16 Prozent zugenommen.

(Zuruf von der SPD: Auf niedrigem Niveau!)

Das ist ein hervorragendes Potential, das verstärkt für innovative Produkte, für Verfahren und Zukunftsarbeitsplätze genutzt werden muß. Experten erwarten eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich von heute rund 20 000 auf etwa 100 000 bis zum Ende des Jahrhunderts, das heißt: in den nächsten drei Jahren, wenn wir diese Chance nutzen.
Meine Damen und Herren, wir in der Koalition und als Bundesregierung bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft. Sie ist nach den Erfahrungen unseres Landes in beinahe fünf Jahrzehnten die Gesellschaftsordnung, die am besten Freiheit und sozialen Ausgleich ermöglicht.
Wir haben in diesen Tagen den 100. Geburtstag von Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft, begangen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach, das hat uns noch gefehlt!)

Er hat in einer schwierigen Zeit bahnbrechende Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes getroffen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann man von Ihrer Regierung nicht sagen!)

Ich denke, wie immer man in jenen Tagen zu seinem Werk gestanden hat: Heute ist unbestreitbar, daß es für das Land wichtig und richtig ist, wenn wir in seinem Geist unsere Arbeit fortsetzen, wenn wir unsere

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
gemeinsame Verantwortung erkennen, wenn wir als Bundesregierung diese Verantwortung wahrnehmen und ohne Wenn und Aber die notwendigen Entscheidungen zur Veränderung des Landes mit herbeiführen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich erwarte selbstverständlich nicht sofort Zustimmung von seiten der Opposition. Aber ich erwarte von allen, die guten Willens sind, daß sie, wenn sie unsere Vorschläge kritisieren, mit eigenen Vorschlägen in die Diskussionen gehen und daß wir dann überlegen, was wir gemeinsam erreichen können,

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das wollen Sie ja gar nicht!)

daß wir uns mit vernünftigen Argumenten begegnen und nicht mit gegenseitiger Herabsetzung. Das ist ganz konkret unsere Meinung. Danach wollen wir handeln, damit Deutschland eine gute Zukunft hat.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1315500600
Es spricht jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.

Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1315500700
Frau Bundespräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Michael Glos [CDU/CSU]: Bundestagspräsidentin!)

- Vielen Dank, Herr Glos. Wo kämen wir hin, wenn Sie nicht da wären und nicht zur rechten Zeit die richtigen Stichworte geben würden?

(Beifall bei der SPD Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem, was die Bundestagspräsidentin betrifft!)

Frau Bundestagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich, Herr Bundeskanzler, hat die deutsche Öffentlichkeit mit Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet.

(Beifall des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU] Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

- Den jungen Mann sollten Sie sich merken. Das war Repnik. Aus dem Mann sollte noch etwas werden. Ein tüchtiger Mann ist das. Merken Sie sich ihn!
Natürlich haben wir mit großer Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet. Denn es ist nicht alltäglich, daß Minister aus den eigenen Reihen zum Rücktritt aufgefordert werden. Es ist nicht alltäglich, daß sich Minister mit Rücktrittsgedanken tragen, daß schon andere Namen gehandelt werden und daß auch Sie zitiert werden: „Wenn das so weitergeht, schmeiße ich den Krempel hin."

(Bundeskanzler Helmut Kohl: Das hätten Sie wohl gern!)

- Herr Bundeskanzler, daß wir das gern hätten, das ist richtig. Aber es gibt immer mehr, die auf der Regierungsseite sitzen und das gern hätten. Ich weiß nicht, ob Sie das in den letzten Tagen bemerkt haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Natürlich gab es die Frage: Werden Sie jetzt den Versuch unternehmen, Ihre Politik zu ändern, da die Politik nachgewiesenermaßen nicht zu den Ergebnissen geführt hat, die Sie erreichen wollten? Das ist unstreitig.
Wir haben bei der Neujahrsansprache von Ihnen wörtlich hören können: „Wir Deutschen" - wir unterstellten, daß Sie sich damit auch selbst gemeint hatten - „können nicht einfach weitermachen wie bisher."

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Sie sehen, wenn Sie etwas Richtiges sagen, bekommen Sie auch von der Opposition Beifall, Herr Bundeskanzler. „Wir Deutschen können nicht einfach weitermachen wie bisher. Wer dies versucht, verspielt unsere Zukunft."

(Zustimmung bei der SPD)

Nun hören wir heute mit etwas Erstaunen: Die Bundesregierung läßt sich nicht beirren.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie wird ihren Reformkurs konsequent fortsetzen, um Arbeitsplätze in Deutschland attraktiver zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn die Arbeitslosen jetzt hören, daß Sie sich bei Ihrem Reformkurs nicht beirren lassen wollen, dann wird ihnen klar, daß sie überhaupt keine Aussichten mehr haben, in der nächsten Zeit einen Arbeitsplatz zu finden; denn Ihr Reformkurs hat nun einmal dazu geführt, daß die Arbeitslosenzahlen entgegen Ihren Zielen von Jahr zu Jahr ständig angestiegen sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es ist schon erstaunlich, wie wenig lernfähig diese Regierung ist. Ich wiederhole: Wir brauchen uns hier zunächst einmal gar nicht über die Methoden auseinanderzusetzen. Wir sollten auf die Ergebnisse schauen. Wir sollten einfach akzeptieren, daß die Ergebnisse darüber urteilen, ob eine Politik richtig oder falsch ist.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Saarland!)

Es ist richtig: Wenn die Arbeitslosenzahlen steigen, dann ist die Politik falsch. Da die Arbeitslosenzahlen Jahr für Jahr steigen und Sie jedes Jahr die gleiche Rede halten können, Herr Bundeskanzler, ist Ihre

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

Politik falsch. Die Schlußfolgerung daraus lautet: Diese Politik muß geändert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sie nennen richtigerweise Lehrsätze der Wirtschaftspolitik: Wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir die Investitionsschwäche überwinden, dann müssen wir Strukturreformen vorantreiben und Forschung und Innovation stärken.
Sie haben sich seit Jahren vorgenommen, die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft zu überwinden. Erstaunlich ist, daß Sie auch bei diesem Ziel gescheitert sind. Der Jahreswirtschaftsbericht - man sollte ihn genau lesen und vorurteilsfrei beurteilen - kommt schlicht und einfach zu dem Ergebnis, daß Ihre Analysen und daher auch die Vorschläge, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, falsch waren.

(Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

Ihre Analysen - landauf, landab von vielen verstärkt und immer wieder vorgetragen - waren: Wir leiden an einer extremen Standortschwäche. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Also müssen wir alles tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken: über Steuersenkungen für Unternehmen, Lohnzurückhaltung und Kürzung sozialer Leistungen.
Sie predigen das Jahr für Jahr, obwohl die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erwiesen ist. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht doch, daß einzig und allein der Export die Konjunktur schleppt. Wir sind keine wettbewerbsunfähige Wirtschaft; sondern wir haben eine Wirtschaft, die sich weltweit als die exportstärkste Wirtschaft behauptet. Ihre Analysen waren falsch. Daher waren auch alle Antworten falsch, die Sie in den letzten Jahren gegeben haben.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie können noch so viele Unternehmenssteuersenkungsrunden - wir haben schon mindestens fünf, sechs hinter uns - vorschlagen, Sie können noch soviel Lohnzurückhaltung predigen, Sie können noch so viele soziale Leistungen kürzen und meinen, dann wächst und blüht die Wirtschaft - es sind und bleiben die falschen Rezepte. Die ganze Standortdebatte war interessengeleitet; sie löste sich völlig von den Daten und der Wirklichkeit. Wir sind pro Kopf mit Abstand die exportstärkste Nation der Welt und sollten dieses Gerede und Gequatsche endlich einstellen, um uns den wirklichen Problemen unserer Volkswirtschaft zuzuwenden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seit Jahren haben wir ein Zurückhängen der Binnennachfrage.

(Zuruf von der F.D.P.: O nein! Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das ist nun wirklich nicht neu!)

- Ich höre da Lärm von der F.D.P. Dann lesen Sie zumindest einmal den Jahreswirtschaftsbericht! Da steht das nämlich wörtlich drin. Wenn Sie den noch nicht einmal gelesen haben, dann sind Sie für eine solche Debatte schlecht vorbereitet.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben seit Jahren ein Durchhängen der Binnennachfrage. Wer dies nicht sieht, wer dies nicht erkennt, ist nicht in der Lage, Strukturreformen einzuleiten, die wir brauchen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder zu stärken und insbesondere die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Zur Stärkung der Binnennachfrage liegen seit Jahren zwei Reformvorschläge von uns auf dem Tisch, die teilweise in der Fachwelt immer wieder angesprochen und teilweise auch in Ihren Reihen diskutiert worden sind. Aber seit Jahren tut sich nichts.
Der eine Reformvorschlag, der nun unstreitig ist, wie die Debatten der letzten Zeit gezeigt haben, lautet, daß es nicht so weitergehen kann, daß die Abgaben immer weiter steigen, daß die Sozialversicherungsbeiträge immer weiter ansteigen, damit die Kaufkraft der Durchschnittseinkommen schwächen, die Arbeitsplätze teuer machen und zu einem Rationalisierungsdruck auf die Arbeitsplätze und zu einem Schwächen der Binnennachfrage führen. Ändern Sie endlich diese Politik! Konkret haben Sie auch heute dazu überhaupt nichts gesagt und vorgeschlagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sie streiten nun miteinander darüber, wie die Rentenfrage angegangen werden soll. Das ist innerhalb einer Partei selbstverständlich. Aber die Vorschläge, die Sie jetzt diskutieren, beispielsweise über Verbrauchsteuererhöhungen die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, liegen seit Jahren auf dem Tisch.
Im Jahre 1990 hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vorgeschlagen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken und dafür Verbrauchsteuern zu erhöhen. Seit Jahren liegen diese Reformvorschläge auf dem Tisch. Sie diskutieren sie jetzt - das ist immerhin ein Fortschritt -, aber Sie blockieren sie seit Jahren und sehen tatenlos zu, wie die sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Verwerfungen immer größer werden und damit die Arbeitsplätze wegrationalisiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion hat vor einem Jahr einen Vorschlag eingebracht, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Sie hat dies für die Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen. Sie hat vorgeschlagen, im Gegenzug Verbrauchsteuern zu erhöhen, in diesem Fall Energieverbrauchsteuern. Auch diese Vorschläge sind bei Ihnen diskutiert worden. Es gibt ausgearbei-

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

tete Papiere in Ihren Reihen, so zu verfahren. Dabei kann man darüber diskutieren, welche Beiträge in welchem Zeitraum wie verändert werden können.
Die gesamte Volkswirtschaft leidet an der von Ihnen seit Jahren verschleppten Lösung dieses Kernproblems. Die Abgaben in diesem Land sind viel zu hoch, die Arbeitsplätze unterliegen einem viel zu starken Rationalisierungsdruck, insbesondere in der Binnenwirtschaft und bei den lohnintensiven Betrieben. Sie haben dieses Reformwerk seit Jahren verschleppt oder - in Ihrer Sprache - blockiert. Heben Sie endlich diese Denkblockade auf, und handeln Sie, denn schon jahrelang gehen Arbeitsplätze verloren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich greife jetzt nur einmal Ihre Debatte zur Rentenreform auf. Es ist gut, wenn da diskutiert wird: Sollen wir die Sozialversicherungskassen nicht von versicherungsfremden Leistungen entlasten? Das ist ein Vorschlag, den auch wir machen. Wenn Sie das genauso sehen, dann muß man sich zusammensetzen, definieren, was versicherungsfremde Leistungen sind, und dann muß man das Problem lösen.
Aber es hat keinen Sinn, über das Ganze Jahre zu schwadronieren, ohne daß irgend etwas geschieht. Die Vorschläge, die wir auf den Tisch gelegt haben, haben Sie zurückgewiesen. Sie haben sie nicht akzeptiert. Eigene Vorschläge zu diesem Thema haben Sie nicht vorgelegt, weil sich die F.D.P. in einer sehr kleinkarierten Klientelpolitik als Steuersenkungspartei profilieren wollte und nicht gesehen hat, wie die Abgaben Jahr für Jahr extreme Höhen erreicht haben, zum Schaden der Volkswirtschaft insgesamt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Nun versprechen Sie eine Steuerreform für das Jahr 1999. Das ist doch nicht zu fassen! Seit Jahren liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Im Jahre 1994 hat die Bareis-Kommission einen Vorschlag gemacht.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die wollen Sie doch gar nicht!)

Zunächst hat Ihre Regierung es sich erlaubt, diesen Vorschlag in den Papierkorb zu werfen. Nun versprechen Sie für das Jahr 1999 eine Steuerreform.
Ich sage Ihnen für die deutsche Sozialdemokratie: Für das Jahr 1999 haben Sie keinen Kredit, Herr Bundeskanzler, weil dies ein Datum nach der Bundestagswahl ist.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Wählerinnen und Wähler schon so oft in Steuerfragen betrogen, daß es für Sie keinen Kredit mehr gibt, weder bei uns noch im gesamten Volk.

(Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Es ist in der letzten Zeit zum Markenzeichen Ihrer Regierung geworden, daß Sie vor Wahlen Versprechungen in ungeheurer Dreistigkeit machen und nach den Wahlen sagen: Die Dinge haben sich geändert; wir müssen das alles wieder einkassieren.
Sie haben vom Aufbau Ost und von dem Vertrauen gesprochen, das die Menschen dort in Ihre Politik haben sollten. Sie standen an diesem Pult und haben erhebliches Vertrauen verspielt, indem Sie äußerten: Wenn ich sage: „Es wird keine Steuererhöhung geben", dann gibt es keine Steuererhöhung zur Finanzierung der deutschen Einheit.
Sie haben in dieser Zeit die Steuern und Abgaben auf das Jahr gerechnet um 120 Milliarden DM erhöht. Und dann trauen Sie sich noch, bei den Wählerinnen und Wählern Kredit hinsichtlich Ihrer Glaubwürdigkeit einzufordern?
Was haben Sie, die F.D.P., im letzten Jahr veranstaltet? Da hat diese Partei, weil sie um die 5 Prozent kämpfte, den Wählerinnen und Wählern versprochen: „Der Soli wird gesenkt", um das nach der Wahl wieder einzukassieren. Solch schamloser Betrug schadet unserer Demokratie.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Solch schamloser Betrug ist auch die Ursache dafür, daß Sie sich ein Steuerreformgesetz mit Wirkung 1999 abschminken können. Das wird es nicht geben. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie das zur Kenntnis.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind. Ihr Mitarbeiter hatte Ihnen aufgeschrieben: Das Steuerreformgesetz „wird" für 1999 in Kraft gesetzt. Sie haben das abgeschwächt, indem Sie gesagt haben: sollte oder muß in Kraft gesetzt werden. Sie haben immerhin erkannt, daß andere ja noch mitzureden haben.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie haben völlig Recht. Deshalb wiederhole ich: Entweder verständigen wir uns auf eine spürbare Entlastung der breiten Schichten unseres Volkes zum 1. Januar 1998, oder Sie können sich das ganze Projekt abschminken. Herr Bundeskanzler, ich sage das in aller Klarheit.

(Beifall bei der SPD Joachim Hörster [CDU/CSU]: Was heißt das denn konkret in Mark und Pfennig?)

Meine Damen und Herren, ich sage noch etwas zur Rentendebatte. Ich will nicht unbedingt den Finger in Ihre Wunde legen. Aber alle Beteiligten - nicht nur diejenigen, die kritisch sind, sondern auch diejenigen, die in Ihren Reihen kritisiert werden - haben sich jetzt zu fragen, ob sie in den letzten Jahren redlich gehandelt haben.
Auch vor den Wahlen des letzten Jahres wurden Briefe verschickt. In diesen Briefen, Herr Bundes-

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

kanzler, haben Sie geschrieben - wörtlich -: Die Renten sind sicher.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Stimmt ja auch!)

Wenn Sie jetzt hingehen und in diesem Ausmaß Reformvorschläge machen, fühlen sich die Wählerinnen und Wähler wieder zu Recht betrogen und getäuscht. So kann man doch nicht Politik in Deutschland machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Solange Sie nicht erkennen, daß die Investitionsschwäche, die nun seit Jahren anhält und die sich im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen völlig anders ausgebildet hat, strukturelle Ursachen hat, die in Ihrer verfehlten Politik liegen, so lange wird diese Investitionsschwäche anhalten. Sie können dann noch so viele Reformpakete - ich glaube, wir haben jetzt schon das zehnte beschlossen - schnüren, Sie werden keinerlei Veränderung hinsichtlich der Investitionskonjunktur und des deutschen Arbeitsmarktes erreichen.
Die Themen „Rentenreform" und „Steuerreform" fallen unter den Oberbegriff „Strukturreform". Das ist richtig. Sie haben ja eine ganze Reihe von Strukturreformen gemacht - wer wollte das in Abrede stellen. Sie haben sie eben wieder angesprochen. Sie reden vom Entgeltfortzahlungsgesetz, also von der Kürzung der Lohnfortzahlung. Sie sind stolz darauf, daß Sie den Kündigungsschutz eingeschränkt haben. Sie sind stolz darauf, daß Sie die beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer abgeschafft haben.
Verehrter Herr Bundeskanzler, alle Beschäftigungserfolge, die Sie noch einmal bemüht haben, haben Sie im Zusammenhang mit der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer erreicht. Irgend etwas scheint doch da nicht zu stimmen. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß es viel, viel wichtiger wäre, Arbeitnehmer zu entlasten, als den Reichen ein Steuergeschenk nach dem anderen zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Joachim Hörster [CDU/CSU]: Machen Sie doch einmal einen konkreten Vorschlag, Herr Lafontaine!)

Im übrigen weiß ich, daß das nicht nur die SPD, die Opposition, so sieht, daß vielmehr auch weite Teile der Bevölkerung und große Teile Ihrer eigenen Partei das so sehen. Deshalb mußte ich Ihnen vorhin auf Ihren Einwand „Das hätten Sie wohl gern!" erwidern: Das ist nicht mehr nur ein Problem der SPD oder der Opposition. Wenn man einen derart falschen Ansatz in der Politik wählt und den Eindruck hervorruft, daß man, unbeeindruckt vom Anstieg der Arbeitslosenzahlen, nicht bereit ist, diese Politik zu korrigieren, dann wirft das nicht nur Fragen bei der Bevölkerung und bei der Opposition auf, sondern auch in den eigenen Reihen.
Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie tatsächlich, Vorschläge wie der, die degressive Abschreibung zu vermindern, würden eine Stärkung der Investitionsneigung bringen? Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie, größere Vorschläge, die darauf abzielen, die Abschreibungsmöglichkeiten zu verringern, würden eine Verstärkung der Investitionsneigung bringen? Und wenn Sie von der Investitionsschwäche und von der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer reden, dann weise ich Sie darauf hin, daß allein auf Grund der Tatsache, daß Sie zur Kompensation für den Wegfall der Vermögensteuer die Grunderwerbsteuer drastisch erhöht haben, bewiesen ist, daß Sie wirklich von Wirtschafts- und Konjunkturpolitik nicht den blassesten Schimmer haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuersenkungspartei F.D.P.! Joachim Hörster [CDU/CSU]: Aber Sie im Saarland!)

Wer in der jetzigen Phase einer zurückhängenden Baukonjunktur die Vermögensteuer abschafft und zur Kompensation die Grunderwerbsteuer anhebt, wer das den Ländern aufzwingt - wir hatten ja gar keine andere Wahl -, der zeigt, daß er, einfach losgelöst von den wirtschaftlichen Daten, irgendwelchen Ideologien folgt und nicht in der Lage ist, eine langfristige, durchdachte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Daß das Durcheinander in der Finanzpolitik die Investitionsschwäche in Deutschland mit bedingt, haben nicht wir, die böse Opposition, gesagt, sondern dies sagen alle Sachverständigen, der Sachverständigenrat und die Wirtschaftsinstitute.
Wenn man die gegenwärtige Diskussion um die Steuergesetzgebung nimmt, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, daß Sie aus den Erfahrungen der letzten Zeit irgend etwas gelernt hätten.
Das erste ist: Der Zeitpunkt ist falsch. Er wird so nicht gehalten werden können; ich sage Ihnen das in aller Klarheit.
Das zweite ist: Die Mehrwertsteuer oder Verbrauchsteuern zu erhöhen, um die Absenkung der Spitzensteuersätze zu finanzieren, dies ist ökonomisch falsch und sozialpolitisch unverantwortlich. Auch diesen Vorschlag können Sie sich abschminken. Er wird keine Mehrheit finden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das dritte ist: Ihr Vorschlag hinsichtlich des Tarifs weist eine Reihe von Ansätzen auf, die durchaus bedenkenswert sind und sich teilweise mit Vorschlägen, die wir gemacht haben, überschneiden. Es ist merkwürdig, vor diesem Hintergrund immer zu fragen: Wo bleiben die Vorschläge der Opposition?

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

Ich habe bereits vor einigen Monaten festgestellt, daß es gut ist, daß Sie aus dem Katalog, den der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer aufgestellt hat, eine ganze Reihe von Vorschlägen übernommen haben. Das ist gut, das schafft die Möglichkeit, ein gemeinsames Gesetz zu finden. Aber wenn Sie schon abschreiben, dann tönen Sie nicht dauernd so, als gäbe es keine Vorschläge der Oppositionsparteien.

(Beifall bei der SPD)

Das gleiche gilt für den niedrigen Eingangssteuersatz. Wie oft habe ich Ihnen bei Steuerverhandlungen gesagt, Herr Finanzminister: Der niedrige Eingangssteuersatz ist kontraproduktiv. Bei allen Steuerrunden, in denen wir in den letzten Jahren zusammensaßen, habe ich Ihnen immer wieder gesagt: Er ist falsch und führt zur Schwarzarbeit.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hohe!)

- Entschuldigung, der hohe Eingangssteuersatz, danke sehr.

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich habe mich versprochen. Das führt bei Ihnen zu großer Heiterkeit; Sie versprechen sich offensichtlich nie. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie versprechen sich einzig und allein dann, wenn Sie einmal die Wahrheit sagen. Bei der Steuerpolitik wäre das wirklich notwendig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Beim Steuertarif gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die vernünftig sind, die wir deshalb mittragen können. Das ist einmal das Absenken des Eingangssteuersatzes, und das ist das Streichen einer ganzen Reihe von Steuersubventionen.
Die Streichung der Steuersubventionen wird seit Jahren gefordert, aber diese Forderung ist mit einer Idee verbunden, nämlich mit der Idee der Steuergerechtigkeit. So sehr ich auf der einen Seite begrüße, daß Sie den Eingangssteuersatz absenken, und so sehr ich auf der anderen Seite begrüße, daß Sie beispielsweise viele Vorschläge aus der Liste von Schleußer übernommen haben, um die niedrigen Unternehmensteuersätze zu finanzieren, so sehr muß ich Ihnen aber auch sagen, daß der Tarif ansonsten eine wirkliche soziale Schlagseite hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum? Wir haben über Jahre geklagt, daß der Steuertarif auf den Kopf gestellt worden ist, weil es dazu gekommen ist, daß der einzelne nicht mehr nach der Leistungsfähigkeit Steuern gezahlt hat. Der Tarif wurde in seinem Sinn praktisch auf den Kopf gestellt, weil den Arbeitnehmern brav die Steuern abgezogen wurden, während die Bezieher höherer Einkommen - auch Einkommensmillionäre - über vielfältige Abschreibungsmöglichkeiten legal ihre Steuern auf Null senken konnten.
Diesen Sachverhalt haben wir angeprangert und haben gesagt: Das schafft Staatsverdrossenheit und muß geändert werden. Damit haben wir aber nicht vorgeschlagen, daß jetzt die Privilegien für die Einkommensmillionäre gestrichen werden und ihnen dafür 100 000 DM als Steuergeschenk hinterhergeworfen werden. Wer so handelt, hat nicht verstanden, was Steuergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit in unserem Volk heißt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Wenn Sie wissen wollen, was konsensfähig ist, dann können Sie an der Grundstruktur des Tarifes bezüglich des Eingangssteuersatzes und der Tarifführung festhalten, Sie müssen ihn allerdings oben deutlich weiter hochziehen. - Daß Sie dabei lachen, Herr F.D.P.-Vorsitzender, ist mir klar. Merken Sie sich aber: Es gibt nicht nur 5 Prozent in der Bevölkerung, es gibt 100 Prozent. Wir machen Steuerpolitik für 95 Prozent, nicht für 5 Prozent.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wissen Sie, wer Arbeitsplätze schafft in Deutschland?)

Deshalb: Ziehen Sie den Tarif weiter hoch! Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten. Ich wiederhole: Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten! Es ist überhaupt kein Problem. Ich wiederhole deshalb unsere Forderung: Diese Entlastung muß zum 1. Januar 1998 kommen, oder sie kommt nicht.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was dann im einzelnen abzuklären ist, sind die Streichvorschläge der Bareis-Liste, über die wir bereits öfter gesprochen haben. Als die Bareis-Liste auf den Tisch kam, habe ich den Rat gegeben: Rechnet das und insbesondere die Kulmination dieser Vorschläge für einzelne Fälle durch.
Das haben Sie offensichtlich nicht getan. Wenn Sie das nicht getan haben, meine Damen und Herren von der Koalition, ist das kein Argument, uneinsichtig daran festzuhalten. Wenn Sie es versäumt haben, das Zusammenwirken von Kilometerpauschale, Arbeitnehmerpauschale, von Nacht- und Schichtzuschlägen usw. zu berechnen, dann ist das Ihr Fehler. Aber es ist kein Grund, an diesem Fehler festzuhalten.
Es dürfte Ihnen doch klar sein - unabhängig davon, wie man zu einzelnen Vorschlägen steht -, daß Ihr Tarif in dieser Ausformung und Finanzierung die Leistungsträger unserer Volkswirtschaft abstraft, nämlich die Facharbeiter, die Schichtarbeiter, die Krankenschwestern, die Busfahrer und wen sonst ich alles nennen könnte. Was Sie hier versuchen, ist doch hirnrissig.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

Es ist ohne weiteres möglich, einen Steuertarif zu verabschieden, der auf den Prinzipien fußt, die ich hier vorgetragen habe, und der die Kulmination mit dem Ergebnis, daß Leistungsträger der Gesellschaft Einkommenseinbußen erleiden, verhindert. Es gibt gar keine andere Möglichkeit.
Wenn Sie sagen, daß wir miteinander verhandeln sollen, dann müssen wir uns natürlich bei diesen Verhandlungen auch noch darüber verständigen, wieviel gepfuscht werden soll.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich hätte eigentlich von Ihnen erwartet, daß Sie heute irgend etwas zu Ihren Steuervorschlägen sagen, Herr Bundeskanzler. Das hätte die deutsche Öffentlichkeit erwarten dürfen. Wird jetzt die Mehrwertsteuer erhöht, ja oder nein, und wenn ja, in welchem Umfang wird sie erhöht?

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wann!)

Hören Sie doch auf, sich an irgend jemanden zu wenden und irgendwelche Vorschläge zu erbitten, solange Sie die Fragen nicht geklärt haben, wie viele Löcher Sie in Zukunft aufreißen wollen, wie Sie rückfinanzieren wollen und wer wie belastet werden soll! Es ist doch einfach unmöglich, wie Sie an dieser Stelle vorgehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Dasselbe gilt für die Mineralölsteuererhöhung. Ich kann ja verstehen, daß der eine oder andere aus Ihren Reihen sagt, bei einer Mehrwertsteuererhöhung seien die Länder beteiligt, daher solle man auf die Mineralölsteuer zurückgreifen. Das ist ja ein Argument. Aber nun sagen Sie doch endlich, was Sie eigentlich wollen.
Es ist ja ganz schön, wenn Sie immer wieder lautstark Vorschläge der Opposition einfordern. Ich sage Ihnen noch einmal: Schleußer-Liste, Bareis-Liste. Wir brauchen eine Verständigung darüber, den Tarif deutlich nach oben zu ziehen. Das alles ist innerhalb von vier Wochen zu machen. Aber Sie sind auf der anderen Seite nicht bereit, zu sagen, wie Sie die Gegenfinanzierung gestalten wollen. Die Kritiker in Ihren Reihen haben recht: Es war ein gravierender, ein schwerer Fehler, die Mehrwertsteuererhöhung mit der Senkung des Einkommensteuertarifs bei den oberen Einkommensgruppen zu verbinden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sprachen Strukturreformen an und redeten wiederum für die Teilzeitarbeit. Es ist richtig, Herr Bundeskanzler, daß die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in den letzten 20 Jahren konstant geblieben ist. Zu der Statistik, die Sie immer wieder bemühen, ist aber zu sagen - das sollten Sie einmal korrigieren -, daß in den letzten Jahren drei Millionen Teilzeitarbeitsplätze dazugekommen sind. Es ist auch richtig, wenn Sie sagen, von diesen drei Millionen Teilzeitarbeitsplätzen hätten zwei Millionen Frauen profitiert. Man müßte allerdings noch näher unter die Lupe nehmen, was hier „profitieren" heißt.
Sie haben es ja selbst angesprochen, daß es problematisch ist, daß schlecht bezahlte Arbeitsplätze in der Regel Frauen angeboten werden. Wir fügen hinzu: Es ist noch problematischer, daß die nicht registrierten und in keiner Statistik auftauchenden versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse im wesentlichen für die Frauen reserviert sind, was zu dem Ergebnis führt, daß sie im Alter geminderte oder gar keine Rentenansprüche haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das ist eine der Strukturreformen, die Sie verschleppen. Sicherlich wird man für einen Teilbereich solche Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren müssen. Wenn etwa Studenten Zeitungen austragen, wird niemand auf die Idee kommen, das müsse ein Vollerwerbsarbeitsplatz sein. Aber folgen Sie doch denen aus Ihren Reihen, die sagen, es könne nicht so weitergehen, daß die Aufsplitterung auf dem Arbeitsmarkt jetzt auf den Handel überschwappt, so daß immer mehr Vollzeitarbeitsplätze in 610-DMJobs zerstückelt werden, die dann am Ende dazu führen, daß die Betroffenen keine Rentenansprüche haben und auf die Sozialhilfe angewiesen sind! Das kann so nicht weitergehen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Diese Strukturreform verschleppen Sie seit Jahren, wie Sie die Steuerreform seit Jahren verschleppen

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie blockieren doch!)

und wie Sie die Reform der sozialen Versicherungssysteme seit Jahren verschleppen. Bei der Teilzeitarbeit sind Sie es doch, die über Jahre blockiert haben.
Vor Jahren haben wir, das Saarland, im Bundesrat einen Antrag eingebracht, der verlangte, die Teilzeitarbeit auch im Beamtenbereich zu öffnen. Ich habe in der letzten Bundestagsdebatte an Sie appelliert, endlich Ihren hinhaltenden Widerstand an dieser Stelle aufzugeben. Nach endlosem Gehänge und Gewürge ist jetzt eine Öffnungsklausel für die Länder herausgekommen. Warum erwähne ich dies? Ich erwähne dies, weil deutlich wird, daß Sie über Jahre die Entwicklung von Teilzeitarbeit in Deutschland blockiert haben. Aber Sie standen hier einmal als jemand, der gesagt hat, die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit sei dumm, töricht und absurd. Herr Bundeskanzler, Sie sind durch die Geschichte längst widerlegt worden. Ohne die Verkürzung der Arbeitszeit könnten Sie noch nicht einmal von den 3 Millionen Halbtagstätigkeiten berichten, die in den letzten zehn Jahren zusätzlich entstanden sind. Sie verstehen noch nicht einmal die Zusammenhänge und die Probleme.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

Deshalb sage ich Ihnen: Bei all den Strukturreformen - Sozialversicherungssysteme, Steuersystem, Beschäftigungsverhältnisse im nicht sozial abgesicherten Bereich - ist es notwendig, weiterhin auf die Verkürzung der Arbeitszeit zu setzen. Es ist gut, daß Sie das jetzt endlich erkannt haben. Aber Sie waren diejenigen, die über Jahre eine falsche Politik betrieben haben, mit den Ergebnissen, die wir jetzt landauf, landab sehen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Am rührendsten ist es, wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, wir müßten Forschung und Innovation stärken.

(Lachen bei der SPD)

Das ist nun wirklich ganz toll, meine Damen und Herren, daß wir Forschung und Innovation stärken müssen. Was ist in der letzten Zeit geschehen? Da haben Sie den herrlichen Vorschlag gemacht, wir müßten das BAföG verzinsen, wahrscheinlich um eine Belebung der Universitäten zu erreichen. Wir haben Ihnen gesagt, daß wir eine solche Bildungspolitik nicht mitmachen, weil die Begabungen nicht nach Einkommensschichten in unserem Volke verteilt sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir sagen: Das Einkommen der Eltern darf nicht darüber entscheiden, ob jemand eine gute universitäre Ausbildung erhält, und dabei bleibt es. Geben Sie diese rückwärtsgewandten Vorschläge auf, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Sie haben dann vor ein paar Jahren als großer Förderer von Forschung und Innovation das MeisterBAföG abgeschafft. Das war ein verhängnisvoller Fehler. Viele Handwerksbetriebe haben immer wieder darauf hingewiesen, wie falsch diese Entscheidung war. Wir haben im Gegenzug - um ein neues Wort aufzugreifen - gegen Ihre Blockade einen Kompromiß durchgesetzt, so daß das Meister-BAföG wieder eingeführt worden ist. Das Handwerk ist uns dankbar. Sie sollten der Opposition dankbar sein, daß sie Ihre Fehler korrigiert hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lachen bei der F.D.P. Zurufe von der CDU/CSU)

Am tollsten ist es, daß Sie vortragen, Forschung und Innovation müßten gestärkt werden, wo Sie seit Jahren einen Fehler machen. Seit Jahren weisen wir Sie immer wieder darauf hin, daß dieses Land, das rohstoffarm ist, nur dann die Chance haben wird, die Zukunft zu gewinnen, wenn es auf die Forschung setzt, das heißt auf die private Forschung, aber auch auf die staatliche Forschungsförderung. Aber seit Jahren streichen Sie die Forschungsmittel zusammen. Dann korrigieren Sie doch wenigstens diesen
Fehler, oder fügen Sie sich der Erkenntnis, die Sie hier vorgetragen haben!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es ist ja fast schon überflüssig, zu fragen, wie es denn mit dem Haushalt weitergeht: Von Punktlandung zu Punktlandung.

(Heiterkeit bei der SPD - Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Bruchlandung!)

Als die Haushälter meiner Fraktion im letzten Jahr gesagt haben, es werde ein Defizit von etwa 20 Milliarden DM auflaufen, da habe ich - das sage ich in allem Freimut - gefragt: Seid ihr sicher, daß das wirklich eine solche Größenordnung annehmen wird? Denn 20 Milliarden DM sind ja keine vernachlässigbare Größe. Und wie wurden die Haushälter der Opposition von Ihnen beschimpft, als sie immer wieder auf dieses Defizit hingewiesen haben!
Ich weiß aus der Rednerliste, daß nachher der Finanzminister spricht. An dieser Stelle können Sie einmal Abbitte leisten. Hören Sie auf unsere Haushälter, wenn Sie Prognosen abgeben, und hören Sie weniger auf die eigenen Erkenntnisse und Einsichten!

(Beifall bei der SPD)

Und wenn es wirklich so ist, meine Damen und Herren, daß Sie eine Haushaltssperre zurückgenommen haben, nur weil Sie sagen, die Presse könnte sonst schlecht sein - meistens stimmt das, was durchsickert und was erzählt wird, ja doch -, dann ist das auch kein Ausweis von Souveränität und erst recht kein Ausweis von in sich konsequenter Politik.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Narrhallamarsch am Rosenmontag im Finanzministerium!)

Aber vielleicht sagt der Finanzminister zu diesem Thema etwas. Er hat ja nachher die Möglichkeit dazu.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch einen Hinweis geben: Sie haben allen Bemühungen europäischer Regierungen, zu einem europaweiten Beschäftigungspakt zu kommen, trotzig und selbstgefällig mit der Bemerkung widerstanden: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause. Man kann nur hoffen, daß es in anderen Ländern nicht so aussieht wie hier bei Ihnen, wo Sie der Chefkoch sind und Beschäftigungspolitik zu Hause machen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Sie haben vor einigen Jahren den Wahlkampf mit der Parole geführt: Weiter so, Deutschland. Nach 14 Jahren kommen Sie nun zu folgendem Ergebnis: Wir, die Deutschen, können nicht so weitermachen wie bisher. Herr Bundeskanzler, Ihre Rede allerdings hat bei uns den Eindruck hinterlassen, daß Sie mit „wir" nicht sich selbst meinen, sondern alle anderen - die Tarifparteien, Gewerkschaften, Unternehmer, die Opposition oder

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

wen auch immer - und daß Sie unbeirrt an Ihrem vermeintlichen Reformkurs festhalten.
Dieser Reformkurs setzt auf die falschen Rezepte. Er schwächt die Binnennachfrage. Er zerstört die soziale Gerechtigkeit. Er verzögert wichtige Reformen, unter anderem auch - Kollege Fischer wird darüber noch sprechen - die ökologische Steuerreform, die seit mindestens zehn Jahren verschleppt worden ist. Sie, Herr Bundeskanzler, sind die Ursache unserer Krise. Es wird Zeit, daß Sie daraus die Konsequenzen ziehen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Beifall bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1315500800
Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1315500900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, außer Polemik haben Sie hier nicht einen weiterführenden Gedanken geboten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Ausgerechnet Sie machen uns hier Vorwürfe, wo Sie ganz persönlich dafür verantwortlich sind, daß die Mehrheit der SPD im Bundesrat für eine gemeinwohlwidrige Blockadepolitik mißbraucht worden ist, die notwendige Entscheidungen gehemmt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie nehmen sich die Argumente, wie Sie sie gebrauchen können. Zunächst haben Sie, was die Steuerreform anbelangt, gefordert, in erster Linie die unteren Einkommensschichten zu berücksichtigen. Dann haben Sie nicht erwartet, daß wir einen Tarif vorschlagen, dessen Eingangsteuersatz 15 Prozent beträgt, und damit ein ganz wichtiges Argument für die Arbeitsaufnahme statt des Empfangs von Sozialhilfe oder für die Senkung der Lohnersatzleistungen geschaffen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Kaum haben Sie bemerkt, daß jetzt gar keine Polemik mehr möglich ist, da haben Sie die Belastung oder die unzureichende Entlastung der Leistungsträger beklagt. Ursprünglich hatten Sie uns dann noch unterstellt, wir brächten bei Wirtschaft und Unternehmen im Bereich der Gegenfinanzierung nicht das Notwendige auf den Weg. Nun haben wir mehr auf den Weg gebracht, und Sie sind plötzlich ganz ruhig geworden.
Eines geht ganz sicher nicht: Wenn Sie jetzt wieder über die Frage des Höchststeuersatzes polemisieren wollen, dann frage ich Sie: Wie stehen Sie eigentlich dazu, daß der Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Finanzministerium, Dr. Sarrazin, den damals, wenn ich mich recht erinnere, Herr Ministerpräsident Scharping zu sich nach Rheinland-Pfalz geholt hatte, in einem beachtlichen Beitrag für „flat taxes", für niedrigere Steuersätze und besonders niedrige Höchststeuersätze plädiert, weil er der Meinung ist: Niedrigere Höchststeuersätze führen - das ist richtig - zu einem höheren Einkommensteueraufkommen als hohe Steuersätze, von denen Sie und Herr Voscherau behaupten, daß die Millionäre von Hamburg sie nicht bezahlen. Das ist doch eine schlimme, widersprüchliche, in sich verlogene Polemik, die Sie hier betreiben!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie als Ministerpräsident eines Landes vom Stamme Nimm

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr schön!)

stellen sich hierher und beklagen die Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Warum haben wir denn die Grunderwerbsteuer um zwei Punkte erhöht? Um den entsprechenden Ausfall für die Länder in Grenzen zu halten. Wir wären auch mit einem Prozentpunkt Aufstockung zufrieden gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So war es doch! Sehr richtig!)

