Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst eine Übersicht über die Entwicklung der Beratungen über die Gesetzesvorlage im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu geben. Am 14. Dezember 1949 brachte die Fraktion der SPD im Bundestag mit Drucksache Nr. 328 den Initiativentwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ein. Der Entwurf wurde in der 28. Sitzung des Bundestages am 19. Januar 1950 nach der ersten Beratung dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Die Bundesregierung legte den Entwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Drucksache Nr. 788 in der 56. Sitzung des Bundestages am 31. März 1950 vor, nachdem der Bundesrat innerhalb seiner verfassungsmäßigen Frist seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf formuliert hatte. Auch dieser Entwurf wurde nach der ersten Beratung im Plenum dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur weiteren Bearbeitung überwiesen.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht befaßte sich mit dem Thema zum ersten Mal in seiner 21. Sitzung am 15. März vorigen Jahres, in der Referent und Korreferent einen Überblick über die Gesetzesmaterie gaben. In seiner 22. Sitzung am 16. März 1950 waren die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundesrates anwesend, die die Auffassung des Bundesrates zum Regierungsentwurf darlegten. In der folgenden Sitzung am 21. März wurde eine Generaldebatte geführt, die in der nächsten Sitzung auf die einzelnen Hauptprobleme spezialisiert wurde. Zum Abschluß der Generaldebatte hörte der Ausschuß die Präsidenten der Verfassungsgerichtshöfe der Länder Bayern, Hessen und Württemberg-Baden als Sachverständige zu einer Reihe von Fragen an.
Danach trat der Ausschuß in die erste Lesung des Gesetzestextes &n. In der ersten Lesung wurden nur die Probleme erörtert, ohne daß Abstimmungen stattfanden. Es wurden lediglich Anregungen und Vorschläge gegeben, die in der zweiten Lesung berücksichtigt werden sollten. Die erste Lesung erstreckte sich auf eine Reihe von Sitzungen, die bis in die Mitte des Juli vorigen Jahres reichten. Nach Abschluß der ersten Lesung beschloß der Rechtsausschuß, einen Unterausschuß einzusetzen, der versuchen sollte, die in der Generaldebatte sowie in der ersten Lesung aufgetretenen unterschiedlichen Auffassungen zu einer Übereinstimmung zu bringen. Die Vertreter des Bundesjustizministeriums waren bei den Beratungen des Unterausschusses anwesend. Der Kompromißvorschlag des Unterausschusses wurde sodann dem Gesamtausschuß vorgelegt. Dieser verhandelte über den Entwurf in zwei weiteren Lesungen. Das Ergebnis liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 1724 vor.
Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht waren sich von Anfang an darüber im klaren, daß die Organisation des Bundesverfassungsgerichtes so installiert werden müßte, daß sie vom Willen aller Fraktionen, aller Parteien und damit von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes getragen würde, Der Rechtsausschuß und der Unterausschuß haben sich in sehr sorgfältigen Beratungen intensiv bemüht, dieses grundlegende Verfassungsgesetz in dieser Weise zustande zu bringen. Das, was Ihnen vorliegt, wird von dem Willen aller im Rechtsausschuß vertretenen Fraktionen getragen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß seit dem Erlaß des Grundgesetzes keine Gesetzesvorlage eine so große verfassungsrechtliche Bedeutung hat wie dieses Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Wenn wir uns fragen, was wir im Kern der Dinge dem Bolschewismus entgegenzusetzen haben, so ist es die Idee des Rechtsstaates. Das Bundesverfassungsgericht ist die Krönung des Rechtsstaates, und mit diesem Gesetz, das nicht nur institutionelle, nicht nur organisatorische Bedeutung hat, sondern einen großen materiellen, verfassungsrechtlichen Inhalt hat, wird eine alte Rechtsentwicklung in Deutschland zur Vollendung geführt.
Der Ausschuß hat über das grundsätzliche Wesen der Staatsgerichtsbarkeit eingehende Aussprachen gepflogen. Im Verlauf der Debatte ist immer wieder die Erscheinung jener beiden Begriffe hervorgetreten: der Unterschied zwischen einer Rechtsentscheidung und einer politischen Entscheidung. Es war damals der Minister Katz als Vertreter des Bundesrates, der in einer Sitzung des Ausschusses zum Ausdruck brachte, grob ausgedrückt handle es sich bei den Fällen, die vor dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung kommen sollten, um politische Entscheidungen in juristischem Gewand. Er hat diese Formulierung im Anschluß an die Feststellung geprägt, daß durch die Fälle der Art. 72 und 73 des Grundgesetzes Dinge juridizierbar gemacht worden sind, die sich ihrem Wesen nach der richterlichen Entscheidung, der Justitiabilität entziehen. Dennoch ist diesem Einwand oder dieser Formulierung des Herrn Landesministers Katz von den Mitgliedern des Ausschusses zum Teil scharf widersprochen worden. Es war der Kollege Jaeger, der ausführte, daß das Bundesverfassungsgericht nicht politische Entscheidungen zu fällen, sondern den juristischen Kern, der in einem Streitfall enthalten ist, herauszustellen habe. Herr Kollege Etzel bezeichnete das Bundesverfassungsgericht als das oberste Organ der Verfassungsgarantie.
