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    Deutscher Bundestag — 112. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1951 4195 112. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4195D, 4223D edenkworte des Präsidenten zum Tag der Reichsgründung 1871 4196A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Dr. Horlacher 4199A Beratung der Interpellation der Abg. Strauß u. Gen. betr. Verwendung der Besatzungskosten (Nr. 1530 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der BP betr. Inanspruchnahme von Gebäuden und Wohnungen durch die Besatzungsmächte (Nr. 1721 der Drucksachen), mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Beschlagnahme von Wohnraum für alliierte Truppen-Angehörige (Nr. 1726 der Drucksachen) und mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films (34. Ausschuß) über die Petition Nr. 8341 (Nr. 1753 der Drucksachen) 4196A Strauß (CSU), Interpellant 4196B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 4199B, 4207A Dr. Seelos (BP), Antragsteller . . . . 4203A Frau Meyer-Laule (SPD), Antragstellerin 4204A Brunner (SPD), Berichterstatter . 4206B Euler (FDP) 4208B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 4210B Ewers (DP) 4213B von Thadden (DRP) 4214C Renner (KPD) 4215B Dr. Hamacher (Z) 4216D Abstimmungen 4217C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Nrn. 328, 788 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) (Nr. 1724 der Drucksachen) . . . 4218A Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 4218A Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter . . 4224A Neumayer (FDP), Berichterstatter . 4228B Weiterberatung vertagt 4235D Zweite Beratung des Entwurfs eines Wahlprüfungsgesetzes (Nr. 983 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (2. Ausschuß) (Nr. 1756 der Drucksachen) 4195D, 4235D Ewers (DP), Berichterstatter (schriftlicher Bericht) 4236B Weiterberatung vertagt 4236A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft (Nrn. 1510, 1679 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1764 der Drucksachen); Änderungsantrag Umdruck Nr. 38 4236A Beratung vertagt 4236C Nächste Sitzung 4236C Anlage: Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses betreffend Entwurf eines Wahlprüfungsgesetzcs (Nrn. 983 und 1756 der Drucksachen) 4236 Die Sitzung wird um 13 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht der 112. Sitzung Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (2. Ausschuß) im Einvernehmen mit dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Entwurf eines Wahlprüfungsgesetzes (Nrn. 983 und 1756 der Drucksachen) Berichterstatter : Abgeordneter Ewers Die Entscheidung, ob eine Wahl zu einem demokratischen Parlament sachgemäß durchgeführt ist und der einzelne Abgeordnete sich gesetzmäßig als Abgeordneter betätigt, gehört ebenso wie die Frage der Immunität der Abgeordneten zu den althergebrachten „Palladien" des Parlaments. Im alten Reichstag war daher die Wahlprüfung durch den Reichstag selbst vorzunehmen, der seine Entscheidungen zunächst in fünf, durch den Zufall des Loses bestimmten Abteilungen vorprüfen und sodann durch einen Wahlprüfungsausschuß vorbereiten ließ. Dieses System wurde in dem Reichstag der Republik von 1919 ab deshalb abgelehnt, weil offenbar bei solchen Entscheidungen mehr der Politik als der objektiven Rechtsfindung gedient wurde. Deshalb wurde durch die Weimarer Verfassung in Art. 31 ein Wahlprüfungsgericht vorgesehen, auf dessen Entscheidung allerdings das Parlament insofern einen gewissen Einfluß ausüben konnte, als es in der Besetzung mit fünf Richtern tagte, von denen die Mehrheit, also drei, Mitglieder des Reichstags sein mußten. Die beiden anderen wurden dem Reichsgericht entnommen, da es das in der Weimarer Verfassung vorgesehene oberste Reichsverwaltungsgericht nicht gab. Das Grundgesetz hat die Einführung einer dritten Methode für richtig gehalten. Es hat in Art. 41 bestimmt, daß zwar zunächst einmal der Bundestag in allen Wahlprüfungsangelegenheiten die „Entscheidung" zu fällen hat, daß aber gegen seine „Entscheidung" eine Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist. Das ist in der Geschichte des deutschen Staatsrechts eine Neuheit. Diese Regelung läuft darauf hinaus, daß das Parlament in einer Verwaltungsstreitigkeit konkreten Inhalts zunächst einmal zu entscheiden hat, dann aber seine Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht nachgeprüft werden kann. Der Bundestag ist, abgesehen von der Frage der Immunität, bei der aber keineswegs allein rechtliche, sondern staatspolitische Auffassungen eine maßgebende Rolle spielen, sonst in keinem Falle berufen und (Ewers) darauf eingerichtet, in Einzelstreitfällen „Entscheidungen" zu treffen; er ist vielmehr seiner Natur nach Gesetzgebungsorgan, wobei selbstverständlich die Politik stets eine entscheidende Rolle spielen muß. Bei der Wahlprüfung aber hat der Bundestag nicht nach politischer Zweckmäßigkeit, sondern unter Anwendung bestehender Gesetze mit größtmöglicher Objektivität jedenfalls dann zu entscheiden, wenn seine Beschlüsse der Nachprüfung durch ein unabhängiges Gericht standhalten sollen. Nachdem nun das Grundgesetz durch Art. 41 dem Bundestag auferlegt hat, das Nähere in Ansehung der Wahlprüfung durch ein Gesetz zu bestimmen, ist es nach einstimmiger Auffassung sowohl des Wahlprüfungsausschusses als auch des Rechtsausschusses Aufgabe des Gesetzgebers, durch die