Sagen Sie doch endlich ein Wort dazu, daß diese Vermögensteuer so nicht mehr Bestand haben konnte,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Doch!)

daß das Bundesverfassungsgericht diese Vermögensteuer als verfassungswidrig bezeichnet hat und daß es sinnlos gewesen wäre, einen Rest von privater Vermögensteuer, der dann nur als Umgehungstatbestand gedient hätte, aufrechtzuerhalten.
Nein, Sie sind weit weg von der internationalen Diskussion. Lassen Sie sich, wo in Österreich die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer aus Wettbewerbsgründen abgeschafft wurden, wenigstens vom neuen österreichischen Bundeskanzler Klima, der zuvor Finanzminister gewesen ist, etwas sagen, damit Sie im Saarland und in Deutschland etwas dazulernen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Neu war mir, Herr Ministerpräsident, daß Sie der Erfinder des Meister-BAföG sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das scheint ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit zu sein. Dennoch ist mir das ziemlich neu. Wir wollten in der Tat - ich halte den gedanklichen Ansatz von Minister Rüttgers für richtig - einen gewissen Beitrag derer, die im akademischen Studium sind und damit vom Staat ausgestattet werden, damit künftig der, der Geselle ist und Meister werden möchte, genauso unterstützt wird wie der, der das Abitur gemacht hat und auf einen akademischen Beruf zustrebt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wenn Sie einzelne Vorschläge zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage anbringen, gehen wir gerne auf Sie ein. Aus der Liste des von Ihnen geschätzten Bürgermeisters Voscherau nehme ich einmal einiges heraus. Besteuerung von Veräußerungsgewinnen durch Ausdehnung der Spekulationsfrist - Voscherau: sieben Jahre; wir: zehn Jahre. Einschränkung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen - wie in der Steuerreformkommission. Aufhebung der Steuerfreiheit für Abfindungen und Übergangsgelder - wie die Steuerreformkommission. Aufhebung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen und verschiedenen anderen Lohnbestandteilen - Sie haben das als hirnrissig bezeichnet. Schämen Sie sich nicht, den Bürgermeister von Hamburg als hirnrissig darzustellen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich weise diesen unglaublichen Umgang mit dem führenden Repräsentanten einer angesehenen Stadt

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und einem Mann, der in der SPD eine Rolle spielt, zurück. Er hat es als Vertreter einer großen, stolzen Stadt nicht verdient, sich von Ihnen, von einem relativ kleinen Land so beleidigen zu lassen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So, jetzt habe ich Ihnen erst einmal die Suppe versalzen.

(Lachen bei der SPD und der PDS)

Jetzt zum Standort Deutschland. Die Rückkehr unserer Wirtschaft zu einem Wachstumskurs zeigt: Wir gehen den richtigen Weg. Aber auf dem Weg zu neuen Arbeitsplätzen, zu genügend neuen Arbeitsplätzen bleibt noch einiges zu tun.
Am 4. Februar - darauf hat der Bundeskanzler verwiesen - wird Ludwig Erhard 100 Jahre alt. Seine Maßnahmen im Juni 1948 waren radikal und zunächst bei vielen unpopulär. Sie waren dennoch richtig und haben eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen ermöglicht. Er hat mit einem Befreiungsschlag die Dynamik der Marktwirtschaft in Gang gesetzt. Seit damals gilt, die Vorbedingung für dauerhafte Arbeitsplätze ist ein florierender produktiver Sektor unserer Volkswirtschaft. Dauerhaftes, nachhaltiges Wachstum, das ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Und dafür muß sich der Staat zurücknehmen, sparen, damit die Wirtschaft investiert. Das ist das Motto, mit dem neue Arbeitsplätze entstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damals ist Ludwig Erhard - manchmal auch in den eigenen Reihen - für seine Forderung nach Maßhalten verspottet worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Von der SPD!)

Aber Sparen ist die bittere Medizin, um gesund zu werden.
Die neuen Wettbewerbsbedingungen in der Weltwirtschaft, die Folgen der Globalisierung decken Fehlentwicklungen sofort auf. Was sich früher nach Jahren als falsch und verhängnisvoll erwiesen hat, wird heute innerhalb von Tagen auf den Finanzmärkten, bei den Zinsen und bei den Wechselkursen gnadenlos bestraft.
Darum müssen wir einen Befreiungsschlag wagen, die Globalisierung offensiv angehen, aus der Dynamik der Globalisierung Kraft schöpfen und Arbeitsplätze in Deutschland schaffen.
Andere Länder sind uns auf diesem Weg schon erfolgreich vorangegangen. Untersuchungen der G 7, des Internationalen Währungsfonds oder der OECD - -

(Zuruf von der SPD: England!)

- Ja, England.

(Zuruf von der SPD: Die haben noch mehr Arbeitslose!)

- Das ist doch nicht wahr, Sie haben ja keine Ahnung. In England und auch in den Vereinigten Staaten ist durch Lohnverzicht über viele Jahre eine Situation entstanden, daß die Beschäftigung heuer höher ist als vor zehn Jahren. Sie kennen ja nicht einmal die Statistik!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

Zu der von uns aufgezeigten Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt es keine Alternative.

(Lachen bei der SPD)

Das gilt für das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, das gilt für den Sparhaushalt 1997, der um 2,5 Prozent gegenüber dem Haushalt zuvor zurückgeht, das gilt für die Finanzplanung bis 2000 mit einer jahresdurchschnittlichen Ausgabensteigerung von unter einem Prozent, das gilt für das Jahressteuergesetz 1997, den richtigen Wegfall der Vermögensteuer und für den dringend notwendigen Wegfall der Gewerbekapitalsteuer.
Und hier haben Sie, Herr Lafontaine, auf die Frage des Bundeskanzlers keine Antwort gegeben. Sind Sie jetzt endlich bereit, in ganz Deutschland dafür zu sorgen, daß diese für die Konjunktur und für Arbeitsplätze schädliche Steuer wegfällt, in Ostdeutschland nicht erhoben werden muß, oder wollen Sie Ihren gefährlichen Blockadekurs im Bundesrat weiter fortsetzen? Hier sind Sie gefragt!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hier sind Sie ausgewichen, und hier werden Sie in den nächsten Wochen im Bundesrat Ihren ostdeutschen Kollegen sagen müssen, ob Sie wirklich für die Betriebe in Ostdeutschland eine weitere Belastung von 400 bis 500 Millionen hinnehmen oder gar einführen wollen, was die Betriebe dort schlichtweg nicht überstehen würden.
Meine Damen und Herren, auf dem Petersberg gab es in der Nachkriegszeit Beschlüsse des Alliierten Kontrollrates. Damals wurde der Spitzensteuer-

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
satz auf konfiskatorische 90 Prozent festgesetzt. Das scheint mir in etwa die geistige Linie zu sein, in der sich Herr Ministerpräsident Lafontaine bewegt.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? So ein Blödsinn!)

Wer bei der internationalen Diskussion, bei der Gegenfinanzierung im Unternehmensbereich, bei den Vorschlägen aus den eigenen Reihen, bei einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent behauptet, daß dies der sozialen Symmetrie nicht genügt, der hat von Steuerpolitik und von sozialer Symmetrie keine Ahnung, der ist in der Steuerpolitik schlichtweg dumm geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Petersberger Beschlüsse sind ein Durchbruch zu den niedrigsten Einkommen- und Körperschaftsteuersätzen der letzten 50 Jahre.

(Joachim Poß [SPD]: Er müßte vorsichtiger sein!)

Natürlich gibt es bei einer so umfassenden Reform viele kritische Einzelfragen.

(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

- Ja, Sie haben es jetzt fünfmal gesagt, Herr Poß, ich habe es gehört, ich nehme es zur Kenntnis.

(Joachim Poß [SPD]: Wenn Sie aber weiter so sprechen!)

- Es ist gut. Ich weiß, Sie brauchen es für Ihr eigenes Gedächtnis. Sagen Sie es noch zweimal, und dann seien Sie wirklich beglückt ruhig!
Wenn man in die Leserbriefspalten der Presse sieht und Telefonaktionen mitmacht, weiß man natürlich, was die Menschen bedrückt und was sie wissen wollen.

(Zurufe von der SPD)

Haben Sie nicht mitbekommen, daß der Ministerpräsident viele Ansätze dieses Konzepts als wichtig, brauchbar und aufnahmefähig einschätzt? Sie sollten also bei jedem Zwischenruf vorsichtig sein, ob Sie damit nicht vielleicht die Intention Ihres Vorsitzenden treffen.

(Joachim Poß [SPD]: Damit habe ich keine Probleme!)

Jedenfalls kommt es jetzt darauf an - und das werden wir tun -, dieses Gesamtkonzept den Bürgern zu vermitteln und es durch eine klare, objektive Aufklärung jedem zu ermöglichen, sich selbst Klarheit über sich, seine Steuern, seine Sozialabgaben und seinen Steuersatz zu verschaffen.

(Zuruf von der SPD: Viel Vergnügen!)

Unsere Prinzipien waren: Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit und Leistungsfähigkeit. Dieser Zukunftstarif '99 steht für eine umfassende und gerechte Erfassung der Einkünfte, für ein transparentes Steuerrecht, für die Entlastung fast aller Steuerzahler und für die Verwirklichung niedriger Steuersätze bei breiter und gerechter Bemessungsgrundlage. Diese Steuerbeschlüsse sind die Voraussetzung für mehr
Investitionen, Wachstum und Beschäftigung und für den Abbau von Bürokratie. Wenn wir das den Bürgern sachlich und konkret vermitteln, wird - da bin ich sicher - die Zustimmung, die das Konzept schon jetzt bei Fachleuten und vielen sachkundigen Journalisten findet, weiter zunehmen.
Professor Bareis, in diesem Hohen Haus schon oft zitiert, spricht von einem richtigen Reformkonzept und fordert eine große Koalition der Vernunft. Wenn wir das schaffen, wird sich die wachsende Zuversicht der Bürger und der Wirtschaft in Investitionen und Arbeitsplätzen auszahlen. Der Petersberger Zukunftstarif ist keine bloße steuerpolitische Anpassung. Er ist der Durchbruch zu einem neuen Steuersystem, das die Voraussetzungen für das nächste Jahrhundert schafft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joachim Poß [SPD]: Das ist kein Zukunftstarif ! )

Der Begriff vom Hochsteuerland Deutschland wird damit der Vergangenheit angehören, und die Qualität des Investitionsstandortes wird entscheidend verbessert.
Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben nur vom Export gesprochen. Sie sollten auch einmal darüber reden, wo und wie im Moment die Kapitalflüsse vonstatten gehen. Da muß es doch auch Sie nachdenklich stimmen, daß im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten heute mehr Kapital von Deutschland nach draußen fließt, als daß es sich umgekehrt bei uns ansiedelt. Das ändert sich nur, wenn sich die Steuersätze ändern. Das ist der Ansatzpunkt für unseren Zukunftstarif.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir schließen damit an die erfolgreiche und wachstumsstärkende Steuerreform Gerhard Stoltenbergs an. Wir haben von 1986 bis 1996 unabhängig von der jetzt vorgeschlagenen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Bemessungsgrundlage um 50 Milliarden DM erweitert und in der gleichen Zeit Steuersubventionen um 50 Milliarden DM abgebaut. Aber trotz der Steuerreformen 1986, 1988 und 1990, trotz Steueränderungsgesetz 1992, Standortsicherungsgesetz 1994 und dem Wegfall der Vermögensteuer liegt Deutschland unter den Industriestaaten bei den psychologisch wichtigen Spitzensteuersätzen auf keinem guten Platz. Das ist falsch, das müssen wir ändern. Unsere Steuersätze werden künftig gegenüber allen großen Industrieländern wieder wettbewerbsfähig sein. Das schafft mehr Investitionen im Inland und zieht Investoren aus dem Ausland an. Der bedrohliche Rückgang ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland kann so gestoppt und umgekehrt werden. Die Standortvorteile Deutschlands können ihre volle Wirkung entfalten. Wenn Sie nicht bereit sind, vor allem bei den gewerblichen Einkünften und beim Körperschaftsteuersatz, sowohl was den thesaurierten Satz als auch was den Ausschüttungssatz anbelangt, nach unten zu gehen, dann werden Sie das nicht ändern. Sie können, Herr Lafontaine, auf Dauer nicht eine Spreizung um zehn oder noch mehr Punkte aufrechterhalten. Dies wird

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
aus Verfassungsgründen nicht möglich sein, wobei ich im Interesse der Investitionen für ein Jahr und danach sehr wohl eine gewisse Spreizung in Kauf nehme.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 13 Punkte!)

- Für ein Jahr, Frau Kollegin, halte ich das für unproblematisch.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, eben!)

Für ein Jahr halte ich das für vertretbar. Für einen längeren Zeitraum würde ich es nicht für vertretbar halten.
Nicht erst seit der Forderung von Oskar Lafontaine, schon zum 1. Januar 1998 zu beginnen, haben wir darüber nachgedacht, was wir zum 1. Januar 1998 tun können. Wir wollen zum 1. Januar 1998 den Solidaritätszuschlag, den Steuersatz für gewerbliche Einkünfte und den Körperschaftsteuersatz für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne senken. Die Entlastung bei den Unternehmensteuern wird aufkommensneutral im Unternehmensbereich gegenfinanziert. Nicht uninteressant ist übrigens, daß die falschen Zahlen und Behauptungen, die in den letzten Tagen eine Rolle gespielt haben, nämlich die Wirtschaft bezahle überproportional die Gegenfinanzierung, heute vom BDI korrigiert worden sind. Diesbezüglich sind leider falsche Zahlen und Eindrücke in die Öffentlichkeit gekommen.
Wir finanzieren ab 1999 eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM plus 7,5 Milliarden DM Nettoentlastung für den Solidaritätszuschlag 1998.

(Joseph Fischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wird das finanziert?)

Das führt zu mehr Nachfrage, mehr privatem Investitionskapital und somit zu dauerhaftem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen.
30 Milliarden DM Nettoentlastung werden Anforderungen an die Konsolidierungskraft von Bund, Ländern und Gemeinden stellen. Nur, eines ist ganz sicher: Wenn wir uns gerade in der Steuerpolitik nicht zu einem Befreiungsschlag durchringen, dann kann und wird auch die Haushaltssituation nicht besser werden. Ich bin davon überzeugt, daß ein solches Konzept zu einem höheren Wachstum von real etwa 0,5 Prozent führen kann, die Investitionen um 1,5 Prozent erhöht und 1997 und 1998 ein Vorzieheffekt denkbar ist; denn dann sind noch die besseren Abschreibungssätze gegeben, und danach haben wir eine bessere Gewinnerwartung. Damit schaffen wir 1997, 1998 und danach Arbeitsplätze. Darum ist auch die Zeitplanung richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht so laut schreien!)

- Gerade Sie müssen von lautem Schreien sprechen,
Herr Fischer! Der Oberkrakeeler des Parlaments bezichtigt andere, laut zu schreien. Das ist schon ein starkes Stück!

(Beifall bei der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser Oberkrakeeler als Unterkrakeeler!)

Dort, wo solche Reformen in der Vergangenheit angegangen wurden, hat sich dies auch im Einkommensteuerbereich positiv bemerkbar gemacht.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

1994 hatte Deutschland bei einem Tarif mit den Eckpunkten 19 Prozent und 53 Prozent ein durchschnittliches Einkommensteueraufkommen von 9,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Vereinigten Staaten hatten bei einer Belastung von 20,8 Prozent bis 46,7 Prozent ein Aufkommen von 10,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Großbritannien hatte bei drei Tarifstufen - 20 Prozent, 25 Prozent und 40 Prozent; der Höchstsatz wird ab 59 000 DM fällig - ein Aufkommen von 9,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das belegt, daß die amerikanische und die englische Einkommensteuer auch nach den starken Tarifsenkungen in den 80er Jahren ebenso ergiebig wie das deutsche System sind.
Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen und Familien werden durch den Zukunftstarif 1999 besonders entlastet. Die Durchschnittsbelastung liegt bei einem verheirateten Arbeitnehmer ohne Kinder mit einem Einkommen bis zu 42 000 DM ab 1999 nur noch bei 10 Prozent. Bei 40 000 DM Bruttojahreslohn beträgt die Entlastung, einschließlich des Abbaus des Solidaritätszuschlags, bei einem Alleinstehenden 20,4 Prozent, bei einem Verheirateten sogar 51,1 Prozent. Bei einem überdurchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen, Bruttojahresverdienst 85 000 DM, ergibt sich eine Gesamtentlastung für einen Alleinstehenden von 12,1 Prozent, bei einem Verheirateten von 20,3 Prozent.
Schon diese Entlastung wird von der SPD kritisiert. Dabei vergißt sie: Gerade Bezieher von höheren Einkommen haben im besonderen Maße Sonderabschreibungen und Schlupflöcher genutzt. Mit dem Wegfall dieser Möglichkeiten schrumpft diese Entlastung. Jetzt müssen Sie schon sagen, meine Damen und Herren von der SPD, was Sie wollen: Sollen die von Ihnen apostrophierten Einkommensmillionäre weniger Steuern bezahlen, oder sollen die Schlupflöcher bleiben? Nach unserem Vorschlag werden die Schlupflöcher beseitigt. Sie müssen doch zugeben: Es ist gut, wenn die Steuerzahler einen geringeren Höchststeuersatz zahlen, diesen aber nicht durch Steuervermeidungsmodelle herabsetzen können, wie es heute der Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage geht es nicht um eine buchhalterische Gegenfinanzierung der Tarifentlastung, sondern um eine Bereinigung, die dem Einkommensteuerrecht eine neue Qualität verleiht.
Wie oft bin ich hier nach den Vorschlägen von Professor Bareis und seiner Kommission gefragt worden.

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wir haben sie nun aufgegriffen. Herr Lafontaine, Sie sollten jetzt Punkt für Punkt sagen, ob Sie den Vorschlägen zustimmen oder nicht. Aber immer, wenn es brenzlig wird, sind Sie weit weg, um sich auf Ihre populistische Tour durch Deutschland zu begeben. Das ist doch Ihre Doppelstrategie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer zu Fuß, mit dem Bus, mit dem Fahrrad, mit dem eigenen Auto oder in einer Fahrgemeinschaft zum Arbeitsplatz gelangt, kann er ab dem sechzehnten Kilometer 40 Pfennig als Entfernungspauschale absetzen, und zwar zusätzlich zur Werbungskostenpauschale. Damit wird der Anreiz gestärkt, das billigste und oft auch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel zu nutzen.
Ich komme nun zu den Zuschlägen. Zuschläge für Nachtschicht oder Sonntags- und Feiertagsarbeit sind sauer verdientes Geld. Aber es ist die Sache der Tarifparteien, einen fairen Lohn für diese Arbeiten auszuhandeln.

(Widerspruch der Abg. Anke Fuchs [Köln])

Es kann nicht gerecht sein, wenn die große Masse der Steuerzahler, die ebenfalls für ihren Lohn hart arbeitet, dafür zahlen soll. Der Vorschlag ist außerdem im Voscherau-Papier zu finden. Sie müssen sich einmal mit den Vorschlägen aus Ihren eigenen Reihen auseinandersetzen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)

Trotz dieser Einschränkungen wird beispielsweise eine Krankenschwester mit einem Einkommen von rund 45 000 DM im Jahr noch um etwa 500 DM entlastet. Ein Feinmechaniker, verheiratet, mit einem Jahresbruttogehalt von 63 000 DM und 50 Kilometern Anfahrt zur Arbeitsstelle, geht mit 1 164 DM mehr pro Jahr nach Hause.
Lohnersatzleistungen werden künftig zur Hälfte in die Besteuerung einbezogen, da die hälftigen Arbeitgeberbeiträge steuerfrei sind. Dafür entfällt der Progressionsvorbehalt. Diese Neuregelung ist für die Empfänger in der Regel eine Entlastung. Ein Arbeitnehmer mit einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 DM, der sechs Monate arbeitslos war, wird um 753 DM entlastet. Nur wenn weitere, beträchtliche Einkünfte - beispielsweise des Ehepartners - hinzukommen, kann es zu einer Mehrbelastung kommen.
Schon heute sind Renten steuerpflichtig; im Standardfall mit 27 Prozent auf ihren Ertragsanteil. Damit sind derzeit Renten von Alleinstehenden bis 65 000 DM steuerfrei. Ein Arbeitnehmer mit vergleichbarem Einkommen zahlt heute etwa 14 800 DM Steuern im Jahr. Zukünftig sollen die Renten zu 50 Prozent besteuert werden, da auch in diesem Fall die Arbeitgeberbeiträge steuerfrei entrichtet wurden. Dieser alleinstehende Rentner zahlt dann nach dem neuen Tarif 3 100 DM Steuern im Jahr. Das ist zumutbar und in Relation zum vergleichbaren Arbeitnehmer, der nach neuem Recht immer noch 12 800 DM bezahlt, gerecht. Dies ist auch eine Frage der horizontalen Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Rentenansprüche, die nur auf eigenen Beiträgen beruhen, beispielsweise aus Lebensversicherungen, werden wegen der geringeren Steuerfreistellung nur mit einem Anteil von 30 Prozent der Besteuerung unterworfen. Damit bleibt die Rente eines Alleinstehenden in der Regel bis 31 511 DM, das sind 2 600 DM im Monat, steuerfrei. Verheiratete bleiben bis zu einer Jahresrente von 62 549 DM bzw. 5 200 DM monatlich steuerfrei. Angesichts dieser objektiven Situation halte ich das, was wir erarbeitet haben, für sozialverträglich und im Interesse der Gerechtigkeit unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Kapitallebensversicherungen bleiben begünstigt durch den Sonderausgabenabzug der Beiträge, den niedrigen Abgeltungssatz und die Befreiung von der Versicherungsteuer.
Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich, im wesentlichen durch Änderungen bei den Gewinnermittlungsvorschriften, ändert nichts an einer deutlichen Entlastung. Ein kleiner Familienbetrieb mit einem Gewinn von 150 000 DM wird dennoch um etwa 2 700 DM entlastet. Ein mittelständisches Einzelunternehmen mit einem Gewinn von 450 000 DM wird auch bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 50 000 DM noch um etwa 19 000 DM entlastet. Die Steuerentlastung durch den Zukunftstarif 1999 verbessert die Ertragserwartungen der Unternehmen, und gute Ertragserwartungen führen zu Investitionen und zu neuen Arbeitsplätzen.
Ich habe es vorhin schon gesagt: Vorzieheffekte sind wahrscheinlich. Heute kann man die günstigen Abschreibungen nutzen und ab 1999 von der günstigeren Besteuerung der Gewinne profitieren.
Dieser Vorzieheffekt würde durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer zusätzlich unterstützt. Ich habe jetzt einen fairen Kompromißvorschlag zur Beteiligung der Kommunen vorgelegt. Die Kommunen verlangen 2,3 Prozent Umsatzsteuer. Wir hatten auf Grund unserer Berechnungen 1,9 Prozent vorgesehen, und wir haben 2,1 Prozent angeboten. Ich hoffe, wir kommen bald zu einem Abschluß.
Steuerpolitik, meine Damen und Herren, hört für uns nicht an den Grenzen auf. Der Wettbewerb der Steuersysteme ist erforderlich. Unfairen Praktiken muß Einhalt geboten werden. Eine besondere Expertengruppe wird Kriterien für unfaire Praktiken und einen Verhaltenskodex erarbeiten. Über den Fortgang wird schon auf der nächsten Sitzung des Ecofin berichtet. Wir werden Vorschläge machen. Es gab dazu auf der Ecofin-Tagung am vergangenen Montag unter dem neuen niederländischen Vorsitz ganz neue, sehr beachtliche Töne.
Unser Konzept faßt die Probleme an der Wurzel. Es ist offensiv, wachstums- und zukunftsorientiert. Die

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Verteilung des Mangels zur Behebung der Arbeitslosigkeit reicht nicht aus. Das war der Grundgedanke von Ludwig Erhard: Wachstum und mehr Beschäftigung zu schaffen und nicht den Mangel zu verwalten. Sie, Herr Lafontaine, sind nichts anderes als ein Umverteilungspolitiker ohne neue Wachstumsimpulse.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber, Herr Ministerpräsident, wir nehmen Ihr Gesprächsangebot gerne an.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Wir sind bereit, die Steuerreform schon zum 1. Januar 1998 umzusetzen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Jawohl! Sehr gut!)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1315501000
Dazu müssen Sie unsere Vorschläge aufgreifen, bereit sein, auf unseren Referenten- und Regierungsentwurf einzugehen,

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr richtig! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aha!)

dann produktiv im Bundesrat und im Finanzausschuß des Bundestages mitzuarbeiten

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) und auf ein Vermittlungsverfahren zu verzichten,


(Lachen bei der SPD)

damit wir dann spätestens im August das Gesetzgebungsverfahren abschließen können. Denn wir benötigen ein halbes Jahr - die Bürger, die Steuerverwaltung, die Steuerberater, wir alle zusammen - für eine entsprechende Vorbereitung. Wer dazu nicht bereit ist, der macht einen billigen Jakob, der macht ein billiges Angebot, ohne wirklich an die Realisierung zu glauben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nehmen Sie, Herr Ministerpräsident und die SPD, von Ihrer Blockadehaltung und von der Verweigerung Abschied! Seien Sie endlich bereit, mit uns konstruktiv an den Dingen zu arbeiten! Dann wird die Zukunft Deutschlands, was die Beschäftigung der Menschen anbelangt, entscheidend verbessert werden können.
Ich danke Ihnen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der F.D.P. Zurufe von der CDU/ CSU: Bravo!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315501100
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Joachim Poß das Wort.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1315501200
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede wahrheitswidrig behauptet, daß das Bundesverfassungsgericht die Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 1996 eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Dafür hat die SPD einen Vorschlag vorgelegt, und zwar verfassungskonform.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Es ist allein Ihre politische Verantwortung, daß die Vermögensteuer jetzt nicht mehr erhoben werden kann

(Beifall bei der SPD)

und damit die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in der Bundesrepublik noch weiter verschärft wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Zweitens. Der Abbau des Solidaritätszuschlages zum 1. Januar 1998 hat mit einer steuerlichen Tarifsenkung überhaupt nichts zu tun. Er ist die Rückführung einer Sondersteuer und einer Zusatzbelastung. Wenn Sie das miteinander verknüpfen, kommt dabei eine Mogelpackung heraus, Herr Bundesfinanzminister.

(Beifall bei der SPD)

Sie setzen damit Ihre Tradition des Täuschens in der Steuerpolitik fort.
Drittens. Die Tatsache, daß einzelne Einkommensmillionäre derzeit auf Grund der Sonderregelungen keine Steuern zahlen, berechtigt Sie jedoch nicht, vom Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit abzugehen und künftig Ingenieure eines Unternehmens so wie dessen Vorstandsvorsitzenden zu behandeln. Sie setzen mit diesem Teil des Tarifvorschlags einen tragenden Verfassungsgrundsatz außer Kraft, Herr Bundesfinanzminister.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Schändlich gelogen!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315501300
Herr Minister, wollen Sie darauf anworten?

(Zuruf von der SPD: Das kann er gar nicht!)


Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1315501400
Nein, danke.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315501500
Dann gebe ich dem Abgeordneten Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315501600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wenn man Ihre Regierungserklärung zu Maßnahmen und zum Kampf der Bundesregierung gegen die Arbeitslosigkeit heute gehört hat, zu der Sie sich endlich herabgelassen haben, wenn man anschließend gehört hat, wie der Bundesfinanzminister im wesentlichen versucht hat, seinen Beitrag so zu gestalten, daß er dabei eine Werbebroschüre über die neuen Einkommenstarife seines Hauses vorträgt, dann kann ich Ihnen sagen: So werden Sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht zu einer Trendwende kommen. So werden Sie Ihr Versprechen, das Sie im übrigen heute nicht wiederholt haben, nämlich die Arbeitslosenzahl bis zum

Joseph Fischer (Frankfurt)

Jahr 2000 in diesem Lande zu halbieren, nicht halten, sondern so werden Sie wie bisher weitermachen. Das heißt, die Arbeitslosigkeit, das drängendste Problem in diesem Lande, wird zunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Was wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in dieser Debatte überhaupt nicht gehört haben, ist eine sorgfältige Analyse der Ursachen. Hier wäre in der Tat Selbstkritik angesagt gewesen. Sie können sich doch nicht, nachdem 14 Jahre lang Ihre Konzepte, Ihre Vorschläge gescheitert sind, nachdem wir jetzt eine einmalig hohe Arbeitslosenzahl in diesem Lande erreicht haben - ich werde gleich noch etwas zu der qualitativen Veränderung am Arbeitsmarkt, vor allen Dingen bei den jungen Berufsanfängern auch und gerade im akademischen Sektor, sagen und auf die düsteren Perspektiven, die sich hier auftun, hinweisen -, hier hinstellen und einfach verkünden: Im wesentlichen weiter so. Wir laden die Lasten weiter auf die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen ab. Wir müssen weiter die Bezieher hoher Einkommen, die Vermögen und die Kapitaleinkünfte entlasten. Dann endlich erreichen wir die Investitionen in unserem Land.
Mich erinnert das alles an die Zeit der deutschen Einheit, als dieser formidable Wirtschaftsminister von der F.D.P., Herr Rexrodt - den einzigen Arbeitslosen, den dieses Land dringend bräuchte, meine Damen und Herren -,

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

gemeinsam mit dem Bundeskanzler verkündete: „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt." Uns hat man damals angeprangert, wir seien Dinosaurier einer überständigen, altertümlichen Industriepolitik. Die Wirtschaft allein würde, wenn man nur ihre Antriebskräfte entfesseln würde, den Aufbau Ost hinbekommen. Heute stehen wir vor einem Debakel Aufbau Ost.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Eines aber, Herr Bundeskanzler, sollten wir lassen: die Debatte, daß die Einwanderung irgend etwas mit der strukturellen Arbeitslosigkeit zu tun habe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Ich sage das als Vertreter einer Partei und einer Fraktion, die im Wahlkampf klar Position bezogen hat - das wissen Sie sehr gut -, als plötzlich die Spätaussiedler eine Sündenbockfunktion erhalten hatten.
Wenn Sie die Debatte eröffnen, daß Zuwanderung ein wesentlicher Teil des strukturellen Problems der Massenarbeitslosigkeit in diesem Lande ist,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch!)

dann werden Sie natürlich sofort wieder die Spätaussiedlerdebatte bekommen. Davor kann ich Sie nur warnen.
Herr Bundeskanzler, man muß natürlich auch fragen, warum Sie die Möglichkeiten, die Sie haben, nicht nutzen respektive warum Sie die Zahlen nicht wirklich darstellen. Warum erteilt die Bundesregierung auf Drängen von Winzerpräsident Schindler und Bauernpräsident Heereman im vergangenen Jahr noch immer 250 000 Arbeitserlaubnisse in der Landwirtschaft?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil die Sozialhilfeempfänger nicht arbeiten wollen!)

Das ist eine Möglichkeit, die Sie sofort hätten nutzen können. Davon aber reden Sie nicht. Das wissen Sie nur zu gut.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hat der Kanzler doch gesagt!)

- Nein, das hat er nicht gesagt.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie haben nicht zugehört!)

Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang auch: Sie werden in diesem Land Ausländerfeindlichkeit schüren, wenn Sie die Unfähigkeit Ihrer Politik, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, an politischen Flüchtlingen, an Nichtdeutschen, an Menschen, die hierher gekommen sind, weil sie Zuflucht suchen, festmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Deswegen möchte ich an Sie, Herr Bundeskanzler, appellieren: Lassen Sie uns diese Debatte in aller Schärfe führen, aber nicht auf dem Rücken der Armsten der Armen und der Schwächsten der Schwachen in diesem Lande! Wir wissen nur zu gut, was dies bedeuten kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Meine Damen und Herren, wir haben ja einen erstaunlichen Jahreswechsel erlebt. In vorweihnachtlicher Erregung erlebten wir das Affentheater um die Frage der Senkung des Solidaritätszuschlags. Die F.D.P. mußte dabei in die Knie gehen. Ein schlichter Wahlbetrug kam dabei heraus - nicht wahr, Herr Westerwelle? Sie sind doch vor den Landtagswahlen durch die Gegend gezogen und haben verkündet: Mit uns wird der Solidaritätszuschlag gesenkt. Daraus ist jetzt nichts geworden.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wird er auch!)

- Wird er?

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ja!) - Und die Steuerreform macht ihr auch?


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sie haben es verstanden!)

- Ich komme nachher noch darauf.

Joseph Fischer (Frankfurt)

Ich finde es hervorragend; ihr schlagt wunderbare Dinge vor. Ich kann fast sagen: Das, was Theo Waigel uns beschert hat, ist ein verschobenes Weihnachtsfest. Er kam ja mit der großen Bescherung der 30 Milliarden DM Nettoentlastung. Ich könnte Sie fast dafür küssen, wenn das Realität würde, mein Lieber.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die entscheidende Frage aber haben Sie nicht beantwortet - nur deswegen habe ich dazwischengerufen: dann werden Sie jeweils laut -: Sie müssen Fakten nennen, wie Sie diese Löcher und unter anderem auch den Revitalisierungsversuch der F.D.P., nämlich den Soli-Zuschlag - übrigens gegen Ihre eigene Überzeugung - endgültig zu senken, finanzieren wollen. Sie aber kommen mit Glaube, Hoffnung, Liebe und sehr viel Lärm.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Mit der Mehrwertsteuer!)