Besonders klärend waren die Ausführungen, die der Kollege Arndt zu diesem Punkt der Debatte gemacht hat. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich bei Entscheidungen der Staatsgerichtsbarkeit nicht um Willensentscheidungen handle, also nicht um politische Entscheidungen, wie sie das Parlament oder andere zur politischen Willensbildung berufene Institutionen zu fällen haben. Herr Kollege Arndt hat dies Problem dahingehend formuliert, das Bundesverfassungsgericht habe den im Grundgesetz vorhandenen, wenn auch oft nicht klar erkennbaren Willen des Verfassungsgesetzgebers zu achten und sozusagen an das Licht zu heben. Kurz formuliert könnte man sagen: Bei Entscheidungen einer Staatsgerichtsbarkeit handelt es sich um echte richterliche Entscheidungen, bei denen nicht etwas
erfunden wird, was im Grundgesetz nicht enthalten ist, sondern bei denen das, was als Gehalt des Willens des Gesetzgebers tatsächlich vorentschieden schon vorhanden ist, gefunden wird. Es ist also nicht die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, mit ihren Entscheidungen politische Willensentscheidungen, die Arbeit des Gesetzgebers zu ersetzen oder irgendeinen Griff in die Sterne zu tun; es ist die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, das, was im Grundgesetz vom Willen des Gesetzgebers vorentschieden ist, zu finden und damit zu konkretisieren.
Mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage möchte ich aus der Generaldebatte die Ausführungen der Ausschußmitglieder wiedergeben, da sie für das ganze Wesen dieser Gerichtsbarkeit und die spätere Auslegung und die Tragweite ihrer Entscheidungen von Bedeutung sind. Es war der Kollege Arndt, der sich gegen die von Herrn Dr. Süsterhenn vertretene Lehre wandte, daß der Richter nicht nur dem Gesetz, sondern auch seinem Gewissen, ja in erster Linie seinem Gewissen unterworfen sei. Diese Lehre, die eine naturrechtliche Lehre ist, ist durch Ausführungen von Herrn Rotberg aufgenommen und durch Arbeiten des Professors Jerusalem weitergebildet worden. In den Debatten ist zum Ausdruck gebracht worden, daß eine solche Auffassung vom Wesen der Staatsgerichtsbarkeit Dynamit enthalte und damit präjudizierend für das Ende der richterlichen Unabhängigkeit sei; denn wenn eine solche Auffassung Schule mache, bekämen wir eine Gegenbewegung, die die richterliche Unabhängigkeit dann aus den Angeln heben müsse. Infolgedessen würden bei der Befolgung dieser Grundansicht die Beschlüsse des Parlaments aus den Angeln gehoben werden können. Der Richter wäre dann nicht gehalten, sich den im Parlament zum Ausdruck gebrachten Auffassungen zu fügen, und könnte sich im Gegensatz zu den demokratischen Entscheidungen des Parlaments an den Richtlinien einer ewigen Gerechtigkeit orientieren. Das Bundesverfassungsgericht aber werde nicht über ewige oder nichtewige Grundsätze zu entscheiden haben, sondern es habe eine klare Richtlinie für seine Rechtsprechung, nämlich das Grundgesetz, allenfalls noch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts.
Über die Frage, ob im Grundgesetz lediglich vorstaatlich gegebene Naturrechte kodifiziert sind oder ob es sich dabei um menschlich gesetztes Recht handelt, werde man katholischer- und lutherischerseits — so führte der Kollege Arndt aus — verschiedener Ansicht sein. Aber diese Frage könne bei einer richtigen Haltung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nicht auftreten. Das Bundesverfassungseericht habe die gesetzgeberischen und sonstigen Ereignisse nur am Grundgesetz zu messen. Es könne sich — und das war die übereinstimmende Auffassung des gesamten Ausschusses — beim Bundesverfassungsgericht nur uni ein echtes Gericht handeln. welches zur Entscheidung darüber berufen sei, ob die Maßnahme eines gesetzrebenden oder verwaltenden Organs mit dem Grundgesetz vereinbar sei oder nicht. Das sei das Generalthema der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts.
