Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich möchte zunächst dem Kollegen Dr. Klaus Röhl, der heute seinen 60. Geburtstag feiert, die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Man könnte sich ja auch vorstellen, daß der 60. Geburtstag nicht hier verbracht wird.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze
— Drucksache 12/5774 —
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundespräsidenten
Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. KlausDieter Feige, Gerd Poppe, Dr. Wolfgang Ullmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Förderung der Selbstbeschränkung der Parteien durch eine transparente Neuregelung der staatlichen Parteienfinanzierung
— Drucksachen 12/4425, 12/5777, 12/6090 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Gerd Wartenberg
Dr. Burkhard Hirsch
Zum Gesetzentwurf liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl der vierte Anlauf des Gesetzgebers, die Parteienfinanzierung auf eine verfassungsfeste Basis zu stellen. Er wurde notwendig, weil das Gericht seine bisherige Rechtsprechung grundlegend verändert hatte.Ein erfahrener Richter hat einmal gesagt: Die Verfassung sei das, was das Verfassungsgericht daraus mache. Es ist in der Tat faszinierend zu sehen, daß das Gericht aus der Verfassung mehr herausholt, als die Verfassungseltern hineingelegt hatten.
Wir wurden mit schwierigen Abwägungsformeln des Gerichtes über die zulässigen Obergrenzen der Finanzierung, über die Berücksichtigung der Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung — was immer das Verwurzeln sein möge —, über die Höchstgrenzen steuerlich zu berücksichtigender Spenden und über angemessene Publizität und Rechnungslegungspflicht konfrontiert.
Ich habe die Verfassung hin- und hergeblättert. Die Ausgabe, die mir zur Verfügung steht, enthält davon jedenfalls kein Wort.
— Ja, er ist darin ein Meister. Er hat wahrscheinlich zuviel Faust gelesen, denn dort steht bei den Ratschlägen Mephistos an den reisenden Scholar — Ratschläge an den Juristen —:Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter. So ist das.
Alle diese hervorragenden Abwägungspflichten und Überlegungen müssen in die Form eines praktikablen Gesetzes gebracht werden, das nicht nur mit den Forderungen des Gerichtes übereinstimmt, sondern das sich vor allem in der Verfassungswirklichkeit bewähren muß.Manche Kompromisse waren schwierig. Ich möchte mich bei allen Beteiligten dafür bedanken, daß sie
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Dr. Burkhard Hirschzustande gekommen sind. Wir haben im Ausschuß zuletzt eigentlich nur noch über Restpunkte gestritten: ob die ersten 5 Millionen Stimmen statt mit 1 DM mit 1,30 DM bewertet werden können und ob der Steuersatz bei Spenden von Berufsverbänden 50 % oder 81,82 % betragen soll. Auch darüber steht in der Verfassung nichts geschrieben.Der Gesetzentwurf scheint insgesamt gelungen zu sein. Manches ist unbefriedigend; so die lückenlose Kontrolle bis hinunter zum letzten Ortsverband und der hohe bürokratische Aufwand, der mit diesem Gesetz verbunden sein wird.
Insgesamt wird es wohl so gehen. Wir haben angesichts der Rechtsprechung leider keine konkrete Alternative.In der Öffentlichkeit wird die Diskussion über die Parteienfinanzierung mit wenig Verständnis dafür geführt, daß unsere Demokratie ohne politische Parteien weder handlungs- noch funktionsfähig wäre.
Es ist nicht zu bestreiten, daß die härteste und engagierteste Kritik von denen kommt, die sich selbst aus der politischen Arena fernhalten.
Diese Kritiker übersehen, daß die Masse der Parteimitglieder ehrenamtlich arbeitet und ohne jedes eigene persönliche Interesse viel Zeit, Geld, Energie und Arbeit dafür aufwendet, daß unsere Demokratie lebensfähig bleibt. Sie wollen, daß die politischen Entscheidungen nicht nur vom Staat und der Verwaltung vorbereitet und vorbestimmt werden, sie wollen, daß der Wähler überhaupt in die Lage versetzt wird, am Wahltag zwischen personellen und sachlichen Alternativen zu wählen. An dieser Arbeit müßten sich im Grunde genommen nicht nur wenige Prozent, sondern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung beteiligen. Aber sie tut es nicht. Sie vertraut darauf, daß andere es für sie tun.Keine Partei kann heute ihre Aufgaben mit den Beiträgen erfüllen, die die politisch aktiven Bürger neben ihrer Arbeit zusätzlich aufbringen, um die notwendige Parteiorganisation, die Ausarbeitung und Formulierung politischer Alternativen, die zur demokratischen Willensbildung notwendigen Parteitage oder die Werbung mit zu finanzieren. Dabei soll der Anteil der staatlichen Finanzierung nicht einfach der Erfüllung von Geldgier dienen, sondern verhindern, daß die Parteien zu schnell von Spendern abhängig werden.Natürlich machen auch Parteien Fehler. Natürlich hätten wir von Anfang an über Notwendigkeit und Umfang staatlicher Mitfinanzierung offen sprechen müssen. Natürlich sind manche Formen der politischen Auseinandersetzung oder der Wahlwerbung töricht. Die Parteien folgen häufig ohne weitere Überlegungen den Gesetzen, die in unserer medienorientierten Wettbewerbsgesellschaft gelten.Die Kritiker sollten auch nicht vergessen, daß das Verhalten der Parteien eben auch das Verhalten der Bürger widerspiegelt. Viele sehen im Staat nur eine Dienstleistungseinrichtung, die gefälligst zu funktionieren hat, ohne daß man sich selbst engagieren muß; schließlich zahlen wir ja genug Steuern.
Wir hatten keine Möglichkeit, irgendwelche grundlegenden Alternativen zu entwickeln. Würden wir mit einem anderen System vor dem Verfassungsgericht scheitern, würde sich der öffentliche Eindruck verstärken, es sei erneut ein unziemlicher Versuch unternommen worden, sich zu bereichern.Wie hoch nun immer die finanziellen Leistungen ausfallen werden: Die Parteien werden beherzigen müssen, daß sie den Wettbewerb um die Zustimmung der Bürger nicht mit immer teureren Wahlkämpfen gewinnen werden. Unser politisches System wird nur bestehenbleiben, wenn die Parteien die Kraft zur Selbstbeschränkung finden und wenn sie mehr Mut haben, auch dem nicht organisierten Bürger mehr Einfluß auf politische Entscheidungen einzuräumen und ihm den Weg zur politischen Mitarbeit zu erleichtern.Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu und hoffen, daß er auch vom Gericht gnädig aufgenommen werden möge. Andernfalls sollte das Gericht beim nächsten Mal das Gesetz lieber gleich selber machen.
Als nächster spricht der Kollege Gerd Wartenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Parteienfinanzierung ist für uns alle nicht leicht neu zu gestalten gewesen. Einerseits — darauf hat der Kollege Hirsch schon hingewiesen — eine öffentliche Diskussion in einem Klima, das modisch Parteienverdrossenheit genannt wird, und andererseits die Eckwerte, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, dazu die unterschiedlichen Interessen und Strukturen der jeweiligen Parteien — das alles sind Probleme, die es zu bedenken gilt, wenn man das gesetzlich normieren und unter einen Hut bringen will.Gleichwohl muß man am Anfang sagen, daß die Parteienfinanzierung in ihrer Umstrittenheit und die Tatsache, daß diese Frage in den letzten Jahren immer umstrittener wurde, auch etwas mit den in früheren Jahren beschlossenen Gesetzen zu tun hat, die nach zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes nicht unserer Verfassungslage entsprachen.
— Gut, ich gestehe zu — ich glaube, das kann auch das Parlament mit Selbstbewußtsein sagen —, daß, insbesondere was die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden angeht, das Bundesverfassungsgericht mal hü und dann wieder hott gesagt hat. Es ist in einer
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Gerd Wartenberg
Entscheidung sogar weit über das hinausgegangen, was das Parlament und die Parteien jemals bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit gefordert haben, um es dann wieder völlig zu reduzieren. Das heißt, nicht nur im Bereich der Parteien, sondern auch im Bereich des Verfassungsgerichtes hat es offensichtlich erhebliche Unsicherheiten gegeben, wie man die Parteienfinanzierung kodifizieren sollte, welche Eckwerte man gemäß unserer Verfassung festlegen muß.Gleichwohl muß man darauf hinweisen, daß die Fragen, unter denen eine Parteienfinanzierung jeweils diskutiert werden muß, bisher unzureichend gelöst worden waren. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht neue Grundsätze aufgestellt. Der wesentlichste Punkt dieser neuen Grundsätze ist wohl der, daß die Parteien nicht mehr nur als Wahlvorbereitungsvereine gelten, sondern daß sie einen sehr viel stärkeren gesellschaftlichen Auftrag im Prozeß demokratischer Willensbildung und staatlicher Entscheidungsfindung haben. Das heißt, nicht mehr nur das Abstellen auf die Wahlkampfkostenerstattung ist vom Bundesverfassungsgericht festgelegt worden, sondern trotz der Staatsfreiheit ist die Möglichkeit begründet worden, daß die Parteien hinsichtlich des gesamten Spektrums ihrer verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgaben auch gefördert werden können, wenn dies zur Funktionsfähigkeit der Parteien begründbar ist.Meine Damen und Herren, in diesem Kompromiß — und Kompromisse zwischen verschiedenen Parteien mit verschiedenen Interessen führen nicht unbedingt immer zur Wahrheitsfindung; das wissen wir aus vielen Bereichen — sind einige Bereiche enthalten, die den sozialdemokratischen Vorstellungen nicht entgegenkommen. Das muß man sehr offen sagen, und wir möchten diese Punkte auch ansprechen. Gleichwohl hat dieser Gesetzentwurf einige Elemente, die positiv hervorzuheben sind.Erstens. Wenn man die drei Aspekte Chancengleichheit, Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parteien und auch Wahrung des gesellschaftlichen Charakters der Parteien nimmt, dann ist dies — zumindest unter dem Aspekt, daß diesmal eine feste Gesamtsumme im Parteienfinanzierungsgesetz vorgesehen worden ist, unter der alle Zuwendungsmöglichkeiten subsumiert werden, und daß diese Gesamtsumme nicht überschritten werden darf — für die Transparenz, aber auch für das finanzielle Verhalten der Parteien von großer Bedeutung. Für die Transparenz insofern, als jeder in dieser Gesellschaft weiß, wieviel insgesamt etwa für die Parteien zur Verfügung steht und welche verschiedenen Mechanismen der Parteienfinanzierung innerhalb dieser Obergrenze zum Zuge kommen.Der zweite positive Punkt ist, daß das Problem der Großspenden weitestgehend gelöst ist. Bisher war eines der großen Probleme,
daß Spenden bis zu einer Höhe von 120 000 DM steuerlich geltend gemacht werden konnten. Dies ist drastisch auf 12 000 DM bzw. bei einer einzelnen Person auf 6 000 DM heruntergesetzt worden. Nunwissen wir, daß das Bundesverfassungsgericht, wenn man das Urteil genau auslegt, selbst diesen Satz wohl für zu hoch halten würde. Ich meine aber, daß dieser Satz unter zwei Gesichtspunkten akzeptabel ist.Erstens. Wenn man davon ausgeht, daß das Bundesverfassungsgericht die Einflußspende zu Recht aushebeln wollte — die Möglichkeit nämlich, daß sich jemand, der 80 000, 90 000 oder vielleicht auch 50 000 DM spendet, damit einen relativ hohen Einfluß in einer Partei erkauft, dies aber nicht steuerlich gefördert werden darf —, dann ist das mit der Herabsetzung dieses Betrages auf 6 000 DM bzw. bei einem Ehepaar auf 12 000 DM meines Erachtens gewährleistet. Denn jeder weiß: Durch eine Spende von 6 000 DM innerhalb eines Jahres wird man bei den Etats, die selbst kleinere Parteien haben, wohl kaum Einfluß auf eine Partei nehmen können. Dies halte ich für eine realistische Größe, wenn man davon ausgeht, wie die Lage vorher war.Der zweite Punkt ist, daß wir heute in den Beitragstabellen aller Parteien Beitragssätze für einen Teil der Mitglieder haben, die, auf ein Jahr summiert, diesen Betrag zum Teil überschreiten. Es ist eigentlich nicht einzusehen, daß das, was in einer Beitragstabelle als ordentlicher Mitgliedsbeitrag vorgesehen ist, nicht steuerlich begünstigt werden kann.
Insofern denke ich, daß diese Regelung, obwohl sie nicht voll dem Verfassungsgerichtsurteil entspricht, doch der Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft und der Parteien entspricht, daß gleichzeitig aber die steuerlich begünstigte Groß- oder Einflußspende eliminiert worden ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu zwei sehr kritischen Punkten kommen. Es geht einmal um die Degression, d. h., daß die ersten 5 Millionen Stimmen, aufsummiert in einem Wahljahr, mit 1,30 DM subventioniert werden und nicht, wie alle anderen Stimmen, mit 1 DM. Dies muß unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bewertet werden. Es ist eigentlich nicht einzusehen, daß ein Teil der Wählerstimmen 1,30 DM wert sein soll, ein anderer Teil der Wählerstimmen 1 DM. Das ist prinzipiell unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes fast absurd.
Der zweite Punkt ist, daß diese degressive Wahlkampfkostenerstattung an Hand der Wählerstimmen eine Problematik beinhaltet, die verfassungsrechtlich von vielen mit großen Fragezeichen versehen wurde. Es hat allerdings auch Sachverständige gegeben, die gesagt haben, es gebe hier keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gleichwohl knüpft sie, obwohl erfolgsorientiert an Stimmen gebunden, letzten Endes an den alten Sockelbetrag an. Damit ist der Gleichheitsgrundsatz meines Erachtens verletzt.
Es geht hier nicht darum, die kleinen Parteien zu benachteiligen, denn alle sollen; ob klein oder groß, die 1 DM Erstattung bekommen. Es geht darum, daß
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Gerd Wartenberg
es nicht zulässig ist, ein bestimmtes Stimmenpotential höher zu subventionieren als das übrige.
Hinzu kommt, daß eine Ungleichbehandlung dazu führt, daß politische Parteien, die im Spektrum der kleinen Parteien liegen — rechtsradikale oder auch andere Parteien —, überproportional gefördert werden.
— Dies kann man im Bereich Republikaner und bei anderen nachweisen.
Herr von Wartenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Ich habe leider nur noch ganz wenig Zeit.
Ich stoppe Ihnen die Zeit.
Tut mir leid.
Dies ist aus politischen Gründen nicht akzeptabel. Das heißt nicht, daß nicht auch diese Parteien Förderung bekommen sollen, aber sie sollen nicht überproportional gefördert werden.
Ich sage sehr offen: Dies ist ein Punkt, den Sozialdemokraten, wie auch immer sie zum Gesamtkompromiß stehen, nicht akzeptieren.
Es gibt einen weiteren kritischen Punkt. Das ist die Möglichkeit, daß Berufsverbände weiterhin Spenden an Parteien abführen können. Dabei ist ohne Frage positiv, daß es jetzt Pflicht ist, diese Spenden an die Parteien beim Berufsverband zu versteuern. Gleichwohl ist nicht ganz sicher, ob das Transparenzgebot nicht verletzt worden ist, das besagt, daß der Bürger sehen soll, wer die Spende gegeben hat. Wenn sie über einen Berufsverband läuft, ist das keineswegs in jedem Fall sichergestellt.
Meine Damen und Herren, dies sind zwei Punkte — ich konnte sie nur kurz ansprechen —, die für sehr viele Sozialdemokraten nicht tragbar sind. Gleichwohl muß man sagen, daß die Gesamtkonstruktion der Parteienfinanzierung ein bedeutender Fortschritt gegenüber dem bisherigen Recht ist.
Die beiden Punkte allerdings, die ich angesprochen habe, wiegen für viele außerordentlich schwer, so daß es für viele wohl nicht leicht sein wird, dem Entwurf zuzustimmen.
Recht herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Wolfgang Zeitlmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will am Anfang nach Rücksprache mit den Kollegen eine Korrektur des Textes verlesen. Wir haben — ist das ein Druckfehler, oder ist es übersehen worden? — in Art. 8 des Gesetzentwurfs, der das Inkrafttreten dieses Gesetzes anbelangt, in den schriftlichen Unterlagen folgenden Text:
Das Gesetz tritt mit Ausnahme von Art. 1 Nr. 11 b) am 1. Januar 1994 in Kraft.
Es müßte heißen: „Artikel 1 Nr. 10b) ". Wir haben eine Nummer herausgenommen, und damit ist alles nach oben gerutscht. Jetzt muß es ergänzt werden.In Art. 8 Abs. 2 heißt es ebenfalls „Artikel 1 Nr. 11b)". Es muß heißen:Artikel 1 Nr. 10b) tritt mit Wirkung vom 10. April 1992 in Kraft.Soweit die Klarstellung.
— wohl, Herr Dr. Hirsch, helfen Sie mir; ich kann das im Moment nicht sagen.
Es geht um den Vorteilsausgleich.Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch das Gesetz, das wir hier verabschieden, erhalten die Parteien in Bund und Ländern 230 Millionen DM pro Jahr. Ich habe es einmal in Prozenten des Haushaltsvolumens gerechnet: Wir liegen bei 0,05 %. Wenn man dies bedenkt und dann sieht, daß unsere Parteien — so sagt ein Gutachter — „die lebendige Kraft sind, welche die parlamentarische Demokratie konstituiert, so daß die Stärkung und die Lebendigerhaltung der Parteien eine zwingende Prämisse der Funktionsfähigkeit der Demokratie darstellt", so meine ich, können wir uns damit auch sehen lassen. Wir müssen auch bedenken, daß wir hier eine Einsparung gegenüber dem Ist 1991 von 30 Millionen DM vornehmen. In Zeiten der Sparsamkeit ist dies, glaube ich, richtig.Wir erreichen mit diesem Gesetz die gewünschten drei Ziele: die Chancengleichheit, die Bewahrung des gesellschaftlichen Charakters unserer Parteien und die Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit.Dieses Gesetz stellt einen bedeutenden Fortschritt dar, indem die Chancengleichheit durch Senkung der steuerbegünstigten Spendenbeträge erhöht wird. Jetzt besteht keine Gefahr mehr, daß wirtschaftliche Kraft in politischen Einfluß umgemünzt werden kann. Dieses Gesetz setzt die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts um. Es hält sich bei der Definition der Obergrenze an den vorgegebenen Rahmen, ermöglicht aber auch spätere Anpassungen.Das Thema Degression hat beim Kollegen Wartenberg schon eine Rolle gespielt. Wir hatten außer unseren Schatzmeistern sieben Sachverständige zu
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Wolfgang Zeitlmannder Anhörung eingeladen. Es ist festzuhalten, daß die Mehrzahl dieser Gutachter — immerhin fünf — keine Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit dieser Degression haben. Sie ist eben kein Sockelbetrag, sondern erfolgsbezogene Bewertung an Hand der Wähler, der Wahlerfolge.
Herr Kollege Wartenberg, Sie haben die Republikaner erwähnt und damit so still und heimlich unterstellt, als hätten wir mit der Degression eine Bevorteilung dieser Gruppe, mit der wir nichts am Hut haben, beabsichtigt. Ich will Ihnen einmal kurz die Zahlen sagen. Es gibt eine Aufstellung, die das Verhältnis zu den Ist-Zahlen belegt, d. h. was die Parteien bisher — gerechnet auf das Haushaltsjahr 1991; mit und ohne Degression — im Durchschnitt erhalten haben und was sie jetzt erhalten würden.Wenn Sie die Degression herausnähmen, bekäme die SPD 102 % dessen, was sie 1991 erhalten hat; die CDU 94%; die CSU 78 %; die Republikaner 60 % und die F.D.P. 72 %. Im Durchschnitt würde die jetzige Regelung ohne Degression eine Förderung der Parteien gegenüber dem Ist-Zustand von 89 % bedeuten. Da sehen Sie schon, daß die Republikaner mit Sicherheit nicht bevorteilt werden; im Gegenteil: Sie stehen ohne die Degression am schlechtesten. Sie stehen mit der Degression ein klein wenig besser, aber immer noch weit unter dem Durchschnitt. 69 % bekämen nämlich die Republikaner.Die SPD kann beruhigt sein. Gegenüber dem Ist-Zustand, bezogen auf das Jahr 1991, steht sie mit der Degression bei 99 %. Es ist also eindeutig umgekehrt: Die Republikaner sind die, die am meisten unter dem heutigen Gesetz leiden müssen. Ich sage dies nur zur Klarstellung, damit kein falsches Argument gebraucht wird.
Ich will ganz kurz einen internationalen Vergleich wiedergeben, den ein Sachverständiger in der Anhörung vorgetragen hat, weil ich glaube, daß die öffenliche Diskussion hier eigentlich völlig ungerechtfertigt abläuft: als würden sich die Parteien bedienen. Dieser internationale Vergleich, finde ich, muß angestrengt werden. Professor Naßmacher hat in der Anhörung erklärt, die Bundesrepublik bewege sich mit diesem Gesetz im Mittelfeld der westlichen Demokratien. Wir lägen höher als Kanada, USA und Großbritannien. Wir lägen gleich mit Frankreich. Wir lägen allerdings niedriger als Österreich, Schweden, Spanien und Portugal.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zur Berichterstattung über diese Thematik und zur allgemeinen Parteienverdrossenheit sagen. Ich habe vorhin gesagt, daß wir sieben Sachverständige gehört haben. Eine große Tageszeitung hat in ihrem Bericht über diese Anhörung nur die beiden kritischen Sachverständigen Sendler und von Arnim erwähnt. Mit keiner Silbe, mitkeinem Wort ist man auf die langen Ausführungen der anderen fünf Sachverständigen eingegangen.
— Genauso ist es. Das ist die allgemeine Übung.Deswegen bitte ich uns alle, künftig darauf hinzuweisen, daß dieses Parteiengesetz mit einer Ausgabenquote von 0,05 % das honoriert, was 2 Millionen Mitglieder in Bund und Ländern über 365 Tage im Jahr ehrenamtlich tun, diskutieren und durch Meinungsbildung betreiben. Im Grunde gestalten sie damit das gesamtpolitische Gefüge von der Basis bis zum Bund mit und tragen zur politischen Meinungsbildung bei.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir hier ein gutes Gesetz verabschieden. Ich glaube auch, daß wir, wenn wir die Gemeinsamkeit, die in diesem Gesetz zum Ausdruck kommt, einigermaßen beibehalten können, in der Diskussion draußen durchaus bestehen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Darf ich, bevor ich Herrn Schulz das Wort erteile, folgendes noch einmal klarstellen, weil der Zwischenruf von Herrn Krause die Frage beinhaltete, ob wir jetzt Gesetze machten, die rückwirkend gelten. Was Herr Zeitlmann zu Art. 8 Abs. 2 gesagt hat, ist richtig.
Herr Dr. Hirsch.
Ich möchte das klarstellen, damit es im Protokoll richtig vermerkt ist.
Herr Kollege Krause, zu Ihrem Zuruf, ob wir rückwirkend in Kraft setzten: Die etwas komplizierte Inkrafttretensklausel dieses Gesetzes bedeutet mit einfachen Worten, daß das ganze Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 1994 in Kraft tritt, mit Ausnahme des Art. 1 Nr. 10b. Er soll am 10. April 1992 in Kraft getreten sein. Diese Vorschrift bezieht sich allein auf die Publizitätspflichten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner unermeßlichen Güte und Weisheit in einer Entscheidung vom 9. April 1992, also am Vortag des 10. April, ausdrücklich entschieden, daß die Veröffentlichungsklausel mit sofortiger Wirkung in Kraft treten solle. Das heißt, diese Veröffentlichungsklausel ist kraft Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit der Veröffentlichung der Entscheidung, also seit dem 10. April 1992, in Kraft, so daß die Formel, die in diesen Gesetzentwurf aufgenommen wird, eine Deklaration dessen ist, was bereits geltendes Recht ist. Das ist der Grund.
Als nächster erhält der Kollege Schulz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur die Parteienfinanzierung, die Politikfinan-
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Werner Schulz
zierung insgesamt ist ins Gerede gekommen. Die Neuregelung der Parteienfinanzierung, vorgegeben durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, ist ein Ansatz, mehr aber auch nicht. Leider — ich bedaure das wirklich sehr — gelingt es den Parteien der Regierungskoalition und auch der SPD offenbar nicht, die notwendige Distanz zu wahren, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Redlichkeit der Parteien zurückzugewinnen.Es ist nicht nur das Eilverfahren zu kritisieren, mit dem dieses Gesetz verabschiedet wird — das gehört hier mitunter schon zum Prozedere —, sondern auch die Nichtberücksichtigung der Warnungen einer Reihe von Sachverständigen, insbesondere auch des Vorsitzenden der vom Bundespräsidenten eingesetzten Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, Herrn Professor Sendler.Unsere Auffassung, daß die sogenannte Degression als verfassungswidrige Wiedereinführung des vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Sockelbetrages anzusehen ist, wurde voll bestätigt.
— Von Herrn Professor Sendler wurde das so bestätigt; ihn zitiere ich hier. Er ist der Vorsitzende der Kommission gewesen, Herr Faltlhauser, für mich eine Autorität in dieser Frage.Der Effekt dieser Regelung ist ein doppelter: Zum ersten erhalten alle Parteien natürlich einen Zuschlag, also mehr Geld. Zum zweiten werden hauptsächlich die rechtsradikalen Parteien gefüttert. Gewiß, Herr Zeitlmann, man hatte natürlich das finanzielle Schicksal der eigenen Parteien, von CSU und F.D.P., vor Augen. Der Mitnahmeeffekt auf der rechten Seite des Parteienspektrums wird dann schon einmal in Kauf genommen.Nun erhalten gerade die Parteien, auf deren Konto neue Exzesse gehen, mit der Neuregelung einen finanziellen Anreiz zum Weitermachen. Wir wollen dies nicht und werden deshalb hier nochmals beantragen, § 18 Abs. 1 Satz 2 des zur Abstimmung stehenden Gesetzes zu streichen. Ich hoffe hier vor allen Dingen auf die Zustimmung der Sozialdemokraten. Sie werden ohnehin verantworten müssen, warum sie einem solchen Kompromiß insgesamt zustimmen wollen.Die absolute Obergrenze von 230 Millionen DM wird durch die Neuregelung bei weitem überschritten. Durch sogenannte Abschlußzahlungen werden schnell 100 Millionen draufgepackt, und weitere 30 Millionen kommen durch die verfassungswidrige Durchführung des Chancenausgleiches für das Jahr 1993 hinzu.Wir lehnen das Bestreben, die absolute Obergrenze so bald wie möglich neu — sprich: höher — zu berechnen, ab. Professor Sendler hat in der Sachverständigenanhörung darauf hingewiesen, daß die Bezugsgrenze des Jahres 1991 falsch ausgewählt ist.Wir schlagen deshalb vor, die absolute Obergrenze mindestens bis zum Ende des Jahres 1997 einzufrieren. Mit einer solchen Begrenzung könnte deutlich gemacht werden, daß es den Parteien ernst damit ist, Selbstbeschränkung zu üben.Es darf nicht vergessen werden, daß zu den mit diesem Gesetz geregelten Zahlungen noch Zuwendungen an die Jugendorganisationen der Parteien und an die parteinahen Stiftungen — übrigens ohne jede gesetzliche Grundlage — hinzukommen. Diese Bereiche müssen in naher Zukunft ebenfalls gesetzlich geregelt werden.Auch bei der Spendenabzugsregelung sind — ich zitiere wieder Sendler — „die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen klar überschritten". Das Bundesverfassungsgericht hat einen Spendenbetrag von 1 200 DM für Alleinstehende und 2 400 DM für Verheiratete als für den Durchschnittsverdiener erreichbar angesehen. Die Sendler-Kommission hat hierauf einen Zuschlag gemacht und 2 000 bzw. 4 000 DM als spendenabzugsfähigen Betrag vorgeschlagen.Die im Gesetzentwurf vorgenommene Verdreifachung des Betrages hat keinerlei Bezug zum Durchschnittseinkommen. Sie ist mit Blick auf das Durchschnittseinkommen in Ostdeutschland völlig verrückt. Mit der Lebenswirklichkeit hat das nun wirklich nichts mehr zu tun.Schließlich muß eine Neuregelung der Parteienfinanzierung größere Publizität und Transparenz bei der Rechnungslegung verwirklichen. Gerade dies tut der Gesetzentwurf nicht. So werden z. B. die Beiträge der Fraktionsmitglieder an die Parteien zu den selbsterwirtschafteten Einnahmen gezählt, was sie nun gerade nicht sind.Das System der „checks and balances", das sich als positive Methode der Konfliktaustragung für die Politikfinanzierung geradezu aufdrängt, wurde weder im Bereich der Aufgabenbeschreibung der Institutionalisierung einer unabhängigen Kommission noch im Bereich der Transparenzregelungen verwirklicht.Insgesamt wird mit dem Gesetz die Chance vertan, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger mit einer offenen Neuregelung der Parteienfinanzierung zurückzugewinnen.
