Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 112. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte zunächst um Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Erler, Dr. Menzel, Agatz, Nickl, Frau Dr. Steinbiß,
Behrisch, Dr. Reismann, Parzinger, Dr. Greve, Dr.-Ing. Decker und Volkholz.
Ich steile fest, daß Frau Dr. Steinbiß im Saal ist. Weiter bin ich gebeten worden, mitzuteilen, daß auch die Abgeordnete Frau Thiele und der Abgeordnete Harig entschuldigt sind.
Meine Damen und Herren, ich bitte weiter, von einer geschäftsordnungsmäßigen Einzelheit Kenntnis zu nehmen. In Punkt 3 der Tagesordnung ist vermerkt: „Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht und des Wahlprüfungsausschusses". Nach der Geschäftsordnung wird der Bericht nur von dem federführenden Ausschuß erstattet, der die Aufgabe hat, die abweichenden Meinungen und Anträge der anderen Ausschüsse bekanntzugeben. Ich bitte also, freundlichst davon Kenntnis zu nehmen, daß es sich um die Berichterstattung des nach meiner Kenntnis federführenden Wahlprüfungsausschusses handelt.
Meine Damen und Herren! Ich habe dann noch folgendes zu sagen. Heute vor 80 Jahren ist in Versailles das deutsche Kaiserreich ausgerufen worden. Wenn ich dieses Vorganges gedenke, geschieht es nicht, um eine historische Erinnerung mit einer gegenwärtigen politischen Zielsetzung zu versehen.
Wir haben durch bitteres Erleben unseres Volkes genügend Abstand von den Vorgängen vor 80 Jahren, um noch versucht zu sein, den 18. Januar 1871 in einer unechten Weise zu glorifizieren. Dieser Abstand bewahrt uns aber auch davor, an die damaligen Ereignisse die Maßstäbe unseres Erlebens und Erleidens zu legen. Was uns mit der Zeit vor 80 Jahren verbindet, ist der Wille, mit den Mitteln und Möglichkeiten der Zeit der Einheit, Freiheit und Unabhängigkeit des deutschen Volkes zu dienen.
Was uns unterscheidet, ist die Erkenntnis, daß uns heute geboten ist, unseren Weg im Willen zum Frieden und zur wachsenden Gemeinschaft der freien europäischen Völker zu gehen. Weil das unser Wille ist, können wir des Tages der Reichsgründung 1871 als eines bedeutsamen Ereignisses unserer Geschichte in Achtung gedenken.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Beratung der Interpellation der Abgeordneten Strauß und Genossen betreffend Verwendung der Besatzungskosten ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der Bayernpartei betreffend Inanspruchnahme von Gebäuden und Wohnungen durch die Besatzungsmächte ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Beschlagnahme von Wohnraum für alliierte Truppenangehörige ;
d) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films über die Petition Nr. 8341 (Nr. 1753 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß für die Begründung der Interpellation und der Anträge eine Zeit von 15 und 15 und 10 Minuten und für die gesamte Aussprache eine Zeit von 90 Minuten vorgesehen wird. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich bitte zunächst Herrn Abgeordneten Strauß, zur Begründung der Interpellation Drucksache Nr. 1530 das Wort zu nehmen.
Strauß , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation Drucksache Nr. 1530 ist veranlaßt worden durch das große Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der Frage der Höhe und der Verwendung der Besatzungskosten
sowie durch das Interesse an bestimmten Einzelfällen, die der Öffentlichkeit zur Kenntnis gekommen sind, und speziell durch einen Artikel mit ziemlich aufsehenerregenden Einzelheiten, der in
einer deutschen Wochenzeitung veröffentlicht worden ist.
Wir sind uns völlig dessen bewußt, daß das Thema der Besatzungskosten zu den heikelsten Themen der gegenwärtigen Politik oder Besatzungspolitik oder Außenpolitik, wie man es nennen mag, überhaupt gehört. Dieses Thema ist von zwei Seiten her als ein heißes Eisen anzusehen und anzufassen. Es hat auch gar keinen Sinn — weder von unserer Seite noch von seiten der Alliierten —, bei der Erörterung dieses Themas etwa mit Empfindlichkeit oder mit Ressentiment zu reagieren.
Es handelt sich lediglich darum, daß wir unsern Standpunkt, nicht nur den formellen Rechtsstandpunkt etwa, sondern auch den volkswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen und den allgemein politischen Standpunkt in dieser Frage angesichts des Wandels der Verhältnisse in voller Offenheit vortragen und daß auf der andern Seite die Besatzungsmächte, die die Demokratie bei uns wieder eingeführt haben, auch den Mut aufbringen, das Recht einer demokratischen Kritik zu vertrager und unsere Kritik in ebenso großer Offenheit ohm Empfindlichkeit anzunehmen.
Das Thema der Besatzungskosten ist für uns von zwei Gesichtspunkten aus von einer besonderen Bedeutung: einmal für unsere Finanz- und Haushaltswirtschaft und das andere Mal, in einem größeren Zusammenhang gesehen, hinsichtlich unserer heutigen Stellung unter den Völkern der freien Welt und unserer Stellung in der Frage der europäischen Sicherheit. Wenn man das Thema der Besatzungskosten umreißen will, genügt es nicht, einige allgemeine Angaben dazu zu machen; es ist notwendig, auch Einzelzahlen dazu zu bieten. Der Besatzungskostenhaushalt des Jahres 1950 sieht rund 4,6 Milliarden DM für die drei Besatzungszonen und für die einzelnen Verwendungszwecke vor. Wenn wir diesen 4,6 Milliarden DM, die einen der größten, den zweitgrößten Posten des gesamten Haushaltes des Bundes ausmachen, einen anderen Pauschalposten gegenüberhalten, so stellen wir fest, daß die gesamten Sozialausgaben des Bundes sich in diesem Jahre auf rund 5,3 Milliarden DM belaufen. Man stellt damit fest, daß weit über 9 Milliarden DM, knapp 10 Milliarden DM, praktisch feste Posten in unserem Haushalt sind, an deren Höhe wir, was die Besatzungskosten anbetrifft, infolge der Lage, und was die sozialen Ausgaben anbetrifft, infolge der Notwendigkeiten nichts ändern können.
Ich darf einleitend bemerken, daß diese Interpellation auch dazu dienen soll, die Frage der Besatzungskosten nicht nur in eine Frage über einen Sicherheitsbeitrag umzuwandeln, sondern auch in der Art der Behandlung von einem bisher erfolgten Diktat zu einer vernünftigen gegenseitigen Aussprache zu kommen, die auch auf die Finanz- und Wirtschaftsverhältnisse Rücksicht nehmen muß, welche bei uns durch Kriegs- und Nachkriegsfolgen eingetreten sind.
Die Besatzungskosten machen in diesem Haushaltsjahr 36 Prozent der Haushaltssumme des Bundes und — wenn wir die Länderhaushalte zu dem Haushalt des Bundes hinzurechnen — 22 Prozent der Gesamthaushaltssumme des Bundes und der Länder aus. In diesem Haushaltsjahr sind pro Einwohner des Bundesgebiets 95 DM an Besatzungskosten aufzubringen, je Werktätigen
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man uns heute mit Recht das demokratische Gebot der Berichterstattung der Wahrheit und der objektiven Kritik gegenüber der eigenen Regierung und gegen die eigene Regierung auferlegt — und mit Recht — und die deutsche Presse ermuntert wird, sogar scharfe Kritik an der eigenen Regierung zu üben und dem Volk die Wahrheit zu sagen, dann darf zwischen Wahrheit bei der eigenen Regierung und bei der Besatzungsregierung nicht ein Millimeter Unterschied bestehen.
Es wird heute von uns gefordert, daß wir ebenso wie die anderen Völker des freien Teiles der Welt im Jahr etwa 10 % unseres Sozialproduktes für Verteidigung und Sicherheit — d. h. bei uns in erster Linie Besatzung mit etwas Sicherheit — aufbringen. Diese 10 % des Sozialproduktes würden bei uns, gemessen an dem Sozialprodukt dieses Wirtschaftsjahres, rund 8 Milliarden DM ausmachen. Wir haben deshalb auch in die Interpellation die Frage aufgenommen, inwieweit die Bundesregierung eine Erhöhung der Besatzungskosten für möglich hält und woraus sie die Deckung dieser Erhöhung vorzunehmen gedenkt.
— Wenn niemand ein Recht hat, hier ein Wort zu sagen, sind Sie es.
— Ihre Beweise sind genau so wie der Grotewohl-Brief anderswo fabriziert und nicht auf Ihrem Mist gewachsen.
Wir erheben heute die Frage der Erhöhung der Besatzungskosten im Zusammenhang mit den geforderten 10 % unseres Sozialproduktes deshalb — und das ist auch ein Beitrag zur objektiven geschichtlichen Wahrheit der Nachkriegszeit —, weil unsere finanzielle Kraft für die Beteiligung an der europäischen Verteidigung, wenn wir den Krieg und seine unmittelbaren Wirkungen nicht mit einberechnen, genau um die Summe, die heute mehr gefordert wird, durch sinnlose Nachkriegsmaßnahmen geschwächt worden ist.
Dieser Beweis läßt sich bis auf einige Millionen genau führen. Wenn man die Austreibung der Heimatvertriebenen, wofür ja Ihre Gesinnungsgenossen in erster Linie wohl zeichnen dürften,
wenn man die Frage Berlin, die Frage der Demontagen, die Frage des Wiederausgleichs der Demontagen, die Fragen des Wiederaufbaus unseres Außenhandels, des Wiederaufbaus unserer Schiffahrt und der großen Investitionsnotwendigkeiten berücksichtigt, so machen diese Beträge, die nicht durch den Krieg, sondern erst durch sinnlose Nachkriegsmaßnahmen notwendig geworden sind — deren Sinnlosigkeit sich innerhalb kurzer Jahre erwiesen hat —, zusammen noch eine größere Summe aus, als sie heute zusätzlich von uns für die europäische Verteidigung gefordert wird oder gefordert werden könnte.
Die 10 0/0 des Sozialprodukts für unsere Verteidigung stehen unter einem ganz besonderen Gesetz. Ich habe schon eingangs meiner Ausführungen erläutert: wenn wir bei den zwei großen festen Posten unseres Haushalts, die schon 10 Milliarden DM ausmachen, nämlich Sozialausgaben mit 5,3 Milliarden DM und Besatzungskosten mit 4,6 Milliarden DM, zwischen sachlichen Notwendigkeiten zu entscheiden haben, dann werden wir, ohne die äußere Sicherheit zu gering zu schätzen, die innere Sicherheit — aufbauend auf dem sozialen Ausgleich und dem sozialen Frieden — hoch genug schätzen, um die Ausgaben für Sozialzwecke nicht zugunsten der anderen Ausgaben kürzen zu wollen.
Wenn ich zu dieser Frage — ich will nicht die hier abgedruckten Fragen, die einen sehr großen Umfang haben, etwa im einzelnen verlesen — abschließend meiner Meinung Ausdruck verleihen darf, so handelt es sich nicht darum, etwa eine kleine Kritik an der Besatzungsmacht zu üben. Es handelt sich auch nicht darum, jetzt etwa zu sagen: Wir haben doch recht gehabt.
— Wenn etwas zu entschuldigen ist, — so alt können Sie gar nicht werden, daß Sie sich für das entschuldigen können, was Sie und Ihre Freunde dem deutschen Volk angetan haben.
Es handelt sich auch nicht darum, jetzt etwa den
Standpunkt einzunehmen, als ob wir nachträglich
doch recht gehabt und es besser gewußt hätten.
Wir erheben aber heute eine Forderung, eine For-
derung nicht allein etwa im Interesse des deutschen Volkes, am allerwenigsten etwa vom Standpunkt eines deutschen Nationalismus aus. Wir erheben sie vom Standpunkt des Rechts, der Vernunft und der Notwendigkeit der Zukunft aus. In einem Zeitpunkt, in dem 10 000 amerikanische Mütter bereits ihre gefallenen Söhne beklagen, in dem Zehntausende von Müttern bereits um das Schicksal ihrer Söhne, die im Felde stehen, zittern und Tage und Nächte in Ungewißheit verbringen, hat nicht nur das deutsche Volk, sondern haben auch die Heimatvölker unserer Besatzungsmächte einen Anspruch darauf, daß die letzte Mark, die von uns an Besatzungskosten aufgebracht wird, für echte Sicherheit und nicht für Bürokratie und Bequemlichkeit verwendet wird.
Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, daß die Tribüne an den Verhandlungen dieses Hauses einen lebendigen Anteil nimmt. Ich darf aber darauf hinweisen, daß dieser Anteil sich weder in Beifalls- noch in Mißfallensäußerungen kundtun darf. Andernfalls müßte ich weitere Maßnahmen ergreifen.
Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß ich des 18. Januar 1871 gedacht habe, jedoch nicht des 18. Januar 1888, an dem der Herr Kollege Dr. Horlacher geboren ist.
Meine Damen und Herren! Wenn ich mir den Weg von der etwas gezwungenen Freiwilligkeit, mit der 1 Bayern 1871 in das Deutsche Reich einging, bis zur gesamtdeutschen Initiative vorstelle, die Herr Kollege Horlacher unter uns entfaltet hat, glaube ich, daß es gerechtfertigt ist, ihm unsere herzlichsten Glückwünsche auszusprechen.
Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und' Herren! Zu der Interpellation der Abgeordneten Strauß und Genossen vom 27. Oktober 1950 betreffend Verwendung der Besatzungskosten, Drucksache Nr. 1530, nehme ich wie folgt Stellung:
Die Interpellation befaßt sich mit der in letzter Zeit in der Öffentlichkeit viel diskutierten Frage, wie die auf Anordnung der Besatzungsmächte von der Bevölkerung der Bundesrepublik auf zubringenden Besatzungskosten verwendet worden sind. Das in der Interpellation wiedergegebene Zahlenmaterial geht auf gewisse Veröffentlichungen in der Presse zurück. Ich habe dieses Material auf seine Richtigkeit nachprüfen lassen. Dabei hat sich im einzelnen folgendes ergeben.
Die Frage 1 betrifft die Zahl der Beschäftigten. Die Gesamtzahl der bei den Besatzungsmächten und bei einzelnen Besatzungsangehörigen Beschäftigten hat bis Ende September 1950 laufend abgenommen. Es waren am 31. März 1950 471 496 Personen, am 30. Juni 1950 454 920 Personen, am 30. September 1950 446 304 Personen beschäftigt. Eine Aufgliederung der Beschäftigten nach insgesamt 28 Berufsgruppen hat letztmalig zum Stichtag vom 31. März 1950 stattgefunden. Die an diesem Tage vorhandenen 471 496 Beschäftigten verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Berufsgruppen:
Hausangestellte und verwandte Berufe 60162,
Verkehrsberufe 65 522, Gaststättenberufe 39 347,
kaufmännische Büro- und Verwaltungsberufe
97 957, technische Berufe 137 846, Ackerbau-, Tierzucht-, Jagd- und Fischerei-Berufe 9966, Hilfsarbeiter aller Art 31 383, sonstige Berufe 29 313,
zusammen die angegebene Zahl. In den von mir angegebenen Zahlen sind auch die bei Besatzungsangehörigen auf Privatdienstvertrag und privat entlohnten Arbeitnehmer — vorwiegend Hausangestellte — enthalten. Ihre Zahl wird auf etwa 10 vom Hundert der Gesamtzahl der Arbeitnehmer geschätzt.
Die in der Interpellation genannten Zahlen dürften daher nach dem Stande vom 31. März 1950 im wesentlichen zutreffen.
Zur Frage 2: Die einzelnen Angaben in der Interpellation entsprechen den Tatsachen. Die Ausgaben beziehen sich auf die Ausstattung von — teilweise repräsentativen — Dienst- und Wohnräumen im Zuge der organisatorischen und räumlichen Zusammenfassung der Dienststellen eines Hohen Kommissars.
Zur Frage 3: In dem Alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalt für das Rechnungsjahr 1950, der der Bundesregierung mit der Note vom 8. März 1950 zum Vollzug übergeben worden ist und der als Einzelplan XXIV in den Bundeshaushaltsplan aufgenommen worden ist, sind unter der Zweckbestimmung „Barzahlungen an die Besatzungsmacht für Besatzungsbedarf" veranschlagt: für die französische Zone 162 291 900 DM, für die britische Zone 26 009 000 DM, für die amerikanische Zone 0,00 DM. Von diesen Beträgen sind in der Zeit vom 1. April 1950 bis 30. November 1950 bereits ausgegeben: in der französischen Zone 108 216 726 DM, in der britischen Zone 7 041 747,69 DM. Die betreffenden Besatzungsmächte haben weder früher den Ländern noch jetzt der Bundesregierung den Verwendungszweck der Pauschzahlungen mitgeteilt.
Zur Frage 4: Die Angaben sind zutreffend. Die Ausgaben sind im Rechnungsjahr 1949 zur Deckung des Bedarfs der im Lande Nordrhein-Westfalen untergebrachten DP's gemacht worden, die damals in vollem Umfang von den Besatzungsmächten betreut wurden.
Zur Frage 5: Es konnte nicht festgestellt werden, ob die in der Interpellation erwähnten Waren in dem genannten Zeitraum tatsächlich beschafft worden sind. Aus deutschen Unterlagen ergibt sich aber, daß durch Dienststellen der amerikanischen und britischen Besatzungsmacht während dieses Zeitraumes folgende Beträge für die Beschaffung von Waren zu Lasten des Alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalts ausgegeben worden sind:
12 136 978 DM für Teppiche und Gardinen
— bei den Teppichen handelt es sich zum Teil um über Holland eingeführte Importware im Betrage von rund 2,5 Millionen DM —,
16 160 437 DM für Kühlschränke,
41 201 062 DM für Möbel, 1 199 660 DM für Frauenkleider,
im wesentlichen für DP's, 3 987 482 DM für Glühlampen, 5 130 976 DM für Holzverpackungen:
Entsprechende statistische Erhebungen für die französische Zone sind bisher nicht durchgeführt worden, weil sie kein zuverlässiges Bild geben würden, da die Beschaffungen dort zu einem wesentlichen Teil von der Besatzungsmacht in eigener Regie mit Hilfe der Pauschzahlungen durchgeführt werden.
Die weiteren in der Interpellation unter den Ziffern 6, 7 und 8 gestellten Fragen stehen in engstem Zusammenhang miteinander und berühren nicht nur Grundfragen des gegenwärtigen Besatzungskostenrechts, sondern auch solche der Besatzungskostenpolitik. Bevor ich zu diesen Fragen im einzelnen Stellung nehme, möchte ich mir daher einige allgemeine Bemerkungen gestatten.
Es darf nicht übersehen werden, daß die den deutschen Behörden der Besatzungslastenverwaltung zur Verfügung stehenden Unterlagen über die von den Besatzungsbehörden vorgenommenen Beschaffungen nicht vollständig sind. Denn die deutschen Behörden sahen sich bisher in aller Regel darauf beschränkt, die ihnen zum Vollzug vorgelegten Rechnungen zu bezahlen. Eine völlige Klarheit, insbesondere über die Art der Verwendung der requirierten Gegenstände, läßt sich daher nicht gewinnen. Auf jeden Fall muß aber festgestellt werden, daß das Gesamtbild — soweit es die Zeit vor dem 1. April 1950 betrifft, auf die es hier im wesentlichen ankommt — höchst unerfreulich ist.
In der in- und ausländischen Öffentlichkeit ist versucht worden, diesen Eindruck dadurch abzuschwächen, daß geltend gemacht wurde: durch die ) Beschäftigung Deutscher bei den Besatzungsmächten sei die Zahl der Arbeitslosen verringert worden; private Organisationen, insbesondere der Vereinigten Staaten, hätten ihrerseits erhebliche Aufwendungen zum Zwecke der Hilfeleistung für das deutsche Volk erbracht; auf jeden Fall bleibe das für Besatzungszwecke aufgewendete Geld im Lande und komme der deutschen Wirtschaft zugute.
Ich halte diese Einwendungen nicht für begründet. Wenn der Bundesrepublik freie wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit zugestanden würde, so wäre sie — darüber kann es auf deutscher Seite keinen Zweifel geben — selbst in der Lage, ihren Arbeitskräften Beschäftigung zu geben, und zwar in einer produktiveren Weise.
Weiter wird ohne jede Einschränkung dankbar anerkannt, daß private Organisationen in den Ländern der Besatzungsmächte — insbesondere in den Vereinigten Staaten — seinerzeit dem not-leidenden deutschen Volke wertvolle Hilfe geleistet haben. Dazu kommt die große Hilfe, die der Marshall-Plan der deutschen Volkswirtschaft gebracht hat und noch bringt. Es handelt sich jedoch bei der Frage der Besatzungskosten um ganz andere Dinge. Hier geht es darum, in welchem Umfang die dem Bund auferlegten Besatzungslasten im Hinblick auf seine wirtschaftliche und finanzielle Lage als vertretbar anzusehen sind, und vor allem darum, ob die für die Zwecke der Besatzungsmacht aufgebrachten Mittel in einer Weise verwandt worden sind, welche die damit verbundene schwere Belastung als zumutbar erscheinen läßt. Ich glaube nicht, daß die Tatsache freiwillig gewährter Hilfeleistung diese Nachprüfung erübrigt.
Es mag richtig sein, daß, von der Geldseite gesehen, der größte Teil der für Besatzungskosten aufgewandten Mittel im Lande bleibt. Das ist aber nicht entscheidend. Wesentlich für die Beurteilung ist vielmehr, welchem Verwendungszweck die für die Besatzungskosten in Anspruch genommenen Bundesmittel zugeführt werden. Dieser Verwendungszweck ist überwiegend ein konsumtiver. Nur ein Bruchteil der Besatzungskosten findet eine Verwendung, durch die Werte geschaffen werden, z. B. durch die Errichtung von Neubauten für Besatzungsangehörige. Auch in diesen Fällen handelt es sich aber nur insoweit um echte produktive Ausgaben, als die Besatzungsbauten nach Freigabe durch die Besatzungsmächte künftig tatsächlich für deutsche Zwecke verwendet werden können, was bei den Besatzungsbauten oft nur in beschränktem Umfang der Fall sein wird.
Die deutsche Bevölkerung würde auch für eine konsumtive Verwendung der Mittel des Besatzungskosten- und Auf tragsausgabenhaushalts Verständnis haben, wenn diese Mittel voll für Sicherheitszwecke verwandt werden würden. Für die Vergangenheit muß jedoch festgestellt werden, daß der insoweit etwa erzielte Erfolg in keinem Verhältnis zu der Höhe der aufgewandten Mittel steht.
Wenn man bedenkt, daß die Besatzungskosten mehr als ein Drittel des angespannten und mit festen Ausgaben, besonders auf dem Gebiete der Soziallasten, ohnehin schwer belasteten Bundeshaushalts betragen, so können gegen eine sachliche, ruhige und konstruktive Kritik an der Verwendung der Mittel des Alliierten Haushalts berechtigte Einwendungen nicht erhoben werden, Das gilt um so mehr, als in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 ein grundlegender Wandel in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten eingetreten ist, der in den Beschlüssen der New Yorker Außenministerkonferenz vom September 1950 seinen Niederschlag gefunden hat. Mit der Einbeziehung der Bundesrepublik in das wirtschaftliche und politische Sicherheitssystem der demokratischen Welt änderten sich auch die mit der Besetzung Deutschlands verfolgten Ziele. Diese Änderung der Besatzungsziele muß sich notwendig auch auf die Besatzungskosten und deren Verwendungszweck auswirken.
Wenn die demokratische Seite von der Bundesrepublik einen Sicherheitsbeitrag erhofft, der nach Presseverlautbarungen des Auslandes eine zusätzliche Belastung neben den bisherigen Besatzungskosten darstellen soll, so kann die Bundesrepublik ihrerseits erwarten, daß auch die Alliierten die Mittel des Alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalts für echte Sicherheitszwecke einsetzen.
Bei der Entwicklung der Dinge in den letzten Monaten scheint es gerechtfertigt, den dringenden Wunsch auszusprechen, daß man sich überall der Notwendigkeit, der gegenüber dem Jahre 1949 eingetretenen Veränderung der Verhältnisse' Rechnung zu tragen, stets voll bewußt sein sollte. Gewisse positive Anzeichen in dieser Richtung dürfen nicht unerwähnt bleiben. Eine der Ursachen für die Unzuträglichkeiten, die sich bei der Beschaffung von Sach- und Werkleistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ergeben haben, liegt darin, daß seitens der mit der Beschaffung
befaßten unteren Dienststellen der Besatzungsmächte Anforderungen gestellt worden sind, deren völkerrechtliche Zulässigkeit nach Gegenstand und Umfang der geforderten Leistungen zu berechtigten Zweifeln Anlaß gibt. Eine weitere Ursache ist darin zu erblicken, daß die Auswahl der Lieferanten und die Vergebung der Aufträge in aller Regel unmittelbar durch die Besatzungsbehörden unter Ausschaltung der deutschen Dienststellen erfolgen.
Der Herr Britische Hohe Kommissar hat nunmehr eine zentrale Dienststelle für das Beschaffungswesen auf dem Gebiete der Sach- und Werkleistungen errichtet. Er hat weiter angeregt, auch auf deutscher Seite eine entsprechende Zentralstelle zu schaffen, und hat dazu mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, die Vergebung der Aufträge künftig einheitlich der deutschen Seite zu überlassen.
Auf deutscher Seite ist als Zentralstelle die Sonderabteilung Besatzungslastenverwaltung des Bundesministeriums der Finanzen bestimmt woren, die eng mit dem Bundesministerium für Wirtchaft zusammenarbeiten wird. Die Ausgestaltung aer Zusammenarbeit im einzelnen wird Gegenstand von Verhandlungen mit den britischen Dienststellen in den nächsten Wochen sein. Mit Bestimmtheit ist zu erwarten, daß durch diese Maßnahme weitgehende Einsparungsmöglichkeiten bei der Beschaffung von Sach- und Werkleistungen für die britische Besatzungszone erzielt werden können. Die Bundesregierung hofft auf Grund in neuester Zeit geführter Verhandlungen, daß auch in den beiden anderen Besatzungszonen das Beschaffungsverfahren in ähnlicher, den dortigen Verhältnissen entsprechender Weise umgestaltet wird.
Der Herr Britische Hohe Kommissar hat in einem Aide Memoire vom 20. November 1950 ferner mitgeteilt, die britische Regierung prüfe seit einiger Zeit eingehend die Frage etwaiger Einsparungen bei den Besatzungskosten. Im laufenden Jahre hätte bereits eine erhebliche Kürzung durchgeführt werden können. Um noch größere Einsparungen vorzunehmen, habe die britische Regierung beschlossen, einen hohen Beamten in Deutschland einzusetzen, der dafür verantwortlich bei, daß beim Heer, bei der Marine, bei der Luftwaffe und der Kontrollkommission soweit wie möglich gespart wird. Inzwischen ist der für diese Maßnahmen zuständige Beamte in der Person von Sir Sidney Kirkman ernannt worden. Die Bundesregierung hofft auf Grund der bisherigen Verhandlungen, daß die anderen Besatzungsmächte diesem Beispiel folgen und in Kürze ähnliche Maßnahmen treffen werden.
Die Bundesregierung ist ihrerseits bereits seit längerer Zeit bemüht, auf eine sparsame Verwendung und einen zweckmäßigen Einsatz der Mittel des Alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalts hinzuwirken. Ich darf insoweit auf meine Denkschrift vom 25. August 1950 verweisen, die dem Hohen Hause als Drucksache Nr. 1308 vorgelegt worden ist. Die Bundesregierung wird der alliierten Hohen Kommission weitere eingehende Vorschläge für Einsparungsmaßnahmen mit dem Ziel, die Besatzungskosten zu senken und Mittel für einen echten Sicherheitsbeitrag freizumachen, vorlegen. Die alliierte Seite hat mir erklärt, daß sie bereit ist, solche Vorschläge entgegenzunehmen.
Als ein wesentlicher Fortschritt für alle drei Zonen ist es weiter anzusehen, daß die Alliierte Hohe Kommission den Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe der Länder einheitlich mit der Rechnungsprüfung der Besatzungskosten beauftragt hat.
Schließlich hat der Alliierte Unterausschuß für Besatzungskosten in einem Memorandum vom 6. Januar 1951 mitgeteilt, daß die Alliierte Hohe Kommission beschlossen habe, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, deren Aufgabe die Vereinheitlichung der besatzungskostenrechtlichen Bestimmungen für das ganze Bundesgebiet sein soll. Diese alliierte Arbeitsgruppe würde mit dem Bundesministerium der Finanzen in Verbindung treten und auch deutsche Vorschläge behandeln. Es wird das Bestreben der Bundesregierung sein, zu erreichen, daß diese Arbeit zu einer wirklichen Reform des Besatzungskostenrechts führt.
Im übrigen wird die Bundesregierung auch weiterhin bemüht sein, im Wege der Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission, den Hohen Kommissaren und deren Dienststellen die berechtigten deutschen Forderungen, wie sie sich insbesondere auch aus der Veränderung der Besatzungszwecke ergeben, nachdrücklich zur Geltung zu bringen mit dem Ziel, das gegenwärtige System der einseitigen Requisitionen zu ersetzen durch ein System der Beschaffung des Besatzungsbedarfs auf vertraglicher Grundlage. Damit ist die Frage Nr. 6 — Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu erreichen, daß die aufgewendeten Besatzungskosten in der Zukunft für echte Sicherheitszwecke verwendet werden? — beantwortet.
Die Frage Nr. 7 geht dahin, ob die Bundesregierung bereit ist, bei der Oberkommission vorzuschlagen, daß durch eine gemischte alliiert-deutsche Kommission die bisherige Verwendung der Besatzungskostenmittel nachgeprüft und ihre Umstellung für echte Sicherheitszwecke eingeleitet wird. Ich darf dazu folgendes bemerken. Das Ergebnis einer solchen Nachprüfung, die eine außerordentlich große Verwaltungsarbeit erfordern würde. könnte nur darin bestehen, die dabei festgestellten Mißstände für die Zukunft abzustellen. Dieses Ergebnis wird sich auch ohne die vorgeschlagene Nachprüfung erreichen lassen. Denn die in der Vergangenheit aufgetretenen Mißstände sind den maßgebenden Stellen der alliierten Seite ohnehin nicht unbekannt geblieben.
Die Bundesregierung freut sich, mitteilen zu können, daß ihr in einer der letzten Besprechungen von maßgebender alliierter Seite zugesichert worden ist, daß man dort gewillt ist, aus dieser Kenntnis der Dinge die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und künftig Ausgaben zu Lasten des alliierten Haushalts nur noch in dem unbedingt erforderlichen Umfang zuzulassen.
Die Frage Nr. 8 — In welchem Umfange hält die Bundesregierung eine von den Alliierten angekündigte Erhöhung der Besatzungskosten für möglich und aus welchen Einnahmen gedenkt sie die Dekkung vorzunehmen? — beantworte ich dahin: Der Rat der Alliierten Hohen Kommission hat der Bundesregierung mit einer Note vom 14. Dezember 1950 den Nachtragshaushalt überreicht. Dieser weist einen Ansatz aus von 1,414 Milliarden DM. Es wurde der Bundesregierung mitgeteilt, daß von diesem Betrage bis zum 1. April 1951 voraussichtlich eine Summe von 664 Millionen DM in Anspruch genommen werden wird. Die alliierten Finanz-
berater haben sich bereit erklärt, sich mit der Bundesregierung über die Durchführung des Nachtragshaushalts zu besprechen. Ich darf mir die Unterrichtung des Hohen Hauses nach Abschluß dieser Besprechungen vorbehalten.