Nein, meine Damen und Herren, so einfach wird das nicht gehen. - Ich komme aber noch auf die Steuerreform zu sprechen. Gedulden Sie sich bis dahin.
Ich würde gerne, bevor wir polemisch werden - Polemik muß bei diesem brennenden Thema sein -, zumindest in der Analyse den sachlicheren Teil vorschalten. Den Jahreswirtschaftsbericht, Herr Bundeskanzler, haben Sie angeführt. Dieser Jahreswirtschaftsbericht hat für mich zwei sehr deprimierende Konsequenzen.
Die erste Konsequenz ist: Selbst wenn die optimistische Prognose 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr stimmt, wird es keine positiven Arbeitsplatzeffekte geben. Das können wir als Diskussionsfaktum, glaube ich, streitfrei stehenlassen.
Die zweite Konsequenz, Herr Bundeskanzler - darüber haben Sie als Kanzler der Einheit leider viel zuwenig geredet -, ist: Selbst wenn die Rexrodt-Prognose, die von 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum für 1997 in Ost und West ausgeht, und nicht die Prognose des DIW zutrifft, die von 2 Prozent Wachstum West und 1 Prozent Wachstum Ost ausgeht, bedeutet das nicht nur, daß die Arbeitslosigkeit in Ost und West noch zunehmen wird - im Osten auf einen wesentlich höheren Sockel -, sondern auch, daß der Osten weiter zurückfallen wird, weil er mindestens 4 bis 6 Prozent Wachstum braucht, wenn er eine Perspektive haben will, mit der Bundesrepublik West gleichzuziehen.
Was wird eigentlich aus dem Einheitsprozeß? Wenn ich sehe, wie die Konjunktur in Ostdeutschland zusammenbricht und auf welch hohem Sockel die Arbeitslosigkeit ist, was die Menschen in Ostdeutschland bedrückt, dann hätte ich mir vom Kanzler der Einheit gewünscht, daß er im Klartext sagt, was er angesichts dieser Situation eigentlich zu tun gedenkt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1315501700
Angesichts dieser Situation finde ich es pervers, den Solidaritätszuschlag abzusenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts dieser Situation finde ich es grottenfalsch. Ich weiß, daß Sie das genauso sehen. Doch die F.D.P. soll den Nachweis bringen können: Wir sind die Partei der Besser-und-Bestverdienenden; wir senken die Steuern, auch wenn das gegen jedes Gemeinwohl geht. Nein, meine Damen und Herren, die Lage ist in der Tat äußerst alarmierend und deprimierend.
Lassen Sie mich noch die Folgen der Arbeitslosigkeit für die Menschen, aber auch für Wirtschaft und Gesellschaft ansprechen. Das große Problem ist doch, daß bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit mehr und mehr Menschen dauerhaft von einem selbstbestimmten Leben, von der gesellschaftlichen Teilhabe durch Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden und unter den Druck der wirklichen Verarmung geraten.
Wir sind kein Land, in dem die Mehrheit unter den Brücken schläft. Wir sind nach wie vor ein reiches Land. Wir sind nach wie vor ein Sozialstaat. Aber wir können nicht ignorieren, daß Armut in diesem Lande zunimmt. Diese Armut verdient unsere Aufmerksamkeit. Denn eines glaube ich nicht: daß wir den amerikanischen oder den angelsächsischen Weg werden gehen können, wenn wir diese Gesellschaft auseinanderbrechen lassen.
Die Armutsentwicklung und übrigens auch die Reichtumsentwicklung sind dafür Indikatoren. Je weiter die Extreme auseinandergehen, desto mehr wird diese Gesellschaft auseinanderbrechen. Dann, glaube ich, werden wir das Potential für neue Radikalismen schlimmster Tradition in diesem Lande schaffen. Das kann nicht im Interesse einer demokratischen Partei sein, egal, welcher wir uns in diesem Hause zuordnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Deswegen, Herr Bundeskanzler, aber natürlich auch unter dem Aspekt, daß die Massenarbeitslosigkeit den Druck auf die sozialen Sicherungssysteme unglaublich verschärft, weil die Einnahmenseite wegbricht und gleichzeitig die Posten auf der Ausgabenseite steigen, müssen wir etwas tun. Da nützt es nichts, die christdemokratisch gedämpfte Variante der Ideen von Maggie Thatcher und Ronald Reagan einfach nur runterzubeten. Vielmehr muß man an die Substanz dessen gehen, was die Innovationsschwäche in diesem Lande ausmacht.
Verdammt noch mal, reden Sie doch mit dem Kollegen Repnik oder meinetwegen auch mit dem Kollegen Schäuble, dem ich von hier aus alles Gute und baldige Genesung wünsche. Reden Sie mal mit Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit. Sie werden dann feststellen: Unsere Lohnkosten sind zu hoch. Die Nettolöhne sind aber nicht zu hoch. Da liegen wir im internationalen Vergleich im mittleren Be-

Joseph Fischer (Frankfurt)

reich. Das heißt, wir sind voll konkurrenzfähig. Vielmehr sind die Lohnzusatzkosten viel zu hoch.
Der Rentenbeitrag ist bei einer einmaligen Höhe von über 20 Prozent angelangt. Nichts spricht dafür, daß wir diesen Beitrag, wenn es so weitergeht, dauerhaft werden senken können. Auch die Projektion der Blüm-Kommission setzt hier eher Fragezeichen, als daß sie Hoffnung auf Lösungen aufkommen läßt.
Für mich ist der entscheidende Punkt: Wenn eines der wichtigsten Investitionshemmnisse, wenn einer der wichtigsten Motoren des Freisetzens von Arbeitskraft zugunsten von Automatisierung in diesem Lande die Höhe der Lohnnebenkosten ist, dann müssen wir diese senken. Das bekommen Sie nicht über die von Ihnen vorgeschlagene Steuerreform hin. Damit hat das überhaupt nichts zu tun.
Wenn Sie drei bis vier Prozentpunkte etwa bei den Rentenversicherungsbeiträgen herunter wollen und eine seriöse Politik machen wollen, dann erreichen Sie das nicht, indem Sie à la F.D.P. oder à la Waigel verkünden: Wir senken, aber wir wissen nicht, wie wir es gegenfinanzieren; irgendwie werden wir es schon beibiegen und vor allem von den mittleren und unteren Einkommen holen. Vielmehr müssen Sie die Lohnnebenkosten um vier Prozentpunkte senken, indem Sie eine neue Steuer einführen. Ich meine allerdings keine Mehrwertsteuererhöhung. Sie müssen endlich begreifen, daß wir, indem wir über eine Ökosteuer den Energieverbrauch besteuern, ein Gegenfinanzierungspotential haben, um endlich zu der Senkung der Lohnnebenkosten zu kommen. Dann kann Norbert Blüm Arbeitsminister bleiben und muß nicht zurücktreten. Mit einer solchen Steuer können wir auch neue Märkte erschließen, weil Technologien plötzlich marktgängig werden, die bisher nicht marktgängig waren. Darüber hinaus hätten wir positive Arbeitsmarkteffekte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Man könnte verrückt werden, daß dies nicht begriffen wird.
Dann kommen Sie und sagen: Betriebe wandern ins Ausland ab. Meine Güte, diese Mär kenne ich seit 1985 in Hessen. Dort wollten alle ins Ausland abwandern. Dann haben sie Sie in Rheinland-Pfalz gesehen und haben gesagt: Wir bleiben lieber da. Dann hatten sie sofort genug.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nicht einer ist ausgewandert.
Niemand verlangt, bei einer Ökosteuer von Null sofort auf 100 zu gehen. Wir wollen kluge, zeitlich gestaffelte Einführungsschritte. Dadurch werden wir eine Umstellung der Unternehmen bewirken, sie werden sich dementsprechend anpassen. Auch die Verbraucher werden sich entsprechend anpassen.
Ich sage Ihnen nochmals: Wo, glauben Sie, liegt die Zukunft des deutschen Automobilbaus? Daß es so bleibt wie bisher? Da wird immer gesagt, die Grünen fordern 5 DM für den Liter Benzin. Eine schreckliche Veranstaltung! Wenn sich diese Bundesregierung in einem Anfall von Vernunft dazu durchringen könnte, einen solchen Schritt über zehn Jahre in Gesetzesform umzusetzen, dann würden die Verbraucher und dann würde die Industrie unmittelbar reagieren. Im Endeffekt wären 100 gefahrene Personenkilometer nicht teurer, weil wesentlich weniger Sprit verbraucht würde. Die einzigen, die zu den Verlierern gehörten, wären die Mineralölkonzerne, die Ölscheiche, die Briten oder wer auch immer dieses Öl produziert. Warum wird das nicht gemacht? Wir hätten damit gleichzeitig die Möglichkeit, die Sozialversicherungssysteme zu entlasten.
Sehen Sie sich die Zahlen doch an, zum Beispiel den wunderbaren Bericht des Freistaats Sachsen und des Freistaats Bayern über die Ursachen der Arbeitslosigkeit! Dort steht, wie sich die Lohnsumme in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung entwickelt. Sie wissen doch, daß die volkswirtschaftliche Bedeutung der Lohnsumme Jahr für Jahr abnimmt, daß sie in der Kumulation der nächsten Jahre weiter abnehmen wird und gleichzeitig die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zunehmen. Welchen Sinn macht es denn dann, dieses immer weiter abschmelzende Segment zu belasten, statt es zu entlasten? Eine Ökosteuer kann hier meines Erachtens einen wesentlichen Beitrag leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen: Das ist die Innovationsschwäche am Standort Deutschland. Herr Bundeskanzler, diese Innovationsschwäche werden Sie mit den Arbeitsplätzen in der Biotechnologie - Sie haben die Zahlen ehrlicherweise genannt - nicht überwinden. Es ist auch nicht eine Frage der Technikfeindlichkeit ein paar Grüner. Ich wollte, wir wären so stark, daß wir Helmut Kohl daran hindern könnten, irgend etwas zu klonen. Das schaffen wir leider nicht, das bekommen wir nicht hin.
Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist: Haben wir die Gelegenheiten, die sich geboten haben, wirklich genutzt? Sie haben in einer beeindruckenden Neujahrsansprache - ich habe alle 14 von Ihnen mitbekommen, eine sogar zweimal -

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren nur 13; eine wurde wiederholt!)

zum erstenmal etwas getan, wozu wir Sie lange aufgefordert haben. Sie haben gesagt:
Die Globalisierung der Wirtschaft, die dramatischen Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung und die ökologischen Aufgaben unserer Zeit sind Tatsachen.
- Daraus sollten Sie endlich einmal Konsequenzen ziehen. -
Wir Deutschen können nicht einfach weitermachen wie bisher.

Joseph Fischer (Frankfurt)

Da dachte ich mir: Warum sagt er das sechs Jahre zu spät, warum nicht am 3. Oktober 1990? Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, die deutsche Einheit ist ein großes Geschenk, und Sie werden in den Geschichtsbüchern als Kanzler der Einheit Erwähnung finden und - ich meine das überhaupt nicht ironisch und zynisch - Ihren Platz - ich meine, einen großen Platz -, haben. Aber ich frage mich: Warum sagen Sie das erst jetzt? Denn die Geschichte hat Ihnen eine Lokomotive der Veränderung für dieses Land geschenkt. Diese haben Sie in den Schuppen gestellt und dort verrotten lassen. Das ist das große Problem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Heute müssen Sie unter Aufbietung von viel Energie das Ganze bewältigen. Vermutlich wird es Sie Ihre politische Existenz kosten. Wenn ich das heute richtig mitbekommen habe, dann sieht es sozusagen wie eine Kanzlerdämmerung aus. Da mögen Sie, Herr Bundeskanzler, lachen. Ich habe mir weniger Sie angeschaut als Ihre Truppen. Die Gesichter hätten Sie mal sehen sollen.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die haben Bände gesprochen, trotz des Lärms, den Theo Waigel veranstaltet hat.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: War nicht schlecht, gell?)

- War nicht schlecht. Ich komme gleich noch zu Ihnen und zu dem, was schlecht ist.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Es ist schon recht!)

Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt ist ein anderer. Wir wollen das Defizit schließen. Die deutsche Einheit haben wir nicht genutzt, aber der Bereich des ökologischen Umbaus bietet eine Chance. Wir dürfen dort allerdings nicht weiter säumig sein und auf Projekte wie den Transrapid setzen. Das Ganze ist doch nicht so, wie es sich Klein Fritzchen vorstellt: ein gewaltiges Disneyland.
Wir sind keine Gegner der Magnetbahnschwebetechnik gewesen. Nur, unsere Position war immer die: Die Rad-Schiene-Technik steht heute vor einem Quantensprung. Sie steht vor einem Quantensprung sowohl bezogen auf die Güterlogistik im Fern- und Nahverkehr als auch bezogen auf den Personennahverkehr, wo die meisten Verkehre stattfinden. Sie steht vor allen Dingen vor einem Quantensprung in der Hochgeschwindigkeitstechnik, in der dieses Land alles andere als schlecht ist und meines Erachtens in der Lage ist, Rückstände aufzuholen.
Unsere Meinung war immer: Das Geld kann nicht zweimal ausgegeben werden. So wie wir in den 70er Jahren bei der Windenergie mit einem einzigen Vorzeigeprojekt, Growian, an der norddeutschen Küste einen Fehler gemacht haben, während die Dänen dezentrale Anlagen gebaut und verkauft haben - übrigens mit großem Exporterfolg -, so sind wir auch jetzt wieder, beim Transrapid, drauf und dran, einen Fehler zu machen. Denn er ist technisch nicht ausgereift, und die Probleme sind nicht gelöst. Vor allen Dingen paßt er nicht in das System, das wir jetzt brauchen, nämlich eine zweite Eisenbahnrevolution mit allen Investitionen, die eine solche notwendig macht.
Sie halten am Transrapid fest, anstatt wirklich einmal die Frage des ökologischen Umbaus durchzudeklinieren: Erneuerung des Energiesystems, Lösung der Verkehrsprobleme - und das alles über eine ökologische Steuerreform. Es geht darum, die Weichen neu zu stellen, so daß die hiesige Automobilindustrie eine Zukunft im Wettbewerb mit den kommenden Konkurrenten aus Fernost hat.
Das sind die Aufgaben, die jetzt angepackt werden müssen, um das Innovationsdefizit zu schließen. Dasselbe gilt für die Bankenstruktur und die Finanzierungsstruktur. Sie trauen sich nur an Halbheiten und Viertelheiten. Darin liegt das eigentliche Innovationsdefizit in diesem Lande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nun haben Sie sich ermannt

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und haben den ersten Schritt zur notwendigen Reform gemacht. Herr Bundesfinanzminister, wir machen da nicht in Fundamentalopposition. Dann, wenn Sie die richtigen Dinge aufnehmen - wenn Sie das im Umweltbereich und bei der Ökosteuer täten, würden wir noch echte Waigel-Fans werden; das würde Ihnen bei Edmund Stoiber noch mehr Probleme machen, als Sie eh schon haben; ich gebe es zu -, werden wir Sie nicht nur kritisieren, sondern Sie auch unterstützen.
Wir begrüßen den niedrigeren Eingangssteuersatz. Wir begrüßen nachhaltig auch die Beseitigung von Subventions- und Steuerumgehungstatbeständen. Wir sind bereit, mit Ihnen die Frage der Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen hier offen zu diskutieren. Dazu fand ich Ihren Beitrag sehr interessant. Sie fragten: Warum soll der Staat auf die Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen verzichten? - Dann müssen Sie konsequent sein. Es hat, wenn Sie konsequent sind, zwei Folgen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Höhere Löhne!)

Die erste Folge sind höhere Löhne. Dann werden wir das, was die Diplomaten in Zukunft an Steuern zu zahlen haben, Herr Kinkel, im nächsten Haushalt draufsatteln müssen. Dann würde das Ganze Sinn machen, und dann hätte ich relativ wenig Probleme. Wenn es allerdings auf eine Lohnsenkung hinauslaufen würde, hätte ich sehr große Probleme.

(Zuruf von der SPD: Wir auch!)

Sie werden, wie ich unsere Gewerkschaften kenne, genau diesen Kostendruck auslösen. Das heißt, Sie werden das Gegenteil von dem erreichen, was Sie vorgaben erreichen zu wollen.

Joseph Fischer (Frankfurt)

Das zweite ist: Dann müssen Sie natürlich auch bei Kollegen Blüm konsequent sein. Dann darf es nicht nur um die familienwirksamen Leistungen der Rentenkasse gehen; dann muß man vielmehr sagen: Okay, der Staat subventioniert nicht. Dann müssen aber alle versicherungsfremden Leistungen heraus; dann darf die kleine Solidargemeinschaft der Sozialversicherten nicht Lasten der großen Solidargemeinschaft der Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland übernehmen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das müssen Sie aber definieren!)

Das hat dann aber ganz unmittelbar Konsequenzen für Herrn Waigel, weil dann die Gegenfinanzierung seiner Tarifreform endgültig in unendliche Weiten rücken wird und er nicht mehr weiß, wie er mit diesen Haushaltslöchern umgehen soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen, Herr Waigel: Sie müssen konsequent sein. Was wollen Sie denn haben? - Wir sind gern bereit, sowohl die eine als auch die andere Variante zu diskutieren. Nur, was wir nicht mitmachen werden, ist, das Motto „Wir wollen mehr Steuergerechtigkeit durch Besteuerung von Einkommensarten, die bisher nicht besteuert wurden" bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umzusetzen, während man die anderen schont. Ich habe einen guten Bekannten, der Immobilienmakler ist. Er hält eine Immobilie in der Regel 12 Jahre, bevor er sie gewinnbringend verkauft, was ihm zu gönnen ist. Er wird auch in Zukunft diesen Gewinn steuerfrei einstreichen können.
Nein, Herr Waigel, Sie sind an diesem Punkt inkonsequent, oder Sie sind konsequent inkonsequent, nämlich nach Ihrem Muster: Wir nehmen es vor allen Dingen von denen, die lohnabhängig beschäftigt sind, und geben es denen, die mehr haben, die vor allen Dingen über Spitzeneinkommen verfügen und Vermögens- und Kapitaleinkünfte beziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])

Dann müssen Sie konsequent sein.
Ich weiß, warum Sie nicht konsequent sind. Ich komme jetzt zu Ihrem Petersberger Zukunftstarif. Eine schöne Sache. Ich sage Ihnen: Auch da verstehe ich Ihre Argumentation nicht. Ich höre Ihnen mit Genuß hier schon länger zu. Ich frage Sie: Warum haben Sie das nicht schon früher gemacht, wenn die These, die Sie vorbringen, richtig ist, wonach geringere Steuersätze zu mehr Steuereinnahmen führen? Dann müßten Sie wegen Steuerverhinderung zurücktreten.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere mich an Waigel-Reden, in denen er sagte: Das geht nicht. Das darf man nicht machen. Ich las in der Zeitung, welche großen Probleme auf uns zukommen und ähnliches mehr. - Es mag ja sein, daß es so etwas wie einen kleinen Selbstfinanzierungseffekt gibt. Sie werden trotzdem eine zeitliche Lücke zu überbrücken haben. Nun passiert etwas, was eigentlich nur im Science-fiction-Roman oder in der Bonner Koalition - wie wir jetzt feststellen - möglich ist: Theo Waigel begegnet sich selbst.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Steuersenker Waigel begegnet dem MaastrichtKriterien-Waigel. Daran kommt er nicht mehr vorbei. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann haben Sie ja vor allen Dingen gegen die bösen Italiener, Franzosen und andere durchgesetzt, daß die MaastrichtKriterien nachhaltig zu gelten haben.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das steht im Vertrag!)

- Wunderbar. Das steht im Vertrag. Gut.
Dann frage ich Sie aber: Wie wollen Sie denn eigentlich dieses Waigelsche Weihnachtsfest finanzieren? Wir könnten uns gern mit vielem anfreunden, wenn Sie uns endlich sagten, wie Sie - Theo als Nikolaus oder Christkind verkleidet - diesen Tarif finanzieren wollen. Eines glauben wir Ihnen nicht - da stimme ich Oskar Lafontaine zu -, nämlich daß Sie die Steuersenkung, die Sie vor dem Wahltag verkündet haben, dann auch nach dem Wahltag durchführen werden. Nach dem Wahltag wird vielmehr aus dem Christkind ein sozialpolitischer Beelzebub. Das machen wir nicht; das wollen wir nicht. Wenn Sie ein solches Vertrauen in die solide Finanzierung Ihrer Steuerreform haben - ich hoffe in Ihrem Interesse, sie ist solide finanziert;

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ist sie nicht!)

ich hoffe es; Sie wissen, sie ist nicht solide finanziert; deswegen kann ich es hoffen -,

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie müssen damit vor die Wähler treten.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Jawohl!)

Haben Sie den Mut dazu! Sagen Sie den Leuten nicht nur, wo sie entlastet werden, sondern auch, daß Sie heute schon ein Defizit von 44 Milliarden DM haben. Sie müssen auch noch weitere kumulierte Risiken, unter anderem die Senkung des Solidaritätszuschlages und anderes, eventuell noch Maastricht-Turbulenzen und Ihre Haushaltslöcher, die 1996 in einer Deckungslücke von 18 Milliarden DM und 1997 in einer Deckungslücke von 10 bis 17 Milliarden DM bestehen, hinnehmen. Herr Waigel, ich hätte mir gewünscht, daß Sie, anstatt eine Fortsetzung Ihrer Rede zur Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst" - das war amüsant - zu bringen, zu einem Artikel des „Handelsblatts" von heute mit der Überschrift „FDP drängt auf Haushaltssperre" Stellung nehmen. Dort finde ich Dinge, die ich Ihnen gern vorlesen möchte, weil Sie so beredt dazu geschwiegen haben:

Joseph Fischer (Frankfurt)

Wie weiter verlautete, lehnt Waigel den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geforderten Nachtragshaushalt 1997 nach wie vor ab. Nach Einschätzung von Koalitionskreisen könnte dies jedoch schwierig werden. Denn wegen der überplanmäßigen Neuverschuldung im letzten Jahr von 18,4 Mrd. DM sind die bisher von Waigel nicht ausgenutzten Kreditermächtigungen aus früheren Jahren von 21,6 auf 3,2 Mrd. DM geschmolzen.
Jetzt hören Sie gut zu:
Neben der für 1997 vorgesehenen Neuverschuldung von 53,3 Mrd. DM stehe Waigel damit nur ein Schuldenrahmen von insgesamt 56,5 Mrd. DM zur Verfügung. Waigel habe angedeutet, daß er deshalb eventuell Kredite im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1998 aufnehmen könnte.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Stimmt das? Es würde das Haus sicher interessieren, ob das stimmt, ob Sie wirklich mit dem Gedanken spielen.
Nach dem Haushaltsgesetz ist das ab Oktober in Höhe von bis zu 6 % des diesjährigen Kreditrahmens von 56,5 Milliarden DM möglich. Da von dieser Vorgriffsermächtigung in der Geschichte der Bundesrepublik bisher kein Finanzminister Gebrauch gemacht hat, wäre dies freilich ein spektakulärer Akt. Die Haushaltspolitiker der Koalition sollen Waigel denn auch davon abgeraten haben, zumal auf diese Weise die Probleme nicht gelöst, sondern nur verschoben würden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist die Realität. Das heißt, der Herr der schwarzen Löcher diskutiert über Entlastungen in Höhe von weiteren 30 Milliarden DM, insgesamt von 44 Milliarden DM, vermutlich über 60 Milliarden DM, das aber gleichzeitig begrenzt durch das Waigelsche Diktum: strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien auch über das Bezugsjahr 1997 hinaus.
Ich frage Sie: Wie soll denn das alles gehen? Sie dürfen doch nachts eigentlich gar nicht mehr schlafen können, wenn Sie Ihre Verantwortung ernst nehmen. Wie wollen Sie das alles gegenfinanzieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mein Schlaf geht Sie gar nichts an! Außerdem schlafe ich besser als Sie!)

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1315501800
- „Mein Schlaf geht Sie wirklich nichts an." Da haben Sie völlig recht. Das ist das einzig Richtige, was Sie bisher beigetragen haben.
Es ist doch völlig klar, worauf das hinauslaufen wird. Nach der Wahl, wenn die Löcher zugemacht werden müssen, würden Sie, wenn Sie an der Regierung bleiben würden, was ich nicht hoffe, alles selbstverständlich wieder einsammeln. Die Tarife würden zwar bleiben, aber was den Menschen heute als Entlastung verkauft wird, werden Sie über Steuererhöhungen - sprich: Mehrwertsteuererhöhung - wieder hereinholen. Ich kann Oskar Lafontaine nur nachdrücklich zustimmen.
Daß wir Massenkaufkraft abschöpfen, um den Spitzeneinkommenstarif zu entlasten - und das hieße, dort die Anlageschwierigkeiten zu erhöhen -, ist ökonomisch absurd und sozialpolitisch ein Skandal. Diese Vorgehensweise ist absurd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es wird zu neuen Haushaltskürzungsrunden führen. Es wird dazu führen, daß wir Investitionen weiter kürzen: noch weniger Wissenschaft, noch weniger Forschung, noch weniger Rüttgers. Lesen Sie sich einmal durch, was die Präsidenten der wichtigsten Forschungsinstitute gesagt haben. Es geht zu Lasten der Zukunft.
Ich sage Ihnen: Es wird auch zu Lasten der sozialen Transfers gehen, so daß am Ende wieder die Bezieher von unteren und mittleren Einkommen diejenigen sind, die gekniffen werden, die von dieser Koalition gebissen werden. Davor kann ich nur warnen.
Deswegen: Wir sind für eine Steuerreform, aber sie soll aufkommensneutral sein. Wenn die Tarife nicht finanzierbar sind, dann muß man das sagen. Wir halten es für besser, das Geld über eine Ökosteuerreform direkt in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu geben. Es ist wichtiger, zu einer Absenkung bei den Lohnnebenkosten, die wirklich wirkt, zu kommen; denn das wäre ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort.
Wir sind jedoch entschieden dagegen, eine Steuerreform zu machen, die das Gegenteil von solide finanziert ist und die letztendlich auf einen gigantischen Wählerinnen- und Wählerbetrug hinausläuft, nämlich: vor den Wahlen die Entlastung zu versprechen und nach den Wahlen alles zu Lasten derer wieder einzukassieren, die in diesem Land die wirklichen Leistungsträger sind, und die wählen nicht die F.D.P.

(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beifall bei der SPD und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315501900
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1315502000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Veränderungen und Reformen protestieren immer viele. Das muß man erwarten, darauf muß man sich einstellen. Wenn man Staatsausgaben absenken will, protestieren Wohngeldberechtigte, Bergleute und viele erhaltungssubventionierte Bereiche.
Bei einer konsequenten Steuerreform protestieren all diejenigen, die bisher in diesem Dickicht relativ bequem gelebt haben. Bei der Gesundheitsreform - das wissen wir - protestieren Teile der Ärzteschaft, die Belegschaften der Krankenhäuser und Teile der

Dr. Wolfgang Gerhardt
Pharmaindustrie. Bei der Individualisierung der Arbeitsbeziehungen protestieren die Gewerkschaften und manche Arbeitgeber.
Gegen die 4 Millionen Arbeitslosen protestieren alle, aber wir müssen eine Steuerreform in Gang setzen, und zwar nicht für die Verteilung zwischen denen, die Beschäftigung haben, sondern als Chance für die, die Beschäftigung suchen. Darum geht es uns bei unserem Vorhaben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im „Bulletin" der Bundesregierung - Herr Kollege Fischer, daran erinnere ich mich, wenn Sie hier Zahlen vortragen und gemeinsam mit Herrn Lafontaine beschwören, was alles nicht geht - schrieb Ludwig Erhard 1953:
Bei der Beurteilung der sich aus der Aufgabe ergebenden Situation drängt sich geradezu ein Vergleich mit den Problemen auf, die im Jahre 1948 mit der Währungsreform und der gleichzeitig erfolgten wirtschaftspolitischen Umschaltung von Plan- und Zwangswirtschaft zur Marktwirtschaft zu lösen waren. Gerade ich weiß ein Lied davon zu singen, wie man mir damals mit Hilfe von Statistiken, graphischen Darstellungen, Rohstoffbilanzen, Produktions- und Verbrauchszahlen, Außenhandelszahlen scheinbar schlüssig und rational die Unmöglichkeit der Aufhebung der Bewirtschaftung, der Rationierung und der Preisbindungen beweisen wollte. Von der Schau der Planwirtschaft aus waren diese Zahlen und die darauf gestützten Prognosen zweifellos auch nicht zu widerlegen.
Dann kommt der entscheidende Satz:
Angreifbar war allein die geistige Grundhaltung dieser Konzeption, die den gesellschaftswirtschaftlichen Prozeß lediglich als das Ergebnis oder eigentlich nur als Addition von wirtschaftlichen Zahlen und materiellen Fakten begriff, ohne die hinter dem Geschehen wirksamen menschlichen Kräfte in das Kalkül einzubeziehen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist der Unterschied zwischen Ihnen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, und Ihnen, Herr Fischer, und der Koalition. Sie argumentieren strukturell sklerotisch, während wir Vertrauen auf Dynamik setzen, die wir in Gang setzen wollen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist denn die Dynamik?)

Unser Land hat entscheidende Standortvorteile. Wir haben eine hochleistungsfähige medizinische Versorgung. Wir haben - bei allen Problemen - ein gutes Bildungssystem mit einem großen öffentlichen Angebot. Wir haben hochqualifizierte Arbeitnehmer und eigentlich alle Chancen. Aber wir haben eben auch entscheidende Nachteile, die in einer zu hohen Steuer- und Abgabenlast liegen und, wie wir bei dem Festvortrag anläßlich des 100. Geburtstages von
Ludwig Erhard hören konnten, noch nicht einmal allein in der Steuer- und Abgabenlast, sondern in der Strangulierung aller Lebensbereiche, die wir uns in Deutschland angelacht haben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sind die beiden Kernfragen. Deshalb sage ich Ihnen: All das, Herr Ministerpräsident Lafontaine und Herr Fischer, was Sie vorgetragen haben, ist doch ausprobiert worden. Die Frühverrentung ist ausprobiert worden, die Wochenarbeitszeitverkürzung ist ausprobiert worden, die Erhöhung der Sozialhilfe, die Arbeitslosenhilfe, das Arbeitslosengeld, alles, was soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit bedeutet, ist ausprobiert worden. Aber wir haben 4 Millionen Arbeitslose. Gescheitert sind sozialdemokratische Rezepte der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Das muß klar genannt werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das etwa, daß Helmut Kohl ein Sozialdemokrat ist?)

- Sie kann ich hier nicht überzeugen, Herr Fischer, vielleicht aber diejenigen, die hier zuhören und sich informieren.
Deshalb möchte ich hier noch einmal sagen: Wissen Sie eigentlich, wie Beschäftigung in Deutschland entsteht und wer Arbeitsplätze in Deutschland schafft? Das ist nicht der öffentliche Haushalt, und das ist nicht ein Beschäftigungsprogramm, das Frau Engelen-Kefer wünscht. In Deutschland schaffen Menschen Arbeitsplätze, die ihr Vermögen zusammennehmen, sich bei der Bank einen Kredit holen, darauf schon Gewerbesteuer nach Kapital bezahlen, bevor sie ein Produkt oder eine Dienstleistung verkauft haben, manche schlaflose Nacht darüber verbringen, wie die Auftragslage im nächsten Vierteljahr aussehen wird, von sozialdemokratischen Bürgermeistern im Gewerbegebiet der Gemeinde beglückwünscht werden, wenn sie den Betrieb erweitern, und abends in der Versammlung der Genossen noch mehr zur Ader gelassen werden sollen, obschon am nächsten Tag derselbe Bürgermeister sie darauf anspricht, ob sie nicht einen Ausbildungsplatz für seinen Enkel oder seinen Sohn hätten. Das ist unehrlich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Solchen Sozialdemokraten begegne ich überall, und die sollen mir nicht etwas von Gerechtigkeit und Solidarität erzählen. Solidarität hat etwas damit zu tun, ob man sich mit denen solidarisch erklärt, die Arbeit suchen, oder ob man sich in Tarifverhandlungen mit denen solidarisch erklärt, die Arbeit haben. Für die Freien Demokraten erkläre ich: Lohnzurückhaltung ist der tiefste Ausdruck einer Solidarität mit denen, die Arbeit suchen, und kein spätkapitalistisches Instrument.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315502100
Herr Kollege Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1315502200
Nein. - Die Reform der notwendigen Systeme ist nicht ein Ausdruck derer, die Menschen ans Leder wollen, sondern derer, die wissen, daß die Sicherungssysteme, die wir uns geschaffen haben, heute Barrieren gegen Arbeitsplätze darstellen und deshalb reformiert werden müssen, um wieder Chancen für Arbeitsplätze zu haben. Deshalb ist die Politik der Übernahme der Risiken durch den Staat und die Politik des Glaubens, der Staat könne alles lösen, beendet.
Die Parteien, Herr Ministerpräsident Lafontaine, stehen auch vor dieser Herausforderung. Ich sage Ihnen mit Blick auf den hessischen Kommunalwahlkampf: Alte Wahlkämpfe nach dem Motto: Wer bietet mehr? gehören der Vergangenheit an.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer sie noch führt, sagt den Menschen nicht die Wahrheit. Wer in Hessen einen solchen Wahlkampf mit dem Hinweis führt, wir seien brutal und Sie seien die Retter der Systeme, der sagt der nachfolgenden jungen Generation nicht die Wahrheit. Denn wenn wir Systeme nicht ändern, wird diese Generation keine Zukunftschancen haben, und wenn wir Sicherungssysteme in den Beiträgen nicht reduzieren und explosive Kostenentwicklungen nicht herausnehmen, werden Arbeitsplätze teurer. Dann werden die nächsten Tarifverhandlungen wieder mit dem Argument geführt, daß man mehr brauche, dann werden sie nochmals teurer, dann entsteht Arbeitslosigkeit, und dann sagt Frau Engelen-Kefer wieder: Jetzt brauchen wir ein großes Beschäftigungsprogramm. - Diese deutsche Todesspirale der Uninformiertheit muß beendet werden, wenn wir in Deutschland wieder Beschäftigung haben wollen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Lachen bei der SPD)

Es kann deshalb auch bei der Steuerreform kein In-sich-Geschäft geben. Die Steuerreform wird nicht gemacht, um noch einmal Umverteilungsarien alter Art zu singen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sondern?)

Die Steuerreform wird gemacht, um einen Anschub für Beschäftigung zu geben.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wird die Mehrwertsteuer erhöht!)

- Deshalb, Herr Fischer, ist die Frage, ob man sie mit gutem Willen und in vielen Gesprächen über die Grenzen von Parteien hinweg vielleicht auch 1998 beginnen lassen könnte, nicht entscheidend. Bisher hat Herr Lafontaine nur gesagt, was er nicht will, aber das mit aller Kraft 1998. Er muß sagen, was er will. Eine Steuerreform der alten Umverteilung ist zu Beginn 1998 mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Über eine Steuerreform, die die Chance für Beschäftigung bietet und die Tarife absenkt, kann man für 1998 reden. Aber dann kann man die Öffentlichkeit nicht glauben machen, man könne diese Diskussion ohne Korrektur der eigenen politischen Position bestreiten.
Der Spitzensteuersatz ist nur noch einige Zeit einer ideologischen Diskussion zugänglich. Wenn man sich im Kern vergewissert, daß 90 Prozent aller deutschen Betriebe in Form der Personengesellschaft geführt werden, bei der der Inhaber das persönliche Risiko bis in sein privates Vermögen hinein eingeht, dann ist die Senkung des Spitzensteuersatzes für gewerbliche Einkommen keine Besserstellung der Reichen, sondern der Ausdruck der Chance für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Darum geht es.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im übrigen könnten wir auch etwas unvoreingenommener über versicherungsfremde Leistungen diskutieren. Ich erkläre das für die Freien Demokraten. Natürlich muß man bereit sein, in Systemen über versicherungsfremde Leistungen zu diskutieren. Aber man muß sie klar definieren. Nur Verschiebebahnhöfe - zu meinen, man nähme versicherungsfremde Leistungen heraus und hätte dann den entscheidenden Impuls für Beschäftigung gegeben - reichen nicht. Die Systeme selbst müssen verändert und reformiert werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im übrigen gilt das nicht nur bei der gesetzlichen Altersversorgung. Versicherungsfremde Leistungen finden wir in allen Systemen bis hin zum Gesundheitswesen. Da werden Sie von der Opposition sich wundern, welche gesellschaftlichen Rechnungen über versicherungsfremde Leistungen Ihnen andere Gruppen aufmachen. Ich kann deshalb nur appellieren, hinsichtlich der versicherungsfremden Leistungen nicht im Schlagabtausch zu verharren, sondern sie gemeinsam zu definieren.
Und dann sage ich der Opposition:

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das sagen Sie auch einmal der CDU! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sagen Sie das der CDU!)

Sie wird nicht darum herumkommen, eine der größten Haushaltsbelastungen plus Versicherungsbezuschussungen in Deutschland auch in den Kohlerevieren zu diskutieren. 13,8 Milliarden DM für die Knappschaft plus 10 Milliarden DM für die Steinkohle betreffen nicht nur das Thema versicherungsfremde Leistungen, sondern sind eine Vergeudung der Zukunft auf Kosten der Vergangenheit. Diese Frage muß beantwortet werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie können nicht aus dem Saarland anreisen und dauernd die Frage stellen, warum das die Bundesregierung erst heute macht. Sie kommen aus einem Revierland, in dem Sie seit einem Jahrzehnt den Menschen die Wahrheit über ein Produkt verschweigen, das bei Ih-

Dr. Wolfgang Gerhardt
nen Beschäftigung garantiert, das aber von allen in Deutschland hoch subventioniert wird. Wer den Mut im eigenen Land nicht hat und eher angereiste Bundespolitiker aus der Koalition vor den Bergleuten beschimpft und angreift, der hat nicht den Glauben für sich gepachtet, der kann hier nicht so auftreten, wie Sie das getan haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja interessant! Ich möchte gern mal hören, was die CDU Nordrhein-Westfalen dazu sagt!)

Wer Subventionen für den Bergbau nicht reduziert, wer alte Subventionen sichert, wer dazu den Bund zur Kasse bittet, wer für das Saarland Ergänzungszuweisungen benötigt, wer seinen eigenen Haushalt nicht in Ordnung hält und Reformpolitik nicht im entferntesten benennt, der kann hier nicht als Retter der Nation auftreten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unerträglich!)

Eine Auseinandersetzung über Ihre Position, daß auf der einen Seite - bei der Opposition - diejenigen sitzen, die den sozialen Frieden gepachtet haben, und hier auf der anderen Seite diejenigen sitzen, die ihn nicht wollen, findet nicht statt. Sozialer Friede ist nur dann ein Standortfaktor, wenn er sich auch für diejenigen lohnt, die Beschäftigung suchen. Sozialer Friede nur für diejenigen, die Beschäftigung haben, reicht nicht aus. Deshalb ist sozialer Friede kein Monopol dieser Opposition.
Solidarität und Gerechtigkeit mit denjenigen, die einen Arbeitsplatz haben, und Tarifverhandlungen für diejenigen, auf die sich diese Tarife beziehen, zu begrüßen ist das Einfachste der Welt. Den Menschen aber zu sagen, daß sie sich verändern müssen, daß wir Flächentarifverträge für eine Flexibilisierung öffnen müssen und daß die sozialen Sicherungssysteme angesichts von 4 Millionen Menschen, die Beschäftigung suchen, reformiert werden müssen, das kostet mehr Mut, mehr Courage. Diese muß die Koalition haben. Das sage ich auch angesichts der Diskussion der letzten Tage. Diese Koalition wird in den Augen der Öffentlichkeit nur Respekt gewinnen und Anerkennung finden, wenn sie schwierige Fragen löst, wobei sie, wenn die Fragen entschieden worden sind, aber auch durchhalten muß.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese Steuerreform ist kein beliebiges Vorhaben. Sie ist kein Vorhaben wie jedes andere Gesetz. Diese Steuerreform entscheidet darüber, ob die Koalition in den Augen der Öffentlichkeit die Fähigkeit besitzt, dieses Land mit den richtigen Zielen in das nächste Jahrtausend zu führen, oder ob sie sie nicht hat.
Deshalb ist bei allen kritischen Bemerkungen zu dem einen oder anderen Punkt der Zusammenhalt von CDU/CSU und F.D.P. hinsichtlich der Ziele dieser Reform notwendig. Die Richtung stimmt. Wir haben die richtigen Grundentscheidungen getroffen. Wir wußten, daß es nicht nur seitens der Opposition Widerstand geben wird. Wer geglaubt hat, das werde ein einfacher Weg, der hat sich getäuscht. Nicht die
einfachen Wege, die alten Bequemlichkeiten, die Nichtveränderung und die Modernisierungsverweigerung werden dieses Land weiterbringen, sondern etwas Courage, Mut und auch etwas Kampfgeist. Die Richtung stimmt. Im Interesse der Beschäftigung in Deutschland sollten wir unsere Vorstellungen jetzt auch durchsetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315502300
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi das Wort.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1315502400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute eine Rede gehalten, die weniger selbstgerecht war als üblich. Sie haben sich wesentlich häufiger versprochen als sonst. Ich hatte den Eindruck, daß Sie insgesamt ziemlich unsicher wirkten. Ich glaube, das liegt letztlich daran, daß Ihnen die Probleme einfach über den Kopf wachsen.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb natürlich auch die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen. Folgendes stellt sich heraus: Die CDU liebt selbstverständlich ihren Vorsitzenden, aber sie liebt noch mehr die Macht. Wenn beides miteinander in Widerspruch gerät, dann würde sie sich letztlich immer für die Macht entscheiden. Das ist die Situation, in der wir uns heute befinden.

(Beifall bei der PDS)

Sie, Herr Bundeskanzler, haben versucht, die strukturellen Probleme der Arbeitslosigkeit zu analysieren, und haben dabei zwei Dinge genannt: Sie haben zum einen die Ausländerinnen und Ausländer erwähnt. Sie haben sie als Zuwanderer bezeichnet. Zum anderen haben Sie auf die Überstunden hingewiesen. Bei dem ersten Punkt, den Sie angeführt haben, spielen Sie mit dem Feuer. ,Man sollte in Deutschland nicht versuchen, soziale Probleme auf Kosten von Ausländerinnen und Ausländern zu lösen.

(Beifall bei der PDS)

Wer diese Art von Neid schürt, befürwortet und fördert damit Rechtsextremismus. Das ist das eigentlich Gefährliche daran.
Wenn Sie sich dabei auf Herrn Zwickel berufen, sage ich Ihnen, daß mir die Äußerung von Herrn Zwickel auch nicht gefallen hat. Immerhin hat er von Ihnen in diesem Zusammenhang ein Einwanderungsgesetz verlangt. Gegen ein solches Gesetz wehren Sie sich nun seit Jahren, weil Sie abstreiten, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist.

(Beifall bei der PDS)

Die zweite Frage, die Sie genannt haben, ist die der Überstunden. Nun verlangen Sie von der PDS und von anderen immer Ehrlichkeit in der Aufarbeitung von Geschichte. Ich hätte von Ihnen einmal erwartet, daß Sie sagen: Wir haben seit Jahren einen Fehler begangen. Denn wir haben uns gegen den

Dr. Gregor Gysi
Ratschlag der Opposition - übrigens auch der PDS -, die immer wieder gesagt hat, wir müßten Überstunden begrenzen, um Arbeitsplätze zu schaffen, verwahrt. Heute sehen wir ein, daß das ein großer Fehler war, und wollen unsere Politik korrigieren. - Ehrlicherweise hätten Sie wenigstens das zugeben müssen, wenn Sie dieses Thema ansprechen.

