Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen — heute vorwiegend Kolleginnen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß hat
— Drucksache 12/594 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Frauen und Jugend Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Frage weiterer Maßnahmen der Frauenförderung in Beruf, Familie und anderen Bereichen
— Drucksache 12/447 —
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der „Richtlinie zur beruflichen Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung" — Berichtszeitraum 1986 bis 1988 —— Drucksachen 11/8129, 12/871 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Rahardt-Vahldieck Hanna Wolf
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Gemeinden
— Drucksachen 11/4893, 12/872 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Böhmer Dr. Marliese Dobberthien
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Frauen und Jugend Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Besteht darüber Einverständnis? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Kollegin Böhmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die hier zur Debatte stehenden Berichte der Bundesregierung zur Situation der Frauen in Gremien, im Beruf und speziell im öffentlichen Dienst liest, muß ausrufen: Da stimmt doch etwas nicht!
Es stimmt in der Tat etwas nicht, wenn es über 1 000 Gremien gibt und Frauen weitgehend aus diesen Gremien ausgeschlossen sind und wenn in über der Hälfte dieser Gremien keine einzige Frau zu finden ist.Der Anteil der Frauen in der Bundesverwaltung liegt im höheren Dienst bei 6,2 %, im gehobenen Dienst bei 12,1 % und in den Spitzenpositionen knapp über 2 %. Diese Feststellungen lassen sich nicht allein für den Bundesdienst treffen, sondern genauso für den gesamten öffentlichen Dienst und für die Wirtschaft. Auch dort sind in den Vorstandsetagen Frauen noch immer die weißen Raben. Das kann doch wohl nicht angehen.Wir haben es hier nicht mehr mit einzelnen Fällen, sondern vielmehr mit der Situation zu tun, daß sich Verwaltung und Wirtschaft nicht auf den Lebensverlauf von Frauen ausgerichtet haben. Daran muß sich etwas ändern.Wenn ich von Änderungen spreche, geht es mir nicht nur um die Top-Positionen, sondern es geht mir um die große Zahl der Frauen, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, und es geht darum, daß die Nachteile, die diese Frauen mittlerweile erfahren, wenn sie sagen: wir wollen für die Familie da
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3986 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Dr. Maria Böhmersein, wir wollen Kinder erziehen, wir wollen uns um ältere Angehörige kümmern, wir wollen aber auch im Beruf unsere Frau stehen, in der Zukunft nicht mehr gelten dürfen. Diese Nachteile sind beispielsweise weniger attraktive Arbeitsplätze, geringere berufliche Möglichkeiten und vor allen Dingen auch eine schlechtere soziale Sicherung im Alter. Das können wir gerade mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht zulassen.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren etliche Maßnahmen eingeleitet, die an dieser Situation ansetzen, die Veränderungen bewirken sollen. Wir haben die Berichte in den Ausschüssen behandelt. Wir haben aber auch gesehen, daß die Maßnahmen bisher nicht zu den Wirkungen führten, die wir uns alle — ich betone: alle — davon erhofft haben.Für die Zukunft heißt es also, zu einer besseren Wirksamkeit von Frauenfördermaßnahmen zu kommen. Ich begrüße ganz außerordentlich die Absicht der Bundesregierung, die schon in der Koalitionsvereinbarung niedergelegt ist, hier im Deutschen Bundestag ein Gleichberechtigungsgesetz einzubringen.Es stellt sich die Frage, wie ein solches Gleichberechtigungsgesetz aussehen sollte. Hier gibt es sicherlich einen Punkt, den man an die Spitze des Forderungskatalogs stellen muß: leistungsbezogene flexible Zielvorgaben, nicht starre Quoten sind der richtige Ansatz für eine konkrete Frauenförderung.
Dieses Instrument der Frauenförderung muß im neuen Gleichberechtigungsgesetz verankert sein.Ich muß Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sagen: Ihre Kollegin Heide Pfarr hat hinzugelernt. Ich wünsche mir, daß Sie ebenfalls hinzulernen. Heide Pfarr hat sich im Zusammenhang mit dem neuen hessischen Gleichberechtigungsgesetz dagegen ausgesprochen, Quoten einzuführen. Sie hat sich für Zielvorgaben ausgesprochen. Ich freue mich, daß sie auf das eingeschwenkt ist, was wir von der CDU 1990 in unseren Empfehlungen für kommunale Frauenförderung klar gesagt haben, nämlich auf leistungsbezogene, flexible Zielvorgaben, die in Gesetzen verankert werden sollen. Ich kann mir nur wünschen, daß auf Bundesebene auch bei Ihnen genau dieses Nachdenken einsetzt; denn dann werden wir zu gemeinsamen Lösungen kommen. Das halte ich im Interesse der Frauen für eine gute Sache.
Leistungsbezogene, flexible Zielvorgaben sind eine Säule der Frauenförderung. Die zweite Säule sind Frauenbeauftragte in der Bundesverwaltung, die mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein müssen und die klare Aufgabenstellungen haben. Wir denken, daß das in Dienststellen, in denen mindestens fünf weibliche und insgesamt über 20 Beschäftigte tätig sind, der Fall sein soll, also doch schon in kleinen Dienststellen, weil wir auch im kleineren Bereich ansetzen müssen und nicht nur bei größeren Behörden. Deshalb würde ich mir wünschen, daß in dem Gesetzentwurf eine entsprechende Regelung enthalten ist.Wir haben in den Ausschußberatungen darüber Einigkeit erzielt, daß die Bundesregierung aufgefordert werden soll, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag noch in diesem Jahr vorzulegen und begleitend dazu bis Mitte des nächsten Jahres einen Bericht über die Situation der Frauenbeauftragten auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene zu erstatten, vor allen Dingen mit Blick auf die neuen Bundesländer. Denn Tatsache ist, daß wir mittlerweile eine Vielzahl von Frauenbeauftragten, fast 1 000, haben, daß aber die Arbeitsbedingungen sehr unterschiedlich sind. Wir brauchen Frauenbeauftragte, die wirksam arbeiten können. Deshalb auch unsere Aufforderung an die Bundesregierung, hier gemeinsam mit Ländern und Kommunen zu einem Vorschlag für Frauenbeauftragte zu kommen.
Ich will aber noch betonen, daß Frauenförderung nicht nur die berufliche Förderung von Frauen, wenn es um Einstellung, Aufstieg und Weiterbildung geht, beinhaltet, sondern daß wir in diesem Gesetz Regelungen — da hoffe ich auf Kreativität von allen Seiten — hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden müssen. Wir müssen Ernst machen mit der Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit. Ich möchte, daß Frauen und Männer, die Kinder erziehen und ältere Angehörige pflegen, nicht länger indirekt benachteiligt werden. Der Fall einer jungen Regierungsrätin, die kurz vor der Beförderung stand, als sie ihre Berufstätigkeit aus Gründen der Kindererziehung unterbrach, und zurückkehrte und dann feststellen mußte, sie steht jetzt am Ende der Beförderungsliste, darf in der Zukunft nicht mehr auftauchen.
Frauen und auch Männer müssen bei der Rückkehr in das Erwerbsleben genauso gefördert und befördert werden wie alle diejenigen, die ununterbrochen im Beruf stehen. Sie dürfen nicht wegen mangelnder Berufsjahre im Erwerbsleben diskriminiert werden.Die Aufgabe der Politik sehe ich hier mit Blick auf die Berichte, die wir behandelt haben, mit Blick auf die Beschlußempfehlungen, die wir gefaßt haben, und mit Blick auf das zu erwartende Gleichberechtigungsgesetz, darin Möglichkeiten zu schaffen, daß eine Vielfältigkeit in den Lebensentwürfen wirklich gelebt werden kann und daß nicht ein Lebensentwurf bevorzugt und der andere diskriminiert wird. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, noch in diesem Jahr zu einem Gleichberechtigungsgesetz zu kommen.Ich danke Ihnen.
Als nächste hat die Frau Kollegin Hanna Wolf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Ich sehe auch ein paar Kollegen. Es ist schön, heute morgen hier, wie üblich in einem so brechend vollen Saal zu diesem Thema zu sprechen.Ich hatte eigentlich gedacht, die Bundesregierung gibt uns erst einmal einen Bericht über ihre Maßnahmen zur Förderung von Frauen in Beruf und Familie
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Hanna Wolfund in anderen Bereichen. Aber ich denke, wir hören vielleicht noch etwas dazu. Ich nehme heute dazu Stellung.Wir müssen feststellen, daß wir uns hier schon wieder über Frauenförderung unterhalten. Warum eigentlich? Weil durch die Bundesregierung immer noch nichts geschehen ist, weil immer nur berichtet wird.Im übrigen ist der Titel des Berichtes der Bundesregierung ein Etikettenschwindel. Er müßte lauten: Zur Frage der Erleichterung der Doppelbelastung von Frauen mit Kindern. Dies ist Familienpolitik, keine Frauenpolitik. Wenn Sie eine Familienpolitik betreiben wollen, die diesen Namen auch verdient, müssen Sie die Väter grundsätzlich gleichrangig mit einbeziehen. Die gelegentliche Erwähnung von Vätern reicht hier nicht aus. Insofern nehmen sie selbst nicht ernst, was Sie in der 218-Debatte über die Pflicht der Väter gesagt haben.Im Berufsleben müssen Bezahlung, Arbeitszeit und Kinderbetreuung so organisiert sein, daß das sogenannte Risiko für Arbeitgeber bei der Einstellung eines Mannes oder einer Frau gleich hoch ist und daß eine Antwort beim Einstellungsgespräch wie, um die Kinder kümmert sich meine Frau, ein Hinweis auf krasse soziale Inkompetenz ist, die sich heute ein Arbeitgeber in einem erfolgsorientierten Betrieb nicht mehr leisten kann.In Ihrem Bericht kommen ausschließlich die Probleme der Doppelbelastung durch Beruf und Kinder vor. Frauenförderung muß alle Frauen meinen, denn auch Frauen ohne Kinder und Frauen, deren Kinderbetreuungsprobleme durch glückliche individuelle Umstände gelöst sind, müssen im Berufsleben immer wieder erleben, daß ihnen Männer bei gleicher Qualifikation wie selbstverständlich vorgezogen werden. Dies wird solange geschehen, wie es einen nach Geschlechtern hierarchisierten Arbeitsmarkt gibt. Es ist eine psychologische Binsenwahrheit, daß Gruppen immer ihresgleichen nach sich ziehen, d. h. Männer fördern in der Regel Männer.Die SPD ist daher der Meinung, daß nur noch eine Quotierung das grundgesetzliche Gebot der Gleichbehandlung durchsetzen kann und daß zur Überprüfung dieser Gleichbehandlung Frauenbeauftragte ernannt oder gewählt werden. Die Zweifel der Union an der Verfassungsmäßigkeit der Quotierung, an der Verfassungsmäßigkeit von Frauenförderungsgesetzen, einschließlich starker Frauenbeauftragter, gründen sich auf der patriarchalen Überzeugung, daß Männerrecht Frauenrecht bricht.Da Sie die Quotierung und ein Frauenförderungsgesetz zugunsten von Verwaltungsvorschriften ablehnen, muß es geradezu überraschen, wie auch jetzt wieder, daß Sie den Entwurf eines Artikelgesetzes zur Gleichberechtigung von Frau und Mann für diese Legislaturperiode ankündigen. Was soll denn da eigentlich noch drinstehen, nachdem Sie vor anderthalb Jahren unseren Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Frau und Mann im Berufsleben abgelehnt haben?Ich möchte nun auf einige besonders neuralgische Punkte eingehen, und zwar auf die Frauenbeauftragten in den Bundesbehörden bzw. auf die unterschiedliche Bewertung, die Sie ihnen zukommen lassen. Ihre Begeisterung für betriebliche Frauenförderung und deren merkwürdige Abwesenheit in den Bundesbehörden, auf die Funktion, die Teilzeitarbeit hat, und die Kinderbetreuung, die Sie mal als bedarfsgerecht, mal als unbefriedigend bezeichnen.Zunächst: Sie berichten, daß alle Frauenbeauftragten nur auf oberster Ebene eingerichtet würden. Entgegen dem Auftrag des Bundestages wollen Sie sich jedoch die Einrichtung auf der oberen und mittleren Ebene sparen und erst Erfahrungen sammeln. Ja, wie lange denn noch und vor allem, wie, wenn Sie nicht einmal in die praktische Erprobung einsteigen?Tatsache ist doch, daß nach wie vor die Mehrzahl der Frauen im mittleren Dienst beschäftigt ist. In Führungspositionen muß man sie mit der Lupe suchen. Sie behaupten zwar, den Frauenbeauftragten komme eine Schlüsselfunktion für eine fortschrittliche und effektive Verwaltung zu, andererseits haben Ihre Frauenbeauftragten nur sogenannte Mitwirkungsmöglichkeiten, jedoch nicht wie beispielesweise Personalräte Mitzeichnungsbefugnisse. Hier, sagen Sie, müßte ein Gesetz das Weitere regeln, halten jedoch ein solches Gesetz für verfassungsmäßig bedenklich. Warum halten Sie die Rechtspraxis, der Frauen täglich begegnen, nicht für verfassungsmäßig bedenklich?Tatsache ist doch, daß noch nicht einmal alle Ministerien eine Frauenbeauftragte auf oberster Ebene haben. Weiter: es besteht völlige Unsicherheit über ihre Aufgabe. Offenbar werden diese Aufgaben in jedem Ministerium verschieden interpretiert. Auch der Umfang der Freistellung für diese Aufgaben ist ebenfalls willkürlich. Im kleinsten Ministerium, dem für Frauen und Jugend, ist eine Freistellung von 80 % vorgesehen, im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, einem mittelgroßen, eine Freistellung von vier Tagen im Monat, im Finanzministerium, einem sicherlich großen Ministerium, keine Freistellung.Wundern Sie sich dann noch, daß nicht genügend geeignete Bewerbungen für diese Tätigkeit eingehen? Daß es hier engagierter Steuerungsmaßnahmen bedarf, zeigen Ihre eigenen Statistiken im Bericht zur Unterstützung der Richtlinie zur beruflichen Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung. Ohne ein Frauenförderungsgesetz, wie wir es vorgelegt haben, geht es also nicht.Nun zur betrieblichen Frauenförderung. Sie lassen sich mit vielen wärmsten Worten dazu aus, aber eine Sprachanalyse offenbart, worauf Sie hinaus wollen. Sie sprechen von wissenschaftlicher Begleituntersuchung, Leitfaden, Konferenz, Untersuchungen, Preisen, Initiativen, Kommissionen, Konzertierter Aktion, Empfehlung, Gutachterauftrag, Expertengespräch, Sonderprogrammen. Was Sie aber ablehnen, sind gesetzliche Regelungen. Sie verweisen auf die Sozialpartner; denn angeblich erfordert Chancengleichheit nur Initiative und Engagement, die nicht durch gesetzliche Regelungen bewirkt werden.Sie deuten selbst an, daß das Motiv für die Betriebe, Frauen zu fördern, der demographisch bedingte Rückgang an qualifiziertem Berufsnachwuchs ist.
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Hanna WolfHier haben wir also wieder die berühmte Reservearmee. Wir wissen, was mit ihr geschieht, wenn diese demographischen Bedingungen wieder wegfallen. Die Frauen werden heim an den Herd geschickt. In den neuen Bundesländern bekommen wir dies gerade vorgeführt. Hier stellen die Frauen 60 % der Erwerbslosen. Die Dunkelziffer ist noch höher. Deswegen sprechen Sie auch immer von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der eigentliche Ort der Frauen soll die Familie bleiben. Das aber ist lediglich Familienpolitik; dazu noch eine falsche. Denn Sie fördern weiterhin nur die faktische vaterlose Familie, auch wenn Sie gelegentlich einfließen lassen, daß die Vereinbarkeit für Eltern gedacht sei.Was sagen Sie zur Teilzeit? In den Bundesbehörden liegt sie bei 18 %, im Gegensatz zur übrigen Wirtschaft, wo sie bei 10 % liegt. Sie bleiben die Antwort schuldig, um welche Gehaltsstufen es sich handelt und wie sie sich auf männliche und weibliche Beschäftigte verteilt. Im Auftrag des Bundestages hieß es, alle Stellen in der Bundesverwaltung mögen grundsätzlich auch als Teilzeitstellen ausgeschrieben werden. In Ihrer im Herbst neugefaßten Frauenförderungsrichtlinie heißt es jedoch nur „unter Berücksichtigung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung" und „in geeigneten Fällen" . Für den Teilzeitbereich der privaten Wirtschaft gibt Ihr Bericht den verräterischen Hinweis, worauf es Ihnen bei der Teilzeit vor allem ankommt: Sie ist wirtschaftlich sinnvoll und beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisch notwendig.Was heißt denn das? Teilzeit ist für Sie das Ventil im Streben nach einer kontinuierlichen Verkürzung der täglichen Arbeitszeit. Sie wollen nicht für alle familienfreundliche Arbeitszeiten schaffen, sondern die Frauen sollen sie sich selbst suchen. Aus Not privatisieren Frauen so das gesellschaftliche Problem der nichtvorhandenen Kinderbetreuung und der generell zu langen täglichen Arbeitszeit. Auf Grund des geschlechtsspezifischen Lohngefälles beteiligen sich Männer daran kaum. Wir brauchen also ein Frauenförderungsgesetz, das diesen Namen verdient.Kommt die Rede auf Kinderbetreuungseinrichtungen, der familienpolitischen Maßnahme par excellence, so verweisen Sie sofort auf die Zuständigkeit der Länder, der Kommunen, der Betriebe und der privaten Träger. Damit haben Sie sich die Zuständigkeit vom Halse geschafft.Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben Sie in der jüngsten Debatte um den § 218 für 1996 in Aussicht gestellt. Welch eine Weitsicht!Die einzigen Maßnahmen, die Sie gegen den Kinderbetreuungsmangel erwähnen, sind die Abzugsmöglichkeiten der Kosten solcher Einrichtungen von Gewinnen, die die Betriebe haben. Daß durch solche betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen auch die Abhängigkeit der Beschäftigten — meistens sind es die Frauen in einem solchen Betrieb — zu einem Wohlwollen und Wohlergehen fixiert wird, erwähnen Sie nicht. Ich verweise hier auf die geschlossenen Betriebskindergärten in den neuen Bundesländern.An diesen vier wesentlichen Punkten Ihres Berichts — Frauenbeauftragte, Frauenförderung, Teilzeit und Kinderbetreuung — ist hinreichend klar geworden, daß die Instrumente, die Sie immer beschwören, keineFrauenförderung bewerkstelligen können, weil schon der Ansatz nicht stimmt. Soweit sie familienpolitisch sein sollen, haben Sie eine höchst biedermeierliche Vorstellung, die weder den Vorstellungen der Frauen entspricht noch den Bedürfnissen der Männer, die ihre Vaterschaft ernst nehmen wollen.Es gibt ein besseres Konzept: unseren Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Frau und Mann im Berufsleben.Ich möchte hier einige Punkte daraus noch einmal ins Gedächtnis rufen: Gleichstellungsklausel; Benachteiligungsverbot, ausgedehnt auf mittelbare Benachteiligung; Beweislast beim Arbeitgeber mit Schadensersatzpflicht und Bußgeld; Pflicht des öffentlichen Dienstes für Frauenförderung; Auftragsvergabe an Betriebe mit Frauenförderung; Gleichstellung von Teilzeit- und Vollzeitarbeit; jede Erwerbsarbeit ist sozialversicherungspflichtig. Ich könnte diese Skala noch fortsetzen.Vor elf Jahren — ich komme zum Schluß — hatten wir schon den Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" vorliegen. Was hätte darauf alles geschehen können und müssen?
— Ja, hören Sie auf, die Frauen mit halbherzigen Absichtserklärungen abzuspeisen! Tun Sie endlich wirklich etwas!
Das Wort hat die Kollegin Frau Margret Funke-Schmitt-Rink.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren! Liebe Mitstreiterinnen! In den beiden Beschlußempfehlungen zur „Richtlinie zur beruflichen Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung" und zum „Bericht der Bundesregierung zu den Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Gemeinden" hat der Ausschuß Frauen und Jugend deutlich gemacht, wie unzufrieden er mit den Ergebnissen ist, die hier als Frauenförderung definiert werden.Die Bundesregierung muß nun Hausaufgaben machen. In einem Jahr bzw. in drei Jahren soll sie wieder über die Förderung von Frauen berichten, dann hoffentlich aber über eine drastische Besserstellung. Eigentlich ist es ja ein Armutszeugnis, daß wir für so kleine Fortschritte schon so lange kämpfen.
Wir hoffen, daß sich die Berichtspflicht der Bundesregierung psychologisch so positiv auswirkt, daß sich der Anteil der Frauen in höheren Positionen tatsächlich erhöht.Außerdem wollen wir die Frauenfördermaßnahmen dann endlich auf eine detaillierte gesetzliche Grundlage gestellt sehen. Ebenso werden wir sehr wachsam sein, ob sich die qualitative Ausstattung der Frauenbüros auf allen Ebenen weiterentwickelt, d. h. ob die
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Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkFrauenbeauftragten endlich die Kompetenzen zur permanenten Einmischung erhalten.Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Frauengleichstellungsstellen sollen durch ihre Beteiligung an der politisch-administrativen Planung, durch ihre Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen und durch eigene frauenpolitische Initiativen eine gleichstellungsfördernde Umgestaltung der Politik erreichen, um so als frauenpolitisches Reforminstrument zu fungieren. Bisher wird den meisten Frauenbüros diese politische Funktion versagt. Ich wünsche allen Frauenbeauftragten auf allen Ebenen weiterhin revolutionäre Geduld und liebenswürdige Unverschämtheit bei ihrer Maulwurfarbeit.Frauenförderung, meine Herren und Damen, beginnt im Kopf, und zwar in den Köpfen der fördernden Männer und der geförderten Frauen. Wenn diese Behauptung richtig ist, muß ich bei der Analyse des „Berichts der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß hat" — das ist der Titel — feststellen, daß Förderung von Frauen in Topetagen überhaupt noch nicht begonnen hat. In über 1 000 Gremien, Ämtern und Funktionen der Bundesregierung sowie Organen von Körperschaften, Vorständen, Aufsichtsräten, Gerichten u. a., wo die Bundesregierung Einfluß hat, liegt der Frauenanteil bei 7,2 %. Das heißt, von 16 147 Gremienmitgliedern sind nur 1 156 Frauen. — Ein Skandal!Natürlich beklagt auch die Frauenministerin diesen Zustand, zumal sie ja weiß, daß es viele kompetente Frauen gibt. Aber liebe Frau Merkel, wo sind denn Ihre konkreten Instrumente zur Änderung? — Sie denken über eine Soll-Vorschrift nach, also darüber eine „Frauen-Berücksichtigungsklausel" in ein übergreifendes Gremiengesetz einzubringen, wie es schon in Belgien und Dänemark geschehen ist. Es wäre sinnvoll, diesen Weg weiterzuverfolgen.Auch im „Bericht der Bundesregierung zur Frage weiterer Maßnahmen der Frauenförderung im Beruf, Familie und anderen Bereichen" — das ist der Titel, der wohl der Kompliziertheit des Vorhabens entspricht — sind einige Maßnahmen genannt, z. B. Verbesserung der Bundesrichtlinie zur Frauenförderung, z. B. Erweiterung der Teilzeitarbeitsplätze in der privaten Wirtschaft, z. B. verstärktes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen in Bundesverwaltungen, z. B. Regelungen zur Verbesserung der häuslichen Pflege.Alle diese Maßnahmen sind sinnvoll und werden gebraucht. Doch wann werden diese Maßnahmen greifen? Erst dann, wenn unsere Töchter Rentnerinnen sind? Wie ist die Durchsetzung überhaupt gesichert? Bloße Appelle haben sich jahrelang als unwirksam erwiesen. Wir brauchen eine Grundlage, die verbindliche Wirkungen für das Verwaltungshandeln hat, besonders bei der Personalplanung und bei konkreten Verwaltungsentscheidungen, etwa durch leistungsbezogene Ziel- und Zeitvorgaben zur Erhöhung des Frauenanteils. Mit anderen Worten: ein Gleichstellungsgesetz. Mir persönlich gefällt das Wort Gleichstellungsgesetz besser als Gleichberechtigungsgesetz; denn es trifft den Inhalt besser.Wir Frauen haben in den letzten Jahren schmerzlich gelernt — das zeigen ja auch die vorliegenden Ergebnisse — , daß nicht die Förderung von Frauen, sondern nur die Veränderung der Verhältnisse Probleme lösen kann.
Die Einsicht, daß die verfassungsgarantierte Gleichberechtigung bisher wenig zum Abbau der gravierenden Benachteiligungen von Frauen beigetragen hat, zwingt zu vertiefter Analyse patriarchalischer Herrschaft. Diese manifestiert sich nirgendwo folgenreicher als in der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Eine Veränderung der Verhältnisse erhoffen wir uns also von dem Gleichstellungsgesetz.Es ist unbestritten, daß faktische Gleichheit der Geschlechter nicht allein durch Rechtsnormen hergestellt werden kann. Es handelt sich bei dem bestehenden Gleichheitsdefizit um ein „prismatisches Phänomen", das neben der rechtlichen auch soziale, psychologische, kulturelle und gesellschaftspolitische Dimensionen hat.
— „Prismatisches Phänomen" stammt von SchmittGlaeser, von einem der Ihren.Hieraus ergibt sich nun nicht, daß die Rechtsordnung unfähig ist, Veränderungen zu bewirken. Nach einer langen Geschichte und mühsamen Kämpfen um den Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes hat sich mit Hilfe einer großen Zahl von Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen und mehrerer juristischer Gutachten endlich eine Auffassung durchgesetzt, die fast als herrschende Meinung zu bezeichnen ist. Danach besteht eine positive Verpflichtung des Staates, die in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes grundrechtlich gewährleistete Gleichberechtigung der Frauen in den verschiedenen Lebensbereichen durch aktive Förderung und Unterstützung zu ermöglichen und zu sichern.Ernst Benda entwickelte die Formel der Doppelfunktion des Gleichheitsgrundrechtes einerseits als objektive Wertentscheidung der Verfassung, andererseits als individuelles Abwehrgrundrecht — auch für Männer — gegenüber einer geschlechtsspezifischen Benachteiligung.Ich möchte heute bei dieser Diskussion nicht einer — wie immer differenzierten — Quotierung das Wort reden. Obwohl ich persönlich Bendas Argumentation schlüssig finde, kenne ich doch gewichtige Gegenargumente, auch in der FDP. Aber den Versuch der Bundesregierung, mit einem lapidaren Satz Quotierung als „untaugliches Instrument der Frauenförderung" zu bezeichnen, halte ich für schlicht unzulässig.
Die juristische und politische Diskussion ist da schon viel weiter. Sie geht gegenwärtig von starren Entscheidungsquoten bis zu „weichen", leistungsbezogenen Zielvorgaben mit unterschiedlichen Zeitplänen und Förderinstrumenten, die auch Ergebnisquoten genannt werden, aus. Ich bin sehr froh, Frau Böhmer, daß auch Sie das positiv erwähnt haben.
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Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkSchließlich gibt es schon in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Bremen und Hamburg — in Hessen wird zur Zeit darüber diskutiert — Frauenfördergesetze mit Entscheidungsquoten. Es wird wohl auch hier in Zukunft der Zufall des Wohnorts entscheiden, ob Frauen nach oben kommen oder nicht. Wenn man aber keine Quoten will, meine Herren und Damen, dann muß man Frauen wollen, d. h. realisierbare Alternativen und Perspektiven aufzeigen, die nicht erst in 50 Jahren greifen. Diese vermisse ich leider.Die Frauenministerin hat vielleicht Berührungsängste? Immerhin, wenn sie zur Ersten Stellvertreterin des CDU-Vorsitzenden gewählt wird, hat sie dies einer leistungsbezogenen Zielvorgabe zu verdanken. Warum will sie dieses Erlebnis anderen Frauen vorenthalten?