Schon jetzt darf ich bemerken, daß die Bundesregierung bei diesen Besprechungen davon ausgehen muß, daß die Besatzungskosten und ein etwaiger deutscher Sicherheitsbeitrag eine Einheit darstellen, das heißt, daß für beide Zwecke nur ein einheitlicher, der Leistungskraft der deutschen Volkswirtschaft und den besonderen deutschen sozialen Verhältnissen angepaßter Betrag in Betracht kommen kann.
Sind die Besatzungskosten hoch, dann kann nur
ein entsprechend geringer sonstiger deutscher Sicherheitsbeitrag geleistet werden und umgekehrt.
Im übrigen wird die Bundesregierung mit Entschiedenheit zur Geltung bringen, daß die Bundesrepublik in Form ihrer Leistungen für die Opfer des Krieges, für die Flüchtlinge und überhaupt für die soziale Befriedung bereits Vorleistungen größten Ausmaßes für die europäische Sicherheit erbracht hat.
Für die erhöhten Ausgaben werden zweifellos neue Deckungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Ich habe der Bundesregierung ein Steuerprogramm vorgelegt, das die Erschließung neuer Steuerquellen vorsieht. Nach der Verabschiedung im Kabinett wird die Vorlage dem Bundesrat und dem Bundestag zugehen.
I Da das neue Steuerprogramm eine gewisse Anlaufzeit brauchen wird, muß jedoch davon ausgegangen werden, daß aus diesem Steuerprogramm für das laufende Rechnungsjahr 1950 Deckungsmittel noch nicht verfügbar sein werden. Es wird im gegebenen Fall zu erwägen sein, die erforderlichen Deckungsmittel überbrückungsweise im Kreditwege zu beschaffen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die tatsächliche Entwicklung der Ausgaben des Alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalts in den vergangenen Monaten des Rechnungsjahres 1950 hat gezeigt, daß an sich die veranschlagten Mittel ausgereicht hätten, wahrscheinlich nicht einmal voll in Anspruch genommen worden wären. Wenn die Alliierten einen Nachtragshaushalt für erforderlich gehalten haben, so ist dies im Hinblick darauf geschehen, daß im Zusammenhang mit der Verstärkung der alliierten Truppen im Bundesgebiet mit neuen Ausgaben zu rechnen ist. Die zusätzlichen Ausgaben, die auf den Bund zukommen werden, stehen also im unmittelbaren Zusammenhang mit den Maßnahmen, die auf Grund der Beschlüsse der New-Yorker Außenministerkonferenz vom 12. September 1950 zum Schutz der demokratischen Welt, einschließlich des deutschen Bundesgebietes, gefaßt worden sind.
Diese Konferenz bedeutet eine Wende für die Gestaltung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Besatzungsmächten. Wie ich bereits ausgeführt habe, ist man sich auf alliierter
Seite darüber klar, daß die Veränderung der Verhältnisse gegenüber dem Jahre 1949 sich auch auf
die Besatzungskosten und deren Verwendung auswirken muß.
Das Bild, das ich Ihnen von der Verwendung der Besatzungskosten in der Vergangenheit zeichnen mußte, mag manchen trüben und für uns bitteren Zug aufweisen. Um so mehr haben wir Anlaß, dafür zu sorgen, daß für die Zukunft gemäß den neuesten alliierten Erklärungen die Besatzungskosten sich zunehmend in unseren Beitrag zur gesamteuropäischen Sicherheit verwandeln und jede ausgegebene Mark dazu beiträgt, das Sicherheitsgefühl eines jeden Bürgers der Bundesrepublik zu stärken. Wir haben nach einer bedeutsamen Aussprache in der vergangenen Woche keinen Grund, an dem guten Willen der alliierten Seite und ihrer maßgeblichen Vertreter zu zweifeln. Es kommt deshalb jetzt vor allem darauf an, vorwärts zu blicken und gemeinsam die Gestaltung der Dinge auf dem schwierigen Gebiet der Besatzungskosten im Geist europäischer Zusammenarbeit in die Hand zu nehmen.
Dann wird sich auch die westdeutsche Bevölkerun der Erkenntnis nicht verschließen, daß mit de Einbeziehung der Bundesrepublik in das demokratische Sicherheitssystem die Übernahme von gewissen Lasten verbunden sein muß. Sie wird bereit sein, diese Lasten zu tragen,
wenn sie die Gewißheit haben darf, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres jungen Staates beachtet werden und daß die aufgebrachten Mittel für den gemeinsamen Zweck des Schutzes der demokratischen Welt verwendet werden.
Meine Damen und Herren! Bei mir ist angeregt worden, den von der äußersten Linken gemachten Zwischenruf „Ami, go home" ins Russische übersetzen zu lassen. Da ich nicht genug Russisch kann, gebe ich die Anregung an die Herren Zwischenrufer weiter.
Um der Bestimmung des § 56 der Geschäftsordnung zu genügen, frage ich, ob eine sofortige Besprechung der Interpellation von 50 Abgeordneten gewünscht wird.
— Ich bitte, fragen zu dürfen, ob die Abgeordneten diese Besprechung wünschen. — Ich bitte um ein Handzeichen.
— In einer Gesamtberatung. Ich möchte nur der Form genügen. Ich unterstelle, daß das Hohe Haus bei der Besprechung der übrigen Anträge auch zu dieser Interpellation Stellung nehmen wird.
Es ist weiter zu dieser Interpellation ein Antrag der KPD folgenden Wortlauts eingegangen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt, zur Sicherung der in Art. 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland garantierten Freiheit der Meinungsäußerung
von der Hohen Kommission die Zusage zu fordern, daß in Zukunft keine Erscheinungsverbote mehr gegen Zeitungen und Zeitschriften wegen Veröffentlichungen von Einzelheiten
über die Verwendung von Besatzungskosten ausgesprochen werden.
Es folgt ein zweiter Absatz:
Der Hohen Kommission ist ferner mitzuteilen, daß die Bundesregierung gewillt ist, ab sofort nur die Hälfte der für das laufende Etatsjahr angeforderten Besatzungskosten zu leisten, und daß sie grundsätzlich jede Erhöhung der Besatzungskosten ablehnt.
Nach der Geschäftsordnung können Anträge zu Interpellationen nur gestellt werden, wenn sie von 30 anwesenden Mitgliedern unterstützt werden. Die Fraktion des Herrn Abgeordneten Renner umfaßt aber keine 30 Mitglieder. Ich frage, welche weiteren Mitglieder diesen Antrag unterstützen? — Ich stelle fest, daß keine 30 Abgeordneten diesen Antrag unterstützen,
also zu diesem Antrag nichts weiter veranlaßt werden kann.
Es folgt die Begründung des Antrags in Drucksache Nr. 1721: Antrag der Fraktion der Bayern-p artei betreffend Inanspruchnahme von Gebäuden und Wohnungen durch die Besatzungsmächte.
Ich erteile zur Begründung das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal ist hier eine Debatte über Besatzungsfragen, über Besatzungskosten im Gange. Viele von den Argumenten, die bisher vorgebracht worden sind, haben wir im Bundestag schon gehört. Es kann aber nichts schaden, wenn sie immer wieder hier mit Eindringlichkeit vorgebracht werden. Denn der Erfolg, den die bisherigen Debatten des Bundestages hatten, war nicht sehr groß, oder er war gleich Null. Es ist deshalb in dankenswerter Weise von den Einbringern der Interpellation vieles von dem dargelegt worden, was wir z. B. auch in der ausgezeichneten Schrift des Tübinger Instituts finden, die darüber hinaus noch so viele für alle Abgeordneten und für das ganze deutsche Volk interessante und wissenswerte Dinge enthält, daß man die Lektüre dieses Bändchens dringend empfehlen muß.
Es ist ja nicht zum ersten Male, daß wir hier Anträge gestellt haben. Ich verweise z. B. darauf, daß die Bayernpartei bereits wenige Wochen nach Beginn des Bundestages, am 7. Oktober 1949, einen Antrag über die Freigabe von privatem Wohnraum und Hotels durch die Besatzungsmächte gestellt hat; daß sie wiederholt Anfragen an die Regierung gerichtet hat; daß sie noch im August 1950 eine Anpassung dieser Besatzungsverhältnisse an die internationale Lage verlangt hat. Jetzt kommen wieder von allen Parteien Anträge, die doch den sehr einheitlichen Willen des deutschen Volkes kundtun, in der Lösung dieser Fragen endlich einmal Taten zu sehen.
Ich habe allerdings, etwa vor einem Dreivierteljahr, in einer größeren Diskussion über die Besatzungsfragen darauf hingewiesen, daß es nicht allein damit getan ist, den Alliierten mit irgendwelchen allgemeinen Redensarten zu sagen, die Situation zu ändern, sondern daß es vor allem Pflicht der Bundesregierung sei, die Unterlagen zu schaffen. Ich halte es deshalb nicht für richtig, wenn der Herr Bundesfinanzminister Schäffer sich damit begnügt, zu sagen: Uns fehlen die Unterlagen.
Eine Bundesregierung ist in der Lage, diese Dinge herbeizubringen. Es ist eben ein gewisses Versäumnis, daß die Sonderabteilung für Besatzungskosten erst im August dieses Jahres eingerichtet worden ist, also 10 Monate nachdem die Regierung berufen worden war.
Ich glaube, daß hier wirklich mehr getan werden müßte, und wenn man die Unterlagen nicht von der Besatzungsmacht bekommt, dann hat man doch die Möglichkeit, sie auf anderem Wege zu bekommen. Es macht einen schlechten Eindruck, wenn wir warten, bis irgendwelche Blättchen und Blätter die Einzelheiten bringen und wir dann gezwungen sind, auf Grund solcher Publikationen hier diese offizielle Debatte zu führen.
Einen der Sonderpunkte, wie eine Besserung der Verhältnisse erreicht werden kann, wie Unterlagen beschafft werden können, behandelt unser Antrag. Es ist dort ausgesprochen worden, daß in Ausführung der Rechtsverordnung über die Zählung der von den Besatzungsmächten in Anspruch genommenen Gebäude und Wohnungen nach dem Gesetz die von den Besatzungsmächten beschlagnahmten Räume nicht aufgenommen werden können. Der Bundesrat hat der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Besatzungsmächte eine entsprechende Ergänzung der Verordnung gestatten und daß sie die Wohnflächenanforderungen für B esatzungswohnungen unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse überprüfen.
nicht vergeudet und verschwendet wird. Dieses
Gefühl hat man nur dann, wenn es dem Volke,
der Regierung möglich ist, zusammen mit der Besatzungsmacht eine Kontrolle auszuüben. Es geht
nicht, daß in einem demokratischen Staat ein Drittel der Haushaltsmittel der demokratischen Kontrolle des Parlaments entzogen ist, weil man den Posten einfach hinnehmen muß. Wir wollen, daß gerade diese psychologischen Hemmungen beseitigt werden, die einer echten und tiefen Freundschaft mit Amerika, England und Frankreich entgegenstehen und deren Beseitigung erst ermöglicht, daß wir in Sicherheit und Ruhe und in einer wirklich echten Völkerfamilie zusammenleben können.
Aus diesem Grunde sind wir dafür, daß hier etwas geschieht, daß die Besatzungsmächte die Proteste nicht wie bisher in den Papierkorb werfen und daß diese Debatte, deren Thema schon wiederholt behandelt worden ist, nicht einfach in den Wind gesprochen bleiben darf.
Es geht nicht, daß man jemanden, wenn man ihn schon aus der Haft entläßt, auffordert, vorher noch die Kleider auszuziehen. Man kann auch nicht wollen, daß ein Gefängnis gleichzeitig eine Kaserne ist.
Meine Damen und Herren, zur Begründung des Antrages der Fraktion der SPD betreffend Beschlagnahme von Wohnraum für alliierte Truppenangehörige — Drucksache Nr. 1726 — hat das Wort die Abgeordnete Frau Meyer-Laule.
Herr Präsident! Meine Herren. und Damen! Wir sehen in der Tatsache,
3) daß wir ;m Jahre 1951, also fast sechs Jahre nach Kriegsende, genötigt sind, den vorliegenden Antrag einzubringen, den Beweis dafür, daß die Verwirklichung der Demokratie in Deutschland auch von den Alliierten nicht mit dem notwendigen psychologischen Verständnis betrieben wurde, wie wir es erhofften.
Diejenigen Deutschen, und zwar ein großer Teil und nicht die schlechtesten, die während des Naziregimes ihre Kraft zum Aushalten mit aus den ausländischen Sendungen bezogen und dabei vermittelt erhielten, daß Demokratie auch Schaffung menschenwürdiger Zustände bedeutet, erwarteten die Alliierten als Befreier. Aber sie kamen als Sieger und haben bis heute diese Siegermentalität noch nicht überwunden.
Wir wissen, daß, wenn ein Land besiegt wird, Besatzungsschäden entstehen. Wir wissen auch, daß Besatzungen Lasten mit sich bringen, die sich nicht vermeiden lassen und als militärische Gegebenheiten hingenommen werden müssen. Wir hofften aber, daß im Laufe der Jahre eine Prüfung und Revision hinsichtlich der Beschlagnahme von Gebäuden und Wohnräumen erfolgen würde, weil wir der Ansicht sind, daß dies eine demokratische Forderung ist.
Seit 1945, als die Beschlagnahmungen stattfanden, hat sich nicht nur das Verhältnis zwischen den Besatzungsangehörigen und uns Deutschen wesentlich zum Guten geändert, sondern auch das Verhältnis der Besatzungsmächte zur deutschen Bundesrepublik. Diese Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß die Besetzung einen anderen Sinn erhalten hat. Prominente alliierte Staatsmänner haben in ihren Äußerungen immer wieder hervorgehoben, daß die feindliche Besetzung durch eine freundliche Schutzmacht abgelöst werden sollte. Schutzmacht setzt Freundschaft voraus, und Freundschaft verpflichtet.
Die Situation von 1945 dürfte also überholt sein. Diese Änderung findet aber keinen Niederschlag auf dem Gebiete der Wohnraumbeschlagnahme, wo alles beim alten geblieben ist. Dieses Problem ist ein Anliegen des ganzen deutschen Volkes geworden, besonders ein Anliegen derer, die heute noch dazu gezwungen sind, oder sagen wir: dazu verdammt sind, in Bunkern, Kellern und Baracken zu wohnen, und nur dann Aussicht auf eine bessere Unterbringung haben können, wenn die Besatzungsmächte bescheidener sind und sich unserer Situation anpassen. Dies gilt nicht nur für die beschlagnahmten Altwohnungen, sondern auch für die Neubauten der Besatzungsmächte.
An diesen Neubauten wurde schon viel Kritik geübt.
Wir sollten aber auch objektiv genug sein, einzugestehen, daß die daran beteiligten deutschen Unternehmer Supergewinne gemacht haben, die moralisch besonders dann nicht vertretbar sind, wenn sich diese Unternehmer als Söhne des Volkes betrachten, wie der Herr Finanzminister gestern so schön gesagt hat.
Es muß in der Geschädigtenfrage vor allen Dingen eine Koordination zwischen Besatzungsmacht und den Verdrängten einerseits und dem Finanzministerium und den Verdrängten andererseits erreicht werden. Wir bedauern, daß die Regierung so lange gebraucht hat, ein Referat für Besatzungsfragen einzurichten, und erwarten, daß die Referenten dieses Ressorts erreichen, daß der im Grundgesetz verankerte Rechtsstaat seinen Sinn nicht verliert.
Den Besatzungsverdrängten muß in erster Linie durch ein Bundesgesetz Rechtsanspruch gewährt werden. Als überstaatlicher Rechtsgrundsatz ist die Gewährleistung des Schutzes des Privateigentums auch in der Haager Landkriegsordnung festgelegt. Dort heißt es im Art. 46:
Die Ehre und das Recht der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen beachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.
Soweit Art. 46. Für den Fall aber, daß es in Anspruch genommen werden muß, schließt Art. 52 ausdrücklich eine Entschädigung gedanklich in sich ein. Wenn die Alliierten in der Anerkennung der Haager Landkriegsordnung einig wären — ich bin da gegenteiliger Ansicht mit dem Herrn Kollegen Strauß —, dann wären wir allerdings einen großen Schritt weiter. Sollten die Geschädigten auf ein alliiertes Gesetz, von dem immer wieder die Rede ist, warten müssen, z. B. so wie die Besatzungs-Körperbeschädigten, so müßte nach dem Sprichwort „Gut Ding will Weile haben!" inzwischen ein hervorragendes Gesetz ausgearbeitet worden sein.
Hätten die Alliierten bei der Erteilung der Beschlagnahme-Befehle gen au soviel Überlegungen angestellt wie bei der Behandlung der Forderungen der Geschädigten, stünde es um das zarte Pflänzchen Demokratie in Deutschland besser.
Noch ist den Verdrängten nicht ihr Recht geworden; es geht eine neue Angstwelle durch unser Volk, daß durch die alliierten Truppenverstärkungen neue Besatzungsverdrängte geschaffen werden. Bereits sind zum 15. Januar neue Anforderungen gestellt worden, in dem kleinen Städtchen Verden an der Aller 50 Wohnungen bereitzustellen, und alle Verhandlungen der beteiligten deutschen Stellen, diese Forderungen abzuwehren, sind von den maßgebenden britischen Behörden brüsk abgelehnt worden. Wie wir hören, ist heute bekanntgegeben worden, daß die Beschlagnahmebefehle für Verden zurückgezogen wurden, um eine Überprüfung vorzunehmen.
Wir haben aber heute gesehen, wie diese Dinge vorangetrieben werden, und ich möchte Ihnen folgendes Telegramm bekanntgeben, weil ich der Überzeugung bin, daß dieser Notschrei an den ganzen Bundestag gerichtet ist:
Früherer Luitpold-Kaserne Bayreuth droht Räumung wegen Unterbringung amerikanischer Truppen. Kaserne voll mit Flüchtlingswohnungen und Altersheim belegt, 267 Familien mit 1400 Personen, darunter 650 Kinder. Außerdem belegt mit rund 70 industriellen und gewerblichen Betrieben mit 900 Arbeitern. Räumung menschliche, wirtschaftliche Katastrophe für Bayreuth mit 58 000 Einwohnern. Sinnlose Geldverschwendung, unabsehbare politische Folgen. Truppenunterbringung auf früherem Flugplatz Bindlach bei Bayreuth durch Kasernen- oder Barackenerrichtung ideal möglich. Flugplatz mit Straßen, Kanälen, Wasser und Strom voll erschlossen. Inanspruchnahme Luitpold-Kaserne gänzlich unnötig. Erbitten dringend Ihre Hilfe!
B) Meine Damen und Herren! Beweist dieses Telegramm nicht eindeutig, daß der so berüchtigte preußische Barras über. Grenzpfähle und Meere hinweg seinesgleichen gefunden hat?
Die Regierung wurde schon wiederholt aufgefordert, alle im Bundesgebiet beschlagnahmten Räume zu registrieren, um zu erreichen, daß den Hohen Kommissaren die Unmöglichkeit vor Augen geführt würde, neue Beschlagnahmungen vorzunehmen. Aus dem Bundesratsbericht vom 27. November geht hervor, daß von der Regierung noch keine Unterlagen vorgelegt wurden. Wir bräuchten diese aber, um den Alliierten zu beweisen, daß unsere Unzufriedenheit zu Recht besteht, weil damit der Nachweis erbracht würde, daß die Anforderungen der Besatzungsmächte nicht vertretbar sind im Hinblick auf die Ansprüche, die die alliierten Besatzungsangehörigen in ihrem eigenen Lande stellen können.
Und wir sind davon überzeugt, daß die Völker dieser Länder mit uns in dieser Frage einiggehen, weil solche Dinge unter dem Banner freundlicher Schutzmacht nicht mehr vertretbar sind.
Es ist erfreulich, daß Anstrengungen zur Lösung des Besatzungsproblems zur Grundlage deutschalliierter Besprechungen gemacht wurden, und wir hoffen, daß es gelingt, die Forderungen mit den finanziellen Möglichkeiten des deutschen Volkes in Einklang zu bringen. Wir hoffen weiter, daß bei diesen Besprechungen vor allem die Frage der Rückgabe beschlagnahmten Wohnraums und die Frage neuer Beschlagnahmungen als das Primäre angesehen wird. Zur rechtlichen Überprüfung werden auch die schon vorgenommenen und materiell nicht erledigten Grundstücksenteignungen stehen müssen. In Heidelberg warten z. B. eine große Zahl Grundstücksenteigneter auf ihre ihnen zugesicherte Bezahlung.
Aus allen Teilen der Zone liegen weitere Berichte vor, daß die beschlagnahmten Wohnräume nicht voll ausgenutzt werden.
Wenn die freundliche Schutzmacht nicht will, daß Deutsche mit Besatzungsangehörigen zusammenwohnen dürfen, obwohl einige Beispiele zeigen, daß dieses Zusammenwohnen gut geht und dies den maßgebenden Stellen auch bekannt sein dürfte, so ist es nicht unbillig von uns, zu verlangen, daß sie dann unter sich näher zusammenrücken.
In der französischen Besatzungszone ist eine Diffamierung dadurch vermieden worden, daß die
deutschen Hauseigentümer und vielfach auch Mieter
in den beschlagnahmten Hausern und Wohnungen
verbleiben durften. Auch wenn sie primitiv untergebracht waren, so konnte doch verhütet werden,
daß sehr oft mutwillige Schäden entstanden sind.
Es ist mir unverständlich, daß britisch-amerikanische Besatzungsangehörige mit uns Deutschen
nicht unter einem Dache wohnen sollen, wo wir
doch die Demokratie gemeinsam verteidigen sollen.
Alle, die es mit einer aufrichtigen Solidarität ernst
meinen, wissen, daß diese leerstehenden Wohnungen immer einen Stein des Anstoßes bilden werden, und wir verlangen von der Regierung, daß
sie bei den Hohen Kommissaren fordert, daß diese
Mißstände, die wie eine Verhöhnung wirken, so
bald wie möglich beseitigt werden. Es muß auch
deshalb geschehen, weil für die Bewachung nicht
benutzter Wohnungen Bewachungskosten erstehen,
die zusammen mit den Mietausfällen bis zur Höhe
des Baukostenaufwandes dieser Wohnungen gehen.
Es liegt uns fern, übelwollende Kritik zu üben, und ich glaube, im Namen der überwiegenden Mehrheit dieses Hohen Hauses zu sprechen, wenn ich sage, daß uns bange Sorge um die Verwirklichung wahrer Demokratie in Deutschland erfüllt, und daß wir alle — nicht zuletzt die Besatzungsmächte — bestrebt sein sollten, auch diese Ursachen, die große Wirkungen haben, gemeinsam zu beseitigen. Demokratie ist keine Importware; sie muß mit den Generationen wachsen und reifen, und glücklich die Völker, denen die Geschichte dieses Wachstum ermöglicht hat. Das höchste demokratische Ziel verpflichtet aber auch, die Menschenrechte da anzuwenden, wo sie unbequem sind.
Der Anschauungsunterricht, den das deutsche Volk von den Besatzungsmächten sehr oft bekommt, ist nicht immer dazu angetan, es von der Vortrefflichkeit dieser Staatsform zu überzeugen. Diese Tatsache bedauern wir auf das tiefste. Aber es ist in der Pädagogik ein bekannter Grundsatz, daß das gute Beispiel viel bessere Wirkungen erzielt als gutgemeinte Worte und graue Theorie.
Ein gutes Beispiel wäre. wenn die Besatzungsmächte die Rechtsansprüche der Verdrängten anerkennen und eine Überprüfung in unserem Sinne
vornehmen würden, und zwar nach dem noch bestehenden Völkerrecht.
Die verdrängten Frauen aus Kempten haben sich in ihrer Not an die maßgebenden Frauen und Frauenverbände Amerikas gewandt, um zu erreichen, daß von dort aus die Maßnahmen der Besatzungsmächte in dieser Frage beeinflußt werden. Diese Frauen hoffen auf das Solidaritätsgefühl der Mütter in der Überzeugung, daß nur die Mütter wissen, was es heißt, mit ihrer Familie Haus und Hof verlassen zu müssen. Wir freuen uns über die Initiative dieser Frauen und wünschen, daß ihr Glaube an Recht und Gerechtigkeit nicht enttäuscht werden möge.
Ich möchte zur Lösung der Verdrängtenfrage einen Vorschlag an die Kemptener Resolution anhängen und die Frauenvertreterinnen innerhalb der alliierten Zivilverwaltung, die die Aufgabe haben, die deutschen Frauen in das demokratische Gedankengut einzuführen, bitten, ihre Aufgabe in erster Linie darin zu sehen, ihre Landsleute zu überzeugen, daß dieses Problem mit gutem Willen, den die demokratische Grundhaltung voraussetzt, gelöst werden kann. Gelingt ihnen dies nicht, so möchte ich vorschlagen, die nicht unbeträchtlichen Mittel, die zu dieser Umerziehung ausgegeben werden, für die Neubauten der Besatzungsmächte zu verwenden.
Machtpolitische Bestrebungen müssen überholt sein. Der Mensch muß in den Mittelpunkt aller Entscheidungen gestellt werden, und auch für die Alliierten ist es Verpflichtung, zu helfen, wo man weiß, daß man helfen kann. Die globale politische Entwicklung bedingt einen Kurswechsel in allen Fragen des politischen und sozialen Lebens, setzt aber voraus, daß die Besatzungsmächte und die Bundesregierung diese politische Notwendigkeit rechtzeitig sehen und alle Maßnahmen unter diesen Aspekten treffen.
Es ist geradezu ein Verhängnis mit der Demokratisierung Deutschlands. Die freien Völker haben mit ihrer Hilfe, die sie uns in der Not in so großem und reichem Maße zukommen ließen, auf dem Fundament der Menschlichkeit Brücken gebaut, und wir dürfen nicht zulassen, daß Unverstand und Blindheit diese Brücken wieder einreißen.
Wir können nur wünschen und hoffen, daß die großen tragenden Gedanken menschlichen Zusammenlebens bei den Männern bestimmend werden, die das Wohl und Wehe der Verdrängten und noch nicht Verdrängten in Händen halten.
Ich bitte das Hohe Haus, unseren Antrag nicht an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, sondern einstimmig anzunehmen, damit die Regierung ohne Verzögerung die darin aufgestellten Forderungen verwirklichen kann.
Es folgt zunächst der Bericht des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films über die Petition Nr. 8341.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Brunner. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe das Hohe Haus nicht zu ermüden, wenn ich die ersten Sätze meines Berichtes, den ich bereits in der vorigen Woche vorgetragen habe, wiederhole:
Die illustrierte Wochenschrift „Der Stern" hatte in der Ausgabe, die das Datum des 31. Dezember 1950 trägt, einen bebilderten Artikel unter der Überschrift „Hoppla, wir leben " gebracht. In diesem Artikel sind Aufwendungen verschiedener Dienststellen der Besatzungsmächte aufgezählt worden, die aus Besatzungskosten bestritten werden.
Durch eine Verfügung der Hohen Kommission sind daraufhin, wie der Kollege Strauß vorhin schon erwähnt hat, zwei Ausgaben der Zeitschrift verboten worden. Das Verbot ist inzwischen erst teil- weise aufgehoben und dann doch wieder aufrechterhalten worden. Der Verlag der Zeitschrift hat durch eine Petition zu erreichen versucht, daß der Bundestag sich mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Der Petitionsausschuß hat die Petition an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films überwiesen, in dessen Auftrag ich dem Hohen Hause das folgende darzulegen habe.
Das Verbot stützt sich auf das Gesetz Nr. 5 der alliierten Hohen Kommission, in dem Maßnahmen gegen eine Schädigung des Prestiges und der Sicherheit der Besatzungsmächte vorgesehen sind. In der Verbotsverfügung ist nicht behauptet worden, die Darstellung der Zeitschrift sei falsch gewesen. Die Zeitschrift ist auch zu keiner Berichtigung aufgefordert worden. Der Ausschuß bedauert das Vorgehen der Hohen Kommission in diesem Fall und befürchtet, daß Verbote dieser Art die guten Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik unnötig und ernstlich belasten.
Das Zentralorgan der französischen Sozialisten, „Le Populaire", hat zu dem Verbot bemerkt:
Entweder sind die von der Zeitschrift „Der Stern" berichteten Vorgänge falsch, dann müssen die Gerichte ihr Urteil sprechen, oder aber die Zeitung berichtet über Tatsachen; dann versteht man schlecht, wie das Prestige der Alliierten durch eine Verbotsmaßnahme gefördert werden kann.
Einen ähnlichen Kommentar hat der britische ,,Manchester Guardian" gegeben.
Der Ausschuß findet diese Auffassungen erfreulich richtig und bemerkt zur Sachlage: Das Ansehen der Besatzungsmacht kann niemals durch die Veröffentlichung wahrheitsgemäßer Tatsachen geschädigt werden. Soweit die bekanntgewordenen Tatsachen so beschaffen sind, daß sie das Ansehen der Besatzungsmacht gefährden, liegt die Schädigung des Prestiges schon vor der Veröffentlichung vor.
Die Verhinderung der Veröffentlichung von Tatsachen läuft dagegen auf eine weitere Prestigeschädigung hinaus, denn sie kann nur durch einen Verstoß gegen das Grundgesetz, nämlich einen verfassungswidrigen Eingriff in die Pressefreiheit, erfolgen. Das Grundgesetz ist aber durch die Besatzungsmächte ohne jeden Vorbehalt hinsichtlich der Pressefreiheit genehmigt worden. Seine freiheitliche Ausgestaltung ist der Bundesrepublik zur Pflicht gemacht worden. An diese Pflichten sollten auch die Besatzungsmächte sich halten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache über die Punkte 1 a bis d der Tagesordnung.
Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst zu dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 1726, eine Erklärung abgeben. In Punkt 1 dieses Antrages wird gewünscht, daß der heute von Deutschen benutzte Wohnraum der Bevölkerung erhalten bleiben möge. Ich darf dazu folgendes feststellen:
Die Bundesregierung ist bereits bei der Alliierten Hohen Kommission vorstellig geworden mit der dringenden Bitte, von der Requisition privaten Wohnraums wie auch gewerblicher Betriebe im Zusammenhang mit der Verstärkung der alliierten Streitkräfte künftig Abstand zu nehmen. Das ist zum letzten Male geschehen mit Note des Herrn Bundeskanzlers vom 2. Januar 1951. In der Zwischenzeit hat ein hoher britischer Offizier, General Jones, dem Herrn Bundestagsabgeordneten Blank zugesichert, daß in der britischen Zone in Zukunft keine Wohnraumrequisitionen für Angehörige der neuen alliierten Truppen mehr stattfinden sollen.
Ich bemerke rückschauend: Soweit sich in der ersten Zeit aus zwingenden Gründen eine Requisition von privatem Wohnraum nicht hat vermeiden lassen — insbesondere in Niedersachsen —, hat das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit den im interministeriellen Ausschuß der Bundesregierung vertretenen Bundesressorts die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt, um sofort Ersatzgebäude zu errichten, die für eine dauernde Unterbringung der Personen bzw. Familien geeignet sind. Die erforderlichen Baumaßnahmen werden nach den Richtlinien des interministeriellen Ausschusses der Bundesregierung durch die Länder zu Lasten des Einzelplans XXVII des Bundeshaushalts durchgeführt.
