Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich möchte zunächst zwei Kollegen nachträglich zu einem runden Geburtstag gratulieren — das ist immer ein erfreulicher Anlaß —, und zwar dem Kollegen Dr. Hans de With, der vor einigen Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, und dem Kollegen Dr. Oscar Schneider , der seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Im Namen des Hauses spreche ich beiden die besten Wünsche aus.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens
— Drucksache 12/2062 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 12/2718 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Gerd Wartenberg
Dr. Burkhard Hirsch
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 GO
— Drucksache 12/2718 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres Ina Albowitz
Rudolf Purps
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Beschleunigung der Ayslverfahren
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Willfried Penner, Gerd Wartenberg , Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Behandlung von Asylanträgen in den neuen Bundesländern
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Für eine neue Asyl- und Zuwanderungspolitik
zu dem Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
zur Vereinbarten Debatte zur Asylpolitik und Ausländersituation
zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Vollständige Wiedereinführung der Genfer Flüchtlingskonvention als rechtliche Grundlage in das Asylrecht
— Drucksachen 12/2100, 12/852, 12/1296,
12/1326, 12/2097, 12/2718 —Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Gerd Wartenberg
Dr. Burkhard Hirsch
Zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens liegen vier Entschließungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird vorgeschlagen, für die Aussprache anderthalb Stunden vorzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.
Die Aussprache kann somit eröffnet werden. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Bundestag sind Gemeinsamkeiten möglich, auch auf dem Gebiet des streitigen Asylrechts. Es ist richtig, was Kurt Schumacher sagte: Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. Realität war und ist: Auch im letzten Monat kamen über 32 000 Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland. Realität ist ferner, daß 5 Millionen Ausländer in unserem Lande wohnen, in Ballungsgebieten teilweise über 20 %, in einzelnen Stadtteilen noch mehr. Realität ist weiter, daß zwei Drittel aller Asylanträge der Europäischen Gemeinschaft in Deutschland gestellt werden. Zum Vergleich zwei Zahlen: Nach England kommen 3 %, in die Niederlande 2,5 %. Realität ist auch, meine Damen und Herren, daß die Anerkennungsquote im letzten Jahr rund 5 % betrug, daß aber 75 % der abgelehnten
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7888 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Erwin MarschewskiAsylbewerber in Deutschland geblieben sind, obwohl sie keinen Status als De-facto-Flüchtling hatten und obwohl für sie die Genfer Konvention nicht in Frage kam.Wir alle wissen: Die Wanderungsbewegung von Süd nach Nord und von Ost nach West hat ihre Ursache darin, daß die Menschen in bitterer Armut leben, daß sie diese Armut nicht mehr hinnehmen, sondern ihr davonlaufen. Deswegen ist natürlich Wirtschaftshilfe vonnöten. Daher begrüße ich das Flüchtlingskonzept der Bundesregierung ganz besonders. Ich meine, damit ist ein vernünftiger Lösungsansatz gegeben.Realität ist auch, daß wir in Deutschland nicht alle Armutsprobleme der Welt lösen können. Nicht alle diese Menschen können in Deutschland Aufnahme finden. Deswegen sagt unsere Verfassung zu Recht: Nur wer politisch verfolgt ist, genießt Asyl. Ich füge hinzu: Wer politisch verfolgt ist, muß rasch anerkannt werden. Wer aber eindeutig politisch nicht verfolgt ist, muß ebenso rasch seine Ablehnung erfahren und Deutschland wieder verlassen.Das, meine Damen und Herren, ist das, was wir durch das Asylverfahrensgesetz erreichen wollen. Wir haben hierfür folgende fünf Maßnahmen vorgesehen.Erstens: die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Ich bedanke mich hier besonders beim Bundesfinanzminister herzlich dafür, daß er den Ländern frei werdende Liegenschaften zur Verfügung gestellt hat.
— Wenn Kasernen nicht frei sind, Herr Kollege — das ist aber nicht der Punkt einer sachlichen Debatte —, kann man sie nicht frei machen. Wir bemühen uns darum.Zweitens, meine Damen und Herren: Wir haben das Verwaltungsverfahren gestrafft. Der Bund hat es übernommen, einheitlich bis hin zur Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, kurzfristig zu entscheiden. Dabei führen wir in Zukunft nur noch eine Anhörung durch, und zwar beim Bundesamt in Zirndorf.Hier jedoch eine Bemerkung zu dem Antrag der SPD zur sogenannten Schnittstellenproblematik. Meine Damen und Herren, das Bundesamt kann nicht zur allein zuständigen Bundesausländerbehörde für alle Asylsuchenden werden. Wir haben eine grundgesetzliche Aufteilung, und nach dieser grundgesetzlichen Aufteilung liegt die Kompetenz für Verwaltungsangelegenheiten grundsätzlich bei den Ländern. Und, meine Damen und Herren, wir brauchten eine flächendeckende Bundesverwaltung, die sicherlich räumlich und zahlenmäßig so groß wäre wie die Bundeswehr. Das können und wollen wir nicht. Das stünde unseres Erachtens auch klar in Widerspruch zu Art. 87 des Grundgesetzes.
Nein, ich meine, die gesetzliche Zuständigkeitsaufteilung ist die sachgerechteste aller Lösungen. Nur sie ermöglicht ein Höchstmaß an Verfahrensbeschleunigungen. Das gilt auch für die Paßbeschaffung, ein Problem, über das in den Ausschußberatungen sehr intensiv diskutiert worden ist. Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten meinen, auch hier solle der Bund „zuständiger" werden. Nur, auch da holen die Fakten Sie ein. Im letzten Jahr haben wir die Bitte um Mithilfe beim Auswärtigen Amt, was die Paßbeschaffung betrifft, in nur 129 Fällen gehabt. Dafür die Kompetenzen zu ändern, dafür völlig neue Verwaltungen zu schaffen, ich glaube, dies ist nicht sachgerecht.Drittens: wir haben die Gerichtsverfahren gestrafft. Wir haben sie in der Regel auf eine Instanz beschränkt. Wir haben Rechtsmittel- und Begründungsfristen verkürzt, und wir haben bei Nebenverfahren, die nicht das Bleiberecht selbst betreffen, die Beschwerde abgeschafft. Wir wissen, daß wir — das war ja die Forderung des Kanzlergesprächs am 10. Oktober letzten Jahres — die gehegte Erwartung, die Gerichtsverfahren in zwei Wochen beenden zu können, leider nicht erfüllen werden. Das ist klar. Aber, meine Damen und Herren, ich meine, daß wir mit diesem Gesetz, was die Gerichtsverfahren betrifft, doch eine erhebliche Verfahrensverkürzung erreichen werden. Mit dieser Verfahrensverkürzung und mit dieser Straffung wird auch nicht die Statik des Rechtsstaates verändert, wie man vor geraumer Zeit in Parteipublikationen hat lesen können.Meine Damen und Herren, schließlich haben wir die erkennungsdienstliche Behandlung von Asylbewerbern, deren Identität nicht eindeutig ist, eingeführt. Sie wissen, daß auf Grund der beschränkten Auswertungskapazität des derzeitigen halbautomatischen Bund-Länder-Systems nur etwa 12 000 Abdruckblätter von Asylsuchenden ausgewertet werden können. In Zukunft werden es alle sein. Wir werden hierdurch auch die Doppel- und sogar Mehrfachbeziehung von Sozialhilfe verhindern. Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen die Zählung — —
— Was meinen Sie? Melden Sie sich ruhig zu Wort. Ich diskutiere gerne am Morgen. Dann kommt man etwas besser in Form, als wenn man hier nur diese nüchterne und sachliche Juristerei vorzutragen hat, werte Kollegin.
Meine Damen und Herren, Sie kennen die Zählung im Kreis Aachen. Von 5 000 Asylbewerbern bezogen 690 zu Unrecht Sozialhilfe. Das kostete 8,4 Millionen DM. Frau Kollegin, wenn Ihr Einwand dahin geht, es wäre falsch, deswegen Ressentiments gegen alle Ausländer und Asylbewerber zu hegen, ist er selbstverständlich richtig. Aber ich meine, gerade im Interesse der ehrlichen Asylbewerber ist die Einführung dieses AFIS-Systems vonnöten.
Ein wichtiger Punkt dieser Parteienvereinbarung beim Bundeskanzler ist das Versprechen der Länder, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß im Gegensatz zur Vergangenheit, wo 75 % der Asylbewerber in der Bundesrepublik blieben, nunmehr eine
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7889
Erwin MarschewskiAbschiebung politisch nicht verfolgter und abgelehnter Asylbewerber innerhalb einer Woche vollzogen wird; denn jede weitere Verzögerung würde zu einer Erweiterung der Unterbringungskapazität zwingen.Meine Damen und Herren, die zentralen Gemeinschaftsunterkünfte, zu deren Bereitstellung sich die Länder verpflichtet haben, fehlen bereits jetzt. Sie wissen, daß die Länder zugesagt haben, rund 50 000 Gemeinschaftsplätze zu schaffen, und daß sie im Augenblick nur in der Lage sind, 25 000 einzurichten. Ich richte mich damit an alle Bundesländer. Hier geht es wirklich darum, die Verpflichtung zu erfüllen, die die Länder freiwillig eingegangen sind. Deswegen mein Appell an die Länder, dies zu tun und dem Bund die versprochenen 500 Entscheider zu schicken. Versprechen sollte man halten „pacta sunt servanda" so formulieren wir als Juristen —, und das sollte gerade in diesem Bereich gelten.
Zur Bewertung dieses Gesetzentwurfs: Wir werden mit dieser Novellierung des Asylverfahrensgesetzes die Verfahren deutlich verkürzen. Ich habe es vorhin bei den Gerichtsverfahren schon angesprochen: Es wird schwierig sein, die Einhaltung der Sechswochenfrist zu erreichen. Ich meine aber, daß wir mit diesem Gesetz zumindest eine erhebliche Entlastung von Gemeinden und Ländern und eine erhebliche Entlastung der Bevölkerung erreicht haben.Aber eines ist klar: Der uns durch das Grundgesetz gegebene Spielraum für Verfahrensbeschleunigungen ist, so meine ich, nunmehr endgültig ausgeschöpft, Herr Kollege Hirsch. Das ist die Verfassungslage. Es ist doch eine fast eigenartige Situation: Keine Verfassung auf dieser Erde gewährt jedem Menschen auf die bloße Behauptung hin — und sei sie noch so unrealistisch —, politisch verfolgt zu sein, einen verfassungsrechtlich verbürgten Individualanspruch, eine Rechtsweggarantie, ein Prüfverfahren, Sozialhilfe und ein vorläufiges Bleiberecht für die Dauer dieses Verfahrens. Ich darf sagen: Das tut keine Verfassung auf dieser Erde!
Sie sind sicher bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? — Bitte schön, Herr Dr. Hirsch.
Herr Kollege Marschewski, ist Ihnen unbekannt, daß in den Verfassungen von Portugal, von Spanien und von Italien ein ausdrückliches subjektiv-öffentliches Verfassungsrecht verankert ist und daß das Asylrecht in Frankreich als Staatsziel in der Verfassung verankert ist?
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Hirsch, das sind völlig verschiedene Gesetze.
— Nein, ich wiederhole: Es gibt kein einziges Land, in dem einem Asylbewerber ein subjektiver Grundrechtsanspruch, ein Bleiberecht, Sozialhilfe und vieles mehr auf die bloße Behauptung hin verbürgt wird, er sei politisch verfolgt. Ich meine, daß unsere Verfassung ausgesprochen asylfreundlich ist. Das hat ja
seinen Grund gehabt, Herr Dr. Hirsch. Wir haben sie auf Grund der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, auf Grund der Ereignisse der Nazizeit ganz bewußt so formuliert. Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir dieses Problem lösen.
Herr Abgeordneter, Ihre Antwort veranlaßt den Kollegen Wiefelspütz, eine Frage zu stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Marschewski, trifft meine Vermutung zu, daß auch Sie stolz sind auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2, wo es heißt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"?
Herr Kollege Wiefelspütz, ich bin sehr stolz darauf. Sie wissen, wir legen eine Grundgesetzänderung vor. Bei dieser Grundgesetzergänzung lautet der erste Satz — er bleibt erhalten! —: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. " Das soll so bleiben, Herr Kollege. Darauf bin ich stolz, und wir werden das so durchführen.
Aber wir müssen überdenken, ob unser Asylrecht richtig ist; denn es kommen immer mehr Flüchtlinge zu uns, auch Armutsflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge. Im Jahre 1992 werden es sicherlich mehr als 400 000 sein. Die geltende Asylrechtsregelung stößt bei der Bevölkerung auf Vorbehalte und trägt dazu bei, Reserviertheit und manchmal sogar Abneigung gegenüber Asylbewerbern hervorzurufen. Das ist ein bedauerliches Faktum, aber wir müssen uns darauf einstellen; denn wir möchten mit vollen Rechten und Pflichten, Herr Dr. Hirsch, an internationalen Abkommen wie dem Schengener Zusatzabkommen und dem Dubliner Abkommen beteiligt sein und möchten Asylbewerber, die in einem anderen Land bereits Schutz vor politischer Verfolgung gefunden haben, zurücküberstellen, eben weil sie nicht mehr verfolgt sind. Daran hindert uns aber Art. 16 des Grundgesetzes.
— Doch. — Meine Damen und Herren, das machen wir immer so, nicht daß Sie glauben, daß im Innenausschuß nicht sachlich gearbeitet würde. Das ist bei Herrn Dr. Hirsch und bei uns Tagesgeschäft. Deswegen sage ich ja auch, daß ich mich darüber freue— und da meine ich die Kollegen von der SPD genauso —, daß wir in sehr sachlicher Atmosphäre über das Asylverfahrensgesetz beraten haben und es auch im großen und ganzen gemeinsam beschließen werden. Das ist richtig, und deswegen, Herr Kollege Wiefelspütz, haben wir auch die Verpflichtung, die von mir angesprochenen Fragen gemeinsam zu lösen. Ich sage, wir müssen weiterhin im Gespräch bleiben; denn über die Verfahrensbeschleunigungen hinaus müssen wir z. B. entscheiden, ob Zuwanderer aus akuten Bürgerkriegsgebieten überhaupt das Asylverfahren belasten sollen
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7890 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Erwin Marschewskioder ob ihnen nicht vielmehr ein zeitlich befristetes Aufenthaltsrecht gewährt wird. Wir müssen darüber reden, meine Damen und Herren, und wir bieten dies an.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt ausreden, ich komme zum Schluß.
— Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege Wiefelspütz; Sie wissen, zu einer Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Sie wissen auch, daß wir uns neben dieser Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge, die natürlich geklärt werden muß, weiter überlegen müssen, ob wir nicht das Grundgesetz maßvoll ergänzen sollten mit dem Ziel, Asylbewerber aus Nichtverfolgerstaaten oder sicheren Drittstaaten unverzüglich abzuschieben. Das ist der zweite Punkt. Das gehört zusammen, meine Damen und Herren!Ich sage drittens: Wir müssen darüber nachdenken, ob vielleicht doch eine Zuwanderungsbegrenzung nötig ist oder nicht.Das sind die drei Fragen, die wir gemeinsam behandeln müssen; denn, meine Damen und Herren, wir können dabei nicht auf eine europäische Lösung warten. Warum sollten die Europäer dies auch tun, solange zwei Drittel der Asylbewerber nach Deutschland kommen?
Es gibt doch keine Veranlassung für die anderen Staaten, uns da zu helfen!
Deswegen müssen wir im Gespräch bleiben, müssen wir gemeinsam nach Lösungen suchen.
Ich habe heute die Zeitung gelesen, und ich verstehe, daß Sie heute morgen besonders erregt sind, Herr Kollege Vogel.
Meine Damen und Herren, wir sind gefragt, über die Parteigrenzen hinweg. Ich meine, dies ist ein Auftrag an die Handlungsfähigkeit der Demokratie und eine Aufforderung an uns alle. Die Union jedenfalls lädt die SPD und auch die F.D.P. zu weiteren gemeinsamen Gesprächen ein. Wir stimmen dem Asylverfahrensgesetz zu.Ich bedanke mich.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Gottfried Bernrath.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Immer mehr Menschen in vielen Teilen der Welt verlassen ihre Heimat. Sie suchen für sich und ihre Familien neue Existenzgrundlagen. Viele flüchten vor politischer, ethnischer, religiöser Verfolgung, vor Bürgerkriegen oder auch, weil sie hungern. Hunger ist auch ein Verfolger.Nach Deutschland können Flüchtende, neue Lebensgrundlagen Suchende, nur gelangen, wenn sie sich unter Berufung auf unsere Verfassung um Asyl bewerben. Zwangsläufig nimmt daher, sehen wir uns die politische und wirtschaftliche Entwicklung nicht nur in den östlich und südöstlich benachbarten Ländern an, die Zahl der Asylanträge zu: 32 500 im Mai dieses Jahres, 6 000 mehr als im Vormonat; in den Monaten Januar bis Mai 156 000, mehr als das Doppelte des Vergleichszeitraums 1991. Zwei Drittel der Asylbewerber — und darin liegt die Aufgabe — stammen aus Ost- und Südosteuropa.Die statistischen Zahlen erregen Besorgnis. Die Struktur der Zahlen bzw. die Zusammensetzung der Zahlen der Asylbewerber aus verschiedenen Herkunftsländern muß uns nachdenklich stimmen. Sie zeigt vor allem, daß wir Flüchtende in aufwendige Asylverfahren zwingen, weil wir beispielsweise — das wurde soeben angedeutet — für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen oder anderen Zuwanderern keine zeitgerechten rechtlichen und verfahrenspraktischen Regelungen geschaffen haben. Von einem Konzept der Bundesregierung ist mir nun wirklich gar nichts bekannt. Erst recht ist kein praktisch durchsetzbares Konzept erkennbar. Das müssen Sie uns erst noch vermitteln!
Die Folge ist, daß wir unübersichtliche, viel zu lange Verfahren sowie Unterbringungsschwierigkeiten während der Anerkennungsverfahren zu Lasten der Kommunen haben. Aus den zu langen Verfahren ergeben sich immer dann Aufenthalts- oder Bleiberechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sich die Asylanträge schließlich als unbegründet erweisen, und das ist in der überwiegenden Zahl der Fall.Des weiteren ergibt sich ein Verlust des Konsenses mit und in der Bevölkerung, weil diese nicht mehr erkennt, ob der Staat die Zuwanderung überhaupt noch ordnet. Sie sieht den sozialen Ausgleich in den Städten und Gemeinden gefährdet. Aus diesem Grunde gab es im vorigen Jahr — ich erwähne in diesem Zusammenhang das Kanzlergespräch am 26. Oktober — unsere Anregung, über eine Neufassung der Regelungen über das Asylverfahren zu kürzeren Zeiten für die Anerkennungsverfahren zu kommen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7891
Hans Gottfried BernrathBei dieser Aufgabe sind wir an Art. 16 unserer Verfassung in Verbindung mit den bekannten Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, insbesondere an den Beschluß vom 20. April 1982, der auf das völkerrechtlich geschuldete Maß an gerichtlichem Rechtsschutz für Asylbewerber hinweist und feststellt, daß dazu auch der Zugang zu den Gerichten zählt. Das ist eine Bindung, die wir nicht auflösen können. Allerdings lassen uns das Bundesverfassungsgericht wie auch die Art. 16 und 19 unserer Verfassung Gestaltungsspielräume. In dieser Hinsicht sind wir also nicht hilflos. Diese Gestaltungsspielräume haben wir nunmehr genutzt.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden sich die Anerkennungsverfahren drastisch verkürzen lassen. Abschiebungen, die im übrigen zum Asylrecht gehören, werden nun, auch nach rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Normen, schneller möglich; allerdings nur, wenn das dafür erforderliche Personal und die technischen Voraussetzungen bereitgestellt bzw. geschaffen werden.Auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs, der nicht zuletzt auch nach einer Anhörung von Sachverständigen überarbeitet und konsensfähig wurde, will ich nicht eingehen. Ich will lediglich noch einmal ausdrücklich auf unseren Änderungsantrag zu § 24 des Gesetzentwurfs hinweisen. Hier geht es um die Pflichten des Bundesamtes. Ich möchte Sie dringend bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen; denn nur auf diese Weise lassen sich wirklich kürzere Verfahrenszeiten erreichen.
Nach der von uns vorgeschlagenen Regelung sollen sämtliche Duldungsgründe durch das Bundesamt geprüft und festgestellt werden. Wenn wir das nicht tun, dann, so meine ich, kommen wir wieder in eine unübersehbare Verzögerung. Im übrigen wird unser Vorschlag nicht dazu führen, daß wir so etwas wie eine Bundesausländerbehörde bekommen; ganz im Gegenteil, denn es handelt sich hierbei um die Überprüfung von Abschiebungsgründen von Menschen, die ja nicht anerkannt worden sind. Folglich sollen diese Menschen erst gar nicht in die Kommunen einreisen. Deshalb ist es widersinnig, diese Aufgabe den Kommunen zu übertragen. Das würde wieder zu langen Aufenthaltszeiten in den Kommunen führen.
Eine in dieser Hinsicht gebrochene Zuständigkeit des Bundesamtes führte zu sonst — siehe Änderungsantrag — vermeidbaren Problemen nach Anordnung der Abschiebung.Das, was Sie vorschlagen, ist verwaltungstechnisch unpraktisch. Ihr Vorschlag führt zu einem vermeidbaren Aufwand. Er kann auch den Erfolg der neuen Regelungen nachhaltig gefährden.Deshalb bitten wir darum, diesem Antrag zuzustimmen. Ich betone noch einmal: Dazu gehört dann auch, daß dann, wenn wir wirklich zu wirksamen Verbesserungen kommen wollen, das notwendige Personal sowie die Räume schnell zur Verfügung gestellt werden, damit die Verfahrensverbesserungen genutzt werden können.Wenn Sie an die Länder appellieren, tun Sie das wider besseres Wissen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß das Land Nordrhein-Westfalen dem BMI 900 Vorschläge für geeignetes Personal vorgelegt hat. Bis heute, jedenfalls bis vor wenigen Tagen, ist darauf noch keine Reaktion erfolgt, obwohl das seit sechs, sieben oder acht Wochen im BMI liegt. Es ist keine Auswahl des Personals vorgenommen worden!
Hier kann man eigentlich nur noch unterstellen, daß absichtlich verzögert wird, von den sehr zweifelhaften Einwänden des Bundesfinanzministers gegen ein schnelles Bereitstellen leerstehender Räume — natürlich kann es nur um leerstehende Räume gehen — einmal völlig abgesehen.
Viel Zeit ist schon vertan. Die komplizierten Regeln für das Inkrafttreten dieses Gesetzes — es heißt ja Beschleunigungsgesetz — lassen einen tiefen Einblick in die Hilflosigkeit der koordinierenden Behörden zu. Der Bund ist hier im besonderen Maße gefordert. Es geht nicht allein um Beschäftigungsprofile, wie der Bund meint, die bereitgestellt werden müssen. Es geht um die Auswahl des Personals und um die Mobilisierung von Personal.Da kann ich Ihnen übrigens einen Tip geben. Er wird allerdings den Kohl nicht fett machen — nicht im übertragenen Sinne.
Es laufen noch Disziplinarverfahren gegen kleine KP-Funktionäre unter Beteiligung von Disziplinarrichtern und anderen, gegen Menschen, die vor 18 oder 20 Jahren für die auch damals zugelassene KP kandidiert haben. Diese Verfahren werden nicht abgeschlossen. Damit gewinnt man zwar keine Menge Personal, aber es wird deutlich, womit sich Mengen von Personal beschäftigen. Das wird in anderen Bereichen nicht anders sein, und das erschüttert das Vertrauen in die Rechtsordnung, die wir haben.
Mit diesem die Asylanerkennungsverfahren abkürzenden Gesetz beginnt, so hoffe ich, eine Anpassung unserer Rechtsregeln, gegebenenfalls auch der Verfassungsvorschriften, an die tatsächlichen Erfordernisse der Zuwanderung nach Deutschland. Mir ist dabei bewußt, daß auch ein in dieser Hinsicht richtiges und erfolgreiches Vorgehen die Flüchtlingsströme nicht mindern wird. Wir ändern unser Recht, aber die Flüchtlinge werden dennoch kommen.Neben Art. 16 gilt im übrigen nach wie vor die Genfer Flüchtlingskonvention, und zwar unabhängig von innerstaatlichem Recht, so wie wir auch verpflichtet sind, innerstaatliches Recht nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu gestalten. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die keinen individuellen Asylanspruch kennt,
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7892 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Hans Gottfried Bernrathverbietet aber in ihrem Art. 33 die Ausweisung in Länder, in denen Menschen politisch oder sonstwie gefährdet sind, verfolgt sind usw.Es wird also nicht leicht sein, umfassende Zuwanderungsregelungen zu erarbeiten, weil viele sich aus innerstaatlichen Regeln ergebende Probleme bei Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen erneut auftreten. Darum kennzeichnet sich der vor uns liegende Weg durch die partnerschaftliche Harmonisierung der Zuwanderungsregelungen in Europa und mit den anderen europäischen Ländern und damit auch der verschiedenen Asylanerkennungsverfahren in Europa. Wir sollten den anderen nicht unterstellen, sie seien dazu nicht bereit, sondern sollten endlich nachdrücklich mit ihnen verhandeln.
Denn wir können tun, was wir wollen: Keine Verfassungsnorm ist Selbstzweck. Jede Verfassungsnorm muß sich rational rechtfertigen lassen. Dazu gehört auch, daß wir die innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Dies zu tun ist unsere Aufgabe. 8 Milliarden DM Kosten jährlich für Unterbringung, Betreuung und Integration von Asylbewerbern sowie die Gefährdung des sozialen Konsens zwingen uns zur restlosen Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Verringerung der Zahl der Verfahren — Bürgerkrieg ist wieder das Stichwort — und zur Verkürzung dann natürlich nötiger und ganz selbstverständlich rechtsstaatlicher Anerkennungsverfahren für Asylbewerber mit zutreffenden Begründungen.Danke schön.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der Verkürzung der Redezeit muß ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken.
Wer in einem anderen Land vor Verfolgung sicher war, Herr Kollege Marschewski, dessen Asylantrag ist unbeachtlich. Das ist kein Verfassungsproblem, sondern steht ausdrücklich in den §§ 2, 7 und 9 des Asylverfahrensgesetzes.
— Natürlich, die Rechtsprechung bestätigt das. Das steht ausdrücklich darin.
Das Gesetz selbst brauche ich hier im einzelnen nicht mehr vorzutragen; das ist zutreffend gemacht worden.
Wir wollen das Gesetz, weil es zu einer wesentlichen Beschleunigung des Verfahrens führen wird. Es ist allerdings mit Handicaps belastet: Einmal liegt dies
in der nicht abgeschlossenen verwaltungsmäßigen Vorbereitung der Einrichtung der Sammelunterkünfte und der Gewinnung des Personals. Der zweite Punkt ist, daß wir zu keiner Altfallregelung gekommen sind; es ist völlig klar, daß die Gerichte die neuen Fälle nicht schneller entscheiden werden, wenn sie mit den alten verstopft sind. Es bleibt drittens bei dem Unsinn, daß wir Bürgerkriegsflüchtlinge in Asylverfahren hineinkomplimentieren, damit die Länder den Gemeinden die Kosten abnehmen, obwohl jeder weiß, daß sie nicht unter das geltende Asylverfahrensrecht fallen.
Alle Gesetzesmacherei hat keinen Sinn, wenn der Vollzug nicht in Ordnung ist. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn der Innenminister und Bund und Länder unseren wiederholten Aufforderungen gefolgt wären, eine Kommission einzurichten, die ohne verwaltungsmäßige Hemmungen Einblick in alle Unterlagen bekäme, alle Informationen über Versäumnisse im Verwaltungsvollzug nachprüfen könnte.
Ich glaube, daß die Einrichtung dieser Kommission im wesentlichen daran scheitert, daß man dann feststellen würde, wieviele Probleme nicht etwa auf der Gesetzesformulierung beruhen, sondern darauf, daß der Verwaltungsvollzug nicht in Ordnung ist.
Wir wissen allerdings auch, daß die Wanderungsbewegungen viel tiefergreifende Reaktionen der europäischen Staaten verlangen. Europa ist Einwanderungsgebiet. Nachdem wir jahrzehntelang anklägerisch offene Grenzen gefordert haben, versuchen die Europäer nun, diese Grenzen klammheimlich zu schließen, obwohl alle Untersuchungen zeigen, daß wir in der Bundesrepublik auf eine Zuwanderung angewiesen sind, wenn wir unseren wirtschaftlichen Wohlstand erhalten wollen und wenn wir hoffen wollen, daß unsere Sozialsysteme noch weitere 20 Jahre funktionieren.
Diese Einwanderungsproblematik kann nicht über das Asylverfahren gelöst werden. Das entscheidende Versäumnis liegt darin, daß dieses Einwanderungsproblem aus naheliegenden und bekannten innenpolitischen Gründen verdrängt wird.
Das Verhältnis zwischen Asyl und Einwanderung muß geklärt werden. Dazu werden wir Vorschläge vorlegen.
Das Asylverfahren muß auf eine europäische Basis gestellt werden, weil es völlig unvertretbar ist, daß man mit dem Schengener Abkommen nur die Frage löst, wer für einen illegal ankommenden Flüchtling zuständig ist und sonst nichts. Die Behauptung, wir würden ein Reserveasylland, ist weder rechtlich noch tatsächlich zutreffend.
Herr Abgeordneter Wiefelspütz möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Aber natürlich.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7893
Herr Kollege Hirsch, bei aller Komplexität der Problematik: Stimmen Sie der zugespitzten Kurzformel zu, daß wir das Grundrecht auf Asyl schützen müssen, die Zuwanderung aber über diesen Personenkreis hinaus einschränken müssen?
Wir sind der Überzeugung, daß die Einwanderung mit unserem verbürgten Asylrecht in Wirklichkeit nichts zu tun hat. Unser Problem liegt darin, daß wir unser Asylrecht im Verfahren dadurch sprengen, daß viele, die einwandern wollen, ohne Flüchtlinge zu sein, diesen Weg gehen, nur um in die Bundesrepublik hineinzukommen.
Darum, Herr Kollege Wiefelspütz, müssen wir ein System entwickeln, das die Bewerber dazu zwingt, sich zu entscheiden, welchen dieser beiden Wege sie gehen wollen, weil wir ich sage gottlob — verwaltungsmäßig nicht in die Gehirne der Menschen hineingucken können.
Zu Europa. Richtig ist, daß sich unsere westeuropäischen Nachbarn mäuschenstill verhalten, weil sie möchten, daß die Bundesrepublik alleine mit den Flüchtlingen aus Ost- und Südosteuropa fertigwerden muß. Die von der CDU/CSU vorgeschlagene Verfassungsänderung löst an diesem Problem überhaupt nichts.
Wir sind dafür, daß politische Flüchtlinge weiterhin aufgenommen werden, daß sie ihr individuelles Recht auf Aufnahme behalten. Wir wollen die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, d. h. die individuelle Prüfung und die Verpflichtung, keinen Flüchtling dem Verfolgerland zuzuschieben. Wir wollen, daß sich die europäischen Länder zu einem Mindeststandard verpflichten, der es uns ermöglicht, die Asylentscheidungen auch anderer Länder anzuerkennen. Wir wollen, daß die Flüchtlingsbewegung an der Ursache bekämpft wird; und das kostet Geld. Wir wollen vor allem, daß die humanitäre Verheißung, die in Art. 16 unserer Verfassung liegt, weder dem Fremdenhaß noch dem Egoismus einer Wohlstandsgesellschaft geopfert wird.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß rechtsstaatliche Grundsätze und bestehende Grundrechte bewußt ignoriert werden, zeichnet die gesamte Debatte um das Asylrecht und erst recht die Anwendung dieses Rechts gegen die Flüchtlinge aus. Man muß sich tatsächlich vergegenwärtigen, wieso dieses Gesetz heute durch den Bundestag gepeitscht werden soll. Gemacht ist es für Anlässe wie den gegenwärtigen Bürgerkrieg in Jugoslawien. Um die Zahl dieser Flüchtlinge einzudämmen, hatten sich Bundestagsfraktionen zum sogenannten Kanzlerrundengesprächversammelt. Hier wurden die Grundideen der Verschärfung des Asylverfahrensgesetzes ausgeheckt.Es gibt durchaus einen inneren Zusammenhang zwischen der Debatte um die Verabschiedung des Gesetzes und dem Anwachsen des Flüchtlingselends in Bosnien. Denn exakt für diese Fälle wird ja europaweit ein gemeinsames Vorgehen diskutiert, erprobt und umgesetzt. In Absprache mit anderen europäischen Staaten hintertreibt die Bundesregierung die Fluchtmöglichkeit von Menschen aus dem vom Bürgerkrieg heimgesuchten Bosnien-Herzegowina. Mit allen Schlichen und bürokratischen Maßnahmen, mit Kaltschnäuzigkeit und Menschenverachtung werden Visabestimmungen dazu genutzt, Flüchtlinge an den Grenzen abzuwehren. Das konnten Sie auch im Fernsehen sehen. Die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg wird bei den bundesdeutschen Politikern zur größten Herausforderung, wie mit polizeistaatlichen Mitteln die Schlupflöcher für Flüchtlinge gestopft werden können.Schon im März jammerte der bayerische Innenminister Stoiber darüber, daß „der Zustrom von Asylbewerbern aus Jugoslawien über alle Vorstellungen angestiegen sei" . Gerade Herr Stoiber, der in der Zunahme der Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ein „Krebsübel" sieht, „das unsere demokratische Grundordnung erheblich schwächt" , forderte im März 1992 die Einführung der Visumpflicht für Jugoslawien.Die Zeitung „Die Welt" vom 14. April 1992 wußte zu berichten, daß die Sicherheitsbehörden fieberhaft überlegen, „wie sie illegale Grenzübertritte von Asylbewerbern ... wenn auch nicht ganz verhindern, so zumindest doch eindämmen können".
— Das ist ein Zitat. — „Rund 75 000 Jugoslawen hätten nach Angaben der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden die sichtvermerksfreie Einreise mißbraucht, um einen Asylantrag zu stellen", so die „Welt" weiter.Stoibers Vorschläge wurden mit der Anerkennung Bosniens umgesetzt. Plötzlich hingen zu Tausenden die Flüchtlinge an den Grenzen fest. Bundesinnenministerium und Regierungssprecher Vogel verteidigten die Visapflicht mit der Begründung, daß sie einen „Dammbruch" vermeiden wollten, der die Aufnahmekapazitäten von Ländern und Gemeinden übersteigen würde. Nicht der gnadenlos und mörderisch geführte Bürgerkrieg ist Maßstab für die Aufnahme der Flüchtlinge in der BRD, sondern der kleinkrämerisch geprüfte Kassenstand und die Furcht davor, daß angeblich das Boot zu voll werden könnte.Selbst der Kommentator der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung " vom 20. Mai 1992 stellte fest:Die in verqueren Bahnen verlaufende deutsche Asyl-Debatte hat offenbar den Blick dafür getrübt, daß Kriegsflüchtlingen nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch aus völkerrechtlicher Verpflichtung Zuflucht gewährt werden muß.
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7894 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Ulla JelpkeDie „FR" sieht in der Bundesregierung und im BMI „brutale Schlaumeier". Die „Süddeutsche Zeitung" spricht vom „schändlichen" Verhalten. Der Bonner Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars fordert, es gelte mehr denn je, den „Kerngedanken des Asylrechts zu bewahren, nämlich Schutz und Zuflucht denen zu gewähren, die Opfer von Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung geworden seien".Meine Damen und Herren! Am 18. März 1992 führte der Innenausschuß des Deutschen Bundestages eine Anhörung zum vorgelegten Entwurf des Asylverfahrensgesetzes durch. Die anwesenden 27 Expertinnen und Experten zerpflückten den gemeinsamen Gesetzentwurf gnadenlos und in Gänze. Es muß eindringlich betont werden: Die geladenen Rechtsanwälte, Richter, Verwaltungsbeamten und Vertreter von Wohlfahrtsverbänden sowie Kirchen verwarfen gerade die wichtigsten Grundlinien des Entwurfes und bezeichneten diese zum Teil als verfassungswidrig und gegen die Prinzipien des Rechtsstaates verstoßend.Als hätten die Sachverständigen gar nicht getagt, wird vom Innenausschuß weiter anvisiert, daß es eine Rechtsweggarantie für Asylsuchende nicht geben soll, daß es für Asylsuchende kein informationelles Selbstbestimmungsrecht geben soll, daß Asylsuchende für kleinere Vergehen in den Knast kommen sollen,
daß sie in Sammellagern kaserniert werden sollen, daß sie nur noch Sachmittel statt Barmittel erhalten sollen. Relativ gelassen hat man sich auf diese menschenrechtsverletzenden Eckpunkte geeinigt.
Zunehmend wurde das Hauptproblem das Tempo der Verabschiedung des Gesetzes.Der CDU-Versuch, die Grundgesetzänderung gleich mit zu erzwingen, wird dadurch unterstützt, daß die Länder die materiellen Voraussetzungen in diesem Tempo nicht schaffen können, selbst wenn sie das wollten. Allem Übel soll offenbar auch noch ein Asylchaos hinzugefügt werden. Innenpolitische Taktiererei spielt erneut mit dem Feuer einer Pogromstimmung.Alle praktikablen Vorschläge zur Beschleunigung und Entlastung der Asylverfahren, wie sie z. B. Pro Asyl bei der Anhörung vorgeschlagen hat, sind nicht zur Kenntnis genommen worden. Wir haben sie deshalb heute noch einmal als Entschließungsanträge eingebracht.Bis heute weigert sich die Bundesregierung trotz der terroristischen Politik der türkischen Regierung gegenüber dem kurdischen Volk, einen Abschiebestopp für die Kurden zu erlassen. Dafür tut die Bundesregierung aber alles, um eine neue Fluchtursache für Kurden aus der Türkei zu produzieren. Die Aufhebung des Waffenembargos gegen die Türkei in den letzten Tagen unterstreicht dies deutlich. Dieses Beispiel sagt alles über das Gerede der Bundesregierung über die Bekämpfung der Fluchtursachen weltweit, mit dem sie Einschränkungen des Asylrechts erkaufen will. Wer Waffen in ein Land wie die Türkeiliefert, macht sich meiner Meinung nach mitschuldig an der Fluchtbewegung.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim vorliegenden Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens, das als Ergebnis einer vorgezogenen Großen Koalition zustande gekommen ist
— Ich glaube nicht, daß das so schön wäre, Herr Kollege Wiefelspütz —, handelt es sich um einen weiteren Versuch — seit 1984 ist es der achte —, durch abschreckende rechtliche Regelungen die Anzahl der Flüchtlinge zu verringern.Mit diesem Gesetz sucht die Bundesregierung— und in ihrem Schlepptau die SPD — erneut das Heil in der Defensive, anstatt den Schritt zur offensiven und gestalteten Einwanderungspolitik zu wagen. Wieder werden dabei die Ursachen der Wanderungsbewegung weitgehend negiert.