rechtliche Gestaltung der Wahlprüfung eine möglichst große Sicherheit dafür zu schaffen, daß in Wahlprüfungssachen Entscheidungen ergehen, die auch bei richterlicher Nachprüfung Bestand haben. Andernfalls besteht die Gefahr, daß das Ansehen des Bundestages leidet. Nach Auffassung des Wahlprüfungsausschusses, der die Frage der zweckmäßigen Gestaltung des Wahlprüfungsgesetzes in sehr eingehenden und langwierigen Beratungen erwogen hat, bietet die Regierungsvorlage Drucksache Nr. 983 nicht die erforderliche Gewähr, daß die Herbeiführung der Entscheidung des Bundestags mit so viel rechtlichen Garantien ausgestattet ist, wie es erforderlich erscheint. Die Vorlage der Regierung hat daher in ihren wesentlichen Abschnitten eine grundsätzliche Umformung erfahren, deren Tendenz in jedem Falle war, die Wahlprüfung aus der Atmosphäre politischer Zweckmäßigkeit möglichst in diejenige zutreffender Rechtsanwendung zu verlagern. Eine weitere Schwierigkeit für das zu verabschiedende Gesetz beruht darauf, daß das Wahlprüfungsgesetz als solches nur verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten kann. Der Bundestag ist nicht auf Grund eines Bundeswahlgesetzes gewählt, sondern auf Grund eines Sondergesetzes, das von den Ministerpräsidenten der deutschen Länder aufgestellt ist, so daß bei seiner nächsten Wahl ein bisher unbekanntes Wahlgesetz anzuwenden sein wird. Es mußte daher möglichst weitgehend Bedacht darauf genommen werden, daß die verfahrensrechtlichen Vorschriften auch dann anwendbar bleiben, wenn ein anderes Wahlrecht als dasjenige, das zur Zeit der Bundestagswahl galt, vorhanden sein wird. Die Frage, ob in diesem zukünftigen Wahlrecht zweckmäßigerweise nicht. auch materiell-rechtliche Bestimmungen darüber aufzunehmen sein werden, unter welchen Umständen im einzelnen eine Wahl als unwirksam anzusehen ist, ist sowohl im Wahlprüfungsausschuß als auch im Rechtsausschuß erörtert worden. Die Tatsache, daß es ein umfassendes materielles Wahl-prüfungsrecht bisher nicht gibt, beruht darauf, daß bis 1919 der Reichstag selber in erster und letzter Instanz und ab 1919 ein besonderes Wahlprüfungsgericht ebenfalls in erster und letzter Instanz die Rechtssätze über die materielle Wahlprüfung zu entwickeln hatte, so daß sich ein Bedürfnis für die objektive Festsetzung des Rechts nicht herausgestellt hat. Wenn in Zukunft der Bundestag durch ein unabhängiges Gericht, dem Abgeordnete des Bundestages auf keinen Fall angehören dürfen, die Entscheidung nachprüfen läßt, bleibt die Frage offen, ob nicht zweckmäßigerweise der Gesetzgeber sowohl den Bundestag als auch den Bundesverfassungsgerichtshof an bestimmte Rechtsätze binden sollte, damit auf einer einheitlichen Basis das Recht fortgebildet werden kann. Diese Frage ist aber bei Verabschiedung des zukünftigen Wahlgesetzes zu entscheiden und nicht schon bei dem Wahlprüfungsgesetz. Nach diesen Vorbemerkungen komme ich zur Erörterung der Einzelbestimmungen der Ausschußvorlage. Ich darf formell nur noch folgendes vorausschicken. In der 69. Sitzung war die Regierungsvorlage dem Wahlprüfungsausschuß ohne Debatte zur weiteren Beratung überwiesen. Späterhin hat der Ältestenrat den Wunsch geäußert, daß auch der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sich mit der Vorlage befassen möge; ein Wunsch, der den Absichten des Wahlprüfungsausschusses durchaus entsprach. Die einzelnen Bestimmungen wurden daher, nachdem der Wahlprüfungsausschuß seine Arbeiten abgeschlossen hatte, durch den 23. Ausschuß nachgeprüft; dabei waren die Vorschläge des Wahlprüfungsausschusses Grundlage für die Erörterungen. Der 23. Ausschuß hat zum Aufbau des Gesetzes und zu seinen einzelnen wesentlichen Normen keine Änderung vorgeschlagen oder beschlossen; er hat in manchen Beziehungen die Vorlage technisch verbessert, die grundsätzlichen Bestimmungen aber ebenso wie der Wahlprüfungsausschuß durchweg einstimmig gutgeheißen. Ich trage im folgenden also den Sachverhalt sowohl im Sinne des Wahlprüfungsausschusses wie auch des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vor. Die §§ 1-4 entsprechen weitgehend der Regierungsvorlage, während §§ 5-13 der Drucksache Nr. 1756 eine Gegenüberstellung — Synopsis — mit den Vorschlägen des Regierungsentwurfs nicht vertragen. § 1 wiederholt in seinem ersten Absatz die Grundsatzbestimmung des Art. 41 des Grundgesetzes. Die Regelung im zweiten Absatz entspricht der im Wahlprüfungsrecht seit je geübten Praxis, daß die Entscheidung nicht nur konstituierend die Ungültigkeit — oder Gültigkeit — einer Wahl zu bestimmen, sondern sich insbesondere darüber auszusprechen hat, wie auf Grund der Rechtslage bei einer ungültigen Wahl weiter zu verfahren ist. Die Ausschußvorlage hat einen möglichst allgemein gehaltenen Wortlaut gewählt, damit alle Möglichkeiten, die das zukünftige Wahlrecht etwa vorsehen könnte, erfaßt sind. Bei § 2 war die Grundsatzfrage zu entscheiden, ob, wie die Regierungsvorlage vorsah, eine Nachprüfung nur auf Einspruch erfolgt, oder ob, wie es der Bundesrat wollte, auch eine Nachprüfung von Amts wegen vorzusehen sei. Die Ausschußvorlage geht einen Mittelweg. Im Abs. 1 wird der Grundsatz, daß eine Nachprüfung nur auf Einspruch hin erfolgen solle, aufrechterhalten; im Abs. 2 aber wird, um eine von Amts wegen vorzusehende Nachprüfung zu ermöglichen, festgestellt, daß gewisse Amtsträger in amtlicher Eigenschaft eine solche Prüfung anregen können. Die Frage, ob jeder Wahlberechtigte