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    Plenarprotokoll 13/155 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 8: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland 13947 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 9: Debatte zur Arbeitsmarktsituation und zum Wirtschaftswachstum 13947 A Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 13947 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 13956 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 13963 A Joachim Poß SPD 13968 B Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13968 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 13974 D Dr. Gregor Gysi PDS 13977 C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13980 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 13983 B Rudolf Scharping SPD 13986 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . 13989 B Michael Glos CDU/CSU 13991 C Paul K. Friedhoff F.D.P 13994 C Rudolf Dreßler SPD 13996 D Michael Glos CDU/CSU 13997 D Dr. Helmut Kohl CDU/CSU 13998 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 13999 D Anke Fuchs SPD 14003 A Petra Bläss PDS 14005 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (ArbeitsförderungsReformgesetz) (Drucksachen 13/5676, 13/5730, 13/6845, 13/6846) 14007 A Heinz Schemken CDU/CSU 14007 B Adolf Ostertag SPD 14008 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14010 D Dr. Gisela Babel F.D.P 14012 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 14013 A Ulrike Mascher SPD 14014 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 14014 B Namentliche Abstimmung 14015 A Ergebnis 14015 B Nächste Sitzung 14017 C Berichtigungen 14017 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14018* A Anlage 2 Neuabdruck der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank und weiterer Abgeordneter zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) . . 14018* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach SPD 14020*A Manfred Grund CDU/CSU 14022* B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 14023* B Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 14024* B 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen 154. Sitzung, Seite 13864 D: In der 14. Zeile von unten sind die Worte „Diese ermöglicht eine Prognose" durch die Worte „Diese erfordert eine Prognose" zu ersetzen. Auf Seite 13865 D sind die letzten vier Absätze durch folgende Fassung zu ersetzen: Die Prognosen im Verkehrsbereich sind in der Praxis oft weit übertroffen worden. Die SNCF- Stammstrecke Paris-Lyon hatte 6 Millionen Passagiere. Im ersten Jahr der Inbetriebnahme des TGV 1982 waren es schon 8 Millionen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) Heute sind es bereits 23 Millionen. Eurotunnel, erstes Betriebsjahr, 1995: 8 Millionen Passagiere. Im letzten Jahr waren es 13 Millionen. Der Flughafen München-Riem hatte 6 Millionen Passagiere. Der neue Flughafen hat für das Jahr 2000 eine Prognose von 12 Millionen. Auf Seite 13866 A ist im siebten Absatz in der dritten Zeile das Wort „Laatzen" durch das Wort „Lathen" zu ersetzen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 31. 1. 97 * Antretter, Robert Behrendt, Wolfgang Brähmig, Klaus SPD 31. 1. 97 * Bühler (Bruchsal), Klaus Büttner (Schönebeck), Hartmut SPD 31. 1. 97 * Buntenbach, Annelie CDU/CSU 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Fischer (Unna), Leni Gansel, Norbert CDU/CSU 31. 1. 97 * Gysi, Andrea Hartenbach, Allred Dr. Hartenstein, Liesel Horn, Erwin SPD 31. 1. 97 Hornung, Siegfried Dr. Jacob, Willibald Dr. Klaußner, Bernd Kolbow, Walter PDS 31. 1. 97 Lange, Brigitte Leidinger, Robert Lenzer, Christian Marten, Günter Metzger, Oswald SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * PDS 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 ** SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Probst, Albert Purps, Rudolf Reschke, Otto Reuter, Bernd CDU/CSU 31. 1. 97 * Dr. Rochlitz, Jürgen SPD 31. 1. 97 Saibold, Halo SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Scheer, Hermann Schild, Horst CDU/CSU 31. 1. 97 von Schmude, Michael Dr. Schnell, Emil Steindor, Marina SPD 31. 1. 97 * Sterzing, Christian SPD 31. 1. 97 CDU/CDU 31. 1. 97 * SPD 31. 1.97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen SPD 31. 1. 97 Vosen, Josef F.D.P. 31. 1. 97 Wagner, Hans Georg Zierer, Benno SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Auf Grund eines technischen Versehens bei der Wiedergabe der im Stenographischen Bericht über die 154. Sitzung, Seite 13941 (A), als Anlage 3 abgedruckten Erklärung erfolgt ein Neuabdruck in folgender Fassung: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank, Dr. Wolfgang Bötsch, Maria Eichhorn, Herbert Frankenhauer, Dr. Gerhard Friedrich, Michaela Geiger, Norbert Geis, Wolfgang Gröbl, Gerda Hasselfeldt, Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach), Ernst Hinsken, Josef Hollerith, Helmut Jawurek, Bartholomäus Kalb, Peter Keller, Hartmut Koschyk, Rudolf Kraus, Eduard Lintner, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Hans Michelbach, Dr. Gerd Müller, Elmar Müller (Kirchberg), Eduard Oswald, Dr. Bernd Protzner, Hans Raidel, Dr. Peter Ramsauer, Otto Regenspurger, Dr. Klaus Rose, Dr. Christian Ruck, Gerhard Scheu, Christian Schmidt (Fürth), Horst Seehofer, Marion Seib, Carl-Dieter Spranger, Max Straubinger, Matthäus Strebl, Dr. Jürgen Warnke, Dagmar Wöhrl, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Heinz Schemken, Georg Janovsky, Bärbel Sothmann, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Erich G. Fritz, Roland Richter, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Heinz-Georg Seiffert, Sigrun Löwisch, Friedrich Merz, Dietmar Schlee, zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) Zu der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom 21. Januar 1997 stellen wir fest: Erstens. Gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn sind unser zentrales Anliegen. In den vergangenen sieben Jahren ist die deutsch-tschechische Verständigung entscheidend vorangekommen und vollzieht sich auf allen Ebenen. In vielfachen menschlichen Begegnungen sind gerade von den Sudetendeutschen Brücken in die Zukunft gebaut worden. Wir erwarten, daß die Sudetendeutschen und ihre offiziellen Vertreter jetzt auch von seiten des tschechischen Staates und seiner Regierung in den Versöhnungsprozeß und den Dialog miteinbezogen werden. Die DeutschTschechische Erklärung bedeutet weder Schlußstrich noch Abschluß im deutsch-tschechischen Verhältnis. Sie ist eine politische Absichtserklärung der Regierungen, die die Gültigkeit von Verträgen und individuellen Rechtsansprüchen nicht berührt und zu den offenen Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses keine abschließende Regelung enthält. Zweitens. Die Darstellung der historischen Abläufe in der Erklärung ist nicht vollständig. Die Geschichte hat nicht erst 1938 begonnen. In der Erklärung wird die Vertreibung klar beim Namen genannt. Im deutschen Text wird das Wort „Vertreibung" benutzt. In der tschechischen Version hat man zu einem ungebräuchlicheren Begriff Zuflucht genommen, der übersetzt allerdings auch „Vertreibung" bedeutet. Drittens. Das Recht auf die Heimat ist durch die Erklärung nicht verwirklicht. Wir anerkennen allerdings, daß durch die Erklärung und den dazugehörigen Briefwechsel Wege zu einem Daueraufenthaltsrecht in der Tschechischen Republik eröffnet werden, wodurch auch Eigentumserwerb möglich wird. Wir erwarten, daß in der weiteren Ausgestaltung der deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem im Vorfeld der Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU weitere konkrete Möglichkeiten zur Verwirklichung des Heimatrechts folgen. Viertens. Die Erklärung kann in die Zukunft weisen, wenn sie im Sinne der Versöhnung, der Gerechtigkeit und der historischen Wahrheit ausgelegt wird. Die Erklärung spricht klar aus, daß durch die Vertreibung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. Vertreibung läßt sich durch nichts rechtfertigen. Die Vertreibung der Sudetendeutschen war völkerrechtswidriges Unrecht. Die Erklärung bezeichnet auch die Folgen der Vertreibung, Enteignung und Ausbürgerung, als Quelle von Leid und Unrecht unschuldiger Menschen. Wir begrüßen dies als Distanzierung von den sogenannten Beneš-Dekreten. Erstmals bedauert die tschechische Seite explizit den kollektiven Charakter der Schuldzuweisung an die Sudetendeutschen. Mit Genugtuung sehen wir, daß sich die Tschechische Republik vom sogenannten Amnestiegesetz von 1946 distanziert und dessen rechtsstaatswidrigen Kern bloßlegt, der im Klima des Hasses und der Revanche der Nachkriegszeit wurzelt. Die Erklärung bedeutet keine Billigung der nach dem Krieg erlassenen tschechoslowakischen Gesetze, die sich auf die Vertreibung der Sudetendeutschen beziehen, oder die Anerkennung der auf deren Grundlage ergangenen Rechtsprechung. Fünftens. Wir begrüßen die Schaffung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, aus dem Projekte gemeinsamen Interesses finanziert werden sollen, insbesondere die Jugendbegegnung und ein deutsch-tschechisches Gesprächsforum. Der Ausgestaltung dieser Zukunftsprojekte kommt für das deutsch-tschechische Verhältnis entscheidende Bedeutung zu. Die Sudetendeutschen müssen darin einen nach Geschichte und Tradition angemessenen Platz finden. Die Mittel des Zukunftsfonds müssen auch den Anliegen der Sudetendeutschen zugute kommen. Aus den Mitteln des Zukunftsfonds sollten auch Projekte finanziert werden, die Sudetendeutschen zugute kommen, die von der Vertreibung besonders schwer und nachhaltig betroffen wurden. Wir begrüßen die im Verlauf der Verhandlungen erreichten substantiellen Verbesserungen der Erklärung und werden den weiteren Prozeß der Versöhnung konstruktiv begleiten. Wir werden auch weiterhin mit ganzer Kraft für die berechtigten Anliegen unserer sudetendeutschen Landsleute eintreten. Die Annäherung der Tschechischen Republik an EU und NATO muß genutzt werden, Lösungen für noch offene Fragen zu finden. Angesichts der vielfältigen individuellen Verständigungsarbeit der Betroffenen hoffen wir, daß rund 50 Jahre nach der Vertreibung und rund acht Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft die Zeit dafür reif ist, für die noch offenen Fragen im deutsch-tschechischen Verhältnis schrittweise für alle Seiten befriedigende Lösungen zu erreichen. Das aber wird nur gelingen, wenn Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit der Maßstab sind. In der Absicht zu einer gemeinsamen Zukunft in Europa beizutragen, stimmen wir der DeutschTschechischen Erklärung trotz ihrer Schwächen zu. Dr. Theodor Waigel Michael Glos Dr. Alfred Dregger Dr. Wolfgang Bötsch Maria Eichhorn Herbert Frankenhauer Dr. Gerhard Friedrich Michaela Geiger Norbert Geis Wolfgang Gröbl Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Ernst Hinsken Helmut Jawurek Bartholomäus Kalb Peter Keller Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Eduard Lintner Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Hans Michelbach Elmar Müller (Kirchberg) Eduard Oswald Dr. Bernd Protzner Hans Raidel Otto Regenspurger Dr. Klaus Rose Dr. Christian Ruck Gerhard Scheu Christian Schmidt (Fürth) Horst Seehofer Marion Seib Carl-Dieter Spranger Max Straubinger Matthäus Strebl Dr. Jürgen Warnke Dagmar Wöhrl Alois Graf von Waldburg-Zeil Heinz Schemken Bärbel Sothmann Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Erich G. Fritz Roland Richter Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Heinz-Georg Seiffert Sigrun Löwisch Friedrich Merz Dietmar Schlee Der Interpretation und Bewertung der DeutschTschechischen Erklärung schließen wir uns an und unterstützen die darin ausgedrückten Erwartungen an die künftigen deutsch-tschechischen Beziehungen. In Abwägung des Leides und Unrechts, das durch Vertreibung den Sudetendeutschen geschehen ist, können wir wegen der Schwächen der DeutschTschechischen Erklärung nicht zustimmen. Renate Blank Josef Hollerith Dr. Gerd Müller Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Georg Janovsky Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach (SPD): Wer die bisherige Debatte heute morgen zum Thema Arbeitsmarktpolitik verfolgt hat und ebenso die Äußerungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, der weiß eines ganz gewiß: Das einzige Ziel, das hier verfolgt wird, ist: Die desolate Arbeitsmarktsituation soll gesundgebetet werden. Dabei setzen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, schamlos darauf, daß sich die Gesellschaft an die anhaltende Massenarbeitslosigkeit gewöhnt hat. Dies ist zynisch, dies ist Ignoranz gegenüber den Betroffenen, und dies - das prophezeie ich Ihnen - wird diesmal nicht aufgehen. Meine Damen und Herren, das von der Regierung vorgelegte AFRG will genau das Gegenteil von dem, was in einer solchen Situation notwendig wäre: Statt einer Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll das schon als unzulänglich geltende Vorhandene nun auch noch zusammengestrichen werden. Und wie das für diese Regierung typisch ist, werden Expertenmeinungen nicht zur Kenntnis genommen und mit miesen Verfahrenstricks auf Teufel komm raus die unsinnigsten Sachen durchgepaukt. Vor knapp zwei Wochen ist in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum AFRG klipp und klar deutlich geworden, daß dieses Gesetzesvorhaben die ohnehin schon katastrophale Arbeitsmarktsituation noch weiter verschlechtern wird. Dies ist der Bundesregierung jedoch gleichgültig, da das AFRG im wesentlichen zu Kosteneinsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit beitragen soll. Die betroffenen Menschen spielen dabei keine Rolle. Auch der Bundesrat hat der Bundesregierung ebenso klar gesagt, daß mit dem AFRG ein falscher Weg noch weiter fortgesetzt wird. Der Bundesrat hat seine Entscheidung aus sachlichen Gründen getroffen und gut begründet. Ich möchte hier nur einige Punkte herausgreifen, die darstellen, daß das AFRG zum einen zum Teil gegen geltendes Recht verstößt und zum anderen die Arbeitslosigkeit nicht um ein Stück weit verringert, sondern enorm vergrößert. Nach bisherigem Recht gelten untertariflich bezahlte Tätigkeiten als Bruch unseres vorhandenen Rechts, zu dem auch das Tarifrecht gehört. Nunmehr sollen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit bis zu 18 % unter dem geltenden Tariflohn entlohnt werden. Demnach werden nach dem AFRG zukünftig Lohnkostenzuschüsse auch bei untertariflicher Entlohnung gewährt. Diese Vorgaben des Gesetzgebers bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind eine Aufforderung zum Umgehen von Tarifverträgen und somit ein Eingriff in die Tarifautonomie. Einen besonders radikalen Einschnitt stellt auch die Verschlechterung der Zumutbarkeitsregelung dar, wonach die Zumutbarkeit von Beschäftigungen nur noch an der Höhe des zu erzielenden Einkommens festgemacht wird. Damit wird aber der bisherige Berufs- und Qualifikationsschutz vollends aufgegeben. Die Folge ist: Die Höherqualifizierten drängen in Arbeitsplätze mit niedrigen Qualifikationsanforderungen, und von dort werden die Menschen in die Dauerarbeitslosigkeit abgeschoben - ein Verschiebebahnhof zu Lasten der Schwachen in unserem Land. Die drastischen Änderungen des AFRG treffen zudem wieder einmal die Frauen besonders hart. So werden künftig die Zeiten des Bezuges von Mutterschafts- oder Erziehungsgeld nicht mehr als versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten angerechnet. Sie begründen somit keinen Folgeanspruch auf Arbeitslosengeld mehr. Auch die Erhöhung der zumutbaren Pendelzeit bei Halbtagsstellen auf 2,5 Stunden täglich trifft Frauen besonders hart, und dies, wo unsere Regierung besonders die Frauen und Familien unterstützen will. Ich weise hier auch auf das entsprechende Bundesverfassungsgerichtsurteil zum § 218 hin. Die Unglaubwürdigkeit der Regierung ergibt sich auch insoweit von allein. Der Entwurf des AFRG bietet auch einige positive Ansätze, die schon seit geraumer Zeit von der SPD gefordert werden. So sind die direkten Lohnkostenzuschüsse nunmehr in gewerblichen Betrieben und für Existenzgründer vorgesehen. Allerdings gilt diese Fördermöglichkeit nur für die neuen Bundesländer und schafft somit unsinnige Mauern in der Förderpolitik. Im Gesamtpaket betrachtet, stellt das geplante AFRG einen weiteren Schritt zum beschleunigten Sozialabbau dar, da es mit keiner der geplanten Änderungen die Arbeit fördert, sondern nur die Arbeitslosigkeit. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1995 einen Gesetzentwurf für ein ASFG eingebracht, der im Grundsatz nach wie vor aktuell ist, aber mit dem AFRG schon vom Ansatz her nicht vereinbar ist. Uns geht es in erster Linie darum, den Vorrang der aktiven Arbeitsmarktpolitik rechtsverbindlich zu verankern. Die Lehre, die jedoch die Bundesregierung daraus zieht, ist nicht etwa, daß man vielleicht die zahlreichen Alternativvorschläge der Opposition berücksichtigt. Nein, die Bundesregierung verfällt wieder in verfahrenstaktische Spielchen und nimmt die zustimmungspflichtigen Teile aus dem Gesetzentwurf heraus, ohne daß sich in der Substanz der alte Entwurf maßgeblich geändert hätte. Meine Damen und Herren, das AFRG ist trotz der in Hülle und Fülle nachgeschobenen Änderungsanträge der Regierungskoalition ein Rückschrittsgesetz. Als solches Rückschrittsgesetz bekämpft das AFRG natürlich nicht die Ursachen für die desolate Lage des Landes, also die Arbeitslosigkeit, sondern wieder einmal die arbeitslosen Menschen. Das AFRG fördert nicht die Arbeit, da das Vollbeschäftigungsziel schon seit geraumer Zeit von der Bundesregierung aufgegeben wurde. Vielmehr bietet es die Grundlage, die Arbeitslosigkeit und die Armut hierzulande zu vergrößern. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wurden die zentralen Kritikpunkte des AFRG erneut von Experten und Verbänden bestätigt. Zum einen sollen durch das sogenannte Reformgesetz aktive Maßnahmen der Arbeitsförderung fast gänzlich gekappt werden. Zum anderen sollen die Rechtsansprüche auf Leistungen und Maßnahmen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Damit werden durch das „neue" AFRG zusätzlich 300 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit oder auch Hoffnungslosigkeit getrieben. Meine Damen und Herren, betrachtet man nun noch die finanziellen Auswirkungen des sogenannten Reformgesetzes auf die Länder und Kommunen, ist festzustellen, daß wieder einmal diese die Hauptlast zu tragen haben. Bereits heute sind 800 000 Bezieher von Arbeitslosenunterstützung sozialhilfebedürftig. Dabei werden die vorgesehenen Maßnahmen des AFRG diese Zahl noch wesentlich erhöhen. In diesem Zusammenhang möchte ich lediglich auf die Nichtverlängerung der ABM-Sonderkonditionen für Ostdeutschland in Höhe von 450 Millionen DM hinweisen. Die Folgekosten der Kommunen und Länder gerade in Ostdeutschland sind für diese untragbar. So werden die Kosten der Arbeitslosigkeit durch das AFRG vom Bund auf die Länder und Kommunen abgewälzt, die sowieso schon bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt werden. Der geplante Gesetzentwurf der Bundesregierung wird besonders drastische Einschnitte in den neuen Bundesländern bringen. Im Osten Deutschlands sind alleine bei Arbeitsförderungsmaßnahmen und Fortbildung und Umschulung große Einsparungen vorgesehen. Diese sollen allein 1997 1,7 Milliarden DM betragen und sich jedes Jahr erheblich erhöhen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in den neuen Bundesländern noch nicht von einer sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung gesprochen werden kann. Gerade aus diesem Grund sind nach wie vor hohe arbeitsmarktpolitische Transferleistungen erforderlich. Betrachtet man, daß in den neuen Bundesländern auf 100 Arbeitslose 43 Personen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in den alten Bundesländern gerade einmal 13 Personen kommen, läßt es sich unschwer erkennen, wie dringend notwendig eine besondere Unterstützung der neuen Bundesländer ist. Und wie wichtig es wäre, in der gesamten Republik eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu haben. In manchen Regionen sind die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit für eine Beschäftigung. Dabei ist es auch unerheblich, daß in Ostdeutschland in den Gebieten mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote anstatt wie bisher 100 % nunmehr 30 % der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weiterhin unterstützt werden sollen. Dies ist lediglich der sogenannte Tropfen auf den heißen Stein. An dem Leitsatz der Bundesregierung ändert dies hingegen gar nichts; der lautet: Das AFRG fördert nicht die Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit und Armut der Menschen. Aber durch all diese Fakten läßt sich die Bundesregierung keineswegs beirren. Sie baut weiterhin mit dem sogenannten Reformgesetz und mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich die sozialen Sicherungssysteme ab und soziale Gegensätze auf. Ihre Politik dient vorrangig der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Nach meiner Auffassung ist jedoch die Förderung von Beschäftigung und Qualifizierung von Arbeitslosen allemal arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch besser, als Arbeitslose zu alimentieren. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen an einigen Punkten zeigen, was es beispielsweise für das Land Berlin bedeuten würde, wenn dieses Gesetz in Kraft treten sollte. Die nur annähernde Angleichung der Fördermaßnahmen des Ostniveaus nach unten auf das Westniveau bedeutet allein für das Land Berlin eine Reduzierung des Fördervolumens der Bundesanstalt für Arbeit um zirka 600 Millionen DM pro Jahr. Zusätzlich würde ein Auslaufen der ABM-Sonderkonditionen zum Jahresende 1997 den Berliner Haushalt auf der Basis der bislang realisierten Förderzahlen um 160 Millionen pro Jahr stärker belasten. Durch diese Entwicklung der Berliner Arbeitsmarktpolitik ist der soziale Friede in der Region immer mehr bedroht. Von 1990 bis 1995 haben sich die Ausgaben für die Berliner Arbeitsmarktpolitik verfünffacht. So konnten 1995 noch 101 000 Menschen gefördert werden, hingegen wurden 1996 auf Grund der notwendigen Einsparungen im Landeshaushalt nur noch 93 000 Förderungen von Arbeitslosen registriert. Konkret werden von 6 700 Projekten in Berlin 2 900 mit Arbeitsmarktmitteln unterstützt. Dies zeigt, wie die Arbeitsmarktpolitik einen grundlegend wichtigen Beitrag für die soziale Infrastruktur Berlins leistet. Dies spiegelt sich auch deutlich in den Arbeitsmarktzahlen für Berlin wider. Im vergangenen Monat betrug die Arbeitslosenquote für Gesamtberlin 15,7 %. Dabei waren es im Westteil 16,4 % und im Ostteil 14,4 %. Diese Zahlen sind der eindeutige Beweis einerseits für die Wirksamkeit von aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie sie das alte AFG-Ost durchaus aufweist. Andererseits zeigen sie aber auch die schwache Position des alten AFG West, das wenig Spielraum läßt für kreative Arbeitsmarktpolitik. Dies soll nun gänzlich zerstört werden durch ein sogenanntes Reformgesetz. Wie nötig wäre hier ein Reinpowern statt koalitionstechnische Sparerei. An diesem Beispiel wird weiterhin auch deutlich, daß die Arbeitslosigkeit nicht nur eine individuelle Belastung darstellt, sondern zugleich auch eine gewollte Abwälzung der finanziellen Lasten von Bund auf die Länder, die gerade Berlin besonders trifft. So ist unsere Hauptstadt Berlin zum einen die größte Baustelle Europas und hat trotzdem die höchste Arbeitslosenquote beim Bau. Das ist pervers, meine Damen und Herren. Und dennoch wurde in dem neuen Gesetzesvorschlag die alte Regelung zum Schlechtwettergeld seitens der Bundesregierung nicht wieder auf genommen. Zwar wollte die Bundesregierung mit der Abschaffung des Schlechtwettergeldes zwischen 700 und 900 Millionen DM einsparen. Tatsächlich war die Abschaffung des Schlechtwettergeldes ein großer Flop. Denn selbst der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bestätigte, daß die finanziellen Auswirkungen der Winterarbeitslosigkeit im Baubereich seit der Einführung des Überbrückungsgeldes spürbar höher sind, als beim bewährten Schlechtwettergeld. Selbst Herr Eppelmann, der Arbeiterführer der CDU, forderte bereits einen Tag nach Abschaffung des Schlechtwettergeldes die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Am Donnerstag mit seiner Hilfe abgeschafft, am Freitag die Wiedereinführung gefordert! Und er wußte genau, warum! Und wo ist seine Forderung heute? Kolleginnen und Kollegen, wenn man im zusammenfassenden Vergleich betrachtet, was die SPD mit ihrem ASFG und nun die Regierung mit dem AFRG vorgelegt haben, wird klar: Der SPD geht es darum, mit wirksamen Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik die Massenarbeitslosigkeit zu senken oder zumindest angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik dieser Regierung einen noch weiteren Anstieg zu verhindern. Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, geht es dagegen nur darum, die von Ihnen durch Ihre falsche Politik aufgerissenen Haushaltslöcher zu stopfen, sei es bei der Bundesanstalt für Arbeit oder im Bundeshaushalt durch sinnloses Streichen und durch Lastenverschiebung auf die Länder und Kommunen. Und dabei interessierte es Sie auch nicht, daß Ihre Rechnung „Stärkung der Wirtschaft gleich Senkung der Arbeitslosigkeit" nicht aufgeht - was wir Ihnen übrigens schon immer gesagt haben. Sie setzen bei der jahrelangen Massenarbeitslosigkeit schamlos auf einen Gewöhnungseffekt bei den Bürgerinnen und Bürgern. Aber dies wird nicht aufgehen. Ich hoffe sehr, Sie werden spätestens 1998 die Quittung für diese, Ihre Politik bekommen. Manfred Grund (CDU/CSU): Nachdem wir gehört haben, was mit einem wie auch immer veränderten Arbeitsförderungsgesetz geleistet werden müßte, ist es notwendig, auf die Möglichkeiten und auf die Grenzen von Arbeitsmarktpolitik zu verweisen: Arbeitsmarktpolitik hat gerade in den neuen Bundesländern eine unverzichtbare Aufgabe im Transformationsprozeß. Aktive Arbeitsmarktpolitik kann und muß den Arbeitsmarkt entlasten und muß Arbeitslosen einen Neubeginn ermöglichen. Aber: Auf sich alleine gestellt ist Arbeitsmarktpolitik angesichts des millionenfachen Wegbruchs von Arbeitsplätzen nach der Wende, angesichts der Dimensionen des wirtschaftlichen Umbruchs nicht in der Lage, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitsmarktpolitik wirkt mit am Strukturwandel und hat sich selbst diesem Wandel zu stellen. Arbeitsmarktpolitik kann am Entstehen dauerhafter Arbeitsverhältnisse mitwirken, sie kann aber regionale Strukturpolitik nicht ersetzen. So hat die Arbeitsförderung, die wir heute beraten, mehrere Funktionen: Gegenwartsbezogen geht es um den Entlastungseffekt zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, zukunftsbezogen geht es um die „Brückenfunktion" mit dem Ziel, die volkswirtschaftlichen Angebotsbedingungen zu verbessern und neue Beschäftigungsfelder aufzubauen. In den neuen Bundesländern ist die Situation am Arbeitsmarkt dramatisch; die Quote aus offener und verdeckter Arbeitslosigkeit liegt über 25 Prozent. Mit dem bisher geltenden Arbeitsförderungsgesetz wurde seit 1990 der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern entlastet und gleichzeitig der Strukturwandel befördert und begleitet. Dazu bedurfte es schon bisher besonderer Instrumentarien, und notwendigerweise brauchte man viel Geld. Mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz bleiben all die wichtigen Instrumentarien wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse, Einstellungszuschüsse erhalten und werden weiterentwickelt. Über die notwendige Finanzausstattung, um diese Instrumentarien auch einsetzen zu können, werden wir uns bei der Aufstellung jedes neuen Bundeshaushaltes zu befassen haben. Dies wird in der Sache liegend manchmal strittig ausgehen. Denn bei allen notwendigen Sparzwängen: Weniger Bundeszuschuß darf nicht zu größerer Arbeitslosigkeit führen. Also gilt es, die Instrumentarien intelligent weiterzuentwickeln. Intelligentes Sparen ist notwendig und möglich! Dazu folgendes Beispiel aus dem heute zu beschließenden Arbeitsförderungs-Reformgesetz: Wer die bisherigen Instrumentarien aktiver Arbeitsmarktpolitik auf ihre Effizienz hinterfragt, stellt schnell fest, daß der Anteil der nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeitslos Verbliebenen zunimmt. Dies ist begründet im Fehlen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, aber auch gerade in der unzureichenden Verzahnung von zweitem und erstem Arbeitsmarkt. Denn wer in einer kommunalen ABM beschäftigt ist, hat keinen Zugang zu einem Unternehmen. I Dies wollen wir mit dem AFRG ändern Wirtschaftsun- ternehmen des gewerblichen Bereiches erhalten einen neuartigen Lohnkostenzuschuß: für jede zusätzliche Personaleinstellung einen Zuschuß in Höhe von 1 923,- DM je Monat - und das für ein Jahr. Also: Ein Handwerker mit acht Beschäftigten kann bei einer auf ein Jahr befristeten Einstellung von zwei Arbeitslosen 1 923,- DM je Arbeitslosen pro Monat erhalten. Und das für ein Jahr ohne anschließende Beschwernisse oder Auflagen. Allerdings werden wir einen Drehtüreffekt verhindern. Mit dem produktiven Lohnkostenzuschuß betreten wir in der Arbeitsmarktpolitik der neuen Bundesländer wirkliches Neuland. Klarer als bisher wird Arbeit gefördert statt Arbeitslosigkeit finanziert. Es ist allerdings eine Lohnsubventionierung, die immer problematisch, aber angesichts der Entwicklung am Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern dennoch gerechtfertigt ist. Der Lohnkostenzuschuß erfolgt in Höhe des pauschalierten Arbeitslosengeldes und ist im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu den Ansätzen für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unbegrenzt deckungsfähig. Ohne zusätzliches Geld zu benötigen wird mit diesem Instrumentarium die Zahl der Arbeitslosen verringert und eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt gebildet. Denn der hiermit geförderte Arbeitslose hat erstmals die Möglichkeit, einen Fuß in die Tür eines Unternehmens zu stellen, mit hoffentlich guten Übernahmechancen. Dieser produktive Lohnkostenzuschuß wird von Arbeitsämtern, Arbeitgebern, Arbeitslosen und Gewerkschaftern begrüßt. Besonders zu begrüßen ist die Verbesserung bei der Zuschußobergrenze bei ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen. Hier wird für die nächsten Jahre eine 100-Prozent-Förderung möglich bleiben. Das entlastet die freien Träger der Sozialarbeit und die ABS-Gesellschaften. Nur bis zur Opposition hat es sich nicht herumgesprochen, daß mit den hergebrachten Instrumentarien kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Das Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist eine neue Chance für die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern, die wir dringend benötigen. Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Heute erleben wir wieder einmal, wie ernst es die SPD mit ihrem Bekenntnis nimmt, die Arbeitslosenquote drücken zu wollen. Einerseits beklagt sie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, andererseits widersetzt sie sich hartnäckig sämtlichen dringend notwendigen Reformvorhaben. Und letztlich scheut sie sich nicht, dieses Haus für endlose Debatten zu mißbrauchen, Debatten, die allein dazu dienen sollen, die Bevölkerung zu verunsichern. Ich sage Ihnen, wie die Bevölkerung denkt: Es ist genug geredet und höchste Zeit, daß wir das anpacken, was uns allen unter den Nägeln brennt, nämlich die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Es wird aber kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie laufend Reformmaßnahmen torpedieren. Es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie allein zur eigenen Profilierung die Bevölkerung gegen die Regierungskoalition aufhetzen. Und es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn wir uns hier immer wieder zum gleichen Thema die Köpfe einschlagen und das Problem der Arbeitslosigkeit auf der Strecke bleibt. Sie scheuen sich auch nicht, bis an die Grenze des Zumutbaren zu gehen: Sie haben allein aus formalen Gründen auf einer zweiten Anhörung bestanden, obwohl Sie wußten, daß alle Argumente bereits in der ersten Anhörung ausgetauscht waren; Sie wollten nur eine Schau inszenieren - eine eklatante Mißachtung des Parlaments. Inhaltlich haben Sie nicht viel zu bieten: Teure Beschäftigungsprogramme könnten allenfalls ein Strohfeuer entfachen; am Ende würden Finanzlöcher übrigbleiben. Meine Damen und Herren von der SPD, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, wir haben ein neues Arbeitsförderungsrecht auf den Weg gebracht, das neue Beschäftigungsimpulse bringen wird. Durch Ihre Ablehnung im Bundesrat haben Sie sich gegen das heute zur Abstimmung stehende Bündel von neuen Instrumenten ausgesprochen: gegen Hilfen bei Existenzgründungen durch Arbeitslose, gegen Eingliederungsverträge für Langzeitarbeitslose, gegen frühzeitigere Beratungs- und Vermittlungsbemühungen und gegen die besondere Förderung von Ungelernten durch Weiterbildungsmaßnahmen, um nur einige neue Maßnahmen herauszugreifen. Ein besonderes Anliegen war mir die Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit. Diese wäre jedoch ohne die Zustimmung im Bundesrat nicht möglich gewesen. Sie hätte das Gesetz zustimmungsbedürftig gemacht und mußte deshalb herausgenommen werden. Sie und Ihre Freunde im Bundesrat, meine Damen und Herren von der SPD, haben damit verhindert, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit auf ein arbeitsfähiges Gremium zurückgeführt wird. Sie haben die Ausweitung der Verantwortungsbereiche bei den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter verhindert und damit die Stärkung der Tarifparteien in den Verwaltungsausschüssen nicht zugelassen - ein offenes Mißtrauensbekenntnis gegenüber den Gewerkschaften, die in den Verwaltungsausschüssen mehr Einfluß gehabt hätten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben Ihre Zustimmung verweigert, also blieb uns nichts anderes übrig, als ein zustimmungsfreies Gesetz weiter voranzubringen. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und ein zustimmungsfreies Gesetz auf den Weg gebracht, um die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und die Hilfen für Arbeitslose schnellstmöglich zu verwirklichen. Wir haben die Fehler der SPD so gut wie möglich ausgebügelt. Wir können auch jetzt ein Gesetz vorlegen, das den Namen Reform verdient. Ich trete ein für eine Politik mit mehr Eigenverantwortung und weniger Staat. Deshalb stehe ich auch zu den verbesserten Zumutbarkeitsregelungen oder auch zu der sozial verträglich ausgestalteten Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld: Maßnahmen, die dazu beitragen, Beschäftigung zu sichern und Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn es uns Ernst ist mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, verrechnen sich, wenn Sie meinen, Sie könnten durch Ihre Blokkadepolitik die Koalition in den Sumpf ziehen. Der Bevölkerung wird immer deutlicher, daß Ihre Strategie in der Verzögerung, Verhinderung und Verunsicherung liegt. Verzögern, verhindern und verunsichern: das sind die Schlagworte, die die SPD-Politik kennzeichnen. Die SPD: eine Verzögerungs-, Verhinderungs- und Verunsicherungspartei. Es wird sich aber nicht lohnen, wenn Ihnen die bloße Hoffnung auf mehr Wählerstimmen mehr bedeutet als die ehrliche Absicht, den Arbeitsmarkt zu entlasten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich bis heute als ernstzunehmender Vertragspartner disqualifiziert. Sicherlich ist es sinnvoll, zunächst einen breiten Konsens in diesem Hause herzustellen. Wir haben das versucht. Wir werden jedoch nicht die erforderliche Konsequenz verantwortungsvoller Politik auf Kosten irgendeines Konsenses gefährden. Es geht nämlich nicht um die Abkehr vom Sozialstaat, wie von der SPD hartnäckig, aber haltlos behauptet wird. Es geht um die Rückkehr zu einer freiheitlichen Sozialpolitik mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung im Sinne der Politik von Ludwig Erhard. In dieser Zeit ist jeder Monat ohne Reformschritte ein verlorener Monat. Deshalb gilt es, heute mit einem neuen Arbeitsförderungsrecht eine Weiche für mehr Beschäftigung zu stellen. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ihren Antrag „Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten" - Drucksache 13/6737 - sowie ihren Entschließungsantrag „zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1997" - Drucksache 13/6313 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß - Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 95. Interparlamentarische Konferenz vom 15. bis 20. April 1996 in Istanbul - Drucksachen 13/4954, 13/5550 Nr. 1.3 - Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1995 (Subsidiaritätsbericht 1995) - Drucksachen 13/5180, 13/5550 Nr. 1.6 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 1.17 Finanzausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 2.10 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.35 Drucksache 13/4678 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.34 Drucksache 13/6129 Nr. 1.19 Drucksache 13/6129 Nr. 1.20 Drucksache 13/6152 Nr. 1.4 Drucksache 13/6152 Nr. 2.2 Drucksache 13/6152 Nr. 2.5 Drucksache 13/6152 Nr. 2.9 Drucksache 13/6152 Nr. 2.11 Drucksache 13/6152 Nr. 2.13 Drucksache 13/6152 Nr. 2.14 Drucksache 13/6152 Nr. 2.15 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/4921 Nr. 2.11 Drucksache 13/6129 Nr. 1.31 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/6129 Nr. 1.10 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/4636 Nr. 2.5 Drucksache 13/5295 Nr. 3.1 Drucksache 13/6152 Nr. 1.7 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/5687 Nr. 2.2
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr für Ihre Intervention. Ich füge hinzu: Man benimmt sich in diesem Hohen Hause, wie man eben glaubt, daß man sich benehmen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Mit dem Entsendegesetz haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, solche Fehlentwicklungen zu bekämpfen. Natürlich ist es heute zu früh,