— Dennoch: Auch wenn Sie ein schwerer Laster sind, sind Sie dennoch im Schlepptau der Regierung.
Das sollten Sie unter sich klären. Das werden die Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Wahl mit Interesse feststellen.Mit dem hilflosen Instrumentarium polizeistaatlicher Maßnahmen jedenfalls sollen die schlimmen Folgen der historischen und gegenwärtigen Kolonialpolitik Europas bewältigt werden. Anstatt endlich in einer Konzertierten Aktion aller Industrienationen die Fluchtursachen konsequent zu bekämpfen, errichten wir eine Mauer aus törichten Vorurteilen und kaltherziger Bürokratie um unser Land und um Westeuropa.Ich habe mit Interesse gehört, daß sich nach dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Klose, nun auch Herr Hirsch zu einem Einwanderungsgesetz bekannt und unsere Vorschläge aufgenommen hat, die wir vor einigen Monaten in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Darüber freue ich mich, und ich denke, daß sich da auch die Zukunft für gemeinsames politisches Handeln abzeichnet.
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Konrad Weiß
— Das weiß ich nicht. Ich hoffe, daß ich bis dahin mit meinem prophetischen Eifer die GRÜNEN überzeugt habe, bei dieser vernünftigen Regelung mitzumachen.Ich bin überzeugt, daß die Bereitschaft, Flüchtlingen, Verfolgten und Einwanderern Hilfe und Zuflucht zu gewähren, in Deutschland nach wie vor groß ist, größer jedenfalls, als es uns Umfragen und tendenziöse Berichte glauben machen wollen. Viele Konflikte sind überhaupt erst entstanden, weil Politiker und Bürokraten handlungsunfähig und handlungsunwillig sind und weil sie die Probleme haben anwachsen lassen.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich habe in der vergangenen Woche einen Brief eines Bürgers bekommen, der Hausbesitzer ist und sein Haus für 18 000 DM umgebaut hat, um Wohnungen für Asylbewerber zu schaffen.
Er hatte eine Zusage vom zuständigen Amt. Er wollte helfen, und er wollte auch Geld verdienen. Das ist ja nicht schlimm. Die Zusage wurde zurückgezogen, weil ein benachbarter Hotelbesitzer Sorge hatte, daß der Fremdenverkehr im Ort durch die Anwesenheit von Asylbewerbern leiden könnte. Er hatte offenbar eine Lobby beim zuständigen Landrat.Der Bürger schreibt mir — ich zitiere —:Ist es in diesem Land nicht möglich, daß Politiker Entscheidungen treffen, die nur, und zwar nur, politisch geprägt sind und ohne persönliche Hintergedanken?Ich frage uns, meine Damen und Herren: Können wir es uns wirklich leisten, hilfsbereiten Mitbürgern auf diese Art und Weise eine Abfuhr zu erteilen?Der vorliegende Gesetzentwurf strebt eine Beschleunigung des Asylverfahrens an. Die Beschleunigung an sich ist wünschenswert und liegt letztlich im Interesse der Asylbewerber ebenso wie in dem der Kommunen und Länder.
Eine Beschleunigung jedoch, die Flüchtlinge zum Objekt eines polizeistaatlichen Verfahrens macht und vorwiegend darauf zielt, das Menschenrecht auf Asyl zu vereiteln, wird von uns entschieden zurückgewiesen.
— Schauen Sie sich Ihren eigenen Entwurf an.Nach unserer Überzeugung, meine Damen und Herren, vereinfachen die vorgeschlagenen Regelungen das Verfahren nicht, sondern machen es komplizierter, und werden deshalb zu weiteren Verzögerungen führen. Die eigentlichen Ursachen der langen Verfahrensdauer, nämlich die mangelnden technischen und personellen Kapazitäten bei Behörden und Gerichten, wird auch Ihr Gesetz nicht beseitigen. Die Beschneidung der Anhörungsrechte und des gerichtlichen Rechtsschutzes stellen Verschärfungen dar, die rechtsstaatlich außerordentlich bedenklich sind, aber letztlich nichts am Status quo verändern werden.Wir teilen als Gruppe Bündnis 90/GRÜNE die grundlegende Kritik vieler Experten und Asylinitiativen. Wir kritisieren insbesondere die generelle erkennungsdienstliche Behandlung und die dadurch eintretende Kriminalisierung der Freizügigkeit. Ich stelle mir vor: Menschen, die auf Grund von Verfolgung kommen, die einer Bedrohungssituation entflohen sind, werden in Deutschland, in dem Land, in dem sie Schutz und Zuflucht suchen, als erstes erkennungsdienstlich behandelt, müssen ihre Fingerabdrücke geben und müssen sich wie für ein Verbrecheralbum fotografieren lassen.
Herr Abgeordneter Weiß, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch zu beantworten?
Ja, selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege Weiß, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen und es darstellen, daß alle erkennungsdienstlichen Maßnahmen, insbesondere die Fingerabdrücke, selbstverständlich spurenlos gelöscht werden, sobald der Bewerber anerkannt worden ist, daß die Löschungsdauer der Daten der anderen zeitlich begrenzt worden ist und daß diese Lösung nur deswegen gewählt wurde, um Doppelmeldungen und Dreifachmeldungen innerhalb Europas zu verhindern?
Ich weiß das. Aber ich sehe nicht darin, Herr Kollege Hirsch, das Problem. Ich sehe das Problem vielmehr in der Eingangssituation. Nachdem jemand aus großer Betroffenheit und aus großer Not heraus an die Tür geklopft hat, wird er, wenn sich die Tür öffnet, als erstes wie ein Verbrecher behandelt. Das ist für mich das Problem, nicht, daß die Daten aufbewahrt werden könnten.Wir kritisieren ferner die Einrichtung von Großlagern mit Internierungscharakter und die vorgesehene Ausstattung der Lagerverwaltung mit Polizeibefugnissen. Wir können auch die Installation von Lagerrichtern und die Erschwerung der anwaltlichen Tätigkeit, so wie das vorgesehen ist, nicht mittragen. Wir lehnen aus diesen Gründen Ihren Entwurf ab. Statt dessen schlagen wir zur Beschleunigung der Verfahren vor:Erstens. Einreisende Asylbewerber werden vor Antragstellung von unabhängigen und kompetenten Beratern über die Rechtslage und ihre Chancen informiert, nach Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes oder
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Konrad Weißnach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt zu werden.
Wir schlagen zweitens die Schaffung eines eigenen Flüchtlingsstatus vor, damit Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und Krisengebieten erst gar nicht in die Asylverfahrensgesetzgebung hineinkommen. Sie werden gegenwärtig völlig überflüssigerweise ins Asylverfahren gezwungen. Aktuelle Beispiele sind die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina.Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hält drittens eine umfassende Altfallregelung für bereits seit Jahren unerledigte Verfahren für dringend notwendig. Wenn am 31. Dezember 1991 über 200 000 Asylverfahren anhängig waren, wie in der Begründung zum Asylverfahren mitgeteilt wird, dann ist es dringend erforderlich, eine Altfallregelung zu treffen, durch die ein großer Teil dieser Verfahren beendet werden könnte. Die Betroffenen haben sich hier längst eingelebt und integriert. Eine Abschiebung ist aus praktischen und humanitären Gründen überhaupt nicht mehr möglich.Wir fordern schließlich viertens eine angemessene personelle Ausstattung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie aller Verwaltungsgerichte und der Ausländerbehörden. Ohne eine deutliche Aufstockung dieser Behörden ist eine Verkürzung der Asylverfahren nicht möglich.Fünftens, meine Damen und Herren, schlagen wir die Abschaffung des Amtes des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten vor. Dieses hat in der Vergangenheit ausschließlich zu Verzögerungen von Verfahren geführt. Die mit der Person des Bundesbeauftragten intendierte Vereinheitlichung der Rechtsprechung und der Entscheidung ist in der Praxis vorhanden, ohne daß es dieser Institution bedarf.Diese wenigen Vorschläge zeigen, daß eine Verbesserung der Situation möglich wäre, ohne daß das Asylrecht in seinem Kern beschädigt und mit verfassungsrechtlich fragwürdigen Mitteln eingeschränkt würde.Das Signal, meine Damen und Herren, das dieses Hohe Haus mit diesem Gesetz heute geben wird, ist fatal. Wirklich ändern werden Sie nichts. Aber diejenigen, die mit gewalttätigen Aktionen Flüchtlinge verfolgt und mißhandelt haben, werden diese Neuregelung von CDU/CSU, F.D.P. und SPD als einen ersten Erfolg für sich verbuchen, einen Erfolg, an dem wir, die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE, keinen Anteil haben wollen.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Niedersachsen, Jürgen Trittin, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich hier im Oktober vergangenen Jahres zu den ersten Überlegungen zu einem Entwurf sprach, war noch nicht ausgemacht, ob denn jene recht behielten wie etwa „Pro Asyl", die dieses Gesetz dann in der Anhörung vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages als „Notstandsgesetz gegen Flüchtlinge" bezeichneten. Es war auch nicht ausgemacht, ob die Maßnahmen auch ausreichen würden, um das zu erreichen, was Herr Weiß zutreffend gesagt hat: eine notwendige Beschleunigung.Wenn ich heute aus Ländersicht versuche, diesen Gesetzentwurf zu bewerten, dann muß ich doch die eine oder andere kritisch gemeinte Einwendung vorbringen. Gerade, wenn man bedenkt, daß es sich hierbei immerhin um die zehnte Novelle, um den zehnten Versuch handelt, Asylverfahren zu beschleunigen, dann muß die Frage erlaubt sein.
— Nein. Sie mögen auch sagen, daß es viel mehr sei. Es handelt sich — Herr Wiefelspütz, einigen wir uns auf das Wort — um den zehnten Versuch, durch gesetzgeberische Maßnahmen das Asylverfahren zu beschleunigen.
Daß bei den vorangegangenen neun Versuchen die Asylverfahren immer länger geworden sind, das wissen Sie so gut wie ich,
aber es muß die Frage erlaubt sein: Warum ist es eigentlich auch in diesem zehnten Versuch nicht gelungen, das abzustellen, was der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bei jeder passenden und vielleicht aus mancher Sicht auch unpassenden Gelegenheit anmahnt, nämlich die Verletzung geltenden Rechts durch die Bundesrepublik Deutschland? Es ist auch in dieser Novelle des Asylverfahrensgesetzes nicht gelungen, die volle Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention einzuführen. Das ist der eigentliche Kern der ungenügend geregelten Schnittstellenproblematik, der in dem Antrag der SPD- Bundestagsfraktion auch aufgegriffen worden ist.Es handelt sich bei dieser Angelegenheit beileibe nicht um eine bloße Frage von Kompetenzen oder eine Streitigkeit über eventuelle Kostenlasten. Nein, meine Damen und Herren, was machen Sie? Sie lassen das Bundesamt nach dem Gesetzentwurf mit dieser Schnittstellenregelung zwar die Frage des Art. 16 prüfen, Sie lassen auch § 51 Ausländergesetz prüfen, aber das Bundesamt läßt Abschiebehindernisse nach § 54 und § 55 Ausländergesetz außen vor, etwa allgemeine Abschiebehindernisse. Was folgt daraus? Bevor Sie die Frage eventuell vorliegender Abschiebehindernisse geprüft haben, drohen Sie den Antragstellern erst einmal die Abschiebung an. Das ist der entscheidende Konfliktpunkt an dieser Stelle.
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Minister Jürgen Trittin
Nach meinem Dafürhalten — mit dieser Auffassung stehe ich, wenn ich beispielsweise die Äußerungen des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts bei der Anhörung sehe, nicht ganz alleine da — ist es schlicht rechtswidrig, an dieser Stelle zu sagen: Wir drohen euch an, daß ihr abgeschoben werdet, ohne vorher geprüft zu haben, ob diese Menschen, etwa weil sie Bürgerkriegsflüchtlinge sind oder weil andere Abschiebehindernisse bestehen, überhaupt abgeschoben werden können.Mit einer solchen gesetzlichen Regelung betreiben Sie die Ausgrenzung von Menschen; Sie betreiben damit auch die Kriminalisierung einzelner.
Ich komme zum zweiten. Die vorgesehene Regelung ist gerade aus der Sicht der Länder, die diese Menschen die ganze Zeit unterzubringen haben, ausgesprochen unbefriedigend. Ich nehme zur Kenntnis, daß es bis heute der Bundesregierung nicht gelungen ist, jene bis jetzt nicht abgearbeiteten über 300 000 Anträge tatsächlich wirksam abzuschließen, sei es durch eine Stichtagsregelung oder durch sonst irgend etwas.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir Länder haben diese Menschen zur Zeit unterzubringen. Sie sehen in bestimmten Großstädten Container und Zelte. Diese haben etwas damit zu tun, daß das Bundesamt in bezug auf diese Frage nicht in die Puschen kommt. Dieser Verantwortung sind Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht gerecht geworden.
Ich sage Ihnen ein Drittes: Wer ernsthaft möchte — das ist von Ihnen angesprochen worden, Herr Marschewski —, daß hier beschleunigt wird, der muß doch all diejenigen Menschen aus dem Asylverfahren herausnehmen, die da nun wirklich nichts verloren haben.
- Herr Marschewski, das machen Sie einmal mit den40 000 Jugoslawen, die in diesem Jahr schon hierhergekommen sind. Diese wollen Sie innerhalb von einer Woche abschieben? Ich hätte dabei „ ganz kleine " rechtsstaatliche Bedenken.
- Das ist genau das richtige Beispiel, weil nämlich imvergangenen Jahr über ein Drittel der Asylbewerber aus eben diesen Ländern gekommen sind. Wenn Sie eine wirksame Entlastung wollen, dann müssen Sie eine Regelung schaffen — daß wir dies tun werden, das kündige ich Ihnen für die Beratungen im Bundesrat hiermit ausdrücklich an —, die diesen Personenkreis aus dem Asylverfahren herausnimmt; dann müssen Sie einen Status schaffen, der Bürgerkriegsflüchtlingen das gibt, was sie wünschen, nämlich einenzeitlich befristeten Schutz. Das ist die humanitäre Verpflichtung, die wir haben. Dies wird in erheblichem Maße und sehr viel mehr als das, was Sie hier vorgetragen haben, zur Entlastung und zur Beschleunigung von Asylverfahren beitragen.
Ich will noch einen vierten Punkt anfügen. Es gibt in der Tat, was das rechtsstaatliche Verfahren angeht — Herr Weiß hat das angesprochen —, eine Reihe von Bedenken. Ich will einen Punkt, der in der Kontroverse zwischen Herrn Hirsch und Herrn Weiß aufgekommen ist, noch einmal ergänzen. Es ist natürlich richtig, wenn Herr Weiß sagt: Entscheidend bei der Datenerhebung — das wissen Sie viel besser als ich, Herr Hirsch — ist ja nicht das, was mit den Daten passiert, sondern der Eingriff beginnt in dem Moment, in dem Sie die Daten erheben, also in dem Moment, in dem Sie die erkennungsdienstliche Behandlung dieser Menschen vornehmen. Sie haben mit Ihrer Zwischenfrage unter den Tisch gekehrt, daß diese Regelung gegen das Votum sämtlicher Datenschutzbeauftragter Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat, die nämlich zu Recht argumentieren, daß eine generelle Regelung an diesem Punkte eine Regelung ist, die nach ihrer Auffassung, wenn ich die Einlassung des Innenausschusses richtig verstanden habe, die Verhältnismäßigkeit verletzt. Ich verkenne dabei nicht — auch das will ich an dieser Stelle sagen —, daß es Schwierigkeiten mit den Papieren gibt usw. Das erleben wir als Länder jeden Tag hautnah. Nur, Sie können nicht bestreiten, daß der generelle Ansatz in diesem Fall — darauf hat Herr Weiß hingewiesen — nach außen erhebliche Probleme aufwirft, indem man nämlich Leute tatsächlich in die Ecke stellt und auf eine Ebene mit Straftätern oder vermuteten Straftätern bringt. — Ich glaube, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen.
Sie sind bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten, Herr Minister. — Bitte schön, Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Minister, ich habe die Sache mit den Fingerabdrücken nicht erfunden. Müssen Sie nicht als Praktiker sagen, wie denn verfahren werden soll, wenn ein großer Teil der Leute seine Papiere wegwirft, um seine Herkunft zu verschleiern, falsche Namen angibt und sich mehrfach, bis zu zwölfmal, meldet, und daß es viel diskriminierender wäre, wenn wir dem Vorschlag der Datenschutzbeauftragten in dieser Frage gefolgt wären, nämlich nur Fingerabdrücke von denjenigen zu nehmen, bei denen zweifelhaft ist, ob sie ihre Identität richtig angeben? Ist es dann nicht viel gleichmäßiger und viel weniger diskriminierend, wenn wir sagen, wir müssen das leider Gottes für einen bestimmten Zeitraum bei allen machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Hirsch, damit zerreißen Sie den Zusammenhang zwischen Anlaß und Eingriff, den Sie sonst persönlich immer in den Vordergrund rücken, was ich auch sehr
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Minister Jürgen Trittin
schätze. Auf der Grundlage derselben Argumentation könnte ich Sie fragen, ob es nicht sehr viel sinnvoller ist, von allen Bürgern Fingerabdrücke zu nehmen, statt zu warten, bis sie sich konkret verdächtig gemacht haben.
Herr Minister, Entschuldigung, daß ich Sie unterbreche. Ich will Sie nicht in Ihren verfassungsmäßigen Rechten einschränken, aber doch darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte sowieso zu meinem Schlußsatz kommen, Herr Präsident.
Ich habe wegen des Fehlens der Regelungen, die ich hier genannt habe, Zweifel, ob dieses Gesetz tatsächlich dazu führt, die Verfahren zu beschleunigen.
Eines aber kann heute als sicher angenommen werden — das hat die Kontroverse zum Schluß belegt, Herr Hirsch —: Es verschlechtert die Rechtsstellung von Flüchtlingen. Deswegen haben wir erhebliche Bedenken gegenüber diesem Gesetz.
Als nächster hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Trittin, solange Sie hier ans Podium treten und mit erhobenem Zeigefinger anmahnen, welche Optimierungen Sie gern hätten, aber verschweigen, daß das Land Niedersachsen zum einen nicht abschiebt und zum anderen zu Zeiten des Karlsruher Modells keine Sammellager eingerichtet hat und nach den vorliegenden Zahlen offensichtlich auch jetzt nicht in der Lage ist, Sammellager einzurichten, kann ich Ihnen bei den grundsätzlichen Fragen nicht zuhören. Ich sage Ihnen offen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, kommen Sie dann zurück und erklären Sie uns, wo wir Verbesserungen vornehmen können!
Ein Wort zu dem Problemkreis Einwanderung und Bürgerkriegsflüchtlinge: Solange Sie Art. 16 als subjektives Grundrecht belassen und parallel Einwanderungsquoten gestatten, ist sonnenklar, daß in dem Moment, in dem Sie den Bürgerkriegsflüchtling zurückschieben müssen, weil der Bürgerkrieg beendet ist, dieser wieder ins Asylverfahren kommen kann, weil er mit irgendeiner Behauptung Asyl beantragt.
— Kollege Bernrath, jetzt sind sie ja im Asylverfahren.Wenn sie künftig ohne Asylverfahren kämen, könntensie zum Zeitpunkt der Beendigung ihres Aufenthalts natürlich wieder ins Asylverfahren hinein, wenn sie einen Antrag stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so unterschiedlich unsere Auffassungen auch sind, in den Gesprächen und Beratungen dieses Gesetzes hat sich gezeigt, daß zwischen Union, SPD und F.D.P. in zwei Punkten Übereinstimmung besteht
— hören Sie mir doch erst einmal zu; zumindest in zwei Punkten besteht Übereinstimmung —, nämlich: Die wirklich Verfolgten müssen schnell anerkannt werden, damit sie Klarheit über ihre Zukunft erhalten, und bei denjenigen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen, muß dies schnell festgestellt und muß konsequent abgeschoben werden, wer nicht freiwillig ausreist.Mit der Neuregelung des Asylverfahrens versuchen wir, die Zahl der im Verfahren befindlichen Asylbewerber zu reduzieren. Je zügiger eine endgültige Entscheidung über Anerkennung oder Nichtanerkennung vorliegt, desto weniger Asylbewerber müssen untergebracht und versorgt werden. Kurze Verfahrensdauer und konsequente Abschiebung sollen den Anreiz mindern, wider besseres Wissen Asyl zu beantragen.Die Anstrengungen, das Asylverfahren zu beschleunigen, werden jedoch von erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten begleitet. Voraussetzung für den Erfolg ist erstens, daß die erforderliche Zahl an Plätzen in den zentralen Aufnahmeeinrichtungen und die dazugehörigen Außenstellen des Bundesamtes schnell eingerichtet werden. Nach den Angaben der Länder gibt es derzeit 20 000 bis 25 000 Aufnahmeplätze.
— Wir haben auch nicht genug. Ich komme darauf zurück, warum wir noch nicht genug haben. — Nach den Angaben der Länder sind aber bei den derzeitigen Zugangszahlen 50 000 Plätze erforderlich. 20 000 bis 25 000, also nicht einmal die Hälfte der notwendigen Plätze, haben wir.Damit die Verbindung von Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und Aufnahmeeinrichtungen sinnvoll ist, sollen die Erstaufnahmeeinrichtungen mindestens 500 Plätze umfassen. Solche Einrichtungen können heute neu nur noch in aufgelassenen Kasernen geschaffen werden. Da die Kommunen für diese militärischen Anlagen auch eigene Planungen haben, müssen die Aufnahmeeinrichtungen mit dem Einverständnis der Kommunen oder jedenfalls mit ihrer stillschweigenden Billigung geschaffen werden. Dies zu erreichen ist aber ein langwieriges Verfahren.Damit ist es jedoch noch längst nicht getan. Die Kasernen können keineswegs nahezu unverändert für die neue Nutzung eingesetzt werden. Es erscheint
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Wolfgang Zeitlmannzwar auf den ersten Blick zweifelhaft, wieso Kasernen, in denen unsere jungen Wehrpflichtigen Dienst getan haben, nicht für Asylbewerber ausreichend sind. Wenn Sie aber daran denken, daß die Aufnahmeeinrichtungen z. B. des Bundesamtes — sprich: Büros —notwendig sind — —
— Das ist das eine, und das andere ist, daß Sie z. B. Toiletten für beide Geschlechter brauchen, was wir in Kasernen auch nicht haben. Also, es gibt technische Probleme in Hülle und Fülle.Der Kostenaufwand für diese notwendigen Umbaumaßnahmen wird erhebliche Mittel in Anspruch nehmen, und der Umbau wird erheblich lange Zeit erfordern.Selbst bei den jetzt von den Ländern angegebenen Zahlen über vorhandene Plätze in Aufnahmeeinrichtungen ist Vorsicht geboten. Beispielsweise handelt es sich bei den von Nordrhein-Westfalen gemeldeten Aufnahmeeinrichtungen offensichtlich nicht um echte Gemeinschaftsunterkünfte, sondern um Notlösungen, wie der Hinweis auf eine „Knotenlösung mit BussingSystem" beweist. Auch für einige hundert andere der geplanten Erstaufnahmeeinrichtungen ist dieses sogenannte Bussing-System vorgesehen.Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg dieses Gesetzes ist die Personalverstärkung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und bei den Gerichten. Nur wenn es gelingt, den Asylbewerberzustrom zu überholen, wird der Berg der Rückstände nicht weiter anwachsen. Es wird aller Anstrengungen bedürfen, die Stellen beim Bundesamt zu besetzen und die neuen Mitarbeiter einzuarbeiten. Was die von den Ländern in dem Gespräch mit dem Bundeskanzler im Oktober letzten Jahres versprochenen 500 Mitarbeiter angeht, so ist bisher auch noch nicht allzuviel passiert. Angestellte und Beamte, die bereit sind, in den Bundesdienst zu wechseln, wollen vorher wissen, wo ihr künftiger Einsatzort sein wird. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, daß der Bund so schnell wie möglich seine Außenstellen benennt.Ein wichtiger, aber vom Gesetzgeber kaum beeinflußbarer Faktor ist die Dauer der Gerichtsverfahren. Auf Grund der richterlichen Unabhängigkeit kann keinem Richter vorgeschrieben werden, in welcher Zeit er seine Entscheidung zu treffen hat. Auch der personellen Verstärkung der Gerichte sind Grenzen gesetzt. Die Haushalte der Länder lassen keine weitreichenden Personalvermehrungen zu. Zusätzlich finanzierbare Richter können jedoch nicht ausschließlich für Asylverfahren eingesetzt werden. Erstens würde es schwer, dann noch entsprechend qualifizierte Bewerber zu finden. Zweitens würde kein Bürger verstehen, warum er auf seine Gerichtsentscheidung — z. B. beim Baugesuch — lange warten muß, wenn ein großer Teil der richterlichen Kapazität von Asylverfahren in Anspruch genommen wird.Ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für den Erfolg ist auch die Entwicklung der Zugangszahlen. Wo dasKarlsruher Modell bisher praktiziert wurde, hat sich gezeigt, daß bei stark steigendem Zugang das System verfahrensbeschleunigender Maßnahmen völlig zusammenbricht und die Verfahren dadurch ganz erheblich in die Länge gezogen werden.Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die Neuregelung des Asylverfahrens hauptsächlich bei den als offensichtlich unbegründet einzustufenden Anträgen greifen wird. Dies betrifft jedoch nur etwa ein Drittel aller Asylanträge. Das Kernproblem unseres Asylrechts, nämlich seine Attraktivität für diejenigen, die in ihrer Heimat keine Zukunftsperspektiven für sich mehr erkennen können, werden wir mit diesem Gesetz nicht lösen. Mehr als zwei Drittel aller Asylbewerber, die in die EG kommen, stellen bei uns den Antrag, obwohl auch unsere europäischen Nachbarn in der EG die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben und anwenden, also Verfolgte nicht in Verfolgerstaaten abschieben. Auch die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen, abgesehen von den unmittelbaren Nachbarstaaten, vor allem zu uns. Nur ein kleiner Teil von ihnen kam und kommt aber aus den Bürgerkriegsgebieten. Die Mehrzahl sind Roma, Mazedonier, Kosowo-Albaner oder Ungarn, also die ethnischen Minderheiten, die auf Grund des Bürgerkrieges keine wirtschaftliche Perspektive mehr sehen.Ich habe Verständnis dafür, daß diesen Menschen jeder Ausweg recht ist. Vergegenwärtigt man sich jedoch die Zahl der armen Länder, so ist offenkundig, daß wir all diese Probleme nicht lösen können. Sie, meine Damen und Herren von der SPI), fordern eine umfassende Lösung für das Gesamtproblem der Zuwanderung bis Ende des Jahres. Gleichzeitig beschließt aber der SPD-Parteirat, das Grundgesetz nur dann ändern zu wollen, wenn eine europäische Lösung des Asylrechts gefunden ist.
Der Kern des Problems der ungesteuerten Zuwanderung ist indes unsere verfassungsrechtliche Lage beim Asylrecht. Solange jeder auf Grund der Behauptung, verfolgt zu sein, ein Bleiberecht hat, ist jede Quotierung Makulatur. Wer die Wahl hat, möglicherweise irgendwann einwandern zu dürfen oder sogleich wenigstens für eine gewisse Zeit auf Grund seines Status als Asylbewerber in Deutschland arbeiten zu können, wird den Asylantrag wählen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Dieter Wiefelspütz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Asylverfahrensgesetz beschließen wir den ersten Baustein einer neuen Zuwanderungs-, Flüchtlings- und Asylpolitik für die Bundesrepublik Deutschland. Diesem ersten Schritt werden innerhalb dieses Jahres, spätestens aber bis zum Frühjahr des kommenden Jahres weitere Schritte folgen müssen.Die öffentliche Diskussion in Sachen Asyl ist in der letzten Zeit nicht immer sehr verantwortungsbewußt
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7900 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Dieter Wiefelspützgeführt worden. Dabei drohte die politische und soziale Kultur in unserem Land Schaden zu nehmen, und da und dort hat sie Schaden genommen.Beschämend bleibt, daß Flüchtlinge in Deutschland zu Opfern wurden und Deutsche Täter waren. Ich beobachte allerdings, daß sich die Diskussion im Bundestag seit einigen Wochen erheblich versachlicht hat. Wir haben begriffen — und hätten vielleicht früher begreifen können —, daß es in diesem Haus eine breite, fraktionsübergreifende Zustimmung zu folgenden zwei Punkten gibt:Wir sind mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag der Überzeugung, daß Menschen in unserem Land Schutz und Zuflucht finden sollen, die nachweisen können, in ihrer Heimat politisch verfolgt zu werden. Dazu verpflichtet uns die Wertordnung unseres Grundgesetzes, und zwar selbst dann, wenn es den Art. 16 des Grundgesetzes, Herr Kollege Zeitlmann, gar nicht gäbe.
Wir sind — zweitens — in diesem Haus mit ganz breiter Mehrheit auch der Auffassung, daß jenseits der Gruppe der politisch Verfolgten die Zuwanderung nach Deutschland eingeschränkt werden muß. Wir haben zur Zeit Zuwanderungszahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von fast einer Million Menschen im Jahr, und das schon seit einiger Zeit. Wir wissen alle miteinander, daß wir alle ein ureigenes Interesse auch an Zuwanderung haben. Die beträchtliche Eingliederungsfähigkeit, die in unserem Land existiert, ist aber nicht unbeschränkt.Lassen Sie mich für das Gebiet der alten Bundesrepublik etwas hinzufügen. Seit Kriegsende bis heute sind in Deutschland 20 Millionen Menschen aufgenommen worden. 15 Millionen waren Deutsche. Aber immerhin 5 Millionen Ausländer sind hier aufgenommen worden. Diese Zahlen machen deutlich, wie außerordentlich stark die Bereitschaft und die Fähigkeit unseres Landes zur Aufnahme und Integration sind. Dafür sollte man eigentlich sehr dankbar sein. Allerdings gebieten die Ehrlichkeit und die Glaubwürdigkeit, deutlich zu machen, daß die Aufnahmefähigkeit nicht unbeschränkt ist. Wir merken ja alle, daß die Zahl von einer Million Menschen, die Jahr für Jahr zu uns kommen, im Ergebnis zu hoch ist.Diese übereinstimmenden Grundüberzeugungen in diesem Haus finden sich nach meiner Ansicht bei den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land exakt wieder. Da wir in Kernpunkten einer Meinung sind, sollte es möglich sein, in den kommenden Monaten die Zuwanderungspolitik einvernehmlich neu zu ordnen.
Ich bin im übrigen zuversichtlich, daß das gelingen wird. Wir diskutieren hier ja eigentümlicherweise sehr viel über unterschiedliche Auffassungen, ohne daß zum Vorschein kommt, daß in vielen Bereichen zumindest diejenigen, die an einer Lösung arbeiten, mittlerweile sehr sachlich diskutieren und daß wir eigentlich alle die Zuversicht haben, im Lauf dernächsten zehn, zwölf Monate zu Regelungen zu kommen, die vom Parlament und der Bevölkerung akzeptiert werden.Das Asylverfahrensgesetz, das wir häufig Beschleunigungsgesetz nennen, soll endlich den unhaltbaren Zustand beenden, daß selbst offensichtlich unbegründete Asylverfahren oft viele Monate, sogar Jahre lang dauern. Es ist absolut nicht hinnehmbar, daß wir Menschen jahrelang im unklaren lassen, ob sie in diesem Lande bleiben dürfen oder das Land wieder verlassen müssen.
Die Beschleunigungsreserven, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen unstreitig vor allein im Bereich der Verwaltung. Dafür ist in Zukunft vor allem die Bundesregierung verantwortlich. Sie ist es schon heute. Aber auch im gerichtlichen Verfahren, zu dem ich einige Worte sagen will, kann noch beschleunigt werden, ohne daß ein effektiver Rechtsschutz in Gefahr wäre. Wegen der Sensibilität gerichtlicher Verfahrensvorschriften ist der Gesetzentwurf nach der Anhörung vor dem Innenausschuß des Bundestages im Interesse der Asylbewerber einvernehmlich zwischen den Fraktionen geändert worden.Wir haben vom obligatorischen Einzelrichter Abstand genommen. Eine Kammer, also drei Berufsrichter, wird entscheiden, ob ein Fall so einfach gelagert ist, daß er von einem Einzelrichter entschieden werden kann, oder ob es bei der Entscheidung durch drei Berufsrichter bleibt. Die Präklusionsvorschriften sind wesentlich abgemildert worden. Die Berufungsmöglichkeit ist erweitert worden.Bei meiner Fraktion bleibt eine Besorgnis wegen der zu knappen Ein-Wochen-Frist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Wir wollen eine Zwei-Wochen-Frist, um letzte verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen. Wir schließen uns der Rechtsauffassung des Rechtsausschusses des Bundestages an, der die hier in Rede stehende Vorschrift des § 36 Abs. 2 zwar nicht als verfassungswidrig einstufte, aber zur Beseitigung letzter verfassungsrechtlicher Bedenken die Einführung einer Zwei-Wochen-Frist empfahl. Wir werben heute um Ihre Zustimmung zu dieser Zwei-Wochen-Frist.Das neue Asylverfahrensgesetz wird die Praxis vor erhebliche Herausforderungen stellen. Das Gesetz wird eine Anlaufphase benötigen und hoffentlich gegen Ende des Jahres spürbare Beschleunigungseffekte ermöglichen.Zur Schnittstellenproblematik haben wir schon einiges gehört. Mein Kollege Welt wird dazu in seinem Beitrag Ergänzendes vortragen.Die Stichworte für die zukünftige Arbeit von Parlament und Regierung liegen auf dem Tisch. Baldmöglichst müssen wir zu einer Altfallregelung kommen. Nahezu 300 000 von der Verwaltung noch nicht abgeschlossene Asylverfahren sind ein unhaltbarer Zustand. Dafür tragen Sie, die Bundesregierung, die Verantwortung.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7901
Dieter WiefelspützIn Abstimmung mit den Ländern muß zügig an einer Regelung gearbeitet werden. Ich erwähne die Einführung eines Flüchtlingsstatus B für Bürgerkriegsflüchtlinge. Wir sind alle der Meinung, daß dieser Personenkreis nicht in die Asylverfahren gehört. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Regelungen schaffen, die diese unsinnige Praxis beenden!Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber den Deutschstämmigen und den Deutschen, die in Osteuropa und Südosteuropa leben und zu uns kommen wollen. Wir bekennen uns zu dieser Verantwortung. Sowenig ich es für zulässig halte, die Spätaussiedler gegen andere Zuwanderungsgruppen auszuspielen: auch die Zuwanderung von Spätaussiedlern muß von der Aufnahme- und Eingliederungsfähigkeit, die in unserem Lande nicht unbegrenzt vorhanden ist, abhängig gemacht werden.Wir werden die Wanderungsbewegungen innerhalb von Europa und in Richtung Westeuropa, die möglicherweise säkulares Ausmaß haben, nicht human und vernünftig ordnen können, wenn es nicht zu einer gemeinsamen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik in Europa kommt. Wir mahnen hier nachhaltige, sichtbare und vor allem erfolgreiche Bemühungen der Bundesregierung an.Wir werden über ein Einwanderungsgesetz diskutieren müssen. Sie wissen, daß das auch in meiner Fraktion, in der SPD, diskutiert wird. Wir haben dazu noch keine abschließende Meinung, sollten aber spätestens im Herbst diese Diskussion auf einen Punkt bringen und zu einer Entscheidung kommen, ob wir hier in der Bundesrepublik ein Einwanderungsgesetz haben wollen oder nicht.Ich denke, wenn wir heute und in Zukunft über Zuwanderung, Asyl und Flüchtlinge reden, brauchen wir eine große Koalition der Vernunft und eine große Koalition der Menschlichkeit.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wollen heute die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung der am 10. Oktober 1991 im Parteiengespräch beim Bundeskanzler beschlossenen Zielvorstellungen für ein neues Asylverfahrensrecht verabschieden. Der Gesetzentwurf sieht umfangreiche Neuregelungen das ist hier bereits betont worden — sowohl des Asylverfahrensrechts als auch des gerichtlichen Verfahrens vor. Ich darf sie noch einmal aufzählen.Asylbewerber müssen sich grundsätzlich zunächst in Aufnahmeeinrichtungen der Länder aufhalten. Diesen Aufnahmeeinrichtungen sind Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zugeordnet. Durch die räumliche Nähe der Unterkünfte der Asylsuchenden zum Bundesamt sollen die Anhörung der Asylbewerber über ihr Asylvorbringen und dann auch die Entscheidung in offensichtlich aussichtslosen Fällen beschleunigt werden.Das Bundesamt übernimmt künftig bisher den Ausländerbehörden der Länder obliegende Aufgaben. Es erläßt künftig die Abschiebungsandrohung und hat hierbei zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes vorliegen.Asylbewerber werden stärker als bisher zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet.Asylbewerber werden generell erkennungsdienstlich behandelt, um doppelte Asylantragstellungen und auch den offensichtlich doch recht zahlreich gewordenen Mehrfachbezug von Sozialhilfeleistungen zu verhindern.Die Klagefrist wird auf zwei Wochen verkürzt.Künftig kann auch der Einzelrichter eine Klage als offensichtlich unbegründet oder offensichtlich unzulässig mit der Folge abweisen, daß ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben ist.Ich möchte mich, meine Damen und Herren, für die Bundesregierung bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bedanken, die in verschiedenen, sehr zeitaufwendigen Klausurtagungen, Anhörungen und Ausschußsitzungen am Zustandekommen dieses Gesetzes mitgewirkt haben. Hier wurde in einer betont sachbezogenen und konstruktiven Weise um eine gemeinsame Lösung gerungen. Ich wünsche mir ein solches konstruktives Miteinander, meine Damen und Herren, auch für die Behandlung der noch anstehenden schwierigen Fragen auf dem Gebiet des Asylrechts und der Zuwanderung.