Ein weiterer Kernpunkt des beabsichtigten Gleichstellungsgesetzes, der hoffentlich eher durchsetzbar sein wird, ist die von der FDP und inzwischen auch von den Koalitionsfraktionen geforderte weisungsungebundene Bundesgleichstellungsbeauftragte. Ihre Stellung soll ähnlich der des Datenschutzbeauftragten sein.Diese Bundesgleichstellungsbeauftragte soll zwei Aufgabenschwerpunkte haben, nämlich erstens die Abwehr von Verstößen gegen das Gleichberechtigungsgebot und zweitens die Förderung der faktischen Gleichstellung der Frau. Sie soll wichtige Kompetenzen haben, nämlich Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht, Zutrittsrecht zu Betrieben und Behörden, Abmahnungsrecht, Berichterstattungs- und Veröffentlichungsrecht und eigenes Klagerecht wegen „struktureller Benachteiligung von Frauen", z. B. bei sozialrechtlicher Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Frauen. Auch dieser Weg wäre eine Möglichkeit, eine Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen.Frauenförderung, meine Herren und Damen, beginnt im Kopf. Deshalb möchte ich zum Schluß noch einmal auf die Frauen eingehen, die nach Führungspositionen streben. Frauen müssen umdenken, wenn sie in die oberen Etagen wollen. Das gilt für den öffentlichen Dienst wie für die Privatwirtschaft. Nur 2,6 % aller GmbH-Geschäftsführer sind Frauen. Bei den Vorständen der deutschen Aktiengesellschaften liegt der Anteil bei 0,7 %, besser: bei 7 Promille.Hohe fachliche Qualifikation, humane Mitarbeiterführung und außerordentliche Einsatzbereitschaft reichen nicht für die Karriere. Sie sind der — geschlechtsneutrale — Grundeinsatz, den jeder Mitspieler, jede Mitspielerin zu leisten hat. Es ist auch nicht eine Frage der Zeit, bis sich Frauen in der Topetage durchgesetzt haben. Solche Glaubenssätze nähren nur Illusionen; denn Karriere ist nichts anderes als ein Powerplay, d. h. ein Spiel um Macht und Ansehen. Die Spielregeln sind anders als jene, die kleine Mädchen gelernt haben. Sie fordern Kampfgeist, Härte und Frustrationstoleranz, und sie streifen Fragen der Moral, der Ethik und des Anstands. Hier werden keine Florence Nightingales gebraucht, sondern Frauen, die das Spiel unbedingt gewinnen wollen.Fazit: Frauen, die einen beruflichen Aufstieg vorhaben, müssen ihre Selbstbewertung korrigieren, müssen ihr weibliches Selbstbild stärken. Wenn Frauen die von Männern aufgestellten Spielregeln durchschauen, wenn sie mitspielen und überdies spezifisch weibliche Fähigkeiten einbringen, nämlich Teamfähigkeit und Kommunikationsgeschick, dann haben sie auf längere Sicht die besten Chancen, nach oben zu kommen.
Die Dienstleistungskultur funktioniert nicht ohne weibliche Kompetenz. Kundenkommunikation und Imagepflege sind nicht primär — wie Gertrud Höhler es ausdrückt — ein Kampfprodukt männlicher Provenienz, sondern eine weibliche Domäne. Bindungen schaffen und Bindungen halten, das sind weibliche Fähigkeiten, die Männer nicht übernehmen können.
Das Wort hat die Frau Kollegin Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist von Frauenförderung die Rede. Auf dem Gebiet meiner ehemaligen Heimat, der Ex-DDR, erleben wir zur Zeit einen ganz anderen Prozeß.
— Das hier ist nicht meine Heimat; das stimmt. —Frauen werden dort nicht nur nicht gefördert, sondern gezielt und in voller Absicht aus dem Erwerbsarbeitsprozeß hinausbefördert. Der Anteil von Frauen an der Gesamterwerbslosigkeit liegt dort bereits bei über 60 %, während ihr Anteil an der Zahl der Neuvermittlungen und der AB-Maßnahmen bei nur 39 bzw. 38 liegt.Damit geht es ihnen kaum schlechter als den Frauen im Westen. Die offizielle Erwerbslosenquote der Frauen im Westen beträgt zur Zeit 47,9 %. Es ist allerdings davon auszugehen, daß sie in Wirklichkeit viel, viel höher ist, da es im Westen eine sehr große verschleierte Erwerbslosigkeit von Frauen gibt. Frauen, die aus familiären Gründen aus der Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, erscheinen, wenn ihnen der Wiedereinstieg nicht gelingt, in keiner Statistik.Beim Lesen der hier heute vorliegenden Berichte der Bundesregierung weiß Frau nun wirklich nicht, ob sie weinen oder lachen soll, z. B. deswegen nicht, weil die einzige Maßnahme, mit der dieser erbärmlichen Situation entgegengewirkt werden könnte, nämlich die Quotierung der Erwerbsarbeit, von der Bundesregierung kaltschnäuzig abgelehnt wird. Dabei gibt man sich noch nicht einmal die Mühe des Versuchs, diese Ablehnung sachlich zu begründen. Es gibt auch keine stichhaltige Begründung für diese Ablehnung — bis auf die eine: Eine Quotierung wäre wirksam.Die Vergabe aller freiwerdenden Stellen an Frauen so lange, bis ihr Anteil in allen Bereichen 50 % beträgt, wäre die einzig wirklich wirksame Maßnahme zur ökonomischen und auch gesellschaftlichen Gleich-
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Christina Schenkstellung von Frauen. Das gilt für den Erwerbsbereich ebenso wie für die Besetzung von Gremien.Feministinnen wollen mit dieser Forderung nichts anderes als den Widerspruch zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit schließen. Auf schöne Worte, die in diesen heute hier vorliegenden Berichten zuhauf vorhanden sind, sollten endlich Taten folgen. Wer das nicht will, der will die ökonomische und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen nicht, und der hat wohl als Mann — ich meine, die Zusammensetzung des heutigen Auditoriums zeigt ja sehr augenfällig, wie es um das Interesse von Männern an dieser Problematik bestellt ist — gute Gründe dafür.Die Benachteiligung von Frauen ist die Voraussetzung von Männerkarrieren, einerseits, weil sie die Gewähr dafür bietet, daß Männer die begehrten Stellen besetzen, andererseits aber auch dadurch, daß die Ausgrenzung von Frauen aus dem Erwerbsleben dazu führt, daß diese zu Hause bleiben müssen, wo sie für Männer dann diejenigen Arbeiten verrichten, auf die diese für ihre Reproduktion, für ihre Erholung angewiesen sind. Auf diese Weise tragen Hausfrauen dazu bei, ihre Männer im Konkurrenzkampf gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen im Erwerbsleben zu unterstützen. Welcher erwerbstätigen Frau wird die Reproduktionsarbeit im Privatbereich schon so weitgehend abgenommen wie einem verheirateten Mann?Frauen, ob alleinstehend, verheiratet oder in Beziehung mit einem Mann lebend, putzen ihren Dreck zu Hause selber weg, kaufen ein, bekochen sich und andere. Sie sind deswegen doppelt belastet und im Erwerbsleben verheirateten Männern, bei denen zu Hause diese Arbeiten von einer Frau erledigt werden, immer unterlegen.Insofern ist die Hausfrauenarbeit am erwachsenen Mann keineswegs eine harmlose Tätigkeit, sondern ein Mittel, mit dessen Hilfe Frauen ihre Männer im Konkurrenzkampf gegen andere Frauen unterstützen. Es ist deswegen direkt gegen die soziale Gleichheit von Frauen und Männern gerichtet, wenn die Hausfrauentätigkeit in irgendeiner Weise, z. B. durch das Ehegattensplitting, auch noch unterstützt wird.Eine strikte Quotierung aller Erwerbsarbeitsplätze hätte hingegen den gegenteiligen Effekt. Wenn die Hälfte aller Arbeitsplätze an Frauen vergeben würde, dann müßte schließlich die Hälfte aller Männer zumindest zeitweise zu Hause bleiben, sich um die Kinder, die Alten und die Kranken kümmern, und sie müßten ihren Frauen ein trautes Heim bereiten. Ich denke, das täte dieser Gesellschaft nicht schlecht.Die Maßnahmen, die hier in bezug auf die Erwerbsarbeit vorgesehen werden — Teilzeitarbeit und Flexibilisierung — , gehen in die entgegengesetzte Richtung. Es ist eine absolute Farce, wenn in diesen Berichten geschrieben steht, Teilzeitarbeit dürfe sich nicht nachteilig auf das Fortkommen im Beruf auswirken. Ich frage Sie: Welche Wirkung hat Teilzeitarbeit denn sonst? Außerdem können Frauen von Teilzeiteinkommen nicht selbständig leben und bleiben weiterhin von Männern abhängig. Wenn sie als Teilzeitbeschäftigte erwerbslos werden, rutschen sie in dieSozialhilfe. Wenn sie in diesem Fall das Pech haben, verheiratet zu sein, bekommen sie noch nicht einmal diese. Wenn Teilzeitarbeit nur oder in erster Linie an Frauen adressiert ist oder Frauen ermöglicht wird, manifestiert sie die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Mann und damit ihre Unfreiheit.Das gleiche gilt für das vermeintliche Zauberwort Flexibilisierung. Flexible Arbeitszeiten richten sich nicht nach den Bedürfnissen von Frauen oder denen ihrer Kinder, sondern nach dem Kundenandrang an den Kassen in den großen Supermärkten oder den vermeintlichen Sachzwängen sonstiger flexibilisierter Erwerbsarbeitsplätze.Meine Damen und Herren, weder Teilzeitarbeit noch Flexibilisierung sind gute Lösungen für Frauen. Vorteile bieten sie ausschließlich den Unternehmen, die das Dilemma, in dem sich Frauen durch ihre familiale Situation befinden, schamlos ausnutzen. Ich sage es noch einmal: Alle Absichten und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit dem Leben mit Kindern sind kontraproduktiv, wenn sie ausschließlich an Frauen adressiert sind. In den vorliegenden Berichten vermisse ich Überlegungen der Bundesregierung zur Vereinbarkeit der Erwerbsarbeit von Männern mit ihrer Rolle als Väter. Ohne solche Überlegungen kommen wir in der Grundsatzfrage keinen Schritt weiter.In allen vier Berichten, die uns heute vorliegen, wird jegliche Forderung, die eine wirkliche Änderung der Situation von Frauen herbeiführen könnte — und zwar nicht nur graduell, sondern auch grundsätzlich — , tunlichst vermieden. Es werden die Fakten genannt; zum Teil werden sie sogar beklagt. Ich meine, deswegen sind diese Berichte für uns Feministinnen und vor allen Dingen auch für die Frauen im Unabhängigen Frauenverband nützlich. Sie sind eine gute Situationsbeschreibung, jedoch ohne den erkennbaren Willen zur Veränderung.Ich komme zum Schluß. Frauen in Ost und West sind in der Situation, daß sie konstatieren müssen, daß in den letzten Jahren ausschließlich Rückschläge zu verzeichnen sind: durch den Vormarsch von Flexibilisierung und Teilzeitarbeit im Westen und durch die Vereinnahmung und damit den Wegfall sämtlicher statusdefinierender Positiva für Frauen im Osten.Der enorme Rückgang der Geburtenrate vor allem im Osten ist eine richtige und, wie ich finde, sehr vernünftige und jedenfalls individuell gegebene Antwort auf die Situation, in der wir uns befinden.Der Unabhängige Frauenverband, den ich hier im Bundestag vertrete, hat, denke ich, eine Schlüsselfunktion in bezug auf die Organisation des kollektiven Widerstands von Frauen. Wir haben dabei natürlich nicht die Hoffnung auf schnelle Veränderungen; dazu leben wir ganz offensichtlich nicht in der richtigen Zeit. Wir verstehen uns vielmehr als Teil der historischen Kette unzähliger Personen, Gruppen und Aktionen auf dem Weg zur Befreiung der Frau.Die Herrschaft von Männern in dieser Gesellschaft ist fest verankert. Ich denke, Frauen müssen da einen langen Atem haben, um das zu ändern. Das Patriarchat mit all seinen repressiven und destruktiven Erscheinungsformen, die ja sehr, sehr deutlich werden,
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3992 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Christina Schenkwenn man den Blick weg von Deutschland und weg von Europa richtet und sich den globalen Zustand der Erde ansieht, wird entweder die Welt zugrunde richten, oder es wird fallen. Wir haben dabei mitzureden, und ich hoffe, daß es uns gelingt, diese Chance zu nutzen.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Frau Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht der Bundesregierung zu frauenpolitischen Maßnahmen, den wir begrüßen, zeigt uns die Ansatzpunkte künftiger Frauenpolitik. Aus der „Brigitte"-Studie wissen wir: Frauen wollen beides, nämlich Familie und Beruf. Wenn die Mehrzahl der jungen Frauen heute Berufe und Familie miteinander vereinbaren will, muß die Politik die Rahmenbedingungen so gestalten, daß dies auch möglich ist. Dabei setzen wir von der CDU/CSU auf das Prinzip der Wahlfreiheit. Wer sich für die Familientätigkeit als Beruf entscheidet,
hat genauso unsere Unterstützung wie die erwerbstätige Frau. Das Wort „Nur-Hausfrau" ist Gott sei Dank in den letzten Jahren nicht mehr so oft zu hören. Ich denke, das ist auch darauf zurückzuführen, daß diese Bundesregierung durch ihre hervorragende Familienpolitik — ich nenne die Einführung des Erziehungsurlaubes und des Erziehungsgeldes — der Familientätigkeit wieder einen anderen Stellenwert gegeben hat. Wir sehen die Selbstverwirklichung der Frau nicht nur in der Erwerbstätigkeit. Es muß jeder Frau selbst überlassen bleiben, ob sie sich ganz der Familie oder ganz dem Beruf widmen oder ob sie Familie und Beruf in Einklang bringen will.
Das ist der Punkt, in dem wir uns von Ihnen unterscheiden.Daß die einseitige Fixierung auf die Erwerbstätigkeit der Frauen letztlich nicht weiterhilft, sehen wir am Beispiel der ehemaligen DDR. Frauen hatten dort keine andere Wahl, als erwerbstätig zu sein, unabhängig davon, ob sie das wollten oder nicht, unabhängig davon, ob sie ihre Kinder lieber selbst erzogen hätten, statt sie den staatlichen Einrichtungen überlassen zu müssen.Nach unserer Meinung ist es richtig, von dem auszugehen, was Frauen wollen. Ideologien, die vorschreiben, was Frauen zu wollen haben, sind fehl am Platz.
Wir sind uns sicher alle einig, wenn ich feststelle, daß wir von der Verwirklichung der Gleichberechtigung für Frau und Mann noch weit entfernt sind. Wir sind uns sicher auch einig, wenn ich feststelle, daß wir diese Gleichberechtigung erreichen wollen. Strittig sind jedoch die Instrumente, mit denen wir dieses Ziel erreichen können. Die Union lehnt starre Quoten im Berufsleben ab. Solch dirigistische Maßnahmen sind nicht nur verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, sondern haben sich bisher auch nicht bewährt. Wenn sogar die hessische Frauenministerin Heide Pfarr feststellt, daß sich solche Quoten als nicht effektiv genug erwiesen hätten, ist das die Bestätigung unserer Politik. Frauen, die nicht auf Grund von Qualifikation, sondern dank Quote in Führungspositionen gelangen, stehen unter Druck. Sie müssen erst beweisen, daß sie diese Position zu Recht innehaben. Das kann leicht zum Gegenteil dessen führen, was wir erreichen wollen, und kann bestehende Vorurteile fördern statt abbauen.Nach unserer Meinung sind klare Richtlinien und entsprechende Maßnahmen zur Frauenförderung hilfreicher als Quoten.
Es ist ein Unterschied zwischen Wort und Tat, liebe Frau Kollegin Funke-Schmitt-Rink. Ich erinnere nur an die Blockade Ihrer Partei gegenüber der Initiative „Frauen am Arbeitsplatz" in der letzten Legislaturperiode. Ich nenne nur das Stichwort: Umkehr der Beweislast.
— Hoffentlich.Ein ganz wichtiger Punkt bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein der Nachfrage entsprechendes Angebot an qualifizierten Teilzeitarbeitsplätzen. Der öffentliche Dienst hat hier Vorbildfunktion. Wenn wir in den nächsten Monaten über das zu verabschiedende Gesetz zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern diskutieren, muß ein wichtiger Gesichtspunkt sein: Teilzeitarbeit darf sich nicht nachteilig auswirken. Bestehende Benachteiligungen bei Fortbildung und beruflicher Entwicklung müssen beseitigt werden. Verschiedene Formen der Teilzeitarbeit sind nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. Die Erfahrungen Vorgesetzter mit Teilzeitkräften sind äußerst positiv. Wenn wir von Teilzeitarbeit sprechen, geht es uns aber vor allem um die Schaffung qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze. Ein Modellversuch des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit, Familie und Sozialordnung hat bewiesen, daß es durchaus möglich ist, auch Führungsstellen auf Teilzeitkräfte zu übertragen. Es kommt nur auf die entsprechende Organisation an.Die Gewerkschaften melden gegen die Ausweitung der Teilzeitarbeit immer noch Bedenken an, obwohl in den letzten Jahren zu beobachten ist, daß sie begonnen haben, Teilzeitarbeit tariflich abzusichern. Eine stärkere tarifliche Einbindung von Teilzeitarbeit wäre jedoch erforderlich.Viele Frauen wollen ihre Erwerbstätigkeit zugunsten ihrer Kinder für eine bestimmte Zeit ganz unterbrechen. Die Ausdehnung des Erziehungsurlaubs mit Beschäftigungsgarantie zum 1. Januar 1992 auf drei Jahre kommt diesem Wunsch entgegen. In unserer
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Maria Eichhornschnellebigen Zeit ist das — wenn auch nur vorübergehende — Ausscheiden aus dem Beruf nicht ohne Folgen. Berufliche Anforderungen ändern sich rasch. Programme zur Wiedereingliederung von Frauen in das Erwerbsleben sind daher besonders wichtig, vor allem dann, wenn sich eine Frau längere Zeit der Kindererziehung gewidmet hat.Berufliche Fort- und Weiterbildung ist ein wichtiger Aspekt der Frauenförderung. Mehr als bisher muß dabei darauf geachtet werden, daß bei Weiterbildungsangeboten die Kinderbetreuung gesichert ist.
Voraussetzung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch ein ausreichendes Angebot familienergänzender Kinderbetreuungseinrichtungen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab dem 3. Lebensjahr wird gesetzlich verankert werden.
Dies ist von uns auf Grund der Finanzlage für 1997 vorgesehen; doch es bleibt den Ländern natürlich unbenommen, es schon vorher zu verwirklichen. Wenn ich in der letzten Woche gelesen habe, daß das Land Nordrhein-Westfalen in sein jetzt geändertes Kindergartengesetz einen Rechtsanspruch nicht aufgenommen hat, dann kann ich nur sagen: Zwischen Wort und Tat ist bei der SPD doch ein himmelweiter Unterschied.
Erst nach 1995 soll über die Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs auf Kindergartenplätze wieder nachgedacht werden, so sagte eine SPD-Sprecherin aus Nordrhein-Westfalen.
— Auch dies ist eine Planung auf sehr weite Sicht. Bayern wird diesen Anspruch demnächst verwirklichen!
Verschiedene Formen von Kinderbetreuungseinrichtungen sind zweifelsohne notwendig. Doch zeigen uns die Erfahrungen in der ehemaligen DDR, daß berufliches Vorwärtskommen nicht zu Lasten der Kinder gehen darf. Externe Vollzeitbetreuung von Kindern kann nicht der richtige Weg zur Selbstverwirklichung sein. Die Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Erziehungsgeld und des Erziehungsurlaubs und weitere familienpolitische Leistungen geben der Mutter oder selbstverständlich auch dem Vater die Möglichkeit, in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder zu Hause zu bleiben. Kinderkrippen und Krabbelstuben sehe ich deswegen nur als Ergänzung für diejenigen Familien, für die solche Einrichtungen aus ihrer Lebenssituation heraus erforderlich sind. Dies gilt ebenso für Ganztagskindergärten und Ganztagsangebote bei Kindern im Schulalter. Allerdings ist dabei der zunehmenden Zahl von Alleinerziehenden Rechnung zu tragen.Meine Damen und Herren, diese heutige Debatte ist eine gute Vorbereitung für die Diskussion über dasGesetz zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Unser Ziel ist, durch entsprechende Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen und damit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein Stück näherzukommen.
Das Wort hat Frau Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bestandsaufnahme des Berichts zur Gleichstellungspolitik in den Ländern und Gemeinden finde ich sehr detailliert und informativ. Doch ich wäre froh gewesen, wenn auch bei der Bewertung der bisherigen Einrichtungen und ihrer Arbeit stärker auf die unmittelbaren Erfahrungen vor Ort bzw. auf Berichte von Gleichstellungsbeauftragten oder Leiterinnen von Gleichstellungsstellen und Frauenbüros zurückgegriffen worden wäre; denn der Bericht bleibt überall dort, wo es um Bewertungen von erfolgreicher oder weniger erfolgreicher Arbeit geht, im Vagen, beschränkt sich auf Andeutungen von Mißständen und drückt sich davor, die Probleme beim Namen zu nennen. An keiner Stelle wird gesagt, daß gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen oder Frauendiskriminierung nicht ein schnell zu beseitigendes Übergangsphänomen ist, sondern daß dem strukturelle Ursachen zugrunde liegen, die seit Jahrhunderten erfolgreich funktionieren, wie das Wirken patriarchalischer Bevormundung, die Zementierung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung oder die gesellschaftliche Rollenzuweisung, die Frauen in der Hauptsache auf Kinder und Haushalt festlegen.Der Bericht betreibt Schönfärberei und Verharmlosung. Da heißt es z. B.:Es besteht heute Konsens darüber, daß die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in den Gesetzen und sonstigen Rechtsnormen von Bund, Ländern und Gemeinden weitestgehend gewährleistet ist, daß auch hinsichtlich der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern wesentliche Fortschritte erreicht worden sind und daß sich Tendenzen in Richtung auf die Gleichbehandlung ... abzeichnen.Ich hätte schon gern gewußt, wo ein solcher Konsens besteht. Ich jedenfalls könnte eine Vielzahl von Beispielen gerade auch aus den neuen Bundesländern dafür liefern, daß wir weder de jure noch de facto den oben beschriebenen Stand erreicht haben. Zumindest de jure fangen wir in den neuen Bundesländern ja nicht am Punkt Null an — um auch das einmal deutlich zu sagen.Einige Seiten weiter heißt es dann auch im Bericht über die Eingriffsinstrumentarien der Bundesregierung:In der Praxis der politischen Arbeit geht dies nicht immer ohne Konflikte vonstatten, da Frauenpolitik häufig noch gegen Vorurteile und überholte Vorstellungen ankämpfen muß und bisweilen mit anderen Interessen kollidiert . . .
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3994 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Petra BlässDamit dieser Hauch von Realismus schnell wettgemacht wird, verspricht die Bundesregierung wenig später, daß sie alle Anstrengungen unternimmt, um „die rechtliche und faktische Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu verwirklichen und dafür in ihrem Einflußbereich Institutionen zu schaffen, die diesen Prozeß befördern".Dafür, daß ihr dies in ihrem eigenen Zugriffsbereich kaum in Ansätzen gelungen ist, steht nun wirklich der Bericht über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen vom 30. April dieses Jahres. Wenn sich in über der Hälfte der Gremien, auf die die Bundesregierung Einfluß hat, keine einzige Frau findet, dann bleiben alle Beschlüsse zur Frauengleichstellung wirklich reine Makulatur.Was den zunächst zweifellos erfreulichen Fakt der Einrichtung von Gleichstellungsstellen betrifft, so muß konstatiert werden, daß die von seiten der Frauenbewegung erhobenen Forderungen nach Unabhängigkeit, Entscheidungskompetenz und rechtlicher Absicherung durch deren halbherzige Ausstattung vielfach unterlaufen werden konnten. Wenn man Gleichstellungsstellen lediglich Beratungsaufgaben zubilligt oder wenn ihre Rechte auf interpretationsfähigen Kann-Bestimmungen beruhen, verpufft ihre Wirkung, und es bleibt alles, wie es ist.Aus den meisten Erfahrungsberichten von Gleichstellungsbeauftragten auf Länder- oder kommunaler Ebene geht hervor, daß rechtliche Grundlagen geschaffen werden müssen, die folgende Punkte absichern: direkte Anbindung bei den Leitungen, eigenständige Haushaltstitel, eigenständige Öffentlichkeitsarbeit, Rede- und Antragsrecht in allen Gremien, Vetorecht, eindeutige Festlegung der Kompetenzen, Mitwirkungsrechte bei Personalangelegenheiten. Nur wenn die Arbeit der Gleichstellungsstellen auf der Grundlage dieser oder einer ähnlichen Absicherung arbeiten kann, wird sie wirklich etwas in Richtung Gleichstellungspolitik bewegen können.Wichtig erscheint mir allerdings darüber hinaus, daß die Verwirklichung des in Art. 3 des Grundgesetzes formulierten Gleichheitsgrundsatzes nicht länger nur einem Ressort zugewiesen wird. Es handelt sich schließlich um eine auch von der Ministerin Merkel so genannte gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Es gibt ja wohl kein anderes Grundrecht, bei dem eine solche Abschiebung in ein Ressort hingenommen würde.Meine Damen und Herren, der Bericht zur Umsetzung der Richtlinie zur beruflichen Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung macht deutlich, daß die 1986 verabschiedete Frauenförderungsrichtlinie nicht zur Besserstellung der Frauen in der Bundesverwaltung geführt hat. Verbesserungen in der beruflichen Bildung sind zwar zu erkennen, aber die Zahl der Frauen in Führungsfunktionen hat sich nur geringfügig erhöht. Frauen in Leitungen von Behörden stellen nach wie vor eine verschwindende Minderheit dar.Ergebnis dieser dürftigen Bilanz war eine Neuformulierung der Frauenförderungsrichtlinie von 1990. Leider sind die dort festgelegten Maßnahmen ebenso halbherzig wie unwirksam. Immerhin konstatiert der Bericht die Bereitschaft der Verantwortlichen in derPersonalverwaltung, Frauen stärker als bisher zu berücksichtigen. Auf die entsprechenden statistischen Ergebnisse dürfen wir gespannt sein.Grundsätzlich läßt sich für die Situation von Frauen im öffentlichen Dienst auf Bundes-, aber weitgehend auch auf Länderebene eine entscheidende Tendenz feststellen: Auch wenn sich der quantitative Umfang von Fraueneinstellungen und von Frauenförderung verändert, bleibt qualitativ alles beim alten. In den niedrigen Lohngruppen ist der Frauenanteil sehr hoch, und er erhöht sich weiter. Mit zunehmender Entscheidungsbefugnis und Leitungstätigkeit nimmt der Frauenanteil allerdings systematisch ab, und so bilden Frauen nach wie vor das sogenannte Fußvolk in den Behörden und in der Verwaltungshierarchie.Angesichts dieser Tatsache bleibt es unverständlich, warum sich die Bundesregierung nicht zu einer entschiedeneren Haltung zur Frauenförderung durchringen konnte. Auch in der 1990 verabschiedeten Richtlinie wird an schwammigen Formulierungen und Kann-Vorschriften festgehalten. Eine verbindliche Quotierungsregelung ist ebensowenig vorgesehen wie die vorrangige Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation bzw. ihre vorrangige Beförderung.Im Gegenteil, im Bericht zur Frage weiterer Maßnahmen zur Frauenförderung in Beruf, Familie usw. erklärt die Bundesregierung die Quotenregelung unter Verweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen für verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. In vorauseilendem Gehorsam macht sich die Bundesregierung die Argumentation zu eigen, daß eine Differenzierung nach dem Geschlecht ausgeschlossen sei und eine Ungleichbehandlung auch nicht aus dem Gedanken der Kompensation von Nachteilen gefertigt sei. Das ist angesichts einer Wirklichkeit einfach zynisch, wo zum Nachteil von Frauen ständig differenziert wird: bei der Entlohnung, bei der Rente, der Berufswahl, auf dem Arbeitsmarkt.Auch in diesem Bericht wird die geschlechtsspezifische Differenzierung überaus deutlich. Als eine zentrale Maßnahme zur Frauenförderung in der Bundesverwaltung werden den Frauen Teilzeitarbeitsplätze angeboten, damit sie Beruf und Familie vereinbaren können. Damit wähnt sich die Bundesregierung bereits auf dem Weg, die Gleichberechtigung der Frauen zu verwirklichen.Ich halte es für erforderlich, daß die Frauenförderungsrichtlinie für die Bundesverwaltung in den von mir genannten Punkten geändert wird, damit wirkliche Gleichstellung möglich wird. Ich denke, der öffentliche Dienst hat in diesem Bereich Vorreiterfunktion zu übernehmen.Danke.
Das Wort hat die Ministerin für Frauen und Jugend, Frau Angela Merkel.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 3995
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat durch die Schaffung eines Frauenministeriums deutlich gemacht, daß es zum einen die Familienpolitik — da geht es um die Verantwortung von Müttern und Vätern — und zum anderen die Notwendigkeit gibt, die Chancengleichheit von Frauen in dieser Gesellschaft durchzusetzen. Deshalb gibt es ein Frauenministerium. Ich habe mich von meinem ersten Amtstag an sehr gewundert, warum gerade Sie von der SPD diese Teilung so kritisiert haben; denn heute haben Sie eigentlich viele Argumente dafür geliefert, warum sie richtig war.
Ich möchte vorab noch eines sagen: Staatliche Frauenförderung ist richtig. Aber es handelt sich bei der Frauenförderung — das als Vorspann — um ein gesamtgesellschaftliches Problem, bei dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gesetzgeber, Familien und jeder einzelne gefordert sind. Wir dürfen keine Politik an den Frauen vorbei machen, sondern müssen uns an ihren wirklichen Wünschen, die sie in der heutigen Zeit in ihrer jeweiligen konkreten Situation haben, orientieren.