oder nur bestimmte Persönlichkeiten Einspruch einlegen können, wurde dahin beantwortet, daß man in einem freiheitlichen Staate die Möglichkeit, eine Prüfung der Wahl zu veranlassen, auch einem einzelnen Staatsbürger nicht verschließen sollte. Der Abs. 3 behandelt die Formalien des Einspruchs, wobei möglichst geringe Anforderungen vorgesehen sind, der Abs. 4 die Frist für Einlegung des Einspruchs, die natürlich für den Präsidenten des Bundestags nicht schon mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, wohl aber mit seiner Wahl zum Präsidenten beginnen kann. (Ewers) Der Abs. 5 entspricht der Regierungsvorlage. Wodurch und wieso eine Mitgliedschaft später erworben werden kann, ist offengelassen, da das materielle Wahlrecht insofern Bestimmungen enthalten könnte, die heute noch nicht zu übersehen sind; nach der heutigen Wahlrechtslage sind die beiden Möglichkeiten der Nachwahl und des Nachrükkens aus der Liste gegeben. Zu § 3. Dieser Paragraph führt den Wahlprüfungsausschuß als Vorbereitungsorgan ein. Damit, daß dieser Ausschuß nicht etwa durch die Geschäftsordnung des Bundestags, sondern durch ein Bundesgesetz statuiert ist, erhält er eine Sonderqualität. Es steht danach also dem Bundestag nicht mehr frei, ob er einen Wahlprüfungsausschuß errichten will oder nicht, und auch seine Zusammensetzung ist gesetzlich festgelegt, ebenso seine Aufgaben entsprechend dem Inhalt des Wahlprüfungsgesetzes. Darüber, daß ein solcher Ausschuß nach der Natur der Sache notwendig und unvermeidlich ist, dürften Zweifel nicht obwalten können; denn dieser Ausschuß hat insbesondere die Funktion, den Beteiligten rechtlich Gehör zu verschaffen und die Beweisaufnahme durchzuführen. Beides sind Prozeßfunktionen, die von einem Parlament von mehreren hundert Mitgliedern unmöglich wahrgenommen werden können. Da der Wahlprüfungsausschuß ein unentbehrliches Instrument ist, um die Sammlung des tatsächlichen und rechtlichen Materials durchzuführen, muß er das Organ sein, das für eine objektive Rechtsanwendung in erster Linie bei diesen Vorbereitungsarbeiten, aber auch bei seinen weiteren Vorschlägen an den Bundestag die Gewähr bietet. Seine Funktionen sind in den Ausschüssen mehrfach zutreffend als „quasi-richterliche" bezeichnet werden. Auf Grund dieser Erwägung ist in der Ausschußvorlage eine zahlenmäßig möglichst geringe Besetzung vorgesehen, nämlich sieben Mitglieder, eine Anzahl, die auch bei Gerichten höherer Ordnung sehr wohl noch in Frage kommt. Da aber bei jeder Parlamentsarbeit nun einmal politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen, ist weiter vorgesehen, daß neben sieben Stellvertretern durch beratende Mitglieder in dem Ausschuß alle diejenigen Fraktionen vertreten sein sollen, die bei der Siebenzahl nach dem d'Hondtschen System nicht berücksichtigt werden konnten. Die Wahl des Wahlprüfungsausschusses erfolgt dann also in der Weise, daß in ihn vom Bundestag nach dem d'Hondtschen System sieben Mitglieder gewählt werden und weiterhin je ein Mitglied der danach nicht in ihm vertretenen Fraktionen, so daß jede weitere Fraktion ein weiteres Mitglied als beratendes Ausschußmitglied zur Wahl in Vorschlag bringen kann. Mit dieser Gestaltung glaubt die Vorlage allen rechtlichen und politischen Gesichtspunkten Rechnung getragen zu haben. Bemerkt wird, daß der Ausschuß schon bisher im wesentlichen in entsprechender Besetzung gearbeitet hat. In Abs. 3 ist aus der Regierungsvorlage der Schriftführer gestrichen. Die Schriftführung kann nur durch einen Beamten des Bundestags wahrgenommen werden, da die Ausschußmitglieder weder Zeit noch Gelegenheit hierzu haben werden. Zu § 4. Diese Bestimmung behandelt die Beschlußfähigkeit, die wie in allen Bundestagsausschüssen grundsätzlich schon dann gegeben ist, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Für die vorbereitenden und sonstigen allgemeinen Beschlüsse ist dies selbstverständlich. Von besonderer Bedeutung ist diese Frage aber bei der mündlichen Verhandlung und Beratung des Ausschusses in jeder einzelnen Sache, die in § 8 Abs. 2 und in § 10 behandelt sind. Dort wird noch Ergänzendes zu sagen sein. Zu § 5. Von § 5 an setzt die Umgestaltnug der Regierungsvorlage ein. Um zu einem rechtlich fundierten Vorschlag zu kommen, ist nach der Meinung der von mir vertretenen Ausschüsse zweierlei notwendig: erstens eine gründliche Vorbereitung und Materialsammlung bei jeder einzelnen Anfechtungssache, zweitens eine mit Rechtsgarantien ausgestattete mündliche Verhandlung, in der rechtlich Gehör gewährt wird und bei der die Beteiligten ihre Auffassung den Mitgliedern des Wahlpräfungsausschusses, die zur Entscheidung berufen sind, vorzutragen Gelegenheit haben werden. Dementsprechend wird, nachdem im Abs. 1 — entsprechend § 6 Abs. 1 der Regierungsvorlage — ein Berichterstatter bestimmt ist, zunächst einmal eine „Vorprüfung" angeordnet, in der auch die Formalien des Einspruchs zu erörtern sind. Die Vorprüfung hat, wie das im Gesetz in Abs. 2 zum Ausdruck kommt, den Zweck, die Sachlage so zu fördern, daß möglichst nach einem einzigen Verhandlungstermin eine Schlußentscheidung möglich erscheint. Der Abs. 3 des § 5 entspricht dem § 7 Abs. 1 der Regierungsvorlage. Es ist hier insbesondere angeordnet, daß Zeugen und Sachverständige schon im Rahmen der Vorprüfung vernommen und beeidigt werden können, insoweit allerdings nur im Wege der Rechtshilfe. Im Abs. 4 ist die Rechts- und Amtshilfeverpflichtung