— Insbesondere der Vorsitzende. Das ist ihm zu bestätigen.Die vollständige Anwendung des Gesetzes, meine Damen und Herren, setzt das Vorhandensein einer flächendeckenden Infrastruktur voraus, die von Bund und Ländern bis zum 1. Juli nicht überall verwirklicht werden kann. Dies betrifft zum einen die Schaffung und Einrichtung der Aufnahmeeinrichtungen der Länder für die Erstunterbringung. Die notwendige Zahl der Unterbringungsplätze — wir müssen auf Grund der derzeitigen Zugangszahlen von mindestens 50 000 ausgehen — konnte nicht innerhalb weniger Monate vollständig geschaffen werden.Um eine Reihe von Kritikpunkten aufzugreifen: Teilweise liegt das schlicht und einfach daran, daß beispielsweise die vorgesehenen Kasernen gar nicht rechtzeitig geräumt werden. In Bayern gibt es solche Fälle. Aber meine Damen und Herren, insbesondere von der SPD, die vorhandenen freien Kasernenkapazitäten werden ohnehin nicht ausreichen, um alle Sammelplätze einrichten zu können. Das heißt, die Länder müssen sowieso auch alle ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen. Da habe ich den Eindruck, daß sich gegenwärtig manche Länder daran vorbeizudrücken versuchen. Das betrifft aber zugleich, meine Damen und Herren, auch die Außenstellen des Bundesamtes. Da diese bei den Aufnahmeeinrichtungen
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnereinzurichten sind, setzt das natürlich voraus, daß diese Aufnahmeeinrichtungen überhaupt vorhanden sind. Diesen ersten Schritt müssen also die Länder machen.Ich appelliere deshalb an die Länder, alle Anstrengungen fortzusetzen, die notwendigen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen, damit dann der Bund auch zügig die dazugehörigen Außenstellen einrichten kann.Wir müssen noch einen dritten Punkt berücksichtigen, und zwar ist die Zahl der Stellen beim Bundesamt durch den Haushalt um rund 2 500 vermehrt worden, qualifiziertes Personal entsprechend den Haushaltsansätzen ist jedoch nur sehr schwer zu finden.Jetzt zu der Legendenbildung, Nordrhein-Westfalen habe uns „900 geeignete Bewerber angeboten" . Nordrhein-Westfalen hat im Mai dieses Jahres, also vor einigen Wochen, 1 000 Bewerbungen einfach an den Bund weitergereicht. Darunter sind zum großen Teil Bewerbungen von Personen, die für die Position eines Einzelentscheiders überhaupt nicht die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, d. h. es können ohnehin nur rund 50 % für Vorstellungsgespräche eingeladen werden. Ferner sind darunter auch viele Doppelbewerbungen, also Bewerbungen von Leuten, die sich schon beim Bundesamt beworben haben. Also, bauen Sie hier bitte nicht die Legende auf, Nordrhein-Westfalen habe seine Verpflichtung erfüllt. Nordrhein-Westfalen hat eigentlich die Verpflichtung, uns für die Position des Einzelentscheiders geeignete Bewerbungen von Beamten zu benennen.
Dieser Verpflichtung ist Nordrhein-Westfalen nicht nachgekommen. Es nützt uns doch nichts, Herr Wartenberg, wenn Bewerbungen von Beschäftigten des einfachen und mittleren Dienstes einfach an den Bund weitergeleitet werden.
Die Leute müssen für die Position auch geeignet sein.
— Das kann ich Ihnen sagen, Herr Bernrath: Wir haben die Bewerbungen erst etwa zwei Wochen auf dem Tisch.
— Ich kann Ihnen den Eingangsstempel nachliefern.
— Da sind Sie falsch informiert worden.
Die Bewerbungen dieser Leute müssen zunächst einmal überprüft werden. Dann können wir sagen, welche letztlich geeignet sind. Das braucht allerdings seine Zeit.Meine Damen und Herren, ich will jetzt nur noch auf einen Einwand eingehen. Man tut immer so, als gäbe es in der gegenwärtigen Regelung des Ausländerrechts noch nicht die Möglichkeit, bürgerkriegsbedingte Flüchtlinge unterzubringen. Die Innenministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung am 22. Mai beschlossen, eine Regelung anzustreben, die es vermeidet, Bürgerkriegsflüchtlinge, die nur vorübergehend Schutz vor den Folgen des Bürgerkrieges bei uns suchen, in das Asylverfahren zu drängen. Diese Regelung ist an sich bereits vorhanden. Nur, diejenigen, die bei uns nicht um einen dauerhaften Schutz nachsuchen, also nicht in das Anerkennungsverfahren gelangen, fallen den Kommunen bei den Sozialhilfekosten zur Last. Deshalb besteht seitens der betroffenen Kommunen einfach der Trend, diese Flüchtlinge dahin gehend zu beraten, das Asylverfahren zu durchlaufen, damit die Kosten den Kommunen von den jeweiligen Ländern ersetzt werden.Herr Trittin, wenn Sie hier eine Änderung herbeiführen wollen, dann verfügen Sie, daß Ihr Land bereit ist, den Kommunen auch in den Fällen, wo das Asylverfahren nicht angestrebt wird, die Kosten zu ersetzen.
Sie werden sehen, daß das ganze Problem zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr existiert und eine eigene Regelung gar nicht mehr notwendig ist.Auch Sie, Herr Kollege Wiefelspütz, haben das hier angesprochen. Vielleicht könnten Sie sich dazu durchringen, daß wir gemeinsam an die betroffenen Länder appellieren, die notwendigen Kabinettsentscheidungen hierfür baldmöglichst herbeizuführen. Das wäre meines Erachtens ein erster, schnell realisierbarer Schritt zur deutlichen Entlastung der Asylbewerberzahl.
Als nächste hat die Kollegin Schmalz-Jacobsen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die öffentliche Debatte der letzten Monate hat vieles eher vernebelt als klargestellt. Der Deutsche Bundestag ist auf einem guten Weg, nicht nur was die Klarheit der Rede betrifft, sondern vor allen Dingen, was die Klarheit des Handelns betrifft. Das kann die Bevölkerung mit Recht von uns erwarten.Ich ergreife die Gelegenheit, wenigstens stichwortartig — mehr ist leider nicht möglich den unmittelbaren Zusammenhang der Asylpolitik mit dem weiten Feld der Ausländerpolitik, mit den Fragen von Zuwanderung, Einwanderungsgesetz, mit dem Staatsbürgerschaftsrecht und Integration zu betonen.Übrigens ist es interessant, daß wir weit und breit das einzige Land sind, das von Ausländerpolitik
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Cornelia Schmalz-Jacobsenspricht. Alle unsere Nachbarn sprechen von Immigrationspolitik.
Es ist hohe Zeit, offen und sachlich über Formen und Inhalte einer konstruktiven Einwanderungspolitik nachzudenken, auch wenn es zur Zeit wenig populär ist. Aber ich meine, es ist nicht redlich, immer weiter an dem Tabu festzuhalten, daß wir kein Einwanderungsland seien, wenn sich jeder, der über die Straße geht, eines Besseren belehren lassen kann.
Wir dürfen hier nicht länger um den heißen Brei herum reden.Übrigens, nicht umsonst haben die Innen- und Justizminister der EG im letzten Jahr in bemerkenswerter Deutlichkeit festgestellt, daß alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands heute Einwanderungsländer sind. Hieraus müssen endlich die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen werden, das heißt das Eingeständnis dessen, daß wir auf ein gewisses Maß an Zuwanderung angewiesen sind. Das heißt nachdenken über die Kriterien für eine dosierte und kontrollierte Einwanderung.Das sollte aber gerade nicht mit willkürlichen Zahlenspielen und Quoten geschehen. Wer zuerst die Zahlen nennt und wild damit um sich wirft, anstatt sich der mühsamen Aufgabe zu stellen, zu überlegen, welches die Kriterien sind, der zäumt das Pferd vom Sehwanze auf.
Solche Schnellschüsse sind dem empfindlichen Thema nicht angemessen und verstärken höchstens die Verunsicherung, die ja in Teilen der Bevölkerung durchaus vorhanden ist.Neben die europäische Asylrechtsharmonisierung und neben eine Zuwanderungsstrategie mit Augenmaß — mit Augenmaß, weil natürlich nicht nur die wirtschaftliche Aufnahmefähigkeit, sondern auch so etwas wie die psychologische Aufnahmefähigkeit unseres Landes im Auge behalten werden muß — gehört eine konsequente Fortführung der Integration der ausländischen Mitbürger, wie sie etwas schönfärberisch genannt werden.
Was ihre Pflichten angeht, sind sie längst zu Inländern geworden. Sie haben ihren Lebensmittelpunkt in aller Regel bei uns. Drei Viertel der ausländischen Jugendlichen, die mit uns leben, sind in Deutschland geboren; sie gehören zu uns. Daß sie Nachteile z. B. in der Ausbildung haben, finde ich nicht erträglich. Das ist nicht ungefährlich für unser Land, weil wir sie damit Organisationen in die Arme treiben, denen überhaupt nicht an Integration gelegen ist,
die eher fundamentalistischer Natur sind, die ihnen aber natürlich bereitwillig eine Heimat bieten. Das tut uns weh.Der Einigung in der Koalition über das passive Wahlrecht aller seit Jahren sozialversicherten Ausländer für die Sozialversicherungswahlen messe ich in diesem Zusammenhang eine ganz wichtige Signalfunktion zu. Viele wissen gar nicht, worum es geht. Das ist mir klar. Das ist kein Thema, das die Massen vom Stuhl reißt. Aber die Signalfunktion ist nicht zu unterschätzen.Darüber hinaus bleiben das Thema der Erleichterung der Einbürgerung und die Akzeptanz der Doppelstaatsbürgerschaft aktueller denn je.
Integration ist auch das Stichwort, wenn es um den Umgang mit den ausländischen Arbeitnehmern der ehemaligen DDR geht. Was zur Zeit mit ihnen geschieht, ist zwar rechtmäßig — das weiß ich wohl—, es verrät aber wenig Gespür für deren äußerst schwierige Lage und unsere in meinen Augen sehr wohl vorhandene Fürsorgepflicht für diese Leute.
— Das sagte ich Ihnen schon. — Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als würde sich dieses Problem durch schlichtes Liegenlassen und Abwarten lösen.
— Herr Kollege Marschewski, in unserem freiheitlichen Rechtsstaat gibt es die Möglichkeit, auch dieses wenig rühmliche Kapitel der DDR-Geschichte angemessen zu beenden.
Wir könnten das Problem dieser wenigen Tausend Leute mit Großzügigkeit, mit Anstand lösen, indem wir ihnen ein Bleiberecht bei uns einräumen. Ich halte das für eine Möglichkeit.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Jochen Welt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte über das sogenannte Beschleunigungsgesetz führen wir vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Ängste, angesichts von Übergriffen auf Ausländerwohnheime und einem besorgnisserregenden Erstarken rechtsradikaler Parteien. Die Angst vor vermeintlicher Konkurrenz ungeliebter Zuwanderer bestimmt das Leben in vielen Gemeinden unserer Republik. Aber gerade dieser schicksalhafte Zusammenhang zwi-
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Jochen Weltschen sozialen Nöten und Angst vor neu hinzukommenden Menschen macht das Thema Zuwanderung zu einem Tummelplatz für Demagogen und Volksverhetzer.Das meint insbesondere diejenigen, die in den Wahlkämpfen mit Schlagworten wie Asyltourismus, Wirtschaftsschmarotzer und ähnlichem das gesellschaftliche Klima dieser Republik vergiftet haben. Wer mit solchen und anderen Sprüchen Politik macht, der mißbraucht die Nöte unserer Mitbürger für seine dumpfe Demagogie.
In den Sprechstunden in meinem Bürgermeisterbüro in Recklinghausen suchen 70 % aller Menschen nach einer Wohnung. Viele von diesen Bürgerinnen und Bürgern leben in der Vorstellung, daß Ausländer ihnen die letzten Wohnungen wegschnappen. Dabei wird oft zwischen Aussiedlern, Asylsuchenden oder gar zuziehenden ostdeutschen Mitbürgern nicht unterschieden. Aber die Asylbewerber blockieren gar nicht die Sozialwohnungen, sofern diese denn überhaupt vorhanden sind. Sie leben vielfach in Zelten, Wohnwagen, Turnhallen, umgebauten Schulen und Notquartieren.
Herr Kollege Welt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faltlhauser?
Ja, bitte.
Herr Kollege, würden Sie Ihren Vorwurf der dumpfen Demagogie auch angesichts der Tatsache aufrechterhalten, daß genau diese Aussagen von SPD-Oberbürgermeistern, etwa von dem SPD-Oberbürgermeister in München, Herrn Kronawitter, kommen?
Verehrter Herr Kollege, daß Sie sich jetzt besonders angesprochen fühlen, zeigt mir, daß mein Hinweis genau in die richtige Richtung getroffen hat.
Ich denke, nicht die Ausländer oder gar die Asylbewerber blockieren die Sozialwohnungen, falls diese denn überhaupt vorhanden sind. Die Ausländer leben vielmehr in Zelten, Wohnwagen, Turnhallen, umgebauten Schulen und in Notquartieren. Es gibt eine Wohnungsnot in dieser Republik. Daran tragen die Ausländer aber keine Schuld. Diese Wohnungsnot ist durch diese Bundesregierung durch jahrelanges Nichtstun verursacht worden.
Wer Zuwanderungsfragen lösen will, der muß hier ein soziales Klima schaffen, in dem Menschen ohne Ängste leben können.
Wer Zuwanderungsfragen lösen will, der muß begreifen, daß diese Fragen nur durch ein Bündel von Maßnahmen zu lösen sind. In diesem Zusammenhang muß begriffen werden, daß dabei eine Stellvertreterdiskussion um die Streichung oder Ergänzung des Art. 16 überhaupt nicht weiterhilft.
Auch wenn die Diskussion um eine Grundgesetzänderung weitergehen wird, so läßt die Bereitschaft der Union, sich dem Gesamtproblem zu nähern, ja doch hoffen. Der sogenannte Acht-Punkte-Katalog des Kollegen Gerster unterstreicht diese Hoffnung. Es scheint, daß es den demokratischen Kräften dieses Landes gemeinsam gelingen kann, Zuwanderungsfragen Deutschlands und Europas steuerbarer und sozial verträglicher zu gestalten.Ich erinnere an die gegenwärtige Praxis, an die 300 000 Altfälle in Zirndorf, die durch das Bundesamt noch nicht bearbeitet worden sind, an das Hin- und Herschieben von Akten zwischen den Zentralstellen und den örtlichen Ausländerämtern und an Gerichtsverfahren zwischen 6 Monaten und 5 Jahren. Des weiteren erinnere ich an die Unterbringungsprobleme in den Gemeinden — Turnhallen und Wohnwagenburgen , an Bürgerinitiativen sowie an Bürgerwehren gegen neue Standorte.Es verursacht ohnmächtige Wut bei den Kommunalpolitikern, wenn angesichts solcher Entwicklungen nicht über mögliche Lösungen diskutiert wird, sondern die Schuldfrage für das Nichtstun mit dem Art. 16 hin- und hergeschoben wird.
Deshalb ist das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz ungeachtet dieser Vorgeschichte zu begrüßen. Wir brauchen dieses Gesetz unbedingt, um die Verfahren zügiger zu beenden sowie um die Gemeinden entlasten zu können. Die Bündelung von Verwaltungsprüfung und Verwaltungsentscheidung beim Bundesamt, die Unterbringung der offensichtlich unbegründet Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften und der Ansatz zur Verkürzung der Widerspruchs- und Gerichtsverfahren — all das hilft den Gemeinden.Auch wenn der überwiegende Teil der Asylverfahren bei offensichtlich unbegründeten bzw. unbeachtlichen Anträgen nicht binnen der vorgesehenen 6 Wochen abgeschlossen werden kann, so besteht doch jetzt endlich die Chance zu einer erheblichen Beschleunigung des Verfahrens, auch deshalb, weil die Verfahrensänderung mit einer erheblichen Kapazitäts- und Personalausstattung verbunden ist. Dadurch, verehrter Herr Minister Trittin, unterscheidet sich dieses Gesetzgebungsvorhaben von allen bislang vorausgegangenen Verfahrensnovellen. Es zeugt
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Jochen Weltendlich von mehr Realitätssinn und Gestaltungswillen. Es besteht also die große Chance, daß dieses Beschleunigungsgesetz in den nächsten Monaten zu wirklich merkbaren Entlastungen bei den Gemeinden führt.Allerdings gibt es eine Achillesferse hinsichtlich der Wirksamkeit des Gesetzes. Entgegen der Parteienvereinbarung vom Oktober 1991 wird das Prinzip „ein Fall, ein Schreibtisch, ein Sachbearbeiter" nicht verwirklicht. Eine solche Regelung wird von den Praktikern gefordert. Es kann doch nicht richtig sein, daß sich der Sachbearbeiter beim Ausländeramt in Recklinghausen bei der Botschaft von Bangladesch um Paßersatzpapiere bemüht.
Und das sind keine seltenen Fälle. Ich denke, da ist das Bundesamt über das Innen- und Außenministerium viel näher dran. So wird auf Beschleunigungseffekte verzichtet. Es wird auch kein Personal bei den Ausländerämtern vor Ort frei. Folglich können diese Mitarbeiter dann auch nicht für das Bundesamt abgestellt werden, wo sie dringend benötigt werden.Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, warum sind Sie hier nicht über Ihren eigenen Schatten gesprungen? Wenn man schon beschleunigen will, dann sollte man das konsequent tun.
Wir werden uns darauf einstellen müssen, daß es Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Gesetzes gibt. Viel wichtiger ist allerdings der Umgang mit dem Gesamtthema. Es wird notwendig sein, daß wir weitere Schritte gehen. Wenn wir die Zuwanderungsproblematik lösen wollen, wenn wir dies steuern wollen, dann ist das nur mit einem Bündel von Maßnahmen und mit weiteren großen gemeinsamen Kraftanstrengungen möglich. Dazu gehört mehr Einsicht in die Notwendigkeit der Hilfe in den Herkunftsländern, der wirksamen Hilfe für die Entwicklung dieser Länder.
Ich denke, das Maß an Sonntagsreden über diese Fragen ist inzwischen voll. Taten tun hier not.Wir werden unseren Beitrag leisten müssen, indem wir auch den Menschen Zutritt in unser Land gewähren, die z. B. als Armutsflüchtlinge zu uns kommen wollen. Nur — das sollte an dieser Stelle ebenfalls betont werden — kann dies nicht über den Weg des politischen Asyls oder der Aufnahme von bestimmten Gruppen auf Grund ihrer vermeintlichen Deutschstämmigkeit geschehen. Entsprechende Veränderungen des Bundesvertriebenengesetzes und eine Anpassung des Staatsangehörigkeitsrechtes sind deshalb zwingend notwendig.
Es ist daher nur konsequent, für Armuts- und Elendsflüchtlinge und auch für diejenigen, die heute noch den Aussiedlerstatus haben, quotierte Einwanderungsrichtlinien zu erstellen.Ebenso muß der Status von Bürgerkriegsflüchtlingen dringend geklärt werden. Flüchtlinge, die einer Bürgerkriegssituation, wie z. B. im ehemaligen Jugoslawien, entgehen wollen, gehören nicht ins Asylverfahren.
Eine wesentliche Ursache für die unnötige Belastung des Bundesamtes mit Asylanträgen ist das Vorhandensein dieser Anträge von Bürgerkriegsflüchtlingen. Das liegt daran, daß viele Gemeinden halt wegen der Sozialhilfe diese Flüchtlinge in dieses Verfahren hineindrängen. Ich denke, hier ist der Bund gefordert, Regelungen außerhalb des Asylverfahrens vorzuschlagen, die die Gemeinden bei der Sozialhilfezahlung für die Bürgerkriegsflüchtlinge entlasten.Verehrter Herr Staatssekretär, der Unterhalt von Flüchtlingen ist immer eine gesamtstaatliche Aufgabe. Der Bund kann sich hier der Verantwortung nicht entziehen.
Hilfen für Bürgerkriegsflüchtlinge, Einwanderungsquotierungen, alles das sind Fragen, die für ganz Europa beantwortet werden müssen. Europa muß seine Verantwortung diesen Menschen gegenüber gemeinschaftlich wahrnehmen.Im Zusammenhang mit Europa ist für mich die Anpassung von Grundgesetznormen kein unüberwindliches Dogma. Eine notwendige Grundgesetzänderung kann allerdings nicht erster und vor allen Dingen nicht einziger Teil des Handelns in Zuwanderungsfragen sein. Ein Gesamtzuwanderungskonzept und die Klärung der genannten europäischen Fragen sind für mich eine wichtige Voraussetzung, über eine Grundgesetzänderung gründlicher nachzudenken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles ist kein einfacher Weg, den wir gehen müssen. Unser gemeinsames Handeln muß durch einen ehrlichen Umgang mit diesem Thema gekennzeichnet sein. Wir müssen erkennen und erklären, daß es uns nicht gelingen wird, alle Armutsflüchtlinge dieser Welt in der Bundesrepublik aufzunehmen, und daß es uns ebenso nicht gelingen wird — durch welche gesetzgeberischen Maßnahmen auch immer —, den Zuwanderungsdruck auf die Republik zu beseitigen, daß es uns aber sehr wohl gelingen kann, die Zuwanderung politisch zu steuern und durch geeignete Maßnahmen auch sozial verträglicher zu gestalten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Franz-Hermann Kappes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man als dritter Vertreter einer Fraktion spricht und — auf Grund der Notizen über die bisherige Debatte — den „Ausputzer" machen soll,
ist das etwas schwierig, wenn man ein Gemeinschaftsunternehmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. vor sich
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Dr. Franz-Hermann Kappeshat. Das soll aber nicht heißen, daß ich es nicht sehr gut fände, daß wir in der Sache gemeinsam nach einer weiteren Lösung suchen, wenngleich ich damit keinesfalls das Gespenst einer großen Koalition an die Wand malen möchte.
Diese — man könnte sagen Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung soll nicht dazu führen, daß wir nicht ein Stück zurückblicken, daß wir etwa so tun, als hätten wir jetzt gemeinsam etwas begriffen, wie, ich glaube, Herr Wiefelspütz dies vorhin gesagt hat. Es ist doch in Wirklichkeit so — das wurde mehrmals erwähnt —, daß es der achte Versuch seit 1982 oder 1984 ist
und daß man in all diesen Jahren große Anstrengungen personeller und finanzieller Art aufgewandt hat, um das Asylverfahren zu beschleunigen. Das ist auch mit recht guten Ergebnissen gelungen. Die Ergebnisse sind viel besser, als es oft hingestellt wird.Ich finde es gut, daß nun inzwischen auch die SPD erkannt hat — so muß man das ja sehen; bei aller Gemeinsamkeit sollte dies einmal betont werden —, daß es so nicht weitergehen kann.
— Herr Kollege Wiefelspütz möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich bin damit sehr einverstanden.
Kollege Wiefelspütz.
Ich bin immer sehr für Harmonie, aber wenn Sie den Streit schon suchen: Stimmen Sie mir zu, daß die Eckwerte des Beschleunigungsgesetzes auf Initiative der SPD eingebracht worden sind?
Gar keine Frage; ich komme ja darauf zurück.
Sie haben mich mißverstanden. Ich wollte Ihnen gerade nur in Erinnerung rufen — damit keine Legende entsteht —, daß Sie bei den vielen anderen Versuchen meistens dagegen gestimmt haben und daß Sie jetzt zum erstenmal bereit sind, einzusehen, daß es sich um ein sehr dringendes Problem handelt,
das man gemeinsam lösen sollte. So ist das.Es handelt sich jetzt vielleicht um den allerletzten Versuch, unterhalb der Ebene der Grundgesetzänderung noch eine Beschleunigung zu erreichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz entschieden zurückweisen, daß zum Teil, Herr Kollege Weiß, von Menschenrechtsverletzungen, von Polizeistaat undähnlichem die Rede war. Das ist in meinen Augen — bei aller Freundschaft — schlicht absurd. Der Staat — welcher Staat denn überhaupt noch? — dürfte ja keine Ordnungsfunktion mehr wahrnehmen, wenn er nicht wenigstens noch feststellen darf, wer kommt, und darauf achten darf, ob das Verfahren durchgeführt wird, wie es vorgesehen ist. Wir haben in Europa und in der Welt alle Vorkehrungen gegen Menschenrechtsverletzungen verschiedener Art. Da sehe ich überhaupt keine Bedenken.Ich sehe verfassungsrechtliche Bedenken, wenn wir dem SPD-Antrag an der Schnittstellenproblematik folgen würden. Sie können sagen: Tun Sie endlich einmal etwas, was noch besser funktioniert. Sie können uns aber doch nicht empfehlen, etwas zu tun, was mit dem Grundgesetz nicht in Einklang stünde.
Es ist richtig, daß das, was wir vorhaben, an der Grenze zwischen Verfahrensrecht und materiellrechtlichen Eingriffen liegt. Wir können nur hoffen, daß es funktioniert. Alles andere, was anschließend kommt, ist rein materielles Asylrecht. Da gibt es wirklich keinen anderen Ausweg mehr, als im Asylrecht selbst etwas zu ändern.Das schließt nicht aus, daß das eine oder andere noch möglich ist. Ich will zwei Punkte, die angesprochen wurden, ganz kurz aufgreifen. Das eine sind die Kriegsflüchtlinge. In diesem Punkt stimme ich meinem Vorredner von der SPD, Herrn Welt, zu. In der Tat ist es absurd, eine Art Negativwettbewerb zwischen den Sozialhilfeträgern darüber zu veranstalten, wer nun für die Asylbewerber zu bezahlen hat. Es ist doch Tatsache, daß auf die Art versucht wird, möglichst wenig Geld ausgeben zu müssen und darauf hinzuwirken, daß Asyl beantragt wird. Das sollten wir in der Tat abstellen. Das kann man auch gemeinsam tun.
Das andere ist das sogenannte Einwanderungsproblem. Wir müssen das heute nicht vertiefen. Aber es ist im Grunde genommen ein Spiel mit Worten. Wir können natürlich sagen: Weil viele gekommen sind, sind wir ein Einwanderungsland. Wir können aber auch sagen: Wir wollen das so oder so regeln, und in diesem Sinne sind wir nach wie vor kein Einwanderungsland. Wir wollen nicht ermöglichen, daß die Menschen anstatt als Asylbewerber als Einwanderer herkommen. Es ist in meinen Augen völlig unrealistisch zu sagen, daß diejenigen, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden können, dann eben als Zuwanderer oder als Einwanderer kommen können. Das halte ich wirklich für den falschen Weg.Man müßte sich auch überlegen und in der Welt umsehen, was Einwanderung heißt. Sehen Sie sich das etwa in den USA an. Es wären bestimmte Kriterien aufzustellen, z. B. daß man nicht jedermann gebrauchen kann. Es können keinesfalls einfach diejenigen kommen, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden können.Ich möchte Sie auffordern, mit uns an einer europäischen Lösung zu arbeiten, aber nicht so blauäugig in dem Sinne, daß man sagt, an unserem Wesen soll
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Dr. Franz-Hermann KappesEuropa genesen, soweit es das subjektive Asylrecht angeht. Das ist einfach eine Illusion.
Herr Kollege Kappes, würden Sie bitte zum Schluß kommen. Das Lämpchen leuchtet schon länger.
Ich komme zum Ende.
Wir sollten auf dem Weg nach Europa zunächst vor allem den Schengener Weg gehen. Das ist ein wichtiger Schritt. Dazu brauchen wir eine Änderung des Grundgesetzes, weil wir das nicht einseitig tun können.
Wir müssen auch die Altfälle regeln.
Ich meine es ernst.
Ich hätte noch gern ein paar weitere Bemerkungen gemacht, aber ich merke, Frau Präsidentin drängt sehr.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster hat der Kollege Briefs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland, gerade wieder halbwegs groß geworden, bzw. der Deutsche Bundestag, sind im Begriff, eine verhängnisvolle Fehlentscheidung zu treffen.
— Dieser Zwischenruf disqualifiziert Sie wirklich. — Das unbeschränkte Asylrecht, entstanden aus dem grenzenlosen Leid der NS-Zeit, soll aufgeweicht, soll beseitigt werden. Es soll auf kaltem Wege aufgeweicht werden, und zwar dadurch, daß Asylverfahren beschleunigt werden, dadurch, daß Abschiebungen erleichtert werden, dadurch, daß Sammellager mit dem entsprechenden Abschreckungseffekt eingerichtet werden, dadurch, daß bislang gegebene rechtsstaatliche Garantien im Asylverfahren beseitigt werden.Damit wird der Weg für die endgültige Einschränkung des Art. 16 des Grundgesetzes bereitet, die nur noch eine Frage der Zeit ist. Eine wichtige Lehre aus dem Versagen des deutschen Staates und der deutschen Gesellschaft in der Zeit des brutalsten politischen Terrorsystems der Neuzeit, des NS-Systems, wird damit rückgängig gemacht, nämlich die Lehre, daß Deutschland ein offenes Land, ein Land mit offenen Grenzen für Menschen sein muß, die aus Not, aus politischer, aus religiöser, aus geschlechtsbedingter und aus ökologischer Not oder auch aus Armut und sozialer Not Zuflucht bei uns suchen, und das zu einer Zeit, zu der weiterhin hier Jagd auf Ausländerinnen und Ausländer gemacht wird und immer wieder Anschläge auf Flüchtlinge stattfinden.
Der nationalen Gossenmentalität der alten und neuen deutschen Rechten wird damit stärker Rechnung getragen als der Einsicht in die historische Realität und Notwendigkeit. Deutschland — das ist mehrfach zu Recht gesagt worden — ist längst ein Einwanderungsland. Hüten wir uns aber, es zu einem Land zu machen, in dem Menschen nach bürokratischen Opportunitätsgesichtspunkten
und nach wechselnden Mehrheiten zugelassen werden oder nicht. Das ist keine Grundlage für eine moderne demokratische Rechtskultur.
viele inhumane Praktiken kennt und toleriert, zu einem lebenswerten Land gerade auch für Flüchtlinge wird. Wir tun auch uns, z. B. auch unseren Kindern, unseren Mädchen und Frauen, den sexuellen und sonstigen Minderheiten, etwas Gutes, wenn wir den Geist der Ausgrenzung, der Abstoßung, der Brutalität gegenüber Flüchtlingen aus anderen Ländern bekämpfen.Die Gefahr, die in der Diskussion um die Änderung des Asylrechts durchscheint, ist nicht sosehr die Gefahr eines neuen braunen Faschismus, obwohl es gilt, den Anfängen bereits jetzt zu wehren. Die Gefahr ist vielleicht eher, daß auf diesem Wege ein erstes Element eines formal durchaus rechtsstaatlichen, aber dennoch im wesentlichen autoritären Staatswesens entstehen kann. Soziale Kälte gegenüber denjenigen, die in diesem Land in Not sind, und brutale, rechtsstaatlich administrierte Selektion und Zurückweisung nach außen, ergänzen sich nicht nur, sondern können der Nährboden für eine zutiefst inhumane und alles andere als demokratische Gesellschaft von morgen sein.Der politische Wille — das wird übersehen —, der die Bundesrepublik Deutschland gegen Menschen abschotten will, die aus Not von außen zu uns kommen und hier leben wollen, steht freilich bereits auf der Verliererseite. Unser Weg führt in die multikulturelle Gesellschaft. Sich dagegen zu stemmen ist vergeblich. Um so größer ist aber die Gefahr des Abgleitens in autoritäre oder gar faschistoide politische Handlungsmuster.Die Betriebsräte des Möbelhauses IKEA haben ein „Plädoyer pro Menschlichkeit und contra Rassismus" verfaßt. In diesem Plädoyer heißt es:Stoppt die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Gesellschaft und Betrieben, benutzt die Ausländer/innen nicht als Mittel zum Stimmenfang, sondern behandelt sie als Menschen, sorgt dafür, daß Asylanten nicht Angst um ihr Leben haben müssen.Und:
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7908 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Dr. Ulrich BriefsDie Männer und Frauen, die in Deutschland Asyl beantragen oder auch schon länger hier leben, sind zuallererst einmal Menschen. Und es sind Kollegen und Kolleginnen.Vielleicht kann man die notwendige Grundhaltung — die Grundhaltung einer Koalition der Menschlichkeit für den Weg in die multikulturelle Gesellschaft von morgen nicht besser beschreiben als mit diesen Sätzen.Ich danke für die gemäßigte Aufmerksamkeit.
Als nächste hat die Bundesministerin der Justiz, Frau LeutheusserSchnarrenberger, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Briefs, durch diesen Gesetzentwurf wollen wir gerade dazu beitragen, den Kern unseres Asylrechts zu erhalten und auf notwendige Entwicklungen angemessen und richtig zu reagieren.
Das, was Sie dargelegt haben, trifft einfach nicht zu.Der Weg von den Zielvorstellungen, die am 10. Oktober 1991 beim Bundeskanzler vereinbart wurden, bis heute zur zweiten und dritten Lesung war nicht leicht, zeitlich aufwendiger als beabsichtigt und von überwiegend konstruktiver Kritik begleitet.Die Sachverständigenanhörung hat einige Probleme aufgezeigt. Ich bin froh und bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, daß wir in den wesentlichsten Punkten gemeinsame Lösungsvorschläge gefunden haben.
Lassen Sie mich einige Punkte aus dem Teil über das gerichtliche Verfahren, der in meine Zuständigkeit fällt, erwähnen. Stichworte: Präklusion, Zuständigkeit des Einzelrichters und die Rechtsmittelausgestaltung. In den parlamentarischen Beratungen haben wir gerade hier gemeinsam um Lösungen gerungen. Wir haben vertretbare Lösungen gefunden, und sind dabei bis an die Grenze dessen gegangen, was wir für verfassungsrechtlich vertretbar und notwendig halten.Wichtig ist, daß der vorliegende Entwurf den Anspruch auf individuellen Rechtsschutz in angemessener Weise wahrt und ermöglicht, daß über offensichtlich unbegründete Fälle auch im gerichtlichen Verfahren rasch und ohne zu großen Aufwand abschließend entschieden werden kann. Der Asylbewerber wird verpflichtet, seine Verfolgsgründe innerhalb bestimmter Fristen vorzutragen. Verspätetes Vorbringen können die Gerichte unberücksichtigt lassen, wenn die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird. Einer Prozeßverschleppung allein zur Verlängerung des Aufenthalts wird dadurch wirksam begegnet.
Der Entwurf ermöglicht in erweitertem Umfang den Einsatz des Einzelrichters, wenn auch nicht so weitgehend, wie es ursprünglich zur Debatte stand. Wir haben uns dahin verständigt, daß die Zuständigkeit zunächst bei der Kammer liegt, aber künftig auch im Eilverfahren diese Zuständigkeit auf den Einzelrichter übertragen werden kann. Außerdem soll der Einzelrichter künftig ebenso wie die Kammer in klaren Fällen erst- und letztinstanzlich entscheiden können. Ich glaube, das ist erstens ein Weg, um dem Beschleunigungsgedanken Rechnung zu tragen, und zweitens, um nach wie vor Rechtssicherheit zu gewähren.
Was das Prozeßrecht angeht, sind die Verwaltungsgerichte dafür gerüstet. Was folgen muß, ist die Umsetzung. Es bleibt noch einiges zu tun.
Ich will hier nur vier Punkte kurz ansprechen. In der Schnittstellenproblematik müssen wir noch zu einer tragfähigen gemeinsamen Lösung kommen.
Die Umsetzung dieses Gesetzes muß so schnell wie möglich erfolgen. Auch wenn der Zeitpunkt des Inkrafttretens der 1. Juli ist, haben wir bei einigen Vorschriften ein Hinausschieben bis Ende März nächsten Jahres vorgesehen, weil die Voraussetzungen noch nicht in allen Ländern geschaffen sind. Ich kann mich den Appellen, die schon bisher geäußert worden sind, nur anschließen, daß alles getan wird, um ein Umsetzen zu ermöglichen, damit das, was an guten Punkten vereinbart ist, tatsächlich greifen kann.
Ich bin froh, daß heute in dieser Debatte ein Konsens hinsichtlich der Behandlung der Bürgerkriegsflüchtlinge bestand, ein Konsens dahin, daß wir für diese Gruppe ein befristetes Aufenthaltsrecht brauchen und daß wir die Kommunen bei den Kosten entlasten müssen. Ich glaube, wenn wir uns über diese Ausgangspunkte einig sind, dürfte später eine sachliche Lösung auf nicht allzu große Hindernisse und Schwierigkeiten stoßen.
Ich wünsche mir auch, daß wir Einigkeit über eine wirksame Altfallregelung erzielen; denn der gute Ansatz, den wir mit diesem Gesetzentwurf gefunden haben, darf nicht dadurch zunichte gemacht werden, daß Behörden und Gerichte überlastet sind und die Kürzungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten gar nicht greifen können.
Meine Damen und Herren, wir sind uns alle einig, daß die Asylprobleme im nationalen Alleingang nicht gelöst werden können. Angesichts des fortschreiten-
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenbergerden europäischen Einigungsprozesses und weitgehend offener Grenzen in Europa kann die Antwort auf den zunehmenden Wanderungsdruck nur in einer europäischen Lösung bestehen, und zwar durch Einbeziehen auch der der EG nicht angehörenden Nachbarstaaten.
Das nicht. Deshalb sage ich ja, daß wir natürlich noch viel konkreter und intensiver Verhandlungen führen müssen, und zwar mit einem Gesamtkonzept und nicht mit Vorschlägen zu einzelnen Punkten.
Das können dann die Vorlage und der Ausgangspunkt sein, um zu sehen, wie und in welchem Umfang unser nationales Recht einer europäisch getroffenen Regelung, die materiellrechtlich den geltenden völkerrechtlichen Anforderungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, angepaßt werden kann.
Das heißt, daß wir erst einmal sehen müssen, wie es in Europa aussieht, und daß wir dann überlegen müssen, wie das Ganze umgesetzt werden kann.
— Das wissen wir noch nicht, weil wir hinsichtlich der Behandlungen noch ganz am Anfang stehen.