Das Bundesverfassungsgericht und die Staatsgerichtsbarkeit überhaupt — so fuhr damals Kollege Arndt bei der Generaldebatte fort — sei etwa gegenüber einem Zivil- oder auch einem Strafgericht strukturell ein aliud. und zwar deswegen, weil es nicht einen Einzelfall zu entscheiden habe. sondern weil alles, was es tue und entscheide, mindestens materiell, mindestens in der Konsequenz eine Wirkung für das Ganze habe. Der Zivilprozeß Müller gegen Schulze könne eine sehr wichtige Rechtsfrage enthalten. Aber es habe seinen Sinn, daß die Rechtskraft hier nur inter partes, nur zwischen den streitenden Teilen gelte, weil keine Enscheidung für das Staatsganze falle. So auch in jedem Strafprozeß. Dagegen sei es das Eigentümliche der Staatsgerichtsbarkeit, daß man ihre Verfahren nicht wie einen Zivil- und Strafprozeß beliebig oft wiederholen könne oder daß sie nur für einen Einzelfall eine Entscheidung brächten, sondern sie brächten immer eine Entscheidung für die . Gesamtheit, für den Staat als Ganzes. Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Staatsgerichtsbarkeit und allen anderen gerichtlichen Verfahren müsse deutlich erkannt werden.
Daraus würden sich — so fuhr damals Kollege Arndt fort — erhebliche Folgerungen für die Einzelverfahren ergeben, die nicht in der Form eines Parteienstreites nach dem Vorbild eines Zivilprozesses aufgebaut werden könnten. Es liege insoweit eine substantielle Unterscheidung gegenüber allen anderen Gerichtsbarkeiten vor. Das Bun desverfassungsgericht habe als echtes und unabhängiges Gericht zu handeln, wobei unter einem echten Gericht ein Organ zu verstehen sei, das nicht politische Entscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen zu treffen. d. h. etwas zu erkennen habe, was bereits entschieden sei.
Aus dieser Grundstruktur und aus dieser grundsätzlichen Stellung des Gerichtes wurden in dieser Generaldebatte die drei wichtigsten Grundprobleme entwickelt, die bei der gesamten Gesetzesvorlage zur Entscheidung standen: erstens die Frage des Plenarprinzips, d. h. wie überhaupt die Verfassung des Bundesgerichts aussehen solle, zweitens das Verhältnis zwischen den beamteten und den nichtbeamteten Richtern im Bundesverfassungsgericht und drittens die Art der Richterwahl in das Bundesverfassungsgericht.
Gegenstand meines Berichts sind diese organisatorischen Fragen sowie die damit eng zusammenhängenden Schlußbestimmungen des Gesetzes. Bevor ich aber auf diese einzelne Problematik eingehen kann, ist es notwendig, einen Rückblick auf die Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in Deutschland zu tun. Es war der hier in Bonn amtierende Professor Friesenhahn, der bereits im Jahre 1932 im Handbuch des deutschen Staatsrechts einen grundlegenden Artikel über das Wesen der Staatsgerichtsbarkeit geschrieben hat. Er hat in diesem Artikel eine Theorie der Staatsgerichtsbarkeit aufgestellt, die zu kennen nützlich ist, um zu erfahren, in welch konkreter Form das Bundesverfassungsgericht bei der Gesamtentwicklung dieses Problems einen erheblichen Fortschritt darstellt. Professor Friesenhahn unterscheidet drei Arten von Staatsgerichtsbarkeit: die Verfassungsgerichtsbarkeit in engerem Sinn, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die zur Schlichtung des Streites zwischen den Organen und den Willensträgern des Verfassungslebens möglich ist; die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die dem Gegenstand nach den Streit zwischen dem Bund — dem Gesamtstaat — und den Gliedern zu schlichten hat, d. h. die Beziehungen, die zwischen Bund und Gliedern bestehen, richterlich zu entscheiden hat, Beziehungen, die also stets auf der Grundlage der Bundesverfassung beruhen; und schließlich die sogenannte Bundesgerichtsbarkeit, wobei es sich um Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten eines Bundes handelt. Neben diesen Verfassungsstreitigkeiten im engeren Sinn ist das Verfassungsgericht oder das Staatsgericht in der Regel auch zuständig für die Ministeranklage, für
die Prüfung von Wahlen, für die abstrakte Normenkontrolle, für die Entscheidung von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Verfassung, für eine gutachterliche Tätigkeit und möglicherweise für die Verfassungsbeschwerde, eine Einrichtung, die früher in ihrer Tragweite wenig erkannt wurde und die bisher in der Wissenschaft und in der Praxis als der Verwaltungsgerichtsbarkeit benachbart bezeichnet worden ist.
Die positiv-rechtliche geschichtliche Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits im alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es mehrere Reichsgerichte, die solche ständische Streitigkeiten auszutragen hatten. Nach der deutschen Verfassungstheorie ist die Verfassung, um es kurz auszudrücken, ein Vertrag zwischen der Krone und der Volksvertretung. Diese Verfassungstheorie, die die Verfassungsurkunde als einen Vertrag betrachtet, trägt deutlich die Tradition ständischer Auffassung an der Stirn. In der Wiener Schlußakte ist für den Deutschen Bund in Art. 60 und 61 eine Verfassungs- und Staatsgerichtsbarkeit vorgesehen, die durch den Bundesbeschluß vom 30. Oktober 1834 konkretisiert worden ist. Damals wurde das Bundesschiedsgericht eingeführt. Art. 1 dieses Bundesbeschlusses des Deutschen Bundes vom 30. Oktober 1834 hat in Art. 76 Abs. 2 der Reichsverfassung von 1871 seinen Niederschlag gefunden, in dem der Bundesrat für solche staatsgerichtliche Entscheidungen zuständig gemacht wurde. Es handelt sich beim Bundesrat aber um ein politisches Organ, das in engen Grenzen Verfassungsstreitigkeiten zu entscheiden hatte.
