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    Plenarprotokoll 13/155 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 8: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland 13947 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 9: Debatte zur Arbeitsmarktsituation und zum Wirtschaftswachstum 13947 A Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 13947 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 13956 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 13963 A Joachim Poß SPD 13968 B Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13968 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 13974 D Dr. Gregor Gysi PDS 13977 C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13980 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) 13983 B Rudolf Scharping SPD 13986 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . 13989 B Michael Glos CDU/CSU 13991 C Paul K. Friedhoff F.D.P 13994 C Rudolf Dreßler SPD 13996 D Michael Glos CDU/CSU 13997 D Dr. Helmut Kohl CDU/CSU 13998 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 13999 D Anke Fuchs SPD 14003 A Petra Bläss PDS 14005 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (ArbeitsförderungsReformgesetz) (Drucksachen 13/5676, 13/5730, 13/6845, 13/6846) 14007 A Heinz Schemken CDU/CSU 14007 B Adolf Ostertag SPD 14008 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14010 D Dr. Gisela Babel F.D.P 14012 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 14013 A Ulrike Mascher SPD 14014 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 14014 B Namentliche Abstimmung 14015 A Ergebnis 14015 B Nächste Sitzung 14017 C Berichtigungen 14017 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14018* A Anlage 2 Neuabdruck der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank und weiterer Abgeordneter zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) . . 14018* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach SPD 14020*A Manfred Grund CDU/CSU 14022* B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 14023* B Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 14024* B 155. Sitzung Bonn, Freitag, den 31. Januar 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen 154. Sitzung, Seite 13864 D: In der 14. Zeile von unten sind die Worte „Diese ermöglicht eine Prognose" durch die Worte „Diese erfordert eine Prognose" zu ersetzen. Auf Seite 13865 D sind die letzten vier Absätze durch folgende Fassung zu ersetzen: Die Prognosen im Verkehrsbereich sind in der Praxis oft weit übertroffen worden. Die SNCF- Stammstrecke Paris-Lyon hatte 6 Millionen Passagiere. Im ersten Jahr der Inbetriebnahme des TGV 1982 waren es schon 8 Millionen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) Heute sind es bereits 23 Millionen. Eurotunnel, erstes Betriebsjahr, 1995: 8 Millionen Passagiere. Im letzten Jahr waren es 13 Millionen. Der Flughafen München-Riem hatte 6 Millionen Passagiere. Der neue Flughafen hat für das Jahr 2000 eine Prognose von 12 Millionen. Auf Seite 13866 A ist im siebten Absatz in der dritten Zeile das Wort „Laatzen" durch das Wort „Lathen" zu ersetzen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 31. 1. 97 * Antretter, Robert Behrendt, Wolfgang Brähmig, Klaus SPD 31. 1. 97 * Bühler (Bruchsal), Klaus Büttner (Schönebeck), Hartmut SPD 31. 1. 97 * Buntenbach, Annelie CDU/CSU 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Fischer (Unna), Leni Gansel, Norbert CDU/CSU 31. 1. 97 * Gysi, Andrea Hartenbach, Allred Dr. Hartenstein, Liesel Horn, Erwin SPD 31. 1. 97 Hornung, Siegfried Dr. Jacob, Willibald Dr. Klaußner, Bernd Kolbow, Walter PDS 31. 1. 97 Lange, Brigitte Leidinger, Robert Lenzer, Christian Marten, Günter Metzger, Oswald SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * PDS 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 ** SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * CDU/CSU 31. 1. 97 * BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Probst, Albert Purps, Rudolf Reschke, Otto Reuter, Bernd CDU/CSU 31. 1. 97 * Dr. Rochlitz, Jürgen SPD 31. 1. 97 Saibold, Halo SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Scheer, Hermann Schild, Horst CDU/CSU 31. 1. 97 von Schmude, Michael Dr. Schnell, Emil Steindor, Marina SPD 31. 1. 97 * Sterzing, Christian SPD 31. 1. 97 CDU/CDU 31. 1. 97 * SPD 31. 1.97 BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 31. 1. 97 90/DIE GRÜNEN Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen SPD 31. 1. 97 Vosen, Josef F.D.P. 31. 1. 97 Wagner, Hans Georg Zierer, Benno SPD 31. 1. 97 SPD 31. 1. 97 CDU/CSU 31. 1. 97 * *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Auf Grund eines technischen Versehens bei der Wiedergabe der im Stenographischen Bericht über die 154. Sitzung, Seite 13941 (A), als Anlage 3 abgedruckten Erklärung erfolgt ein Neuabdruck in folgender Fassung: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Theodor Waigel, Michael Glos, Dr. Alfred Dregger, Renate Blank, Dr. Wolfgang Bötsch, Maria Eichhorn, Herbert Frankenhauer, Dr. Gerhard Friedrich, Michaela Geiger, Norbert Geis, Wolfgang Gröbl, Gerda Hasselfeldt, Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach), Ernst Hinsken, Josef Hollerith, Helmut Jawurek, Bartholomäus Kalb, Peter Keller, Hartmut Koschyk, Rudolf Kraus, Eduard Lintner, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Hans Michelbach, Dr. Gerd Müller, Elmar Müller (Kirchberg), Eduard Oswald, Dr. Bernd Protzner, Hans Raidel, Dr. Peter Ramsauer, Otto Regenspurger, Dr. Klaus Rose, Dr. Christian Ruck, Gerhard Scheu, Christian Schmidt (Fürth), Horst Seehofer, Marion Seib, Carl-Dieter Spranger, Max Straubinger, Matthäus Strebl, Dr. Jürgen Warnke, Dagmar Wöhrl, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Heinz Schemken, Georg Janovsky, Bärbel Sothmann, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Erich G. Fritz, Roland Richter, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Heinz-Georg Seiffert, Sigrun Löwisch, Friedrich Merz, Dietmar Schlee, zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" (Zusatztagesordnungspunkt 1) Zu der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom 21. Januar 1997 stellen wir fest: Erstens. Gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn sind unser zentrales Anliegen. In den vergangenen sieben Jahren ist die deutsch-tschechische Verständigung entscheidend vorangekommen und vollzieht sich auf allen Ebenen. In vielfachen menschlichen Begegnungen sind gerade von den Sudetendeutschen Brücken in die Zukunft gebaut worden. Wir erwarten, daß die Sudetendeutschen und ihre offiziellen Vertreter jetzt auch von seiten des tschechischen Staates und seiner Regierung in den Versöhnungsprozeß und den Dialog miteinbezogen werden. Die DeutschTschechische Erklärung bedeutet weder Schlußstrich noch Abschluß im deutsch-tschechischen Verhältnis. Sie ist eine politische Absichtserklärung der Regierungen, die die Gültigkeit von Verträgen und individuellen Rechtsansprüchen nicht berührt und zu den offenen Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses keine abschließende Regelung enthält. Zweitens. Die Darstellung der historischen Abläufe in der Erklärung ist nicht vollständig. Die Geschichte hat nicht erst 1938 begonnen. In der Erklärung wird die Vertreibung klar beim Namen genannt. Im deutschen Text wird das Wort „Vertreibung" benutzt. In der tschechischen Version hat man zu einem ungebräuchlicheren Begriff Zuflucht genommen, der übersetzt allerdings auch „Vertreibung" bedeutet. Drittens. Das Recht auf die Heimat ist durch die Erklärung nicht verwirklicht. Wir anerkennen allerdings, daß durch