Als nächste spricht die Abgeordnete Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste ist der Meinung, daß der Entwurf, der uns heute zur Beratung vorliegt, obwohl wir an den Beratungen nicht beteiligt wurden, in die richtige Richtung geht. Trotz allem ist er in vieler Hinsicht verbesserungswürdig, weil er insbesondere hinter den Empfehlungen der Unabhängigen Parteienkommission zurückbleibt.Ich möchte heute mit dem beginnen, wozu ich beim letzten Mal leider keine Zeit mehr hatte. Aus Sicht der PDS ist insbesondere anzumerken, daß, für uns unverständlich oder nur politisch zu verstehen, extra eine Lex PDS in dieses Gesetz hineinformuliert wurde. Die Regelungen der Abschlagszahlungen für das Wahljahr 1994 führen durch die Einbeziehung der letzten
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Dr. Barbara HöllEuropawahlen 1989 dazu, daß die PDS als einzige jetzt im Bundestag vertretene Partei — die sich damals nicht an den Wahlen beteiligen konnte, bei denen wir sicher ein sehr gutes Wahlergebnis erreicht hätten — ausgeschlossen ist.
Ich muß sagen: Dadurch kommt es im Hinblick auf die Abschlagszahlungen eindeutig zu einer sehr großen Benachteiligung der PDS.Ansonsten meinen wir, daß es trotz der Anhörung im Hinblick auf die Transparenz und auf eine umfassendere Diskussion leider nicht zu notwendigen Veränderungen gekommen ist. Ich möchte hier nur erwähnen, daß es, wenn man über die Frage der Parteienfinanzierung diskutiert, sicher notwendig wäre, auch die Frage der Parteistiftungen zu erörtern. Es ist ja bekannt, daß in den Haushaltsberatungen der Antrag der PDS abgelehnt wurde, so daß wir wiederum die einzige im Bundestag vertretene Partei sind, die keine Unterstützung für eine parteinahe Stiftung erhält. Ich glaube, das System der parteinahen Stiftungen mit der ausufernden staatlichen Finanzierung wäre ebenfalls wert, durchleuchtet und neu geregelt zu werden.Ich möchte des weiteren anmerken, daß wir die Behandlung der Spenden bzw. Mitgliedsbeiträge immer noch sehr kritikwürdig finden. Wenn man den Maßstab der gesellschaftlichen Verankerung und des Beitrags der Parteien zur politischen Willensbildung anlegt, kann es nicht angehen, die Spenden- und die Mitgliedsmark für die Berechnung der staatlichen Zuschüsse zu betrachten. Vielmehr müßte man dann tatsächlich von der Anzahl der Mitglieder ausgehen und eine deutliche Unterscheidung zwischen Spenden und Mitgliedsbeiträgen durchführen.
— Sie können mir gerne eine Frage stellen. Sie wissen, daß ich nicht so viel Zeit habe.
Eine Frage des Abgeordneten Faltlhauser.
Würden Sie mir zustimmen, Frau Kollegin, daß die Abgrenzung zwischen Beiträgen und Spenden sicherlich sehr sinnvoll wäre, wie Sie sagen, daß sie aber in der Praxis den Anreiz für Mißbräuche gibt, daß es deshalb nicht möglich ist, diese Abgrenzung sachgerecht und der strengen Prüfung des Bundesverfassungsgerichts und auch der Bundestagspräsidentin gemäß vorzunehmen, und daß es deshalb sinnvoll ist, Beiträge und Spenden doch in einen Topf zu werfen, um diese Mißbräuche zu vermeiden?
Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ich denke, daß, wenn man überlegt und das nachvollzieht, was in der unabhängigen Parteienkommission besprochen wurde, eine Unterscheidung möglich ist. Ich glaube, wenn der politische Wille da ist, gelingt es uns auch in vielen
anderen Bereichen, tatsächlich Regelungen zu finden.
Insbesondere denke ich, daß hiermit die Gleichstellung der Parteien bzw. ihrer Mitglieder, die doch aus verschiedenen sozialen Schichten kommen, nicht gegeben ist. Der Arbeitslose mit einem Mitgliedsbeitrag, den er seiner entsprechenden Partei — egal welcher — in Höhe von beispielsweise 2 DM oder 3 DM im Monat zahlt, wird hinsichtlich seiner politischen Willensbildung nicht genauso hoch eingeschätzt wie der Unternehmer, der im Monat beispielsweise 300 DM Mitgliedsbeitrag zahlt; denn real ist dem Staat dann der Mitgliedsbeitrag des Unternehmers 150 DM wert, der Mitgliedsbeitrag des Arbeitslosen zählt in der staatlichen Bezuschussung nur 1,50 DM. Das ist keine gleiche Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der politischen Willensbildung.
Des weiteren halten wir es zwar für gut, daß es eine Beschränkung der steuerlichen Spendenabzugsfähigkeit für natürliche Personen gibt; bedenklich aber ist die Zulassung, daß dies auch für Berufsverbände möglich ist. Ansonsten gibt es sicher genug Möglichkeiten — über eine steuerliche Spendenabzugsfähigkeit hinaus —, wie gutsituierte Bürgerinnen und Bürger versuchen könnten, einen stärkeren politischen Einfluß zu gewinnen, viel stärker in den Lobbyismus hineinzugehen.
In diesem Sinne meinen wir — obwohl wir uns durchaus bewußt sind, daß wir neu Beteiligte in diesem bundesdeutschen System der Parteienfinanzierung sind —, daß es notwendig ist, über die Parteienfinanzierung insgesamt weiter nachzudenken und tatsächlich in Richtung Transparenz und Kontrolle des politischen Prozesses weiter voranzukommen. Ansonsten kann immer wieder der Eindruck entstehen, daß eine Selbstbedienung erfolgt; das ist nun einmal im Gesetzgebungsverfahren begründet. Gerade deshalb sollten wir uns in dieser Hinsicht noch mehr befleißigen, einiges zu verbessern.
Ich bedanke mich.
Als nächster Redner ergreift noch einmal der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch das Wort.
Frau Präsidentin, das ist mit der Kurzintervention erledigt.
Gut, danke.
Dann erhält als nächste die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer allgemeineren Betrachtung beginnen. Der 1848er Georg Herwarth begrüßte die Parteien noch enthusiastisch „Partei, Partei, wer wollte sie nicht nehmen..."In den folgenden Jahrzehnten ist dieser Enthusiasmus nicht geteilt worden, und auch in der Bundesrepublik blieb solcher Überschwang aus. Den Mainstream bestimmte eine wohlfeile Parteienkritik, die
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Inge Wettig-Danielmeiervon den Carl-Schmitt-Schülern über Augstein und von Arnim bis zu höchsten Repräsentanten unseres Staates reicht und Stimmen an den Rand drängt, die um nüchterne Beurteilung werben.So oft das Buch von Lösche und Walter über die SPD rezensiert wurde, die Tatsache, daß die Autoren den Mangel an innerparteilicher Demokratie und das seit 1905 beschriebene Bild der Parteienoligarchie als Chimäre entlarvten, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat, jedenfalls nicht mehr seit den 60er Jahren, wurde an den Rand gedrängt, allenfalls von der wissenschaftlichen Fachwelt zur Kenntnis genommen.Woher kommt dieses Parteienbild? Sind trotz Parteiengesetz, feinster Verfahrensvorschriften in den Wahlgesetzen, umfassenden Rechtsschutzes für die Einhaltung aller Vorschriften, trotz öffentlicher Rechenschaftslegung über Einnahmen und Ausgaben, jährlicher Überprüfung durch Wirtschaftsprüfer Parteien von Oligarchien beherrscht, aus dunklen Quellen finanziert, suchen sie unter Verdunklung ihrer wahren Interessen Finanzierung aus öffentlichen Mitteln? Gilt immer noch Max Webers Diktum, daß wir über das Geld in der Politik nichts wissen?Wer von Arnim hört, muß den Eindruck gewinnen, seit den Tagen der Parteienkritik des 19. Jahrhunderts habe sich wenig geändert.
Was damals Konservative und auch liberale Kritiker gegen das entstehende Parteiwesen zu Papier brachten — mit weitreichenden Folgen für die rechtliche und administrative Unterdrückung der Parteien —, hat das deutsche Denken nie wieder verlassen.Der über den Parteien stehende Obrigkeitsstaat bestimmte die Alltagstheorie über die vernünftige Staatsorganisation, nicht die Überlegung, daß der demokratische Staat ohne Parteien nicht funktionieren kann, daß sie zu seiner Willensbildung notwendig sind, natürlich auch unter Mediatisierung der individuellen Wählermeinung.Der Ruf nach dem Allgemeinwohl kaschiert immer noch den Ruf nach dem Obrigkeitsstaat. Die beachtlichen Leistungen der Parteienregierungen waren in der Weimarer Republik nichts, nicht die Erzbergersche Finanzreform, nicht der Ausbau des Sozialstaats, nicht die Friedenspolitik Stresemanns. Parteienfreundliche Staatsrechtler wie Hermann Heller oder der staatsrechtliche Außenseiter Radbruch richteten nichts aus gegen Carl Schmitt und die anderen Gegner des Parteienstaats.
Die wissenschaftliche Zerstörung der demokratischen Institutionen und der demokratischen Grundrechte kulminierte in der Staatsrechtsfeststellung: „Führerwort setzt Recht" von Ernst Rudolf Huber.Vor diesem Hintergrund, Herr Schulz, hat mich Ihr Redebeitrag in der ersten und auch in der heutigen Debatte zu dieser Novelle des Parteiengesetzes sehrbetroffen gemacht. Sie haben diese unselige deutsche Tradition fortgesetzt.
Man sollte genau bedenken, welche Worte man wählt und in welche Denktradition man sich begibt.
Wie jede menschliche Einrichtung sind Parteien anfällig für alle menschlichen Schwächen, müssen sich der Kritik stellen, aber Deutschland hat eine Tradition der zerstörenden Kritik, was Parteien angeht. Ich denke, der internationale Vergleich zur Ordnung der Parteien kann uns etwas weiterhelfen. Kein Land der Welt hat eine so durchsichtige und offene Parteienfinanzierung, wie die Bundesrepublik sie bis jetzt hatte. Die Transparenz wird durch das heute zu verabschiedende Gesetz noch einmal verbessert.Was die öffentlichen Zuschüsse angeht — Herr Zeitlmann hat darauf bereits hingewiesen —, die in westlichen Demokratien Tradition haben, liegen wir im Mittelfeld, deutlich hinter der Mehrzahl westeuropäischer Demokratien, gleichauf mit Frankreich. Die Deckelung durch die absolute Obergrenze schreibt das langfristig fest. Die bei uns seit Jahrzehnten übliche Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Mitteln macht uns weniger abhängig vom Staat, als das in Schweden, Portugal oder Spanien der Fall ist, aber auch weniger abhängig von Interessengruppen als die Parteien Österreichs, Großbritanniens und der USA.
Die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen wird jetzt noch einmal dadurch reduziert, daß es keinerlei Steuervorteile mehr für Industriespenden geben wird. Die Steuerabzugsmöglichkeit für private Spenden wird auf weniger als ein Zehntel des bisherigen Betrages gesenkt. Mit dieser Regelung wird eindeutig die Einflußspende zurückgedrängt, nicht mehr begünstigt, die Spende engagierter Bürgerinnen und Bürger, die ihre Partei unter Anspannung ihrer Möglichkeiten finanziell unterstützen wollen, aber sehr wohl. Daß diese drastische Reduzierung der Steuerabzugsfähigkeit die Einnahmen der Parteien an Beiträgen und Spenden in der nächsten Zukunft einigermaßen unkalkulierbar macht, ist in der Kritik nie bedacht worden.Die Vertreter und Vertreterinnen von Union, F.D.P., GRÜNEN und SPD haben länger als ein Jahr gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr sorgfältig die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils diskutiert. Obwohl ich als Sozialdemokratin die Grundzüge des Urteils stärker bejahen kann als manche anderen Parteivertreter, muß ich doch auch sagen: Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichtsurteils und die Praxis tun sich manchmal schwer, zueinander zu kommen. Das trifft noch mehr für die Vorschläge der Bundespräsidentenkommis-
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Inge Wettig-Danielmeiersinn zu, die durchweg von Praxisferne gekennzeichnet sind.
Das ist auch der Grund für die schwierige Entscheidung der SPD in der Frage der Degression. Das Urteil hat den früheren Sockelbetrag für Parteien, die mindestens 2 % der Zweitstimmen erhalten hatten, mit der Begründung für verfassungswidrig erklärt, der Sokkelbetrag berücksichtige nicht den Erfolg der Bemühungen um Zuschüsse von Mitgliedern und Spendern und um Wählerstimmen, kurz die gesellschaftliche Verwurzelung.Das Gericht gab den Hinweis auf besondere Förderung von kleinen Parteien, die nicht die FünfProzent-Hürde übersteigen und dadurch benachteiligt sind. Gleichzeitig gilt der Gleichheitsgrundsatz, das heißt, alle Regelungen müssen sich am Erfordernis der Chancengleichheit messen lassen.Nimmt man die besondere Förderungswürdigkeit kleiner Parteien, so darf es wohl dennoch keine zu großen Unterschiede zwischen der Bezuschussung kleiner und der großer Parteien geben. Das ist bei 1,30 DM für kleine Parteien und ca. 1,10 DM für die großen Parteien wohl gerade noch hinnehmbar. Jedenfalls müssen die Unterschiede begründbar sein.Die gegebene Begründung, daß es schwieriger und kostenaufwendiger ist, die ersten 5 Millionen Stimmen zu erzielen als die weiteren, gilt im großen und ganzen für die F.D.P., die CSU, die GRÜNEN und die PDS, ganz sicher aber nicht für die neuen konservativen oder rechtsradikalen Bewegungsparteien.Die rechtliche Abwägung ist unendlich schwierig, und wie das Bundesverfassungsgericht letztlich entschiede, bleibt offen. Immerhin hat die Mehrzahl der Sachverständigen in der Anhörung des Innenausschusses den Vorschlag der Degression für vertretbar gehalten.Die SPD hätte wegen der Unwägbarkeiten des Gerichts lieber darauf verzichtet. Gleichzeitig haben wir aber auch keine andere Möglichkeit gefunden, die Interessen der kleinen Parteien zu berücksichtigen, und selbstverständlich schon gar keine, zwischen den kleinen Parteien je nach demokratischer Qualität zu differenzieren.Auch wenn wir die Degression lieber nicht hätten, stimmen wir dem Gesetz zu als einem Kompromiß, in den auch unterschiedliche Interessen einfließen müssen. Wir tun das auch in der Hoffnung, daß wir in Zukunft den Streit über die richtige und gerechte Finanzierung der Parteien aus öffentlichen Mitteln aus der gerichtlichen Auseinandersetzung heraushalten können.Die Aufgabe der Parlamente sollte es sein, ihre wesentlichen Verfahrensregeln — und dazu gehören die Parteifinanzen — selbst zu treffen. Die Gerichte geben auch nur ihre jeweilige politische Überzeugung von den jeweiligen demokratischen Grundregeln weiter. Das haben wir mehr als einmal erfahren.Deswegen hoffe ich, daß es bei diesem letztlich fortschrittlichen Parteiengesetz bleibt.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Kurt Faltlhauser.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zu zwei Sachverhalten etwas anmerken. Am Abend des 9. November 1989 haben wir im Plenum des Deutschen Bundestages das Vereinsförderungsgesetz diskutiert. Dies ist vielen von uns noch so sehr in Erinnerung, weil während der zweiten und dritten Lesung dieses Vereinsförderungsgesetzes die Tickermeldung kam, daß die Mauer gefallen ist.
Wir haben in diesem Vereinsförderungsgesetz die Spendenabzugsfähigkeit für eine Reihe von Vereinen aller Art festgelegt — auch für solche, bei denen wir durchaus skeptisch sein können, ob eine entsprechende gesellschaftliche Förderung angebracht ist. Aber wir haben das um der Ruhe willen alle miteinander so akzeptiert. Heute gilt also der Sachverhalt, daß auch ein skurriler Verein im Freizeitbereich berechtigt ist, Spenden entgegenzunehmen und dafür eine abzugsfähige Spendenquittung auszustellen, wenn er in der Lage war, den § 2 seiner Satzung intelligent zu formulieren. Dies ist in § 10 b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes geregelt. In § 10 b Abs. 2 des gleichen Gesetzes ist die Abzugsfähigkeit von Spenden an Parteien geregelt.
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nunmehr eine Abzugsfähigkeit von Spenden für eine Körperschaft, also eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH, überhaupt nicht mehr gegeben. Wohl aber bleibt in Abs. 1 die Abzugsfähigkeit für den skurrilen Verein, den wir uns auf Grund unserer politischen Erfahrung alle miteinander gut vorstellen können, weiterhin gegeben.
Ich halte diesen Sachverhalt für eine Schräglage in unserer demokratischen Ordnung zuungunsten der politischen Parteien.
Herr Faltlhauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Sehr gerne, Herr Kollege Conradi.
Herr Kollege Dr. Faltlhauser, schließt die jetzt gefundene Formulierung aus, daß eine Körperschaft eine Spende über ihren Berufsverband einreicht und auf diesem Wege zumindest die Differenz der Besteuerung der Körperschaften und der Besteuerung des Berufsverbandes steuerlich geltend machen kann?
Ihre Frage ist gerechtfertigt. Eine Unternehmung kann durchaus Gelder als Beitrag an einen Berufsverband weitergeben. Die Nachversteuerung durch den Berufsverband macht jedoch deutlich, daß der Staat keinerlei Förderung dieser Spende vorsieht, sondern sie auf diese
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Dr. Kurt FaltlhauserWeise wiederum erschwert. Eine Nachversteuerung in Höhe von 50 % — ich komme darauf noch zu sprechen — legt Gewicht auf die Tatsache, daß durch die Weitergabe von Geldern eine Bevorzugung nicht gegeben ist. Diese ist aber sehr wohl bei den Vereinen gegeben.Bevor diese Zwischenfrage kam, wollte ich folgendes verdeutlichen: Ich halte es für eine Schräglage zuungunsten der Parteien, daß Vereine abzugsfähige Spenden von Körperschaften entgegennehmen können, nicht aber die Parteien. Ich halte das nicht für dauerhaft tragfähig. Ich sage dies in dem Bewußtsein, daß das Bundesverfassungsgericht entsprechend entschieden hat. Aber auch das Bundesverfassungsgericht kann bei diesem Sachverhalt das Problem in zukünftigen Sprüchen neu lösen.Eine zweite Anmerkung zu den Berufsverbänden. Herr Kollege Conradi, in bezug auf die Berufsverbände verhielt es sich ja bislang so: Seit 1952 wurde dieser Bereich nach dem damaligen Gutachten des Bundesfinanzhofs geregelt. Der Bundesfinanzhof hat vor allem darauf abgestellt, daß kein Übermaß vorhanden sein soll, d. h. ein Berufsverband soll seine typische Tätigkeit nicht dadurch verfälschen, daß an Parteien übermäßig viel Gelder weitergegeben werden. Das wurde dadurch begrenzt, daß man eine Obergrenze einzog, die in den verschiedenen Ländern unterschiedlich war und bis zu einer Höhe von maximal 25 % ging; in der Regel waren es 10 %. Durch eine Passage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wurde eine derartige Spendenpraxis zumindest erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Diese Passage des Urteils ist ja nicht besonders eindeutig und klar.Was jetzt in diesem Gesetz steht, ist eine Verdeutlichung und eine Rechtsklarstellung, nicht die Schaffung von neuen Möglichkeiten zur Spendenweitergabe. Vielmehr geht es darum, daß die Verbände überhaupt wissen, woran sie sind. Ohne diese Regelung hätten sie nämlich nicht gewußt, woran sie sind.Eine letzte Anmerkung kann ich mir doch nicht verkneifen. Es geht noch einmal um das Problem der Degression. Ich weise wiederum darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht den Sockelbetrag deshalb als verfassungswidrig erkannt hat, weil er eine von irgendwelchen Gegebenheiten völlig unabhängige Basisfinanzierung für die Parteien darstellte. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt, daß die Parteien zu jeder Zeit ihre Verwurzelung durch die Bemühungen um mehr Wählerstimmen, um mehr Spenden und um mehr Mitgliedsbeiträge dokumentieren müssen. Die Degression fußt auf einem dieser Verwurzelungselemente, nämlich auf dem Verwurzelungselement des Wahlerfolgs. Dementsprechend hat das überhaupt nichts mit dem Sockelbetrag zu tun. In dieser Beziehung entspricht diese Regelung ganz der Intention des Bundesverfassungsgerichts.Ich lege Wert darauf, festzustellen, daß während der Anhörung eine Mehrzahl der Gutachter, auch der Verfassungsrechtler, betont hat, daß dies der Verf as-sung entspricht und daß sie diese Regelung für rechtlich verträglich halten. Daß einzelne Gutachter dies nicht meinten, ist üblich. Ich habe noch nie eine Anhörung miterlebt, bei der sich Verfassungsrechtler in allen Punkten völlig einig waren. Das war auch in diesem Fall so.Meine Damen und Herren, vielleicht noch ein letzter Satz: Wir sollten auch den Bürgern draußen und den kritischen Vertretern der Medien sagen, daß die Neuregelung einer wesentlichen Anforderung des Verfassungsgerichtsurteils und des Berichts der Kommission unter Herrn Professor Sendler gerecht wird. Sie ist nämlich eine klare und überschaubare Regelung, wesentlich klarer und überschaubarer als die bisherige. Dafür sollte dem Gesetzgeber die Öffentlichkeit dankbar sein.Ich bedanke mich.
Als nächster spricht der Abgeordnete Krause .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regelungen dieses Gesetzentwurfs bedeuten eine Umverlagerung von der Bewertung der Wählerstimmen auf Geld.
Ohne Geld nützt auch die abgegebene Wählerstimme für die Parteienteilfinanzierung nichts. 3 000 Wählerstimmen werden nur dann wirksam, wenn eine Finanzierung in Höhe von 6 000 DM erfolgt. Wer in den neuen Bundesländern soll jetzt die SPD und die CDU finanzieren? In der Altmark kamen Parteispenden bisher nur von Westfirmen, die bei uns Aufträge bekommen und sie den einheimischen Firmen weggenommen haben. Wenn Geld Maßstab für eine gesellschaftliche Verwurzelung sein soll und ehrenamtliche Arbeit in Zukunft gar nicht mehr bewertet wird, dann ist das für mich eine große moralische Wahlkampfunterstützung. Mein Kapital ist die Einsatzbereitschaft der Arbeitslosen und der vielen Ehefrauen. Sie wird von dieser Umbewertung Gott sei Dank nicht berührt.Trotzdem gebe ich zu: Günstig ist die Herabsetzung der Obergrenze der steuerlichen Abzugsfähigkeit. Günstig ist, daß die abgegebene Stimme Berechnungsgrundlage ist und nicht, wie es vorher war, die Zahl der Wahlberechtigten, wodurch früher die anderen Parteien das Geld der Nichtwähler unter sich aufteilen konnten.Bedenklich und moralisch verwerflich ist aber, daß Wählerstimmen nur dann finanziell zu Buche schlagen, wenn es bereits eine entsprechende Finanzierung gibt. Wer soll in den neuen Bundesländern bis 6 000 DM an Parteien spenden? Wer von den Arbeitslosen, von den Sozialhilfeempfängern soll 6 000 DM an Parteien spenden? Wenn wir in Zukunft — ich hoffe, daß es bald passiert — auf solche Gesetze Einfluß nehmen können, dann wird so etwas wieder abgeschafft. Nicht Geld, sondern ehrenamtliche Arbeit muß der Maßstab für gesellschaftliche Verwur-
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Dr. Rudolf Karl Krause
zelung sein. Anderes kann einer Demokratie doch wohl nicht zum Ruhme gereichen.
Herr Krause, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Ja; bitte.
Herr Kollege, wenn Sie sich das Vergnügen machen würden, den Gesetzentwurf zu lesen, müßten Sie dann nicht feststellen, daß Ihr Argument, eine Wählerstimme hätte nur dann Bedeutung, wenn sie mit einer Spende verbunden würde, falsch ist? Pro Wählerstimme wird auch Ihrer Gruppe 1,30 DM gezahlt
— leider —, mit der Folge, daß gerade Ihre Gruppe von der gesetzlichen Regelung, zu der wir uns hier entschlossen haben, in überproportionaler Weise Nutzen hat.
Herr Kollege Hirsch, ich beantworte Ihre Frage mit § 18 Abs. 5:
Die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung darf bei einer Partei die Summe ihrer jährlich erwirtschafteten Einnahmen nicht überschreiten.
Wenn also die Einnahmen lediglich bei 1 Million DM liegen, weil die Arbeitslosen nicht mehr hergeben können, dann nützt auch eine mögliche Wählerstimmenquote von 8 Millionen DM nichts.
Auf der anderen Seite gibt es auch Geld für Zuwendungen unabhängig von Wählerstimmen. Das steht in Abs. 3 Nr. 3.
Herr Kollege, möchten Sie wirklich vorschlagen, daß die Parteien aus öffentlichen Mitteln mehr bekommen sollen, als sie selber aufzubringen in der Lage sind?
Nein. Aber man sollte sich überlegen wie in der Vergangenheit auch ehrenamtliche Arbeit als Maßstab für gesellschaftliche Verwurzelung zu bewerten. Geld darf nicht der alleinige Maßstab sein.
Lassen Sie mich schließlich noch etwas anderes sagen. Ein paarmal ist das Wort „rechtsextrem" gefallen. Ich habe mir die Mühe gemacht und mir vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eine exakte Definition erarbeiten lassen — wofür ich sehr danke. Alles, was dort drinsteht, trifft auf meine Partei nicht zu. „Rechtskonservativ" wäre richtig. Aber wer das Wort „rechtsextrem" wider besseres Wissen weiter benutzt, lügt bewußt.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Unser Kapital ist die Einsatzbereitschaft der armen Menschen. Glücklicherweise ist die Abgabe der Wählerstimme auch in Zukunft nicht vom Geldbeutel abhängig.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Es folgt jetzt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Peter Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der amtierende Vizepräsident Klein hat mich gestern milde gerügt, weil ich eine Erklärung zur Abstimmung in einen Debattenbeitrag umfunktioniert habe. Das will ich heute beherzigen und lediglich sagen, warum ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen werde.
Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu, weil die parlamentarische Beratung meine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit zweier Bestimmungen nicht ausgeräumt hat und weil die Koalitionsfraktionen nicht bereit waren, diese beiden Bestimmungen so zu formulieren, daß sie verfassungsgerichtsfest sind.
Ich stimme dem Gesetz nicht zu, weil ich die höhere Bezuschussung der ersten fünf Millionen gültiger Stimmen für einen verkappten Sockelbetrag halte. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, daß ein Sockelbetrag, der unabhängig von den Wählerstimmen, unabhängig von Mitgliedsbeiträgen und Spenden errechnet wird, nicht der Verfassung entspricht.
Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu, weil er Gleiches ungleich behandelt. Ich kann keine zureichende Begründung dafür erkennen, daß die ersten fünf Millionen Stimmen für eine Partei einen größeren Aufwand verursachen als die weiteren Stimmen, die für sie abgegeben werden.
Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu, weil ich die Regelung für die Berufsverbände für unzureichend halte. Obwohl das Bundesverfassungsgericht uns nachdrücklich aufgefordert hat, das eindeutig zu regeln, bleibt die Möglichkeit, Unternehmensspenden auf dem Umweg über einen Berufsverband, etwa über die Mittelstandsvereinigung der CDU, zu anonymisieren und wegen der unterschiedlichen Besteuerung der Körperschaft und des Berufsverbandes möglicherweise auch steuerlich geltend zu machen.
Beides widerspricht Art. 21 des Grundgesetzes.
— Also, lesen Sie einmal die Urteile des Bundesfinanzhofs! Der Bundesfinanzhof hat eindeutig erklärt, daß der Wirtschaftsrat der Union ein Berufsverband im Sinne des Steuerrechts ist.
Ich bitte, bei der Erklärung zur Abstimmung zu bleiben.
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Ich bin gleich fertig. — Nun wissen wir alle, daß das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Parteienfinanzierung in den letzten 40 Jahren mehrmals abrupt geändert hat; in diesem Zusammenhang von Schlangenlinien zu reden wäre höflich. Aber es ist nicht auszuschließen, daß das hohe Gericht nun bei seiner neuen Rechtsprechung bleibt. Wenn es das tut, ist die Gefahr nicht auszuschließen, daß der heute vorliegende Gesetzentwurf in Karlsruhe scheitert.
Unsere Oberen haben uns mahnend gesagt, sie hätten das alles so besprochen und vereinbart. Es ist natürlich schön, wenn unsere Oberen miteinander reden. Aber ich kann nicht sehen, daß Gespräche zwischen Parteivorsitzenden oder Parteischatzmeisterinnen die parlamentarische Beratung eines Gesetzentwurfs ersetzen.
Ich habe als Abgeordneter schon viele Kröten geschluckt. Aber ich will keinem Gesetz zustimmen, dessen verfassungsrechtliche Zweifel die parlamentarische Beratung nicht ausgeräumt hat. Diese Zweifel können meine Oberen mir nicht abnehmen.
Ich gebe diese Erklärung auch im Namen meiner Kollegen Norbert Gansel, Siegfried Vergin, Hermann Bachmaier, Arne Fuhrmann, Robert Antretter, Detlev von Larcher, Werner Schuster und Hans Martin Bury ab.
Ich teile mit: Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung haben zu Protokoll gegeben: die Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Horst Jungmann, Reinhold Hiller, Ulrike Mehl, Antje-Marie Steen, Eckart Kuhlwein, Lilo Blunck, Uwe Lambinus, Verena Wohlleben, Horst Kubatschka, Dr. Hans de With, Hans Büttner und Dorle Marx *).
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Parteiengesetzes, Drucksachen 12/5774 und 12/6090 Nr. 1.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/6139 vor, über den wir zuerst abstimmen.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlangt zu Nr. 1 Buchstabe a Doppelbuchstaben bb bis ff ihres Änderungsantrags getrennte Abstimmung. Wer stimmt für die genannten Punkte des Änderungsantrags? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Punkte sind mit großer Mehrheit bei zwei Enthaltungen abgelehnt.Wer stimmt für die übrigen Punkte des Änderungsantrags? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die*) Anlage 2 und 3übrigen Punkte sind mit großer Mehrheit bei drei Enthaltungen abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung — mit den Änderungen, die der Berichterstatter zu Art. 8 vorgetragen hat — zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen aus der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei mehreren Enthaltungen mehrheitlich angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen aus der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste und drei Enthaltungen mehrheitlich angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf der Drucksache 12/6090 empfiehlt der Innenausschuß, die Unterrichtung durch den Bundespräsidenten auf der Drucksache 12/4425 zur Kenntnis zu nehmen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen.Unter Nr. 3 empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 12/5777 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:— Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
— Drucksache 12/4756 —
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerd Poppe, Christina Schenk, Werner Schulz , weiteren Abgeordneten und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Fraktionen (Fraktionsfinanzierungsgesetz)— Drucksache 12/5788 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
— Drucksache 12/6067 —
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Präsidentin Dr. Rita SüssmuthBerichterstattung:Abgeordnete Joachim Hörster Dr. Uwe KüsterTorsten Wolfgramm
Zu dem interfraktionellen Gesetzentwurf liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Joachim Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend eine Änderung des Abgeordnetengesetzes, die wegen des Gegenstandes kurz als Fraktionsgesetz bezeichnet wird. Dieser Gesetzentwurf regelt in einem eigenen Abschnitt des Abgeordnetengesetzes die Rechtsstellung der Fraktionen des Deutschen Bundestages, wobei ich gleich, weil eine entsprechende Anmerkung mit Sicherheit kommen wird, darauf hinweisen will, daß das, was die Gruppen im Deutschen Bundestag betrifft, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ohnehin beachtet wird und insoweit nicht ausdrücklich erwähnt zu werden braucht.Der Gesetzentwurf begründet die Rechtsfähigkeit der Fraktionen sowie ihre Passiv- und Aktivlegitimation bei Rechtsstreitigkeiten ausdrücklich. Die Geld- und Sachleistungen an die Fraktionen aus dem Bundeshaushalt erhalten neben dem Haushaltsgesetz eine eigene selbständige Grundlage.Die sich aus anderen Gesetzen ergebenden Verpflichtungen bzw. die bereits geübte Praxis bei der Verwendung und Kontrolle der den Fraktionen zur Verfügung gestellten Mittel werden auf eine eigene gesetzliche Grundlage gestellt. Danach werden allgemein verbindliche Regeln durch den Ältestenrat für die Haushalts- und Wirtschaftsführung, die Buchführung und die Rechnungslegung erlassen.Die Rechnungslegung ist systematisch zu gliedern, so daß die Einnahmen und Ausgaben der Fraktionen auch untereinander vergleichbar bleiben.Darüber hinaus werden die Rechnungen der Fraktionen gesondert auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hin geprüft. Sie müssen zur Vorlage an den Präsidenten oder die Präsidentin des Deutschen Bundestages durch einen Abschlußprüfer testiert werden. Schließlich prüft der Bundesrechnungshof die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel. Auch das war bisher schon Übung im Deutschen Bundestag.Auf diese wesentlichen Strukturmerkmale hatte ich bereits bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs hingewiesen.Die Beratungen zum Fraktionsgesetz wurden ja, wie zur Zeit üblich und Mode, in der Öffentlichkeit mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und mißgünstigen Bemerkungen begleitet. Da war von Wachstumsraten wie im Schlaraffenland die Rede; es wurde behauptet, die Fraktionszuschüsse sollten künftig wie die Diäten steigen. Es wurde behauptet, daß Funktionszulagengleich in einem Aufwasch mit legalisiert werden sollten, als handele es sich um etwas Illegales, obwohl hierzu im Fraktionsgesetz gar nichts Neues steht.Dies dürfen wir so nicht stehenlassen. Wenn wir die Aufgaben, die in einem demokratischen Rechtsstaat zu erfüllen sind, meistern wollen, brauchen wir ein starkes und handlungsfähiges Parlament. Es darf nicht wieder so weit kommen, daß zahlreiche partikulare Interessen eine Willensbildung in entscheidenden Fragen verhindern. Ich möchte mich hier ausdrücklich an das anschließen, was Frau Kollegin Wettig-Danielmeier vorhin gesagt hat, als es um das Parteienfinanzierungsgesetz ging.Die Fraktionen im Deutschen Bundestag sind ein unverzichtbares Instrument, die politische und organisatorische Handlungsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten. Man kann nicht Politikverdrossenheit beklagen und zugleich verhindern wollen, daß die Parteien und auch die Fraktionen als diejenigen Organe anerkannt werden, die politische Strömungen aufgreifen, diskutieren, artikulieren und mehrheitsfähig machen.Wir haben in den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf einige Änderungen vorgenommen, um die gesetzgeberischen Ziele zu verdeutlichen oder Mißverständnisse bei der Auslegung des Gesetzes zu vermeiden. Hierzu gehört auch die Ausräumung des Mißverständnisses, Fraktionen seien Teil der Verwaltungsorganisation des Staates oder entsprechend den Behörden der Exekutive oder der Justiz zu behandeln. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sind zwar in die Staatsorganisation eingebunden, aber ausschließlich im Bereich der Parlamentsorganisation. Fraktionen sind dem Parlamentsrecht unterworfen. Sie sind selbständige politische Gliederungen und Rechtseinheiten des Bundestages.Daher gehört es zu ihren selbstverständlichen Aufgaben, die Öffentlichkeit über die Willensbildung innerhalb der Fraktionen und des Parlaments zu unterrichten, um das parlamentarische Geschehen durchschaubar zu gestalten, die Akzeptanz parlamentarischer Entscheidungen zu fördern oder die offengebliebenen Entscheidungsprobleme zu benennen. Es geht also gerade bei dieser Öffentlichkeitsarbeit um die Transparenz, die allenthalben für politische Entscheidungen eingefordert wird.Zu dieser Aufgabe gehört sowohl die Information der Fraktion und ihrer Gremien über die politischen Vorgaben und Leistungen der Fraktion selber wie auch die ihrer Mitglieder. Dazu gehört auch die Information der Fraktionsmitglieder an die Öffentlichkeit über ihre eigene Arbeit in der Fraktion oder über die Arbeit ihrer Fraktion und der zuständigen Fraktionsgremien.Daher sind für mich solche Vorwürfe wie „Wachstumsraten wie im Schlaraffenland" oder „ein Leben im Parteienspeck" völlig unverständlich, weil sie mit der Sache gar nichts zu tun haben und völlig am Inhalt dieses Fraktionsgesetzes vorbeigehen.Die Spitze der Kritik hat, wie nicht anders zu erwarten, wieder einmal ein Professor der Verwaltungshochschule in Speyer übernommen, dem ich in aller Klarheit und Deutlichkeit vorhalten muß, daß er
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Joachim Hörstervöllig unwissenschaftlich arbeitet und dieses Fraktionsgesetz noch nicht einmal gelesen hat;
denn das, was ich heute in der Presse an Äußerungen von ihm nachlesen kann, nämlich daß dadurch künftig eine Parteienfinanzierung stattfinde, daß mit Broschüren, Postwurfsendungen und Zeitungsanzeigen um die Gunst der Wähler geworben werden könne, und ähnliches mehr, ist weder mit der Praxis der Fraktionen noch mit dem vereinbar, was wir in der Begründung des Fraktionsgesetzes zum Ausdruck gebracht haben. Wir schreiben nichts anderes fest als die Übung, die bisher bestanden hat.
Herr Kollege Hörster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Gerne.
Herr Kollege Hörster, könnten Sie sich vorstellen, daß die regelmäßige öffentliche Kritik an jeglicher Art von gesetzlicher Regelung, die Parteien, Fraktionen oder Abgeordnete betrifft, vielleicht dadurch eingegrenzt werden könnte, daß sich das Parlament entschließt, gesetzlich festzulegen, daß als oberste Berufungsinstanz in allen solchen Fällen in Zukunft nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern ein im Gesetz namentlich zu benennender Sachverständiger eingesetzt wird?
Wir haben heute den 12. 11. Wenn dieser Sachverständige gemeint wäre, den ich eben angesprochen habe, möchte ich Ihrem Vorschlag nicht folgen. Ich bin der Auffassung, daß das Parlament in seiner eigenen Zuständigkeit die Dinge zu regeln hat, daß die Öffentlichkeit dies kritisch zu begleiten hat, daß sie auch zu kontrollieren hat, was wir machen, und daß wir uns der Kritik stellen müssen.
Aber es gehört nicht zu dem Verfahren einer ordnungsgemäßen und anständigen Kritik, einen Gesetzentwurf inhaltlich zu verdrehen und in sein Gegenteil umzukehren. Dies ist unsachlich und beschädigt im Grunde genommen eine sachliche Diskussion, die wir auf diesem Gebiet brauchen.
Wenn ich dann noch lese, daß die Bestellung dieses Professors zum Rektor einer Verwaltungshochschule von einer Rede begleitet war, in der darüber nachgedacht wird, wie man das Parteiensystem durch ein anderes ablösen kann, dann kann ich nur noch sagen: Wenn das die Intentionen sind, dann läßt Weimar grüßen. Und das wollen wir wahrlich nicht. Wir müssen uns diesen Kritiker etwas- genauer ansehen
und wir dürfen nicht mehr alles wohlfeil übernehmen und für ernst halten, was dort herauskommt. Denn die Wahrheit sieht ja wesentlich anders aus.
Die Leistungen an die Fraktionen im Bundeshaushalt wurden 1993 um ca. 10 % auf 99 Millionen DM gekürzt. Hierbei soll es auch 1994 bleiben. Offensichtlich will niemand in der Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, daß wir gerade die Leistungen auch an die Fraktionen in Anbetracht der allgemeinen Sparsamkeitserfordernisse zurückgefahren und hier keine Ausnahme gemacht haben.
Wenn ich die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit meiner Fraktion betrachte, dann muß ich feststellen, daß von den Gesamtausgaben der Fraktion im Jahre 1993 nur knapp 5 % für die Öffentlichkeitsarbeit verwendet worden ist. Alle anderen Ausgaben entfielen auf Sach- und Personalkosten, um die Parlamentsarbeit ordentlich vorzubereiten.
Wer unter diesem Gesichtspunkt dieses Fraktionsgesetz kritisiert und es vorwiegend unter dem Gesichtspunkt angreift, als handle es sich hier um eine verdeckte Parteienfinanzierung, der hat Ziel, Zweck und Inhalt dieses Fraktionsgesetzes nicht begriffen,
und der sollte sich nicht mit wissenschaftlichen Ansprüchen schmücken; denn wer wissenschaftlich tätig sein soll, fängt mit der Analyse eines Sachverhaltes an, und dann beurteilt er das, was er vorgefunden hat.
Wir werden in Zukunft in sehr viel intensiverer und deutlicherer Weise die Öffentlichkeit noch über das unterrichten, was die Fraktionen machen. Ich hoffe, daß das dann auch allseits zur Kenntnis genommen wird und daß nicht nur partielle Wahrnehmungen stattfinden, d. h. auf der einen Seite eventuelle Ausgaben vorgehalten werden, auf der anderen Seite aber dann die dafür erbrachten Leistungen, Überlegungen, Studien unter den Tisch fallen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden diesem Fraktionsgesetz zustimmen. Wir halten es für ein gelungenes Gesetz, das sich in das Abgeordnetenrecht einfügt und dafür sorgt, daß auch die wichtige Gliederung der Abgeordneten im Parlament, nämlich die Fraktionen, auf eine eigenständige, in sich geschlossene rechtliche Grundlage gestellt werden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und dafür, daß man die Uhr freundlicherweise bei mir angehalten hat. Ich hoffe, in der Redezeit geblieben zu sein.
Sie sind weit daruntergeblieben. Als nächster spricht der Kollege Dr. Uwe Küster.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zur Abstimmung vorliegende Entwurf eines Fraktionsgesetzes verdankt seine Entstehung zum einen Teil der Tatsache, daß die Rechtsstellung der Fraktionen in wesentlichen Bereichen derzeit nicht geregelt ist. Der Gesetzentwurf soll hier für die notwendigen Klarstellungen sorgen.
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Dr. Uwe KüsterZum anderen werden die Finanzierung der Fraktionen und in diesem Zusammenhang vor allem die Kontrolle der Finanzmittel auf eine transparentere Grundlage gestellt, als es bisher der Fall war. Ich halte diesen Aspekt für besonders wichtig, weil Politiker und politische Institutionen gerade hier im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen.Lassen Sie mich zu diesen Schwerpunkten des Fraktionsgesetzes einige Anmerkungen machen.Obwohl die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages detaillierte Regelungen über die Bildung von Fraktionen, ihre parlamentarischen Rechte und die Wahrnehmung ihrer Aufgaben enthält, ist ihre Rechtsstellung teilweise ungeklärt.Dieser nur scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, daß die Geschäftsordnung ein reines parlamentarisches Binnenrecht ist und damit keine Vorschriften enthalten kann, die das Außenverhältnis der Fraktionen betreffen. Deshalb gibt es auch in der Geschäftsordnung keine Regelungen, die die Rechte und Befugnisse der Fraktionen zur Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr sowie ihre Aktiv- und Passivlegitimation im Gerichtsverfahren betreffen.Das Fraktionsgesetz definiert in § 46 die Fraktionen als rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die klagen und verklagt werden können. Dadurch sind sie juristischen Personen gleichgestellt. Damit werden auch Zweifel an der Parteifähigkeit in bezug auf zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Streitfälle beseitigt.Ich bin dem Kollegen Hörster für den Hinweis dankbar, den ich hier auch gern vortragen möchte. Es geht um die Klarstellung, daß die Fraktionen nicht Teil der öffentlichen Verwaltung sind. Das heißt, sie können auch nicht nach den dort anwendbaren Maßstäben beurteilt werden. Daraus folgt unmittelbar, daß ihre Entscheidungen und Beschlüsse auch nicht vor Verwaltungsgerichten angefochten werden können und daß sie keine öffentliche Gewalt ausüben.Fraktionen sind selbständige politische Gliederungen des Bundestages, die keine Entscheidung für das gesamte Parlament oder gar etwa für den Staat treffen können. Deshalb sind sie keinesfalls wie Behörden der Justiz oder der Exekutive zu behandeln, sondern sie haben eben diese gesonderte Rechtsstellung.Die Aufgaben der Fraktionen werden in § 47 geregelt: Sie wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Deutschen Bundestages mit. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Fraktionen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens sind und als ständige Gliederungen des Parlaments dessen Handlungsfähigkeit sicherstellen.Daraus ergibt sich aber auch, daß die bisherige Finanzierungspraxis für die Fraktionen aus staatlichen Mitteln zulässig und rechtmäßig ist, weil die Fraktionen Aufgaben wahrnehmen — ich will hier nur die Zusammenarbeit mit anderen Parlamenten des In-und Auslandes oder das Herbeiführen von parlamentarischen Entscheidungen erwähnen —, die dem gesamtstaatlichen Interesse dienen und nicht ausschließlich Ausdruck von Partikularinteressen sind.Meine Damen und Herren, damit bin ich bei dem Komplex, der die Finanzierung der Fraktionen und die Kontrolle der Finanzmittel betrifft. Wir haben bei der Beratung des Fraktionsgesetzes gerade auf diesen Bereich besondere Sorgfalt verwandt. Ausdrücklich wird in dem Gesetzentwurf festgehalten, daß die Geld- und Sachleistungen, die die Fraktionen aus dem Bundeshaushalt erhalten, nur für Aufgaben aufgewandt werden dürfen, die sich aus dem Grundgesetz, diesem Gesetz und aus der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ergeben.Ich sage es ganz deutlich: Eine Verwendung für Parteiaufgaben ist unzulässig. Damit ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dieses Gesetz eingegangen. Unserer Ansicht nach ist der § 50 Abs. 4 ein zentraler Punkt dieses Gesetzes. Der Vorwurf eines Verfassungswissenschaftlers aus Speyer geht ins Leere.
Die Diskussionen, die in letzter Zeit unter dem Stichwort „verdeckte Parteienfinanzierung" laufen, dürfen nicht im Zusammenhang mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages geführt werden. Diese Klarstellung ist uns besonders wichtig. Auch der Vorwurf, der gestern erhoben wurde und heute in den Zeitungen steht, die Finanzierung sei wie im Schlaraffenland, geht ins Leere. Im Gegenteil, die Finanzierung der Fraktionen ist an die allgemeine Einkommensentwicklung angekoppelt. Das halte ich für sehr wichtig.Das gilt auch für andere Regelungen, die sich mit der Rechnungslegung befassen. Die Fraktionen müssen über die Verwendung der Mittel jährlich öffentlich Rechenschaft geben, und zwar in sehr detaillierter Form. Auf der Ausgabenseite sind die Leistungen für besondere Funktionsträger, die Personalaufwendungen, Veranstaltungskosten sowie die Kosten für den laufenden Geschäftsbetrieb aufzulisten.Was ich für wichtig halte, ist: Erfolgt die Rechnungslegung nicht termingerecht, werden die Gelder für das kommende Jahr zurückbehalten, Diese jährliche Gesamtrechnung muß von einem im Benehmen mit dem Bundesrechnungshof bestellten unabhängigen Wirtschaftsprüfer testiert werden. Selbstverständlich steht dem Bundesrechnungshof das Recht zu, die Rechnung und die den Fraktionen zustehenden Mittel auf ihre wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung zu prüfen, und zwar bei allen Fraktionen nach den gleichen Maßstäben. Dieses Prüfungsrecht kollidiert mit der Freiheit des Abgeordnetenmandats. Wegen des höheren Verfassungsrangs des freien Abgeordnetenmandats, das selbstverständlich auch für den freiwilligen Zusammenschluß zu einer Fraktion gilt, bedeutet das allerdings, daß die politische Erforderlichkeit einer Maßnahme nicht Gegenstand einer Prüfung sein kann. Es muß ein prüfungsfreier Bereich verbleiben, der sich darauf bezieht, ob die Fraktion eine im Rahmen des Fraktionsgesetzes zulässige Maßnahme für im Einzelfall erforderlich hält oder nicht. Konkret bedeutet das: Es steht einer Fraktion und ihren Mitgliedern frei, im Rahmen ihrer Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit z. B. eine
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Dr. Uwe KüsterBroschüre herauszugeben oder eine Veranstaltung durchzuführen.Das heißt nun nicht, wie der eben schon zitierte Verwaltungswissenschaftler, der in diesem Zusammenhang heute — ich finde, unverdientermaßen — zu großen Ehren kommt, meint, daß wir, die Abgeordneten, über die Fraktionen persönliche Mittel zur Eigenwerbung bekommen könnten. Das weise ich ganz entschieden zurück. Das wird keine Fraktion zulassen. Auch wird sich das in der öffentlichen Rechnung nachprüfen lassen. Die Tatsache an sich, die ich gerade genannt habe, die Informationspflicht, kann also nicht Gegenstand einer Prüfung sein, sondern das Gebot der Sparsamkeit bei der Ausfüllung dieser Verpflichtung.Meine Damen und Herren, das Fraktionsgesetz schafft Rechtssicherheit für die Fraktionen und erfüllt das Gebot der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Insofern ist es ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zur bisherigen Praxis.Meine Fraktion wird diesem Gesetz zustimmen. Ich begrüße dieses Gesetz.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht Kollege Torsten Wolfgramm.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir gießen in Gesetz, was wir schon seit langer Zeit, allerdings mit unterschiedlichen Akzenten, praktizieren. Es wird jetzt vereinheitlicht und wird dadurch der Öffentlichkeit besser vorgestellt werden können. Es wird wie auch bisher vom Bundesrechnungshof kontrolliert. Aber jetzt wird nach Gesetzen kontrolliert.Zur Frage der Öffentlichkeitsarbeit, die gestern in den Berichten der Medien über unser Gesetz eine gewisse Rolle gespielt hat, möchte ich aus der Rede des Landtagspräsidenten Starzacher vom Hessischen Landtag in der 62. Sitzung am 31. März dieses Jahres zitieren. Er sagt:Zuletzt möchte ich noch erwähnen, daß an der Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen als Ergebnis der Anhörung— sie haben dort eine sehr intensive Anhörung veranstaltet —keine Zweifel mehr bestehen können.Er zitiert dann Dr. Kretschmer vom Deutschen Bundestag, der gesagt hat:Ich halte die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen für den eigentlich mitwirkenden Teil im Bereich der Politik, den Fraktionen überhaupt auf sich zu nehmen haben.Ich möchte eine Anmerkung auch zu dem machen, was bei der Einbringung des Gesetzes beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Rolle gespielt hat. Sie haben eine grundsätzliche Regelung zur Stellung der Gruppen gefordert. Wir haben in unserem heutigenBericht — Sie werden das nachlesen können — drei Gründe angeführt, warum eine grundsätzliche Regelung nicht der Fall sein kann und sollte. Zunächst ist es der Ausnahmecharakter dieser innerparlamentarischen Gruppierungen, die sich je nach dem ergeben oder nicht ergeben. Es gibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1991 auch keinen allgemeinen Regelbedarf mehr. Auf einen gesonderten Beschluß des Bundestages jeweils zu Beginn oder auch während der Legislaturperiode, wenn sich solche Gruppen bilden, kann sowieso nicht verzichtet werden.Im übrigen bin ich ein wenig erstaunt, daß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben, es nicht einmal der Mühe für wert befunden haben, im Haushaltsausschuß bei der Beratung anwesend zu sein. Das ist eine gewisse, sagen wir einmal: Desavouierung des eigenen Entwurfs. Ich bin gespannt, was der Vertreter der GRÜNEN nachher dazu sagen wird.Ich möchte eine Anmerkung zu den wenig kenntnisreichen Bemerkungen eines vermeintlich Kundigen zu diesem Gesetz vom gestrigen Tage machen; jedenfalls habe ich sie zu beklagen.Mir ist dabei eingefallen, daß es im „Rollwagenbüchlein", das ja die eine oder andere bemerkenswerte Geschichte aus dem Mittelalter für Interessierte bereithält, eine Geschichte über Quacksalber gibt. Da heißt es:Ein Quacksalber, wie es deren viele gibt, wollte einem Hufschmied vom Fieber helfen. Es wurde aber täglich schlimmer, so daß der Mann ganz von Kräften kam. Da fiel dem Kranken ein, er wolle einmal wieder nach Herzenslust Sauerkraut essen. Und er aß, und wurde ihm besser. Als dies der Quacksalber erfuhr, schüttelte er den Kopf, mußte es aber doch gut sein lassen; und er trug in sein Arzneibuch ein, wie er denn zu tun pflegte, und schrieb: „Sauerkraut gut für's Fieber. " Nicht lange darauf geschah, daß ein Schneider das Fieber bekam. Dem verordnete der Quacksalber sogleich Sauerkraut. Und der Schneider starb. Der Quacksalber schüttelte den Kopf, mußte den Schneider aber doch tot sein lassen. Und er schrieb in sein Rezeptenbuch: „Sauerkraut gut für Hufschmiede, aber nicht für Schneider."
Das sollten auch die beherzigen, die fast ein Lebenswerk daraus machen, kritisch und, wie gesagt, oft unsachlich die finanziellen Situationen des Bundestages „wissenschaftlich" zu begleiten.
— Das überlasse ich denen, die die Sache nachher nachlesen werden. Die Überschrift jedenfalls gibt, glaube ich, schon Möglichkeit zur Interpretation.
— Ich habe den Zwischenruf von Ihnen, Herr KollegeUllmann, soeben nicht verstanden. Aber es handeltsich hierbei ganz augenscheinlich um einen Reflex;
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Torsten Wolfgramm
denn in den „Stilblüten aus der Schule" wird ein Reflex etwa so beschrieben: Ein Reflex ist, wenn mir Hans Herbert „ohne Bindestrich" vor's Schienbein tritt, und Torsten ohne „h" haut ihn dann auf die Nase.
Als nächste spricht die Kollegin Andrea Lederer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen ebenfalls, daß in einem Fraktionsgesetz im Rahmen des Abgeordnetengesetzes die Angelegenheiten der Fraktionen geregelt und auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden. Ich denke auch, daß eine solche Regelung längst überfällig war.
Ich will aber auf zwei Änderungsanträge hinweisen, die wir eingereicht haben. Zum einen beantragen wir, die Ausstattungen der Fraktionen mit Geld- und Sachleistungen in einem eigenständigen, vom Haushaltsgesetz unabhängigen Fraktionsausstattungsgesetz zu regeln, weil bei aller Kritik an dem vielfach erwähnten Herrn, der sich in der Presse geäußert hat, dennoch ein Punkt, finde ich, nachvollziehbar ist, nämlich daß in einem pauschalen Haushaltstitel natürlich nicht in der Weise im Detail Regelungen getroffen werden können, wie das in einem eigenständigen Ausstattungsgesetz der Fall wäre.