Es müssen erst einmal Ergebnisse vorliegen, über die man dann hier beraten kann. Das ist bisher eben nicht der Fall.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wichtig ist für mich eines: daß auf keinen Fall, auch nicht im Rahmen einer europäischen Harmonisierung, substantielle Abstriche an Art. 19 Abs. 4 gemacht werden dürfen;
denn er garantiert den gerichtlichen Rechtsschutz in mindestens einer Instanz. Daran dürfen, sollen und wollen wir nicht rühren.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Mir liegen zwei persönliche Erklärungen zum Abstimmungsverhalten zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vor, und zwar von den Kollegen Wolf-Michael Catenhusen und Jürgen Augustinowitz. *)*) Anlagen 2 und 3Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Neuregelung des Asylverfahrens auf den Drucksachen 12/2062 und 12/2718.Die Fraktion der SPD hat Einzelabstimmung über eine Reihe von Vorschriften verlangt.Ich rufe Art. 1 §§ 1 bis 23 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Diese Paragraphen sind mit großer Mehrheit bei Gegenstimmen aus den Reihen Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste und einigen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD angenommen.Ich rufe Art. 1 § 24 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2730 unter Nr. I.1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Bei Stimmenthaltung der Kollegen Konrad Weiß und Dr. Wolfgang Ullmann, bei Zustimmung von der SPD und bei Ablehnung durch CDU/CSU und PDS/Linke Liste ist der Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die Art. 1 § 24 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? — Damit ist Art. 1 § 24 in der Ausschußfassung angenommen, und zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der beiden Gruppen.Ich rufe Art. 1 §§ 25 bis 30 und § 31 Abs. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diese aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen bei Gegenstimmen aus den Reihen der PDS/Linke Liste, einer Gegenstimme vom Bündnis 90/GRÜNE und einer Stimmenthaltung aus derselben Gruppe.Ich rufe Art. 1 § 31 Abs. 3 und 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2730 unter Nr. 1.2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 § 31 Abs. 3 und 4 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Art. 1 § 31 Abs. 3 und 4 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, gegen die Stimmen der SPD und Stimmen aus Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen.Ich rufe Art. 1 § 32 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2730 unter I.3 ein Änderungsantrag der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/GRÜNE und bei einigen wenigen Stimmenthaltungen, die ich jetzt nicht einzeln zuordnen kann, abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die Art. 1 § 32 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Art. 1 § 32
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7910 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Vizepräsident Helmuth Beckerin der Ausschußfassung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen von SPD, PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE angenommen.Ich rufe Art. 1 § 33 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — § 33 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und mit Stimmen aus der SPD sowie gegen die Stimmen des Bündnisses 90/GRÜNE und einige wenige Stimmen aus den Reihen der SPD und bei Stimmenthaltungen aus dem Bündnis 90/GRÜNE angenommen.Ich rufe Art. 1 § 34 auf. Die Fraktion der SPD verlangt unter I.4 ihres Änderungsantrags auf Drucksache 12/2730 die Anfügung eines Abs. 3. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen?— Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und einige Stimmen aus dem Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste— bei diesen gab es teilweise Stimmenthaltung und teilweise Ablehnung — abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 § 34 in der Ausschußfassung?— Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Art. 1 § 34 in der Ausschußfassung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen das übrige Haus angenommen.Ich rufe Art. 1 §§ 35 und 36 Abs. 1 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?— Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen einige Stimmen aus den Reihen der SPD und der PDS/Linke Liste und bei Stimmenthaltungen in einer ähnlichen Verteilung angenommen.Ich rufe Art. 1. § 36 Abs. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2729 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und bei unterschiedlichem Verhalten im Bündnis 90/GRÜNE und bei der PDS/Linke Liste — teils Ablehnung, teils Enthaltung — abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 § 36 Abs. 2 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Art. 1 § 36 Abs. 2 in der Ausschußfassung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen aus den übrigen Fraktionen und Gruppen angenommen.Ich rufe Art. 1 § 36 Abs. 3 sowie §§ 37 und 38 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung angenommen, und zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei unterschiedlichem Stimmverhalten in der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE — Enthaltungen und Gegenstimmen — und bei Ablehnung durch die Gruppe PDS/Linke Liste.Ich rufe nunmehr Art. 1 § 39 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2730 unter Nr. 1.5 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste und Gegenstimmen aus der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE ist der Änderungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für Art. 1 § 39 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 § 39 ist in der Ausschußfassung mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen das übrige Haus angenommen.Ich rufe Art. 1 §§ 40 bis 88 und Art. 2 Nr. 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE angenommen.Ich rufe Art. 2 Nr. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2730 unter Nr. II ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag der SPD ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei unterschiedlichem Stimmverhalten — Ablehnung oder Enthaltung — der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE und der Gruppe PDS/ Linke Liste abgelehnt.Wer stimmt für Art. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 Nr. 5 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen das übrige Haus in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 2 Nr. 6 bis 15 und Art. 3 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE und einige Stimmen aus der SPD-Fraktion sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung in der Ausschußfassung insgesamt angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion, gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE und fünf Stimmen aus der SPD-Fraktion angenommen.Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2718, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2100 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, gegen die Stimmen der SPD,
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Vizepräsident Helmuth Beckerder Gruppe Bündnis 90/GRÜNE und der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.Unter Nr. 3 wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/852 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen.Unter Nr. 4 wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1296 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen.Unter Nr. 5 wird empfohlen, den Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/1326 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen aus den Gruppen Bündnis 90/GRÜNE und PDS/ Linke Liste angenommen.Unter Nr. 6 schließlich wird empfohlen, auch den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2097 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist auch diese Beschlußempfehlung angenommen, und zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE, gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste.Wir kommen zur Abstimmung über die vier Entschließungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/2723? —
Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für Drucksache 12/2724? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei gleichem Abstimmungsverhalten ist der Entschließungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für Drucksache 12/2725? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für Drucksache 12/2753? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen das übrige Haus abgelehnt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Beratungen.Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung
— Drucksachen 12/2501, 12/2690 —a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
— Drucksache 12/2736 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Kurt Faltlhauser Hermann RindGunter Weißgerberb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/2743 —Berichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Joachim Grünewald.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich verantwortungsbewußt an der Diskussion über die Neuregelung der Zinsbesteuerung beteiligt, muß anerkennen, daß die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 zwar Anlaß und Hauptaufgabe dieses Gesetzgebungsverfahrens ist, keinesfalls aber dessen alleiniges Ziel sein kann.Selbstverständlich muß eine tragfähige Lösung verfassungsfest sein. Sie muß aber auch die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und das Zinsniveau berücksichtigen. Die Lösung muß von der Öffentlichkeit akzeptiert werden und für alle Beteiligten — ich betone: für alle —, für Bürger, Kreditwirtschaft und Finanzverwaltung gleichermaßen, praktikabel sein. Wichtig ist nicht zuletzt eine Europatauglichkeit für eine spätere Steuerharmonisierung.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung berücksichtigt diese Anforderungen in ausgewogener Weise. Es erfüllt mich mit großer Zufriedenheit, daß die Ausschüsse des Deutschen Bundestages ihn in allen Kernbereichen bestätigt haben. Das gilt vor allem für die Leitentscheidung des Gesetzentwurfs, nämlich die Einführung eines anrechenbaren Zinsabschlags mit angemessenen Freibeträgen unter gleichzeitiger Wahrung des Bankgeheimnisses.Natürlich hat der Gesetzentwurf in den Ausschüssen auch Änderungen erfahren. Der Finanzausschuß hat z. B. einige Hilfsanträge des Bundesrats aufgenommen. Die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich des Bewertungsgesetzes und des Vermögensteuergesetzes finden die Zustimmung der Bundesregierung. Zu denken ist vor allem an die Änderungen im Zusammenhang mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögensaufstellung und die
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7912 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewaldeinheitliche mittelschüssige Bewertung — ich betone: mittelschüssige, Herr Kollege Faltlhauser — wiederkehrender Nutzungen und Leistungen.Andererseits begrüße ich es sehr, daß der Finanzausschuß einigen Hilfsanträgen des Bundesrats, z. B. im Bereich der Altersentlastungsbeträge und der Mitteilungen an das Bundesamt für Finanzen, nicht entsprochen hat:Die vom Bundesrat begehrte Herausnahme der Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Altersentlastungsbetrag würde zu Ungereimtheiten in den Fällen führen, an denen an Stelle von Kapitalerträgen andere privilegierte Einkünfte im Sinn des Altersentlastungsbetrags vorliegen.Auch ist es nicht erforderlich, die Kapitalerträge vollständig dem Bundesamt für Finanzen mitzuteilen. Denn die jetzige Stichprobenregelung enthält ein ernsthaftes und — das ist das Entscheidende — für die Betroffenen unkalkulierbares großes Risiko für eine Aufdeckung von Mißbräuchen.
Das Stichwort „Mitteilungen" führt uns zum zentralen Bereich der politischen Auseinandersetzung. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, beanstanden nach wie vor, daß der Gesetzentwurf keine Kontrollmitteilungen vorsieht und den Bankenerlaß unverändert fortbestehen läßt. Sie sehen hierin einen Verfassungsverstoß und berufen sich insoweit auf die Ausführungen von Sachverständigen in der Anhörung. Ich will mich nicht an der Diskussion beteiligen, wer wen aus welchen Gründen und mit welchen Absichten als Sachverständigen benannt hat.
Tatsache aber, lieber Herr Kollege Poß ist, daß sich inzwischen Herr Prof. Rupert Scholz in einem außerordentlich nachlesenswerten Gutachten
— nein, in einem Gutachten — ebenso wie Herr Professor Jakob von der Universität Augsburg geäußert und die Verfassungsgemäßheit ausdrücklich testiert hat.Ich halte es für mehr als bedenklich, Herr Poß, daß man die Richter in Karlsruhe beanspruchen will, nur weil man politisch etwas anderes will oder wollen zu müssen glaubt.
Das Bundesverfassungsgericht selbst hat uns doch den Weg des Steuerabzugs gewiesen. Es hat auch den Steuersatz von 25 % ins Spiel gebracht. Wer hier über höhere Abzugssätze nachdenkt, sollte einmal einen Blick auf die Abzugssätze im Ausland werfen. Der angestrebte Steuersatz in Höhe von 25 % liegt international im oberen Mittelfeld.
Außerdem ist die Belastungswirkung des Zinsabschlags praktisch höher als 25 %, da die Bruttoeinnahmen erfaßt werden. Werbungskosten wie z. B. Schuldzinsen oder Depotgebühren können erst bei der Veranlagung abgezogen werden. Dann erfolgt die Besteuerung selbstverständlich zum individuellen Steuersatz, d. h. bis hin zum Höchststeuersatz von 53 %.Im übrigen hat der Finanzausschuß durch die Einbeziehung von Stückzinsen in den Zinsabschlag ein mögliches Schlupfloch für Steuervermeidungen geschlossen. Stückzinsen, Herr Faltlhauser, werden, technisch bedingt, erst ab dem 1. Januar 1994 in den Zinsabschlag einbezogen. Hierbei streben wir — ich hoffe: gemeinsam — die Nettolösung an. Aber hier muß uns die Kreditwirtschaft erst einmal die technischen Voraussetzungen mitteilen, wie man das umsetzen kann.Auch wird durch den Gesetzentwurf die vom Verfassungsgericht geforderte „hinreichende Verifikation" sichergestellt. Auf Grund der kräftigen Anhebung des Sparerfreibetrags, nämlich auf 6 000 DM pro Person, werden 80 % der Einkommen künftig steuerfrei gestellt. Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte wird dann also kein Massenproblem mehr sein. Das ist ein ganz grundlegender Unterschied zu der Ausgangssituation, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte. Die Finanzverwaltung wird sich in Zukunft auf die noch verbleibenden 20 % der Fälle mit großer Intensität und unter Ausnutzung des umfangreichen Instrumentariums nach der Abgabenordnung konzentrieren können und in Einzelfällen eine sehr sorgfältige Sachverhaltserforschung konsequent durchführen können. Wer hiernach noch behauptet, einer Steuerhinterziehung werde nicht entgegengewirkt, oder wer wie Sie, lieber Herr Kollege Poß, behauptet, die Steuerhinterziehung werde sogar noch gesetzlich begünstigt, der tut das entweder in Unkenntnis — die unterstelle ich Ihnen nicht — oder — und das unterstelle ich Ihnen, lieber Herr Poß — wider besseres Wissen.Kontrollmitteilungen sind einfach keine Alternative. Jeder weiß, daß in der Bundesrepublik Deutschland zirka 300 Millionen Konten unterhalten werden. Selbst bei Stichproben von nur 1 % bis 2 % wären somit 3 bis 6 Millionen Konten zu überprüfen. Ich frage Sie, ob nachträgliche Kontrollen von 1 % bis 2 % der Konten wirklich mehr Gleichheit schaffen würden als ein sofort wirksam werdender genereller Abschlag durch die Zahlstelle.
— Herr Kollege Wieczorek, Sie wissen — das ist ganz besonders wichtig —, auch die Tafelgeschäfte könnten wir durch Kontrollmitteilungen nicht erfassen.
Damit hätte das „Kontrollnetz" ein viel größeres Loch als nach dem von uns vorgesehenen Modell. Auch besteht bei Kontrollmitteilungen das große Risiko der Kapitalflucht. Die Steuerbasis würde kleiner. Damit würde natürlich auch die Steuergerechtigkeit verfehlt.Ganz entschieden muß ich mich auch gegen die zwischenzeitlich immer wieder anklingende Alternativüberlegung aussprechen, alle Einkünfte aus Kapi-
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewaldtalvermögen einer Definitivsteuer, also einer Abgeltungssteuer, zu unterwerfen. Eine Abgeltungssteuer begünstigt Einkommensbezieher mit einem höheren individuellen Steuersatz. Um so erstaunlicher ist es, daß ausgerechnet diejenigen, die in diesen Tagen eine höhere Abgabe von den Besserverdienenden einfordern, zur Abgeltungssteuer finden wollen. Bei einer Abgeltungssteuer bestünde darüber hinaus die Gefahr der Verlagerung der Kapitalströme von betrieblichem Risikokapital in risikoloses Finanzkapital.
Das wäre in dieser Situation volkswirtschaftlich ganz einfach ein Anachronismus.Ich will noch auf den Verwaltungsaufwand hinweisen. Denn bei einem Abgeltungssteuersatz von 30 % z. B. müßten wir Steuerpflichtigen mit einer Steuerverpflichtung von unter 30 % eine Erstattung geben.Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß ein Abgeltungssteuersatz von 30 % zu Steuermindereinnahmen von 3 Milliarden DM führen würde, womit wohl keiner leben kann.Lassen Sie mich wiederholen, was ich in den häufigen Diskussionen schon gesagt habe: Dieser Vorschlag ist verfassungsfest, ausgewogen und richtig.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es nur um die Tafelgeschäfte ginge, könnten wir, glaube ich, sehr schnell eine einvernehmliche Lösung finden. Das dürfte nicht zum Hauptproblem werden. Ich halte das, wie so vieles andere, für ein vorgeschobenes Argument.Die Grundsatzfrage, die sich in diesen Tagen stellt, auch angesichts neuester Veröffentlichungen, ist die, warum diese Bundesregierung eigentlich nicht dazu in der Lage ist, sowohl wirtschaftspolitisch vernünftige als auch sozial gerechte Entscheidungen zu treffen. Warum ist sie nicht in der Lage, den unhaltbaren Zustand, daß die Besteuerung in wesentlichen Bereichen derzeit verfassungswidrig ist, zu beseitigen? Die Antwort auf diese Fragen ist deprimierend, ja sogar erschreckend.Diese Bundesregierung hat es ganz offensichtlich aufgegeben, sich gemäß ihrem Amtseid zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen,
das Grundgesetz zu beachten und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. Sie betreibt statt dessen immer hemmungsloser eine einseitige Klientelpolitik zugunsten der Spitzenverdiener und Vermögensbesitzer.
Damit mißbraucht die Bundesregierung ihre Macht zugunsten einer kleinen, ohnehin privilegierten Minderheit und gefährdet ernstlich den sozialen Konsens in unserer Gesellschaft.
Eklatantes Beispiel hierfür ist die Weigerung der Bundesregierung, den Grundfreibetrag endlich gemäß dem Verfassungsgebot so zu verbessern, daß das Existenzminimum nicht länger besteuert wird. Dieser bewußte Verstoß gegen die Verfassung ist schon für sich genommen ein Skandal. Die Bundesregierung fügt den Bürgern im Widerspruch zu ihrem Versprechen, Schaden vom Volk zu wenden, tatsächlich erheblichen Schaden zu,
indem sie den Bürgern mehr Steuern abverlangt, als es nach der Verfassung zulässig ist.
Vor diesem Hintergrund ist die jetzt bekanntgewordene Absicht der Bundesregierung, mit der Absenkung des Einkommensteuerspitzensatzes erneut milliardenschwere Steuergeschenke an die winzige Minderheit
von 1 % der Steuerpflichtigen mit dem höchsten Einkommen zu verteilen, an Zynismus nicht mehr zu übertreffen. Herr Gattermann sprach in den letzten Tagen davon, daß seien nicht investierende Einkommensexoten. Dies, meine Damen und Herren von der Koalition, ist keine Gerechtigkeit, sondern Ausbeutung der Mehrheit durch eine kleine reiche Minderheit.
Statt, wie vom Bundespräsidenten angemahnt, die deutsche Einheit solidarisch zu finanzieren, betreibt die Bundesregierung eine unverantwortliche Politik der Entsolidarisierung und der sozialen Ungerechtigkeit. Das kann alles durch Zahlen belegt werden. Diese einseitige Interessenpolitik wird auch in dem heute zur Beratung anstehenden Zinsabschlaggesetz deutlich.
Dieses Gesetz ist von den Interessen der Banken geprägt, die hier der Bundesregierung offensichtlich die Feder geführt haben. Die Banken haben quasi gesetzgeberische Funktionen übernommen. Ein besonderes Kapitel zum Thema Bankenmacht.
Unsere Hauptkritikpunkte zu dem so entstandenen Gesetzentwurf lassen sich wie folgt zusammenfassen:Erstens. Der Entwurf führt nicht zu Steuergerechtigkeit und widerspricht dem Grundgesetz, so wie es vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 27. Juni 1991 verbindlich ausgelegt worden ist. Die Verfas-
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Joachim Poßsungsrechtler haben die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzentwurfs bei der Anhörung des Finanzausschusses einmütig bestätigt.Zweitens. Würde der Gesetzentwurf Gesetzeskraft erlangen, wäre ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung programmiert, wie Sie auch wissen. Die Unsicherheit bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften und die damit verbundenen Probleme auf dem Kapitalmarkt werden durch den vorliegenden Entwurf in Zukunft nicht ausgeschlossen. Sie werden sozusagen provoziert, meine Damen und Herren.
Drittens. Das Zinsabschlaggesetz ist wie die Quellensteuer des früheren Bundesfinanzministers Stoltenberg ein bürokratisches Monstrum, das viele Bürger, insbesondere die älteren Mitbürger, überfordern wird.
Viertens. Das Zinsabschlaggesetz enthält trotz Nachbesserung siehe Stückzinsen — zahlreiche Schlupflöcher und Steuerumgehungsmöglichkeiten.
Fünftens. Bei den in dem Gesetzentwurf enthaltenen sonstigen Steueränderungen werden die Prioritäten falsch gesetzt. Die Verzehnfachung des Sparerfreibetrages ist zu begrüßen und von der SPD seit langem gefordert.
— Herr Hauser, Sie können ja wohl ein bißchen im Zusammenhang, sozusagen ganzheitlich denken. — Es ist aber nicht einzusehen, daß das Existenzminimum vieler Bürger weiterhin in verfassungswidriger Weise besteuert werden soll.
Die Anhebung des Grundfreibetrages muß daher absoluten Vorrang haben,
insbesondere vor einer Anhebung der Freibeträge bei der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer.Lassen Sie mich zunächst die verfassungsrechtliche Problematik etwas näher beleuchten. Bei der Anhörung des Finanzausschusses haben die Verfassungsrechtler die Auffassung der SPD bestätigt, daß der Gesetzentwurf dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach Recht und Gesetz sicherzustellen, nicht gerecht wird.
Der unehrliche Sparer kann auch künftig seinen persönlichen Steuersatz für hohe Kapitaleinkünfte reduzieren,
während der ehrliche Steuerzahler seine Zinseinkünfte mit seinem persönlichen Steuersatz versteuern muß. Der Ehrliche würde daher auch weiterhin der Dumme sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil unmißverständlich gefordert — ich zitiere —:Der Gesetzgeber muß die Steuerehrlichkeit durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip.
Auch die Bundesregierung geht offensichtlich davon aus, daß es in Zukunft in erheblichem Umfang zu Steuerhinterziehungen kommt. Sie unterstellt bei ihren Berechnungen der steuerlichen Auswirkungen des Zinsabschlags, daß weiterhin jährlich private Zinseinkünfte in Höhe von 40 Milliarden DM und Zinseinkünfte im unternehmerischen Bereich in Höhe von 4 Milliarden DM nicht bei der Jahresveranlagung deklariert werden.
Der Gesetzentwurf ist, wie die „Zeit" schrieb, eine Vorlage zum Steuerbetrug.
Die Bundesregierung versucht, die weitere Hinnahme der Steuerhinterziehung mit Kapitalmarktüberlegungen zu rechtfertigen. Auch zu dieser Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig Stellung genomen. Ich zitiere:Selbst wenn sich ein Teil des Kapitalmarktes an Gepflogenheiten gewöhnt haben sollte, nach denen durch Nichterklärung die einkommensteuerliche Belastung tatsächlich vermieden werden kann, handelt es sich dabei um einen Mißstand, der in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar ist.
Das kann man nur unterstreichen. Es geht ja um den Rechtsstaat, um die Sicherheit der Menschen in unserem Rechtsstaat.Aber auch ökonomisch ist das Argument von der drohenden Kapitalflucht nicht haltbar, wie von Wirtschaftsforschungsinstituten und vom Sachverständigenrat dargelegt wurde.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7915
Joachim Poll— Norbert Wieczorek zählt zu diesen Experten, die das belegt haben. Selbst wenn es kurzfristig zu Kapitalabflüssen in das Ausland kommen könnte, würde der dadurch bedingte Zinsanstieg im Inland jedoch den Anreiz für Anleger, ins Ausland zu gehen, mindern. Damit sei — so die Experten — eine Tendenz zur Rückbildung der Zinsdifferenz verbunden. Auch wenn es bei der Zinsdifferenz bliebe, würde das Kapital lediglich umgeleitet und stünde für investive Zwecke im Inland weiter zur Verfügung; denn der inländische Investor könne sich im benachbarten Ausland zu dort niedrigeren Zinsen refinanzieren. — Auch an dieser Stelle gibt es eine unheilige Allianz von Koalition und Banken, die sich in selbst herbeigeredeten Sachzwängen verheddern.Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, daß vor allem mit dem inzwischen in den § 30 a der Abgabenordnung übernommenen Bankenerlaß „der Finanzverwaltung eines der wirksamsten Mittel zur Sachverhaltsaufklärung genommen wird" . Der Bankenerlaß schaffe „ein Klima der Zurückhaltung und des Zögerns, das eine zuverlässige Ermittlung der Kapitaleinkünfte prinzipiell verhindert und sich als strukturelles Vollzugshindernis darstellt" .So sieht es auch der Bundesrat, wenn er feststellt:Der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist eine unmittelbare Folge aus dem Entwurf der Bundesregierung, der keine Kontrollmitteilungen vorsieht und § 30a AO unverändert läßt.Es ist nicht zu begreifen, daß die Bundesregierung in der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates nicht bereit ist, mit sich über eine Modifizierung des § 30a AO reden zu lassen. Will die Bundesregierung, will die Koalition den Bundesrat wirklich zwingen, einem verfassungswidrigen Gesetzentwurf zuzustimmen?In verfassungsrechtlicher Erklärungsnot befindet sich die Bundesregierung im übrigen auch bei der Frage, warum der Sparerfreibetrag undifferenziert für alle Einkünfte aus Kapitalvermögen gewährt werden soll, also auch für Erträge aus unternehmerischer Betätigung, z. B. für GmbH-Gewinnanteile. Herr Rind, wir kennen die Diskussion, die Sie mit Professor Arndt im Hearing geführt haben. Ich will das hier nicht vertiefen. Jedenfalls gibt es auch hier verfassungsrechtliche Bedenken.
Der Gesetzgeber wurde ja von den Verfassungsrechtlern aufgefordert, sich Gedanken zu machen, womit er die Privilegierung der Erwerbseinkünfte rechtfertigen wolle.Im Hinblick auf die Durchführung des Gesetzes hat die Deutsche Steuergewerkschaft darauf hingewiesen, daß das vorgesehene Freistellungsverfahren für die Mitbürger, die das neue Verfahren aus Altersoder sonstigen Gründen nicht überblicken, die Gefahr mit sich bringt, zu Unrecht mit Steuern belastet zu werden. Mit dem Zinsabschlag werden alle Bürger einem flächendeckenden bürokratischen Aufwand ausgesetzt sein. Alle Sparer müssen für jedes ihrerKonten einen Antrag auf Berücksichtigung eines Freibetrags stellen oder eine Nichtveranlagungsbescheinigung beim Finanzamt beantragen. Dieser ganze bürokratische Aufwand wird nur deshalb veranstaltet, um bei großen Kapitalerträgen weiterhin die ungestrafte Steuerhinterziehung zu ermöglichen.Zur wirksamen Bekämpfung der Steuerhinterziehung gehört, daß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Besteuerung der Zinsen harmonisiert wird. Auch hier sind der Bundesregierung schwere Versäumnisse vorzuwerfen. Herr Staatssekretär Grünewald ist ja entschuldigt, weil er zum Bundesrat mußte. Deswegen muß ich mich da an die Koalitionsabgeordneten wenden.In seiner Regierungserklärung vom 27. April 1989 gab Bundeskanzler Kohl folgendes Versprechen ab:Wir werden uns in der Europäischen Gemeinschaft im Gespräch mit unseren Partnern dafür einsetzen, daß eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen möglich wird, die zwingend notwendig ist, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu erreichen.Einsicht der Bundesregierung war also scheinbar vorübergehend vorhanden. Von der zwingend notwendigen Lösung, von der Kohl sprach, findet man allerdings im amtlichen Protokoll des Deutschen Bundestages nichts mehr. Die Worte „zwingend notwendig " hatten die Helfer des Bundeskanzlers nachträglich gestrichen, um den deutschen Steuerzahler und Wähler nicht zu beunruhigen. Ich frage daher heute die Koalition — den Bundesfinanzminister kann ich ja nicht fragen : In welchen Gesprächen und Verhandlungen mit den europäischen Partnern haben Sie sich seit der Regierungserklärung vom 27. April 1989 für eine tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen eingesetzt?
— Das kommt dazu. — Sie haben doch gerade durch die ersatzlose Abschaffung der Quellensteuer im Jahre 1988 die Bemühungen der EG-Kommission um eine Harmonisierung der Besteuerung von Zinseinkünften torpediert. Im November 1989 beteuerte Dr. Waigel auf dem 12. Deutschen Steuerberatertag — Sie waren ja sicherlich Zeuge —:Mit uns, und ich wiederhole es nochmals, gibt es weder im nationalen noch auf europäischer Ebene irgendeine Form der Quellensteuer oder Kontrollmitteilungen.Getreu dieser Versicherung hat die Bundesregierung tatsächlich nichts unternommen, um das Versprechen des Bundeskanzlers einzulösen.
Die Bundestagsfraktion der SPD lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab und fordert die Bundesregierung auf, einen verfassungskonformen Gesetzentwurf zur Zinsbesteuerung vorzulegen, der sicherstellt, daß auch die Kapitaleinkünfte der Bezieher hoher Einkommen nach Recht und Gesetz besteuert werden. Statt der von der Bundesregierung vorgesehenen neuen Kapitalertragsteuer ist hierfür lediglich ein
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7916 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Joachim PollStichprobenverfahren einzuführen, mit dem den Beziehern hoher Kapitaleinkünfte die Sicherheit genommen wird, bei einer Steuerhinterziehung nicht ertappt zu werden.
Das psychologische Moment ist hier sehr wichtig. Das in § 9 des Kreditwesengesetzes verankerte Bankgeheimnis bleibt daher unangetastet, und die Finanzbehörden bleiben an das Steuergeheimnis gebunden.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat festgestellt, daß durch ein Stichprobenverfahren der Verwaltungsaufwand in Grenzen gehalten werden könnte. Der Verwaltungsaufwand könne in Zeiten der elektronischen Datenverarbeitung kein durchschlagendes Argument sein, was im übrigen Erfahrungen aus Ausland, sowohl dem europäischen wie dem außereuropäischen Ausland, bestätigen würden.Für den einzelnen Bürger würde ein Stichprobenverfahren zu keinerlei Mehraufwand führen. Die Probleme, die sich insbesondere für ältere Bürger beim Zinsabschlag ergeben, würden bei einem Stichprobenverfahren völlig vermieden.
Mit dem Stichprobenverfahren, das eine Modifizierung des § 30a der Abgabenordnung voraussetzt, könnte auch die Geldwäsche und damit die Drogenkriminalität wirksamer bekämpft werden.
Die SPD hat in ihrem schon im vergangenen Jahr eingebrachten Antrag zur Unterbindung der Geldwäsche gefordert, die Abgabenordnung so zu ändern, daß die Finanzbehörden verpflichtet werden, Erkenntnisse über Geldwäsche an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Durch die Einführung eines Stichprobenverfahrens könnte die Mitwirkung der Finanzbehörden bei der Bekämpfung der Geldwäsche erheblich verstärkt werden. Es würde somit nicht nur ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit geleistet, sondern zugleich ein Instrument der Verbrechensbekämpfung eingeführt.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung werden erneut schwerwiegende steuerpolitische und verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen provoziert. Ich sage Ihnen voraus: Ohne eine Änderung des in § 30a der Abgabenordnung enthaltenen Überprüfungsverbots wird dieses Gesetz in Karlsruhe erneut scheitern. Mit der Verabschiedung dieses offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzes setzen Sie hier eine Zeitbombe in Gang, die ernstzunehmende Gefahren für den Kapitalmarkt in sich birgt und das Vertrauen der Bürger in den sozialen Rechtsstaat schwer erschüttern kann. Selbst wenn es Ihnen schwerfallen sollte, meine Damen und Herren von der Koalition: Kehren Sie um auf Ihrem Wege der einseitigen Interessenpolitik!
Entdecken Sie zur Abwechslung doch endlich die Interesssen der weitaus überwiegenden Mehrheit der Bürger unseres Landes!
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Kurt Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Poß, ich bin enttäuscht darüber, daß Sie hier im Plenum glauben, die gleiche Schwarzweiß-Malerei und das gleiche gelbe Neidgerede von Ihrer Frau Kollegin Matthäus-Maier nachmachen zu müssen. Ich glaube, die Probleme, die wir hier in diesem Gesetz zu besprechen haben, sind für diese Art der Polemik doch wirklich zu schwerwiegend.
Meine Damen und Herren, es ist gegenwärtig viel die Rede von einer angeblichen politischen Handlungsunfähigkeit der Bonner Regierung. Heute steht hier in zweiter und dritter Beratung ein Gesetz zur Verabschiedung, das in beispielhafter Weise die Handlungsfähigkeit der Koalition und der Bundesregierung unter Beweis stellt.
— Herr Kollege Poß, Sie haben jetzt 20 Minuten— teilweise auch langweilig — geredet. Jetzt können Sie doch einmal eine Minute die Luft anhalten.
Wir haben in einem außergewöhnlich komplexen Bereich ein Gesetz intensiv und doch zügig beraten. Am 27. Juni 1991 hat das Bundesverfassungsgericht seinen Spruch verkündet. Heute, am 5. Juni, also kein Jahr danach, gibt es nach intensiven Beratungen die zweite und dritte Lesung. Schneller und besser geht das eigentlich nicht. Das nenne ich Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit.
Das vorliegende Gesetz ist in fünf Stichpunkten in seiner Qualität zu kennzeichnen:Erstens. Es setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts richtig und verfassungsgemäß um.
— Darauf komme ich noch.Zweitens. Dieses Zinsabschlaggesetz hat etwas kaum Erwartbares geschafft. Es hat das Kapital, das wir gerade jetzt im gemeinsamen Deutschland dringend brauchen, nicht ins Ausland vertrieben. Eine
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Dr. Kurt FaltlhauserRede wie die von Herrn Poß ist allerdings geeignet, das Geld herauszutreiben.
Im übrigen: Als der Finanzausschuß des Bundesrates in erster Beratung seine ablehnende Haltung formuliert hat, sind die Zinsen hinaufgegangen. Gesamtwert für alle öffentlich verschuldeten Länder sowie für den Bund: ungefähr 800 Millionen DM. Das war die Folge eines derartigen Beschlusses.Drittens. 80 % aller kleinen und mittleren Sparer sind durch unsere Freibeträge befreit. Daß das eine vernünftige Lösung ist, hat ja selbst die Opposition hier unterstrichen und durch ihre Zustimmung anerkannt.
— Ich lasse keine Zwischenfragen zu.Viertens. Wir haben eine praktikable Regelung, insbesondere durch die Methode der Freistellungsaufträge. Kontrolle erfordert Bürokratie. Wir haben jedoch die Bürokratie in engen Grenzen gehalten. Ich glaube, das ist das praktikabelste aller vorgeschlagenen und denkbaren Verfahren.
Es wurde, wie der Kollege Hauser gerade dazwischengeworfen hat, kein besseres Rezept vorgeschlagen.
— Die verstehen ja weiß Gott sehr viel davon.
Fünftens haben wir das zusätzliche Aufkommen, das wir erwarten können, nicht für irgendwelche allgemeinen Haushaltszwecke eingesetzt, sondern zielgerichtet für die Altersversorgung, die auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil in engstem Zusammenhang mit dem Sparen und mit der Besteuerung von Erspartem steht. Fünf Milliarden DM mehr für die Altersversorgung, das ist mehr, als vor einem Jahr in allen Teilen dieses Hauses für denkbar gehalten wurde.Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Verfassungsmäßigkeit des vorliegenden Gesetzes machen. Zum einen: Dem Ziel des Bundesverfassungsgerichts, eine größere Gleichmäßigkeit der Besteuerung herbeizuführen, kommt dieses Gesetz schon dadurch näher, daß künftig ca. 80 % aller Zinseinkunftsbezieher auf ihre Einkünfte die gleiche Steuer zahlen, nämlich die Nullsteuer.
Gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnis, daß wir eine perfekte Gleichbehandlung nie erreichen können — das wollte auch das Bundesverfassungsgericht nicht, und das kann es nicht wollen —, halte ich diese quantitative Erwägung für bedeutsam.Zweitens. Ich habe in der ersten Lesung schon auf die Ermittlungsinstrumente der Abgabenordnung hingewiesen, die oberhalb der Grenze der 25 % eingreifen und eingreifen können. Ich verweise hierzu ausdrücklich auf den Bericht zum Gesetz. Ich fügeheute hinzu: Diese Instrumente werden in Zukunft für eine wesentlich kleinere Zahl von Fällen anwendbar sein; wenn 80 % der Bezieher von Kapitaleinkünften durch die Freibeträge ohnehin freigestellt sind, kann sich die Administration in ihren Nachprüfungsmaßnahmen auf die begrenzte Zahl der dann noch Betroffenen konzentrieren. Dies ergibt unausweichlich eine Effizienzsteigerung bei der Kontrolle, dies gibt ein höheres Maß an Verifikation oberhalb der Grenze von 25 %. Dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ist dadurch mit Sicherheit gedient.
Es wird von der Opposition der Eindruck erweckt, als würde nur ein perfektes, lückenloses Kontrollsystem den Anforderungen des Verfassungsgerichts entsprechen.
Hierzu zitiere ich Ihnen aus der gutachterlichen Stellungnahme des Kollegen Professor Rupert Scholz, dessen Qualifikation als Verfassungsrechtler in diesem Lande mit Sicherheit nicht angezweifelt wird:
Das Verifikationsprinzip wird indessen vom Bundesverfassungsgericht keineswegs absolut gesetzt,
sondern durchaus im Zusammenhang auch mit dem Datenschutz sowie dem Steuergeheimnis gesehen. Dies entspricht dem in Art. 2 in Verbindung mit Art. 14 Grundgesetz — —
— Hören Sie doch mal zu! Sie sind so damit beschäftigt, dauernd vor sich hinzureden, daß Sie kein Argument hören. Sie sollten dies aber, dann würden Sie vielleicht bessere Erkenntnisse erlangen.Ich wiederhole:Dies entspricht dem in Art. 2 in Verbindung mit Art. 14 Grundgesetz verbürgten grundrechtlichen Datenschutz, in dessen Rahmen auch das Steuergeheimnis gewährleistet ist. Diese Gewährleistung schließt demgemäß einen mehr oder weniger totalen Kontrollmechanismus — auch unter dem Stichwort Verifikationsprinzip — aus.Ich halte diese Anmerkung für sehr bedeutsam, für wesentlich bedeutsamer als die Einlassungen, die wir von zwei Verfassungsrechtlern in den Anhörungen gehört haben, die in ihrer Qualität sehr dünn waren, wenn ich das beurteilend sagen darf.
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7918 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Dr. Kurt FaltlhauserDie Vorstellungen der Opposition im Hinblick auf die Verifikation würden dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach den Aussagen des Kollegen Scholz mit Sicherheit nicht entsprechen. Wir haben in der Zinskommission, wie schon wiederholt gesagt, nicht zuletzt deshalb — —
— Lassen Sie es doch mal eine Sekunde! Wollen Sie hier ein Fußballmatch mit Zwischenrufen veranstalten, oder wollen Sie ein schwieriges Gesetz angemessen diskutieren?Wir wollten deshalb diese Vorstellungen hier als verfassungsgemäß darstellen, weil das Bundesverfassungsgericht seinerseits ja die Abgeltungssteuer mit 25 % für ausreichend gehalten hat. Wir gehen ja darüber hinaus. Es ist Abgeltungssteuer plus —ich will das nicht noch einmal wiederholen.Da ich diese Rede auch zu Protokoll gebe, werde ich die nächsten Teile absetzen, bitte, sie ins Protokoll aufzunehmen, und komme zum Schluß.Wir hören gerade, daß sehr viele in den Ländern offenbar Sehnsucht nach einer Abgeltungssteuer haben. Wir sagen nur: Wenn das im Vermittlungsausschuß durchkäme, würde es uns zum Schedulensystem führen. Es würde auch diejenigen, die ihr Arbeitseinkommen bis zu 53 % versteuern müssen, gegenüber denjenigen benachteiligen, die große Geldvermögen haben und die dann mit 25 % gewissermaßen außen vor wären.
Wir werden, Herr Kollege Poß, am Beispiel der Behandlung dieses Gesetzes im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß in den nächsten Wochen sehen, wer in diesem Land verantwortungsbewußte Politik betreibt, wer gestalten will, wer die Dinge voranbringen will und wer auf der anderen Seite nur blockieren, zerstören und verhindern will.Dieses Gesetz ist mit Sicherheit nicht das geeignete Feld für Oppositionsprofilierung. Ich bitte zumindest den sachgerechten Teil dieses Hauses, die Zustimmung zu diesem Gesetz nicht zu verweigern.
Herr Kollege Dr. Faltlhauser, Ihre Redezeit war schon überschritten. Sie können nicht einen zusätzlichen Teil zu Protokoll geben; dies können wir nicht machen. Es kommt nur das in das Protokoll, was Sie hier gesprochen haben.
Meine Damen und Herren, nun hat unsere Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es immer wieder spannend, wie sich die Bundesregierung erneut darum bemüht, die Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen.
Einerseits zeigt sie sich bemüht, die im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Juni 1991 enthaltene wichtigste Forderung nach einer Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip — streng leninistisch heißt das: Steuererklärungen sind gut, aber deren Überprüfung ist noch besser — zu erfüllen.Andererseits strickt sie mit Hilfe der Koalitionsfraktionen ein Gesetz, das der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Herr Grünewald, als eine verfassungskonforme und zugleich kapitalmarktschonende Neuregelung der Zinsbesteuerung interpretiert.Das Bundesverfassungsgericht ging in seiner Urteilsbegründung davon aus, Steuerehrlichkeit sei steuerliche Belastungsgleichheit plus Kontrollmöglichkeiten. Der Bankenerlaß, also die Beibehaltung des § 30a der Abgabenordnung, schafft, so das Bundesverfassungsgericht — ich zitiere —, „ein Klima der Zurückhaltung und des Zögerns, das eine zuverlässige Ermittlung der Kapitaleinkünfte prinzipiell verhindert". Ich betone für Sie gern noch einmal, daß es ausdrücklich heißt, daß die Beibehaltung des Bankenerlasses prinzipiell verhindert, die Ermittlung der Kapitaleinkünfte zu bewerkstelligen.Dieses Urteil muß die Bundesregierung und das sie noch tragende Koalitionsgefüge beinhart getroffen haben. Wie anders ist es zu erklären, daß zwischen Urteilsverkündung und der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs zehn Monate ins Land gingen?