die Erklärung und den dazugehörigen Briefwechsel Wege zu einem Daueraufenthaltsrecht in der Tschechischen Republik eröffnet werden, wodurch auch Eigentumserwerb möglich wird. Wir erwarten, daß in der weiteren Ausgestaltung der deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem im Vorfeld der Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU weitere konkrete Möglichkeiten zur Verwirklichung des Heimatrechts folgen. Viertens. Die Erklärung kann in die Zukunft weisen, wenn sie im Sinne der Versöhnung, der Gerechtigkeit und der historischen Wahrheit ausgelegt wird. Die Erklärung spricht klar aus, daß durch die Vertreibung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. Vertreibung läßt sich durch nichts rechtfertigen. Die Vertreibung der Sudetendeutschen war völkerrechtswidriges Unrecht. Die Erklärung bezeichnet auch die Folgen der Vertreibung, Enteignung und Ausbürgerung, als Quelle von Leid und Unrecht unschuldiger Menschen. Wir begrüßen dies als Distanzierung von den sogenannten Beneš-Dekreten. Erstmals bedauert die tschechische Seite explizit den kollektiven Charakter der Schuldzuweisung an die Sudetendeutschen. Mit Genugtuung sehen wir, daß sich die Tschechische Republik vom sogenannten Amnestiegesetz von 1946 distanziert und dessen rechtsstaatswidrigen Kern bloßlegt, der im Klima des Hasses und der Revanche der Nachkriegszeit wurzelt. Die Erklärung bedeutet keine Billigung der nach dem Krieg erlassenen tschechoslowakischen Gesetze, die sich auf die Vertreibung der Sudetendeutschen beziehen, oder die Anerkennung der auf deren Grundlage ergangenen Rechtsprechung. Fünftens. Wir begrüßen die Schaffung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, aus dem Projekte gemeinsamen Interesses finanziert werden sollen, insbesondere die Jugendbegegnung und ein deutsch-tschechisches Gesprächsforum. Der Ausgestaltung dieser Zukunftsprojekte kommt für das deutsch-tschechische Verhältnis entscheidende Bedeutung zu. Die Sudetendeutschen müssen darin einen nach Geschichte und Tradition angemessenen Platz finden. Die Mittel des Zukunftsfonds müssen auch den Anliegen der Sudetendeutschen zugute kommen. Aus den Mitteln des Zukunftsfonds sollten auch Projekte finanziert werden, die Sudetendeutschen zugute kommen, die von der Vertreibung besonders schwer und nachhaltig betroffen wurden. Wir begrüßen die im Verlauf der Verhandlungen erreichten substantiellen Verbesserungen der Erklärung und werden den weiteren Prozeß der Versöhnung konstruktiv begleiten. Wir werden auch weiterhin mit ganzer Kraft für die berechtigten Anliegen unserer sudetendeutschen Landsleute eintreten. Die Annäherung der Tschechischen Republik an EU und NATO muß genutzt werden, Lösungen für noch offene Fragen zu finden. Angesichts der vielfältigen individuellen Verständigungsarbeit der Betroffenen hoffen wir, daß rund 50 Jahre nach der Vertreibung und rund acht Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft die Zeit dafür reif ist, für die noch offenen Fragen im deutsch-tschechischen Verhältnis schrittweise für alle Seiten befriedigende Lösungen zu erreichen. Das aber wird nur gelingen, wenn Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit der Maßstab sind. In der Absicht zu einer gemeinsamen Zukunft in Europa beizutragen, stimmen wir der DeutschTschechischen Erklärung trotz ihrer Schwächen zu. Dr. Theodor Waigel Michael Glos Dr. Alfred Dregger Dr. Wolfgang Bötsch Maria Eichhorn Herbert Frankenhauer Dr. Gerhard Friedrich Michaela Geiger Norbert Geis Wolfgang Gröbl Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Ernst Hinsken Helmut Jawurek Bartholomäus Kalb Peter Keller Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Eduard Lintner Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Hans Michelbach Elmar Müller (Kirchberg) Eduard Oswald Dr. Bernd Protzner Hans Raidel Otto Regenspurger Dr. Klaus Rose Dr. Christian Ruck Gerhard Scheu Christian Schmidt (Fürth) Horst Seehofer Marion Seib Carl-Dieter Spranger Max Straubinger Matthäus Strebl Dr. Jürgen Warnke Dagmar Wöhrl Alois Graf von Waldburg-Zeil Heinz Schemken Bärbel Sothmann Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Erich G. Fritz Roland Richter Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Heinz-Georg Seiffert Sigrun Löwisch Friedrich Merz Dietmar Schlee Der Interpretation und Bewertung der DeutschTschechischen Erklärung schließen wir uns an und unterstützen die darin ausgedrückten Erwartungen an die künftigen deutsch-tschechischen Beziehungen. In Abwägung des Leides und Unrechts, das durch Vertreibung den Sudetendeutschen geschehen ist, können wir wegen der Schwächen der DeutschTschechischen Erklärung nicht zustimmen. Renate Blank Josef Hollerith Dr. Gerd Müller Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Georg Janovsky Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) Renate Rennebach (SPD): Wer die bisherige Debatte heute morgen zum Thema Arbeitsmarktpolitik verfolgt hat und ebenso die Äußerungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, der weiß eines ganz gewiß: Das einzige Ziel, das hier verfolgt wird, ist: Die desolate Arbeitsmarktsituation soll gesundgebetet werden. Dabei setzen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, schamlos darauf, daß sich die Gesellschaft an die anhaltende Massenarbeitslosigkeit gewöhnt hat. Dies ist zynisch, dies ist Ignoranz gegenüber den Betroffenen, und dies - das prophezeie ich Ihnen - wird diesmal nicht aufgehen. Meine Damen und Herren, das von der Regierung vorgelegte AFRG will genau das Gegenteil von dem, was in einer solchen Situation notwendig wäre: Statt einer Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll das schon als unzulänglich geltende Vorhandene nun auch noch zusammengestrichen werden. Und wie das für diese Regierung typisch ist, werden Expertenmeinungen nicht zur Kenntnis genommen und mit miesen Verfahrenstricks auf Teufel komm raus die unsinnigsten Sachen durchgepaukt. Vor knapp zwei Wochen ist in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum AFRG klipp und klar deutlich geworden, daß dieses Gesetzesvorhaben die ohnehin schon katastrophale Arbeitsmarktsituation noch weiter verschlechtern wird. Dies ist der Bundesregierung jedoch gleichgültig, da das AFRG im wesentlichen zu Kosteneinsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit beitragen soll. Die betroffenen Menschen spielen dabei keine Rolle. Auch der Bundesrat hat der Bundesregierung ebenso klar gesagt, daß mit dem AFRG ein falscher Weg noch weiter fortgesetzt wird. Der Bundesrat hat seine Entscheidung aus sachlichen Gründen getroffen und gut begründet. Ich möchte hier nur einige Punkte herausgreifen, die darstellen, daß das AFRG zum einen zum Teil gegen geltendes Recht verstößt und zum anderen die Arbeitslosigkeit nicht um ein Stück weit verringert, sondern enorm vergrößert. Nach bisherigem Recht gelten untertariflich bezahlte Tätigkeiten als Bruch unseres vorhandenen Rechts, zu dem auch das Tarifrecht gehört. Nunmehr sollen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit bis zu 18 % unter dem geltenden Tariflohn entlohnt werden. Demnach werden nach dem AFRG zukünftig Lohnkostenzuschüsse auch bei untertariflicher Entlohnung gewährt. Diese Vorgaben des Gesetzgebers bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind eine Aufforderung zum Umgehen von Tarifverträgen und somit ein Eingriff in die Tarifautonomie. Einen besonders radikalen Einschnitt stellt auch die Verschlechterung der Zumutbarkeitsregelung dar, wonach die Zumutbarkeit von Beschäftigungen nur noch an der Höhe des zu erzielenden Einkommens festgemacht wird. Damit wird aber der bisherige