Wir beraten heute über eine Reihe frauenpolitischer Berichte und Vorlagen. Die zur Beratung anstehenden Beschlußempfehlungen kennzeichnen das große Feld, auf dem Frauenförderung vorangetrieben werden muß, und machen folgendes deutlich:Die Frauenförderung hat — trotz aller Defizite — in den 80er Jahren an Fahrt gewonnen.
Die von der Bundesregierung entwickelten Instrumentarien, Frauen verstärkt in verantwortliche Positionen aufrücken zu lassen und ihren Anteil im gehobenen und im höheren Dienst zu steigern, zeigen — wenn auch langsam — Erfolg.Die Bundesrepublik Deutschland hat ein dichtes Netz von Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Gemeinden geschaffen.
Um dieses Netz von Gleichstellungsstellen beneiden uns viele Länder in Europa und in der Welt.
Die Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten nehmen langsam, aber sicher klare Konturen an.Als die Bundesregierung ihren Bericht zu den Gleichstellungsstellen verfaßte, standen die Überlegungen, in den obersten Bundesbehörden Frauenbeauftragte einzusetzen, noch am Anfang. Heute haben wir in 13 Ministerien, im Bundeskanzleramt, im Presse- und Informationsamt Frauenbeauftragte. In den anderen Ministerien wird die Einsetzung von Frauenbeauftragten in Kürze abgeschlossen sein.
Trotzdem sage ich: Wir kommen mit der Förderung von Frauen viel zu langsam voran.
Wir müssen deshalb den Fahrplan zur Gleichberechtigung beschleunigen, so wie die Bundesregierung ihn in ihren Berichten zur Frage weiterer Maßnahmen darstellt und wie sie das auch in ihrer Regierungserklärung im Januar 1991 ausgeführt hat.Die Bundesregierung hat durch die Neufassung der Richtlinie zur Frauenförderung in der Bundesverwaltung vom 25. September 1990 vor allem in der Frage der Frauenbeauftragten sowie auch in der Frage der Teilzeitbeschäftigung durchaus neue Elemente der Frauenförderung eingebracht. Wir werden das mit einem Gleichberechtigungsgesetz fortsetzen, das diese Frauenförderrichtlinie auf eine gesetzliche Grundlage stellt.
Und bei allen Vorbehalten, die auch ich habe: Es hat in der Bundesrepublik Deutschland noch nie eine Zeit gegeben, in der das Instrumentarium für die Förderung von Frauen so konsequent und in so kurzer Zeit ausgebaut wurde, wie das in den letzten Jahren geschehen ist.
Der erste Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Frauenförderrichtlinie macht deutlich: Die Situation von Frauen in der Bundesverwaltung hat sich seit 1986 verbessert. Die Zahl der beschäftigten Frauen erhöhte sich im Berichtszeitraum kontinuierlich um 4 000 auf 290 000 Frauen, obwohl die Zahl der Stellen insgesamt um 20 000 abgenommen hat. Diese Entwicklung setzte sich auch 1989 und 1990 fort. Wir haben jetzt 306 200 Frauen in den obersten Bundesbehörden beschäftigt. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten liegt jetzt bei 27,3 %; 1986 waren es 24,9 %.Die Situation der Frauen verbesserte sich auch im Hinblick auf ihren beruflichen Status. Im Berichtszeitraum stieg der Frauenanteil sowohl im gehobenen als auch im höheren Dienst deutlich an. Die Anzahl der Beamtinnen im gehobenen Dienst erhöhte sich um 17,4 %, bei den Beamtinnen des höheren Dienstes sogar um 22 %.
1990 wurde rund ein Viertel der neuen vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen in Besoldungs- bzw. Vergütungsgruppen des höheren und gehobenen Dienstes eingestellt.Weitere Verbesserungen sind — das sollten wir auch nicht übersehen — : Immer mehr Ressorts beteiligen Frauen in den Personalreferaten und in den Auswahlgremien. Ich halte es auch für ganz wichtig, daß die Ausschreibungs- und Einstellungspraxis wesentlich offener geworden ist. Spezielle Hinweise, wonach Bewerbungen von Frauen besonders willkommen sind, und der ausdrückliche Hinweis auch bei qualifizierten Funktionen, daß auch Teilzeitarbeit möglich
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3996 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Bundesministerin Dr. Angela Merkelist, setzen sich, wenn auch langsam, immer mehr durch.
— Jede Stelle, die als Teilzeitbeschäftigung ausgeschrieben wird, ist selbstverständlich auch als Teilzeitstelle für Männer möglich. Wir haben das im Frauenministerium schon seit Jahren praktiziert.
— Die Frauenabteilung gibt es schon seit vielen Jahren; ich bitte Sie. Sie wissen doch, wann „Frauen" in die Bezeichnung des damaligen Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit aufgenommen wurde.
Die Teilzeitbeschäftigung hat teilweise beachtlich zugenommen. Es wurde hier schon gesagt, daß es im öffentlichen Dienst 18,3 % teilzeitbeschäftigte Frauen gibt. Das ist deutlich mehr als der Anteil in der Gesamtwirtschaft.
— Das habe ich in der Tat nicht gesagt; ich werde es Ihnen nachreichen.Die Teilnahme von Frauen an Fortbildungsmaßnahmen hat sich erhöht. Fortbildungsangebote werden auch stärker auf die Situation und die Interessen von Frauen zugeschnitten. Es gibt auch gezielte Fortbildungsmaßnahmen für weibliche Führungskräfte. Das ist gut so.Der Anteil von Frauen in den Führungspositionen stieg seit 1986 ebenfalls an. Er erhöhte sich z. B. bei den Referatsleiterinnen von 74 auf 88. Am 1. Mai 1991 waren es bereits 113 Referatsleiterinnen. Ich gebe zu, der Anteil von 5,9 % weiblicher Referatsleiterinnen im Bereich der gesamten Bundesregierung ist längst nicht das, was ich mir wünschen würde. Trotzdem ist es eine Zunahme. Von den 291 Unterabteilungen werden inzwischen zehn von Frauen geführt; bei den 132 Abteilungen sind es leider — so muß ich sagen — immer noch nur zwei.Diese Fortschritte sind bei weitem zu bescheiden. Deshalb hat die Bundesregierung die Frauenförderrichtlinie im vorigen Jahr neu gefaßt.
Sie wird sie auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Ich denke, unsere gemeinsame Ansicht hier in diesem Hause ist, daß das Grundgesetz mit seinem Art. 3 Abs. 2 uns einen klaren Auftrag für eine aktive Frauenförderung gibt und daß auch der Einigungsvertrag uns noch einmal deutlich vorschreibt, daß wir die Gesetzgebung im Sinne der Gleichberechtigung von Männern und Frauen
weiterzuentwickeln haben.Mir erscheint aber sehr wichtig, daß wir uns genau überlegen, welches die Instrumentarien sind, mit denen wir das schaffen können und mit denen wir einen beständigen Druck auf die Verantwortlichen ausüben. Ich denke, daß dies die schon erwähnten flexiblen Zielvorgaben sehr viel besser vermögen als starre Quotierungen.
Wenn Sie sich über die Hierarchie der Bundesverwaltung einmal Gedanken machen, dann wissen Sie doch selbst so gut wie ich, daß wir zu diesem Zeitpunkt mit starren Quoten in überhaupt keiner Weise vorankommen würden.Frauenförderung — auch das ist heute vollkommen klar — kann und wird nicht losgelöst von der Leistung erfolgen.
Wir müssen deshalb alles tun, damit Frauen mehr Chancen haben, ihr Können und ihre Leistung tatsächlich einzubringen. Ich halte flexible Zielvorgaben mit deutlicher gesetzlicher Grundlage für die richtige Methode.
Mit insgesamt 887 kommunalen Gleichstellungsstellen hat die Bundesrepublik ein engmaschiges Netz an Institutionen, die sich auf kommunaler Ebene um mehr Gleichberechtigung bemühen. Es haben sich hier verschiedene Organisationsformen herausgebildet. Es ist immer wieder die Forderung erhoben worden, wir sollten von der Bundesseite her eine Rechtsgrundlage für die Frauenbeauftragten schaffen. Die Mehrheit des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend hat dies abgelehnt und ich denke auch, wir sollten dies nicht tun, denn es ist Aufgabe der Länder und Gemeinden, entsprechende Regelungen zu finden. Was wir aber tun sollten, ist, einen Empfehlungskatalog zu erarbeiten und diesen auch immer mehr zu verfeinern, um unsere Meinung darzutun, wie wir denken, daß kommunale Gleichstellungsbeauftragte am besten arbeiten sollten. Aber ich denke, wir sollten uns auch in dieser Frage an die föderalistischen Strukturen halten und den Gemeinden und auch den Ländern gerade in dieser Weise Freiheiten lassen.
Ich empfinde wie Sie, daß der erste Bericht über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen — es ist der erste Bericht darüber in der Geschichte der Bundesrepublik; es hätte viele Gelegenheiten gegeben, so etwas schon früher einmal zu fordern — natürlich völlig unbefriedigende Zustände aufzeigt. In über 1 000 Gremien sind Frauen nur mit 7,2 % vertreten. Ich denke, es zeigt uns ganz deutlich, daß Frauen da, wo heute wichtige politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen vorbereitet werden, völlig unzureichend vertreten sind. Ich ziehe daraus die Konsequenz — das wurde hier auch ge-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 3997
Bundesministerin Dr. Angela Merkelsagt — , daß in unserem Artikelgesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau — —
— Nun nenne ich einmal die Männer zuerst, wo Sie die ganze Zeit davon sprechen, daß wir sie nicht außer acht lassen dürfen, und nun werde ich wieder kritisiert. Was soll ich denn nur tun?
— Ich sage sonst immer „Frau und Mann"; aber wahrscheinlich würden Sie mir dann wieder etwas vorwerfen. Ich ziehe daraus die Konsequenz, daß die Regelung dieser Gremienbesetzung in diesem Gleichberechtigungsgesetz durchaus in einem Artikel vorkommen muß. Ich denke aber auch, wer hier bei dieser Bestandsaufnahme über die Besetzung von Gremien, auf deren Besetzung die Bundesregierung einen Einfluß hat, die gesamte Schuld bei der Regierung sucht, der greift wirklich zu kurz.
Sie müssen einmal — ich exerziere das gerade beim Bundesjugendkuratorium durch — die Verbände dieser Bundesrepublik Deutschland bitten, Frauen vorzuschlagen für solche Gremien. Dann werden Sie sehen, wie mühevoll und wie anstrengend das ist und wieviel Kraft Sie brauchen, damit endlich Frauen vorgeschlagen werden.
— Sicherlich, da sind wir uns einig.Es gibt gute Beispiele. Bei der Besetzung des Verbraucherbeirates und des beratenden Ausschusses des Verbraucherinstituts beim Bundesminister für Wirtschaft liegt der Frauenanteil z. B. bei 36 bzw. 48 %.
Trotzdem sind Frauen beispielsweise im wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsminister, im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, im Sozialbeirat des Bundesministers für Arbeit oder im Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen nicht vertreten. Ich denke, daß hier Frauen durchaus sinnvolle, wichtige Arbeit leisten können. Ich denke, daß wir jetzt bei jeder neuen Besetzung darauf achten sollten, daß sich dieser frauenlose Zustand auch wirklich ändert.Wesentliche Fortschritte werden wir mit dem Gleichberechtigungsgesetz erreichen. Die Kompetenzen für Frauenbeauftragte sollen hier für die obersten Bundesbehörden deutlicher geregelt werden, Frauenförderpläne vorgeschrieben werden und die Rahmenbedingungen für Teilzeitarbeit weiter verbessert werden. Für mich noch viel wichtiger ist aber, daß wir versuchen, über die obersten Bundesbehörden hinaus in das Feld der Arbeitgeber und Arbeitnehmer hineinzugehen, und daß wir im Betriebsverfassungsgesetz und im Bundespersonalvertretungsgesetz stärker deutlich machen, daß Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Mitwirkungsrechte in der Frauenförderung erhalten. Ein weiteres Element wird das EG-Anpassungsgesetz sein. Wir haben heute schon davon gehört. Ich denke weiterhin an den Gremienbericht. Auch die Gremienvertretung muß unbedingt in diesem Gleichberechtigungsgesetz geregelt werden.Ich hoffe, daß dieses erneute Bündel von Maßnahmen uns dann einen Schritt weiterbringt, um Defizite bei der Chancengleichheit von Frauen in der Gesellschaft zu beseitigen. Ich sage aber an dieser Stelle ganz deutlich, daß dieses ein schrittweiser Prozeß sein wird und sein muß, der die Kraftanstrengung aller Männer und Frauen benötigt.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Marliese Dobberthien.
Mir verschlägt's fast die Sprache, Frau Merkel, wie hier eine dürftige Frauenpolitik hochgefönt wird. Ich sage nur kurz und knapp: Bisher war die Frauenpolitik der Bundesregierung nur eine Mogelpackung, nicht mehr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zentrale Gleichstellungsstellen haben meist sozialdemokratische Frauen erfunden und entwickelt und gegen zähen Widerstand vor Ort durchgesetzt.
Die erste zentrale Leitstelle namens „Arbeitsstab für Frauenpolitik" wurde während der sozialliberalen Regierungszeit geschaffen.
Hamburg, sozialdemokratisch regiert, errichtete als erstes Bundesland eine zentrale Gleichstellungsstelle,
nicht die CDU-Länder.
Unterstützt von Frauen aller Parteien, von Frauenverbänden und Fraueninitiativen, sind Gleichstellungsstellen heute eine unverzichtbare Institution zum Abbau der Diskriminierung von Frauen.Aber es gibt auch Schwierigkeiten und Probleme hinsichtlich der Konstruktionen, Kompetenzen und Ausstattung der inzwischen bald 1 000 Gleichstellungsstellen, die segensreich in unserem Land wirken.Die Bundesregierung sollte daher einen Bericht über die Erfahrungen der Gleichstellungsstellen erstellen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten.Doch der Bericht ist äußerst dürftig ausgefallen und Zeugnis der Zögerlichkeit und Halbherzigkeit konservativer Frauenpolitik.
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Dr. Marliese DobberthienDie Arbeit der Gleichstellungsstellen wird von der Bundesregierung beschönigt. Der Bericht enthält sehr problematische Bewertungen und der Berichtsauftrag des Deutschen Bundestages wurde nur unvollständig erfüllt.Der Bericht reiht sich damit nahtlos ein in die mangelhafte, unbefriedigende Frauenpolitik der Bundesregierung seit der Wende 1982.
Daran ändern Ihre heutigen Schönfärbereien, Frau Merkel, auch nichts.Entgegen dem Auftrag des Bundestages fehlen z. B. konkrete Ausgestaltungsvorschläge für die Gleichstellungsstellen, und die Bundesregierung zieht sich mit dem Hinweis der fehlenden Kompetenz aus der Verantwortung.Nicht einmal für die Gleichstellungsstellen auf Bundesebene macht die Bundesregierung klare Zielvorgaben. Statt dessen forderte die Frauenministerin in ihrer Rede bei der ersten Debatte über den Bericht — ich zitiere — , „die politisch Verantwortlichen auf, die Entwicklung" — der Gleichstellungsstellen — „nicht zu behindern, sondern sie zu unterstützen".Frau Dr. Merkel, Sie sind doch die politisch wichtigste Verantwortliche! Wer denn sonst?
Statt anklagend mit dem Finger auf Länder und Gemeinden zu zeigen, sollten Sie zuerst in Ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich zufriedenstellende Lösungen finden.
Doch ohne Kompetenzen, ohne ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung Ihres Ministeriums und ohne den Rückhalt in Ihrer Fraktion können Sie diese Verantwortung nicht wahrnehmen. Das tut mir leid. Das muß sich politisch ändern.
Daß dieser Rückhalt fehlt, wurde in der ersten Plenardebatte überdeutlich: An der Stelle, wo Frau Merkel die gesetzliche Verankerung der Gleichstellungsstellen in den Kommunalverfassungen der neuen Bundesländer lobte und die alten Länder aufforderte, in dieser Frage vom Osten Deutschlands zu lernen, verzeichnet das Protokoll Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE. Bei den Regierungsfraktionen dagegen rührte sich kein Finger.
Das ist nicht unbedingt Ausdruck von Entschlossenheit der Regierungsfraktionen, das rechtliche Instrumentarium für eine wirksame Frauenpolitik zu erweitern.
Und es gibt Etikettenschwindel. Bestes Beispiel dafür ist eine Äußerung von Ihnen, werte Frau Kollegin Böhmer. Sie erklärten in der ersten Debatte — es war drei Tage vor der Wahl in Rheinland-Pfalz und vor dem Wahlsieg der SPD — , dieses seinerzeit CDU-regierte Land, das Bundesland, aus dem Sie kommen, sei das erste, in dem eine Frauenförderrichtlinie vorgelegt worden sei.Ich habe mir diese Richtlinie besorgt. Sie entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als ein simples Rundschreiben ohne jegliche rechtliche Verbindlichkeit.
Es wird darin nur empfohlen, Frauen bei Stellenbesetzungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst stärker als bisher zu berücksichtigen. Was ist denn „stärker als bisher" ? Bei 100 Männern statt vier nun acht Frauen?
Frau Kollegin Dobberthien, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Marliese Dobberthien: Nein, gestatte ich nicht.
Keine Zwischenfrage.
„Stärker als bisher", das ist gar nichts im Vergleich zu echten Gleichstellungsgesetzen mit Quotenregelungen und Frauenförderplänen, in denen eine bevorzugte Berücksichtigung von Frauen bei gleichwertiger Qualifikation vorgeschrieben wird. Tatsächlich wurde von keinem CDU-regierten Bundesland ein Gleichstellungsgesetz geschaffen, das wie in Hamburg, Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen die Frauenförderung gesetzlich regelt. Kein altes CDU-regiertes Bundesland hat bisher Frauenministerien geschaffen, jene konsequente Weiterentwicklung von Gleichstellungsstellen.Nein, Signale einer institutionellen Frauenpolitik zum Abbau weiblicher Diskriminierung sind bei der CDU/CSU schwer zu finden. Statt gesetzlicher und institutioneller Verbesserungen gibt es Beschönigungen, auch bei den Ausschußberatungen. Die CDU/ CSU-Fraktion erklärte allen Ernstes, der Berichtsauftrag sei vollständig erfüllt. Lesen scheint nicht allen leichtzufallen. Ein Antrag der SPD-Fraktion, der die Bundesregierung wegen der Unvollständigkeit des Berichts kritisierte, wurde abgelehnt. Bloß keine Majestätsbeleidigung!Um nicht mit leeren Händen dazustehen, legte die CDU/CSU-Fraktion noch einen eigenen Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen weiteren Bericht zu erstellen und in Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden einen Vorschlag zu entwickeln, der Mindestanforderungen für die Aufgabenstellung, Zuständigkeit und Organisationsform von Gleichstellungsstellen enthält.
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Dr. Marliese DobberthienWie schön, daß damit nun doch unsere Auffassung bestätigt wird, der Bericht der Bundesregierung sei unvollständig und lasse die Entwicklung von Vorschlägen zur Ausgestaltung der Gleichstellungsstellen vermissen.Dann waren die Männer und Frauen der Koalitionsfraktionen im zuständigen Fachausschuß sogar sehr mutig. Die SPD-Fraktion hatte beantragt, die Bundesregierung aufzufordern, eine gesetzliche Grundlage für die Arbeit von Frauenbeauftragten auf Bundesebene in Verwaltung und öffentlichen Unternehmen zu schaffen. Das haben CDU/CSU und FDP abgelehnt.Aber dann haben sie einen eigenen Antrag gestellt und auch angenommen, der die Bundesregierung auffordert, die Bestellung und Kompetenzen von Frauenbeauftragten in der öffentlichen Verwaltung des Bundes gesetzlich zu regeln.Meine Damen und Herren, Sie können keinen großen Unterschied zwischen beiden Anträgen erkennen? — Machen Sie sich nichts daraus, es gibt auch keinen. Die entscheidenden SPD-Forderungen nach Aufarbeitung der Unzulänglichkeiten des ersten Berichts und nach Schaffung einer gesetzlichen Regelung für die Bundesverwaltung und für Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes haben die Koalitionsfraktionen somit wenigstens teilweise übernommen. So haben wir eine gewisse Übereinstimmung im Ausschuß erzielt.Ich sage nur: Bleiben Sie weiter so mutig im Ausschuß. Vielleicht wird dann endlich das bereits vielfach angekündigte Gleichstellungsgesetz Wirklichkeit, das bisher nur in unklaren Konturen herumgeistert.Wenn Sie einen Ideenbedarf haben: Wenden Sie sich doch einmal an die SPD-regierten Bundesländer. Dort liegen langjährige Erfahrungen bezüglich Strukturen und Konstruktionen eines solchen Gesetzes vor. Es wird sich zeigen, ob Sie es schaffen, wenigstens durch die Türen zu gehen, die wir SPD-Frauen mit unseren Gleichstellungsgesetzen aufgestoßen haben.
In den Ländern haben wir von Gesetz zu Gesetz bessere Regelungen durchsetzen können. Ich erwarte von den Frauenpolitikerinnen der Koalitionsfraktionen mindestens die Fortführung, besser noch die Steigerung unserer sozialdemokratischen frauenfreundlichen Gesetzespraxis.
Was den Bericht über die Gleichstellungsstellen betrifft: Es sollte bei dem neuen Bericht vermieden werden, daß — wie im jetzt vorliegenden Bericht — erneut ein fachlicher Wirrwarr entsteht.Zum Beispiel dürfen die Zuständigkeiten einer Frauenbeauftragten in der Verwaltung im öffentlichen Dienst nicht vermischt werden mit der Kompetenz einer kommunalen Frauenbeauftragten, die sich für die Belange aller Frauen in der jeweiligen Kommune oder Stadt einsetzen soll.Oder: Da ist die Rede davon, die Gleichstellungsstelle müsse „sowohl in die Bevölkerung hineinwirken als auch die Kommunalpolitik inhaltlich mitgestalten" , so als wären Gleichstellungspolitik und Gleichstellungsbeauftragte ein Ersatz für die Frauenpolitik der Parteien vor Ort.Oder: Es wird viel von der Verwaltung und einmal auch von den „Frauen am Ort" gesprochen. Frauen in der Privatwirtschaft kommen hingegen überhaupt nicht vor.Diese sogenannten Empfehlungen sind Zeugnis der begrifflichen Verwirrung und Konzeptionslosigkeit der Politik der Bundesregierung in Sachen Frauen. Es reicht eben nicht aus, Frau Merkel, gegen die Quotenregelung zu sein und in Presseinterviews schöne Worte für Frauen und ihre berufliche Förderung zu finden.
Diskriminierte Frauen brauchen mehr als Goodwillerklärungen und persönliche Überzeugungsbekundungen.
Wir wollen einklagbare Rechtsansprüche, Gleichstellungsstellen und wirksame Frauenförderkonzepte.
Das Wort hat Frau Kollegin Susanne Rahardt-Vahldieck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dobberthien, es ist immer schön, daß wir in den frauenpolitischen Debatten nacheinander sprechen und uns hier so weiterstreiten können, wie wir es in Hamburg schon begonnen haben. Es fängt an, zur Tradition zu werden. Ich streite also jetzt gleich einmal weiter.Was das Gleichberechtigungsgesetz und, Frau Dobberthien, Ihre dringliche Empfehlung angeht, sich an den SPD-regierten Bundesländern zu orientieren, verweise ich nochmals darauf, daß das hamburgische Gesetz, das ja offenbar so toll sein muß, z. B. den Bereich der Frauenbeauftragten und ihrer Kompetenzen überhaupt nicht regelt, daß also dieses entscheidende Kernstück einfach nicht vorkommt.
Unter diesen Umständen — so sage ich einmal — möchte ich die Bundesregierung dringlich bitten, sich jedenfalls nicht an dem Hamburger Gesetz zu orientieren. Ich appelliere vielmehr an die CDU/CSU, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der besser sein wird.
Zu Ihrer Anmerkung über die Ausschußberatungen, es sei ja von den Koalitionsfraktionen unheimlich mutig gewesen, jetzt irgendwelche Gesetze zu for-
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4000 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Susanne Rahardt-Vahldieckdern: Das war überhaupt nicht mutig. Es ist nämlich Teil der Politik der Bundesregierung, ein solches Gleichberechtigungsgesetz vorzusehen und in diesem entsprechende Regelungen zu verankern. Wenn wir als Koalitionsfraktionen die Regierung im Ausschuß darin noch ermutigen, dann ist das keine Frage des Mutes der Abgeordneten. Tun Sie doch nicht so, Frau Dobberthien, als sei die Bundesregierung an einer frauenfördernden Politik nicht interessiert, und wir arme Abgeordnete müßten sie dazu zwingen.
Das Gegenteil ist doch der Fall. Das Gleichberechtigungsgesetz, das kommen wird, wird genau diese Punkte, die wir alle geregelt haben wollen, regeln, und das wird in diesem Jahr geschehen. Dieses Gesetz wird im Gegensatz zur Hamburger Regelung z. B. die Kompetenzen der Frauenbeauftragten festlegen. Die Gremienregelung — so sage ich einmal; Frau Merkel hat schon darüber gesprochen — wird ebenfalls darin enthalten sein.Nun muß ich wirklich sagen: Als ich mir diesen Bericht angesehen habe, war ich entsetzt. Mir ist schlicht die Kinnlade heruntergefallen, als ich lesen mußte, daß in diversen Gremien 0,0 To Frauen vertreten sind. Das ist traurig. Das sieht auch die Bundesregierung so. Ich ziehe dabei wieder einmal einen Vergleich zu Hamburg. Daß die Situation der Frauen in der Gesellschaft überhaupt nicht Gold ist, wissen wir alle. Auch die Bundesregierung weiß das. Sie schreibt es auch sehr deutlich in ihre Berichte hinein.
Sie macht die Berichte nicht so, wie die Hamburger es immer tun: „Es ist alles ganz toll; jetzt könnte es nur noch ein ganz kleines bißchen besser werden. " — Die Bundesregierung sagt vielmehr ganz deutlich: Es sieht überhaupt nicht gut aus; wir packen die Sache aber an! Gerade im Gremienbericht wird das ja deutlich.Nun muß man auch einmal sagen: Frau Merkel hat natürlich völlig recht, daß das nicht allein die Schuld der Regierung ist. Das Bundesjugendkuratorium ist dafür ein leuchtendes Beispiel. Wir haben es gerade im Ausschuß angesprochen; Sie sind ja dabeigewesen; ich nehme einmal an, daß Sie an der Sitzung teilgenommen haben.Da werden die Verbände nun per Anschreiben ausdrücklich aufgefordert, sie mögen doch bitte bei ihren Vorschlägen Frauen berücksichtigen. Und was tun die Verbände? Nichts, null; es kommt nichts.Die Ministerin hat sich bemüht und dringlich aufgefordert, Frauen und Vertreter aus den neuen Bundesländern zu benennen. Aber es passiert nichts. Was macht das Ministerium? Es sagt nicht: Ach Gott, wie traurig, aber das können wir nicht ändern. — Das Ministerium telefoniert vielmehr hinterher, schreibt noch einmal, setzt sich mit den Leuten zusammen und macht Druck, Druck, Druck. Hier übt die Politik Druck auf die gesellschaftlichen Verbände aus, damit sie überkommen. Es ist nicht allein die Schuld der Politik.Die Politik kann zwar mehr machen; aber wichtig ist, daß wir alle mehr tun und daß auch die. Verbände aus der Bevölkerung heraus etwas tun. Man kann nicht sagen, die Bundesregierung ist für die Frauenförderung in dieser Gesellschaft allein verantwortlich. Für die Frauenförderung in dieser Gesellschaft sind wir nämlich alle verantwortlich. Die Bundesregierung muß alle Tendenzen, die auf Frauenförderung hinauslaufen, unterstützen, und sie muß sie vorantreiben. Aber sie kann nicht die einzige sein. Glücklicherweise leben wir in einer Gesellschaft, in der der Staat nicht allmächtig ist, sondern in der auch noch andere Gruppen Bedeutung haben. An diese müssen wir genauso appellieren.Man muß aber feststellen, wir haben offenbar eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit, was die Frage der Erwerbstätigkeit der Frau angeht. Ich persönlich — Frau Dobberthien, Sie wissen es — habe ein Kind und ich bin trotz dieses Kindes, auch als es ganz klein war, immer vollzeiterwerbstätig gewesen. Ich hätte es persönlich auch gar nicht anders haben wollen. Das war meine Entscheidung. Aber wer bin ich denn, daß ich meine persönliche Entscheidung und den von mir persönlich gewählten Lebensweg allen Frauen und Männern dieser Gesellschaft vorschreiben dürfte.
Da muß ich doch wirklich sagen: Wenn eine Frau sich für die Familie und die Kinder entscheidet oder wenn ein Mann das tut — in der Regel sind es die Frauen — , dann ist das verdammt noch mal deren gutes Recht, und es ist verdammt noch mal die Pflicht der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß das geht.Das geht nur dann, wenn man die Wahlfreiheit und die Familientätigkeit voll respektiert, gleichbehandelt und gleichstellt.Bei all Ihren Redenbeiträgen wurde deutlich, daß für Sie eigentlich nur diejenige die richtige Frau ist, die vollerwerbstätig ist.