Wegen der Kasernenbauten — hier sind Namen genannt worden, z. B. der der Kaserne in Bayreuth — möchte ich folgendes sagen: Die Bundesregierung verhandelt schon seit langer Zeit wegen aller dieser Kasernen. Ich glaube, daß, wenn das Ergebnis der Verhandlungen bekannt sein wird, die Befürchtungen sich als übertrieben herausstellen werden.
Ich hoffe speziell z. B. wegen der genannten Kaserne, daß nach dem jetzigen Stand die Verhandlungen zu einem im Sinne der deutschen Bevölkerung positiven Ergebnis führen werden.
Was die Statistik anlangt, so darf ich bemerken, daß eine solche über die beschlagnahmten Wohnräume bereits ausgearbeitet ist. Sie ist ein Teil einer Denkschrift, die z. Z. in meinem Hause in Ausarbeitung ist, und ich hoffe, sie dem Hause mit allen Unterlagen in den nächsten Wochen zuleiten zu können.
Zu der Frage der Räumung von Kasernen, die für Wohnzwecke der Zivilbevölkerung nutzbar gemacht worden sind, darf ich noch folgendes feststellen. Soweit sich die Räumung einer solchen Kaserne, was hoffentlich nicht in dem befürchteten Ausmaß der Fall sein wird, nicht vermeiden läßt, werden ebenfalls für die dauernde Unterbringung der bisher in den Kasernen untergebrachten Personen geeignete Wohnungen in dem von mir soeben gezeichneten Rahmen nach den Richtlinien des interministeriellen Ausschusses und aus den Mitteln des Einzelplans XXVII errichtet werden. Das Bundesfinanzministerium und die im interministeriellen Ausschuß vertretenen Bundesressorts sind sich bewußt, daß in diesem Falle die Bauarbeiten für die Ersatzbauten möglichst beschleunigt durchgeführt werden müssen. Soweit eine vorübergehende Unterbringung in behelfsmäßigen Unterkünften überhaupt noch notwendig wird, wird auch diese nur in sogenannten Dauerunterkünften erfolgen.
Weiter ersuchen die Antragsteller die Bundesregierung, dahin zu wirken, daß die von Alliierten in Anspruch genommenen Häuser beschleunigt daraufhin überprüft werden, ob hier Wandel geschaffen werden kann. Ich glaube, das Hohe Haus hat schon meiner Beantwortung der Interpellation entnommen, daß die Bundesregierung in dieser Richtung mit der Hohen Kommission längst in Fühlung steht und darauf hindrängt, daß kein unnützer und unnötiger Wohnraum beansprucht wird.
Wegen der Aufhebung des in der US-Zone noch bestehenden Verbotes des Zusammenlebens von Amerikanern mit Deutschen hat das Bundesministerium der Finanzen im besonderen schon früher beim alliierten Unterausschuß für Besatzungskosten Vorstellungen erhoben. Dieser Ausschuß hat sich damals unter Hinweis darauf, daß es sich um eine politische Frage handelt, für nicht zuständig erklärt. Da es sich um eine politische Frage handelt, wird diese den politischen Faktoren, also den Hohen Kommissaren selbst, vorgelegt werden.
In Punkt 3 wird die Bundesregierung ersucht, verbindliche Zusicherungen darüber herbeizuführen, daß Verfolgte des Naziregimes, Vertriebene, Kriegssachgeschädigte usw. möglichst nicht verdrängt werden. Selbstverständlich bestehen gegen diese Anregung nicht die geringsten Bedenken. Ich darf nur darauf hinweisen, daß die Bundesregierung sich bemüht, überhaupt zu vermeiden, daß eine Verdrängung von deutschen Personen eintritt. Letzten Endes entscheiden hier natürlich gewisse Notwendigkeiten, die von den Besatzungsarmeen geltend gemacht werden.
Viertens wird die Bundesregierung ersucht, Maßnahmen zu beschließen und dem Bundestag sofort entsprechende Vorlagen zu unterbreiten, die sichern, daß die notwendigen Unterkünfte schnellstens errichtet werden. Darauf habe ich bereits geantwortet. Die Besatzungsmächte führen auch in allen Zonen umfangreiche Bauvorhaben zur Unterbringung der Angehörigen ihrer Truppen mit Mitteln des alliierten Besatzungshaushalts durch. In dem bisherigen Haushalt war dafür ein Betrag von 414 Millionen vorgesehen; in dem Nachtragshaushalt, den ich in meiner Beantwortung der Interpellation erwähnt habe, beläuft sich der Betrag, der hierfür vorgesehen ist, auf weitere 550 Millionen.
Was nun Punkt 5 des Antrages betrifft, so darf ich bemerken, daß für alle diejenigen, die im Zuge der Verstärkung der alliierten Streitkräfte ihre bisherigen Wohnungen in Kasernen, Lägern und sonstigen militärischen Anlagen sowie vereinzelt auch in Privatwohngebäuden haben räumen müssen, zu Lasten des Einzelplans XXVII Dauerunterkünfte erhalten. In manchen Fällen konnte
die neue Unterbringung sogar besser sein als die alte Unterkunft.
Bezüglich der sogenannten Altbesatzungsverdrängten ist es die Absicht des Bundesministeriums der Finanzen, daß hier planmäßig — ich betone: planmäßig — für angemessene Unterkünfte Sorge getragen wird. In dem erweiterten Einzelplan XXVII, der in diesen Tagen dem Haushaltsausschuß des Bundestages vorgelegt wird, sind für solche Aufwendungen für dieses Rechnungsjahr noch 35 Millionen D-Mark vorgesehen. Soweit möglich, wird versucht werden, an Stelle der Errichtung von Ersatzunterkünften für die Altbesatzungsverdrängten Wohngebäude für die Angehörigen der Besatzungsmacht Zug um Zug gegen Freigabe altrequirierter Wohnungen nebst Einrichtung und Ausstattung zu errichten. Das ist unsere Absicht, und die Verhandlungen darüber laufen.
Im übrigen möchte ich wegen der Frage der Entschädigung der Altbesatzungsverdrängten hier einmal darauf hinweisen, daß das Bundesministerium der Finanzen schon vor langen, langen Monaten einen Gesetzentwurf ausgearbeitet hat, der die Möglichkeit geben soll, einen Rechtsanspruch für die Besatzungsgeschädigten zu schaffen und diese Frage gleichmäßig zu handhaben. Die Besatzungsmächte haben die Zuständigkeit für sich in Anspruch genommen. Sie haben aber ihren Gesetzentwurf, den sie ausarbeiten, unter Benützung — wenn ich so sagen darf — des im Bundesministerium der Finanzen ausgearbeiteten deutschen Entwurfs gemacht. So wie ich unterrichtet bin, ist zu hoffen, daß der Gesetzentwurf der Besatzungsmächte, der diese Frage endgültig regelt, bereits in den nächsten Wochen erscheinen wird. Ich hoffe, daß damit in den Kreisen der Altbesatzungsgeschädigten endlich eine gewisse Beruhigung eintritt.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Finanzminister hat die Zahlen bestätigt, die in der Interpellation der Kollegen Strauß und Genossen genannt worden waren, ja er hat sagen müssen, daß einige Zahlen über verschwenderische Ausgaben im Besatzungssektor noch weit über die Angaben in den Publikationen hinausgehen, die der Interpellation zugrunde liegen. Dazu kommen jetzt neuerdings sehr tief in das Volksbewußtsein eingreifende Mißstände, wie sie sich in überspitzten kurzfristigen Räumungsverlangen auch in solchen Fällen äußern, in denen schon aus mindesten sozialen Rücksichten auf die Not des deutschen Volkes überhaupt kein Räumungsverlangen ausgesprochen werden dürfte; so im Falle der Luitpold-Kaserne, wo j a von dem Räumungsverlangen 1400 Personen, darunter 650 Kinder, betroffen werden, darüber hinaus 85 Betriebe mit 1038 Beschäftigten, die in der LuitpoldKaserne untergebracht worden sind, und zwar mit einem Aufwand von insgesamt 828 000 Mark. Würde die Räumung durchgeführt, dann würde das über die Schädigung von Betrieben, die mit sehr erheblichen Staatsmitteln ins Leben gerufen worden sind, alles in allem Schadensersatzforderungen von etwa 12 Millionen DM erwarten lassen.
Wenn man diese Zustände ins Auge faßt, dann muß man mit aller Deutlichkeit aussprechen, daß sich hier Verhältnisse anbahnen, die die Entwicklung der Haltung Deutschlands gegenüber den westlichen Demokratien, eine Entwicklung zur Freundschaft, wie wir hoffen, die von allen politisch verantwortlichen Elementen gefordert wird, auf das äußerste belasten werden. Diese Belastung kann sich zu außerordentlichen psychologischen Hindernissen auswachsen.
Wir wissen j a, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Besetzung des Gebietes der Bundesrepublik durch amerikanische und englische Truppen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens und die Gewährleistung der Lebenssicherheit nicht nur des deutschen Volkes, sondern aller europäischen Völker außerhalb des sowjetischen Machtbereiches geworden. Wir Deutschen wissen, daß ohne die Anwesenheit der westlichen Besatzungstruppen und ohne die damit zusammenhängende Sicherheitsgarantie der großen Demokratien das deutsche Volk bereits das Schicksal des koreanischen erlitten haben würde. Eine mittelbare sowjetische Aggression wäre mit Gewißheit bereits über den Westen Deutschlands hinweggegangen und hätte die Ausgangsbastion für ein einheitliches Deutschland des Rechtes und der Freiheit, als die wir die Bundesrepublik verstehen, bereits vernichtet.
Wir wissen darüber hinaus, daß der gegenwärtige Besatzungsschutz in Anbetracht der wachsenden Gefahr aus dem Osten unzulänglich ist. Wir fordern trotz aller Opfer, die damit verbunden sind — und nicht nur die Regierungsparteien sind dieser Auffassung, sondern auch die sozialdemokratische Opposition — die Verstärkung der Besatzungstruppen, weil das Lebensinteresse unseres Volkes die feste Eingliederung des deutschen Volkes in die Welt der freien Völker gebietet.
Wir wollen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit dieser freien Welt auch beitragen, weil sie allein den Fortbestand der Werte gewährleistet, die das Leben lebenswert machen.
Diesem fundamentalen Lebensinteresse des deutschen Volkes entspricht aber ein ebenso fundamentales Interesse der anderen europäischen Völker: daß die Bundesrepublik nicht in den Bereich des sowjetischen Gewaltsystems hineingelangt. Das Schicksal Gesamteuropas wäre besiegelt, wenn die Bundesrepublik einem östlichen Zugriff zum Opfer fallen würde. Ob dann überhaupt noch irgendwo für lange Zeit Freiheit und Recht eine Heimstätte finden würden, darf bezweifelt werden. Präsident Truman hat dies unlängst verneint.
Aus dieser Erkenntnis ihres eigenen Lebensinteresses müssen nun allerdings die westlichen Besatzungsmächte als Sachwalter der Welt der freien Völker im heutigen Deutschland endlich die längst fälligen Konsequenzen ziehen. Wenn die westlichen Mächte nicht nur das feste Bekenntnis, sondern darüber hinaus die Opferbereitschaft des deutschen Volkes wünschen, damit die freie Welt in Frieden bestehen kann, dann müssen sie auch bereit sein, diesem Volk, das seine Entscheidung längst unzweideutig getroffen hat, mit dem Willen zur fairen Partnerschaft zu begegnen. Darum handelt sich's, muß man Sir Ivone Kirkpatrick sagen. Es handelt sich nicht um den Willen des deutschen Volkes, sondern um den unzweideutig herausgestellten entsprechenden Willen der westlichen Mächte.
Das deutsche Volk wird als freies unter freien Völkern zu allen Opfern bereit sein; aber es wird durch wachsende Zweifel in den Nihilismus geführt, wenn eine fehlerhafte Deutschlandpolitik der westlichen Mächte weiterhin das Mißtrauen nährt, Recht und Freiheit seien schöne Worte, mit denen durchaus Hand in Hand geht, daß man nicht nur diskriminierende, sondern sehr schwer schädigende Maßregeln gegenüber Deutschland aufrechterhält. Das deutsche Volk wartet seit Jahren auf den längst gebotenen Entschluß der Westmächte, die Politik der in Deutschland verfolgten Kriegsziele von 1945 durch eine unzweideutige Politik der fairen Partnerschaft zur Sicherung des Friedens abzulösen. Zur Zeit befinden wir uns noch in einer verwirrenden Übergangszeit. Zuviel hängt noch von der Vergangenheit herüber, zuviele Maßnahmen atmen noch den Geist der Kriegsziele von 1945. Das gilt insonderheit von der Art, wie die Probleme der Besatzungskosten und ihrer Bewältigung behandelt werden.
Noch immer gilt hier das Kriegsrecht der einseitigen Festsetzung der Leistungen durch den Sieger. Noch immer gilt das Prinzip der Requisition für weite Bereiche der Leistungsbeschaffung. Noch immer läßt das Verhalten der Besatzungsmächte, insonderheit bei der Inanspruchnahme gewisser Leistungen, die mindeste Rücksicht auf die deutsche Bevölkerung und ihre Gefühle und auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik vermissen. Es sollte heute nicht mehr sein, daß gewisse Schilder der Besatzungsmächte der deutschen Bevölkerung ihre Zugehörigkeit zu einem Volk zweiter Klasse suggerieren wollen. Es sollte heute nicht mehr vorkommen, daß für Flugplätze Boden bester Qualität requiriert wird und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht werden, wenn in der Nachbarschaft geeignetes Gelände minderer Bodenqualität zur Verfügung steht, das die Anlage des Flugplatzes ohne Zerstörung von Dörfern ermöglicht. Es sollte heute nicht mehr vorkommen, daß binnen kürzester Frist die Räumung großer Gebäudekomplexe verlangt wird, wodurch nicht nur viele Menschen, sondern auch eine große Anzahl von Betrieben der äußersten Not ausgesetzt werden. Es sollte nicht mehr vorkommen, daß Deutschen das Zusammenleben mit Alliierten in einem Hause untersagt wird mit der Folge, daß die deutschen Hausbesitzer ihr Leben unter den unmöglichsten Umständen fristen müssen, während ein ganzes Haus für einen amerikanischen Sergeanten und seine Frau zur Verfügung steht. Es sollte heute nicht mehr sein, daß Rechtsansprüche Deutscher aus unerlaubten Handlungen von Besatzungsangehörigen endlos verschlepp t werden; es sollte heute nicht mehr sein, daß Entschädigungsansprüche Deutscher aus Nutzungsleistungen an die Besatzungsmächte mit erbitternder Gleichgültigkeit, ja Geringschätzigkeit behandelt werden.
Die Alliierten haben selbst das Bewußtsein, wieviel hier im argen liegt. So wird ihre Empfindsamkeit gegenüber wahrheitsgemäßen deutschen Publikationen verständlich. Während sie die deutsche Presse auffordern, Mißstände im deutschen Verwaltungsbereich hartnäckig und unerbittlich zu kritisieren — wogegen wir an sich nichts einzuwenden haben —, handeln sie selbst sehr undemokratisch, indem sie mit Zeitungsverboten gegen Blätter wie „Echo der Woche" und ., Stern" vorgehen, die sehr grobe Mißstände im Besatzungsbereich nur wahrheitsgemäß darstellen. Das ist die falsche Reaktion, zu der leider auch manche deutsehe Behörden noch neigen. Die richtige Reaktion der Besatzungsmächte, mit der allein sie einen Prestigeverlust vermeiden könnten, wäre, die kritisierten Mißstände und Rechtsverletzungen abzustellen; darauf wartet das deutsche Volk.
Dazu gehört aber generell die Bereitschaft, das Recht des Siegers kraft einseitiger Festsetzung durch ein völkerrechtliches, um nicht zu sagen bundesgenossenschaftliches Vertragsrecht zu ersetzen. Wir brauchen heute ein Vertragsrecht, das dem neuen Zweck der Besatzung gerecht wird. Dieser Zweck ist nicht mehr die Sicherstellung von Kriegszwecken des Siegers im besetzten Land, sondern der Schutz eines befreundeten Landes, das in eine bundesgenossenschaftliche Rolle hineinwachsen will und soll, wenn eine vernünftige Politik in Europa zur Bewahrung des Friedens, der Freiheit und des Rechtes überhaupt noch möglich sein soll.
Dahinter müßte dann die Mentalität stehen, alle Verhaltensweisen der Besatzungsmächte danach einzurichten, daß sie möglichst schonend für ein schwer geschlagenes Land werden, dessen Kraft aufs äußerste angespannt wird, wenn es mit Aufgaben fertig werden will, die einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Verteidigungsbeitrags darstellen. Es sind dies die sozialen Leistungen, die einen Aufwand von 5,7 Milliarden allein im Bundeshaushalt erfordern. Sie sind der erste und wichtigste Bestandteil des deutschen Verteidigungsbeitrags, wenn man begreift, daß die militärische Abwehr drohender Aggressionen die innere, moralische Abwehrbereitschaft der Bevölkerung voraussetzt.
Darüber hinaus findet sich der Westen nicht nur einer zukünftigen drohenden militärischen Aggression ausgesetzt, sondern einer jetzt schon bestehenden permanenten moralischen Aggression. Zu ihrer Abwehr gehört eine tragbare Gestaltung der Lebensverhältnisse für 4 Millionen Kriegsversehrte, für 8 Millionen Heimatvertriebene, für 11/2 Millionen Ostzonenflüchtlinge, für mindestens 3 Millionen Totalausgebombte. 15 Millionen unserer Menschen in den westlichen Zonen, fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung, sind Unterstützungsempfänger. In der Existenzsicherung für Menschen, die im wesentlichen ein Opfer auch der alliierten Politik geworden sind, liegt ein — so sollte man sich im Westen sagen — sehr wesentlicher deutscher Verteidigungsbeitrag. Trotz aller Schwierigkeiten der Verhältnisse in Deutschland haben wir diese Aufgabe bisher immerhin so gemeistert, daß das deutsche Volk in seiner großen Majorität geschlossener und entschiedener gegen den Kommunismus Stellung nimmt als manches andere europäische Volk, das sich in besseren Verhältnissen befindet.
Wenn darüber hinaus ein Verteidigungsbeitrag in Form der Lastentragung für die verstärkten Besatzungstruppen geleistet wird, dann muß erwartet werden, daß die Kosten auf das Mindestmaß eingeschränkt und auf das Zweckmäßigste für die eigentlichen Zwecke der Sicherheit eingesetzt werden. Was wir brauchen und womit auch den anderen freien Völkern allein gedient wird, ist die Verstärkung der Truppe, nicht aber die Verstärkung des Heeres von Bediensteten, von Büroangestellten, Hausmeistern, Dienstmädchen usw., das schon heute insgesamt 450 000 Menschen umfaßt und damit in einem grotesken Mißverhältnis zu den 170 000 Besatzungsangehörigen steht, von
denen auch nur wieder 60- bis 70 000 Truppenangehörige sind.
Wenn man sich allein diese Zahlen vergegenwärtigt und dazu die Zahlen über einen geradezu grotesk verschwenderischen Aufwand der Besatzungsangehörigen nimmt, dann wird ohne weiteres das verständlich, was sehr genau in der außerordentlich verdienstvollen Schrift des Instituts für Besatzungsfragen in Tübingen, für die Gustav von Schmoller verantwortlich gezeichnet hat, auseinandergerechnet worden ist. Darin ist im einzelnen dargelegt, daß der heutige Besatzungskostenaufwand durch Sparmaßnahmen, die keineswegs rigoros zu nennen wären, ohne weiteres auf die Hälfte, nämlich von 4 auf 2 Milliarden DM, gesenkt werden könnte.
Ich möchte nur zur Illustration noch auf zweierlei hinweisen. Wenn man die heutigen Besatzungskosten mit den Kosten der Besatzung in den Jahren nach 1919 vergleicht, dann kommt man zu der erstaunlichen Feststellung, daß die inneren Besatzungskosten, also der Aufwand für die Truppe, auf den Kopf des Soldaten gerechnet, heute siebenmal so hoch sind wie in den Jahren nach 1919 und daß die Ausgaben für die Verwaltung pro Angehörigen der Verwaltung fünfmal so hoch sind. Hier liegen große Einsparungsmöglichkeiten. Wir sind aber überzeugt, daß sie nur wahrgenommen werden, wenn die Alliierten — und dazu müßten sie sich nach den grundlegend veränderten Verhältnissen jetzt bereit erklären — endlich von dem einseitigen Siegerrecht ablassen und es, wie das in Österreich schon vor zwei Jahren möglich war, durch einen völkerrechtlichen Vertrag ersetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre verkehrt, den Alliierten vorzuwerfen, daß sie unser Land besetzt haben. Es mag seltsam klingen, daß ich das hier sage. Aber die Diskussion in Deutschland über das Besatzungsproblem bewegt sich manchmal in seltsamen Bahnen. Wir sollten doch nicht vergessen, daß sich zwischen 1933 und 1945 in der Welt einiges ereignet hat, für das wir nun einstehen müssen!
Wir sollten nicht vergessen, daß wir, wenn man Deutschland im Jahre 1945 nicht besetzt hätte, wenn die Alliierten an den deutschen Grenzen haltgemacht hätten, alle miteinander verhungert wären — jedenfalls diejenigen von uns, die sich innerhalb der deutschen Grenzen noch nicht gegenseitig totgeschlagen haben sollten. Das bedeutet nicht, daß wir alles für richtig finden dürften, was in Ausführung der Besetzung geschehen ist und wie die Besetzung durchgeführt worden ist. Das ist eine andere Geschichte. Aber wir sollten uns auch nicht so leichthin darüber wundern, daß die Alliierten ihre Besetzung noch nicht aufgehoben haben. Erstens: man darf die Einsicht von Siegern nicht überfordern; keiner verzichtet gern auf die sichtbaren Symbole seiner großen Zeit .. .
Und schließlich hat sich auch in den letzten Jahren und Monaten einiges ereignet, was die weitere Anwesenheit alliierter Truppen in Deutschland nicht so ganz unverständlich macht.
Das ist eine Frage, die ich hier nicht diskutieren möchte.
Weiter: Alle Besatzungen kosten Geld. Der erste, der das gesagt hat, der gallische Häuptling Brennus, hat es in zwei Worten gesagt: „Vae victis!" Der Besiegte muß bezahlen — in modernen Zeiten unter den Einschränkungen der Haager Landkriegsordnung. Das wissen sogar Sie, Herr Renner; das haben auch Sie einmal gelernt.
Es gibt eine Art Besetzung, die durchgeführt wird, ausschließlich um Kosten zu verursachen. Früher nannte man das „Einliegen"; die Franzosen nannten es einst „dragonade". Ich glaube nicht, daß die Alliierten die Absicht hatten, ihre Besetzung nach diesem Muster zu gestalten.
Es gibt eine weitere Art der Besetzung, die sogenannte Sicherungsbesetzung zwischen Einstellung der Feindseligkeiten und Friedensschluß. Das wollten die Alliierten offenbar mit der Besetzung Deutschlands machen. Darüber hinaus aber wollten sie diese Besetzung auch als Instrument einer interventionistischen Politik in Deutschland. Ob das rechtmäßig ist oder nicht, das brauchen wir hier nicht zu diskutieren. Jedenfalls hat das deutsche Volk sich die Intervention bisher gefallen lassen, und das schafft, wenn nicht Legitimität, so doch etwas wie eine praktische Legalität. Das Merkmal einer Sicherungsbesetzung ist nach Völkerrecht die Verhältnismäßigkeit der Anforderungen der Besatzungsmacht an die Bevölkerung. Das heißt: die Leistungen, die man von der Besatzung verlangt, müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen. So steht es in der Haager Landkriegsordnung. Das Merkmal einer interventionistischen Besetzung aber pflegt ein riesig aufgeblähter Besatzungsverwaltungsapparat und die reine Einseitigkeit des Verhältnisses zwischen besetzender Macht und besetztem Land zu sein. Letzten Endes kontrahiert die interventionistische Besatzungsmacht immer in eigener Sache und überdies weit über das hinaus, was eine Besatzungsmacht nach der Haager Landkriegsordnung an Auflagen auferlegen kann.
Nun kann man sich noch eine dritte Art von Besatzung vorstellen: nämlich Besatzung als Garnison im gemeinsamen Interesse des Landes, in dem die fremden Truppen stehen, und der Länder, die die Truppen stellen. Vielleicht sollte man die Besetzung Deutschlands künftig mehr nach diesem Modell betrachten als nach den anderen; ich werde noch darauf kommen.
Was die Militärregierung anbetrifft, so ist sie seinerzeit mit einem Riesenapparat bei uns aufgezogen. Dieser Apparat mag in seiner Ausdehnung am Anfang notwendig gewesen sein, da der Regierungsapparat und der Verwaltungsapparat in Deutschland zusammengebrochen waren und zum mindesten in den ersten Wochen die einzige zentrale Ordnung in Deutschland eben der Militärapparat. war.
Dann haben sich die Besatzungszwecke geändert und damit auch der Stil des Besatzungsregimes. Aus der Vollzugsverwaltung der ersten Zeit wurde die Aufsichtsverwaltung der Jahre 1947 und 1948 und dann schließlich die Kontrollverwaltung, wie wir sie heute noch haben, die dann durch das Besatzungsstatut reduziert wurde auf die ausschließliche Kontrolle der Spitze der Bundesrepublik durch die Spitze der Besatzungsregierung,
der Hohen Kommission. Leider ist diese Konzentration der Befugnisse auf Kontrolle von Spitze zu Spitze weitgehend auf dem Papier stehen geblieben. Ich kenne jedenfalls eine Zone, in der xnan offensichtlich noch der Meinung ist, daß man bis hinunter in die Kreisstädte den alten Apparat beibehalten müsse. Wir meinen, daß man sich im Jahre 1950, als man sich auf das Besatzungsstatut, auf die reine Kontrollverwaltung von Spitze zu Spitze beschränken wollte, einen massiven Abbau des gesamten Apparates hätte vornehmen können. Wir meinen auch, daß man das Versäumte heute noch nachholen kann und heute noch nachholen sollte.
Ich glaube, es würde sich lohnen, das zu tun. Eine kleine Zahl: Unter den Besatzungskosten, die wir leisten müssen, rechnet man schätzungsweise 1,4 Milliarden für das, was man die Besatzungsverwaltung nennt. Die Bundesregierung — Ministerien usw. — kostet personell 270 Millionen und sachlich 180 Millionen. Wenn man noch die Kosten für alle Landesregierungen zusammen dazu nimmt, so ist das immer noch ein Bruchteil dessen, was die Besatzungsverwaltung kostet, die Bundesregierung und Landesregierungen zu kontrollieren hat!
Allein in Württemberg-Hohenzollern — ich kenne die Zahlen aus der Zeit, als die Besatzungskosten noch von den Ländern getragen werden mußten — machten die Besatzungskosten so viel aus wie der ordentliche Haushalt des ganzen Landes.
Das sind Dinge, die nicht gehen, Dinge, die im vierten und fünften Jahr einer Besetzung unmöglich sind.
Wir wollen aber nicht kleinlich sein. Die Beamten und Soldaten, die bei uns ihren Dienst tun müssen, sollen anständig untergebracht werden.
Die Spitzen der Besatzungsbehörden sollen repräsentativ untergebracht werden. Sie sollen es so schön haben, wie man es in Karlshorst hat.
Da wollen wir nicht geizig sein. Alle sollen sie bei
uns zufrieden leben können. Ich glaube, daß das
auch unser Vorteil ist, wenngleich ich meine, daß
man in dieser oder jener Zone den Begriff Familie
ein bißchen weniger extensiv interpretieren sollte.
Aber so, wie es bislang geblieben ist, kann es nicht weitergehen. Man muß schon diese Kontrollverwaltung um ihrer Funktionsfähigkeit willen radikal abbauen,
denn von einer bestimmten Ausdehnung ab vermag sich eine Behörde durchaus und mit Erfolg ausschließlich mit sich selbst zu beschäftigen.
Insbesondere auf den mittleren und unteren Stufen soll das der Fall sein.
Man spricht so oft und so gern — und ich glaube es denen, die es sagen, daß sie es ehrlich meinen — von dem neuen Geist, mit dem man uns begegnen wolle. Aber, meine Damen und Herren, ein „neuer Geist" kann nicht tropfenweise gespendet werden! Ein neuer Geist zeigt sich nicht durch kleine und allmähliche Übergänge an, dadurch, daß man Stückchen an Stückchen setzt, sondern ein neuer Geist zeigt sich durch den radikalen Bruch mit den Methoden des alten Geistes! Nur dann ist wirklich neuer Geist am Werk.
Wir meinen, daß die Hohe Kommission sich heute, ohne daß die Interessen der Länder, die die Hohen Kommissare entsandt haben, beeinträchtigt werden, in eine Botschafterkonferenz verwandeln ließe. Wir meinen, daß die Herren Botschafter die Interessen ihrer Länder bei der Bundesregierung genau so gut wahrnehmen könnten, wie die Herren Hohen Kommissare glauben, das heute tun zu müssen. Heute ist doch dafür nicht viel mehr nötig als eine besonders enge diplomatische Verbindung zwischen der Bundesrepublik und ihren Nachbarn. Das reicht völlig aus, um die Verhältnisse zu schaffen, die geschaffen werden müssen, um morgen ein Stück weiter in der Integration dieses Kontinents gehen zu können. Was dann noch an Residuen übrig sein sollte, die man vom Sachlichen her anders behandeln muß, ließe sich in einer Reihe von Einzelverträgen ordnen.
Den Hauptkostenfaktor der Besatzungskosten stellt natürlich die Armee. Hier sind sehr aufschlußreiche Ziffern genannt worden, die zeigen, um wieviel teuerer offenbar heute ein Besatzungssoldat geworden ist als in den guten, alten Zeiten des Versailler Vertrages. Daran können wir vielleicht nichts ändern; vielleicht gehört das nun einmal zu dem, was man den Fortschritt heißt.
Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, daß man auch im Bereich solcher „Fortschritts"-Mittel mit mehr oder weniger Vernunft ausgeben kann, und ich meine, daß nichts verbietet, das Maximum an Vernunft beim Ausgeben der so sauer verdienten Groschen walten zu lassen, die für die Aufrechterhaltung der Besetzung hingegeben werden müssen.
In dem Posten „Dienstleistungen" stecken u. a. auch die sogenannten Dienstgruppen. In den drei Zonen sind das etwa 60 000 Mann. Das ist — jedenfalls beim heutigen Stand der Entwicklung — ein böses Kapitel. Am Anfang mögen diese Leute wirklich harmlose Arbeiter, Schlosser, Mechaniker, Nachtwach- und Schließdienstpersonal gewesen sein. Seit einiger Zeit aber läßt man diese Leute sehr merkwürdige Verträge unterzeichnen, in denen sie unbedingten Gehorsam zu versprechen haben, in denen sie sich einverstanden erklären müssen, überall, wohin man sie schickt, jeden Dienst zu tun, den man von ihnen verlangt.