(Beifall bei der PDS)

Damit sind wir bei der entscheidenden Frage - Strukturprobleme haben Sie nicht angesprochen -: Produktivitätszuwachs und Schwächung der Binnennachfrage. In immer weniger Zeit wird von immer weniger Menschen immer mehr hergestellt. Das ist eine Tatsache, der man sich überhaupt nicht verschließen kann. Gleichzeitig läßt die Binnennachfrage nach. Das ist die eigentliche Ursache der Massenarbeitslosigkeit.
Wenn Sie dagegen etwas tun wollen, müssen Sie ganz ernsthaft über Arbeitszeitverkürzung nachdenken, und zwar strukturell: durch Begrenzung von Überstunden, aber auch durch darüber hinausgehende Maßnahmen. Wir haben vorgeschlagen, langfristig die Arbeitszeit um 20 Prozent zu reduzieren, ohne einen Kaufkraftverlust eintreten zu lassen, was nicht heißt, daß in jedem Fall ein voller Lohnausgleich erfolgen kann.

(Beifall bei der PDS)

Auf solche Konzepte müssen wir uns miteinander verständigen, wenn wir die Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen wollen.
In einer solchen Zeit brauchen wir einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Auch dagegen wehren Sie sich. Aber wenn der Staat in diesem Punkt - daraus könnten langfristig Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen - nicht hilft, dann wird die Arbeitslosigkeit nicht abzubauen sein. Sie hätten heute wenigstens zugeben müssen, daß Sie Ihr Versprechen, die Arbeitslosenzahlen bis zum Jahre 2000 zu halbieren, nicht halten können.
Zur „Philosophie", die Sie hier vertreten und die auch von Herrn Gerhardt vertreten worden ist: Herr Gerhardt, es ist schon eine Zumutung, wie Sie die ganze Zeit von den Arbeitslosen sprechen, als ob das wirklich Ihr Herzblut treffen würde. Ihre einzige Sorge in dieser Gesellschaft sind die Besserverdienenden. Reden Sie sich bei Ihrer Politik nicht auf die Arbeitslosen hinaus! Für die haben Sie in den vergangenen Jahren noch nie etwas getan.

(Beifall bei der PDS - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So eine Oberflächlichkeit!)

- Passen Sie auf: Sie haben erklärt, Herr Gerhardt, daß zum Beispiel die Abschaffung der Vermögensteuer Arbeitsplätze schaffen würde. Nun haben Sie die Vermögensteuer abgeschafft und prognostizieren selber, daß es in diesem Jahr mehr Arbeitslose geben wird. Sie glauben doch gar nicht an Ihre eigenen Theorien, sonst müßten Sie doch sagen: Das wird einen ungeheuren Schub bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geben.

(Beifall bei der PDS)

Aber Sie wissen natürlich, daß das nicht so ist.
Im übrigen hat auch der Bundeskanzler noch einmal einen billigen Trick versucht, als er gesagt hat, daß Sie zwar die Vermögensteuer abgeschafft, dafür aber die Erbschaftsteuer erhöht hätten. Darf ich in dieser Runde noch einmal fragen, für wie dumm Sie die Bevölkerung eigentlich halten? Die weiß auch, daß man Vermögensteuer jährlich bezahlen muß, Erbschaftsteuer aber nur einmal im Leben, nämlich wenn man stirbt. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Steuerarten.

(Beifall bei der PDS Widerspruch des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Die Entsolidarisierung, die Sie, Herr Gerhardt, betreiben, finde ich wirklich übel. Die ganze Bevölkerung gegen die Kohlekumpel aufzuhetzen, das ist unfair. Wir brauchen Kohle. Deshalb ist es richtig, daß sie subventioniert wird, wobei man sich über Summen und Entwicklungen natürlich verständigen kann. Aber es geht nicht, die Kohlekumpel zu denen zu machen, die auf Kosten der gesamten Gesellschaft leben würden! Es würde sich gehören, zunächst einmal an die Abgeordneten zu erinnern, die in diesem Staat wahrscheinlich stärker auf Kosten der Gesellschaft leben als die Kohlekumpel.

(Beifall bei der PDS Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Gysi, gehen Sie nach Hause!)

- Sie müssen einmal den „Stern" lesen. Was glauben Sie, was es für Auswirkungen hat, wenn der „Stern" ausrechnet, wieviel Steuerersparnisse Herr Waigel durch seine eigenen Vorschläge hat und wieviel Steuerersparnisse ein Facharbeiter hat! Dabei kommt ein Unterschied von mehreren tausend Mark heraus. Das ist doch das, was in der Bevölkerung das Ansehen der Politikerinnen und Politiker beschädigt.

(Beifall bei der PDS Ina Albowitz [F.D.P.]: Sind Sie inzwischen aus Ihrer Wohnung ausgezogen?)

- Ja, zweifellos; ich bin gar nicht erst eingezogen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Wer im Glashaus sitzt -!)

- Ach, Frau Kollegin, wissen Sie, Sie können mir ja vieles vorwerfen, aber wenn das in dieser Hinsicht gerade ein Mitglied der F.D.P. tut, ist das mehr als merkwürdig. Wenn Sie doch endlich mal Ihre Politik aufgeben würden: Ihren reinen Lobbyismus, Ihre Klientelpolitik! Das ist das Verheerende! Sie machen hier keine Politik für das Volk, sondern für 5 Prozent des Volkes, und das ist nicht Ihre Aufgabe in diesem Deutschen Bundestag!

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nun kommen wir mal zur vorgeschlagenen Steuerreform, an der das Kleingedruckte das Interessante ist. Der niedrige Eingangssteuersatz für untere Einkommen ist zweifellos zu begrüßen. Aber die so entstehende Entlastung wird fast vollständig durch andere Steuern, die Sie einführen, die Sie nur nicht so propagieren, wieder aufgezehrt: Krankengeld wurde bisher nicht besteuert, es soll künftig zur Hälfte be-

Dr. Gregor Gysi
steuert werden. Arbeitslosengeld wurde faktisch bisher kaum besteuert - es soll künftig zur Hälfte besteuert werden. Arbeitslosenhilfe wurde bisher nicht besteuert - sie soll künftig zur Hälfte besteuert werden. Bei den gesamten Lohnersatzleistungen, die bisher im wesentlichen nicht besteuert worden sind, soll künftig also eine Besteuerung stattfinden. Die Renten wollen Sie ebenfalls besteuern, auch die, die bisher nicht besteuert worden sind, auch die Sozialversicherungsrenten.
Und Sie wollen die Kapitallebensversicherungserträge besteuern. Auf der einen Seite sagen Sie den Leuten täglich, ihr müßt selber Vorsorge treffen, wir können euch die Renten später nicht mehr zahlen, und im gleichen Atemzug erklären Sie: Aber wenn ihr das macht, werden wir eure Gewinne entsprechend besteuern, damit wir der Nutznießer eurer privaten Vorsorge sind. - Das ist Ihre Politik!

(Beifall bei der PDS)

Wenn man das zusammennimmt und sich dann noch überlegt, daß die sogenannte Arbeitnehmerpauschale von 2 000 DM auf 1 300 DM gekürzt werden soll, daß das Entgelt für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit künftig besteuert werden soll, dann reduzieren sich die Vorteile für die unteren Einkommensgruppen ganz enorm.
Und die mittleren Einkommensgruppen sind die, die das Ganze dann zu bezahlen haben. Diesmal gehen Sie auch an die sozial Schwachen, aber vornehmlich gehen Sie an die Facharbeiterinnen und Facharbeiter, also an die, die auch von Herrn Lafontaine hier genannt worden sind. Diesmal gehen Sie bei der Finanzierung Ihrer Pläne vorrangig an die Lohnabhängigen der mittleren Einkommensgruppen.
Und vor diesem Hintergrund wollen Sie dann den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 39 Prozent senken und kommen wieder ernsthaft mit der Mär, daß dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden würden - Herr Gerhardt hat es lang und breit ausgeführt -, weil die so Entlasteten dann massiv investieren würden.
Tatsache aber ist: Seit 14 Jahren bekommt diese Personengruppe von Ihnen Steuergeschenke, seit 14 Jahren nehmen übrigens auch die Gewinne der Unternehmen zu - im letzten Jahr ganz enorm -, aber die Zahl der Arbeitslosen hat gleichermaßen zugenommen. Das heißt, Ihre Politik ist gescheitert. Durch die Geschenke an Vermögende und Reiche und durch immer höher steigende, undifferenzierte Unternehmensgewinne erreichen Sie keinen Arbeitsplatzschub. Das ist durch das Leben widerlegt. Deshalb brauchen wir nicht nur einen Wechsel der Regierung, sondern auch einen Wechsel der Politik. Das ist das Entscheidende!

(Beifall bei der PDS)

Jetzt haben wir mal gerechnet; ich werde Ihnen sagen, was dabei herausgekommen ist. Man macht sich ja auch Mühe. - Also, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir das natürlich ausgerechnet, aber ich kann mich immer auf sie verlassen. -
Wir haben mal ausgerechnet, wie sich Ihre Steuerreform bei einer Bürokauffrau auswirkt, die 40 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen hat, verheiratet ist und zwei Kinder hat. Wissen Sie, was die im Jahr an Steuern spart, wenn Ihre Reform so durchgeht? Sie spart 76 DM. Und dann haben wir uns ausgerechnet, was ein Einkommensmillionär einspart, der also 1 Million DM zu versteuerndes Einkommen hat, ledig ist und keine Kinder hat. Der spart 127 164 DM ein. Und jetzt bitte ich Sie, der Bevölkerung zu erklären, daß die Bürokauffrau - verheiratet, zwei Kinder - nach Ihrer Steuerreform 76 DM im Jahr spart, während der ledige, kinderlose Einkommensmillionär 127 164 DM spart. Das müssen Sie erklären!
Und im übrigen: Das Entscheidende erreichen Sie damit nicht, nämlich mehr Nachfrage. Der Einkommensmillionär ist schon gesättigt, der kann einfach nicht mehr essen und trinken. Der hat schon sein Haus und seine drei Autos. Da gibt es keinen Kaufkraftschub. Das einzige, was er tut, ist: Er legt sein Geld bei Banken an, weltweit, er spielt damit an der Börse, schafft aber keinen einzigen Arbeitsplatz: Und die Gewinne, die er daraus erzielt, besteuern Sie nicht, weil Sie an die Spekulation nicht rangehen. Das ist die Realität! -

(Beifall bei der PDS)

Ich gebe zu, die Bürokauffrau wird die 76 DM, die sie
zusätzlich hat, auch ausgeben. Aber diese 76 DM
bringen nicht den Kaufkraftschub, den wir brauchen.
Ihre ganzen Reden von Existenzgründerinnen und Existenzgründern, vom Mittelstand und von kleinen Unternehmen können Sie sich schenken. Solange nicht die Kaufkraft erhöht und die Binnennachfrage gestärkt wird, wird es auch keine erfolgreichen neuen Existenzgründungen geben. Wo sollen die denn etwas verkaufen, wenn Sie täglich die Kaufkraft reduzieren, indem Sie den sozial Schwachen und den Lohnabhängigen das Geld aus der Tasche ziehen?

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist doch das Problem und nicht, daß die keine Ideen hätten. Aber die müssen sich auch verkaufen lassen. Davon sind wir wirklich meilenweit entfernt. Deshalb sage ich Ihnen: Mit dieser Steuerreform werden wir keinen Schritt weiterkommen. Wir werden die Probleme nur vergrößern, und die Arbeitslosenzahl wird weiter wachsen.
Lassen Sie mich auch etwas zu Ihrer Rentenreform sagen: Sie haben das Wort „Solidarprinzip" aus der Rentenphilosophie gestrichen. Sie haben es nicht einmal mehr erwähnt. Sie haben nur noch vom „Versicherungsprinzip " gesprochen. Ich finde es ungeheuerlich, daß hier Politik zu Lasten der Alten gemacht wird, die wirklich alles aufgebaut haben. Lassen Sie mich hinzufügen: Genau die Reste des Solidarsystems, die Sie bewahren wollen - das billige ich Ihnen ja zu -, stoßen in Ihren eigenen Reihen auf Widerspruch. Da sollten Sie tatsächlich einmal über Konsequenzen nachdenken.

Dr. Gregor Gysi
Lassen Sie mich noch einen Satz zum Osten sagen: Der Bundeskanzler hat in seiner langen Regierungserklärung nur noch einen Satz für den Osten übrig gehabt, der beinhaltete, daß die Hilfen im Osten weitergehen. Unverbindlicher kann man es nicht formulieren. Sie haben die Chancen der Einheit nie zu Veränderungen in der Bundesrepublik genutzt, die angestanden hätten. Sie haben den Osten in vollständige Abhängigkeit gebracht. Jetzt kann dort von wirtschaftlichem Aufschwung überhaupt keine Rede mehr sein. Ein Land wie Sachsen zum Beispiel wäre bei entsprechenden Hilfen - leichter als Mecklenburg-Vorpommern; daß es da Unterschiede gibt, will ich schon zugeben - in der Lage, sich selbst zu tragen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt. Wenn Sie so weitermachen, wird das auch nicht passieren.
Sparvorschläge gibt es genug. Natürlich müssen wir die Ausgaben des Staates reduzieren; natürlich müssen wir Bürokratie abbauen; natürlich können wir uns ein solches Projekt wie den Transrapid nicht mehr leisten, das ist einfach verschwendetes Geld. Prunkbauten für die Regierung in Berlin brauchen wir auch nicht; das will ich auch ganz deutlich formulieren. Statt dessen sollten wir auch im Osten in Strukturpolitik, in regionale Strukturen, aber auch in einen öffentlichen Beschäftigungssektor investieren. Das wäre sinnvoll; aber davon sind wir meilenweit entfernt.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315502500
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1315502600
Letzter Satz. - Wenn Sie noch an einem weiteren Punkt sparen wollen, dann mache ich Ihnen einen Vorschlag: Befreien Sie uns von dem Übel, daß die Kriegsverbrecher Kriegsopferrenten bekommen. Das sind keine Opfer des Krieges, das sind die Verbrecher des Krieges. Streichen Sie diese Gelder! Damit könnten wir Nützliches machen.

(Beifall bei der PDS)

Und erinnern Sie Daimler-Benz daran, -

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315502700
Herr Kollege Gysi, Sie müssen zum Schluß kommen.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1315502800
- daß sie nicht nur 250 000 DM Spende an die CDU überweisen sollen, sondern endlich ihre Steuern zahlen sollen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315502900
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1315503000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz wieder passablen Wachstums von 2,5 Prozent haben wir in Deutschland mehr als 4 Millionen Arbeitslose. Das ist eine bedrückende Zahl. Aber wir sollten uns bei
einer solchen Debatte zunächst einmal zugute halten, daß wir in der Zielsetzung, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen, übereinstimmen. Wir streiten über den richtigen Weg. Da werden allerdings verbale Kraftakte und Allgemeinplätze keinen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen. Das ist im allgemeinen Ausdruck großer Sprachlosigkeit.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, kritisieren unser Konzept. Aber nicht nur deshalb darf ich Sie einmal fragen, welches in sich stimmige und schlüssige Konzept Sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben. Ich kenne dieses Konzept nicht. Entweder sind Ihre Vorschläge Plagiat, oder sie verlieren sich im Detail, oder sie folgen der Illusion von der politischen Gestaltbarkeit weltwirtschaftlicher Abläufe, oder sie folgen der Vorstellung von der Stärkung der Binnennachfrage als Konjunkturmotor. Das sind Vorstellungen aus den 70er Jahren, die unter den heutigen verschärften internationalen Wettbewerbsbedingungen nicht mehr tragen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor - ich kann das nachvollziehen -, daß wir bei der Erreichung des Ziels Senkung der Arbeitslosigkeit noch nicht weit genug sind. Ich sage Ihnen, die Arbeitslosigkeit hat mannigfache Gründe, weltwirtschaftliche und innenpolitische. Ich mache es mir da beileibe nicht leicht. Aber eine entscheidende innenpolitische Ursache ist, daß unsere Reformvorhaben immer wieder auf erbitterten Widerstand im Bundesrat stoßen. Wichtige Vorhaben kommen auf Grund Ihrer Blockadehaltung nicht voran oder werden verwässert.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

Ich nenne die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes oder auch die dritte Stufe der Gesundheitsreform.
2,5 Prozent Wachstum sind realistisch. Das bestätigen im übrigen der Sachverständigenrat und die meisten Institute. Das ist eine gute Perspektive. Aber sie reichen bei weitem nicht aus, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Die Meßlatte für den Erfolg auf den Märkten der Welt, für Beschäftigung und Wachstum in unserem Land liegt heute höher als in den vergangenen Jahrzehnten. Wer sieht, was in den Wirtschaftszonen beispielsweise Südchinas, im indischen Programmierzentrum Bangalore, in Thailand oder in Singapur passiert, der weiß, worum es geht.
Deutschland ist in vielem noch ein guter Standort. Aber Deutschland ist einer unter vielen, und er steht im Wettbewerb. Es kann heute - wie wir wissen - für ein Unternehmen sinnvoll sein, ein Produkt in Deutschland zu konzipieren, das Design in Italien zu entwerfen, die Werbekampagne beispielsweise in den USA zu machen, die verschiedensten Bauteile aus verschiedenen Ländern zu beziehen und das Produkt schließlich - ich sage einmal - in Malaysia zusammenzubauen. Diesem Trend kann sich keiner entziehen, schon gar nicht durch Importbarrieren und Mindestlöhne, aber auch nicht durch ein Superbündnis für Arbeit zwischen Industrieländern und Schwellenländern, das uns immer wieder angeboten

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
wird. Niemand wird seine Wettbewerbsvorteile - niedrige Arbeitskosten - freiwillig aus der Hand geben.
Ich sage noch einmal: Auch der Ansatz der Stärkung der Massenkaufkraft führt heute in die Sackgasse; denn höhere Kaufkraft, so wichtig sie ist, bedeutet immer auch höhere Kosten. Von zusätzlich 100 DM Lohnkosten des Arbeitgebers kommen bei einem ledigen Industriefacharbeiter im Durchschnitt nur 36 DM wirklich an. Diese fließen nicht einmal in vollem Umfang in den Verbrauch. Die klassischen Konzepte der Nachfragestimulierung sind Konzepte der 60er und 70er Jahre. Schon damals haben sie nicht funktioniert. Heute sind sie total unpassend.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

Zum 100. Geburtstag Ludwig Erhards werden in diesen Tagen immer wieder ordnungspolitische Prinzipien beschworen. Diese Prinzipien müssen wir in praktische, konkrete Politik, auch in Tagespolitik, eingehen lassen. In diesem Sinne setzt die Bundesregierung auf Reformen, die die Arbeitslosigkeit wirklich beseitigen können. Wir haben ein klares Konzept mit fünf Säulen, nämlich: Kostenentlastung der Unternehmen, Neuorganisation der Arbeitswelt, Reform der Bildungssysteme, mehr Forschung und Entwicklung, Deregulierung und schlanker Staat sowie offene Märkte und außenwirtschaftliche Flankierungen unserer Unternehmen.
In diesem Zusammenhang sind die Steuerreform und die Rentenreform von herausragender Bedeutung. Zur Steuerreform sage ich nur soviel: Die zentrale Botschaft ist eine Nettoentlastung der Bürger und der Wirtschaft um zirka 30 Milliarden DM und eine weitere drastische Senkung der Steuersätze. Das ist die zentrale Botschaft und nicht das Detail oder die Steuererhöhung an der einen oder anderen Stelle. Nettoentlastung bedeutet: Die Menschen und die Unternehmen haben 30 Milliarden DM mehr in der Kasse.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich erwarte von einer unverwässerten Reform einen deutlichen Wachstumsschub. Er dürfte zwischen einem halben und einem Prozent liegen. Das schafft zusätzliche Einkommen und zusätzliche Arbeitsplätze.
Die schon aus demographischen Gründen unumgängliche Reform der Sozialsysteme muß mit einer Entlastung der Arbeitskosten einhergehen. Wirtschaftspolitisch ist es nicht vertretbar, in einem ersten Schritt nur die sogenannten versicherungsfremden Leistungen - ganz abgesehen davon, daß wir uns darüber unterhalten müssen, was man überhaupt darunter versteht - auf den Steuerzahler zu übertragen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!)

Dieses Vorgehen würde dazu einladen, hinsichtlich
der Reformen innezuhalten. Die Reform der Systeme
ist aber unverzichtbar; sie muß, um die Arbeitskosten
zu senken, mit einer Senkung der Beitragssätze zu den Versicherungssystemen einhergehen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bundesregierung selbst hat sich dies zum Ziel gesetzt; dies wäre ein Beitrag zur Stärkung der Beschäftigung und zur Sicherung des Sozialstaats. Es ist absurd, der Bundesregierung zu unterstellen, sie wolle den Sozialstaat abschaffen.
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt und die Neuorganisation der Arbeitswelt hat die Bundesregierung wichtige gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen. Dazu zählen die Reformen beim Arbeitszeitrecht, beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung. Jetzt sind die Tarifparteien gefordert, Vereinbarungen zu treffen, die zusätzlichen Raum für betriebliche Lösungen lassen, beispielsweise im Bereich der Arbeitszeit und der Neueinstellungen. Es geht immer darum, Barrieren abzubauen, die einer Neueinstellung entgegenstehen. Jeder weiß, daß Schutzgesetze, die selbstverständlich ihre Berechtigung haben,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also doch!)

in vielen Bereichen zu Ausgrenzungsgesetzen für die Arbeitslosen in diesem Land geworden sind.
Es geht nicht darum - das möchte ich auch einmal sagen -, die Arbeitszeit generell zu verkürzen. Es geht vielmehr darum, die Arbeitszeit flexibler zu verteilen. Dabei wird es mehr Arbeit an der einen oder anderen Stelle geben, aber auch kürzere Arbeitszeiten an anderen Stellen. Das kann zu dem Ergebnis führen - was ich mir wünschen würde -, daß Überstunden in diesem Land abgebaut werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Dann mal los!)

Wirtschaft und Gesellschaft müssen den Strukturwandel in einem umfassenden Sinne akzeptieren, vor allem mit Blick auf die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft und mit Blick auf neue Entwicklungen, zum Beispiel in der Gen- und in der Biotechnologie.
Ich werde in wenigen Wochen ein Dienstleistungskonzept vorstellen, mit dem neue Beschäftigungsfelder durch neue und modernisierte Ausbildungsberufe erschlossen werden: beim Export von Dienstleistungen - hier geht es um Garantieübernahmen - und bei der Erschließung neuer Märkte in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Wenn es um Arbeitsplätze in neuen, innovativen Unternehmen geht, dann kommt es darauf an, dafür auch die Finanzierungsbedingungen zu schaffen.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das sagen Sie schon seit Jahren!)

Die Bundesregierung wird mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz die Rahmenbedingungen für eine Risikokapitalkultur in Deutschland verbessern. Dieses Gesetz wird in der ersten Hälfte des Jahres 1997 vorgelegt. Unternehmen und Banken sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, daß in Deutschland

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
eine Risikokapitalkultur entsteht. Diese kann man nicht herbeireden, sondern sie muß von Unternehmen und Privatleuten, die Vermögen haben, geschaffen werden. Sie kann also nicht durch Worte allein entstehen; sie muß vielmehr durch Taten von Privatleuten und Unternehmen geschaffen werden.
Mit Blick auf mehr Wettbewerb und mehr Markt hat die Bundesregierung die Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Angriff genommen. Wo es geboten ist, geht es dabei auch um die Angleichung an europäisches Wettbewerbsrecht. Wir wollen die Ausnahmebereiche einschränken; wir wollen überholte Vorschriften sowie Import- und Exportkartelle abschaffen; wir wollen das heute gültige Gesetz, das in vielen Bereichen gar nicht mehr anwendbar ist, entrümpeln. Der Gesetzentwurf wird im Sommer vorliegen.
Einen Punkt nach dem anderen greift die Bundesregierung in ihrem Reformprogramm auf. Ein Gesetz nach dem anderen wird gemacht, um die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung und Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern.
Die Öffnung der Strom- und Gasmärkte ist immer ganz konkret. Das sind nicht nur Allgemeinplätze und allgemeine Forderungen, die hier vorgetragen werden, das ist konkrete Arbeit, Tagesarbeit, aber wichtige Arbeit, mit der wir Schritt für Schritt Reformpolitik machen. Auch bei der Öffnung der Strom- und Gasmärkte darf es nicht zu einer Scheinliberalisierung kommen. Das würde den Wettbewerb blockieren und niedrigere Preise verhindern und wäre von verheerender Wirkung für den Mittelstand.
Was sagen wir, meine Damen und Herren, einem Bäckermeister, wenn wir gefragt werden, warum er über seine hohen Strompreise das örtliche Hallenbad oder den öffentlichen Nahverkehr bezuschussen soll? Ein Gesetz, das hier eine Änderung bringen und auch eine Antwort finden soll, ist in der parlamentarischen Beratung.
Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte heißt auch: Die öffentliche Hand muß sich zurückhalten, wenn private Firmen effizienter sind.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Warum nicht auch Flughäfen, Häfen, Straßen, Brükken oder Tunnel durch Private betreiben? Warum staatliche Vermessungsingenieure bei jedem Katasteramt? Ist es vertretbar, wenn städtische Busbetriebe ihre eigene Reparaturwerkstatt unterhalten und damit dem örtlichen Mittelstand Konkurrenz machen?

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Welche Begründung gibt es dafür, daß Kommunen einen Gartenbaubetrieb unterhalten müssen? Meine Damen und Herren, dies alles gehört auf den Prüfstand.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Besitzstände und Weiterdenken in den alten Kategorien, das ist vorbei, das geht nicht mehr an, das
hilft uns nicht weiter und schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz.

(Zuruf des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])

- Lassen Sie Ihr Geschrei! Die Leute draußen im Lande wissen, wer etwas zu sagen hat und wer Allgemeinplätze von sich gibt und allgemeines Geschrei veranstaltet. Die Leute wissen, daß es auf konkrete Maßnahmen ankommt, auf Maßnahmen, wie ich sie vorschlage, wie diese Bundesregierung sie vorschlägt zu all den Feldern, die ich angesprochen habe.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Die Leute wissen, was sie von Ihnen zu halten haben! Ihr Ansehen ist doch null!)

Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort zu den neuen Ländern sagen. Die Einführung der Marktwirtschaft in den neuen Ländern hat sich alles in allem positiv ausgewirkt. Die Privatisierung und der rasche Aufbau der Infrastruktur haben den Aufbau weit vorangebracht. Aber vieles liegt noch im argen. Noch zu groß ist die Lücke zwischen Nachfrage in den neuen Bundesländern und eigener Wirtschaftskraft. Zu schmal ist vor allem die industrielle Basis.
Es steht für mich außer Zweifel, daß die neuen Länder weiterhin einer erheblichen Unterstützung bedürfen. Die Bundesregierung wird die Wirtschaftsförderung auch nach 1998 auf hohem Niveau fortführen. Sie muß allerdings schrittweise zurückgeführt und auf den Mittelstand und vor allem auf die Industrie konzentriert werden. Gemeinsam mit dem Finanzminister werde ich dazu in den nächsten Wochen und Monaten ein Konzept entwickeln.
Unabdingbar ist allerdings, daß sich die Tarifpartner stärker an der Leistungskraft der ostdeutschen Unternehmen orientieren. Dies ist die entscheidende Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze in den neuen Ländern.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, um unsere Position und auch um unsere Versäumnisse zu erkennen, empfiehlt sich ein Blick über die Grenzen. In unmittelbarer Nachbarschaft sind die Niederlande und Schweden zu nennen, die einen regelrechten Turnaround geschafft haben. Wir brauchen Mut und Kraft, um die Reformpolitik Stück für Stück - nicht nur in Überschriften, sondern in konkreten Gesetzesvorhaben, so wie wir das in Angriff genommen haben, so wie wir das voranbringen - Wirklichkeit werden zu lassen.
Widerstände der Besitzstandwahrer sind überall vorhanden. Diese zu überwinden ist unsere Aufgabe. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Die Bedingungen für einen anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land sind nicht schlecht.

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Die Weltkonjunktur ist überall aufwärtsgerichtet und stützt unseren Export. Die D-Mark-Aufwertung hat sich zurückgebildet. Niedrige Nominalzinsen kommen den Investitionen zugute. Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich gehe davon aus, daß wir in diesem Jahr trotz des Einbruches bei der Baukonjunktur eine Erhöhung bei den Ausrüstungsinvestitionen in der Größenordnung von 5 Prozent schaffen. Das ist eine erhebliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr.
Die Preise sind stabil, und die Lohnentwicklung ist auf einen moderaten Pfad eingeschwenkt.
Unser Land hat ungeheure Ressourcen, gefangen in Strukturen, die aufgebrochen werden müssen. Wieweit das gelingt, hängt von allen Beteiligten ab: von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften.

(Detlev von Larcher [SPD]: Dann sind wir verlassen!)

Die Bundesregierung wird nicht nachlassen, ihr Konzept - ein in sich schlüssiges Konzept - umzusetzen. Sie wird nicht nachlassen, Verantwortung bei denen einzufordern, die mit dem Finger auf andere zeigen und sich selbst einer mutigen und konzeptionellen Politik entziehen wollen.

(Zuruf von der SPD: Gerade Sie!)

Dies gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, aber auch für sie. Die Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung, und sie wird erfolgreich sein.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Detlev von Larcher [SPD]: Noch mehr Arbeitslose! Das ist Ihr „Erfolg"!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315503100
Als Mitglied des Bundesrates spricht nun der Ministerpräsident des Landes Sachsen, Professor Kurt Biedenkopf.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1315503200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wesentlichen Teile der Wirtschaftspolitik, der Steuerpolitik, der Sozialpolitik und damit auch der Arbeitsmarktpolitik sind Bundesangelegenheiten. Trotzdem werden wir in den Bundesländern - das gilt für alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten - für das, was in unseren Ländern geschieht, genauso in die Verantwortung genommen; denn vor Ort wirkt sich die Arbeitslosigkeit aus, vor Ort wirken sich die Folgen sozialer Veränderungen aus, und vor Ort wirkt sich vor allen Dingen die Veränderung der Wirklichkeit aus.
Ich möchte mich in diesem Redebeitrag im wesentlichen auf die Arbeitsmarktfragen und die Zusammenhänge beschränken, innerhalb deren sich die Arbeitsmarktentwicklung vollzieht. Es ist schon viel an Erhard erinnert worden. Zu den großen und bedeutenden Grundsätzen, die er verwirklicht hat, gehört der Gedanke des ordnungspolitischen Ansatzes, das heißt die Fragestellung, die nicht nur das Einzelstück der Politik sieht, sondern die Zusammenhänge zwischen den Teilen. Zu einem Teil kommt es mir auf diese Zusammenhänge an.
Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dabei vielleicht mehr Aufmerksamkeit auf die Sachverhalte lenke, als das in der bisherigen Debatte der Fall war. Ich möchte noch einmal meinen Vorschlag aufnehmen, den ich bereits 1993 gemacht habe, als mir in Dresden vom Deutschen Gewerkschaftsbund die HansBöckler-Medaille verliehen wurde. Ich habe damals vorgeschlagen - ich halte diesen Vorschlag heute noch für genauso relevant -, daß die Beteiligten, wenn sie miteinander reden und nach Lösungen suchen, zunächst einmal den Versuch unternehmen, sich darauf zu verständigen, was denn im Arbeitsmarkt wirklich passiert und was sich vor allen Dingen in den letzten 25 Jahren ereignet hat.
Weil wir, der Kollege Stoiber und ich, das für eine unverzichtbare Voraussetzung für zielgerichtete Politik halten, haben wir eine Expertenkommission gebeten, dazu Untersuchungen anzustellen. Der Bericht ist vorhin bereits angesprochen worden. Es ist der erste Schritt zu einer umfangreicheren Untersuchung, von der ich hoffe, daß sie ihren Einfluß auf die politische Willensbildung nicht verfehlt; denn man kann die Wirklichkeit nur verändern, wenn man die Wirklichkeit kennt. Wenn man von der falschen „Wirklichkeit" ausgeht und dann interveniert - auch das ist Ludwig Erhard -, erzielt man Wirkungen, die man nicht wollte.
Was ist die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit ist eine höhere Arbeitslosigkeit, als wir sie bisher hatten. Aber diese Arbeitslosigkeit ist nicht homogen, sondern sehr verschieden. Die Arbeitslosen teilen sich in ziemlich gleich große Gruppen von je einem Drittel auf.
Die erste Gruppe stellen die Arbeitslosen dar, die weniger als drei Monate lang arbeitslos sind. Das sind zum erheblichen Teil Frauen und Männer, die ihren Arbeitsplatz wechseln. Nun ist auch das schwierig. Der Wechsel des Arbeitsplatzes ist aber eine unvermeidbare Konsequenz einer sich schnell verändernden Wirtschaftsstruktur.
Fachleute aus allen Bereichen sagen, daß wir in etwa 10 bis 15 Jahren 40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts mit industriellen und sonstigen Aggregaten erzeugen werden, die es heute noch nicht gibt. Dies wird insbesondere durch die rapide Zunahme der Bedeutung der Informationswirtschaft ausgelöst. Die Informations- und Wissenswirtschaft, so einige Prognosen, wird in 10 Jahren etwa 35 bis 40 Prozent - manche schätzen sogar 50 Prozent - des Bruttoinlandsprodukts, also der Wertschöpfung, erzeugen.
Das aber bedeutet eine ständige Verlagerung der Ressourcen, also Kapital und Arbeit, von bisherigen Aktivitäten auf neue. Diese Verlagerungen sind mit Reibungsverlusten verbunden. Der Arbeitnehmer, der in einem Unternehmen seinen Arbeitsplatz verliert, einen neuen sucht und ihn innerhalb von drei Monaten findet, ist in der Zwischenzeit arbeitslos und muß seine Versicherung in Anspruch nehmen.
Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Arbeitslosigkeit ist kein sozialpolitisches Problem. Sie ist vielmehr Ausdruck einer sehr mobilen,

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

beweglichen Wirtschaft. Diese Tatsache müssen wir zumindest zur Kenntnis nehmen, wenn wir mit Globalzahlen argumentieren.
In bezug auf dieses knappe Drittel, auf diejenigen, die weniger als drei Monate lang arbeitslos sind, macht es wenig Sinn, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen, um diese Arbeitslosigkeit zu verringern. Das kann man, wenn man es überhaupt will, nur in regional kleinen Räumen machen. Nur dort kann man die Anpassungsgeschwindigkeit bei Veränderungen der Wirtschaftsstruktur erhöhen.
Das zweite Drittel der Arbeitslosen ist das eigentlich ökonomisch bedeutsame Drittel. Das nämlich sind die zwischen drei Monaten und einem Jahr Arbeitslosen. In dieser Gruppe sind diejenigen, die nicht im Zuge der Veränderung, der Mobilität im Arbeitsmarkt - im statistischen Mittel wechseln rund 20 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland jährlich den Arbeitsplatz; es besteht also eine hohe Mobilität, und zwar schon seit Jahren -, arbeitslos geworden sind.
Hier treten Schwierigkeiten auf, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Zu einem nicht unwesentlichen Teil - das ist für unsere politische Analyse und vor allen Dingen für unser politisches Handeln wichtig - sind in dieser zweiten Gruppe Frauen, die wieder in den Arbeitsmarkt wollen und nicht sofort einen Arbeitsplatz finden, sondern ein dreiviertel Jahr oder länger danach suchen.
Das dritte Drittel bilden die Langzeitarbeitslosen, diejenigen, die über ein Jahr lang arbeitslos sind. Die Langzeitarbeitslosen sind zu einem erheblichen Teil vermindert vermittlungsfähig, und zwar entweder weil sie behindert sind oder weil sie schon sehr lange aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind oder weil sie älter sind.

(Dr. Barbara Höll [PDS]: Oder überqualifiziert!)

Für dieses Drittel brauchen wir Maßnahmen, die über die ökonomischen hinausgehen: Wiedereingliederungshilfen,

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Machen wir doch!)

Subventionen von Arbeit bei Beginn einer Wiederbeschäftigung langfristiger Arbeitsloser usw.
Ich will damit nur zum Ausdruck bringen - darüber waren wir Ministerpräsidenten uns im Mai letzten Jahres in unserer Sondersitzung über die arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Fragen einig -, daß wir für die verschiedenen Sektoren der Arbeitslosigkeit verschiedene Politiken brauchen. Wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen, sondern die Arbeitslosenzahl als eine Globalzahl betrachten und ausgehend davon Politik machen wollen, wird diese Politik sehr wenig effizient sein.
Das zweite ist - das ist hier von verschiedener Seite angesprochen worden - der Rückgang des Arbeitsvolumens. Auch das haben die Ministerpräsidenten im Mai vorigen Jahres bereits behandelt. Ich bedaure etwas, Herr Kollege Lafontaine, daß diese Arbeiten nach Krickenbeck nicht fortgesetzt werden konnten.
Wir haben festgestellt, daß unsere hochentwickelte Industriegesellschaft vor einem Erfolgsdilemma steht. Wir haben nämlich seit 1960 gelernt, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen, und zwar so weit - ich kann mich nur auf die Zahlen von 1970 bis 1995 beziehen -, daß wir im Jahre 1995 in der Lage waren, das Bruttoinlandsprodukt mit genau 50 Prozent der Arbeitsleistung von 1970 zu erzeugen. Dieser Prozeß geht ununterbrochen weiter. Das heißt, die Produktivität der Arbeit wächst schneller als das Bruttoinlandsprodukt.

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die Arbeitszeitverkürzung!)

Meine Damen und Herren, als wir auf einer Veranstaltung der IG Metall in Chemnitz kürzlich des ersten Metallarbeiterstreiks vor 125 Jahren gedachten, haben wir festgestellt, daß die Jahresarbeitszeit damals 3 800 Stunden betrug. Heute beträgt sie 1 520 Stunden. Das heißt, wir haben die Arbeitszeit seit 1960 ständig verändert, verkürzt.

(Zuruf von der SPD)

- Nein, der Arbeitsmarkt selbst hat das bewirkt. Der Arbeitsmarkt, die Tarifparteien, die Verlängerung der Ausbildungszeit, die vorgezogene Verrentung trugen zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit bei.
Diese Möglichkeiten der Verkürzung der Lebensarbeitszeit sind inzwischen erschöpft. Deshalb ist der Umfang der Vollzeittätigkeit inzwischen zurückgegangen, und zwar dramatisch. 1960 waren 98 Prozent aller Beschäftigten in einer Vollzeittätigkeit. 1995 waren es noch 68 Prozent. Der Rest der Beschäftigten ist in Teilzeittätigkeit, geringfügiger Beschäftigung, Scheinselbständigkeit, Kurzarbeit usw. Das heißt, es gibt eine dramatische Veränderung der Arbeitsmarktstruktur.

(Zuruf von der SPD: Wer hat das gemacht?)

- Wer hat das gemacht? Das haben in erster Linie die Menschen im Land gemacht, nicht die Politik. Wollen wir uns hier doch nicht überschätzen: Wir schaffen keine Arbeitsplätze, wir schaffen allenfalls die Bedingungen dafür, daß sie entstehen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Alles andere ist eine maßlose Selbstüberschätzung.
Das Interessante an diesem Prozeß ist, daß alle Konjunkturprogramme - unter Helmut Schmidt wie unter Helmut Kohl - auf diese langfristige Entwicklung nur einen sehr geringen Einfluß haben. Es gibt kurzfristige Reaktionen des Arbeitsmarkts, aber dann geht der normale Prozeß weiter. Dieser normale Prozeß wird von Millionen von Menschen vorangetrieben.
Wir können auf Länder- wie auf Bundesebene, im Bundestag und im Bundesrat, dazu beitragen, daß sich dieser Prozeß in wettbewerbsfähiger Form weiterentwickelt, ohne daß er Nebenwirkungen zeigt - insbesondere im sozialen Bereich -, die mit unserer Wertvorstellung, die in diesem Land einen Grundkonsens darstellt, nicht vereinbar sind. Darüber wird im Grunde gestritten.