statuiert und weiter vorgeschlagen, daß bei gerichtlichen Vernehmungen die Hauptbeteiligten zu benachrichtigen sind, um ihre Rechte, wenn -sie wollen, in dem Termin wahrzunehmen. Wir kommen zu § 6. Im § 6 Abs. 1 ist die mündliche Verhandlung obligatorisch bestimmt. Nur wenn alle Beteiligten verzichten, kann davon abgesehen werden. Dadurch soll eine möglichst große Garantie für die Unmittelbarkeit und erschöpfende Behandlung der Einzelentscheidung gesichert sein. Als zunächst beteiligt an dem Verfahren sind im Abs. 2 des § 6 der Einsprechende und der Abgeordnete, um dessen Wahl es sich handelt, aufgeführt; der erstere ist beteiligt als derjenige, der das Verfahren in Gang gebracht hat, der letztere nicht etwa deshalb, weil es sich nur und ausschließlich um seine persönlichen Interessen drehte, sondern weil diese nach der Erfahrung auf jeden Fall irgendwie berührt werden. Die Wahlprüfung hat selbstverständlich nicht nur mit Privatrechten, sondern in erster Linie damit zu tun, daß der Bundestag den Gesetzen entsprechend zusammengesetzt ist. In Abs. 3 sind dann entsprechend dem Grundsatz, der im § 2 Abs. 2 aufgestellt ist, gewisse Amtspersonen als Nebenbeteiligte aufgeführt, die dem Verfahren beitreten können und denen in Abs. 4 auch dann ein besonderes Antragsrecht zuerkannt ist, wenn sie nicht etwa als Einsprechende ohnehin Hauptbeteiligte sind. Abs. 5 entspricht den Regeln eines geordneten Prozesses, indem er den Beteiligten die Akteneinsicht gestattet. § 7 enthält Bestimmungen, die den Ablauf des mündlichen Verhandlungstermins regeln sollen. Der Bericht des Berichterstatters ist obligatorisch, damit in der Verhandlung nichts unberücksichtigt bleibt, was etwa in den Akten enthalten ist, vor der Entscheidung aber in Gegenwart der Beteiligten gar nicht angesprochen wurde. Die weitere Regelung des Abs. 1 dürfte ohne weiteres verständlich sein, sie entspricht den Vorschlägen der Regierungsvorlage in ihrem § 7 Abs. 2. (Ewers) In Abs. 2 ist sodann die Beweisaufnahme angeordnet, die in der mündlichen Verhandlung stattfinden muß, soweit sie nicht in der Vorprüfung gemäß § 5 Abs. 3 angeordnet ist. Die Frage der Beeidigung ist in das Ermessen des Ausschusses gestellt. Sodann ist das Schlußwort nach der Beweisaufnahme dahin geregelt, daß der Anfechtende als derjenige, der im Normalfall der schwächere Teil ist, das Schlußwort hat. In Abs. 3 ist gemäß § 7 Abs. 3 der Regierungsvorlage eine Niederschrift gesetzlich vorgeschrieben, die allerdings zwangsläufig eine Wiedergabe der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen enthalten muß, wenn sie ihrem Zweck, der Instanz des Verfassungsgerichtshofs als Material zu dienen, entsprechen soll. Im § 8 ist die äußere Form der mündlichen Verhandlung geregelt. Hier ist in Abs. 1 insbesondere klar vorgeschrieben, daß n u r diese mündliche Verhandlung öffentlich stattzufinden hat und nicht etwa, wie man es aus § 5 Abs. 1 der Regierungsvorlage herauslesen konnte, jede gewöhnliche Sitzung oder Zusammenkunft des Wahlprüfungsausschusses. Der Ausschuß hat sich überlegt, ob eine Vorschrift möglich sei, daß eine mündliche Verhandlung nur stattfinden solle, wenn alle Mitglieder des Ausschusses selbst oder ihre Stellvertreter anwesend sind. Diese Vorschrift kann aber im Rahmen eines Parlaments nicht erzwungen werden. Sie schien daher praktisch nicht möglich. Es ist deshalb eine Sondervorschrift aufgenommen worden, durch die insbesondere herbeigeführt werden soll, daß der Vorsitzende sich, ehe er einen Sitzungstag für die mündliche Verhandlung bestimmt, nach Möglichkeit davon überzeugen soll, ob alle Mitglieder oder ihre Stellvertreter zur Verfügung stehen, und die Ausschußmitglieder dazu anhalten soll, ihrer gesetzlichen Sollverpflichtung wenn irgend angängig zu genügen. Tatsächlich und rechtlich aber kann der Ausschuß nach Abs. 2 schon entscheiden, wenn nur vier Mitglieder oder Stellvertreter anwesend sind. In § 8 Abs. 3 ist ebenso wie generell im § 9 nach dem Muster der Wahlprüfungsordnung des früheren Wahlprüfungsgerichts des alten Reichstags vom 8. 10. 1920 der Zivilprozeß als die generelle Prozeßform bestimmt, nach der sich das Verfahren richten soll. Dadurch soll insbesondere ein Hinweis darauf geschehen, daß jeder Abgeordnete ohne jedes eigene Verschulden in die Rolle kommen kann, daß seine Wahl angefochten ist, daß es sich also in aller Regel keineswegs um die Nachprüfung irgendwelcher Beanstandungen handelt, die den Abgeordneten selbst treffen, sondern um die Nachprüfung der Formvorschriften, an deren Verletzung er selbst völlig unbeteiligt ist. § 9 ist dem § 9 der soeben genannten Wahlprüfungsordnung nachgebildet, um diejenigen allgemeinen Bestimmungen für anwendbar zu erklären, die in jedem Falle zu beachten sind. Mit diesem besonderen Hinweis auf Einzelbestimmungen sowohl im § 8 Abs. 3 wie im § 9 soll hervorgehoben werden, daß die Form des Verfahrens im übrigen im Ermessen des Wahlprüfungsausschusses liegt, soweit nicht in dem Gesetz selbst, wie es insbesondere in den §§ 5 bis 8 geschehen ist, besondere Vorschriften erlassen sind. Dazu ist noch weiterhin folgendes zu bemerken. Die Gesetzesvorlage sieht absichtlich keinerlei Bestimmungen für die Zulassung von Vertretern im Wahlprüfungsausschuß oder die Erscheinungspflicht von Beteiligten vor. Daraus ergibt sich also, daß jeder als Vertreter bestellt werden kann —und nicht etwa nur Rechtsanwälte — und daß niemand verpflichtet