Der andere Änderungsantrag, der mir allerdings noch wichtiger ist, betrifft die Frage der Voraussetzungen zur Fraktionsbildung. Dazu haben sich eigentlich die Fraktionen, die eben schon Fraktionen sind, einfach nicht geäußert. Sie ignorieren schlicht, daß es hier einen unterschiedlichen Status zwischen Gruppen und Fraktionen gibt.
Deshalb bin ich der Meinung, daß das absolut in ein Fraktionsgesetz gehört, nämlich mit einer wesentlich größeren legitimatorischen Wirkung, als das im Rahmen der Geschäftsordnung des Bundestages möglich ist.
Wir verlangen auch eine Änderung der Voraussetzungen im Vergleich zur bisherigen Regelung. Wir fordern nämlich, daß in der nächsten Legislaturperiode die Fraktionsbildung grundsätzlich den Abgeordneten ermöglicht wird, die durch ein und dieselbe Partei entsandt werden. Das ist logisch. In der Regel vertreten diese bestimmte gemeinsame politische Auffassungen, und es spricht überhaupt nichts dagegen, diesen auch den Fraktionsstatus zuzubilligen.
Wir fordern weiterhin, daß Abgeordneten dann eine Fraktionsbildung ermöglicht wird, wenn sie 5 % der Abgeordneten ausmachen, d. h. im Grunde genommen eine Fraktionsstärke haben und auf Grund politischer Übereinstimmung dies wollen. Darüber hinaus soll Fraktionsbildung ermöglicht werden, wenn der Bundestag zustimmt.
Ich denke, die Erfahrungen in dieser Legislaturperiode haben bewiesen, daß das so oft vorgetragene Argument, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments werde durch die vielen kleinen Gruppen etc. beeinträchtigt,
absolut widerlegt ist. Im Gegenteil würde ich behaupten wollen, daß die Anwesenheit der beiden Gruppen in diesem Parlament auch ganz erheblich zur Lebendigkeit der Debatte und zur demokratischen Auseinandersetzung beigetragen hat.
— Gerade Ihnen, Herr Wiefelspütz, darf ich das noch einmal ganz deutlich ans Herz legen.
Ich denke deshalb, daß es ganz selbstverständlich entsprechend der Regelung im Bundeswahlgesetz ermöglicht werden muß, daß eine Partei entweder durch Überschreitung der Fünfprozentklausel oder aber durch Erzielung dreier Direktmandate einziehen kann und diesen Abgeordneten dann der Fraktionsstatus zuzubilligen ist.
Gleichbehandlung und Minderheitenschutz sind wichtige Prinzipien im parlamentarischen Prozeß. Ringen Sie sich deshalb durch, diesem Änderungsantrag zuzustimmen. Er ist einfach logisch, er ist zwingend, und er ist vor allem wesentlich demokratischer als das, was bislang geregelt ist.
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht um keine pauschale Parteienkritik — wir sind ja selbst eine Partei —, aber es gibt zumindest gute Gründe für eine kritische Bestandsaufnahme und Inventur. Obwohl das Gespenst derer von Armin über dieser Debatte schwebt, sind in knapp eineinhalb Stunden mittels der Gesetzentwürfe zur Fraktionsfinanzierung und zur Parteienfinanzierung rund 500 Millionen DM über das Pult des Hohen Hauses geflossen.
Unbelehrbarkeit in Sachen Geld kennt offenbar keine Grenzen.Endlich, nach 40 Jahren Geldfluß ohne gesetzliche Regelung, wird ein Fraktionsfinanzierungsgesetz verabschiedet, aber welch trauriges Gesetz: Es geht einzig und allein um die Rettung des Status quo, also klassische Besitzstandswahrung.
Auf das 32fache des Ausgangsbetrages von 1966 sind die staatlichen Zuwendungen an die Fraktionen gestiegen und übersteigen damit weit die Zahlungen an die politischen Parteien. In Bund und Ländern sind allein 1992 231 Millionen DM geflossen, wodurch also
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16420 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Werner Schulz
die absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung übertroffen worden ist.
Die Senkung der Fraktionszuschüsse im Jahre 1993 auf 99 Millionen DM ist daher auf längere Sicht ein geeigneter Ansatz. Selbstbeschränkung bei Entscheidungen in eigener Sache ist angesagt. Ein Fraktionsfinanzierungsgesetz muß deshalb erstens die Aufgaben der Fraktion klar umschreiben, zweitens Maßstäbe und Höhe der jährlichen Leistungen an die Fraktion exakt und auch für die Bürgerinnen und Bürger durchschaubar festlegen, also für Transparenz sorgen, und schließlich drittens eine öffentliche Rechnungslegung der Verwendung der Fraktionsgelder verwirklichen. Dies ist um so notwendiger, als der Geldbedarf der Fraktionen und Parteien in Richtung Unendlich tendiert, also immer unbefriedigt bleibt, wie wir sehen.
Dringlich wird eine transparente und sparsame Regelung deshalb, weil Regierungskoalition und SPD noch immer glauben, die sich häufenden Signale der Wählerinnen und Wähler ignorieren zu können. Aber Hamburg ist kein Einzelfall, sondern nur der Beginn einer neuen Protestbewegung, die sich gegen Ämterpatronage, Parteienfilz und Parteienselbstbedienung wendet
und dafür sorgen wird — ich prophezeie Ihnen das jedenfalls —, daß sich die Parteien demokratisieren müssen. Finanzfragen lassen sich hiervon nicht abtrennen, sondern sind ein wichtiger Bestandteil dieser notwendigen Demokratisierung.
Herr Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgramm?
Ja.
Herr Kollege Schulz, es würde mich doch interessieren — ich hatte das gerade in meiner Rede schon angemerkt —: Sie üben hier Kritik an diesen Dingen und machen Gegenvorschläge. Warum haben Sie die Beratung im Haushaltsausschuß nicht genutzt? Niemand von Ihnen war bei der Beratung Ihres eigenen Gesetzentwurfes anwesend?
Sie haben natürlich vollkommen recht. Ich würde diese Kritik auch entgegennehmen und akzeptieren. Ich muß das immer wieder sagen und will das auch in diesem Falle, weil Sie das sehr sachlich vorgetragen haben — mich hat dieses Argument schon auf sehr polemische Art und Weise erreicht —: Es ist natürlich für eine kleine Gruppe wie unsere, für
acht Abgeordnete, außerordentlich schwierig, in 25 Ausschüssen und zusätzlichen Kommissionen des Deutschen Bundestages selbst die eigenen Vorlagen zeitgerecht abzupassen. Der Haushaltsausschuß — Sie kennen das ja aus eigener Erfahrung, nehme ich einmal an — ist ein Ausschuß, der von früh morgens bis spät in die Nacht tagt, wobei die Tagesordnungspunkte hin und her verschoben werden.
Wir schaffen es nicht, unseren eigenen Entwurf oder Antrag, selbst wenn wir uns darauf konzentrieren, dort zu behandeln, weil wir von Ausschuß zu Ausschuß springen müssen. Es tut mir furchtbar leid, daß wir die Möglichkeit dort nicht wahrgenommen haben. Diese Kritik ist berechtigt, und ich nehme sie hier auch entgegen.
Wir glauben, daß der von uns vorgelegte Fraktionsfinanzierungsgesetzentwurf hierzu beiträgt. Die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission ernst nehmen bedeutet Kürzung und Einfrierung der Fraktionsfinanzierung.
Wir sind diesen Weg gegangen und schlagen vor, die Fraktionsfinanzierung mit einem gekürzten Volumen von 89 Millionen DM bis zum Jahre 2000 zu kappen. Wir treten weiter dafür ein, daß Art und Höhe der Zuwendungen an die Fraktionen genau aufgeschlüsselt und festgelegt werden sowie durch eine unabhängige Sachverständigenkommission begleitet werden, die allerdings dem Parlament die Entscheidungen nicht annehmen kann.
Herr Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Küster?
Herr Schulz, können Sie empfehlen, daß jedes Mitglied der großen Fraktionen und der F.D.P. pro Kopf genausoviel bekommen sollte, wie Sie im Durchschnitt pro Gruppenmitglied erhalten?
Sie wissen natürlich, daß diese Rechnung so nicht aufgeht.
— So einfach sind nicht alle Fragen zu beantworten.
Sie werden mir hier doch keine Suggestivfragen stellen wollen. Noch habe ich, glaube ich, das Recht, etwas umfangreicher darauf zu antworten, als Ihnen das offenbar beliebt, wenn Sie mich in die Ecke drängen wollen.Sie wissen natürlich ganz genau, daß man für die Fraktionsarbeit eine Grundausstattung braucht, die überhaupt nicht von der Anzahl der Abgeordneten abhängig ist. Die Arbeit, die beispielsweise von der F.D.P.-Fraktion und von der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Bundestag zu leisten ist, ist vom
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16421
Werner Schulz
Umfang, vom Volumen und vom Finanzbedarf in etwa vergleichbar.
— Natürlich, das hängt überhaupt nicht mit der Zahl der Abgeordneten zusammen, weil man die gesamte Infrastruktur, die man für eine solche Gruppe braucht, ebenfalls bezahlen muß. Insofern greift Ihre Frage ein bißchen zu kurz. Ich beantworte das in dieser Weise.
— Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Hörster.
Jetzt ist aber noch Herr Küster an der Reihe.
Ja.
Herr Schulz, darf ich daraus schlußfolgern, daß Sie nicht bereit sind, so viel, wie im Durchschnitt jedes andere Mitglied des Deutschen Bundestages in seiner Fraktion erhält, entgegenzunehmen, sondern daß Sie das behalten wollen, was Sie im Augenblick haben?
— Nämlich mehr.
Wir haben diesen Vorschlag gar nicht gemacht, Herr Küster.
Dieser Vorschlag stammt von der Mehrheit des Hauses für die Gruppen.
Es ist die Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus Karlsruhe. Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Das ist Ihr eigener Vorschlag, den Sie hier vorgetragen haben.
Sie können meine Rede von damals nachlesen, was wir dazu gesagt haben, wie wir das damals eingeschätzt haben.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Fraktionsgesetzes, Drucksachen 12/4756 und 12/6067 in Nr. 1.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für Drucksache 12/6149? — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste abgelehnt.
Wer stimmt für Drucksache 12/6150? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich?
— Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mehrheitlich gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste bei einer Enthaltung angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste bei einer Enthaltung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6067 empfiehlt der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/5788 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Abgeordnetenbestechung— Drucksache 12/5927 —
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes —Abgeordnetenbestechung— Drucksache 12/1630 —
Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung
— Drucksache 12/1739 —
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16422 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthBeschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/6092 —Berichterstattung: Abgeordnete Jörg van EssenDr. Hedda Meseke Dr. Hans de WithNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als 1871 unser noch heute gültiges Strafgesetzbuch in Kraft trat, war die Bestechung eines Abgeordneten und dessen Bestechlichkeit nach dem damals geltenden § 109 mit Strafe bedroht. Jene Vorschrift umfaßte aber das Kaufen oder Verkaufen einer Wahlstimme schlechthin in einer öffentlichen Angelegenheit. Darunter fiel also auch z. B. der Stimmenkauf einer Person, die zum Reichstag wählen ging.
Im Verlauf der Beratungen zum Dritten Straf rechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 setzte sich aus guten Gründen die Auffassung durch, daß der Komplex der Abgeordnetenbestechung einer besonderen Regelung bedürfe. Der Gesetzgeber sah sich damals jedoch nicht in der Lage, eine entsprechend sichere und griffige Formulierung zu verabschieden.
Obwohl aus eigentlich allen Reihen des Parlaments Vorstöße unternommen wurden, diese, wie ich meine, peinliche Lücke zu schließen, blieb es bis heute, also während eines Zeitraumes von 40 Jahren, bei der Straflosigkeit der Abgeordnetenbestechung und der Bestechlichkeit des Abgeordneten. Diese Lücke betrifft nicht nur die Bundestagsabgeordneten, sondern auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, der Landtage und die gewählten Mitglieder kommunaler Körperschaften, unter die auch die Bezirksräte in Bayern und die gewählten Mitglieder der Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen zu zählen sind.
Natürlich hat es auch bei der Anhörung im Rechtsausschuß eine ganze Reihe von Stimmen gegeben, die meinten, diese Materie sei im Grunde nicht zufriedenstellend zu regeln: entweder wäre der Straftatbestand zu eng gefaßt — dann bringe er nichts —, oder aber eine zu weite Fassung lähme die Arbeit des Abgeordneten, dessen beinahe unbegrenzter Arbeitsbereich mit dem eines Beamten mit dessen gesetzlich festen Vorgaben nicht zu vergleichen sei.
Dem steht entgegen, daß die Strafwürdigkeit der Bestechung und der Bestechlichkeit des Abgeordneten im Grunde unbestritten ist. Auch steht dem entgegen, daß der Minister, fast immer Parlamentarier und der Parlamentarische Staatssekretär notwendigerweise immer ein Parlamentarier, den Beamtenvorschriften schon den geltenden Bestechungsvorschriften nach unterliegen, deswegen unter die Bestechungsvorschriften fallen — eine Tatsache, die wenig bekannt ist, die aber jedermann in jedem Kommentar nachlesen kann.
Ferner steht dem entgegen, daß in vielen vergleichbaren ausländischen Rechtsordnungen entsprechende Strafbestimmungen für Abgeordnete bestehen, nach dem englischen Parlamentsrecht bereits seit dem 17. Jahrhundert.
Vor allem aber steht dem entgegen, so meine ich wenigstens, daß die Annahme von Vermögensvorteilen für eine bestimmte Stimmabgabe nicht nur einen Verstoß gegen parlamentsinterne Regeln darstellt, sondern eine Manipulation des politischen Entscheidungsprozesses, die an den Grundsätzen unseres demokratischen Systems nagt. Deswegen ist es hohe Zeit, daß diese eigentlich unverständliche Lücke jetzt endlich geschlossen wird. Deswegen danke ich den Vertretern von CDU/CSU und F.D.P., daß sie sich unserer Initiative angeschlossen haben und es damit hier zu einem gemeinsamen Antrag kommt, wiewohl ich nicht verhehle, daß unsere Freunde aus den anderen Parteien dazu sehr lange gebraucht haben und die zurückhaltende Meinung des Bundesministeriums der Justiz sicher dazu beigetragen hat. Aber ich stelle mit Genugtuung fest: Jetzt sind wir in der Tat alle in einem Boot.
Die neue Gesetzesvorschrift bestraft den Stimmenkauf gegenüber allen Mandatsträgern, von den kommunalen bis zu den europäischen. Kaufen bedeutet aber nicht nur die Hingabe von Geld. Es reichen sonstige Vorteile, wie z. B. auch das Schenken einer Reise.
Natürlich wissen wir, daß dieser eher eng gefaßte Straftatbestand, der die aktive und passive Bestechung mit Strafe bedroht, und zwar schon im Vorfeld, der Unterfütterung durch den Ausbau der Verhaltensregeln für Abgeordnete bedarf.
Der mitberatende Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — der Vorsitzende sitzt hier in der ersten Reihe — hat deshalb aus gutem Grund bereits beschlossen, dem Bundestag schon demnächst die hierzu erforderlichen Ergänzungen vorzuschlagen.
Es hat auch Meinungen gegeben, die besagen, daß eine solche Vorschrift die ohnehin nicht im günstigsten Licht stehenden Abgeordneten zusätzlich belaste, etwa weil damit der Eindruck entstehen könnte, die Mandatsträger seien schlechthin bestechlich. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Solche nie auszuschließenden Handlungen nicht unter Strafe stellen zu wollen bedeutet Schaden als eine nicht zu verantwortende Privilegierung. Deswegen wäre ich dankbar, wenn das vorliegende Gesetz mit breitester Mehrheit, vielleicht sogar einstimmig, angenommen werden könnte, um endlich dieses leidige Kapitel zu schließen.
Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, als nächste Rednerin hat unsere Frau Kollegin Dr. Hedda Meseke das Wort.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16423
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Abgeordnetenbestechung, das in den Drucksachen schlicht „Strafrechtsänderungsgesetz" heißt. Dieses Gesetz hat eine lange Vorgeschichte, und auch ich kann leider auf einen Rückblick nicht ganz verzichten, da ich meine, daß er zum Verständnis der heutigen Situation notwendig ist.Jedenfalls war der Inhalt des § 9 des Strafgesetzbuchs in der alten Fassung des Reichsstrafgesetzbuchs umstritten und wurde 1953 auch deswegen dahin gehend klargestellt, daß nur noch der Stimmenkauf eines Wahlberechtigten strafbar sein sollte. Man ging jedoch dabei davon aus, daß die vielschichtige Problematik der Abgeordnetenbestechung in einem neuen Straftatbestand erfaßt werden sollte.In der Folgezeit gab es mehrere Initiativen, die Abgeordnetenbestechung strafgesetzlich neu zu regeln. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß sich die Große Strafrechtskommission Anfang der 60er Jahre mit der Problematik befaßt hat. Ihr Vorschlag lautete damals:Wer es unternimmt, für eine Abstimmung eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Strafhaft bestraft.Diese Vorschrift sollte Anwendung auf Wahlen und Abstimmungen in Parlamenten finden.Weder in der 4. noch in der 5. Wahlperiode konnte der vorgesehene Tatbestand der Abgeordnetenbestechung aus Zeitgründen abschließend beraten werden. Auch in der 7. Wahlperiode lag ein Gesetzentwurf zur Abgeordnetenbestechung vor, der ebenfalls nicht abschließend beraten werden konnte.Heute befinden wir uns nun in der zweiten und dritten Beratung eines Entwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/5927 und eines Entwurfes der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1630. Herr Kollege de With, es ist ja sichtbar, daß Ihrer der ältere ist. Wir haben es nach den Beratungen, die wir hatten, nicht nötig, den einen oder den anderen in den Vordergrund zu rücken. Ich bin sehr dankbar dafür, daß wir uns gemeinsam auf diese Lösung verständigt haben.
Wir sehen außerdem, wenn Sie die Texte miteinander vergleichen, daß wir gemeinsam im wesentlichen auf den Vorschlag der Großen Strafrechtskommission zurückgekommen sind, mit kleinen Änderungen. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, daß der Strafrahmen, der jetzt vorgesehen ist, aus gutem Grund höher ist als der, der damals vorgeschlagen war.
— Manchmal können langsame Dinge auch gut werden, Frau Kollegin, aber nur manchmal. Manchmal dauern Dinge auch zu lange.Ich kann hier für meine Fraktion ausdrücklich feststellen, daß es unser erklärter Wille ist, endlich diese Lücke im Gesetz zu schließen. Wir wollen, daßVertreter des Volkes auf allen demokratischen Ebenen bestraft und ihnen Ehrenrechte aberkannt werden, wenn sie ihre Entscheidung nicht nach bestem Wissen und Gewissen treffen, sondern ihre Stimme verkaufen. Das wollen wir, wie gesagt, auch für unsere Repräsentanten im Europäischen Parlament.Für Abgeordnete ist bisher weder die aktive noch die passive Bestechung im Zusammenhang mit der Abgabe der Stimme im Parlament unter Strafe gestellt. Dennoch sind die Bestechung und Bestechlichkeit beim Stimmenkauf aus meiner Sicht ein Unrecht, das strafwürdig ist.Ich bin überzeugt, daß Mitglieder dieses Hohen Hauses vor dem Gesetz in dieser Frage keine Sonderstellung haben dürfen und dies auch nicht wollen. Wir sind als Mitglieder dieses Hauses Vertreter des ganzen Volkes, von dem wir gewählt sind, und wollen uns der Strafbarkeit nicht entziehen.Die Schließung der Gesetzeslücke ist aber nicht deswegen erforderlich geworden, weil wir etwa ein Gremium bestechlicher Volksvertreter wären. Mitnichten. Fälle von nachgewiesener Bestechlichkeit von Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses sind zahlenmäßig wahrlich gering, wie es auch die unabhängigen Sachverständigen anläßlich der Anhörung übereinstimmend bestätigt haben. Wenn wir genau hinsehen, dann ist es allenfalls einer. Aber ich sage hier ganz deutlich: auch einer ist zuviel.Ich meine, es ist gut so, daß wir diese Lösung anstreben. Das beweist auch gleichzeitig die Integrität der Mitglieder dieses Hauses.Warum stellen wir dann Stimmenkauf und -verkauf unter Strafe? So wird man uns von seiten der Gegner fragen. Ist es aus Gründen der Kosmetik für den Bürger also Populismus, wenn wir das Strafrecht ändern? Ich bin sicher, daß es bei der Diskussion über dieses Gesetz auch Leute geben wird, die uns dieses vorwerfen werden und denen der Straftatbestand zu eng ist. Aber ich denke, das entspricht dem Zeitgeist, und wir müssen mit diesen Vorwürfen leben.Ich denke aber, daß es eindeutig nicht einzusehen ist, daß jemand straffrei bleibt, der seine Stimme bei einer Abstimmung um eines materiellen Vorteils willen abgibt und damit quasi seine geistige Grundhaltung, das Vertrauen der Wähler, aber auch das Vertrauen seiner Kollegen in ihn verkauft.Die Gefahr, daß wir uns gegen unlautere Kolleginnen und Kollegen schützen müssen, die sich in die Hände von Stimmenkäufern begeben, wo sie auch immer herkommen mögen, ist allerdings Gott sei Dank mehr als gering. Aber ich denke, das ist auch gut so und sollte nicht zum Vorwurf gegen das Gesetz benutzt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, daß sich die Sachverständigen in der Anhörung durchaus uneins in der Bewertung der Notwendigkeit der Änderung des Strafgesetzes waren. Es war die Rede von der — ich zitiere — „auch sonst sichtbar werdenden Tendenz, verstärkt den Status des Bundestagsabgeordneten noch weiter dem Status eines öffentlichen Bediensteten anzunähern".
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16424 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Dr. Hedda MesekeMeine lieben Kollegen, Sie wissen, daß ich eine bewegte Vergangenheit habe, wobei ich das meine Beamtenvergangenheit nenne. Ich sage Ihnen an dieser Stelle nur einmal: Bitte, widerstehen Sie all diesen Tendenzen zur Annäherung des Abgeordnetenstatus an den Beamtenstatus. Es wäre grundsätzlich falsch.
Dem Gutachter, der dies gesagt hat, schien es durchaus angemessen, die gesamte Materie ausschließlich mit den Mitteln eines Ehrenkodexes zu regeln. Auf diese Möglichkeit werde ich noch kommen. Ihm schien es für den Status eines Mitgliedes des wichtigsten Verfassungsorgans im Staate von Übel zu sein und nicht dem Rang des Abgeordneten zu entsprechen, die Angelegenheiten im Strafgesetzbuch zu regeln.Wir haben im Rechtsausschuß und im Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ausführliche Beratungen gehabt und uns auch, wie gesagt, in einer Anhörung beraten lassen. Dabei ging es auch um Fragen, ob die in den Entwürfen vorgesehenen Regelungen ausreichend und praktikabel seien oder ob alternative Formulierungen zu finden seien, um allen Situationen gerecht zu werden.Es zeigte sich in den Beratungen und der Anhörung sehr bald, daß weiter gefaßte Formulierungen auf die Unmöglichkeit einer echten Abgrenzbarkeit des Straftatbestandes treffen. Im Gegensatz beispielsweise zum Beamten sind Rechte und Pflichten der Abgeordneten, aber auch ihre Tätigkeit ungleich vielschichtiger. Bei einer weiteren Fassung hätte demnach die Gefahr bestanden, daß etwas unter Strafe gestellt worden wäre, was im eigentlichen Sinne nicht als strafwürdig anzusehen wäre. Die Zugehörigkeit zu einer Partei, zu einer Fraktion z. B. können das Handeln bestimmen und stellen dennoch keinen strafrechtlich zu ahnenden Verstoß dar.Im Gegensatz etwa zum Beamten ist der Abgeordnete eben keiner, der Gesetze oder politische Vorgaben auszuführen hat, sondern er gestaltet nach freier, also in seiner Freiheit liegender politischer Entscheidung und in gewollter Verbindung zu den gesellschaftlichen Kräften und Interessengruppen.Ich habe gerade kürzlich eine Resolution gelesen, in der gefordert wurde, die Abgeordnetentätigkeit so umzugestalten, daß sie wieder neben einer vollen Berufstätigkeit möglich wird. Das sind Forderungen aus dem Mittelstand und den freien Berufen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Sie sollte eigentlich nur nach beruflicher Tätigkeit möglich sein.
Strafe, meine Damen und Herren, ist sinnvoll und möglich, wenn man sicher ist, was strafwürdig ist. Die enge, jedoch eindeutig abgrenzbare Festlegung der Abgeordnetenbestechung auf den Kauf oder Verkauf einer Stimme für eine Wahl oder Abstimmung entspricht so unseren Vorstellungen. Nur so sind wir sicher, Recht und Unrecht abgrenzen zu können.Lassen Sie mich noch ein paar kurze Sätze zur Ergänzung der Verhaltensregeln sagen. Wenn wir das Strafrecht geändert haben, dann ist unsere Arbeit noch nicht getan. Ich meine, daß nach der Verabschiedung nunmehr die Aufnahme ergänzender Vorschriften auch in Verhaltensregeln für Abgeordnete erforderlich ist. Ich denke dabei insbesondere an § 4 der Verhaltensregeln, der sich mit Spenden befaßt. Wir haben im Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung mit der Beratung dieses Gegenstandes begonnen. Ich bringe nur ein Beispiel: Wir müssen schon jetzt über Spenden gesondert Rechnung führen und dem Präsidenten dieses Hauses anzeigen, wenn die Einzelspende 10 000 DM übersteigt. Künftig sollte auch erfaßt werden, wenn ein Einzelspender in mehreren Raten mehr als 20 000 DM zur Verfügung stellt. Von der Darlegungspflicht dürfen natürlich auch geldwerte Zuwendungen nicht ausgenommen werden. Diese sollten wie Geldspenden anzuzeigen sein.Ich habe hier nur Beispiele für unsere Überlegungen gebracht. Daneben ist eine besonders heikle Materie das Gebiet der Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Sie wissen: Die Beeinflussung von Abgeordneten kann ihren wirtschaftlichen Ausdruck z. B. in Beraterverträgen, Lehraufträgen, Aufsichtsratssitzen oder auch in dem Inaussichtstellen von gutdotierten Betätigungen nach Ende der Abgeordnetentätigkeit finden. Aber alle diese Tätigkeiten können, wenn Sie dies genau betrachten, genausogut ein Entgelt für eine ehrliche, qualitativ gute Tätigkeit dieses Abgeordneten sein.Wir werden diese Fragen intensiv zu diskutieren haben. Heute aber bitte ich Sie, der Änderung des Strafgesetzbuches zur Abgeordnetenbestechung in der gemeinsamen Fassung von Koalition und SPD zuzustimmen.Danke.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Jörg van Essen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Rede zur ersten Lesung des SPD-Entwurfes am 16. Januar 1992 habe ich mit der Feststellung begonnen, daß Abgeordnetenbestechung strafbar sein muß. Sie wird es, und ich freue mich, als Berichterstatter dazu beigetragen zu haben. Wir setzen damit nur um, was der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform schon 1973 einstimmig für erforderlich gehalten hat, was aber trotz verschiedener Anläufe aus allen Parteien bisher nie gelungen ist. Es hat damit seit der Abschaffung des alten § 109 StGB im August 1953 über 40 Jahre gebraucht, um zu einer Neuregelung zu kommen. Viele Bürger und mit ihnen die Medien sind bereit, den Politikern unbesehen schlechte Motive dafür zu unterstellen, daß sie sich selbst so lange straffrei gehalten haben. Wir haben aber bereits in der ersten Debatte deutlich gemacht, daß die Schwierigkeiten in der Materie selbst liegen, aber vielleicht auch an uns selbst, indem wir im deutschen Perfektionsdrang zu lange versucht haben,
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Jörg van Essenkomplett alles zu erfassen, was möglicherweise strafwürdig ist. Nach einem Resümee der Anhörung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß eine weite Regelung nur zu Problemen führen würde.Ich verkenne nicht, daß wir in der Anhörung das Argument gehört haben, der enge Tatbestand, den wir heute zum Gesetz machen wollen, würde in der Praxis leerlaufen. Es werde nämlich nur die Abstimmung unter Strafe gestellt, während die vorgeschaltete, in der Sache aber entscheidende Willensbildung in den Partei- und Fraktionsgremien nicht erfaßt werde. Ich halte dieses Argument nicht für überzeugend. Wer gekauft worden ist, in einer bestimmten Weise zu agieren, wird sein Verhalten bis zur Schlußabstimmung im Parlament, wo sein Abstimmungsverhalten ja für jedermann erkennbar ist, durchhalten. Wir können bei der engen Fassung sicher sein, nicht das Grundgesetz, nämlich Art. 103 Abs. 2, zu verletzen. Die Möglichkeiten, gegen dessen Bestimmtheitsgebot zu verstoßen, nehmen zu, je weiter der Tatbestand gefaßt wird. Die Anhörung hat ebenfalls deutlich gemacht, daß die Vorschläge für eine weitere Fassung in vielen Punkten angreifbar sind. Wenn wir uns in der Diskussion einer solchen weiten Lösung genähert hätten, wären wir sicher mit den Beratungen bis zum Ende der Legislaturperiode wieder nicht zu einem Ende gekommen.Mir ist schließlich ebenfalls klargeworden, daß der zunächst bestechende Vorschlag des Vertreters des Deutschen Anwaltvereins, eine Regelung ausschließlich im Bereich von Verhaltensregeln vorzunehmen, nicht ausreichend ist. Es geht eben nicht nur um die überschaubare Zahl • von Parlamentsangehörigen, sondern auch um die Vertreter in kommunalen Gremien. Es fehlt im kommunalen Bereich an Organen, die entsprechende Entscheidungen bei Verstößen fällen könnten. Nach einer Abwägung des Für und Wider habe ich mich deshalb entschlossen, die Kollegen Berichterstatter aus dem Rechtsausschuß und aus dem Immunitätsausschuß im September zu einem Gespräch einzuladen, mit dem Ziel, uns auf der Grundlage des SPD-Entwurfs, der dem Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 nachgebildet ist, zu einigen. Wir haben aber den Vorschlag der SPD um Regelungen für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ergänzt und prüfen lassen, ob mittelbar gewählte Repräsentanten, etwa die der nordrhein-westfälischen Landschaftsversammlung und die Mitglieder der bayerischen Bezirksräte, und damit alle Ebenen von der Strafvorschrift erfaßt werden.Es ist für mich ein Zeichen politischer Kultur, daß dieser Gesetzentwurf der SPD, ergänzt um die Punkte, die ich gerade aufgeführt habe, von allen Fraktionen und Gruppen mitgetragen wird. Aber es liegt mir auch daran, deutlich zu machen, daß es mit diesem Gesetzentwurf sein Bewenden nicht haben kann. Der Immunitätsausschuß hat erfreulicherweise seine Absicht bekräftigt, die Beratungen zur Neufassung und Präzisierung der Vorschrift über die Fälle berechtigter und unberechtigter Annahme von Spenden in § 4 der Verhaltensregeln unverzüglich abzuschließen und dem Bundestag eine Beschlußempfehlung zur Änderung vorzulegen. Das ist gut so, aber nach meiner Auffassung nicht ausreichend.Ich habe mit großem Interesse gelesen, daß unsere bayerischen Kollegen sich enger gefaßte Verhaltensregeln gegeben haben. Sie sehen z. B. vor, daß derjenige, der an einer Ausschußberatung über einen Gegenstand teilnimmt, an dem er ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse hat, zuvor seine Interessenverknüpfung offenzulegen hat. Ich weiß, daß viele sofort einwenden, daß das ein sehr bürokratisches Verfahren sein wird,
aber ich halte es für diskussionswürdig.