So etwa stelle ich mir die Verträge vor, die früher, in längst vergangener dunkler Zeit, die Herren von Bern mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Mailand abgeschlossen haben mögen, wenn es sich darum handelte, wieder einmal „Ausfälle" zu ersetzen.
Ich glaube, wir sollten dazu nicht schweigen. Man sollte nicht auf Hintertreppen ein Ziel zu erreichen versuchen, das man nur frontal angehen sollte und indem man sagt, was man meint.
Man sollte in Deutschland nicht vergessen: Die Menschen, die diese Verträge unterzeichnen, unterzeichnen sie nicht, weil ihnen etwa besonders gefiele, was in den Vertragsformularen steht. Sie
unterzeichnen sie, weil sie sonst nichts zu essen haben!
Hier wird einfach die Notlage arbeitsloser Menschen ausgenutzt, um sie hintenherum zu „Hilfswilligen" zu machen.
Wir meinen, daß es Sache der Bundesregierung sein sollte, nach diesen Dingen zu sehen
und sehr viel zu tun, um die Arbeitslosen davor zu schützen, solche Verträge unterzeichnèn zu müssen.
Die Besatzungskosten machen nach dem Etat von 1950 pro Einwohner 95 DM, pro Erwerbstätigen 225 DM aus. Das heißt, jeder Erwerbstätige in Deutschland arbeitet eineinhalb Monate, um die Besatzungskosten mit aufbringen zu helfen .. .
Die „Neue Zeitung" hat heute in ihrem Leitartikel geschrieben, wir sollten uns doch über diese Beträge nicht so aufregen, dieses Geld bliebe doch im Lande. Nun, eine verbrauchte Leistung ist verbraucht, und was verbraucht ist, ist nicht mehr da. Was im Lande bleibt, ist nicht Geld im Sinne eines echten Gegenwertes, mit dem man die Lücken zu füllen vermag, sondern was im Lande bleibt, ist das Papier, auf das das Geld gedruckt ist; und das ist doch etwas anderes, als was verstanden wird, wenn man sagt, das Geld bleibe im Lande.
Nun ist in aller Leute Mund, daß ein neues Stadium im Anzug sei. Man spricht von der gemeinsamen Verteidigung Europas zusammen mit den Deutschen. Man tut nicht mehr so, als ob man seine Truppen in Deutschland halten müsse, um die Welt gegen den „deutschen Angreifer von morgen" schützen zu müssen, sondern man sagt heute offen, daß man in Deutschland Truppen halten müsse, um Europa und damit auch Deutschland gegen einen möglichen Angriff vom Osten her verteidigen zu können. Also: man muß fremde Truppen in Deutschland haben, weil Deutschland der östlichste Teil des europäischen Kontinents ist und dieser Kontinent vom Osten her bedroht werde.
Daraus resultiere nun, sagt man, eine besondere moralische und prioritäre Verpflichtung der Deutschen zu finanziellen Leistungen für die Aufrechterhaltung und die Unterhaltung der alliierten Truppen in Deutschland. Wenn es so ist — nun, dann muß man hinsichtlich des Grundverhältnisses der Besatzungsmächte zu Deutschland und hinsichtlich der Rechtsverhältnisse der Besatzung Konsequenzen ziehen. Dann haben wir nicht mehr eine Sicherungsbesatzung zum Schutz gegen deutsche Eventualitäten vor uns, sondern dann haben wir vor uns eine europäisch-atlantische Garnison in dem Teile Europas, der Deutschland heißt.
Was so zur Verteidigung aller, auch des besetzten Landes, gegen einen Dritten zu leisten ist, das muß von allen Interessenten bezahlt werden ohne Rücksicht darauf, wo die Kosten anfallen. Der Vorstellung „europäische Verteidigungen" entspricht die Notwendigkeit der Schaffung eines internationalen Verteidigungsfonds, in den jeder Interessent nach seinem Vermögen einzahlen muß.
Man sagt nun: ganz schön und gut, aber damit, daß wir Truppen nach Deutschland schicken, erhöhen wir immerhin das Verteidigungspotential Europas und auch Deutschlands; unsere dadurch erhöhten Ausgaben müßt ihr uns ersetzen! Sicher: damit, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika Truppen nach Deutschland schicken, wird die Verteidigungskraft des Westens in Europa erhöht, jedenfalls gegenüber einem Zustand, in dem das nicht der Fall wäre. Aber wird das Verteidigungspotential des Westens auch dann erhöht, wenn eine belgische Divison von Lüttich nach Aachen verlegt wird?
Wird wirklich die Verteidigungskraft Europas verstärkt, wenn französische Regimenter aus dem Elsaß nach Baden verlegt werden?
Da hat sich doch offenbar nur ein Beamter der Haushaltsabteilung des Kriegsministeriums eine schlaue Sache ausgedacht: ein Posten aus dem eigenen Wehretat wird auf den deutschen Besatzungskostenetat überwälzt.
Meine Damen und Herren, das geht nicht! Wenn man so weitermachen will, soll man nicht mehr von gemeinsamer Verteidigung Europas sprechen. Dann soll man sagen: wir lassen es beim Alten; ihr habt verloren: vae victis! Wenn man das nicht will, dann muß man sich dahin verständigen, daß die einzige Stelle, bei der Kosten für militärische Ausgaben, die in Deutschland entstehen, angefordert werden können, dieser internationale Verteidigungsfonds ist. Wenn man- das nicht will, zieht man nicht die volle Konsequenz aus dem, was man sagt. Dann beläßt man weiter die schlimme Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit, die so vieler böser Dinge Ursache ist.
Noch eins: Man sollte den Teil der Besatzungskosten nicht als Verteidigungsbeitrag bezeichnen, der nur erhoben wird, um das Verteidigungspotential Deutschlands zu vermindern. Alle Kosten für die Demontagen, für die Kontrolle von Industrien usw. sind doch keine Kosten zur Erhöhung des Verteidigungspotentials, sondern Kosten zur Verminderung des Verteidigungspotentials in Deutschland.
Vielleicht ist es notwendig, zu verfahren, wie man es heute tut — die Besatzungsmächte müssen es ja wissen! Aber dann soll man nicht sagen, daß man dieses Geld von uns verlange, um die Möglichkeiten, uns zu verteidigen, zu verstärken! Es wäre interessant, einmal festzustellen: Wieviel echte Verteidigungskraft Europas wird in Deutschland unter Verwendung von Geldmitteln zerstört, die man von uns unter der Rubrik „Beitrag für die Verteidigung Europas" fordert!
Dieser Verteidigungsfonds muß durch Beiträge gespeist werden, durch Beiträge, die man erheben soll, wie man in einer modernen Finanzpolitik etwa die Einkommensteuer erhebt, das heißt proportional zum Einkommen gestaffelt. Ich meine, daß wir Deutsche da Anspruch darauf hätten, in der niedersten Steuerklasse zu sein, denn schließlich ist doch das Nettoeinkommen des durchschnittlichen deutschen Erwerbstätigen rund 450 Dollar gegenüber rund 1790 Dollar bei dem durchschnittlichen amerikanischen Erwerbstätigen. Wir wissen doch alle, daß es einen Unterschied ausmacht, ,ob
ich 10 % von 100 hergeben muß und damit 90 behalte oder 10 % von 400 und damit noch 360 behalte.
Daran sollte man denken, und man sollte uns nicht mit so schematischen Forderungen kommen wie: ihr habt 10 % von eurem Nettoeinkommen für die Verteidigung aufzubringen, denn wir tun es auch!
Meine Damen und Herren! Das alles gilt für eine Zukunft, auf die wir zustreben müssen. Wir haben solche Verhältnisse noch nicht; es sollte aber ein Hauptstück der Politik der Bundesregierung sein, diese Verhältnisse zu erreichen. Was die heutigen Verhältnisse anbetrifft, so meine ich, daß man durch organisatorische Maßnahmen viel schaffen könnte, einmal durch den Abbau obsolet gewordener Einrichtungen; zweitens durch eine vernünftige Rationalisierung der Methoden bei der Verwendung dessen, was man gefordert hat; drittens durch Einsparungen und Verzicht auf gewisse Großzügigkeiten und viertens durch Einschaltung deutscher Stellen bei der Aufstellung der Voranschläge; fünftens durch die Regelung und Ausführung der Aufträge durch deutsche Behörden; sechstens durch die Beachtung des im Völkerrecht allgemein geltenden Grundsatzes, daß einem Lande gegenüber nur Forderungen erhoben werden dürfen, die im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen. Schließlich muß man endlich zu einer vertraglichen Regelung auch dieser Dinge kommen.
Ohne das ist heute nicht sehr viel Gutes mehr zu erwarten. Wenn sich der Stil des Besatzungsregimes nicht nach dieser Richtung hin ändern lassen sollte, dann sollte man es lieber beim alten 1 Vokabular belassen, statt ein neues Vokabular einzuführen, dem keine Realität entspricht. Man kann uns nicht gut als Besiegte behandeln und verlangen, daß wir wie Verbündete reagieren.
Schließlich sollte man — ich bitte um Entschuldigung, Herr Renner, ich muß wieder zitieren — sich gelegentlich der Geschichte von den Sibyllinisehen Büchern erinnern: die Geschichte pflegt für die Verzögerung notwendiger Entscheidungen im allgemeinen den zehnfachen Preis zu fordern!
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte erinnert an Debatten, die wir insbesondere am 2. Juni vorigen Jahres hatten, als der Bericht Drucksache Nr. 789 vom Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten vorgelegt wurde, erinnert daran, daß wir in der Drucksache Nr. 1308 vom Finanzministerium eine genaue Darstellung der Lage des Verhältnisses der Besatzungsmächte .zu uns und der Kosten für die Besatzung empfangen haben. Wesentliche Teile dieser Drucksachen sind heute in der Debatte wiederholt worden. Zu diesem Punkt möchte ich gar nichts hinzufügen. Für uns war heute neu, daß der Finanzminister glaubte Hoffnung hegen zu dürfen, daß in gewissen Verhandlungsmethoden ein Wandel gegenüber der Vergangenheit eintreten wird. Wir wollen hier der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß er recht hat. Vorgänge der letzten Vergangenheit stimmen uns skeptisch. Auch darauf haben die Redner der verschiedenen Fraktionen bereits hingewiesen. Ich möchte die vielfachen Klagen nur um einen Fall ergänzen. Man hat die ganze Stadt Verden in Aufruhr gebracht, weil man da plötzlich fünfzig Wohnungen kurzfristig beschlagnahmen will. Die Dinge scheinen behoben zu werden. Aber schon, daß man eine solche Aufregung mitten im Frieden in eine friedliche Stadt hineinträgt, ist ein Ungeschick.
Was mir heute am Herzen liegt, liegt etwa auf der Linie der Ausführungen des Herrn Kollegen Euler. Denn auch ich stehe auf dem Standpunkt, daß Deklamationen hier im Bundestag einen Wandel nicht herbeiführen werden. Sie können — wenn sie so wissenschaftlich fundiert vorgetragen werden wie die meines Herrn Vorredners — allerdings zur Klärung unserer eigenen Gedanken beitragen. Ich möchte die Situation von einem, ich darf sagen: psychologisch-politischen Standpunkt betrachten. Es ist kein Zweifel, daß seit dem Korea-Krieg der kalte Krieg zwischen den USA, den Westmächten — diese mehr im Hintergrund — und der Sowjetmacht in ein mindestens lauwarmes Stadium getreten ist. Zum Teil. ist er schon siedeheiß. Es ist kein Zweifel, daß das auf die gesamte Weltpolitik abfärbt und daß damit statt einer Sicherungsbesatzung bei uns die werbende Stimme unserer Westpartner- Besatzungsmächte uns um-girrt, indem man uns nicht nur mehr Demokratie und Entnazifizierung, sondern nunmehr auch Remilitarisierung beibringen möchte. Wieweit das für unsere eigenen Interessen notwendig ist, wieweit die Weltlage so beschaffen ist, daß wir uns auf irgend etwas rüsten müssen, könnten wir erst klar übersehen, wenn wir selbst Vertretungen im Auslande hätten. Deswegen sollte diese Werbetrommel um unsere Ohren in der Tat gleichzeitig mit einem ganz gewaltigen Bruch einsetzen, nämlich mit einer Änderung aller Methoden und Beziehungen der Besatzungsmächte, die man zu uns hegt und pflegt. Diesen Bruch vermissen wir.
Die vier Gegenstände der Tagesordnung beziehen sich auf Besatzungsluxus, auf Besatzungswohnraum für zivile Zwecke, auf Kasernements und auf die Presse; sie haben eine Reihe von Vorwürfen zum Gegenstand, die ihre Zusammenfassung lohnt. Dazu kommen neueste Bomben auf Helgoland, Fortdauer der Demontagen und einzelne Nadelstiche kleinerer Stellen eh und je. Diese Dinge haben nicht nur für uns hier im Bundestag ein außerordentlich ernstes Gesicht, sie sollten auch die Besatzungsmächte selbst zu einem gewaltigen Ernst aufrufen.
Denn seien wir uns einmal darüber klar: wir hier im Bundestag möchten doch wohl glauben, daß wir die Köpfe der Nation sind, wenigstens zu einem Teil.
Uns ist es klar, daß unser Sein, unser Schicksal von den Besatzungsmächten abhängt. Uns ist es klar, daß wir — zwar in Maßen — hier Kritik üben dürfen und müssen, daß es ein Glück ist, überhaupt Kritik üben zu dürfen. Aber eine Kritik, die dauernd gegen verwachste Ohren tönt, wird sehr langweilig, sie kommt einem vor wie kindliches Spiel. Wir möchten der Besatzungsmacht zu bedenken geben, daß der größte Teil des deutschen Volkes, unsere Wähler an der Kritik sehr wenig interessiert sind; die sind, soweit sie überhaupt eine Meinung haben, durch zwölf Jahre ge-
schult zu „meckern". Die Meinung, die sich jetzt verbreitet, ist die: Was uns die Besatzungsmächte auch als ihr angebliches Fernziel sagen mögen, das glauben wir einfach nicht; du, Politiker, bist ja dumm, wenn du das für bare Münze nimmst. Aus der ganzen Debatte, aus den Äußerungen aller meiner Vorredner, insbesondere aus den dankenswerten Darlegungen von Dr. Carlo Schmid klang j a heraus, daß wir bitten, ehrlich zu sein und die Ehrlichkeit so zu betätigen, daß sie auch dem letzten unserer Wähler eingeht. Mit der Politik der Nadelstiche, mit jedem einzelnen Stich schafft die Besatzungsmacht mindestens hundert Anhänger des Ostens. Die Propaganda der Kommunisten hat es sehr leicht; es wird ihr kindlich leicht gemacht, zu sagen, daß das, was wir „Köpfe" hier predigen, doch dummes Zeug sei, daß es in der Wirklichkeit gar nicht vorhanden sei.
Diese Auswirkung ihrer Politik sollten sich die Besatzungsmächte hinter die Ohren schreiben. Denn es ist keineswegs so, daß etwa, ebenso wie wir hier im Bundestag uns für den Westen entschieden haben, auch der Letzte unserer Wähler sich endgültig festgelegt hätte. Unsere Aufgabe ist es, ihn für den Westen und seine Freiheiten zu erziehen. Daß uns das unter der Fortdauer der jetzigen Besatzungsqualität unendlich schwer gemacht ist, ja, daß wir — sagen wir es doch ehrlich -- in unserem eigenen Herzen hier und da Zweifel bekommen, ob denn eigentlich die Großen in der Politik wirklich das erstreben, was sie vorgeben, und ob es nicht nur eingeredet wird, das muß die Besatzungsmacht zur Kenntnis nehmen. Wenn sie es nicht zur Kenntnis nehmen will, dann mag sie die Irrtümer, die sie seit 1945 begangen hat, fortsetzen.
Ich will nur ein einziges Beispiel nennen. Wir bauen den Luftschutz wieder auf. Wir haben das Kontrollratsgesetz — ich glaube, es ist Nr. 22 —, das jede Betätigung auf dem Gebiete des Luftschutzes unter Zuchthausstrafe stellt. Warum wird das Gesetz nicht aufgehoben? Was ist das für eine Politik, die einerseits ein Gesetz gegen etwas in Kraft läßt und andererseits geradezu befiehlt, das Gegenteil zu tun? Mit dem ganzen Gesetzgebungsapparat, der auf Irrtümern beruhte, muß jetzt mit einem einzigen Akt Schluß gemacht werden, wenn wir „Köpfe" die Umstellung glauben sollen. Was unsere Wähler glauben, ist eine Sache für sich.
Ich möchte also nur darauf hinweisen, daß die Fortsetzung dieser Politik in unseren Westzonen gegenüber unserem Volk, wobei diese unmittelbare Einwirkung auf Deutsche ohne Mitwirkung deutscher Regierungsstellen andauert, solange das Besatzungsrecht auf einem Statut und nicht auf einem Vertrag beruht, daß alles, was geschieht und berechtigter Kritik unterliegt, eine ungeheure Propagandawelle für den Osten bedeuten muß und daß man nicht nur in unserem Interesse, sondern im Interesse der Besatzungsmächte selbst diese Politik gründlichst ändern sollte. Dazu ist allerdings erforderlich, daß der Weg von den führenden Köpfen 'etwa Amerikas und Englands—bei Frankreich ist mir die Auffassung etwas dubios, aber in diesen beiden angelsächsischen Ländern scheint mir ein Umschwung vorhanden — bis zum letzten Resident-Officer in jeder kleinen Stadt nicht allzu weit und umständlich ist; hier und da werden zum Teil auch heute noch Methoden beobachtet, die oben auf höherer Ebene längst abgeschafft sind. Der Weg kann abgekürzt werden, indem man die unnötigen Kostgänger auf unsere Kosten nach Hause schickt. Das wäre eine Methode. Die andere aber ist tatsächlich nur die, daß man — wie seit dem Herbst 1950 — nicht nur von einer Änderung des Besatzungsstatutes redet, sondern endlich nach 6 Monaten zur Tat schreitet.
Wie gesagt, wir glauben fast nicht mehr daran, daß das Gerede auch ernst gemeint ist. Wir wollen auch nicht vor tauben Ohren sprechen, sondern wir wollen in eine ernste, die gemeinsamen Ziele ansprechende Unterhaltung mit unseren Schützern und ehemaligen Besetzern kommen.
— Beschützern! Wenn es nicht klar wird, daß sie aufhören, Besatzungsmacht zu sein, und durch einen Vertrag Schutzmacht werden, dann hat alles Gerede über ihre ferneren Ziele für unsere Wähler gar nichts zu bedeuten, und für uns ist es ein Beleg, daß die furchtbaren Irrtümer nach 1945 noch in keiner Weise beseitigt sind. Wir hoffen, daß das der Zweck und der Sinn der heutigen Debatte sein wird, zum Segen auch der Westalliierten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Strauß sagte in seinen Ausführungen, es handele sich bei der Frage der Besatzungskosten um ein heikles Thema und um ein heißes Eisen. Ich möchte sagen, es ist weder das eine noch das andere, sondern, was die heute aufgeführten Tatsachen anbetrifft, nichts anderes als ein Skandal.
Der in der Interpellation der Abgeordneten Strauß und Genossen unter Bezugnahme auf das „Echo der Woche" im einzelnen dargestellte Be. Satzungsluxus spricht für sich. Wir halten es für verfehlt, die Regierung nach der Richtigkeit der dort veröffentlichten Sachdarstellung zu fragen. Die Bundesregierung hat gegenüber der Besatzungsromantik unserer Befreier eine viel zu zurückhaltende Einstellung, um die sachliche Legitimation zur Beantwortung der in der Interpellation enthaltenen Fragen zu besitzen.
Es ist bedauerlich genug, meine Damen und Herren, daß eine Zeitungsmeldung den Anlaß zu einer Anfrage an die Bundesregierung über Fragen gibt, die im Interesse des zahlenden Partners der Demokratie, nämlich des deutschen Steuerzahlers, aus einer selbstverständlich gebotenen Eigeninitiative der Bundesregierung hätten geprüft und geregelt werden müssen. Die Bundesregierung zeigt aber wie in so vielen anderen Dingen auch in Fragen der Besatzungskosten seit langem eine Inaktivität, die für ihr Verhältnis zu den Besatzungsmächten symptomatisch ist. Und um dies besonders zu unterstreichen, fährt ja nun auch unser Kanzler des westdeutschen Bundesstaats einem amerikanischen General nach Frankfurt entgegen, anstatt ihn in seine Dienstwohnung kommen zu lassen.
Der Objektivität halber soll dabei nicht unerwähnt bleiben, daß unsere in manchen Dingen zweifelhaften Befreier in der Frage der Besatzungskosten, d. h. wesentlich in der Verschwendung deutscher Steuergroschen für private Bedürfnisse, eine Großzügigkeit und Unbedenklichkeit an den
Tag legen, die ihnen in anderen Dingen zur Ehre gereichen würde. Diese Haltung überrascht uns insofern nicht, als in Deutschland ganz offensichtlich zahlreiche Vertreter der Siegerstaaten unter Bevorzugung eines ihnen in der Heimat fremden Lebensstandards angenehme und unterhaltsame Besatzungsferien verbringen. Man kann sich immer wieder nur wundern, wenn man z. B. in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 19. Dezember des vergangenen Jahres die Mentalität der Besatzungsmächte dargestellt bekommt, wenn da gesagt wird, daß ein massgeblicher Beamter der amerikanischen Hohen Kommission folgendes wörtlich erklärt habe:
Denken Sie daran, daß es für unsere GTs und unsere Beamten kein Vergnügen ist, hier herüberzukommen. Es wäre verdammt unfair, wenn wir sie auch noch zwingen würden, ihre Familien zu Hause zu lassen und auf den Komfort zu verzichten, den sie in den Staaten haben. Und vergessen Sie nicht, daß wir immer noch die Aufgabe haben, den Deutschen beizubringen, was richtige Demokratie ist. Das können wir am besten, indem wir ihnen amerikanisches Familienleben zeigen.
Leider sind deutsche Familien zur Nachahmung der amerikanischen Häuslichkeit nicht in der Lage, solange der deutsche Steuerzahler den Vorzug hat, den märchenhaften, nicht aus den USA importierten Besatzungsluxus selbst finanzieren zu müssen und für einen Einzelteppich — wie das in der Interpellation gesagt wurde — 16 200 Mark und für eine Möbelgarnitur 64 000 Mark aufbringen zu dürfen, ganz zu schweigen von den intimen figürlichen und kosmetischen Hilfsmitteln für den weiblichen Anhang unserer Befreier,
die kürzlich die Zeitschrift „Der Stern" in so dankenswerter Weise aufgeführt hat, was dann das Verbot dieser Zeitung zur Folge hatte.
Die Frage, wie die Westmächte und mit ihnen der besatzungskoalitionsfreundliche Herr Bundeskanzler eine Erhöhung der Besatzungskosten zwecks deutscher Wiederbewaffnung gegebenenfalls begründen und rechtfertigen wollen, gehört in das Rätselbuch der Logik und der Völkerpsychologie, wenn man an das denkt, was der Herr Finanzminister soeben ausdrücklich als richtig anerkannt, ja sogar noch erhöht hat. Wir beruhigen uns, meine Damen und Herren, zunächst bei dem Gedanken, daß ein solcher Besatzungskomfort komfortable 170 000 Kämpfer derartig fit erhält, daß sie der deutschen Mithilfe bei der geforderten gemeinsamen Verteidigung gar nicht mehr bedürfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was geht heute nachmittag hier in diesem Saale vor sich?
-- Richtig, fauler Zauber!
Die Bevölkerung draußen kennt die Höhe der
Besatzungslasten; sie kennt den Skandal ihrer Verwendung; sie kennt den ungeheuren unverantwortlichen Luxus, den sich einzelne Mitglieder der
Besatzungsmächte auf unsere Kosten erlauben. Die
Empörung in der Bevölkerung über diesen Skandal wächst in dem Maße, wie sich dieses Volk
darüber klar und wie es sich bewußt wird, daß
im Zuge der Verstärkung der Kontingente der Besatzungsmächte ungeheuerliche Mehrbelastungen
unser Volk treffen werden und treffen müssen.
Wenn man heute Kritik übt, Herr Strauß, dann hätte man die Kritik bereits vor mehr als zwei Jahren ansetzen können.
—Richtig, dort hat man nicht nur kritisiert, sondern abgebaut.
Dort hat man abgebaut.
Man hätte vor mehr als zwei Jahren kritisieren können; denn sogar einer Ihrer Parteifreunde, Herr Arnold, hat mit Hilfe seines Finanzministers Weitz vor mehr als zwei Jahren zum ersten Male in etwa den Schleier gelüftet, der über diesem Skandal schwebt.
Das haben ihm die Besatzungsmächte verboten, und Sie haben zu diesem Skandal geschwiegen.
So liegen die Geschichten. Wir haben vor beinahe 11/2 Jahren eine Broschüre „5 Milliarden" über diesen Skandal in einer Millionenauflage herausgebracht. In dieser Broschüre waren Tatsachen angeführt, deren Wahrhaftigkeit nicht einmal die Besatzungsmächte anzuzweifeln wagten. Die Hersteller, die Verteiler dieser Broschüren wurden verfolgt, inhaftiert und verurteilt. Sie aber haben dazu geschwiegen!
Jetzt aber, da Sie Ihren Krieg vorbereiten wollen, müssen Sie auch psychologisch —
Herr Abgeordneter Renner, bitte, was haben Sie damit sagen wollen: „Ihren Krieg vorbereiten wollen"?
Ja, Ihren Krieg vorbereiten!
Ich rufe Sie zur Ordnung! Sie beleidigen den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung.
Schön! — Jetzt müssen Sie auch psychologisch das deutsche Volk auf diese Umstellung einstellen. Darum müssen Sie ihm einreden, daß das, was heute unter dem Titel Besatzungskosten aus uns herausgepreßt wird, eigentlich nichts anderes ist als ein Sicherheitsbeitrag, daß es dem entspricht, was Sie im Zuge Ihres europäischen Verteidigungswillen gern aufbringen. Sie betonten Ihre objektive Tragwilligkeit —
—Tragwilligkeit haben Sie gesagt!
— Sie haben von Ihrer subjektiven Tragwilligkeit gesprochen. Korrigieren Sie Ihr Stenogramm, wenn Sie es korrigieren wollen.
— Sie haben gesagt: „Wir sind bereit, den unmittelbaren Aufwand zu decken." Ihre Doktrin, Herr
Strauß, auf einen volkstümlichen Nenner gebracht,
kennzeichnet man am besten mit der Formel: Statt Büstenhaltern, statt Luxusbetten und statt hochherrschaftlicher Wohnungseinrichtungen Kanonen oder Atombomben und Giftgas!
Wenn die Milliarden, die Sie aus dem Volke herauspressen, so verwendet werden, dann sagen Sie „Ja" zu diesen 4,6 Milliarden und zu weiteren 4 bis 5 Milliarden.
Die Gelder müssen nur zweckdienlich angelegt werden; dann sind Sie bereit, das dem Volke zuzumuten.
Nun ein kleines Wort an die Adresse der Herren von der SPD. Ihre Sprecherin, die in Heidelberg wohnhaft ist und auf Grund dieser Tatsache direkte Erfahrungen über das Auftreten und das Benehmen eines Teiles unserer „Schutz-Besatzungsmächte" machen kann, scheint offenbar nicht an die Wandlung des Charakters dieser Besatzung von „Besatzungsmacht" zu „Schutzmacht" zu glauben. Ich kann das sehr gut verstehen. Aber wie kann man denn die Höhe der Besatzungskosten tadeln, wenn man gleichzeitig nach einer Verstärkung der Besatzungsmächte schreit, wenn nan die Forderung aufstellt nach einer Ansammlung einer gewaltigen westlichen Truppenmacht an der Elbe, wenn man, von dieser Ansammlung einer gewaltigen Truppenmacht an der Elbe ausgehend, bereit ist, den Krieg gegen die Sowjetunion zu führen unter der Voraussetzung, daß er in Polen beginnt und mit einer Niederlage der Sowjetunion endet? So liegen doch die Dinge.
Wir haben es Ihnen deshalb leicht gemacht, aus Ihren Deklamationen und Deklarationen zu Taten zu kommen. Wir verlangen, wie gesagt, von der Besatzungsmacht das Recht der freien Kritik an diesem Skandal. Wir haben unseren Antrag wiederholt und verlangt: Senkung der Besatzungskosten auf die Hälfte. Wir haben Ihnen in unserem Antrage nahegelegt, zu erklären, daß wir die hohen Besatzungslasten nicht zu tragen bereit sind. Wir haben an die Adresse der Sozialdemokraten gesagt: Wir wollen nicht nur, daß die bisher beschlagnahmten Wohnungen freigegeben werden, wir lehnen jede Beschlagnahme weiteren Wohnraums für Zwecke der Besatzungsmächte ab. Wir Kommunisten sind der Auffassung, daß Schluß gemacht werden muß mit der Besatzung!
Es ist Zeit, daß der Ami tatsächlich heimgeht, dorthin, wo er hingehört.
Wir sind deshalb der Meinung, daß wir heute nicht mehr die Frage zu stellen haben: Zahlung von mehr oder minder hohen Milliardenbeträgen, sondern daß wir die Forderung zu erheben haben: Einstellung der Zahlung von Besatzungskosten.
Ein letztes Wort! Wenn die Regierenden bei uns im Westen auf das ehrliche Angebot des Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik
eine Antwort gegeben hätten, ausgehend von den Interessen des gesamten deutschen Volkes, dann hätten wir innerhalb des ganzen deutschen Volkes eine einheitliche Front der Ablehnung erreicht, die Besatzungskosten weiter zu tragen.
Deshalb rufen wir Ihnen zu: Das gesamte deutsche Volk muß wach werden, es muß begreifen, wie ungerecht die Forderungen der Besatzungsmächte sind. Wagen Sie doch einmal, dem deutschen Volk die Frage vorzulegen, was es über Ihre Forderungen nach Verstärkung der Besatzungstruppen denkt!
Fragen Sie doch das deutsche Volk! Aber dann sind Sie ja nicht mehr da, Herr Strauß!
Ich komme zum Schluß. Das deutsche Volk will Frieden. Das deutsche Volk will den Abzug aller Besatzungsmächte. Das deutsche Volk lehnt es ab, sich in einen neuen Krieg gegen die Sowjetunion hineinführen zu lassen. Das deutsche Volk lehnt es ab, noch einmal Blutopfer für die Interessen der westlichen Imperialisten zu bringen. Das deutsche Volk lehnt Ihre Phrase ab, daß dieser Krieg der Erhaltung der europäischen Kultur dienen soll. Das deutsche Volk lehnt Ihren Krieg ab, weil es genau weiß, was hinter diesem Krieg steht: die Vernichtung des deutschen Volkes!
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zum zweiten Male wegen der Formulierung „Ihren Krieg" zur Ordnung!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hamacher.