ist, auf eine Terminsnachricht hin zu erscheinen, es sei denn, er ist als Zeuge oder als Sachverständiger geladen. In § 10 Abs. 1 ist entsprechend § 8 Abs. 1 der Regierungsvorlage die geheime Beratung über das Ergebnis der mündlichen Verhandlung angeordnet. Diese Bestimmung erscheint selbstverständlich, wenn man den „quasi-richterlichen" Charakter des Wahlprüfungsausschusses bedenkt. Um die Unmittelbarkeit der Verhandlung und Entscheidung zu gewährleisten, ist in Abs. 2 ausdrücklich vorgeschrieben, daß nur diejenigen Mitglieder des Ausschusses an der Schlußberatung teilnehmen dürfen, die der mündlichen Verhandlung beigewohnt haben, so daß also jeder Mitentscheidende über alle Gesichtspunkte, die etwa geltend gemacht sind, unterrichtet ist. Eine sehr wesentliche Bestimmung ist sodann Abs. 3 des § 10, in der, da in einer Gerichtssache eine Entscheidung gefällt werden m u ß , eine Stimmenthaltung mit der Maßgabe, daß der Betreffende bei der Mehrheit oder bei der Minderheit nicht mitgezählt werden will, nicht möglich ist. Wenn also bei voller Besetzung des Wahlprüfungsausschusses drei Abgeordnete für die Ungültigkeit der Wahl, zwei dagegen sprechen und zwei sich der Stimme enthalten möchten, so ist die Entscheidung dahin gefallen, daß die Wahl gültig ist; denn die Stimmenthaltung bedeutet jedenfalls keine Jastimme, und jeder Abgeordnete muß konkret, also entweder mit Ja oder Nein Stellung nehmen. § 11 gehört ebenfalls noch zu den nötigen Formalien des Wahlprüfungsverfahrens und regelt die Form, in der der Wahlprüfungsausschuß seinen Vorschlag dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen muß. Der Beschluß selbst ist schriftlich zu f assen. Dieser muß zunächst einmal die dem Bundestag vorzuschlagende „Entscheidung" im Wortlaut wiedergeben. Diese „Entscheidung" muß in ihrem Tenor entweder die Wahl für gültig erklären oder die Ungültigkeit und die sich daraus ergebenden Folgerungen aussprechen. Der Beschluß ist mit Tatbestand und Gründen zu versehen; er muß also alles in allem den Charakter einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung haben. Die im Schlußsatz vorgesehene Möglichkeit, auf den Akteninhalt Bezug zu nehmen, entspricht der gerichtlichen Praxis. § 12. Dem Plenum des Bundestags gegenüber hat der Beschluß des Wahlprüfungsausschusses nur die Qualität eines Antrags. Die Vorschriften, wie und innerhalb welcher Fristen er im Bundestag zu behandeln ist, gehören als wesentliche Formvorschriften, die der Bundestag beachten muß, in dieses Gesetz. Dabei ist, wie auch im § 8 Abs. 3 der Regierungsvorlage vorgesehen, im § 12 Wert darauf gelegt, daß jedes einzelne Mitglied des Bundestags Gelegenheit hat, sich über die Begründetheit der vorgeschlagenen, vom Bundestag zu fassenden Entscheidung selbst Gedanken zu machen. Eine mündliche Berichterstattung ist, wie der letzte Satz des § 12 ergibt, in aller Regel nicht vorgesehen, aber selbstverständlich ergänzenderweise zulässig und möglicherweise dann zweckmäßig, wenn es sich um besonders grundsätzliche und schwierige Entscheidungen handeln sollte. Im § 13 ist sodann im Abs. 1 entsprechend der Regierungsvorlage § 9 Abs. 1 angeordnet, daß der Bundestag wie in aller Regel mit einfacher Mehrheit zu beschließen hat. Es ist weiter angeordnet, daß eine Ablehnung des Vorschlages des Wahlprü- (Ewers) fungsausschusses eine Zurückverweisung der Sache an den Wahlprüfungsausschuß bedeutet, also im Einzelfalle nicht etwa besonders beschlossen zu werden braucht. Entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag kann dabei die ablehnende Mehrheit dem Ausschuß die Nachprüfung einzelner Zweifelsumstände aufgeben. Die Regierungsvorlage sah darüber hinaus vor, daß das Plenum dem Ausschuß sogar „bestimmte Weisungen erteilen" könne. Das ist von beiden Ausschüssen, für die ich berichte, einstimmig abgelehnt worden, da damit das Recht eines Abgeordneten entgegen der Bestimmung im Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt wäre. Der Abs. 2 bestimmt dann, daß nach Zurückverweisung der Wahlprüfungsausschuß im Bundestag einen neuen Antrag vorzulegen hat. Das kann natürlich schon deshalb nur nach erneuter mündlicher Verhandlung geschehen, weil möglicherweise der zweite zu erarbeitende Vorschlag des Ausschusses nicht von den gleichen Mitgliedern des Ausschusses vorgenommen wird, die an der ersten Verhandlung teilgenommen haben. Darüber hinaus muß selbstverständlich, sobald Anregungen wegen der Nachprüfung vom Bundestag erteilt werden, das insoweit vorhandene Material der mündlichen Verhandlung einer besonders sorgfältigen und eingehenden Prüfung unterzogen und mit den Beteiligten besprochen werden. Die Frage, wie der Bundestag nach Zurückverweisung und nach Vorlage eines zweiten Vorschlags des Ausschusses zu einer endgültigen Entscheidung kommt — und das muß das Ziel jedes Verfahrens sein —, hat die Ausschüsse sehr lange und eingehend beschäftigt. Selbstverständlich kann der Bundestag nicht verpflichtet sein, dem zweiten Vorschlag des Ausschusses, der vielleicht dasselbe enthält wie der erste, zuzustimmen; denn dann wäre die Entscheidung nicht in die Hände des Bundestags, sondern allein in die Hand des Wahlprüfungsausschusses gelegt. Eine abweichende Entscheidung kann aber auf ganz verschiedenen Gründen und Erwägungen beruhen. Es ist daher hier nach dem Vorbild des konstruktiven Mißtrauensvotums — Art. 67 des Grundgesetzes — vorgesehen, daß die Ablehnung nur in der