Das, so meine ich, ist ein Ansatz, den wir nicht dulden können. Das gleiche gilt für die Teilzeitbeschäftigung.
— Aber ich bitte Sie! Wenn für die Regierungsfraktionen die richtige Frau nur diejenige wäre, die zu Hause bliebe, dann stünde keine von uns hier im Deutschen Bundestag. Wir stehen und sitzen zufällig hier und nicht am Herd.Das ist doch einfach eine völlige Verquaselung. Die Zeit ist doch ewig lange vorbei, wo irgend jemand, auch in der CDU, gesagt hat: Die Frau gehört an den Herd.
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Susanne Rahardt-VahldieckSie bauen da ein Feindbild, eine Chimäre auf, die einfach nicht existiert. Gucken Sie mich doch an. Ich stehe auch nicht am Herd.
Deshalb: Wir müssen die Wahlfreiheit ermöglichen. Ich muß dazu auch sagen — und das ist mir ein bißchen wenig vorgekommen — : Es war bei der Wahlfreiheit und bei der Teilzeit immer nur von Frauen die Rede.Nun ist es zwar so, daß Frauen die Mehrzahl der Teilzeitarbeitsplätze besetzen. Aber wenn wir immer weiter so reden, als ob Teilzeit nur etwas für Frauen sei, dann verfestigen wir Strukturen, die wir nicht wollen. Ich bin der festen Überzeugung, daß es sowohl der Arbeitswelt als auch der Familienwelt sehr gut bekäme, wenn viel mehr Männer Teilzeitarbeitsplätze besetzen und sie den anderen Teil ihrer Zeit der Familie widmen würden.
Das muß auch immer wieder deutlich gesagt werden, auch wenn es gesellschaftliche Wirklichkeit ist, daß es in der Regel Frauen sind, die Teilzeitarbeitsplätze nachfragen. Wir müssen dafür sorgen, daß sich das gleich verteilt. Gleich viele Männer und Frauen in Vollzeit und Teilzeit, gleich viele Frauen und Männer in Familie und Beruf — das, meine ich, muß unser Ziel sein. Aber unser Ziel erreichen wir nicht dadurch, daß wir die Vollerwerbstätigkeit als einzige Möglichkeit der Lebenserfüllung darstellen.Nun zu dem, was Frau Kollegin Schenk gefordert hat, die Vergabe aller freien Stellen an Frauen. Ich meine, der Staat kann das nicht erzwingen. Der Staat kann empfehlen, der Staat kann gesetzliche Vorgaben entwickeln. Aber der Staat kann und soll niemanden dazu zwingen, wie er seine persönliche Lebensführung gestaltet. Das wäre eine völlig falsche Einschätzung, wenn wir eine andere Auffassung vertreten würden. Das heißt, wir brauchen natürlich die Förderung der Teilzeitarbeit für Frauen und gerade für Männer. Wir brauchen mehr flexible Arbeitszeiten für Frauen und gerade für Männer.Die Frage ist: Brauchen wir die Quotierung? Nun ist das Wort Quote ein etwas schwammiger Begriff. Man kann unter Quote halt alles verstehen, die starre Quote oder die flexible, leistungsbezogene Zielvorgabe. Ich persönlich tendiere zur letzteren aus den verschiedensten Gründen. Aber die Bundesregierung merkt in ihrem Bericht an, es gebe verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Quote. Sie stützt sich auf das OVG Münster. Ich muß sagen, ich teile die Auffassung der Herren im OVG Münster überhaupt nicht. Ich will jetzt keine öffentliche Richterschelte betreiben, aber es gibt einige Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster, die mir nicht zusagen; ich sage es einmal so. Aber wir sind ein freies Land, und wir haben Gewaltenteilung.Wenn das OVG Münster sagt, es habe Bedenken, dann können wir uns als Bundesregierung doch nicht hinstellen und sagen: Was das Verfassungsgericht dieses großen Bundeslandes sagt, nehmen wir nicht zur Kenntnis, das interessiert uns nicht. — Wir müssen vielmehr angesichts der Gewaltenteilung mindestens sagen: Na gut, das Gericht sieht das anders als wir, und jetzt müssen wir abwarten, was kommt. — Wir müssen als Parlament und als Regierung das doch berücksichtigen, was unsere Verfassungsgerichte sagen. Ich gehe davon aus, daß auch Sie als SPD-Fraktion das eigentlich so sehen, auch wenn uns die Urteile im einzelnen nicht passen. Eine Regierung, die das aufnimmt, ist nicht feige und ist nicht patriarchalisch, sondern dieses Verhalten ist schlichtweg vernünftig und verfassungskonform. Ich kann der Regierung nicht den Vorwurf machen, daß sie die Entscheidung des OVG Münster zur Kenntnis genommen hat.Lassen Sie mich etwas zu den Frauenförderungsrichtlinien sagen. Frau Dobberthien, die Kollegin Böhmer wies mich auf das hin, was in Rheinland-Pfalz „Rundschreiben" heißt. Länder bezeichnen ja ihre Sachen, wie sie mögen. Wir sind ja ein föderaler Bundesstaat. Dieses Rundschreiben ist eine Verwaltungsvorschrift. Demnach ist dieses Rundschreiben, das Sie so kritisieren, Frau Dobberthien, genauso viel oder genauso wenig wirksam wie die spätere Hamburger Frauenförderungsrichtlinie. Sie können also nicht sagen: Rheinland-Pfalz macht nur Rundschreiben, und wir machen Richtlinien. Das ist verwaltungstechnisch dasselbe in Grün.
Insofern ging das in die falsche Richtung.
— Vielleicht können wir das am Ende noch einmal klären. Streiten Sie sich darum. Wenn die Kollegin Böhmer, die die rheinland-pfälzische Verwaltungspraxis im Zweifel besser kennt als Sie, mir das so mitteilt, dann akzeptiere ich das schlicht einmal. Ich schlage einmal vor, daß Sie das auch akzeptieren.Ich komme zum Schluß. Ich habe eben gesagt: Wir sind ein föderaler Bundesstaat. Daran anknüpfend sage ich noch einmal: Ich finde es auch außerordentlich traurig, daß wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erst 1997 kriegen. Aber: Den Ländern ist es völlig unbenommen, diesen Rechtsanspruch vorher zu schaffen. Dies ist auch den SPDregierten Ländern möglich. Von denen erwarte ich das an vorderster Front.
Ich komme nun zu den kommunalen Gleichstellungsstellen. Wir sind ein föderaler Bundesstaat. Wir können als Bundesregierung der einzelnen Kommune nicht vorschreiben, wie sie das regelt. Was wir machen können, ist die Abgabe einer Empfehlung. Diese Empfehlung werden die Kommunen auch bekommen. Mehr, das muß ich sagen, ist unsere Aufgabe nicht. Da sind die Länder und die Kommunen gefordert, auch und gerade die SPD-regierten Länder.Danke.
Als nächste hat das Wort Frau Kollegin Anni Brandt-Elsweier.
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4002 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß ich in meiner ersten Rede in diesem Hause mit einem Thema befaßt bin, das mir am Herzen liegt, und zwar mit den Frauen in Gremien, Ämtern und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß hat.Zyniker mögen jetzt denken, so viele Frauen gebe es in herausragenden Positionen ja auch wieder nicht, daß mit diesem Thema eine Rede bestritten werden könnte. Leider muß ich diesem Gedanken, zumindest im ersten Teil, zustimmen. Denn: Obwohl Frauen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, obwohl Frauen gleichberechtigt im öffentlichen Leben in allen Bereichen teilhaben wollen und obwohl Frauen mit hervorragenden Qualifikationen in allen Bereichen zur Verfügung stehen, findet sich nur ein verschwindend geringer Anteil in Gremien und Ämtern in Spitzenpositionen wieder.
Dies ist die ernüchternde Tatsache, die der Bericht der Bundesregierung herausgearbeitet hat.
Ich möchte Sie, meine Herren, nicht so sehr mit Zahlenbeispielen langweilen, denn sonst hören gleich nur noch Frauen zu, und die kennen die Beispiele aus eigener Erfahrung sowieso.
Aber in der Hoffnung, sich Goethes Einschätzung, ein Zuwachs an Kenntnis bewirke auch einen Zuwachs an Unruhe, bewahrheite, möchte ich Ihnen doch einige Zahlen nennen. In den durch die Bundesregierung beeinflußbaren Gremien und Ämtern sind insgesamt 16 147 Personen tätig. Davon sind nur 1 156 Frauen; das sind magere 7,2 %.Im Geschäftsbereich der Familien- und Seniorenpolitik beträgt der Anteil der Frauen immerhin noch 18,8 %. Im Bereich des früheren Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit waren es immerhin noch 16,1 %.Aber: Bei bestimmten Ministerien wundert es mich, daß sie nicht deutlich als frauenfeindlich bezeichnet werden.
Ich denke hier besonders an die Bereiche des Auswärtigen und der Justiz, wo der Frauenanteil in den hier verhandelten Gremien fast gleich null ist. In über der Hälfte aller Gremien findet sich nicht eine einzige Frau.Meine Herren, jetzt ist es an Ihnen, Unruhe zu zeigen.
Denn in der heutigen Zeit wird sich die Hälfte unserer Bevölkerung nicht mehr lange in den Hintergrund drängen lassen.
Vertieft man sich weiter in die Durchforschung des Berichts zur Beteiligung von Frauen, so fällt auf, daß Frauen gerade auch im Bereich der Sozialpolitik, der doch historisch schon fast ein typisches Betätigungsfeld für Frauen ist, lange nicht in allen Gremien vertreten sind.
Es scheint mir so, als hätten sich hier die Herren emanzipiert, aber leider läßt sich das Thema nicht auf dieser Schiene abhandeln.Am Beispiel des Sozialbeirats mit 12 Mitgliedern oder des Beirats für Rehabilitation der Behinderten mit 33 Mitgliedern läßt sich meiner Meinung nach ein negativer Trend festmachen. In beiden Beiräten war 1987 zumindest jeweils noch eine Frau vertreten; heute sind beide Beiräte frauenfrei.Auch bei den Verwaltungsräten der Medien läßt sich der rote Faden der Männerlastigkeit verfolgen: Bei der Deutschen Welle und beim Deutschlandfunk gehören von 47 Mitgliedern gerade zwei meinem Geschlecht an. Deren Mut muß man bewundern.
Betrachtet man die Deutsche Bundesbahn, so wird eines deutlich: Auch auf den Vorstandsetagen spielen immer noch ausschließlich Männer mit der Eisenbahn.
In anderen Institutionen, etwa im Bereich von Wirtschaft, Verkehr und Finanzen, stellen sich die Verhältnisse nicht anders dar. Auch wenn der Anteil der Frauen in leitenden Funktionen gegen Null geht, bedeutet das nicht, daß wir eine zu vernachlässigende Größe sind. Jeder, der dies annimmt, wird feststellen, daß wir nicht die hinreichende, sondern die notwendige Bedingung für eine zukunftsorientierte Politik in der Bundesrepublik sind. Gerade die Frauen aus den neuen Bundesländern haben hier viel einzubringen, wenn man sie nur läßt.Eine gezielte Frauenförderung scheint mir der einzige Weg zu sein, Chancenungleichheiten zu korrigieren. Auch die Bundesregierung hat in ihrem Bericht ein Bekenntnis zur Frauenförderung abgelegt. Das, was an Maßnahmen vorgeschlagen wird, reicht allerdings bei weitem nicht aus, die Situation der Frauen nachhaltig zu verbessern.
Die Geschäftsordnungsvorschriften der Bundesministerien enthalten nach Ansicht der Bundesregierung bereits klare Anweisungen zur Frauenbeteiligung in den Gremien. Aber eine Verbesserung haben sie nicht bewirkt.Daran wird auch das vorgesehene Merkblatt, das das Bundesministerium für Frauen und Jugend erarbeiten will, nichts ändern. Die Erfahrung zeigt, daß unverbindliche Verfahrensgrundsätze zur Verbesserung der Frauenrepräsentanz immer auslegungsbedürftig sind. Es scheint mir wenig sinnvoll, eine Klau-
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Anni Brandt-Elsweiersel in Berufungsrichtlinien einzubauen, durch die nur eine angemessene Beteiligung der Frauen in den Gremien und Ämtern herbeigeführt werden soll. Die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs wird immer — das kann ich Ihnen auf Grund meiner beruflichen Erfahrung sagen — ein Hintertürchen offenlassen, das es ermöglicht, den Frauen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.Gutgemeinte Appelle haben wir Frauen lange genug gehört. Laßt uns nun endlich Taten sehen!
Es ist doch ganz offensichtlich, daß alle freiwilligen Anstrengungen bisher nichts gefruchtet haben, ja, daß sie offensichtlich sogar einen gegenläufigen Trend in bestimmten Bereichen erreicht haben, so z. B. im wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen, in dem der Frauenanteil 1987 noch vier von 20 Mitgliedern betrug; 1990 war dieser Anteil auf zwei gesunken.Genauso verhält es sich — das ist schon erwähnt worden — mit dem Bundesjugendkuratorium: Dort gab es 1987 noch vier Frauen von 20 Mitgliedern; 1990 waren es gerade noch zwei. Das ist enttäuschend, aber auch bezeichnend dafür, daß gute Worte allein nichts bringen.Wenn wir hier keine zwingenden Vorschriften bezüglich der Beteiligung von Frauen, etwa in Form einer Quotierung, erlassen werden, wird sich auch in zehn Jahren nachhaltig nichts ändern.
Es reicht auch keineswegs, in den Entwurf des angekündigten Gleichstellungsgesetzes eine mehr oder weniger lasche Regelung über die Berücksichtigung von Frauen in Gremien aufzunehmen, wenn dies nicht mit einer eindeutigen Quotierung verbunden ist.Die SPD hat mit ihrem Quotenbeschluß ein deutliches Zeichen zugunsten der Frauen gesetzt.
Die Umsetzung dieses Beschlusses hat z. B. den Anteil meiner Genossinnen auf dem letzten Bundesparteitag auf über 40 % erhöht.
Einige — das war schon angeklungen — werden jetzt einwerfen, daß dies eine rechtlich bedenkliche Entwicklung sei. Ihnen sei jedoch gesagt, daß das Landgericht Oldenburg in einem Urteil — im Gegensatz zum OVG Münster — entschieden hat, daß die Quotierung bei Wahlen der SPD nicht nur rechtlich nicht zu beanstanden sei, sondern daß sich alle Gliederungen der Partei an diese festgelegten Quoten zu halten hätten.Damit ist meines Wissens zum erstenmal in einem Gerichtsverfahren festgestellt worden, daß dieses mit einer Quotierung verbundene Satzungsrecht, das bei der Festsetzung von Kandidaturen auch Öffentlichkeitswirkung hat, nicht gegen die Verfassung der Bundesrepublik verstößt.
Da es, so die Bundesfrauenministerin, „genügend qualifizierte Frauen gibt, die in Gremien wichtige Beiträge für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Gesellschaft leisten können" , wird es Zeit, daß wir den Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes ernst nehmen und die Gleichberechtigung in die Wirklichkeit umsetzen.
Wer dies wirklich will, wird auch den Mut aufbringen müssen, die Quotierung als Instrument der Frauenförderung einzusetzen.
Meinen Kollegen in den Reihen der Regierungsparteien möchte ich aus meiner Erfahrung noch etwas mit ins Wochenende geben: Intelligente Männer haben keine Angst vor Quotierung!Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Brandt-Elsweier, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Sollte ich jemanden aus den anderen Fraktionen übersehen haben, der oder die heute ebenfalls zum erstenmal gesprochen hat, dann gilt dieser Glückwunsch auch für diejenige; wir waren heute ja nur Frauen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/594 und 12/447 — das sind die Berichte der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen sowie zur Frage weiterer Maßnahmen der Frauenförderung in Beruf, Familie und anderen Bereichen — an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend auf Drucksache 12/872 zu dem Bericht der Bundesregierung über die Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Gemeinden. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Wir kommen zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend auf Drucksache 12/871 zu dem Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der „Richtlinie zur beruflichen Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung". Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit knapper Mehrheit angenommen.
— Gibt es hier jemanden, der das ernsthaft anzuzweifeln gedenkt? — Nein.
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4004 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über legale und illegale Waffenexporte in den Irak und die Aufrüstung des Irak durch Firmen der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache 12/487 —Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppen jeweils fünf Minuten Redezeit erhalten sollen. Besteht darüber Einverständnis? — Dies ist der Fall. Dann ist so beschlossen.Als erster hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Klaus Beckmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrer Unterrichtung vom 8. Mai 1991 und vor allen Dingen mit dem als vertraulich eingestuften Bericht vom 20. März dieses Jahres ausführlich über ihre Erkenntnisse zu legalen und illegalen Rüstungsexporten nach Irak berichtet.
Dem von einigen Kollegen geäußerten Wunsch nach Veröffentlichung auch des als vertraulich eingestuften Berichts konnte nach sorgfältiger Prüfung aus zwingenden rechtlichen Gründen leider nicht entsprochen werden.
Ich bedaure, liebe Kollegen, die für Sie mit der Einsichtnahme in einen als vertraulich eingestuften Bericht verbundenen Unannehmlichkeiten. Aber nur so ließ sich Ihr berechtigtes Interesse an einer vollständigen Unterrichtung durch die Bundesregierung mit den auch von der Bundesregierung gegenüber dem Parlament zu beachtenden Schutzvorschriften der §§ 203 StGB und 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Einklang bringen. Auch dürfen laufende Ermittlungen nicht durch unzeitige Publizität gestört werden. Ich hoffe, daß Sie hierfür Verständnis haben. — Soviel zum Verfahren. Nun zum eigentlichen Thema.
Die im vertraulichen Bericht der Bundesregierung genannten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts illegaler Exporte sind mit wenigen Ausnahmen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften weiter anhängig. Detaillierte Auskünfte hierzu können nur die zuständigen Staatsanwaltschaften selber erteilen.
Die aus den von mir schon erwähnten Gründen leider zwingend erforderliche vertrauliche Behandlung der einzelnen Ermittlungsverfahren hat in der Öffentlichkeit und auch in Teilen der Wirtschaft den Eindruck erweckt, als wenn die in der in- und ausländischen Presse erhobenen Vorwürfe gegen die Beteiligung deutscher Unternehmen an irakischen Rüstungsprogrammen nicht stimmten oder aber von der Bundesregierung heruntergespielt würden.
Daß dies nicht der Fall ist, davon konnten Sie sich selber durch die Einsichtnahme in den umfangreichen
VSV-Bericht überzeugen. Die im VSV-Bericht erwähnten einzelnen Ermittlungsverfahren lassen bereits jetzt den Schluß zu, daß die irakische Rüstungsindustrie in allen ihren Bereichen einschließlich der ABC-Waffen und Raketentechnologie in erheblichem Umfange Zulieferungen von deutschen Unternehmen erhalten hat. Die dort genannten Verfahren sind eine augenblickliche Bestandsaufnahme. Auf Grund der Berichterstattung der Inspektoren der VN-Sonderkommission steht zu vermuten, daß noch weitere deutsche Unternehmen bekannt werden, die im Bereich der ABC-Waffen und der Raketentechnik den Irak aufgerüstet haben.
Aus den VN-Inspektionen im Irak liegen bisher leider kaum neue Erkenntnisse über bestimmte Unternehmen vor, die illegal exportiert haben. Wir haben die Vereinten Nationen dringend gebeten, uns alle Erkenntnisse mitzuteilen. Die Vereinten Nationen haben sich bereit erklärt, auf konkrete Anfragen die betreffenden Informationen zur Verfügung zu stellen.
Im Prozeß wegen der Giftgasanlagenlieferungen nach Samarra hat die Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen an die Vereinten Nationen gestellt, das in Kürze offiziell übermittelt werden wird.
Auf nachdrückliche Bitte der Bundesregierung um Überlassung von Informationen über die Beteiligung der Firma Pilot Plant an der Giftgasfabrik Samarra für ein laufendes Gerichtsverfahren — es handelt sich um eine Verwaltungsstreitsache vor dem Bundesverwaltungsgericht — hat die Sonderkommission der Vereinten Nationen bereits Auszüge aus den Berichten der ersten und zweiten CW-Inspektion in Samarra übermittelt. Die Auszüge enthalten eine Beschreibung von Pilotanlagen, die vermutlich von der Firma Pilot Plant GmbH aufgebaut wurden. Außerdem wurden drei Fotos, die anläßlich der ersten CW-Inspektion vom 12. Juni 1991 in der Pilotanlage aufgenommen wurden, übermittelt. Auf einem der Fotos ist ein Firmenschild der Pilot Plant GmbH zu erkennen.
Durch dieses Material wird es hoffentlich der Justiz erleichtert, solchen Exporteuren, die unter Mißachtung des Außenwirtschaftsrecht Profite anstreben, das Handwerk zu legen.
Die Bundesregierung setzt ihre Bemühungen fort, auch in anderen Fällen durch die Vereinten Nationen zu Beweismaterial zu gelangen, um den deutschen Strafverfolgungsbehörden die Arbeit zu erleichtern. Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung alle diesbezüglichen Informationen unverzüglich an die zuständigen Stellen weitergeleitet hat.
Herr Staatssekretär, eine zusätzliche Information will offensichtlich der Abgeordnete Hinsken erbitten. Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt mehrere Firmen genannt, die auf Grund von Waffenlieferungen in den Irak in Mißkredit ge-
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Ernst Hinskenbracht wurden. Würden Sie bereit sein, hier die Feststellung zu treffen, daß so bekannte deutsche Firmen wie MBB und Siemens laut IAEO nicht geliefert haben? Ich meine nämlich, es ist von größtem öffentlichen Interesse, dies auch hier in dieser Debatte seitens der Bundesregierung festzustellen.
Herr Kollege Hinsken, ich verstehe das berechtigte Interesse daran, bestimmte Firmen aus dem Kontext herauszuhalten. Allerdings müßte ich dann einen ganz umfangreichen Katalog deutscher Unternehmen vorlegen, die sich alle nach dem Kodex verhalten haben und insofern keinen Vorwürfen ausgesetzt werden dürfen. Das würde aber die Zeit, die uns hier gesetzt ist, bei weitem überbeanspruchen.
In der Tat, Herr Staatssekretär, Sie bekämen dann großen Ärger mit mir.
Es ist wirklich so, daß sich der allergrößte Teil der deutschen Industrie, der deutschen Wirtschaft unseren Rechtsnormen entsprechend verhält, daß aber einige wenige des Profits wegen unsere gesamte deutsche Industrie in Mißkredit bringen. Diesen Fällen wird die Bundesregierung und werden die Organe der Rechtsprechung und der Rechtsverfolgung unnachsichtig nachgehen.
Eine weitere Frage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen voll und ganz beipflichten. Ich meinte, diese Frage stellen zu müssen, weil MBB und Siemens besonders in Mißkredit geraten sind und diese Firmen eben deshalb erwähnt werden sollten.
Herr Abgeordneter, die Fragestellung ist nicht dazu geeignet, die Rechtfertigung für die erste Frage zu geben. Das möchte ich hier doch einmal feststellen. — Haben Sie jetzt noch eine Frage?
Das wär's, Herr Präsident.
Dann bitte ich fortzufahren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung wird jedenfalls alles tun, um unseren Strafverfolgungsbehörden die Arbeit zu erleichtern. Sie können auch versichert sein, daß die Bundesregierung alle diesbezüglichen Informationen unverzüglich an die zuständigen Stellen weitergeleitet hat und dies auch in Zukunft tun wird.
Die bisher bekanntgewordenen Erkenntnisse aus den einzelnen Inspektionsreisen der Vereinten Nationen in den Irak sind allesamt — das muß ich hier leider sagen — erschreckend. Es ist dem Irak offensichtlich gelungen, weite Bereiche seiner systematischen Aufrüstungsbestrebungen im Bereich der Massenvernichtungswaffen und Raketentechnik weitgehend geheimzuhalten. Es ist auch schockierend, daß diese Aktivitäten nur durch die umfangreiche Ausstattung mit einschlägigem Know-how und entsprechenden technischen Ausrüstungen aus dem Ausland so weit gedeihen konnten. Es waren allerdings nicht allein deutsche Unternehmen oder deutsche Experten, aber es gibt auch keinen Grund, den Umfang ihrer Beteiligung herunterzuspielen.
Die Bundesregierung hat durch die seit 1989 mehrfach verschärften Ausfuhrkontrollvorschriften bereits das ihre getan, um einer Wiederholung vorzubeugen. In Zukunft müssen skrupellose Exporteure, die Geschäfte mit dem Tode betreiben, mit empfindlichen Freiheitsstrafen rechnen.
Wie das Beispiel Irak zeigt, versorgt sich ein Land, das ein solches Aufrüstungsprogramm betreibt, nicht nur aus einer Quelle, sondern versucht, möglichst viele Bezugsquellen international zu erschließen. Darum ist auch eine internationale Zusammenarbeit der potentiellen Lieferländer erforderlich. Für bestimmte Teilbereiche wie den Nuklear-, Chemie- und Raketenbereich existiert sie auch bereits.
Ausgespart blieb bisher der konventionelle Rüstungsbereich. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen, auch in diesem Bereich zu einer Vereinheitlichung der Exportpolitiken zu kommen, fortsetzen. Nach dem derzeitigen Stand — das muß ich leider auch anmerken — sind hier erhebliche Widerstände der größeren Rüstungsexportnationen zu erwarten. Wir werden uns jedoch nicht in unserem Bestreben entmutigen lassen, zumal schon einige andere Länder der Bundesregierung ihr Interesse an einer gemeinsamen Position signalisiert haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Schwanhold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Beckmann hat darauf hingewiesen, daß es keine abschließende Beurteilung in jedem einzelnen Fall gibt. Zwischenzeitlich gibt es neue Erkenntnisse, über die wir noch nicht insgesamt aussagen können, welche Auswirkungen sie für die deutsche Wirtschaft haben, inwieweit die deutsche Wirtschaft wirklich involviert ist. Deshalb fordere ich Sie auf, möglichst bald einen neuen Bericht vorzulegen, der Ergänzungen und möglicherweise auch Abarbeitungen der alten Vorwürfe beinhaltet.Die Aufrüstung des Irak ist kein Sonderfall und schon lange nicht die Ausnahme. Der Irak wurde systematisch im vollen Bewußtsein und auch mit Hilfe der Bundesregierung aufgerüstet. Die Bundesregierung ist — genauso wie im Fall Rabta — in eine selbstgestellte Falle gelaufen.
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4006 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Ernst SchwanholdGerade vorgestern muß es der Bundesregierung anläßlich der Verkündung des Urteils im zweiten Imhausen-Prozeß in den Ohren geklungen haben, wenn die Richter meinen, daß die Bundesregierung bereits 1985 gewußt haben mußte, daß in Libyen eine deutsche Firma eine Giftgasanlage baut. Die Bundesregierung hat es versäumt, auf diese Hinweise zu reagieren, genauso wie sie es versäumt hat, zum gleichen Zeitpunkt auf die Hinweise einer Beteiligung deutscher Firmen im Irak zu reagieren.Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zu den Waffenexporten in den Irak offenbart mehrere Punkte:Erstens. Die Aufsichtsbehörde in Eschborn verdient den Namen einer Kontrollbehörde nicht.Zweitens. Die wirklichen Probleme im Waffenexport sind nicht nur die illegalen, sondern ganz besonders auch die legalen Exporte.Drittens. Alle Informationen unserer Geheimdienste und die Berichte von befreundeten Staaten nutzen wenig, wenn die kontrollierenden Behörden die Achseln zucken und wegsehen.
Insoweit liest sich der Bericht der Bundesregierung wie eine Auflistung von Pannen und Versäumnissen.Die „Zeit" berichtete am 15. März 1991 als Bestandsaufnahme der deutschen Exportpolitik für den Irak über falsche Auskünfte, späte Geständnisse, Unwissenheit und die Wahrheit auf Raten. Zusammengefaßt meint die „Zeit" : „Betrug im Bundestag".Festzuhalten ist: Erst nach einer Anfrage der GRÜNEN im November 1989 wird die Bundesregierung darauf aufmerksam, daß eine Firma die Ausfuhr einer Anlage zur Herstellung von Panzer- bzw. Kanonenrohren in Einzelaufträge aufgesplittet und genehmigt bekommen hat. Die Organisationsstruktur im Bundesamt für Wirtschaft ist offensichtlich nicht in der Lage, Einzelgenehmigungen für eine und dieselbe Firma zu vergleichen. Das ist mehr als traurig.Im Bericht der Bundesregierung wird eingeräumt, daß durch unrichtige und unvollständige Angaben die betroffenen Firmen beim Bundesamt für Wirtschaft Negativbescheinigungen erschlichen haben. Das deutet offensichtlich darauf hin, daß die Prüfung der Anträge sehr oberflächlich vorgenommen wurde. Bereits 1982 hatte das Wirtschaftsministerium Hinweise darauf, daß es sich bei dem Projekt Saad 16 um einen Militärraketenkomplex handelte. Trotzdem wurden bis November 1987 Genehmigungen zum Export von Anlagenteilen für dieses Projekt bewilligt. Allein seit 1985 gab es insgesamt 52 Ausfuhrgenehmigungen für Güter des Abschnitts C der Ausfuhrliste für diesen Militärkomplex. Nicht früher als 1989 wurden die Negativbescheide zurückgezogen — nach vier Jahren. Die Firma durfte bis Mai 1989 im Irak weiterarbeiten.Die Aufrüstung des Irak offenbart aber auch ein internationales Phänomen: Die Staaten, die Kriegswaffenexporte in gigantischem Ausmaß genehmigt haben, sind auch diejenigen, die den im Vergleich geringen Anteil der Bundesrepublik am lautesten kritisieren. Das ist eine etwas verlogene Diskussion.