Wir sind insgesamt gehalten, uns unserer Interessenverknüpfungen, der zulässigen wie der unzulässigen, deutlicher bewußt zu werden und mit klaren Normen — seien es nun Gesetze, seien es Verhaltensregeln — dafür zu sorgen, daß unser Ansehen in der Offentlichkeit nicht noch weiter abnimmt.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzentwürfe sollen die Manipulierung durch den Kauf und Verkauf von Abgeordnetenstimmen beschränken. Wer wollte das nicht begrüßen?Das Problem besteht darin — das ist hier schon mehrfach gesagt worden —, daß die Abgeordneten einerseits Vertreter des ganzen Volkes sein sollen, es andererseits aber unumstritten ist, daß sie auch spezifischere Interessen vertreten dürfen, ja müssen: die der Wähler, ihrer Parteien oder noch kleinerer Gruppen. Fraglich ist, bis zu welcher Grenze für diese Interessenvertretung über die gesetzlich gewährten Diäten hinaus Vorteile angenommen werden dürfen oder nicht.Hier liegt das Problem der Gesetzentwürfe. Sie zielen insofern ins Leere, als sie lediglich den Kauf der Stimme bei der Abstimmung oder Wahl bestrafen wollen. Wem aber wirklich an wirksamer Einflußnahme gelegen ist, der wird doch nicht in erster Linie erst bei der Abstimmung mit dem Schmiergeld auf Abgeordnete losgehen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Entscheidungen doch weitgehend festgeklopft. Im übrigen beweist die Zahl der hier Anwesenden, daß die Entscheidungen nur von sehr wenigen Abgeordneten getroffen werden bzw. in den Fraktionen fallen.Wesentlich wichtiger ist die Einflußnahme zu einem früheren Zeitpunkt. Wichtig ist für die Interessengruppen die Beschaffung einer frühzeitigen Information. Von der frühzeitigen Kenntnis von Gesetzesvorhaben und Wandlungen der Politik hängt die Unternehmensplanung ab. Ich glaube, daß viel eher bereits in dieser Phase Geschenke und Vorteile eingesetzt werden. Daß sich der oder die Abgeordnete vielleicht noch an diese Vorteile erinnert: Wer will das nachprüfen?
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Dr. Uwe-Jens HeuerDann gibt es — auch das ist hier schon gesagt worden — Beraterverträge und Aufsichtsratsmandate. Es gibt den Verbandssyndikus und den Gewerkschaftssekretär als Abgeordneten. Also bilden sich symbiotische Beziehungen zwischen Interessenvertretern und Abgeordneten. Der „Spiegel" Nr. 43 sprach von einem „kuscheligen Wir-Gefühl". Zwei Drittel der Parlamentarier — so schreibt der „Spiegel" — sitzen in Verbandsvorständen, Aufsichtsräten oder Stiftungskuratorien. In Abwandlung eines Brecht-Wortes könnte man sagen: Besser als der Kauf einer einzelnen Stimme ist der Kauf eines ganzen Abgeordneten.Wird es das alles nun nicht mehr geben? Soll es das nicht mehr geben? In der Anhörung hat uns der Sachverständige Professor Pietzcker vom Institut für öffentliches Recht der Universität Bonn belehrt — ich zitiere aus dem Protokoll der Anhörung, Seite 80 —:Was im Hintergrund steht, das ist der Einfluß des Geldes auf die Abstimmung. Den wollen wir ja gar nicht wirklich beseitigen.Da muß man dem Kollegen Pietzcker recht geben: Bei einer komplexen Gesamtregelung der finanziellen Beziehungen von Parteien und Abgeordneten zu Interessengruppen wäre die hier zur Abstimmung stehende Regelung einer der letzten Punkte.Das Problem des käuflichen Abgeordneten kann nur innerhalb einer solchen komplexen Gesamtlösung beseitigt werden. Wir alle sind der Meinung, daß Parteien und Abgeordnete angemessen entgolten werden sollten, wobei dann aber davon ausgegangen werden müßte, daß alle über die gesetzlichen Zuwendungen hinausgehenden Vorteilsnahmen nicht sozialadäquat sind. Man müßte sie nicht nur dem Präsidium oder vergleichbaren Instanzen der jeweiligen Vertretungskörperschaft anzeigen, sondern sie müßten mindestens veröffentlicht werden, damit sich die Öffentlichkeit, die Wähler und Wählerinnen, ihr Bild machen können, welche Interessen der Abgeordnete vertritt.Über die Frage der Verhaltensregeln ist schon gesprochen worden. Ich halte auch das für außerordentlich wichtig.Ich sehe noch ein tiefergehendes Problem. Wir diskutieren über die Abgeordneten und den Einfluß auf sie. Wir diskutieren aber nicht über die, die diesen Einfluß ausüben. Über das wirklich große Geld wird nicht diskutiert.Ich möchte noch auf eine Gefahr aufmerksam machen, die ich sehe. Ich fürchte, daß die berechtigte Kritik an Parlamentariern in eine Verdrossenheit der Öffentlichkeit am Parlamentarismus schlechthin umschlagen kann und wir damit Weimarer Verhältnissen ein Stück näherkommen. Ich meine, daß gerade deswegen solche Diskussionen und Entscheidungen, wie wir sie heute haben, außerordentlich wichtig sind. Wir müssen sie fortsetzen.Danke schön.
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Da. Wolfgang Ullmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon außerordentlich erfreulich, daß ich nicht wie bei meinen vorherigen Stellungnahmen zu dieser Sache allein die Dringlichkeit anmahnen muß, sondern daß ich heute ein Gesetz befürworten kann, das der Zustimmung aller Teile dieses Hauses sicher ist.
Ich brauche jetzt also nur zu erläutern, warum es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dessen Initiative vom Sommer 1991 damit endlich zum Erfolg geführt hat, für richtig gehalten hat, seinen Entwurf für erledigt erklären zu lassen: Das haben wir deswegen getan, weil die wesentlichen Punkte, um die es uns ging, nun im Gesetz enthalten sind.
Das erste ist die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Es gab lange Debatten darüber, ob man das allein im Bereich der Verhaltensregeln festschreiben sollte. Dazu ist Stellung genommen worden.
Ferner lag uns daran, daß alle parlamentarischen Ebenen in das Gesetz einbezogen werden: vom Europaparlament bis zu Gemeinden und Gemeindeverbänden.
Schließlich haben wir es auch begrüßt, daß nach dem Vorschlag der SPD auch Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem aktiven und passiven Wahlrecht von Sanktionen erfaßt wird. Das alles ist sehr erfreulich; wir stimmen dem ausdrücklich zu.
Meine Freude — das darf ich am Ende doch noch andeuten, meine Damen und Herren — ist freilich durch das, was ich vorhin in der Debatte über die Parteienfinanzierung gehört habe, ein wenig getrübt. Im Umgang mit dem Karlsruher Urteil — hier beziehe ich mich auf das, was die Kollegen Schulz und Conradi sowie die Kollegin Höll gesagt haben — kommt alter Geist zum Vorschein, genau jener Geist, von dem wir uns mit diesem Gesetzentwurf eigentlich alle verabschieden wollen.
Was ich mit „altem Geist" meine, will ich mit einem Beispiel aus einem anderen Bereich beleuchten. Just in dieser Woche hat der Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Mehrheit der CDU- und CSU-Mitglieder beschlossen, daß Schmiergelder, die zur Erlangung von Auslandsaufträgen gezahlt werden, weiterhin von der Steuer abgesetzt werden dürfen — entgegen dem Vorschlag der SPD-Kollegen. Dieses Beispiel zeigt, daß wir noch einiges gegen diesen alten Geist tun müssen, vor allen Dingen dagegen, daß die Öffentlichkeit meint, wir stimmten zwar einem Gesetz wie dem jetzt vorliegenden zur Abgeordnetenbestechung — das wir hier alle miteinander für ungefährlich halten — zu, daß aber dort, wo es ums Geld geht, so argumentiert und so entschieden werde wie im Umgang mit dem Karlsruher Urteil. Das betrübt mich etwas. Aber ich erkläre ausdrücklich, daß die Vorschläge von Frau Meseke und von Herrn van Essen, die Verhaltensregeln nach diesem Gesetzentwurf neu zu formulieren, ein Weg sein könnten, diesen Eindruck in der Öffentlichkeit zu zerstreuen.
Ich danke.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Günther Müller das Wort zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, mit diesem Gesetz verhält es sich so, wie es zur Zeit üblich ist: Es ist eine Antwort auf populistische Forderungen, die in bestimmten Boulevardzeitungen erhoben worden sind.
Wir selbst kennen — das ist schon gesagt worden nur einen Fall von Bestechung, so wie man sich das vorstellt, und das ist der Fall Steiner. In diesem Fall kamen die Gelder noch aus der damaligen DDR.
Das eigentliche Problem aber, das wir haben, ist das, welches Sie selbst in der Begründung anführen. Es heißt da:
Abgrenzungsprobleme ergeben sich beispielsweise bei Nebentätigkeiten von Abgeordneten, Beraterverträgen, Vortragshonoraren, politischen Spenden und selbst bei Drohungen, nicht wieder als Kandidat aufgestellt zu werden.
Genau das ist das Problem. Nehmen wir einmal die Anwaltshonorare: Wenn ich einen Auftrag mit einem Streitwert von 200 Millionen DM kriege, dann lohnt sich das für eine Kanzlei. Es gibt Vortragshonorare in fünfstelliger Höhe,
die natürlich mit irgend etwas verbunden sein können. Auf Beraterverträge ist in diesem Zusammenhang auch hinzuweisen.
Wenn wir wirklich Nägel mit Köpfen machen wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es nur eine Chance: so schnell wie möglich die Verhaltensregeln zu ändern, und zwar in dem Sinne, daß öffentlich gemacht wird, wer was von wem bekommt. Das ist in den Vereinigten Staaten, das ist in Großbritannien längst üblich. Da weiß man halt, daß der Senator von Washington Geld von Boeing bekommt. Da weiß man, wer wem welche Vortragshonorare zahlt. Nur eine Offenlegung, eine Öffentlichmachung — nicht die Regelung, die wir heute haben: daß das angemeldet wird und dann im Panzerschrank des Präsidenten bzw. der Präsidentin liegenbleibt — macht hier reinen Tisch.
Ich bitte darum, daß sich alle Parteien bemühen, die Verhaltensregeln so schnell wie möglich in dieser Richtung zu ändern.
Meine Damen und Herren, ich lasse noch eine weitere Wortmeldung gemäß § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu. Herr Dr. Wolfgang Ullmann, bitte.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, daß Sie mir die Gelegenheit zu einer Kurzintervention geben.
Ich möchte hier gegen die Sprache, die ich soeben vom Herrn Kollegen gehört habe, Stellung nehmen.
Ich verwahre mich dagegen, daß die öffentliche Meinungsbildung in unserem Lande als populistisch difamiert wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Schluß dieser Debatte erteile ich der Frau Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bestechung und Bestechlichkeit von Volksvertretern in Zusammenhang mit ihrer Stimmabgabe beeinträchtigen die Integrität der politischen Willensbildung in den gewählten Repräsentativorganen. Diese Handlungen stellen ein strafwürdiges Unrecht dar.Vor diesem Hintergrund sind die Diskussionen und Überlegungen der letzten Jahrzehnte zu sehen. Denn diese Handlungen mißbrauchen das öffentliche Vertrauen in die Integrität der Mandatsausübung sowie in die Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems und höhlen damit diese Rechtsgüter aus.Deshalb ist es bei allen Schwierigkeiten notwendig, einen besonderen Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung in das Strafgesetzbuch einzufügen und — es ist von allen Rednern erwähnt worden — damit eine seit vielen, vielen Jahren bestehende und erkannte Gesetzeslücke zu schließen.Das Justizministerium hat die Beratungen auf der Grundlage des Entwurfs der SPD im Rechtsausschuß aufgeschlossen und unterstützend begleitet. Wir alle sehen ganz deutlich, daß die Abgrenzungsschwierigkeiten der akzeptablen von den zu mißbilligenden Verhaltensweisen von Volksvertretern, die bisher immer zum Scheitern der gesetzlichen Bemühungen geführt haben, wahrscheinlich nie vollkommen ausgeräumt werden können. Aber das Abstellen auf das Merkmal der „Käuflichkeit" scheint einleuchtend und überzeugend, da jedenfalls das äußerliche Abhängigmachen des Stimmverhaltens von sachfremden Gegenleistungen deutlich als strafwürdig gekennzeichnet wird.Es gibt gute Gründe, die vorliegenden Entwürfe jetzt zu verwirklichen. Denn es wäre nicht überzeugend, wegen Abgrenzungsschwierigkeiten ein illegales Abstimmungsverhalten von Volksvertretern länger straflos zu lassen. Deshalb ist es, so glaube ich, ein sehr gutes Zeichen, daß die Gemeinsamkeit aller Fraktionen und Gruppen im Deutschen Bundestag zeigt, daß diesem Anliegen durch diese Beratung und die abschließende Beratung zu dieser Strafbestimmung Rechnung getragen werden soll.Die Anhörung im März dieses Jahres hat gezeigt, daß es einzelne Fälle von Stimmverhalten geben kann, das eben nicht mit unseren Vorstellungen — deshalb stellen wir es hier künftig unter Strafe — vereinbar ist. Nur ist das bisher in der Öffentlichkeit mangels Strafbestimmung nicht erkannt und natürlich auch nicht erfaßt und verfolgt worden.Auch wenn es künftig zahlenmäßig nur ganz wenige Fälle überhaupt sein können — bei den
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verschiedenen Vertretungen: Bund, Land und Kommune —, ist es doch richtig, zu handeln und hier gemeinsam diese Bestimmung in unser Strafgesetzbuch zu übernehmen.Die vorgesehene Strafnorm wird unser repräsentatives System und den seinem Gewissen unterworfenen Abgeordneten nicht einengen, sondern ihn vor unlauteren Einflußnahmen schützen. Den Volksvertretern bleibt der zur Wahrnehmung des Mandats erforderliche Freiraum. Wir schaffen somit nicht nur eine Strafnorm gegen den einen oder anderen unredlichen Abgeordneten, sondern stützen gleichzeitig die Unabhängigkeit aller Volksvertreter, die sie zur Bewältigung des ihnen anvertrauten Mandats brauchen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6092, die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 12/5927 und 12/1630 zusammenzuführen und in der Ausschußfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei einer Stimmenthaltung, — der des Kollegen Müller — angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit derselben Mehrheit angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Rechtsausschuß, den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1739 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sachenrechtlicher Bestimmungen
— Drucksache 12/5992 —Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum der Frau Bundesjustizministerin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der wichtigste Teil des Ihnen heute zur Beratung in erster Lesung vorliegenden Entwurfs eines Sachenrechtsänderungsgesetzes ist die Sachenrechtsbereinigung in den neuen Ländern. Dabei geht es um die Neuordnung einer bedrückenden Hinterlassenschaft der ehemaligen DDR, nämlich um die Lösung für die Probleme, die sich durch den Bau oder den Erwerb von Gebäuden auf fremden Grundstükken in der ehemaligen DDR ergeben haben.Ziel ist es, einen Interessenausgleich zwischen den Nutzern, die in der ehemaligen DDR auf Grund eines Nutzungsrechts oder auch ohne vergleichbare Absicherung, aber mit Billigung staatlicher Stellen fremde Grundstücke bebaut haben, und den Eigentümern dieser Grundstücke zu schaffen.Die Rechtsverhältnisse zwischen den Grundstückseigentümern und den Nutzern müssen in der Weise neu geregelt werden, daß für die Beteiligten Rechtssicherheit hergestellt wird und zum Abbau derzeit noch bestehender Investitionshemmnisse verkehrsfähige und beleihbare Rechtsverhältnisse an den betroffenen Grundstücken entstehen.Auch wenn die Sachenrechtsbereinigung im Unterschied zum Vermögensgesetz in der Regel keine Auseinandersetzung zwischen den Menschen in den alten und in den neuen Bundesländern ist, weil sich Bürger aus den neuen Ländern als Grundstückseigentümer und als Nutzer gegenüberstehen, leisten wir mit diesem Gesetz einen ganz wichtigen Beitrag zum inneren Rechtsfrieden im wiedervereinigten Deutschland.Der im Gesetzentwurf vorgesehene Interessenausgleich sieht vor, daß der Nutzer grundsätzlich nach seiner Wahl das Grundstück ankaufen oder die Bestellung eines Erbbaurechts verlangen kann, wobei die durch den Beitritt und die Einführung der Marktwirtschaft entstandenen Bodenwerte zwischen den Beteiligten geteilt werden sollen.Diese Teilung des Bodenwerts ist sachgerecht. Die Sachenrechtsbereinigung entscheidet damit über die Zuweisung und Verteilung von unerwartetem Wertzuwachs, der Folge eines für beide Seiten nicht vorherzusehenden Systemwechsels ist. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, nur die eine oder nur die andere Seite zu begünstigen. Die aus der Teilung des Bodenwerts auf die Nutzer zukommenden Belastungen sind für diese auch — selbst in der zur Zeit ungünstigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland und gerade auch in den neuen Ländern — tragbar.Gleichwohl wird das Erbbaurecht noch mit besonderen sozialen Komponenten ausgestattet. Ich möchte zwei Punkte nennen, nämlich zum einen eine neunjährige Eingangsphase, in der der Zins in Stufen allmählich auf den schließlich zu zahlenden Zinssatz
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ansteigen soll, der die Hälfte des üblichen Zinssatzes beträgt, und zum anderen eine Option für den Nutzer, das Grundstück auch erst später — innerhalb einer Frist von zwölf Jahren nach Bestellung des Erbbaurechts — ankaufen zu können.Bis zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag sind drei Jahre nach der Wiedervereinigung vergangen. Dies beruht darauf, daß für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs ein sehr kompliziertes und komplexes Geflecht aus rechtlichen Regelungen, diese zum Teil auch ersetzenden und zum Teil abändernden Verwaltungsanordnungen sowie rein faktischer Verhältnisse in der ehemaligen DDR zu ermitteln, festzustellen und niederzuschreiben war. Außerdem ist die Neuregelung sachenrechtlicher Rechtsverhältnisse an Grundstücken schon vom Regelungsgegenstand her kompliziert, da nicht nur die Rechte Betroffener, sondern auch die von Dritten, nämlich von Grundpfandgläubigern oder Inhabern anderer dinglicher Rechte, berücksichtigt werden müssen.Im Bundesrat ist der Gesetzentwurf von allen Ländern im Grundsatz positiv aufgenommen worden.Ich möchte Sie jetzt auch für die vor uns liegenden Beratungen um Ihre Unterstützung und Förderung des Gesetzgebungsvorhabens bitten, damit das Gesetz -- wie im Entwurf vorgesehen — am 1. Juli 1994 in Kraft treten kann. Eine gesetzliche Regelung dieser schwierigen Fragen wird von sehr vielen Menschen, vor allem in den neuen Ländern, dringend erwartet, und sie haben ein Recht darauf, daß wir möglichst schnell sichere Rechtsgrundlagen schaffen.Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Hans-Joachim Hacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß es uns nicht gelungen ist, die Beratung zum Entwurf des Sachenrechtsänderungsgesetzes mit der zweiten und dritten Lesung des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes zu verbinden. Dabei waren wir uns doch im Berichterstattergepräch und im Rechtsausschuß einig. Sie werden mir gestatten, daß ich im Laufe meiner Rede noch einmal darauf zurückkomme.Das Sachenrechtsänderungsgesetz ist ein weiterer Schritt zur Herstellung einer einheitlichen und stabilen Rechtsordnung in Gesamtdeutschland. Insbesondere im Bereich des Eigentumsrechtes gibt es in den neuen Ländern nach wie vor erheblich Klärungsbedarf. Rechtliche und soziale Konflikte aus diesen Gründen sind offenkundig und müssen endlich geklärt werden.Auch die SPD sieht die wesentliche Ursache für die heute bestehenden Konflikte zwischen Grundstückseigentümern und Grundstücksnutzern bzw. Gebäudeeigentümern in der Mißachtung von Eigentums-rechten durch DDR-Staatsorgane. In vielen Fällen wurde bei Verfügungen über Grundstücke das damals geltende DDR-Recht nicht beachtet.Diese Konflikte, meine Damen und Herren, müssen heute im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes einer möglichst gerechten, interessenausgleichenden Lösung zugeführt werden. Für diesen Interessenausgleich hat sich die SPD-Bundestagsfraktion immer eingesetzt. Wir werden das auch weiterhin tun.Dem Grundansatz des vorliegenden Gesetzentwurfs kann gefolgt werden. Dieser besteht darin, daß über die Bestellung von Erbbaurechten oder den Ankauf des Grundstücks durch den Nutzer bzw. des Gebäudes durch den Grundstückseigentümer die Konfliktlösung erfolgen soll.Wir sehen es als richtig an, Frau Ministerin, daß im Interesse des Investitionsschutzes und des Erhalts von Wohnraum in den neuen Ländern dem Nutzer ein Wahlrecht eingeräumt werden soll. Die Teilung des Erbbauzinses und des Ankaufpreises auf der Basis der heutigen Verkehrswerte ist eine Überlegung, die einerseits die Minderung des Verkehrswertes des Grundstücks infolge der bestehenden Fremdnutzungsrechte berücksichtigt, andererseits vom Nutzer die Einsicht abfordert, beim heutigen Grundstückserwerb die rasante Erhöhung der Grundstückspreise zwischen 1990 und 1993 zu akzeptieren.Gerade bei dieser Frage befindet sich der Gesetzgeber in der Mitte der Kollision der unterschiedlichen Interessen. Diesen grundsätzlichen Interessenwiderspruch werden wir mit diesem Gesetz nicht zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten lösen können. Die praktische Lösung wäre 1991 allerdings einfacher gewesen. Diesen Hinweis muß sich die Bundesregierung gefallen lassen.
Meine Damen und Herren, wir werden bei den Beratungen in den Ausschüssen zu beachten haben, ob die vorgesehenen Stufungen in der Anhebung der Erbbauzinsregelung auch für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern akzeptabel sind, deren Einkommen relativ niedrig sind.Das im Gesetzentwurf vorgesehene notarielle Vermittlungsverfahren halte ich für geeignet, die gegenseitigen Rechte und Pflichten beim Abschluß von Verträgen zur Bestellung von Erbbaurechten oder zum Kauf des Grundstücks einvernehmlich zu regeln. Beide Parteien werden oft ohne sachkundige Hilfe nicht in der Lage sein, die Grundlage für den Vertragsabschluß zu ermitteln und eigenständig einen Vertragstext aufzusetzen.Als notwendiges Vorverfahren vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung entlastet das Vermittlungsverfahren die Gerichte wesentlich. Damit wird auch praktische Hilfe für die Justiz in den neuen Ländern geleistet.Meine Damen und Herren, bislang haben Sie im wesentlichen Zustimmung zum Gesetzentwurf vernommen. Mit aller Deutlichkeit spreche ich jedoch
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Hans-Joachim Hackerauch die Punkte an, die die SPD-Bundestagsfraktion in Verbindung mit dem Sachenrechtsänderungsgesetz als problematisch ansieht.Wenn am heutigen Tage das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz beraten worden wäre, hätte meine Fraktion einen Änderungsantrag eingebracht. Mit diesem Antrag hätten wir gefordert, daß der Deutsche Bundestag eine Ergänzung des Vermögensgesetzes mit der Maßgabe vornimmt, daß Kaufverträge nach § 4 Abs. 2 auch dann rechtswirksam sind, wenn nach der Kaufhandlung die Grundbucheintragung ausgeblieben ist.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, jeder, der sich an die Lage im Frühjahr und Sommer 1990 in der damaligen DDR erinnert, weiß, daß die Situation in den Liegenschaftsämtern dramatisch war, daß die Liegenschaftsämter überfordert waren. Wir müssen dieser Situation im Frühjahr und Sommer 1990, die durch den damaligen Käufer nicht zu vertreten und nicht zu beeinflussen war, heute Rechnung tragen und jetzt endlich Rechtssicherheit für den redlichen Erwerber schaffen.Damit wird auch kein Rechtsschutz für unredlich Handelnde geschaffen, denn die Rechtsfolgen für unredliches Handeln bleiben ja bestehen und sollen auch nach dem Willen der SPD-Bundestagsfraktion nicht geändert werden.