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

Wir waren uns einig und sind es eigentlich bis heute - auch das habe ich den Reden entnommen -, daß die Beschäftigungspolitik nicht nur wesentlich von der Verringerung des Arbeitsvolumens und von der Globalisierung abhängt, sondern natürlich auch von den Kosten.
Hier ist viel von Steuerpolitik, etwas weniger von Sozialpolitik die Rede gewesen. Ich will nichts von dem wiederholen. Ich will nur darauf hinweisen: Für den normalen Beschäftigten ist die Steuerbelastung eine Sache, die Beitragsbelastung eine andere. Die Sozialbeiträge hat man schon in den 20er Jahren als die Steuern des kleinen Mannes bezeichnet.
Ich glaube - da stimme ich mit Norbert Blüm überein -, daß die Diskussion über die versicherungsfremden Leistungen weniger ertragreich sein wird, als das auf Grund vielfältiger Äußerungen anzunehmen ist. Die Ministerpräsidenten hatten sich ebenfalls vorgenommen, einmal zu definieren, was versicherungsfremde Leistungen sind.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Da bin ich jetzt gespannt!)

Das erweist sich als außerordentlich schwierig. So kann man zum Beispiel der Meinung sein, daß Kindererziehungszeiten für die Rentenversicherung versicherungsfremde Leistungen sind. Man kann aber auch die Auffassung vertreten, daß das Großziehen von Kindern die eigentliche Voraussetzung dafür ist, daß die Versicherung auch in Zukunft funktioniert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im zweiten Fall wäre es keine versicherungsfremde Leistung, im ersten Fall wäre es eine. Ich wäre sehr gespannt, als Zuhörer in diesem Hohen Hause einmal mitzuerleben, wie die endgültige Entscheidung zu dieser Frage ausfällt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die meisten Frauen, die Kinder großziehen, sind jedenfalls nach meiner Erfahrung der Auffassung, daß sie eine unverzichtbare Investition in die gesetzliche Rentenversicherung leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sie sind maßlos verbittert, daß ihnen diese Investition nicht entgolten wird - jedenfalls nicht in dem Umfang, wie sie sich das wünschen.
Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, daß neben der Steuerreform die Reform der Sozialsysteme von größter Bedeutung ist. Wenn es uns nicht gelingt, diese Reformen so miteinander zu vernetzen, daß am Ende eine gemeinsame, also eine beide Bereiche des Systems umfassende Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Lastenverteilung zwischen Arbeit und Gütern herauskommt, dann werden wir keinen wesentlichen Beitrag zur Veränderung der Beschäftigungslage leisten. Ich glaube, auch das ist inzwischen weitgehend unbestritten in diesem Land.
Man sollte auch einmal davon ausgehen, daß wir die Arbeit zu sehr und die Güter zuwenig befrachten. Das ist einer der Gründe, warum zum Beispiel unter den Ministerpräsidenten - sozialdemokratischen, christlich-demokratischen und christlich-sozialen Kollegen - schon seit einigen Jahren die Frage der Mehrwertsteuererhöhung nicht mehr unter sozialpolitischen Gesichtspunkten diskutiert wird, sondern unter dem Gesichtspunkt der strukturellen Auswirkungen von Veränderungen zwischen direkter und indirekter Besteuerung und einer Verringerung der Arbeitskosten sowie einer Erhöhung der Kosten für Produkte. Das setzt allerdings voraus, daß man diese Strukturveränderungen auch zu diesen Zwecken einsetzt. Das ist nach wie vor umstritten. Darauf möchte ich nur hinweisen.
Lassen Sie mich als drittes etwas zu den besonderen Problemen in Ostdeutschland sagen. Das erste, was wir feststellen müssen, ist, daß durch die wachsende - erfolgreiche - Integration der ostdeutschen Teilwirtschaft und der westdeutschen Teilwirtschaft in eine gesamtdeutsche Wirtschaft die Möglichkeiten geringer geworden sind, in Ostdeutschland nachhaltig höhere Wachstumsraten zu erzielen als in Westdeutschland. Es ist außerordentlich schwierig, innerhalb einer Gesamtwirtschaft für die eine Teilwirtschaft Waschstumsraten von 6 bis 8 Prozent zu erzielen, wenn es in der anderen Teilwirtschaft nur 1 bis 2 Prozent sind.
Die Feststellung im Jahreswirtschaftsbericht, daß wir für West und Ost im jetzt begonnenen Jahr mit rund 2,5 Prozent Wachstum rechnen können, bedeutet im Ergebnis, daß sich - in absoluten Zahlen ausgedrückt - das Bruttoinlandsprodukt in West und Ost wieder auseinanderentwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt Ost wächst langsamer, weil die Basis in absoluten Zahlen niedriger ist als beim Bruttoinlandsprodukt West.
Wenn das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um 2,5 Prozent wächst, dann bedeutet das, daß im statistischen Mittel rund 1 000 DM pro Kopf der Wohnbevölkerung mehr an Wertschöpfung zur Verfügung stehen, und zwar real. Ich sage das deshalb, weil immer davon die Rede ist, man müsse die Nachfrageschwäche überwinden. Das Problem ist nicht, daß wir nicht genug produzieren, nicht genug volkswirtschaftliche Gesamtwertschöpfung betreiben, sondern das Problem ist, wie wir mit der zusätzlichen Wertschöpfung umgehen, wo wir sie hinlenken - ob wir sie in den staatlichen Bereich lenken, ob wir sie in den privaten Bereich lenken - und für welche Zwecke wir sie einsetzen.
Wir werden als Bürger von allen Beteiligten aufgefordert, wir sollten mehr für die Altersvorsorge tun. Altersvorsorge bedeutet, daß die Bürger mehr sparen, also weniger ausgeben. Man kann das Geld nicht zweimal ausgeben. Wenn die Bevölkerung jetzt also im Blick auf eine ungewisse Zukunft in stärkerem Maße Kapital bildet, was an sich richtig ist, dann ist die Konsumfähigkeit entsprechend reduziert; es sei denn, wir entschließen uns, den Konsum durch Staatsverschuldung zu erhöhen. Dabei sind uns nicht

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

nur durch die Vernunft, sondern auch durch die Europäische Währungsunion Grenzen gezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Hauptproblem in Ostdeutschland sind nicht nur die hohen Lohnkosten, über die sattsam diskutiert worden ist und die in einem - von mir keineswegs begrüßten - spontanen Prozeß zum Teil extra legem, das heißt außerhalb der rechtlichen Regelungen, korrigiert wurden. Unsere Unternehmen haben noch immer erhebliche Managementprobleme. Ich glaube, es ist leicht, im Westen zu sagen, ihr müßt es nur machen wie wir, und dabei darauf zu verweisen, daß man heute etwas macht, das man über 30 Jahre gelernt hat. Es ist leicht, den Menschen in Ostdeutschland zu sagen: Warum schafft ihr das denn nicht so schnell?
Das Sammeln von Erfahrungen kann man nicht beliebig beschleunigen, auch das Lernen kann man nicht beliebig beschleunigen. Der Export von Managern von West nach Ost ist erstens in großem Umfang nicht erwünscht und zweitens auch gar nicht möglich, weil wirklich gute Manager im Westen genauso knapp sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das zweite Problem, das wir haben, ist ein zum Teil ärgerliches: Es ist der Marktzugang. Gerade im Lebensmittel- und im Veredelungsmarkt stellen wir fest, daß die Konzentration im Einzelhandel Marktzugangsbarrieren bewirkt, die viele unserer Unternehmen nicht überwinden können.

(Beifall im ganzen Hause)

Ein kleines Unternehmen kann de facto keine 500 000 oder 250 000 DM als Eintrittspreis und dann noch hohe Regalmieten zahlen, damit seine Waren an vernünftigen Plätzen untergebracht werden. Hier muß man immer wieder an die Verantwortlichen appellieren - nicht an die Spitzenleute, sondern an diejenigen, die einkaufen und die Regalplätze zuweisen -, dabei zu helfen, die Marktzugänge zu erleichtern.
Schließlich - nur als Stichwort, weil das an anderer Stelle intensiver behandelt werden muß -: Wir brauchen eine Reform des Kapitalmarkts. Unser Kapitalmarkt ist nicht in der Lage, kleinen und mittleren Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, selbst wenn sie es wollten, was ja auch noch ein Problem ist. Wir haben nur eine Börse für die großen Titel, für die institutionellen Anleger.
Wenn es aber richtig ist, was wir zum Beispiel aus Silicon Valley, auch aus der jetzigen Entwicklung in Amerika, aber ebenfalls aus der Geschichte des Freistaates Sachsen im 19. Jahrhundert lernen können, nämlich daß die Erneuerung der Industriestruktur nicht von den großen Unternehmen ausgeht, sondern von den kleinen und mittleren, daß das Innovationspotential vor allem in denjenigen Unternehmen zu finden und zu entwickeln ist, die nicht bürokratisch daran gehindert sind, schnell zu reagieren, dann haben wir ein existentielles Interesse daran - nicht nur ein Interesse im Mittelstand, sondern ein gesamtwirtschaftliches Interesse -, die Eigenkapitalausstattung
der neuen Unternehmen zu verbessern. In Amerika ist das möglich gewesen, sonst hätte es Silicon Valley nicht gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Deutschland ist das bisher nicht möglich. Darunter leiden wir im Osten in ganz besonderem Umfang, weil wir nur mit kleinen und mittleren Unternehmen wiederaufbauen können, wenn der Osten nicht eine Landschaft der verlängerten Werkbänke und der Tochtergesellschaften der großen westlichen Unternehmen alleine werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich möchte zum Schluß sagen, daß die Beschäftigungspolitik, die unsere Daueraufgabe sein wird, ein hohes Maß an Regionalisierung braucht. Wir bemühen uns derzeit im Freistaat, in diesem relativ kleinen Territorium mit nur 4,7 Millionen Einwohnern, in fünf Regionen eine selbständige Beschäftigungspolitik zu betreiben, um auf diese Weise die örtlichen und regionalen Innovationspotentiale zu mobilisieren: die örtlichen und regionalen Kammern, die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, die Landräte und die Bürgermeister. Sie sind oft voller Ideen und Vorschläge dazu, was möglich ist, Ideen und Vorschläge, auf die zentralistische Behörden aus der Natur der Sache heraus nie kommen könnten.
Deshalb möchte ich davor warnen, daß man jetzt die Flucht auf eine höhere Ebene antritt und sagt: Was uns in Deutschland nicht gelingt, wird uns in Europa gelingen. - Das Gegenteil ist richtig: Was uns auf der nationalen Ebene nicht ausreichend gelingt, kann uns nur dann gelingen, wenn wir dezentralisieren, die Verantwortung dorthin geben, wo die Menschen sind, und in einer koordinierten Form des Zusammenwirkens von Region, Nation und Europa zu neuen Lösungen kommen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1315503300
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1315503400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung heute morgen und die Reden der Vertreter der Koalition waren der Lage der Koalition, aber nicht der Lage in Deutschland angemessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Die Koalition schwankt zwischen Beschönigung und Appell, zwischen „Weiter so!" und dem hilflosen Versuch, eine neue Perspektive zu entwickeln, zwischen dem angeblichen Willen nach Veränderung und der Mißachtung des Bedürfnisses nach Sicherheit und gegenüber der Opposition zwischen erklär-

Rudolf Scharping
tern Konflikt und Scheinangeboten für Kooperation. Mit schwankender Politik aber ist in Deutschland keine Zukunft mehr zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bundeskanzler, Sie gestatten mir eine Bemerkung, weil ich immer dafür bin, im Deutschen Bundestag möglichst so zu reden wie draußen auch. Ihr Innenminister hat erklärt, der hessische Wahlkampf sei für Sie ein bundesweiter Test. Sie haben dort die Opposition beschimpft: Lügner, Hetzer, Demagogen und welche Worte da alle gefallen sein mögen.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist gar nicht wahr!)

Ich will nur eines sagen: Die SPD draußen im Land zu beschimpfen und hier Kooperationsangebote zu machen - mit dieser Art von Arbeitsteilung werden Sie in uns keinen Partner finden.

(Beifall bei der SPD)

Nun bin ich bei der Vorbereitung für diese Debatte für einen kurzen Moment etwas erschrocken. Denn in der „International Herald Tribune" von heute morgen stand zu lesen, der Bundeskanzler werde im Deutschen Bundestag eine kämpferische Rede halten und eine Breitseite auf die Opposition abfeuern.

(Heiterkeit bei der SPD Zuruf von der SPD: Tot sind wir!)

Seien Sie doch bitte so nett und sagen Sie Ihren Beratern und denen, die solche Sprüche in die Welt setzen, daß man die Erwartungshorizonte den Realitäten anpassen sollte. Die Erwartung in bezug auf Ihre politische Kraft ist gering geworden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als wir die Vorlage eines Berichts zur Lage der Nation beantragten - insofern kann ich nicht kritisieren, daß Sie heute eine Regierungserklärung abgegeben haben -,

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das meine ich aber auch! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre ja noch schöner!)

da hatten wir die letzte kleine Hoffnung, daß mit dieser Regierungserklärung das erreicht wird, was die Aufgabe von Regierungserklärungen ist, nämlich Klarheit über die Politik zu schaffen. Was Sie heute morgen getan haben, ist, Klarheit über den inneren Zustand der Koalition zu schaffen. Das wußten wir aber schon.

(Beifall bei der SPD)

Klarheit über die Politik schaffen Sie aber so nicht. Mit diesem hilflosen Schwanken - ich wiederhole - zwischen Beschönigung und Appell, „Weiter so!" und dem Aufzeigen von Perspektiven, zwischen angeblichem Veränderungswillen und dem Bedürfnis nach Sicherheit lassen Sie am Ende die Menschen hilflos zurück. Das ist das Schlimmste, das in Deutschland geschehen kann, nämlich daß die Politik in einem Land mit so hoher, mit so massenhafter
Arbeitslosigkeit, mit so großen Herausforderungen am Ende die Menschen hilflos zurückläßt.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wie in Mexiko!)

Deswegen ist Ihre Regierungserklärung unter zwei Gesichtspunkten interessant, nämlich unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie nicht gesagt haben, und unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie fortsetzen wollen. Sie haben nichts zu dem Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit gesagt; Sie haben nicht gesagt - das haben Sie auf dem CDU-Parteitag noch gesagt -, wenn Sie wenigstens zwei Drittel dieses Ziels erreichen würden, sei das schon ein großer Fortschritt. Sollen wir daraus schlußfolgern, daß Sie das Ziel eines wesentlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit und der Verwirklichung von Vollbeschäftigung aufgegeben haben?

(Beifall bei der SPD Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sie haben doch gar nicht zugehört! Sie haben gepennt!)

Sie haben eine Bemerkung zu den Lohnnebenkosten gemacht, aber nichts zu den Konsequenzen gesagt, die Sie auf der Seite des Gesetzgebers zu ziehen haben. Sie haben an die Tarifpartner appelliert, aber ich frage Sie: Was wollen Sie als Bundesregierung tun, damit das unsägliche Verfahren beendet wird, immer wieder neu die Arbeitnehmer und die Arbeitsplätze zu belasten, anstatt für einen fairen Lastenausgleich in Deutschland zu sorgen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Was ist das für eine Politik, bei der erst beim gesamten unteren Drittel der Bevölkerung abkassiert wird und dann gesagt wird, daß man jetzt bei den Nachtarbeitszuschlägen, möglicherweise auch bei der Mehrwertsteuer zulange? Auch dazu haben Sie nichts gesagt.
Was ist denn das für eine Regierungserklärung, in der nicht eine einzige klarstellende Bemerkung kommt, nachdem wochenlang in der deutschen Öffentlichkeit über die Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird? Es wäre klarzustellen gewesen: Ist das nun ein Punkt? Ist das keiner? Was haben die Verbraucher zu erwarten? Was hat die Wirtschaft zu erwarten? Was haben das Handwerk und der Mittelstand zu erwarten?
Ihre Politik des Zögerns, des Schwankens, des Hinundherwackelns fördert den Attentismus, sie bringt die Leute in die Unsicherheit und entwickelt keine Perspektive für Deutschland, die wir angesichts der großen Herausforderungen dringend brauchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sie haben nichts zu den unsinnigen Vorhaben gesagt, den flexiblen, intelligenten Einsatz von menschlicher Arbeit zu besteuern. Nachts, sonn- und feiertags arbeitet doch niemand aus Jux, sondern die Menschen arbeiten dann, weil es die Technik, die Arbeitswelt und die Organisation der Arbeit erfordern.

Rudolf Scharping
Was ist das für ein Unsinn, die Besteuerung der privaten Vermögen abzuschaffen, damit Milliarden rauszuschmeißen und einen Teil davon zu Lasten der Arbeitnehmer und der Arbeitskraft wieder einzukassieren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Sie haben nichts zur Besteuerung von Lebensversicherungen und deren Erträgen gesagt, obwohl das doch ein Eingriff in das Vertrauen und eine Zerstörung der Vertrauensgrundlage ist. Mag sein, daß es dafür ernste Gründe gibt oder Sie solche reklamieren wollen. Warum nennen Sie diese dann nicht? Warum verunsichern Sie die Menschen immer weiter? Warum ist es möglich, daß nach einer Regierungserklärung immer noch der Zweifel über die Zukunft der Rentenversicherung besteht?

(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Meine Damen und Herren, der Generationenvertrag ist eine ganz unverzichtbare Säule des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Friedens. Wie Sie diesen Generationenvertrag ins Gerede und ins Mißtrauen gebracht haben, ist völlig unverantwortlich gegenüber der Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Soll ich, Herr Bundeskanzler, eine Schlußfolgerung ziehen, bei der sich mir innerlich die Haare sträuben? Norbert Blüm ist heute in der „Süddeutschen Zeitung" mit dem Satz zu vernehmen, Kohl sichere ihm zwar stets seine Hilfe zu, „nur kann ich mich nicht darauf verlassen" .

(Dr. Peter Struck [SPD]: Hört! Hört!)

Ist das der Grund, weshalb Sie im Text stehen, aber nicht gesagt haben, was Sie zu Norbert Blüm und der Rentenkommission usw. meinen? Rechtfertigt das offenkundig schwieriger gewordene Klima zwischen einigen Akteuren - mögen sie nun Kohl, Blüm, Waigel oder Schäuble heißen - am Ende, das deutsche Volk mit Millionen Rentnerinnen und Rentnern mit ein paar Floskeln abzuspeisen, anstatt Klarheit zu schaffen?

(Beifall bei der SPD)

Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich wußte ja schon, daß die Politik der Bundesregierung stark erklärungsbedürftig ist und es folglich viele Redner und Worte braucht, aber daß ich aus diesem Schwall der Worte und aus der Länge einer solchen Regierungserklärung allenfalls auf die Lustlosigkeit, die Hilflosigkeit, den Widerwillen, den man spüren kann, die Phantasielosigkeit, die sich in ihr ausdrückt, auf den Zustand der Politik schließen muß, hatte ich nicht erwartet.
Ich hatte auch nicht erwartet, daß Sie fortsetzen würden, was Sie in den letzten Jahren getan haben. Sie, Herr Bundeskanzler, hatten wie kein anderer Regierungschef in Deutschland die Chance, Konsens zu bilden, Kooperation herbeizuführen und gemeinsame Verantwortung zu mobilisieren. Sie haben das 1990 im Überschwang der deutschen Einheit mit einer großzügigen Bewegung zum Schaden des Landes und seiner wirtschaftlichen und sozialen Grundbedingungen weggewischt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie hatten diese Chance im vergangenen Jahr, als die Gewerkschaften das Angebot zu einem Bündnis für Arbeit gemacht haben. Sie haben nicht gesagt, unter welchen Bedingungen das wieder aufleben könnte. Es gab ein hilfloses kleines Geplapper über einen zentralen Gegenstand. Es ist verantwortungslos, wenn ein Regierungschef den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern, die wir für die Zukunft des Landes brauchen, so ins Gesicht schlägt, wie Sie das nach den Landtagswahlen im Frühjahr des letzten Jahres getan haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dann kommen Sie hierher, bieten uns Beschreibungen längs der Oberfläche und sagen uns, was die Probleme verursachen könnte: Die Frauen wollen arbeiten. Entschuldigung, wie soll denn anders der Anspruch auf Gleichberechtigung in einer Industrie- und Arbeitsgesellschaft eingelöst werden? Da können Sie doch nicht sagen, der Wunsch der Frauen sei schuld an der hohen Arbeitslosigkeit. Sorgen Sie dafür, daß deren Wunsch verwirklicht werden kann!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dann erzählen Sie uns etwas von Überstunden. Wissen Sie, mich beschleicht der Verdacht: Bis die Realität bei Ihnen angekommen ist, ist es zu spät.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!)

Sie haben uns hier in diesem Hohen Hause gesagt, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes bringe Arbeitsplätze und helfe der Bauwirtschaft. 2 Milliarden DM hat es gekostet, und 200 000 Menschen hat es arbeitslos gemacht. Niemandem hat es geholfen; der Bauwirtschaft hat es geschadet. Ihre Politik kündigt immer etwas an, und das Gegenteil tritt ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben gesagt, die Arbeitsvermittlung müsse privatisiert werden. Was ist denn bei der Privatisierung der Arbeitsvermittlung herausgekommen? Nichts, überhaupt nichts!
Sie haben uns etwas über die Dienstmädchen erzählt. Was ist dabei herausgekommen? Ein paar hundert Beschäftigungsverhältnisse, nichts weiter!
Sie haben etwas über die Lohnfortzahlung gesagt und gepriesen, welche Welle der Erneuerung durch Deutschland gehe. Herr Bundeskanzler, nichts an Erneuerung ist durch Deutschland gegangen. Vielmehr I haben Sie den sozialen Frieden und das Vertrauen

Rudolf Scharping
der Menschen, die wir brauchen, erneut tiefgreifend beschädigt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Jetzt entdecken Sie die 1,8 Milliarden Überstunden. Ja, guten Morgen!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Erinnern Sie sich noch, daß mit Ihrer Stimme, Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, in diesem Deutschen Bundestag ein Gesetzentwurf zur Begrenzung von Überstunden durch stärkere Mitbestimmung der Betriebsräte abgelehnt worden ist? Das war im Juni 1994. Erinnern Sie sich noch, daß in dieser Wahlperiode mit Ihrer Stimme eine ganze Reihe von Anträgen abgelehnt worden ist, endlich die Überstunden abzubauen?

(Beifall bei der SPD)

Erinnern Sie sich noch, daß die Mitglieder Ihrer Regierung hier von den Umverteilungspolitikern mit ihren alten Ideologien von der Verkürzung der Arbeitszeit und weiß der Teufel was geredet haben? Jetzt entdecken Sie auf einmal den Wert der Teilzeitarbeitsplätze, die von der SPD-Bundestagsfraktion schon mehrfach beantragt worden sind.
Wissen Sie, ich bin immer sehr dafür, wenn man Fehler gemacht hat, sie auch einzugestehen. Sie würden Autorität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen, wenn Sie sagten: Meine Politik hat Deutschland in eine so ungewöhnlich schwierige Lage geführt, daß sie nicht fortgesetzt werden darf. Diese Kraft aber haben Sie nicht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315503500
Herr Kollege Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?

Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1315503600
Ich bin immer ganz erfreut darüber, daß Mitglieder der Koalition Zwischenfragen stellen wollen, nachdem alle ihre Redner vorher Zwischenfragen abgelehnt haben. Sie erwarten von uns eine Fairneß, die sie selber nicht bieten; das ist doch ganz eindeutig.

(Lachen bei der CDU/CSU) Nun, bitte schön.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1315503700
Herr Kollege Scharping, am Beginn Ihres Redeschwalls

(Widerspruch bei der SPD)

haben Sie beklagt - die Frau Präsidentin konnte Sie gar nicht unterbrechen; ich stehe schon einige Zeit hier -, daß wir zu wenig Effektivität in der Arbeitsvermittlung hätten.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der privaten!)

Sind Sie bereit, zuzugeben, daß wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes hatten, um die Arbeitsvermittlung wesentlich zu verbessern, daß dieses Bündel zur Verbesserung der Arbeitsvermittlung durch den hinhaltenden Widerstand der SPD im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen werden mußte

(Beifall bei der CDU/CSU)

und heute nachmittag in verschlankter Form im Deutschen Bundestag beraten wird und daß genau Ihre Partei die Schuld daran trägt, daß wir das Maß an Effektivität in der Arbeitsvermittlung noch nicht erreichen konnten, das wir längst haben könnten und das notwendig ist, um den Erfordernissen des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen?

(Zurufe von der SPD)


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1315503800
Verehrter Herr Kollege, wenn ich Ihnen eine Antwort geben dürfte.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315503900
Herr Kollege Ramsauer, Sie müssen stehenbleiben, wenn Sie eine Frage gestellt haben.

Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1315504000
Es geht nämlich darum, daß die Länge Ihrer Zwischenfrage und die dadurch erforderliche Länge meiner Antwort nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Im übrigen haben Sie eines übersehen. Ich sprach von den Ankündigungen und der Behauptung dieser Ihrer Koalition - Sie gehören dazu -, die Einführung der privaten Arbeitsvermittlung werde zu einer wesentlichen Belebung des Arbeitsmarktes beitragen. Das hat sich als Lüge herausgestellt, wie sich manches andere in Ihrer Politik, ich sage einmal vorsichtig: als Unwahrheit herausgestellt hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank für den Hinweis und die Gelegenheit, daß ich Ihnen das jetzt ohne Anrechnung auf meine Redezeit erklären darf.
Zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz will ich Ihnen zwei Hinweise geben. Erstens. Sie haben sich angewöhnt, Ihren Gesetzen immer Titel zu geben, von denen jeder weiß, daß sie allenfalls noch mit der Zielsetzung von George Orwell übereinstimmen: Nie sagen, was die Realität ist, immer das Gegenteil dessen behaupten, was man wirklich tut. Sie reformieren die Arbeitsmarktpolitik nicht, Sie ruinieren die Arbeitsmarktpolitik mit diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] nimmt Platz)

- Das finde ich jetzt aber wirklich unhöflich. Wenn Sie, Frau Präsidentin, dies im Rahmen meiner Antwort gestatten, muß ich Sie noch darauf hinweisen, Herr Ramsauer: Gerade eben hat der sächsische Ministerpräsident etwas über die Entwicklung des Ar-

Rudolf Scharping
beitsmarktes gesagt. Das war eine zutreffende Analyse, der die politischen Schlußfolgerungen gefehlt haben. Eine allerdings hat er gezogen, nämlich daß mit dieser Art von Politik und dieser Gesetzgebung dem ostdeutschen Arbeitsmarkt garantiert nicht auf die Beine zu helfen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Da hat Herr Biedenkopf recht, wie ich überhaupt, ohne Sie, Herr Biedenkopf, allzusehr in diese Debatte hineinzuziehen, den Eindruck hatte, daß mit Ihrer klaren Kritik an ineffizienter und phantasieloser Politik zugleich ein sehr dezenter, aber für den Fachmann auch sehr spürbarer Tritt in Richtung Koalition verbunden war. Anders läßt sich das kaum beschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Ansonsten fand ich es ganz nett, wie Sie das gemacht haben. Aber die politischen Schlußfolgerungen haben gefehlt, und zu denen will ich jetzt noch etwas sagen.
Deutschland braucht eine grundlegend neue Politik. Diese muß sichere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und zur Entlastung der Arbeitsplätze mit einer aktiven Rolle des Staates verbinden, damit dieser nicht weiter die Zukunft konsumiert, sondern in diese Zukunft investiert.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Ach du lieber Gott!)

Es geht um eine Politik, die Anreize für Investitionen und unternehmerisches Engagement mit einer strikten Modernisierung staatlicher Tätigkeit verbindet. Was haben wir um die kleinen Fortschritte ringen müssen, die jetzt in der Beamtenbesoldung oder beim Abbau von Bürokratie erreicht worden sind!

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehen sie doch einmal nach Nordrhein-Westfalen!)

Wenn der Bundesrechnungshof über den unmittelbarsten Verantwortungsbereich der Regierung sagt: Ihr nutzt ja den Umzug gar nicht, um Geld zu sparen, Verwaltung zu modernisieren und Mitarbeiterstellen zu reformieren, sondern ihr nutzt ihn zur Aufblähung, dann ist das nicht nur eine einzelne Kritik, sondern ein Symbol für Ihre Politik: Sich selber immer fetter machen und den anderen immer mehr zumuten. Das kommt am Ende dabei heraus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich muß der Sozialstaat ganz konsequent modernisiert und folglich auch von Aufgaben und Lasten befreit werden, die in diesem Bereich überhaupt nichts zu suchen haben. Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen mehrfach Vorschläge unterbreitet, und Sie werden merken, daß wir das auch tun, wenn es in die Erörterung der Steuerpolitik, in die Erörterung der Rentenpolitik geht. Ich füge eines hinzu: Legen Sie einmal auf den Tisch, was Sie wirklich wollen! Verabschieden Sie Gesetzentwürfe, über die man reden kann! Denn den Berichten Ihrer Kommissionen kann man nicht wirklich entnehmen, was im einzelnen entschieden werden soll. Aber wenn es darum geht, dann werden wir Ihnen sagen: Die erste Voraussetzung ist, daß die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung - übrigens auch die Krankenversicherung - von fremden Aufgaben befreit werden. Diese Diskussion können wir, ja, wir müssen sie sogar aufnehmen, Herr Kollege Biedenkopf. Sie muß dann aber seriös und gründlich sowie mit einem klaren und für die Zukunft verläßlichen Ergebnis geführt werden. Damit das finanzierbar wird, appelliere ich an Sie: Folgen Sie diesem Weg nicht! Sonst wird es - dies kündige ich Ihnen an - eine wirklich große Auseinandersetzung um die Zukunft des sozialen Friedens in Deutschland geben. Denn darüber sprechen wir im Kern.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden dann neben den vielen Dingen, die hier angeführt worden sind und die ich jetzt nicht wiederholen und dadurch weder unterstreichen noch abschwächen will, dafür sorgen, daß der verhängnisvolle Weg, die Arbeitsplätze immer mehr zu belasten und den Anteil der Vermögen am gemeinsamen Fortschritt immer mehr zu reduzieren, wirklich beendet wird.
Ich weiß sehr wohl: Betriebe brauchen Erträge und Gewinne, folglich brauchen sie auch Vermögenssubstanz. All das ist klar. Ich füge aber eines hinzu: Es kann nicht so bleiben, daß Deutschland unter den großen Industriestaaten der Erde Spitzenreiter in der Belastung der Arbeitsplätze, der Arbeitnehmer sowie der Arbeitseinkommen ist und Tabellenletzter in der Heranziehung der großen Privatvermögen bei der Finanzierung des allgemeinen Fortschritts. So kann es nicht bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ein weiterer Punkt: Eine Politik ist notwendig, die Innovationen, Investitionen und unternehmerisches Risiko mit einer Bildungsoffensive und einem wirksamen Schutz der Lebensgrundlagen verbindet. Ich will Ihnen diese großen Felder nennen, weil vor jedem Erörtern von Einzelheiten klar sein muß, was erreicht werden soll: nicht mehr dieses Schwanken zwischen Beschönigung und Appell, angeblicher Veränderung und Ruin der sozialen Sicherheit sowie zwischen Kooperation und Konflikt, sondern eine intelligente, kluge und zukunftsträchtige Verknüpfung folgender vier Bereiche. Wir brauchen eine Verbindung der Sicherheit der Rahmenbedingungen für unternehmerisches Wirtschaften mit einer aktiven Rolle der Allgemeinheit, des Gemeinwesens, zur Sicherung der Voraussetzungen der Infrastruktur, der Bildung - an Hochschulen und an vielen anderen Stellen -, eine Verbindung von Förderung der Investitionen und der aktiven Tätigkeit der Unternehmen mit einer strikten Modernisierung des zu sehr bürokratisierten Staates, eine Verbindung der modernen, zukunftsgerichteten Gestaltung des Sozialstaates mit dem unabweisbaren und sehr berechtigten Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach Sicherheit und eine Verbindung zukunftsgewandter investierender

Rudolf Scharping
Politik mit Bildung, Risikobereitschaft, aber auch mit dem Schutz der Lebensgrundlagen. Das läßt sich an vielen Beispielen darstellen: bei den Lohnnebenkosten, der Steuerpolitik, der Rente und in vielen anderen Bereichen.
Herr Bundeskanzler, das, was Sie uns hier aber geboten haben, war zu gut zwei Dritteln eine untaugliche Rechtfertigung der Vergangenheit. Es war zu fast einem Drittel Appell an andere: an die Unternehmen, die Tarifpartner und die Opposition. Es war zu null Prozent neue Politik, zu null Prozent selbstkritische Einschätzung der Ergebnisse eigener Arbeit, zu null Prozent wirkliche Perspektive, zu null Prozent Mobilisierung von Verantwortungsbereitschaft und gegenseitiger Kooperation.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Clemens Schwalbe [CDU/ CSU]: Zahlen waren noch nie seine Stärke!)

Ich hoffe, das wird anders. Damit es anders werden kann, appelliere ich seitens der SPD und unserer Bundestagsfraktion an Sie: Hören Sie auf, immer die Menschen dafür verantwortlich zu machen, daß Sie Probleme mit Ihrer Politik haben! Hören Sie auf, die Lohnnebenkosten heraufzutreiben! Sie müssen heruntergesetzt werden. Hören Sie auf, ein Steuerrecht vorzuschlagen, das die größten Entlastungen bei den größten Einkommen organisiert, anstatt die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft zu entlasten!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie auf, eine Politik zu machen, deren Ergebnisse leider auf dem Tisch liegen!
Herr Bundeskanzler, wie lange Ihre Koalition auch noch halten wird - vermutlich bis zum Wahltermin 1998 und deshalb zu lang -,

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sagt ein Versager!)

wie immer das im einzelnen verläuft, eines ist dem deutschen Volk mittlerweile ganz klar: Die Politik, die Sie betrieben haben, hat Deutschland in die schwierigste wirtschaftliche, soziale und finanzielle Situation seit 1949 geführt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Kraft dieses Landes und das Vertrauen der Menschen stark beschädigt. Sie haben die Chance einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung 1990, 1996 und in den Jahren dazwischen vertan. Ihre Regierungserklärung bietet keine Perspektive für eine gute Zukunft. Sie war der Lage des Landes unangemessen. Ihre Politik muß abgelöst werden durch eine neue, hoffnungsvolle, kompetente und zukunftsträchtige Politik.

(Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315504100
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Glos.

Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1315504200
Herr Kollege Scharping, was Sie eben geboten haben, war zu 50 Prozent Klassenkampf und zu 50 Prozent Polemik.

(Lachen bei der SPD)

Es war zu 100 Prozent netto an der Sache vorbeigeredet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Manchmal habe ich den Eindruck, Sie werden das Trauma des Mannheimer Parteitages nie los.

(Lachen bei der SPD)

Immer wenn Herr Lafontaine in der Nähe ist, halten Sie eine Rede, die Ihnen, wenn Sie sie damals in Mannheim gehalten hätten, den Parteivorsitz erhalten hätte, Sie aber gleichzeitig vor der deutschen Öffentlichkeit untauglich für die Probleme dieses Landes macht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer sich scheinheilig Sorgen um die Arbeitslosen und die Wirtschaft macht und keinerlei Lösungsalternativen anzubieten hat, der versündigt sich an der Zukunft unseres Landes. Sie tragen als Oppositionspartei Mitverantwortung; Sie tragen vor allen Dingen Mitverantwortung dafür, daß viele Gesetze im Bundesrat blockiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Herr Bundeskanzler, ich möchte mich im Namen der CDU/CSU-Fraktion für Ihre Regierungserklärung bedanken.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das hat er heute nötig!)

Ich möchte mich dafür bedanken, daß sich die Bundesregierung in schwieriger Zeit aufmacht, die Probleme unseres Landes zu lösen. Die Reformen, die wir auf den Weg gebracht haben, werden uns nach vorne führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt keinerlei Anlaß zur Resignation. Wir haben Anlaß zur Sorge, aber nicht Anlaß zu resignieren. Wir müssen die Chance zu einer echten Reform nutzen, so wie es Theo Waigel bei der Steuerreform tut.
Ich möchte einmal Maier-Mannhart von der „Süddeutschen Zeitung" zitieren. Er schreibt:
Wo im politischen Geschäft aber lassen sich schon Maximalpositionen durchsetzen, zumal in einem Land, in dem sich Gruppeninteressen derart zu einem Machtfaktor entwickelt haben? Unter dieser Voraussetzung wird man wohl einräumen müssen, daß die von Wissenschaftlern und Politikern gemeinsam erarbeiteten „Petersberger Beschlüsse" nicht weit hinter den realistischen Erwartungen zurückgeblieben sind. Dies gilt auf jeden Fall für die künftige Höhe der Steuersätze. Mit einem Eingangssatz von 15 Prozent und ei-

Michael Glos
nem Spitzensteuersatz von 39 Prozent für private Einkünfte und 35 Prozent für gewerbliche Einkommen ist ein Niveau erreicht worden, das einem internationalen Vergleich der Steuersätze standhält. Treten sie so auch wirklich in Kraft, dann hat sich das Argument vom Hochsteuersatz erledigt, das die Industrie stets als einen der gravierendsten Standortnachteile ins Feld führt. Dies ist ein wichtiges Signal für Investoren, vor allen Dingen im Ausland, die bisher einen großen Bogen um Deutschland gemacht haben.
- Die müssen wir hierherholen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Scharping, Arbeit entsteht nicht durch Reden von Politikern. Arbeit entsteht erst recht nicht durch Klassenkampfparolen, sondern Arbeit entsteht dann, wenn sich die Unternehmer aufmachen, konkurrenzfähige Arbeitsplätze zu schaffen, wenn man Mut hat zum Investieren, und wenn man weiß, die Investitionen lohnen sich auch.
Wir haben heute einen Kampf um anlagesuchendes Kapital. Die Welt konkurriert in einem Maß miteinander, wie wir es nie zuvor erlebt haben. Wenn wir uns nicht verändern, dann werden wir verändert zum Negativen hin. Das ist der Grund, warum wir diese Reformen auf den Weg bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich weiß, daß Wachstum allein unsere Probleme am Arbeitsmarkt nicht lösen kann. Aber ohne Wachstum geht es nicht. Die Konjunktur gewinnt Gott sei Dank wieder an Fahrt. Wir haben eine realistische Wachstumsvoraussetzung von zweieinhalb Prozent. Die Preise sind stabil wie nie. Die Zinsen sind niedrig wie nie. Die Auftragseingänge in der Industrie aus dem Ausland machen Mut.
Das Hauptproblem, das ist zu Recht angesprochen worden, sind die zu niedrigen Investitionen, und die können wir letztlich nur durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wieder in die Höhe bringen. Nur in einem System, wie es der Herr Gysi sehr gut kennt, kann dies der Staat alles lösen. Wohin diese Lösung durch den Staat letztlich geführt hat, haben wir gemerkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen werden wir dafür sorgen, daß die Reformverhinderer aus parteitaktischen Gründen, die sich an den Arbeitslosen im Lande versündigen, keinen weiteren Einfluß auf die deutsche Politik bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die SPD handelt enttäuschend und verantwortungslos. Noch vor einem halben Jahr forderte der SPD-Finanzminister von NRW, Herr Schleußer, Eingangssteuersätze von 20 Prozent und einen Spitzensteuersatz von 40 Prozent. Jetzt, bei einem Eingangssatz von 15 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent, also bei einem Punkt Abweichung oben im Vergleich zu den SPD-Vorschlägen, nach unten
hin bei einer weit stärkeren Senkung, spricht die SPD von Steuergeschenken an die Reichen.