Um die Fortschritte zu sehen, die die Entwicklung dieser Frage genommen hat, ist es wichtig, den alten Art. 76 zu zitieren. Dort war der Bundesrat für zuständig erklärt, auf Anrufen des einen Teils erstens Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, zu erledigen; zweitens Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.
Aus diesem Art. 76 der alten Reichsverfassung
von 1871 ist Art. 19 der Reichsverfassung von Wei-
mar entstanden. Art. 19 lautete wie folgt:
Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.
Wir sehen hier eine Fortentwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in zweierlei Hinsicht: Einmal tritt an die Stelle des politischen Gremiums des Bundesrats ein echtes Gericht, der Staatsgerichtshof. Zum andern wird die Kompetenz dieses Staatsgerichtshofs nicht unerheblich erweitert, indem auch Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern in die Kompetenz des Staatsgerichtshofs mit einbezogen werden. Nicht aber gehörte zur Kompetenz des Staatsgerichtshofs die Enscheidung überReichsverfassungsstreitigkeiten. Die grundlegende Entscheidung hierüber finden Sie im 118. Band der Reichsgerichtsentscheidungen im Anhang 4. Dort wird entschieden, daß auch eine Reichsverfassungsstreitigkeit unter die Kompetenz des Staatsgerichtshofs fällt, wenn sie innerhalb eines Landes entstanden ist und die Normen der Reichsverfassung in diesem Streit eine die Landesverfassung ergänzende Anwendung finden. Der Schritt, der hier zur Erweiterung der Kompetenz der Staatsgerichtsbarkeit gemacht worden ist, bedeutete also einen nicht unerheblichen Einbruch in die Möglichkeit, Streitigkeiten mit politischer Tragweite justiziabel zu machen. Diese Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit fand im Jahre 1933 durch den Absolutismus des Führerstaates ein Ende.
Um nun zu sehen, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundlage hier einen ganz erheblichen Schritt weitergegangen ist, ist es erforderlich und nützlich, die Vorgeschichte der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat zu streifen. Hierbei war vor allem die Denkschrift „Die oberste Bundesgerichtsbarkeit" grundlegend, die der jetzige Staatssekretär. damaliges Mitglied des Parlamentarischen Rates, Dr. Strauß verfaßt hat und die später veröffentlicht worden ist. Unter den Leitsätzen, die Dr. Strauß hier ausgearbeitet hat, finden sich folgende Forderungen:
Auszunehmen von der Gerichtsbarkeit des Obersten Bundesgerichts sind die politischen Verfassungssachen. Diese sind angesichts der besonderen deutschen Verhältnisse an einen besonderen Verfassungsgerichtshof zu überweisen. Diese Ausnahme ist jedoch auf Streitigkeiten mit politischem Wertakzent zu beschränken; vorwiegend rechtliche Streitigkeiten, insbesondere die inzidentielle Prüfung. ob die Gesetze der Verfassung entsprechen. sind der Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts zu überlassen.
Sie sehen in dieser Denkschrift des Herrn Dr. Strauß eine Konzeption, die das Oberste Bundesgericht bei allen wirklich justiziablen Fällen zur Spitze der gesamten Gerichtsbarkeit zu machen bestrebt war.
Der Parlamentarische Rat ist dieser Auffassung von Herrn Dr. Strauß nicht gefolgt, sondern hat bereits in den Beratungen der ersten Lesung eine grundsätzliche Änderung dieser Konzeption beschlossen. In der Berichterstattung über das Bundesverfassungsgericht soll festgehalten werden, welchen Ausgangspunkt seinerzeit die Idee des Bundesverfassungsgerichts hatte. Es ist wert, auch in diesem Bericht — der ja vielleicht mit zur Auslegung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht herangezogen wird — einige grundsätzliche Ausführungen von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zu zitieren. In der ersten Lesung am 8. Dezember 1948 wurde von ihm ausgeführt:
Wir haben im Ausschuß
— dem Fachausschuß, der die Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vorbereitet hat —
bewußt das Oberste Bundesgericht an die Spitze gestellt, weil nach unseren Vorstellungen in einer Weise, die erst nach sachlichen Auseinandersetzungen durch einfaches Bundesgesetz geregelt werden kann, das Oberste Bundesgericht als der Repräsentant der gesamten rechtsprechenden Gewalt und der Rechtspflege erscheinen soll, während das Bundesverfassungsgericht, das ihm zweifellos in seiner Bedeutung am nächsten kommt, doch mit einer Reihe ganz spezieller Aufgaben als eine Art Sonderstaatsgericht auftreten wird. Wir haben das Oberste Bundesgericht auch deswegen an die erste
Stelle gesetzt, weil im Bundesverfassungsgericht voraussichtlich — was auch der einfache Bundesgesetzgeber regeln wird — Mitglieder des Obersten Bundesgerichts vertreten sein werden. Wir wollen hier einen etwas neuen Weg gehen. Wir wollen das Oberste Bundesgericht gegenüber allen anderen Gerichten herausheben. Um dieses mehr optischen Eindrucks willen — wir wollen weniger eine hierarchische Abgrenzung zwischen Oberstem Bundesgericht und Bundesverfassungsgericht schaffen — möchten wir bitten, es bei der bisherigen Reihenfolge zu lassen.