Sicher, die deutsche Beteiligung an den Rüstungsprogrammen des Irak sind von ganz perfider Natur. Giftgas und Raketen, die Israel erreichen können, müssen uns betroffen machen und für die Zukunft Konsequenzen daraus ziehen lassen.Die Vorkommnisse im Irak haben aber System. Genauso wie die Bundesrepublik in die Aufrüstung des Irak verstrickt ist, wird die Bundesregierung eine Verstrickung in die Aufrüstung Pakistans, Indiens und auch Jugoslawiens scheibchenweise erkennen lassen müssen.Ein anderes Beispiel ist Birma. Dort tobt seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Das ehemals bundeseigene Unternehmen Fritz Werner liefert dafür die Waffen und Munition. Auch in diesem Fall wissen die Journalisten mehr als die Bundesregierung. Wie am letzten Dienstag in der Sendung „Report" zu sehen war, hat die Firma Fritz Werner Unterlagen gefälscht, um ihre Verstrickung in die Rüstungsexporte nach Birma zu vertuschen.Solche Beispiele können aber auch dahingehend interpretiert werden, daß sich die Bundesregierung redlich um einen restriktiven Rüstungsexport bemüht, die Industrie aber zu clever ist und deswegen deutsche Rüstungsgüter weltweit exportiert werden können.
— Dieses Beispiel ist ein Beleg dafür.Hinzu kommt, daß ich unter dem Thema der Rüstungsexportkontrolle nicht nur den Handel mit Waffen verstehe, sondern alle Güter des militärischen Bedarfs und auch solche, die zur Herstellung von Waffen nötig sind, einbeziehe.Bezogen auf den internationalen Rüstungshandel kann man von einer Sonderstellung der Bundesrepublik im Vergleich zu den führenden Rüstungsexportnationen sprechen. Der Kriegswaffenexport der Bundesrepublik ist eher bescheiden. Hingegen ist die deutsche Exportwirtschaft im Bereich der Anlagen- und Werkzeugmaschinen führend. Mit dem Golfkonflikt ist deutlich geworden, daß diese Lieferungen gleichermaßen eine verheerende Auswirkung auf Spannungsgebiete haben. Dieser Industriebereich hat entscheidend dazu beigetragen, daß der Irak all jene rüstungsindustriellen Vorhaben verwirklichen konnte, die ihn gegenüber Embargomaßnahmen unempfindlich machten und ihm erlaubten, einen Angriffskrieg vorzubereiten.Wir haben in den letzten Jahren einen Strukturwandel im Rüstungsexport zu verzeichnen. Während bis in die 80er Jahre die Dritte Welt und vor allem Schwellenländer Waffen für ihre Sicherheitspolitik im Ausland eingekauft haben, so stehen heute vor allem Produktionsanlagen und Werkzeugmaschinen auf der Wunschliste der Einkäufer.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 4007
Ernst SchwanholdDie Dritte Welt produziert, mindestens teilweise, ihre eigenen Waffen auf Maschinen und Anlagen der Industriestaaten. Dadurch sind Industriebereiche in das Raster der Rüstungsexportkontrolle geraten, die vermeintlich mit Krieg und Kriegsführung nichts zu tun haben. Und dieses ist richtig so. Die Politik und die Gesetzgebung müssen dieser Entwicklung folgen.In der Diskussion um eine europäische Rüstungsexportkontrolle nenne ich die Versuche der Industrie, bestehende Schranken zu umgehen. Gegenwärtig zeichnen sich drei Ausweichstrategien der Rüstungsindustrie ab:Zum ersten werden Genehmigungsverfahren durch Aufsplittung in Einzelteile umgangen.Zum zweiten werden zum Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie im Empfängerland Lizenzen vergeben und Produktionsanlagen geliefert.Zum dritten werden Kooperationen mit ausländischen Partnern gebildet, bei denen Rüstungsexporte kaum eingeschränkt sind. Von dort wird die Vermarktung der gemeinsamen Güter betrieben.Die Gesetzgebung zur Kontrolle der Rüstungsexporte folgt gegenwärtig diesen Vorgaben der Industrie zur Umgehung der bestehenden Gesetze.
— De facto ja.
Diese Politik des augenzwinkernden Wegsehens hat ihre Ursache in dem zweifelhaften Wunsch, trotz einer scharfen Exportregelung die Wirtschaft im internationalen Vergleich nicht über Gebühr zu behindern. Herr Kittelmann, Sie haben das mit Ihrer letzten Rede belegt.Ab 1993 werden durch die Vollendung des Binnenmarktes die Exportschranken weiter geöffnet. Nach dem bisherigen Stand der Verhandlungen wird eine Rüstungsexportkontrolle dann nur noch in der Theorie stattfinden, in praxi nicht mehr. Der Binnenmarkt verlagert die Exportkontrollen an die Außengrenzen der Gemeinschaft. Dadurch können nationale Vorschriften jederzeit umgangen werden. Mit einfachsten Mitteln kann innerhalb der Europäischen Gemeinschaft von der Industrie, die dieses wünscht, das Exportland ausgewählt werden, welches die geringsten Restriktionen beim Rüstungsexport kennt. Praktisch sind somit unsere durchaus restriktiven Rüstungsexportgesetze in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 1993 Makulatur. Ab 1993 wird somit das Mitgliedsland mit der offensten Exportpraxis faktisch den Kriegswaffenexport der EG bestimmen.Ich frage die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, was sie aus den Erfahrungen des Irak-Konfliktes zu unternehmen gedenkt. Selbst wenn Dualuse-Waren für den Einsatz im militärischen Bereich gedacht sind, können sie nicht mit nationalen Exportvorschriften erfaßt werden, weil es keine Waffen, Munition oder Kriegsmaterialien im Sinne des Art. 223 sind. Ich will dies noch einmal wiederholen: Mit dem 1. Januar 1993 ist eine Rüstungsexportkontrolle außerhalb der Europäischen Gemeinschaft praktisch nicht mehr durchführbar. Und: Alle Einschränkungen, die das deutsche Recht für Dual-use-Produkte kennt, entfallen zum selben Termin.Dieses zu beklagen, hilft nicht weiter; denn die Situation, die durch den Binnenmarkt auf uns zukommt, ist unausweichlich, es sei denn, die Regierungen der Mitgliedstaaten rauften sich noch in letzter Minute zusammen.Die Überlegungen, welche derzeit in der Bundesrepublik zur Verschärfung des Außenwirtschaftsrechtes angestellt werden, betreffen somit nur noch eine Laufzeit von etwas mehr als einem Jahr. Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, für diese schwierige Situation bei den europäischen Partnern Interesse zu wekken. Wir müssen aus der Erfahrung der Vergangenheit davon ausgehen, daß die Industrie mit Vollendung des Binnenmarktes die neuen Möglichkeiten weiträumig nutzen wird. Es ist für mich aber unerträglich, zu wissen, daß deutsche Rüstungsgüter in Krisengebieten der Welt zum Einsatz kommen, vermehrt zum Einsatz kommen, oder Despoten zur Angriffsfähigkeit verhelfen.In Kenntnis der Realität bleibt uns deswegen nur ein Ausweg: Es müssen Verhandlungen zu einem Ergebnis gebracht werden, daß eine restriktive europäische Rüstungsexportpolitik beinhaltet. Wenn diese nicht zustande kommt, muß auch der Bundeswirtschaftsminister Roß und Reiter nennen, sagen, wer dieses verhindert. Die Bundesregierung hat sich meiner Einschätzung nach nicht ausreichend darum bemüht, Exportbeschränkungen auf internationaler Ebene zu verankern. Angesichts dieser Situation habe ich wenig Hoffnung, daß bis zum Stichtag des Binnenmarktes eine einheitliche Regelung vereinbart und wirksam werden kann.
Sie sind bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken zu beantworten?
Ich bin beim letzten Satz und würde gern darauf verzichten.
Meine Fraktion wird in den nächsten Wochen einen Vorschlag zur Regelung auf europäischer Ebene vorlegen.
Nun spricht der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die CDU/ CSU nochmals eindeutig feststellen — ich weiß, daß wir innerhalb der Koalition uns hier mit den Damen und Herren der Opposition einig sind — : Illegale Waffenexporte sind mit Empörung und Verachtung zu verurteilen und hart zu bestrafen.
Wir sind uns in diesem Hause einig, daß auf Grund unserer historischen Hypothek und der daraus folgenden Sensibilität des Auslandes wir zu besonderer Verantwortung aufgerufen sind. Unabdingbar bleibt also, daß wir bei kriminellen Machenschaften besonders rigide vorgehen müssen. Zurückhaltung ist nicht gefragt, Roß und Reiter müssen genannt werden, und die Fakten sollen auf den Tisch kommen.
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4008 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Peter KittelmannDaß es ein Splitting zwischen einem öffentlich zugänglichen und einem vertraulichen Bericht gab, steht dazu in keinerlei Widerspruch. Die Entscheidung war vielmehr richtig. Sosehr Schuldige zur Rechenschaft gezogen werden müssen, so sehr müssen die geschützt werden, gegen die noch keine oder am Endpunkt überhaupt keine Beweise vorgebracht werden können. Es bestätigt sich eben nicht jeder Verdacht, und allein aus Verdacht darf keine Verurteilung erfolgen.
Das große Problem des Dual-use, das eben auch angesprochen worden ist, bleibt eine offene Flanke. Nur wissen wir, daß über 80 T. — ich weiß nicht, wie hoch der Prozentsatz der Dual-use-Güter ist — eben nicht zu Rüstungszwecken exportiert oder auch später verwandt werden. Es darf nicht zu einer Verhinderung unseres gesamten Exports führen, hier durch übergroße Behinderungen und Kontrollen einen Export gar nicht mehr durchführen zu können und es so zu wettbewerbsverhindernden Irritationen kommt. — Ja.
Sie haben durch Zeichen zu erkennen gegeben, daß Sie die Zwischenfrage gestatten.
Herr Kollege Kittelmann, würden Sie es als übergroße Behinderung bezeichnen, wenn offensichtlich für Rüstungs- und Waffenproduktion eingekaufte Dual-use-Güter ab 1993 nicht mehr restriktiv zu behandeln sind?
Sie werden sich daran erinnern, daß ich im Wirtschaftsausschuß die konkrete Frage mit der Bitte um eine gründliche Beantwortung durch das Wirtschaftsministerium gestellt habe, ferner gebeten habe, uns mitzuteilen, wie die Rechtslage ab 1. Januar 1993 ist. Wir werden uns dann im Wirtschaftsausschuß gemeinsam darüber zu unterhalten haben.Meine Damen und Herren, wir haben den Bericht, den uns die Bundesregierung gegeben hat, zur Kenntnis genommen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für Ihren heutigen Bericht. Wir wissen aber auch — ich möchte das wirklich an uns alle richten —, daß sowohl das Parlament als auch die Medien gut daran tun würden, die Einhaltung rechtsstaalicher Regelungen, nämlich keinerlei Vorverurteilung vorzunehmen, zu unterstützen und zu fördern.Es bleibt dabei: Über 99 %, wahrscheinlich 99,9 % der deutschen Wirtschaft haben mit den illegalen Machenschaften, über die wir heute reden, nichts zu tun. Kollege Hinsken hat eben schon konkret einige Firmen genannt. Diesen Katalog könnten wir enorm erweitern, und wir könnten auch nachweisen, daß der Vorwurf die immer große Schlagzeile abgibt. Wenige Wochen später folgt dann die Klärung, daß der Vorwurf nicht berechtigt ist, auf Seite 7, Abs. 2, 3. Zeile. Irgendwo steht dort klein, daß sich herausgestellt hat, die Vorwürfe waren nicht berechtigt. Hier ist immer wieder eine Unverhältnismäßigkeit in der Öffentlichkeit festzustellen. In diesem heiklen Bereich würden Betriebe, gegen die sich zu Unrecht Verdachtsmomente ergeben, schließlich auf der Strecke bleiben. Sich jahrelang dahinschleppende, öffentlich gemachte Überprüfungen sind unvertretbar, solange keine Beweise vorliegen. Solche Schädigungen der deutschen Wirtschaft können nicht akzeptiert werden.
Ich wehre mich auch gegen Vorwürfe, wie sie die SPD eben wieder hat anklingen lassen, daß innerhalb des Wirtschaftsministeriums oberflächlich genommene und augenzwinkernde Vereinbarungen stattfinden. Ich finde, auch in dieser Allgemeinheit darf man Vorwürfe nicht erheben.Meine Damen und Herren, Schädigungen der deutschen Wirtschaft können nicht akzeptiert werden, aber ebenso nicht die Tatsache, daß ein kleinerer krimineller Teil das Ansehen der gesamten deutschen Wirtschaft in Verruf bringt. Unnachgiebig müssen wir in unserer Forderung bleiben, daß uns alle verfügbaren Dokumente zugeleitet werden, die zu einer Klärung möglicher illegaler Exportgeschäfte führen. Immer wieder wird in der Presse über Namen, Geschäfte und Protokolle spekuliert; hier bleibt für uns Klärungsbedarf.Wir fordern daher die Bundesregierung nachdrücklich auf, entsprechende Daten der UNO einzufordern.Wir haben im Wirtschaftsausschuß darüber gesprochen, und ich darf noch einmal ausdrücklich die Aufforderung an die Bundesregierung stellen: Bei neuen Erkenntnissen über deutsche Firmen, die in einem UNO-Bericht auftauchen, z. B. jetzt über den Irak, ist die UNO gefordert, ohne bürokratische Verzögerung der Bundesregierung Mitteilung zu machen. Wir bitten die Bundesregierung, diese Mitteilung dann auch an das Parlament weiterzuleiten. Je zügiger eine Klärung herbeigeführt wird, desto schneller werden wir die schwarzen von den weißen Schafen trennen können, Vorverurteilungen ausschließen und begründete Verurteilungen vornehmen können. Ich denke, daß dies eine Verpflichtung gegenüber rechtsstaatlichen Prinzipien ist. Dieser Verpflichtung sollten wir übrigens alle entsprechen.Darüber hinaus haben wir mit dem Koalitionspartner unverzüglich einen Gesetzentwurf eingebracht, der seine Lehre aus der bisherigen Exportpraxis zieht. Ich kann den Sozialdemokraten zum wiederholten Male nicht den Vorwurf ersparen, daß sie sich durch die Blockierung des Gesetzes der Verantwortung entziehen und sich der Unglaubwürdigkeit schuldig machen. Was kann denn angesichts der Verstöße gegen das geltende Exportgesetz und der daraus resultierenden fatalen Verstrickungen einiger Betriebe wichtiger sein, als solche Entwicklungen schon im Vorfeld zu unterbinden? Wir sehen doch, wozu es führt, wenn wir am Ende vor vollendeten Tatsachen stehen. Gefahr für andere Völker und außenwirtschaftlicher Schaden sind dann doch schon ein Tatbestand, dem wir nur noch hilflos hinterherhinken.Lassen Sie mich darum noch einmal betonen, was wir mit diesem Gesetz wollen: erstens restriktive Regelungen im Rüstungsexport, um illegale Rüstungsexporte zu unterbinden; zweitens die strukturellen Vor-
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Peter Kittelmannaussetzungen, um schon im präventiven Bereich wirkungsvoll einzugreifen; drittens rigide Strafen bei Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Mehrfach hat sich die CDU/CSU — auch ich habe das hier betont — in Ergänzung des Gesetzes — viertens — für eine europaweit harmonisierte Exportkontrolle ausgesprochen. Eine solche Internationalisierung der Exportbestimmung ist unabdingbar, wenn unsere Bemühungen am Ende nicht vergebens sein sollen.
Wertvolle Zeit ist verstrichen, in der wir durch eine beispielhafte Gesetzgebung eine Harmonisierung auf besonders hohem Niveau hätten festschreiben können.Die Sozialdemokraten — und darum bitte ich — dürfen dieses Gesetz nicht länger blockieren. Seit Monaten wird in allen betreffenden Ausschüssen und Gremien glaubhaft versichert, daß das Gesetz mit der Verfassung durchaus in Einklang steht. Wenn sich der Minister und die Koalitionsfraktionen entschieden haben, dem Zollkriminalinstitut die Möglichkeit einzuräumen, den Post- und Telefonverkehr von Unternehmen und Personen zu überwachen —
Herr — —
—, so geschieht das vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
Dieser definiert sich aus der Schutzbedürftigkeit bestimmter Rechtsgüter. Ich nehme an — deswegen habe ich zu Ende gesprochen — , daß der Kollege die Frage, die er jetzt stellt, zu diesem Sachverhalt stellen möchte, Herr Geschäftsführer.
Es ist sehr schwierig, den Abgeordneten Kittelmann zu unterbrechen; das geht ja wie ein Maschinengewehr.
Nur wenn ich will.
Herr Kittelmann, sind Sie bereit, zum wiederholten Male zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie den unstrittigen Teil des Gesetzes mit den Sozialdemokraten längst haben könnten und daß die CDU/CSU/FDP-Koalition im Vermittlungsausschuß nicht bereit war, auf unsere Vorschläge einzugehen? Wir haben mehrfach Vorschläge — die im übrigen bei großen Teilen der FDP Zustimmung gefunden haben — unterbreitet, wie man die Überwachung anders als durch das Zollkriminalinstitut vornehmen kann.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß über die strittigen Fragen im Parlament und in den Ausschüssen seit Monaten diskutiert wird und daß die große Mehrheit der Koalition nicht bereit ist, Verzögerungen weiter hinzunehmen? Wir werden das Gesetz jetzt zügig verabschieden. Sie werden sich dann den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß Sie immer wieder Verfassungsprobleme aufwerfen, die wir in der öffentlichen Anhörung im Ausschuß in wenigen Tagen öffentlich als haltlos darstellen werden.
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu den Sozialdemokraten haben wir Beweglichkeit bewiesen und in diesem Gesetzentwurf auch die Pflicht zur Mitteilung an die Staatsanwaltschaft eingefügt. — Auch hier haben wir uns bemüht, mit Ihnen eine Einigung zu erreichen. — Von dem Aufbau eines Geheimdienstes, von dem Sie behaupten, daß er unkontrolliert und unabhängig handeln könne, ist überhaupt keine Rede.Darüber hinaus ist das Zollkriminalinstitut viel eher qualifiziert, in diesem Bereich tätig zu werden, als die von Ihnen herangezogene Staatsanwaltschaft. Auch der Wirtschaftsminister ist nur dann ermächtigt, einen Verwaltungsakt zu erlassen, wenn er zuvor mit dem Auswärtigen Amt und dem Finanzministerium Einvernehmen erzielt hat. Es gibt deshalb keine vernünftigen Gründe — das darf ich meiner Antwort auf Ihre Frage noch hinzufügen — , sich dem Gesetz noch länger zu widersetzen. Die für nächste Woche vorgesehene öffentliche Anhörung wird dieses erweisen. Wir werden Zweifel an der Verfassungsverträglichkeit endgültig ausräumen.Meine Damen und Herren, wenn wir aus der Erf ah-rung mit den Exporten in den Irak Lehren ziehen und von dem Bericht der Bundesregierung profitieren wollen, muß jetzt endlich gehandelt werden. Lassen Sie uns darum nun im Interesse aller gemeinsam eine wirkungsvolle Exportkontrolle auf den Weg bringen, um so für einen internationalen hohen Standard initiativ zu werden. Um so wirkungsvoller könnte sich die Bundesregierung dann bei den Vertragsverhandlungen zu den Regierungskonferenzen für eine restriktive Exportpolitik engagieren.Wir Deutschen haben eine große Verantwortung, aber nicht wir allein. Wie schon in der Vergangenheit, so werden auch die kommenden Tage beweisen, daß im Rüstungsexport international gesündigt wird. Illegaler Rüstungsexport ist ein internationales Phänomen. Um so wichtiger ist internationale Übereinstimmung auf EG-Ebene und darüber hinaus.
Ob über die UNO oder mittels einer COCOM-ähnlichen Regelung — wir müssen zu einer abgestimmten Regelung kommen. Hier drücke ich übrigens auch meine besondere Erwartung gegenüber der sozialistisch geführten Regierung Frankreichs und gegenüber der konservativ geführten Regierung Großbritanniens aus.Meine Damen und Herren, abschließend darf ich feststellen: Wir Deutschen werden es uns weiter gefallen lassen müssen, daß wir besonders im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit stehen, wenn deutsche Betriebe im illegalen Rüstungsexport involviert sind. Wir werden dem gerecht werden. Auf der ande-
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Peter Kittelmannren Seite werden wir es uns in Zukunft nicht weiter gefallen lassen müssen, daß andere Länder, die noch eher schuldig geworden sind, dadurch, daß sie sich internationalen Regelungen des Rüstungsexports entziehen, dieser Schuld nicht gerecht werden.
— Ich habe eindeutig festgestellt, daß das für uns keine Entschuldigung ist.Wir haben auf dem Gipfel der G 7 festgestellt, daß international — über Europa hinaus — gehandelt werden muß. Wir haben festgestellt, daß die Nachdenklichkeit in den USA zunimmt, aber im konkreten Fall große Schwierigkeiten bestehen, den Nachdenklichkeiten nachzukommen, weil auch die USA außerordentlich stark im Rüstungsexport involviert sind. Das heißt: Wir werden feststellen, daß deutsches Handeln alleine nicht ausreicht, um dem Phänomen des Rüstungsexports, vor allen Dingen des illegalen Rüstungsexports, nachzukommen. Ich freue mich, daß wir zumindest in dieser Frage mit der Opposition voll übereinstimmen.Schönen Dank.
Zunächst einmal kann ich dem Hause mitteilen, daß der Abgeordnete Lowack seine Rede zu Protokoll gegeben hat. *)
Ich rufe jetzt die Abgeordnete Frau Lederer auf. Sie haben das Wort, Frau Abgeordnete.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem hier debattierten Bericht behauptet die Bundesregierung, die Rüstungsexportgenehmigungspraxis in die Regionen des Nahen und Mittleren Osten sei stets besonders restriktiv gehandhabt worden. Ich finde, die Tatsachen und die Realität sprechen dieser Behauptung einfach Hohn.
Die gerade erst durch UNO-Beobachter gefundenen deutschsprachigen Dokumente für das irakische Nuklearprogramm sind nur ein und sicherlich nicht der letzte Beleg für den Widerspruch zwischen Behauptung und Realität. Die Maxime der Genehmigungspraxis ist schlicht: im Zweifel für den Export. Das Interesse an einer Eindämmung tendiert gen Null. Da helfen alle Erklärungen, die Herr Kittelmann sowie der Staatssekretär abgegeben haben, nichts.
Zu den Makulaturverschärfungen am Außenwirtschaftsgesetz haben wir hier, glaube ich, schon viermal debattiert. Die Bundesrepublik gehört nach wie vor zu den führenden Waffenexporteuren. Laut SIPRI hat sie von 1986 bis 1990 weltweit Waffen im Wert von 1 946 Milliarden US-Dollar exportiert.
Die Bundesregierung hat beispielsweise knapp 70 Hubschrauberlieferungen an den Irak zum Teil über Lizenzvergaben zu verantworten. Ich frage Sie:
*) Anlage 2
Haben Sie eigentlich einmal überlegt, beispielsweise wie viele Kurdinnen und Kurden durch Beschuß aus solchen Hubschraubern ihr Leben lassen mußten? Darüber hinaus waren bundesdeutsche Rüstungsfirmen wie MBB über Gemeinschaftsproduktionen, vor allem zusammen mit Frankreich, an der Aufrüstung des Irak beteiligt. Wenn Sie hier noch so häufig versuchen, die Rüstungsflaggschiffe der deutschen Industrie sozusagen aus dem Schußfeld herauszunehmen, es wird nicht gelingen, weil schlicht und einfach immer wieder solche Informationen aufkommen werden.
Letztes Beispiel: Präzisionsgeräte zur Atomwaffenherstellung der deutschen Leybold AG aus Hanau. Dank der Hintertürchen der bundesdeutschen Rüstungsexportgesetzgebung und der Rechtsprechung kommen die Exporteure des Todes meist ungeschoren davon. Die UNO fordert eine scharfe Überwachung des Irak. Dem können wir nicht widersprechen. Allerdings lehnen wir eine Beobachtung mit Tätern, also unter deutscher Beteiligung ab. Das hieße nämlich, den Bock zum Gärtner machen. Mindestens genauso notwendig ist eine scharfe Überwachung der Bundesrepublik als einem der größten Rüstungsexporteure. Die neuerlichen Funde deutschsprachiger Dokumente im Irak durch die UNO-Beobachter erfordern umgehend einen neuen Bericht der Bundesregierung, und zwar unter Benennung der verantwortlichen Firmen.
Um den Rüstungsexport einzuschränken, genügen keine halben Schritte. Es genügt nicht, den Rüstungsexportstopp nur in die eine Region und möglichst nur als Moratorium zu fordern. Das Problem muß schlicht an der Wurzel angepackt werden, denn die Parole der Friedensbewegung stimmt einfach: Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt. Ins Grundgesetz muß ein generelles Rüstungsexportverbot. Wir brauchen ein Konversionskonzept, das gesamtgesellschaftlich orientiert ist und mit Beteiligung der Betroffenen umgesetzt wird, denn die Rüstungsproduktion ist die materielle Grundlage des modernen Krieges.
Ich danke Ihnen.
Zunächst einmal kann ich dem Haus mitteilen, daß auch der Abgeordnete Hinsken dankenswerterweise seine Rede zu Protokoll gegeben hat *), so daß ich nunmehr den Abgeordneten Poppe bitten darf zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag, daß diese Debatte erst heute und dazu noch auf eine halbe Stunde verkürzt stattfindet.Ende März legte der Bundeswirtschaftsminister dem Wirtschaftsausschuß einen Geheimbericht über illegale und legale Rüstungsexporte bundesdeutscher Firmen in den Irak vor. Nach Protesten, vor allem auch vom Bündnis 90/GRÜNE, wurde der Bericht dann Anfang Mai in bereinigter Fassung dem Parlament vorgelegt. Nun, ein halbes Jahr später debattieren wir auf*) Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 4011
Gerd PoppeAntrag der SPD-Fraktion über diesen Bericht. Offenbar hat die SPD inzwischen erkannt, daß der Bericht viele Fragen unbeantwortet läßt. Im März 1991 erklärte ihr Fraktionsvorsitzender, wenn die Bundesregierung nicht alle Fakten auf den Tisch lege, dann werde dies ein Untersuchungsausschuß tun. Den Untersuchungsausschuß haben wir immer noch nicht. Angesichts der Lücken, die der vorgelegte Bericht aufweist, sehe ich mich daher veranlaßt, unsere Forderung nach seiner Einsetzung zu erneuern und zu bekräftigen.Der Bundestag macht sich politisch unglaubwürdig, wenn er im Einvernehmen aller Fraktionen und Gruppen die Machenschaften Schalck-Golodkowskis — unter anderem im internationalen Waffenhandel — mit einem Untersuchungsausschuß aufklären will, ein analoges Verfahren die dunklen Aktivitäten bundesdeutscher Wirtschaft und Politik betreffend jedoch verweigert.