(Zuruf von der SPD)

- Ich verbitte mir die Kritik an Herrn Schleußer, die aus Ihrem Zwischenruf hervorgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben diese Reform auf den Weg gebracht - ich sage es noch einmal -, um Arbeit in Deutschland zu schaffen, um Arbeit in Deutschland lohnend zu machen und vor allen Dingen auch, um mit unserem Steuersystem international wettbewerbsfähig zu sein.
Ein anderer Widerspruch. Vor einem halben Jahr fordert die Steuerreformkommission des SPD-Präsidiums Aufhebung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)

und verschiedenen anderen Lohnbestandteilen nach § 3 Einkommensteuergesetz. Heute laufen SPD-Propagandisten durchs Land und schreien laut: soziale Ungerechtigkeit!

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ist es auch!)

Herr Lafontaine hat heute angeboten, in der Steuerpolitik stärker zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu prüfen, ob wir nicht eine Steuerreform noch für 1998 hinbringen. Ich kann nur sagen: Herr Lafontaine, dann holen Sie Ihre Kettenhunde wieder zurück, die draußen im Lande gegen unsere Vorschläge polemisieren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben in der Steuerreformkommission die verschiedenen Vorschläge sehr sorgfältig erwogen, und wir haben ganz stark beachtet, was auch von Ihrer Partei gekommen ist. Wenn man jetzt alle Vorschläge verteufelt, wie das getan wird, dann ist das in höchstem Maße fragwürdig. Das zeigt, daß Sie an Blockaden interessiert sind, aber nicht an Problemlösungen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Für Blockade in diesem Land steht der Name Lafontaine. Seit er Vorsitzender der SPD ist, wird Fundamentalopposition betrieben. Es wird blockiert um des Blockierens willen. Das wirkt sich, Herr Lafontaine, vielleicht einmal positiv auf den Beifall der Genossen hier aus, es wirkt sich aber negativ für unser Land und auch für Ihre eigene Partei aus.
Da möchte ich einmal Uli Maurer zitieren, der es nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg auf den Punkt gebracht hat. Er hat gesagt, die Partei habe kein Programm gehabt, das den fundamentalen Veränderungen nach der deutschen Einheit gerecht geworden wäre. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat seine Partei am Dienstag bei einer Ver-

Michael Glos
anstaltung hier in Bonn noch einmal gemahnt, endlich ein realistisches eigenes Konzept aufzustellen.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine [Saarland])

- Herr Lafontaine, ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden. Ich glaube, daß sich Schmidt weniger, wie Sie sagen, um die CSU gesorgt hat. Zu mir hat er nämlich einmal unter Zeugen gesagt, die CSU sei die einzige Partei in Deutschland, die voll agil ist und um die er sich keine Sorgen macht. Große Sorgen macht er sich allerdings um seine eigene Partei. Ganz schwere Sorgen hat er sich gemacht, als er am Autotelefon gehört hat, daß Sie zum Parteivorsitzenden gewählt worden sind.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Da hat er nämlich glatt auf der Autobahn kehrtgemacht und ist nicht zum Parteitag nach Mannheim gefahren.

(Beifall bei der CDU/CSU Horst Kubatschka [SPD]: Mit solchen blöden Sprüchen bekämpft man die Arbeitslosigkeit? Etwas mehr Nivau! Das ist ja Maulwurfniveau!)

Der Herr Bundeskanzler hat heute zu Recht gesagt: Wir brauchen einen Umbau des Sozialstaates zur Zukunftssicherung. Wir brauchen grundlegende Reformen unserer Sozialsysteme. Wer tatenlos zusieht, gefährdet den Bestand der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Wir haben sehr viele Reformen durchgesetzt. Diese Reformen haben positive Auswirkungen. Aber alle Reformen mußten wir gegen den erbitterten Widerstand der SPD in die Tat umsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Immer wieder wird die Arie vom sozialpolitischen Kahlschlag gesungen. Die Bürgerinnen und Bürger glauben Ihnen das längst nicht mehr. Wir haben in unserem Land Sozialleistungen in Höhe von mehr als 1 112 Milliarden DM, das ist mehr als 1 Billion DM, eine unvorstellbar hohe Summe. Wer dann der Koalition sozialen Kahlschlag vorwirft, der belügt die Leute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie versuchen auch, die Folgen Ihrer Blockadepolitik ständig zu verschweigen. Ich darf nur einmal an die Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erinnern, das immer noch im Bundesrat liegt und von Ihnen blockiert wird. Wir hätten seitdem Milliarden bei den öffentlichen Haushalten, insbesondere bei den Haushalten der Kommunen, einsparen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

Wir müssen aber auch den Weg zur Flexibilisierung unserer gesamten Arbeitswelt konsequent weitergehen. Der Chefvolkswirt von Siemens hat heute aus der Sicht eines großen deutschen Unternehmens noch einmal auf die Notwendigkeit von Reformen in allen Bereichen hingewiesen und dabei die geplante Steuerreform ausdrücklich begrüßt.

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Ja, 2 Milliarden DM Gewinn und dafür Arbeitsplätze abbauen!)

- Sie sollten sich einmal häufiger mit Leuten aus den Betrieben unterhalten. Sie haben ja früher einmal in einem Betrieb gearbeitet. Gehen Sie zum Beispiel einmal zu Vertretern der Automobilindustrie und fragen: Was spielt bei einer Investitionsentscheidung eine Rolle?

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Daß sie was verkaufen können!)

Mir hat unlängst der Finanzchef einer großen Automobilfirma in Deutschland erklärt, warum ein Motorenwerk in Ungarn und ein anderes in Großbritannien gebaut wird.
Interessanterweise sind es nicht alleine oder nur zu einem geringen Teil die höheren Arbeitskosten bei uns, die eine Investition verhindern. Ein Grund ist der Marktzugang in einem anderen Land.

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: So ist es!)

Vor allen Dingen ist es aber die zu hohe Steuerbelastung; denn ein Motorenwerk hat heute noch einen Arbeitskostenanteil von unter 10 Prozent. Eine viel größere Rolle spielt, wie lange man braucht, bis das Kapital wieder zurückkommt, und wie sich das Kapital verzinst. Aus solchen Gründen ist es wichtig, daß wir unser Steuersystem wettbewerbsfähig machen. Das zu verhindern, indem man mit Neidargumenten arbeitet, finde ich schäbig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wo sind die SPD-Vorschläge zur Rentenreform? Ich habe von Ihnen nur Polemiken und Klagen gehört, aber keine Vorschläge.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Gar nichts da!)

Wir wollen, daß der Generationenvertrag stabilisiert wird. Wir wollen, daß auch die 20jährigen, die 40jährigen und die jetzt 60jährigen wissen, wieviel Rente sie einmal bekommen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wollen das demographische Risiko privatisieren!)

Deswegen arbeiten wir an einer Rentenreform. Die Arbeit ist auf gutem Weg; das muß natürlich sorgfältig diskutiert werden.

(Zuruf von der SPD: Ein Irrweg!)

- Das ist kein Irrweg, sondern der richtige Weg. Mit Realitätsverlust, mit frommen Wünschen alleine können wir die notwendigen Reformen nicht durchführen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch ein Weiteres sagen, getreu nach dem Motto von Karl Valentin, der einmal formuliert

Michael Glos
haben soll: Es ist zwar schon alles gesagt worden, aber nicht von allen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber es ist schon besser gesagt worden!)

Ich appelliere von dieser Stelle aus auch an die Unternehmer - sowohl von großen als auch von kleinen Unternehmen -, wieder mehr Menschen einzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, manchmal hat man draußen noch nicht kapiert, was wir an Reformen auf den Weg gebracht haben.

(Lachen bei der SPD)

Es wird immer noch gejammert und gesagt, man könne deswegen nicht einstellen, weil man die Kosten in konjunkturell schwierigen Zeiten dann nicht schnell genug nach unten fahren könnte. Es gibt jetzt die befristeten Arbeitsverträge. Ich kann nur an die Unternehmer appellieren, stärker davon Gebrauch zu machen.
Wir haben den Kündigungsschutz in den Kleinbetrieben

(Zuruf von der SPD: Zerschlagen!)

nicht deswegen verändert, weil wir die Arbeitnehmer ärgern wollen, sondern weil wir die Betriebsinhaber ermutigen wollen, mehr einzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

Was mich ärgert, ist die Tatsache, daß heute diejenigen als Vorzeigeunternehmer gelten, die am allermeisten Leute entlassen und damit ihren Börsenkurs steigern. Ich finde das pervers.

(Zuruf von der SPD: Liberal!)

Die Börsenkurse von Unternehmen müßten nach Zukunftsaussichten und nicht nach momentanen Quartalsgewinnzahlen beurteilt werden. Eine solche Betrachtungsweise, die in immer stärkerem Maße von Amerika zu uns kommt, halte ich zutiefst für schädlich.

(Beifall bei der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

Um in dieser Hinsicht vorwärtszukommen, brauchen wir keine Unternehmerschelte, keine Unternehmerbeschimpfungen und vor allem keinen Klassenkampf. Weiter kommen wir auch nicht, wenn versucht wird, Stimmung gegen die sogenannten Reichen zu machen, wie es heute wieder ausgiebig getan worden ist, und zwar nicht nur von Herrn Gysi - von dem habe ich das erwartet -, sondern auch von denen, die offensichtlich ideologisch nicht allzuweit von Herrn Gysi entfernt sind.

(Zuruf von der SPD: Franz Josef Strauß würde im Grabe rotieren, wenn er das hören würde! Weitere Zurufe von der SPD)

Wir brauchen ein Stück Gemeinsamkeit, und es müssen die Ärmel hochgekrempelt werden. Wir brauchen vor allem

(Ludwig Stiegler [SPD]: Eine andere Regierung!)

eine SPD, die sich ihrer Verantwortung gerade für die arbeitenden Menschen wieder bewußt wird. Tun Sie das, indem Sie aufhören, unsere Reformen zu blockieren!
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315504300
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1315504400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in unserem Land bewegt die Sorge um ihre Arbeitsplätze. Wir sind deshalb in der Pflicht, die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu benennen; denn nur so werden wir sie wirksam bekämpfen können. Es gibt nur einen Weg, der zu mehr Arbeitsplätzen führt:

(Zuruf von der SPD: Weg mit der Regierung!)

die Stärkung unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Seit Beginn der 90er Jahre sind allein durch deutsche Direktinvestitionen im Ausland eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Produktionsverlagerungen ins Ausland haben eine Ursache, und diese müssen wir beseitigen, damit endlich wieder mehr Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können.
Aber anstatt gemeinsam mit uns darüber nachzudenken, wie wir im globalen Wettbewerb um Arbeitsplätze bestehen können, fordert die Opposition eine Ausweitung der Staatseingriffe. Wenn Wirtschaft so funktionieren würde, wie Sie meinen, dann hätte die DDR überlebt und nicht die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zurufe von der SPD: Oh!)

Die Herren Scharping und Fischer haben bei der Gedenkfeier für Ludwig Erhard in der ersten Reihe gesessen. Sie hätten auch zuhören sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben nichts dazugelernt!)

Ludwig Erhard, der im übrigen erst 1963 CDU-Mitglied wurde, hat beharrlich vor einem Übergewicht der Verteilungs- im Vergleich zur Ordnungspolitik gewarnt. Dies ist heute leider die Realität in Deutschland geworden.

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Seit wann regieren Sie als Liberale eigentlich?)


Paul K. Friedhoff
Der Bundeskanzler hat mehrfach das richtige Ziel bekräftigt, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 zu halbieren. Mit dem in die Jahre gekommenen Modell des Umverteilungsstaates, der sich am Konsens der Interessengruppen statt an den ökonomischen Realitäten orientiert, ist dies allerdings nicht erreichbar.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Investitionsentscheidungen für den Standort Deutschland werden an den Märkten getroffen, nicht an runden Tischen. Damit wir uns aber nicht mißverstehen, sage ich: Wir Freien Demokraten sind durchaus für Konsens,

(Zurufe von der SPD: Nein!) allerdings nur dann,


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unter euren Bedingungen!)

wenn sich dieser Konsens auf die Lösung der eigentlichen Probleme bezieht und nicht darauf, daß wir sie vertagen.

(Zustimmung bei der F.D.P. Zuruf von der SPD: Klassenkampf von oben machen Sie!)

Viele Bürger bezweifeln inzwischen, daß es überhaupt Mittel gegen die Arbeitslosigkeit gibt. Aber Arbeitslosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal, wie uns die Beispiele USA, Neuseeland und England deutlich zeigen. In den USA sind seit Anfang 1993 neun Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstanden.

(Gerhard Zwerenz [PDS]: Aber was für welche!)

Ein knappes Drittel der neuen Arbeitsplätze entfällt auf den Finanzsektor und auf den expandierenden Medienbereich. Das beliebte Klischee, das immer wieder in diesem Hause vorgetragen wird, es würden doch nur einfache Aushilfsjobs geschaffen, ist also falsch.
Zudem zeigt eine amerikanische Studie, daß nach drei Jahren 85 Prozent derjenigen, die auf dem Mindestlohnniveau eingestiegen waren, einen besser bezahlten Job haben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist also gerade die Stärke des amerikanischen Arbeitsmarktes, weniger Qualifizierten und Berufsanfängern den Einstieg zu erleichtern. Aber dieser Arbeitsmarkt ist eben nicht annähernd so reguliert wie der deutsche.
Wir wären auch in Deutschland auf dem Weg zu mehr Beschäftigung schon ein gutes Stück weiter, wenn die SPD mit ihrer Mehrheit im Bundesrat nicht uneinsichtig alle Initiativen der Koalition zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bremsen und blockieren würde.

(Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Die verhängnisvolle Staatsgläubigkeit in Deutschland, diese sozialdemokratische Tradition, sozial verantwortliche Politik immer als staatliche Intervention zu begreifen, führt ins Abseits.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ob eine Politik sozial ist oder nicht, bemißt sich daran, ob wir in der globalen Standortkonkurrenz um Arbeitsplätze bestehen können. Deshalb appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Geben Sie diese Blockadepolitik im Bundesrat auf!

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und Sie Ihre Denkblockade!)

Wenn Sie weiter verhindern, daß Arbeit in unserem Land wieder bezahlbar wird, dann verhalten Sie sich unsolidarisch mit den Arbeitslosen, dann sind Sie die Partei der sozialen Kälte.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch wirklich paradox, was Sie erzählen! Das glauben Sie doch hoffentlich selber nicht!)

Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen wir nur mit der Freisetzung marktwirtschaftlicher Dynamik. Wir müssen die Herausforderungen der globalisierten Märkte annehmen, statt uns an unseren verkrusteten Status quo zu klammern. Das gilt gleichermaßen für die neuen wie für die alten Bundesländer. Die Aufgaben, die wir für mehr Arbeitsplätze bewältigen, sind in Ost- und Westdeutschland im Prinzip identisch. Wenn man einmal die rückwärts gerichtete Politik der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen betrachtet, dann kann man wohl kaum behaupten, daß wir überall im Westen schon weiter seien als im Osten.
Reformbedarf besteht ohne Zweifel auch bei den Flächentarifverträgen. Wir Freien Demokraten wenden uns noch einmal ausdrücklich an die Tarifparteien: Werden Sie Ihrer Verantwortung endlich gerecht! Geben Sie den Betrieben den nötigen Freiraum für maßgeschneiderte Lösungen!

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist Unsinn!)

Es kann doch wohl nicht sein, daß gefährdete Betriebe in den Bankrott getrieben werden, weil sie völlig weltfremde Tarife einfach nicht bezahlen können.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Siehe Bauwirtschaft in Ostdeutschland!)

So werden Menschen in die Arbeitslosigkeit gedrängt. Vielleicht müssen wir in Zukunft das Recht der Arbeitslosen, nicht durch Vereinbarungen Dritter vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein, besser schützen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315504500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?


Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1315504600
Ich möchte meine Rede zu Ende führen.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich zu sprechen kommen. Die Diskussion hat sich in den letzten Monaten meines Erachtens wirklich zu sehr auf das Sparen verengt, so wichtig diese Erkenntnis auch ist. Es geht darum, die längst überfällige Überprüfung der Staatsaufgaben vorzunehmen und diesen Staat wieder auf seine eigentlichen Funktionen zu begrenzen, im Interesse der Arbeitslosen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Februar werden wir über die zukünftige Subventionierung des Steinkohlenbergbaus entscheiden. Für die F.D.P. ist klar, daß die vertraglichen Zusagen eingehalten werden. Ebenso klar ist aber auch, daß der Steinkohlenbergbau nach 2005 ein Auslaufbergbau ist. Es ist nicht Aufgabe des Staates, unwirtschaftliche Industrien am Dauertropf zu halten. 10 000 Millionen DM gab allein der Bund 1996 für den Steinkohlenbergbau aus. Wir sollten nie vergessen: Dieses Geld stammt von den Bürgern dieses Landes, meine Damen und Herren, und von den Betrieben, für die sich der Standort Deutschland dann noch schwieriger gestaltet. Das sollten Sie den Menschen an der Ruhr offen und ehrlich sagen, auch wenn Herr Scharping das nächste Mal mit einer Fakkel in der Hand durchs Ruhrgebiet zieht.
Generell gilt: Wer sich den überfälligen Reformen widersetzt, sei es, um eigene Besitzstände zu wahren, oder gar aus politischem Kalkül, der handelt unsolidarisch

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

gegenüber den Arbeitslosen, unsolidarisch gegenüber unseren jungen Mitbürgern, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen möchten, aber zu Almosenempfängern degradiert werden, weil wir sie vom Arbeitsmarkt fernhalten.
Ich möchte, daß wir aufrichtig sagen, was getan werden muß, um mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze nach Deutschland zu holen. Die Menschen sind tatsächlich viel verständiger für die ökonomischen Realitäten, als viele glauben. Nicht sie sind es, die sich gegen Reformen sträuben. Eine jüngst in Berlin vorgestellte Befragung von Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland hat ergeben, daß sich weit mehr als die Hälfte von ihnen auch auf ungünstigere Arbeitszeiten und eine schlechtere berufliche Position einlassen würden, um endlich wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen.

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das zeigt, wie nahe Sie an den Arbeitslosen sind!)

Lassen Sie mich zum Schluß drei Punkte feststellen und folgendes klarstellen.
Erstens. Die F.D.P. wird verstärkt um die Unterstützung der Bürger gegen die Reformverweigerer werben, die vom Sozialabbau immer wieder reden, aber ihre eigenen Besitzstände meinen.
Zweitens. Wir müssen den Blick dafür schärfen, daß wir unseren Wohlstand nicht dem egalisierenden Umverteilungsstaat, sondern der freien marktwirtschaftlichen Ordnung verdanken. Ludwig Erhard hat unermüdlich darauf hingewiesen.

(Zuruf von der SPD: Er hat aber von der s o z i a l en Marktwirtschaft geredet!)

Drittens. Wir Freien Demokraten setzen bei den Reformen vor allem auf die kleinen und mittelgroßen Betriebe. Sie schaffen zwei Drittel aller Arbeitsplätze in Deutschland. Sie sind flexibel, innovationsfreudig, Spezialisten für Strukturwandel, der eigentliche Motor unserer Wirtschaft.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie benötigen keine Subventionen oder sonstigen Schutz vor Wettbewerb, um konkurrenzfähig zu werden; sie sind es. Wir müssen sie aber aus der Zwangsjacke befreien, die ihnen der Regulierungs- und Steuerstaat angelegt hat.
Für mehr und langfristig sichere Arbeitsplätze brauchen wir eine marktwirtschaftliche Reformpolitik aus einem Guß, die auf das Prinzip Freiheit setzt. Darauf wird die F.D.P. als einzige nicht etatistische Partei in Deutschland immer wieder hinweisen.

(Zuruf von der SPD: Die Partei der Besserverdienenden!)

Im globalen Standortwettbewerb wird jede Politik, die versucht, Marktkräfte auszugrenzen, Arbeitsplätze vernichten. Man mag es begrüßen oder nicht, es ist die Realität. Deshalb wird die Koalition in ihrem Reformwillen nicht nachlassen. Nur so werden wir wieder mehr Menschen in Lohn und Brot bringen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315504700
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315504800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es festhaltenswert, was der sächsische Ministerpräsident zur Struktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland hier heute zu Protokoll gegeben hat.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!)

Ich finde es deshalb festhaltenswert, weil er hier die inhaltliche Begründung - auch für mich und für meine Fraktion - gegeben hat, die heute nachmittag zur Verabschiedung anstehende Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes abzulehnen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Dieser Vorgang macht deutlich, wie kompliziert die Gemengelage in der Koalition offensichtlich ist. Die Koalition hat der Rede von Biedenkopf starken

Rudolf Dreßler
Beifall gezollt. Sie hat überhaupt intellektuell nicht nachvollzogen,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das können die auch nicht!)

daß Biedenkopf ihre Politik kritisiert und sie zur Änderung ihrer Richtung aufgefordert hat.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite ist: Der Wirtschaftsminister stellt sich hier hin und erklärt, daß die gesundheitspolitischen Absichten seiner Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zusätzliche Arbeitsplätze schafften.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja ein Hammer!)

Ich finde es bemerkenswert, daß es einem Oppositionsabgeordneten vorbehalten ist, den Bundeswirtschaftsminister darauf hinzuweisen, daß die Länder Bayern und Baden-Württemberg - das Land BadenWürttemberg wird mit von der F.D.P. regiert - in der vorigen Woche im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht haben, einen substantiellen Teil der bereits verabschiedeten Gesundheitsgesetze wieder zurückzunehmen, weil sie Arbeitslosigkeit verursachen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Das heißt, hier wird etwas beschlossen - wider jede Logik -, und die eigene Partei in den Ländern versucht über den Bundesrat eine Teilrücknahme der bereits beschlossenen Gesetze, weil die Arbeitslosigkeit verursachen, statt Arbeitsplätze zu produzieren. Es geht hier um nicht weniger als 40 000 Arbeitsplätze, wie die Insider schätzen, im Bereich der Heilund Hilfsmittel.

(Zuruf von der SPD: Der Kuren!)

Die gleichen Leute stellen sich hier hin und werfen uns Blockade vor. Das heißt, Ihre eigenen Länder unterstützen unsere hier vorgebrachte Position, und uns werfen Sie Blockade vor. Hingegen sind Bestrebungen im Gange, über den Bundesrat mit CDU/CSU und F.D.P. den Unsinn, den Sie hier in Bonn produzieren, wieder zu korrigieren. Das ist einmal festhaltenswert.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der SPD: Kann der Rexrodt alles nicht nachvollziehen!)

Ich will, bezogen auf die Situation der deutschen Rentenversicherung, ein paar Bemerkungen machen, weil ich die Lage als ausgesprochen dramatisch einschätze.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Seit wann?)

Am 2. Februar 1996 hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Regierungserklärung zur Lage der Rentenversicherung erzwungen. Dies ist fast auf den Tag genau ein Jahr her. An diesem 2. Februar habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion einen Rentengipfel vorgeschlagen. Ich habe die Analyse der Rentenversicherung nach den uns vorliegenden Informationen vor dem Deutschen Bundestag referiert. Ich habe sie zu Protokoll gegeben und wegen der Dramatik, die sich
im Jahre 1996 abzeichnete, diesen Rentengipfel angeboten.
In einer Kurzintervention nach der Regierungserklärung hat der Bundesarbeitsminister vor diesem Hause diesen Rentengipfel kategorisch abgelehnt. Er hat gesagt, man könne hin und wieder darüber reden, aber einen Rentengipfel gebe es nicht, der komme nicht in Frage. Im Laufe der darauf folgenden Monate hat sich die Problematik in der Rentenversicherung als exakt so und noch dramatischer erwiesen, wie wir das prognostiziert haben.
Im Oktober 1996 hat die SPD einen Zwischenbericht ihrer Alterssicherungskommission vorgelegt und hat das Angebot, im Jahre 1996 die dramatische Beitragssatzsteigerung für 1997 zu verhindern, erneut mit einem Lösungsvorschlag belegt und hier eingebracht. Die Regierung hat es abgelehnt.
Nun kommt heute morgen ein Landesgruppenvorsitzender einer Koalitionspartei mit Namen Glos und behauptet hier von diesem Rednerpult, daß er vom 2. Februar 1996 bis heute im Ausland war; denn er sagt, er kenne das alles gar nicht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich muß Ihnen sagen, Herr Glos: Ein Mann, der eine Koalitionspartei im Deutschen Bundestag führt und von einer solchen Des- und Uninformation ist, stellt sich selbst in Frage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315504900
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315505000
Ja, selbstverständlich.

(Zuruf von der SPD: Er blamiert sich ja immer selbst!)


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1315505100
Sind Sie, wenn Sie schon einen so großartigen Vorschlag haben, dann wenigstens bereit, ihn hier vor der deutschen Öffentlichkeit in Grundzügen vorzustellen?

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Schämen Sie sich lieber, daß Sie nicht da waren!)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315505200
Herr Kollege Glos, ich hatte gerade angehoben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Abgehoben!)

Aber nachdem Sie hier wenigstens eingeräumt haben, daß Sie unsere Vorstellungen offensichtlich wirklich nicht zur Kenntnis genommen haben, daß Sie uninformiert sind, hoffe ich, daß Sie am Ende der Debatte etwas informierter sind.
Die Lage der Rentenversicherung, bezogen auf das Ergebnis der Kommission, die Herr Blüm geleitet hat, stellt sich wie folgt dar: Gemäß dem Kommissionsergebnis soll ab dem Jahre 2000 in zwei Essentials eine

Rudolf Dreßler
Einnahmeverbesserung für die Rentenversicherung realisiert werden.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Wo ist der Vorschlag?)

Die beiden grundlegenden Vorschläge aus Sicht der Regierungskommission lauten: erstens die Einführung einer Familienkasse - Volumen: 17,3 Milliarden DM aus Steuermitteln; woher das Geld kommen soll, sagt die Kommission sicherheitshalber nicht, aber ich will es einmal als Geschenk betrachten -,

(Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie doch einmal einen Vorschlag!)

zweitens Mittel von 3,1 Milliarden DM oder 3,5 Milliarden DM aus der Abschaffung der 610-DMGrenze, also der Versicherungspflicht bei Geringfügigkeit.
Diese beiden Essentials auf der Einnahmeseite haben drei Tage lang das Licht der Welt erblickt und wurden dann innerhalb der Koalition beerdigt: Die F.D.P. erklärte es für illusorisch.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Er macht keinen Vorschlag!)

Herr Glos selbst sagte, bezogen auf Herrn Blüm, er solle nicht larmoyant durch die Gegend laufen. Der Vorsitzende der F.D.P. erklärte, das sei mit dem Koalitionspartner nicht zu machen. Das heißt: Nach drei Tagen ist ein Regierungskonzept innerhalb der Regierung beerdigt worden. Es existiert nicht mehr.

(Zustimmung bei der SPD)

Dies hat nun heute morgen dazu geführt, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung folgende Passage, die in seinem Manuskript enthalten war, hier ungenannt ließ. Diese Passage des Bundeskanzlers Dr. Kohl hatte im Manuskript folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung strebt einen parteiübergreifenden Renten-Konsens an. Die Suche nach einem gemeinsamen Weg hat sich bei diesem Thema bereits mehrfach bewährt - zuletzt bei der Rentenreform 1992.
Erst am Ende der Diskussion über beide Reformen - Steuerreform und Rentenreform - kann auch eine Entscheidung über die Finanzierung stehen.
Ich frage mich: Welche der Koalitionsparteien hat den Bundeskanzler gezwungen, seine Auffassung, in diesem Parlament heute morgen ein Angebot zu machen, im Manuskript zu streichen? Das ist die spannende Frage.
Damit bin ich bei Herrn Blüm.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315505300
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315505400
Aber selbstverständlich.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1315505500
Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne das Angebot machen, sich nicht mit einem Text, der wie alle Texte dieser Art unter dem Vorbehalt „Es gilt das gesprochene Wort" steht,

(Zuruf von der SPD: Das gebrochene Wort!) sondern mit dem Original auseinanderzusetzen.

Ich habe die Frage: Was finden Sie an Ihrer Anmerkung so bemerkenswert?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und F.D.P. Zuruf von der SPD: Das hat er doch gerade gesagt! Michael Glos [CDU/CSU], zu Rudolf Dreßler [SPD] gewandt: Und wo sind Ihre Vorschläge?)

Ich will es noch einmal verdeutlichen: Ich habe doch im Prinzip im O-Ton nichts anderes gesagt, allerdings in verkürzter Form, als in diesem Text steht.

(Joachim Poß [SPD]: Als einfacher Abgeordneter ist er nicht zu gebrauchen!)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315505600
Herr Abgeordneter Kohl, ich will Ihnen gerne sagen, was ich daran bemerkenswert finde.

(Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Ja bitte! Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Solch eine Passage in einem Redemanuskript eines Bundeskanzlers zur Behebung einer solch schwierigen Lage nicht zu referieren ist für mich ein Politikum.

(Beifall bei der SPD)

Ich entnehme Ihrer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Kohl, daß Sie im Laufe der Debatte offensichtlich nicht bereit sind, diese Passage, die Sie als Bundeskanzler nicht referiert haben, hier vorzutragen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau! Er hat sich davon distanziert!)


Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1315505700
Herr Kollege, wenn Sie damit einverstanden sind und es den Gang der Geschäfte nicht stört, bin ich gerne bereit, Ihnen noch einmal in drei Sätzen zu sagen, was ich in der Sache meine.
Die Kommission, die der Kollege Blüm als Vorsitzender geleitet hat, hat jetzt ihren Bericht vorgelegt. Wir haben immer gesagt - in der Regierung wie in der Koalition -, daß wir den Bericht, wenn er vorgelegt wird, breit diskutieren wollen: in unserer eigenen Partei, in Gemeinschaft mit der CSU, in der Koalition und - dies habe ich hier heute schon gesagt - gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Kräften, sprich: mit Ihrer Partei, die im Bundesrat die Mehrheit hat, mit den Gewerkschaften und mit der Wirtschaft; ich sage das einmal so allgemein.
Wir wollen, wenn es irgendwie geht - das haben Sie eben korrekt zitiert -, zu einem Konsens kommen. Wir haben immer gesagt - jedenfalls ich -, daß wir über die Finanzierung reden, wenn am Ende ein Konsens erzielt wird, respektive wenn wir auf andere

Dr. Helmut Kohl
Art und Weise zu einem Ergebnis kommen. Das haben wir im Zusammenhang mit der Steuer gesagt; wir sagen es jetzt auch hier.
Ich bin schon dafür angegriffen worden, sehr früh gesagt zu haben, daß ich nicht glaube, daß all die Reformmaßnahmen, die derzeit ergriffen werden, ohne eine Veränderung bei den direkten und indirekten Steuern möglich sind. Dies ist meine Meinung.
Wenn Sie an die Frage, die Sie von mir beantwortet haben wollen, denken,

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie sollen fragen!)

sage ich Ihnen gern: Der Kollege Blüm hat eine Vorlage gemacht. Diese Vorlage enthält wichtige, auch für mich sehr bedeutsame Anregungen.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Donnerwetter!)

Die von ihm geleitete Kommission hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, die bei uns diskutiert werden müssen. Alles andere, was Sie darüber hinaus hineingeheimnissen, ist falsch.
Ich lade Sie als Vertreter Ihrer Fraktion ein, zu gegebenem Zeitpunkt an diesem Opus mitzuarbeiten. Vielleicht sind Sie dann einverstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1315505800
Meine Damen und Herren, dies ist der Zeitpunkt, dem Deutschen Bundestag die Sondierungslage über die Vorstellungen über die wichtige Frage der Sanierung der Rentenversicherung noch einmal näherzubringen, und zwar aus unserer Sicht. Dieses ist relativ einfach.
Zirka 93 Milliarden DM hat die Rentenversicherung im letzten Jahr an beitragsungedeckten Leistungen ausgegeben. Sie hat als Bundeszuschuß zirka 63 Milliarden DM Steuermittel erhalten. Daraus folgt, daß 30 Milliarden DM beitragsungedeckte Leistungen - darin stecken in der Tat eine Menge versicherungsfremde Leistungen - aus Beitragsmitteln finanziert wurden.
Die SPD vertritt seit einem Jahr die Meinung - hier im Deutschen Bundestag dargelegt, auch als Vorschlag zur Verhandlung -, diese beitragsungedeckten Leistungen, die dem System von der Politik aufgepfropft wurden, ohne daß das System das jemals reklamiert hat, herauszunehmen, um dadurch Beiträge zu senken, den Faktor Arbeit zu verbilligen, die Akzeptanz der Rentenversicherung zu erhöhen und den Privatisierern von der F.D.P. in der Rentenpolitik endlich das Handwerk zu legen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die glasklare Positionsbeschreibung der SPD.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Das Handwerk brauchen wir! Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nur hört Herr Glos wieder nicht zu!)

Ich entnehme der Zwischenfrage bzw. Zwischenintervention des Abgeordneten Kohl - wohl in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler Kohl -, daß er diese Philosophie dem Trend nach teilt. Daraus ist für mich eine Empfehlung abzuleiten.
Unsere Position ist klar: Einigen Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner F.D.P., mit Teilen der CSU! Übernehmen Sie dann - wie im Dialog gerade geklärt - unsere Position, machen Sie uns ein Angebot! Wir werden dann ohne F.D.P. die deutsche Rentenversicherung endlich aus ihrer Krise herausführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das, was ich sage, hat eine Quintessenz. Erstens. Wenn nämlich dieser Weg, der sich gerade angedeutet hat, gegangen würde, wäre - das wird Herr Blüm, der nach mir redet, gleich wohl bestätigen - keine Veranlassung mehr, die Forderung der F.D.P., das Rentenniveau auf Sozialhilfeniveau zu drücken, zu realisieren.

(Beifall bei der SPD)

Es bestünde zweitens keine Notwendigkeit mehr, die Zerschlagung der Erwerbsunfähigkeitsrente als institutives Merkmal unserer Rentenversicherung weiter im Auge zu behalten. Vielmehr könnten wir sie aufrechterhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drittens. Jede Spekulation über eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hätte damit ihr Ende gefunden. Herr Kohl, wenn das gerade Ihre wirkliche Überzeugung war, stehen wir Ihnen nicht im Wege, diese zu realisieren. Aber Sie müssen diese Partei dann erst einmal wegräumen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das war die Reformunfähigkeit der SPD in Person! Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Das war der Präsident der Besitzstandswahrer, der Dreßler!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315505900
Für die Bundesregierung hat jetzt Herr Bundesminister Blüm das Wort.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1315506000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war eigentlich gar nicht auf einen Schlagabtausch eingestimmt. Aber wenn ich höre, wir würden eine Reform planen, mit der die Rentner in die Nähe der Sozialhilfe kommen, weil im Jahre 2030 das Rentenniveau bei 64 Prozent liegt, dann muß ich sagen: 64 Prozent betrug das Rentenniveau 1972 - da haben Sie regiert!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Da hat niemand gesagt, die Rente sei unsicher.

Dazu muß ich noch einmal erklären, weil Sie mit Ihrer Parole Unsicherheit schaffen: Das Rentenni-

Bundesminister Dr. Norbert Blüm
I veau hat überhaupt nichts mit Rentenkürzung zu tun. Es besagt nur, wie die Rente steigt. Kein Mensch, niemand in der Regierung - um das klarzumachen; obwohl Herr Dreßler es immer wieder suggeriert - will den Rentnern irgendwelches Geld wegnehmen. Es geht nur darum, daß der Rentenanstieg sanfter ist.

(Peter Dreßen [SPD]: Frau Babel will es! Weitere Zurufe von der SPD)

- Nein, es liegt mir daran, deshalb rege ich mich auf. Wir können nicht von allen Seiten eine Debatte führen, die nur dazu führt, daß die Rentner in Angst und Schrecken versetzt werden.
Es geht nur darum, die Lasten zwischen Alt und Jung auszubalancieren. Insofern ist das für die Rentenversicherung gar nichts Neues. Sie ist dem Modell einer Familie nachgebildet. Jede Großmutter, jeder Großvater hat Enkel, und jeder Enkel hat Großmutter und Großvater. Insofern sehe ich hier keinen elementaren Gegensatz. Auch die Rentner müssen daran interessiert sein, daß ihre Kinder und Enkel keine Beiträge zahlen, die sie nicht zahlen können und nicht zahlen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Kein Enkel kann daran interessiert sein, daß seine Großmutter und sein Großvater nach einem erfüllten Arbeitsleben Fürsorgeempfänger werden. Das kann kein guter Enkel wollen. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft eine anständige Rentenversicherung. Ich sage: Es bleibt die gute alte Rentenversicherung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir erfinden ein System nicht zum zweiten Mal. Wir entwickeln die Rentenversicherung weiter, aber wir reißen das Haus nicht ein. Wir bauen es weiter im Sinne der Balance - ich sage es noch einmal - zwischen Jung und Alt. Das beinhaltet freilich auch den Familiengedanken.
Das sieht doch jeder ein: Wenn wir alle älter werden - Sie wollen es, Herr Dreßler, ich will es, wir alle wollen es -, dann wachsen die Rentenlaufzeiten, dann gibt es länger Rente. Dann muß man das, was an Rentenanspruch erworben ist, auf mehrere Jahre verteilen. Der Rentenanspruch wird nicht kleiner. Das ist doch die Folge eines erfreulichen Ergebnisses. Diese Veränderungen wollen wir ausbalancieren.
Daß die Familie für die Rentenversicherung eine wichtige Funktion erfüllt, daß die Erziehung von Kindern auch dazu führt, daß morgen überhaupt noch Beitragszahler da sind, das ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit.
Herr Dreßler, ich bin sehr gespannt. Mir sind vor allem Ihre Vorschläge zu den 100 Milliarden DM in Zusammenhang mit den versicherungsfremden Leistungen zu Ohren gekommen. Sie haben die Diskussion darüber gerade wieder eröffnet.
Ich will einmal klarstellen: Erstens läßt der Bund die Rentner nicht im Stich: über 60 Milliarden DM Zuschuß an die allgemeine Rentenversicherung und bis zu 20 Milliarden DM an die Knappschaft und Erstattungen. Dennoch teile ich Ihre Meinung, daß man über Umfinanzierung nachdenken muß. Ich würde in der Rentenversicherung nicht so gerne mit dem Begriff „versicherungsfremd" arbeiten.
Eine Erwerbsunfähigkeitsrente ist nicht eine versicherungsfremde Leistung. Stimmen wir darin überein? Es muß in der Sozialversicherung einen Solidarausgleich geben, sonst könnten wir gleich zur Allianz gehen. Auch einen Regionalausgleich zwischen Süd und Nord gab es immer.