Bei dem Entwurf, der den Beratungen des Hauptausschusses zugrunde lag, stand das Oberste Bundesgericht in der Aufzählung vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hatte gewissermaßen einen Ausnahmecharakter und war zur Entscheidung nur solcher Fälle bestimmt, die einen ausgesprochen politischen Akzent hatten.
Zu demselben Thema hat sich Herr Dr. Strauß noch einmal geäußert. Es ging dabei um die Einfügung der wichtigen Bestimmung, dem Bundesverfassungsgericht auch die Kompetenz zu geben, über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder eines anderen Beteiligten zu entscheiden. Das war die Bestimmung, mit der die Entwicklung, die im Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich angesetzt hatte, um einen entscheidenden Schritt weitergetragen wurde. Wenn ich die Denkschrift des Herrn Dr. Strauß richtig verstehe, wollte er seinerzeit — und das war das Kernproblem, das im Parlamentarischen Rat dabei zu entscheiden war — Zurückhaltung üben, um nicht Dinge judizierbar I zu machen, die ihrem Wesen und ihrem Kern nach einen stark politischen Akzent haben.
Herr Dr. Strauß führte aus:
Wir haben uns über diese Frage im Ausschuß eingehend unterhalten. Wir sind von der Regelung der Weimarer Verfassung ausgegangen, deren Ausführungsgesetz bei Streitigkeiten zwischen Organen des Deutschen Reiches den Staatsgerichtshof nicht für zuständig erklärt hatte. Man weiß nicht, ob das seinerzeit mit Absicht geschehen ist, oder ob man hier eine Lücke übersehen hat. Jedenfalls hat die Erörterung dieser Frage zu einer Entschließung des Kölner Juristentages von 1926 geführt, der die Ausfüllung dieser Lücke empfohlen hat. Dieser Resolution ist mit beachtlichen Gründen entgegengetreten worden, insbesondere auch von dem späteren Reichsjustizminister Dr. Joël. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es sich in der Mehrzahl dieser Fälle um echte politische Entscheidungen handelt, die nur durch die dazu berufenen Organe politisch entschieden werden können und daß einem Verfassungsgerichtshof bei solchen Streitigkeiten eine Aufgabe zugewiesen wird, die er in einem Rechtsverfahren in vielen Fällen — in anderen mag es anders liegen — nur schwer bewältigen kann. Aus diesem Grunde hatten wir die Einschränkung vorgesehen. Wir hatten erwogen, die Ziffer 1 zu streichen, und haben uns dann auf die Einschränkung geeinigt, daß er nicht über die Streitigkeiten schlechthin entscheidet — das ist Aufgabe des Bundestages, der Bundesregierung und des Bundesrats im Wege eines Mißtrauensvotums oder im Wege der Ablehnung einer Vorlage der Bundesregierung —. sondern nur über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten, wenn also die Streitigkeiten involvieren, daß ein Artikel des Grundgesetzes so oder so ausgelegt wird.
Wir fürchten, daß sonst dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von Fällen übertragen wird, die jenseits der Grenzen des Justiziablen liegen.
Der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates ist, wie gesagt, dieser zurückhaltenden Auffassung über die Möglichkeit einer Staatsgerichtsbarkeit nicht gefolgt. So ist es dann zu der Ihnen bekannten Formulierung der Zuständigkeit in Art. 93 des Grundgesetzes gekommen.