Meine Damen und Herren! Als der Herr Abgeordnete Dr. Schmid an den Gallier Brennus erinnerte und damit gewissermaßen das Verhalten der Siegermächte von heute zwar nicht entschuldigen, aber doch erklären wollte, da hätte ich ihm am liebsten zugerufen: Warum gehen Sie in die Geschichte so weit zurück? Bleiben Sie doch in der Geschichte des 19. Jahrhunderts und erinnern Sie einmal an den Wiener Kongreß. Dort wurde auch ein jahrzehntelanges Kriegsspiel liquidiert. Dort wurde auch über einen Gewaltherrscher die Bilanz gezogen, der Frankreich von Krieg zu Krieg geführt hatte und Deutschland und ganz Europa in ein furchtbares Elend hineingetrieben hatte. Nach diesem Krieg, nachdem Napoleon beseitigt war, haben damals die Siegermächte in Verbindung mit Frankreich und unter Achtung Frankreichs als gleichberechtigter und gleichwertiger und gleichgeachteter Macht unter positiver, vornehmer und kluger Mitarbeit des Ministers Talley- rand einen Frieden zustande gebracht, der mit der Präambel beginnt: „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit!" Das war noch eine gemeinsame geistige und ethische Basis für Gesamteuropa. Frankreich, meine sehr verehrten Damen und Herren. könnte sich in der Gegenwart an diesem Verhalten der Siegermächte von Wien ein Beispiel nehmen.
Aber ich möchte in die neueste Geschichte des 19. Jahrhunderts gehen, wo wir wiederum ein sehr
gutes mahnendes Beispiel für Frankreich haben. Das ist der Sieg Deutschlands über Frankreich und die Frage: Wie hat Deutschland die Besatzung in Frankreich ausgeübt? Nach zwei Jahren zog die deutsche Besatzungsarmee unter dem Kommando des Generals von Manteuffel aus Frankreich ab, und der Präsident der französischen Republik , sprach der deutschen Besatzungsarmee in Frankreich den Dank der französischen Nation aus.
Gehen wir in die Gegenwart hinein und fragen wir uns: warum heute diese erregte Debatte mit soundso vielem Zahlenmaterial? Meine Damen und Herren, woher diese Klagen, die doch durchaus berechtigt sind? Ich erinnere daran, daß die Siegermächte — die Engländer, die Franzosen und Amerikaner — vom deutschen Volk geradezu ersehnt wurden. Ich erinnere aber auch daran, daß das Vertrauen, das das deutsche Volk hier am Rhein den Amerikanern entgegenbrachte, in wenigen Wochen restlos verspielt und verbraucht war, daß man sich nach den Engländern sehnte. Und nun ist die Mentalität des deutschen Volkes gegenüber den Engländern doch auch so, daß ich vor einiger Zeit einem Kreisdelegierten sagen durfte: „Herr Oberst, ich bitte Sie, sich so zu verhalten, daß Sie, wenn Sie einmal in Ihre Heimat zurückkehren, hier ein sehr gutes Andenken hinterlassen." Er hatte mich verstanden.
Die ganze Debatte von heute ist auf den Gedanken eingestellt, daß England und die anderen Siegermächte auf jeden Fall die Mentalität des deutschen Volkes nicht erkannt haben oder — um einen deutschen Ausdruck zu gebrauchen —, daß sie eine Willens- und eine Geisteshaltung an den Tag gelegt haben, die den Erwartungen des wehrlos gewordenen, geschlagenen deutschen Volkes direkt zuwidergingen. Ich will nicht näher darauf eingehen. Aber notwendig ist es, die Siegermächte an diese Geistes- und Willenshaltung zu erinnern und Herrn Kirkpatrick das zu sagen, was der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer ihm zum Teil auch schon gesagt hat, nach meiner Überzeugung allerdings etwas zu schwach: Wenn die Siegermächte das getan hätten, was man von einem großmütigen Sieger im allgemeinen erwarten kann, dann würde heute die Mentalität des deutschen Volkes ihnen gegenüber eine ganz andere sein, als sie es leider Gottes jetzt ist.
Wie gesagt, ich will im Augenblick nicht weiter darauf eingehen. Nur zur Erklärung alles dessen, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen ein Buch empfehlen. Dieses Buch ist nicht von einem Deutschen, sondern von einer geborenen Engländerin, einer jetzigen amerikanischen Staatsbürgerin geschrieben. Sie hat in dem Buche „Kostspielige Rache" den Siegermächten, den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie hat nachgewiesen, daß die ganze Haltung der Sieger nach ihrem Einzug in Deutschland und ihr gesamtes Verhalten während dieser letzten fünf Jahre doch nur aus einem Haß- und Rachegefühl zu erklären sind. Wenn Sie dieses Buch zur Hand nehmen, werden Sie sich freuen und der Hoffnung Ausdruck geben: Möchte doch die Geisteshaltung, die diese Frau den Siegermächten gegenüber aufgezeichnet hat, allenthalben bald Platz greifen! Damit aber diese Mentalität möglichst bald in unserem deutschen Volke verbreitet wird, möchte ich Ihnen einen Rat weitergeben, den ein Leser dieses Buches jüngst in Berlin gegeben hat: Dieses Buch „Kostspielige Rache", im Nölke-Verlag Hamburg erschienen, müßte von der deutschen Bundesregierung in einer Million von Exemplaren in das deutsche Volk hineingeworfen werden; dann würde die Mentalität bald eine andere sein. Wir würden uns dann besser verstehen, und es würde der europäische Geist Platz greifen, wie er auf dem Wiener Kongreß in so prachtvoller Weise zum Durchbruch gekommen ist.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu Punkt 1 der Tagesordnung.
Die Interpellation zu 1 a) ist durch die Aussprache erledigt. Der von der kommunistischen Fraktion gestellte Antrag ist nicht hinreichend unterstützt.
Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, Drucksache Nr. 1753, die Petition Nr. 8341 der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Die Überweisung ist erfolgt.
Für die beiden weiteren Anträge, Drucksachen Nr. 1721 und 1726, ist Überweisung an einen Ausschuß nicht beantragt worden. Ich frage die Herren Antragsteller zu Drucksache Nr. 1721: Wünschen Sie Überweisung an die in Abs. 2 Ihres Antrages genannten Ausschüsse?
— Sie bitten um unmittelbare Abstimmung.
— Das gleiche ist für die Drucksache Nr. 1726 beantragt worden.
Meine Damen und Herren, ich lasse also abstimmen zunächst über den Antrag der Fraktion der Bayernpartei Drucksache Nr. 1721. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist angenommen.
Zu dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 1726 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der KPD vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, der Hohen Kommission mitzuteilen, daß sie die Freigabe des für die Zwecke der Besatzungsmächte beschlagnahmten Wohnraums fordert und daß sie es ablehnt, neuen Wohnraum für die Unterbringung der verstärkten Kontingente der Besatzungsmächte freizumachen.
Ich verstehe den Antrag der kommunistischen Fraktion so, daß er an die Stelle des Antrages der SPD treten soll. Ich lasse über diesen Abänderungsantrag der Fraktion der KPD abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Antrag zu stimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen die Antragsteller abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 1726. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit ich sehe, ist der Antrag einstimmig angenommen. Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Nr. 1724 der Drucksachen).
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß heute von der zweiten Beratung lediglich die Berichterstattung des Ausschusses erfolgt und daß die Fortsetzung der zweiten Beratung sowie die dritte Lesung des Gesetzes in der Sitzung am Donnerstag nächster Woche stattfinden.
Ich bitte zunächst den Berichterstatter Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz, das Wort zu nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst eine Übersicht über die Entwicklung der Beratungen über die Gesetzesvorlage im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu geben. Am 14. Dezember 1949 brachte die Fraktion der SPD im Bundestag mit Drucksache Nr. 328 den Initiativentwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ein. Der Entwurf wurde in der 28. Sitzung des Bundestages am 19. Januar 1950 nach der ersten Beratung dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Die Bundesregierung legte den Entwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Drucksache Nr. 788 in der 56. Sitzung des Bundestages am 31. März 1950 vor, nachdem der Bundesrat innerhalb seiner verfassungsmäßigen Frist seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf formuliert hatte. Auch dieser Entwurf wurde nach der ersten Beratung im Plenum dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur weiteren Bearbeitung überwiesen.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht befaßte sich mit dem Thema zum ersten Mal in seiner 21. Sitzung am 15. März vorigen Jahres, in der Referent und Korreferent einen Überblick über die Gesetzesmaterie gaben. In seiner 22. Sitzung am 16. März 1950 waren die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundesrates anwesend, die die Auffassung des Bundesrates zum Regierungsentwurf darlegten. In der folgenden Sitzung am 21. März wurde eine Generaldebatte geführt, die in der nächsten Sitzung auf die einzelnen Hauptprobleme spezialisiert wurde. Zum Abschluß der Generaldebatte hörte der Ausschuß die Präsidenten der Verfassungsgerichtshöfe der Länder Bayern, Hessen und Württemberg-Baden als Sachverständige zu einer Reihe von Fragen an.
Danach trat der Ausschuß in die erste Lesung des Gesetzestextes &n. In der ersten Lesung wurden nur die Probleme erörtert, ohne daß Abstimmungen stattfanden. Es wurden lediglich Anregungen und Vorschläge gegeben, die in der zweiten Lesung berücksichtigt werden sollten. Die erste Lesung erstreckte sich auf eine Reihe von Sitzungen, die bis in die Mitte des Juli vorigen Jahres reichten. Nach Abschluß der ersten Lesung beschloß der Rechtsausschuß, einen Unterausschuß einzusetzen, der versuchen sollte, die in der Generaldebatte sowie in der ersten Lesung aufgetretenen unterschiedlichen Auffassungen zu einer Übereinstimmung zu bringen. Die Vertreter des Bundesjustizministeriums waren bei den Beratungen des Unterausschusses anwesend. Der Kompromißvorschlag des Unterausschusses wurde sodann dem Gesamtausschuß vorgelegt. Dieser verhandelte über den Entwurf in zwei weiteren Lesungen. Das Ergebnis liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 1724 vor.
Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht waren sich von Anfang an darüber im klaren, daß die Organisation des Bundesverfassungsgerichtes so installiert werden müßte, daß sie vom Willen aller Fraktionen, aller Parteien und damit von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes getragen würde, Der Rechtsausschuß und der Unterausschuß haben sich in sehr sorgfältigen Beratungen intensiv bemüht, dieses grundlegende Verfassungsgesetz in dieser Weise zustande zu bringen. Das, was Ihnen vorliegt, wird von dem Willen aller im Rechtsausschuß vertretenen Fraktionen getragen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß seit dem Erlaß des Grundgesetzes keine Gesetzesvorlage eine so große verfassungsrechtliche Bedeutung hat wie dieses Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Wenn wir uns fragen, was wir im Kern der Dinge dem Bolschewismus entgegenzusetzen haben, so ist es die Idee des Rechtsstaates. Das Bundesverfassungsgericht ist die Krönung des Rechtsstaates, und mit diesem Gesetz, das nicht nur institutionelle, nicht nur organisatorische Bedeutung hat, sondern einen großen materiellen, verfassungsrechtlichen Inhalt hat, wird eine alte Rechtsentwicklung in Deutschland zur Vollendung geführt.
Der Ausschuß hat über das grundsätzliche Wesen der Staatsgerichtsbarkeit eingehende Aussprachen gepflogen. Im Verlauf der Debatte ist immer wieder die Erscheinung jener beiden Begriffe hervorgetreten: der Unterschied zwischen einer Rechtsentscheidung und einer politischen Entscheidung. Es war damals der Minister Katz als Vertreter des Bundesrates, der in einer Sitzung des Ausschusses zum Ausdruck brachte, grob ausgedrückt handle es sich bei den Fällen, die vor dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung kommen sollten, um politische Entscheidungen in juristischem Gewand. Er hat diese Formulierung im Anschluß an die Feststellung geprägt, daß durch die Fälle der Art. 72 und 73 des Grundgesetzes Dinge juridizierbar gemacht worden sind, die sich ihrem Wesen nach der richterlichen Entscheidung, der Justitiabilität entziehen. Dennoch ist diesem Einwand oder dieser Formulierung des Herrn Landesministers Katz von den Mitgliedern des Ausschusses zum Teil scharf widersprochen worden. Es war der Kollege Jaeger, der ausführte, daß das Bundesverfassungsgericht nicht politische Entscheidungen zu fällen, sondern den juristischen Kern, der in einem Streitfall enthalten ist, herauszustellen habe. Herr Kollege Etzel bezeichnete das Bundesverfassungsgericht als das oberste Organ der Verfassungsgarantie.
Besonders klärend waren die Ausführungen, die der Kollege Arndt zu diesem Punkt der Debatte gemacht hat. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich bei Entscheidungen der Staatsgerichtsbarkeit nicht um Willensentscheidungen handle, also nicht um politische Entscheidungen, wie sie das Parlament oder andere zur politischen Willensbildung berufene Institutionen zu fällen haben. Herr Kollege Arndt hat dies Problem dahingehend formuliert, das Bundesverfassungsgericht habe den im Grundgesetz vorhandenen, wenn auch oft nicht klar erkennbaren Willen des Verfassungsgesetzgebers zu achten und sozusagen an das Licht zu heben. Kurz formuliert könnte man sagen: Bei Entscheidungen einer Staatsgerichtsbarkeit handelt es sich um echte richterliche Entscheidungen, bei denen nicht etwas
erfunden wird, was im Grundgesetz nicht enthalten ist, sondern bei denen das, was als Gehalt des Willens des Gesetzgebers tatsächlich vorentschieden schon vorhanden ist, gefunden wird. Es ist also nicht die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, mit ihren Entscheidungen politische Willensentscheidungen, die Arbeit des Gesetzgebers zu ersetzen oder irgendeinen Griff in die Sterne zu tun; es ist die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, das, was im Grundgesetz vom Willen des Gesetzgebers vorentschieden ist, zu finden und damit zu konkretisieren.
Mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage möchte ich aus der Generaldebatte die Ausführungen der Ausschußmitglieder wiedergeben, da sie für das ganze Wesen dieser Gerichtsbarkeit und die spätere Auslegung und die Tragweite ihrer Entscheidungen von Bedeutung sind. Es war der Kollege Arndt, der sich gegen die von Herrn Dr. Süsterhenn vertretene Lehre wandte, daß der Richter nicht nur dem Gesetz, sondern auch seinem Gewissen, ja in erster Linie seinem Gewissen unterworfen sei. Diese Lehre, die eine naturrechtliche Lehre ist, ist durch Ausführungen von Herrn Rotberg aufgenommen und durch Arbeiten des Professors Jerusalem weitergebildet worden. In den Debatten ist zum Ausdruck gebracht worden, daß eine solche Auffassung vom Wesen der Staatsgerichtsbarkeit Dynamit enthalte und damit präjudizierend für das Ende der richterlichen Unabhängigkeit sei; denn wenn eine solche Auffassung Schule mache, bekämen wir eine Gegenbewegung, die die richterliche Unabhängigkeit dann aus den Angeln heben müsse. Infolgedessen würden bei der Befolgung dieser Grundansicht die Beschlüsse des Parlaments aus den Angeln gehoben werden können. Der Richter wäre dann nicht gehalten, sich den im Parlament zum Ausdruck gebrachten Auffassungen zu fügen, und könnte sich im Gegensatz zu den demokratischen Entscheidungen des Parlaments an den Richtlinien einer ewigen Gerechtigkeit orientieren. Das Bundesverfassungsgericht aber werde nicht über ewige oder nichtewige Grundsätze zu entscheiden haben, sondern es habe eine klare Richtlinie für seine Rechtsprechung, nämlich das Grundgesetz, allenfalls noch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts.
Über die Frage, ob im Grundgesetz lediglich vorstaatlich gegebene Naturrechte kodifiziert sind oder ob es sich dabei um menschlich gesetztes Recht handelt, werde man katholischer- und lutherischerseits — so führte der Kollege Arndt aus — verschiedener Ansicht sein. Aber diese Frage könne bei einer richtigen Haltung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nicht auftreten. Das Bundesverfassungseericht habe die gesetzgeberischen und sonstigen Ereignisse nur am Grundgesetz zu messen. Es könne sich — und das war die übereinstimmende Auffassung des gesamten Ausschusses — beim Bundesverfassungsgericht nur uni ein echtes Gericht handeln. welches zur Entscheidung darüber berufen sei, ob die Maßnahme eines gesetzrebenden oder verwaltenden Organs mit dem Grundgesetz vereinbar sei oder nicht. Das sei das Generalthema der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts.
Das Bundesverfassungsgericht und die Staatsgerichtsbarkeit überhaupt — so fuhr damals Kollege Arndt bei der Generaldebatte fort — sei etwa gegenüber einem Zivil- oder auch einem Strafgericht strukturell ein aliud. und zwar deswegen, weil es nicht einen Einzelfall zu entscheiden habe. sondern weil alles, was es tue und entscheide, mindestens materiell, mindestens in der Konsequenz eine Wirkung für das Ganze habe. Der Zivilprozeß Müller gegen Schulze könne eine sehr wichtige Rechtsfrage enthalten. Aber es habe seinen Sinn, daß die Rechtskraft hier nur inter partes, nur zwischen den streitenden Teilen gelte, weil keine Enscheidung für das Staatsganze falle. So auch in jedem Strafprozeß. Dagegen sei es das Eigentümliche der Staatsgerichtsbarkeit, daß man ihre Verfahren nicht wie einen Zivil- und Strafprozeß beliebig oft wiederholen könne oder daß sie nur für einen Einzelfall eine Entscheidung brächten, sondern sie brächten immer eine Entscheidung für die . Gesamtheit, für den Staat als Ganzes. Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Staatsgerichtsbarkeit und allen anderen gerichtlichen Verfahren müsse deutlich erkannt werden.
Daraus würden sich — so fuhr damals Kollege Arndt fort — erhebliche Folgerungen für die Einzelverfahren ergeben, die nicht in der Form eines Parteienstreites nach dem Vorbild eines Zivilprozesses aufgebaut werden könnten. Es liege insoweit eine substantielle Unterscheidung gegenüber allen anderen Gerichtsbarkeiten vor. Das Bun desverfassungsgericht habe als echtes und unabhängiges Gericht zu handeln, wobei unter einem echten Gericht ein Organ zu verstehen sei, das nicht politische Entscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen zu treffen. d. h. etwas zu erkennen habe, was bereits entschieden sei.
Aus dieser Grundstruktur und aus dieser grundsätzlichen Stellung des Gerichtes wurden in dieser Generaldebatte die drei wichtigsten Grundprobleme entwickelt, die bei der gesamten Gesetzesvorlage zur Entscheidung standen: erstens die Frage des Plenarprinzips, d. h. wie überhaupt die Verfassung des Bundesgerichts aussehen solle, zweitens das Verhältnis zwischen den beamteten und den nichtbeamteten Richtern im Bundesverfassungsgericht und drittens die Art der Richterwahl in das Bundesverfassungsgericht.
Gegenstand meines Berichts sind diese organisatorischen Fragen sowie die damit eng zusammenhängenden Schlußbestimmungen des Gesetzes. Bevor ich aber auf diese einzelne Problematik eingehen kann, ist es notwendig, einen Rückblick auf die Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in Deutschland zu tun. Es war der hier in Bonn amtierende Professor Friesenhahn, der bereits im Jahre 1932 im Handbuch des deutschen Staatsrechts einen grundlegenden Artikel über das Wesen der Staatsgerichtsbarkeit geschrieben hat. Er hat in diesem Artikel eine Theorie der Staatsgerichtsbarkeit aufgestellt, die zu kennen nützlich ist, um zu erfahren, in welch konkreter Form das Bundesverfassungsgericht bei der Gesamtentwicklung dieses Problems einen erheblichen Fortschritt darstellt. Professor Friesenhahn unterscheidet drei Arten von Staatsgerichtsbarkeit: die Verfassungsgerichtsbarkeit in engerem Sinn, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die zur Schlichtung des Streites zwischen den Organen und den Willensträgern des Verfassungslebens möglich ist; die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die dem Gegenstand nach den Streit zwischen dem Bund — dem Gesamtstaat — und den Gliedern zu schlichten hat, d. h. die Beziehungen, die zwischen Bund und Gliedern bestehen, richterlich zu entscheiden hat, Beziehungen, die also stets auf der Grundlage der Bundesverfassung beruhen; und schließlich die sogenannte Bundesgerichtsbarkeit, wobei es sich um Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten eines Bundes handelt. Neben diesen Verfassungsstreitigkeiten im engeren Sinn ist das Verfassungsgericht oder das Staatsgericht in der Regel auch zuständig für die Ministeranklage, für
die Prüfung von Wahlen, für die abstrakte Normenkontrolle, für die Entscheidung von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Verfassung, für eine gutachterliche Tätigkeit und möglicherweise für die Verfassungsbeschwerde, eine Einrichtung, die früher in ihrer Tragweite wenig erkannt wurde und die bisher in der Wissenschaft und in der Praxis als der Verwaltungsgerichtsbarkeit benachbart bezeichnet worden ist.
Die positiv-rechtliche geschichtliche Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits im alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es mehrere Reichsgerichte, die solche ständische Streitigkeiten auszutragen hatten. Nach der deutschen Verfassungstheorie ist die Verfassung, um es kurz auszudrücken, ein Vertrag zwischen der Krone und der Volksvertretung. Diese Verfassungstheorie, die die Verfassungsurkunde als einen Vertrag betrachtet, trägt deutlich die Tradition ständischer Auffassung an der Stirn. In der Wiener Schlußakte ist für den Deutschen Bund in Art. 60 und 61 eine Verfassungs- und Staatsgerichtsbarkeit vorgesehen, die durch den Bundesbeschluß vom 30. Oktober 1834 konkretisiert worden ist. Damals wurde das Bundesschiedsgericht eingeführt. Art. 1 dieses Bundesbeschlusses des Deutschen Bundes vom 30. Oktober 1834 hat in Art. 76 Abs. 2 der Reichsverfassung von 1871 seinen Niederschlag gefunden, in dem der Bundesrat für solche staatsgerichtliche Entscheidungen zuständig gemacht wurde. Es handelt sich beim Bundesrat aber um ein politisches Organ, das in engen Grenzen Verfassungsstreitigkeiten zu entscheiden hatte.
Um die Fortschritte zu sehen, die die Entwicklung dieser Frage genommen hat, ist es wichtig, den alten Art. 76 zu zitieren. Dort war der Bundesrat für zuständig erklärt, auf Anrufen des einen Teils erstens Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, zu erledigen; zweitens Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.
Aus diesem Art. 76 der alten Reichsverfassung
von 1871 ist Art. 19 der Reichsverfassung von Wei-
mar entstanden. Art. 19 lautete wie folgt:
Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.
Wir sehen hier eine Fortentwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in zweierlei Hinsicht: Einmal tritt an die Stelle des politischen Gremiums des Bundesrats ein echtes Gericht, der Staatsgerichtshof. Zum andern wird die Kompetenz dieses Staatsgerichtshofs nicht unerheblich erweitert, indem auch Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern in die Kompetenz des Staatsgerichtshofs mit einbezogen werden. Nicht aber gehörte zur Kompetenz des Staatsgerichtshofs die Enscheidung überReichsverfassungsstreitigkeiten. Die grundlegende Entscheidung hierüber finden Sie im 118. Band der Reichsgerichtsentscheidungen im Anhang 4. Dort wird entschieden, daß auch eine Reichsverfassungsstreitigkeit unter die Kompetenz des Staatsgerichtshofs fällt, wenn sie innerhalb eines Landes entstanden ist und die Normen der Reichsverfassung in diesem Streit eine die Landesverfassung ergänzende Anwendung finden. Der Schritt, der hier zur Erweiterung der Kompetenz der Staatsgerichtsbarkeit gemacht worden ist, bedeutete also einen nicht unerheblichen Einbruch in die Möglichkeit, Streitigkeiten mit politischer Tragweite justiziabel zu machen. Diese Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit fand im Jahre 1933 durch den Absolutismus des Führerstaates ein Ende.
Um nun zu sehen, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundlage hier einen ganz erheblichen Schritt weitergegangen ist, ist es erforderlich und nützlich, die Vorgeschichte der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat zu streifen. Hierbei war vor allem die Denkschrift „Die oberste Bundesgerichtsbarkeit" grundlegend, die der jetzige Staatssekretär. damaliges Mitglied des Parlamentarischen Rates, Dr. Strauß verfaßt hat und die später veröffentlicht worden ist. Unter den Leitsätzen, die Dr. Strauß hier ausgearbeitet hat, finden sich folgende Forderungen:
Auszunehmen von der Gerichtsbarkeit des Obersten Bundesgerichts sind die politischen Verfassungssachen. Diese sind angesichts der besonderen deutschen Verhältnisse an einen besonderen Verfassungsgerichtshof zu überweisen. Diese Ausnahme ist jedoch auf Streitigkeiten mit politischem Wertakzent zu beschränken; vorwiegend rechtliche Streitigkeiten, insbesondere die inzidentielle Prüfung. ob die Gesetze der Verfassung entsprechen. sind der Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts zu überlassen.
Sie sehen in dieser Denkschrift des Herrn Dr. Strauß eine Konzeption, die das Oberste Bundesgericht bei allen wirklich justiziablen Fällen zur Spitze der gesamten Gerichtsbarkeit zu machen bestrebt war.
Der Parlamentarische Rat ist dieser Auffassung von Herrn Dr. Strauß nicht gefolgt, sondern hat bereits in den Beratungen der ersten Lesung eine grundsätzliche Änderung dieser Konzeption beschlossen. In der Berichterstattung über das Bundesverfassungsgericht soll festgehalten werden, welchen Ausgangspunkt seinerzeit die Idee des Bundesverfassungsgerichts hatte. Es ist wert, auch in diesem Bericht — der ja vielleicht mit zur Auslegung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht herangezogen wird — einige grundsätzliche Ausführungen von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zu zitieren. In der ersten Lesung am 8. Dezember 1948 wurde von ihm ausgeführt:
Wir haben im Ausschuß
— dem Fachausschuß, der die Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vorbereitet hat —
bewußt das Oberste Bundesgericht an die Spitze gestellt, weil nach unseren Vorstellungen in einer Weise, die erst nach sachlichen Auseinandersetzungen durch einfaches Bundesgesetz geregelt werden kann, das Oberste Bundesgericht als der Repräsentant der gesamten rechtsprechenden Gewalt und der Rechtspflege erscheinen soll, während das Bundesverfassungsgericht, das ihm zweifellos in seiner Bedeutung am nächsten kommt, doch mit einer Reihe ganz spezieller Aufgaben als eine Art Sonderstaatsgericht auftreten wird. Wir haben das Oberste Bundesgericht auch deswegen an die erste
Stelle gesetzt, weil im Bundesverfassungsgericht voraussichtlich — was auch der einfache Bundesgesetzgeber regeln wird — Mitglieder des Obersten Bundesgerichts vertreten sein werden. Wir wollen hier einen etwas neuen Weg gehen. Wir wollen das Oberste Bundesgericht gegenüber allen anderen Gerichten herausheben. Um dieses mehr optischen Eindrucks willen — wir wollen weniger eine hierarchische Abgrenzung zwischen Oberstem Bundesgericht und Bundesverfassungsgericht schaffen — möchten wir bitten, es bei der bisherigen Reihenfolge zu lassen.
Bei dem Entwurf, der den Beratungen des Hauptausschusses zugrunde lag, stand das Oberste Bundesgericht in der Aufzählung vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hatte gewissermaßen einen Ausnahmecharakter und war zur Entscheidung nur solcher Fälle bestimmt, die einen ausgesprochen politischen Akzent hatten.
Zu demselben Thema hat sich Herr Dr. Strauß noch einmal geäußert. Es ging dabei um die Einfügung der wichtigen Bestimmung, dem Bundesverfassungsgericht auch die Kompetenz zu geben, über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder eines anderen Beteiligten zu entscheiden. Das war die Bestimmung, mit der die Entwicklung, die im Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich angesetzt hatte, um einen entscheidenden Schritt weitergetragen wurde. Wenn ich die Denkschrift des Herrn Dr. Strauß richtig verstehe, wollte er seinerzeit — und das war das Kernproblem, das im Parlamentarischen Rat dabei zu entscheiden war — Zurückhaltung üben, um nicht Dinge judizierbar I zu machen, die ihrem Wesen und ihrem Kern nach einen stark politischen Akzent haben.
Herr Dr. Strauß führte aus:
Wir haben uns über diese Frage im Ausschuß eingehend unterhalten. Wir sind von der Regelung der Weimarer Verfassung ausgegangen, deren Ausführungsgesetz bei Streitigkeiten zwischen Organen des Deutschen Reiches den Staatsgerichtshof nicht für zuständig erklärt hatte. Man weiß nicht, ob das seinerzeit mit Absicht geschehen ist, oder ob man hier eine Lücke übersehen hat. Jedenfalls hat die Erörterung dieser Frage zu einer Entschließung des Kölner Juristentages von 1926 geführt, der die Ausfüllung dieser Lücke empfohlen hat. Dieser Resolution ist mit beachtlichen Gründen entgegengetreten worden, insbesondere auch von dem späteren Reichsjustizminister Dr. Joël. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es sich in der Mehrzahl dieser Fälle um echte politische Entscheidungen handelt, die nur durch die dazu berufenen Organe politisch entschieden werden können und daß einem Verfassungsgerichtshof bei solchen Streitigkeiten eine Aufgabe zugewiesen wird, die er in einem Rechtsverfahren in vielen Fällen — in anderen mag es anders liegen — nur schwer bewältigen kann. Aus diesem Grunde hatten wir die Einschränkung vorgesehen. Wir hatten erwogen, die Ziffer 1 zu streichen, und haben uns dann auf die Einschränkung geeinigt, daß er nicht über die Streitigkeiten schlechthin entscheidet — das ist Aufgabe des Bundestages, der Bundesregierung und des Bundesrats im Wege eines Mißtrauensvotums oder im Wege der Ablehnung einer Vorlage der Bundesregierung —. sondern nur über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten, wenn also die Streitigkeiten involvieren, daß ein Artikel des Grundgesetzes so oder so ausgelegt wird.
Wir fürchten, daß sonst dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von Fällen übertragen wird, die jenseits der Grenzen des Justiziablen liegen.
Der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates ist, wie gesagt, dieser zurückhaltenden Auffassung über die Möglichkeit einer Staatsgerichtsbarkeit nicht gefolgt. So ist es dann zu der Ihnen bekannten Formulierung der Zuständigkeit in Art. 93 des Grundgesetzes gekommen.
Es war notwendig, diese Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in kurzen Zügen darzustellen, denn das Ausmaß der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts ist ja für sein Wesen und für die Art seiner Organisation entscheidend. Dabei trat noch eine weitere Frage auf. Der Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes enthält in Art. 93 den Begriff der Verfassungsbeschwerde nicht. Die Verfassungsbeschwerde, auf deren Bedeutung im einzelnen ich hier nicht eingehen kann — das wird einer der Herren Berichterstatter nach mir tun —, blickt auch in deutschen Landen auf eine gewisse Geschichte zurück. So hatte u. a. die bayerische Verfassungsurkunde in Art. 94 — so glaube ich — auch in der Weimarer Zeit die Verfassungsbeschwerde bereits eingeführt. Allerdings war sie dort außerordentlich begrenzt, weil in Fällen, i n denen jemand in seinen Rechten verletzt worden war und ihm die Möglichkeit gegeben war, vor einem bürgerlichen oder Verwaltungsgericht sein Recht zu suchen, der Verfassungsbeschwerde nicht stattgegeben werden konnte. Diese alte bayerische Verfassungsbeschwerde bedeutete also lediglich die Ausfüllung einer Lücke, die dadurch entstand, daß das System der Gerichtsbarkeit nicht in allen Fällen eine Rechtsschutzmöglichkeit gewährte. Bei den Beratungen über diese Frage ist der Rechtsausschuß auf Grund der übereinstimmenden Voten der beiden Sachverständigen, der Präsidenten Lehr und Wintrich, zur Einführung der Verfassungsbeschwerde so, wie sie im Regierungsentwurf enthalten war, gekommen. Ich verweise auf die grundlegenden Ausführungen des Regierungsvertreters, die er in der 30. Sitzung am 20. April zu Begriff und Wesen der Verfassungsbeschwerde gemacht hat.