(Zurufe von der SPD)

- Ich will das ja nur klarstellen.
Ich bin für die Doppelstrategie Sparen und Umfinanzieren. Das Sparen ersetzt nicht die Umfinanzierung, aber die Umfinanzierung auch nicht das Sparen. Unser Ziel, unter 40 Prozent zu kommen, erreichen wir nicht nur mit Sparen. Wir müssen der Frage nachgehen - lassen wir einmal alle Dogmatik beiseite -: Was muß von den Beitragszahlern finanziert werden, und was muß von der Allgemeinheit finanziert werden? Nicht alle Bundesbürger sind Beitragszahler, also können die Beitragszahler auch nicht alles zahlen.
Das hat zwei Gründe. Der erste Grund ist die soziale Gerechtigkeit. Wenn Sie Aufgaben der Allgemeinheit über Beitragszahler finanzieren, nimmt ein Teil der Bevölkerung daran nicht teil und diejenigen, die daran teilnehmen, nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Die guten Menschen, die der Sozialversicherung immer neue Aufgaben übertragen, betreiben also eine Subventionierung der Bezieher höherer Einkommen durch die Bezieher niedriger Einkommen.
Der zweite Grund ist in dieser Situation mindestens genauso wichtig: Wir müssen von der Belastung der Arbeit weg- und zur Belastung des Verbrauchs hinkommen. Die Belastung der Arbeit verfolgt Produkte rund um die Erde.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir aber alles gerade gesagt, Herr Blüm! Das ist nichts Neues! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Dann machen Sie es doch!)

- Ich lade Sie ja dazu ein, daß wir zusammen etwas tun.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir laden Sie ein!)

- Machen Sie doch keinen unnötigen Streit. Mir fehlt etwas bei Ihnen: Sagen Sie einmal, wo Sie sparen wollen. Denn ich glaube, daß es nur mit Umfinanzieren und Sparen geht. Bisher höre ich von Ihnen nur „Umfinanzierung" .

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit Sie mich nicht mißverstehen: Ich bin gegen diejenigen, die nur sparen wollen. Ich sage: Es geht nur in der Balance. Aber ich bin auch gegen diejenigen, die nur umfinanzieren wollen. Ich bin in der Lage: Propheten rechts, Propheten links; die einen wollen nur sparen, die anderen wollen nur umfinanzieren. Der richtige Weg ist in der Mitte, und zwar

Bundesminister Dr. Norbert Blüm
aus beschäftigungspolitischen und aus sozialpolitischen Gründen.
Hier beweist sich: Es ist gar nicht so, daß Sozialpolitik immer im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik steht, daß die Wirtschaftspolitik immer im Gegensatz zur Sozialpolitik steht. Wenn es der Wirtschaft schlechtgeht, kann es der Sozialpolitik nicht gutgehen. Ich meine das nicht nur wegen der Geldquellen. Siehe Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein Verlust an Einkommen, sondern auch ein Verlust an Bewährung und Selbstverwirklichung.
Also, wenn es der Wirtschaft schlechtgeht, kann es der Sozialpolitik nicht gutgehen. Es gilt allerdings nicht: Der Sozialpolitik muß es schlechtgehen, damit es der Wirtschaft gutgeht. Das jedenfalls ist nicht die Philosophie der sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Mann, den wir in dieser Woche gefeiert haben, war nicht nur der Mann der Kartellgesetzgebung - damit das nicht vergessen wird, Herr Friedhoff, mit Ihnen bewundernd -, sondern er hat die Mitbestimmung, das Betriebsverfassungsgesetz, den Lastenausgleich, die Rentenreform und die Kriegsopferversorgung mitgetragen. Soziale Marktwirtschaft ist eine Balance zwischen Leistung und sozialem Ausgleich, zwischen Wettbewerb und Solidarität. Diese Balance muß immer wieder neu eingependelt werden.
Ich will keinen Staat, in dem wir wie in einer Legehennenbatterie alle versorgt werden. Ich will allerdings auch keinen Staat, in dem jeder alleingelassen wird. Diese Balance ist die Aufgabe der Reformen, die jetzt vor uns stehen.
Ich bin ein erprobter Reformer.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Das bin ich wirklich; das kann man sagen.
Ich habe noch nie eine Reform ohne Streit erlebt. Im übrigen: Die Schmalspurreformen, die windschlüpfrigen Reformen, die Reformen ohne Streit sind alle nichts wert. Deshalb, Rudolf Dreßler: Habt doch einmal Mut. Tut mal „Butter bei die Fische"! Nicht nur Umfinanzierung! Wo soll gespart werden, wo ganz konkret, bei den Jungen und bei den Alten?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin sogar dafür: Selbst wenn alles in Ohnmacht fällt, marschieren wir Arm in Arm, aber nur mit dem Konzept „Sparen und Umfinanzieren". Nur das Geld umverteilen, das machen wir nicht. Denn die Beitragszahler sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt tun Sie doch nicht so, als wenn Sie für alle sprechen würden!)

- Bringen Sie es jetzt nicht auf die etwas primitive
Tour, als wäre diese Reform ein privates Problem von
Blüm. Ich brauche keine Almosen; ich brauche keine Zuwendungen. Ich bin schon relativ erwachsen.
Kohl und Blüm, wir sind alte Fuhrleute. Bei alten Fuhrleuten gibt es auch Streit. So ist das. Ich bekenne mich ausdrücklich zu Streit mit meinem Bundeskanzler. Trotzdem ist er mein Bundeskanzler.

(Heiterkeit Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist aber auch ein Minimalkonsens!)

Wir sind selbständige Menschen. Ich bin kein Meßdiener, und der Bundeskanzler ist kein Bischof. Wir sind alte Vertraute.

(Heiterkeit)

- Ich möchte daraus gar keinen Spaß machen. Es ist mir ganz ernst mit dem, was ich sage. Es wird um die Sache und um den richtigen Weg gerungen. Es wird nicht geschmust, vielmehr muß gerungen werden. Man muß sich dann irgendwann auch einigen.
Sie alle können darüber sagen, was Sie wollen: Ich bin stolz darauf, daß eine Kommission, die mit ziemlich hochrangigen Finanzwissenschaftlern, Wirtschaftswissenschaftlern, Vertretern der Deutschen Bundesbank - darüber kann man nicht so leicht hinweggehen - besetzt war, nach achtmonatiger Arbeit gegen eine Stimme, nämlich die des Professors Miegel, ein Konzept vorgelegt hat. Diejenigen, die in der Öffentlichkeit Alternativen präsentieren, wie Herr Miegel, wie Herr Biedenkopf, haben bis zum heutigen Tag nur philosophische Betrachtungen, aber kein berechenbares Konzept vorgelegt. Ich kann nur mit solchen Konzepten Rentenpolitik machen, die auf Mark und Pfennig genau berechnet sind. Mit Philosophie und großen Theorien habe ich noch nie Sozialpolitik gemacht. Acht Monate hatte man Zeit, und in diesen acht Monaten hat man kein konkretes Konzept vorgelegt.
Ich bewundere die diagnostische Kraft meines Freundes Biedenkopf. Ich frage mich nur immer: Was wollte uns der Dichter damit sagen?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe das heute morgen wieder bewundert. Es wurde gesagt, daß man sich auf die Langzeitarbeitslosen konzentrieren müsse. Darauf erwidere ich: Dafür haben wir das Arbeitsförderungs-Reformgesetz, das wir heute nachmittag noch behandeln. Damit konzentrieren wir uns auf diese Frage.
Herr Dreßler, ich habe gesehen, daß Sie vor Begeisterung glänzende Augen hatten. In rund einer Stunde können Sie die Konsequenzen aus den Biedenkopfschen Thesen ziehen und dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz zustimmen. Dort steht das nämlich alles drin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dort steht: Konzentration auf Langzeitarbeitslose. Das ist nicht philosophisch, sondern konkret gemeint. Ich erwähne den Eingliederungsvertrag - er ist heute morgen erwähnt worden -, bei dem für die

Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ersten sechs Monate das Risiko der Lohnfortzahlung vom Arbeitsamt übernommen wird. Das sind doch die konkreten Probleme. Ich erwähne weiter die Trainingsmaßnahmen. Wer zwei Jahre oder länger arbeitslos ist, hat es manchmal schwer, in das Arbeitsleben zurückzufinden. Um solche Personen muß sich das Arbeitsamt kümmern.
Das nächste Stichwort ist: Dezentralisation. Es ist richtig, wenn Herr Biedenkopf sagt: Die Musik spielt vor Ort. Ich stimme dem zu: Richtig. Um die konkreten Probleme vor Ort können wir uns mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz besser kümmern. Gegen Ihren Widerstand haben wir den Grundsatz der Dezentralisation in das Gesetz hineingeschrieben, so daß die Arbeitsämter vor Ort mehr zu sagen haben und mehr Entscheidungen treffen können und die Zentrale in Nürnberg weniger. Das ist ganz konkret.
Ich habe etwas gegen eine Diagnose, die ohne Folgen bleibt. Sie können nicht Thesen beklatschen und Konsequenzen bekriegen. Das ist Ausdruck einer politischen Bewußtseinsspaltung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei allem Streit sollte unser Ehrgeiz nicht darin liegen, jetzt einen Rentengipfel zu machen. Wenn sich Sozialpolitiker auf die Höhen eines Gipfels begeben, dann ist das aus meiner Sicht ein Spektakel.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!)

Die Koalition soll ihre Position beziehen, und auch die Opposition soll ihre Position beziehen. Hört doch einmal mit dem Begriff „Prestige" auf. Ich sage eines: In einem Rentenwahlkampf verlieren alle Parteien. Wenn jemand meint, daß er mit einem Rentenwahlkampf Erfolg haben könnte,

(Zuruf von der SPD: Die F.D.P.!)

dann halte ich ihm entgegen: Da gibt es nur Verlierer.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Da hat er recht!)

Die größten Verlierer sind die Rentner, die in Angst und Schrecken versetzt werden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer macht das denn? Sie doch!)

- Tragen Sie doch etwas dazu bei, indem Sie auf dramatische Szenarien verzichten. Sie tun doch so, als würde morgen früh die Rente nicht mehr ausgezahlt werden können. Ich frage: Ist denn eine Rente nicht ausgezahlt worden? Sind denn die Renten gekürzt worden? - Das ist doch alles nicht geschehen.
Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie doch auf, mit solchen Spektakeln zu arbeiten. Laßt uns doch zusammensetzen und über konkrete Vorschläge beraten. Sie veranstalten ein Spektakel, als würde die Rentenversicherung kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Sie gibt es schon 100 Jahre; sie hat zwei Weltkriege und die Währungsreform überstanden; sie würde selbst die SPD überstehen; da bin ich mir ganz sicher. Hört doch mit solchen Sachen auf!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht um Weiterentwicklung.

(Zuruf von der SPD)

- Es gibt solche, die eine Reform außerhalb des jetzigen Systems machen wollen. Ich gehöre zu denjenigen, die im jetzigen System bleiben und es weiterentwickeln wollen, weil ich glaube, daß wir in der Sozialpolitik gar nicht die Chance haben, bei einem Nullpunkt anzusetzen. Das ist eine utopische Vorstellung. Es geht um Erwartungen, Lebensplanungen und Versprechungen, die man nicht einfach ausradieren kann. Dann würde jedes Vertrauen in den Staat schwinden. Es gibt aus meiner Sicht nur die Chance einer Evolution.
Revolutionäre haben geglaubt, sie könnten die Welt mit einem Federstrich neu erfinden. Trümmer haben Sie zurückgelassen. Jede Revolution hinterläßt nur Trümmer. Es gibt nur den sachten Weg einer Weiterentwicklung mit Augenmaß, und zwar auch gegenüber den Jungen. Natürlich können die nicht Beiträge zahlen, wonach für sie nichts mehr übrigbleibt.
Wenn es darum geht, die Generationenleistung zu bewerten, dann appelliere ich an Sie: Die jetzigen Rentner sind diejenigen, die mit ihren Beiträgen die Kriegsfolgelasten bezahlt haben. Das waren keine versicherungsfremden Leistungen, sondern Solidarleistungen. Sie haben die Renten für die Frauen gezahlt, deren Männer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Sie haben die Beschädigtenrenten gezahlt.
Deshalb: Diese Generation hat viel zur Solidarität beigetragen, und den Wohlstand, den Gott sei Dank auch die Jungen in unserem Land genießen, verdanken wir der Solidarität der Generation, die jetzt Rente bezieht. Deshalb hat sie es nicht verdient, in einen Rentenstreit geschickt zu werden - für Kleingeld von politischem Hickhack.
Es muß gestritten werden, wenn es geht, nicht zu lange. Es muß auch entschieden werden, was der Beitragszahler zahlen muß und was Sache der Allgemeinheit ist.
Wenn wir uns auf dieser Ebene wiederfinden, haben wir nicht nur sozialpolitisch etwas geleistet, sondern auch etwas für unseren Sozialstaat. Der ist nämlich kein Ballast.

(Zuruf von der SPD)

- Ja, ich sage es doch ausdrücklich. Man kann doch auch einmal etwas Übereinstimmendes sagen. Nicht jedes Wort ist feindlich gestimmt.
Das ist eine Einladung, das Fundament des Konsenses bei allem Streit nicht zu verlassen. Die Rentenversicherung verdient die Anstrengung zu einem großen rentenpolitischen Konsens. Dazu lade ich ausdrücklich alle ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315506100
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anke Fuchs.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1315506200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Blüm, ich glaube, Sie verkennen, welche Angst, Unsicherheit und Unruhe in der Bevölkerung über das Chaos der Regierung in Rentensachen herrschen.

(Beifall bei der SPD)

Sie können nicht ermessen, wie verunsichert die Leute sind.
Herr Glos sagte heute, wir sollten mit Betriebsräten reden. Ich war gestern in einer größeren Veranstaltung. Dort wurde mir gesagt: Wir glauben dieser Regierung überhaupt nichts mehr; diese Regierung wird das Land und auch die Rentenversicherung an die Wand fahren.
Ich hätte heute von Ihnen erwartet, daß Sie bekennen: Ich, Norbert Blüm, bin dagegen, daß die Renten besteuert werden. Das wäre ein Satz gewesen, den wir hätten zur Kenntnis nehmen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich, Norbert Blüm, bin dafür, daß wir die Zahl der Beitragszahler erhöhen und daß wir dafür sorgen, daß die 610-DM-Grenze wegfällt, damit sich auch Frauen Sozialversicherungsleistungen aufbauen können. Solche Sätze hätte ich heute von Ihnen erwartet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie sich klar von dem abgrenzen, was die F.D.P. Ihnen zumutet. Ich gebe zu, es ist eine Zumutung. Es ist unerträglich, schäbig und unanständig, was heute in den Reden der F.D.P. zu hören war. Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., kündigen den sozialen Konsens in dieser Gesellschaft auf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Differenzieren wir noch einmal, vielleicht auch an die Adresse derjenigen, die von Rentenpolitik nicht soviel verstehen: Bis zum Jahre 2015 haben wir eigentlich keine Probleme, wenn wir die versicherungsfremden Leistungen in dem Rahmen, wie wir es vorschlagen, aus Bundesmitteln finanzieren
Im Augenblick ist das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern sehr gut, weil - leider - die Jahrgänge, die jetzt Rente beziehen, wegen der Weltkriege nicht so stark sind wie zukünftige Rentnergenerationen.
Wenn also diese Koalition nicht mit Hektik und Angstmache an das Rentenproblem heranginge, dann würde sie mit uns zusammen über die Frage nachdenken, was geschehen muß, um nach dem Jahre 2015 das demographische Risiko mit einzubeziehen.
Deswegen ist es völlig idiotisch, jetzt Sparaktionen zu machen. Statt dessen brauchen wir Sicherheit in der Rentenfinanzierung, wir brauchen Zukunftsperspektiven.
Für die Sozialdemokratische Partei sage ich: Es kann nicht so sein, daß wir das demographische Risiko individualisieren. Auch das muß in der Zukunft gemeinschaftlich solidarisch gestaltet werden. Denn sonst haben wir Armut im Alter, wenn unsere Kinder soweit sind. Das ist für uns nicht zu ertragen.

(Beifall bei der SPD)

Spannend finde ich, wenn man an die Rentendebatte und an die Schritte zum Sozialstaatsabbruch denkt, die Sie immer wieder gehen wollen, daß über die eine Ursache heute ganz wenig geredet wurde, nämlich über die Zahl der Beitragszahler. Die Rentenversicherung hätte keine Probleme, wenn wir keine Arbeitslosigkeit hätten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann wären nämlich 4 Millionen Menschen Sozialversicherungsbeitragszahler und Steuerzahler, und wir könnten über sehr viele andere Dinge nachdenken.
Auch wenn Herr Ministerpräsident Biedenkopf ganz interessant die Arbeitslosenzahlen differenziert dargestellt hat, bleibt es doch dabei: 4 Millionen Arbeitslose belasten unsere Gesamtfinanzen mit 160 Milliarden DM. Abgesehen von der mangelnden Zukunftsperspektive, abgesehen von der mangelnden Chance, die die Menschen haben, ist das Kernproblem, daß Massenarbeitslosigkeit für ein System zu teuer ist, weil die Menschen keine Steuern und keine Beiträge zahlen, sondern Leistungen in Anspruch nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist das A und O: Wie bekommen wir es hin, diese Massenarbeitslosigkeit abzubauen? Da sage ich ganz klar: Das hat etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. Es kann doch gar nicht angehen, daß der Wirtschaftsminister sich hier hinstellt und nur seinen Jahreswirtschaftsbericht vorliest. - Wenn ihr mal etwas Langweiliges lesen wollt, dann lest den Jahreswirtschaftsbericht. Darin steht, was die alles gemacht haben. Es wird aber nicht evaluiert, ob es irgend etwas gebracht hätte. Vielmehr wird es beschrieben und dann gesagt: Auf den Arbeitsmarkt hat das alles gar keine Auswirkungen.
Herr Minister Rexrodt, vor einem Jahr haben Sie mit glühenden Worten erzählt, wieviel Arbeitsmarktimpulse davon ausgingen, wenn all Ihre Abbruchsgesetze durchkämen. Nichts ist geschehen; keine Erfolge haben sie gezeitigt. Jetzt dümpelt alles so, wie Sie es gerne hätten, weiter vor sich hin. Deswegen ist dieser ganze Jahreswirtschaftsbericht ein Dokument des Hindümpelns.

(Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

Er offenbart klare Fehler. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung lahmt; deswegen ist es richtig, wenn wir sagen: Im Rahmen von Steuerreformen muß die Massenkaufkraft wiederhergestellt werden. - Ich nehme Ihre Bemerkung auf, Herr Kollege. Bei dem Ladenschluß war doch nicht das Thema, daß die Leute keine Zeit zum Einkaufen haben, sondern daß

Anke Fuchs (Köln)

die Leute keine Kaufkraft haben, kein Geld zum Einkaufen haben.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist es an der Zeit, daß wir Strangulierung der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen durch Abgaben und Steuern zurückführen. Dieser Punkt muß bei der Steuerreform beachtet werden.
Herr Minister Rexrodt, zugleich steht in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht: Die Binnenkaufkraft dümpelt vor sich hin, und es mangelt an Investitionen, es mangelt an Investitionsneigung. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Woher soll eigentlich diese Investitionsneigung kommen? Denn eigentlich haben Sie doch alles getan, was aus Ihrer Sicht nötig ist, um dafür zu sorgen, daß die unternehmerische Wirtschaft investiert.
Da sage ich Ihnen: Das ist Ihnen schon psychologisch mißlungen. Dieses Chaos dieser Bundesregierung wird die Menschen doch davon abhalten, jetzt zu investieren. Sie warten erst einmal ab, weil auch die unternehmerische Wirtschaft gar nicht weiß, was bei diesem Chaos noch herauskommt. Der Attentismus ist ein wichtiges Investitionshemmnis. Ich sage es einmal ein bißchen platt: Diese Bundesregierung ist das eigentliche Investitionshemmnis für die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Aber darauf will ich mich nicht beschränken. Vielmehr will ich aus unserer Sicht sagen: Sie werden diese Investitionstätigkeit, die Dynamik, das Umbrechen in zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik nicht allein durch noch so gut gestrickte steuerliche Vorteile erreichen. Wir brauchen staatliche Instrumente, um jene Dynamik auszulösen, die die Innovations- schwäche überwindet. Wir reden doch davon, daß wir in der Spitzentechnologie nicht mehr die Nummer eins sind. Deswegen muß hier etwas geschehen, und es muß heute geschehen. Wir können damit nicht so lange warten.
Wir reden doch davon, daß wir Hochschulen ausweiten wollen und daß wir im Zuge einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung auch die Fragen beantworten müssen: Welche Innovationsimpulse der Zukunft gehen von der Erneuerung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus? Wie können wir die berufliche Bildung modernisieren? Wie kommen wir in der Forschung wieder an die Spitze? Wie können wir mit einem ökologischen Zukunftsinvestitionsprogramm nachhaltiges Wachstum stärken und Massenarbeitslosigkeit abbauen? Wie können wir Städtebauförderung nachhaltig betreiben, so daß Menschen beschäftigt sind, die Städte besser werden und der Attentismus der Wirtschaftstätigkeit in den Städten aufhört?
Letzter Punkt. Wie können wir vernünftigerweise mit einer ökologischen Steuerreform, die heute auch schon angesprochen worden ist, die Energie verteuern, die Arbeit entlasten und Spielraum für eine innovative Politik in Richtung ökologische Erneuerung schaffen? Dazu bedarf es Initiativen, meine Damen und Herren, und wir werden diese vorlegen.

(Beifall bei der SPD)

- Ich sagte eben: Wir werden diese vorlegen. Nein, wir haben das alles schon vorgelegt.
Den Schnack, Sie wüßten nicht, was wir wollen, finde ich immer sehr wichtig. Wir haben zu all den Themen, die ich hier vorgetragen habe, Anträge eingebracht. Ich finde es beachtlich, daß der Wirtschaftsminister die Frage mangelnder Innovationsfähigkeit der unternehmerischen Wirtschaft nicht zum zentralen Thema gemacht, sondern sich herausgeredet hat mit einem „Weiter so! ": Ich dümple, du dümpelst, wir dümpeln, und das würde dann die Arbeitsplätze schaffen. Es wird nicht funktionieren, meine Damen und Herren. Wir brauchen Innovation, wir brauchen kreative neue Ansätze, vielleicht auch in allen unseren Köpfen, aber zunächst einmal in den Köpfen dieser Koalition, damit die Dümpelei endlich aufhört.

(Beifall bei der SPD)

Dann beschreiben Sie - ich kenne ja Herrn Hinsken und weiß, daß er es gerne möchte - eine Mittelstands- und Existenzgründungsoffensive. Der Bundeskanzler hat ja recht, daß Leute kein Chancengeld bekommen, kein Risikokapital, daß sie Sorge haben, wie sie mit den Risiken bei Gründungen umgehen sollen. Aber das funktioniert doch nur, wenn Sie endlich mit uns unsere Anträge behandeln und dazu beitragen, daß ein Instrument für die Bereitstellung von Risikokapital geschaffen wird. Bisher haben Sie unsere Anträge immer abgelehnt. Deswegen, Herr Kollege Hinsken, nehme ich Ihnen auch nicht ab, daß Sie mit uns zusammen nun endlich ein Programm starten, das mittelstandsfreundlich ist, das eine Existenzgründungsoffensive startet und mit dem wir dann sagen können: Wir schaffen bessere Bedingungen, übrigens gerade in Ostdeutschland, damit die wirtschaftliche Entwicklung dort wieder auf die Beine kommt.
Als letztes will ich noch einmal darum werben, daß wir uns alle mit Nachdruck um diese Innovationsoffensive bemühen und daß wir auch nicht meinen, mit dieser Steuerentlastung allein würde die wirtschaftliche Dynamik organisiert werden. Das wird ein längerfristiger Prozeß sein. Denn wenn man, wie ich gesagt habe, 15 Jahre lang vor sich hingedümpelt hat, dann ist ja auch vieles eingeschlafen, was für die Zukunft kreativ organisiert und verändert werden könnte.
Deswegen wissen auch wir, daß man die Massenarbeitslosigkeit nicht so schnell zurückführen kann. Diese Innovationsoffensive für neue Arbeitsplätze braucht richtigerweise einen langen Atem; denn wir wollen strukturelle Veränderungen, die sich langfristig auswirken. Darauf, meine Damen und Herren, kommt es uns an.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen - ich sehe ja, daß der Herr Bundeskanzler vielleicht mit einem Achtel Ohr zuhört - muß für die Zeit, bis sich dieser Umbruch so auswirkt, daß

Anke Fuchs (Köln)

neue Arbeitsplätze entstehen, die Frage beantwortet werden: Was machen wir so lange mit den Menschen, die arbeitslos sind? Das sind welche, die Arbeit suchen. Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich auch diese Regierung dazu bekennt, daß wir auf Dauer, solange wir alle miteinander Politik machen, Arbeitsmarktpolitik brauchen. Der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt muß verstetigt und in verläßliche Bahnen gebracht werden. Statt mehr zu tun auf diesem Sektor, der ja nachweislich Menschen in Arbeit bringt, wollen Sie doch heute nachmittag mit Ihrem Gesetz die gesetzlichen Instrumente einschränken.
Meine Damen und Herren, Sie gehen den falschen Weg. Deswegen werden wir Ihrem Arbeitsförderungsgesetz auch nicht zustimmen können. Damit bekämpfen Sie gerade wieder die Arbeitslosen, statt Arbeit für Arbeitsuchende zu finanzieren. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sie sagen, Herr Bundeskanzler, - das ist völlig richtig - wir brauchen Arbeitsplätze für Menschen, die eine einfache Arbeit wollen. Da muß man überlegen, wie man das bezahlbar macht. Da muß man überlegen: Zu welchen Bedingungen mache ich das? Da muß man die Frage beantworten: Wie schaffe ich Saisonarbeitsverhältnisse, die ganzjährige Perspektiven eröffnen? Darum müssen wir miteinander ringen. Aber das heißt doch, daß ich überlegen muß, welche Organisations- und welche Finanzierungsformen ich dafür habe und wo ich ein solches Programm ansiedele. Darüber können Sie mit uns nicht reden, wenn Sie zur gleichen Zeit die Instrumente, die wir haben, nämlich die Arbeitsförderungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, so zusammenstreichen, daß daraus keine verläßliche Perspektive entstehen kann.
Ich kann mir vorstellen, daß man Lohnkostenzuschüsse zahlt. Ich kann mir vorstellen, daß man Organisationsformen findet, durch die einfache Arbeitsplätze geschaffen werden, daß man also brachliegende Arbeit in bezahlbare Arbeitsplätze umwandelt. Dann müssen wir aber ein bißchen mehr tun, als nur darauf zu hoffen, daß wir ein „working-poor-Instrument" wie in den Vereinigten Staaten in die Hand bekommen. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Innovative Wirtschaftspolitik, die von einer Arbeitsmarktpolitik, die Beschäftigung fördert, begleitet werden muß, muß verstetigt und verbessert werden. Sie machen das Gegenteil - ich will noch einmal daran erinnern -: Der Bundeskanzler sagt jetzt: Überstunden herunter. Vor Jahren hat er ein Arbeitszeitgesetz verabschieden lassen, das die wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden heraufgesetzt hat. Sie haben doch dazu beigetragen, daß es wieder üblich geworden ist, Überstunden zu machen, anstatt solidarisch darauf zu verzichten und die Arbeit anders zu verteilen.
Auch das Vorhaben bezüglich der Teilzeitarbeit finde ich witzig. Teilzeitarbeit ist ja eigentlich Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Sonst würden ja alle Vollbeschäftigung erhalten. Teilzeitarbeit erhalten die Frauen nach dem Motto: Der Mann die Vollzeitarbeit, die Frau die Teilzeitarbeit. Wer eine Kampagne für mehr Teilzeitarbeit anstoßen möchte, muß sagen: Wir brauchen Arbeitszeitverkürzung in mehreren Variationen und eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Wenn die Möglichkeit der Teilzeitarbeit besteht, dann aber bitte sozialversicherungspflichtig. Sonst bleiben die Frauen auf diesem Gebiet ausgebeutet. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich fasse zusammen: Die Stimmung in unserem Land ist besorgniserregend. Die Menschen machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft. Mit ängstlichen Menschen werden wir jenen innovativen Prozeß nicht erreichen, den wir um der Menschen sowie der Demokratie willen und auch deswegen benötigen, um Arbeitsplätze zu schaffen und eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen.
Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315506300
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Bläss.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1315506400
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Bundesregierung, der Bundeskanzler und Vertreter der Koalition, heute zum Thema „gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland" angeboten haben, hilft den sechs Millionen Arbeitssuchenden hierzulande kein Stück weiter. Im Gegenteil: Die vom Bundeskanzler aufgemachte Begründungskette für die derzeitige Arbeitsmarktmisere - schuld sei die große Erwerbsneigung von Frauen, seien wieder einmal die Zuwanderer und die Ausländerinnen und Ausländer sowie die unwillige, schwarz arbeitende und unqualifizierte Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft hierzulande - ist ein weiterer Schlag ins Gesicht derjenigen, denen das Menschenrecht, durch eigene Erwerbsarbeit ein Leben in Selbstbestimmung und Würde zu führen, verweigert wird.
Ich frage mich, wie die Kanzlerworte vom „Aufschwung", der auf einem „soliden Fundament" steht, von den „möglichen Beschäftigungserfolgen" und von der „Verbesserung der Voraussetzungen für mehr Beschäftigung" in einem Arbeitsamtsbezirk wie Bitterfeld mit einer offiziellen Arbeitslosenrate von 24 Prozent aufgenommen werden. Allein im Januar gab es hier 2 000 neue Arbeitslose. Die Tendenz ist steigend. Derzeitiges Hauptproblem, wie überall, sind Reduzierungen im ABM-Bereich. Die Träger haben Probleme, Maßnahmen zu ergreifen. Es herrscht absolute Ungewißheit, wie hoch die Mittel sein werden, die aus Nürnberg kommen.
Das führt zu großen Schwierigkeiten bei Neubewilligungen im Bereich ABM und FuU. Die mageren

Petra Bläss
Stellenangebote auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten eben keine Chance zur Senkung der Arbeitslosenrate. Erst gestern habe ich mit der Arbeitsamtleiterin in Bitterfeld gesprochen. Sie berichtete, daß es für Frauen so gut wie gar keine Stellen gebe. Wenn überhaupt, dann seien diese meist untertariflich bezahlt. Ihr trauriges Fazit - ich zitiere sie wörtlich -: Bis 40 Jahre, dann ist Schluß; ab 45 auf dem Arbeitsmarkt kaum unterzukriegen.
Wenn Sie es mit Ihrer „gemeinsamen Verantwortung für Beschäftigung in Deutschland" wirklich ernst meinen, dann ziehen Sie als einen ersten Schritt - einige Kolleginnen und Kollegen aus der SPD haben bereits in dieser Richtung an Sie appelliert - das heute in einem parlamentarischen Eilverfahren durchzupeitschende Arbeitsförderungs-Reformgesetz zurück. Denn mit den darin vorgesehenen massiven Kürzungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik treiben Sie die Arbeitslosenzahlen weiter in die Höhe.

(Beifall bei der PDS)

In den vergangenen Wochen haben uns alle Hunderte von Protestbriefen gegen den Abbau der Arbeitsförderung Ost erreicht, in denen vor der katastrophalen Auswirkung Ihrer Rotstift-Politik gewarnt wird. Von ihr werden vor allem wieder Frauen betroffen sein, denn sie sind nach wie vor ganz besonders auf den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt angewiesen. Die praktische Politik der Bundesregierung, - leider hat Frau Nolte jetzt den Saal verlassen - ist, denke ich, der Beweis dafür, daß es sich bei solch hehren Absichtserklärungen wie den „nationalen Strategien zur Umsetzung der vierten Aktionsplattform zur vierten Weltfrauenkonferenz" um einen reinen Papiertiger handelt. Denn die Bundesregierung bezeichnet die Verbesserung der Situation von Frauen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt darin als einen strategischen Hauptschwerpunkt.
Ich empfinde es als skandalös, wenn sich der Bundeskanzler hier hinstellt und die These von sich gibt, daß die große Erwerbsneigung von Frauen de facto ein Grund für die gegenwärtige Arbeitsmarktkrise sei, und es auch noch fertigbringt, die gegenwärtige Erwerbsquote der Frauen in Ostdeutschland von 74 Prozent als eine Art Erfolg zu feiern. Dabei wird das Ausmaß von Verdrängung und Dequalifizierung, mit denen Ostfrauen derzeit konfrontiert sind, absolut ignoriert.

(Beifall bei der PDS)

Mit einer Politik, die die Absenkung von Sozialstandards und Löhnen und den Abschied vom „Gebot der Sicherung der Vollbeschäftigung heuchlerisch als Stärkung der Eigenverantwortung" verkauft, tragen Sie mehr und mehr zur weiteren Spaltung dieser Gesellschaft in arm und reich und zur Zementierung geschlechtsspezifischer Disparitäten auf dem Arbeitsmarkt bei. Wir haben heute reichlich über die Krise des Systems der sozialen Sicherung gesprochen. Ein Fazit lautet: Diese Krise ist durch Ihre Politik des Sozialraubbaus eine hausgemachte.
Denn es ist die Massenarbeitslosigkeit, die uns hierzulande so teuer zu stehen kommt.

(Beifall bei der PDS)

Einige Anmerkungen zu Ihren Vorschlägen zur Fortentwicklung der Rentenversicherung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden die solidarische Versicherung nicht stärken, sondern zerstören. Mit Ihrem neuen Eckpfeiler, der steuerfinanzierten Familienkasse, greifen Sie - berechtigt - das Problem der versicherungsfremden Leistungen auf. Aber Sie haben es genau am falschen Ende angepackt statt bei der Fremdrentenregelung und dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Der Gedanke der Beitragsbezogenheit soll nun dermaßen überzogen werden, daß letztlich das Solidarprinzip verschwindet.
Herr Minister Blüm, das Rentenniveau mit einem Demographiekoeffizienten abzusenken wird dazu führen, daß viele Rentnerinnen und Rentner langfristig in die Sozialhilfe abrutschen. Die Renten derjenigen zu kürzen, die tagtäglich um Arbeitsplätze kämpfen müssen und deren Erwerbsbiographien kaum für eine ausreichende Alterssicherung genügen, und andererseits wachsende Gewinne unangetastet zu lassen, zeigt ganz deutlich, wessen Geistes Kind diese Rentenreform ist.
Der Solidargedanke der gesetzlichen Rentenversicherung darf nicht mit bloßer Beitragsäquivalenz betrachtet werden. Notwendig sind neuartige Finanzierungsmodelle. Für die Zukunft braucht die gesetzliche Rentenversicherung einen neuen Ansatz. Solange nicht mit gleicher Intensität darüber nachgedacht wird, wie die Sozialversicherungskassen unter den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt und unter der demographischen Entwicklung neu und andersartig gefüllt werden können, bleibt nur die unsoziale Leistungskürzungsspirale. Die PDS hat Alternativvorschläge vorgelegt. Ich nenne nur die Ausweitung der Versicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde oder die Anbindung der Beiträge der Arbeitgeber an die Wertschöpfung der Unternehmen.
Statt in einer hektisch geführten Rentendebatte Woche für Woche mit immer neuen Kürzungsvorschlägen immer mehr Verunsicherung und letztlich mehr Politikverdrossenheit zu stiften, sollte sich die Bundesregierung lieber um die Einnahmenseite kümmern - sprich: den notwendigen Paradigmenwechsel in der Beschäftigungspolitik angehen.
Im Jahreswirtschaftsbericht 1997 haben Sie den Offenbarungseid geleistet. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, und Ihr Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung hat eben nicht den erhofften Beschäftigungseffekt gebracht. Da Sie nun auf das Motto Reformen für Beschäftigung setzen, gebe ich Ihnen einen Tip: Setzen Sie nicht auf neue Überschriften, sondern setzen Sie auf konkrete, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Armut. - Herr Kohl hat heute diesbezüglich wirklich nichts als heiße Luft gebracht. - Dann nämlich könnten wir uns die ganze Geisterdiskussion sparen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315506500
Ich schließe damit die Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Reformgesetz - AFRG)

- Drucksachen 13/5676, 13/5730 - (Erste Beratung 128. Sitzung)

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

- Drucksache 13/6845 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schemken Adolf Ostertag
Dr. Gisela Babel
Marieluise Beck (Bremen) Dr. Heidi Knake-Werner
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/6846 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich Austermann
Kristin Heyne
Ina Albowitz
Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Debatte die Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf namentlich durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Schemken.

Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1315506600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab hier eine redaktionelle Änderung zu Durcksache 13/6845 anmelden. Sie betrifft den § 283 auf Seite 173. Hier geht es um eine Verdeutlichung der Fassung. Die neue Fassung des § 283 Abs. 1 Nr. 2 muß insoweit ergänzt werden:
Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen,
- das Wort „besitzen" kommt hier hinein -
oder Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und
Nun hat ja die heutige Diskussion schon einiges zutage gebracht. Frau Fuchs sprach von Kreativität und Innovation. Ich finde, das paßt - -

(Konrad Gilges [SPD]: Das ist nur Flickschusterei! Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie darlegen, warum diese Änderung notwendig geworden ist?)

- Damit die Verdeutlichung sowohl für die Aufenthaltserlaubnis als auch für die Aufenthaltsberechtigung deutlich herauskommt. Vorher hieß es:
Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und
wir fügen hier ausdrücklich etwas ein:
Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen oder Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und
Das ist eine redaktionelle Änderung, die vom Ausschußbüro als notwendig erachtet wurde, Frau Präsidentin.
Nun ist ja heute schon einiges besprochen worden, und es steht wohl außer Frage, daß trotz des Wachstums die Arbeitslosigkeit nur geringfügig zurückgeht und daß wir deshalb auch ein Arbeitsförderungsgesetz, das aus dem Jahre 1969 stammt, dieser Herausforderung anpassen müssen.
Der Bundesrat hat nun die erste Fassung des AFRG blockiert, und so sind wir gehalten, um dieses Arbeitsförderungsgesetz in der überarbeiteten Form am 1. April wirksam werden zu lassen und um auch die wirksamen Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt deutlich werden zu lassen, das in dieser Form zu tun.
Wir dürfen feststellen, es ist nicht so, wie Sie das soeben in dem einen oder anderen Beitrag zum Ausdruck gebracht haben, daß die Förderung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekappt wird. Im Gegenteil, wir werden sie in den Gebieten der Bundesländer, wo es sich auch um finanzschwache Träger handelt, von 15 auf 30 Prozent erhöhen. Das gilt insbesondere für die Träger der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit. Diese Regelung soll sogar bis zum 31. Dezember des Jahres 2002 gelten. Allerdings müssen wir auch die Arbeitsmarktpolitik - und das ist wesentlich - den individuellen Wettbewerbschancen und der Integration des einzelnen in den regulären Arbeitsmarkt anpassen. Das ist im übrigen in dieser Gesetzgebung ein wichtiges Element. Dies steht im Gegensatz zu den arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen der SPD. Sie mögen da mehr den Staat beschwören, daß der Staat es regeln könne.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir wollen mehr helfen! Weiterer Zuruf von der SPD: Wir beschwören nicht, wir handeln!)