Wir hätten gern bei der Beratung des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes am heutigen Tage diese Problematik einer Lösung zugeführt. Nun ist diese Beratung von der Tagesordnung abgesetzt worden. Der Grund soll sein, daß die F.D.P. sich dem Ansinnen der Gruppe PDS/Linke Liste angeschlossen hat, es solle eine Freistellung von der Inanspruchnahme für die Verwaltung des Vermögens der Partei aus der DDR-Zeit erfolgen.Im Rechtsausschuß und auch im Berichterstattergespräch hat diese Frage — zumindest aus der Sicht der F.D.P. — keine entscheidende Rolle gespielt.
Und im Rechtsausschuß haben auch die F.D.P.-Vertreter einem dies betreffenden, genauso formulierten Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste ihre Zustimmung verweigert. Jetzt sage ich dazu: Die F.D.P. versucht im Nachgang, ihre Pfründe aus der Zeit der DDR zu sichern — ein einmaliges Verfahren, meine Damen und Herren, eine einmalige Koalition der Interessen, Frau Bundesministerin!Meine Damen und Herren, Regelungsbedarf sieht die SPD-Bundestagsfraktion auch bei der Klärung der Formmängel bei den Kaufverträgen infolge des Fehlens einer notariellen Vollmacht der für den jeweiligen Rechtsträger handelnden Mitarbeiter. Die Regelung dieser beiden gravierenden Formmängel fordert nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion, sondern fordern mittlerweile nachdrücklich auch Regierungen aus den neuen Ländern.
Herr Kollege Hakker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?
Ja, gern.
Lieber Kollege Hacker, Sie sagten, es gehe darum, irgendwie unredlich erworbenes Vermögen der PDS zu schützen. Es ging in unserem Antrag um die Frage, ob rechtsstaatlich erworbenes Vermögen und jetzt durch Mitgliederbeiträge erworbenes Vermögen erfaßt werden sollen. Halten Sie eine solche Fragestellung nicht für legitim?
Lieber Herr Kollege Heuer, ich habe keine Bewertung hinsichtlich des unredlichen oder redlichen Erwerbs des PDS- oder SED-Vermögens vorgenommen. Meine Auslassung bezieht sich nur darauf, daß ein Rechtsnachfolger für Rechte und Pflichten seines Rechtsvorgängers einzutreten hat. Da sich Ihre Partei als Rechtsnachfolger der SED betrachtet — ich bewerte das sehr sachlich muß in gleicher Weise auch die Haftungsregelung greifen.
Zur Redlichkeit möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern, aber doch darauf verweisen, daß die Quellen für die Finanzierung der Parteien in der DDR weitestgehend klar sind. Zuführungen waren im wesentlichen aus dem Bereich der volkseigenen Wirtschaft und aus dem Bereich Kommerzielle Koordinierung zu verzeichnen. Auch unter diesem Aspekt muß die Gesamthaftung bejaht werden und kann eine Teilhaftung nicht akzeptiert werden. Ich sage das nicht nur in Richtung der PDS, sondern meine in gleicher Weise auch die Blockparteien.
— Gerne.
Herr Kollege Heuer, bitte sehr.
Ich darf die Frage wiederholen. Sind Sie wirklich der Meinung, daß das auch nach Auffassung der Unabhängigen Kommission nach — was immer das dann ist — rechtsstaatlichen Maßstäben erworbene Vermögen und auch das jetzt nachträglich erworbene Vermögen tatsächlich für die Kosten der Treuhand einstehen soll? Das ist für mich die Frage.
Sehr geehrter Herr Kollege Heuer, die Kosten der Treuhand haben doch eine Ursache. Die Ursache liegt darin, daß aus der DDR-Zeit resultierende Vermögenswerte einer Verwaltung unterworfen worden sind; das regelt das Parteiengesetz. Dieser Sachverhalt kann doch zumindest bei Beibehaltung der durch das Parteiengesetz geschaffenen Rechtslage nicht zur Disposition gestellt werden. Wenn die Rechtslage also so ist, dann ergibt
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16431
Hans-Joachim Hackersich für mich die zwingende Konsequenz, daß der Fonds des Vorhandenen auch in Anspruch genommen wird. Deswegen habe ich aus einer Grundüberzeugung heraus — nicht aus ideologischen Gründen — dem vorliegenden Entwurf sowohl in den Berichterstattergesprächen meine Zustimmung gegeben als auch bei der Abstimmung im Rechtsausschuß für die Gesamthaftung votiert.Daß wir uns in dieser Frage möglicherweise fundamental unterscheiden, räume ich gern ein. Ich möchte aber betonen, daß für mich hier weder ideologische Maßstäbe noch Rachegedanken eine Rolle spielen.
Herr Kollege Hakker, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Lühr?
Aber gerne.
Bitte, Kollege Lühr.
Kollege Hacker, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es der F.D.P. nicht darum geht, sich irgendwelche Pfründe aus DDR-Zeiten zu sichern, sondern sich die F.D.P. darum bemüht, die nach unserer Auffassung eindeutig rechtsstaatlich erworbenen Immobilien für die Partei zu bekommen? Ich denke z. B. daran, daß die Parteizentrale in Dresden Ende der 40er Jahre ausschließlich mit Spendenmitteln der Mitglieder erworben wurde. Darum geht es der F.D.P. und nicht um irgendwelchen Erwerb, der auf irgendeine Art und Weise in den Besitz der damaligen Blockparteien gelangt ist.
Über die Wirkung, die sich aus diesem Verhalten ergibt, habe ich Ihnen keine Rechenschaft abzulegen, Herr Kollege Lühr. Mir und, ich denke, auch Ihren Fraktionen — denn die haben diesen Antrag eingebracht — geht es nicht darum, daß eine Enteignung vorgenommen wird. Keiner will doch Ihr redlich erworbenes Vermögen enteignen.
Das ist doch nicht die Frage. Die Frage ist nur, inwieweit vorhandene Vermögenswerte für Aufwendungen der Treuhandanstalt und damit für Aufwendungen der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werden. Ich denke, Herr Lühr, Sie können nicht verlangen, daß die Steuerzahler die Kosten dafür tragen, die daraus resultieren, daß DDR-Parteienvermögen heute durch den Bund verwaltet werden muß. — Vielen Dank für Ihre Frage.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Lühr?
Gerne.
Dann fahren wir in der Debatte fort. Bitte sehr.
Herr Hacker, Sie sind ein bißchen an der Beantwortung meiner Frage vorbeigegangen.
Ich habe nur gefragt, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, um welche Art von Immobilien sich die F.D.P. bemüht, und daß es uns nicht darum geht, irgendwelche Pfründe aus DDR-Zeiten zu nehmen; denn sonst müßte ich — das will ich heute aber hier vermeiden — polemisch werden, wenn es um die Frage der Rückübertragungsansprüche der SPD geht, die ja wohl die Partei war, die sich mit der KPD zur SED verbündet hat. Das kann man ja wohl der LDPD und der NDPD nicht vorwerfen.
Herr Lühr, jetzt verfallen Sie in eine platte Demagogie. Ich möchte mich an einer solchen Diskussion in diesem Zusammenhang nicht beteiligen. Sie hätten ja als F.D.P.-Fraktion jegliche Möglichkeiten gehabt, eine solche Differenzierung bei den Berichterstattergesprächen und in der Diskussion im Rechtsausschuß zur Sprache zu bringen.
Ich betone noch einmal: Es geht mir nicht um die Enteignung der F.D.P. für Vermögen der LDPD und der NDPD. Mir geht es auch nicht um die nachträgliche Enteignung der SED. Mir geht es nur darum, daß hier die Kosten für die Verwaltung richtig zugeordnet sind.
Ich könnte Ihnen an dieser Stelle noch etwas zu Blockparteien erzählen und zur Mitwirkung der Blockparteien in der DDR.
Ich verzichte einmal darauf.
Der Zusammenhang, den Sie mit der Vereinigung von SPD und KPD 1946 herstellen, ist eine Geschichtsklitterung. Sie tun damit sehr vielen Menschen, die in diesen Jahren schwer gelitten haben, großes Unrecht. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, am Ende ein optimistischer Ausblick. Wir haben in den Diskussionen im Rechtsausschuß auch festgestellt, daß gerade in diesen Fragen der Formmängel der notariellen Verträge und der fehlenden Grundbucheintragung bei der CDU/CSU-Fraktion tiefes Nachdenken eingesetzt hat. Man erkennt hier wohl fehlerhafte Gedankengänge in der Vergangenheit.
Ich möchte die CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich ermuntern, jetzt einzulenken und umzudenken. Ich richte den Appell an Sie, insbesondere an die Abgeordneten aus den neuen Ländern in der CDU/CSU- Fraktion: Leiten Sie in dieser Frage jetzt endlich die Wende ein!
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Endlich ist es so weit: Wir haben das Sachenrechtsänderungsgesetz im
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16432 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Dr. Michael LutherDeutschen Bundestag. Als Berichterstatter lin Rechtsausschuß fügt sich für mich damit ein weiterer Baustein in die Regelungsnotwendigkeiten ein, die wir auf Grund von 40 Jahren DDR zu bewältigen haben.Vermögensgesetz, Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz , Sachenrechtsänderungsgesetz und das noch zu erwartende Schuldrechtsänderungsgesetz bilden einen zusammenhängenden Komplex, und es gilt, diesen noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.Speziell im Fall des Sachenrechtsänderungsgesetzes handelt es sich um eine große Zahl materiellrechtlicher Regelungen, die notwendig geworden sind, weil die DDR einen völlig anderen Eigentumsbegriff kannte. Diese nun entstandenen Eigentumsverhältnisse sind rechtstatsächlicher Natur, und wir können sie weder verleugnen, noch wegwischen, noch rückabwickeln. Man kann nur bedingt mit den Begriffen des Art. 14 des Grundgesetzes oder des BGB argumentieren. Dieses Recht paßt 1 : 1 übertragen eben nicht.Unser Ziel kann es nur sein, die Gegebenheiten aus heutiger Sicht festzustellen und aus dem Blickwinkel des Jahres 1990 bzw. 1993 heraus dauerhafte Regelungen zu schaffen, die den Eigentumsprinzipien der Bundesrepublik Deutschland am besten genügen.Deshalb verstehe ich weder die einen noch die anderen Verbandsstrategen, die die eine oder andere Extremposition fordern und sich dabei auf die rechtsstaatlichen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland berufen.
Ich sage es noch einmal: Diese Argumentationen passen nicht; denn sie entstammen, Gott sei Dank, einem funktionierenden Rechtsstaatssystem, das mit Eigentum etwas anfangen kann. Diese Regelungen passen eben nicht auf das, was die DDR fabriziert hat.Mir sind die Extrempositionen von beiden Beteiligten bekannt. Die Grundeigentümer wollen am liebsten festschreiben, daß die Bebauung zum Grund und Boden gehört, oder wollen wenigstens eine volle Verkehrswertentschädigung erlangen. Das ist formell-sachlich richtig, aber unbillig gegenüber den Eigenheimbauern. Warum?Erstens. Sie können sich heute nicht aussuchen, wo sie ihr Haus hinbauen. Die Entscheidung, wo und in welcher Lage man sich ein zukünftiges Haus leisten könnte, wäre durch die eigene Finanzkraft bestimmt.Zweitens. Der Hausbau erfolgte eben nicht heute, sondern ist bereits vor Jahren geschehen. In dieser Zeit hat es eine dynamische Entwicklung gegeben. Bewertungsgrundsätze für den Bodenwert heute und der Wert von z. B. vor 20 Jahren sind nur bedingt vergleichbar. Die Grundstücke haben nicht nur einen normalen Wertzuwachs erlangt. Sie sind auch durch andere Bebauung, durch Infrastrukturmaßnahmen usw. in eine andere Bewertungssituation gelangt.Dazu leistete der Grundstückseigentümer nichts und auch der Eigenheimbauer nichts.Andere Extrempositionen vertreten die Eigenheimbesitzer. Sie verweisen die Grundstückseigentümer auf die Entschädigungsgesetzgebung, was sich ebenfalls sachlich begründen ließe. Praktisch wurden die Grundstücke durch staatliche Gewalt in Anspruch genommen und zur Bebauung den Eigenheimbesitzern zugewiesen. Das war eine De-facto-Enteignung; denn die Grundstückseigentümer konnten danach mit ihrem Grundstück nichts mehr anfangen. Trotzdem: Es war keine Enteignung. Der Einigungsvertrag hat die dinglichen Nutzungsrechte als harte dingliche Rechtspositionen festgeschrieben. Er hat jedoch nicht die Enteignungen nachvollzogen.Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß der Grundsatz der Verkehrswertteilung, also die Lastenbzw. Gewinnteilung, salomonischen Charakter hat. In meinen Bürgersprechstunden habe ich beide Positionen erlebt, emotional vorgetragen und im Einzelfall für mich immer nachvollziehbar. Daraufhin habe ich mehrere Veranstaltungen in meinem Wahlkreis an verschiedenen Stellen durchgeführt und beide Parteien eingeladen, mit mir über das Sachenrechtsänderungsgesetz zu diskutieren. Das Ergebnis hat mich überzeugt. Beide Parteien, die zumeist in einem Dorf zusammen wohnen, haben verstanden, daß sich somit auf Dauer am ehesten Rechtsfrieden herstellen läßt.Meine Damen und Herren, es bleiben noch eine Menge Fragen offen.Erstens. Nicht alle Eigenheime sind in ländlicher Region errichtet worden. Im Speckgürtel von Berlin oder in guter Lage von Dresden oder Leipzig kommt es schon zu extrem hohen Grundstückspreisen, die den Eigenheimbesitzer finanziell stark belasten könnten. Hier sieht der Entwurf eine sehr günstige Erbpachtregelung vor. Es muß sich bei unseren Menschen die Erkenntnis durchsetzen, daß auch die Erbpacht eine vernünftige Regelung ist. Bei diesen günstigen Grundstückslagen ergeben sich dann trotz der hohen Grundstückspreise insbesondere durch die vorgesehene Einlaufkurve bei den Erbpachtverträgen erträgliche Jahrespachten.Zweitens. Von den Eigenheimbesitzern wird zum Teil die Begrenzung auf 500 m2 beim begünstigten Ankauf bemängelt. Ich halte diese Regelung vom Grundsatz her für gerechtfertigt, da sie erstens Gleitklauseln beinhaltet, zweitens für die meisten der regulären Eigenheimgründungen nicht relevant ist, da auch die DDR-Regelung von 500 m2 ausging, drittens die neuen Eigenheimgrundstücke in ganz Deutschland eher kleiner ausfallen und viertens nicht einzusehen ist, warum neue Eigenheimbauplätze, wo sinnvoll, nicht ausgewiesen werden sollen.Drittens. Kritisch diskutieren müssen wir noch einmal die im Zusammenhang mit den Überlassungsverträgen stehenden Fragen nach den großen Investitionen. Hier müssen klare Bewertungsrichtlinien gelten, damit tatsächlich denen Recht widerfährt, die durch sehr hohe Eigenleistungen moralisch Recht an diesen Häusern erworben haben, und nicht diejenigen Nutznießer werden, die auf Staatskosten möglicherweise ein Eigenheim auf Dauer lediglich gemietet hatten.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16433
Dr. Michael LutherViertens. Es ist gut, daß nicht nur Nutzungsverträge mit in das Sachenrechtsänderungsgesetz einbezogen werden, sondern auch schuldrechtliche Verträge, wenn die Gebäude zu Wohnzwecken genutzt wurden und dazu geeignet sind. Dabei muß zum einen geprüft werden, inwieweit hier baurechtliche Tatsachen begründet werden, die dann schwierig mit städtebaulichen Planungen in Einklang zu bringen sind, und zum anderen, wo die Grenze Wohnzweck liegt.Fünftens. Es muß beachtet werden, daß es z. B. in Dresden, aber auch in Berlin Siedlungen gibt, die aus SED-parteipolitischen Gründen zu Kleingartenanlagen umdefiniert wurden, damit bestimmte Planungsziele und Planungsvorgaben erreicht werden konnten.Sie sehen an meinen Ausführungen, daß es genügend Diskussionsbedarf gibt. Trotzdem ist es nach meiner Ansicht möglich, zu Lösungen zu kommen. Dazu müssen intensive Beratungen im Rechtsausschuß unter Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse vorgenommen werden. Ich bin jedoch optimistisch, daß wir bei dem gewohnten Engagement aller Beteiligten schnell zum Ziel kommen werden — Herr Hacker, an dieser Stelle insbesondere der Appell an Sie aus meiner Richtung.Ich möchte es nicht versäumen, auch der Bundesregierung für ihr hohes Engagement bei der Erarbeitung dieses Gesetzes zu danken. Denn, Herr Hacker, es ist nicht richtig, daß es realistisch gewesen wäre, dieses Gesetz bereits 1991 vorzulegen.
Sie wissen ganz genau wie ich, welch komplizierte Situation zu überwinden war und wie viele Recherchen notwendig waren, um wirklich eine einigermaßen fundierte und exakte Vorlage zu erstellen. Man kann sicherlich mit polemisch einfachen Worten vieles wünschen und verlangen. Aber die rechtlichen Detailfragen sollte man doch, wenn man versuchen will, eine Gesetzesvorlage zu erstellen, gründlich recherchieren.In diesem Sinne noch einmal recht herzlichen Dank für die Arbeit der Bundesregierung, speziell auch von Ihnen, Frau Bundesjustizministerin. Recht herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, das Wort erhält jetzt unser Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine Nachtragsbemerkung noch zur vorigen Debatte: Für die PDS handelt es sich real um zwei Gebäude, um das Karl-Liebknecht-Haus und ein Gebäude in Elgersburg. Wollen Sie im Ernst, daß die unabhängige Kommission dieses Karl-Liebknecht-Haus für ihren Aufwand in Anspruch nehmen kann, und damit das Werk des Dritten Reiches endgültig vollenden?Zu unserer jetzigen Diskussion: Der Bundestag soll nun innerhalb einer halben Stunde ein für die Praxis außerordentlich bedeutsames Gesetzgebungsvorhaben beraten, das Hunderttausende von Bürgern in unterschiedlicher Weise — das ist hier schon gesagt worden — existentiell betrifft.
— Ja, in erster Lesung; ich weiß das. Aber das berührt trotzdem Hunderttausende von Bürgern im Osten existentiell.Der vorliegende Entwurf eines Sachenrechtsänderungsgesetzes enthält viele begrüßenswerte Regelungen — das ist hier schon gesagt worden —, aber zugleich einige nach meiner Meinung zweifelhafte oder jedenfalls zu diskutierende Vorschriften.Ich möchte auf ein Problem aufmerksam machen, das hier schon angeschnitten worden ist: Es wird ein Wahlrecht zwischen der Möglichkeit der Bestellung eines Erbbaurechts einerseits und dem Ankauf der Grundstücke andererseits eingerichtet. Es ist jedoch bereits sicher, daß das vorgeschlagene Wahlrecht insbesondere in den großstädtischen Ballungszentren angesichts der ungeheuer gestiegenen Grundstückspreise weitgehend sinnlos wird. Auch wenn das alles langsam gehen wird, wie die Frau Ministerin mit Recht hervorhebt, bedeutet das doch, daß sie sich ihrer Zukunft gerade in diesen Gebieten nicht sicher sind. Das ist in den ländlichen Gebieten und in den Kleinstädten anders.Außerdem müßten wir darüber diskutieren, wieweit durch diesen Entwurf faktisch die insbesondere in Immobiliengesellschaften organisierten Spekulanten in den Ballungsgebieten begünstigt werden. Ich meine, wir müßten auch darüber diskutieren, in welchen Fällen der Schutz der Nutzer weiter ausgebaut werden sollte, insbesondere unter dem Eindruck des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 1993 zum Schutz der Mieter, und über seine Bedeutung für unseren Fall diskutieren.Es geht mir auch um die Frage, wieweit man die Nutzer doch in gewisser Weise verfassungsrechtlich als quasi Eigentümer ansehen muß.Es geht weiterhin um das Problem, die Nutzung von Grundstücken zu Erholungszwecken hier vollständig auszuschließen. Auch hier gibt es Probleme. Diese Nutzer konnten sich zu Zeiten der DDR faktisch wie Eigentümer fühlen und verhalten. Ich sehe z. B. das Problem — aber das werden wir vielleicht im Rahmen des Schuldrechtsänderungsgesetzes behandeln —, daß sie in dem Fall, daß sie selbst kündigen, nicht einmal einen Ausgleich für die errichteten oder renovierten Gebäude erhalten können. Das ist eine Frage, die für sie in der DDR damals nicht bestand, weil die Pacht außerordentlich niedrig war.Abschließend geht es mir um ein Problem, das ich Ihnen prinzipiell deutlich zu machen versuche, nämlich das Grundverständnis der Rechts- und tatsächlichen Ordnung in bezug auf Eigentum in der DDR. Die Frau Ministerin hat hier von der „bedrückenden Hinterlassenschaft auf fremden Boden" gesprochen. Es wird die These entwickelt, daß der Boden wieder ein verkehrsgängiges Marktgut geworden ist.Das Verständnis der DDR-Bürger zielte darauf, Eigentum haben zu wollen. Es ging in vielen Fällen nicht um die staatliche Zuweisung. Sie wollten Eigen-
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16434 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Dr. Uwe-Jens Heuerkeime, Wochenendgrundstücke, Wohnungen haben. Sie wollten nicht kaufen oder verkaufen, sondern sicher wohnen. Das gilt übrigens auch für viele BRD-Bürger. In der DDR hat sie insofern das Eigentum, das Grundbuch nicht interessiert.Ich glaube, daß das Verständnis für diese Sichtweise nicht vorhanden ist, wenn man von einer „bedrückenden Hinterlassenschaft" spricht. Man muß überlegen: Was hatten sie für ein Verständnis, wie war ihre Sicht auf dieses quasi Eigentum?Ich darf Ihnen abschließend ein Scherzwort aus Ostdeutschland nennen.
Nein, das ist schon zum zweitenmal „abschließend" .
Vielleicht noch dieses Scherzwort: Ja, in der DDR war das wichtigste Buch für viele das Kommunistische Manifest. Heute denken viele, daß das wichtigste Buch die Heilige Schrift ist. Inzwischen lernen die DDR-Bürger, daß ein anderes Buch das wichtigste ist, nämlich das Grundbuch.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der knappen Beratungszeit muß ich mich auf eine Problemanzeige beschränken.
Schon im Februar 1992 hatte die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Drucksache 12/2073 einen Gesetzentwurf eingebracht, der dasselbe Ziel verfolgte, das nunmehr mit dem vorliegenden, einem das ganze Sachenrecht erfassenden Gesetzeswerk erreicht werden soll, nämlich im Bereich der Eigentumsfrage den Rechtsfrieden so herzustellen wie es die in den Einigungsvertrag aufgenommene Vereinbarung der beiden deutschen Regierungen vom Juni 1990 vorsah. Herr Luther — er ist leider nicht mehr da —, so schlau waren wir schon damals.
Auch der damals vorgelegte Lösungsvorschlag, die Unterschiede zwischen DDR-Recht und BGB mittels des Instituts des Erbbaurechtes zu überbrücken, hat in das Sachenrechtsänderungsgesetz Eingang gefunden, was wir begrüßen.
Gutachteräußerungen weisen nun freilich auf noch bestehende Probleme hin: mögliche Begrenzungen auf Regelgrößen wie die 500-Quadratmeter-Grenze in § 25 des Art. 1, die Möglichkeit der Teilung der vom Gesetz betroffenen Grundstücke und der in Art. 1 § 2 vorgesehene Ausschluß von Freizeit- und Kleingartengrundstücken. Besonders dieser Fragenkreis, denke ich, wird uns angesichts der Zahl der Betroffenen noch lebhaft zu beschäftigen haben.
Dringender noch und nicht weniger schwierig wird die Beratung der sogenannten hängenden Fälle und der Umgang mit jenen Verträgen sein, die zwar abgeschlossen, aber mit Formmängeln behaftet sind.
Hier ist der Druck auf die Beratung noch zusätzlich dadurch verstärkt worden, daß wir im Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz vorgesehene Regelungen in den Komplex der Sachenrechtsänderung verschoben haben.
Nun gestatten Sie mir die Anmerkung, Herr Lühr: Wir haben im Rechtsausschuß unter Zustimmung Ihrer Kollegen klargemacht, daß die Rechtsauffassung von Herrn Heuer nicht zutrifft, daß es sich in Art. 17 des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes um eine schlichte Schuldenzuordnung handelt, die dort sein muß und keinerlei Stellung nimmt zu dem Rechtsstreit zwischen PDS, Treuhand und bestimmten Häusern und keinerlei Urteil abgibt über mögliche Rechtsstreite, die es bei der F.D.P. gibt. Insofern weiß ich nicht, auf Grund welcher Erleuchtung Ihre Partei auf einmal zu einer anderen Meinung gekommen ist,
bedauerlicherweise für den Fortgang der Beratung eines ganz wichtigen Gesetzes.
Es wäre also schön, wenn sich dieser Meinungsbildungsprozeß bei Ihnen in die richtige Richtung weiterentwickeln würde.
Dies ist also — in Richtung auf die F.D.P. gesagt — ein Grund mehr, zügig mit der Beratung zu beginnen und sie im Interesse der Betroffenen zu einem baldigen erfolgreichen Abschluß zu führen.
Ich kann versprechen, Frau Ministerin: Wir werden alles, was in den schwachen Kräften von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt, daransetzen, Ihnen dabei zu helfen, daß wir dieses Ziel so schnell wie möglich erreichen.