Wer bestimmt auf der Regierungsgaleere eigentlich das Tempo?Ich verstehe ja, daß anarcho-liberale Ordnungspolitiker à la Lambsdorff die Forderung nach Kontrollmöglichkeiten wie einen persönlichen Angriff auf sich und die beste aller möglichen Welten empfinden und geschockt zu Boden gehen. Warum aber läßt uns die Bundesregierung über zehn Monate auf ihre Vorschläge warten, um dann die zweite und dritte Lesung fast überfallartig auf die Tagesordnung setzen zu lassen?Eines scheint klar zu sein: Wir werden heute nicht zum letztenmal über ein Zinsabschlagsgesetz diskutieren; denn einige Verfassungsrechtler haben bereits mehr oder minder eindeutig darauf hingewiesen, daß die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen
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Dr. Barbara Höllvor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werden.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, warum Sie sich und den Oppositionskräften in diesem Hause zumuten, die demokratisch verbrämte Kulisse für ein Schauspiel abzugeben, das keine Chancen hat, längere Zeit auf dein Spielplan dieses Regierungstheaters zu stehen.
Frau Dr. Höll, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jäger?
Nein danke, heute nicht.
Den von uns, der SPD, zahlreichen Sachverständigen und Institutionen vorgebrachten Argumenten gegen diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nichts mehr hinzuzufügen.
Allerdings mußte ich mit Erstaunen feststellen, daß die SPD eine tiefe Zuneigung zum Fetisch Kapitalmarkt entwickelt hat. Sie hat in Presseerklärungen und heute in ihrem Entschließungsantrag deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sehr ihr daran gelegen ist, sich als diejenige Regierungsvariante anzubieten, die Probleme auf dem Kapitalmarkt für die Zukunft ausschließen und dem Kapital den Standortfaktor Nummer eins organisieren würde, nämlich die innenpolitische Friedhofsruhe. Das ist nicht Opposition, sondern bestenfalls Variation.
Der Entschließungsantrag der SPD enthält allerdings viele Aussagen, denen die PDS/Linke Liste uneingeschränkt zustimmen kann. Statt Kontrollmitteilungen könnten auch wir uns ein EG-weit abgestimmtes stichprobenhaftes Kontrollverfahren vorstellen, wie es meines Erachtens in den USA praktiziert wird.
Wir teilen insbesondere die Kritik der SPD an der fortgeltenden verfassungswidrigen Besteuerung des Existenzminimums. Statt die Freibeträge für Zinsen aus Kapitalvermögen zu verzehnfachen, sollte die Bundesregierung endlich darangehen, den unhaltbaren Zustand der Besteuerung des Existenzminimums zu beenden. Dieser Gesetzentwurf berücksichtigt in keiner Weise Aspekte der sozialen Gerechtigkeit bzw. der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Obwohl zu erwarten ist, daß das Bundesverfassungsgericht demnächst die Besteuerung des Existenzminimums als verfassungswidrig kassieren wird, bekräftigt und verfestigt die Bundesregierung mit diesem Gesetz diese nicht mehr tolerierbare Praxis.
Ich fasse zusammen: Es lohnt sich für Bezieher hoher Zinseinkünfte auch weiterhin, nach Entrichtung des 25%igen Zinsabschlags Kapitalerträge in der Steuererklärung bewußt oder unbewußt nicht anzugeben.
Großverdiener mit einem Spitzensteuersatz können den Zinsabschlag gewissermaßen als Abgeltungssteuer betrachten. Die PDS/Linke Liste lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab und stimmt dem Entschließungsantrag der SPD zu.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, jetzt erteile ich unserem Kollegen Hermann Rind das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Bei der ersten Lesung zum Zinsabschlaggesetz vor ziemlich genau vier Wochen habe ich mich eingehend mit den einzelnen Maßnahmen beschäftigt. Ich will heute deshalb nur noch einmal summarisch, auch für das Protokoll und für die interessierte Öffentlichkeit, die wesentlichen Eckpunkte benennen.Die Verzehnfachung des Sparerfreibetrags ist eine Wohltat, die den Sparwillen breiter Bevölkerungsschichten nachdrücklich fördert,
eine Grundlage unserer Volkswirtschaft, nämlich die Sparbereitschaft, nachhaltig stärkt und damit die Grundlage für öffentliche und private Investitionen sichert.
Der Freistellungsauftrag für Sparer mit Zinseinnahmen unterhalb des Sparerfreibetrags erlaubt eine soweit nur irgend mögliche unbürokratische Freistellung für 80 % aller unserer Sparer von der Besteuerung ihrer Zinseinkünfte.Die Erhöhung des Sonderausgabenvorwegabzugs und des Sonderausgabenhöchstbetrages schafft ein Stück Steuerentlastung und mehr Steuergerechtigkeit für alle, insbesondere für die in diesem Bereich stark benachteiligten Selbständigen.Die Anhebung des Versorgungsfreibetrages und des Altersentlastungsbetrages bezieht auch unsere Rentner und Pensionisten in diese Entlastungsmaßnahmen ein.
Der 25%ige Zinsabschlag als anrechenbarer Steuerabzug bei voller Wahrung des Steuer- und Bankgeheimnisses ist von allen denkbaren Lösungen der beste und der sozial vertretbarste Weg zur Erfassung der Zinseinkünfte, wenn man alle Vor- und Nachteile abwägt. Einen Königsweg, der verfassungskonform ist, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkünfte schont, Rücksicht auf den Kapitalmarkt nimmt, unnötigen bürokratischen Aufwand vermeidet und EG- sowie auslandsverträglich ist, ohne dabei ein paar Schlaglöcher und Hindernisse aufzuweisen, gibt es nicht.
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7920 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Hermann RindDas heute zu verabschiedende Gesetz kommt jedoch dem Königsweg am nächsten. Es weist die wenigsten Hindernisse und Schlaglöcher auf. Die Schlaglöcher sind nicht tief und die Hindernisse nicht sehr hoch, so daß wir dem Zinsabschlaggesetz gern zustimmen werden.Nun wird von der SPD behauptet, für die 20 % der Steuerbürger, die Zinseinnahmen oberhalb des Sparerfreibetrages haben, würde weiterhin eine verfassungswidrige Besteuerung vorliegen. Dem muß nicht nur widersprochen, sondern dies muß auch begründet werden. Es wurde vorhin von Herrn Faltlhauser und vorher von Staatssekretär Grünewald darauf hingewiesen, daß die Reduzierung der Zahl der zu Überprüfenden auf etwa 20 % schon eine völlig andere Gegebenheit ist und die Verifikation über die Finanzverwaltung möglich ist.
Ich möchte dem noch hinzufügen, daß es sich bei diesem Kreis von Steuerpflichtigen um einen Personenkreis handelt, der in der Regel noch ein höheres anderweitiges Einkommen hat, bei dem also die Finanzverwaltung davon ausgehen kann, daß im Regelfall auch Kapitaleinkünfte vorhanden sind. Wenn die nicht in der Steuererklärung stehen, kann die Finanzverwaltung ganz gezielt prüfen. Wenn Sie auf die bisherige Betriebsprüfungspraxis hinweisen, Herr Kollege Poß, dann sprechen Sie von der Betriebsprüfung für Steuerpflichtige mit gewerblichen und freiberuflichen Einkünften.Darüber hinaus gibt es bei diesem Personenkreis, bei dem schon immer mit Geldverkehrsrechnungen und ähnlichem nach privaten Zinseinnahmen und Kontenbewegungen geforscht wird, außerhalb der Betriebsprüfung auch noch das Instrument, gezielte Überprüfungen vorzunehmen. Die Finanzverwaltung hat die Möglichkeit zur Verifikation durch die Beschränkung der Zahl. Das ist das Entscheidende, weswegen wir sagen: Die Verfassungskonformität ist auch hinsichtlich der Verifikation gegeben.
Kollege Rind, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Bitte schön, ja. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte.
Herr Kollege Rind, wie erklären Sie sich vor dem Hintergrund dieser Ihrer Aussagen denn die schriftlichen Stellungnahmen mehrerer Sachverständiger, in denen z. B. zu lesen ist, daß nur jeder dritte Einkommensmillionär Zinseinkünfte versteuert?
Diese Aussage höre ich heute aus Ihrem Munde zum erstenmal.
Wenn das so ist, dann liegt ein glattes eklatantes
Versäumnis der Finanzverwaltung vor, oder dieser
Personenkreis hat dargetan, daß er seine Anlagen beispielsweise im Grundbesitz getätigt hat.
— Herr Kollege Ebert, Sie wissen doch genauso wie ich: Wer ins Ausland gehen will, den hindern Sie nicht, den hindern wir nicht. Was hier betrieben wird, ist doch wirklich billige Polemik.
— Nein.
Herr Kollege Poß, die Finanzverwaltung hat die Möglichkeit zur Überprüfung. Dann wäre es einmal interessant nachzuforschen — daran beteilige ich mich gerne —, warum in solchen Fällen nicht nachgeforscht wird. Ich kann es mir aus meiner praktischen Erfahrung als Steuerberater allerdings nicht vorstellen, daß die Finanzverwaltung bei Einkommens- und Vermögensmillionären nicht auch die Frage des Vorliegens von Kapitaleinkünften sehr intensiv prüft.
Herr Kollege Rind, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger?
Bitte schön. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte.
Herr Kollege Rind, teilen Sie meine Auffassung, daß die letzte Aussage, die Sie gemacht haben, allein schon dadurch untermauert wird, daß in den von sozialdemokratischen Finanzministern geleiteten Finanzverwaltungen ein wesentlich höheres Aufkommen an Steuern auf Zinseinnahmen zu verzeichnen wäre als in anderen Bundesländern, wenn ich unterstelle, daß das richtig ist, was der Kollege Poß sagt?
Herr Kollege Jäger, ich gehe nicht davon aus, daß die Finanzminister je nach politischer Couleur Anweisungen an ihre Finanzverwaltungen geben, in dem einem Fall mehr und in dem anderen Fall weniger zu prüfen. Insofern kann ich nur feststellen, daß ich von dem Funktionieren der Finanzverwaltungen, egal unter welcher politischen Führung sie stehen, auszugehen habe und davon auch ausgehen kann.
Gestatten Sie noch eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Poß?
Bitte schön.
Bitte, Kollege Poß.
Herr Kollege Rind, wie erklären sich denn die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts zur notwendigen Verifikation vor dem Hintergrund der von Ihnen geschilderten jetzt schon gegebenen Möglichkeiten?
Das Verfassungsgericht ist ja von der Sachlage ausgegangen, daß 100 aller Steuerpflichtigen, die Spareinkünfte haben, überprüft werden müßten. Wesentlicher Punkt ist, daß es wegen der Höhe des Sparerfreibetrags jetzt nur noch um 20 % geht, und zwar um 20 %, die auf Grund höherer anderer Einkünfte zum größten Teil bei der Finanzverwaltung erfaßt sind, so daß für den größten Teil der Steuerpflichtigen - alle wird man nie erfassen können; das ist ja wohl unbestreitbar — die Verifikation durch die Finanzverwaltung in der Tat ohne große zusätzliche Belastungen möglich ist.
Herr Kollege Poß, wenn wir das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen haben und die Praxis dann zum Zuge kommt, werden wir sehen, daß die Referenten der zuständigen Landesfinanzministerien sehr schnell Wege finden werden, um dieser Verifikation nachzukommen.Nun ist ja bei allem interessant: Der Bundesrat hat bemängelt, daß keine Kontrollmöglichkeiten geschaffen würden. Er hat aber gleichzeitig hilfsweise Gesetzesänderungen gefordert und sie penibel aufgelistet. Nur, in welcher Form eine Änderung des § 30 a der Abgabenordnung vorgenommen werden soll, ist vom Bundesrat nicht gesagt worden und auch nicht von der SPD-Bundestagsfraktion. Die einzige, die in der Anhörung etwas dazu gesagt hat, war Frau Matthäus-Maier, die §30a Abs. 3 genannt hat. Es war interessant, daß die SPD-Bundestagsfraktion bei der Berichtsabfassung Wert darauf gelegt hat, daß § 30a insgesamt angesprochen wird, ohne die Vorschrift im einzelnen zu benennen.
Es ist schon hochinteressant, festzustellen, daß sich keine konkrete Äußerung, was nun wirklich an § 30a geändert werden soll, findet. Sie müßten nämlich, wenn Sie daran wollen, auch Abs. 2 und Abs. 4 ändern. Ich will das jetzt gar nicht im Detail ausführen; dazu ist die Redezeit zu kurz. Dies wäre in der Tat ein massiver Einbruch. Über § 3 ließe sich reden. Aber er reicht nicht aus, um eine Kontrolldichte herstellen zu können, die dem Verfassungsanspruch gerecht wird.
Sie müßten sehr tief in das gesamte Vertrauensverhältnis eingreifen. Da eiern Sie, sage ich Ihnen.
]: Die Eierei machen Sie
hier!)Herr Kollege Poß, Sie haben in einer Presseerklärung darauf hingewiesen — das fand ich geradezu drollig —, das Bankgeheimnis sei durch das Fortbestehen des § 9 des Kreditwesengesetzes gesichert. § 9 des Kreditwesengesetzes befaßt sich mit der Schweigepflicht des Bundesamtes für das Kreditwesen über Sachverhalte, die ihm bei der Überprüfung der Kreditunternehmen hinsichtlich der Frage, ob sie die bankrechtlichen Vorschriften eingehalten haben, bekanntwerden. Das ist also ein völlig anderer Sachverhalt. Dabei erfährt das Bundesamt für das Kreditwesen überhaupt nichts über Geschäftsverbindungen und Guthaben von Kunden der Bankinstitute. Sie ziehen hier also Punkte heran, die gar nicht hierher gehören. Sie sagen nicht klar, was Sie ändern wollen.
Sie ziehen für das Bankgeheimnis falsche Vorschriften heran, um Ihre Argumente zu untermauern. Sie eiern hier wirklich — ich habe das schon gesagt — in einer schlimmen Weise.Ich sehe die Alternative nicht. Sie haben vorhin gesagt: Die EDV würde die Überprüfung in Stichproben möglich machen. Die EDV kann eines machen: Sie kann 6 Millionen Konten — das sind die berühmten 2 % aller Konten — herausfiltern und kann diese 6 Millionen Konten an die zuständigen Finanzämter melden. Dann — das sage ich Ihnen, Herr Kollege Poß — endet die EDV. Dann müssen Hunderte — um nicht zu sagen: Tausende — neuer Finanzbeamter in jede Steuerakte gucken und müssen 6 Millionen Meldungen nachgehen. Da hilft Ihnen keine EDV mehr.
Dann kommen Sie in die Bredouille. Sie können mit Ihren Stichproben nicht verifizieren, behaupte ich. Ich habe das in meiner Rede zur ersten Lesung schon einmal sehr ausführlich dargestellt, und ich hoffe, ich habe Ihnen das ein bißchen verständlicher gemacht, wenn Sie das sicherlich auch nicht zugeben werden.Hinzu kommt übrigens — auch das war hochinteressant —, daß bei der Behandlung des Gesetzentwurfs im Finanzausschuß auch die Frage, wie es bei Kontrollmitteilungen mit den Steuereinnahmen aussieht, eine Rolle gespielt hat. Es ist von Bedeutung, ob am Ende für Bund und Länder mehr oder weniger in der Kasse ist. Da hat der zuständige Beamte des Bundesfinanzministeriums, den wir als objektiven Mann alle sehr schätzen, erklärt, er könne dazu keine Aussage machen, weil er die Kapitalflucht natürlich nicht in Rechnung stellen könne. Aber wie massiv sie wäre, das sieht man schon an der Zinsbewegung, die sich ergeben hat, nachdem sich der Finanzausschuß des Bundesrates geäußert hatte.Was auch immer im Vermittlungsverfahren geschieht — falls es zu einem kommt — oder was am 26. Juni aus dem Bundesrat kommt: Die von der SPD-Fraktion gewünschte, wenn auch nicht näher beschriebene, Lockerung oder Aufhebung des Bankgeheimnisses wird es nicht sein. Die Opposition hat keine Alternative entwickelt.Die F.D.P.-Fraktion steht zum Zinsabschlaggesetz und begrüßt es, daß diese schwierige Hausaufgabe des Bundesverfassungsgerichts so kapitalmarktschonend und bürgerfreundlich erledigt wurde, wie es mit diesem Gesetzentwurf geschieht.Vielen Dank.
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7922 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Karl Fell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Blick auf die Zeit, mit dem Blick auch auf das, was zu diesem Gesetzentwurf schon vorgetragen worden ist, werde ich meinen Redebeitrag im wesentlichen zu Protokoll geben. Das sind Sachbeiträge, die dann auch nachgelesen werden können.
Aber es gibt sechs Punkte in dem Beitrag des Herrn Kollegen Poß, die einer Antwort bedürfen, und einen darüber hinausführenden Hinweis.
Erstens. Herr Kollege Poß, Ihr Redebeitrag war getragen von dem Gedanken, wir müßten von der Unehrlichkeit aller Beteiligten ausgehen. Ich gebe Ihnen wirklich nachhaltig mit: Wenn das der richtige Denkansatz für gesetzgeberisches Handeln ist, wenn das unser Vertrauen gegenüber dem Steuerzahler ist, dann können wir uns verabschieden, dann sollten wir lieber Schluß machen.
Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, wir würden mit der Grundanlage des Gesetzentwurfs der Geldwäsche Vorschub leisten. Sie wissen mindestens so gut wie ich, daß im Bereich der Innen- und Rechtspolitik längst Überlegungen zur Gegenwehr gegen Geldwäsche angestellt werden,
daß erste Überlegungen dazu auf dem Tisch liegen und daß deswegen diese Frage außerhalb des Zinsabschlaggesetzes zu erledigen sein wird.
Insofern ist es völlig falsch, weil es hier nicht aufgenommen wird, jetzt so zu tun, als wollten wir der Geldwäsche Vorschub leisten. Völlig danebengegangen.
Der dritte Punkt: In Ihrer verfassungsrechtlichen Argumentation, Herr Kollege Poß, haben Sie den Erfassungsrahmen angesprochen. Hier ist schon ausgeführt worden, daß 80 % aller privaten Geldanlagen wegen der Verzehnfachung — ich betone: der Verzehnfachung! — der Freibeträge künftig völlig steuerfrei gestellt werden. Damit wird die private Vorsorge, die private Altersvorsorge nicht mehr erfaßt.
Jetzt behaupten Sie, die restlichen 20 % seien es. Deswegen dürfe man es nicht machen. Herr Kollege Rind hat Ihnen schon deutlich gesagt, gerade diese restlichen 20 % sind längst bekannt. Insoweit ist die Finanzverwaltung in der Lage, dort nachzuforschen.
Aber Herr Kollege Poß, auch darüber sind wir uns doch einig: Wenn dabei tatsächlich vorsätzlich Hinterziehende wären, haben die das Kapital längst im Ausland angelegt.
Die kriegen wir jedenfalls nicht mit dieser Ihrer Überlegung zur Kontrollmitteilung.
Viertens. Sie haben hinsichtlich der Kapitalmarktauswirkungen — —
Herr Kollege Fell, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?
Ich bin zwar schon weiter, aber bitte.
Herr Kollege Fell, soll das Plenum Ihre Aussagen so verstehen, daß Sie leugnen, daß es in erheblichem Maße Steuerhinterziehungen von Beziehern hoher Einkommen gibt?
Herr Kollege Poß, Sie haben, offensichtlich schon bei der Überlegung Ihrer Zwischenfrage, nicht mehr gehört, was ich gerade vorher noch gesagt habe. Wenn es denn in diesem Personenkreis Hinterzieher gibt,
dann haben sie sich längst ins Ausland begeben, sich längst so eingerichtet, daß sie von der von Ihnen vorgedachten Kontrollmitteilungslösung nicht mehr erfaßt würden.Aber daraus resultiert zugleich meine vierte Bemerkung, die ich Ihnen entgegenhalten will. Sie haben die Kapitalmarktauswirkungen Ihrer Überlegungen herunterzuspielen versucht. Sie wissen so gut wie ich — und der Kollege Wieczorek hat es Ihnen sicherlich schon häufiger erläutert —, daß jeder Ansatz mit Kontrollmitteilungen unseren Kapitalmarkt total in Unordnung bringt und daß die Finanzierungsmodalitäten, die auf dem deutschen Kapitalmarkt bestehen, dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden.
Nun haben Sie eben einen verräterischen Satz geäußert. Sie haben gesagt: Wenn wir Kontrollmitteilungen vorsähen, gäbe es einen Zinsanstieg im Inland, und damit würde für das Ausland eine Geldanlage in Deutschland wieder interessant.
Sie haben bei dieser Ihrer Überlegung nur verschwiegen, ob Sie zitieren oder ob Sie sie sich zu eigen machen, daß damit die gesamte Unternehmensfinanzierung, die gesamte Staatsfinanzierung über Schuldtitel verteuert würde. Sie nehmen also auf der anderen Seite das Geld aus der Wirtschaft wieder heraus, das wir dringend brauchen, damit unternehmerische Tätigkeit stattfindet.
Wenn unser Ziel dahin geht, unternehmerische Tätigkeit finanzierbar zu machen, Herr Kollege Poß,
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Dr. Karl H. Fellwarum wehren Sie sich dann — da sehe ich einen Widerspruch gegen eine entlastende Unternehmensteuerreform? Wenn wir das Eigenkapital im Verhältnis zum Fremdkapital weiter uninteressant machen, wieso wundern wir uns dann, daß bei uns die Leute in Finanzanlagen gehen und daß wir niemanden finden, der bereit ist, Risikokapitalinvestitionen zu tätigen? Aber diese brauchen wir und nichts anderes. Diese brauchen wir hier; diese brauchen wir in den neuen Ländern; diese brauchen wir für unsere ganze künftige Entwicklung.Eine fünfte Bemerkung, die natürlich noch zu unseren Überlegungen gehört, und zwar zur Stückzinsbesteuerung; Herr Staatssekretär Dr. Grünewald hatte sie kurz angesprochen. In bezug auf die Stückzinsen haben wir jetzt gesagt: Ab dem 1. Januar 1994 wird nach dem Bruttoertrag besteuert, wenn uns die Kreditwirtschaft bis dahin nicht ein praktizierbares System der Nettobesteuerung liefert. Wir haben auf die Erklärung Rücksicht genommen, daß es zur Zeit jedenfalls nicht möglich ist, eine Nettobesteuerung — gezahlte Stückzinsen werden von den erhaltenen Stückzinsen abgezogen — vorzunehmen. Wir wollen aber, daß die Nettobesteuerung stattfindet. Wir lassen die Stückzinsbesteuerung nicht außen vor.Wir haben schließlich durch die Gleichstellung der Niederlassungen deutscher Kreditinstitute im Ausland mit ausländischen Banken sichergestellt, daß es keinen Verdrängungswettbewerb an anderen Standorten jenseits der Grenze zu Lasten deutscher Kreditinstitute gibt. Das ist die Begleitmusik, die wir für Auslandsinvestitionen der deutschen Industrie spielen müssen. Dieser bleibt das gesamte Finanzierungsinstrument erhalten, das wir heute schon haben. Wir würden sie sonst ausschalten. Das wäre nachteilig für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung.Deshalb kann man diesem Gesetzentwurf nur zustimmen. Er ist die bessere Lösung, die bessere Alternative gegenüber Ihren Vorstellungen.
Meine Damen und Herren, ich muß noch einmal darauf aufmerksam machen: Es geht natürlich nicht, zu reden und dann das übrige zu Protokoll zu geben. Die Rede, die hier gehalten worden ist, ist im Protokoll.Damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Zinsabschlaggesetzes auf den Drucksachen 12/2501, 12/2690 und 12/2736. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. —Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS/Linke Liste angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Dann brauche ich nach Stimmenthaltungen nicht zu fragen. Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2748. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1992Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung-- Drucksachen 12/2038, 12/2039 —Überweisunqsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für GesundheitAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschußb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
1. zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD2. zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, Jürgen Türk und der Fraktion der F.D.P.zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1991Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung— Drucksachen 12/722, 12/729, 12/70, 12/71, 12/2075 —Berichterstattung:Abgeordneter Günther Bredehornc) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes— Drucksache 12/2154 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/2572 —Berichterstattung:Abgeordneter Karl-Heinz Schröter
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Vizepräsident Helmuth Beckerd) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, Lisa Peters und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes und des Weingesetzes— Drucksache 12/2282 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/2662 —Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Weyel
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft und des Fördergesetzes— Drucksache 12/2694 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes— Drucksache 12/2696 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Innenausschußg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Brigitte Adler, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZum Siedlungskauf-Modell der Bundesregierung in den neuen Bundesländern— Drucksache 12/2126 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschußh) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Brigitte Adler, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZur bilanziellen Entlastung von landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Ländern— Drucksache 12/2317 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, Hinrich Kuessner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRichtlinie für die Durchführung der Verwertung und Verwaltung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen— Drucksache 12/2545 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Thierse, Roth, Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVerlängerung der Aussetzung der Zins- und Tilgungsleistungen auf Altkredite im Bereich der Landwirtschaft der neuen Bundesländer— Drucksachen 12/13, 12/1941 —Berichterstattung: Abgeordneter Meinolf Michelsk) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann , Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/ Linke ListeAgrarpolitik der Bundesregierung in den neuen Bundesländern — Ergebnisse und Schlußfolgerungen— Drucksachen 12/2087, 12/2594 —Zum Agrarbericht 1992 liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor.Zur Großen Anfrage der Gruppe PDS/Linke Liste liegt ein Entschließungsantrag dieser Gruppe vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, unserem Kollegen Ignaz Kiechle, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Agrardebatte haben wir sicher noch eine umfangreiche Tagesordnung zu bewältigen. Aber da der Agrar- und ernährungspolitische Bericht der Bundesregierung im Vordergrund steht, wollen wir damit beginnen. Ich werde mich bemühen, so kurz wie möglich zu sprechen, obwohl es sich um eine bedeutende Angelegenheit handelt.
Das abgelaufene Wirtschaftsjahr war zweifellos ein schwieriges Jahr für die Landwirtschaft, und zwar sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern. In den alten Bundesländern gingen die Gewinne der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe — allerdings nach einem kräftigen Anstieg in den beiden Vorjahren um 32 bzw. 16 % — im Wirtschaftsjahr 1990/91 im Durchschnitt um 16 % zurück, und zwar je Unternehmen. Hinter den Durchschnittszahlen verbergen sich je nach Betriebsform und -größe und vor
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Bundesminister Ignaz Kiechleallem je nach Region sehr unterschiedliche Entwicklungen. Ursache für die ungünstige Gewinnentwicklung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr waren in erster Linie die niedrigen Erzeugerpreise auf Grund gesättigter Märkte.Im laufenden Wirtschaftsjahr, das jetzt fast zu Ende ist, werden die Gewinne auf Grund von mengen- oder preisbedingt höheren Unternehmenserträgen bei Getreide, Raps, Kartoffeln und Wein und vor allem bei Schweinen wieder steigen, und zwar schätzungsweise um 5 bis 10 %.Der Agrarbericht 1992 zeigt einmal mehr, daß das Auf und Ab der landwirtschaftlichen Einkommen in den einzelnen Jahren mehr vom Markt bestimmt wird und nicht so sehr von der Politik. In den Bereichen, in denen wir die größten Überschüsse zu verzeichnen haben, standen die Preise und damit die Einkommen der Landwirte in der Vergangenheit permanent unter Druck. Deshalb hat sich die Bundesregierung von Anfang an für eine EG-weit wirksame Politik der Marktsanierung durch Mengenbegrenzung eingesetzt. Bei Milch haben wir die Garantiemengenregelung durchgesetzt. Bei Getreide und Rindfleisch dagegen konnte bisher keine wirksame Begrenzung der Produktion erreicht werden. Eine Reform war hier seit langem überfällig.Es ist deswegen zu begrüßen, daß sich der Agrarrat nach langen und zähen Verhandlungen im Mai endlich über die Grundzüge der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik einigen konnte. Ich gestehe ganz offen: Die Zustimmung zu diesem Reformpaket ist mir nicht leichtgefallen; denn die Vorteile der Reform mußten mit Zugeständnissen erkauft werden.Die EG-Kommission konnte sich bei dem Komplex Getreide mit ihren Preisvorstellungen weitgehend durchsetzen. Alle übrigen Mitgliedstaaten sprachen sich für eine stufenweise Senkung der Stützpreise aus, die deutlich über das hinausgeht, was wir für sinnvoll und zur Marktentlastung für erforderlich gehalten haben.Trotzdem konnte ich die ursprünglichen Kommissionsvorschläge entschärfen und für uns doch wesentliche Forderungen in verschiedenen Bereichen durchsetzen. Dazu gehört die fünfprozentige Mitverantwortungsabgabe bei Getreide, die bereits mit Beginn des Wirtschaftsjahres 1992/93 entfällt.
Dazu gehört auch, daß die durch die Getreidepreissenkung entstehenden Einkommenseinbußen in — ich sage das sehr vorsichtig — annähernd vollem Umfang ausgeglichen werden. Das gilt zumindest für den Durchschnitt der Betriebe. Das gilt nicht auch das muß man um der ehrlichen Darstellung der Reformergebnisse willen sagen — für Betriebe, die mit hohem Einsatz Spitzenerträge erzielen.
Alles in allem leitet die EG-Agrarpolitik nunmehr einen wirksamen Beitrag zur nachhaltigen Einkommenssicherung in der Landwirtschaft ein. Dies ist um so wichtiger, als die traditionellen Instrumente der Markt- und Preispolitik dazu in den letzten Jahrenimmer weniger in der Lage waren. So haben wir in der EG seit 1983, also in acht Jahren, insgesamt rund 64 Milliarden DM allein für die Markt- und Preisstützung bei Getreide ausgegeben, und es ist dennoch nicht gelungen, die Getreidepreise zu stabilisieren. Unsere Landwirte mußten vielmehr in sieben Jahren Preissenkungen um rund 30 % verkraften, ohne daß es dafür einen wie auch immer gearteten Ausgleich gegeben hätte.Zukünftig wird der Einkommensausgleich unabhängig von der Betriebsgröße für die gesamte Getreide- und Silomaisfläche bezahlt. Die sogenannte Diskriminierungsdiskussion ist damit vom Tisch. Der Ausgleich steht auch den Betrieben zu, die ihr Getreide selbst verfüttern.Entgegen dem Vorschlag der EG-Kommission konnten wir weiterhin erreichen, daß die prämienbegünstigten Basisflächen nicht einzelbetrieblich, sondern regional festgelegt werden. Damit bleiben eventuelle Produktionsausweitungen in anderen Regionen oder in anderen Mitgliedstaaten ohne Einfluß auf die Ausgleichszahlungen und die stillzulegenden Flächen in den Folgejahren bei nicht betroffenen Regionen.Allerdings erhalten nur die Betriebe einen Einkommensausgleich, die sich marktgerecht verhalten und 15 % ihrer Basisfläche stillegen. Ausgenommen von dieser Stillegungspflicht sind aber wiederum Kleinerzeuger mit einer Produktion von weniger als 92 Tonnen. In Deutschland fallen darunter im Durchschnitt Betriebe unter 16 Hektar Getreide-, Ölsaaten- und Hülsenfruchtfläche.Mit der Bindung der Preisausgleichszahlung an die Flächenstillegung wird die Forderung der Bundesregierung erfüllt, die Produktion in der gesamten Gemeinschaft über eine quasi obligatorische Flächenstillegung zurückzuführen. Es wird also nicht mehr so sein, daß man das nur in Deutschland oder noch etwas in Italien und in England macht.Des weiteren konnten wir uns mit unserer Forderung durchsetzen, daß die EG-Agrarreform bestimmte Betriebsformen und -größen nicht benachteiligen darf. So erhalten Landwirte unabhängig von der Größe ihrer Betriebe für ihre gesamte Fläche eine Prämie, die am Ende der Übergangszeit, also ab 1995/96, in Deutschland durchschnittlich knapp 600 DM je Hektar betragen wird. Dieser Erfolg darf insbesondere vor dem Hintergrund der Betriebsstrukturen und der erheblichen Anpassungsprobleme der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern nicht unterschätzt werden. Der Einkommensausgleich wird zu einem dauerhaften und verläßlichen Bestandteil des landwirtschaftlichen Einkommens. Er wird von der Gemeinschaft garantiert und unterliegt damit nicht den nationalen Haushaltszwängen.Die Reform der Getreidemarktpolitik wird zu einer erheblichen Entlastung des Marktes führen. Hierzu trägt nicht nur die verminderte Produktion infolge der Flächenstillegungen — die Berechnungen lauten hier: 12 bis 14 Millionen Tonnen in Europa — sowie der Extensivierung um rund 10 bis 13 Millionen Tonnen bei. Auf Grund der niedrigeren Preise ist vielmehr auch damit zu rechnen, daß die Nachfrage nachBundesminister Ignaz KiechleGetreide als Futtermittel in Zukunft deutlich steigen wird, weil Substitute aus dem Futtertrog verdrängt werden können und verdrängt werden. Insgesamt rechnet die EG — und dies entspricht auch unseren Berechnungen — mit einer Marktentlastung von 32 bis 37 Millionen Tonnen Getreide, natürlich nicht auf einmal und nicht im ersten Jahr, aber im Verlaufe einiger Jahre. Das entspricht rund 20 % der EG- Getreideernte 1991.Dazu kommt, daß mit den Beschlüssen zur Reform der Agrarpolitik die Marktchancen für nachwachsende Rohstoffe erheblich verbessert worden sind. Nunmehr können Landwirte auf den stillgelegten Flächen nachwachsende Rohstoffe jeglicher Art erzeugen; sie erhalten dennoch die volle Prämie.Es spricht somit vieles dafür, daß sich die Getreidepreise mittel- bis langfristig vom Interventionspreisniveau wieder abheben werden. Damit diese Preisentwicklung nicht durch Importe vom Weltmarkt unterlaufen wird, hat die Bundesregierung ihre Zustimmung zum Reformpaket von der Festlegung eines wirksamen Außenschutzes abhängig gemacht. Wir haben immerhin erreicht, daß der Mindesteinfuhrpreis für Importgetreide in Höhe von 36,50 DM je Doppelzentner festgelegt wurde und damit unserem Anliegen durchaus Rechnung trägt.Auch bei Milch und Rindfleisch haben wir Ergebnisse erzielt, die für uns — jedenfalls alles in allem tragbar sind. Die Einschnitte durch die Reform der EG-Agrarpolitik sind hier weit geringer als bei Getreide. Beide Bereiche profitieren zudem künftig von den niedrigeren Getreidepreisen, die dann ja auch zu geringeren Futterkosten führen. Bei Milch dürfte damit die beschlossene leichte Senkung der Interventionspreise für Butter ab 1993/94 und 1994/95 weitgehend kompensiert werden. Dennoch will ich nicht verhehlen, daß ich mir zur Stabilisierung des Milchmarkts anstelle der Preissenkung lieber eine noch deutlichere Rückführung der Produktion gewünscht hätte.
Die beschlossene Verringerung der Milchquoten 1993/1994 und 1994/1995 um jeweils 1 % gegen Vergütung halte ich immerhin für einen Schritt in die richtige Richtung, der genau so zu begrüßen ist wie die Verlängerung der Garantiemengenregelung bis zum Jahr 2000.Bei Rindfleisch ist der Agrarrat unseren Forderungen teilweise entgegengekommen. Die Intervention wird nun in Menge und Preis schrittweise zurückgenommen. Mindere Qualitäten werden ausgeschlossen. Parallel hierzu werden die Rinderprämien, die heute 90 DM betragen, erhöht, und zwar deutlich. Um die Ausdehnung der Rindfleischproduktion in Grenzen zu halten, werden die Ansprüche auf Prämien regional auf die Zahl von Tieren begrenzt, für die breits in der Vergangenheit Beihilfen gezahlt worden sind. Die förderfähige Obergrenze von 90 männlichen Tieren je Betrieb bleibt bestehen.Für die neuen Bundesländer konnten wir für Rindfleisch wie auch für andere Marktbereiche gute Ausnahmeregelungen aushandeln. An die Stelle der einzelbetrieblichen Obergrenzen tritt bei Rindfleisch eingroßzügiger prämienbegünstigter Gesamtplafond von 780 000 Stück männlichem Jungvieh und 180 000 Stück Mutterkühen. Für Mutterschafe wurde der Gesamtplafond auf 1 Million Tiere festgelegt.Bei Getreide haben wir eine prämienbegünstigte Basisfläche von etwas über 3 Millionen ha durchsetzen können. Für die Prämienberechnung bei Getreide werden — ich denke, das ist sehr wichtig — die höheren Durchschnittserträge der alten Bundesländer zugrunde gelegt.Ich möchte in diesem Zusammenhang dem Agrarrat und vor allem der EG-Kommission danken; sie hat uns hier eine faire Behandlung für die fünf neuen Bundesländer ermöglicht.
Mit den Reformbeschlüssen sind gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluß der GATT- Verhandlungen geschaffen.
Der Schlüssel für den Erfolg der GATT-Verhandlungen liegt nun eindeutig in Washington und bei den Cairns-Ländern. Die Bundesregierung wird die EG- Kommission drängen, für die mit der Reform erbrachten Vorleistungen nunmehr auch Beweglichkeit und Entgegenkommen seitens der USA einzufordern.
Insgesamt gilt: Wir konnten erreichen, was unter den gegebenen Umständen überhaupt zu erreichen war.Mit der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik ist nun der Weg frei für langfristig stärker geordnete Märkte. Die EG-Agrarpolitik wurde damit auf eine solide finanzielle Basis gestellt. Mit den direkten Ausgleichszahlungen ist die EG-Agrarpolitik um ein neues einkommenspolitisches Instrument erweitert worden, das nachhaltig Wirkung zeigen wird. Es wird ergänzt durch die flankierenden Maßnahmen: Vorruhestand, Aufforstung und umweltfreundliche Landbewirtschaftung, die vor allem der Ökologie, dem Naturschutz und der Landschaftspflege zugute kommen können und zugute kommen werden. Für die Landwirte beginnt damit der Einstieg in ein Entgelt für ihre landeskulturellen Leistungen.Die Bundesregierung ist sich der administrativen Probleme bei der Umsetzung der Reformbeschlüsse bewußt. Wir müssen deshalb die nächsten Wochen nutzen, um zusammen mit dem Berufsstand und den Bundesländern praktikable Durchführungsvorschriften zu erarbeiten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat in der Vergangenheit mit einer Vielzahl Struktur- und sozialpolitischer Maßnahmen ihre Solidarität mit der Landwirtschaft unter Beweis gestellt. Allein zwischen 1983 und 1990, also bis zur Verwirklichung der deutschen Einheit, hat sie den Etat für die Landwirtschaft von 5,9 auf 10 Milliarden DM erhöht. Das ist eine Steigerung um 68 % bei 24 % Wachstum des Bundeshaushalts im gleichen Zeit-Bundesminister Ignaz Kiechleraum. Ich meine, damit kann man sich sehen lassen. Das sind nicht Worte, das sind Taten gewesen.1992 beträgt der Agraretat einschließlich der Mittel für unsere neuen Bundesländer rund 14 Milliarden DM. Die Bundesmittel für die Agrarsozialpolitik überschreiten erstmals die Grenze von 6 Milliarden DM. Für die Ausgleichszulage stellt die Bundesregierung heute mit 450 Millionen DM siebenmal mehr Mittel zur Verfügung als 1983.Bei der volumenmäßigen Fortschreibung des 3%igen Mehrwertsteuerausgleichs, die wir in Brüssel durchsetzen konnten, geht es um ein Volumen von insgesamt mehr als 2,2 Milliarden DM allein an Bundesmitteln. Damit dieser Betrag der Landwirtschaft in voller Höhe zugute kommt, müssen auch die Bundesländer ihren Teil der Verantwortung übernehmen und sich wie schon beim Mehrwertsteuerausgleich mit 35 % an der Finanzierung beteiligen.