Berufs- und Qualifikationsschutz vollends aufgegeben. Die Folge ist: Die Höherqualifizierten drängen in Arbeitsplätze mit niedrigen Qualifikationsanforderungen, und von dort werden die Menschen in die Dauerarbeitslosigkeit abgeschoben - ein Verschiebebahnhof zu Lasten der Schwachen in unserem Land. Die drastischen Änderungen des AFRG treffen zudem wieder einmal die Frauen besonders hart. So werden künftig die Zeiten des Bezuges von Mutterschafts- oder Erziehungsgeld nicht mehr als versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten angerechnet. Sie begründen somit keinen Folgeanspruch auf Arbeitslosengeld mehr. Auch die Erhöhung der zumutbaren Pendelzeit bei Halbtagsstellen auf 2,5 Stunden täglich trifft Frauen besonders hart, und dies, wo unsere Regierung besonders die Frauen und Familien unterstützen will. Ich weise hier auch auf das entsprechende Bundesverfassungsgerichtsurteil zum § 218 hin. Die Unglaubwürdigkeit der Regierung ergibt sich auch insoweit von allein. Der Entwurf des AFRG bietet auch einige positive Ansätze, die schon seit geraumer Zeit von der SPD gefordert werden. So sind die direkten Lohnkostenzuschüsse nunmehr in gewerblichen Betrieben und für Existenzgründer vorgesehen. Allerdings gilt diese Fördermöglichkeit nur für die neuen Bundesländer und schafft somit unsinnige Mauern in der Förderpolitik. Im Gesamtpaket betrachtet, stellt das geplante AFRG einen weiteren Schritt zum beschleunigten Sozialabbau dar, da es mit keiner der geplanten Änderungen die Arbeit fördert, sondern nur die Arbeitslosigkeit. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1995 einen Gesetzentwurf für ein ASFG eingebracht, der im Grundsatz nach wie vor aktuell ist, aber mit dem AFRG schon vom Ansatz her nicht vereinbar ist. Uns geht es in erster Linie darum, den Vorrang der aktiven Arbeitsmarktpolitik rechtsverbindlich zu verankern. Die Lehre, die jedoch die Bundesregierung daraus zieht, ist nicht etwa, daß man vielleicht die zahlreichen Alternativvorschläge der Opposition berücksichtigt. Nein, die Bundesregierung verfällt wieder in verfahrenstaktische Spielchen und nimmt die zustimmungspflichtigen Teile aus dem Gesetzentwurf heraus, ohne daß sich in der Substanz der alte Entwurf maßgeblich geändert hätte. Meine Damen und Herren, das AFRG ist trotz der in Hülle und Fülle nachgeschobenen Änderungsanträge der Regierungskoalition ein Rückschrittsgesetz. Als solches Rückschrittsgesetz bekämpft das AFRG natürlich nicht die Ursachen für die desolate Lage des Landes, also die Arbeitslosigkeit, sondern wieder einmal die arbeitslosen Menschen. Das AFRG fördert nicht die Arbeit, da das Vollbeschäftigungsziel schon seit geraumer Zeit von der Bundesregierung aufgegeben wurde. Vielmehr bietet es die Grundlage, die Arbeitslosigkeit und die Armut hierzulande zu vergrößern. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wurden die zentralen Kritikpunkte des AFRG erneut von Experten und Verbänden bestätigt. Zum einen sollen durch das sogenannte Reformgesetz aktive Maßnahmen der Arbeitsförderung fast gänzlich gekappt werden. Zum anderen sollen die Rechtsansprüche auf Leistungen und Maßnahmen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Damit werden durch das „neue" AFRG zusätzlich 300 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit oder auch Hoffnungslosigkeit getrieben. Meine Damen und Herren, betrachtet man nun noch die finanziellen Auswirkungen des sogenannten Reformgesetzes auf die Länder und Kommunen, ist festzustellen, daß wieder einmal diese die Hauptlast zu tragen haben. Bereits heute sind 800 000 Bezieher von Arbeitslosenunterstützung sozialhilfebedürftig. Dabei werden die vorgesehenen Maßnahmen des AFRG diese Zahl noch wesentlich erhöhen. In diesem Zusammenhang möchte ich lediglich auf die Nichtverlängerung der ABM-Sonderkonditionen für Ostdeutschland in Höhe von 450 Millionen DM hinweisen. Die Folgekosten der Kommunen und Länder gerade in Ostdeutschland sind für diese untragbar. So werden die Kosten der Arbeitslosigkeit durch das AFRG vom Bund auf die Länder und Kommunen abgewälzt, die sowieso schon bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt werden. Der geplante Gesetzentwurf der Bundesregierung wird besonders drastische Einschnitte in den neuen Bundesländern bringen. Im Osten Deutschlands sind alleine bei Arbeitsförderungsmaßnahmen und Fortbildung und Umschulung große Einsparungen vorgesehen. Diese sollen allein 1997 1,7 Milliarden DM betragen und sich jedes Jahr erheblich erhöhen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in den neuen Bundesländern noch nicht von einer sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung gesprochen werden kann. Gerade aus diesem Grund sind nach wie vor hohe arbeitsmarktpolitische Transferleistungen erforderlich. Betrachtet man, daß in den neuen Bundesländern auf 100 Arbeitslose 43 Personen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in den alten Bundesländern gerade einmal 13 Personen kommen, läßt es sich unschwer erkennen, wie dringend notwendig eine besondere Unterstützung der neuen Bundesländer ist. Und wie wichtig es wäre, in der gesamten Republik eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu haben. In manchen Regionen sind die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit für eine Beschäftigung. Dabei ist es auch unerheblich, daß in Ostdeutschland in den Gebieten mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote anstatt wie bisher 100 % nunmehr 30 % der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weiterhin unterstützt werden sollen. Dies ist lediglich der sogenannte Tropfen auf den heißen Stein. An dem Leitsatz der Bundesregierung ändert dies hingegen gar nichts; der lautet: Das AFRG fördert nicht die Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit und Armut der Menschen. Aber durch all diese Fakten läßt sich die Bundesregierung keineswegs beirren. Sie baut weiterhin mit dem sogenannten Reformgesetz und mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich die sozialen Sicherungssysteme ab und soziale Gegensätze auf. Ihre Politik dient vorrangig der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Nach meiner Auffassung ist jedoch die Förderung von Beschäftigung und Qualifizierung von Arbeitslosen allemal arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch besser, als Arbeitslose zu alimentieren. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen an einigen Punkten zeigen, was es beispielsweise für das Land Berlin bedeuten würde, wenn dieses Gesetz in Kraft treten sollte. Die nur annähernde Angleichung der Fördermaßnahmen des Ostniveaus nach unten auf das Westniveau bedeutet allein für das Land Berlin eine Reduzierung des Fördervolumens der Bundesanstalt für Arbeit um zirka 600 Millionen DM pro Jahr. Zusätzlich würde ein Auslaufen der ABM-Sonderkonditionen zum Jahresende 1997 den Berliner Haushalt auf der Basis der bislang realisierten Förderzahlen um 160 Millionen pro Jahr stärker belasten. Durch diese Entwicklung der Berliner Arbeitsmarktpolitik ist der soziale Friede in der Region immer mehr bedroht. Von 1990 bis 1995 haben sich die Ausgaben für die Berliner Arbeitsmarktpolitik verfünffacht. So konnten 1995 noch 101 000 Menschen gefördert werden, hingegen wurden 1996 auf Grund der notwendigen Einsparungen im Landeshaushalt nur noch 93 000 Förderungen von Arbeitslosen registriert. Konkret werden von 6 700 Projekten in Berlin 2 900 mit Arbeitsmarktmitteln unterstützt. Dies zeigt, wie die Arbeitsmarktpolitik einen grundlegend wichtigen Beitrag für die soziale Infrastruktur Berlins leistet. Dies spiegelt sich auch deutlich in den Arbeitsmarktzahlen