Inzwischen entdecken UNO-Inspektoren im Irak ständig neue Fakten über geheime Waffenprogramme des Irak, vor allem im Atomwaffenbereich, wobei sich immer wieder Hinweise auf eine Beteiligung deutscher Firmen finden. Lesen Sie dazu beispielsweise die FAZ von heute. Die Bundesregierung hat bei der UNO eine Liste dieser Firmen angefordert. Wir erwarten, daß baldmöglichst die Öffentlichkeit darüber informiert wird, um welche Firmen und um welche Waffenprojekte es sich bei den Funden der UNO-Inspektoren handelt.Eines ist bereits jetzt klar: die im vorliegenden Bericht genannten Firmen und Fakten stellen nur die Spitze eines Eisbergs dar. Schon vor Monaten haben wir verschiedene Darstellungen bzw. Unterlassungen des Regierungsberichts kritisiert, die schon längst Anlaß für eine parlamentarische Untersuchung hätten sein müssen. Aus Mangel an Redezeit erwähne ich nur wenige Punkte:Erstens. Der Möllemann-Bericht sagt zur Verstrik-kung der Bundesregierung kaum etwas aus. Wir hatten eine detaillierte Untersuchung nach dem Vorbild des Schäuble-Berichts vom Februar 1989 zum Thema Rabta erwartet. Hätte der Bundeswirtschaftsminister einen solchen Bericht vorgelegt, wäre deutlich geworden, daß die Bundesregierung durch amerikanische Stellen und den BND über Exporte in den Irak vorab informiert war und diese trotzdem geduldet hat.Zweitens. Das wenige, was im Bericht zugegeben ist, ist alarmierend genug. Wesentliche Exporte, wie z. B. der Export des Militärforschungszentrums der Firma Gildemeister nach Mossul im Irak sind von der Bundesregierung genehmigt worden. Auch als die CIA-Hinweise immer handfester wurden, hat Gildemeister weitergeliefert und -gebaut. Inzwischen sind die Verantwortlichen der Firma Gildemeister vom gericht in Bielefeld freigesprochen worden.Drittens. Seit 1984 hatte die Bundesregierung Hinweise vom CIA und aus Israel auf die Tätigkeit der Firma Karl Kolb. Trotzdem konnte die Giftgasanlage in Samarra weitergebaut werden und Gas für das Massaker an den Kurden in Halabja liefern.Viertens. Völlig ausgeblendet aus dem Bericht wird die zwielichtige Rolle des BND. Nach undementierten Pressedarstellungen sollen die Firmeninhaber der Hamburger WET Leifer und al Khade BND-Agenten gewesen sein, und zwar noch während die WET die Chemiewaffenanlage in Falluja im Irak baute.Internationale Waffenlieferungen in den Irak, zu denen natürlich auch die deutschen gehören, haben zu einem blutigen Krieg beigetragen. Die Abrüstung des Irak unter Aufsicht der UNO-Beauftragten ist außerordentlich schwierig. Die Lieferungen waren so umfangreich, daß der Irak noch heute eine militärische Bedrohung für die Region darstellt.Aus dem Krieg am Golf hätten Konsequenzen gezogen werden müssen. Statt dessen sind Rüstungsexporte der Bundesrepublik immer noch erlaubt. Wie vergeßlich und verantwortungslos sind Politiker, die noch vor einem Dreivierteljahr mit scharfen Worten die „Händler des Todes" anprangerten, inzwischen aber längst wieder zur Tagesordnung übergegangen sind, wie die genehmigten Lieferungen an Südkorea zeigen?
— Ich möchte zu Ende sprechen; meine Redezeit ist gleich vorbei.
— Selbstverständlich.
Hier im Parlament war ich da, und hier ist es leider nicht abgehandelt worden.
Herr Abgeordneter Hinsken, Sie haben die Möglichkeit einer Kurzintervention.
Entschuldigen Sie, ich bin nicht in dem zuständigen Ausschuß, den Sie meinen. Das ist eine andere Geschichte.Selbst Unternehmen, die nachgewiesenermaßen U-Boot-Pläne und Know-how nach Südafrika lieferten, werden in dem neuen Klima der Vergeßlichkeit freigesprochen. In diesen Tagen hat die Oberfinanzdirektion Kiel im Auftrag der Bundesregierung nach sechsjährigen sogenannten Ermittlungen die Manager der Staatswerft HDW von allen Vorwürfen freigesprochen. Dieser Freispruch ist ein Skandal. Aber er hat leider auch Methode.
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4012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Hinsken das Wort.
Herr Präsident! Ich stelle nur ganz kurz fest, daß dieses Thema lang und breit in verschiedenen Sitzungen des Wirtschaftsausschusses in den letzten Monaten abgehandelt wurde und der Kollege, der soeben gesprochen hat, bei dieser Diskussion im Wirtschaftsausschuß leider jeweils durch Abwesenheit geglänzt hat.
Zum zweiten Punkt. Ich meine, hier sagen zu müssen, daß die Bundesregierung sehr wohl gehandelt hat. So ist die Exportabteilung beim Bundesamt für Wirtschaft in den letzten drei Jahren von 90 Mitarbeitern auf 260 Mitarbeiter aufgestockt worden. Verschiedene ganz sensible Bereiche, die bisher nur mit einem einzigen Mitarbeiter besetzt waren, wurden ausgeweitet, um den Problemen begegnen zu können. Das heißt, die Bundesregierung ist sich sehr wohl bewußt, daß hier Handlungsbedarf gegeben ist und daß man alles unternehmen muß, damit in Zukunft solche Auswüchse ausbleiben, die in der Vergangenheit festzustellen waren und die die gesamte deutsche Wirtschaft in den Schmutz gezogen haben, obwohl 99,9 % nicht negativ betroffen sind.
Herr Abgeordneter Müntefering, auf eine Kurzintervention kann nicht mit einer Kurzintervention geantwortet werden.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Kolb das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede danke ich dem Bundeswirtschaftsminister, der sich mit großem Engagement und großer Kooperationsbereitschaft um den uns vorliegenden Bericht bemüht hat.
Am 1. Februar angefordert, lag der Bericht bereits im März vor, und seit Mai liegt auch der öffentliche Bericht vor.Mir sind in dieser Debatte zunächst folgende Anmerkungen wichtig. Ein freiheitlicher Rechtsstaat, der nicht jegliche Regung seiner Bürger von vornherein im Keim erstickt und zugleich ein hohes Maß an Verantwortungsgefühlen aller erfordert, muß damit rechnen, daß dieser Freiheitsraum durch kriminelle Energie ausgenutzt wird. Dennoch wollen wir diese freiheitliche Ordnung aus guten und bekannten Gründen. Wir haben deshalb aber auch die Verpflichtung, unsere Gesetze so perfekt, wie nach dem jeweiligen Erkenntnisstand möglich, zu gestalten und Gesetzeslücken, wo immer wir sie erkennen, zu stopfen. Dies ist ein ständiger, nie endender Prozeß. Die heute geführte Debatte birgt die Gefahr in sich, daß in der Retrospektive Schuldzuweisungen vorgenommen werden, die sachlich nicht haltbar sind, weil sich unser Bewußtsein, unser Erkenntnisstand, unsere Sensibilität in dieser Frage in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich gewandelt haben. Deshalb ist es in großem Maß unredlich, wenn, wie es der Kollege Schwanhold getan hat, in dieser Debatte versucht wird, die Bundesrepublik oder die Bundesregierung auf die Anklagebank zu zerren und sie grob verallgemeinernd mit den Straftätern gleichzusetzen.
Das schadet dem Ansehen unseres Landes und zeichnet ein verfehltes Bild der Wirklichkeit.Tatsache ist doch: Die Bundesrepublik gehörte bei den legalen Rüstungsexporten nicht zu den Hauptlieferanten des Irak; das schon deshalb nicht, weil die Bundesregierung in keinem Fall eine Genehmigung für Kriegswaffenexporte erteilt hat.Ich möchte an dieser Stelle auch die Ausführungen der Kollegin Lederer zurückweisen, die davon gesprochen hat, daß die Bundesrepublik eine Spitzenposition im Waffenexport einnehme. Das ist nicht richtig. Zahlen des U. S. Congressional Research Service für das Jahr 1990 weisen aus, daß die USA mit 18,5 Milliarden DM 44,8 % der Waffenexporte getätigt haben, die UdSSR mit 12,1 Milliarden DM 29,2 %, China mit 2,6 Milliarden DM 6,3 % und Frankreich mit 2,2 Milliarden DM 5,3 %. Die Bundesrepublik befindet sich mit 190 Millionen DM und einem Anteil von 0,5 % ganz am Ende.
— Das ist richtig.Auch die Genehmigungen für Güter der Abschnitte A bis E der Ausfuhrliste Teil I wurden stets restriktiv behandelt, in den letzten Jahren mit immer größer werdender Sensibilität. Andere Länder — das muß in diesem Zusammenhang immer wieder betont werden— haben hier weniger Zurückhaltung an den Tag gelegt, auch wenn das — das ist hier Konsens — nicht Maßstab für uns sein darf.Im Mittelpunkt unseres Augenmerks müssen weiterhin die illegalen Rüstungsexporte stehen. In dieser Hinsicht zeigt der Bericht, was Lieferungen vor dem UN-Embargo anlangt, deutlich: Hier ist nichts zu beschönigen. Es sind, wie Herr Staatssekretär Beckmann gesagt hat, in erheblichem Umfang Lieferungen getätigt worden, aber es ist nicht d i e deutsche Exportwirtschaft, sondern es sind einzelne kriminell handelnde Unternehmen, die hier aufgetreten sind. Das gilt sowohl für den Bereich der chemischen Waffen, wo im wesentlichen eine Firmengruppe tätig ist, als auch für andere Rüstungsbereiche, etwa für die Raketentechnologie.Eine differenzierende Betrachtung erfordern auch die Ereignisse nach dem UN-Embargo, also Verstöße gegen das Irak-Embargo selbst. Bei 151 eingegangenen Hinweisen wurde bisher in einem Fall eine Lieferung nachgewiesen. Ich räume allerdings ein, daß hier noch eine ganze Reihe von Verfahren laufen.Wichtig erscheint mir — ich will das noch einmal ganz besonders hervorheben —, daß im Sinne des von mir eingangs Gesagten die Bundesregierung in allen Fällen sofort nach Erlangung der Kenntnis behördli-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 4013
Dr. Heinrich L. Kolbche Untersuchungen veranlaßt hat und, wo möglich und nötig, Ermittlungen eingeleitet worden sind.
Der Bericht zeigt auch, daß die Bundesregierung jeden Fall zum Anlaß genommen hat, die außenwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen in geeigneter Weise zu verbessern und auszubauen. So sind ständig die Außenwirtschaftsverordnung und die Ausfuhrliste angepaßt worden. Auch das können Sie im einzelnen im Bericht nachlesen.Zum Schluß möchte ich sagen: Der Bericht macht deutlich, daß es gilt, sämtliche illegalen Exporte im Ansatz zu verhindern. Dazu brauchen wir, Herr Kittelmann, eine wirksame Prävention, wie wir sie in unserem gemeinsamen Gesetzentwurf mit dem Zollkriminalinstitut vorgeschlagen haben; denn was nützt es dem Frieden und der internationalen Reputation der Bundesrepublik, wenn sie Exporte nicht verhindern, sondern sie nur ex post sanktionieren kann?Ich erkläre dies auch vor dem Hintergrund der Äußerungen des Leiters der Wiener Atomenergiebehörde, Blix, der uns dieser Tage mit der Mitteilung erschreckt hat, daß der Irak auf dem Wege zur Wasserstoffbombe bereits weiter vorangeschritten war, als wir alle vermuteten.Da in einem Rechtsstaat auch die perfektesten Gesetze Rechtsbrüche leider nicht verhindern können, ist es unsere Verpflichtung, die Möglichkeiten zu kriminellem Handeln durch präventive Maßnahmen weiter zu minimieren.Dies, so finde ich, sollte die Schlußfolgerung aus dem vorliegenden Bericht sein. Dazu bleibt das ganze Haus weiterhin aufgefordert.Danke schön.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Debatte.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/487 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann ist diese Überweisung beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verminderung der Personalstärke der Streitkräfte
— Drucksache 12/1269 —
Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zahl der Beamten im Ge-
schäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung an die Verringerung der Streitkräfte
(BwBAnpG)
— Drucksache 12/1281 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Auch dies ist der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen und bitte den Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Stoltenberg, das Wort zu ergreif en.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will, auch im Rahmen internationaler Absprachen, bis Ende 1994 die Zahl der Soldaten der Bundeswehr auf 370 000 zurückführen. Diese Aufgabe ist, wie wir alle wissen, in ihrer Dimension eigentlich nur mit dem Aufbau der Bundeswehr in den fünfziger und sechziger Jahren zu vergleichen. Es geht ja auch nicht um eine lineare Reduzierung, sondern darum, die Bundeswehr vor dem Hintergrund einer erheblich veränderten sicherheitspolitischen Lage in eine völlig neue Struktur umzugliedern.Dieser Prozeß ist nicht ohne gesetzgeberische Begleitmaßnahmen in der überaus kurzen Zeit von drei Jahren zu leisten. Drei wesentliche Schritte sind schon erfolgt: die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate, die Regelungen des Einigungsvertrages, d. h. die Auflösung der NVA und der Aufbau einer Bundeswehr in den neuen Ländern mit jeweils rund 25 000 Berufs- und Zeitsoldaten und 25 000 Wehrdienstleistenden, das Stationierungskonzept für die verkleinerten Streitkräfte und die Bundeswehrverwaltung.Bei einem weiteren wichtigen Schritt stehen wir in intensiven Verhandlungen in der Bundesregierung und auch im Gespräch mit den Ausschüssen des Bundestages. Wir brauchen ein aufgabengerechtes und verbessertes Personalstrukturkonzept für die zeitgerechte Umgliederung und Attraktivität.Die heute eingebrachten Gesetzentwürfe, der Entwurf des Personalstärkegesetzes und der Entwurf des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes, sind besonders wichtige Punkte eines so kurz dargestellten und in sich schlüssigen und folgerichtigen Personalkonzepts. Sie stehen in enger Wechselbeziehung natürlich auch zur Finanzplanung, zu Schritten zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit bis hin zu einem aufgaben- und regionalpolitisch gerechten Stationierungskonzept.Es gibt, wie ich glaube, keine Meinungsverschiedenheit im Deutschen Bundestag darüber, daß die Einlösung der völkerrechtichen Verpflichtung zur Verringerung der Streitkräfte in einer für die Betroffenen sozialverträglichen Form erfolgen muß. Dabei stellen sich die Probleme für die verschiedenen Statusgruppen in ganz unterschiedlicher Weise.
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4014 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Bundesminister Dr. Gerhard StoltenbergIm Bereich der Grundwehrdienstleistenden, der Unteroffiziere und Mannschaften auf Zeit wird es angesichts der hohen Fluktuation nicht schwierig sein, die erforderliche Rückführung zeitgerecht vorzunehmen. Bei den Offizieren und Berufsunteroffizieren, also dem sogenannten Kernbestand der Bundeswehr, ist die Fluktuation dagegen so gering, daß wir die erforderliche Verringerung ohne zusätzliche Maßnahmen nicht einmal bis zum Ende des Jahrzehnts realisieren könnten. Ohne das Personalstärkegesetz müßten nach 1995 viele Tausende von Offizieren und Berufsunteroffizieren zu Lasten einer sinnvollen Struktur sowie auch zu Lasten der Wehrgerechtigkeit ohne adäquate Aufgaben, ohne angemessene Förderungsmöglichkeiten und ohne Rücksicht auf die sozialen Belange im Zuge der Neustationierung für Jahre im Dienst bleiben.Dies wird nun noch akzentuiert, weil im Kernbestand seit 1985 an sich eine erhebliche Erhöhung des Umfangs der Bundeswehr geplant war und entsprechend eingestellt wurde und weil wir rund 10 000 Dauerverwender aus dem Bereich der NVA in diesen Kernbestand übernehmen wollen, da das Grundgesetz die Überführung von Soldaten in ein ziviles Dienstverhältnis nur nach freiwilligem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erlaubt. Das müssen wir beachten. Es darf sich nicht der Fehler aus der Aufbauzeit der Bundeswehr wiederholen, daß wir nicht strukturgerecht erneuern und daß wir damit für Jahrzehnte unausgewogene Altersstrukturen erhalten.Natürlich muß es auch darum gehen, die Zahl der vorzeitigen Zurruhesetzungen auf ein Minimum zu beschränken. Bei den Offizieren und Berufsunteroffizieren bietet die Rückführung zugleich die Möglichkeit, das seit langem vom Parlament und Regierung geforderte Konzept für eine Verbesserung der Führerdichte und der Ausbildungsqualität in neuen Strukturen zu realisieren.Darüber hinaus wollen wir über eine Stellenbörse in enger Zusammenarbeit mit den Gebietskörperschaften in den alten und den neuen Ländern alles versuchen, um qualifizierte, vorzeitig ausscheidende Soldaten zu Anschlußverwendungen in die Verwaltung zu vermitteln.
Das hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Empfehlungen des Bundesrates auch ausdrücklich noch einmal hervorgehoben.
— Also, ich habe die erste Gelegenheit, im Parlament dazu zu reden, Frau Kollegin. Freuen wir uns doch, wenn wir uns einmal einig sind!
Mit aller Entschiedenheit wende ich mich allerdings gegen den Vorwurf, den wir auch gehört haben, daß in dieser Maßnahme ein unangemessener „goldener Handschlag" für die Soldaten zu erblicken ist. Für den freiwillig ausscheidenden Berufssoldaten, der sich noch nicht einen Pensionsanspruch von 75 % erdient hat, soll eine Zuverdienstgrenze gelten, und das vorgesehene Übergangsgeld von 75 % eines Monatsgehalts wird, anders als bei der gesetzlichen Regelung für die Zollverwaltung, noch mit einer Kappungsgrenze von 4 000 DM versehen.Natürlich ist auch die Reduzierung der Zahl der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr in einer für sie zumutbaren und sozialverträglichen Weise zu gestalten. Im Regelfall haben alle diese Mitarbeiter bei der Bundeswehr ihren Lebensberuf ergriffen. Sie sind davon ausgegangen und konnten auch davon ausgehen, daß sie bis zum Ruhestand für diesen Dienstherrn und für diese Aufgabe arbeiten würden. Wir sind uns hier, glaube ich, auch einig, daß eine Kündigung, wäre sie denn möglich, keine diskutable Maßnahme darstellen kann. Die erforderliche Personalverringerung soll daher im wesentlichen über Fluktuation und normalen Ruhestand erfolgen. Das bedeutet allerdings auch, daß wir hier von einer zeitlichen Realisierung bis etwa zum Jahre 2000 auszugehen haben.Allerdings greifen Fluktuation und normaler Ruhestand nicht überall dort, wo es notwendig ist. Das gilt insbesondere da, wo wir Dienststellen völlig schließen oder drastisch verringern. Vielen von Ihnen ist aus der Debatte über die Stationierung bewußt, was das für schwere Eingriffe oft für viele hundert, im Einzelfall für tausend Mitarbeiter an vielen Standorten bedeutet.Man kann grundsätzlich versetzen. Aber das ist nur im Prinzip richtig. Denn etwa die Hälfte unserer Beschäftigten sind Arbeiter, und auch die weit überwiegende Zahl der Angestellten und Beamten gehört den unteren Vergütungs- und Besoldungsgruppen an. Es ist für mich unvorstellbar, daß wir die Last der Personalreduzierung ausgerechnet auf die Schultern der älteren zivilen Mitarbeiter abladen. Das wäre nicht nur unverträglich, sondern auch unbillig.
Deshalb wollen wir im ersten Schritt das Beamtenanpassungsgesetz und entsprechende tarifliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte erreichen mit Lösungen, die für die unmittelbar Betroffenen vertretbar sind. So wollen wir den über 55jährigen Beamten und analog den anderen den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen, wenn ihre anderweitige Verwendung nicht möglich und auch nicht zumutbar ist.Um den Einstieg in anderen Verwaltungen zu ermöglichen, beabsichtigen wir, Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen anzubieten. Außerdem sind bereits im Mai dieses Jahres bei allen Wehrbereichsverwaltungen Koordinierungsgruppen eingesetzt worden. Sie sind das Forum für den notwendigen Dialog zwischen den Dienststellen, den betroffenen zivilen Mitarbeitern und den zuständigen Personalvertretungen, den Schwerbehindertenvertretungen und auch Kammern und Verbänden, die Interesse haben, zu übernehmen. Sie haben auch die Aufgabe der Personalabteilung im Ministerium alle zum Ausscheiden bereiten Beamten zu benennen. Sie werden im Zusammenwirken mit dem Bundesminister des Inneren über eine anderweitige Verwendung von Beamten reden. Es ist dabei zu prüfen, ob entsprechend den Prüfungsvorschlägen des Bundesrates eine Verwen-
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Bundesminister Dr. Gerhard Stoltenbergdung von Beamten in den Ländern dadurch gefördert werden kann, daß der Bund Personal- oder Versorgungskosten für sie für eine gewisse Zeit übernimmt.Es gibt aber Grenzen für die Weiterbeschäftigung. Eine Versetzung innerhalb der Bundesverwaltung ist grundsätzlich auch gegen den Willen des Beamten zulässig, und sie kann erfolgen, wenn sie zumutbar ist. Dagegen ist eine Versetzung vom Bund zum Land oder zur Kommune nur im Einvernehmen mit den Betroffenen möglich.
Das ist auch ein verfassungsrechtliches Prinzip. Man muß es nur beachten.Zu den Kosten des Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren, ist schließlich festzustellen, daß die bei uns nicht mehr benötigten und nicht einsetzbaren Beamten und Mitarbeiter weiterhin ihre vollen Dienstbezüge erhalten würden, wenn sie nicht in den Ruhestand treten können. Legt man einmal zugrunde, daß über dieses Gesetz in den Jahren bis 1997 etwa 2 300 Beamte ausscheiden, die entsprechenden Stellen also entfallen, führt das im Saldo zu Einsparungen von 150 Millionen DM.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Einsatzbereite, in ihrer Personalstruktur gesunde Streitkräfte, eine deutlich verkleinerte, aber funktionsfähige Bundeswehrverwaltung werden wir nach 1995 nur haben, wenn es uns gelingt, rund 7 000 Offiziere und Berufsunteroffiziere sowie eine gewisse Zahl von lebensälteren Beamten und Mitarbeitern im Angestellten- und Arbeiterbereich, die sozialverträglich nicht anders verwendet werden können, zu einem vorzeitigen Ausscheiden zu bewegen.Beide Gesetzentwürfe führen im Ergebnis nicht zu Mehrausgaben, sondern gegenüber dem geltenden Recht zu Einsparungen.Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung.
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Schulte das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit vielen Jahren bewundere ich gute Akrobaten. Es fasziniert mich, wenn Menschen einen Kopfstand können, auf Drahtseilen balancieren oder einen Salto schlagen.
Freilich, das gelingt nur wenigen, auch wenn es manche versuchen.Nun hat es uns Sozialdemokraten verblüfft zu erleben, daß der Bundesverteidigungsminister, ja daß sich das ganze Bundeskabinett seit dem 24. Juli 1991 als Akrobaten versuchen. Da wird uns doch tatsächlich ein Gesetzentwurf vorgelegt, in dem behauptet wird, dieses Personalstärkegesetz solle die erforderlichen Rechtsgrundlagen für einen strukturgerechten Personalabbau schaffen, obwohl sich der Bundesminister der Verteidigung mit dem Bundesminister der Finanzen bis zum heutigen Tage — es hätte ja sein können, lieber Herr Stoltenberg, daß Sie uns heute etwas dazu sagen könnten — nicht verständigt hat, wie denn die bis Ende 1994 auf 370 000 Soldaten verkleinerte Bundeswehr eigentlich strukturiert sein soll.Meine Damen und Herren, niemand kann bis zum heutigen Tage verbindlich sagen, wie viele Berufs-und Zeitsoldaten denn welchen Dienstgrad dann haben sollen. Ohne diese Basisdaten fragen wir uns natürlich, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, und wir fragen auch das Bundeskabinett — und der Bundesrat und das Parlament sehen sich staunend an — : Wie wollen Sie denn eigentlich auf eine Zahl von 6 800 Berufssoldaten kommen, die Sie vorzeitig entlassen müßten? Hat nicht die Bundesregierung noch am 10. Juli 1991 beschlossen, daß die Bundeswehr kegelgerecht reduziert werden müßte?
Wenn das so wäre, dann bedeutete es, daß etwa 12 000 Berufssoldaten zusätzlich nach Hause gehen müßten. Ohne eine vorliegende Struktur können wir Sozialdemokraten dies nur als einen Jonglierakt mit Phantombällen ansehen und nicht als eine seriöse Beratungsgrundlage und schon gar nicht als eine akrobatische Hochleistung. Denn das will ich nicht bestreiten: Dieses durchzusetzen verlangt schon eine Hochleistung. Aber dies hier ist ein Jonglierakt mit Phantombällen.
— Das ist ein guter Beruf. Das wäre schön.Wir alle wissen: Mit der bevorstehenden Truppenreduzierung wird in gravierender Weise in die Lebensplanung von Zeit- und Berufssoldaten eingegriffen. Wir Sozialdemokraten sind uns bewußt, daß hier eine große Verantwortung für den Gesetzgeber beim Abbau der Streitkräfte vorliegt.Für die Öffentlichkeit — obwohl die Soldaten heute unter den Zuhörern die Mehrheit darstellen — muß auch deutlich gesagt sein: Die Soldaten haben einen Anspruch darauf, daß wir ihre persönliche Lage bei einer so gewaltigen Arbeitsplatzreduzierung beachten.
Dabei gibt es mehrere Gruppen, über die wir nachzudenken haben. Unkompliziert scheint mir zunächst die Lage derjenigen Zeit- und Berufssoldaten zu sein, die auf Grund ihrer guten Qualifikation sofort in zivilen Arbeitsplätzen unterkommen könnten. Hier müssen wir ihre bis dahin erworbenen Altersruheansprüche sichern. Die Bundeswehr muß, was nicht ganz leicht ist, entscheiden, ob sie denn auf diese betreffenden Soldaten, die gehen möchten, auch wirklich verzichten kann.Dann ist es sicherlich sinnvoll, daß wir für ein paar Jahre die Herabsetzung der besonderen Alters-
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Brigitte Schulte
grenze für Berufsunteroffiziere und -offiziere einplanen.
1975 hat die damalige Bundesregierung, hat das Parlament diese Altersgrenze jeweils um ein Jahr versetzt. Dies könnte man für ein paar Jahre tun. Für die Dauer, glaube ich, wird es nicht möglich sein. Dabei wäre es auch notwendig, daß der Bundesverteidigungsminister uns endlich die Zahlen auf den Tisch legt — die kann er ja sehr schnell aus seiner groß besetzten Personalabteilung ermitteln lassen — , wie viele Soldaten denn tatsächlich regulär bis 1994 ausscheiden würden, wie viele ausscheiden würden, wenn wir das Alter jeweils um ein Jahr herabsetzten und wie viele dann möglicherweise noch eine Sonderregelung erfahren müßten. Wir wissen nur, daß allein in den nächsten Jahren — von 1991 bis 1994 — rund 12 000 Berufssoldaten regulär ausscheiden; und das ist ja auch schon eine ganze Menge.Schwierigster Punkt dieser Gesetzesvorlage — Herr Dr. Stoltenberg, da scheinen Sie die Leute nicht ganz richtig unterrichtet zu haben — ist die Frage, ob wir Berufssoldaten bis zu neun Jahre früher als regulär nach Hause schicken und ob wir ihnen dann für den erreichten Dienstgrad die zustehende Höchstpension von 75 % zahlen. Denn in dem Gesetzentwurf steht, daß der Betreffende mit 48 oder 50 Jahren nach Hause geht und daß er dann die ihm zustehende Höchstpension erreicht. Es ist natürlich sehr großzügig geregelt, wenn er zusätzlich auch noch zuverdienen kann, wie Sie das vorschlagen,
wobei ich auch da meine: Wenn es nur die Soldaten beträfe, könnte man darüber nachdenken. Als Haushaltspolitikerin weiß ich aber, daß dies ein Präzedenzfall für viele Berufsgruppen werden könnte. Dann aber wäre es unbezahlbar. Ich könnte mir vorstellen, daß hier viele aus dem Bonner Raum mit spitzen Ohren zuhörten, wenn die Soldaten diese Chancen hätten. Deswegen müssen wir sorgfältig nachdenken.
Nun hat der Bundesrat am 27. September — welches Glück, daß wir dort vernünftige Mehrheiten haben!
— doch, das hat bei den Beratungen eine hervorragende Rolle gespielt — die Bundesregierung und den Bundestag aufgefordert, vor einer vorzeitigen Zurruhesetzung anderweitige Verwendungen auch für Berufssoldaten zu prüfen. Dies ist auch unsere Position.
Ich halte das auch für sinnvoll.
Neben zivilen Aufgaben in der Bundesverwaltung kommen Aufgaben in den Ländern und in den Gemeinden in Frage. Ich sehe überhaupt kein Problem darin, Herr Dr. Stoltenberg, daß Berufssoldaten überwechseln können. Mir fallen eine ganze Menge Dinge ein, die sie hervorragend könnten; denn sie sind oft hervorragend qualifiziert, haben eine sehr gute Allgemeinbildung und sind motiviert. Ich habe in einem Modell gefragt: Warum soll eigentlich der Kommandeur eines Bataillons — da gibt es verschiedene technische Bataillone — nicht nachher in der Lage sein, sich als Dezernent in einer kommunalen Verwaltung für bestimmte Aufgaben zu melden?