Meine Damen und Herren, letzter Redner in dieser Debatte ist unser Kollege Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Alteigentümer fühlen sich zum Teil unter sehr groben, zum Teil auch unter entwürdigenden Umständen um ihr Eigentum gebracht. Diejenigen, die unter schwierigsten Bedingungen mit eigener Hand Häuschen auf diese Grundstücke gebaut haben, fühlen sich im Recht und fühlen sich nachhaltig gestört, wenn sie diese Häuser, die sie unter ganz anderen Umständen als dauerhaft für sich nutzbar angesehen haben — auch wenn das harte Wort „Eigentum" aus Sicht der DDR für diese Dinge wohl nicht anwendbar ist —, durch jetzt wiederauflebende Ansprüche von Alteigentümern belastet sehen. Man wird es deshalb — die Vorredner haben das bereits ausgeführt — wahrlich auch in diesem schwierigen Fall niemandem recht machen können. Um so mehr gebührt unser Dank der Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, und ihrem Hause, daß sie einerseits eine geradezu salomonisch zu nennende Abwägung zwischen diesen beiderseitigen Interessen, jedenfalls in diesem speziellen Bereich, gefunden haben und andererseits auch durch die eingebauten Fristen,
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Detlef Kleinert
durch die Regelungen über Erbpacht, durch das Wahlrecht der Erbauer dafür gesorgt haben, daß hier eine in jeder Hinsicht weiche Landung erfolgt. Trotzdem wird es immer noch Fälle geben, wo die eine oder die andere Seite, manchmal auch beide, sich falsch und ungerecht behandelt fühlen. Dafür müßte man dann allerdings den Adressaten nicht bei denen suchen, die dieses Gesetz vorlegen, sondern bei denen, die die furchtbare Unordnung früherer Zeiten zu verantworten hatten.Zu einigen Kleinigkeiten möchte ich etwas sagen. Das hier gerühmte Vermittlungsverfahren — das wird Kenner nicht verwundern — findet unsere Zustimmung nicht, weil nach der handstreichartigen Einführung des Nur-Notariats in den neuen Bundesländern bei dem vorgesehenen Verfahren jetzt auch noch eine Aufgabe der Anwaltschaft, nämlich das Vermitteln unter Parteien, bevor sie sich bei Gericht oder Verwaltungsbehörden streiten, den Anwälten weggenommen werden soll zugunsten der Notare.Wir haben vor Jahren den außergerichtlichen Anwaltsvergleich eingeführt, um das Berufsfeld der Anwälte zu erweitern, um auch die Gerichte zu entlasten. Wir sollten dieser Grundrichtung auch hier folgen. Inwieweit die weiterhin angesprochenen Formmängel zu heilen sein werden und inwieweit hierbei die Gefahr besteht, daß neues Unrecht gesetzt wird, werden wir wohl im einzelnen in Beratungen zu prüfen haben.Sie erwarten sicherlich, daß ich etwas zu der auch von mir sehr bedauerten Verzögerung der für heute vorgesehenen Verabschiedung des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes etwas sage. Nun ist auch ausdrücklich noch das schöne Wort „Beschleunigung" enthalten, ich gebe es ja zu. Ich glaube allerdings, Herr Hacker, ich kann um Ihr Verständnis werben. Wir werden uns bemühen, unsere neueren Erkenntnisse so rasch wie möglich mit Ihnen zu diskutieren und die Verzögerung auf ein Minimum zu beschränken trachten.Ich fühle mich selbst durchaus nicht wohl bei dieser Angelegenheit, denn ich bin einfach gedanklich zu schlicht an die Sache herangegangen. Ich bin, wie ich gerne einräume, dem einfachen Gedankengang gefolgt: Wenn die PDS etwas beantragt, kann es nichts taugen. Deshalb habe ich mich mit der Sache nicht genügend auseinandergesetzt und mußte mir hinterher von Leuten, die bedeutend sachkundiger waren und in dieser Sache viel zu leiden hatten und viele Verhandlungen zu führen hatten, sagen lassen, daß ich bei meiner schlichten Wertung dieses Sachverhalts doch wohl nicht gründlich genug gedacht hatte und daß die Dinge — Herr Lühr hat das vorhin bereits anzudeuten versucht — eben doch komplizierter liegen.Wenn eine Kostenregelung für dieses Verfahren vorhanden wäre, wonach, soweit man unterlegen ist — der Vorgang ist bekannt —, man dann auch für die Folgen kostenmäßig einzustehen hat, wäre eine Einführung einer Kostenregelung nachträglich nicht erforderlich. Daß aber dies nun nachträglich eingebaut werden muß, zeigt, daß die Sache in mehrerer Hinsicht zweifelhaft ist und deshalb unter dem Gesichtspunkt, daß man nicht den Leuten, die denSchaden haben, auch noch den Spott zufügt, doch noch einmal betrachtet werden muß, ohne dabei der wichtigen Verabschiedung des Gesetzes allzu großen zeitlichen Tort anzutun.Erstes und Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, Erstes und Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz, heute das Sachenrechtsänderungsgesetz, das wir sicher rasch beraten werden, das praktisch verabschiedungsreife Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz und dann noch vor uns als Schlußsteine all der notwendigen Regelungen Schuldrechtsbereinigungsund, was ich für besonders wichtig, wenn auch nach wie vor besonders schwierig halte, das Entschädigungsgesetz — das ist eine stolze Liste von Gesetzen, die infolge der deutschen Einigung notwendig geworden waren und die jetzt schon fast komplett vorliegen. Das ist bei einer so ungeheuren Herausforderung und bei den Schwierigkeiten, die auch anhand dieses Gesetzentwurfes dargestellt werden konnten, eine sehr ordentliche Leistung, die sich sehen lassen kann. Dabei unterlasse ich nicht hinzuzufügen, daß das letztgenannte Gesetz nicht in die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Justiz, sondern in die des Bundesministers der Finanzen fällt.Ich hoffe, daß wir das, was vorliegt, bald und möglichst gemeinsam, wie sich das heute hier angedeutet hat, verabschieden können und daß die wenigen Schlußsteine alsbald nachgeliefert und eingefügt werden können. Dann können wir uns insgesamt sehen lassen. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist hier mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Beratungszeit in der ersten Lesung zu knapp ist. Sie wissen, das wird immer interfraktionell vereinbart. Nach der ersten Lesung kommen im allgemeinen Ausschußberatungen. Das wird auch jetzt nicht anders sein. Dann werden wir uns hier noch einmal in zweiter und dritter Beratung mit all diesen Sachgegenständen beschäftigen. Ich meine, dann haben wir eine gründliche Beratung der vorliegenden Sachgegenstände gewährleistet.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/5992 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist offenbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 unserer Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS/Linke Liste
Konsequenzen aus der jüngsten Steuerschätzung für die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache und erteile unserem Kollegen Dr. Gregor Gysi das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
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16436 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Dr. Gregor GysiDem Bundesfinanzminister wird gelegentlich vorgeworfen, er mißachte in seiner Finanzplanung Haushaltsrisiken und betreibe wenig Vorsorge. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Der Bundeshaushalt basiert auf realistischen Prognosen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die u. a. von den Wirtschaftsforschungsinstituten geteilt werden.So wörtlich das Bundesfinanzministerium über die Politik seines Bundesfinanzministers. Ich denke, das ist schon ein Problem, weil wir es in Wirklichkeit mit einer gänzlich anderen Entwicklung zu tun haben.Die am Mittwoch dem Finanzausschuß zugeleiteten und zugleich der Öffentlichkeit vorgestellten Ergebnisse des Arbeitskreises Steuerschätzung beweisen, was nicht nur die PDS/Linke Liste immer behauptet hat: Dieser Bundesregierung ist die Haushalts- und Finanzpolitik völlig aus dem Ruder gelaufen.Ich darf Sie daran erinnern, daß wir bereits im März für dieses Jahr eine Neuverschuldung des Bundes von 70 Milliarden DM erwartet hatten. Damals wurde uns vorgeworfen, daß das reiner Zweckpessimismus sei und daß nichts daran wahr sei. Der Bundesfinanzminister ging nämlich von 55 Milliarden aus und meinte, unsere Rechnung sei eine Milchmädchenrechnung.Im Juni hat er sich dann korrigiert und die Neuverschuldung mit 67,5 Milliarden durch Nachtragshaushalt einräumen müssen. Da war er schon sehr nahe an unserem Betrag dran. Und ich behaupte, daß wir in diesem Jahr noch einmal einen Nachtragshaushalt bekommen werden, und daß es eine weitere Neuverschuldung noch für 1993 — nicht erst für 1994 — geben wird. Spätestens dann sind unsere damals prognostizierten 70 Milliarden erreicht bzw. überschritten. Denn es fehlen für 1993 im Vergleich zur Schätzung weitere 1,4 Milliarden Steuereinnahmen bei den Kommunen. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, daß in diesem Jahr eine von 16 auf 26 Milliarden DM erhöhte Zuschußforderung der Bundesanstalt für Arbeit auf den Bund zukommen wird. Das hängt einfach mit den gestiegenen Arbeitslosenzahlen zusammen. Insofern ist jetzt schon klar, daß die Prognose nicht stimmte.Im Mai 1993 wurde die Schätzung der Steuereinnahmen für das Jahr 1994 um 23,5 Milliarden nach unten korrigiert. Jetzt gibt es eine weitere Korrektur um 1,7 Milliarden. Und auch die ist nicht realistisch, das wissen wir schon heute.Der Bundesfinanzminister hat als Konsequenz aus der jüngsten Steuerschätzung angekündigt, daß sich die finanzpolitische Grundlinie des Bundes nicht ändern wird. Ich muß sagen: Das ist angesichts der dramatischen Abwärtsentwicklung der öffentlichen Finanzen nicht einmal mehr Zynismus, das ist schon eine reale Drohung.Zum Haushaltsentwurf 1993 hatte Herr Waigel im Juli 1992 verkünden lassen, Eingriffe in Leistungsgesetze seien nicht nötig, und hinzugefügt, im Finanzplan sei Sorge getroffen für die großen mittelfristigen finanzpolitischen Aufgaben. — Ich kann Ihnen das alles mit Pressemitteilungen des Bundesfinanzministeriums nachweisen. — Vier Monate später wurde bereits an einem sogenannten Konsolidierungskonzept gearbeitet. Der Bundesfinanzminister ließ es sich nicht nehmen, das neue Jahr, nämlich das Jahr 19.93, mit der Jubelmeldung zu begrüßen, das finanzpolitische Konzept der Bundesregierung stehe auf einer soliden Grundlage, und die Haushalts- und Finanzplanung seien realistische Zielgrößen.
Im November 1992 ließ Herr Waigel mitteilen, er rechne mit einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung im Verlauf des Jahres 1993. Im Mai räumte er eine zyklische Abschwächung ein. Und vor drei Wochen fühlte er sich durch das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in seiner Zuversicht bestärkt, daß die konjunkturelle Talfahrt ihr Ende erreicht habe und sich allmählich wieder die wirtschaftlichen Antriebskräfte durchsetzten. Jetzt ließ er schlicht erklären, der konjunkturelle Aufschwung setze doch etwas später als ursprünglich angenommen ein; so die Erklärung des BMF vom 9. November 1993. Doch in Wirklichkeit ist ein Aufschwung weit und breit nicht in Sicht.Im laufenden Haushaltsjahr haben die niedrigen Lohnabschlüsse auch zu sinkenden Steuereinnahmen geführt. Das wird nämlich immer vergessen: Wer Lohnkosten senken will, reduziert damit auch die Einnahmen des Staates aus der Lohnsteuer und aus anderen Quellen.Die immer weiter steigende Arbeitslosigkeit in Kombination mit dem Sparpaket wird im kommenden Haushaltsjahr nicht nur die Nachfrage schwächen — dies allein wird laut DIW schon zu 33 Milliarden DM Verlust führen —, sondern zwangsläufig auch zu niedrigeren Steuereinnahmen führen, weil das Bruttoinlandsprodukt um 1 % sinken wird. Nullrunden, Reallohnkürzung sowie der Verzicht auf Lohnanpassung im Osten, die sowohl die Bundesregierung als auch leider Teile der- SPD fordern, würden diese negative Entwicklung beschleunigen.Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung verschärft die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Trotz Sparpaket und Leistungsabbau steigt das Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit.
Herr Kollege Dr. Gysi, Ihre Redezeit ist abgelaufen. — Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: In dieser Aktuellen Stunde gibt es keine Redezeit von mehr als fünf Minuten. Unsere Geschäftsordnung sagt, die Beiträge dürften „bis zu fünf Minuten" betragen.
Gerade eben war noch eine Minute angezeigt.
Nein, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Das waren bereits fünf Minuten.
Gut. Dann sage ich nur noch einen letzten Satz. — Es gäbe wirklich andere Möglichkeiten, Steuergerechtigkeit mit einer realen Finanzpolitik herzustellen. Man muß dabei nicht an Sozialleistungen heran. Wir haben dazu
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16437
Dr. Gregor Gysischon vielfach Vorschläge unterbreitet. So unsolide wie bisher geht es auf jeden Fall nicht weiter.
Das war ein langer Satz. — Herr Kollege Dieter Pützhofen, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Wer die wirtschaftlichen Daten und Entwicklungen der letzten drei Jahre verfolgt hat und wer über die Grundkenntnis verfügt, daß Wirtschaftsentwicklung, nominales Bruttosozialprodukt und Steuereinnahmen unabänderlich etwas miteinander zu tun haben, der kann sich ja eigentlich nicht hier an das Mikrophon begeben und von dem Eintreten einer überraschenden Lage sprechen.
Die wirtschaftliche Situation Deutschlands — wie die aller westlicher Industrienationen — ist bekannt, und sie wurde von der Bundesregierung in den Zeiten konjunktureller Schwierigkeiten richtig eingeschätzt.
Die Problematik der weltwirtschaftlichen Rezession, die auch bei uns zu Steuermindereinnahmen führt, ist durch die Politik nur bedingt steuerbar. Der Impuls, den die deutsche Einheit gebracht hat, schwächt sich ab und führt zu einem Ergebnis, das unsere westeuropäischen Nachbarn bereits vor Jahresfrist kennengelernt haben. Da sind Steuerschätzungen, die oftmals politisch und nicht volkswirtschaftlich vorgenommen werden, deutlich revidiert worden.
Bei uns sind Abweichungen von einem halben Prozent eigentlich nicht unüblich — und genau das ist für 1993 prognostiziert worden. Für 1994 sind die Steuerschätzungen ebenfalls zurückgenommen worden, um Fehlkalkulationen zu verhindern.
Die Mindereinnahmen resultieren, wenn Sie sich die einzelnen Zahlen einmal ansehen, zum weitaus größten Teil aus den Zinssenkungen der Bundesbank im letzten und in diesem Jahr. Bei einer globalen Zinssenkung von V/0 auf 6 % sind Zinsverluste von 25 % hinzunehmen, und das führt zu Zinsabschlagsmindereinnahmen von 2 bis 3 Milliarden DM.
Wenn wir einerseits Zinssenkungen als den Motor wirtschaftlicher Entwicklung feiern, müssen wir andererseits auch die Mindereinnahmen bei Steuern akzeptieren, ja wir müssen sie sogar wollen, wenn dadurch der gesamtwirtschaftliche Rahmen positiv gestaltet wird.
Viel wichtiger als diese, sagen wir, eher statistische Betrachtungsweise ist die Frage nach den Konsequenzen. Es ist wieder einmal der Zeitpunkt, die richtige Antwort zu finden. „Sparen" allein ist meines Erachtens der falsche Begriff. Sparen heißt Geld, das man hat, nicht ausgeben; hier geht es darum, daß man Geld, das man nicht hat, nicht ausgibt.
Sparen und Senken der Nettokreditaufnahme, u. a. durch eine globale Minderausgabe , eine zehnprozentige Sperre bei sächlichen Verwaltungsausgaben, bei militärischen Beschaffungen sowie bei Zuweisungen und Zuschüssen, ist das, was wir gestern im Haushaltsausschuß beschlossen haben.
Das hat übrigens auch in unseren Reihen die Wirkungsweise eines kleinen bis mittleren Erdbebens gehabt. Aber, wie so oft ist ein unangenehmer Beschluß, der uns in die richtige Richtung bringt, besser als ein angenehmer Beschluß, der falsch ist. Das Beratungsergebnis zeigt die schwierige Gratwanderung zwischen Sparzwang auf der einen Seite und Konjunkturstabilisierung auf der anderen Seite, und das in einer Zeit, in der bis in den Bundestag hinein Partikularinteressen hochgehalten werden.
Die Probleme, die mit Globalkürzungen verbunden sind, glauben wir dabei erkannt zu haben. Der Bundesfinanzminister ist ausdrücklich ermächtigt worden, bei zukunftsorientierten Schwerpunkten Ausnahmen zu machen.
Wir lassen uns als Haushälter bei solchen Beschlüssen gerne vorwerfen, wir seien die Unholde, wenn das Ergebnis stimmt. Das Ergebnis heißt: Haushaltsentlastung, eisernes Sparen, Beschränkung der Nettokreditaufnahme. Das Ganze heißt: Wahrung strikter Stabilitätskriterien.
Meine Damen und Herren, ich kann mir einen letzten Satz allerdings nicht ersparen. Daß sich ausgerechnet die Staatsbankrotteure von gestern hier an das Mikrophon begeben und sich als die Wirtschaftsberater von morgen aufspielen wollen,
ist wieder einmal eine beachtenswerte, eine erheiternde Nummer im Politzirkus der PDS.
Danke sehr.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Steuerschätzung kann nur richtig beurteilt werden, wenn man die Ergebnisse der letzten mittelfristigen Steuerschätzung vom Mai einbezieht. In der mittelfristigen Steuerschätzung sind vor allem die Auswirkungen der schwierigen Wirtschaftslage, in der wir uns befinden, deutlich geworden. Bereits im Mai wurde festgestellt, Herr Pützhofen, daß entgegen den ursprünglichen Annahmen für dieses Jahr rund 13 Milliarden DM und für das nächste Jahr sogar 46 Milliarden DM Steuern ausfallen. Dies ist ein dramatischer Einnahmeverlust, nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und Gemeinden.Bundesfinanzminister Waigel versucht, die Einnahmeausfälle beim Bund in erster Linie dadurch auszugleichen, daß er im nächsten Jahr mehr als doppelt so viele Schulden macht, wie ursprünglich geplant. Dies zeigt, daß von einer berechenbaren und vorausschau-
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Joachim Poßenden Finanzpolitik bei dieser Bundesregierung nicht die Rede sein kann.
Aber auch diejenigen in den Ländern und Gemeinden, die jetzt Haushaltsberatungen führen, spüren auf schmerzhafte Weise, was es bedeutet, sich auf die Aussagen des Bundesfinanzministers zu verlassen und nun von der Realität eingeholt zu werden. Ein Bundesfinanzminister, der mit seiner Finanzplanung derart falsche Vorgaben macht, wird seiner Verantwortung für die Finanzpolitik unseres Landes einfach nicht gerecht.
Entgegen den Darstellungen des Finanzministers und Herrn Pützhofens übernimmt die neue Steuerschätzung im wesentlichen die gesamtwirtschaftlichen Annahmen der vorhergehenden Steuerschätzung. So wird insbesondere das Bruttosozialprodukt mit 3 Billionen 246 Milliarden DM für 1994 genauso hoch geschätzt wie bisher. Wir hoffen alle, daß diese Prognosen zutreffend sind. Sie setzen aber voraus, daß es im nächsten Jahr wirklich zu einer spürbaren Aufwärtsentwicklung kommt und in den alten und in den neuen Bundesländern zusammen ein Wachstum von nominal 4 % — das entspricht einem realen Wachstum von etwa 1,5 % — erreicht wird. Vorsorge für eine schlechtere Konjunkturentwicklung, wie sie etwa von den Wirtschaftsverbänden befürchtet wird, ist aber nicht getroffen.Daß die neue Steuerschätzung dennoch für das nächste Jahr Mindereinnahmen von rund 14 Milliarden DM gegenüber der bisherigen Schätzung ausweist, hat zwei Gründe. Der erste Grund ist das inzwischen beschlossene Standortsicherungsgesetz mit der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes und des Einkommensteuerspitzensatzes für gewerbliche Einkünfte, was im Jahr 1994 zu Mindereinnahmen von 4,5 Milliarden DM führt.Der zweite und noch viel gewichtigere Grund liegt darin, daß die neu eingeführte Kapitalertragsteuer auf Zinsen nicht, wie bisher veranschlagt, 32 Milliarden DM, sondern nur 15,5 Milliarden DM erbringen wird. Das ist noch nicht einmal die Hälfte der bisher vom Bundesfinanzminister angesetzten Einnahmen. Wenn man dagegenrechnet, daß weniger Kapitalertragsteuer bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer angerechnet wird, verbleibt immerhin ein Nettosteuerausfall von 8 bis 9 Milliarden DM.Herr Grünewald war gestern im Plenum so nett, mir zu bescheinigen, immer gut zu rechnen, und hat es quasi als eine definitive Bestätigung angesehen, daß ich einer von ihm genannten Einnahmezahl einmal nicht widersprochen habe.
Er ist heute nicht da. Herr Echternach ist anwesend.Herr Echternach, wären Sie denn jetzt bereit, zubestätigen, daß Ihre Kapitalertragsteuer ein ziemlicher Schlag ins Wasser ist
und wir immer davor gewarnt haben, so könne man der Steuerhinterziehung bei den hohen Zinseinkünften nicht begegnen?Der Herr Bundesfinanzminister hat in dieser Frage regelrecht einen Eiertanz auf dem europäischen Parkett aufgeführt: erst Abschaffung der Quellensteuer des Dr. Stoltenberg, dann Verhinderung einer europaeinheitlichen Zinsbesteuerung, dann Einführung der eigenen Kapitalertragsteuer unter dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren.
Das hat die Banken und Kapitalanleger doch nur dazu verleitet, ihr Geld an der Steuer vorbei in Luxemburg anzulegen. Das Zauberkunststück, eine Steuer zu beschließen, von der man gar nicht will, daß sie wirkt, gleichwohl aber erhebliche Mehreinnahmen anzusetzen, kann eben nicht gelingen. Das Dilemma von Herrn Waigel ist, daß man es in der Finanzpolitik mit Zahlen zu tun hat. Man kann sich über sie eine gewisse Zeit hinwegsetzen, aber sie holen einen schließlich doch immer wieder ein.
Jetzt dreht der Bundesfinanzminister erneut eine Pirouette und will auch Luxemburg zu einer Zinsbesteuerung überreden, gleichzeitig aber in der Bundesrepublik an dem Schutz der großen Steuerhinterzieher durch die Einschränkung der Ermittlungsmöglichkeiten nach § 30a der Abgabenordnung festhalten. Das alles ist nicht sehr glaubwürdig.Meine Damen und Herren, die Steuerschätzung zeigt am Beispiel der Zinsbesteuerung in exemplarischer Weise, auf welch hohe Einnahmen der Bundesfinanzminister sehenden Auges verzichtet, indem er die Steuerhinterziehung nicht wirksam bekämpft. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Bürger, die diese Steuerausfälle durch ständige Steuererhöhungen ausgleichen müssen und auch die Folgen der ausufernden Staatsverschuldung zu tragen haben. Ich appelliere daher an Sie, mit uns gemeinsam zum Schutz der ehrlichen Bürger, deren Steuerlast ohnehin hoch genug ist, endlich energisch gegen die Steuerhinterziehung und den Mißbrauch von Steuergestaltungsmöglichkeiten vorzugehen.
Als nächster Redner hat jetzt unser Kollege Dr. Wolfgang Weng das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Zeiten besonderer politischer Bewegung werden aus ganz normalen Vorgängen plötzlich politisch brisante Ereignisse. Ich
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Dr. Wolfgang Weng
kann mich nicht erinnern, daß der Deutsche Bundestag schon einmal in einer Aktuellen Stunde über die Ergebnisse der Steuerschätzung diskutiert hat.Wenn der Vertreter der PDS an den Sitzungen des Haushaltsausschusses teilnehmen würde,
wo er üblicherweise eine Politik des leeren Stuhls betreibt,
dann wüßte er, daß das Parlament schnell Konsequenzen gezogen hat. Der mit Haushaltsfragen beauftragte Ausschuß hat gestern in seiner abschließenden Beratung zum Bundeshaushalt 1994 mit einer Globalkürzung von 5 Milliarden DM reagiert, die eine Konsequenz aus der jüngsten Steuerschätzung darstellt.
Zur Steuerschätzung selbst: Das Gremium, das die Steuerschätzung durchführt, hat seither immer hervorragende Gesamtwerte geliefert. Es ist kein politisches Gremium. Auf die Arbeit dieser sachkundigen Beamten haben wir uns seither gut verlassen können. Hierauf fußend hat der Deutsche Bundestag in langen Jahren bezüglich der Einnahmeschätzungen für das jeweils kommende Jahr sicher agieren können. Die Unterschiede zwischen der Schätzung und den tatsächlichen Steuereinnahmen im dann kommenden Jahr sind wirklich nur ganz marginal gewesen, so daß wir eine solide Grundlage für unsere Beratungen hatten.Es ist erfreulich, daß die neue Steuerschätzung für das kommende Jahr aufzeigt, daß die wirtschaftliche Talsohle durchschritten ist. Die Schätzer gehen dabei von Frühindikatoren aus, die deutlich machen, daß eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im kommenden Jahr zu erwarten ist.Aber erstmals haben sich die Schätzer in erheblicher Dimension geirrt. Bei der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts veranlaßten konsequenteren Besteuerung von Zinserträgen war eine enorme Unsicherheit über das Ergebnis der neuen Zinsabschlagsteuer gegeben; die Prognose war hier von vornherein sehr schwierig. Teilweise ist hieran aber auch der Deutsche Bundestag, sind hieran die handelnden Politiker selber schuld. Denn es war unser politischer Wille,
im Deutschen Bundestag, zumindest auf der Mehrheitsseite, einen außerordentlich hohen Freibetrag bei dieser Steuer anzusetzen. So entstanden naturgemäß große Unwägbarkeiten.Soweit ich mich erinnere, Frau Kollegin MatthäusMaier, haben Sie sich gegen diesen Freibetrag nicht ausgesprochen.
Sie haben andere Konzepte vorgestellt. Und da Sie anderen Eiertänze vorgeworfen haben, Herr Kollege Poß: Der Eiertanz der SPD in der Frage der Quellensteuer würde hier eine vergleichbare Darstellung ermöglichen; aber die Kürze der Zeit verbietet das. Sie wissen selber, Frau Matthäus-Maier, daß Sie hier sehr verschlungene Wege gegangen sind, um immer im richtigen Moment nein sagen zu können.
Man hat sich deshalb eklatant verschätzt schon für das Jahr 1993, aber auch noch Anfang dieses Jahres für die zu erwartende Entwicklung 1994. Mit über 7 Milliarden DM weniger Einnahmen — da gibt es jetzt einen gewissen Dissens, Herr Poß, den wir an anderer Stelle aufklären müssen —, gegen die ein nach unserer Auffassung relativ höheres Ergebnis der Einkommensteuerschätzung zu verrechnen ist, entsteht nicht eine Finanzierungslücke, wie von Ihnen gesagt, von 8 Milliarden DM, sondern nur von 5 Milliarden DM gegenüber der Gesamtsteuerschätzung.Es kann hier offenbleiben, ob die Bürger steuerunehrlicher sind, als diese Gruppe von Beamten angenommen hat, oder ob sie neue, legale Möglichkeiten besser ausgeschöpft haben. Dagegen wird ja niemand etwas haben können. Auch die Frage, in welchem Umfang illegal gehandelt wird, also Schwarzgeld ins Ausland verschoben und nach Deutschland zurücktransferiert wird, können wir leider hier nicht klären.
— Nein, das ist nicht egal. Das ist eine Sache, die bereinigt werden muß. Darüber, auf welche Weise das geschehen kann, wird an anderer Stelle zu diskutieren sein. Der Verdacht, daß viel Geld z. B. nach Luxemburg gewandert ist, um von dort steuerfrei wieder in Deutschland angelegt zu werden, ist jedenfalls gegeben. Er scheint auch nicht unbegründet zu sein.Ich sage auch: Daß bei möglichen Transfers eine Reihe deutscher Banken, vor allem Großbanken, eine sehr traurige Rolle spielen, ist uns bewußt. Auch dies wird Folgen haben.
Die Konsequenzen aus dem Ergebnis der Steuerschätzung wird die Bundesregierung selbst darstellen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hält die erste Reaktion des Haushaltsausschusses für richtig. Sie ist bereit, weitere notwendige Folgerungen zu ziehen.
Da die Belastung der arbeitenden Bevölkerung die Obergrenze eher überschritten hat, muß eine konsequentere Standortpolitik wirtschaftlichen Auf-
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Dr. Wolfgang Weng
schwung bringen. Hier brauchen beide großen Parteien mehr Mut.
Sonst ist eine weitere Belastung derjenigen, die an der Erarbeitung des Sozialprodukts nicht beteiligt sind, unvermeidlich.Vielen Dank.
Herr Dr. Keller, Zwischenfragen sind in der Aktuellen Stunde nicht zulässig. Ich kann Ihren Wunsch insofern leider nicht befriedigen.
Meine Damen und Herren, nun hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, unser Kollege Jürgen Echternach, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Steuerschätzung stellt die richtigen haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung, aber auch die jüngsten Spar- und Wachstumsbeschlüsse des Deutschen Bundestages nicht in Frage. Wer die aktuelle Steuerschätzung richtig beurteilen will, kann nicht nur isoliert das abstrakte Ergebnis betrachten.Die nackten Zahlen mögen sich vielleicht für eine Propagandaveranstaltung, wie die PDS sie hier mit der Aktuellen Stunde beabsichtigt hat, eignen.
Wer sich aber die Mühe macht, diese Zahlen im einzelnen zu hinterfragen, wird feststellen, wie realistisch die Einschätzung, die Prognose der Bundesregierung bereits im Mai dieses Jahres war.Bei der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Situation haben die Schätzer von Bund und Ländern für das laufende Jahr keine nennenswerten Korrekturen vornehmen müssen. Jetzt, sieben Wochen vor Ende des Jahres, wurde eine Zunahme des gesamtdeutschen nominalen Bruttosozialprodukts für 1993 von 2,6 % angenommen gegenüber einer Schätzung von 2,7 % im Mai. Das heißt, es wurde auch die Stelle nach dem Komma fast genau getroffen.Für das nächste Jahr wurde die Wachstumsschätzung um einen halben Prozentpunkt auf nunmehr 4,0 % korrigiert. In dieser Annahme spiegelt sich der etwas stärkere Abschwung und der leicht verzögerte konjunkturelle Wendepunkt wider.Bei der Bewertung der jüngsten Schätzergebnisse sind folgende Faktoren zu berücksichtigen. Erstens müssen die jetzt geschätzten Steigerungsraten der Steuereinnahmen von 1,9 % für dieses Jahr und 3,8 % für das nächste Jahr vor dem Hintergrund der hohen Steuereinnahmen des letzten Jahres gesehen werden, die gegenüber 1991 um über 10 % zugelegt hatten.Zweitens zeigt die Schätzung, daß die Steuereinnahmen der Länder und Gemeinden Ostdeutschlands überdurchschnittlich stark ansteigen. So weisen die Steuereinnahmen der neuen Länder in diesem Jahr ein Wachstum von über 15 % auf. Das ist ein Spiegelbild der sich immer mehr verfestigenden Aufwärtsentwicklung in Ostdeutschland.