Nachdem also der weite, Ihnen vorliegende Zuständigkeitskatalog gemäß § 13, der Art. 93 GG durchführt und konkretisiert, gegeben war und zusätzlich noch — das war nach dem Grundgesetz durchaus möglich — auch die Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gemacht worden war, ergab sich, daß dieses Gericht eine außerordentliche Arbeitsfülle zu bewältigen hat. Damit darf ich in die Erörterung der Strukturprobleme des ersten Teiles eintreten.
§ 1 der Gesetzesvorlage hat gemäß den Berntungen im Rechtsausschuß, wie ich darzulegen
die Ehre hatte, folgende Formulierung erhalten: Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.
Damit ist zum Ausdruck gebracht: Selbständigkeit und Unabhängigkeit und: es handelt sich um einen Gerichtshof, ein echtes Gericht. Zur Bewältigung der durch die weite Zuständigkeit entstehenden Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichtes,
das damit entgegen der Auffassung von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zur obersten Spitze der Rechtsprechung überhaupt gemacht worden ist, kam es organisatorisch darauf an, ein Gericht zu bilden, das in der zahlenmäßigen Besetzung nicht zu groß ist und doch eine Einheit darstellt. Der Ausschuß, die Sachverständigen und alle Beteiligten waren sich über den Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Rechtsprechung einig.
Der Entwurf der Sozialdemokratischen Partei hatte das reine Plenarprinzip vorgesehen, einen einheitlichen Gerichtskörper von zehn Richtern, der immer in seiner Gesamtheit ein erkennendes Gericht war, und für den Fall, daß ein Richter ausfiel, gab dieser Entwurf die Möglichkeit der Vertretung einzelner Richter.
Im Gegensatz zu diesem kleinen Gerichtshof war von der Regierung ein mit 24 Richtern besetztes Gericht und ein sogenanntes roulierendes System vorgeschlagen worden. Ich möchte hierbei betonen, daß sowohl im Entwurf der Regierung als auch im Entwurf der Sozialdemokratie der Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Einheit der Rechtsprechung absolut festgehalten worden ist. Der Gegensatz zum sogenannten Plenarprinzip war nicht das von der Regierung vorgeschlagene roulierende System, sondern das sogenannte Senatsprinzip, bei dem man den Gerichtshof in Senate aufteilte.
Der Bundesrat hatte gegenüber dem roulierenden System, bei dem immer mit einer „Sitzgruppe" von neun Richtern als erkennendem Gericht gearbeitet wurde, ein Plenarprinzip bei einer Gesamtzahl von zwölf Richtern vorgeschlagen, die mit einem Quorum von neun Richtern beschlußfähig waren. Der Bundesrat hatte außerdem, damit diese Arbeitslast bewältigt werden könne, vorgeschlagen, daß für Sachen von sekundärer Bedeutung eine geringere Besetzung Platz greifen konnte.
Die Frage des Plenarprinzips, der Durchführung des Plenarprinzips und der Bewältigung der großen Arbeitslast des Gerichtes war das Grundproblem, das die Beratungen des Ausschusses und auch des Unterausschusses in hohem Maße beherrscht hat. Schließlich ergab sich eine Lösung, wie sie in den §§ 2, 14, 15 und 16 der Vorlage niedergelegt ist.
Nach § 2 besteht das Bundesverfassungsgericht aus zwei Senaten. In jeden Senat werden zwölf Richter gewählt. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorlage ist jeder Senat beschlußfähig, wenn mindestens neun Richter anwesend sind. Im Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, über die Verwirkung von Grundrechten, Nr. 2, über die Verfassungswidrigkeit von Parteien, Nr. 4, über die Anklage des Bundestags oder des Bundesrats gegen den Bundespräsidenten, und Nr. 9, über die Richteranklage gegen Bundesrichter und Landesrichter, bedarf es zu einer dem Antragsgegner nachteiligen Entscheidung in jedem Falle einer Mehrheit von acht Stimmen. Im übrigen entscheidet die einfache Mehrheit, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt.
Gemäß § 16 wird die Einheit des Gerichts — das ist das Grundprinzip, an dem festgehalten wurde — dadurch hergestellt, daß, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will, darüber das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entscheidet. Dieses Plenum ist beschlußfähig, wenn von jedem Senat neun Richter anwesend sind. Das Plenum entscheidet auch, welcher Senat für ein anhängig werdendes Verfahren zuständig ist, wenn nach den gestellten Anträgen sowohl der Erste wie der Zweite Senat zuständig sind oder wenn die Zuständigkeit sonst zweifelhaft ist.
Die Lösung, die gefunden worden ist, war also die Schaffung eines Bundesverfassungsgerichts, das immer in zwei Senaten tagt und dessen Richter sich gegenseitig vertreten können. Bei der Zuständigkeitsverteilung der beiden Senate gemäß § 13 und gemäß § 14 hat man eine Auswahl getroffen, die schwer in eine Begrifflichkeit hineinzubringen ist und die deshalb gesetzestechnisch mit den einzelnen Nummern des § 13 angeführt worden ist. Man kann vielleicht sagen, daß der Zweite Senat für alle Organstreitigkeiten zuständig ist, während der Erste Senat Fragen der Grundordnung und der Normenkontrolle zu regeln hat. Aber diese Begrifflichkeit trifft den Kern der Sache nicht ganz. Es wird eine Aufgabe der Wissenschaft sein, hier eine weitere Klärung herbeizuführen. Insbesondere wird die Rechtsprechung des Gerichtshofes selbst diese Klärung herbeizuführen haben.
Von demselben Problem der Bewältigung der Arbeitslast ist die Frage der Zusammensetzung des Gerichts, der zahlenmäßigen Besetzung abhängig. Von der Sozialdemokratie war, wie erwähnt, eine kleine Zahl vorgeschlagen worden, nämlich bloß zehn Richter, während der Regierungsentwurf auf 24 Richter und der Bundesrat auf zwölf Richter kamen. Dabei legte die Sozialdemokratie Wert darauf, daß alle Richter gleichen Ranges und gleichen Rechtes sein sollten; denn das Grundgesetz sieht vor, daß das Gericht mit Berufsrichtern und mit anderen Mitgliedern besetzt werden sollte.
Damit kommen wir zur Frage der Qualifikation der Richter, welche Anforderungen an die Richterpersönlichkeiten zu stellen waren. Der Ausschuß hat auf der Grundlage der Vorarbeiten des Unterausschusses den gleichen Rang aller Richter des Bundesverfassungsgerichts festgelegt. Deshalb ist in den Entwürfen der Ausdruck „andere Mitglieder", wie ihn das Grundgesetz noch enthält, fortgefallen. Wir finden hier den einheitlichen Begriff des Richters angeführt. Die Richter müssen gemäß § 3 das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum Bundestag wählbar sein und sich schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des Bundesverfassungsgerichts zu werden.
Nun kam es: nachdem von einigen Sachverständigen Bedenken angemeldet wurden — ich glaube es war Herr Oberlandesgerichtspräsident Dr. Zürcher, der Präsident des Staatsgerichsthofs in Baden, der die Vollendung des 40. Lebensjahres als nicht hinreichende Altersgrenze nannte —, zu verschiedenen Auffassungen hauptsächlich über die Frage. welche Anforderungen an die Befähigung zum Richteramt im Bundesverfassungsgericht unter Wahrung des Prinzips, daß alle Richter dieses Gerichtshofes gleichen Rang haben, zu stellen waren. Das Ergebnis ist gewesen: sie müssen außerdem die Befähigung zum Richteramt besitzen oder auf Grund der vorgeschriebenen Staatsprüfungen die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erworben haben, sich durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. Hierbei handelt es sich um ein echtes Kompromiß zwischen sehr verschiedenen Auffassungen. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah vor, daß bei den Richtern, die nicht Berufsrichter waren — also bei den anderen Mitgliedern —, keine juristische Vorbildung zwingend vorgeschrieben sein sollte. Es . war da formu-
liert: Die Richter sollen im Leben erfahren sein, das Vertrauen der Allgemeinheit genießen und die Gewähr bieten, daß sie gerecht, mit sozialem Verständnis und im Geiste des Grundgesetzes die ihnen anvertraute rechtsprechende Gewalt ausüben werden.
Die Meinungen sind hier sehr gegeneinander gegangen. Die Sachverständigen — unter anderem Herr Justizminister Beyerle — legten gerade auf die Tatsache Wert, daß das Laienelement, wenn man es so nennen darf, gleichwertig als Richter in diesem Bundesverfassungsgericht tätig werden solle, weil es bei den Aufgaben, die eine Staatsgerichtsbarkeit an den Richter stellt — auch der Herr Kollege Arndt hat so argumentier, —, wertvoller sei, daß nicht der theoretisch ausgebildete Jurist hier den Stil der Rechtsprechung bestimmen solle, ' sondern der Mann mit Lebenserfahrung, einer Erfahrung, die im öffentlichen Leben in der .Regel dann auch umfangreiche juristische Kenntnisse in sich schließe. Der Bundesrat hatte in dieser Frage eine vermittelnde Haltung eingenommen. Er hatte lediglich das Erfordernis „rechtskundig" verlangt. Der Ausschuß hat sich aber schließlich auf die verhältnismäßig scharfen Anforderungen, die § 3 Abs. 2 stellt, geeinigt, und zwar aus der Erwägung, daß, wenn man wirklich gleichrangige Richter haben wollte und eine zahlenmäßig nicht allzu starke Besetzung des Bundesverfassungsgerichts vorsah, es dann erforderlich sei, daß Leute mit besonderen Rechtskenntnissen, wie es § 3 Abs. 2 formuliert, in das Bundesverfassungsgericht hineinkommen. Der Mann, der die theoretischen Kenntnisse des Juristen aufweisen soll, soll sich daneben noch durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. In dieser Formulierung klingt der Grundgedanke, der den Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion beherrscht, mit an, derselbe Grundgedanke, der auch den Bundesrat in seinen Gegenvorschlägen geleitet hat.
Auch über die Richterwahl fanden Auseinandersetzungen statt. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah hier eine Wahl nur für die Wahlperiode und eine indirekte Wahl durch Wahlmänner vor. Im Ausschuß wurden Bedenken geäußert, ob diese indirekte Wahl verfassungsrechtlich zulässig ist. Der Ausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses indirekte Wahlverfahren das Richtige und auch verfassungsrechtlich zulässig ist.
Weiter wurde die Frage zur Entscheidung gestellt, ob — wie bei dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion — ein Bundesanwalt als Vertreter des öffentlichen Interesses geschaffen werden sollte. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich entgegen den Empfehlungen des Sachverständigen Dr. Lehr gegen einen Bundesanwalt ausgesprochen.
Schließlich war die Frage der Wahl des Präsidenten und die Wahl des Vizepräsidenten streitig. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah eine Wahl des Präsidenten durch den Bundestag vor, während die Wahl des Vizepräsidenten durch den Bundesrat erfolgen sollte. Der Entwurf der Regierung dagegen sah vor, daß Präsident und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts nur aus den Gruppen der im Bundesverfassungsgericht vertretenen Bundesrichter von den Mitgliedern des Gerichts gewählt werden sollten, während der Bundesrat eine Zwischenlösung vorsah, nach der die Gesamtzahl der Richter den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts wählen sollte. Das Ergebnis der Beratungen war, daß man sich im wesentlichen dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen hat. In § 9 ist niedergelegt: Präsident und Vizepräsident werden alternierend vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt.
Damit kann ich die Darstellung der Organisation und Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts abschließen. Jetzt möchte ich nur noch einige wenige ergänzende Ausführungen über die Schlußvorschriften machen.
In den Schlußvorschriften findet sich der Grundsatz, daß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 2 mit einer jährlichen Dienstaufwandsentschädigung von 4 800 DM erhalten soll. Der Stellvertreter des Präsidenten, der Vizepräsident, soll Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 3 a erhalten, und die Richter des Bundesverfassungsgerichts sollen Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 4 erhalten. Im übrigen sollen die allgemeinen besoldungsrechtlichen Vorschriften gelten. Daß man hier eine Etatisierung in das Organisationsgesetz über das Bundesverfassungsgericht hereingenommen hat, ist eine Ausnahme. Dabei hat sich der Ausschuß von der Erwägung leiten lassen, daß mit Rücksicht auf die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichtes auch in den Bezügen in diesem verfassungsrechtlichen Gesetz die Dignität des Gerichtes herausgestellt werden sollte. Man muß sich darüber klar sein: nachdem man diesem Bundesverfassungsgericht eine so weitgehende Kompetenz gebeten hat und damit die Dritte Gewalt erstmalig in der Geschichte des Verfassungsrechts zu einem wirksamen, zu dem Fundament der rechtsstaatlichen Verfassungswirklichkeit machen will, müssen die Richter nicht nur von höchster persönlicher Qualifikation sein, sondern sollten auch in ihrer Besoldung hervorgehoben werden.
Im übrigen finden sich in den Schlußbestimmungen verschiedene Sicherungen für die Stellung des Richters, die seine persönliche Unabhängigkeit betreffen, Bestimmungen, die erforderlich geworden sind, nachdem man sich zu der Regelung in § 3 bereit gefunden hat.
Ich habe mich hiermit bemüht, lediglich in ganz groben Strichen die organisatorischen Grundprinzipien des Verfassungsgerichts, ihre geschichtliche Entstehung und Tragweite darzulegen. Die Einzelheiten und die konkrete Regelung der sehr schwierigen Probleme darf ich den beiden anderen Herren Berichterstattern überlassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter Dr. von Merkatz und den Damen und Herren, die mit angespannter Aufmerksamkeit diesem Vortrag gefolgt sind.
Meine Damen und Herren! Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß endlich einmal die Frage ernsthaft erörtert werden muß, ob wir bei derartig wichtigen, aber auch derartig umfänglichen Berichten von Ausschüssen nicht auf den Weg der schriftlichen Berichterstattung kommen sollten.
Denn das Interesse, das die Öffentlichkeit und das Haus meines Erachtens an diesen Berichterstattungen hat, ist das, daß die Materialien des Gesetzes festgehalten- werden. Das geschieht bei einer
schriftlichen Berichterstattung in gleicher Weise, wenn sie ins Protokoll genommen wird. Ich bitte also die Damen und Herren, auch bei ihren Beratungen Erwägungen in dieser Richtung anzustellen.
Ich darf jetzt den zweiten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Wahl, bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es übernommen, namens des Rechtsausschusses über den zweiten Teil der Vorlage, „Allgemeine Verfahrensvorschriften", zu berichten. Hier lagen zwei Möglichkeiten vor: entweder von Gesetzes wegen eine genaue Prozeßordnung auszuarbeiten. zum mindesten eine generelle Verweisung auf die Justizgesetze, sei es den Strafprozeß oder gewisse Partien des Zivilprozesses auszusprechen, oder dem Gerichtshof selbst die Ausarbeitung seiner Prozeßrechtssätze, sei es im Gerichtsgebrauch, sei es im Wege fixierter und zu einer Verfahrensordnung zusammengefaßter Plenarbeschlüsse zu überlassen. Der Ausschuß hat einen mittleren Weg gewählt, auch so der Auflage des Grundgesetzes in Art. 94 Absatz 2 genügend, um einerseits unbedingt notwendige und politisch bedeutsame Entscheidungen über das zu befolgende Verfahren festzulegen, andererseits der Verfahrensfindung des Bundesverfassungsgerichtes keine allzu engen Schranken zu setzen.
In der Tat ist es gerade bei der Staatsgerichtsbarkeit häufig den Gerichten selbst in weitem Umfang überlassen geblieben, in welcher Weise sie prozedieren sollten, und an der Haager Cour permanente ist sogar in jedem einzelnen Verfahren oft in wochenlangen Sitzungen das Programm festgelegt worden, nach welchem der Prozeßstoff bewältigt werden sollte, natürlich nicht ohne dabei implicite wichtige Prozeßrechtsfragen mitzuentscheiden. Bei der Einzigartigkeit der im Staatsprozeß zu lösenden Rechts- und Tatfragen wäre in der Tat jeder Gesetzgeber überfordert. wenn er noch vor der praktischen Bewährung der gesamten Institution alle Einzelheiten des Verfahrens von vornherein festlegen sollte. Deswegen erschien es richtig, dem neuen Gerichtshof, für dessen Zusammensetzung alle denkbaren Garantien gegeben sind, das Vertrauen entgegenzubringen, daß er schon den rechten Weg finden werde, um in den Einzelheiten ein den Bedürfnissen der ihm überwiesenen Fallgruppen entsprechendes Verfahren zu entwickeln.
Es war auch daran gedacht, ihn zu zwingen, die Prozeßrechtssätze, die er anwenden würde, als Verfahrensordnung zu beschließen und diese Beschlüsse im Bundesgesetzblatt publizieren zu lassen. Aber abgesehen davon, daß diese Bestimmung auf staatsrechtliche Schwierigkeiten hätte stoßen können — man denke an die Frage, ob es möglich ist, daß der Bundestag seine Gesetzgebungskompetenz an einen Gerichtshof delegiert —, hätte die Überlassung der Gesetzgebungsbefugnis an das Bundesverfassungsgericht dieses vor die gleiche unlösbare Aufgabe gestellt, von vornherein ein für elle erdenklichen Kombinationen taugliches Verfahren zu ersinnen.
Es schien deswegen richtig, bloß die Hauptgrundsätze des Verfahrens festzulegen und die Ausbildung des Verfahrensrechts im einzelnen der Übung, dem Gerichtsgebrauch in den einzelnen Fallgruppen zu überlassen und auf . den Vorteil einer schriftlichen Fixierung des Prozeßrechts zugunsten der Möglichkeit sachgerechter Verfahrensfindung im Einzelfall zu verzichten und damit den historisch immer wieder bewährten Weg der gewohnheitsrechtlichen Durchbildung des Verfahrensrechts zu beschreiten.
Dementsprechend beschloß der Rechtsausschuß, weder der Anregung zu entsprechen, eine generelle Anwendung des Strafprozeßrechts vorzuschreiben — die Verweisung in § 17 auf das Gerichtsverfassungsgesetz betrifft nur die Öffentlichkeit, die Sitzungspolizei, die Gerichtssprache, die Beratung und die Abstimmung und übernimmt damit Regelungen, die bei allen deutschen Gerichten in Anwendung stehen —, noch auch die Abfassung einer ergänzenden Prozeßordnung und deren Veröffentlichung dem Gerichtshof zur Pflicht zu machen.
Wenn es gilt, ein Prozeßverfahren zu ordnen oder darzustellen, hat es sich eingebürgert — sowohl in der Praxis der Gesetzgebung wie bei der wissenschaftlichen Behandlung der Probleme —, zunächst auf die Subjekte des Prozesses. d. h. das Gericht und die Parteien, und dann auf den Gang des Verfahrens selbst einzugehen. Dieser Ordnung folgt die Vorlage und auch mein kurzes Referat.
Nachdem mein verehrter Herr Kollege Dr. von Merkatz Ihnen bereits die personelle Zusammen- setzung der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts vor Augen geführt hat, ist bei dem nunmehr zu behandelnden Abschnitt der allgemeinen Verfahrensvorschriften nur noch auf die Frage des Ausschlusses von Gerichtspersonen, den sogenannten Judex inhabilis, sowie auf die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, den sogenannten Judex suspectus einzugehen. Die Vorlage folgt hier bewährten Vorbildern. Im wesentlichen ist folgende Regelung beschlossen worden. Wer in einer Sache von Amts oder Berufs wegen in einem früheren Stadium mitgewirkt hat, ist von der Richtertätigkeit ausgeschlossen, ebenso wer am Verfahren unmittelbar beteiligt oder mit einem unmittelbar Beteiligten verheiratet oder nahe verwandt oder verschwägert ist. In diesem Sinne ist nicht unmittelbar beteiligt, wer bloß auf Grund seines Familienstandes, seines Berufes. seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Doch können in solchen Fällen darüber hinausgehende Tatbestände vorliegen, die den Richter für die Rechtsfindung als ungeeignet erscheinen lassen. Dann ist der Richter kein Judex inhabilis, aber ein Judex suspectus, der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann.
Noch eine andere Frage, die von größter Bedeutung für die Stellung des Richters ist. hat den Ausschuß beschäftigt, die Frage der Dissenting opinion, d. h. ob der überstimmte Richter die Befugnis haben soll, nach angloamerikanischem Vorbild seine von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht der Öffentlichkeit zu unterbreiten. So imponierend bei einer solchen Regelung die Richterpersönlichkeit hervortritt, die durch die Dissenting opinion in hohem Verantwortungsgefühl gegenüber Recht und Gerechtigkeit ihre persönliche Stellung zu den behandelten Rechtsfragen klarstellt, glaubte doch der Rechtsausschuß, auf die Übernahme dieses Instituts verzichten zu sollen. Das Vertrauen zur Justiz und besonders , die. Autorität, der Verfassungsjustiz sind
bei uns nicht groß genug, um in politischen Prozessen unliebsame und tar die ganze Institution lebensgefährliche Reaktionen der Öffentlichkeit auszuschließen, wenn ein Richter selbst zum Ausdruck bringt, man hätte auch anders entscheiden können.
Gewiß ist die Dissenting opinion ein Institut aus alten deutschrechtlichen Wurzeln; aber seit Jahrhunderten urteilt in deutschen Landen das Gericht als anonyme Behörde ohne Klarstellung darüber, wie die mitwirkenden Richter sich zur gemeinsamen Entscheidung eingestellt haben — die Vorgänge bei der Abstimmung sind ja geheim zu halten —; und gerade d i e Justiz, die diese eminent politischen Entscheidungen zu fällen hat, schien dem Ausschuß am wenigsten einen solchen Bruch mit der deutschen Gerichtstradition vertragen zu können. Wenn die Dissenting opinion bei uns eingeführt werden soll, dann darf man damit nicht bei dem Bundesverfassungsgericht beginnen, denn das politische Kernproblem unserer Verfassungsjustiz besteht darin, daß sich die Urteile des Gerichtshofes auch wirklich durchsetzen. und es muß alles vermieden werden, was der Autorität seiner Entscheidungen Abbruch tun könnte.
Was die Parteien angeht, so konnte bei den allgemeinen Verfahrensvorschriften nicht geregelt werden, wer in den einzelnen Fallgruppen, die die Verfassung dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zuweist, jeweils legitimiert ist, das Verfahren in Gang zu bringen. Die Fälle sind zu disparat, als daß mehr als eine nichtssagende und deshalb zu Auslegungsschwierigkeiten führende Formel hätte gefunden werden können. Deshalb ist die Frage der Aktivlegitimation, d. h. die Frage, wem die Befugnis zusteht, jeweils das Verfahren zu beantragen, in dem von mir zu behandelnden Abschnitt nicht erörtert, sondern dem dritten, speziellen Teil des Gesetzes überlassen worden.
Unter den allgemeinen Verfahrensvorschriften ist aber das Problem behandelt, wer eine aktivlegitimierte Partei vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten darf. Der Ausschuß hat sich hier für zwei Prinzipien entschieden, die der unerhörten juristischen Schwierigkeit der hier zur Entscheidung stehenden Fragen Rechnung tragen: erstens Vertretungszwang für die in aller Regel notwendige mündliche Verhandlung und zweitens Anwaltsmonopol für diese Vertretung, jedoch mit zwei Ausnahmen: die Regierungen, also der Bund und die Länder, können sich durch die juristischen Beamten ihrer Behörden, die gesetzgebenden Körperschaften oder klageberechtigten Teile von diesen können sich durch Mitglieder dieser Körperschaften vertreten lassen.
Ferner hat den Ausschuß folgende Einzelfrage besonders beschäftigt. Wenn eine Personengruppe verklagt ist oder als Kläger auftritt, dann soll es nicht jedem Mitgliede dieser Personengruppe möglich sein, sich durch einen eigenen Prozeßvertreter vertreten zu lassen, weil das leicht zu Mißbräuchen und zu unerträglicher Schwerfälligkeit des Verfahrens führen könnte. Das Gericht kann deshalb anordnen, daß die Personengruppe ihre Rechte, insbesondere das Recht auf Anwesenheit im Termin, durch einen oder mehrere Beauftragte wahrnehmen läßt.
Was den Gang des Verfahrens betrifft. so unterscheidet man danach, ob ' der äußere Betrieb des Prozesses mehr beim Gericht oder bei den Parteien liegt, den sogenannten Amts- oder Parteienbetrieb und entsprechend für die Erarbeitung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen den sogenannten Untersuchungsgrunasatz — hier liegt das Schwergewicht beim Gericht — oder die Verhandlungsmaxime, die den Parteien die tatsächlichen Behauptungen und die Herbeischaffung der Beweismittel überläßt. Daß der Amtsbetrieb allein der Würde des Bundesverfassungsgerichtes' entspricht, das in der Durchführung der anberaumten Termine nicht von der Säumigkeit der Parteien bei Ladungen und Zustellungen oder von gemeinsamen Vertagungsanträgen abhängig sein darf, liegt auf der Hand.
Schwieriger war schon die Entscheidung der entsprechenden Frage für die Erarbeitug der tatsächlichen Urteilsgrundlagen selbst; denn Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen oder zwischen Ländern können, wie auch der völkerrechtliche Prozeß im Haag gezeigt hat, in der Art eines Zivilprozesses geführt werden. Wie insbesondere der anglo-amerikanische Strafprozeß beweist, hat die Überzeugung viel für sich, daß im Kampf zweier für das Vorbringen und die Beweisführung allein verantwortlicher Parteien eine genügende Garantie für eine wahre und ausreichende Urteilsgrundlage gegeben ist. Trotzdem hätte die Übernahme der Verhandlungsmaxime in den Prozeß des Bundesverfassungsgerichts einen Bruch mit der deutschen Tradition bedeutet, die die Verhandlungsmaxime nur für den Zivilprozeß zuläßt, und deshalb wird es in § 26 zur Pflicht des Gerichtshofes erhoben, von sich aus die Wahrheit zu erforschen. also gegebenenfalls auch über die Beweisanträge der Parteien hinauszugehen. Die Beweisanträge der Parteien sind deshalb nicht überflüssig oder wertlos. Das Gericht wird sich mit ihnen nach den Grundsätzen auseinanderzusetzen haben, ,die im Strafprozeß, der ebenfalls vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht ist, in einer langjährigen und hochbedeutsamen Praxis besonders vom Reichsgericht herausgearbeitet worden sind.
Es kommt hinzu, daß das Urteil des Verfassungsgerichts alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie überhaupt alle deutschen Gerichte und Behörden bindet. Diese Wirkung seiner Entscheidungen inter omnes gehört zum Wesen des Prozesses, wie ihn sich der Rechtsausschuß gedacht hat. Gerade daß der Untersuchungsgrundsatz gilt, das Gericht also unabhängig von dem Verhalten der Prozeßparteien den Sachverhalt von sich aus klärt, ermöglicht die Findung einer Entscheidung, die nicht bloß für die Prozeßbeteiligten, sondern für alle tauglich ist. Es wäre unerträglich, eine Entscheidung mit Wirkung gegenüber allen auf Grund der Herrschaft der jeweiligen Prozeßparteien über den Prozeßstoff zuzulassen. So heißt es auch in § 33 Absatz 2, daß das Bundesverfassungsgericht, anstatt selbst die Beweise zu erheben, die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen kann, wenn das Urteil in einem Verfahren ergangen ist, in dem die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen war.
Eine Frage aus dem Gebiet des Beweisrechts war besonders schwierig, nämlich die Lösung des Problems, wieweit die im allgemeinen Prozeßrecht bestehende Möglichkeit für den Dienstvorgesetzten, zum Schutz von Staatsgeheimnissen einem beamteten Zeugen die Aussagegenehmigung zu verweigern, auch im Verfassungsstreit anerkannt werden muß. Daß hier nicht einfach der Dienstvorgesetzte in einer für das Gericht bindenden Weise dem Zeugen die Aussage verwehren darf, liegt auf der
Hand, da sonst die Regierung in der Lage wäre, die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern. Andererseits gibt es Fälle, in denen die Geheimhaltung gewisser Vorgänge im Staatsinteresse geboten ist. Der Ausschuß hat den Ausweg gefunden, daß der Zeuge sich nicht auf seine Schweigepflicht berufen kann, wenn das Bundesverfassungsgericht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen die Verweigerung der Aussagegenehmigung für unbegründet erklärt.
Eine entsprechende Lösung ist für Geheimurkunden gefunden worden. Wenn dem Gericht solche Geheimdokumente zugeleitet werden, kann es mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen ihre Beiziehung ablehnen, wenn ihre Verwendung mit der Staatssicherheit unvereinbar ist. Damit scheiden sie als Prozeßmaterial aus. Sie können bei der Entscheidung nicht verwendet werden, und auch das grundsätzlich anerkannte Recht der Beteiligten auf Einsicht der Akten besteht für die Geheimurkunde nicht, da sie nicht zu den Akten des Prozesses genommen worden ist. Nur diese Regelung verbürgt, ohne das unter Umständen lebenswichtige Interesse des Staates an der Geheimhaltung seiner arcana zu vernachlässigen, den in einem Rechtsstaat notwendigen Grundsatz, daß die Entscheidung nur auf solche Beweise gestützt werden kann, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Im übrigen folgt das Verfahren den bewährten Grundsätzen der Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlung. Natürlich kommt das Verfahren nur durch einen schriftlichen Antrag in Gang. Aber keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wenn nicht beide Parteien auf die Verhandlung ausdrücklich verzichten. Nur formwidrige, unzulässige, verspätete oder offensichtlich unbegründete Anträge sowie Anträge von offensichtlich Nichtberechtigten können durch einstimmig gefaßten Beschluß, der keiner weiteren Begründung bedarf, verworfen werden.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergeihen im Namen des Volkes genau so wie die Entscheidungen aller anderen Gerichte. Sie wirken, wie schon erwähnt, für alle Gerichte und Behörden, womit der vom Verfassungsgericht festgestellte Inhalt eines Grundrechts oder einer sonstigen streitigen Verfassungsbestimmung nicht nur für den konkreten Anlaß, sondern für alle gleichliegenden Anlässe für bindend erklärt wird. Wenn etwa ein Redner in einem bestimmten Bezirk ein Redeverbot bekommen hat und das Bundesverfassungsgericht dieses Redeverbot für verfassungswidrig erklärt, dann darf in einem anderen Land eicht mit der gleichen Begründung ihm wieder ein Redeverbot auferlegt werden, da alle Gerichte und Behörden sich der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu beugen haben, daß die Voraussetzungen für eine verfassungsmäßige Beschränkung der Redefreiheit nicht gegeben sind.
Handelt es sich um die Nichtigerklärung eines Gesetzes, so bestimmt Art. 31 Absatz 2 ausdrücklich, daß die Nichtigerklärung des Gesetzes selbst Gesetzeskraft hat und daß der Justizminister die Entscheidung im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen hat. Diese Veröffentlichung ist aber nach dem Gewicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Voraussetzung für ihre Wirksamkeit; es handelt sich vielmehr um eine Sollvorschrift, die der Ordnung halber das übliche Publikationsorgan für Gesetze auch für solche Nachrichten zugänglich macht.