für Berlin wider. Im vergangenen Monat betrug die Arbeitslosenquote für Gesamtberlin 15,7 %. Dabei waren es im Westteil 16,4 % und im Ostteil 14,4 %. Diese Zahlen sind der eindeutige Beweis einerseits für die Wirksamkeit von aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie sie das alte AFG-Ost durchaus aufweist. Andererseits zeigen sie aber auch die schwache Position des alten AFG West, das wenig Spielraum läßt für kreative Arbeitsmarktpolitik. Dies soll nun gänzlich zerstört werden durch ein sogenanntes Reformgesetz. Wie nötig wäre hier ein Reinpowern statt koalitionstechnische Sparerei. An diesem Beispiel wird weiterhin auch deutlich, daß die Arbeitslosigkeit nicht nur eine individuelle Belastung darstellt, sondern zugleich auch eine gewollte Abwälzung der finanziellen Lasten von Bund auf die Länder, die gerade Berlin besonders trifft. So ist unsere Hauptstadt Berlin zum einen die größte Baustelle Europas und hat trotzdem die höchste Arbeitslosenquote beim Bau. Das ist pervers, meine Damen und Herren. Und dennoch wurde in dem neuen Gesetzesvorschlag die alte Regelung zum Schlechtwettergeld seitens der Bundesregierung nicht wieder auf genommen. Zwar wollte die Bundesregierung mit der Abschaffung des Schlechtwettergeldes zwischen 700 und 900 Millionen DM einsparen. Tatsächlich war die Abschaffung des Schlechtwettergeldes ein großer Flop. Denn selbst der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bestätigte, daß die finanziellen Auswirkungen der Winterarbeitslosigkeit im Baubereich seit der Einführung des Überbrückungsgeldes spürbar höher sind, als beim bewährten Schlechtwettergeld. Selbst Herr Eppelmann, der Arbeiterführer der CDU, forderte bereits einen Tag nach Abschaffung des Schlechtwettergeldes die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Am Donnerstag mit seiner Hilfe abgeschafft, am Freitag die Wiedereinführung gefordert! Und er wußte genau, warum! Und wo ist seine Forderung heute? Kolleginnen und Kollegen, wenn man im zusammenfassenden Vergleich betrachtet, was die SPD mit ihrem ASFG und nun die Regierung mit dem AFRG vorgelegt haben, wird klar: Der SPD geht es darum, mit wirksamen Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik die Massenarbeitslosigkeit zu senken oder zumindest angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik dieser Regierung einen noch weiteren Anstieg zu verhindern. Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, geht es dagegen nur darum, die von Ihnen durch Ihre falsche Politik aufgerissenen Haushaltslöcher zu stopfen, sei es bei der Bundesanstalt für Arbeit oder im Bundeshaushalt durch sinnloses Streichen und durch Lastenverschiebung auf die Länder und Kommunen. Und dabei interessierte es Sie auch nicht, daß Ihre Rechnung „Stärkung der Wirtschaft gleich Senkung der Arbeitslosigkeit" nicht aufgeht - was wir Ihnen übrigens schon immer gesagt haben. Sie setzen bei der jahrelangen Massenarbeitslosigkeit schamlos auf einen Gewöhnungseffekt bei den Bürgerinnen und Bürgern. Aber dies wird nicht aufgehen. Ich hoffe sehr, Sie werden spätestens 1998 die Quittung für diese, Ihre Politik bekommen. Manfred Grund (CDU/CSU): Nachdem wir gehört haben, was mit einem wie auch immer veränderten Arbeitsförderungsgesetz geleistet werden müßte, ist es notwendig, auf die Möglichkeiten und auf die Grenzen von Arbeitsmarktpolitik zu verweisen: Arbeitsmarktpolitik hat gerade in den neuen Bundesländern eine unverzichtbare Aufgabe im Transformationsprozeß. Aktive Arbeitsmarktpolitik kann und muß den Arbeitsmarkt entlasten und muß Arbeitslosen einen Neubeginn ermöglichen. Aber: Auf sich alleine gestellt ist Arbeitsmarktpolitik angesichts des millionenfachen Wegbruchs von Arbeitsplätzen nach der Wende, angesichts der Dimensionen des wirtschaftlichen Umbruchs nicht in der Lage, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitsmarktpolitik wirkt mit am Strukturwandel und hat sich selbst diesem Wandel zu stellen. Arbeitsmarktpolitik kann am Entstehen dauerhafter Arbeitsverhältnisse mitwirken, sie kann aber regionale Strukturpolitik nicht ersetzen. So hat die Arbeitsförderung, die wir heute beraten, mehrere Funktionen: Gegenwartsbezogen geht es um den Entlastungseffekt zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, zukunftsbezogen geht es um die „Brückenfunktion" mit dem Ziel, die volkswirtschaftlichen Angebotsbedingungen zu verbessern und neue Beschäftigungsfelder aufzubauen. In den neuen Bundesländern ist die Situation am Arbeitsmarkt dramatisch; die Quote aus offener und verdeckter Arbeitslosigkeit liegt über 25 Prozent. Mit dem bisher geltenden Arbeitsförderungsgesetz wurde seit 1990 der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern entlastet und gleichzeitig der Strukturwandel befördert und begleitet. Dazu bedurfte es schon bisher besonderer Instrumentarien, und notwendigerweise brauchte man viel Geld. Mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz bleiben all die wichtigen Instrumentarien wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse, Einstellungszuschüsse erhalten und werden weiterentwickelt. Über die notwendige Finanzausstattung, um diese Instrumentarien auch einsetzen zu können, werden wir uns bei der Aufstellung jedes neuen Bundeshaushaltes zu befassen haben. Dies wird in der Sache liegend manchmal strittig ausgehen. Denn bei allen notwendigen Sparzwängen: Weniger Bundeszuschuß darf nicht zu größerer Arbeitslosigkeit führen. Also gilt es, die Instrumentarien intelligent weiterzuentwickeln. Intelligentes Sparen ist notwendig und möglich! Dazu folgendes Beispiel aus dem heute zu beschließenden Arbeitsförderungs-Reformgesetz: Wer die bisherigen Instrumentarien aktiver Arbeitsmarktpolitik auf ihre Effizienz hinterfragt, stellt schnell fest, daß der Anteil der nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeitslos Verbliebenen zunimmt. Dies ist begründet im Fehlen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, aber auch gerade in der unzureichenden Verzahnung von zweitem und erstem Arbeitsmarkt. Denn wer in einer kommunalen ABM beschäftigt ist, hat keinen Zugang zu einem Unternehmen. I Dies wollen wir mit dem AFRG ändern Wirtschaftsun- ternehmen des gewerblichen Bereiches erhalten einen neuartigen Lohnkostenzuschuß: für jede zusätzliche Personaleinstellung einen Zuschuß in Höhe von 1 923,- DM je Monat - und das für ein Jahr. Also: Ein Handwerker mit acht Beschäftigten kann bei einer auf ein Jahr befristeten Einstellung von zwei Arbeitslosen 1 923,- DM je Arbeitslosen pro Monat erhalten. Und das für ein Jahr ohne anschließende Beschwernisse oder Auflagen. Allerdings werden wir einen Drehtüreffekt verhindern. Mit dem produktiven Lohnkostenzuschuß betreten wir in der Arbeitsmarktpolitik der neuen Bundesländer wirkliches Neuland. Klarer als bisher wird Arbeit gefördert statt Arbeitslosigkeit finanziert. Es ist allerdings eine Lohnsubventionierung, die immer problematisch, aber angesichts der Entwicklung am Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern dennoch gerechtfertigt ist. Der Lohnkostenzuschuß erfolgt in Höhe des pauschalierten Arbeitslosengeldes und ist im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zu den Ansätzen für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unbegrenzt deckungsfähig. Ohne zusätzliches Geld zu benötigen wird mit diesem Instrumentarium die Zahl der Arbeitslosen verringert und eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt gebildet. Denn der hiermit geförderte Arbeitslose hat erstmals die Möglichkeit, einen Fuß in die Tür eines Unternehmens zu stellen, mit hoffentlich guten Übernahmechancen. Dieser produktive Lohnkostenzuschuß wird von Arbeitsämtern, Arbeitgebern, Arbeitslosen und Gewerkschaftern begrüßt. Besonders zu begrüßen ist die Verbesserung bei der Zuschußobergrenze bei ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen. Hier wird für die nächsten Jahre eine 100-Prozent-Förderung möglich bleiben. Das entlastet die freien Träger der Sozialarbeit und die ABS-Gesellschaften. Nur bis zur Opposition hat es sich nicht herumgesprochen, daß mit den hergebrachten Instrumentarien kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Das Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist eine neue Chance für die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern, die wir dringend benötigen. Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Heute erleben wir wieder einmal, wie ernst es die SPD mit ihrem Bekenntnis nimmt, die Arbeitslosenquote drücken zu wollen. Einerseits beklagt sie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, andererseits widersetzt sie sich hartnäckig sämtlichen dringend notwendigen Reformvorhaben. Und letztlich scheut sie sich nicht, dieses Haus für endlose Debatten zu mißbrauchen, Debatten, die allein dazu dienen sollen, die Bevölkerung zu verunsichern. Ich sage Ihnen, wie die Bevölkerung denkt: Es ist genug geredet und höchste Zeit, daß wir das anpacken, was uns allen unter den Nägeln brennt, nämlich die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Es wird aber kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie laufend Reformmaßnahmen torpedieren. Es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn Sie allein zur eigenen Profilierung die Bevölkerung gegen die Regierungskoalition aufhetzen. Und es wird kein Arbeitsplatz geschaffen, wenn wir uns hier immer wieder zum gleichen Thema die Köpfe einschlagen und das Problem der Arbeitslosigkeit auf der Strecke bleibt. Sie scheuen sich auch nicht, bis an die Grenze des Zumutbaren zu gehen: Sie haben allein aus formalen Gründen auf einer zweiten Anhörung bestanden, obwohl Sie wußten, daß alle Argumente bereits in der ersten Anhörung ausgetauscht waren; Sie wollten nur eine Schau inszenieren - eine eklatante Mißachtung des Parlaments. Inhaltlich haben Sie nicht viel zu bieten: Teure Beschäftigungsprogramme könnten allenfalls ein Strohfeuer entfachen; am Ende würden Finanzlöcher übrigbleiben. Meine Damen und Herren von der SPD, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, wir haben ein neues Arbeitsförderungsrecht auf den Weg gebracht, das neue Beschäftigungsimpulse bringen wird. Durch Ihre Ablehnung im Bundesrat haben Sie sich gegen das heute zur Abstimmung stehende Bündel von neuen Instrumenten ausgesprochen: gegen Hilfen bei Existenzgründungen durch Arbeitslose, gegen Eingliederungsverträge für Langzeitarbeitslose, gegen frühzeitigere Beratungs- und Vermittlungsbemühungen und gegen die besondere Förderung von Ungelernten durch Weiterbildungsmaßnahmen, um nur einige neue Maßnahmen herauszugreifen. Ein besonderes Anliegen war mir die Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit. Diese wäre jedoch ohne die Zustimmung im Bundesrat nicht möglich gewesen. Sie hätte das Gesetz zustimmungsbedürftig gemacht und mußte deshalb herausgenommen werden. Sie und Ihre Freunde im Bundesrat, meine Damen und Herren von der SPD, haben damit verhindert, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit auf ein arbeitsfähiges Gremium zurückgeführt wird. Sie haben die Ausweitung der Verantwortungsbereiche bei den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter verhindert und damit die Stärkung der Tarifparteien in den Verwaltungsausschüssen nicht zugelassen - ein offenes Mißtrauensbekenntnis gegenüber den Gewerkschaften, die in den Verwaltungsausschüssen mehr Einfluß gehabt hätten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben Ihre Zustimmung verweigert, also blieb uns nichts anderes übrig, als ein zustimmungsfreies Gesetz weiter voranzubringen. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und ein zustimmungsfreies Gesetz auf den Weg gebracht, um die Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und die Hilfen für Arbeitslose schnellstmöglich zu verwirklichen. Wir haben die Fehler der SPD so gut wie möglich ausgebügelt. Wir können auch jetzt ein Gesetz vorlegen, das den Namen Reform verdient. Ich trete ein für eine Politik mit mehr Eigenverantwortung und weniger Staat. Deshalb stehe ich auch zu den verbesserten Zumutbarkeitsregelungen oder auch zu der sozial verträglich ausgestalteten Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld: Maßnahmen, die dazu beitragen, Beschäftigung zu sichern und Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn es uns Ernst ist mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, verrechnen sich, wenn Sie meinen, Sie könnten durch Ihre Blokkadepolitik die Koalition in den Sumpf ziehen. Der Bevölkerung wird immer deutlicher, daß Ihre Strategie in der Verzögerung, Verhinderung und Verunsicherung liegt. Verzögern, verhindern und verunsichern: das sind die Schlagworte, die die SPD-Politik kennzeichnen. Die SPD: eine Verzögerungs-, Verhinderungs- und Verunsicherungspartei. Es wird sich aber nicht lohnen, wenn Ihnen die bloße Hoffnung auf mehr Wählerstimmen mehr bedeutet als die ehrliche Absicht, den Arbeitsmarkt zu entlasten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich bis heute als ernstzunehmender Vertragspartner disqualifiziert. Sicherlich ist es sinnvoll, zunächst einen breiten Konsens in diesem Hause herzustellen. Wir haben das versucht. Wir werden jedoch nicht die erforderliche Konsequenz verantwortungsvoller Politik auf Kosten irgendeines Konsenses gefährden. Es geht nämlich nicht um die Abkehr vom Sozialstaat, wie von der SPD hartnäckig, aber haltlos behauptet wird. Es geht um die Rückkehr zu einer freiheitlichen Sozialpolitik mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung im Sinne der Politik von Ludwig Erhard. In dieser Zeit ist jeder Monat ohne Reformschritte ein verlorener Monat. Deshalb gilt es, heute mit einem neuen Arbeitsförderungsrecht eine Weiche für mehr Beschäftigung zu stellen. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ihren Antrag „Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten" - Drucksache 13/6737 - sowie ihren Entschließungsantrag „zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1997" - Drucksache 13/6313 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß - Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 95. Interparlamentarische Konferenz vom 15. bis 20. April 1996 in Istanbul - Drucksachen 13/4954, 13/5550 Nr. 1.3 - Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1995 (Subsidiaritätsbericht 1995) - Drucksachen 13/5180, 13/5550 Nr. 1.6 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 1.17 Finanzausschuß Drucksache 13/5555 Nr. 2.10 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.35 Drucksache 13/4678 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.34 Drucksache 13/6129 Nr. 1.19 Drucksache 13/6129 Nr. 1.20 Drucksache 13/6152 Nr. 1.4 Drucksache 13/6152 Nr. 2.2 Drucksache 13/6152 Nr. 2.5 Drucksache 13/6152 Nr. 2.9 Drucksache 13/6152 Nr. 2.11 Drucksache 13/6152 Nr. 2.13 Drucksache 13/6152 Nr. 2.14 Drucksache 13/6152 Nr. 2.15 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/4921 Nr. 2.11 Drucksache 13/6129 Nr. 1.31 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/6129 Nr. 1.10 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/4636 Nr. 2.5 Drucksache 13/5295 Nr. 3.1 Drucksache 13/6152 Nr. 1.7 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/5687 Nr. 2.2
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Scharping