Ich habe deshalb, offen gestanden, kein Verständnis dafür, daß die SPD-geführten Länder, jedenfalls bisher, eine Mitfinanzierung ablehnen. Machen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, bitte ihren Länderkollegen und -kolleginnen klar, welche Konsequenzen in Form empfindlicher Einkommensverluste die unverständliche Verweigerungshaltung der SPD-Regierungen in den entsprechenden Ländern für die landwirtschaftlichen Betriebe hat.
— Das ist der absolut korrekte Sachstand.Die Bundesregierung wird auch in Zukunft die deutsche Landwirtschaft bei ihrem schwierigen Anpassungsprozeß mit Nachdruck unterstütz en.
Sie wird den Aufbau und den Umstrukturierungsprozeß in den neuen Bundesländern weiterhin nach Kräften fördern. Sie wird wie bei der Anschlußregelung für den Mehrwertsteuerausgleich auch bei der Reform des agrarsozialen Sicherungssystems ihre Verpflichtung erfüllen und dabei die soziale Absicherung der Bäuerinnen zu einem Schwerpunkt machen. Sie wird sich für eine EG-weite Verbesserung des Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutzes sowie des Tierschutzes einsetzen. Sie wird darüber hinaus die Förderung des ländlichen Raumes intensivieren.Wir wissen nur zu gut, daß wir auch in Zukunft leistungs- und wettbewerbsfähige landwirtschaftliche Betriebe brauchen, ebenso gut ausgebildete und unternehmerische Landwirte, die über die Nahrungsmittel- und Rohstoffproduktion hinaus den ländlichen Raum stärken und unsere Kulturlandschaft pflegen und bewahren. Ich appelliere daher ohne alle Emotionen an alle, an die Parteien, an den Berufsverband, an die Verwaltung und an die Bürger: Helfen Sie bitte mit, daß die Landwirtschaft und damit unsere Bäuerinnen und Bauern sowie die Forst- und die Fischereiwirtschaft auch weiterhin ihre wichtigen Aufgaben erfüllen können.
Unseren Bauern wünsche ich für das bevorstehende Erntejahr gutes Wetter und Glück in Haus und Stall.
Als nächster hat der Kollege Horst Sielaff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einkommensrückstand der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen im Wirtschaftsjahr 1990/91 hat sich von 8 % auf 26 % ausgeweitet. Das stellt die Regierungskoalition in ihrem eigenen Antrag fest. Ich meine, Herr Minister, das ist eine Bankrotterklärung der Agrarpolitik dieser Bundesregierung und des Landwirtschaftsministers. Sie können nicht so tun, als wären Sie für diese Politik und diesen Zustand nicht mitverantwortlich.Meine Damen und Herren, seit einigen Tagen liegen die Ergebnisse der EG-Agrarreform vor, die allzu lange von dieser Regierung blockiert worden ist.
Jahrelang ist versucht worden, Herr Kollege Hornung, das Agrarproblem einfach auszusitzen, wie es in dieser Regierung ja vielfach üblich ist. Statt mit eigenen Vorschlägen aktiv in die Reformpolitik einzugreifen, hat der Minister versucht zu blocken. Das Ergebnis liegt auf dem Tisch.
Nun, lieber Kollege, war in der deutschen Presse zu lesen, daß der deutsche Landwirtschaftsminister nach Abschluß der EG-Agrarverhandlungen gut gelaunt über das Europa-Straßenfest bummelte: Bei Häppchen und Sekt freute sich der Minister über die einschneidende Reform der inzwischen 30 Jahre alten gemeinsamen Agrarpolitik.
So schrieb die „Wirtschaftswoche" vom 29. Mai 1992.
Welch ein Sinneswandel auf seiten des Ministers in wenigen Monaten!Als eine Fehleinschätzung mit fatalen Folgen stellte sich ebenfalls, Herr Minister Kiechle, Ihre am 25. März 1992 gemachte Aussage heraus — ich zitiere —: Wir richten unseren Blick nicht engstirnig auf vielleicht momentan vorhandene Lebensmittelüberschüsse und
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Horst Sielaffglauben nicht, dann sofort die ganze EG-Agrarpolitik reformieren zu müssen.
Dazu kann ich nur sagen: Hätten Sie doch diese Reform, Herr Minister, beizeiten in Gang gesetzt und sich nicht ständig gegen diese Reform gewehrt!
Ihre Kollegen in der Regierungskoalition empfinden es ja richtig, daß er am Ende viele unserer Vorschläge von damals heute mit vertritt und heute übernommen hat. Ich meine, hätte er früher so gehandelt, vielen Landwirten wäre wohl manches an falschen Hoffnungen erspart geblieben, und viele junge Landwirte hätten vielleicht heute noch eine echte Perspektive für die Zukunft ihres Betriebes.EG und nationale Agrarpolitik, meine Damen und Herren, können in vielfacher Hinsicht nicht isoliert gesehen werden. Da sind wir uns sicherlich einig. Es geht in der Agrarpolitik um mehr als um die Erhaltung eines alten Berufsstandes, der unsere Kulturlandschaft entscheidend mitgeprägt hat. Es geht sowohl national als auch global um die Entwicklung des ländlichen Raums insgesamt. Die Agrarpolitik von heute kann deshalb nicht nach den Kriterien von gestern betrieben werden. Das scheint selbst Herr Kiechle jetzt endlich begriffen zu haben.Als die gemeinsame Agrarpolitik in Gang gesetzt wurde, war Europa von einem Mangel an Nahrungsmitteln geprägt. Heute quälen wir uns hier mit Überschüssen, während viele Teile der Welt von Hunger und Nahrungsmangel bedroht sind. Naturkatastrophen und Kriege führen uns immer wieder vor Augen, wie schnell die Nahrungssicherung gefährdet wird. Globale Klimaveränderungen — in Rio treffen sich gerade in diesen Tagen Zigtausende, um darüber zu diskutieren — werden auch Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion haben. Experten weisen längst auf die Gefahr hin, daß die landwirtschaftlich nutzbare Fläche weltweit rapide abnehmen könnte.Die Gesamtverantwortung verlangt von uns, dafür Sorge zu tragen, daß die Nahrungssicherung nicht durch eine verfehlte nationale Agrarpolitik gefährdet wird.In der Agrarpolitik geht es aber auch um unser Verhältnis zu den sogenannten Entwicklungsländern. Um diesen Ländern eine eigene Entwicklung und Nahrungssicherung zu ermöglichen, müssen wir im Zuge des GATT dafür sorgen, daß diese Länder auch Zugang zu unseren Märkten erhalten. Bis heute tun wir eigentlich fast alles, um die Dritte Welt zu blockieren. Wir werfen unsererseits heruntersubventionierte Überschüsse auf den Weltmarkt und sperren unsere Märkte für alle Produkte, die nicht zu unserem Nutzen die hiesige Erzeugung verbilligen wie z. B. die sogenannten Substitute. Der Stopp der verbilligten Einfuhr von Bananen aus den AKP-Ländern ist einweiteres Beispiel, das ein schlechtes Licht auf die Praxis der EG wirft.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten begrüßen, daß die EG mit ihren Bestrebungen ernst machen will, eine unsinnige und unbegreifbare Subventionspolitik zu beenden, an der nur die Lagerhaltung und die Bürokratie, nicht aber die Bauern verdient haben.
Dies sind erste Schritte auf dem richtigen Weg, denen aber weitere folgen müssen.Einige kritische Bemerkungen zur Reform scheinen mir an dieser Stelle aber unerläßlich. Mehr Mühe hätte man sich in Brüssel mit dem Abbau der Unmengen von bürokratischen Hemmnissen geben müssen, mit denen der Landwirt demnächst konfrontiert werden wird. Es hilft wenig, Herr Minister, wenn Sie nun sagen, Sie wollten sich jetzt darum bemühen. Ich meine, man hätte während der langen Verhandlungen energischer darauf achten sollen.Wir wünschen uns außerdem eine stärkere Regionalisierung, so daß den einzelnen Regionen eine größere Entscheidungsfreiheit verbleibt
und die standortgerechte Produktion von Agrarprodukten besser gewährleistet werden kann.
— Wir haben nicht von Landkreisen gesprochen, sondern von Regionen, Herr Minister. Ich dachte eigentlich, Sie seien bereit, für die deutsche Landwirtschaft in dem Sinne mitzuziehen, daß wir nicht alles vereinheitlichen.
— Ich habe gesagt: eine stärkere Regionalisierung. Das Bestehende reicht noch nicht aus. Das wissen Sie genau, Herr Hornung.
Ich nehme auch an, daß Sie im Ausschuß mithelfen, damit wir bessere Möglichkeiten bekommen, um die Regionen individuell zu bedienen.
Wir hätten es überdies begrüßt, wenn die EG endlich selbst eine deutliche Beschränkung ihrer Agrarproduktion festgelegt hätte. Eine Begrenzung der Produktion auf die EG-Binnennachfrage hätte die Position der EG bei den GATT-Verhandlungen, so meinen wir, stärken können.Ich finde es allerdings etwas vermessen, Herr Kiechle, den Bauern immer wieder zu versichern— das tun Sie in allen Ihren letzthin gemachten
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Horst SielaffÄußerungen —, daß die beschlossenen Ausgleichszahlungen eine, so wörtlich, „verläßliche Perpektive" darstellen. Weil ein ausreichendes Einkommen über den Preis derzeit nicht zu erwirtschaften ist, halten wir direkte Einkommensübertragungen im Moment immer noch für besser, als weiterhin irrsinnige Summen versickern zu lassen.Die Subventionierung der Bauern ist auch untrennbar verbunden mit den Fragen: Wie sollen die Landwirtschaft und die Struktur der Dörfer im nächsten Jahrzehnt aussehen? Wie soll der landwirtschaftliche Betrieb der Zukunft bei uns aussehen? Was ist ein „bäuerlicher Familienbetrieb"? Wie soll unsere Förderpolitik aussehen? Müssen Nebenerwerbsbetriebe, deren Betriebsinhaber ein gutes Einkommen aus einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit beziehen, im gleichen Maße gefördert werden wie solche Nehenerwerbslandwirte, die — vielleicht in strukturschwachen Gebieten — nur geringe Einkünfte aus anderen Tätigkeiten erzielen können? Gerade diese letzte Frage stellt sich für mich in Zeiten der Überproduktion und der Existenzbedrohung durch mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten für viele Haupterwerbsbetriebe in besonderem Maße.
— Wir wollen da keinen Keil hineintreiben, sondern wollen, daß diese Probleme endlich offen auf den Tisch gelegt werden und daß nicht heimlich Beschlüsse gefaßt werden,
die in die gleiche Richtung gehen, wie wir es jetzt bei der Agrarreform der EG durch den Minister erlebt haben.Über alle diese Fragen schweigt sich der Agrarbericht weitgehend aus, als gingen uns diese Fragen nichts an. Aber, Herr Minister, ein Agrarbericht muß mehr sein als eine Ansammlung von Zahlen, die überdies noch sinnentstellend zurechtinterpretiert werden. Er hat, so meine ich, heutzutage eine andere Funktion: Er muß auch zukunftsweisend sein.In dem vorliegenden Agrarbericht und vor allem in den dazugehörigen Kommentaren wurden Probleme und alarmierende Entwicklungen nicht nur falsch dargestellt und geschönt, sondern zumeist schlichtweg verschwiegen bzw. — milde ausgedrückt — übersehen. Es muß doch geradezu wie Hohn bei den Landwirten ankommen, wenn Sie, Herr Kiechle, trotz eines Gewinnrückganges um 16,1 % bei den Vollerwerbsbetrieben auf Ihrer Pressekonferenz zum Agrarbericht vom „drittbesten Ergebnis in den letzten 15 Jahren " gesprochen haben. Angesichts der Blauäugigkeit derartiger Aussagen muß einem doch wegen Ihres Realitätsverlusts angst und bange werden.Der Agrarbericht zeigt leider auch nicht, wie die Bundesregierung die längst überfällige bessere soziale Absicherung für die in der Landwirtschaft Tätigen, insbesondere für die Bäuerinnen, erreichen will. Auch sollte eine bessere Absicherung im Krankheitsfall für die Landwirtschaftsfamilien nicht weiter Lippenbekenntnis sein.
— Dann wollen wir Taten sehen und nicht nur Lippenbekenntnisse hören. — Die starke Bereitschaft der Jüngeren, Ältere und Kranke in der Familie zu pflegen, sollte von der Gesellschaft endlich anerkannt werden.
Gerade für den ländlichen Raum und für viele bäuerliche Familien ist die schnelle Realisierung einer Pflegeversicherung dringend notwendig. Dabei sollte insbesondere die häusliche Pflege durch Familienmitglieder berücksichtigt werden.
In den neuen Bundesländern spielen Landwirtschaft und ländlicher Raum eine noch größere Rolle als in den alten Ländern. Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Strukturmaßnahmen sind deshalb notwendiger denn je. Gerade durch den Bedeutungsverlust der Landwirtschaft, jedenfalls soweit man so etwas in Prozent des Bruttosozialprodukts messen kann, muß der Landwirtschaft ein neuer Platz im allgemeinen Wirtschaftsgefüge gegeben werden. Dazu bedarf es innovativer Konzepte und der Einsicht, daß zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des ländlichen Raumes Arbeitsplätze — und ich möchte fast sagen: Koste es, was es wolle! — geschaffen werden müssen.
Mein Kollege Thalheim wird insbesondere auf die Probleme in den neuen Bundesländern eingehen.Unsere Landwirtschaftsbetriebe haben insgesamt eine schwierigere Ausgangsposition als manche Landwirte in anderen EG-Ländern. Höhere Lohn- und Produktionsmittelkosten sowie von uns ausdrücklich gutgeheißene strengere Umweltschutzauflagen als in anderen Ländern erschweren einen gerechten Wettbewerb. Wir dürfen nicht riskieren, daß solche und andere Schwierigkeiten qualifizierte junge Landwirte von der Übernahme der elterlichen Betriebe abhalten und dadurch in nicht zu ferner Zukunft eine flächendeckende Landbewirtschaftung, wie sie aus Gründen der Ernährungssicherung, aber auch aus ökologischen Gründen notwendig ist, kaum noch möglich erscheint.Zukünftiges Ziel der Agrarpolitik muß langfristig ein Übergang zu einer möglichst unregulierten, wieder mehr marktwirtschaftlich orientierten und dabei ökologisch produzierenden Marktwirtschaft sein. Auch dies wird über einen gewissen Zeitraum nicht ohne Unterstützungsmaßnahmen gehen, die dabei aber ausdrücklich als direkte Einkommensübertragung, gekoppelt an eine ökologische Bewirtschaftung, ausgewiesen sein müssen. Nur so kann die Ökologisierung der Landwirtschaft dauerhaft erfolgreich betrieben und gleichzeitig die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Subventionen verringert werden.
Horst SielaffVoraussetzung für eine derartige Neuausrichtung bleibt ein geschützter EG-Agrarmarkt. Ohne einen gewissen Schutz wird unsere Landwirtschaft weitgehend nicht überleben können. Dieser Außenschutz darf aber nicht dem Zweck dienen, den eigenen Markt aus Konkurrenzangst abzuschotten. Die Kriterien, nach denen dieser Außenschutz konzipiert wird, müssen ökologisch und sozial begründet sein. Diese Prämisse muß in die anstehenden GATT-Verhandlungen eingehen. Eine konsequente Verminderung der Produktion durch eine extensivierte Landbewirtschaftung könnte uns bzw. der EG eine Art Vorreiterrolle in der Welt sichern. Dazu gehört aber konsequenterweise, um der Gerechtigkeit gegenüber der Dritten Welt Genüge tun zu können, eine Abkehr von der unsinnigen Exportsubventionspolitik, mit der sich die EG zu Recht eine Menge Feinde vor allem in der Dritten Welt gemacht hat.Meine Damen und Herren, ohne ganzheitliche Sichtweite, ohne ein mit den anderen Ressorts abgestimmtes Programm kann die gegenwärtige Agrarpolitik weiterhin nur Flickwerk bleiben. Herr Minister, die Abstimmung z. B. mit dem Wirtschaftsminister Möllemann, der sagt, Außenschutz müsse radikal weg, oder Äußerungen des Umweltministers und Ihre Stellungnahme dazu zeigen, daß hier in der Regierung keine klare Abstimmung erfolgt.
Aus diesem Grunde muß man sagen: Herr Minister, Sie sind in vielem, auch im eigenen Kabinett, im Grunde gescheitert. Ziehen Sie daraus Ihre Konsequenzen!Ein letzter Satz, meine Damen und Herren, zum Weinwirtschaftsgesetz: Wir werden diesen kleinen Änderungen, Aufnahme der neuen Regionen und Veränderung der Bezeichnung „Rheinpfalz" in „Pfalz" — als Pfälzer begrüße ich das natürlich besonders —, zustimmen. Wir werden aber nicht zustimmen, die Umstellung der Abgabe wieder rückgängig zu machen, denn dies ist 1990 hier im Hause ein einmütiger Beschluß gewesen, und nur weil das BML nicht in der Lage war,
eine vernünftige Lösung zu finden, will die Regierungskoalition das, was sie für richtig empfindet und mitbeschlossen hat, nach zwei Jahren wieder den Bach hinuntergehen lassen. Wir meinen, das ist keine verläßliche Politik, das macht die Politik auch nicht glaubwürdiger.Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.
Als nächster hat der Kollege Egon Susset das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sielaff, Sie haben heute Ihre Chance, Ihre erste Rede als agrarpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion — es gab diesbezüglich ja einen Wechsel während der Legislaturperiode — zu halten, nicht genutzt. Perspektivlosigkeit klang aus Ihren Worten. Nur die hier anwesenden Kollegen der SPD haben Ihnen etwas Beifall gezollt. Draußen werden Sie für diese Rede keinen Beifall bekommen.
— Darum brauchen Sie sich nicht zu sorgen.
Meine Damen und Herren, wer heute versucht, den letzten Agrarbericht heranzuziehen, um Zukunftsperspektiven für Beschlüsse, die erst 14 Tage alt sind, aufzuzeigen, der ist, glaube ich, von der Realität ein wenig entfernt.
Schwerpunkt unserer heutigen Debatte — das haben der Beitrag des Ministers und auch der Beitrag des Kollegen Sielaff zum Ausdruck gebracht — sind die Brüsseler Reformbeschlüsse zur europäischen Agrarpolitik. Ich möchte Ihnen, Herr Minister Kiechle, für Ihre engagierte Verhandlungsführung
unter schwierigen Bedingungen danken. Sie haben herausgeholt, was unter den Bedingungen herauszuholen war.
Die Beschlüsse der Agrarminister haben eine neue Lage geschaffen. Es gab Erleichterung über den Durchbruch in Brüssel. In vielen Punkten vermischt sich das aber auch für uns mit einem gerüttelten Maß an Skepsis. Das müssen wir hier zu Beginn einer neuen Agrarpolitik einfach sagen. Aber im Rahmen des Verhandelbaren hat Bundesminister Kiechle auch für die deutsche Landwirtschaft viel erreicht.
Dazu gehört — unsere langjährige Forderung — der Wegfall der Mitverantwortungsabgabe in Höhe von 5 % schon ab der Ernte 1992.
Zu den Erfolgen gehört aber auch, daß ein weitgehender Ausgleich aus der EG-Kasse für die Einkommenseinbußen der Getreideerzeuger sichergestellt wurde. In dem Zeitraum von 1984 bis 1991 mußten unsere Landwirte einen Preisrückgang von damals 48,40 DM pro Doppelzentner auf 33,30 DM pro Doppelzentner — das sind über 30 % — ohne Ausgleich in Kauf nehmen. Der zukünftige Ausgleich wird unabhängig von der Betriebsgröße und von der Betriebsform bezahlt.
Diese Mittel werden ausgewogen unter den Landwirten verteilt. Der seitherigen Kritik, daß nur ein kleiner Teil der Landwirte in den Genuß eines Großteils der staatlichen Mittel käme, wird dadurch der Boden entzogen. Vor allem konnte nicht zuletzt durch unseren Einsatz und durch den besonderen Einsatz des Ministers in Brüssel die Diskriminierung der größeren Betriebe, die sich besonders in den neuen Bundesländern in einer schwierigen Umbruchphase befinden, entsprechend berücksichtigt werden. Ich glaube, diesen Erfolg haben wir maßgeblich Ignaz Kiechle zu verdanken.
Egon Susset
Die SPD wollte ja immer — wir haben uns noch vor einigen Monaten damit befaßt — nur einen Teilausgleich, und den noch unter sozialen Gesichtspunkten. Das kann man in den Papieren der SPD nachlesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Art von Umverteilung lehnen wir aber kategorisch ab. Auch mit dem Argument der Einkommenshilfen — es wird gesagt, damit seien die landwirtschaftlichen Einkommen zu sehr vom Staatshaushalt abhängig — kann man sicher in der Zukunft nicht mehr hausieren, weil wir ja wissen, daß auch bisher die Einkommen aus teilweise massiv gestützten Märkten kamen und daß auch seither jährlich die notwendigen Haushaltsmittel für die Agrarmarktordnungen bereitgestellt werden mußten.
Die Beschlüsse sind dennoch für uns kein Grund zur Euphorie. Drastischer Preisabbau und Direktzahlungen für die Einkommensverluste widersprechen unseren Grundsätzen von Agrarpolitik. Aber dieses Ergebnis im Getreidebereich — das ist ja deutlich zum Ausdruck gekommen — ist auch gegen die Stimme unseres Bundeslandwirtschaftsministers zustande gekommen, Die Bundesregierung hat sich, Herr Kollege Sielaff, die SPD-Position nicht zu eigen gemacht.
Aber es mutet doch jetzt lächerlich an, wenn Sie heute heftige Kritik an der bisher von Ihnen gebetsmühlenartig propagierten Systemänderung üben, wenn Sie von deren Nichtverwaltbarkeit oder Nichtfinanzierbarkeit sprechen oder das unternehmerische Element vermissen. Das zeigt, daß es Ihnen nur um bloße Selbstdarstellung geht, je nachdem, wo man ist, aber nicht um unsere Landwirtschaft.
Wir bleiben auch nach den Agrarbeschlüssen bei unserer Position: Die Einkommen der Landwirte sollten im wesentlichen über den Markt, also über die Preise erwirtschaftet werden können.
Aber garantierte Preise und unbegrenzte Produktion, wie seither, passen einfach nicht zusammen. Daran krankte das EG-Agrarmarktsystem. Unsere Verhandlungslinie einer konsequenten Mengensteuerung war in Brüssel leider — ich möchte behaupten — noch nicht durchsetzbar. Vielleicht wird man da in einiger Zeit etwas vernünftiger denken. So gab es einfach im Ackerbaubereich, so bedauerlich das ist, keine Alternative zu der jetzt eingeleiteten Abkehr von den einkommenssichernden Stützpreisen.
Kollege Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Kollege Susset, können Sie mir einmal sagen, wo die Ausführungen, die Sie eben gemacht haben, im Widerspruch zu dem stehen, was wir als Sozialdemokraten seit Jahren fordern?
Sie stehen im Widerspruch dazu, daß wir einen Ausgleich schaffen wollen — und so wird er auch geschafft —, wie er auf Grund der Einkommenseinbußen notwendig ist. Wir wollen nicht Grenzen ziehen und Sozialbescheide abwarten, wieviel man nun tatsächlich bekommt. Das war nämlich die Vorstellung in Ihrem Entschließungsantrag, den wir kurz vor Weihnachten im letzten Jahr hier beraten haben.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Kollegen Sielaff? Es wird nicht auf die Zeit angerechnet.
Ja, bitte. Aber wir stehen unter Zeitdruck. Es sind viele, die nach Hause wollen.
Ich mache es kurz. Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß auch in meiner Rede die marktpolitische Komponente eindeutig angesprochen und gefordert wurde? Das haben Sie anscheinend nicht zur Kenntnis genommen.
Ich habe das sehr wohl zur Kenntnis genommen, aber — Sie haben es ja auch festgestellt: Es gab hier Beifall, da nicht. Deshalb haben wir Ihre Rede sicherlich auch anders verstanden.
Kollege Susset, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Herr Kollege Susset, können Sie sich vorstellen, daß der Kollege Sielaff den Entschließungsantrag seiner eigenen Fraktion vom 12. Dezember nicht so genau kennt, in dem steht: Die Bundesregierung muß von dem von ihr im wesentlichen immer noch verfolgten falschen agrarpolitischen Konzept der Mengenregulierung wegkommen?
Den hat er sicher nicht gelesen,
weil die Abstimmung in der SPD-Fraktion immer etwas schwierig ist. Wenn da ein Finanzpolitiker spricht, wird er zur Agrarpolitik etwas ganz anderes sagen.
— Aber eine Frau Matthäus-Maier haben Sie,
die ja hier immer ganz anders spricht.Nun, meine Damen und Herren, es bleibt schließlich die Frage, ob die staatlichen Zahlungen von Dauer sind. In welchem Maße wird die Gesellschaft bereit sein, hohe Transferzahlungen an die Landwirtschaft zu leisten? Richtig ist — darauf hat der Minister ja auch schon hingewiesen: Die EG zahlt seit 30 Jahren für die Produktionsstützung. Deshalb besteht für mich auf Dauer auch kein Zweifel, daß Ausgleichszahlungen, wenn sie bei der EG abgesichert sind, auch alsEgon Sussetentsprechend langfristig angesehen werden können.Wir müssen natürlich klarmachen, wofür diese Ausgleichsleistungen gezahlt werden. Wir müssen klarmachen, daß die direkten Einkommenszahlungen die Preisrückgänge ausgleichen sollen. Wir müssen klarmachen, daß dies gleichzeitig auch Entgelt für gekürzte Produktion und Anreiz für die Erhaltung der ländlichen Räume, von denen auch gesprochen wurde, und außerdem — auch das wurde beschlossen — Belohnung für eine umweltfreundliche Erzeugung ist.Die Beschlüsse der Agrarminister der Gemeinschaft haben sicherlich eine lähmende Phase der Unsicherheit beendet. Die agrarpolitischen Rahmendaten liegen nun fest. Die jetzt geschaffene Klarheit über die zukünftige Entwicklung in der Landwirtschaft ermöglicht es uns, ermöglicht es auch den berufsständischen Organisationen und ermöglicht es den Landwirten, sich zu orientieren und sich auch auf die künftigen betrieblichen Entscheidungen einzustellen.
Das bisherige System der Agrarpolitik war nicht mehr funktionsfähig. Ich glaube, diesen Worten des Bundeskanzlers braucht man nichts hinzuzufügen.Wir müssen uns in der Agrarpolitik nunmehr neu orientieren. Es bleibt — ich gestehe das ein — Skepsis gegenüber dem Kurswechsel. Doch müssen wir uns nun an die neuen Wege gewöhnen, die Umsetzung mit ganzer Kraft vollziehen und so das Beste herausholen.Auch die Landwirtschaft, wir alle müssen nun den Blick wieder nach vorn richten. Die CDU/CSU wird den Grundkonsens mit den Landwirten nicht aufgeben, daß landwirtschaftliche Einkommen auch künftig vorrangig aus Markt- und Produkterlösen zu erzielen sind. Bei Getreide- und Ölsaaten ist dies gegenwärtig nicht zu realisieren. Dies kann sich ändern, wenn diese Märkte wieder zu einem etwaigen Gleichgewicht gefunden haben.Die Weichen für eine Entlastung überschüssiger Agrarmärkte sind gestellt. Nun müssen wir die erforderlichen Schritte tun, Überschußprobleme mit ihren gerade für die Landwirte leidigen Konsequenzen über Maßnahmen wie Stillegung, extensivere und alternative Nutzung von Flächen wie auch durch stärkere Verfütterung zu lösen. Die europäischen Landwirte können sich dann auch international wettbewerbsfähig machen und vor allem die Landwirtschaft gesellschaftlich aus der Defensive bringen. Ich glaube, auch das ist ein wichtiger Punkt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Die Bindung der Einkommenshilfen an die Stillegung von Flächen und extensivere Produktionsweisen ist ein erfolgversprechender Ansatz für ausgeglichene pflanzliche Märkte. Denken wir, nicht zuletzt angesichts der Konferenz von Rio, daran: Dies ist auchim Sinne des Umweltschutzes und der Landschaftspflege.
Insgesamt aber gehen wir davon aus, daß sich die Agrarmärkte nach einer Übergangsphase stabilisieren. Einen spürbaren Beitrag hierzu erwarten wir auf mittlerer Sicht auch von den nachwachsenden Rohstoffen.
Die von uns unterstützte und jetzt erreichte volle Stillegungsprämie für deren Anbau auf stillgelegten Flächen wird die Marktchancen wesentlich verbessern. Das ist etwas, was schon ab dein Anbaujahr 1992 gilt. Das war seither nicht der Fall. Folglich kann sich auch in der Richtung schon etwas ändern.Der Bundesregierung ist es auch gelungen, den erforderlichen Außenschutz bei Getreide zu verankern und die Schwelle für den Getreideimport mit 36,50 je Dezitonne anzusetzen. Dies ist eine gute Basis, um die Überschüsse zu beseitigen und bei ausgeglichenen Märkten wieder einen Spielraum für höhere Marktpreise zu eröffnen.Bei Milch konnte die Fortführung der Garantiemengenregelung gesichert werden. Die vorgesehene starke Senkung der staatlich garantierten Preise, verbunden mit einer verwaltungsmäßig aufwendigen Milchkuhprämie, konnte verhindert werden. Auch dieses Ergebnis kann Bundesminister Kiechle als politischen Erfolg verbuchen.
Die Einkommen der Milcherzeuger können also weitgehend stabil gehalten werden. Selbst für die vorgesehene geringe Kürzung der Milchquoten — ich war der Meinung, daß da ein bißchen mehr gekürzt werden sollte, wir sind aber nicht allein am Verhandlungstisch — hat der deutsche Landwirtschaftsminister eine Entschädigung durchgesetzt. Ich glaube, auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen.Bei Rindfleisch wird ein Schritt in Richtung „mehr Markt" gegangen. Die kostenaufwendige Dauerintervention wird eingeschränkt, die staatlichen Aufkaufmengen werden auf die Hälfte reduziert. Dies kann sicherlich nur ein Einstieg sein. Eine weitere Anpassung der Produktion an den Absatz ist unerläßlich.Außerordentlich positiv und wegweisend sind die erzielten Beschlüsse über die flankierenden Maßnahmen für eine umweltverträgliche Landwirtschaft, für Naturschutz und Landschaftspflege, Prämien für extensivere Erzeugung, bessere Förderung der Aufforstung sowie die Vorruhestandsregelung — diese Punkte haben unsere volle Unterstützung.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reformbeschlüsse markieren auch für die neuen Bundesländer einen agrarpolitischen Umbruch. Sie legen neue Rahmendaten fest, die die strukturelle Anpassung in der deutschen Landwirtschaft beschleunigen werden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7933
Egon SussetDer schwierige Anpassungsprozeß der ostdeutschen Landwirtschaft, zu dem nachher noch Kollege Junghanns Stellung nehmen wird, ist sicherlich schon ein gutes Stück vorangekommen, obwohl noch große Hürden zu überwinden sind, vor allem bei der Klärung der Eigentumsverhältnisse, der Privatisierung, aber auch bei der Umstrukturierung der Betriebe und der Entschuldung, über die wir schon einige Male diskutiert haben. Aber wichtig ist für die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe, die eine durchgreifende Umstrukturierung erleben, daß großzügige Ausnahmeregelungen durchgesetzt worden sind, etwas, was seither in der Europäischen Gemeinschaft überhaupt nicht möglich war.
Bei Hektar-Erträgen und Viehbeständen wurden die Vergleichszahlen der alten Bundesländer akzeptiert. Das war eine sehr gute Sache. Wer sich in den Betrieben und in den Regionen drüben dann und wann umsieht, der stellt fest, daß dies für die dortigen Betriebe wichtig ist.Die Europäische Gemeinschaft hat nun auch einen großen Schritt auf die Welthandelspartner im Rahmen der GATT-Verhandlungen zu gemacht. Ein GATT- Abkommen — das muß jetzt unser aller Aufgabe sein; jeder, der die Möglichkeit hat, hier mitzuwirken, sollte dies auch tun —
— Ich schätze, daß es auch in den sozialistischen Parteien in Europa oder sonstwo Leute gibt, die irgendwo an GATT-Verhandlungen beteiligt sind. Warum könnt nicht auch ihr sagen: „Wir haben jetzt durch die Reform der europäischen Agrarpolitik so viel an Zugeständnissen gemacht, daß nun auch ihr entsprechend mitmachen könnt"? Das würde sich besser anhören als das eine oder andere von jemandem aus Ihrer Fraktion. Ich möchte nicht schon wieder Frau Matthäus-Maier zitieren.Der in Brüssel ausgehandelte Außenschutz für die EG-Agrarproduktion darf nicht zur Disposition stehen. Die Produktionsrückführung in der EG muß gegen zusätzliche zollfreie Futtereinfuhren geschützt werden. Leider sind die ersten Reaktionen aus den USA nicht gerade ermutigend. Aber Amerikaner und Japaner werden nicht umhinkommen, einen Schritt auf die Europäische Gemeinschaft zu zu machen.
Ein baldiger erfolgreicher Abschluß der UruguayRunde ist im beiderseitigen Interesse. Ich sage noch einmal: Die Landwirtschaft Europas hat nun genügend Opfer gebracht.Der Agrarbericht 1992, meine Damen und Herren, spiegelt das Auf und Ab der Einkommensentwicklung wider. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr bis Juni 1991 mußten die westdeutschen Landwirte einen deutlichen Rückgang ihrer Einkommen — im Durchschnitt der Betriebe um 16 % — hinnehmen. Wir freuen uns, daß im laufenden Wirtschaftsjahr, das bald zu Ende geht, wieder ein Gewinnanstieg zwischen 5 und 10 % zu erwarten ist.Erfreulich ist, daß der Bundeslandwirtschaftsminister eine Anschlußregelung für den Ende 1991 ausgelaufenen 3 %igen Mehrwertsteuerausgleich durchgesetzt hat. Dies bringt den deutschen Landwirten in West und Ost im Jahre 1992 rund 2 Milliarden DM ein. Voraussetzung ist allerdings, daß die SPD-regierten Länder mitmachen. Ich bitte die Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion, sich auch im Bundesrat entsprechend einzusetzen und sich nicht aus Profillierungssucht gegen die Landwirte zu stellen.
Daher können wir heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft und des Fördergesetzes beraten. Es geht vom Volumen her um einen existenzsichernden Einkommensausgleich für die deutschen Bauern. Es ist ein großartiger Einsatz der Bundesregierung, für diese Einkommenshilfe im Jahre 1992 insgesamt 1,4 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen. Es hat Anstrengungen gekostet, in Brüssel dafür die Zustimmung zu bekommen. Wir bedanken uns in dem Zusammenhang bei unserem Landwirtschaftsminister. Deshalb ist es um so enttäuschender ich kann es Ihnen ein zweites und vielleicht auch ein drittes Mal nicht ersparen , daß sich die SPD-regierten Länder aus ihrer Verantwortung gegenüber der Landwirtschaft stehlen
und schlichtweg die Mitfinanzierung ablehnen. Nach dem bekannten Muster werden von Ihnen finanzielle Forderungen gestellt, ein eigener Betrag zur Finanzierung wird aber abgelehnt.
Ich sehe, da leuchtet eine Lampe auf. Das heißt, man soll zum Schluß kommen.
Wir haben heute auch das Weinwirtschaftsgesetz und das Weingesetz in dritter Beratung.
— Herr Kollege, das geistliche Wort hat nicht immer recht.
Bei dieser Gelegenheit haben wir die Weinanbaugebiete der neuen Bundesländer festgelegt und in das Weingesetz aufgenommen, damit die Weine entsprechend gekennzeichnet werden können. Dies müssen wir nachher noch verabschieden.Die Landwirtschaft kann eine aktive und gestaltende Rolle zurückgewinnen. Wir haben einige Erfolge erzielt. Aber weitere Herausforderungen stehen vor uns. Deshalb dürfen wir nicht müde werden, mit vereinten Kräften für unsere Landwirtschaft zu arbeiten. Dazu darf ich Sie alle herzlich einladen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dafür. Wenn wir dafür sind, dann ist es auch die Bundesregierung.
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7934 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Egon SussetIch danke schön.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat unser Kollege Dr. Fritz Schumann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinem Beitrag muß ich mich auf einige notwendige Anmerkungen zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unserer Gruppe zur Agrarpolitik in den neuen Bundesländern beschränken, die natürlich auch etwas mit dem Agrarbericht zu tun hat. Der Ältestenrat sah keine Möglichkeit für eine gesonderte Debatte dieser Problematik noch vor der Sommerpause, obwohl sie nach meiner Auffassung durchaus notwendig gewesen wäre. Es sind jedoch Entscheidungen notwendig, die keinen Aufschub bis zum Herbst dulden. Ich bitte deshalb, meine Anmerkungen auch im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entschließungsantrag unserer Gruppe zu sehen.Erstens. Die Bundesregierung verteidigt ihre Politik der Produktionsanpassung im Osten, wenngleich sie einräumt, daß das Angebot bei Schlachtvieh bereits knapp und die Milchreduzierung größer als vorgesehen sei.Sie verschweigt, daß gerade bei tierischen Erzeugnissen längst das Maß des ökonomisch Vernünftigen und sozial Erträglichen überschritten ist. So werden um 25 % geringere Milchanlieferungen von 1991 zu 1990 genannt. Ungesagt bleibt, daß es gegenüber 1989 30 % waren und daß dieser Rückgang 1992 ungebremst, ja sogar beschleunigt weitergeht, in den ersten zehn Kalenderwochen nämlich um 29 % im Verhältnis zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Inzwischen sind 48 zu 1990, und gegenüber 1989 ist ein Rückgang um mehr als die Hälfte eingetreten. Noch viel größer ist die Reduzierung bei Milchprodukten, Schlachtschweinen und Rindern.Das hat nichts mehr mit Produktionsanpassung zu tun.