1993 wird in Ostdeutschland ein nominelles Wirtschaftswachstum von 20 % zu verzeichnen sein, und für das nächste Jahr werden fast 13 % Wachstum von den Experten erwartet.
Ein großer Teil der Schätzabweichungen ist nicht konjunkturbedingt, auch wenn Sie, Herr Kollege Poß, versucht haben, aus dieser Aktuellen Stunde eine Abschwungdebatte zu machen.
Die verringerten Steuereinnahmen gehen auf den Gesamtkomplex „Zinsabschlag" zurück.
— Gut, es kamen auch andere Töne. — Der Grund für die Korrektur des Zinsabschlages liegt nicht zuletzt an den kräftig gesunkenen Zinsen, die die Kapitalerträge deutlich geschmälert haben.Der Finanz- und Haushaltspolitik des Bundes wurde in den vergangenen Monaten immer wieder der falsche Vorwurf gemacht, sie behindere gesamtwirtschaftlich notwendige Zinssenkungen. Wie falsch dieser Vorwurf war, zeigt, daß die Deutsche Bundesbank in den letzten zehn Monaten siebenmal die Leitzinsen gesenkt hat. Jetzt, wo die Zinsen niedrig sind — Baugeld ist so billig wie fast nie zuvor —, beschimpfen Sie die Bundesregierung schon wieder, weil auf Grund des niedrigen Zinsniveaus die Zinsabschlagsteuer nicht ganz so sprudelt wie ursprünglich angenommen.
— Gut, ich freue mich, daß Sie insofern offenbar keinen Vorwurf an die Bundesregierung erheben.
Jedenfalls meine ich, Sie müßten sich schon entscheiden, ob Sie am Ende niedrige Zinsen wollen oder nicht. Wenn wir niedrige Zinsen wollen, dann müssen wir natürlich auch die Kehrseite in Kauf nehmen, nämlich daß dementsprechend die Zinsabschlagsteuer nicht so hoch sein kann, wie noch zu Beginn des Jahres erwartet.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16441
Parl. Staatssekretär Jürgen EchternachMeine Damen und Herren, das jetzt erreichte Zinsniveau ist für uns eine ganz wichtige Voraussetzung für den Aufschwung; denn niedrige Zinsen bedeuten mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze, mehr Wachstum und damit auch künftig wieder mehr Steuereinnahmen.Es kommt hinzu, daß jeder Steuereinnahme das jeweils geltende Recht zugrunde liegt. Eine Revision der Steuerschätzung vom Mai war auch deshalb nötig, um das neue Standortsicherungsgesetz erstmalig zu berücksichtigen. Dieses wichtige Gesetz zur Sicherung des Investitionsstandortes Deutschland führt im nächsten Jahr zu Mindereinnahmen bei den Gebietskörperschaften von insgesamt rund 4,5 Milliarden DM, davon allein beim Bund von 2 Milliarden DM. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dieses Gesetz mit seinen Entlastungswirkungen für die Unternehmen ein wichtiges Element bei der Überwindung unserer wirtschaftlichen Probleme ist.Den Mindereinnahmen aus der Steuerschätzung stehen gewisse Mehreinnahmen an anderer Stelle gegenüber, über die man auch nicht ohne weiteres hinweggehen kann. Verringerte Abführungen an die Europäische Gemeinschaft mit einem Volumen von 1 Milliarde DM und zusätzliche Einnahmen, insbesondere durch die weiterhin konsequent und erfolgreiche betriebene Privatisierung, verringern Fehlbeträge auf der Einnahmeseite.Dennoch ist richtig: Ohne weiteres Gegensteuern würde sich die Nettokreditaufnahme des Bundes erhöhen, insbesondere angesichts der Mehrbelastungen durch die gestiegenen Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Dieser Automatik wollten sich weder die Bundesregierung noch der Haushaltsausschuß tatenlos unterwerfen. Während der Haushaltsausschußberatungen der letzten beiden Tage wurden wirkungsvolle Maßnahmen beschlossen, die in großem Maße die freiverfügbaren Mittel für laufende Ausgaben abschöpfen, es aber dennoch erlauben, die notwendigen zukunftsorientierten Schwerpunkte zu setzen.Ich möchte an dieser Stelle allen Kollegen des Haushaltsausschusses, die auch in der Bereinigungssitzung wieder Schwerstarbeit leisten mußten, herzlich für ihre Unterstützung danken.Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist auch kein Spielraum vorhanden für immer wieder hier und dort geforderte zusätzliche Ausgabenprogramme. Bei solchen Maßnahmen stünden sehr begrenzten Anstoßwirkungen große Nachteile gegenüber. Sozialdemokratisch geführte Bundesregierungen und sozialdemokratische Finanzminister, von denen es ja, oft in kurzer Folge, eine ganze Reihe gab, haben diese negativen Erfahrungen mehr als einmal machen müssen.Der entscheidende Nachteil neuer Konjunkturprogramme ist: Jede zusätzliche staatliche Ausgabe und jede neue Steuersubvention treiben die öffentlichen Defizite nach oben und gefährden so die erzielten Erfolge an der Zins- und an der Inflationsfront.
Diese einfachen ökonomischen Zusammenhänge sind, so scheint es jedenfalls, den Enkeln von Apel,Matthöfer & Co., aber auch den Nachfolgern eines so hervorragenden Ökonomen wie Herrn Günter Mittag offenbar nicht immer eingängig.
— Ich glaube, Sie sollten Ihre eigene Vergangenheit nicht so leugnen.Statt dessen brauchen wir in einer konjunkturell so sensiblen Lage wie jetzt Stetigkeit und Standfestigkeit, damit das Wachstum wieder Fuß fassen kann.Die Steuerschätzung betrifft nicht nur den Bund. Auch die Finanzlücken auf Länder- und Gemeindeebene werden sich weiter erhöhen, wenn nicht gegengesteuert wird. Deshalb appelliere ich nachdrücklich an die Länder, die vereinbarte Dreiprozentgrenze bei der Ausgabensteigerung einzuhalten.
Der Bund kommt dieser gemeinsam gestellten Aufgabe nach. Wenn man den durchlaufenden Posten der Bahnreform methodisch richtig nicht zugrunde legt, steigt der Haushalt 1994 um 2,9 %.
Das Ergebnis der Steuerschätzung zeigt: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hat nach wie vor höchste Priorität und bleibt eine Daueraufgabe. Es zeigt aber auch, daß alle gesellschaftlichen Gruppen ihren Anpassungsbeitrag leisten müssen, damit wir schnell wieder an das Wachstumsjahrzehnt von 1983 bis 1992 anknüpfen können und so die Arbeitsmarktprobleme schrittweise überwinden.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Nils Diederich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neue Milliardenlöcher im Waigelschen Haushalt, Herr Echternach, sind ja fast normal geworden. Ich unterstelle gar nicht, daß das immer die Schuld der Bundesregierung ist. Insofern ist das Thema nicht so besonders aktuell.Ich stimme dem Kollegen Pützhofen zu: Wenn die PDS wenigstens gelegentlich bei den wichtigen Debatten im Haushaltsauschuß auftauchte — ich sehe natürlich ein, daß das bei der Kleinheit der Gruppe sehr schwer möglich ist —, hätte sie in dieser Woche zweimal über viele Stunden — am Mittwoch bis nachts um 1 Uhr und am Donnerstag bis fast 22 Uhr — die Gelegenheit gehabt, sich über diese Dinge sehr aus-
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16442 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Dr. Nils Diederich
führlich und im Detail nicht nur zu informieren, sondern sich damit auch auseinanderzusetzen.
— Die Öffentlichkeit werden wir in epischer Breite in der nächsten Sitzungswoche bei der zweiten und dritten Lesung unterrichten. Dort werden wir von A bis Z unsere Kritik am jetzigen Bundeshaushalt und an der Politik der Bundesregierung bzw. der Koalition vortragen.Im Moment kommt es nur auf die Frage an: Wie reagiert die Koalition auf die neuen Steuerschätzungen, die gegen Ende der Haushaltsberatungen bekanntgeworden sind? Wir haben gestern im Haushaltsausschuß der Koalition vorgeschlagen, gemeinsam gezielt diese 5 Milliarden DM zu streichen; denn auch wir sind der Auffassung, daß wir nicht beliebig in die Neuverschuldung hineingehen können, sondern daß wir, soweit das notwendig und möglich ist, das Anwachsen der Haushalte begrenzen müssen. Bloß, bei dem, was die Koalition gestern beschlossen hat, hat sie kopflos, ohne nachzudenken und ohne Konzept reagiert. Der Beschluß einer globalen Minderausgabe in der Obergruppe 5 und der Hauptgruppe 6 — wenn man das so verwendet, lieber Kollege Pützhofen —, bedeutet natürlich, daß das sehr schön verschleiert ist. Man muß erst einmal schauen, was in diesen Gruppen enthalten ist.Es sind eben nicht nur die militärischen Beschaffungen, die Sie erwähnen, sondern es sind auch die vielen Zuwendungsempfänger, die ja subsidiär gesellschaftliche Aufgaben erfüllen und über die wir im großen und ganzen einen Konsens erzielt haben. Nicht immer; denn es gibt natürlich viele Unterschiede hinsichtlich der Frage, wer gefördert werden soll. Aber es sind öffentliche Aufgaben, die Sie hier pauschal kürzen.Sie wissen auch, daß in der Hauptgruppe 5 sehr viele gesetzlich festgelegte Aufgaben enthalten sind, so daß es im wesentlichen die freien Träger der Wohlfahrtspflege treffen wird. Sie kürzen bei der Jugendhilfe, Sie kürzen bei den sozialen Aufgaben von Krebshilfe bis Aids.Sie kürzen auch bei all den wirtschaftspolitischen Förderungsmaßnahmen. Wenn ich mir den Einzelplan des Wirtschaftsministers ansehe, sind in der Gruppe 6 vor allen Dingen all die Zuschüsse enthalten, die die Wirtschaft in den neuen Ländern beleben und die dort die Investitionen in Gang bringen sollen. Sie werden ja wohl nicht bei bestimmten Dingen kürzen können — bei „Jamburg " oder wo auch immer —, die gesetzlich festgelegt sind; das sind die großen Brocken. Aber bei den kleinen Programmen werden Sie dann eben nicht mit 10, sondern mit 20 und 30 % hineingehen.Die Koalition hat nicht den Mut gehabt, diese Verantwortung selber zu übernehmen und zu sagen, wir kürzen da und da, sondern Sie haben sich den Finanzminister als Erfüllungsgehilfen auserkoren.Wir sind der Meinung, daß man diese 5 Milliarden DM — das sind ja 1 % des Bundeshaushaltes — in einer gemeinsamen Aktion noch in den letzten beiden Sitzungen des Ausschusses — möglicherweise mit einer Verschiebung der Endberatung im Plenum um eine Woche — oder meinetwegen in der sitzungsfreien Woche gemeinsam hätte erzielen können bei einigen großen Subventionen.Ihr Beschluß zeigt, daß die Koalition insgesamt handlungsunfähig ist, weil sie nämlich gar nicht mehr fähig ist, sich darüber zu einigen, wo zu kürzen ist.
Sie gehen pauschal mit dem Rasenmäher rüber und überlassen es dem Finanzminister, Ihnen dann Vorschläge zu machen, damit Sie sich verstecken können.
Was Sie hier versuchen, ist ein schnell verpuffendes Feuerwerk. Es ist keine Signalwirkung in Richtung Wirtschaft. Wir wissen, daß selbst bei dem leichten Wachsen der Wirtschaft, das uns vorausgesagt ist, die Arbeitslosenzahlen noch weiter steigen werden.
Herr Kollege Diederich, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dort sind Anreize verlangt.
Die Koalition hat sich um die Erfüllung der Aufgabe, einen Vorschlag zur Kürzung dieser 5 Milliarden DM, über die es keinen Dissens gibt, einzubringen, gedrückt und hat ein weiteres Mal gezeigt, daß sie völlig konzeptionslos auf eine Situation reagiert, die wir schon seit Jahren kennen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Peter Harald Rauen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzdaten sind alarmierend. Da gibt es nichts zu beschönigen.
Die arbeitenden Menschen in Deutschland — egal, ob Arbeitnehmer oder Unternehmer — sind schon zu hoch mit Steuern und Abgaben belastet, und dennoch kommen die Gebietskörperschaften und die sozialen Versicherungsträger mit den hohen Steuern und Abgaben immer noch nicht aus.Daß sich vor diesem Hintergrund die PDS und die SPD hier sozusagen Arm in Arm hinstellen
und die Finanzdaten beklagen, ist aus meiner Sicht Ausdruck einer verlogenen Politik.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993 16443
Peter Harald RauenBei allen Leistungsgesetzen, die die Bundesregierung in den letzten Wochen einschränken wollte, um die Ausgaben zu senken, waren Sie doch dagegen und haben die Menschen mit Worten wie „Sozialabbau", „sozialer Kahlschlag" und „soziale Kälte" verunsichert.
Sie waren ebenfalls massiv gegen die Maßnahmen der Bundesregierung, den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen, wie das z. B. mit dem Standortsicherungsgesetz geschehen soll. Auch dagegen waren Sie.
Es ist gut, daß der Haushaltsausschuß bei den Ausgaben massiv auf die Bremse tritt. Die Neuverschuldung und damit die Kreditaufnahme aller öffentlichen Haushalte hat im letzten Jahr schon mehr als 80 % der privaten Ersparnisbildung verschlungen. In diesem Jahr wird es noch mehr sein. Diese Entwicklung muß gestoppt werden, weil sie sonst sehr schnell die Stabilität der D-Mark gefährden könnte, ganz zu schweigen davon, daß die jährliche Nettoneuverschuldung und die Staatsschulden ohnehin schon jenseits der Konvergenzkriterien gemäß den Maastrichter Verträgen sind.Die großen Haushaltsrisiken sind eindeutig durch die dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg gekennzeichnet. 25 Milliarden DM mehr in diesem Jahr und 43 Milliarden DM mehr im nächsten Jahr gegenüber den Haushaltsansätzen von heute vor einem Jahr sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin mir fast sicher, daß hier weitere Überraschungen auf uns zukommen.Von 1986 bis 1992 haben ausländische Firmen in Deutschland nur noch knapp 20 Milliarden Dollar investiert,
in Großbritannien dagegen das Siebenfache und in Amerika das Vierzehnfache. Das war und ist für die Arbeitsplätze in Deutschland eine dramatische Entwicklung.Unter allen anderen Standortfaktoren für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist der Faktor Lohn der mit Abstand größte Standortnachteil.
Die nach wie vor hohe Produktivität in Deutschland ist nicht mehr in der Lage, die zu hohen Arbeitskosten zu kompensieren. Die Lohnstückkosten sind bei uns 1992 und erst recht in diesem Jahr die höchsten im Vergleich aller westlichen Industrieländer.Viel zuwenig beachtet wird jedoch die Tatsache, daß trotz der weltweit höchsten Lohnkosten bei uns die deutschen Arbeitnehmer mit ihren Nettoeinkommen im Vergleich der westlichen Industrieländer auf die siebte bis achte Stelle zurückgefallen sind.
— Sie werden es gleich hören.Die deutschen Arbeitnehmer kosten brutto zuviel und verdienen netto zuwenig.
Die Tatsache, daß ein Facharbeiter fünfeinhalb bis sechseinhalb Stunden arbeiten muß, um von seinem Nettolohn eine einzige legal erkaufte Lohnstunde zu bezahlen, macht klar, warum in Deutschland fast fünf Millionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze fehlen und gleichzeitig Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung immer mehr um sich greifen.Es ist in Deutschland genügend Arbeit da, aber nicht mehr genügend Arbeit zu bezahlbaren Preisen. Die Summe der sozialen Leistungen in Deutschland betrug im letzten Jahr über 1 000 Milliarden DM und damit 72,54 % der Bruttolohn- und -gehaltssumme. Wir leben hier eindeutig über die Verhältnisse. Eigentlich brauchen wir schnell eine umfassende und durchgreifende Reform unserer Steuer- und Sozialsysteme.
Auch der Staat — das sind wir alle, die wir hier sitzen, egal, auf welcher Seite des Hauses, meine Damen und Herren — kann nicht mehr verteilen, als vorher erarbeitet worden ist.
Im Rahmen unserer sozialen Sicherungssysteme müssen wir weg von der Vollkaskomentalität und hin zur Verantwortungsgesellschaft.
Bei dem Gewurstel und der Geschaftlhuberei, die ich in diesen Fragen bisher bei der SPD erlebt habe, und bei den großen Widersprüchen, die in den Aussagen Ihrer führenden Köpfe deutlich werden, bin ich mir eigentlich sicher, daß nur die Unionsparteien als Volksparteien in Verbindung mit der F.D.P. diese großen Herausforderungen der Zukunft bewältigen werden.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Ludwig Eich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mir nicht sicher, ob der Herr Kollege Rauen gemerkt hat, daß er über die Lage gesprochen hat, die das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung ist: eine Leistungsbilanz einer
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16444 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Ludwig EichRegierung, wie sie schlechter keine Regierung nach dem Krieg vorzuweisen hat.
Mit der neuen Steuerschätzung müssen auch die Kommunen das zweite Mal in diesem Jahr ihre Einnahmen nach unten korrigieren. Viele Städte und Gemeinden kommen damit in eine Lage, die man nur noch als katastrophal bezeichnen kann. Es zeigt sich, daß die verheerende Finanzlage unseres Staates über unsere Finanzausgleichssysteme unseren Sozialstaat über die Kommunen an der empfindlichsten Stelle trifft.In der Not schließen Städte und Gemeinden nicht nur Schwimmbäder, sondern auch Altentreffs, Begegnungsstätten und andere wichtige Einrichtungen. Überall wird gestrichen, gespart — bei der Kultur, beim Sport und auch im sozialen Bereich.
Gerade dort zeigt unser Staat seine Krise, wo er den Bürgern am nächsten ist. Mehr noch als sonst muß deshalb nach den politisch Verantwortlichen für diese Entwicklung gefragt werden. Das sind zweifellos Sie, meine Damen und Herren von CDU, CSU, F.D.P. und von dieser Regierung.
Die neuesten Zahlen der Steuerschätzung sind somit Ausdruck einer tiefen Finanzkrise, die Teil einer politischen Gesamtkrise ist. Hatten wir in Deutschland je eine größere Schuldenlast als derzeit 2 Billionen DM? Gab es in der Bundesrepublik Deutschland je mehr Arbeitslose als heute? Gab es je mehr Menschen in unserem Land, die von der Regierung so rücksichtslos an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden? Gab es denn je vorher die bedrückende Realität, daß jedes sechste Kind in einem Haushalt groß wird, der von der Sozialhilfe leben muß?
Gab es je vorher in der Bundesrepublik eine Regierung, die die Opfer der eigenen Politik, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, bestraft? Nein, meine Damen und Herren, eine solche Regierung gab es bei uns noch nicht.
Aber unserem Bundeskanzler geht es gut. Nur seine Witze vom kollektiven Freizeitpark kommen nicht mehr so an. Mit seinen Witzen geht es ihm wie mit seiner Politik:
Keiner kann sie verstehen.
Heute hat unser Land das Wort Armut bitterernst zu nehmen. Daß dies so ist, das verantworten Sie, meineDamen und Herren. Dies ist vor allen Dingen das Ergebnis der steigenden Arbeitslosigkeit und des Abbaus der sozialen Systeme.
Massive Armut ist das Ergebnis. Weil die Sozialhilfe, die alles regeln soll, ursprünglich als Einzelfallhilfe geplant war und eben nicht als Massenabsicherung funktionieren kann, oder, genauer gesagt, weil die Kommunen dieses Problem nicht mehr tragen können, ist es absehbar und eine Frage der Zeit, daß die Regierungspolitik der Ausgrenzung und Unterversorgung dazu führt, daß die kommunale Ebene handlungsunfähig wird.
Noch nie gab es in unserem Land eine Lage wie heute. Das Überleben unseres Sozialstaats als Ganzes steht auf dem Spiel. Deshalb ist jeder Tag mit dieser Regierung Kohl ein schlechter Tag für Deutschland.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Matthäus-Maier das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Steuerschätzung zeigt erneut in aller Deutlichkeit: Die Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist ein Chaos ohne Ende. Bei den Zahlen, die uns der Bundesfinanzminister regelmäßig auftischt, steht immer wieder fest: Sie sind falsch und meilenweit von der Wirklichkeit entfernt.
Nur ein Beispiel: Zur Neuverschuldung im Jahre 1993 nannte uns der Finanzminister vor einem Jahr zuerst die Zahl 38 Milliarden DM, im November hieß es dann 43 Milliarden DM, im Januar 1993 hieß es dann 53 Milliarden DM, im März 1993 hieß es 63 Milliarden DM, im Juni hieß es dann 67,5 Milliarden DM, und heute präsentieren Sie uns eine Neuverschuldung für das laufende Jahr 1993 von 73 Milliarden bis 74 Milliarden DM, eine Verdoppelung der Neuverschuldung des Bundes.
Nein, meine Damen und Herren, wer als Finanzminister mit seinen Zahlen derart danebenliegt, der hat entweder den Überblick verloren, oder er täuscht ganz bewußt Parlament und Öffentlichkeit. Das eine ist so schlimm wie das andere. Ich fürchte, bei Herrn Waigel kommt beides zusammen.
Übrigens, mit der Unberechenbarkeit der Finanzpolitik ist die Finanzpolitik mittlerweile zu einem schweren Standortnachteil dieses Landes geworden.
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Ingrid Matthäus-MaierWelcher Unternehmer kann sich auf solche Zahlen eigentlich noch verlassen?
Das Ergebnis dieser chaotischen Finanzpolitik ist: Die Bundesregierung hat die Staatsfinanzen gegen die Wand gefahren.
Die Staatsverschuldung ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Mittlerweile summieren sich die Schulden aller öffentlichen Hände auf rund 1,9 Billionen DM und marschieren auf die 2 Billionen DM zu. Im Durchschnitt ist damit eine vierköpfige Familie mit Staatsschulden von rund 100 000 DM belastet. Wenn Sie so weitermachen, verspielen Sie nicht nur die Zukunft unserer Kinder, sondern auch noch die unserer Enkel.
Und, das geht ja so weiter: Im laufenden Jahr wächst der staatliche Schuldenberg um sage und schreibe weitere 235 Milliarden DM, die auf diesen Block noch obendrauf kommen.
Nächstes Jahr werden aller Voraussicht nach noch einmal ähnlich viele Staatsschulden obendrauf gepackt. Ob Sie es gerne hören wollen oder nicht: Schuldenmachen ist zum Markenzeichen der Politik dieser Bundesregierung geworden, Herr Echternach.
Die Zinsausgaben machen den Staat zunehmend handlungsunfähig.
134 Milliarden DM muß der Staat in diesem Jahr nur für Zinsen ausgeben. Nur als Vergleich: Der ganze Umweltetat von Herrn Töpfer beträgt ungefähr 1,5 Milliarden DM. Dagegen 134 Milliarden DM für Zinsen!
Der Bundesrechnungshof hat erst vor kurzem eindringlich darauf hingeweisen, daß 1997 schon jede vierte Mark von den Steuereinnahmen des Bundes nur für Zinsen ausgegeben werden muß. Sie haben mit dieser Schuldenpolitik eine Erblast aufgetürmt, unter der unser Staat in den nächsten Jahren zusammenzubrechen droht.Sie haben gleichzeitig mit Ihrer Regelung der Zinsabschlagsteuer die Tür für enorme Steuerflucht für große Verdienste nach Luxemburg geöffnet. Wirhaben hier keinen Eiertanz gemacht, meine Damen und Herren.
Wir waren für kräftige Anhebungen der Freibeträge, aber gegen das bürokratische Monster des Zinsabschlags. Unser Stichprobenverfahren hätte die Steuerflucht beseitigt und gleichzeitig die kleinen Leute voll und ganz aus der Besteuerung der Zinsen herausgenommen.
Übrigens: Seit Jahren versucht der Finanzminister durch Aussitzen, Vertuschen, Beschönigen und Täuschen, der Öffentlichkeit diese Situation nicht klar werden zu lassen.
Außerdem geben er und auch der Wirtschaftsminister das falsche Signal, man wolle den Spitzensteuersatz — nicht für Unternehmen, sondern generell — senken. Wie kann man denn bei dieser Staatsverschuldung, bei der Tatsache, daß man kleinen Leuten in die Tasche greift, auf die Schnapsidee kommen, Menschen, die im Jahr ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 240 000 DM haben, noch den Spitzensteuersatz und damit die Steuern um mehrere tausend Mark zu senken?
Der Finanzminister gibt das Signal an die bayerische Rüstungsindustrie, daß der Jäger 90 gebaut und nicht etwa gestoppt wird. Wir brauchen die umgekehrten Signale.
— Herr Kollege, kommen Sie doch nach vorne, und halten Sie eine Rede. Lautstärke ersetzt keine Argumente, meine Damen und Herren.
Wir brauchen jetzt die richtigen Signale. Ein richtiges Signal wäre eine sofortige Haushaltssperre auch auf der Bundesebene noch für dieses Jahr. Das bringt zwar keine Milliarden, aber zeigt, daß Sie endlich bereit sind, zu sparen.Wir brauchen die offizielle Ankündigung, daß die Bundesregierung auf den Bau des Jäger 90 verzichtet.
Ein Milliardengrab hängen Sie uns an den Hals.
Metadaten/Kopzeile:
16446 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1993
Ingrid Matthäus-Maier— Der bleibt auch, meine Damen und Herren. Wir werden Sie solange kritisieren, bis Sie dieses Milliardengrab Jäger 90 einstellen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, die Redezeit ist um.
Ja. — Wir erwarten von Ihnen, daß Sie unsere Liste des Abbaus von Steuersubventionen aufgreifen. Nur ein Beispiel: Das „Handelsblatt" — —
Nein, das kann ich nicht zulassen, Frau Kollegin.
Gestatten Sie einen Satz mit Semikolon?
Einen Satz, bitte.
Das „Handelsblatt" berichtet: Sie haben unseren Vorschlag abgelehnt, daß Schmiergelder steuerlich nicht mehr absetzbar sein sollen. Schämen Sie sich dafür! Außerdem hätte allein dieser Punkt 100 Millionen DM gebracht.
Ja, keine Aufregung, meine Damen und Herren, ich wollte auf drei Dinge aufmerksam machen:
Erstens: Bei all dem, was wir diskutieren, sollten wir in der Wortwahl immer daran denken, was wir uns gegenseitig zumuten.
Worte wie Volksverhetzung o. ä. sind nun hier parlamentarisch zwar nicht unmittelbar zu rügen, aber ich bitte dies zu bedenken.
— Genau.
Die zweite Bemerkung. Ich finde es auch nicht sehr gut, daß Debattenteilnehmer, die an diesem Tagesordnungspunkt teilgenommen haben und hier reden, anschließend nicht mehr zugegen sind. Ich finde das nicht sehr gut!
Eine dritte Bemerkung. Nun werden wir das, was wir hier heute diskutiert haben, in der Sitzungswoche vom 22. November an eine ganze Woche lang diskutieren, nämlich den Haushalt für die Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1994, so daß wir auch da ausreichend Gelegenheit haben, die Argumente und Ansichten auszutauschen.
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 23. November 1993, 14.00 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.