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung heute morgen und die Reden der Vertreter der Koalition waren der Lage der Koalition, aber nicht der Lage in Deutschland angemessen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Koalition schwankt zwischen Beschönigung und Appell, zwischen „Weiter so!" und dem hilflosen Versuch, eine neue Perspektive zu entwickeln, zwischen dem angeblichen Willen nach Veränderung und der Mißachtung des Bedürfnisses nach Sicherheit und gegenüber der Opposition zwischen erklär-

    Rudolf Scharping
    tern Konflikt und Scheinangeboten für Kooperation. Mit schwankender Politik aber ist in Deutschland keine Zukunft mehr zu gewinnen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Bundeskanzler, Sie gestatten mir eine Bemerkung, weil ich immer dafür bin, im Deutschen Bundestag möglichst so zu reden wie draußen auch. Ihr Innenminister hat erklärt, der hessische Wahlkampf sei für Sie ein bundesweiter Test. Sie haben dort die Opposition beschimpft: Lügner, Hetzer, Demagogen und welche Worte da alle gefallen sein mögen.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist gar nicht wahr!)

    Ich will nur eines sagen: Die SPD draußen im Land zu beschimpfen und hier Kooperationsangebote zu machen - mit dieser Art von Arbeitsteilung werden Sie in uns keinen Partner finden.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun bin ich bei der Vorbereitung für diese Debatte für einen kurzen Moment etwas erschrocken. Denn in der „International Herald Tribune" von heute morgen stand zu lesen, der Bundeskanzler werde im Deutschen Bundestag eine kämpferische Rede halten und eine Breitseite auf die Opposition abfeuern.