— Das geht bislang nicht. — Da müssen wir endlich anfangen. Wenn ich mir ansehe, was die Soldaten in den neuen Bundesländern seit dem 3. Oktober 1990 an eigentlich soldatenfremden Aufgaben bei der Organisation und Regelung gelöst haben, halte ich das für selbstverständlich. Ich meine, daß wir das wirklich so lösen können.Jetzt endlich, erst nachdem der Bundesrat — und gerade auch der Vertreter Niedersachsens, was aber kein Zufall ist — bereit ist, die Eingliederung geeigneter ausscheidender Soldaten in den öffentlichen Dienst durch angemessene Maßnahmen zu fördern, geben Sie das zu; das haben wir seit gestern auf dem Tisch. Wir sind ausdrücklich bereit, Sie dabei zu unterstützen. Auch wir werden bei den Ländern und den Kommunen prüfen, ob sie eine Weiterbeschäftigung ermöglichen. Ich kann mir gut vorstellen, daß ältere Berufssoldaten Aufgaben für Beamte und Angestellte übernehmen können, die in den nächsten Jahren in den neuen Bundesländern helfen, für jüngere Beamte, deren Aufgaben sie zeitweise übernehmen können, um dann später auszuscheiden.Der Bundesverteidigungsminister will eine Stellenbörse einrichten, in der Offerten anderer Dienstherren und Stellengesuche der Soldaten vermittelt werden. Herr Dr. Stoltenberg, hier haben Sie unsere Unterstützung, wenn da die Länder und Kommunen zurückhaltend sein sollten.In dem nun vorliegenden Gesetzentwurf fehlen aber korrekte Zahlen über die künftige Personalstruktur. Deswegen sage ich noch einmal: Es ist eine fragwürdige Akrobatik, die die Bundesregierung hier unternimmt. Sie versucht, die Soldaten, das Parlament und die Öffentlichkeit zu bluffen.
Bleiben wir im Bild: Wer einen guten Kopfstand machen kann, wer Salto schlägt oder wer gar ein Drahtseilakrobat ist, der muß vorher auf sicheren Beinen stehen. Ich sage Ihnen: Auf sicheren Beinen steht dieser Gesetzentwurf schon deshalb nicht, weil bis zum heutigen Tag keine gültige Personalstruktur vorliegt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ganz.Johannes Ganz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 4017
Johannes Ganz
würfe, die soeben von Bundesminister Stoltenberg begründet worden sind, mittlerweile unter den Bezeichnungen Personalstärkegesetz und Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz bekannt, sind Grundlage und notwendige Voraussetzung zur Durchführung eines Vorhabens, das uns alle erfreuen sollte, des Vorhabens nämlich, die Bundeswehr im wiedervereinigten Deutschland bis zum 31. Dezember 1994 auf 370 000 Soldaten und deren zivile Verwaltung in angemessenem Rahmen zu verkleinern. Dies ist ein großartiges Ergebnis der zielstrebigen Friedenspolitik dieser Bundesregierung, insbesondere aber auch ein großartiger Erfolg ganz persönlichen Bemühens unseres Bundeskanzlers Helmut Kohl.
Wenn es jetzt möglich ist, Abrüstung in großem Umfang einschließlich beachtlicher Personalreduzierungen vorzunehmen, so ist das für uns Deutsche auch ein geschichtlich einmaliges Ereignis, und so sollte es auch begriffen und gewürdigt werden. In der Vergangenheit wurden unsere Streitkräfte bekanntlich entweder in Kriegen dezimiert oder nach verlorenen Kriegen zwangsweise verkleinert bzw. aufgelöst. Jetzt geschieht dies im Frieden nach freiwilliger, eigener Entscheidung und in Übereinstimmung mit der Zielsetzung der Bundesregierung: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen! Dieses Versprechen, meine Damen und Herren, wird eingelöst.
Ich frage: Wäre das ohne den NATO-Doppelbeschluß, ohne die Verhandlungen in Genf und Wien, ohne die VKSE-Verhandlungen und die KaukasusGespräche des Bundeskanzlers im Juli vorigen Jahres mit Gorbatschow, deren Resultate doch manchen — auch Sie — völlig überrascht haben, möglich gewesen?
Obwohl von den politischen Gegnern stets so diffamiert, hat sich erwiesen, daß die westliche Allianz inall den Jahren keine Hegemonialmacht gewesen ist.
Die friedenssichernde und friedenserhaltende Funktion der NATO wurde schließlich auch von den Mitgliedstaaten des ehemaligen Warschauer Paktes anerkannt. So ist es überhaupt nicht verwunderlich, daß sich unsere östlichen europäischen Nachbarn nun sogar um eine Mitgliedschaft bemühen. Welch besseren Beweis gäbe es? Dies ist — insofern hat das mit dem Thema zu tun, Frau Schulte — auch ein Verdienst unserer Bundeswehr und all ihrer Angehörigen, die dazu ihren Beitrag in all den Jahren geleistet haben.
Die Verkleinerung der Bundeswehr bedingt, daß eine erhebliche Anzahl von Soldaten und Beamten aus dem bisher ausgeübten Beruf ausscheiden muß. Ihnen sollte zuerst ein Teil der Friedensdividende zukommen. Sie haben es verdient.
Zur Bundeswehr gehören derzeit rund 450 000 Soldaten. Ziel ist es, diese Zahl bis Ende 1994 um 80 000 auf 370 000 zu verringern. Stellt man einen verringerten Anteil an Grundwehrdienstleistenden und die Zeit- und Berufssoldaten, die in den verbleibenden drei Jahren die Bundeswehr auf normalem Wege verlassen, in Rechnung, so verbleibt ein Überhang von rund 6 800 Berufs- und Zeitsoldaten, die zusätzlich vorzeitig entlassen werden müssen.
— Es gibt genügend Zahlenmaterial. Sie brauchen das nur einmal zu studieren und nachzulesen. Dann kommen Sie exakt auf diese Zahl.
Ähnlich ist es in der zivilen Verwaltung der Bundeswehr, die im Beamtenbereich um 4 862 Stellen verkleinert werden muß, wobei etwa die Hälfte als Überhang anfällt, der allerdings erst bis 1997 — ebenfalls über den Vorruhestand — abzubauen ist.Die vorliegenden Gesetzesentwürfe schaffen dafür die Voraussetzungen. Ohne den Ausschußberatungen vorgreifen zu wollen, sage ich schon jetzt: Wir halten die vorgesehenen Regelungen für notwendig, ausgewogen, vertretbar und sozial verträglich.Die Personalverringerung bei den Soldaten gänzlich auf Grundwehrdienstleistende abstellen zu wollen, d. h. künftig noch weniger als bisher beabsichtigt einzuberufen, wäre eine denkbar schlechte Lösung, da sich dann das Problem der Wehrgerechtigkeit noch weiter verschärfen würde, eine große Zahl von Berufs- und Zeitsoldaten bis zum Erreichen ihrer Dienstaltersgrenze ohne echte Aufgaben bliebe und sich das Verhältnis von Längerdienenden zu Grundwehrdienstleistenden und damit die Personalstruktur insgesamt noch unausgewogener gestalten würde.Eine weitere Verwendung nach Umschulung im öffentlichen Dienst, wie Sie das gerade gefordert haben und wie das Stimmen aus dem Bundesrat und auch aus diesem Hause fordern, ist doch nur möglich, wenn sich die Länder und Kommunen — dann natürlich auch die SPD-regierten Länder — bereit fänden, sie auf ihre Gehaltslisten zu nehmen. Es ist doch ein Stück Schizophrenie und Unglaubwürdigkeit, wenn auf der einen Seite verlangt wird, den Einzelplan 14, den Etat des Bundesverteidigungsministers, um Milliarden zu kürzen und die Friedensdividende anderenorts weiterzugeben, wenn auf der anderen Seite aber die Personalbesoldung in vollem Umfang beim Bundesminister der Verteidigung verbleiben soll. Dabei weiß doch jedermann, daß die Personalkosten allein die Hälfte des Etats des Einzelplans 14 ausmachen.
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4018 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991
Johannes Ganz
Man muß sich einmal einig werden, wer denn die Kosten tragen soll. Beides zusammen geht nicht.
Entläßt man die vorgesehene Zahl von Längerdienern nicht, so sind sie nach den zur Zeit gültigen Regelungen weiter zu besolden. Das gilt auch für ihre späteren Pensionsbezüge. Zusätzliche Kosten entstehen nur dadurch, daß ein finanzieller Anreiz, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, geboten wird, um jemanden dazu zu veranlassen, vorzeitig mit einem reduzierten Gehalt und mit Pensionsbezügen von 75 % —die in den allermeisten Fällen bereits erdient worden sind, verehrte Frau Kollegin Schulte — freiwillig vorlieb zu nehmen.Eine Doppelbezahlung von Pensionär und Dienstpostennachrücker entfällt, da der Dienstposten, d. h. die STAN-Stelle, und die Stelle im Stellenplan wegfallen. Dies gilt in gleicher Weise für die Beamten der Bundeswehr.Eine Kostenschätzung ergibt für den Zeitraum 1992-1998 ca. 1,6 Milliarden DM an Mehrkosten und ca. 1,8 Milliarden DM an Einsparungen. Hierin zeigt sich: Auch Abrüstung ist teuer; sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sollte es aber so etwas wie eine Friedensdividende geben, so sollte sie zuerst denen zugute kommen — ich habe es bereits gesagt — , die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, für Recht und Freiheit, für den Schutz der Bundesrepublik Deutschland einzutreten.Bei jedem Betrieb, wo Entlassungen unausweichlich sind, wird zu Recht ein Sozialplan, werden sozial abgefederte Maßnahmen gefordert. Als Mitverantwortliche für den „Betrieb Bundeswehr" sind wir jetzt gefordert, eine sozialverträgliche Entscheidung herbeizuführen. Ich bitte Sie daher, der Gesetzesvorlage und den darin enthaltenen sozialflankierenden Maßnahmen zuzustimmen.Wir werden die Gesetzentwürfe bereits in der nächsten Woche im Ausschuß beraten. Es gibt eine Reihe von Fragen, die dann im Detail geklärt werden können.
Nicht zuletzt möchte ich diese Gelegenheit gerne wahrnehmen, Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister, lieber Herr Dr. Stoltenberg, den Soldaten und den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmal ein öffentliches Dankeschön für all das zu sagen, was sie im letzten Jahr geleistet haben.
Hinter den Stichworten Teilauflösung und Integration der NVA, Aufstellung gemeinsamer Streitkräfte im vereinigten Deutschland, Stationierungskonzept, Konzept zur Neuorganisation der Bundeswehrverwaltung und des Rüstungsbereichs verbirgt sich eine Menge von Arbeit. Dafür ein herzliches Dankeschön.Wir halten dafür, das, was in die Wege geleitet worden ist, nicht mit Hektik und Aufgeregtheit weiterzubetreiben, sondern stetig weiterzuverfolgen. Wir werden Ihnen dabei gerne zur Seite stehen.Vielen Dank.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Henn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand hat etwas dagegen, daß die Streitkräfte reduziert werden und daß der Beamtenapparat im Verteidigungsministerium abgebaut wird. Wir können uns natürlich eine noch viel stärkere Reduzierung vorstellen. Wir haben auch nichts gegen eine vernünftige soziale Absicherung der Beamten und Soldaten. Ein Major im Ruhestand, der Rosen züchtet, ist uns allemal lieber als ein Truppenkommandeur, der darüber nachdenken muß, wie man Menschen und menschliche Lebensgrundlagen zerstört.Dennoch sind diese Gesetzentwürfe ein Hohn auf die soziale Lage in Deutschland. Ich denke, es ist schon typisch, daß heute die Wehrpolitiker hier reden. Hier müßten die Sozialpolitiker sitzen. Ich brauche Ihnen ja kein Zahlenspiel über die Arbeitslosigkeit und das Ausmaß notwendiger Sozialhilfe in diesem unserem Land vorzuführen. Ich erinnere daran, daß der Paritätische Wohlfahrtsverband schon vor zwei Jahren hier 6 Millionen Arme ausgemacht hat; im Osten kommen noch einige dazu.In einer solchen Situation nur einer Gruppe von Menschen die Möglichkeit zu geben, mit 55, mit 50, ja mit 48 Jahren in den Ruhestand gehen zu können, und zwar ohne jegliche negative Auswirkungen auf die Ruhestandsbezüge, halten wir nicht für richtig.
— Dazu komme ich doch, Frau Traupe.
— Entschuldigung, das kommt von früher noch. Wir waren einmal im gleichen Wahlkreis, wenn ich mich recht entsinne.Wenn dann noch eine Abfindung von 12 000 DM draufgepackt werden soll, dann zeugt das schon von einer frappierenden Abgestumpftheit gegenüber Fragen der sozialen Gerechtigkeit.Ich möchte gern einmal wissen, was eine medizinische und psychologische Sonderuntersuchung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der— nach den Gesetzentwürfen — potentiellen Ruheständler ergeben würde. Ich vermute sicher nicht zu Unrecht, daß der Zustand der Gruppe, die in den Genuß des Ruhestandes käme, im Vergleich zur sonstigen arbeitenden Bevölkerung sicher wesentlich besser aussehen würde. Ich vergleiche diese Gruppe einmal mit einer Gruppe, die auch eine reine Männerbranche darstellt: Ich meine die Leute, die auf dem Bau arbeiten. Sie gehen im Durchschnitt mit 54 Jahren und sieben Monaten in Erwerbsunfähigkeit. Die Kollegen formulieren das genauer: Sie werden kaputtgeschrieben. Ich frage mich: Was sagt eigentlich der Bundesarbeitsminister am Kabinettstisch, wenn solche Gesetzentwürfe behandelt werden? Fordert er
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Bernd Henngleiches Recht für alle? Das kann doch nur die Zielsetzung sein.Ich denke, in diesem unserem Land gibt es viele Branchen und Berufe, in denen Menschen arbeiten, die schon Mitte 50 gesundheitlich kaputt sind und sich das Rentenalter herbeisehnen. Aber nicht einmal nach 30 Jahren Schichtarbeit gibt es bei uns die reguläre Möglichkeit eines vorzeitigen Ruhestands. Wenn diese Gesetzentwürfe Realität werden, wird die soziale Symmetrie weiter verzerrt. Nun will ich daraus nicht die Konsequenz ableiten, daß die vermutlich relativ gesunden Beamten und Soldaten jetzt die kranken Bauarbeiter, Chemie- und Stahlarbeiter ersetzen sollten; das wäre sicher auch nicht unsere Forderung.
— Ich erinnere Sie daran: Mein früheres System war das in der Bundesrepublik Deutschland.
— Ach, hören Sie doch auf! Schaffen Sie sich eine Platte an; dann können Sie rausgehen und sie immer nur abspielen. Ich weiß nicht, was das soll.Wir fordern die Bundesregierung auf, die Möglichkeit, die Beamte für ihresgleichen in Gesetzesform gebracht haben, auch allen derzeit zirka 2 Millionen über 55 Jahre alten Arbeitern, Angestellten und Beamten in Westdeutschland zu eröffnen.
Das sollte zumindest für die Jahre der schweren sozialen Krise in Deutschland, also bis Dezember 1995, in ganz Deutschland gelten. Der Abbau von fast 4 Millionen Arbeitsplätzen fordert und rechtfertigt dies. Dabei können Sie auch die Kategorien Gesundheit, Freiwilligkeit des Arbeitnehmers, Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes und möglicherweise auch das dienstliche Interesse bei Beamten mit in Rechnung stellen. Dies könnte zu vertretbaren Kosten geschehen. Sie würden vielen hunderttausend jungen Arbeitnehmern, Menschen in jungen und mittleren Jahrgängen die Arbeitslosigkeit ersparen und ihnen eine neue Perspektive geben.Das, was Sie jetzt machen, entspringt eher einer Selbstbedienungsmentalität von Staatsdienern als der Verpflichtung, für das Wohl des ganzen deutschen Volkes zu wirken. Diesem Vorwurf können Sie nur entgehen, wenn Sie für alle und nicht nur für eine Gruppe etwas tun.
Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Wollenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE lehnt das Personalstärkegesetz ab.
Der Grund für die Ablehnung ist ganz einfach — Sie haben ganz richtig gedacht — : Wir teilen zwar die Analyse der Ausgangslage, d. h. daß die Bundeswehr bis 1994 auf 370 000 Soldaten reduziert werden muß und daß aus dieser Verpflichtung ein konkreter Handlungsbedarf entsteht, allerdings sehen wir ganz andere Mittel und Wege, um dieses Ziel zu erreichen.Wie ich bereits bei den Beratungen zum Bericht des Wehrbeauftragten hier vorgetragen habe, sehen wir keine Notwendigkeit für die Beibehaltung einer Massenarmee, die nur über einen Zwangsdienst aufrechterhalten werden kann. Deshalb treten wir für eine Abschaffung der Wehrpflicht und der daran gekoppelten Zwangsdienste ein. Durch diese Maßnahme wird das Ziel einer Reduzierung des Umfangs der Bundeswehr auf 370 000 Soldaten ohne große Anstrengung erreicht.
Ein Personalstärkegesetz ist deshalb aus unserer Sicht gar nicht notwendig.Wir sind der Überzeugung, dies ist der richtige Weg, zumal die Front der Militär- und Verteidigungsexperten, die sich um die heilige Monstranz der Wehrpflicht scharen, langsam abbröckelt. Durch den Abschlußbericht der Unabhängigen Kommission für die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr sehen wir uns in unserem Ansatz bestätigt, da sich die Kommission bei einer weiteren Reduzierung der Bundeswehr — d. h. unter 370 000 Mann — für eine Wehrform ausspricht, die auch die Frage nach der Funktion bzw. der Dysfunktion der Wehrpflicht stellen muß.Unsere Vorstellungen über Aufgabe und Umfang von Streitkräften zielen bereits heute auf die Umwandlung der Bundeswehr mit einer Dominanz im Bereich der militärischen Aufgaben in eine multifunktionale Sicherheitsorganisation mit einem organisatorischen Umfang von höchstens 100 000 Mann. Es ist unmittelbar einsichtig, daß es bei einem derart niedrigen Organisationsumfang aus Gründen der Wehrungerechtigkeit und vielem anderen mehr gar keine Alternative zu einer Freiwilligenorganisation gibt.Natürlich werden einer Freiwilligenorganisation, insbesondere einer Berufsarmee, erhebliche Bedenken entgegengebracht. Der historisch untermauerte Vorwurf „Staat im Staate" ist dabei eine von vielen Befürchtungen, die sich mit solch einer Struktur verbinden. Das sind sicherlich gewichtige Argumente, denen man Rechnung tragen muß.Aber die Struktur einer Armee oder einer anderen staatlichen Organisation kann nicht a priori mit Demokratiefeindlichkeit gleichgesetzt werden. Den Ängsten gegenüber einer Institution, die sich nur auf Freiwillige stützt, könnte dadurch begegnet werden, daß die Struktur und die Organisation dieser Institution demokratiefreundlich gestaltet wird. So heißt die Alternative zur Wehrpflicht nicht automatisch Berufsarmee, auch wenn sich das viele wünschen. An die
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Vera WollenbergerStelle einer Berufsarmee tritt vielmehr eine Organisation, die neben einem winzigen Berufskader ein System zeitlich begrenzter Arbeitsverträge, vielleicht auf vier oder fünf Jahre, umfaßt und zudem eine verbindliche Rotation innerhalb der verschiedenen Funktionsbereiche vorsieht.Außerdem könnte man diese Freiwilligenorganisation durch parlamentarisch ermächtigte und/oder gewählte Volksvertreter einer strikten Kontrolle unterwerfen. Aufbauend auf den Erfahrungen mit dem Amt des Wehrbeauftragten könnte z. B. Beauftragten der im Bundestag vertretenen Parteien das Recht ungehinderter Inspektionen eingeräumt werden. Oder man könnte eine größere Kontrolle auch durch die Einbeziehung der kritischen Öffentlichkeit erreichen, indem man z. B. an die Erfahrungen der Rundfunkräte anknüpft.Aus diesen Überlegungen wird deutlich, daß eine effektive und wirksame Kontrolle von Freiwilligenorganisationen, die auf Grund ihrer Bewaffnung und Ausbildung eine potentielle Gefährdung für den Staat darstellen, durchaus möglich ist. In einer Phase umfassender Neudefinition der Aufgaben und Ziele staatlicher Organe, die sich mit Sicherheitsaspekten befassen sollen, wird sich, zumal wenn die kritische Öffentlichkeit in diese Diskussion eingebunden ist, die Abwehr der wirklichen Bedrohung als Hauptaspekt durchsetzen.Das bedeutet in der Konsequenz, daß militärische Aufgaben wie Landesverteidigung, Krisenprävention und Konfliktschlichtung deutlich untergeordnet sein werden gegenüber ökologischen Sicherheitsproblemen oder Einsatz im humanitären Bereich oder in der Verifikation von Rüstungskontrollverträgen, um nur einige deutlich wichtigere Aufgabenbereiche zu nennen.Im Bewußtsein des Großteils der Bevölkerung ist längst verankert, daß die ökologische Bedrohung das eigentliche Risikopotential der Zukunft darstellt. Eine multifunktionale Organisation, die prioritär wegen dieser Problemlagen geschaffen wird, verliert ihren ausschließlich militärischen Charakter und ist vielmehr Ausdruck eines staatlichen Engagements gegen die wirklichen Bedrohungen der menschlichen Existenz.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Günther Nolting das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach unseren Vorschlägen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag haben wir uns verpflichtet, unsere Streitkräfte auf 370 000 Mann zu reduzieren. Ich denke — das kann ich hier mit Stolz sagen — , daß dies das Ergebnis unserer erfolgreichen Außen- und Sicherheitspolitik ist, auf die wir als FDP
über Jahrzehnte hinweg ohne Bruch zurückblicken können.Meine Damen und Herren, diese Reduzierung ist gegenüber den alten Stärkezahlen von Bundeswehr und NVA zusammen ein Abbau von ca. 45 %. Auch das muß hier erwähnt werden. Einen Teil dieses Abbaus haben wir bereits erreicht. Wir haben jetzt aber bei den weiteren anstehenden Reduzierungen die einmalige Chance, eine möglichst gesunde Altersund Dienstpostenstruktur in der Bundeswehr zu erreichen.
Diese Chance, meine Damen und Herren auch von der Opposition, sollten wir gemeinsam nutzen.Das ist, wie wir alle wissen, mit einfachen Mitteln nicht möglich. Es ist deshalb erforderlich, daß auch Berufssoldaten und längerdienende Zeitsoldaten vorzeitig ausscheiden. Aus diesem Grund beraten wir heute in erster Lesung über das Personalstärkegesetz und analog dazu für den zivilen Bereich das Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz. Ich kann für die FDP schon vorweg sagen, daß wir beide Gesetzentwürfe im Grundsatz für richtig halten und diesen Weg zum Abbau begrüßen.Das Personalstärkegesetz sieht vier Maßnahmen vor: erstens die Senkung der besonderen Altersgrenze um ein Jahr, zweitens die Möglichkeit der freiwilligen vorzeitigen Zurruhesetzung, drittens die Möglichkeit der Umwandlung des Dienstverhältnisses eines Berufssoldaten in das eines Soldaten auf Zeit und schließlich die Möglichkeit der Verkürzung von Verpflichtungszeiten von Zeitsoldaten.Meine Damen und Herren, das Personalstärkegesetz — Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, man hätte das Personalstärkegesetz „ Personalverminderungsgesetz " genannt —
soll ferner attraktive Anreize schaffen, über die hier im einzelnen schon gesprochen worden ist.Die Festlegung des Gesamtumfangs der Streitkräfte auf 370 000 Soldaten erfordert zudem eine Verringerung des Zivilpersonals im Bereich der Streitkräfte. Insofern ist das vorgelegte Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz eine sinnvolle Ergänzung zum Personalstärkegesetz. Hier ist bereits aufgeführt, wie im einzelnen die Beamten auf Antrag in den Ruhestand versetzt werden können, wenn sie das 55. Lebensjahr erreicht haben.Wir haben hier allerdings einen kleinen Unterschied: Wir alle wissen, daß wir beim Abbau der Streitkräfte an ein Datum gebunden sind, Ende 1994. Bei dem Abbau von Beamtenstellen können wir einige Jahre über diesen Zeitpunkt hinausgehen.Meine Damen und Herren, die vorzeitige Zurruhesetzung von Soldaten und Beamten ist in der Sommerpause in der Öffentlichkeit zum Teil heftig diskutiert worden. Dabei ist von Kollegen, vor allem vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Vogel, eine Neidkampagne geschürt worden,
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Günther Friedrich Noltingdie ich deutlich kritisiert habe, und die zum Glück gestoppt zu sein scheint.
Frau Schulte, wenn Sie Ihren Fraktionskollegen Vogel mittlerweile von der Richtigkeit des vorliegenden Gesetzes und von der Notwendigkeit des Abbaus überzeugt haben, kann ich Sie nur beglückwünschen, daß Ihnen das gelungen ist.
Meine Damen und Herren, ich will hier ganz klar festhalten: Wenn die Bundeswehr nach 1994 eine sinnvolle Alters- und Dienstpostenstruktur haben soll, müssen auch Zeit- und Berufssoldaten ausscheiden. Die langdienenden Berufssoldaten werden aber nur dann zum Ausscheiden zu bewegen sein, wenn man ihnen attraktive Angebote macht, auch wenn das hier gerade vom Kollegen Henn noch einmal in Frage gestellt wurde. Ich glaube, es ist für uns alle eine Selbstverständlichkeit — und hier spreche ich vor allen Dingen auch die Kollegen von der SPD an —, daß Sozialpläne für Arbeitnehmer aufgestellt werden, wenn Betriebe umstrukturiert werden. Warum dann nicht auch entsprechende Pläne für unsere Soldaten?
Ich denke, unsere Soldaten haben in dieser Frage unsere Solidarität verdient, auch die der Gewerkschaften. Herr Kollege Henn, Sie als ehemaliger Gewerkschaftssekretär schüren hier wieder eine Neidkampagne. Das, was Sie hier vorgetragen haben, war altes Denken Ihrer Vorgängerpartei SED, in der der einzelne Mensch überhaupt nichts galt und beliebig hin- und herverschoben werden konnte, ohne daß auf ihn Rücksicht genommen werden mußte.Frau Kollegin Wollenberger — vielleicht kann man das übermitteln — , Sie sollten einmal die Truppe besuchen oder mit den dort oben sitzenden Soldaten das Gespräch suchen, um dort einmal Ihre Vorstellungen über Sicherheitspolitik vorzutragen.
Meine Damen und Herren, ich halte den gemachten Vorschlag, Offiziere in die Zivilverwaltung z. B. der neuen Bundesländer zu versetzen, für kaum praktikabel. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Dies wäre nur auf freiwilliger Basis möglich; denn es handelt sich dabei — und das muß auch noch einmal betont werden — um einen Statuswechsel. Herr Minister, ich bin aber mit Ihnen einer Meinung, daß entsprechende Angebote an die Soldaten gemacht werden sollten. Hier muß im Bereich der Beamten auch geprüft werden, ob sie nicht z. B. auch in den Ländern, in den Kommunen untergebracht werden können. Hier muß auch gefragt werden, ob die — zivilen — Beamten nicht z. B. auch im Bundesamt bei der Bearbeitung der Asylanträge eingesetzt werden können; denn hier haben wir eine Menge Arbeit vor uns. Ich denke, daß das gemacht werden kann.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß in diesem Zusammenhang die Frage desStellenabbaus bis 1994 ansprechen. Hierbei ist es besonders wichtig, daß wir dafür Sorge tragen, diesen Stellenabbau sozial verträglich zu gestalten. Die Beförderungsmöglichkeiten dürfen nicht durch übereilte Stellenstreichungen eingeschränkt werden. Dies würde die Akzeptanz der gesamten Regelung bei der Truppe erheblich verringern. Wir wollen deshalb auch mit dem Personalmodell 370 000 unseren Soldaten eine Perspektive bieten.
— Herr Kollege Kolbow, Sie wissen doch, wir sind heute in der ersten Beratung. Wir werden im Ausschuß ausgiebig darüber beraten. Wir werden auch darauf drängen, daß uns Zahlen vorgelegt werden; da bin ich mit Ihnen einer Meinung, aber wir müssen dafür Sorge tragen, daß diese beiden Gesetze rasch beraten werden, möglichst bald verabschiedet werden, damit endlich für unsere Soldaten, für die Beamten und ihre Familien Planungs- und Rechtssicherheit besteht. Ich glaube, daß alle Betroffenen darauf auch einen Anspruch haben.
Trotz dieser Bemerkung bittet der Abgeordnete Kolbow um die Beantwortung einer Frage.
Ich bin gern bereit, dem geschätzten Kollegen Kolbow das zu ermöglichen.
Geschätzter Kollege Nolting, würden Sie die Freundlichkeit haben, mir den jetzigen Meinungsstand aus Ihrer Fraktion oder persönlich zu berichten, ob Sie die Zustimmung zum Personalstrukturgesetz von der Vorlage des fertig ausgearbeiteten Personalstrukturmodells 370 000 abhängig machen?
Herr Kollege, wir werden uns darüber im Ausschuß unterhalten. Ich gehe zur Zeit davon aus, daß das Ministerium entsprechende Zahlen, die uns dann auch befriedigen, vorlegen wird, so daß wir auf Grund dessen dann auch zu einem Abschluß und zum Beschließen dieser Gesetze kommen.
Ich denke, wir sollten gemeinsam dafür Sorge tragen — ich habe das vorhin schon mal angekündigt —, daß hier rasch beraten wird, um dieses zum Abschluß zu bringen. Hier ist vor allen Dingen auch die Opposition eingeladen.