    (Rudolf Scharping [SPD]: Zu spät!)

    über die Wirksamkeit dieser Maßnahme zu sprechen. Denn schließlich ist der Tarifvertrag, mit dem das Entsendegesetz wirksam wird, erst zu Beginn dieses Jahres, vor wenigen Wochen, in Kraft getreten.
    Ich sage allerdings auch: Ich bin dafür, daß wir sehr sorgfältig beobachten, wie diese getroffenen Maßnahmen wirken. Dazu braucht es etwas Zeit; aber ich meine, es ist wichtig.
    Zur deutschen Wirklichkeit des Jahres 1997 gehört auch, daß ausländische Arbeitnehmer Tätigkeiten übernehmen, die von deutschen Arbeitslosen abgelehnt werden.

    (Unruhe bei der SPD)

    1995 wurden 1,3 Millionen zeitlich befristete Arbeitserlaubnisse für Ausländer erteilt, davon rund 720 000, weil sich keine deutschen und auch keine EU-Arbeitnehmer für die angebotene Arbeit bereit fanden.
    Nur so, meine Damen und Herren, ist es doch zu erklären, daß in der Land- und Forstwirtschaft 30 000 offene Stellen gemeldet sind, es aber gleichzeitig auch 30 000 Arbeitslose gibt. In der Gastronomie werden gegenwärtig 20 000 offene Stellen geführt, bei 56 000 Arbeitslosen. Die Wahrheit ist - jeder in diesem Saal weiß das doch -, daß diese Lücken vielfach durch Schwarzarbeit und durch Ausländer geschlossen werden, die hier zum Teil gar nicht angemeldet sind.
    Das heißt, wenn wir zu Beginn des Jahres 1997 eine ehrliche Bilanz ziehen, dann müssen wir sagen - und ich sage das klar und deutlich -, daß wir in vielen Bereichen unserer Wirtschaft ohne die Hilfe ausländischer Arbeitskräfte gar nicht mehr funktionsfähig wären. Deswegen ist es auch sehr wichtig, daß in die Debatte über diese Frage nicht ein Touch kommt, der sich gegen Ausländer richtet. Hier geht es um ein deutsches Problem.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Geht das nach dem Motto: Haltet den Dieb! Oder was?)