Das wäre kein Einstieg in Kreativität und Innovation.
Wir wollen im Gegenteil: Dezentralität; wir wollen

Heinz Schemken
I die Reaktion vor Ort. Deshalb schaffen wir Handlungsspielräume für die Arbeitsämter vor Ort.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Und schaffen damit mehr Arbeitslose!)

Das Stichwort lautet hier „Innovationstopf" . Damit können wir die Problemlagen vor Ort schneller erf assen. Herr Kollege Urbaniak, wir haben das ja in einem Fall am Beispiel der Benachteiligten getan.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Sag' mal nur: Bleibt das?)

Wir erwarten allerdings auch von den Arbeitgebern - das sage ich auch einmal ausdrücklich -, daß sie Eingliederungsversuche und auch Gründe für das Scheitern den Arbeitsverwaltungen mitteilen, denn die Einführung des Teilarbeitslosengeldes macht auch einiges möglich. Ich meine im Gegensatz zu dem eben Gesagten: Dies ist auch eine Beseitigung der Diskriminierung. Dies gilt auch für die Berufsrückkehrer, die wir ja in besonderer Weise - der Minister hat es ja vorhin schon deutlich gemacht - auf den ersten Arbeitsmarkt zurückführen.

(Zuruf von der SPD: Und die Behinderten?) - Ja, ich komme dazu.

Wir wollen, daß der § 102, der Rechtsanspruch in der beruflichen Rehabilitation, auch bei der Eingliederung der Behinderten bleibt. Damit bleibt der Zugang für die Behinderten zu den Berufsbildungswerken und zu den Berufsförderungswerken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dies haben wir deshalb ausdrücklich auch so formuliert.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Alles Kann-Bestimmungen!)

Bei einem Mehr von 83 Millionen DM verfügbarer Mittel bei der Förderung der Benachteiligten kann man hier nicht von einer Reduzierung sprechen. Im Gegenteil: Der Haushaltsansatz 1996 lag nur bei rund 1,5 Millionen DM. Jetzt haben wir ein schönes Stück dazugelegt. Es sind immerhin 83 Millionen DM mehr gegenüber diesem Betrag von 1,5 Millionen DM.

(Zuruf von der SPD: Und die Förderung der christlichen Jugenddörfer?)

Dies müssen wir auch gegenüber den Verbänden und Einrichtungen deutlich machen. Wenn hier heute unter dem Gesichtspunkt der Verunsicherung ständig heraufbeschworen wurde, daß möglicherweise ein Vorwurf von dieser Seite komme, dann muß ich entgegnen: Wir sollten mit diesem Instrument draußen eine positive Aufklärung nach außen betreiben.
Dies gilt auch für die Frage der Berufsberatungen. Auch hier findet in dem Sinne keine Privatisierung statt. Wir möchten sinnvoll Organisationen, Kammern und andere einbinden, die uns helfen, die jungen Menschen in die Erwachsenenwelt zu bringen, das heißt, ihnen einen Ausbildungsplatz zu verschaffen. Das ist ein ganz wichtiges Argument, weil sie sonst Sozialhilfeempfänger werden. Dieser Punkt hat uns in dieser Frage in besonderer Weise beschäftigt.
Abschließend habe ich noch einen Hinweis: Wir hätten es gerne gesehen, wenn auch Gruppierungen aus den größeren Sozialverbänden bei den Vorschlägen zu den Selbstverwaltungsorganen Benennungen durchgeführt hätten. Dies hätte dazu geführt, daß möglicherweise wenig faßbare Gruppierungen diesen Anspruch geltend gemacht hätten. Deshalb mußten wir auf diese Einlassung verzichten, so daß wir nur für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die auch tariffähig sind, diesen Zugang eröffnet haben.
Abschließend möchte ich auf die Beschlußempfehlung hinweisen und Sie bitten, diesem Gesetz zuzustimmen, damit Bewegung, Flexibilität und Innovation am Arbeitsmarkt zustande kommen und damit die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt möglichst attraktiv gestaltet wird.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315506700
Meine Damen und Herren, die Kollegin Rennebach und der Kollege Grund haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Als nächstes hat der Kollege Adolf Ostertag das Wort.

Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1315506800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Horrorsituation auf dem Arbeitsmarkt ist ja heute schon genug geredet worden. Wenn man sich dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz vor Augen hält, stellt man die Situation fest, daß der nächste Schlag gegen die Arbeitsförderung in dieser Republik geführt wird.

( Vo r s it z : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Dieses Gesetz bringt keinerlei Reform, sondern ist ein weiterer Rückschritt. Das AFRG fördert immer weniger die Beschäftigung und immer weniger die Qualifizierung der Arbeitnehmerschaft. Es steht allein unter dem Diktat der leeren Kassen. Die Arbeitsmarktpolitik verkommt auf diese Weise zu einer Restgröße von Waigels Finanzjongliererei.

(Beifall bei der SPD)

Nach den Verstümmelungen in den letzten Jahren sollen der Arbeitsförderung nun endgültig die Beine weggeschlagen werden. Mit diesem AFRG gibt die Bundesregierung das Vollbeschäftigungsziel endgültig auf. Sie kappt die aktive Arbeitsförderung gerade dann, wenn sie angesichts steigender Arbeitslosigkeit ausgebaut werden müßte. Sie wandelt die Rechtsansprüche auf berufsqualifizierende Maßnahmen in Kann-Bestimmungen um, und sie verschlechtert die Lage in den neuen Ländern, in denen der wirtschaftliche Aufholprozeß ohnehin bereits ins Gegenteil umgeschlagen ist.
*) Anlage 3

Adolf Ostertag
Die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik ist ein Torso. Der Bundeshaushalt 1997 geht von 4 Millionen anstatt von durchschnittlich 4,2 Millionen Arbeitslosen aus. Damit fallen bis zu 6 Milliarden DM zusätzlich allein an Arbeitslosenunterstützung an. Gleichzeitig wird der Zuschuß an die Bundesanstalt gekürzt. Trotz höherer Arbeitslosigkeit beträgt er nur noch 30 Prozent des bereits 1996 tatsächlich erforderlich gewesenen Zuschusses. Das zeigt, um was für ein Bruchstück es sich handelt. Das ist eine Rechnung, die niemals aufgehen kann.
Deshalb verfährt die Bundesregierung nach dem Motto: Den letzten beißen die Hunde. Nach dem Willen dieser Regierung werden letzten Endes die Arbeitslosen gebissen. Konkret heißt das: Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld müssen durch weitere Kürzungen bei den aktiven Leistungen der Arbeitsförderung ausgeglichen werden. Damit werden diese noch weiter zusammengestrichen. Die Betroffenen werden arbeitslos.
Ganz konkret wirkt sich diese Reform der Finanzierung aktiver Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel in meinem Arbeitsamtsbezirk so aus, daß die Maßnahmen für die Qualifizierung um 20 Prozent gekürzt werden. Ich empfehle Ihnen, einmal bei Ihrem Arbeitsamt nachzufragen, wie stark die Kürzungen sein werden und welche Konsequenzen das für die Menschen hat, die wirklich noch Perspektiven für sich sehen.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Unerhört, was die machen!)

Dank der unsoliden Finanzierung und der beabsichtigten Kürzungen kommt eine Förderung der besonders Benachteiligten, insbesondere der Jugendlichen, überhaupt nicht mehr zustande. Der Bundesarbeitsminister hat behinderten Jugendlichen in beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen mitgeteilt, daß die Förderung eingeschränkt werden muß. Ich finde das ganz besonders schlimm. Ich bin gespannt darauf, was insbesondere bei den benachteiligten Jugendlichen, die in Abschlußmaßnahmen, in sogenannten §-40-c-Maßnahmen, nach dem Arbeitsförderungsgesetz sind, geschehen wird. Der Ausschuß hat einstimmig gesagt, daß hier nicht gekürzt werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin gespannt darauf, ob die Regierung wirklich diesem Appell des Ausschusses nachkommen und hier Änderungen vornehmen wird, und zwar auch in Form von Anweisungen gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Gesetz, Herr Bundesarbeitsminister, werden die Arbeitsämter wirklich wieder zu Stempelbuden. Nur muß man sagen, daß wegen der gekürzten Lohnersatzleistungen bei den betroffenen Menschen künftig noch weniger abzustempeln ist.
Das zweite Beispiel, das ich nennen möchte, sind die Lohnkostenzuschüsse. Hier leistet sich die Bundesregierung ein besonders dreistes Stück zur Aushöhlung der Tarifautonomie und zur Etablierung eines Niedriglohnsektors. Arbeitgeber, die untertariflich bezahlen, erhalten zur Belohnung einen höheren Zuschuß des Arbeitsamtes. Wer tarifliche Standards unterläuft, wird belohnt, und das auch noch auf Kosten der Arbeitnehmer. Lohnkostenzuschüsse sollten eigentlich dazu beitragen, das Unternehmerrisiko bei der Einstellung bestimmter benachteiligter Personengruppen zu mindern. Nach der Konzeption des AFRG belohnen Sie Sozialdumping der Arbeitgeber. Der ursprüngliche Fördergedanke wird damit wirklich auf den Kopf gestellt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel ist die Abwälzung von Kosten der Arbeitslosigkeit auf die Kommunen. Die angeblichen Einsparungen durch das AFRG sind bei näherem Hinsehen nichts anderes als das Abdrängen von Menschen in die Sozialhilfebedürftigkeit. Das AFRG bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern allenfalls die chronische Finanznot des Finanzministers. Heute sind bereits 800 000 Bezieher von Arbeitslosenunterstützung sozialhilfebedürftig. Dieses Gesetz wird die Zahl weiter nach oben treiben.

(Zuruf von der SPD: Das ist die Politik der Regierung!)

Im Ergebnis rechnen die Kommunen mit einem weiteren Anstieg der Sozialhilfeaufwendungen von 2 Milliarden DM. Das sind auch Kommunen, in denen Sie als Abgeordnete aktiv sind. Sie sollten sich das wirklich hinter die Ohren schreiben. Das AFRG dient unter dem Diktat des Finanzministers gezielt der weiteren Ausgliederung der sozial Schwachen.
Ein letztes Beispiel: die Anrechnung von Entlassungsentschädigungen. Wider jede Vernunft und gegen jeden Rat der Sachverständigen hält die Regierungskoalition an der Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld fest, obwohl Gewerkschaften und Arbeitgeber in einer bemerkenswerten Übereinstimmung vor einer solchen Regelung warnen und eine Gefahr für den Betriebsfrieden sehen, obwohl die Tarifparteien und die Arbeitsrichter eine Prozeßflut erwarten und obwohl die Arbeitsrichter starke verfassungsrechtliche Bedenken geäußert haben. Dies alles ficht die Koalitionäre auf ihrem Kreuzzug gegen Arbeitslose und gegen Tarifautonomie nicht an. Daß mit diesen Regelungen sozialverträgliche Lösungen erschwert werden und Sozialpläne zukünftig unmöglich werden, liegt auf der Hand. Es wird aber bewußt in Kauf genommen.
Dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz stranguliert die aktive Arbeitsmarktpolitik. Unsere Anhörungen haben nachhaltig bewiesen, daß mit weiteren 300 000 Menschen zu rechnen ist, die in die Arbeitslosigkeit geraten, wenn dieses Gesetz wirksam wird. Die zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten sind mit 12 Milliarden DM zu beziffern.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erfordert zuerst den politischen Willen zu einer Wende auf dem Arbeitsmarkt. Die heutige Debatte hat bewiesen, daß Sie diesen Willen nicht haben. Es müssen natürlich auch überzeugende Konzepte hinzukommen. Ich kann für meine Partei sagen, daß wir sowohl den politischen Willen aufbringen, als auch die Konzepte

Adolf Ostertag
haben, um die Massenarbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Der Standardvorwurf, der immer wieder erhoben wird - heute auch -, die SPD habe keine Alternativen oder blockiere, ist schlichtweg falsch. Ich nenne einige Beispiele.
Im Entwurf des Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes, der im November von dieser Koalition abgelehnt worden ist, wird nachgerechnet, daß es mit denen in ihm enthaltenen Regelungen möglich ist, in zwei Jahren 500 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Mit unserem Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze haben wir nachhaltig bewiesen, daß die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben über den Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit eingebracht.

(Beifall bei der SPD)

Dadurch ließen sich 10 Milliarden DM Beitragsmehreinnahmen für die sozialen Sicherungssysteme erwirtschaften.
Wir haben im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Förderung der Teilzeitbeschäftigung vorgelegt. Das wurde heute schon mehrfach angesprochen. Schauen Sie sich diese Entwürfe endlich einmal an! Sie können nachlesen, welche Konzepte wir vorlegen und wie dem Arbeitsmarkt und der Sozialversicherung in den verschiedenen Segmenten geholfen werden kann.

(Beifall bei der SPD Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Papier ist geduldig!)

In der nächsten Sitzungswoche werden wir über unseren Entwurf „Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten" streiten, wo in der Tat enorme Beschäftigungseffekte erzielt werden können.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist aber neu bei Ihnen!)

- Vielleicht lesen Sie einmal den Entwurf. Wir werden im Plenum darüber diskutieren. Er wird demnächst auf der Tagesordnung stehen. Es wird dazu auch Anhörungen geben. Dann werden wir auch über die Zahlen reden können, das heißt darüber, welche Beschäftigungseffekte möglich sind.
Alle unsere konzeptionellen Vorschläge der letzten Jahre wurden von Ihnen abgelehnt. Durch das, was Sie unternommen haben, wurde auf dem Arbeitsmarkt nichts bewerkstelligt. Die Regierung handelt seit 14 Jahren. Wie sie handelt, können wir an den Zahlen ablesen, die in der übernächsten Woche von der Bundesanstalt für Arbeit bekanntgegeben werden.

(Beifall bei der SPD - Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD]: Leider wahr!)

Wir werden weiterhin Initiativen vorschlagen. Ich nenne hier nur stichwortartig das Thema Flexibilisierung und Verkürzung von Arbeitszeiten. Ich nenne das Beispiel Ausbildungsplatzgarantie und die Umwandlung von Überstunden in zusätzliche Arbeitsplätze. Dazu hatten wir schon Entwürfe vorgelegt; wir werden aber noch neue einbringen. Es wird sich dann zeigen, welche Position Sie dazu einnehmen. Damit liegen ganz konkrete Vorschläge für mehr Beschäftigung, für bessere Chancen der Arbeitslosen und für die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme auf dem Tisch.
Die Herausforderung unserer Gesellschaft durch die Massenarbeitslosigkeit ist bitterernst. Wenn wir diese Aufgabe nicht bestehen, glaube ich, ist unsere Demokratie in den Grundfesten gefährdet. Nicht ohne Grund warnt zum Beispiel das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, eine parteipolitisch unabhängige Institution, mit folgenden Worten:
Die Krise am Arbeitsmarkt unterminiert die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft. Die Systeme der sozialen Sicherung werden durchlöchert. Finanzierungsprobleme führen zu tiefen Einschnitten ins soziale Netz. Ein immenser Verlust an individueller und gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt ist bereits abzuschreiben, unwiederbringlich, unaufholbar. Weitere schwere Verluste stehen ins Haus.
Der nächste schwere Verlust steht heute mit dem AFRG, diesem Rückschrittsgesetz, ins Haus. Diesen Schritt, meine Damen und Herren, kann die SPD nicht mitmachen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315506900
Der Kollege Dr. Peter Raumsauer, CDU/CSU, gibt seine Rede auch zu Protokoll. *) Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.

(Beifall)

Dann hat jetzt das Wort die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1315507000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer bedeutenden großen Wochenzeitung gab ein bekannter Journalist letzte Woche zum besten, daß sich Politiker dadurch auszeichnen, daß sie nie müde werden, das immer gleiche stetig zu wiederholen. Dazu allerdings gibt uns die Bundesregierung reichlich Gelegenheit. Wir haben nämlich heute zum zweitenmal die dritte Lesung des hier vorliegenden Arbeitsförderungs-Reformgesetzes zu absolvieren.
Insofern wird es niemanden überraschen, daß die inhaltliche Auseinandersetzung über dieses Gesetz im wesentlichen gelaufen ist. Ich möchte mich des-
*) Anlage 3

Marieluise Beck (Bremen)

wegen noch einmal mit dem Verfahren auseinandersetzen, dem das Parlament seit der ersten Einbringung dieses Gesetzes ausgesetzt gewesen ist. Wir konnten gerade eben dafür ein Beispiel beobachten: Der Kollege Schemken kommt mit einem Zettelchen hier vorne an, auf dem noch eine redaktionelle Änderung bekanntgegeben wird, die gerade von irgendwem irgendwo entdeckt worden ist. Die Ausschußvorsitzende weiß von nichts, wie ich eben hören konnte. Das ist doch wirklich eine ziemliche Zumutung.
Nach den üblichen parlamentarischen Regeln hätte mit dem Abschluß des Verfahrens zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auch der identische Entwurf der Bundesregierung erledigt sein müssen. Nach der Ablehnung durch den Vermittlungsausschuß kamen aber die Strategen aus dem Arbeitsministerium zum Zuge - übrigens möchte ich ihnen in dieser Frage ein Kompliment machen -, und so lebte der Regierungsentwurf wieder auf und wurde durch die Änderungsanträge um die zustimmungspflichtigen Teile gestrippt. Auf diese Weise war es möglich, dieses nun nicht mehr zustimmungspflichtige Gesetz innerhalb von sechs Wochen zum Abschluß zu bringen. Wir alle wissen, daß die herausgenommenen Teile bereits auf Wiedervorlage liegen und uns im Sommer erneut ins Haus stehen.
Selbst wenn dieses Verfahren bei weitherziger Auslegung der Geschäftsordnung dieses Hauses vertretbar ist, so ist es doch politisch kaum mehr vermittelbar. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn so ein Verfahren Unmut und Unverständnis bei denen auslöst, die von diesem Gesetz betroffen sind.
Dieser laxe Umgang mit Verfahrensregeln findet sich auch im Detail. Da wird, wie ich von meinen Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß höre, auf Antrag der Unionsfraktion auf ein Votum des mitberatenden Wirtschaftsausschusses einfach verzichtet, da es offensichtlich in den Koalitionsfraktionen nicht möglich war, einen Konsens über das vorliegende Gesetz herzustellen.

(Zuruf der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.])

- Sie wußten davon nichts, Frau Babel? Sie können das widerlegen. Das ist bisher der Stand meiner Kenntnis.
Da bemühen wir uns als Oppositionsfraktion darum, die für den Entscheidungsprozeß durchaus relevanten Zahlen zu den finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes per Kleiner Anfrage zu besorgen, nur um die Antwort zu erhalten, daß die Bundesregierung hierzu leider noch keine Auskunft geben könne. Zur gleichen Zeit aber liegen ebendiese Zahlen in einigen Ausschüssen bereits vor. Und selbst Herr Minister Rexrodt bekennt freimütig, daß es vermutlich 1997 200 000 zusätzliche Arbeitslose geben wird, mit denen wir nach aktuellen Prognosen in jedem Fall rechnen müssen und die den Bundeshaushalt mit rund 6 Milliarden DM mehr belasten werden.
Während wir heute davon ausgehen, daß mit der uns zur Entscheidung vorliegenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes die originäre Arbeitslosenhilfe erhalten bleibt und damit Mehrkosten
auf den Bund zukommen, heißt es im Bericht des Haushaltsausschusses trocken - zwei Tage zuvor präsentiert -, daß von einem Wegfall dieser Mehrkosten für den Bund ausgegangen werden könne, da sich das Asylbewerberleistungs-Änderungsgesetz ja noch im Vermittlungsverfahren befinde. Das ist ein Durcheinander, was wirklich ziemlich unzumutbar für ein korrektes parlamentarisches Beratungsverfahren ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Soviel zum Umgang mit dem Parlament.
Ich möchte, weil bereits viele inhaltliche Fragen angesprochen worden sind, noch einen Punkt herausgreifen, der mir sehr wichtig ist. Wir wissen, daß durch die Extremsituation auf dem Arbeitsmarkt die Gefahr der sozialen Spaltung immer stärker gegeben ist. Das Muster, nach dem dann Ausgrenzung in der Gesellschaft läuft, ist bekannt. In Wildbad Kreuth ist mit der Debatte, die in bezug auf Ausländer und Arbeitsplätze angestoßen worden ist, dazu der Startschuß gegeben worden.
Man braucht keinen großen Weitblick, um zu wissen, daß nach den Ausländern andere gesellschaftliche Gruppen, die leichter an den Rand gedrängt werden können, an der Reihe sind. Das werden die Frauen sein. Wir haben dann die Debatte um die unbequeme Erwerbsneigung von Frauen und die Gewißheit, daß es dann eine noch schwächere Gruppe treffen wird, nämlich die Behinderten.
Zur Behandlung der Behinderten im Zusammenhang mit ihren Spargesetzen möchte ich an dieser Stelle noch etwas sagen. Hier hat sich allerdings gezeigt, wie leicht bestimmte Gruppen zur Verhandlungsmasse von Politik gemacht werden können und in welchem Maße sie fiskalischer Willkür ausgesetzt sind. Erst schafften sie mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz den im AFG bisher festgeschriebenen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilationsleistungen ab und nahmen hiervon lediglich die Schwerbehinderten und die Beschäftigten in den Werkstätten aus. Dann kommt der erste AFRG-Entwurf, der vorsieht, den Rechtsanspruch auch für diese Gruppen abzuschaffen. Nun sind es mit dem vorliegenden AFRG nur noch die Beschäftigten in den Werkstätten. Es handelt sich hier oft um Mehrfachbehinderte, also geistig und körperlich behinderte Menschen, die ab 1. April 1997 keinen Rechtsanspruch auf berufsfördernde Leistungen mehr geltend machen können.
Mit diesem Durcheinander, das im Laufe des vergangenen Jahres durch das Springen zwischen WFG und verschiedenen AFG-Novellen entstanden ist, haben Sie letztlich die Behinderten in unserer Gesellschaft empfindlich getroffen; denn wir müssen die Gesetzentwürfe mit ihren fiskalischen Entscheidungen sehen. Sie haben mit Ihren Kürzungsvorgaben von 500 Millionen DM aus dem WFG für den Bereich der beruflichen Reha dort besonders behinderte Menschen getroffen, deren Zukunft durch diese finanziellen Entscheidungen sehr stark eingeschränkt und deren Zugang auf den ersten Arbeits-

Marieluise Beck (Bremen)

markt, der sowieso ausgesprochen schwierig ist, noch einmal verengt wird.
Wir haben heute zu diesem einen Punkt noch einmal einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ansonsten bleiben wir bei der Haltung - das wird niemanden überraschen -, daß wir dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz in Gänze ablehnen, weil es den Fragen der Zeit nicht gerecht wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.

(Otto Reschke [SPD]: Schade, daß sie ihre Rede nicht zu Protokoll gegeben hat! Peter Dreßen [SPD]: Sie will uns ärgern!)


Dr. Gisela Babel (FDP):
Rede ID: ID1315507100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es ein quälendes Gesetzgebungsverfahren in unserem Hause gegeben hat, dann ist es das Arbeitsförderungs-Reformgesetz. Wir beraten hier ein Gesetz, das dieses Parlament schon oft beschäftigt hat. Die erste - zustimmungsbedürftige - Version ist der Totalblockade der SPD im Bundesrat zum Opfer gefallen. Deswegen debattieren wir heute über die zweite Version, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Koalition wird also ihren Willen durchsetzen. Wir haben damit eine erneute Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, einen neuen Durchgang im Plenum und auch eine neue Beratung im Bundesrat auf uns genommen.
Das wäre alles ein bißchen einfacher und rascher gegangen, Herr Minister, wenn man gleich dem Vorschlag der F.D.P. gefolgt wäre und ohne den tiefen Glauben an die Reformfähigkeit der SPD im Bundesrat gesagt hätte: Laßt es uns doch gleich zustimmungsfrei planen. Dieses Hoffen, daß wir das mit der SPD verhandeln können, ist doch vergeblich. Jetzt sind wir mit einem zweiten Anlauf dabei.
Über die Notwendigkeit des Arbeitsförderunggesetzes haben wir schon viel gesagt. Eines ist wieder deutlich geworden - Frau Beck hat das durch ihre Ausführungen noch einmal bestätigt -: der tiefe Glaube der Opposition, daß durch ein Arbeitsförderungsgesetz und durch Maßnahmen der Bundesanstalt Arbeitsplätze geschaffen werden könnten oder das Niveau der Arbeitslosigkeit langfristig verändert werden könnte. Von diesem Glauben haben wir uns in diesem Gesetz verabschiedet. Wir sind etwas bescheidener geworden. Wir wissen, daß Arbeitsmarktpolitik bestenfalls eine Brücke aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt für einen einzelnen sein kann.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist nicht wenig, löst aber nicht die Strukturprobleme, vor denen wir in Wirklichkeit stehen.
Ziel der AFG-Reform ist letztlich die Entlastung der Beitragszahler in den Zeiten hoher und steigender Arbeitslosigkeit. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Wir müssen aus dem Teufelskreis von steigenden Sozialversicherungsbeiträgen und steigender Arbeitslosigkeit ausbrechen, und zwar in allen sozialen Sicherungssystemen. Mit der Reform der Arbeitslosenversicherung soll die Bundesanstalt für Arbeit in den nächsten Jahren um fast 17 Milliarden DM jährlich entlastet werden. Das ist ein Punkt im Zusammenhang mit der Senkung von Beiträgen. Ob wir das erreichen, wissen wir nicht. Es zeigt aber, daß diese Koalition und diese Regierung ihre Aufgabe ernst nehmen.
Nur dies mündet in Arbeitsplätzen. Deswegen ist es für das AFRG wichtig, daß Steuerreform, Rentenreform und Reform der Arbeitslosenversicherung zusammenwirken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Auf diesem Weg läßt sich die Koalition auch nicht von der SPD aufhalten. Ihre Blockadehaltung im Bundesrat ist mitverantwortlich für die Verzögerung der wichtigen unterstützenden, flankierenden Maßnahmen, mit denen wir den Strukturprozeß begleiten.

(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, in der neuen Version des Gesetzes sind auf Grund der Zustimmungsbedürftigkeit einige Dinge nicht mehr enthalten. Wir hatten zum Beispiel die Mißbrauchsbekämpfung verbessern wollen. Wir wollten, daß organisierte Kriminelle das Sozialsystem nicht europaweit mißbrauchen können, daß wir in Deutschland auf der Grundlage eines sicheren Datenaustausches zur Verhinderung dieses Mißbrauchs beitragen können. Wir wollten ein Untersagungsverfahren für mißbräuchliche Berufsberatung. Wir wollten vor allem die Fettpolster im Apparat der Bundesarbeitsverwaltung abspekken; wir wollten sie zu einer schlanken und schlagkräftigen Verwaltung machen. Wir wollten auch die Selbstverwaltung auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Dies alles können wir nicht mehr tun.
Ich darf auch mit einem gewissen Ingrimm daran erinnern, daß zum Beispiel der wirklich wichtige Vorschlag, daß Landesarbeitsämter nur noch die Funktion einer Direktion haben - wir waren intern eigentlich schon so weit zu sagen, daß sie ganz wegfallen können -, an 16 Bundesländern gescheitert ist. Das zeigt mir, daß wir in der Frage des Umbaus des Sozialstaates immer wieder am Föderalismus scheitern. Die Länder wollen nicht erkennen, daß die Verwaltungsstrukturen ebenso der Reform unterliegen wie die Leistungen innerhalb der Sozialsysteme.

(Beifall bei der F.D.P.)

Hier besteht also eine geschlossene Front. Ich kann da keine Partei ausnehmen. Meine eigene Partei ist auch beteiligt. Ich möchte, daß Sie es so breit verstehen, wie ich es hier darlege.
Im wesentlichen ist das Grundkonzept des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes intakt geblieben; das ist wichtig. Das Gesetz kommt zur richtigen Zeit. Es ist für mich eine große Befriedigung zu wissen, daß die SPD es im Bundesrat nicht ein zweites Mal wird aufhalten können.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315507200
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1315507300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns als Parlament wirklich ernst nähmen, hätten wir spätestens zu dem Zeitpunkt die Debatte über dieses Gesetz abgebrochen, als der Kollege Schemken eben so en passant eine Änderung dieses Gesetzes vorgetragen hat.

(Beifall bei der PDS)

Das ist wirklich kein Glanzstück parlamentarischer Kultur.
Ich denke, die Debatte heute morgen hat allen gezeigt - jedenfalls all denjenigen, die noch in der Lage sind, die ideologische Blockade in ihren Köpfen zu überwinden -, daß der Handlungsbedarf bei der Arbeitsförderung schier erdrückend ist. Ich weiß sehr wohl, daß mit der Arbeitsförderung allein die Massenarbeitslosigkeit natürlich nicht zu bekämpfen ist. Wir brauchen aber dringender denn je eine gründliche Reform der Arbeitsförderung, die erstens diesen Namen verdient und die zweitens die Möglichkeit eröffnet, daß viele Menschen, die heute ausgegrenzt sind, wieder Anschluß finden und Arbeit bekommen.

(Beifall bei der PDS)

Dies leistet der vorliegende Entwurf des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes nicht. Ich glaube, das wissen Sie auch.
Es wird 1997 - das kann der Kanzler noch so häufig beteuern - keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt geben. Ihr eigener Jahreswirtschaftsbericht weist das aus. Die Arbeitslosenzahl wird steigen - trotz des Wachstums, trotz der Sozialraubgesetze vom September letzten Jahres und trotz eines abgespeckten Arbeitsförderungsrechtes, das Sie heute durchpauken wollen.
Ich sage Ihnen: Solange der Rotstift und nur der Rotstift Ihre Gesetze schreibt, werden Sie weder die Probleme von heute lösen noch den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Wann begreifen Sie das endlich?
Der heute vorliegende Gesetzentwurf dient nach meiner Einschätzung vor allem dazu, Kontrolle und Sanktionen gegenüber den Arbeitslosen zu verschärfen, Rechtsansprüche abzubauen und Beiträge der Arbeitslosenversicherung zu direkten Lohnsubventionen an gewinnorientierte Unternehmen umzuleiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der eigentliche Qualitätssprung in diesem Gesetz, der nur leider zur Rolle rückwärts verkommt. Ich habe Zweifel, daß Sie den Langzeitarbeitslosen damit wirklich helfen. Tragen Sie nicht eigentlich nur dazu bei, das Heuern und Feuern der Unternehmer zu erleichtern?
Man kann über die beschäftigungspolitischen Wirkungen dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetzes streiten. In einem bin ich mir mit dem Bundesarbeitsminister Blüm aber ausnahmsweise einig. Er hat gesagt: Das Arbeitsförderungsrecht allein entscheidet nicht über die Qualität der Maßnahmen, sondern der jährliche Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit.
Sehr wahr, Herr Bundesarbeitsminister! Hier haben Sie wirklich ein Eigentor geschossen;

(Beifall bei der PDS)

denn Sie haben der Bundesanstalt in diesem Jahr einen Haushalt verordnet, bei dem massiv eingespart wird.

(Unruhe)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315507400
Frau Kollegin, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist so laut, daß nicht einmal ich hier oben noch hören kann, was geredet wird. Ich finde, es ist ein Gebot der Höflichkeit, ein bißchen ruhiger zu sein.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1315507500
Danke schön, Herr Präsident.
Ich sage es noch einmal: Diese Arbeitsförderungsreform kommt mit massiven Mittelkürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit daher; allein 3,2 Milliarden DM bei Fortbildung und Umschulung sowie ABM. Das wird dazu führen, daß aktive Arbeitsmarktpolitik in Größenordnungen abgespeckt wird, die nicht nachzuvollziehen sind, obwohl es bitter nötig wäre, sie aufzustocken.

(Beifall bei der PDS)

Sie nehmen hier genau die falsche Weichenstellung vor. Die Auswirkungen, insbesondere für die neuen Länder, werden verheerend sein. Das ist auch in der Anhörung von allen Experten sehr deutlich gesagt worden.
Sie können die Maßnahmen möglicherweise noch aufrechterhalten. Aber um welchen Preis? Doch um den Preis, daß die Gruppe der arbeitenden Armen noch größer wird, um den Preis, daß die Arbeitslosen immer häufiger zusätzlich Sozialhilfe brauchen. Das trifft vor allen Dingen die Frauen.
Insgesamt muß man zu diesem Reformgesetz sagen, daß es bis in die Knochen frauenfeindlich ist. Mit diesem Arbeitsförderungs-Reformgesetz wird es den Frauen immer schwerer gemacht, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Ihre Ansprüche werden weiter reduziert. Die vorgesehene Neuregelung der Teilzeitarbeitslosigkeit geht eindeutig zu Lasten der Frauen. Das hat die Vertreterin des Deutschen Frauenrates in der Anhörung nachdrücklich deutlich gemacht.
Sie beschneiden auf unerträgliche Weise die Rechte der Menschen mit Behinderungen. Darauf ist von Frau Beck schon eingegangen worden. Ich will nur sagen: Allein die Rechtsunsicherheit, die Sie für diese Gruppe verbreiten, ist ein sozialpolitischer Skandal.

(Beifall bei der PDS)

Abschließend will ich Ihnen sagen - auch das ist in der Anhörung deutlich geworden -: Dieses Gesetz wird ein einziges Beschäftigungsprogramm sein, nämlich das Beschäftigungsprogramm der Arbeitsgerichte. Das ist uns zuwenig.

Dr. Heidi Knake-Werner
Wir wollen eine andere Reform der Arbeitsförderung. Wir wollen eine Reform, die dem unumkehrbaren Rückgang der industriellen Arbeit gerecht wird, die arbeitsmarktpolitische Prävention in den Vordergrund stellt und dazu beiträgt, daß Frauen und Männer, Menschen mit Behinderungen, Ausländerinnen und Ausländer in diesen Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu bedarf es einer massiven Aufstockung der öffentlich geförderten Beschäftigung; das wissen Sie so gut wie ich. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315507600
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1315507700
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Dr. Knake-Werner hat gerade erklärt, hier werde en passant das Gesetz noch einmal geändert. Ich möchte als Ausschußvorsitzende erklären, daß das nicht so ist.
Wir haben festgestellt, daß bei der Übertragung eines im Ausschuß beschlossenen Änderungsantrages in dem Bericht ein Fehler passiert ist. Herr Schemken hat sich um größtmögliche Präzision bemüht und auf dieses redaktionelle Versehen hingewiesen. Das hat bei einigen zu einer Verwirrung geführt. Es handelt sich also nicht um einen substantiellen Änderungsantrag, der noch einmal rasch eingebracht wird, sondern es ist die Übernahme eines von uns im Ausschuß beschlossenen Antrages.
Ich möchte nur hinzufügen, daß bei der Eile, mit der wir dieses große Gesetzgebungsverfahren haben abwickeln müssen, solche Fehler passieren können. Ich möchte nicht, daß der falsche Eindruck entsteht, daß hier en passant noch etwas hereingeschoben wird. Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315507800
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Norbert Blüm.

(Horst Kubatschka [SPD]: Nein, einmal langt!)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1315507900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Worte über das Arbeitsförderungsgesetz sind genug gewechselt.

(Abgeordnete der SPD zeigen die rote Abstimmungskarte)

Nun laßt endlich das Arbeitsförderungsgesetz durch den Bundesrat. Die Arbeitslosen warten darauf; denn darin sind neue Instrumente und neue Hilfen enthalten.

(Zurufe von der SPD und der PDS)

- Dann muß ich das erklären - ich wollte nur ganz kurz reden -: Eingliederungsvertrag, neue Trainingsmaßnahmen, neue Hilfen für die Arbeitslosen, die als Langzeitarbeitslose diese Hilfen bisher nicht bekamen, neue Möglichkeiten für die Arbeitsämter, selbst zu entscheiden und nicht erst zu warten, was die Zentrale in Nürnberg sagt. Außerdem wird hier die Finanzierung von ABM so geregelt, daß nicht passiert, was zu erwarten wäre, wenn das Gesetz nicht käme. Viele Maßnahmen würden nämlich zusammenbrechen.
Allerdings - das füge ich hinzu - ist das Gesetz nur eine Sache. Es muß angewandt werden. Das Wichtigste ist, daß offene Stellen dem Arbeitsamt gemeldet und angenommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch in dieser Zeit muß man Solidarität erwarten, daß offene Stellen nicht verweigert werden.
Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik ist eine Seite. Die andere Seite sind die Tarifpartner. Das folgende gilt vor allen Dingen für die Unternehmer: Laßt uns die loben, anerkennen und mit Beifall versehen, die in dieser schwierigen Zeit einstellen. Ob Handwerker oder Großbetrieb, die Maxime muß heißen: Einstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315508000
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Darf ich die Geschäftsführer fragen, ob irgend etwas dagegen spricht, wenn wir über den Entschließungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen zuerst abstimmen, um mit der namentlichen Abstimmung zu enden? Das scheint mir unter verschiedenen Gesichtspunkten sinnvoll zu sein. - Gut.
Aufgerufen ist der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6851. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes, Drucksachen 13/ 5676, 13/5730 und 13/6845. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6850 vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen zu geben, wenn die Urnen besetzt sind. - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht eingeworfen hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung und wäre dankbar, wenn pro Fraktion und Gruppe wenigstens ein Kollege dabliebe.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Geschäftsführer bleiben da! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bleiben nicht allein!)


(Unterbrechung von 15.35 bis 15.40 Uhr)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1315508100
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes - das sind die Drucksachen 13/5676, 13/5730 und 13/6845 - bekannt.
Abgegebene Stimmen: 571. Mit Ja haben gestimmt: 305, mit Nein: 266. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist schlecht für Deutschland!)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571 davon:
ja: 305
nein: 266
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers
Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung (Limburg) Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau)

Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr. -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther

Erich Maaß (Wilhelmshaven) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg
Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen)

Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Klaus Riegert Franz Romer
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer (Stuttgart)

Ortrun Schätzle Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr. -Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg
Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe

Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun

(Augsburg) Günther Bredehorn

Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Peter Enders
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack

(Extertal)

Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Schily
Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Richard Schuhmann (Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln) Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen

(Wiesloch)

Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek (Duisburg)

Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Elisabeth Altmann

(Pommelsbrunn) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer

Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Gerald Häfner
Antje Hermenau Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt

(Langenfeld)

Ursula Schönberger
Waltraud Schoppe
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann Dr. Barbara Höll
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin) Rosel Neuhäuser
Christina Schenk
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. Februar 1997, 13 Uhr ein.
Damit Sie sehen, daß auch Verwaltung Humor hat: Auf dem Sprechzettel steht - nicht zum Vorlesen -: „Alaaf! "
Die Sitzung ist geschlossen.