Weise erfolgen kann, daß statt dessen der Bundestag einem andern seiner ihm zur Annahme vorgelegten Anträge zustimmt, der ebenfalls den Anforderungen des § 11 entspricht, also einen Entscheidungsvorschlag enthält mit Tenor, Tatbestand und Gründen, so daß das Bundesverfassungsgericht in der Lage ist, die so gefällte Entscheidung nachzuprüfen, wenn Beschwerde eingelegt werden sollte. Wenn in einem einzelnen Falle ein solcher Antrag, der natürlich gewisser Vorbereitung bedarf, nicht vorliegt, wird die Mehrheit, die dem Ausschußvorschlag nicht zustimmen will, in aller Regel Aussetzung der Verhandlung beantragen, um einen dem § 13 Abs. 2 genügenden Gegenvorschlag dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen zu können. Der Abs. 3 entspricht dem § 9 Abs. 2 der Regierungsvorlage. Der § 14 entspricht dem § 10 der Regierungsvorlage. Es ist nur vorgesehen, daß nicht die Mitglieder des Bundestags selbst, sondern auf ihr Verlangen hin der Präsident die Wählbarkeit eines Abgeordneten nachprüfen lassen kann, der dazu aber auch ohne das Verlangen von Abgeordneten von Amts wegen berechtigt ist. Diese Nachprüfung ist an keine Frist gebunden. Der § 15 entspricht dem § 11 der Regierungsvorlage. Die Formulierung, daß „nach den Vorschriften des Gesetzes zu verfahren ist", ist deshalb gewählt, um klarzustellen, daß bei diesem Verfahren das Antragsrecht sich nach § 2 richtet. Hier ist irgendeine Frist nicht vorgesehen. Der § 16 behandelt die Frage der vorläufigen Wirksamkeit der Entscheidung des Bundestags schon vor ihrer Rechtskraft. Hier sind drei Regelungsmöglichkeiten denkbar, jede wieder mit gewissen Abwandlungen. Erstens: die Entscheidungen haben erst mit Rechtskraft Wirksamkeit. Zweitens: die Entscheidungen haben schon v o r Rechtskraft Wirksamkeit. Drittens: der Bundestag kann von Fall zu Fall entscheiden, ob und welche Wirksamkeit die Entscheidung schon vor der Rechtskraft haben soll. Die Regierungsvorlage ist den Weg gegangen, daß sie im § 12 die Möglichkeit 2 mit der Möglichkeit 3 kombiniert hat, indem sie die Regel aufstellte, daß die Rechte und Pflichten des Abgeordneten, dessen Wahl für ungültig erklärt ist, zu ruhen hätten, daß aber der Bundestag von Fall zu Fall etwas anderes bestimmen könne. Der Wahlprüfungsausschuß hielt es für in hohem Maße bedenklich, im einzelnen Fall diese für die politische Zusammensetzung des Parlaments unter Umständen sehr bedeutsame Frage von einer Entscheidung des Bundestags abhängig zu machen, da hierbei der Tendenz seiner Vorlage zuwider unzweifelhaft politische Möglichkeiten und Machtverhältnisse eine kaum zu vermeidende Rolle spielen könnten. Er lehnte daher die Entscheidungsbefugnis des Bundestags ab und sprach sich einstimmig für eine klare Regelung im Gesetz aus. Der inzwischen von der SPD-Fraktion vorgelegte Änderungsantrag schlägt den Weg der Möglichkeit 1 vor, daß also in keinem Fall die Entscheidung des Bundestags vor Rechtskraft irgendwelche Wirksamkeit äußert. Die Ausschußvorlage schlägt den dritten Weg mit der Maßgabe vor, daß nicht etwa das Mandat des Abgeordneten erloschen, wohl aber seine Tätigkeit als Abgeordneter lahmgelegt ist. Er behält also seine fixen Diätenbezüge, er behält seine Immunität und bleibt im übrigen Abgeordneter; er kann sich aber an den Arbeiten des Plenums und der Ausschüsse während des Schwebezustandes nicht mehr beteiligen. Für den Vorschlag der Ausschüsse, der mit überwiegenden Mehrheiten gefaßt ist, waren folgende Gründe maßgebend. Der Ausschuß glaubt, durch die Gestaltung des Wahlprüfungsrechts im einzelnen größtmögliche Vorsorge getroffen zu haben, daß der Bundestag in jedem einzelnen Fall soweit irgend möglich nur auf Grund gesetzlicher Vorschriften und nicht unter dem Gesichtspunkt politischer Zweckmäßigkeit seine Entscheidungen fällen wird. Wenn man demgegenüber aber eine Norm einführt, durch die dieser Entscheidung, solange sie nicht rechtskräftig geworden ist, jegliche Bedeutung abgesprochen wird, entwertet man den Beschluß des Parlaments vollständig. Die Tatsache, daß in einem gewissen Umfang, nämlich in Ansehung der Mandatsausübung, die Entscheidung des Bundestages alsbald von einer gewissen Bedeutung sein m u ß , dürfte darüber hinaus dem Bundestag Veranlassung geben, sich nicht mit flüchtigen und nicht bis ins letzte durchdachten Entscheidungen zu begnügen, sondern mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob im einzelnen Fall eine Wahl für ungültig erklärt werden muß. Wenn die Entscheidung des Bundestags daher vorläufig und zunächst für den beteiligten Abgeordneten keinerlei Bedeutung hat, so besteht die Gefahr, daß sich der Bundestag von dem Gedanken leiten läßt, (Ewers) daß es auf seine Entscheidung ja ohnehin nicht ankomme, sondern daß das Wahlprüfungsgericht schon Recht sprechen werde. Eine solche Haltung, die hier selbstverständlich nur als Möglichkeit angedeutet werden soll, erschien im Ausschuß als für das Ansehen des Bundestags in hohem Maße bedenklich. Dann soll noch darauf hingewiesen werden, daß die Erklärung der Ungültigkeit einer Wahl zumeist keinerlei Kritik gegen den Abgeordneten enthält, sondern auf von seinem Verhalten völlig unabhängigen Umständen beruht, die er weder rechtlich noch moralisch zu vertreten hat. Es ist also keineswegs damit, daß dem Ausspruch des Bundestags eine gewisse vorläufige Wirksamkeit verliehen wird, irgendein Werturteil über die Person des beteiligten Abgeordneten gefällt. Allerdings