    Ein Blick auf die Struktur der Arbeitslosigkeit zeigt, daß sich das Beschäftigungsproblem nicht mit einfachen Rezepten lösen läßt. Zu den ungelösten Strukturproblemen, von denen ich sprach, gehört die Tatsache, daß 46 Prozent der Arbeitslosen in den alten Ländern keine Berufsausbildung haben und daß ein Drittel der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung ist. Um die wenig Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen müssen wir - das heißt: die Tarifparteien und die Politik - uns besonders kümmern und Bedingungen schaffen, die den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben erleichtern. Deshalb hat die Bundesregierung das Programm für Langzeitarbeitslose im vergangenen Jahr um drei weitere Jahre bis 1998 verlängert.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Die bessere Eingliederung von Langzeitarbeitslosen ist auch ein wichtiges Ziel der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Dort sind zum Beispiel Trainingsmaßnahmen vorgesehen, mit denen der Verlust beruflicher und sozialer Fähigkeiten ausgeglichen werden kann, den eine längere Arbeitslosigkeit häufig mit sich bringt. Durch einen besonderen Wiedereingliederungsvertrag wird die Bundesanstalt für Arbeit das Risiko für den Arbeitgeber bei Neueinstellungen verringern können. Ein wesentliches Hemmnis für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen wird dadurch fortfallen. Ich hoffe sehr, daß die Bundesländer ihren Widerstand gegen die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes bald aufgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Erfreulicherweise gibt es in der Tarifpolitik gute Beispiele für die Erleichterung des Einstiegs von Berufsanfängern und für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. So haben die IG Chemie und die chemische Industrie entsprechende Einstiegstarife vereinbart. Ich halte das für eine ausgezeichnete Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich wünsche mir sehr, daß andere Branchen diesem guten Beispiel möglichst bald folgen. Was hier versäumt wird, wenn wir jetzt in diesem Bereich nicht zu entsprechenden Abschlüssen kommen, kann auf gar keinen Fall durch Programme der Bundesanstalt für Arbeit in Milliardenhöhe ausgeglichen werden.
    Die Bundesregierung hält an der mit Wirtschaft und Gewerkschaften im Januar letzten Jahres getroffenen Vereinbarung fest, die Beiträge zur Sozialversicherung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zu senken. Die jetzt anstehenden Entscheidungen müssen dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Es geht also darum, gesetzliche Lohnzusatzkosten zu senken und so das Schaffen von Arbeitsplätzen zu erleichtern.

    (Zuruf von der SPD: Wie denn?)

    Allerdings gilt auch für den Bereich der Lohnzusatzkosten, daß durchgreifende Erfolge nur möglich sind, wenn die Tarifpartner dabei mitwirken. Immerhin werden 55 Prozent der gesamten Lohnzusatzkosten durch tarifvertraglich vereinbarte und freiwillige Leistungen verursacht. Dieser Teil der Lohnzusatzkosten liegt also in der Verantwortung der Tarifpartner. Dies sollte in der Diskussion darüber nicht andauernd unterschlagen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu einer ehrlichen Diskussion über die Lohnzusatzkosten gehört auch, daß sich in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Großunternehmen in Deutschland auf Kosten der Sozialversicherung von Personalkosten entlastet haben. Ich füge ausdrücklich hinzu: Dies ist von vielen Seiten - auch von den Gewerkschaften - gewünscht worden. Wir als Politiker haben dies dann auch mitgetragen. Ich will mich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn man aber aus dem Bereich der Wirtschaft Abmahnungen vornimmt, gehört auch die Erwähnung dieser Tatsache zur Redlichkeit der Diskussion. Denn die Frühverrentungsaktionen der Großunternehmen haben der Solidargemeinschaft jährlich 9 Milliarden DM gekostet. Das ist umgerechnet mehr als ein halber Beitragssatzpunkt. Auch das muß man wieder einmal in Erinnerung rufen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben entsprechend unseren Zusagen eine ganze Reihe von Aufgaben nicht nur in Angriff genommen, sondern auch gelöst. Wir haben die Schwelle für den Kündigungsschutz auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt und so das Schaffen neuer Arbeitsplätze erleichtert.

    (Widerspruch bei der SPD und der PDS)

    Wir haben damit eine oft beklagte Hemmschwelle für die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Kleinbetrieben - vor allem auch im Handwerk - beseitigt. Das Handwerk hat ja auch zugesichert, im Sinne dieser Änderung die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen. Ich gehe davon aus, daß wir gerade nach diesem schwierigen Winter innerhalb der Handwerksorganisationen im Rahmen dessen, was dort möglich ist, die entsprechenden Aktivitäten erleben werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Fairerweise muß man, wenn man diesen Vorgang beurteilt, sagen, daß diese Änderung erst seit Oktober 1996 in Kraft getreten ist, also erst seit einem knappen Vierteljahr. Ich gehe davon aus, daß dieses Angebot zügig genutzt wird.
    Ich will auch darauf hinweisen, daß ungeachtet des Streits um die Absenkung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall festzustellen ist, daß im Bereich der Tarifpartner eine Menge in Gang gekommen ist. Viele bisher abgeschlossene Tarifverträge enthalten Regelungen, die zu erheblichen Entlastungen bei den Arbeitskosten und übrigens auch zu einem Rückgang der Krankenstände geführt haben.
    Ich erwähne hier das Beispiel des Textiltarifvertrages vom Januar 1997. Einerseits bleibt es bei der bisherigen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen - aber auf der Grundlage der regelmäßigen Arbeitszeit, also ohne Anrechnung der Überstunden -, andererseits führen krankheitsbedingte Fehlzeiten entweder zu Abschlägen beim Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld oder zu einer entsprechenden Kürzung des Urlaubs. Auch eine Verrechnung mit dem Arbeitszeitkonto ist dort, wo es solche Konten schon gibt, möglich.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ganz wichtig aus meiner Sicht ist auch, daß wir im Bereich der sogenannten einfachen Arbeiten neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Nach Meinung vieler Experten fallen im nächsten Jahrzehnt - vielleicht in den nächsten 20 Jahren - rund 3 Millionen Arbeitsplätze für sogenannte Ungelernte weg. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik halte ich das für die größte soziale Herausforderung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Deshalb müssen wir uns - wiederum gemeinsam: Unternehmen, Gewerkschaften und Politik - immer wieder überlegen, was wir für jene tun können, die eher praktisch begabt sind, die wertvolle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind und selbstverständlich das Recht auf berufliche Erfüllung haben. So müssen wir mehr Arbeitsplätze in privaten Haushalten ermöglichen. Deshalb haben wir deren steuerliche Abzugsfähigkeit verbessert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der PDS)

    Mit der Pflegeversicherung haben wir neue Beschäftigungschancen in den Pflegeberufen eröffnet. Allerdings habe ich hierzu die Anmerkung zu machen, daß ich mir schon wünsche, daß in diesem Bereich keine Berufseingangsvoraussetzungen geschaffen werden, die Leuten, die eine Begabung für den Pflegeberuf haben, aber im Theoretischen nicht all dem entsprechen, was man gegenwärtig diskutiert, wiederum die Chance für diesen Beruf verbauen. Auch das halte ich für ein wichtiges Thema.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In Deutschland wurden im vergangenen Jahr fast 1,8 Milliarden Überstunden geleistet.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da hat er recht!)

    Viele dieser Überstunden sind sicher notwendig - man kann dazu keine pauschale Betrachtung anstellen -, um kurzfristige Auftragsschwankungen auszugleichen. Aber wahr ist auch, daß viele Überstunden regelmäßig geleistet werden und durchaus in Dauerarbeitsplätze umgewandelt werden könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Möglichkeiten für den Abschluß befristeter Arbeitsverträge haben wir nicht zuletzt aus diesem Grund verbessert. Sie sollten jetzt in der Wirtschaft genutzt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das setzt allerdings voraus, daß die Partner im Betrieb das auch wollen. Partner sind immer die Werksleitungen und die Betriebsräte. Natürlich weiß ich aus Erfahrung, daß die Frage, ob man etwas mehr Überstunden fährt, in der Erwartung eines höheren Gesamteinkommens in vielen Betrieben von beiden Seiten wie folgt - weil es eben weniger kompliziert ist - beantwortet wird: Wir fahren lieber Überstunden, als neue Leute einzustellen. Schon an dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Solidarität derer, die in Arbeit sind, mit denen, die Arbeit suchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich gehe nicht so weit wie das Nürnberger Institut, das bis zu 500 000 neue Arbeitsplätze durch den Abbau der Überstunden für möglich hält, aber ich halte es schon für möglich, daß wir Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 100 000 bis 200 000 durch Umwandlung von Überstunden schaffen können. Wenn das gewollt wird, kann das sehr kurzfristig erfolgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gab es da nicht mal ein „Bündnis für Arbeit"? Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Bevor Sie da waren!)

    - Das gab es schon, da waren Sie noch gar nicht hier. Es ist nicht besser geworden, seit Sie hier sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Auch in einem anderen wichtigen Feld - Gott sei Dank ist die Meinungsbildung hier endlich vorangekommen - kann mehr getan werden. Ich meine an die Veränderungen im Denken, die notwendig sind, um zu mehr Teilzeitarbeit und Arbeitszeitkonten zu kommen, wobei ich gleich hinzufüge: In manchen Teilen halte ich die Entwicklung dieser Debatte für absolut unerträglich, und zwar dort, wo die Frage der Teilzeitarbeit von vielen zu einem Thema von Frauen gemacht wird. Teilzeitarbeit ist insgesamt eine gute Möglichkeit, auch private Lebensentscheidungen zu berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, daß - was ich immer wieder höre - die Verhältnisse in den Niederlanden mit den unseren völlig unvergleichbar wären. Natürlich gibt es Unterschiede, aber die können natürlich nicht dazu führen, daß dort weit über 30 Prozent Teilzeitarbeitsplätze bestehen und bei uns 15 Prozent. Wenn wir alle Teilzeitwünsche erfüllen würden, könnten theoretisch zwei Millionen Menschen mehr beschäftigt werden. Ich glaube nicht, daß diese Zahl realistisch ist. Aber wenn wir auf dem Weg zu dieser Zahl ein beachtliches Stück vorankommen würden, wäre das eine ganz wesentliche Entlastung des Arbeitsmarktes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zentral für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind Betriebsneugründungen. Unsere Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen, daß ein Existenzgründer im Durchschnitt vier neue Arbeitsplätze bringt. Die Gründung neuer Betriebe ist keineswegs nur eine Frage von Fördermitteln, sondern ganz entscheidend eine Frage des Klimas in unserer Gesellschaft. In dem Maße, in dem wir die Kultur der Selbständigkeit, den Willen zur Selbständigkeit unterstützen, werden wir hier Erfolge haben.
    Wir haben begonnen, die Finanzierungsbedingungen für Existenzgründer und Mittelständler zu verbessern. So gibt es Programme zur Technologieförderung gerade im mittelständischen Bereich. Mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz ist ein Maßnahmenpaket in Vorbereitung, das den Zugang zur Börse und damit zu mehr Wagniskapital erleichtern wird.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Im Mittelstand werden heute schon zwei Drittel aller Arbeitsplätze und vier Fünftel aller Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Deswegen ist es so wichtig, daß wir gerade jetzt, in den nächsten Jahren, in Sachen Berufsausbildung alles tun, um das duale System weiter zu stabilisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß wir bis zum Jahr 2006, also in den nächsten zehn Jahren, Gott sei Dank noch einen deutlichen Anstieg der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden haben werden. Die Zahl wird von jetzt 630 000 auf über 700 000 steigen. Ein ausreichendes Angebot an Lehrstellen ist zugleich das beste Argument, um der Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe, die ich entschieden ablehne, einen Riegel vorzuschieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In diesem Jahr ist es erfreulicherweise weitgehend - in der Gesamtzahl natürlich nicht für jede Region - gelungen, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten. Es ist die entschiedene Absicht der Bundesregierung, in den notwendigen Gesprächen mit den Unternehmern, mit der Wirtschaft im allgemeinen, nicht zuletzt mit dem Mittelstand und den Gewerkschaften, dafür Sorge zu tragen, daß wir dafür auch in diesem Jahr sehr schnell die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
    Hier muß auch auf seiten der Bundesregierung mit den Ländern das eine oder andere noch schneller vorangebracht werden. Insbesondere gilt das für die Festlegung neuer Berufsbilder, die in den vergangenen Jahrzehnten ungewöhnlich lange gedauert hat, was mit Sicherheit ein Hemmnis war.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir wollen dafür eintreten, daß bei den jetzt anlaufenden Gesprächen - etwa zwischen den Verbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften - vor allem deutlich wird, daß das Prinzip „Ausbildung geht vor Übernahme" zur Bereitschaft möglichst vieler Betriebe führt, auch über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich denke, es muß - ohne daß wir das in irgendwelchen Gesetzestexten formulieren - selbstverständlich sein, daß diejenigen in der deutschen Wirtschaft - egal in welcher Größenordnung -, die immer wieder an staatlichen und sonstigen Aufträgen partizipieren, zu der Erkenntnis kommen, daß dann umgekehrt die Gemeinschaft unseres Staates und unserer Gesellschaft von ihnen erwartet, auch bei der Ausbildung ein gutes Stück mehr zu tun, als manche glauben tun zu können. Dies gilt auch für wichtige Bereiche der deutschen Großindustrie.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nach dem Stand, den ich jetzt überblicken kann, gibt es zum erstenmal eine gute Chance, daß bei den Ausbildungsfragen von den Tarifpartnern neue Wege beschritten werden. In der Bauindustrie ist in diesen Tagen ein Tarifvertrag ausgehandelt worden, der sehr bemerkenswert ist. Hier haben sich die Verhandlungspartner auf eine Kürzung der Ausbildungsvergütung um 10 Prozent geeinigt, um Ausbildungsplätze zu sichern. Ich glaube schon, daß das eine sehr wichtige Entwicklung ist, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß beide Seiten etwas geben. Das heißt, daß die, die bei der Vergütung etwas reduzieren, dann auch mehr Auszubildende einstellen. Das gehört natürlich zusammen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ich trete deshalb so nachdrücklich für diese Entwicklung im dualen System ein, weil ich gerade in diesen schwierigen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt erkennen kann, wie Sie auch, daß wir mehr Nutzen aus dem dualen System ziehen als alle anderen in Europa und daß bei allen Sorgen um Arbeitslosigkeit bei uns die Jugendarbeitslosigkeit - auch wenn sie natürlich mit über 9 Prozent auch bei uns zu hoch ist - weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, der gegenwärtig über 21 Prozent beträgt. Wir haben eine Vielzahl von Ländern in der Europäischen Union - nehmen Sie Schweden mit 21 Prozent, Frankreich mit 29 Prozent und Spanien mit 42 Prozent Jugendarbeitslosigkeit -, die hier noch viel größere Probleme haben. Um so sorgsamer und sorgfältiger sollten wir mit dem dualen Systems umgehen. Auch das ist, glaube ich, eine
    wichtige Erfahrung dieser Zeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich ist es gerade in dieser schwierigen Situation wichtig, daß sich der Aufschwung Ost auch 1997 fortsetzen wird, auch wenn sich das Tempo verlangsamen wird. Der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten für 1997 so formuliert: Von einem Stocken des Aufbauprozesses im Osten kann keine Rede sein.
    Wahr ist, daß das Gewicht der Bauwirtschaft mit dem Fortschreiten des Aufholprozesses in der ostdeutschen Wirtschaft geringer wird. Wahr ist aber auch, daß die Produktion im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich selbst in dem konjunkturell schwierigen Jahr 1996 um jeweils 6 Prozent gestiegen ist. Das kann und muß mehr werden, aber es ist gleichwohl eine positive Entwicklung.
    Die Bundesregierung wird ihre Unterstützung des Aufbaus Ost auch in Zukunft auf hohem Niveau fortsetzen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist weiterhin die Förderung von Investitionen und damit das Schaffen neuer, wettbewerbsfähiger Strukturen mit modernen Arbeitsplätzen.
    Die steuerliche Förderung von Investitionen liegt bis Ende 1998 fest. Sie wurde bereits auf den Industriebereich konzentriert. Bis zum Frühjahr 1997, das heißt in wenigen Monaten, wird die Bundesregierung ihr Konzept für die Zeit nach 1998 vorlegen. Wir