Es war notwendig, diese Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in kurzen Zügen darzustellen, denn das Ausmaß der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts ist ja für sein Wesen und für die Art seiner Organisation entscheidend. Dabei trat noch eine weitere Frage auf. Der Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes enthält in Art. 93 den Begriff der Verfassungsbeschwerde nicht. Die Verfassungsbeschwerde, auf deren Bedeutung im einzelnen ich hier nicht eingehen kann — das wird einer der Herren Berichterstatter nach mir tun —, blickt auch in deutschen Landen auf eine gewisse Geschichte zurück. So hatte u. a. die bayerische Verfassungsurkunde in Art. 94 — so glaube ich — auch in der Weimarer Zeit die Verfassungsbeschwerde bereits eingeführt. Allerdings war sie dort außerordentlich begrenzt, weil in Fällen, i n denen jemand in seinen Rechten verletzt worden war und ihm die Möglichkeit gegeben war, vor einem bürgerlichen oder Verwaltungsgericht sein Recht zu suchen, der Verfassungsbeschwerde nicht stattgegeben werden konnte. Diese alte bayerische Verfassungsbeschwerde bedeutete also lediglich die Ausfüllung einer Lücke, die dadurch entstand, daß das System der Gerichtsbarkeit nicht in allen Fällen eine Rechtsschutzmöglichkeit gewährte. Bei den Beratungen über diese Frage ist der Rechtsausschuß auf Grund der übereinstimmenden Voten der beiden Sachverständigen, der Präsidenten Lehr und Wintrich, zur Einführung der Verfassungsbeschwerde so, wie sie im Regierungsentwurf enthalten war, gekommen. Ich verweise auf die grundlegenden Ausführungen des Regierungsvertreters, die er in der 30. Sitzung am 20. April zu Begriff und Wesen der Verfassungsbeschwerde gemacht hat.
Nachdem also der weite, Ihnen vorliegende Zuständigkeitskatalog gemäß § 13, der Art. 93 GG durchführt und konkretisiert, gegeben war und zusätzlich noch — das war nach dem Grundgesetz durchaus möglich — auch die Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gemacht worden war, ergab sich, daß dieses Gericht eine außerordentliche Arbeitsfülle zu bewältigen hat. Damit darf ich in die Erörterung der Strukturprobleme des ersten Teiles eintreten.
§ 1 der Gesetzesvorlage hat gemäß den Berntungen im Rechtsausschuß, wie ich darzulegen
die Ehre hatte, folgende Formulierung erhalten: Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.
Damit ist zum Ausdruck gebracht: Selbständigkeit und Unabhängigkeit und: es handelt sich um einen Gerichtshof, ein echtes Gericht. Zur Bewältigung der durch die weite Zuständigkeit entstehenden Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichtes,
das damit entgegen der Auffassung von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zur obersten Spitze der Rechtsprechung überhaupt gemacht worden ist, kam es organisatorisch darauf an, ein Gericht zu bilden, das in der zahlenmäßigen Besetzung nicht zu groß ist und doch eine Einheit darstellt. Der Ausschuß, die Sachverständigen und alle Beteiligten waren sich über den Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Rechtsprechung einig.
Der Entwurf der Sozialdemokratischen Partei hatte das reine Plenarprinzip vorgesehen, einen einheitlichen Gerichtskörper von zehn Richtern, der immer in seiner Gesamtheit ein erkennendes Gericht war, und für den Fall, daß ein Richter ausfiel, gab dieser Entwurf die Möglichkeit der Vertretung einzelner Richter.
Im Gegensatz zu diesem kleinen Gerichtshof war von der Regierung ein mit 24 Richtern besetztes Gericht und ein sogenanntes roulierendes System vorgeschlagen worden. Ich möchte hierbei betonen, daß sowohl im Entwurf der Regierung als auch im Entwurf der Sozialdemokratie der Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Einheit der Rechtsprechung absolut festgehalten worden ist. Der Gegensatz zum sogenannten Plenarprinzip war nicht das von der Regierung vorgeschlagene roulierende System, sondern das sogenannte Senatsprinzip, bei dem man den Gerichtshof in Senate aufteilte.
Der Bundesrat hatte gegenüber dem roulierenden System, bei dem immer mit einer „Sitzgruppe" von neun Richtern als erkennendem Gericht gearbeitet wurde, ein Plenarprinzip bei einer Gesamtzahl von zwölf Richtern vorgeschlagen, die mit einem Quorum von neun Richtern beschlußfähig waren. Der Bundesrat hatte außerdem, damit diese Arbeitslast bewältigt werden könne, vorgeschlagen, daß für Sachen von sekundärer Bedeutung eine geringere Besetzung Platz greifen konnte.
Die Frage des Plenarprinzips, der Durchführung des Plenarprinzips und der Bewältigung der großen Arbeitslast des Gerichtes war das Grundproblem, das die Beratungen des Ausschusses und auch des Unterausschusses in hohem Maße beherrscht hat. Schließlich ergab sich eine Lösung, wie sie in den §§ 2, 14, 15 und 16 der Vorlage niedergelegt ist.
Nach § 2 besteht das Bundesverfassungsgericht aus zwei Senaten. In jeden Senat werden zwölf Richter gewählt. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorlage ist jeder Senat beschlußfähig, wenn mindestens neun Richter anwesend sind. Im Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, über die Verwirkung von Grundrechten, Nr. 2, über die Verfassungswidrigkeit von Parteien, Nr. 4, über die Anklage des Bundestags oder des Bundesrats gegen den Bundespräsidenten, und Nr. 9, über die Richteranklage gegen Bundesrichter und Landesrichter, bedarf es zu einer dem Antragsgegner nachteiligen Entscheidung in jedem Falle einer Mehrheit von acht Stimmen. Im übrigen entscheidet die einfache Mehrheit, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt.