hat die Vorlage des Ausschusses von der Regel des Abs. 1 des § 16 eine Ausnahme vorgesehen, und zwar dann, wenn es sich in einem einzelnen Einspruchsverfahren um das Mandat von mehr als neun Abgeordneten handelt, wenn also möglicherweise eine ganze Fraktion von dem Verfahren betroffen ist. Diese Ausnahme mit einer gewissen Mindestzahl — man hat sich auf die Mindestfraktionsstärke geeinigt — war schon deshalb geboten, weil zur Zeit dem Ausschuß Anfechtungen vorliegen, in denen die Wahlen, die in ganzen Ländern vorgenommen worden sind, aus formalen Gründen für ungültig gehalten werden. Wenn man also diese Massenanfechtung sofort irgendwie wirksam werden ließe, wenn der Bundestag seinerseits glaubt, daß man ihnen entsprechen muß, so würde man die Arbeiten des Bundestags unter Umständen lahmlegen. Bei solchen Massenanfechtungen handelt es sich natürlich stets um formale Wahlrechtsbestimmungen, ) die, wie anzunehmen ist, im einzelnen Fall in hohem Maße zweifelhaft sein dürften, da ja nach der Meinung des Anfechtenden der Wahlleiter des Landes eine offenbare Fehlentscheidung bei Feststellung des Wahlergebnisses getroffen haben müßte. Es wird bemerkt, daß die Gestaltung des § 16 im Wahlprüfungsausschuß zu sehr langwierigen Erörterungen geführt hat und erst nach wiederholten Überlegungen die jetzt vorgelegte Form fand. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich nach Darlegung aller Umstände der Meinung des Wahlprüfungsausschusses angeschlossen. § 17. Diese Vorschrift ist auf Anregung des Bundesrats aufgenommen; sie entspricht der allgemeinen Regel, daß niemand zur Entscheidung in eigener Sache berufen sein kann. Sie bezieht sich sowohl auf die Mitwirkung im Ausschuß wie im Plenum. Auch in diesem Falle ist wieder die Ausnahme entsprechend dem § 16 Abs. 2 vorgesehen, wenn eine einzelne Anfechtungssache mehr als neun Abgeordnete berührt. § 18. Nach einem Beschluß des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht soll entsprechend der Gesamtgestaltung des Gesetzes betreffend den Bundesverfassungsgerichtshof das bestehende Verfahren nicht im Wahlprüfungsgesetz, sondern in dem eben genannten Gesetz geregelt werden. Der Wahlprüfungsausschuß hat dies zur Kenntnis genommen. Im Rahmen meines Berichts habe ich daher zur Frage der Gestaltung des Beschwerderechts keine Stellung zu nehmen. Zu § 19. Die Vorschrift ist gleichlautend mit dem § 15 der Regierungsvorlage. Daß das Wahlprüfungsverfahren, soweit es sich vor dem Bundestag vollzieht, keine Kosten verursachen darf, dürfte der normalen Rechtsgestaltung entsprechen. Gleiches war schon im § 15 der Wahlprüfungsordnung vom 8. Oktober 1920 vorgesehen. Das gleiche gilt für die Nichterstattung der Auslagen. Zu § 20. Der § 16 der Regierungsvorlage ist auf Wunsch des Bundestags dahin ergänzt worden, daß noch ein Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes neue Einsprüche ermöglicht werden, weil dies einer rechtsstaatlichen Regelung entsprechen dürfte. Praktisch wird diese Bestimmung, wie man im Ausschuß annimmt, keine besondere Bedeutung haben. Bedeutsam ist, daß die Worte „beim Bundestag eingelegt" in der Regierungsvorlage geändert sind in „beim Bundestag eingegangen". Diese Änderung erschien erforderlich, weil die bisher vorliegenden Einsprüche ausnahmslos bei den zuständigen Wahlleitern eingelegt und durch diese dem Bundestag vorgelegt sind; sie sind also im Sinne des Gesetzes inzwischen beim Bundestag „eingegangen" und damit ohne weiteres formal wirksam. Bei der Formulierung der Regierungsvorlage käme in Betracht, daß alle bisherigen Einsprüche noch einmal formell erneuert werden müßten. Der § 21 entspricht dem § 17 der Regierungsvorlage. Die möglichst eilige Inkraftsetzung des Wahlprüfungsgesetzes ist ein selbstverständliches Erfordernis. Zum Schluß darf bemerkt werden, daß der Wahlprüfungsausschuß glaubt, mit diesem Gesetz eine Handhabe zu haben, um praktisch und so rasch wie möglich seinen Aufgaben zu genügen, und daß die Einzelbestimmungen sich als beweglich genug herausstellen, um eine sachgemäße Handhabung aller Wahlprüfungssachen auch vor dem Bundestag zu gewährleisten. Nachrichtlich sei bemerkt, daß dem Wahlprüfungsausschuß zirka 70 Einsprüche vorliegen. Ob die Hoffnung begründet ist, daß der Wahlprüfungsausschuß mit der Erledigung der Einsprüche bis Ende des laufenden Jahres fertig wird, muß abgewartet werden. Ewers Berichterstatter
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eduard Wahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es übernommen, namens des Rechtsausschusses über den zweiten Teil der Vorlage, „Allgemeine Verfahrensvorschriften", zu berichten. Hier lagen zwei Möglichkeiten vor: entweder von Gesetzes wegen eine genaue Prozeßordnung auszuarbeiten. zum mindesten eine generelle Verweisung auf die Justizgesetze, sei es den Strafprozeß oder gewisse Partien des Zivilprozesses auszusprechen, oder dem Gerichtshof selbst die Ausarbeitung seiner Prozeßrechtssätze, sei es im Gerichtsgebrauch, sei es im Wege fixierter und zu einer Verfahrensordnung zusammengefaßter Plenarbeschlüsse zu überlassen. Der Ausschuß hat einen mittleren Weg gewählt, auch so der Auflage des Grundgesetzes in Art. 94 Absatz 2 genügend, um einerseits unbedingt notwendige und politisch bedeutsame Entscheidungen über das zu befolgende Verfahren festzulegen, andererseits der Verfahrensfindung des Bundesverfassungsgerichtes keine allzu engen Schranken zu setzen.