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wollen dieses Konzept auch mit den Landesregierungen der neuen Bundesländer besprechen.
    Es muß ganz klar sein, obwohl das manche in den alten Bundesländern nicht gerne hören: Wir werden auch in Zukunft unsere Verantwortung gegenüber den neuen Ländern wahrnehmen und ihnen klaren Vorrang einräumen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Frei ist jetzt auch der Weg zur Aufstockung des Konsolidierungsfonds um 250 Millionen DM, mit dem Unternehmen schnell und, wie ich hoffe, unbürokratisch über Finanzierungsengpässe hinweggeholfen werden kann.
    Meine Damen und Herren, ein sehr positives Signal für den Standort Ostdeutschland wäre die schnelle Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Diese substanzverzehrende Steuer ist eine schwere Belastung gerade für ostdeutsche Unternehmen mit einer besonders dünnen Eigenkapitaldecke. Ich hoffe sehr, daß alle Verantwortlichen im Bereich der Politik alles Mögliche tun, um den wirtschaftlichen Aufholprozeß in den neuen Ländern von dieser Fessel zu befreien.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Selbstverständlich ist der Aufbau Ost nicht allein eine öffentliche Aufgabe. Eine gravierende Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind dort die, gemessen an der Produktivität, zu hohen Arbeitskosten. Sie liegen fast ein Drittel über dem westdeutschen Niveau, mit dem wir, wie jeder weiß, international ohnedies zur Spitzengruppe zählen. Dies ist - das will ich hier doch sagen - ein Hinweis und, wenn Sie so wollen, auch eine Mahnung an die Tarifpartner, in den neuen Ländern das Notwendige zu tun, um die Wachstumskräfte der ostdeutschen Wirtschaft zu stärken und dem Thema der Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang vor allem anderen einzuräumen.
    Jeder weiß, daß wir jetzt die Weichen für das bald beginnende neue Jahrhundert stellen müssen. Es ist ganz natürlich, daß wir angesichts der Notwendigkeit solcher dramatischen Umstellungen in vielen Bereichen zu einer sehr unterschiedlichen Meinungsbildung kommen. Ich finde das auch in gar keiner Weise schädlich, wenn wir gemeinsam den Willen haben, nach einer Phase der Diskussion mit möglichst wenig Diffamierung desjenigen, der anders denkt, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.
    Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es jetzt vor allem darauf an, die Steuerlast zu senken, den Sozialstaat umzubauen, ihn angesichts der Tatsachen auf die neue Entwicklung auszurichten und Arbeitsplätze der Zukunft zu erschließen.
    Der erste Schwerpunkt muß heißen, die Steuerlast zurückzuführen und die Investitionskraft zu stärken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist positiv, daß die investitions- und beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer seit Beginn dieses Jahres nicht mehr erhoben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eine lächerliche Auslegung! Unglaublich!)

    Für Ihre Debatte draußen im Land ist es vielleicht ein wichtiger Hinweis, daß Sie gelegentlich darauf aufmerksam machen sollten, daß die Vermögensteuer für private Vermögen zwar gestrichen wurde, daß sie aber in die Erbschaft- und Schenkungsteuer einbezogen wurde und daß sich hierin die von Ihnen immer wieder vorgetragene Argumentation wiederfindet.
    Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist bisher im Bundesrat gescheitert. Ich hoffe sehr, daß wir jetzt - in diesen Tagen gibt es ja viele Gespräche - alles unternehmen, um die Abschaffung durchzusetzen. Ich appelliere von diesem Platz aus auch an die deutschen Kommunen,

    (Zuruf von der SPD)

    die Chance zu einer Beteiligung an der Umsatzsteuer zu nutzen und nicht durch unannehmbare finanzielle Ausgleichsforderungen zu gefährden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

    Die Bundesregierung und die Koalition von F.D.P. und CDU/CSU jedenfalls lassen sich nicht dabei beirren, die notwendigen Entscheidungen für die notwendigen Reformen herbeizuführen. Die große Steuerreform muß planmäßig zum 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD)

    Die unternehmensbezogenen Steuern werden wir schon am 1. Januar 1998 senken, damit möglichst viel für Arbeitsplätze getan werden kann.
    Was die Reformkommission in Sachen Steuern unter der Leitung des Kollegen Waigel jetzt vorgelegt hat, ist ein guter, wichtiger und notwendiger Schritt zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glauben nicht einmal Ihre eigenen Leute!)

    Die vorgesehenen Steuersätze werden gegenüber allen anderen großen Industrieländern wettbewerbsfähig sein; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei den Personengesellschaften und Einzelfirmen, also bei 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland, werden wir mit einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent niedriger liegen als andere wichtige Nachbarländer. Bei der Körperschaftsteuer geraten wir mit diesem Vorschlag in ein gutes Mittelfeld.
    Meine Damen und Herren, um es zu diesem Bereich gleich genauso zu sagen wie zum Bereich der sozialen Sicherungssysteme: Ich kann Sie nur einladen, an dieser Arbeit mitzuwirken. Wenn wir wirklich gemeinsam den Standort Deutschland sichern

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    und Arbeitsplätze nicht irgendwann im kommenden Jahrhundert, sondern sofort neu schaffen wollen, dann ist es doch eine gute Sache, miteinander in einen Wettbewerb zu treten; nicht in einen Wettbewerb der gegenseitigen Beschimpfungen - das können wir auch machen; es bringt bloß überhaupt nichts, schon gar nicht für die Arbeitslosen -, sondern in einen Wettbewerb um die besseren Ideen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich sind die Vorlagen, die jetzt in die Diskussion gebracht wurden, noch keine Gesetzestexte. Zunächst findet in gewohnter Weise eine breite Diskussion statt. Ich biete auch den Bundesländern ausdrücklich an, daß wir nicht die normalen Abläufe abwarten, bis eine Regierungsvorlage nach einem Beschluß der Bundesregierung in den Bundesrat geht, sondern daß wir möglichst wenig Zeit verlieren und im Zusammenhang mit den Anhörungen und Diskussionen, die normalerweise auf der Ebene der Erstellung eines Referentenentwurfes stattfinden, sofort mit den erforderlichen Gesprächen beginnen. Wir werden dann sehen, wer die besseren Ideen hat. Lassen Sie uns auf diese Weise miteinander konkurrieren!

    (Zuruf von der SPD: Sie haben doch gar keine Ideen!)

    - Es wird nicht besser, wenn Sie in einem fort diese Art Sottisen von sich geben. Das trägt nur zu Ihrer persönlichen Befriedigung bei; das ist aber auch das einzige. Was soll das?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir reden hier doch über ein wirklich wichtiges Thema!

    (Lachen bei der SPD)

    Wenn Sie wirklich an der Zukunft unseres Landes interessiert sind, dann treten Sie doch in den Wettstreit ein. Sie können das aber doch nicht tun, indem Sie beweisen, daß Sie laut schreien können. Das unterstellen wir Ihnen gerne. Wenn Sie wollen, bestätige ich Ihnen das noch einmal ausdrücklich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben ein zweites Feld, auf dem ganz wichtige Zukunftsfragen zu entscheiden sind: die Entwicklung und Zukunftssicherung der sozialen Sicherungssysteme. Aber auch diese Debatte verläuft zum Teil in einer unverständlichen Weise; denn der Ausgangspunkt sind in diesem Fall objektive Daten, die über die deutsche Bevölkerung vorliegen.
    In der Statistik der Europäischen Union können Sie nachlesen, daß Deutschland zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenziffer in Europa zählt. Das ist eine Tatsache, die enorme Auswirkungen haben muß. Eine zweite Tatsache ist, daß heute 13 Millionen Deutsche 65 Jahre und älter sind; in ein paar Jahrzehnten - im Jahr 2030 - werden es 19 Millionen sein. Der Anteil der 65jährigen und älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung wird sich von heute 15 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 26 Prozent - das ist ungefähr ein Viertel der Bevölkerung unseres
    Landes - erhöht haben. In drei Jahren leben in Deutschland 3 Millionen Menschen, die 80 Jahre und älter sind. Die Fortsetzung dieser Entwicklung ist absehbar.
    Gleichzeitig hat - das ist eine freie Entscheidung von Millionen Menschen in Deutschland - der Anteil der Single-Haushalte zugenommen: 36 Prozent in den alten Ländern und 30 Prozent in den neuen Ländern.
    Wenn Sie diese Entwicklungen nehmen, die Entwicklung der Geburtenzahlen und die steigende Lebenserwartung, dann ist doch für jedermann erkennbar, daß entscheidende Veränderungen stattfinden müssen, ob wir es wollen oder nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist aber schon ein bißchen länger erkennbar!)

    Das heißt, daß beispielsweise das Gesundheitssystem unter diesen Bedingungen nicht das gleiche sein kann wie vor 20 Jahren.
    Es kommt noch hinzu, daß die Zeit produktiver Erwerbstätigkeit in Deutschland immer kürzer wurde. Der deutsche Hochschulabsolvent ist heute bei Berufsbeginn im Durchschnitt nahezu 30 Jahre alt. Wir hören doch immer das Wort von der Gerechtigkeit. Zur Diskussion über die Gerechtigkeit gehört doch auch die folgende Feststellung: Es ist indiskutabel, daß im Durchschnitt der junge deutsche Hochschulabsolvent beim Eintritt in den Beruf fast 30 Jahre und sein Kollege in irgendeinem EU-Land 25 Jahre alt ist.
    Das ist nun eine Frage, über die nicht in diesem Saal entschieden wird,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU Lachen bei der SPD)

    sondern es wäre endlich an der Zeit, daß in den Bundesländern in der Frage der Universitätsreform die notwendigen Entscheidungen getroffen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn Sie diese Zahlen untereinander in einen Bezug stellen, dann bedeutet das, daß in vielen Fällen - und das ist doch heute die Realität - 50 Jahren Ausbildung und Ruhestand etwa 30 Jahre Erwerbstätigkeit gegenüberstehen. Niemand in diesem Haus kann diese Rechnung bezweifeln. Ich denke also, wenn die Rechnung, die wir jahrelang aufgemacht haben, wie jetzt nicht mehr aufgeht, haben wir eine gemeinsame Verpflichtung, daraus nüchterne Konsequenzen zu ziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD)

    - Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Machen Sie das doch. Ich freue mich darauf, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland das zu sagen, was Sie als Beitrag in dieser Debatte leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Rentenreformkommission unter dem Vorsitz von Bundesminister Blüm hat jetzt ihren Bericht vor-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    gelegt. Dieser Bericht muß verständlicherweise in allen Bereichen unserer Gesellschaft intensiv diskutiert werden. Das ist eine Entscheidung von weitreichendster Bedeutung,

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    und zwar nicht nur im theoretischen Fall, sondern in den Lebensbezügen von Millionen und Abermillionen Menschen heute und auch von vielen jungen Leuten, die heute überhaupt noch nicht im Arbeitsprozeß stehen.
    Natürlich ist das eine ganz ungewöhnlich schwierige Frage, und natürlich gibt es notwendigerweise - das sage ich auch in meine eigene Partei hinein - Diskussionsbedarf, weil das zum Wesen einer freiheitlichen Demokratie und von Parteien gehört. Aber das heißt, daß wir miteinander sprechen und diskutieren und zu gemeinsamen Ergebnissen kommen. Ich sage Ihnen voraus: Das wird in der Union wie immer in der Vergangenheit auch dieses Mal so sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Erst am Ende dieser Diskussion, wie auch der im Bereich der Steuerreform, können dann die Entscheidungen über die jeweilige Finanzierungsnotwendigkeit stehen. Dies haben wir immer gesagt, und daran werden wir uns halten.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der arme Nobby!)