Gemäß § 16 wird die Einheit des Gerichts — das ist das Grundprinzip, an dem festgehalten wurde — dadurch hergestellt, daß, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will, darüber das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entscheidet. Dieses Plenum ist beschlußfähig, wenn von jedem Senat neun Richter anwesend sind. Das Plenum entscheidet auch, welcher Senat für ein anhängig werdendes Verfahren zuständig ist, wenn nach den gestellten Anträgen sowohl der Erste wie der Zweite Senat zuständig sind oder wenn die Zuständigkeit sonst zweifelhaft ist.
Die Lösung, die gefunden worden ist, war also die Schaffung eines Bundesverfassungsgerichts, das immer in zwei Senaten tagt und dessen Richter sich gegenseitig vertreten können. Bei der Zuständigkeitsverteilung der beiden Senate gemäß § 13 und gemäß § 14 hat man eine Auswahl getroffen, die schwer in eine Begrifflichkeit hineinzubringen ist und die deshalb gesetzestechnisch mit den einzelnen Nummern des § 13 angeführt worden ist. Man kann vielleicht sagen, daß der Zweite Senat für alle Organstreitigkeiten zuständig ist, während der Erste Senat Fragen der Grundordnung und der Normenkontrolle zu regeln hat. Aber diese Begrifflichkeit trifft den Kern der Sache nicht ganz. Es wird eine Aufgabe der Wissenschaft sein, hier eine weitere Klärung herbeizuführen. Insbesondere wird die Rechtsprechung des Gerichtshofes selbst diese Klärung herbeizuführen haben.
Von demselben Problem der Bewältigung der Arbeitslast ist die Frage der Zusammensetzung des Gerichts, der zahlenmäßigen Besetzung abhängig. Von der Sozialdemokratie war, wie erwähnt, eine kleine Zahl vorgeschlagen worden, nämlich bloß zehn Richter, während der Regierungsentwurf auf 24 Richter und der Bundesrat auf zwölf Richter kamen. Dabei legte die Sozialdemokratie Wert darauf, daß alle Richter gleichen Ranges und gleichen Rechtes sein sollten; denn das Grundgesetz sieht vor, daß das Gericht mit Berufsrichtern und mit anderen Mitgliedern besetzt werden sollte.
Damit kommen wir zur Frage der Qualifikation der Richter, welche Anforderungen an die Richterpersönlichkeiten zu stellen waren. Der Ausschuß hat auf der Grundlage der Vorarbeiten des Unterausschusses den gleichen Rang aller Richter des Bundesverfassungsgerichts festgelegt. Deshalb ist in den Entwürfen der Ausdruck „andere Mitglieder", wie ihn das Grundgesetz noch enthält, fortgefallen. Wir finden hier den einheitlichen Begriff des Richters angeführt. Die Richter müssen gemäß § 3 das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum Bundestag wählbar sein und sich schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des Bundesverfassungsgerichts zu werden.
Nun kam es: nachdem von einigen Sachverständigen Bedenken angemeldet wurden — ich glaube es war Herr Oberlandesgerichtspräsident Dr. Zürcher, der Präsident des Staatsgerichsthofs in Baden, der die Vollendung des 40. Lebensjahres als nicht hinreichende Altersgrenze nannte —, zu verschiedenen Auffassungen hauptsächlich über die Frage. welche Anforderungen an die Befähigung zum Richteramt im Bundesverfassungsgericht unter Wahrung des Prinzips, daß alle Richter dieses Gerichtshofes gleichen Rang haben, zu stellen waren. Das Ergebnis ist gewesen: sie müssen außerdem die Befähigung zum Richteramt besitzen oder auf Grund der vorgeschriebenen Staatsprüfungen die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erworben haben, sich durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. Hierbei handelt es sich um ein echtes Kompromiß zwischen sehr verschiedenen Auffassungen. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah vor, daß bei den Richtern, die nicht Berufsrichter waren — also bei den anderen Mitgliedern —, keine juristische Vorbildung zwingend vorgeschrieben sein sollte. Es . war da formu-
liert: Die Richter sollen im Leben erfahren sein, das Vertrauen der Allgemeinheit genießen und die Gewähr bieten, daß sie gerecht, mit sozialem Verständnis und im Geiste des Grundgesetzes die ihnen anvertraute rechtsprechende Gewalt ausüben werden.