Eine bekannte Streitfrage in der Weimarer Zeit war die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügungen im Staatsprozeß. Alle diejenigen, die die sogenannte Justiziabilität politischer Vorgänge überhaupt kritisch beurteilten, sprachen sich gegen die einstweilige Verfügung aus, während der Staatsgerichtshof die einstweilige Verfügung zuließ und nicht immer glücklich praktizierte. Nachdem nunmehr das Grundgesetz grundsätzlich durch den großen Katalog von Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht politische Vorgänge zu beurteilen hat, die Justiziabilität dieser Vorgänge bindend festgelegt hat, mußte auch die einstweilige Verfügung als ein. zulässiges Mittel der Verfassungsrechtsprechung anerkannt werden. Dies geschieht durch § 32. Aber ein besonders wichtiger Grund für den Erlaß der einstweiligen Verfügung muß vorliegen. § 32 bestimmt, daß die einstweilige Anordnung als vorläufige Regelung des Streitfalles möglich ist, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist.
Die folgenden Absätze lehnen sich eng an das Verfahren der einstweiligen Verfügung im Zivilprozeß an. Nur eine Neuschöpfung hat der Rechtsausschuß beschlossen: die einstweilige Verfügung tritt nach drei Monaten außer Kraft. Sie kann nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden. Der Sinn der Bestimmung liegt auf der Hand: der eigentliche Verfassungsstreit, die sogenannte Hauptsache, soll durch den Erlaß der einstweiligen Verfügung nicht überflüssig werden. Der Hauptprozeß soll durchgeführt werden, weil nur er die notwendigen Garantien für die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens und für eine erschöpfende Beweisaufnahme bietet.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die Kosten. Das Verfahren bei, dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei. Es werden keine Gebühren erhoben und keine Auslagen ersetzt verlangt. Umgekehrt hat aber in den Verfahren, die auf den Ausspruch einer Unrechtsfolge gerichtet sind, also Strafcharakter haben, der obsiegende, also freigesprochene Angeklagte Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung. Nur wenn eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig oder 'unbegründet abgewiesen wird, kann. das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 120 bis 1000 DM auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Mißbrauch darstellte. Es soll damit die querulatorische Verfassungsbeschwerde hintangehalten werden.
Eine letzte Bestimmung endlich befaßt sich mit der Vollstreckung der Entscheidung. Das Problem wurde eingehend erörtert; zeitweise dachte man gar an die Einschaltung des Bundespräsidenten, aber schließlich wurde, um eine sachgemäße Vollstreckung in den zahlreichen Varianten. die zur Entscheidung kommen können, sicherzustellen, die Regelung der Zwangsvollstreckung einfach dem Urteil selbst überlassen.
Gegenstand meines Referats ist ferner von den besonderen Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht tätig werden soll, die sogenannte Verfassungsbeschwerde. Es kann nicht verhohlen werden, daß gegen diesen allgemeinen Rechtsbehelf im Rahmen des Rechtsausschusses manche Bedenken laut geworden sind, denn die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, den jeder In-
'
herber eines Grundrechts oder eines der diesem gleichgestellten Rechte gegenüber allen Akten der Staatsgewalt verwenden kann, mögen sie nun der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder Verwaltung angehören, wenn nur eine Verletzung eines der in der Verfassung gewährten Grundrechte oder eines anderen entsprechend geschützten Rechtes, wie es sich aus den Bestimmungen über das Wahlrecht und die Grundlagen unserer Justiz ergibt, in Frage steht. Man sagte, die Verfassungsbeschwerde in dieser Ausdehnung gewähre zuviel Rechtsschutz, wir stünden vor der Entwicklung zu einem reinen Justizstaat, der die eigentlichen Staatsaufgaben zugunsten der Rechtsstaatlichkeit vernachlässige, und man komme zudem den Ländern ins Gehege, die insbesondere in den modernen Verwaltungsgerichtsverfahren bereits den möglichen Endpunkt der Entwicklung des Rechtsschutzes erreicht hätten.
Trotzdem hat sich der Rechtsausschuß für die Einführung der Verfassungsbeschwerde entschieden. Sowohl der Regierungsentwurf des Bundesjustizministeriums wie der Entwurf der SPD sahen die Verfassungsbeschwerde vor, die in der Tat am ehesten das Zusammenwachsen von Volk und Verfassung herbeiführen kann und das demokratische Bewußtsein des Staatsbürgers stärkt. Ein Bundesverfassungsgericht, das die Aufgabe hat, die Verfassung zu hüten, entbehrt eine seiner wichtigsten Funktionen, wenn der Schutz der Grundrechte nicht in den Bereich seiner Jurisdiktion einbezogen wird.
Freilich erhob sich sofort die Frage, wie die mögliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in unser bisheriges Rechtsschutzsystem einzubauen sei. Der Entwurf antwortet: Grundsätzlich muß dieses Rechtsschutzsystem unberührt bleiben, so daß immer dann, wenn gegen den Staatsakt, der die Verletzung der subjektiven Verfassungsrechte enthält, ein Rechtsmittelzug, also ein besonderes Rechtsschutzverfahren gewährt ist, dieser Rechtsmittelzug erschöpft sein muß, ehe in einem letzten Rekurs bei dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden kann, es liege ein Verstoß gegen die Verfassung vor. Nur dann, wenn die Verfassungsfrage von besonderer Bedeutung ist — sei es, daß die Frage wesentlich die Allgemeinheit interessiert, sei es, daß die Erschöpfung des Rechtsweges einen schwerwiegenden und unabwendbaren Nachteil für den Betroffenen nach sich ziehen würde —, kann ausnahmsweise, noch bevor der Rechtsweg erschöpft ist, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.
In welchem Verhältnis soll dann diese Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfassungsbeschwerden stehen, die in den Gesetzen über die Staatsgerichtshöfe der Länder bereits vorgesehen sind? Insbesondere der Bundesrat war der Meinung, daß, wenn wegen eines einem Bundesgrundrecht entsprechenden Landesgrundrechts eine Verfassungsbeschwerde in den Ländern gegeben sei, die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht nicht mehr gewährt werden könne, d. h. also, das Bundesverfassungsgericht sollte nur subsidiär hinter den Verfassungsgerichten der Länder zum Zuge kommen, praktisch nur dann, wenn es sich um die Auslegung eines Grundrechts handelt, das wohl im Grundgesetz, aber nicht in der entsprechenden Landesverfassung enthalten ist.
Der Rechtsausschuß hat sich mit diesem Problem eingehend befaßt und ist schließlich zu der in Abs. 3 des § 90 enthaltenen Lösung gekommen, daß durch die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, die Anrufung der Lanaesverlassungsgerichte nicht ausgescniossen wird; denn die Aufgabe der Landerverfassungsgerichte besteht dann, die Wahrung der in den Landesverfassungen gewährten Grundrechte und nicht der im Grundgesetz gewahrten Grundrechte zu überwachen. Auch soweit die Grundrechte in den Verfassungstexten des Bundes und der Lander übereinstimmen, ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß in den Einzelheiten sich Verschiedenheiten in der Auffassung entwickeln können, und es war wohl die vorwiegende Ansicht im Rechtsausschuß, daß für diese Fragen anders als bei sonstigem Recht das Bundesrecht dem abweichenden Landesrecht nicht vorgehen könne. Unter diesen Umständen blieb keine andere Möglichkeit, als die konkurrierende Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und der Länderverfassungsgerichte anzuerkennen, wobei bei vielen Mitgliedern des Rechtsausschusses die Vorstellung mitspielte, daß man eben zwei Grundrechte habe, ein Bundesgrundrecht und ein Landesgrundrecht, und die Zuständigkeit der Landesstaatsgerichtshöfe für die Auslegung des Bundesgrundrechts zu verneinen sei, wie umgekehrt auch das Bundesverfassungsgericht über die Grenzen des Landesgrundrechts keine verbindlichen Feststellungen treffen könne.
Die also umrissene Verfassungsbeschwerde steht jedem zu, der in seinem Grundrecht oder in einem gleichgestellten Recht durch einen Akt der öffentlichen Gewalt verletzt ist, mag es sich um einen Gesetzgebungs-, einen richterlichen oder einen Verwaltungsakt handeln. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Feststellung kommt, daß ein Gesetz, ein Urteil oder Verwaltungsakt das Grundrecht des Beschwerdeführers verletzt, so führt dies zu einer Aufhebung bzw. Nichtigerklärung des in Verletzung der Verfassung vorgenommenen Staatsaktes. Praktisch wird also über dem Rechtszug, der in solchen Fällen an sich schon gegeben ist, noch eine weitere Instanz eröffnet, und zwar muß das Rechtsmittel innerhalb eines Monats seit Zustellung der Entscheidung mit Gründen — bzw. innerhalb eines Jahres bei Gesetzen und sonstigen Hoheitsakten, gegen die ein Rechtsweg nicht offensteht — ergriffen werden. Hat der Beschwerte das Rechtsmittel nicht ergriffen und wird in einem gleichgelagerten Falle von dritter Seite die Verfassungsbeschwerde erhoben und die Nichtigkeit eines Gesetzgebungsaktes festgestellt, dann nützt diese Nichtigkeitserklärung demjenigen, der die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde versäumt hat, grundsätzlich nichts.
Diese Frage wird im Referat des verehrten Herrn Kollegen Neumayer noch näher behandelt werden; aber damit Sie die Funktion der Verfassungsbeschwerde im ganzen erfassen, darf ich mit wenigen Worten auf dieses Problem eingehen. Der alte Satz, daß Nichtigkeiten, die rückwirkend eine Kluft zwischen Recht und Leben aufreißen, möglichst einzuschränken sind, gilt insbesondere dann, wenn eine längere Staatspraxis von der Gültigkeit einer Rechtsnorm ausgegangen ist. In allen diesen Fällen automatisch eine rückwirkende Nichtigkeit aller auf Grund dieser Rechtsnorm erlassenen Akte zu verordnen, würde in unser ganzes Rechtsleben eine unerträgliche Unsicherheit bringen. Der Ausschuß hat deshalb gesagt, daß die Nichtigkeit oder Aufhebung des Staatsaktes nur für denjenigen eingreifen kann, der selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat, während alle
diejenigen, die diese Frist versäumt haben, sich dadurch mit der ihnen zuteil gewordenen Regelung zufrieden gegeben haben und nicht mehr von der Verfassungsbeschwerde eines Dritten oder einer sonstigen Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes im Wege der Normenkontrolle profitieren können. Die Verfassungsbeschwerde hat also in der Regelung, die der Ausschuß vorschlägt, zugleich eine den Rechtsschutz einschränkende Funktion, indem alle diejenigen, die die Verfassungsbeschwerde nicht ergreifen, sich mit der von ihnen als endgültig hingenommenen Rechtslage abfinden müssen. „Iura vigilantibus sunt scripta" — die Rechte sind für die Wachsamen aufgeschrieben — gilt auch hier.
Die einzige Ausnahme einer automatischen Rückwirkung, die allerdings der Ausschuß glaubte machen zu müssen, besteht darin, daß bei Strafen in allen Fällen ein Wiederaufnahmeverfahren gewährt werden muß, wenn die Strafnorm, auf Grund deren die Strafe ausgesprochen wurde, als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet worden ist. Ferner darf aus einem Vollstreckungstitel, dessen gesetzliche Grundlage durch den Bundesverfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wird, eine Vollstreckung nicht mehr fortgesetzt werden. Entsprechendes gilt für die Vollstreckung und Vollziehung von. Verwaltungsakten, die nunmehr der Rechtsgrundlage entbehren. Aber von diesen Fällen abgesehen, bleiben die abgewickelten Angelegenheiten, ohne daß eine Remedur möglich ist, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit unberührt, sofern nicht der Betroffene selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat. Auch eine Rückforderung des Geleisteten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ist ausdrücklich abgelehnt. Es kann freilich ein Fall vorliegen, in dem es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, eine umwälzende Entscheidung des Verfassungsgerichts auch denen zugute kommen zu lassen, die sich bei dem sie beschwerenden Hoheitsakt zunächst beruhigt hatten; aber dann ist es Sache des Gesetzgebers, einzugreifen und eine über die Vorlage hinausgehende Rückwirkung anzuordnen. Das ist der Sinn der im letzten Satz des § 94 der Vorlage enthaltenen Verweisung auf § 79.
Damit bin ich im Ende des mir zugefallenen Teilberichts und schließe, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß das Bundesverfassungsgericht die Friedensfunktion aller Gerichtsbarkeit auf seinem schwierigen Gebiet möge erfüllen können. Unsere Vorlage hat ihm nach besten Wissen und Gewissen aller Ausschußmitglieder den Weg zu diesem Ziele eröffnet.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Neumayer zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den dritten Teil des Gesetzes über den Bundesverfassungsgerichtshof hier vorzutragen. Herr Kollege Dr. von Merkatz hat von hoher Warte und mit von größter Sachkenntnis und rechtsgeschichtlicher Kenntnis ausgezeichneten gedankenreichen Ausführungen den Aufbau und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtshofes geschildert. Herr Kollege Professor Dr. Wahl hat in äußerst klarer Weise die allgemeinen Verfahrensvorschriften dargestellt. Es ist meine Aufgabe, Ihnen nun die besonderen Verfahrensvorschriften vorzutragen. Ich muß mich hierzu auf die Ebene der praktischen Durchführung dieses Gesetzes begeben und bitte Sie, mir dahin zu folgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die allgemeinen Verfahrensvorschiften, die Herr Kollege Professor Dr. Wahl hier vorgetragen hat, gelten auch für den dritten Teil des Gesetzes, soweit dort .nicht besondere Vorschriften für die Einzel-
getroffen worden sind. In Art. 93 des Grundgesetzes ist die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofes geregelt. Die dort gegebenen Zuständigkeiten sind nicht erschöpfend, sondern im Grundgesetz findet sich eine Reihe von weiteren Bestimmungen, die wiederum eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründen. Verschiedene dieser Fragenkomplexe hängen aufs engste miteinander zusammen, so insbesondere die Anklage gegen den Bundespräsidenten und die Richteranklage; die Normenkontrolle, sei es, daß sie von einem obersten Bundesorgan oder von einem Gericht beantragt wird; so auch die Bestimmungen über die Verwirkung der Grundrechte und die Vorschriften über das Parteienverbot. Ich werde mich in meinem Vortrag an die Reihenfolge halten, die in der Vorlage, welche Ihnen heute vorliegt, eingehalten ist.
Ich komme nun zunächst zu dem ersten Abschnitt, zu § 13 Nr. 1. Hier ist unter Bezugnahme auf Art. 18 des Grundgesetzes die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für Entscheidungen über die Verwirkung von Grundrechten behandelt. Bei Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 1 kann die Verwirkung bestimmter Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden, nämlich dann, wenn diese Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht worden sind. Nach den Bestimmungen des § 15 Abs. 2 kann die Verwirkung der Grundrechte nur mit einer Mehrheit von 8 Stimmen, also mit der in den allgemeinen Verfahrensvorschriften für eine Entscheidung zum Nachteil des Antraggegners vorgesehenen Mehrheit beschlossen werden.
Der Ausspruch der Verwirkung von Grundrechten bedeutet eine so schwerwiegende Maßnahme, daß das Antragsrecht nur in die Hand der obersten Staatsorgane gelegt werden konnte, denen der Schutz des Staates obliegt. Demnach kann der Antrag nach § 36 nur vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs hatte auch einer Minderheit des Bundestages, die wenigstens ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfaßt, ein Antragsrecht zugebilligt. Der Ausschuß glaubte aber, nicht so weit gehen zu sollen, sondern er folgte hier der Anregung des Bundesrates, der angesichts der schwerwiegenden Bedeutung der Verwirkung von Grundrechten das Antragsrecht ausschließlich der Mehrheit des Bundestages vorbehalten wollte. Die schwierige Auslegung des Begriffs „Mißbrauch von Grundrechten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" wurde bewußt der Rechtsprechung überlassen.
Der Ausschuß hat eine neue in § 37 verankerte Bestimmung in die ursprüngliche Regierungsvorlage aufgenommen. Danach muß dem Antragsgegner binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sodann zu beschließen, ob der Antrag als unzulässig oder als nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die
Verhandlung durchzuführen ist. Durch diese Bestimmung ist analog dem Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren eine Art Vorprüfung eingeführt worden. Es soll einer Überlastung des Bundesverfassungsgerichts vorgebeugt und gleichzeitig dem Angeklagten rechtliches Gehör gewährt werden. Man wollte also vermeiden, daß jemand ohne hinreichenden Grund vor das Bundesverfassungsgericht geladen wird. So bedeutet dieser § 37 einmal eine Erschwerung des Entziehungsverfahrens und zum andern einen Schutz des Angeklagten.
In dem nun folgenden § 39 wird der mögliche Inhalt und die Wirkung einer die Verwirkung eines Grundrechtes aussprechenden Entscheidung bestimmt. Es bestand Einigkeit darüber, daß die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Maßnahmen keine strafrechtliche Diskriminierung bedeuten, wie dies z. B. bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte im Strafrecht der Fall ist. Der Ausspruch der Verwirkung beseitigt die besondere Rechtsgarantie, die für den einzelnen in den Grundrechten enthalten ist. Sie beseitigt somit die Schranke, die dem Gesetzgeber, der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit durch die Grundrechte gezogen ist. Da nach Art. 18 des Grundgesetzes auch das Ausmaß der Verwirkung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden soll, bestehen keine Bedenken, dem Bundesverfassungsgericht auch die Möglichkeit zu geben, dem Antragsgegner nach Art und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen aufzuerlegen, soweit diese Beschränkungen nicht andere als die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen.
Nach längeren Beratungen hat der Ausschuß die Ihnen nunmehr vorliegende Formulierung ge) wählt, und zwar davon ausgehend, daß, soweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert ist, die Verwaltungsbehörden zum Einschreiten gegen den Antragsgegner keiner weiteren rechtlichen Grundlage mehr bedürfen, daß sie aber in jedem anderen Fall an das Gesetz gebunden sind. Art. 20 des Grundgesetzes bleibt also auch in diesen Fällen voll wirksam. Wenn nun z. B. das Bundesverfassungsgericht lediglich die Verwirkung des Grundrechts der Redefreiheit ausspricht, so bedarf die Verwaltungsbehörde zum Einschreiten gegen den Antragsgegner nach wie vor einer gesetzlichen Grundlage. Sie bleibt also an das Versammlungsordnungsgesetz gebunden. Hat aber das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig ausgesprochen, daß dem Antragsgegner auf gewisse Zeitdauer das Reden in politischen Versammlungen untersagt ist, dann kann die Verwaltungsbehörde auf Grund dieses Ausspruchs ohne weiteres gegen den Redner einschreiten.
Nach Art. 18 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verwirkung der Grundrechte, sondern auch deren Ausmaß zu bestimmen. Daraus ergibt sich erstens: Das Ausmaß der Verwirkung umschließt auch den Ausspruch einer Teilverwirkung. Wenn z. B. ein hervorragender Arzt eine ausgesprochen antidemokratische Partei propagiert, so kann ihm wohl das Recht der politischen Meinungsäußerung abgesprochen, es kann ihm aber nicht verboten werden, in medizinischen Fachzeitschriften medizinische Artikel zu schreiben. Eine derartige Teilverwirkung eines Grundrechts kann bereits im Urteil konkretisiert werden.
Zweitens: Es bestand im Ausschuß trotz vorgebrachter Bedenken schließlich kein Zweifel darüber, daß dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gegeben werden müsse, auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte auch das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen oder auch die Auflösung juristischer Personen anzuordnen. Wahlrecht und Wählbarkeit sind keine Grundrechte, da sie nicht in die im ersten Teil des Grundgesetzes behandelten Rechte mit einbezogen sind. Man war sich darüber klar, daß der Gefahr, eine freiheitliche Demokratie durch Mißbrauch ihrer Grundlagen aus den Angeln zu heben, vorgebeugt werden müsse. Will man aber eine Schranke gegen den Mißbrauch der freiheitlichen Rechte errichten, dann muß dieser gesetzgeberische Wille auch bei der Durchführung entsprechende Wirksamkeit erhalten. Wenn man schon einem Staatsbürger das Recht der Meinungsfreiheit und andere Grundrechte beschneiden kann, so muß erst recht das nicht unter den Begriff der Grundrechte fallende Recht, das aktive und passive Wahlrecht, aberkannt werden können. Dies liegt im Begriff der Verwirkung der Grundrechte. Daher trug der Ausschuß keine Bedenken, die Folgen der Verwirkung der Grundrechte und ihr Ausmaß durch einfaches Bundesgesetz zu bestimmen.
Es erwies sich als notwendig, die Mindestdauer der Verwirkung auf ein Jahr festzulegen. Ist die Verwirkung zeitlich nicht befristet oder für einen längeren Zeitraum als ein Jahr ausgesprochen, so mußte dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gegeben werden, auf Antrag die Verwirkung ganz oder teilweise aufzuheben oder in ihrer Dauer abzukürzen. Von dieser Möglichkeit kann aber das Bundesverfassungsgericht nach § 40 erst Gebrauch machen, wenn seit dem Ausspruch der Verwirkung zwei Jahre verflossen sind.
In § 41 wurde sodann bestimmt, daß nach einer sachlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über einen Antrag ein solcher gegen den gleichen Antragsgegner nur dann wiederholt werden kann, wenn er auf neue Tatsachen gestützt wird. Diese Bestimmung greift z. B. dann Platz, wenn eine Untergrundbewegung neuerdings nachgewiesen werden kann.
In § 42 sind sodann die Strafbestimmungen für den Fall vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder gegen die im Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen festgelegt.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zum zweiten Abschnitt, § 13 Nr. 2. Der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, kann — ähnlich wie im Falle der Grundrechtsverwirkung — nur vom Bundestag, dem Bundesrat und von der Bundesregierung gestellt werden. Nach dem Beschluß des Ausschusses kann eine Landesregierung den Antrag gegen eine Partei nur dann stellen, wenn sich deren Organisation auf das Gebiet eben dieses Landes beschränkt. Man ging hierbei von der Auffassung aus, daß nur die Stelle, die regional wirklich mit der Sache zu tun hat, den Antrag stellen kann. Gerade mit dieser Einengung wird den berechtigten Interessen der Länder Rechnung getragen. Falls sich jedoch die Organisation auf mehrere Länder erstreckt, so ist der Bundesrat in der Lage, von sich aus durch Antragstellung einzugreifen. Ich möchte hier betonen, daß es für eine dem Antragsgegner nachteilige Entscheidung, ebenso wie im Falle der Verwirkung eines Grundrechtes, auch hier entspre-
chend § 15 Abs. 2 einer Mehrheit von acht Stimmen, also einer qualifizierten Mehrheit bedarf.
Der Ausschuß hielt es zur Sicherstellung der Durchführung des Verfahrens für notwendig, die Vertretungsberechtigung für den Fall, daß sich die Partei auflöst und niemand mehr da ist, gegen den vorgegangen werden kann, festzulegen. Als vertretungsberechtigt gelten in derartigen Fällen die Personen, die die Geschäfte der Partei, die den Antrag veranlaßt hat, zuletzt tatsächlich geführt naben.
In § 45 sind ähnliche Bestimmungen über einen Eröffnungsbeschluß, wie dies im Verfahren wegen Verwirkung der Grundrechte festgelegt ist, getrof f en.
Der Ausschuß war der Meinung, daß es, falls sich der Antrag als begründet erweist, genügt, wenn das Bundesverfassungsgericht die Vertassungswidrigkeit der politischen Partei feststellt. Mit dieser Feststellung ist nach Auffassung des Ausschusses in jedem Falle das Parteiverbot zu verbinden. Dagegen ist die Einziehung des Vermögens der Partei fakultativ. Im Ausschuß wurde die Bestellung von Treuhändern für das Parteivermögen erwogen. Man hat aber von einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung abgesehen, da notfalls das Bundesverfassungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 32 entsprechende Maßnahmen treffen kann. Für den Fall der Einziehung des Vermögens wurde die Regierungsvorlage dahin ergänzt, daß das eingezogene Vermögen nur zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden darf. Das Verbot kann sich auch auf einen rechtlich und organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränken.
Ein Mandatsverlust kann nach der Gesetzesvorlage in diesem Falle nicht ausgesprochen werden. Ein solcher kann sich aber aus einem Verfahren wegen Verwirkung der Grundrechte gegen den einzelnen Angehörigen der Partei ergeben, wenn ihm die Wählbarkeit abgesprochen wird. Das Verbot der Partei als solcher zieht nicht den Verlust des Mandats ihrer Abgeordneten nach sich.
Die Bestimmungen des § 38, wonach nach Eingang des Antrages von dem Bundesverfassungsgericht eine Beschlagnahme oder Durchsuchung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung angeordnet werden kann, gelten für den zweiten Abschnitt, den ich soeben vorgetragen habe, entsprechend.
Ich komme zu dem dritten Abschnitt, § 13 Nr. 3, der sich mit der Wahlprüfung befaßt. Nach Art. 41 des Grundgesetzes ist die Wahlprüfung Sache des Bundestags. Gegen dessen Entscheidung ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Das Wahlprüfungsgesetz sieht vor, daß jeder einzelne Wahlberechtigte das Anfechtungsrecht hat. Wenn nun das Wahlprüfungsgesetz dem einzelnen Wahlberechtigten das Anfechtungsrecht zuspricht, so kann ihm nach Auffassung des Ausschusses auch das Einspruchsrecht gegen die Entscheidung des Bundestags nicht entzogen werden. Doch hielt man es, um querulatorische Anträge möglichst einzudämmen, für notwendig, eine Beschwerde des einzelnen davon abhängig zu machen, daß mindestens 100 Wahlberechtigte der Beschwerde beitreten. Im übrigen steht die Beschwerde gegen den Beschluß des Bundestags dem Abgeordneten, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, einer Fraktion oder einer mindestens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfassenden Minderheit des Bundestags zu. Die Einspruchsberechtigten kraft Amtes, also die Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Minister, haben kein Beschwerderecht. Die Ausschlußfrist von einem Monat wurde für angemessen und notwendig gehalten.
Der vierte Abschnitt, § 13 Nr. 4, befaßt sich mit der Anklage gegen den Bundespräsidenten. Ähnlich gestaltet ist § 13 Nr. 9, der sich mit der Richteranklage befaßt. In beiden Fällen gelten die Bestimmungen des § 15 Abs. 2, wonach nur eine qualifizierte Mehrheit von acht Stimmen eine Verurteilung aussprechen kann. Nach Art. 61 des Grundgesetzes können der Bundestag oder der Bundesrat den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. Damit ist das Recht der Anklageerhebung genau umgrenzt, so daß eine nochmalige Hervorhebung in dem jetzt zur Beratung stehenden Gesetzentwurf nicht notwendig war.
Art. 61 des Grundgesetzes enthält bereits Bestimmungen über das Recht, den Antrag auf Erhebung der Anklage zu stellen. Die Mehrheit, deren der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf, ist dort ebenfalls festgelegt. Art. 61 des Grundgesetzes bestimmt weiter, daß die Anklage von einem Beauftragten der anklagenden Körperschaft erhoben wird. Der Ausschuß hat den in § 43 der ursprünglichen Vorlage vorgesehenen Abs. 4 mit Rücksicht auf diese Bestimmung des Grundgesetzes gestrichen, die die Vertretung der Anklage durch die anklagende Körperschaft unmittelbar festlegt. Im übrigen regelt g 49 die Förmlichkeit für die Erhebung der Anklage innerhalb der vom Grundgesetz gesteckten Grenzen. Die vom Präsidenten der die Anklage erhebenden Körperschaft gefertigte Anklageschrift muß die Feststellung enthalten, daß der Beschluß auf Erhebung der Anklage mit der Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags oder mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats gefaßt worden ist. Obwohl in Art. 121 des Grundgesetzes festgelegt ist, daß die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags im Sinne des Grundgesetzes immer die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl bedeutet, hat der Ausschuß es doch für richtig gehalten, in § 49 Abs. 3 ausdrücklich hervorzuheben, daß die notwendige Mehrheit zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags bedeutet. In § 50 und in den folgenden Bestimmungen ist statt „gesetzgebende Körperschaft" der Ausdruck „antragsberechtigte Körperschaft" gewählt.
Gewisse Schwierigkeiten hat die Frage bereitet, wann der der Anklage zugrunde liegende Sachverhalt der antragsberechtigten Körperschaft bekannt geworden ist. Die Körperschaft als solche kann natürlich keine Kenntnis erhalten. Kenntnis erhalten können immer nur ihre Mitglieder oder das vertretungsberechtigte Organ. Der Ausschuß hat den Standpunkt vertreten, daß diese Frage der Praxis überlassen werden sollte.
In § 51 ist gesagt, daß die Einleitung und Durchführung des Verfahrens durch den Rücktritt des Bundespräsidenten, durch sein Ausscheiden aus dem Amt oder durch Auflösung des Bundestags oder . den . Ablauf seiner Wahlperiode nicht berührt wird. Damit steht dieses Gesetz im GegenSatz zu den meisten Disziplinargesetzen, in denen vorgesehen ist, daß das Disziplinarverfahren bei dem Ausscheiden des Antragsgegners aus dem Amt
eingestellt wird. Die vorliegende Bestimmung war daher notwendig, um festzulegen, daß im Gegensatz zu den Disziplinargesetzen das Ausscheiden des Bundespräsidenten aus seinem Amt das Verfahren gegen ihn nicht berührt. Die in der ursprünglichen Fassung der Vorlage für die Zurücknahme der Anklage vorgesehene qualifizierte Mehrheit des Bundestags oder des Bundesrats wurde dahin abgeändert, daß dieser Beschluß nur der einfachen Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags oder der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats bedarf.
Wenn in § 52 Abs. 2 ausgesprochen ist, daß die Anklage vom Präsidenten der antragstellenden Körperschaft durch Übersendung einer Ausfertigung des Beschlusses an das Bundesverfassungsgericht zurückgenommen wird und der Bundespräsident innerhalb eines Monats widersprechen kann, so ist für den Beginn dieser Frist der Eingang der Zurücknahme der Anklage zu verstehen. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß dies genügend deutlich in der Fassung des § 52 Abs. 2 und 3 zum Ausdruck kommt.
In § 53 wird bestimmt, daß nach Erhebung der Anklage das Bundesverfassungsgericht durch einstweilige Anordnung verfügen kann, daß der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Diese einstweilige Anordnung beruht auf Art. 61 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die allgemeinen Grundsätze des § 32 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof finden hier keine Anwendung. Einengende Voraussetzungen für diese einstweilige Anordnung gegenüber dem Grundgesetz zu schaffen, war nicht möglich. Eine qualifizierte Mehrheit für eine Verlängerung der einstweiligen Anordnung kam daher auch nicht in Betracht.
Die in § 54 erwähnte Voruntersuchung konnte nach Auffassung des Ausschusses nur einem dem Spruchsenat nicht angehörenden Richter anvertraut werden. Es wurde daher ausdrücklich festgelegt, daß die Voruntersuchung einem Richter des Ersten Senats, der im Verfahren gegen den Bundespräsidenten nicht erkennt, zu übertragen sei.