    Meine Damen und Herren, mit dem Strukturwandel erleben wir vielfältige Veränderungen in unserer Arbeitswelt. Wir erleben, daß Information ein Rohstoff von größter Bedeutung geworden ist. Wir erleben, daß Bildung, Forschung und Ausbildung eine noch viel größere Schlüsselfunktion für die Zukunft haben.

    (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Es hat keinen Sinn, dann über die offenkundigen Schwächen, die wir in diesen Bereichen haben, hinwegzugehen. Wenn wir beispielsweise von den Ausbildungsbetrieben hören, daß rund 10 Prozent der Anwärter für Ausbildung in Betrieben im dualen System aus der Schule, aus der sie kommen, nicht die Voraussetzungen mitbringen, um einen Ausbildungsvertrag erfüllen zu können, muß das System daraufhin überprüft werden, ob es da nicht Abhilfe schaffen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn es an den Universitäten so ist, wie ich gerade gesagt habe, daß wir im Durchschnitt bei jungen Männern eine zeitliche Differenz von fünf Jahren gegenüber ihren Kollegen in den EU-Ländern beim Abschluß ihres Studiums haben, ist das ein Zustand, den wir auf die Dauer nicht akzeptieren können.
    An diesem Beispiel kann man erkennen, daß dies alles nicht eine Frage ist, die auf der engen Schiene und in der Kurzsichtigkeit rein parteipolitischer Betrachtungen erledigt werden kann, sondern wo wirklich Bund, Länder und Gemeinden sowie die politischen Kräfte in unserem Land zusammenwirken müssen. Das ist doch das Ergebnis, das wir in diesem Zusammenhang sehen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In dem ganzen Bereich Bildung und Ausbildung entscheidet sich, ob junge Leute in Deutschland das Rüstzeug erhalten, um sich selbst eine erfolgreiche berufliche Laufbahn ermöglichen zu können. Hier entscheidet sich auch, ob wir in unserem Land das notwendige Wissen aufbauen und nutzen, um wettbewerbsfähig zu sein und damit Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern.
    In Forschung und Innovation ist gegenwärtig in Deutschland eine neue Konjunktur zu verzeichnen; das ist eine glückliche Entwicklung. Es ist ein sichtbarer Stimmungsumschwung eingetreten.
    Bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft hat unser Land wieder Anschluß an die internationale Spitze gefunden. Ich nenne als Beispiel nur die Biotechnologie. Dafür haben wir in Deutschland heute wieder eine gute wissenschaftliche Basis. Wir haben seitens der Bundesregierung seit 1993 ganz Wesentliches getan, um das Gentechnikrecht konsequent zu entbürokratisieren.
    Hier ist eine Zahl sehr wichtig: Die Zahl der Patentanmeldungen in den Biowissenschaften hat zwischen 1987 und 1994 um 16 Prozent zugenommen.

    (Zuruf von der SPD: Auf niedrigem Niveau!)

    Das ist ein hervorragendes Potential, das verstärkt für innovative Produkte, für Verfahren und Zukunftsarbeitsplätze genutzt werden muß. Experten erwarten eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich von heute rund 20 000 auf etwa 100 000 bis zum Ende des Jahrhunderts, das heißt: in den nächsten drei Jahren, wenn wir diese Chance nutzen.
    Meine Damen und Herren, wir in der Koalition und als Bundesregierung bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft. Sie ist nach den Erfahrungen unseres Landes in beinahe fünf Jahrzehnten die Gesellschaftsordnung, die am besten Freiheit und sozialen Ausgleich ermöglicht.
    Wir haben in diesen Tagen den 100. Geburtstag von Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft, begangen.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach, das hat uns noch gefehlt!)

    Er hat in einer schwierigen Zeit bahnbrechende Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes getroffen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann man von Ihrer Regierung nicht sagen!)

    Ich denke, wie immer man in jenen Tagen zu seinem Werk gestanden hat: Heute ist unbestreitbar, daß es für das Land wichtig und richtig ist, wenn wir in seinem Geist unsere Arbeit fortsetzen, wenn wir unsere

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    gemeinsame Verantwortung erkennen, wenn wir als Bundesregierung diese Verantwortung wahrnehmen und ohne Wenn und Aber die notwendigen Entscheidungen zur Veränderung des Landes mit herbeiführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich erwarte selbstverständlich nicht sofort Zustimmung von seiten der Opposition. Aber ich erwarte von allen, die guten Willens sind, daß sie, wenn sie unsere Vorschläge kritisieren, mit eigenen Vorschlägen in die Diskussionen gehen und daß wir dann überlegen, was wir gemeinsam erreichen können,

    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das wollen Sie ja gar nicht!)

    daß wir uns mit vernünftigen Argumenten begegnen und nicht mit gegenseitiger Herabsetzung. Das ist ganz konkret unsere Meinung. Danach wollen wir handeln, damit Deutschland eine gute Zukunft hat.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es spricht jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Bundespräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Bundestagspräsidentin!)

    - Vielen Dank, Herr Glos. Wo kämen wir hin, wenn Sie nicht da wären und nicht zur rechten Zeit die richtigen Stichworte geben würden?

    (Beifall bei der SPD Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem, was die Bundestagspräsidentin betrifft!)

    Frau Bundestagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich, Herr Bundeskanzler, hat die deutsche Öffentlichkeit mit Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet.

    (Beifall des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU] Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    - Den jungen Mann sollten Sie sich merken. Das war Repnik. Aus dem Mann sollte noch etwas werden. Ein tüchtiger Mann ist das. Merken Sie sich ihn!
    Natürlich haben wir mit großer Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet. Denn es ist nicht alltäglich, daß Minister aus den eigenen Reihen zum Rücktritt aufgefordert werden. Es ist nicht alltäglich, daß sich Minister mit Rücktrittsgedanken tragen, daß schon andere Namen gehandelt werden und daß auch Sie zitiert werden: „Wenn das so weitergeht, schmeiße ich den Krempel hin."

    (Bundeskanzler Helmut Kohl: Das hätten Sie wohl gern!)

    - Herr Bundeskanzler, daß wir das gern hätten, das ist richtig. Aber es gibt immer mehr, die auf der Regierungsseite sitzen und das gern hätten. Ich weiß nicht, ob Sie das in den letzten Tagen bemerkt haben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Natürlich gab es die Frage: Werden Sie jetzt den Versuch unternehmen, Ihre Politik zu ändern, da die Politik nachgewiesenermaßen nicht zu den Ergebnissen geführt hat, die Sie erreichen wollten? Das ist unstreitig.
    Wir haben bei der Neujahrsansprache von Ihnen wörtlich hören können: „Wir Deutschen" - wir unterstellten, daß Sie sich damit auch selbst gemeint hatten - „können nicht einfach weitermachen wie bisher."

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    - Sie sehen, wenn Sie etwas Richtiges sagen, bekommen Sie auch von der Opposition Beifall, Herr Bundeskanzler. „Wir Deutschen können nicht einfach weitermachen wie bisher. Wer dies versucht, verspielt unsere Zukunft."

    (Zustimmung bei der SPD)

    Nun hören wir heute mit etwas Erstaunen: Die Bundesregierung läßt sich nicht beirren.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Sie wird ihren Reformkurs konsequent fortsetzen, um Arbeitsplätze in Deutschland attraktiver zu machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn die Arbeitslosen jetzt hören, daß Sie sich bei Ihrem Reformkurs nicht beirren lassen wollen, dann wird ihnen klar, daß sie überhaupt keine Aussichten mehr haben, in der nächsten Zeit einen Arbeitsplatz zu finden; denn Ihr Reformkurs hat nun einmal dazu geführt, daß die Arbeitslosenzahlen entgegen Ihren Zielen von Jahr zu Jahr ständig angestiegen sind.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Es ist schon erstaunlich, wie wenig lernfähig diese Regierung ist. Ich wiederhole: Wir brauchen uns hier zunächst einmal gar nicht über die Methoden auseinanderzusetzen. Wir sollten auf die Ergebnisse schauen. Wir sollten einfach akzeptieren, daß die Ergebnisse darüber urteilen, ob eine Politik richtig oder falsch ist.

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Saarland!)

    Es ist richtig: Wenn die Arbeitslosenzahlen steigen, dann ist die Politik falsch. Da die Arbeitslosenzahlen Jahr für Jahr steigen und Sie jedes Jahr die gleiche Rede halten können, Herr Bundeskanzler, ist Ihre

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Politik falsch. Die Schlußfolgerung daraus lautet: Diese Politik muß geändert werden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Sie nennen richtigerweise Lehrsätze der Wirtschaftspolitik: Wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir die Investitionsschwäche überwinden, dann müssen wir Strukturreformen vorantreiben und Forschung und Innovation stärken.
    Sie haben sich seit Jahren vorgenommen, die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft zu überwinden. Erstaunlich ist, daß Sie auch bei diesem Ziel gescheitert sind. Der Jahreswirtschaftsbericht - man sollte ihn genau lesen und vorurteilsfrei beurteilen - kommt schlicht und einfach zu dem Ergebnis, daß Ihre Analysen und daher auch die Vorschläge, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, falsch waren.

    (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

    Ihre Analysen - landauf, landab von vielen verstärkt und immer wieder vorgetragen - waren: Wir leiden an einer extremen Standortschwäche. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Also müssen wir alles tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken: über Steuersenkungen für Unternehmen, Lohnzurückhaltung und Kürzung sozialer Leistungen.
    Sie predigen das Jahr für Jahr, obwohl die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erwiesen ist. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht doch, daß einzig und allein der Export die Konjunktur schleppt. Wir sind keine wettbewerbsunfähige Wirtschaft; sondern wir haben eine Wirtschaft, die sich weltweit als die exportstärkste Wirtschaft behauptet. Ihre Analysen waren falsch. Daher waren auch alle Antworten falsch, die Sie in den letzten Jahren gegeben haben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie können noch so viele Unternehmenssteuersenkungsrunden - wir haben schon mindestens fünf, sechs hinter uns - vorschlagen, Sie können noch soviel Lohnzurückhaltung predigen, Sie können noch so viele soziale Leistungen kürzen und meinen, dann wächst und blüht die Wirtschaft - es sind und bleiben die falschen Rezepte. Die ganze Standortdebatte war interessengeleitet; sie löste sich völlig von den Daten und der Wirklichkeit. Wir sind pro Kopf mit Abstand die exportstärkste Nation der Welt und sollten dieses Gerede und Gequatsche endlich einstellen, um uns den wirklichen Problemen unserer Volkswirtschaft zuzuwenden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Seit Jahren haben wir ein Zurückhängen der Binnennachfrage.

    (Zuruf von der F.D.P.: O nein! Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das ist nun wirklich nicht neu!)

    - Ich höre da Lärm von der F.D.P. Dann lesen Sie zumindest einmal den Jahreswirtschaftsbericht! Da steht das nämlich wörtlich drin. Wenn Sie den noch nicht einmal gelesen haben, dann sind Sie für eine solche Debatte schlecht vorbereitet.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben seit Jahren ein Durchhängen der Binnennachfrage. Wer dies nicht sieht, wer dies nicht erkennt, ist nicht in der Lage, Strukturreformen einzuleiten, die wir brauchen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder zu stärken und insbesondere die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
    Zur Stärkung der Binnennachfrage liegen seit Jahren zwei Reformvorschläge von uns auf dem Tisch, die teilweise in der Fachwelt immer wieder angesprochen und teilweise auch in Ihren Reihen diskutiert worden sind. Aber seit Jahren tut sich nichts.
    Der eine Reformvorschlag, der nun unstreitig ist, wie die Debatten der letzten Zeit gezeigt haben, lautet, daß es nicht so weitergehen kann, daß die Abgaben immer weiter steigen, daß die Sozialversicherungsbeiträge immer weiter ansteigen, damit die Kaufkraft der Durchschnittseinkommen schwächen, die Arbeitsplätze teuer machen und zu einem Rationalisierungsdruck auf die Arbeitsplätze und zu einem Schwächen der Binnennachfrage führen. Ändern Sie endlich diese Politik! Konkret haben Sie auch heute dazu überhaupt nichts gesagt und vorgeschlagen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Sie streiten nun miteinander darüber, wie die Rentenfrage angegangen werden soll. Das ist innerhalb einer Partei selbstverständlich. Aber die Vorschläge, die Sie jetzt diskutieren, beispielsweise über Verbrauchsteuererhöhungen die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, liegen seit Jahren auf dem Tisch.
    Im Jahre 1990 hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vorgeschlagen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken und dafür Verbrauchsteuern zu erhöhen. Seit Jahren liegen diese Reformvorschläge auf dem Tisch. Sie diskutieren sie jetzt - das ist immerhin ein Fortschritt -, aber Sie blockieren sie seit Jahren und sehen tatenlos zu, wie die sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Verwerfungen immer größer werden und damit die Arbeitsplätze wegrationalisiert werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die SPD-Fraktion hat vor einem Jahr einen Vorschlag eingebracht, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Sie hat dies für die Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen. Sie hat vorgeschlagen, im Gegenzug Verbrauchsteuern zu erhöhen, in diesem Fall Energieverbrauchsteuern. Auch diese Vorschläge sind bei Ihnen diskutiert worden. Es gibt ausgearbei-

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    tete Papiere in Ihren Reihen, so zu verfahren. Dabei kann man darüber diskutieren, welche Beiträge in welchem Zeitraum wie verändert werden können.
    Die gesamte Volkswirtschaft leidet an der von Ihnen seit Jahren verschleppten Lösung dieses Kernproblems. Die Abgaben in diesem Land sind viel zu hoch, die Arbeitsplätze unterliegen einem viel zu starken Rationalisierungsdruck, insbesondere in der Binnenwirtschaft und bei den lohnintensiven Betrieben. Sie haben dieses Reformwerk seit Jahren verschleppt oder - in Ihrer Sprache - blockiert. Heben Sie endlich diese Denkblockade auf, und handeln Sie, denn schon jahrelang gehen Arbeitsplätze verloren!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich greife jetzt nur einmal Ihre Debatte zur Rentenreform auf. Es ist gut, wenn da diskutiert wird: Sollen wir die Sozialversicherungskassen nicht von versicherungsfremden Leistungen entlasten? Das ist ein Vorschlag, den auch wir machen. Wenn Sie das genauso sehen, dann muß man sich zusammensetzen, definieren, was versicherungsfremde Leistungen sind, und dann muß man das Problem lösen.
    Aber es hat keinen Sinn, über das Ganze Jahre zu schwadronieren, ohne daß irgend etwas geschieht. Die Vorschläge, die wir auf den Tisch gelegt haben, haben Sie zurückgewiesen. Sie haben sie nicht akzeptiert. Eigene Vorschläge zu diesem Thema haben Sie nicht vorgelegt, weil sich die F.D.P. in einer sehr kleinkarierten Klientelpolitik als Steuersenkungspartei profilieren wollte und nicht gesehen hat, wie die Abgaben Jahr für Jahr extreme Höhen erreicht haben, zum Schaden der Volkswirtschaft insgesamt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nun versprechen Sie eine Steuerreform für das Jahr 1999. Das ist doch nicht zu fassen! Seit Jahren liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Im Jahre 1994 hat die Bareis-Kommission einen Vorschlag gemacht.