Das ist inzwischen Vernichtung von Produktionspotentialen und damit vor allem — das beklage ich noch viel mehr als die Vernichtung von Produktionspotentialen
eine gewaltige Dimension der Vernichtung von Beschäftigungs- und Einkommenskapazitäten mit schwerwiegenden Folgen besonders für monostrukturierte Agrarregionen wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.Deswegen fordern wir den teilweisen Wiederaufbau der Produktion, und zwar differenziert unter Beachtung des traditionell unterschiedlichen Gewichts der Agrarerzeugung und der Wirtschaftsstruktur des jeweiligen Bundeslandes. Im Klartext gesprochen: Verantwortungsvolle Politik muß ausschließen, daß die Überschußprobleme der EG und der Altbundesländer durch Entagrarisierung Ostdeutschlands und Überflutung des ostdeutschen Marktes mit Westprodukten gelöst werden.
— Herr Hornung, genauso ist das abgelaufen. Der Markt ist total überflutet worden. Anbieter sind regelrecht rausgedrängt worden.
Ausschließlichkeiten und andere Dinge sind in Dimensionen abgelaufen, über die wir jetzt nicht reden wollen. Stellen Sie eine Zwischenfrage, Herr Hornung; darauf könnte ich Ihnen dann sehr ausführlich antworten.Zweitens. Die Antwort der Bundesregierung verharmlost die erdrückende Arbeitslosigkeit im ländlichen Raum. Unsere Kritik betrifft nicht den Arbeitskräfteabbau an sich, sondern daß die Koalition die Betriebe fast ungeschützt dem ökonomischen Freisetzungsdruck des Marktes aussetzte. Ich schließe da durchaus den Dank für die geleistete Anpassungshilfe ein, die hier geleistet wurde. Daß sie aber zuließ, daß die Vernichtung von Produktionspotentialen zur Hauptquelle der Freisetzung wurde, statt daß rationalisiert wurde dafür sind auch wir -, billige ich nicht.
Inzwischen ist der westdeutsche Arbeitskräftebesatz je 100 Hektar bereits unterschritten. Das ist Fakt; das ist inzwischen eingetreten. Die Koalition nimmt ein Tempo der Freisetzungen in Kauf, das in keinerlei Relation zum Tempo der Schaffung alternativer Arbeitsplätze im ländlichen Raum steht. Ich glaube, darum muß es uns allen gehen: alternative Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen.
Fakt ist, daß in nur zwei Jahren drei Viertel der in der Landwirtschaft Tätigen in der Landwirtschaft freigesetzt wurden, bisher aber nur jeder fünfte dieser Menschen einen Arbeitsplatz außerhalb der Landwirtschaft fand. Damit wurde ein unsozialer und auch rücksichtsloser Freisetzungsprozeß in so kurzer Zeit vollzogen, wie er in der Agrargeschichte Deutschlands wohl einmalig ist.
— Man kann es aber auch anders machen, als es bis jetzt gemacht worden ist.Tatsache ist auch, daß sich die Relation der Gewerbeanmeldungen, die eine Alternative darstellen
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7935
Dr. Fritz Schumann
könnten, zu den Abmeldungen drastisch verschlechtert hat, innerhalb eines Jahres von 4,4 : 1 auf 1,8:1. Das heißt, die Anmeldungen im gewerblichen Bereich sind auf 71 % zurückgegangen, die Abmeldungen dagegen auf 178 % gestiegen. Dies sind Betriebe, die einen Ausgleich hätten schaffen können.
— Das ist wahr.Jeder, der mit offenen Augen durch die ländlichen Regionen fährt, sieht, daß die Situation dort noch weit ungünstiger ist: brachliegende Gewerbeflächen bzw. Gewerbegebiete ohne echtes produzierendes Gewerbe. Die vielen Autohändler, Baumärkte und anderen Verkaufseinrichtungen entsprachen zwar einem großen Bedürfnis unserer Menschen; aber sie schaffen auf die Dauer natürlich keine gesunde Struktur. Auch darin stimmen wir sicher überein.Laut Antwort zur dritten Frage bedarf es jedoch keiner Veränderung und Anpassung der bisherigen Instrumentarien zur Förderung der Schaffung alternativer Arbeitsplätze im ländlichen Raum, da die Förderkriterien dieser besonderen Situation bereits angepaßt seien. Weitergehende Änderungen seien nicht vertretbar und könnten darüber hinaus zu Fehlinvestitionen führen. Ich glaube, ein bißchen zuviel Selbstgefälligkeit, meine Herren der Bundesregierung.
Bezeichnend ist auch die Antwort zu Frage 4, wie viele außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze im ländlichen Raum durch die beiden Gemeinschaftsaufgaben und die EG-Mittel geschaffen wurden bzw. geschaffen werden. Sie offenbart: Die Bundesregierung weiß in dieser für die Menschen in den Dörfern existentiellen Frage rein gar nichts. Sie geht an diese Problematik heran, als wären die Verhältnisse im Osten genauso normal wie die im Westen. Dabei herrscht die Ausnahmesituation eines Systemumbruchs. Wir sind uns durchaus bewußt, daß das so ist. Wir müssen nur darauf reagieren.
— Das meine ich absolut nicht. Ich selber liefere ein Beispiel dafür, daß das so nicht ist.Aus diesem Grund fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Einrichtung eines Sonderfonds „Entwicklung des ländlichen Raums", um von vornherein eine zu große Benachteiligung ländlicher Regionen bei der Wirtschaftsförderung auszuschließen. Im übrigen besteht eine solche Notwendigkeit selbst für Regionen in den alten Bundesländern. Es wäre sehr wünschenswert, wenn wir uns gemeinsam auf Sonderfonds einigen könnten.Die Bundesregierung verweist gern auf die umfangreichen Mittel zur sozialen Abfederung. Ich sage noch einmal an dieser Stelle: Da ist sehr viel geflossen, und dafür gibt es Dankbarkeit bei den Menschen. Doch Geld allein und noch dazu knappes — es wird immerknapper macht die Menschen eben nicht glücklich. Die Menschen wollen Arbeit.
Auch darüber sind wir uns sicher einig.Unbefriedigend sind die Antworten zur Liquiditäts- und Altschuldenproblematik. Aus Zeitgründen verweise ich hier auf den Entschließungsantrag. Hier nur soviel: Ich bitte wirklich noch einmal zu bedenken, ob es vertretbar ist, daß die Landwirtschaft über 80 % ihrer Altschulden selbst tragen soll, ebenso die Abfindungsansprüche für ehemalige Genossenschaftsmitglieder,
während der Gesamtheit der Treuhandunternehmen über die Hälfte der Schulden erlassen wurde und Abfindungen ebenfalls von der Treuhand finanziert wurden? Die sauberste Lösung wäre nach wie vor, die wiederholt geforderte Wertberichtigungen der Altkredite und eine zinslose Kreditierung von Abfindungsansprüchen, also eine Möglichkeit zu schaffen, die den Industrie- und anderen Arbeitern etwas näher kommt.
— Herr Hornung, wenn Sie sich genau anschauen, was von den 1,4 Milliarden schon gelaufen ist, dann werden wir uns auch dazu an anderer Stelle sicher noch einmal genauer unterhalten müssen.Zur Antwort auf die Fragen zum Komplex „Verwertung der Treuhandflächen" ist unsere Position im Entschließungsantrag umfassend dargestellt. Hier nur soviel: Selbst der zuständige und zweifellos sachkundige Mann der Treuhandanstalt, Herr Rohr, hat in einer kürzlich stattgefundenen Anhörung die Auffassung vertreten, daß aus ökonomischer Sicht allein die Verpachtung vernünftig sei. Allerdings macht er gleichzeitig auf den Pferdefuß seines ketzerischen Gedankens aufmerksam, indem er bemerkt, Verpachtung sei keine Privatisierung und deshalb sei Verkauf angesagt.Ich glaube, wir sollten hier einmal ein bißchen zwischen Ideologie und Ökonomie trennen. Ich habe 40 Jahre lang erlebt, zu welchen Folgen diese Verknüpfung führt. Ich denke, daß wir jetzt in einer Gesellschaft sind, wo wir das Ganze unter ökonomischen Gesichtspunkten zu Ende führen können.
Mit Genugtuung habe ich registriert, daß auch die Bundesregierung der Meinung ist — ich zitiere —:Von der Landwirtschaft der neuen Länder werden deutliche Impulse in Richtung einer stärker wettbewerbsorientierten Landwirtschaft in der EG ausgehen.Allerdings ist das angesichts unzureichener Übergangsregelungen zur Zeit mit großen ökonomischen Verlusten und auch menschlichem Leid verbunden.
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7936 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Dr. Fritz Schumann
Eine ideologische Schwelle bei der Regierung ist, daß die Rechtsnachfolger der LPG, insbesondere der eingetragenen Genossenschaften, nur als Übergangserscheinung gesehen werden. Diese Aversion trägt zweifellos nicht dazu bei, Entscheidungen in Richtung Stabilisierung der neu entstandenen Betriebsstruktur zu treffen.
Den Eindruck hat man immer wieder.Die Regierung möge folgende vor einem Jahr gewagte Voraussage beherzigen — ich zitiere jetzt die eigene Regierung —: „... traditionelle Leitbilder korrigiert und den veränderten Rahmenbedingungen angepaßt werden müssen sowie in der Agrarstrukturpolitik ökonomische Argumente gegenüber ideologischen an Gewicht gewinnen dürften". So Dr. Eisenkrämer, früher Staatssekretär im BML. Vielleicht sollten wir darüber einmal nachdenken.Ich meine, dieses Nachdenken ist nicht nur wegen der Situation in der ostdeutschen Landwirtschaft notwendig. Der Agrarbericht ist für mich ein Dokument gescheiterter Agrarpolitik. Ich glaube, da befinden wir uns in breiter Übereinstimmung.Wenige Fakten untermauern das: In den letzten zehn Jahren ging der Anteil, den die Landwirte von den Verbraucherpreisen für Nahrungsmittel erhielten, von 45 auf 31 % zurück.
— Das haben auch wir geschafft. Ernährt haben wir uns sehr gut.Gegenüber 1985 sanken die Erzeugerpreise im früheren Bundesgebiet um 7,6 %, während die Nahrungsmittelpreise für die Verbraucher um 8,2 % anstiegen. Die Gewinner dieser Politik sind also weder die Bauern noch die Verbraucher und Steuerzahler. Die Gewinner sitzen im Nahrungs- und Genußmittelgewerbe, in den entsprechenden Handelsketten.Herr Minister Kiechle, wir erkennen auch die Leistungen der Steuerzahler für die Landwirtschaft an. Nur kommen sie leider nicht dort an, wo sie eigentlich hin sollten. Das ist das große Problem.Die Nettowertschöpfung pro Arbeitskraft ist in der Landwirtschaft der Alt-BRD unbefriedigend, Platz 7 in der EG, nur 34 % des Niveaus der Niederlande, 46 des Niveaus Belgiens und 42 % des Niveaus Dänemarks, um hier nur einmal ein paar Vergleiche zu bringen. Die Nettowertschöpfung bleibt auch in der Entwicklung zurück. Das nominale Betriebseinkommen ist in Holland mehr als doppelt und in Dänemark, Großbritannien und Belgien beinahe doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Über Arbeitszeit, Überalterung und ähnliches will ich hier gar nicht reden.Ich bitte darum, daß wir gemeinsam die Signale auf Grün stellen für eine progressive Agrarstrukturpolitik mit Alternativen für die Menschen, die in der Landwirtschaft verbleiben, und auch für die, die ausscheiden werden.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Günther Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Agrarbericht der Bundesregierung macht es deutlich: Die Einkommen der Landwirte sind im Berichtsjahr um 16 % zurückgegangen. Der hohe Angebotsdruck führte zu nachgebenden Preisen. Erhebliche Überschüsse, insbesondere bei Getreide und Rindfleisch, führten zu weiter steigenden Kosten. Trotz erheblicher Agrarmarktkosten von rund 65 Milliarden DM und einem Agraretat im Bundeshaushalt von fast 14 Milliarden DM haben unsere Landwirte den Eindruck, daß auf ihren Höfen immer weniger ankommt. Eine Reform der EG- Agrarpolitik war und ist also dringend notwendig.
Die am 21. Mai vom Ministerrat gefaßten Beschlüsse zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik bedeuten eine grundsätzliche und radikale Änderung der Agrarpolitik. Positiv an dieser Reform ist sicherlich, daß sich die Aussichten auf einen erfolgreichen GATT-Abschluß verbessert haben.
Bundesminister Kiechle ist es auch gelungen, eine ganze Reihe von Detailverbesserungen am Reformwerk durchzusetzen. Das gilt z. B. für den erhöhten Außenschutz beim Getreide wie auch für die sofortige Aufhebung der Mitverantwortungsabgabe bei Getreide. Auch die Verhinderung der Diskriminierung flächenstarker Betriebe ist hier durchaus positiv anzuerkennen. Das hilft besonders auch den Landwirten in den neuen Bundesländern.
Ob die jetzige Reform als Jahrundertwerk in die europäische Geschichte eingehen wird,
daran habe ich allerdings ganz erhebliche Zweifel.Sicher sind bei einer solchen Reform Kompromisse notwendig. Wenn aber das gegenseitige Geben und Nehmen so unübersichtlich wird und am Ende die ursprüngliche Zielsetzung, Überschüsse beseitigen, Kosten senken und Wettbewerbsfähigkeit überall und nicht nur in Frankreich stärken, nicht erreicht wird, dann ist diese Reform schon fast wieder reformbedürftig.Ich fürchte, daß man, wenn der eigentlich positive Effekt der Reform, ein Beitrag Europas zu den auf der Kippe stehenden GATT-Verhandlungen, konsumiert ist, feststellen wird, daß man mit diesen überbürokratischen, sehr teuren und die wettbewerbsfähigen Betriebe schwächenden Neuerungen den Durchbruch oder die Wende in der Agrarpolitik nicht geschafft hat.Dabei möchte ich ausdrücklich herausstellen, daß sich Bundesminister Kiechle sehr engagiert bemüht hat, noch Schlimmeres zu verhüten. Im Ergebnis
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7937
Günther Bredehornkommt es aber leider eben doch zu mehr Agrarbürokratie und mehr Subventionen und weniger marktwirtschaftlicher Orientierung.Ich bin auch skeptisch, ob wir mit diesen Reformen die Überproduktion wirklich wirksam zurückführen. Bei Milch hätte man es ist schon gesagt worden, es war nicht durchsetzbar — die Menge sicher weiter und deutlicher kürzen müssen. Beim Rindfleisch gab es sicherlich nur eine Intervention für 350 000 Tonnen; aber die deutliche Erhöhung der Prämien wird natürlich neue Anreize gehen. Das Problem sehe ich hier aber noch nicht gelöst.Bei Getreide gibt es zwar drastische Preissenkungen, die Flächenprämie und die quasi obligatorische Flächenstillegung. Trotzdem ist bei der sogenannten Kleinerzeugerregelung — Kleinerzeuger sind Betriebe mit bis zu 92 Tonnen Jahresproduktion und durchschnittlich 16 bis 20 Hektar, die von der Flächenstillegung befreit wurden; sie erhalten eine Hilfe von 300 bis 700 DM, die ja sicherlich interessant ist — und bei Nutzung des biologisch-technischen Fortschritts wirklich zu fragen, ob die notwendige Mengenbegrenzung erreicht wird.Entscheidend wird es allerdings darauf ankommen, daß zukünftig mehr Getreide für die Verfütterung verwendet wird. Das kann aber nur gelingen, wenn es im Rahmen der GATT-Verhandlungen möglich wird, bei der ungehemmten Einfuhr billigster Substitute eine Regelung zu finden. Hier ist die Aufgabe der Exportsubvention durch die EG sicherlich ein gutes Argument, um zu einer gewissen Begrenzung der Substituteneinfuhr zu kommen.Für die Marktfruchtbetriebe im Getreidebau wird die nächste Zeit sicher schwierig. Aber ich meine, für unternehmerische Landwirte gibt es auch weiterhin Chancen.Für die F.D.P. ist klar: Die unternehmerische Landwirtschaft darf nicht noch weiter geschwächt werden. Dabei ist auch die nationale Agrarpolitik gefragt. Insbesondere muß der Komplex aus Oberbestands- und Fördergrenzen so reformiert werden, daß diese die unternehmerische Entwicklung zu wettbewerbsfähigen Betrieben nicht mehr behindern.Bei der Neuorientierung der Agrarstrukturförderung im Zusammenhang mit der nationalen Umsetzung der flankierenden Maßnahmen aus dem Reformbeschluß muß dem Grundsatz zum Durchbruch verholfen werden, daß die staatliche Unterstützung der unausweichlichen Anpassung Vorrang vor weiteren Erhaltungssubventionen haben muß. Von den etwa 8,5 Millionen Landwirten in der EG sind über 4,6 Millionen über 55 Jahre alt. 3 Millionen davon bewirtschaften unter 5 Hektar. Das zeigt die Notwendigkeit einer Vorruhestandsregelung.Da wir zukünftig erhebliche Flächen für die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr benötigen, brauchen wir ein attraktives Aufforstungsprogramm. Beide Maßnahmen sind im Reformpaket enthalten und müssen nun möglichst unbürokratisch umgesetzt werden. Wenn ich allerdings höre, daß man im BML daran denkt, die Ausgleichszulage auch außerhalb benachteiligter Gebiete einzuführen, dann ist das für mich eine Ausweitung von Erhaltungssubventionen.Dabei sind die Nachteile doch klar: Marktorientierung und strukturelle Anpassung werden erschwert,
die öffentlichen Kassen belastet, die Betroffenen von politischen Entscheidungen abhängig gemacht, und das Leistungsprinzip wird ausgehöhlt.Die Reform der EG-Agrarpolitik führt dazu, daß die staatlichen Transferleistungen für den einzelnen Betrieb, die jetzt laut Agrarbericht rund 30 des Einkommens betragen, unverhältnismäßig stark, nämlich auf 60 bis 70 % des Einkommens, steigen werden.
Da es sich dabei ja schließlich um Steuergelder handelt, sind Kontrolle und Überwachung gegen Mißbrauch notwendig. Die Kommission hat sich hierzu schon Gedanken gemacht. Die Flächenstillegungen will man z. B. per Satellitenfernerkundung überwachen. In Deutschland muß man für die Flächenstillegung über eine Million Grundstücke erfassen.Für jedes Tier, ob Milchkuh, Mutterkuh, Mastrind oder Mutterschaf, will man eine Identitätskarte einführen. Die Bundesländer haben schon erklärt, daß sie nicht in der Lage seien, alle Genehmigungen, Kontrollen etc. administrativ zu bewältigen. Für mich ist es erschreckend, daß der Staat in Zukunft jeden Hof bis in den letzten Winkel überwacht.
Das kann doch nicht die Zukunft für Landwirte sein. Nein, das ist die Zukunft für Agrarbürokraten, Subventionsberater, Juristen und Polizisten.
Die Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern muß weiterhin massiv unterstützt werden, 65 % der Beschäftigten sind dort aus der Landwirtschaft ausgeschieden. Herr Schumann hat vorhin dazu einiges gesagt. Dieser Prozeß geht ja noch weiter.Inzwischen haben sich auf dem Lande Schwerpunkte mit besonders hohen Arbeitslosenquoten herausgebildet. Das können wir so nicht hinnehmen. Alle geeigneten Arbeitsmarktmaßnahmen müssen daher erhalten bleiben oder ausgebaut werden. Es muß noch mehr getan werden, insbesondere für die mittleren Jahrgänge, die besonders hart von der Umstrukturierung betroffen sind. Es gilt, ein Bündel aus arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, der regionalen Wirtschaftspolitik und der Infrastrukturpolitik zu schnüren, um weitere Brüche zu verhindern.In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich die Vorschläge von Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann zu einer Verlängerung der Investitionszulage und die Fortschreibung des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost mit seinen vielfältigen guten Maßnahmen.
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7938 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Günther BredehornDer derzeit relativ trostlosen Lage stehen aber auch Chancen gegenüber, die mittelfristig Wirkung haben werden. Es werden neue Unternehmen entstehen, die gute Marktchancen haben und Arbeitsplätze schaffen. Auch im Bereich der Verarbeitung von Nahrungsrohstoffen gibt es massive Unterstützung. Die dort entstehenden modernen und leistungsfähigen Molkereien und Schlachthöfe werden gute Marktchancen haben und dauerhafte Arbeitsplätze bieten.Wichtig ist auch, daß die Eigentumsfragen jetzt mit Vorrang endgültig geklärt werden. Die Entscheidungen müssen kurzfristig fallen, weil sonst wegen der planerischen Unsicherheit nicht investiert wird und noch mehr Menschen arbeitslos werden. Weitere einjährige Pachtverträge bieten keine Planungssicherheit. Ich fordere daher, daß die langfristige Verpachtung im Zusammenhang mit der Verwertung der Treuhandflächen dem Verkauf der Flächen gleichgestellt wird.
Dies dient der Umstrukturierung und erleichtert ihre Finanzierung.Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Reform der EG-Agrarpolitik ist notwendig. Die jetzt getroffenen Reformentscheidungen engen die Spielräume unternehmerischer Landwirte, sich auf Grund eigener Tüchtigkeit erfolgreich am Markt durchzusetzen, ein. Es bleibt in Brüssel leider bei zu wenig Mut zum Markt und zu marktwirtschaftlicher Anpassung.
Da die Reform im Ergebnis zu mehr Agrarsubventionen führen wird, bleibt die Landwirtschaft, weil keine klare Anpassungsorientierung gefunden wurde, weiterhin in hohem Maße von staatlichen Transfers abhängig. Die Reform wird für eine Vielzahl von Landwirten gravierende wirtschaftliche Probleme bringen. Die F.D.P. wird alles tun, um bei der Ausgestaltung der Einzelbeschlüsse noch Verbesserungen zu erreichen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Gerald Thalheim.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Kiechle, der Bundesregierung sind nicht nur im Hinblick auf die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, sondern auch bezüglich der Umstrukturierung des Agrarsektors Ostdeutschlands Fehlentscheidungen und Versäumnisse vorzuwerfen. Ich möchte dabei ausdrücklich die EG-Agrarreform ausnehmen, weil dort die Interessen der ostdeutschen Landwirtschaft gewahrt sind. Aber in den anderen Bereichen führt die Unfähigkeit zu schnellen zukunftsorientierten Entscheidungen zu Vermögensverlusten und Arbeitslosigkeit.
— Ich werde darauf zurückkommen.
Während die Bundesregierung den Versuch unternahm, durch die Bereitstellug von Anpassungshilfen und Exportsubventionen zur Marktentlastung die Vermögensverluste auf Grund des Preisverfalls nach der Wirtschafts- und Währungsunion in Grenzen zu halten, bleiben die Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit nach wie vor weit hinter den Erfordernissen zurück.
Ich sage ausdrücklich, Herr Minister: Bei aller Würdigung der Anstrengungen bezüglich der Anpassungshilfen schätzen Experten, daß die realen Einkommensverluste größer sind als die nominalen Anpassungshilfen.Zu den Marktentlastungsmaßnahmen gehörten in erster Linie die Lieferungen von Agrarerzeugnissen nach Osteuropa. Es ist ein Skandal, daß viele Betriebe noch heute — nach anderthalb Jahren — auf die Bezahlung von Fleisch- und Kartoffellieferungen warten, Herr Hornung, das ist ein Beispiel, das man hier nehmen kann.
Das ist geschehen, obwohl Sie, Herr Bundesminister — ich war selber anwesend in Berlin — bereits im März vergangenen Jahres die kurzfristige Bezahlung der Exporte auf einer Bauerndemonstration ankündigten.Meine Damen und Herren, das gleiche geschah noch einmal im Rahmen einer Sitzung des Landwirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages im Dezember 1991. Inzwischen ist wieder ein halbes Jahr vergangen, und die Lieferungen sind immer noch nicht bezahlt. Für mich gibt es da nur die eine Schlußfolgerung, daß diese Aktion konzeptionslos und vor allem ohne Kontrolle gelaufen ist.
Für die Versäumnisse — und das ist das Schlimme an der ganzen Angelegenheit — müssen die Lieferer erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen.Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, wirksame Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit in den Dörfern einzuleiten. Der betriebswirtschaftlich und strukturell — ich betone das — notwendige Arbeitskräfteabbau in der Landwirtschaft konnte nicht einmal im Ansatz durch die Neuschaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen kompensiert werden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7939
Dr. Gerald Thalheim— Herr Hornung, wenn man betroffen ist, sieht das völlig anders aus, als wenn man aus Baden-Württemberg kommt.
— Ich komme am Ende noch einmal darauf zurück.In vielen Dörfern sind die Nachfolgeunternehmen der LPG nach wie vor die einzigen Arbeitgeber. Durch die Regelung — und hier kommen wir an die Versäumnisse auf dem Gebiet der Altschulden und der ungeklärten Eigentumsfragen — ist im Gegenteil die Neuschaffung von Arbeitsplätzen zusätzlich blokkiert. Der Strukturwandel und damit die Freisetzung von Arbeitskräften ist noch längst nicht abgeschlossen. Ich appelliere hiermit eindringlich an die Bundesregierung: Treffen Sie wirksamere Maßnahmen zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen und zur sozialen Flankierung des Umstrukturierungsprozesses. Verlängern Sie die Altersübergangsregelung über den 30. Juni 1992 hinaus. Ich bitte, hier mehrere Ausrufezeichen zu setzen. Das ist eine absolut notwendige flankierende Maßnahme.Der ungewisse Fortgang des gesamten Umstrukturierungsprozesses hat zu einem dramatischen Abbau der Tierbestände geführt. Die Situation in der ostdeutschen Milchwirtschaft spricht Bände. Während in der alten Bundesrepublik die Überschreitung der Milchquote hart bestraft wird, wurde sie in Ostdeutschland trotz länderübergreifender Saldierung nicht ausgeschöpft. So gingen der ostdeutschen Landwirtschaft 400 Millionen DM und viel — —
— Da gibt es Zusammenhänge mit den Rahmenbedingungen, Herr Hornung, und darüber werden wir in diesem Hause in der nächsten Zeit noch des öfteren zu sprechen haben.
Das zwingt natürlich zu der Frage: Wurde in dieser Situation von der Regierung genug getan, wurden die Menschen in ausreichendem Umfang in diesem schwierigen Prozeß unterstützt? Herr Hornung, das ist die Frage. Bei aller Anerkennung der Bemühungen der Regierung müssen wir das verneinen. Noch schlimmer, wir müssen der Bundesregierung attestieren, daß sie nicht einmal bereit ist, die Probleme in Ostdeutschland mit allen Konsequenzen wahrzunehmen.Die Klärung der Vermögensauseinandersetzung ist hier für mich ein Beispiel.
Ich spreche von der Vermögensauseinandersetzung zwischen den ausscheidenden Mitgliedern und den Nachfolgeunternehmen der LPG, die bei der überwiegenden Mehrzahl der Betriebe zur Existenzfrage werden kann. Für die Geschäftsführer eröffnet sich ein Zielkonflikt zwischen der Pflicht zur Begleichung der— ich betone es — völlig berechtigten Forderungender ausscheidenden Mitglieder und der Notwendigkeit umfassender Investitionen zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit. Auf die Lösung dieses Zielkonfliktes in unserer Kleinen Anfrage angesprochen, antwortete die Bundesregierung, es sei ihr nicht nachvollziehbar, daß die Geschäftsführer der Nachfolgeunternehmen der LPG — jetzt wortwörtlich —„zwangsläufig zugunsten betriebswirtschaftlicher Belange entscheiden", wie wir das in unserem Eingangskommentar nannten. Das ist ja eigentlich das Problem.Wenn das Ihre Überzeugung ist, muß ich sagen: Dann erklären Sie mir doch die Tatsache, daß das Landwirtschaftsministerium — so sind zumindest meine Informationen — Wäschekörbe voll Post erhält, in der es vor allem um die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen geht. Das hätte für Sie schon längst Anlaß sein müssen, darüber nachzudenken, ob die gesetzlichen Regelungen und vor allem deren Umsetzung wirklich den Erfordernissen entsprechen. Zweifel sind hier angebracht.
— Ich könnte Ihnen den ganzen Nachmittag Beispiele aus Sachsen bringen. Also Vorsicht bei dieser Diskussion! Auch darauf komme ich zurück.In vielen Betrieben wird die Klärung der Vermögenslage bei Auseinandersetzungen zusätzlich durch Altschulden erschwert. Die Auszahlungsansprüche ausscheidender Mitglieder richten sich nach § 44 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes gegen das Eigenkapital, das durch die Altkredite auch bei Entschuldung gemindert wird. Dadurch werden die ehemaligen Inventareinbringer für die politischen Entscheidungen des SED-Staats in Haftung genommen.
Auf Grund dieses sachlichen Zusammenhangs, Herr Hornung, ist es eine demagogische Glanzleistung der Bundesregierung, unser Eintreten für eine Streichung oder zumindest Wertberichtigung der Altschulden als Parteinahme für die ehemaligen LPGen hinzustellen.Noch schlimmer ist es, sich das von Politikern vorwerfen lassen zu müssen, die schon in den Blockparteien politische Verantwortung trugen.
Jetzt kommen wir auf Sachsen zurück. Hören Sie zu!— Uns allen ist noch die Diskussion im Landwirtschaftsausschuß in Dresden in Erinnerung. Allein acht der zehn CDU-Landtagsabgeordneten waren Vorsitzende von LPGen. Einer von ihnen hat sogar 16 Jahre in der Volkskammer der DDR gesessen. Es ist für mich unglaubwürdig, wenn diese Abgeordneten eine Entschädigung für die Vermögensverluste der Inventareinbringer bei der Gründung der LPGen fordern, aber
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7940 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Dr. Gerald Thalheimselber bis zur Wende Vorsitzende dieser Unrechtsgebilde waren.
— Weit unten, Herr Susset! Das ist das Problem.Noch unverständlicher ist mir, daß die Bundesregierung Schützenhilfe vom Verband der privaten Landwirte erhält, der vorgibt, die Interessen der Inventareinbringer zu vertreten. Man kann nicht auf der einen Seite gegen die Streichung der Altschulden wettern und auf der anderen Seite fordern, daß nicht rückzahlbare Inventarbeiträge über ein Entschädigungsgesetz ausgeglichen werden. Dieses Spiel machen viele Politiker der Unionsparteien in den neuen Ländern mit. Ich möchte davor warnen. Wenn es eine Möglichkeit gab, die Altschuldenprobleme auch im Interesse der Inventareinbringer zu regeln, dann war es die Wertberichtigung der Altschulden im Zusammenhang mit der Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. Bei allem Verständnis und eigener Unterstützung der Interessen der Inventareinbringer ist es einfach unredlich, diese in der aktuellen Haushaltslage auf Entschädigungsregelungen zu vertrösten. Das könnte sich als Bumerang erweisen. Ich muß fragen: Soll nach der Steuerlüge die Entschädigungslüge kommen?
Das wird sich herausstellen, Herr Hornung. Auch darüber werden wir noch zu sprechen haben. Die Lösung der Altschuldenproblematik ist jedoch nicht nur eine Frage der Vergangenheit, sondern in erster Linie eine Frage der Gestaltung der Zukunft. Trotz sogenannter Besserungsscheinregelung ist nichts gebessert, sondern die Probleme werden in Zukunft verlagert — was durchaus der Arbeitsweise der Regierung Kohl entspricht.Nach anfänglich brüsker Ablehnung haben die Regierungsparteien den Vorschlag der SPD aufgenommen, die Besserungsscheinregelung bezüglich des Verkaufs nicht betriebsnotwendigen Anlagevermögens zu ändern. Doch das reicht nicht aus.
In dem entscheidenden Punkt, den unverhältnismäßig hohen Zinsen, hat sich nichts bewegt. Die hohe Zinsbelastung wird zu einer Zunahme der Verschuldung führen und schmälert die Sanierungsfähigkeit der Unternehmen, die oftmals noch der einzige Arbeitgeber in den Dörfern sind.
Das gilt auch für ehemalige agrochemische Zentrenund andere Dienstleistungsbetriebe im ländlichenRaum, denen auf Grund der Altschuldenbelastung neue Kredite verweigert werden.
Hier greift eins ins andere. Das Ergebnis ist überall das gleiche: Die Zukunftsfähigkeit wird gefährdet, und zusätzlich gehen Arbeitsplätze verloren. Das ist für mich erneut der Beweis für das Fehlen jeglicher Sensibilität für die komplizierten sozialen Veränderungen infolge des Umstrukturierungsprozesses in der Landwirtschaft.
— Herr Hornung, Sie wissen ganz genau, daß alle Forderungen, die nicht einzutreiben sind, die Deutsche Genossenschaftsbank gegen den Ausgleichsfonds geltend machen wird. Ich habe Ihnen schon im Ausschuß angekündigt: Wir werden noch Gelegenheit haben, darüber zu reden, wie hoch dieser Betrag sein wird. Auf diese Diskussion bin ich sehr gespannt.Die Haltung der Bundesregierung ist um so unverständlicher, als die Treuhandanstalt bei Unternehmensverkäufen in der übrigen Wirtschaft die Altschulden streicht. In der Landwirtschaft werden die Unternehmen aber mit den Altschulden weiter belastet. Das verhindert — das ist mir am unverständlichsten — vor allem die weitere Privatisierung. Denn keiner ist bereit, in ein Unternehmen mit Altschulden privates Geld zu investieren.Auch bezüglich der Verpachtung von Land im Besitz der Treuhandanstalt fordern wir zukunftsorientierte Entscheidungen. Dort ist der Entscheidungsstau noch dramatischer. Kommt es nicht zu richtungsweisenden Beschlüssen, muß die Treuhandanstalt zum drittenmal kurzfristige Pachtverträge abschließen. Das kann im Interesse der Entwicklung der Betriebe nicht akzeptiert werden.Das Vorhaben der Bundesregierung, die Landvergabe durch die Treuhandanstalt mit der Entschädigungsregelung zu koppeln, muß fallengelassen werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die politischen Vorgaben für die Treuhandanstalt so zu ändern, daß in erster Linie den Befürfnissen und Erfordernissen der Menschen vor Ort Rechnung getragen wird.Das heißt, das Land sollte denen langfristig verpachtet werden, die es bisher bewirtschaftet haben. Sie haben auf der Grundlage der kurzzeitigen Pachtverträge als Wiedereinrichter, Neueinrichter oder Nachfolgeunternehmen von LPGs Existenzen aufgebaut und Arbeitsplätze neu geschaffen oder erhalten. Dort, wo sich Alteigentümer an diesem Prozeß beteiligen, sollten sie ihren Anteil auch und gerade an ihren ehemaligen Flächen gleichberechtigt erhalten. Im Streitfall sollte das Betriebskonzept den Ausschlag geben.Ein letzter Hinweis, da das Lämpchen aufleuchtet: In meiner Heimatzeitung, der „Freien Presse", die der Medienunion Ludwigshafen gehört und nicht gerade der SPD nahe steht, war kürzlich zu lesen: „Nicht alles, was gegenwärtig in Ostdeutschland geschieht, kann mit der stalinistischen Zwangswirtschaft begründet
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Dr. Gerald Thalheimwerden. " Ich empfehle, über dieses Zitat intensiver nachzudenken.Ich bedanke mich.
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Ulrich Junghanns das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, nicht in so einer emotionalen und vorwurfsvollen Art und Weise die Probleme der Landwirtschaft, auch in den neuen Bundesländern, zu diskutieren. Ich meine, wir sollten gemeinsam die Kraft aufbringen, die Debatte in aller Sachlichkeit zu führen.
Dazu sind die Probleme ganz einfach zu groß. Ich ignoriere diese Tatsache nicht. Sie werden sehen, daß ich einige Punkte habe, wo wir in der Sache durchaus weiterdiskutieren sollten.Ich unterstreiche die Wertung des Agrarministers: Der Agrarbericht gibt über ein Stück der Wegstrecke Auskunft, die sehr schwer ist. Ich glaube, daß diese Wertung hinsichtlich der alten und der neuen Bundesländer nicht so gravierend differenziert werden muß, wie das in anderen Branchen notwendig ist. Wenngleich aus unterschiedlichen Gründen — in den jungen Ländern auf Grund der Deformierungen 40jähriger sozialistischer Wirtschaftsdogmen und in den alten Ländern infolge ausgeuferter Marktentwicklungen —, haben die Bauern in Brandenburg und Niedersachsen gleichermaßen existentielle Sorgen.Ich betone auch: Stellt man die Einzelschicksale daraus — der Arbeitsplatzverlust auf Grund scharfen Strukturwandels bei uns und die frühe Hofaufgabe bei großen Schuldenlasten hierzulande — einander gegenüber, sind sie in ihrer subjektiv empfundenen Härte gleich. Ich betone das, weil es ganz einfach einmal darauf ankommt, keine Vorwurfshaltung zwischen den Bauern in den neuen und in den alten Bundesländern aufzubauen. Das hilft uns nicht.
Ich nehme aber auch in Anspruch, daß die Tatsache, daß in den jungen Ländern in den letzten zwei Jahren 600 000 Beschäftigte aus der Landwirtschaft ausgeschieden sind, wovon 335 000 in Arbeitslosigkeit und Vorruhestand gegangen sind, verlangt, sich diesen Konflikten vorrangig zuzuwenden. Ich komme noch einmal darauf zurück.Ich möchte aber einen zweiten Gesichtspunkt voranstellen. Spezifisch für unseren Weg zur inneren Einheit in der Landwirtschaft ist auch, daß sich bei den Entwicklungserfordernissen der landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur alternativ ein Modell gegenüber dem anderen durchsetzt. Wir können uns auch strukturelle Vorteile und Erfahrungen der jungen Länder zunutze machen. Dem folgen die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierungen mit ihrem Willen, in Deutschland einer privatrechtlichen bodenständigen Landwirtschaft Zukunft zu geben,die nach Größe und juristischer Konstruktion verschiedenartigen Betrieben nebeneinander Raum bieten soll, so das bäuerliche Unternehmen, das eine Familie bewirtschaftet, die GbR oder die Agrargenossenschaft beispielsweise.Ich wähle diese Ausgangspunkte in unserer Agrardebatte, um festzustellen: Weil das Bild der zukünftigen deutschen Landwirtschaft beiderseits Veränderungen abverlangt, soll es auch zum gemeinsamen Anliegen werden. Uns muß trefffen, daß gegenwärtig vorrangig Vorbehalte aufgelistet werden. Bauern hier — das muß der Ehrlichkeit halber auch wieder gesagt werden — halten mit ihren Vorbehalten und Befürchtungen gegenüber den jungen Bundesländern nicht zurück. Diese Fronten schaden nur dem Berufsstand selbst.