Nach § 55 kann gegen den Bundespräsidenten auch verhandelt werden, wenn er unentschuldigt ausbleibt oder wenn er sich ohne ausreichenden Grund vorzeitig entfernt. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß bei richtiger Auslegung des Wortes „unentschuldigt" das Bundesverfassungsgericht eine Lösung finden wird, falls der Präsident sich mehrmals entschuldigt, so daß eine Verhandlung nicht stattfinden könnte.
Nach der ursprünglichen Vorlage sollte der Berichterstatter die Anklageschrift verlesen. Der Ausschuß entschied sich dafür, daß der Beauftragte der antragstellenden Körperschaft die Anklage vorträgt.
Nun zum Urteil selbst. Nach § 56 ist im Urteil festzustellen, ob der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines genau zu bezeichnenden Bundesgesetzes schuldig ist. Der in der Vorlage vorgesehene Fall der Freisprechung wurde abgelehnt, da das Verfahren nicht mit einem Strafverfahren identifiziert werden sollte. Für den Fall, daß das Verhalten des Bundespräsidenten objektiv eine Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes darstellt, dem Bundespräsidenten aber ein Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann, hat nach Auffassung des Ausschusses der Urteilstenor dahin zu lauten, daß der Bundespräsident weder das Grundgesetz noch ein Bundesgesetz vorsätzlich verletzt hat. In' den Gründen des Urteils ist dann allerdings auszuführen, daß zwar eine objektive, nicht aber eine subjektive Verletzung des Grundgesetzes oder eines Bundesgesetzes nachgewiesen ist. Der Ausschuß hat den in der Vorlage gewählten Ausdruck der Verletzung eines genau zu bezeichnenden Bundesgesetzes ausdrücklich aufgenommen, da er in dieser Abweichung von dem Text des Grundgesetzes eine Verletzung des Grundgesetzes nicht erblickt hat. Der Gang der mündlichen Verhandlung ist im § 55 in den Grundzügen geregelt.
Nach § 57 ist eine Ausfertigung des Urteils samt Gründen dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung zu übersenden. Man war sich darüber einig, daß die allgemeinen Verfahrensvorschriften des § 30 Abs. 2, wonach alle Entscheidungen den Beteiligten zuzustellen sind, auch hier anwendbar sind. Die Zustellung als solche hat selbstverständlich eine andere Rechtswirkung als die Übersendung. Trotzdem hielt man die Übersendung an Bundesrat und Bundestag für notwendig, da diese Körperschaften möglicherweise staatsrechtliche Maßnahmen zu treffen haben. Eine besondere Erwähnung des Bundespräsidenten in § 57 erschien nicht notwendig, da dem Bundespräsidenten als Beteiligten ohne weiteres nach § 30 Abs. 2 die Entscheidung zugestellt werden muß.
Ein Wiederaufnahmeverfahren im Falle der Anklage gegen den Bundespräsidenten wurde nicht vorgesehen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß in derartig hochpolitischen Fällen ein solches Verfahren nicht denkbar ist, da man den Bundespräsidenten später nicht wieder in sein Amt einsetzen könne. Es handelt sich dann eben um einen irreparablen staatsrechtlichen Vorgang. Auch für den Fall, daß der Bundespräsident zwar für schuldig erklärt wird, der Amtsverlust aber nicht eintritt, konnte ein Wiederaufnahmeverfahren nicht in Betracht gezogen werden. Meine Damen und Herren, es ist doch wohl zu erwarten, daß diese Bestimmung betreffend die Anklage gegen den Bundespräsidenten nur theoretische Bedeutung haben wird.
Ich komme zum fünften Abschnitt, der ähnliche Voraussetzungen hat wie der vierte Abschnitt, zu § 13 Nr. 9. Die Richteranklage, meine Damen und Herren, läßt eine entsprechende Anwendung der im Verfahren gegen den Bundespräsidenten maßgebenden Vorschriften, nämlich der §§ 49 bis 55 mit Ausnahme des § 49 Abs. 3 Satz 2, § 50 und § 52 Abs. 1 Satz 2 zu. Antragsteller kann nach Art. 98 Abs. 2 des Grundgesetzes nur der Bundestag sein. Für § 58 wurde im wesentlichen die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung gewählt.
Im übrigen ist zu unterscheiden, ob der Bundesrichter im Amt oder außerhalb seines Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt. Im ersten Falle, also wenn dem Bundesrichter ein Verstoß im Amt vorgeworfen wird, beschließt der Bundestag nicht vor rechtskräftiger Beendigung des gerichtlichen Verfahrens, in dem dieser Verstoß sich ereignet haben soll, oder, wenn vorher wegen desselben Verstoßes ein förmliches Dienststrafverfahren eingeleitet worden ist, nicht vor der Eröffnung dieses Verfahrens. Nach Ablauf einer Präklusivfrist von sechs Monaten seit der rechtskräftigen Beendigung des gerichtlichen Verfahrens, in dem der Bundesrichter sich des Verstoßes schuldig gemacht haben soll, ist der Antrag nicht mehr zulässig.
Der Ausschuß ließ sich bei der Fassung dieser Bestimmungen von dem Gedanken leiten, daß man bei Vorliegen eines schwerwiegenden Verstoßes, der zur Eröffnung eines Dienststrafverfahrens geführt hat, mit der Anklage gegen den Bundesrichter nicht mehr warten könne. In den Fällen eines groben Verstoßes, der zur Eröffnung eines Disziplinarverfahrens geführt hat, kann also das Parlament noch vor dem rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Verfahrens, in dem der Bundesrichter sich des Verstoßes schuldig gemacht haben soll, einschreiten. Ist aber ein Disziplinarverfahren nicht eröffnet, dann muß unter allen Umständen die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung abgewartet werden. Diese Feststellung ist notwendig, damit die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt wird. Sonst könnte während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens der Richter der höheren Instanz durch die Erhebung der Richteranklage unter Druck gesetzt werden. Es handelt sich also bei diesen Vorschriften nicht um die Privilegierung des Richters, sondern es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als um die Sicherstellung einer unabhängigen Rechtspflege. Daher die Bestimmung, daß vor Beendigung des Verfahrens, in dem dem Richter ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorgeworfen wird, nicht zur Anklageerhebung geschritten werden kann.
Meine Damen und Herren! Für den Verstoß außerhalb des Amtes wird in Abs. 3 des § 58 ein Antrag dann nicht mehr für zulässig erklärt, wenn seit dem Verstoß zwei Jahre verflossen sind. Abs. 3 bezieht sich also ausschließlich auf Verstöße außerhalb des Amtes. Die Anklage wegen eines Verstoßes außerhalb des Amtes basiert auf der Auffassung, daß der Richter auch außerhalb seines Amtes eine erhöhte Verantwortung trägt.
Nach § 59 erkennt das Bundesverfassungsgericht auf eine der im Art. 98 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehenen Maßnahmen oder auf Freispruch. Hier also ein bewußter Gegensatz gegenüber der Anklage gegen den Bundespräsidenten.
Falls das Gericht auf Entlassung erkannt hat, tritt der Amtsverlust mit der Urteilsverkündung automatisch ein. Wird auf Versetzung in ein anderes Amt oder in den Ruhestand erkannt, so obliegt der Vollzug der für die Entlassung des Bundesrichters zuständigen Stelle. Der Amtsverlust bedeutet nach Auffassung des Ausschusses den absoluten Verlust aller Gerechtsame aus dem Amt. Eine Modifizierung der Entlassung etwa in dem Sinne, daß dem Richter ein Teil seines Gehaltes oder seiner Pension belassen werden kann, ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Deshalb kann die Entlassung nach Auffassung des Ausschusses nur schlechthin ausgesprochen werden. In einem solchen Falle steht dem Betroffenen lediglich der Weg der Begnadigung durch den Bundespräsidenten offen. Für den Vollzug der Entlassung ist selbstverständlich der zuständige Ressortminister zuständig. Die Bestimmung des § 59 Abs. 4 bedeutet lediglich eine zusätzliche Vorschrift, um auch die obersten Bundesorgane zu unterrichten. Im übrigen gelten auch hier die allgemeinen Vorschriften des § 30 Abs. 2.
Das Verhältnis eines Disziplinarverfahrens zu dem Verfahren des Bundesverfassungsgerichts regelt sich nach § 60. Ein Disziplinarverfahren kann demnach auch eingeleitet werden, nachdem das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bereits eröffnet ist. Allerdings muß es dann ausgesetzt werden. Wenn umgekehrt das Disziplinarverfahren bereits vorher eingeleitet war und das Bundesverfassungsgericht erst dann mit der Sache befaßt wird, muß auch in diesem Fall das Disziplinargericht sein Verfahren aussetzen. Beide Verfahren, Disziplinarverfahren und Bundesverfassungsgerichtsverfahren stehen völlig unabhängig nebeneinander. Ist ein Disziplinarverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen und wird zu einem späteren Zeitpunkt und auf Grund anderer Voraussetzungen die Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben und kommt dieses zu einem anderen Entscheid als das Disziplinargericht, so geht selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Die Vorschrift des ne bis in idem wird nach Auffassung des Ausschusses nicht verletzt, da das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sich völlig von dem eines Disziplinargerichts unterscheidet und kein Disziplinarverfahren ist.
§ 61 geht auf gemeinsame Anregung des Bundesrats-Rechtsausschusses und der Landesjustizverwaltungen zurück. Die übereinstimmende Auffassung war, daß ein Wiederaufnahmeverfahren im Falle der Richteranklage möglich sein sollte. Also auch hier wieder ein bewußter Gegensatz zu dem Verfahren gegen den Bundespräsidenten: bei der Richteranklage ist ein Wiederaufnahmeverfahren zulässig, bei der Anklage gegen den Bundespräsidenten ist ein solches Wiederaufnahmeverfahren nicht zulässig.
Auch § 62 entspricht einem Vorschlage des Bundesrates, wodurch die sehr wertvolle Vereinheitlichung der Richteranklage im ganzen Bundesgebiet geschaffen wird. Von diesem Grundsatz darf nicht durch einfaches Landesgesetz abgewichen werden, wenn auch das im Grundgesetz ausdrücklich aufrechterhaltene frühere Landesverfassungsrecht etwas anderes bestimmen kann. Es steht demnach einem Landesrecht frei, eine Richteranklage einzuführen. Tut es dies, so muß die Entscheidung über die Richteranklage dem Bundesverfassungsgericht zustehen, und zwar in dem Verfahren, das das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vorschreibt.
Ich komme zum sechsten Abschnitt, § 13 Nr. 5. Meine Damen und Herren! Art. 93 Abs. 1 Ziffer 1 des Grundgesetzes bestimmt die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Bei der Auslegung dieses Artikels war davon auszugehen, daß nur bei einem echten Streit zwischen Verfassungsorganen über einen bestimmten Sachverhalt ein Bedürfnis nach einer Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht vorliegt. Es muß sich also in allen diesen Fällen, die vor das Gericht gebracht werden können, materiell um einen konkreten Streit handeln. Daraus folgt, daß die am Streit beteiligten Organe, die in § 63 aufgeführt werden, als Antragsteller und als Antraggegner im Verfahren auftreten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat sich auf die Auslegung des Grundgesetzes zu beschränken. Demnach kann das Gericht nur feststellen, was Rechtens ist, und mit dieser Feststellung das Grundgesetz auslegen. Ein Urteil, das eine Verpflichtung zur Unterlassung oder zur Durchführung einer Maßnahme auf-
erlegt, ist daher in diesen Fällen ausgeschlossen. Antragsteller und Antraggegner können nur sein: der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, der ständige Ausschuß nach Art. 45 des Grundgesetzes, die Bundesregierung und die im Grundgesetz und in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde der Ausdruck „Teile dieser Organe" der Fassung des Entwurfs vorgezogen. Hierunter sind insbesondere die Fraktionen zu verstehen.
In § 64 wurde der im Entwurf für die Antragsfrist bestimmte Zeitraum von drei Monaten auf sechs Monate erhöht. Auch dies entspricht einem Vorschlag des Bundesrates.
Der neu eingefügte Abs. 2 des § 65 soll zur Unterrichtung der daselbst genannten Organe dienen. Man war der Auffassung, daß die Unterrichtung schon deshalb notwendig ist, weil diese Organe einschließlich des Bundespräsidenten die Möglichkeit des Beitritts haben müssen.
Die in § 66 vorgesehene Verbindung oder Trennung von anhängigen Verfahren bezieht sich selbstverständlich nur auf solche Verfahren, die die Auslegung des Grundgesetzes betreffen.
§ 67 läßt im Gegensatz zur Regierungsvorlage auch eine abstrakte Feststellung in beschränktem Umfange zu. Diese Erweiterung entspricht den von der Sozialdemokratischen Partei vorgetragenen Wünschen. Der Tragweite der Bestimmung entsprechend ist sie als Kann - Vorschrift eingefügt worden. Das Ausmaß der Entscheidung hängt von der Entscheidung des konkreten Falles ab. Man wollte durch diese Bestimmung dem Bundesverfassungsgericht die Befugnis zu einer authentischen Auslegung von Bestimmungen des Grundgesetzes zuerkennen, hat dies aber bewußt in Form einer Kann-Vorschrift getan. Damit ist gesagt, daß das Bundesverfassungsgericht eine Auslegung nur insoweit geben kann, als sie für den zu behandelnden Fall von Bedeutung ist. Spielt also zum Beispiel die Auslegung des Art. 59 des Grundgesetzes, das heißt die Frage, ob internationale Abkommen der Ratifizierung durch den Bundestag unterliegen, eine Rolle, dann hat das Bundesverfassungsgericht ausschließlich die für diesen konkret vorliegenden Fall bedeutsame Rechtsfrage zu entscheiden. Von der Befugnis, eine über den Streitgegenstand hinausgehende Entscheidung zu fällen, darf nach Auffassung des Ausschusses nur mit größter Vorsicht Gebrauch gemacht werden, nämlich dann, wenn eine solche Entscheidung im inneren Zusammenhang mit der zu behandelnden Rechtsfrage steht. Eine derartige Entscheidung hat keine Gesetzeskraft; sie bindet zwar die Beteiligten, wird aber nicht im Gesetzblatt veröffentlicht.
Ich komme zum siebenten Abschnitt, § 13 Nr. 7. Nach Art. 93 Abs. 1 Ziffer 3 ist das Bundesverfassungsgericht zuständig bei Meinungsverschiedenheiten über die Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht. In dem Fall der Ausübung der Bundesaufsicht kommt die Vorschrift des Art. 84 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes zur Anwendung, wonach bei der Feststellung von Mängeln bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern gegen einen Beschluß des Bundesrates das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. Hier handelt es sich demnach einmal um Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Exekutive, zum andern um eine Mängelrtige im Sinne des Art. 84 Abs. 4 des Grundgesetzes. In allen diesen Fällen wird der Bund durch die Bundesregierung und das Land durch die Landesregierung repräsentiert. Diese sind daher allein am Verfahren beteiligt.
Die Vorschriften der §§ 64 bis 67, die für die oben behandelten Fälle gelten, sollen auch hier zur entsprechenden Anwendung kommen. Der nach Art. 84 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes erlassene Beschluß des Bundesrates soll nur innerhalb eines Monats nach der Beschlußfassung angefochten werden können.
Nun der achte Abschnitt, § 13 Nr. 8. Nach Art. 93 Abs. 1 Ziffer 4 hat das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist. Daraus ergibt sich: Bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern und zwischen verschiedenen Ländern handelt es sich in Übereinstimmung mit der Praxis des Staatsgerichtshofs stets um Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art. Dabei stehen sich die Länder als solche, nicht aber ihre Organe gegenüber. Im Gegensatz zu Ziffer 1 und 2 des § 71, der diese Materie betrifft, behandelt Ziffer 3 öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen verschiedenen Organen eines Landes. Unter öffentlich-rechtlichen Steitigkeiten sind hier Verfassungsstreitigkeiten zu verstehen. Demnach sind Antragsteller und Antragsgegner im Falle von Ziffer 1 Bundesregierung und Landesregierung und im Falle von Ziffer 2 die Landesregierungen. In beiden Fällen wird das Land nur von seiner Regierung vertreten. Im Falle von Ziffer 3 — bei öffentlichrechtlichen Streitigkeiten innerhalb eines Landes — können dagegen alle Verfassungsorgane des Landes und die mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe Partei sein.
Nach § 72 kann das Bundesverfassungsgericht erkennen auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Maßnahme, auf die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Maßnahme zu unterlassen, rückgängig zu machen, durchzuführen oder zu dulden, und nach Ziffer 3 auf die Verpflichtung, eine Leistung zu erbringen. Im Falle des § 71 Ziffer 3, also bei Organisationsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, stellt das Gericht fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung der Landesverfassung verstößt. Die bereits behandelte Vorschrift des § 67 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Demnach kann auch hier eine für die Auslegung der Landesverfassung erhebliche Rechtsfrage mit entschieden werden, wenn von deren Entscheidung das Urteil abhängt.
Der neunte Abschnitt, § 13 Nr. 10. Nach Art. 99 des Grundgesetzes kann dem Bundesverfassungsgericht durch Landesgesetz die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes zugewiesen werden. Die Länder sind also ermächtigt, unter Verzicht auf eigene Landesverfassungsgerichte die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten dem Bundesverfassungsgericht zu übertragen. Der Kreis der Beteiligten ist ebenso abgegrenzt wie in den vorhergehenden Fällen. Das heißt, nur die obersten Organe eines Landes und die in der Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Organs mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe können am Verfahren beteiligt werden. Die Entscheidung ist entsprechend dem bereits behandelten § 72 zu fällen. Dazu ist zu bemerken, daß bis jetzt alle Länder bis auf Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht haben oder in Kürze bekommen. Die
Bestimmung des § 75, wonach die allgemeinen Vorschriften des II. Teiles dieses Gesetzes entsprechend gelten, war notwendig, um zu verhüten, daß die Länder allgemeine Verfahrensvorschriften erlassen. Wenn ein Land das Bundesverfassungsgericht anruft, muß es sich auch den dort geltenden Vorschriften unterwerfen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum 10. Abschnitt, § 13 Nr. 6. Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 des Grundgesetzes bestimmt die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht, und zwar auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages. Eines förmlichen Antrags im Bundestag bedarf es hierzu nicht; vielmehr kann ein Drittel der Abgeordneten den entsprechenden Antrag unmittelbar beim Bundesverfassungsgericht einreichen.
Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die sogenannte abstrakte Normenkontrolle. Der Kreis der Antragsteller ist in Art. 93 des Grundgesetzes gezogen. In § 77 ist bestimmt, daß den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist zu geben ist. E's ist selbstverständlich, daß, ohne daß dies im Gesetz ausdrücklich erwähnt wird, auch die Bürgerschaft und der Senat der Hansestädte Hamburg und Bremen in den Kreis der von § 77 umschlossenen Organe fallen. Unter Landesregierung und Landtag sind demnach in Hamburg und Bremen Senat und Bürgerschaft zu verstehen.
Wenn nun die Nichtigkeit von Bundes- oder Landesrecht, da mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, festgestellt wird, können auch weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus den gleichen Gründen für nichtig erklärt werden. Eines besonderen Antrages bedarf es hierzu nicht. Vielmehr kann das Gericht auch ohne Antrag eine solche Entscheidung erlassen. Man kam zu dieser Bestimmung in Fortentwicklung des Rechtes der Weimarer Zeit. Zu diesem Zweck mußte die damals fehlende Grundlage hier neu geschaffen werden. Wenn z. B. einige Paragraphen eines Gesetzes für nichtig erklärt werden, so bleibt das Gesetz als solches, eben der Rest des Gesetzes, bestehen. Ein Recht des Bundesverfassungsgerichtes, neues Recht zu schaffen, besteht nicht und konnte nicht anerkannt werden. Verfahrensverstöße werden im allgemeinen das ganze Gesetz umgreifen, während materielle Verstöße nur die einzelnen Bestimmun- gen nichtig machen.
Die jetzige Formulierung des § 79 ist das Ergebnis langer und eingehender Verhandlungen. Man hat sich die Frage vorgelegt: Was soll mit den Entscheidungen, also mit Verwaltungsakten, mit Urteilen, mit Beschlüssen geschehen, die auf Normen beruhen, die auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofes für nichtig erklärt worden sind? Welche Folgerungen sind aus dieser Nichtigerklärung zu ziehen? Der Ausschuß hat sich bemüht, auch die Folgen von Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, zu erfassen. Man hatte zunächst den Grundsatz der objektiven Schadenshaftung aufgestellt. Nach eingehender Prüfung drang aber doch die Überzeugung durch, daß der Rechtsfriede und die Rechtssicherheit dem Rechtsschutz des einzelnen vorgehe. Dies gilt insbesondere für Verwaltungsakte und für Entscheidungen auf dem Gebiete des Zivilrechts. Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß man im Interesse der Rechtssicherheit auf diesen Gebieten Normenverletzungen des objektiven Rechts, ähnlich wie bei der durch die Rechtsprechung entwickelten Rechtskrafttheorie, hinnehmen müsse. Eine Ausnahme glaubte der Ausschuß nur auf ,dem Gebiete des Strafrechts machen zu müssen, da die Vollstreckung von Strafen, die auf Grund einer für nichtig erklärten Norm ausgesprochen worden sind, nicht verantwortet werden kann. In solchen Fällen mußte daher die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ein rechtskräftiges Strafurteil nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zugelassen werden. Im Zivilrecht besteht die Möglichkeit, Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung von Urteilen, die auf einer für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruhen, zu erheben. Dagegen mußten im Interesse der Rechtssicherheit Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend ergibt sich daraus: Bestehende Rechtsbehelfe werden durch § 79 nicht ausgeschlossen. Wo keine Rechtsbehelfe vorhanden sind, werden keine neuen geschaffen, mit Ausnahme des für ein rechtskräftiges Strafurteil gegebenen Wiederaufnahmeverfahrens.
Für Verwaltungsakte bedeutet dies folgendes: Nicht mehr anfechtbare Verwaltungsakte behalten ihre Wirkung. Frei zurücknehmbare Akte können nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Verwaltungsbehörde zurückgenommen oder aufrechterhalten werden. Im übrigen ergibt sich aus der Tatsache, daß Verwaltungsakte von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben, nur, daß dort, wo nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein normaler Rechtsbehelf möglich ist, dieses Recht durch § 79 nicht ausgeschlossen wird. Eine Anfechtung ist in solchen Fällen darauf zu stützen, daß der Akt keine gesetzliche Grundlage mehr habe und daher aufzuheben sei. Für die Fälle, in denen durch die Regelung des § 79 für die Beteiligten eine besondere Härte entsteht, sieht das Gesetz vor, daß der Gesetzgeber durch eine be- sondere gesetzliche Regelung eingreifen kann.
Eine weitere Ausnahme von der Regel des § 79 gilt für den Fall, daß die Entscheidung — Verwaltungsakt, Beschluß oder Urteil —, die auf Grund der für nichtig erklärten Norm ergangen ist, durch Verfassungsbeschwerde angegriffen worden ist. Hierüber hat sich Herr Kollege Professor Dr. Wahl schon eingehend verbreitet, so daß ich auf seine Ausführungen Bezug nehmen kann. In diesem Fall ist das Bundesverfassungsgericht berechtigt und verpflichtet, die Entscheidung aufzuheben, wenn die Verfassungsbeschwerde begründet ist.
Elfter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 11. In Art. 100 des Grundgesetzes wird das richterliche Prüfungsrecht in den Fällen, in denen ein Gericht eine Rechtsnorm wegen ihrer Unvereinbarkeit mit einer Rechtsnorm höheren Ranges nicht anwenden will, bei dem Bundesverfassungsgericht konzentriert. Auch hier handelt es sich um eine echte Normenkontrolle, die einem Gericht Anlaß zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gibt. Gegenüber der Regierungsvorlage ist in § 80 insofern eine Änderung vorgenommen worden, als die Vorlage bei dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar über das zuständige obere Bundesgericht und, soweit es sich um Länderrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes zu erfolgen hat. Das vom Bundesrat befürwortete Verfahren, den Antrag des Gerichts über die Landesjustizverwaltung weiterzuleiten, wurde für unzweckmäßig gehalten, da gerade verhindert werden soll, daß der Präsident oder irgendeine Justiz-.
verwaltungsstelle den Richter irgendwie beeinflußt. Gericht im Sinne dieser Bestimmung ist nach Auffassung des Ausschusses stets das erkennende Gericht, also die Kammer oder der Senat, nicht aber der Präsident des Gerichts.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist 'in Anlehnung an den SPD-Entwurf auch den Prozeßbeteiligten des Rechtsstreits, der Anlaß zur Vorlage der Rechtsfrage bot, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von einer Prozeßrüge. Man war sich darüber klar, daß dieser Absatz 3 des § 80 in denjenigen Prozessen, in denen Amtsbetrieb herrscht, entbehrlich, im Parteiprozeß dagegen unentbehrlich ist. Selbstverständlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht nur über die Rechtsfrage, nicht dagegen über den anhängigen Prozeß.
Zwölfter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 12. Nach Art. 100 Abs. 2 des Grundgesetzes ist in einem Rechtsstreit. wenn Zweifel auftauchen, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den einzelnen erzeugt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht kann nun zwar mit Gesetzeskraft feststellen, daß eine Regel des Völkerrechts Bundesrecht ist; es kann aber nicht mit gleicher Wirkung feststellen. daß sie objektives Völkerrecht ist. Die Prüfung der Frage, ob eine solche Regel des Völkerrechts besteht, muß das Gericht zwar vornehmen, aber eine in den Tenor aufzunehmende Feststellung würde die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts überschreiten, da dieses nur zur Entscheidung über das Bestehen dieser völkerrechtlichen Regel als Bundesrecht befugt ist. Da solche Entscheidungen unter Umständen sehr schwerwiegende und weittragende Folgen nach sich ziehen. ist dem Bundesrat. dem Bundestag und der Bundesregierung Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Im übrigen gilt für die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht dieselbe Regelung wie bei der vom Gericht beantragten Normenkontrolle.
Dreizehnter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 13. Nach Art. 100 Abs. 3 des Grundgesetzes muß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden, wenn das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines anderen Landes abweichen will. Bundesrat und Bundesregierung und. wenn von der Entscheidung des Verfassungsgerichts eines Landes abgewichen werden soll, diesem Gericht ist Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist zu gewähren. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auch hier nur über die Rechtsfrage.
Vierzehnter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 14. Nach Art. 126 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht bei Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht zu entscheiden. Die Antragsberechtigung des Bundestages, des Bundesrates, der Bundesregierung und der Landesregierungen wurde in § 86 Abs. 1 festgelegt. Ebenso hat ein Gericht, wenn in einem anhängigen Verfahren streitig und erheblich ist, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Man glaubte durch die Fassung „streitig" den im Grundgesetz aufgestellten Begriff der „Meinungsverschiedenheiten" zu erfassen, hielt es aber für notwendig, durch Aufstellung der Erheblichkeit als weiterer Voraussetzung einer allzu weiten Auslegung des Begriffs „Meinungsverschiedenheiten" vorzubeugen.
Die Rechtslage bei Art. 126 des Grundgesetzes ist nach Auffassung des Ausschusses eine andere als bei Art. 100 des Grundgesetzes. Im letzteren Falle handelt es sich darum, ob eine Bestimmung nichtig ist, bei Art. 126 dagegen um die Frage, ob eine Norm als Länderrecht oder als Bundesrecht gültig ist oder fortbesteht. Es wird rechtspolitisch von großer Bedeutung sein, daß so die Möglichkeit gegeben wird, binnen verhältnismäßig kurzer Zeit die vielfältigen Streitigkeiten zu bereinigen, ob eine Norm Bundesrecht oder Landesrecht ist.
Meine Damen und Herren, ich komme nun noch zu dem sechzehnten Abschnitt, der sich mit der Einholung eines Gutachtens bei dem Bundesverfassungsgerichtshof befaßt. Ein Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts kann nur durch gemeinsamen Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gefordert werden. Der gemeinsame Antrag erschien notwendig, um eine übermäßige Inanspruchnahme des Gerichts zu vermeiden. Auch der Bundespräsident kann ein Rechtsgutachten anfordern. Diese Möglichkeit ist politisch besonders bedeutsam für den Fall, daß der Bundespräsident gegen ein von ihm auszufertigendes Gesetz verfassungsrechtliche Bedenken hat. Das Gutachten ist vom Plenum des Bundesverfassungsgerichts zu erstatten. Eine bindende Wirkung gemäß § 31 Abs. 2 kommt ihm nicht zu.
Meine Damen und Herren! Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Ich habe versucht, die sehr spröde und trockene Materie der besonderen Verfahrensarten hier in möglichster Kürze darzustellen.
— Sie lachen, meine Damen und Herren, aber noch kürzer war es wirklich bei der Wichtigkeit dieser Materie nicht zu machen!
Meine Damen und Herren! Wir hoffen, daß die Vorlage über den Bundesverfassungsgerichtshof Gesetz wird. Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß das Bundesverfassungsgericht ein Wahrer der freiheitlichen Demokratie, ein Hüter der Verfassung werden möge, daß seine Richter ihres Amtes unbeeinflußbar, unparteiisch, frei von Furcht und keinem Drucke irgendwelcher Art nachgebend walten mögen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich glaube, daß wir allen drei Herren Berichterstattern unseren Dank aussprechen sollten für die Mühe, die sie sich gemacht haben. Wir können uns auch darüber freuen, daß die Herren Kommentatoren nun die vortrefflichsten Materialien zur Verfügung haben werden.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat ist der Meinung, daß Ihnen vorgeschlagen werden sollte, die Beratung in zweiter Lesung nicht heute vorzunehmen, auch die Abstimmung nicht, sondern die zweite Beratung nunmehr zu unterbrechen und in der nächsten Woche an einem Tage und zu einer Stunde fortzusetzen, die der Herr Präsident im Einvernehmen mit dem Ältestenrat festlegen wird. Sind Sie einverstanden?
Nun rufe ich auf Punkt 3 der Tagesordnung: Zweite Beratung des Entwurfs eines Wahl-
prüfungsgesetzes ;
Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Nr. 1756 der Drucksachen).
Der Herr Kollege Ewers, der das Amt des Berichterstatters übernommen hat, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, seinen Bericht zu diktieren. Er wird dem Hause schriftlich übermittelt werden.
Dafür können wir leider nicht schon heute in die weitere Beratung eintreten, geschweige denn abstimmen. Wir werden die Weiterbehandlung der zweiten Lesung vertagen müssen. Ich schlage Ihnen vor: auf Mittwoch, den 24. Januar, als ersten Punkt der Tagesordnung. Sind Sie einverstanden?
Dann rufe ich auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nr. 1764 der Drucksachen, Änderungsantrag Umdruck Nr. 38).
Hier haben sich die Fraktionen dahin verständigt, daß dieser Punkt abgesetzt werden möge. Da der Herr Bundeswirtschaftsminister am Mittwoch nicht zur Verfügung stehen kann, soll dieser Punkt als Punkt 1 der Tagesordnung vom nächsten Donnerstag aufgerufen werden. Ich stelle das Einverständnis des Hauses fest.
Meine Damen und Herren, dann sind wir am Ende.
— Wir sind am Ende; auch das hat ein Ende gefunden.
Ich berufe die nächste Sitzung, die 113. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 24. Januar 1951, 13 Uhr 30 Minuten, und schließe die 112. Sitzung des Deutschen Bundestages.