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die wollen Sie doch gar nicht!)

    Zunächst hat Ihre Regierung es sich erlaubt, diesen Vorschlag in den Papierkorb zu werfen. Nun versprechen Sie für das Jahr 1999 eine Steuerreform.
    Ich sage Ihnen für die deutsche Sozialdemokratie: Für das Jahr 1999 haben Sie keinen Kredit, Herr Bundeskanzler, weil dies ein Datum nach der Bundestagswahl ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben die Wählerinnen und Wähler schon so oft in Steuerfragen betrogen, daß es für Sie keinen Kredit mehr gibt, weder bei uns noch im gesamten Volk.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Es ist in der letzten Zeit zum Markenzeichen Ihrer Regierung geworden, daß Sie vor Wahlen Versprechungen in ungeheurer Dreistigkeit machen und nach den Wahlen sagen: Die Dinge haben sich geändert; wir müssen das alles wieder einkassieren.
    Sie haben vom Aufbau Ost und von dem Vertrauen gesprochen, das die Menschen dort in Ihre Politik haben sollten. Sie standen an diesem Pult und haben erhebliches Vertrauen verspielt, indem Sie äußerten: Wenn ich sage: „Es wird keine Steuererhöhung geben", dann gibt es keine Steuererhöhung zur Finanzierung der deutschen Einheit.
    Sie haben in dieser Zeit die Steuern und Abgaben auf das Jahr gerechnet um 120 Milliarden DM erhöht. Und dann trauen Sie sich noch, bei den Wählerinnen und Wählern Kredit hinsichtlich Ihrer Glaubwürdigkeit einzufordern?
    Was haben Sie, die F.D.P., im letzten Jahr veranstaltet? Da hat diese Partei, weil sie um die 5 Prozent kämpfte, den Wählerinnen und Wählern versprochen: „Der Soli wird gesenkt", um das nach der Wahl wieder einzukassieren. Solch schamloser Betrug schadet unserer Demokratie.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Solch schamloser Betrug ist auch die Ursache dafür, daß Sie sich ein Steuerreformgesetz mit Wirkung 1999 abschminken können. Das wird es nicht geben. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie das zur Kenntnis.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind. Ihr Mitarbeiter hatte Ihnen aufgeschrieben: Das Steuerreformgesetz „wird" für 1999 in Kraft gesetzt. Sie haben das abgeschwächt, indem Sie gesagt haben: sollte oder muß in Kraft gesetzt werden. Sie haben immerhin erkannt, daß andere ja noch mitzureden haben.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Sie haben völlig Recht. Deshalb wiederhole ich: Entweder verständigen wir uns auf eine spürbare Entlastung der breiten Schichten unseres Volkes zum 1. Januar 1998, oder Sie können sich das ganze Projekt abschminken. Herr Bundeskanzler, ich sage das in aller Klarheit.

    (Beifall bei der SPD Joachim Hörster [CDU/CSU]: Was heißt das denn konkret in Mark und Pfennig?)

    Meine Damen und Herren, ich sage noch etwas zur Rentendebatte. Ich will nicht unbedingt den Finger in Ihre Wunde legen. Aber alle Beteiligten - nicht nur diejenigen, die kritisch sind, sondern auch diejenigen, die in Ihren Reihen kritisiert werden - haben sich jetzt zu fragen, ob sie in den letzten Jahren redlich gehandelt haben.
    Auch vor den Wahlen des letzten Jahres wurden Briefe verschickt. In diesen Briefen, Herr Bundes-

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    kanzler, haben Sie geschrieben - wörtlich -: Die Renten sind sicher.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Stimmt ja auch!)

    Wenn Sie jetzt hingehen und in diesem Ausmaß Reformvorschläge machen, fühlen sich die Wählerinnen und Wähler wieder zu Recht betrogen und getäuscht. So kann man doch nicht Politik in Deutschland machen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Solange Sie nicht erkennen, daß die Investitionsschwäche, die nun seit Jahren anhält und die sich im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen völlig anders ausgebildet hat, strukturelle Ursachen hat, die in Ihrer verfehlten Politik liegen, so lange wird diese Investitionsschwäche anhalten. Sie können dann noch so viele Reformpakete - ich glaube, wir haben jetzt schon das zehnte beschlossen - schnüren, Sie werden keinerlei Veränderung hinsichtlich der Investitionskonjunktur und des deutschen Arbeitsmarktes erreichen.
    Die Themen „Rentenreform" und „Steuerreform" fallen unter den Oberbegriff „Strukturreform". Das ist richtig. Sie haben ja eine ganze Reihe von Strukturreformen gemacht - wer wollte das in Abrede stellen. Sie haben sie eben wieder angesprochen. Sie reden vom Entgeltfortzahlungsgesetz, also von der Kürzung der Lohnfortzahlung. Sie sind stolz darauf, daß Sie den Kündigungsschutz eingeschränkt haben. Sie sind stolz darauf, daß Sie die beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer abgeschafft haben.
    Verehrter Herr Bundeskanzler, alle Beschäftigungserfolge, die Sie noch einmal bemüht haben, haben Sie im Zusammenhang mit der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer erreicht. Irgend etwas scheint doch da nicht zu stimmen. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß es viel, viel wichtiger wäre, Arbeitnehmer zu entlasten, als den Reichen ein Steuergeschenk nach dem anderen zu machen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Joachim Hörster [CDU/CSU]: Machen Sie doch einmal einen konkreten Vorschlag, Herr Lafontaine!)

    Im übrigen weiß ich, daß das nicht nur die SPD, die Opposition, so sieht, daß vielmehr auch weite Teile der Bevölkerung und große Teile Ihrer eigenen Partei das so sehen. Deshalb mußte ich Ihnen vorhin auf Ihren Einwand „Das hätten Sie wohl gern!" erwidern: Das ist nicht mehr nur ein Problem der SPD oder der Opposition. Wenn man einen derart falschen Ansatz in der Politik wählt und den Eindruck hervorruft, daß man, unbeeindruckt vom Anstieg der Arbeitslosenzahlen, nicht bereit ist, diese Politik zu korrigieren, dann wirft das nicht nur Fragen bei der Bevölkerung und bei der Opposition auf, sondern auch in den eigenen Reihen.
    Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie tatsächlich, Vorschläge wie der, die degressive Abschreibung zu vermindern, würden eine Stärkung der Investitionsneigung bringen? Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie, größere Vorschläge, die darauf abzielen, die Abschreibungsmöglichkeiten zu verringern, würden eine Verstärkung der Investitionsneigung bringen? Und wenn Sie von der Investitionsschwäche und von der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer reden, dann weise ich Sie darauf hin, daß allein auf Grund der Tatsache, daß Sie zur Kompensation für den Wegfall der Vermögensteuer die Grunderwerbsteuer drastisch erhöht haben, bewiesen ist, daß Sie wirklich von Wirtschafts- und Konjunkturpolitik nicht den blassesten Schimmer haben.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuersenkungspartei F.D.P.! Joachim Hörster [CDU/CSU]: Aber Sie im Saarland!)

    Wer in der jetzigen Phase einer zurückhängenden Baukonjunktur die Vermögensteuer abschafft und zur Kompensation die Grunderwerbsteuer anhebt, wer das den Ländern aufzwingt - wir hatten ja gar keine andere Wahl -, der zeigt, daß er, einfach losgelöst von den wirtschaftlichen Daten, irgendwelchen Ideologien folgt und nicht in der Lage ist, eine langfristige, durchdachte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben.

    (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Daß das Durcheinander in der Finanzpolitik die Investitionsschwäche in Deutschland mit bedingt, haben nicht wir, die böse Opposition, gesagt, sondern dies sagen alle Sachverständigen, der Sachverständigenrat und die Wirtschaftsinstitute.
    Wenn man die gegenwärtige Diskussion um die Steuergesetzgebung nimmt, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, daß Sie aus den Erfahrungen der letzten Zeit irgend etwas gelernt hätten.
    Das erste ist: Der Zeitpunkt ist falsch. Er wird so nicht gehalten werden können; ich sage Ihnen das in aller Klarheit.
    Das zweite ist: Die Mehrwertsteuer oder Verbrauchsteuern zu erhöhen, um die Absenkung der Spitzensteuersätze zu finanzieren, dies ist ökonomisch falsch und sozialpolitisch unverantwortlich. Auch diesen Vorschlag können Sie sich abschminken. Er wird keine Mehrheit finden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das dritte ist: Ihr Vorschlag hinsichtlich des Tarifs weist eine Reihe von Ansätzen auf, die durchaus bedenkenswert sind und sich teilweise mit Vorschlägen, die wir gemacht haben, überschneiden. Es ist merkwürdig, vor diesem Hintergrund immer zu fragen: Wo bleiben die Vorschläge der Opposition?

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Ich habe bereits vor einigen Monaten festgestellt, daß es gut ist, daß Sie aus dem Katalog, den der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer aufgestellt hat, eine ganze Reihe von Vorschlägen übernommen haben. Das ist gut, das schafft die Möglichkeit, ein gemeinsames Gesetz zu finden. Aber wenn Sie schon abschreiben, dann tönen Sie nicht dauernd so, als gäbe es keine Vorschläge der Oppositionsparteien.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gleiche gilt für den niedrigen Eingangssteuersatz. Wie oft habe ich Ihnen bei Steuerverhandlungen gesagt, Herr Finanzminister: Der niedrige Eingangssteuersatz ist kontraproduktiv. Bei allen Steuerrunden, in denen wir in den letzten Jahren zusammensaßen, habe ich Ihnen immer wieder gesagt: Er ist falsch und führt zur Schwarzarbeit.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hohe!)

    - Entschuldigung, der hohe Eingangssteuersatz, danke sehr.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich habe mich versprochen. Das führt bei Ihnen zu großer Heiterkeit; Sie versprechen sich offensichtlich nie. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie versprechen sich einzig und allein dann, wenn Sie einmal die Wahrheit sagen. Bei der Steuerpolitik wäre das wirklich notwendig.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Beim Steuertarif gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die vernünftig sind, die wir deshalb mittragen können. Das ist einmal das Absenken des Eingangssteuersatzes, und das ist das Streichen einer ganzen Reihe von Steuersubventionen.
    Die Streichung der Steuersubventionen wird seit Jahren gefordert, aber diese Forderung ist mit einer Idee verbunden, nämlich mit der Idee der Steuergerechtigkeit. So sehr ich auf der einen Seite begrüße, daß Sie den Eingangssteuersatz absenken, und so sehr ich auf der anderen Seite begrüße, daß Sie beispielsweise viele Vorschläge aus der Liste von Schleußer übernommen haben, um die niedrigen Unternehmensteuersätze zu finanzieren, so sehr muß ich Ihnen aber auch sagen, daß der Tarif ansonsten eine wirkliche soziale Schlagseite hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Warum? Wir haben über Jahre geklagt, daß der Steuertarif auf den Kopf gestellt worden ist, weil es dazu gekommen ist, daß der einzelne nicht mehr nach der Leistungsfähigkeit Steuern gezahlt hat. Der Tarif wurde in seinem Sinn praktisch auf den Kopf gestellt, weil den Arbeitnehmern brav die Steuern abgezogen wurden, während die Bezieher höherer Einkommen - auch Einkommensmillionäre - über vielfältige Abschreibungsmöglichkeiten legal ihre Steuern auf Null senken konnten.
    Diesen Sachverhalt haben wir angeprangert und haben gesagt: Das schafft Staatsverdrossenheit und muß geändert werden. Damit haben wir aber nicht vorgeschlagen, daß jetzt die Privilegien für die Einkommensmillionäre gestrichen werden und ihnen dafür 100 000 DM als Steuergeschenk hinterhergeworfen werden. Wer so handelt, hat nicht verstanden, was Steuergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit in unserem Volk heißt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Sie wissen wollen, was konsensfähig ist, dann können Sie an der Grundstruktur des Tarifes bezüglich des Eingangssteuersatzes und der Tarifführung festhalten, Sie müssen ihn allerdings oben deutlich weiter hochziehen. - Daß Sie dabei lachen, Herr F.D.P.-Vorsitzender, ist mir klar. Merken Sie sich aber: Es gibt nicht nur 5 Prozent in der Bevölkerung, es gibt 100 Prozent. Wir machen Steuerpolitik für 95 Prozent, nicht für 5 Prozent.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wissen Sie, wer Arbeitsplätze schafft in Deutschland?)