Die Meinungen sind hier sehr gegeneinander gegangen. Die Sachverständigen — unter anderem Herr Justizminister Beyerle — legten gerade auf die Tatsache Wert, daß das Laienelement, wenn man es so nennen darf, gleichwertig als Richter in diesem Bundesverfassungsgericht tätig werden solle, weil es bei den Aufgaben, die eine Staatsgerichtsbarkeit an den Richter stellt — auch der Herr Kollege Arndt hat so argumentier, —, wertvoller sei, daß nicht der theoretisch ausgebildete Jurist hier den Stil der Rechtsprechung bestimmen solle, ' sondern der Mann mit Lebenserfahrung, einer Erfahrung, die im öffentlichen Leben in der .Regel dann auch umfangreiche juristische Kenntnisse in sich schließe. Der Bundesrat hatte in dieser Frage eine vermittelnde Haltung eingenommen. Er hatte lediglich das Erfordernis „rechtskundig" verlangt. Der Ausschuß hat sich aber schließlich auf die verhältnismäßig scharfen Anforderungen, die § 3 Abs. 2 stellt, geeinigt, und zwar aus der Erwägung, daß, wenn man wirklich gleichrangige Richter haben wollte und eine zahlenmäßig nicht allzu starke Besetzung des Bundesverfassungsgerichts vorsah, es dann erforderlich sei, daß Leute mit besonderen Rechtskenntnissen, wie es § 3 Abs. 2 formuliert, in das Bundesverfassungsgericht hineinkommen. Der Mann, der die theoretischen Kenntnisse des Juristen aufweisen soll, soll sich daneben noch durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. In dieser Formulierung klingt der Grundgedanke, der den Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion beherrscht, mit an, derselbe Grundgedanke, der auch den Bundesrat in seinen Gegenvorschlägen geleitet hat.
Auch über die Richterwahl fanden Auseinandersetzungen statt. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah hier eine Wahl nur für die Wahlperiode und eine indirekte Wahl durch Wahlmänner vor. Im Ausschuß wurden Bedenken geäußert, ob diese indirekte Wahl verfassungsrechtlich zulässig ist. Der Ausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses indirekte Wahlverfahren das Richtige und auch verfassungsrechtlich zulässig ist.
Weiter wurde die Frage zur Entscheidung gestellt, ob — wie bei dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion — ein Bundesanwalt als Vertreter des öffentlichen Interesses geschaffen werden sollte. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich entgegen den Empfehlungen des Sachverständigen Dr. Lehr gegen einen Bundesanwalt ausgesprochen.
Schließlich war die Frage der Wahl des Präsidenten und die Wahl des Vizepräsidenten streitig. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah eine Wahl des Präsidenten durch den Bundestag vor, während die Wahl des Vizepräsidenten durch den Bundesrat erfolgen sollte. Der Entwurf der Regierung dagegen sah vor, daß Präsident und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts nur aus den Gruppen der im Bundesverfassungsgericht vertretenen Bundesrichter von den Mitgliedern des Gerichts gewählt werden sollten, während der Bundesrat eine Zwischenlösung vorsah, nach der die Gesamtzahl der Richter den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts wählen sollte. Das Ergebnis der Beratungen war, daß man sich im wesentlichen dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen hat. In § 9 ist niedergelegt: Präsident und Vizepräsident werden alternierend vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt.
Damit kann ich die Darstellung der Organisation und Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts abschließen. Jetzt möchte ich nur noch einige wenige ergänzende Ausführungen über die Schlußvorschriften machen.
In den Schlußvorschriften findet sich der Grundsatz, daß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 2 mit einer jährlichen Dienstaufwandsentschädigung von 4 800 DM erhalten soll. Der Stellvertreter des Präsidenten, der Vizepräsident, soll Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 3 a erhalten, und die Richter des Bundesverfassungsgerichts sollen Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 4 erhalten. Im übrigen sollen die allgemeinen besoldungsrechtlichen Vorschriften gelten. Daß man hier eine Etatisierung in das Organisationsgesetz über das Bundesverfassungsgericht hereingenommen hat, ist eine Ausnahme. Dabei hat sich der Ausschuß von der Erwägung leiten lassen, daß mit Rücksicht auf die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichtes auch in den Bezügen in diesem verfassungsrechtlichen Gesetz die Dignität des Gerichtes herausgestellt werden sollte. Man muß sich darüber klar sein: nachdem man diesem Bundesverfassungsgericht eine so weitgehende Kompetenz gebeten hat und damit die Dritte Gewalt erstmalig in der Geschichte des Verfassungsrechts zu einem wirksamen, zu dem Fundament der rechtsstaatlichen Verfassungswirklichkeit machen will, müssen die Richter nicht nur von höchster persönlicher Qualifikation sein, sondern sollten auch in ihrer Besoldung hervorgehoben werden.
Im übrigen finden sich in den Schlußbestimmungen verschiedene Sicherungen für die Stellung des Richters, die seine persönliche Unabhängigkeit betreffen, Bestimmungen, die erforderlich geworden sind, nachdem man sich zu der Regelung in § 3 bereit gefunden hat.
Ich habe mich hiermit bemüht, lediglich in ganz groben Strichen die organisatorischen Grundprinzipien des Verfassungsgerichts, ihre geschichtliche Entstehung und Tragweite darzulegen. Die Einzelheiten und die konkrete Regelung der sehr schwierigen Probleme darf ich den beiden anderen Herren Berichterstattern überlassen.