Mit der EG-Reformentscheidung sind wir gefordert, eine moderne Agrarstrukturentwicklung zu gestalten, wobei die bäuerlichen Tugenden und Unternehmerqualitäten Rückenwind brauchen und die Ökologie im Boot bleiben muß.Gewandt an die Bauern der Landwirtschaftsbetriebe in den jungen Ländern sei zweitens hervorgehoben, daß ihre Entscheidung über die Organisation des Wirtschaftens von der Regierungskoalition respektiert wird. Angefangen beim Landwirtschaftsanpassungsgesetz mit der Möglichkeit der Umwandlung in verschiedene Rechtsformen über spezielle Förderrahmen bis jetzt zu den Ergebnissen der Reform ist nachvollziehbar, wie wortgetreu und den tatsächlichen Bedingungen Rechnung tragend allen Unternehmensformen Chancen eröffnet werden.
Für die Landwirte in den jungen Bundesländern wurde mit dem Brüsseler Verhandlungsergebnis alles Wichtige herausgeholt. Ich möchte die Eckdaten nicht noch einmal nennen; sie wurden heute schon aufgeführt. Ich möchte nur festhalten: Es werden zielstrebig Benachteiligungen und Behinderungen der Umstrukturierung beseitigt. Ein solcher Ausblick ermutigt auch. Ich glaube, wir haben auch Grund, Mut zu machen. Sehr geehrter Herr Bundesminister, wir wissen dieses Ergebnis auch zu würdigen.
Über die heutigen Probleme hilft das allein nicht hinweg, weil sie so groß erscheinen, daß vielerorts in den jungen Ländern — da mögen sich unsere Einschätzungen treffen — geglaubt wird, daß sie nicht zu überwinden sind und daß deswegen der Übergang und der Anschluß an die Zukunft nicht zu schaffen wären.
Der Strukturwandel geht weiter, und wir sind auch gemeinsam der Auffassung, daß er weitergehen muß. Harte Vermögensauseinandersetzungen, geringes Eigenkapital gegenüber hohem Investitionsbedarf, wenig Unternehmererfahrung sowie finanzielle und ökologische Altlasten — das beschreibt treffend den komplizierten Rahmen für die Handelnden.
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7942 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992
Ulrich JunghannsIch möchte komprimiert zu den strittig erörterten Fragen Stellung nehmen. Erstens. Ich weiß nicht mehr, wem es nutzt — vielleicht nur noch der Opposition —, mittels der persönlich so tiefgehenden strittigen Vermögensauseinandersetzungen weiterhin das novellierte Landwirtschaftsanpassungsgesetz in Frage zu stellen.
Ständig dort Gesetzesänderungen anzumahnen ist realitätsfremd. Es irritiert und verschleppt den Gang der Dinge.Ich möchte feststellen: Unsere Position ist das, was die Beteiligten von uns erwarten, nämlich die Rahmenbedingungen für die Auseinandersetzung in den Ländern schnell zu vervollkommnen. Darin liegen — das haben wir bei unseren letzten Besuchen in den neuen Bundesländern auch festgestellt — real Mängel. Ich glaube, die Konsequenz daraus kann nur heißen, bewährtermaßen die Schlichtungsbeiräte oder runden Tische, wie sie auch genannt werden, zu unterstützen und die Einrichtung der Landwirtschaftskammern bei den Gerichten gemeinsam mit allen berufsständischen Interessenvertretern voranzutreiben.Von der Bundesregierung und den Landesregierungen wird berechtigterweise erwartet, daß die Handhabung des Gesetzes mit Informationen aus Fachkreisen und ersten Gerichtsverhandlungen unterstützt wird. Schließlich darf es nicht sein, daß Wieder- und Neueinrichter gleich demütigen Bittstellern gegenüber jenen Landwirtschaftsbetrieben auftreten müssen, mit denen sie in der Auseinandersetzung zu Rechtmäßigkeiten stehen.
Die vom Bund oft eingeforderte Chancengleichheit muß — das sei festzuhalten — an dieser Stelle auch von den Betriebsformen untereinander gesichert werden. Als Flankierung ich betone: nur als Flankierung — werden deshalb auch im zweiten Halbjahr die Zahlungen der Anpassungshilfen von der Ordnungsmäßigkeit der Vermögensauseinandersetzung abhängig gemacht.
Obwohl das natürlich mit Schwierigkeiten verbunden ist — bevor man den Vorwurf der Lüge zu hören bekommt, muß die Lüge ja erst einmal in die Welt gesetzt worden sein —, besteht bei den Agrarpolitikern kein Zweifel, daß wir weiter nach Wegen suchen werden, um aus Betriebskonkursen erfolgende unwiederbringliche Inventarbeiträge zu entschädigen.Zweitens, zu den Altschuldenregelungen: Mit Vorwürfen wie „zu spät" und „zuwenig", wie in der Entschließung der Opposition nur populistisch kommentiert, kommen wir nicht weiter. Jeder im Ausschuß weiß: Einfach zu streichen und kommerzielle Konditionen zu verbiegen, stößt auf den Vorwurf der Ungleichbehandlung und ist ein trügerisches Mittel, Unternehmertum zu fördern. Wir bewegen uns darauf zu — dies stellt die Gleichbehandlung über die Branche hinweg in Frage —, in der Konsequenz eineUmstrukturierung ohne die Treuhand vorzunehmen. Ich glaube, auch das muß man den Bauern sagen, wenn man sich über die Konsequenzen verständigt.Eingedenk der letzten Verbesserungen — sprich: der Erlösverwertung auch für Abfindungen — ist mit der Entlastungsregelung dem Anliegen des Erhalts der landwirtschaftlichen Produktion für ihre Entwicklung weitgehend entsprochen. Eingehende Gespräche in den Betrieben ergeben für dieses Hilfsinstrument in einer Zeit angespannter Staatsfinanzen auch Verständnis.Völlig unverständlich ist demgegenüber, was der SPD-Landwirtschaftsminister in Brandenburg macht. Von dort ergeht die Aufforderung, die Rangrücktrittsvereinbarung nicht zu unterschreiben, und gleichzeitig — das haut dem Faß den Boden aus — wird den Bauern der 35%ige Landeszuschlag für den Umsatzsteuerausgleich — das sind immerhin 40 Millionen DM — verweigert.
Das ist wohl der „Brandenburger Weg" für die Bauern. Ein Glück, daß es einen Berufsstand gibt, der dem aus Kompetenz entgegentritt.In der Sache möchte ich der Regierung noch folgendes zu Bedenken geben. Die Entlastungsregelung darf nicht den Strukturwandel hemmen.
Die Bedenken, die hier vom Kollegen Thalheim geäußert worden sind, müssen ernsthaft aufgegriffen werden. Jetzt ist das Bestreben, entgegen den Notwendigkeiten — wir wollen Fehlentwicklungen gemeinsam verhindern — die Betriebe nicht kleiner werden zu lassen; denn damit schmilzt das Potential für den Altschuldenabtrag, insbesondere bezogen auf die Fläche.
Das ist eine sachliche Feststellung, die wir bei unseren Betrachtungen zur Strukturentwicklung berücksichtigen müssen.
Ich möchte das der Regierung einfach als Sachthema antragen. Darüber muß weiter diskutiert werden. Aber das setzt voraus, daß all die anderen Wege der Altschuldenabtrag, die Rangrücktrittserklärung — beschritten werden.
Drittens. Bei der Verwertung der Treuhandflächen soll ein wesentlicher Schritt zur Sicherung und Schaffung breitgestreuten bäuerlichen Eigentums in den jungen Ländern gegangen werden. Dabei kann eine in der Kapitalschwäche begründete Benachteiligung der ostdeutschen Landwirte nicht zugelassen werden. Wesentlich ist deshalb: a) Die Verwertung durch Verkauf darf zeitlich nicht von günstigen Finanzierungsmodellen abgekoppelt werden. b) Wenn die Installierung solider Finanzierungsmodelle noch län-
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Ulrich Junghannsgerer Zeit bedarf, muß den Bauern über Pachten auch längerfristige wirtschaftliche Sicherheit gegeben werden. c) Bei der Verwertung mit Vorrang Verkauf darf nicht ein einziger Wieder- oder Neueinrichter, der jetzt ein bis zwei Jahre geplant und Kredite aufgenommen hat und startbezuschußt wurde, in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden. Das müssen Prämissen unserer Diskussion auch im Agrarausschuß sein.Mir wird schon das Zeichen gegeben, daß ich offenbar die Zeit überziehe. Ich bin noch etwas ungeübt.Ich möchte noch einmal hervorheben: Wir müssen aus der Sicht der Agrarpolitik natürlich vor allem den Anstoß dafür geben, daß sich die Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern, besonders auf dem Dorf, verbessert. Aber entgegen Ihren Vorwürfen möchte ich Ihnen sagen: Die Lösung liegt nicht allein bei der Agrarpolitik. Hier sind Wirtschafts- und Regionalpolitik über die Branchen hinaus zu fordern.
Deshalb rege ich an, in gemeinsamen Beratungen mit den Kollegen aus diesen Bereichen nach Wegen zu suchen, um diese Programme noch deutlicher auf die Struktur auf dem Lande zuzuschneiden.
Ich breche an dieser Stelle ab und bitte, den Rest zu Protokoll geben zu können.
Herr Kollege Junghanns, Sie haben zwei Minuten überzogen. Aber ich weiß, daß es nicht ganz so einfach ist, das einzuteilen, wenn man anfängt. Nur, eines können Sie nicht: Sie können den Rest nicht zu Protokoll geben. Die Redezeit ist ausgenutzt.
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat jetzt unser Kollege Jan Oostergetelo das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz aller politischen Kritik will ich nicht versäumen, mich für die Vorlage des umfangreichen Berichts besonders bei den Bediensteten des Hauses zu bedanken.
Das bisherige System der EG-Agrarpolitik war nicht mehr funktionsfähig. Es war nicht mehr in der Lage, die Einkommenssicherung der europäischen Landwirtschaft, und dies trifft insbesondere auch für die deutsche Landwirtschaft zu, zu gewährleisten.
Dieses Zitat aus einer Presseerklärung des Bundeskanzlers zum Abschluß der Verhandlungen zur EG- Agrarreform möchte ich meinen Ausführungen vorausschicken. Der Herr Bundeskanzler hat recht:
Die Reform war und ist überfällig, die Agrarpolitik ist gescheitert.
Wir Sozialdemokraten fordern schon seit vielen Jahren ein Umdenken in der Agrarpolitik. Nun endlich reagiert auch die Bundesregierung. Bei den vielen Wortmeldungen haben wir auch gemerkt, wie schwer es Ihnen fällt, zu vertuschen, daß Sie noch vor Tagen auf den Bauerntagen etwas völlig anderes behauptet haben. Zu lange hat sich die Bundesregierung einer Reform widersetzt, und bis heute lehnen große Teile der Regierungsparteien eine Umstellung des Systems ab. Oder ich habe in den letzten Jahren immer falsch hingehört.
— Herr Vorsitzender, das gilt ganz besonders für Sie. Ich möchte Sie bitten, lesen Sie einmal Ihre eigenen Äußerungen nach, Ihre Beiträge, aber vor allen Dingen Ihre zahlreichen Zwischenrufe.
Mein 1977 im Bundestag gemachter Vorschlag, die Einkommenshilfen produktionsneutral zu gestalten, erntete damals Hohngelächter. Im wesentlichen aus ideologischen Gründen wurden seit Jahren die notwendigen Änderungen ignoriert, obwohl Produktionssteigerungen und „volle Mägen" eine Kurskorrektur zwingend notwendig machten. Überschüsse, explodierende Kosten, wachsende Umweltbelastungen und stetige Einkommensrückgänge bei den Landwirten waren unweigerlich die Folgen. heute breitet sich Perspektivlosigkeit aus. Versprechungen, über eine aktive Preispolitik die Einkommen zu sichern oder an Hand von Quoten und Alternativlösungen, wie z. B. beim Anbau nachwachsender Rohstoffe, die Überschußproduktion in den Griff zu bekommen, erwiesen sich als nicht haltbar.
Der Herr Minister mußte jüngst in einem Interview zugeben, daß sein bisheriges Konzept, nämlich die Mengenrückführung bei anhaltender Preisstützung, nicht gelungen ist, falsch war.
Wir von der Opposition könnten uns zufrieden zurücklehnen: Die Regierung hat laut vernehmbar das Scheitern ihrer Agrarpolitik eingestanden.
— Herr Vorsitzender, in aller Liebe, es wäre schön, wenn Sie das auch zur Kenntnis nehmen würden.
Aber wir dürfen nicht vergessen, worum es eigentlich geht. Es geht nicht um Genugtuung, ob der eine oder andere recht gehabt hat, sondern es geht um das Wohl der deutschen Landwirtschaft, um die Menschen, deren Existenzgrundlagen direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft verbunden sind. Ich unterstelle niemandem, daß er das nicht ernst nimmt.
Dieses Ziel vor Augen, müssen wir die Resultate unserer politischen Bemühungen kritisch hinterfragen. Können die vorgeschlagenen Maßnahmen helfen, das Einkommen der Landwirte zu sichern? Sind die Programme geeignet, den Menschen auf dem Land wieder eine Zukunftsperspektive zu geben?
Jan Oostergetelo
Tragen Sie dazu bei, den gesamten ländlichen Raum mit all seinen vielfältigen unersetzlichen Funktionen zu erhalten und zu entwickeln? Wird den Belangen des Umweltschutzes ausreichend Rechnung getragen? Man könnte diese Fragen beliebig fortsetzen.
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien kann ich mit der agrarpolitischen Gegenwart und der eingeleiteten Reform nicht voll zufrieden sein. Da sind wir uns sicher alle einig. Aber es gibt zu diesen Reformansätzen keine Alternative. Das ist auch die Wahrheit.
Zu begrüßen ist, daß die Reform der EG das als wahnwitzig zu bezeichnende System mengengebundener Preisstützung endlich durch ein System direkter Einkommenszahlung ablöst. Dies war lange unsere Forderung. Auch andere Elemente der Reform kommen unseren Vorstellungen entgegen. Wir brauchen verläßliche Vorgaben, damit die Landwirte langfristig planen können.
Noch schlimmer, als Fehler zu machen, ist, daß keine Perspektiven vorhanden sind. Es besteht die Gefahr, daß der für die Durchführung der Reformmaßnahmen notwendige Kontrollapparat zu einer Aufblähung der Verwaltung führt. Wer von uns wüßte das nicht? Es darf nicht dazu kommen, daß die Bauern von einer Flut von Antragsformularen überschwemmt und zu hauptberuflichen Antragstellern degradiert werden.
Hier fordere ich die Regierung auf, wirklich alles zu tun, um die Antragsformalitäten zu vereinfachen. Der Reformansatz darf nicht in der Bürokratie ersticken. Es darf nicht wie bei der Milchquote verfahren werden: Wenn der Antrag zu kompliziert ist — in diesem Zusammenhang erwähne ich die Südländer —, dann darf dies nicht zu einer Erhöhung der Quoten führen.
Meine Damen und Herren, uns allen ist die Unsicherheit und Zukunftsangst auf den Höfen bekannt. Strukturwandel und Höfesterben setzen sich mit gesteigerter Geschwindigkeit fort, ohne daß im ländlichen Raum genügend qualifizierte Alternativen geschaffen werden. Das gilt besonders für den Osten; dazu haben zwei Kollegen schon das Wesentliche gesagt.
1991 mußten laut dem Agrarbericht 5,5 % der Betriebe — also etwa 100 Betriebe pro Tag — ihre Hoftore schließen. Zum Vergleich: In den vorangegangenen 10 Jahren lag der Durchschnitt bei 2,7 %.
Die Zahl junger Menschen, die sich zum Landwirt ausbilden ließen, verringerte sich in den vergangenen Jahren auf weit weniger als die Hälfte. Ich finde, das ist ein sehr ernstzunehmendes Alarmzeichen. Mittlerweile sind es auch die gut geführten und leistungsfähigen Betriebe, die im Generationswechsel ausscheiden wollen. Auch dort raten immer mehr Eltern ihren Kindern: Lernt einen anderen Beruf.
Dabei brauchen wir doch leistungsfähige Betriebe, die von gut ausgebildeten Betriebsleitern geführt werden, auch in den nächsten Generationen.
Wer die Lösung allein im sich beschleunigenden Strukturwandel sieht, muß sich fragen, woher in den nächsten Generationen die Menschen kommen sollen, die sich in der Landwirtschaft engagieren und damit den ländlichen Raum mit all seinen Funktionen sichern. Im Osten weiß man, was es bedeutet, wenn diese Menschen nicht zur Verfügung stehen.
Die Auswirkungen des Höfesterbens bekommen auch die vor- und nachgelagerten Bereiche zu spüren. In strukturschwachen Gebieten wird die Arbeitslosigkeit zunehmen. Die Folge wird sein, daß gerade leistungsfähige junge Menschen den ländlichen Raum verlassen werden. Dies können wir gemeinsam nicht wollen.
Die Transferzahlungen müssen nicht nur abgesichert, sondern auch sozialverträglich gestaltet sein. Es geht auf Dauer nicht an, daß Betriebe nur nach ihrer Flächenausstattung bevorteilt oder benachteiligt werden. Flächenärmere Betriebe haben keine Kompensationsmöglichkeiten. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Möglichkeit, auf Stillegungsflächen nachwachsende Rohstoffe anbauen zu können. Dadurch können die Rohstoffe billiger werden. Darüber können wir uns alle freuen. Aber das gilt eben nicht für Kleinbetriebe. Flächenarme Betriebe werden im Zuge der Reform mit vergleichsweise geringen Summen abgespeist.
Von daher ist es im Interesse einer sozial- und strukturpolitisch gerechteren Verteilung der Mittel doch erforderlich, daß wir darüber nachdenken, ob die Prämien nicht das Gesamteinkommen und die Sicherung von Arbeitsplätzen berücksichtigen sollen. Schließlich ist es doch die Vielfalt der Landwirtschaft, die uns die ländlichen Räume lebenswert erhält. Ihren unersetzlichen Beitrag für die Gesamtgesellschaft muß man doch darin sehen. Es muß endlich allen bewußt werden, daß die Landwirtschaft mehr ist als ein möglichst billig produzierender Nahrungsmittellieferant.
Ich erlaube mir, noch etwas zu den 3 % zu sagen, die notwendig sind, bis die EG-Maßnahmen greifen. Aber auch dies ist flächenabhängig. Auch hier muß man sagen: Das bedeutet, daß sich ein flächenarmer Betrieb im Extremfall mit 2 500 DM abfinden lassen muß und der andere bis zu 24 000 DM bekommen kann. Müssen wir denn hier nicht die Gesamteinkommen und die umweltgerechte Wirtschaftsweise der Betriebe, die ein Anrecht haben, mitberücksichtigen? Das ist im Gesetzentwurf nicht enthalten. Wo bleibt die soziale Ausgewogenheit?
Die heutige Agrarpolitik bringt die Landwirtschaft in zunehmende Abhängigkeit von staatlichen Zahlungen. Das wissen wir alle. Landwirtschaftliche Einkommen — sagen die Kritiker zu Recht — müssen in erster Linie aus Markt und Produktion stammen. Dem stimme ich gerne zu. Wir wollen auch mehr Markt,
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Jan Oostergetelo
natürlich. Aber seien wir doch ehrlich: Die Landwirte sind bereits seit Jahren von Zuteilungen aus den Haushaltskassen abhängig. Die jetzt vorgesehenen Direktzahlungen haben wenigstens den großen Vorteil, daß sie endlich den landwirtschaftlichen Einkommen direkt gutgeschrieben werden. Verläßlichkeit ist ein wesentliches Element in der Politik.
Meine Damen und Herren, mit einem Anteil von noch 2 % am Bruttosozialprodukt könnte man sich vorstellen, daß die Landwirtschaft unwichtig ist. Wir müssen gegenhalten. Die Landwirtschaft ist mehr. Sie bewirtschaftet und pflegt 84 % der Fläche unseres Landes. Das sind 30 Millionen ha. Die Landwirtschaft prägt auch das Bild unserer Industriegesellschaft, das Gesicht unseres Landes.
Ich halte es deshalb für geboten, daß wir uns den Erhalt der Landwirtschaft etwas kosten lassen und das offensiv verteidigen. Jeder einzelne von uns, ob er darin lebt oder nicht, hat den Nutzen und den Vorteil davon.
Dies ins Bewußtsein unserer Gesellschaft zu bringen, ist unser aller Aufgabe. Dazu fordere ich uns alle auf. Nur dann kann es uns gelingen.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat das Wort unser Kollege Ulrich Heinrich.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist 14.30 Uhr, und die Debatte geht weiter. Ich möchte mich nicht entschuldigen, aber ich möchte erklären, daß ich es für richtig halte, daß wir unsere Reden hier halten, weil die Bedeutung dieser Agrardebatte damit unterstrichen wird.
Es ist nicht irgend so ein Gesetz, sondern eine wichtige Sache.Die jetzt verabschiedeten Eckdaten der EG-Agrarreform kann man sicherlich unterschiedlich bewerten; das haben wir heute nachmittag schon gehört. Aber Einigkeit herrscht doch darüber, daß ein wichtiges und notwendiges Stück Klarheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen landwirtschaftlicher Produktion für unsere Landwirte geschaffen wurde. Insbesondere aber für den Getreidebereich bedeutet die Reform, wie schon zuvor bei der Ölsaatenregelung, eine radikale Trendwende.Ich möchte mich jetzt nicht weiter mit dieser Reform beschäftigen, sondern mich aus Zeitgründen auf drei wesentliche Punkte beschränken: Zum einen auf die Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern — ich bin sozusagen der „Ossi" der F.D.P. —, zum anderen auf die Agrarsozialpolitik und auf die Weinbaupolitik.Die Umwandlung der ehemaligen Staatsbetriebe in den neuen Bundesländern in private Betriebe unterschiedlichster Rechtsform ist auf Grund der Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes inzwischen sehr weit in Gang gekommen und auch häufig schon abgeschlossen worden. Ich möchte die Bundesregierung allerdings bitten, jetzt noch einmal mit Hand anzulegen, um noch einige letzte große Brokken, die einer vielfältigen Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen Ländern entgegenstehen, aus dem Wege zu räumen.Ein nach wie vor zentrales Problem das wurde auch heute hier schon mehrere Male angesprochen — sind die sogenannten Altschulden, mit denen die privatisierten Nachfolgebetriebe der LPG zu kämpfen haben. Ein Großteil dieser Schulden wurde bekanntlich durch auferzwungene Investitionen angehäuft. Im Gegensatz zur gewerblichen Wirtschaft — hier werden bei der Privatisierung sämtliche Altschulden gestrichen — wurden der Landwirtschaft bisher 1,4 Milliarden DM erlassen. Dies ist sehr begrüßenswert.Verblieben sind aber immer noch rund 4 Milliarden DM Schuldenlast. Diese Summe schwebt weiterhin wie ein Damoklesschwert über einer vernünftigen Entwicklung einer Vielzahl von Betrieben.
Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir werden uns auch in der Zukunft noch häufig darüber unterhalten müssen, wie wir helfen.
Dies erschwert in vielen Fällen nicht nur die Auszahlung der Inventarbeiträge, sondern verhindert häufig auch notwendige Investitionen.Die Besserungsscheinregelung ist für viele Betriebe sicherlich eine große Erleichterung. Sie kann aber letztendlich den Druck der Schulden, vor allem der Zinslast nicht von den Betrieben nehmen.
Ich würde es deshalb außerordentlich begrüßen, wenn unser Finanzminister hier noch einmal einen Kraftakt vollziehen würde. Er könnte damit die Voraussetzungen schaffen, Herr Kollege Hornung, daß zukunftsträchtige und entwicklungsfähige Betriebe — darum geht es mir ausschließlich — nicht nur entstehen können, sondern auch weitergeführt werden und die Vermögensauseinandersetzungen mit den Inventargebern beendet werden können.
Ein derart positives Signal für die Menschen des ländlichen Raums in den neuen Ländern kann von seiner Wirkung her nicht hoch genug eingestuft werden. Wer nach drüben reist, erfährt die Spannung und die Stimmung, die in den neuen Bundesländern herrschen. Täuschen wir uns nicht: Hier tickt eine Zeitbombe. Ich sage Ihnen: Das Ganze entgleitet uns noch, wenn wir hier nicht entsprechend handeln.
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Ulrich HeinrichIn Zeiten berechtigter Sparanstrengungen erscheint natürlich das von mir gerade geäußerte Ersuchen eines weiteren Schuldenerlasses fast wie ein unsittlicher Antrag. Das sehe auch ich als F.D.P.-Politiker schon. Gehen wir aber einmal die Rechnung bis zu Ende durch: Was passiert, wenn die Betriebe in naher Zukunft bankrott machen? Auch dann bleiben die Schulden beim Herrn Finanzminister Waigel, zusätzlich aber auch noch über den drastischen Anstieg der Arbeitslosen im ländlichen Raum bei Blüm.
Auch das gehört zur ganzen Wahrheit.
Ein weiterer bedeutender Schritt: Um den Weg zu ebnen, daß sich landwirtschaftliche Unternehmer aus den neuen Bundesländern stärker in der Gründung eigener Betriebe engagieren, ist es nach meiner festen Auffassung notwendig, daß wir uns schnellstens Gedanken über eine Änderung der Arbeitsanweisung „Kauf vor Pacht" machen. Ich persönlich plädiere dafür, mit Verkauf und Verpachtung gleichberechtigt zu verfahren. Wir müssen örtlichen Interessenten die Chance geben, auch gegenüber finanzstarken Investoren zum Zuge zu kommen.
Das ist ganz wichtig und notwendig.
In diesem Zusammenhang ist auch die neue Arbeitsanweisung der Bundesregierung zu begrüßen, nach der den landwirtschaftlichen Unternehmen in Ostdeutschland künftig im Rahmen der Altschuldenregelung bis zu 50 % der Erlöse aus dem Verkauf von nichtbetriebsnotwendigem Vermögen zur Abfindung früherer LPG-Mitglieder verwendet werden können.
Nur Zinsen und Tilgung für Altkredite werden bisher fällig, wenn die Unternehmen die Gewinnschwelle überschreiten.
Hier hat Staatssekretär Haschke hervorragende Arbeit geleistet; denn er hat das fortgesetzt, was wir auf der Molkereischiene angefangen haben. Man muß hier einmal deutlich sagen: Es ist eine Erleichterung.
Die Reform der EG-Agrarpolitik wird meiner Ansicht nach nicht nur durch die mehr oder weniger obligatorische Flächenstillegung zu einer deutlich verringerten EG-Anbaufläche führen. Die Art der Bewirtschaftung der Flächen wird in Zukunft mangels Anreizes zur Höchstproduktion auf Grund sinkender Preise deutlich extensiver erfolgen.Des weiteren wird es notwendig sein, bisher landwirtschaftlich genutzte Grenzertragsböden, hier besonders in den neuen Bundesländern, in die Erstaufforstung einzubeziehen. Holz ist nicht nur unser wichtigster erneuerbarer Rohstoff, sondern wird vonunserer Forstwirtschaft zudem nachhaltig und umweltschonend produziert.Neben den vielfältigen Schutzfunktionen des Waldes möchte ich ganz deutlich hervorheben, daß eine Ausweitung der forstwirtschaftlich genutzten Fläche in der Biomasse erhebliche Mengen an Kohlendioxyd bindet und dadurch zur Verminderung des Treibhauseffekts beiträgt.
Wir haben das in dieser Woche, als wir den Bericht der Enquete-Kommission diskutiert haben, deutlich unterstreichen können. Denn auch dort wurde die besondere Bedeutung des Waldes hervorgehoben.
Ich kürze meinen Beitrag wesentlich und möchte mich auf einige Bereiche konzentrieren.Erstaufforstungsprogramme leisten auch einen nicht unerheblichen arbeitsmarktpolitischen Beitrag. Das muß man auch in den neuen Bundesländern sehen. Vor allem in den neuen Bundesländern ist das in den ländlichen Gebieten zwingend notwendig.Die anstehende Novellierung des Naturschutzgesetzes bietet jetzt eine gute Chance, die bislang immer wieder auftretenden Hemmnisse bei Erstaufforstungen dadurch nachhaltig zu beseitigen, daß die Erstaufforstung als grundsätzlich dein Natur- und Klimaschutz dienend definiert wird. Diese Grundvoraussetzung müssen wir im Naturschutzgesetz erst noch schaffen.Noch ein paar Sätze zur Agrarsozialreform. Sie muß zügig weitergehen, um sicherzustellen, daß die Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode erfolgen kann. Die Koalitionsarbeitsgruppe will alles daransetzen — sie hat sich deswegen für Anfang Juli zu einer viertägigen Klausurtagung verabredet —, die notwendigen Vorarbeiten zu erbringen. Wir sind bereit, auch in den Sommerferien die Arbeit zu leisten. Dabei werden wichtige Schwerpunkte sein, daß die landwirtschaftliche Altershilfe so gestaltet wird, daß sie in Zukunft unter Berücksichtigung eines weitergehenden Strukturwandels für unsere Landwirte noch bezahlbar ist, und daß vor allem die Bäuerinnen, die einen eigenständigen, unverzichtbaren Beitrag in den landwirtschaftlichen Betrieben leisten, dafür auch eine entsprechende eigenständige Sicherung in der Agrarsozialgesetzgebung bekommen.
Als weinbaupolitischer Sprecher — —
Herr Kollege Heinrich, jetzt geht es wirklich nicht mehr. Bitte einen Schlußsatz. Ihre Redezeit ist weit überzogen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich einiges gestrichen habe, hat es doch nicht ausgereicht. Ich bedanke mich für Ihre Geduld und hoffe, daß wir von dem, was wir so engagiert vorgetragen haben, einen wesentlichen Teil in der Regierungskoalition umsetzen können.
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Ulrich Heinrich Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, letzter Redner in dieser Debatte ist unser Kollege Albert Deß. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Agrardebatte findet in einer Zeit statt, in der enorme Umwälzungen im agrarpolitischen Bereich anstehen. Die Landwirtschaft im Osten und Westen unseres Landes befindet sich durch verschiedenartige Ursachen in einer schwierigen Situation.Der Agrarbericht 1992, der sich vor allem auf das Wirtschaftsjahr 1990/91 bezieht, zeigt in seinem Ergebnis und in seiner weiteren Entwicklung, daß eine Reform der Agrarpolitik unumgänglich war. Als ich vor einigen Wochen zum Thema Agrarreform vor meinen Berufskollegen sprach, war für jeden Zuhörer erkennbar, daß ich die Zukunftsaussichten für meinen Berufsstand sehr skeptisch beurteilte. Was Minister Kiechle jedoch in Brüssel als Kompromißpaket bei den Eckdaten zur Agrarreform für die deutsche Landwirtschaft erreicht hat, überrascht mich. Obwohl die beschlossene Agrarreform noch einschneidend genug sein wird, vor allem im Getreidebereich, hat Minister Kiechle einen großen Teil der für deutsche Landwirtschaft wichtigen Positionen durchsetzen können. Dafür bedanke ich mich gerade als praktizierender Landwirt recht herzlich.
Die CSU-Landesgruppe hat noch in der Sitzung in Berlin einstimmig eine Resolution zur Agrarreform verabschiedet. Auch dafür bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen der Landesgruppe sehr dankbar, weil mit dieser Resolution unserem Minister in dieser schwierigen Verhandlungsrunde Rückendeckung gewährt wurde. Wir haben in dieser Resolution u. a. gefordert, daß vorrangig die Agrarüberschüsse abgebaut werden, um die Agrarpreise zu stabilisieren, daß die von Brüssel geforderte fast 40%ige Senkung der Getreidepreise verhindert, zumindest aber erheblich gemindert wird, daß bei unumgänglichen Preissenkungen ein voller Ausgleich erfolgt, der dauerhaft angelegt ist und bei den GATT-Verhandlungen abgesichert werden muß
— er hört schon zu, Herr Kollege Sielaff; Sie brauchen sich um den Bundesminister nicht zu kümmern —, daß auf den stillgelegten Flächen der Anbau nachwachsender Rohstoffe ermöglicht und gleichrangig gefördert wird, daß im Milchbereich eine Preissenkung unterbleibt — die Mengenreduzierung ist von der EG zu entschädigen, die Mitverantwortungsabgabe ist abzuschaffen —, daß im Rindfleischbereich die von der Kommission vorgeschlagene Kälberprämie abgelehnt wird, daß letzter Punkt — der soziostrukturelle Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft EG-rechtlich umgehend genehmigt wird.Die von der CSU-Landesgruppe geforderten Punkte konnte Minister Kiechle bei den Beschlüssen in Brüssel fast vollständig verankern. Die beschlossene Getreidepreissenkung von ca. 30 % halte ich für falsch. Bundesminister Kiechle hat bis zum Ende der Verhandlungen seinen Widerstand gegen die von allen anderen Mitgliedstaaten befürwortete drastische Getreidepreissenkung geltend gemacht. Im Interesse des Gesamtpakets mußte er aber zustimmen.Auch wenn die drastischen Getreidepreissenkungen auf wenig Verständnis bei den deutschen Landwirten stößt, so hat sie dennoch nicht nur Nachteile, sondern auch einige positive Seiten, die man sachlich darstellen sollte: Ich erinnere daran — Kollege Susset hat das bereits getan —, daß in den zurückliegenden sieben bis acht Jahren der Landwirtschaft Getreidepreissenkungen in einer Größenordnung von 30 % zugemutet wurden, ohne daß wir Landwirte dafür einen Ausgleich erhalten haben.Im Milchviehbereich hält sich die Preissenkung mit ungefähr 2,5 % in sehr engen Grenzen. Sie wird sich einkommensmäßig kaum niederschlagen, da auf Grund der Getreidepreissenkungen mit einer Kostenentlastung bei den Futtermitteln zu rechnen sein wird.Wichtig ist, daß Minister Kiechle durchsetzen konnte, daß die Garantiemengenregelung bis zum Jahr 2000 verlängert wurde. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Beschluß, der in Brüssel gefaßt wurde.Notwendig ist im Milchbereich, daß auch Italien die harten Auflagen einer baldigen und konsequenten Umsetzung der Quotenregelung unbedingt akzeptieren muß.Die Beschlüsse zum Rindfleischmarkt kann ich noch nicht endgültig bewerten. Es zeigt sich aber, daß den zu erwartenden Preissenkungen beachtliche Erhöhungen der tierbezogenen Prämien gegenüberstehen. Nicht nur die irischen Rindermäster, sondern auch die übrigen Rindfleischproduzenten können auf Grund des geänderten Marktsystems durchaus Vorteile haben.Wenn jetzt von einigen Gruppen bzw. Verbänden die Wirkungen der Reformbeschlüsse auf die landwirtschaftlichen Einkommen so negativ dargestellt werden, dann halte ich dies für nicht gerechtfertigt; denn nach meiner Auffassung wird die EG-Agrarreform nicht — wie von einigen bewertet — zum Ruin der deutschen Landwirtschaft führen, weil nahezu alle Preissenkungs- und Mengenrückführungsmaßnahmen weitgehend ausgeglichen werden, weil sich die eigentlichen Reformbeschlüsse nur auf ca. 30 % des landwirtschaftlichen Produktionswertes beziehen, weil die ins Auge gefaßten Ausgleichszahlungen durchaus als dauerhaft und zuverlässig angesehen werden können — erfahrungsgemäß sind EG-Finanzierungen sicherer als Zahlungen aus nationalen Haushalten —, weil auf den stillzulegenden Flächen in Zukunft der Anbau nachwachsender Rohstoffe grundsätzlich ermöglicht und sogar gleichrangig gefördert wird.Daß es Minister Kiechle gelungen ist, den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen auf den stillzulegenden Flächen zu ermöglichen und dafür den glei-
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Albert Dellchen Ausgleichsbetrag zu erhalten, wie er für die Stillegung bezahlt wird, ist für mich einer der zukunftsweisenden Schritte der beschlossenen Reform. Auch wenn viele Gruppen unserer Gesellschaft die Chancen der nachwachsenden Rohstoffe für den ökologischen Bereich noch nicht erkannt haben, führt an ihnen kein Weg vorbei.Wenn die Bundesregierung das Ziel einer wirksamen CO2-Minderung erreichen will, müssen die nachwachsenden Rohstoffe in die Überlegungen einbezogen werden. Die Fehleinschätzungen hinsichtlich der nachwachsenden Rohstoffe sind auch darin begründet, daß man sie yolks- und betriebswirtschaftlich an den momentanen Preisen für fossile Energie mißt. Nachwachsende Rohstoffe wären heute bereits in verschiedenen Bereichen wirtschaftlich, wenn die Umweltfolgeschäden der fossilen Energie berechnet würden. Notwendig ist hier ein ganzheitliches Denken im ökologischen Kreislauf.Die Umsetzung vernünftiger Wege bei den nachwachsenden Rohstoffen würde bewirken, daß eine ausgeglichenere CO2-Bilanz zu erwarten ist, Arbeit im ländlichen Raum bleibt, die Landwirtschaft wieder eine Perspektive für die Zukunft erhält und die Flächen bei Bedarf wieder für die Nahrungsmittelproduktion verwendet werden können. Ich freue mich deshalb, daß Bundeskanzler Helmut Kohl darauf drängt, daß massiv Vorschläge gemacht werden, in welchen Bereichen nachwachsende Rohstoffe möglichst schnell umgesetzt werden können.Die in Brüssel beschlossene Agrarreform hat nur dann einen Sinn, wenn es gelingt, bei den laufenden GATT-Verhandlungen einen wirksamen Außenschutz für unsere Landwirtschaft zu erreichen. Wenn Bundeskanzler Helmut Kohl dafür eintritt, daß, so wie er sagte, die deutsche Landwirtschaft wieder mit Zuversicht in die Zukunft schauen kann, dann darf er einem zukünftigen GATT-Abschluß nur dann zustimmen, wenn darin der von uns geforderte Außenschutz gewährleistet ist. Vor allem muß darin eine Regelung für die Substitute gefunden werden. Nur dann hat die Agrarreform einen Sinn.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Agrarbericht 1992 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/2727 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2728 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 12/2075. Unter Nr. 1 wird empfohlen, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/722 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Unter Nr. 2 wird empfohlen, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/729 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Gegen die Stimmen der SPD und von Herrn Schumann ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes, Drucksache 12/2154. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 12/2572, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes und des Weingesetzes, Drucksachen 12/2282 und 12/2662. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der SPD-Fraktion ist mit Herrn Schumann und den Koalitionsfraktionen der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie soeben angenommen.Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/2694 und 12/2696 sollen an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 12/2126, 12/2317 und 12/2545 sollen zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge dazu? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 12/1941. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/13 für erledigt zu erklären. Wer
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1992 7949
Vizepräsident Helmuth Beckerstimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann ist der Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gefolgt worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2746. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Nur Herr Kollege Schumann. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Damit sind wir, meine Damen und Herren, am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich wünsche ein frohes Pfingstfest und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Juni 1992, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.