    Deshalb: Ziehen Sie den Tarif weiter hoch! Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten. Ich wiederhole: Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten! Es ist überhaupt kein Problem. Ich wiederhole deshalb unsere Forderung: Diese Entlastung muß zum 1. Januar 1998 kommen, oder sie kommt nicht.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Was dann im einzelnen abzuklären ist, sind die Streichvorschläge der Bareis-Liste, über die wir bereits öfter gesprochen haben. Als die Bareis-Liste auf den Tisch kam, habe ich den Rat gegeben: Rechnet das und insbesondere die Kulmination dieser Vorschläge für einzelne Fälle durch.
    Das haben Sie offensichtlich nicht getan. Wenn Sie das nicht getan haben, meine Damen und Herren von der Koalition, ist das kein Argument, uneinsichtig daran festzuhalten. Wenn Sie es versäumt haben, das Zusammenwirken von Kilometerpauschale, Arbeitnehmerpauschale, von Nacht- und Schichtzuschlägen usw. zu berechnen, dann ist das Ihr Fehler. Aber es ist kein Grund, an diesem Fehler festzuhalten.
    Es dürfte Ihnen doch klar sein - unabhängig davon, wie man zu einzelnen Vorschlägen steht -, daß Ihr Tarif in dieser Ausformung und Finanzierung die Leistungsträger unserer Volkswirtschaft abstraft, nämlich die Facharbeiter, die Schichtarbeiter, die Krankenschwestern, die Busfahrer und wen sonst ich alles nennen könnte. Was Sie hier versuchen, ist doch hirnrissig.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Es ist ohne weiteres möglich, einen Steuertarif zu verabschieden, der auf den Prinzipien fußt, die ich hier vorgetragen habe, und der die Kulmination mit dem Ergebnis, daß Leistungsträger der Gesellschaft Einkommenseinbußen erleiden, verhindert. Es gibt gar keine andere Möglichkeit.
    Wenn Sie sagen, daß wir miteinander verhandeln sollen, dann müssen wir uns natürlich bei diesen Verhandlungen auch noch darüber verständigen, wieviel gepfuscht werden soll.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Ich hätte eigentlich von Ihnen erwartet, daß Sie heute irgend etwas zu Ihren Steuervorschlägen sagen, Herr Bundeskanzler. Das hätte die deutsche Öffentlichkeit erwarten dürfen. Wird jetzt die Mehrwertsteuer erhöht, ja oder nein, und wenn ja, in welchem Umfang wird sie erhöht?

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wann!)

    Hören Sie doch auf, sich an irgend jemanden zu wenden und irgendwelche Vorschläge zu erbitten, solange Sie die Fragen nicht geklärt haben, wie viele Löcher Sie in Zukunft aufreißen wollen, wie Sie rückfinanzieren wollen und wer wie belastet werden soll! Es ist doch einfach unmöglich, wie Sie an dieser Stelle vorgehen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Dasselbe gilt für die Mineralölsteuererhöhung. Ich kann ja verstehen, daß der eine oder andere aus Ihren Reihen sagt, bei einer Mehrwertsteuererhöhung seien die Länder beteiligt, daher solle man auf die Mineralölsteuer zurückgreifen. Das ist ja ein Argument. Aber nun sagen Sie doch endlich, was Sie eigentlich wollen.
    Es ist ja ganz schön, wenn Sie immer wieder lautstark Vorschläge der Opposition einfordern. Ich sage Ihnen noch einmal: Schleußer-Liste, Bareis-Liste. Wir brauchen eine Verständigung darüber, den Tarif deutlich nach oben zu ziehen. Das alles ist innerhalb von vier Wochen zu machen. Aber Sie sind auf der anderen Seite nicht bereit, zu sagen, wie Sie die Gegenfinanzierung gestalten wollen. Die Kritiker in Ihren Reihen haben recht: Es war ein gravierender, ein schwerer Fehler, die Mehrwertsteuererhöhung mit der Senkung des Einkommensteuertarifs bei den oberen Einkommensgruppen zu verbinden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie sprachen Strukturreformen an und redeten wiederum für die Teilzeitarbeit. Es ist richtig, Herr Bundeskanzler, daß die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in den letzten 20 Jahren konstant geblieben ist. Zu der Statistik, die Sie immer wieder bemühen, ist aber zu sagen - das sollten Sie einmal korrigieren -, daß in den letzten Jahren drei Millionen Teilzeitarbeitsplätze dazugekommen sind. Es ist auch richtig, wenn Sie sagen, von diesen drei Millionen Teilzeitarbeitsplätzen hätten zwei Millionen Frauen profitiert. Man müßte allerdings noch näher unter die Lupe nehmen, was hier „profitieren" heißt.
    Sie haben es ja selbst angesprochen, daß es problematisch ist, daß schlecht bezahlte Arbeitsplätze in der Regel Frauen angeboten werden. Wir fügen hinzu: Es ist noch problematischer, daß die nicht registrierten und in keiner Statistik auftauchenden versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse im wesentlichen für die Frauen reserviert sind, was zu dem Ergebnis führt, daß sie im Alter geminderte oder gar keine Rentenansprüche haben.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das ist eine der Strukturreformen, die Sie verschleppen. Sicherlich wird man für einen Teilbereich solche Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren müssen. Wenn etwa Studenten Zeitungen austragen, wird niemand auf die Idee kommen, das müsse ein Vollerwerbsarbeitsplatz sein. Aber folgen Sie doch denen aus Ihren Reihen, die sagen, es könne nicht so weitergehen, daß die Aufsplitterung auf dem Arbeitsmarkt jetzt auf den Handel überschwappt, so daß immer mehr Vollzeitarbeitsplätze in 610-DMJobs zerstückelt werden, die dann am Ende dazu führen, daß die Betroffenen keine Rentenansprüche haben und auf die Sozialhilfe angewiesen sind! Das kann so nicht weitergehen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Diese Strukturreform verschleppen Sie seit Jahren, wie Sie die Steuerreform seit Jahren verschleppen

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie blockieren doch!)

    und wie Sie die Reform der sozialen Versicherungssysteme seit Jahren verschleppen. Bei der Teilzeitarbeit sind Sie es doch, die über Jahre blockiert haben.
    Vor Jahren haben wir, das Saarland, im Bundesrat einen Antrag eingebracht, der verlangte, die Teilzeitarbeit auch im Beamtenbereich zu öffnen. Ich habe in der letzten Bundestagsdebatte an Sie appelliert, endlich Ihren hinhaltenden Widerstand an dieser Stelle aufzugeben. Nach endlosem Gehänge und Gewürge ist jetzt eine Öffnungsklausel für die Länder herausgekommen. Warum erwähne ich dies? Ich erwähne dies, weil deutlich wird, daß Sie über Jahre die Entwicklung von Teilzeitarbeit in Deutschland blockiert haben. Aber Sie standen hier einmal als jemand, der gesagt hat, die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit sei dumm, töricht und absurd. Herr Bundeskanzler, Sie sind durch die Geschichte längst widerlegt worden. Ohne die Verkürzung der Arbeitszeit könnten Sie noch nicht einmal von den 3 Millionen Halbtagstätigkeiten berichten, die in den letzten zehn Jahren zusätzlich entstanden sind. Sie verstehen noch nicht einmal die Zusammenhänge und die Probleme.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    Deshalb sage ich Ihnen: Bei all den Strukturreformen - Sozialversicherungssysteme, Steuersystem, Beschäftigungsverhältnisse im nicht sozial abgesicherten Bereich - ist es notwendig, weiterhin auf die Verkürzung der Arbeitszeit zu setzen. Es ist gut, daß Sie das jetzt endlich erkannt haben. Aber Sie waren diejenigen, die über Jahre eine falsche Politik betrieben haben, mit den Ergebnissen, die wir jetzt landauf, landab sehen können.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Am rührendsten ist es, wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, wir müßten Forschung und Innovation stärken.

    (Lachen bei der SPD)

    Das ist nun wirklich ganz toll, meine Damen und Herren, daß wir Forschung und Innovation stärken müssen. Was ist in der letzten Zeit geschehen? Da haben Sie den herrlichen Vorschlag gemacht, wir müßten das BAföG verzinsen, wahrscheinlich um eine Belebung der Universitäten zu erreichen. Wir haben Ihnen gesagt, daß wir eine solche Bildungspolitik nicht mitmachen, weil die Begabungen nicht nach Einkommensschichten in unserem Volke verteilt sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sagen: Das Einkommen der Eltern darf nicht darüber entscheiden, ob jemand eine gute universitäre Ausbildung erhält, und dabei bleibt es. Geben Sie diese rückwärtsgewandten Vorschläge auf, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie haben dann vor ein paar Jahren als großer Förderer von Forschung und Innovation das MeisterBAföG abgeschafft. Das war ein verhängnisvoller Fehler. Viele Handwerksbetriebe haben immer wieder darauf hingewiesen, wie falsch diese Entscheidung war. Wir haben im Gegenzug - um ein neues Wort aufzugreifen - gegen Ihre Blockade einen Kompromiß durchgesetzt, so daß das Meister-BAföG wieder eingeführt worden ist. Das Handwerk ist uns dankbar. Sie sollten der Opposition dankbar sein, daß sie Ihre Fehler korrigiert hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lachen bei der F.D.P. Zurufe von der CDU/CSU)

    Am tollsten ist es, daß Sie vortragen, Forschung und Innovation müßten gestärkt werden, wo Sie seit Jahren einen Fehler machen. Seit Jahren weisen wir Sie immer wieder darauf hin, daß dieses Land, das rohstoffarm ist, nur dann die Chance haben wird, die Zukunft zu gewinnen, wenn es auf die Forschung setzt, das heißt auf die private Forschung, aber auch auf die staatliche Forschungsförderung. Aber seit Jahren streichen Sie die Forschungsmittel zusammen. Dann korrigieren Sie doch wenigstens diesen
    Fehler, oder fügen Sie sich der Erkenntnis, die Sie hier vorgetragen haben!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Es ist ja fast schon überflüssig, zu fragen, wie es denn mit dem Haushalt weitergeht: Von Punktlandung zu Punktlandung.

    (Heiterkeit bei der SPD - Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Bruchlandung!)

    Als die Haushälter meiner Fraktion im letzten Jahr gesagt haben, es werde ein Defizit von etwa 20 Milliarden DM auflaufen, da habe ich - das sage ich in allem Freimut - gefragt: Seid ihr sicher, daß das wirklich eine solche Größenordnung annehmen wird? Denn 20 Milliarden DM sind ja keine vernachlässigbare Größe. Und wie wurden die Haushälter der Opposition von Ihnen beschimpft, als sie immer wieder auf dieses Defizit hingewiesen haben!
    Ich weiß aus der Rednerliste, daß nachher der Finanzminister spricht. An dieser Stelle können Sie einmal Abbitte leisten. Hören Sie auf unsere Haushälter, wenn Sie Prognosen abgeben, und hören Sie weniger auf die eigenen Erkenntnisse und Einsichten!

    (Beifall bei der SPD)

    Und wenn es wirklich so ist, meine Damen und Herren, daß Sie eine Haushaltssperre zurückgenommen haben, nur weil Sie sagen, die Presse könnte sonst schlecht sein - meistens stimmt das, was durchsickert und was erzählt wird, ja doch -, dann ist das auch kein Ausweis von Souveränität und erst recht kein Ausweis von in sich konsequenter Politik.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Narrhallamarsch am Rosenmontag im Finanzministerium!)

    Aber vielleicht sagt der Finanzminister zu diesem Thema etwas. Er hat ja nachher die Möglichkeit dazu.

    (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich möchte noch einen Hinweis geben: Sie haben allen Bemühungen europäischer Regierungen, zu einem europaweiten Beschäftigungspakt zu kommen, trotzig und selbstgefällig mit der Bemerkung widerstanden: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause. Man kann nur hoffen, daß es in anderen Ländern nicht so aussieht wie hier bei Ihnen, wo Sie der Chefkoch sind und Beschäftigungspolitik zu Hause machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Sie haben vor einigen Jahren den Wahlkampf mit der Parole geführt: Weiter so, Deutschland. Nach 14 Jahren kommen Sie nun zu folgendem Ergebnis: Wir, die Deutschen, können nicht so weitermachen wie bisher. Herr Bundeskanzler, Ihre Rede allerdings hat bei uns den Eindruck hinterlassen, daß Sie mit „wir" nicht sich selbst meinen, sondern alle anderen - die Tarifparteien, Gewerkschaften, Unternehmer, die Opposition oder

    Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland)

    wen auch immer - und daß Sie unbeirrt an Ihrem vermeintlichen Reformkurs festhalten.
    Dieser Reformkurs setzt auf die falschen Rezepte. Er schwächt die Binnennachfrage. Er zerstört die soziale Gerechtigkeit. Er verzögert wichtige Reformen, unter anderem auch - Kollege Fischer wird darüber noch sprechen - die ökologische Steuerreform, die seit mindestens zehn Jahren verschleppt worden ist. Sie, Herr Bundeskanzler, sind die Ursache unserer Krise. Es wird Zeit, daß Sie daraus die Konsequenzen ziehen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Beifall bei der PDS)