    (Heiterkeit bei der SPD Zuruf von der SPD: Tot sind wir!)

    Seien Sie doch bitte so nett und sagen Sie Ihren Beratern und denen, die solche Sprüche in die Welt setzen, daß man die Erwartungshorizonte den Realitäten anpassen sollte. Die Erwartung in bezug auf Ihre politische Kraft ist gering geworden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Als wir die Vorlage eines Berichts zur Lage der Nation beantragten - insofern kann ich nicht kritisieren, daß Sie heute eine Regierungserklärung abgegeben haben -,

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das meine ich aber auch! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre ja noch schöner!)

    da hatten wir die letzte kleine Hoffnung, daß mit dieser Regierungserklärung das erreicht wird, was die Aufgabe von Regierungserklärungen ist, nämlich Klarheit über die Politik zu schaffen. Was Sie heute morgen getan haben, ist, Klarheit über den inneren Zustand der Koalition zu schaffen. Das wußten wir aber schon.

    (Beifall bei der SPD)

    Klarheit über die Politik schaffen Sie aber so nicht. Mit diesem hilflosen Schwanken - ich wiederhole - zwischen Beschönigung und Appell, „Weiter so!" und dem Aufzeigen von Perspektiven, zwischen angeblichem Veränderungswillen und dem Bedürfnis nach Sicherheit lassen Sie am Ende die Menschen hilflos zurück. Das ist das Schlimmste, das in Deutschland geschehen kann, nämlich daß die Politik in einem Land mit so hoher, mit so massenhafter
    Arbeitslosigkeit, mit so großen Herausforderungen am Ende die Menschen hilflos zurückläßt.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wie in Mexiko!)

    Deswegen ist Ihre Regierungserklärung unter zwei Gesichtspunkten interessant, nämlich unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie nicht gesagt haben, und unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie fortsetzen wollen. Sie haben nichts zu dem Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit gesagt; Sie haben nicht gesagt - das haben Sie auf dem CDU-Parteitag noch gesagt -, wenn Sie wenigstens zwei Drittel dieses Ziels erreichen würden, sei das schon ein großer Fortschritt. Sollen wir daraus schlußfolgern, daß Sie das Ziel eines wesentlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit und der Verwirklichung von Vollbeschäftigung aufgegeben haben?

    (Beifall bei der SPD Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sie haben doch gar nicht zugehört! Sie haben gepennt!)

    Sie haben eine Bemerkung zu den Lohnnebenkosten gemacht, aber nichts zu den Konsequenzen gesagt, die Sie auf der Seite des Gesetzgebers zu ziehen haben. Sie haben an die Tarifpartner appelliert, aber ich frage Sie: Was wollen Sie als Bundesregierung tun, damit das unsägliche Verfahren beendet wird, immer wieder neu die Arbeitnehmer und die Arbeitsplätze zu belasten, anstatt für einen fairen Lastenausgleich in Deutschland zu sorgen?

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Was ist das für eine Politik, bei der erst beim gesamten unteren Drittel der Bevölkerung abkassiert wird und dann gesagt wird, daß man jetzt bei den Nachtarbeitszuschlägen, möglicherweise auch bei der Mehrwertsteuer zulange? Auch dazu haben Sie nichts gesagt.
    Was ist denn das für eine Regierungserklärung, in der nicht eine einzige klarstellende Bemerkung kommt, nachdem wochenlang in der deutschen Öffentlichkeit über die Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird? Es wäre klarzustellen gewesen: Ist das nun ein Punkt? Ist das keiner? Was haben die Verbraucher zu erwarten? Was hat die Wirtschaft zu erwarten? Was haben das Handwerk und der Mittelstand zu erwarten?
    Ihre Politik des Zögerns, des Schwankens, des Hinundherwackelns fördert den Attentismus, sie bringt die Leute in die Unsicherheit und entwickelt keine Perspektive für Deutschland, die wir angesichts der großen Herausforderungen dringend brauchen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Sie haben nichts zu den unsinnigen Vorhaben gesagt, den flexiblen, intelligenten Einsatz von menschlicher Arbeit zu besteuern. Nachts, sonn- und feiertags arbeitet doch niemand aus Jux, sondern die Menschen arbeiten dann, weil es die Technik, die Arbeitswelt und die Organisation der Arbeit erfordern.

    Rudolf Scharping
    Was ist das für ein Unsinn, die Besteuerung der privaten Vermögen abzuschaffen, damit Milliarden rauszuschmeißen und einen Teil davon zu Lasten der Arbeitnehmer und der Arbeitskraft wieder einzukassieren!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie haben nichts zur Besteuerung von Lebensversicherungen und deren Erträgen gesagt, obwohl das doch ein Eingriff in das Vertrauen und eine Zerstörung der Vertrauensgrundlage ist. Mag sein, daß es dafür ernste Gründe gibt oder Sie solche reklamieren wollen. Warum nennen Sie diese dann nicht? Warum verunsichern Sie die Menschen immer weiter? Warum ist es möglich, daß nach einer Regierungserklärung immer noch der Zweifel über die Zukunft der Rentenversicherung besteht?