Herzlichen Dank.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Steiner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Schulte hat in ihrem Debattenbeitrag zum Personalstärkegesetz einige kritische Anmerkungen gemacht. Ich werde einige Anmerkungen zum Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz machen. Ich meine, daß die Anmerkungen, die Frau Kollegin Schulte gemacht hat, insbesondere die kritischen Anmerkun-
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Heinz-Alfred Steinergen, auch zum Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz passen.So fehlt auch für den Bereich des Zivilpersonals insbesondere ein auf die künftigen Aufgaben bezogenes schlüssiges Personalkonzept. Ich meine, daß das wichtig ist, um wirklich nachher Aussagen machen zu können, ob und vor allen Dingen wie die angestrebten Zahlen zu erreichen sind. Wir brauchen ein Personalkonzept mit einem für Arbeiter, Angestellte und Beamte übersichtlichen und damit auch nachvollziehbaren Stellenkegel.Der derzeitige Zustand, der hier bereits angesprochen wurde, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Bundesminister der Verteidigung für den Stellenabbau des Zivilpersonals ein Abbaumodell entwickelt hat, das dem Finanzminister nicht gefällt. Der Bundesfinanzminister hat deshalb ein eigenes Abbaumodell entworfen, über das sich wiederum der Bundesminister der Verteidigung ärgert. Zur Zeit — das ist doch die Situation — wird wie in einem orientalischen Basar zwischen dem Verteidigungs- und dem Finanzminister um die richtigen Zahlen und damit um das richtige Modell gehandelt und gefeilscht.
— Natürlich hat das etwas damit zu tun, Herr Kollege, und ich werde das auch gleich im einzelnen begründen.Ich meine, daß das Verfahren an sich erstens undurchsichtig ist, zweitens unwürdig und damit auch nicht ganz seriös ist. Zumindest sollten auch bei einem solchen Verfahren, bei solch einer Umbruchsituation die Haushaltsgrundsätze der Wahrheit und der Klarheit hinreichend beachtet werden. Es muß doch möglich sein, die Aufgaben für die Bundeswehrverwaltung eindeutig zu definieren, d. h. eindeutig festzulegen und daraus einen exakten Personalbedarf zu ermitteln,
der dann auch vom Bundesfinanzminister anerkannt werden müßte. Ich sage das so bestimmt: Wir haben es nicht mit einer Verwaltung zu tun, die erst seit gestern existiert, sondern Bundeswehr und Bundeswehrverwaltung existieren seit 35 Jahren mit den einschlägigen Erfahrungen, die sich daraus ergeben, und die Leute dort wissen, was an künftigen Aufgaben auf sie zukommen muß, und zwar auf Grund der Zahl von 370 000 für die Bundeswehr selbst. Die können ihre Aufgaben wirklich schlüssig definieren und daraus auch schlüssige Personalkonzepte entwickeln. Ich weiß nicht, warum man diese Arbeit bisher nicht hat leisten können. Ich befürchte, daß das Ergebnis des Handels zwischen dem Finanzminister und dem Bundesminister der Verteidigung letztendlich zu Lasten einer ausgewogenen und den Anforderungen an eine leistungsfähige Verwaltung angemessenen Personalstruktur gehen wird, und das ist bedauerlich.Die Anforderungen an die Personalstruktur der Streitkräfte müssen im Grundsatz auch für den Bereich der Bundeswehrverwaltung gelten. Wenn das nicht durchgehalten wird, dann werden die zivilen Mitarbeiter die Folgen zu tragen haben. Wir werden uns dann künftig Jahr für Jahr wieder mit der Flickschusterei zu beschäftigen haben, die wir auch in den letzten Jahren haben durchführen müssen, um die dringendsten Probleme immer wieder notdürftig zu mildern.
Darauf möchte ich hinweisen, und davor möchte ich gleichzeitig ausdrücklich warnen.Zur Verdeutlichung der Situation, in der wir uns heute bei der ersten Lesung über das Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz befinden, möchte ich einige Zahlen anführen.
Herr Abgeordneter Steiner, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting zu beantworten?
Ja, wenn mir die Zeit dafür nicht angerechnet wird.
Ich rechne sie Ihnen nicht an.
Dann bitte schön.
Wir sind ja auch gut in der Zeit. — Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir in den letzten Jahren gerade im sozialen Bereich umfangreiche Programme, z. B. das Attraktivitätsprogramm, aufgelegt haben,
und sind Sie bereit, weiter zur Kenntnis zu nehmen, daß selbst der Deutsche Bundeswehrverband die Regierungskoalition und die Regierung insbesondere hierfür gelobt hat? Wenn nicht, können Sie sich beim Kollegen Heistermann erkundigen; das war z. B. gestern der Fall.
Herr Kollege Nolting, ich rede jetzt erst einmal über das Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz und damit natürlich auch über die derzeitige und künftige Situation nicht nur der Beamten, sondern auch der Angestellten und Arbeiter in diesem Bereich. In den zurückliegenden Jahren — Sie wissen das genausogut wie ich; denn Sie waren damit auch befaßt — , und zwar Jahr für Jahr, mußten wir immer wieder die Beseitigung der gröbsten Stellenunausgewogenheiten anmahnen.
Verbesserungen haben wir in ganz kleinen und sehr mühsamen Schritten, häufig gegen den Widerstand der Hardthöhe, durchsetzen müssen.Nun zur gegenwärtigen Situation, zur Ausgangslage für das Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz: Der Bundesminister der Verteidigung plant für das Zivilpersonal zum 31. Dezember des Jahres 2000 einen Personalumfang von 151 300 Personalstellen. Der Bundesfinanzminister geht zum 31. Dezember 2002 von einem Personalumfang von 125 800 Personalstellen aus. Das heißt: Zwischen den Vorstellungen des
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Heinz-Alfred SteinerBundesministers der Verteidigung und des Finanzministers gibt es eine Differenz von über 25 000 Stellen.
— Die Zahlen sind korrekt; die Zahlen stammen aus Ihrem Haus, Herr Minister Stoltenberg.
— Das sind die Zahlen, die uns geliefert worden sind. Auch Sie haben diese Zahlen aus dem Verteidigungsministerium vorliegen.
Diese Zahlen betreffen das Zivilpersonal insgesamt.
Da gibt es also eine Differenz von über 25 000 Stellen!Für den Bereich der Beamten — darüber reden wir ja jetzt — bedeutet das: Der Verteidigungsminister möchte 6 357 Beamtenstellen, der Finanzminister jedoch 11 014 Beamtenstellen abbauen. Wenn ich meinen Überlegungen zum Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz nur die geringere Zahl des Verteidigungsministers, also 6 357, zugrunde lege, dann läßt sich ein Abbau dieser Stellen allein auf der Grundlage der altersbedingten und damit vorausplanbaren Fluktuation erreichen.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin zu beantworten?
Ja, bitte, aber unter den gleichen Bedingungen.
Unter den gleichen Bedingungen, Herr Abgeordneter. — Bitte sehr.
Herr Kollege Steiner, da Sie gerade bei den Zahlen sind: Sie vergessen nicht, uns noch das Konzept der SPD zu erklären, wenn wir den Vorstellungen von Herrn Vogel mit einem Umfang der Bundeswehr von 200 000 Mann folgen?
Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Gelegenheit genutzt, bereits geklärte Fragen wieder anzusprechen. Wir hatten in der letzten Ausschußsitzung wirklich die Möglichkeit, klarzustellen, was der SPD-Fraktionsvorsitzende in diesem Bundestag wirklich gesagt hat und wirklich gemeint hat.
— Nicht das, was kolportiert worden ist.
Herr Abgeordneter Steiner, unter den gleichen Bedingungen meldet sich nun auch der Abgeordnete Heistermann.
Herr Kollege Steiner, wären Sie bereit, das dem Kollegen Koppelin einmal schriftlich — —
Diese Frage lasse ich nicht zu; denn Dreiecksfragen sind, wie Sie wissen, nicht erlaubt. Deswegen brauchen Sie, Herr Abgeordneter, sie auch nicht zu beantworten. Sie können fortfahren.
Danke schön, Herr Präsident. — Ich nannte die Zahl 6 357 und habe festgestellt, daß sich der Abbau in dieser Höhe auf Grund einer altersbedingten planbaren Fluktuation auch erreichen läßt. Diese Aussage gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß eine jährliche Nachwuchskomponente für die Beamten sichergestellt werden muß.
— Das sind planbare Zahlen, denen noch eine jährliche Fluktuation aus sonstigen Gründen hinzugerechnet werden darf. Also, darin liegt schon eine gewisse Sicherheit.Allein aus dieser Aufstellung läßt sich ableiten, daß eine Reduzierung der Zahl der Beamten keiner Sonderregelung in Form des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes bedarf. Möglicherweise kann es Schwierigkeiten geben, weil die Fluktuation nicht in der Laufbahn und an dem Ort eintritt, wo der Aufgabenwegfall zur gleichen Zeit erfolgt.
Das wird durchaus auch von uns so gesehen. Nur muß ich als Berichterstatter für das Kapitel 14 04 auch anmerken dürfen, daß ein Personalausgleich zwischen den einzelnen Dienststellen der Bundeswehrverwaltung möglich ist und auch möglich bleiben muß.Was wir unseren Soldaten in wesentlich umfangreicherem Ausmaß — fast schon selbstverständlich — zumuten, nämlich Versetzungen, das darf in einer besonderen Situation wie der, in der wir uns befinden, für Beamte nicht ausgeschlossen bleiben. Ich bin der Meinung, daß der Abbau bei den Beamten der Bundeswehr im Gegensatz zu den Berufssoldaten mit Bordmitteln zu bewerkstelligen ist.
Außerdem besteht der wesentliche Unterschied darin, daß Beamte — und zwar im Gegensatz zu Soldaten — über eine Ausbildung verfügen, die sie befä-
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Heinz-Alfred Steinerhigt, in Verwaltungen auch außerhalb der Bundeswehr Verwendung zu finden.
Das gilt auch für Verwaltungsbereiche in den neuen Bundesländern, die noch einen erheblichen Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern haben. Die Tatsache, daß mehr als drei Viertel der betroffenen Beamten den Laufbahnen des mittleren und gehobenen Dienstes angehören, begünstigt diese generelle Möglichkeit.Ich glaube, daß es die von mir dargestellte Ausgangslage nicht erlaubt, Zustimmung zu der beabsichtigten Sonderregelung für Beamte schon heute zu signalisieren — im Gegensatz zum Personalstärkegesetz, wo ich der Meinung bin, daß hier wirklich besondere Regelungen geschaffen werden müssen, um den Umfang der Abrüstung zu erreichen. Wir werden abwarten, auf welche Zahlen sich der Bundesminister der Verteidigung und der Finanzminister letztendlich einigen können, und dann auf dieser Basis eine sorgfältige Prüfung vornehmen.
— Herr Kollege Ganz, da muß ich Ihnen sagen: Sie hatten ja reichlich Zeit, das zu tun. Sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, heute schon die entsprechenden Zahlen hier zu präsentieren. Ich glaube, daß wir dann auf dieser Basis ganz andere Aussagen hätten machen können.Ich darf nur sagen: Auf die Angestellten und Arbeiter sind meine Ausführungen nicht übertragbar, weil für diese Gruppen andere Beurteilungskriterien gelten und gelten müssen. Ich muß an dieser Stelle schon einige kritische Anmerkungen machen, weil der Bundesminister der Verteidigung diese zivilen Mitarbeiter aus seiner Fürsorgepflicht wahrscheinlich schon entlassen hat.
Es hat jedenfalls so den Anschein; denn er überläßt es den Tarifvertragsparteien, sozialverträgliche Lösungen auszuhandeln, ohne mit konstruktiven Vorschlägen fürsorglich die laufenden Verhandlungen zu begleiten.
Tarifvertragsparteien sind letzten Endes die Gewerkschaften und der Bundesminister des Innern.
Da muß ich Ihnen den Vorwurf machen, daß das nicht genügend geschieht, und Sie auffordern, den Nachholbedarf zufriedenzustellen.Vielen Dank.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Pflüger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns allen schallt diese Woche immer wieder entgegen: Politiker schwätzen und streiten, und sie handeln nicht genug. Das Bild, das die Politiker abgeben, mag in der Tat nicht in allen Sachfragen immer sehr überzeugen. Wer aber die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren betrachtet, der muß zu einem wesentlich günstigeren Ergebnis kommen.
Auf Grund dieser Politik ist es jetzt möglich, daß Schwerter allmählich zu Pflugscharen werden.
Als ein Ergebnis dieser Politik können wir den Umfang unserer Streitkräfte bis 1994 von 531 000 auf 375 000 vermindern. Im Rahmen der außenpolitischen Abkommen über die deutsche Einheit wurde diese Zahl im Vorgriff auf die zweite Runde der Wiener Abrüstungsverhandlungen international vereinbart.Das ist leichter gesagt als getan. Die Aufgabe, innerhalb kurzer Zeit eine Armee um fast ein Drittel zu reduzieren, ist gewaltig. Sie fordert von der politischen Führung, der Bürokratie und den Streitkräften radikales Umdenken, zumal wenn die Verminderung mehr sein soll als eine Abwicklung. Die Verkleinerung sollte als Chance begriffen werden, zu einer tiefgreifenden Reform der Führungs- und Organisationsstruktur, zu einer verstärkten Führungsdichte und zum Ausmerzen von Schwachstellen. Am Ende wünschen wir uns alle eine kleine, aber effektive und damit attraktive Bundeswehr.Ein Teil dieses Umwälzungsprozesses steht heute zur Debatte, das sogenannte Personalstärkegesetz. Der Kollege Nolting hat eben völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Name unglücklich gewählt worden ist und im Gesetzgebungsverfahren vielleicht noch geändert werden kann.
Denn es geht in der Tat um das genaue Gegenteil. Es geht um Personalverminderung. Am besten wäre es, finde ich, wenn wir die Vorlage „Abrüstungsfolgegesetz" nennen würden, so wie es der Bundeswehrverband vorgeschlagen hat.
So unsinnig die Bezeichnung ist, so sinnvoll ist ihr Inhalt. Der zukünftige Personalaufbau für die verkleinerte Bundeswehr erfordert eine Reduzierung um etwa 6 800 Berufssoldaten. Frau Kollegin Schulte, Herr Steiner, über diese Zahl besteht Einverständnis in der Bundesregierung. Da gibt es keine Akrobatik.
Ich habe nicht verstanden, wieso es jetzt in der ersten Lesung von entscheidender Bedeutung sein soll, wie das jetzt im einzelnen aufgeteilt wird. Also warten Sie doch die Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten ab und verunsichern Sie nicht die Soldaten
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Dr. Friedbert Pflügerdurch Ihre Erklärungen. Sagen Sie, daß Sie hier im Prinzip zustimmen!
Ein Soldat aus Hannover, ein 50jähriger Oberstleutnant aus meinem Hannoverschen Wahlkreis, schrieb mir kürzlich, daß er die Neidkampagne der SPD in diesem Zusammenhang nicht verstehen könne.
Nach 31 Dienstjahren wird ihm eine Abfindung von 4 000 DM angeboten, um in den Ruhestand zu gehen. Dort soll er dann auf ein Viertel seines Gehalts verzichten. Für einen Soldaten, so schreibt er mir, dessen Kinder in der Ausbildung stehen oder der die Raten für sein Häuschen zu bezahlen hat, stelle das Gesetz kaum einen echten Anreiz dar. In der Tat, sehr spendabel ist der Gesetzgeber wirklich nicht. Es ist das mindeste, was wir den Soldaten bieten müssen, wenn wir wirklich einen Anreiz zum frühzeitigen Ausscheiden zur Verfügung stellen wollen.Der Kollege Kolbow hat vorgestern im Verteidigungsausschuß völlig zu Recht Planungssicherheit für die Soldaten gefordert. Auch in diesem Sinne bitten wir Sie herzlich um Ihre Zustimmung, denn die betroffenen Soldaten haben unserem Land treu gedient. Sie haben nun ein Recht auf unsere Treue, auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten. Das Treueverhältnis des Soldaten ist eben keine Einbahnstraße.Herr Kollege Kolbow hat vorgestern auf den Rückgang der Freiwilligen hingewiesen. Wir teilen diese Besorgnis. Aber wenn wir jüngere Leute für die Bundeswehr gewinnen wollen, dann müssen wir mit den Älteren fair umgehen. Attraktiv kann die Bundeswehr nur bleiben, wenn sie auch in Zukunft ihr Personal anständig behandeln kann. Dafür müssen wir, die Gesetzgeber, die Voraussetzungen schaffen.In einer Erklärung behauptet der Kollege Opel — und das ist ja die Tendenz überhaupt in den Haushaltsberatungen, die jetzt anstehen — , daß der Bundesminister Stoltenberg einen Haushalt vorgelegt habe, so als sei international „gar nichts geschehen". Sie wissen, daß das nicht stimmt.Wahr ist wohl, daß der nominale Haushaltsansatz nur geringfügig gesunken ist. Aber Sie wissen, was das heißt angesichts von Preissteigerungen und den Mehrkosten der Lohnrunde 1991 in Höhe von 1,4 Milliarden DM. Sie wissen, was das bedeutet im Hinblick auf die Mehrausgaben in den neuen Ländern. Von einem Tag auf den anderen mußte die NVA übernommen werden. Wir wissen, daß sie im früheren DDR-Etat mit mehr als 10 Milliarden DM zu Buche geschlagen ist. Wo ist dieser Betrag? Ist das nicht klares konkretes Sparen, das hier geleistet worden ist?Auch der Unterhalt der NVA hat Geld gekostet. Auch hier müssen jetzt plötzlich Gehälter und Sold bezahlt werden. Es gilt, Unterkünfte zu sanieren, Rüstungsmaterial zu sichten, zu pflegen, zu bewachen. 2,5 Milliarden DM betragen allein die Personalkosten in Ostdeutschland. Warum verschweigen Sie das?Durch die vereinigungsbedingten Mehrausgaben stieg der Betriebskostenanteil von 67,5 % auf 74,8 %. Deshalb beträgt der investive Anteil nur noch ca. 25 %, nämlich ganze 13,2 Milliarden DM. Sie wissen, daß auch davon der größte Anteil durch Verträge gebunden ist, so daß es kaum Spielräume gibt. Insgesamt geht der Anteil des Wehretats am Gesamthaushalt von 18,1 % im Jahr 1989 auf 12,4 % im Jahr 1992 zurück. Das ist ein klarer und deutlicher Erfolg. Ich füge hinzu: Das ist ein Erfolg, der wahrscheinlich nur deshalb möglich geworden ist, weil der jetzige Verteidigungsminister früher Finanzminister gewesen ist und deshalb weiß, wie man sparen muß.Jedenfalls haben Sie kein Konzept zum Sparen vorgelegt. Wenn ich mir die Erklärung des Kollegen Opel und auch Ihre Erklärung, Herr Kolbow, aus dem Verteidigungsausschuß ansehe, stelle ich fest, daß sie lauter schöne Dinge fordern: Erhöhung des investiven Anteils, bessere Ausrüstung der Armee, modernere Waffensysteme und sozialverträgliche Lösungen überall.All dies unterstützen wir von Herzen. Aber bitte verraten Sie uns noch, wie Sie dies mit Ihrer ebenfalls schönen Forderung verbinden wollen, den Bundeswehrhaushalt um mindestens 13 Milliarden DM auf maximal 40 Milliarden DM zu reduzieren!
Möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Heistermann zulassen?
Gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Pflüger, ich schätze Ihre Ausführungen, bitte Sie aber, wenn Sie Anträge der SPD zitieren, mindestens mit gleicher Ausführlichkeit die Streichungsanträge zu nennen und zu sagen, in welchem Umfang und wofür wir das eingesparte Geld anderweitig ausgeben würden. Es hat wenig Sinn, nur die eine Seite anzugeben, aber die andere, wo die Deckungsvorschläge gemacht worden sind, hier nicht zu erwähnen. Ich denke, das dient einer sachlichen Debatte.
Herr Kollege, Sie haben völlig recht. Natürlich muß man auch diese Seite in Betracht ziehen. Nur beantwortet das die Frage überhaupt nicht. Wer 40 Milliarden DM als Plafond ansetzt, der kann nicht gleichzeitig modernere Waffensysteme, bessere soziale Bedingungen, mehr Attraktivität des Dienstes, Stellenanhebungen fordern. Dafür reichen die einzelnen Einsparmöglichkeiten, die Sie genannt haben, nicht aus.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Ja.
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Bitte schön.
Herr Kollege Pflüger, woher haben Sie die Zahl 40 Milliarden DM genommen? Welchen Antrag der SPD, den Etat auf 40 Milliarden DM zu senken, meinen Sie?
Sie brauchen nur die Erklärung des Kollegen Opel vom 12. Juli nachzulesen. Dort hat er 40 Milliarden DM gefordert. Sie können sich jetzt natürlich gern davon distanzieren. Darüber würde ich mich freuen, und das wäre im Sinne einer sachgemäßen Debatte auch sicherlich gut.
Sie sollten nicht solche Zahlen in die Welt setzen, damit draußen vor Ort Propaganda machen und sich auf der anderen Seite hier hinstellen und sagen: Diese Zahlen gelten für uns nicht. Dann distanzieren Sie sich bitte deutlich von diesen Zahlen!
— „Herrn Meyer" und den Kollegen Opel sollten Sie wirklich nicht in demselben Atemzug nennen. Das ist eine Distanzierung, die fast schon zu weit geht, Herr Kollege Steiner. Die Argumente der Opposition gegen die Abrüstungsfolgepolitik können jedenfalls nicht überzeugen.
Für meine Fraktion möchte ich der Bundesregierung und der Bundeswehr für die großartigen Leistungen im letzten Jahr jedenfalls herzlich danken. Innerhalb von zwölf Monaten mußte die Truppe auf eine völlig veränderte internationale Situation eingestellt werden, traten mit den Einsätzen in der Türkei und den humanitären Aufträgen im Irak und im Iran sowie mit der Minensuchaktion im Golf neue Aufgaben in den Vordergrund, die erhebliche Anforderungen an die Flexiblität unserer Streitkräfte stellten. Innerhalb von zwölf Monaten mußten ungeheure Hilfsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg geleistet werden: Transport, Flankenschutz, Munitions- und Gerätelieferungen.
Die NVA mußte integriert werden. Die Heeresstruktur 5 mit erheblichen Standortveränderungen wurde geplant und umgesetzt. Es wurden Beiträge zur Neuformulierung der NATO-Strategie, zur Frage der europäischen Verteidigungsidentität usw. geleistet.
Dies alles geschah im wesentlichen ohne negative Schlagzeilen, bei sinkendem Finanzspielraum. Ich möchte wirklich denjenigen sehen, der ruhigen Gewissens von sich behaupten kann, er hätte es besser gemacht.
Ihre Einwände, die Sie heute bringen, sind marginal, und sie treffen nicht den Kern der ganzen Auseinandersetzung. Sie sollten aufhören zu verunsichern und mit einsteigen in die Politik, die mit diesem Personalstärkegesetz gemacht wird.
Ich komme zum Schluß. Wir werden dafür sorgen, daß die Soldaten auch in Zukunft gut und fair behandelt werden, daß der Dienst für Frieden und Freiheit auch in Zukunft attraktiv bleibt. Da der Frieden auf
Erden Vision und nicht Wirklichkeit ist, brauchen wir auch in Zukunft als Versicherung gegen die Wechselfälle der Geschichte eine verteidigungsfähige Bundeswehr, und dem dient die Berechenbarkeit der Entscheidung dieses Hauses.
Meine Damen und Herren, ich dachte, ich könnte nun die Sitzung schließen. Das ist aber ein Irrtum, denn der Kollege Kolbow hat sich noch zu einer Kurzintervention gemeldet.
Wie man in den Wald hineinruft, so muß es herausschallen. Herr Kollege Pflüger, ich habe schon — aber das ist eine subjektive Bewertung, der sich niemand im Hause anschließen muß — bessere Reden von Ihnen gehört, zumal Sie das eigentliche Thema nur zu Beginn Ihrer Rede und knapp zum Schluß behandelt haben. Im Mittelteil Ihrer Rede haben Sie sich bei etwas aufgehalten, was auch seriöser Prüfung nicht standhalten kann, auch nicht den Auseinandersetzungen, die wir am Mittwoch miteinander im Verteidigungsausschuß in, wie es auch der Herr Bundesminister der Verteidigung empfand, sehr sachlicher Weise geführt haben.
Ich möchte im Rahmen der Geschäftsordnungsmöglichkeit in der gebotenen Kürze einige Bemerkungen machen. Diese Kürze empfiehlt sich stets am Ende einer Debatte, insbesondere am Freitag.Ich weise in aller Form Ihre Behauptung, die vorhin auch von einem anderen Redner aufgestellt wurde, hier werde eine Neiddebatte entfacht, zurück.
Herr Kollege Hinsken ist leider nicht da. Er hat heute der Debatte beigewohnt und durch Zwischenrufe klargemacht, daß beispielsweise die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, in der er eine maßgebliche Rolle spielt, zu Beginn der Debatte über die Frühpensionierung im Zusammenhang mit der Personalstruktur eine ähnliche Auffassung vertreten hat wie der Fraktionsvorsitzende der SPD.
Wir haben debattiert und darauf hingewiesen, daß ein Vergleich zwischen dem „goldenen Handschlag" aus dem Jahre 1986 und der jetzigen Regelung im Personalstrukturgesetz unzulässig ist und die Sache nicht trifft.
Wir haben uns alle folgendes zu fragen. Sie haben einen gut ausgerüsteten IP-Stab, und auch wir sind nicht schlecht beieinander. Wir aus den Fraktionen haben die Möglichkeit, uns entsprechend zu äußern. Hier im Plenum äußern wir uns nach außen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1991 4027
Walter Kolbow— Wir sind jetzt doch bei einer sachlichen Aufklärung, Herr Kollege Nolting. Eigentlich sollten Sie sich dem nicht verschließen. Sie sollten mit dazu beitragen, daß wir hier in diesem Hause eine solche sachliche Aufklärung betreiben. Sie sollten mit dazu beitragen, daß solche unzulässigen Vergleiche von keiner politisch verantwortlichen Stelle gezogen werden.
Herr Abgeordneter Kolbow, Sie haben selbst den Anspruch erhoben, keine Intervention, sondern eine Kurzintervention zu machen. Nun haben Sie die dafür vorgesehene Zeit schon deutlich überschritten. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
Sehr zu recht, Herr Präsident.
Im zweiten Teil, Herr Kollege Pflüger, möchte ich Sie einfach bitten — jetzt läßt sich das nicht fortführen — , noch einmal das Protokoll der Sitzung des Verteidigungsausschusses zu lesen. Ich bitte darum, daß Sie auch Ihrerseits nicht Zahlen in die Welt setzen, die nicht mit Positionen der SPD-Fraktion zu verbinden sind. Nirgendwo steht: 40 Milliarden DM. Wir haben schlicht und einfach Kürzungsanträge, die unter 50 Milliarden DM gehen, beschlossen. Das läßt sich nachvollziehen. Aber das, was Sie in bezug auf Einzeläußerungen sagen — diese haben Sie auch in Ihren Reihen zu vertreten — , ist nicht eine Position der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Bitte nehmen Sie das in aller Form hier im Rahmen der Möglichkeiten zur Kenntnis.
Herr Dr. Pflüger, Sie können als Redner antworten. Sie haben also die Möglichkeit, im Wege der Kurzintervention zu antworten.
Ich darf auf die beiden Punkte eingehen.
Erstens freue ich mich, daß Sie das böse Wort vom „goldenen Handschlag" so klar und eindeutig hier zurückgewiesen haben und daß es damit aus der Welt ist. Das ist wichtig und sinnvoll gewesen, denn dieses Wort hat in der Tat zu Verunsicherungen geführt, wie Sie auch selbst wissen.
Der zweite Punkt. Der Kollege Opel hat hier — ich habe die Presseerklärung vorliegen — nicht eine private Erklärung abgegeben, sondern er hat es unter „Die SPD im Deutschen Bundestag" veröffentlicht. Wenn das dann nicht mehr gelten soll, frage ich mich wirklich: Was kann man denn dann als verläßliche Erklärung der Sozialdemokratischen Partei betrachten?
In der Presseerklärung steht: Der Verteidigungshaushalt der Zukunft darf nicht höher als bei maximal 40 Milliarden DM liegen. Entschuldigen Sie, es ist legitim, wenn ich Ihnen auf der anderen Seite gegenüber dieser Zahl entgegenhalte, was Sie an schönen, guten Forderungen, die wir zu einem Teil auch mittragen würden, in den Raum stellen. Das ist jedenfalls eine Politik, die nicht als glaubwürdig bezeichnet werden kann und die nicht dazu beiträgt. Das Vertrauen der Bundeswehr in unsere politische Führung zu stärken.
Nun, meine Damen und Herren, sind wir wirklich am Ende dieser Debatte.
Ich kann Sie nur noch bitten, dem Vorschlag, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/1269 und 12/1281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen, zuzustimmen. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen und die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Oktober 1991, 13 Uhr einberufen.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich möchte Ihnen allen ein angenehmes, erholsames Wochenende wünschen.