    (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

    Meine Damen und Herren, der Generationenvertrag ist eine ganz unverzichtbare Säule des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Friedens. Wie Sie diesen Generationenvertrag ins Gerede und ins Mißtrauen gebracht haben, ist völlig unverantwortlich gegenüber der Zukunft unseres Landes.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Soll ich, Herr Bundeskanzler, eine Schlußfolgerung ziehen, bei der sich mir innerlich die Haare sträuben? Norbert Blüm ist heute in der „Süddeutschen Zeitung" mit dem Satz zu vernehmen, Kohl sichere ihm zwar stets seine Hilfe zu, „nur kann ich mich nicht darauf verlassen" .

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Hört! Hört!)

    Ist das der Grund, weshalb Sie im Text stehen, aber nicht gesagt haben, was Sie zu Norbert Blüm und der Rentenkommission usw. meinen? Rechtfertigt das offenkundig schwieriger gewordene Klima zwischen einigen Akteuren - mögen sie nun Kohl, Blüm, Waigel oder Schäuble heißen - am Ende, das deutsche Volk mit Millionen Rentnerinnen und Rentnern mit ein paar Floskeln abzuspeisen, anstatt Klarheit zu schaffen?

    (Beifall bei der SPD)

    Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich wußte ja schon, daß die Politik der Bundesregierung stark erklärungsbedürftig ist und es folglich viele Redner und Worte braucht, aber daß ich aus diesem Schwall der Worte und aus der Länge einer solchen Regierungserklärung allenfalls auf die Lustlosigkeit, die Hilflosigkeit, den Widerwillen, den man spüren kann, die Phantasielosigkeit, die sich in ihr ausdrückt, auf den Zustand der Politik schließen muß, hatte ich nicht erwartet.
    Ich hatte auch nicht erwartet, daß Sie fortsetzen würden, was Sie in den letzten Jahren getan haben. Sie, Herr Bundeskanzler, hatten wie kein anderer Regierungschef in Deutschland die Chance, Konsens zu bilden, Kooperation herbeizuführen und gemeinsame Verantwortung zu mobilisieren. Sie haben das 1990 im Überschwang der deutschen Einheit mit einer großzügigen Bewegung zum Schaden des Landes und seiner wirtschaftlichen und sozialen Grundbedingungen weggewischt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie hatten diese Chance im vergangenen Jahr, als die Gewerkschaften das Angebot zu einem Bündnis für Arbeit gemacht haben. Sie haben nicht gesagt, unter welchen Bedingungen das wieder aufleben könnte. Es gab ein hilfloses kleines Geplapper über einen zentralen Gegenstand. Es ist verantwortungslos, wenn ein Regierungschef den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern, die wir für die Zukunft des Landes brauchen, so ins Gesicht schlägt, wie Sie das nach den Landtagswahlen im Frühjahr des letzten Jahres getan haben.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Dann kommen Sie hierher, bieten uns Beschreibungen längs der Oberfläche und sagen uns, was die Probleme verursachen könnte: Die Frauen wollen arbeiten. Entschuldigung, wie soll denn anders der Anspruch auf Gleichberechtigung in einer Industrie- und Arbeitsgesellschaft eingelöst werden? Da können Sie doch nicht sagen, der Wunsch der Frauen sei schuld an der hohen Arbeitslosigkeit. Sorgen Sie dafür, daß deren Wunsch verwirklicht werden kann!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Dann erzählen Sie uns etwas von Überstunden. Wissen Sie, mich beschleicht der Verdacht: Bis die Realität bei Ihnen angekommen ist, ist es zu spät.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!)

    Sie haben uns hier in diesem Hohen Hause gesagt, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes bringe Arbeitsplätze und helfe der Bauwirtschaft. 2 Milliarden DM hat es gekostet, und 200 000 Menschen hat es arbeitslos gemacht. Niemandem hat es geholfen; der Bauwirtschaft hat es geschadet. Ihre Politik kündigt immer etwas an, und das Gegenteil tritt ein.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Sie haben gesagt, die Arbeitsvermittlung müsse privatisiert werden. Was ist denn bei der Privatisierung der Arbeitsvermittlung herausgekommen? Nichts, überhaupt nichts!
    Sie haben uns etwas über die Dienstmädchen erzählt. Was ist dabei herausgekommen? Ein paar hundert Beschäftigungsverhältnisse, nichts weiter!
    Sie haben etwas über die Lohnfortzahlung gesagt und gepriesen, welche Welle der Erneuerung durch Deutschland gehe. Herr Bundeskanzler, nichts an Erneuerung ist durch Deutschland gegangen. Vielmehr I haben Sie den sozialen Frieden und das Vertrauen

    Rudolf Scharping
    der Menschen, die wir brauchen, erneut tiefgreifend beschädigt.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    Jetzt entdecken Sie die 1,8 Milliarden Überstunden. Ja, guten Morgen!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Erinnern Sie sich noch, daß mit Ihrer Stimme, Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, in diesem Deutschen Bundestag ein Gesetzentwurf zur Begrenzung von Überstunden durch stärkere Mitbestimmung der Betriebsräte abgelehnt worden ist? Das war im Juni 1994. Erinnern Sie sich noch, daß in dieser Wahlperiode mit Ihrer Stimme eine ganze Reihe von Anträgen abgelehnt worden ist, endlich die Überstunden abzubauen?

    (Beifall bei der SPD)

    Erinnern Sie sich noch, daß die Mitglieder Ihrer Regierung hier von den Umverteilungspolitikern mit ihren alten Ideologien von der Verkürzung der Arbeitszeit und weiß der Teufel was geredet haben? Jetzt entdecken Sie auf einmal den Wert der Teilzeitarbeitsplätze, die von der SPD-Bundestagsfraktion schon mehrfach beantragt worden sind.
    Wissen Sie, ich bin immer sehr dafür, wenn man Fehler gemacht hat, sie auch einzugestehen. Sie würden Autorität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen, wenn Sie sagten: Meine Politik hat Deutschland in eine so ungewöhnlich schwierige Lage geführt, daß sie nicht fortgesetzt werden darf. Diese Kraft aber haben Sie nicht.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Scharping


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bin immer ganz erfreut darüber, daß Mitglieder der Koalition Zwischenfragen stellen wollen, nachdem alle ihre Redner vorher Zwischenfragen abgelehnt haben. Sie erwarten von uns eine Fairneß, die sie selber nicht bieten; das ist doch ganz eindeutig.

    (Lachen bei der CDU/CSU) Nun, bitte schön.