    In der Tat ist es gerade bei der Staatsgerichtsbarkeit häufig den Gerichten selbst in weitem Umfang überlassen geblieben, in welcher Weise sie prozedieren sollten, und an der Haager Cour permanente ist sogar in jedem einzelnen Verfahren oft in wochenlangen Sitzungen das Programm festgelegt worden, nach welchem der Prozeßstoff bewältigt werden sollte, natürlich nicht ohne dabei implicite wichtige Prozeßrechtsfragen mitzuentscheiden. Bei der Einzigartigkeit der im Staatsprozeß zu lösenden Rechts- und Tatfragen wäre in der Tat jeder Gesetzgeber überfordert. wenn er noch vor der praktischen Bewährung der gesamten Institution alle Einzelheiten des Verfahrens von vornherein festlegen sollte. Deswegen erschien es richtig, dem neuen Gerichtshof, für dessen Zusammensetzung alle denkbaren Garantien gegeben sind, das Vertrauen entgegenzubringen, daß er schon den rechten Weg finden werde, um in den Einzelheiten ein den Bedürfnissen der ihm überwiesenen Fallgruppen entsprechendes Verfahren zu entwickeln.
    Es war auch daran gedacht, ihn zu zwingen, die Prozeßrechtssätze, die er anwenden würde, als Verfahrensordnung zu beschließen und diese Beschlüsse im Bundesgesetzblatt publizieren zu lassen. Aber abgesehen davon, daß diese Bestimmung auf staatsrechtliche Schwierigkeiten hätte stoßen können — man denke an die Frage, ob es möglich ist, daß der Bundestag seine Gesetzgebungskompetenz an einen Gerichtshof delegiert —, hätte die Überlassung der Gesetzgebungsbefugnis an das Bundesverfassungsgericht dieses vor die gleiche unlösbare Aufgabe gestellt, von vornherein ein für elle erdenklichen Kombinationen taugliches Verfahren zu ersinnen.
    Es schien deswegen richtig, bloß die Hauptgrundsätze des Verfahrens festzulegen und die Ausbildung des Verfahrensrechts im einzelnen der Übung, dem Gerichtsgebrauch in den einzelnen Fallgruppen zu überlassen und auf . den Vorteil einer schriftlichen Fixierung des Prozeßrechts zugunsten der Möglichkeit sachgerechter Verfahrensfindung im Einzelfall zu verzichten und damit den historisch immer wieder bewährten Weg der gewohnheitsrechtlichen Durchbildung des Verfahrensrechts zu beschreiten.
    Dementsprechend beschloß der Rechtsausschuß, weder der Anregung zu entsprechen, eine generelle Anwendung des Strafprozeßrechts vorzuschreiben — die Verweisung in § 17 auf das Gerichtsverfassungsgesetz betrifft nur die Öffentlichkeit, die Sitzungspolizei, die Gerichtssprache, die Beratung und die Abstimmung und übernimmt damit Regelungen, die bei allen deutschen Gerichten in Anwendung stehen —, noch auch die Abfassung einer ergänzenden Prozeßordnung und deren Veröffentlichung dem Gerichtshof zur Pflicht zu machen.
    Wenn es gilt, ein Prozeßverfahren zu ordnen oder darzustellen, hat es sich eingebürgert — sowohl in der Praxis der Gesetzgebung wie bei der wissenschaftlichen Behandlung der Probleme —, zunächst auf die Subjekte des Prozesses. d. h. das Gericht und die Parteien, und dann auf den Gang des Verfahrens selbst einzugehen. Dieser Ordnung folgt die Vorlage und auch mein kurzes Referat.
    Nachdem mein verehrter Herr Kollege Dr. von Merkatz Ihnen bereits die personelle Zusammen- setzung der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts vor Augen geführt hat, ist bei dem nunmehr zu behandelnden Abschnitt der allgemeinen Verfahrensvorschriften nur noch auf die Frage des Ausschlusses von Gerichtspersonen, den sogenannten Judex inhabilis, sowie auf die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, den sogenannten Judex suspectus einzugehen. Die Vorlage folgt hier bewährten Vorbildern. Im wesentlichen ist folgende Regelung beschlossen worden. Wer in einer Sache von Amts oder Berufs wegen in einem früheren Stadium mitgewirkt hat, ist von der Richtertätigkeit ausgeschlossen, ebenso wer am Verfahren unmittelbar beteiligt oder mit einem unmittelbar Beteiligten verheiratet oder nahe verwandt oder verschwägert ist. In diesem Sinne ist nicht unmittelbar beteiligt, wer bloß auf Grund seines Familienstandes, seines Berufes. seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Doch können in solchen Fällen darüber hinausgehende Tatbestände vorliegen, die den Richter für die Rechtsfindung als ungeeignet erscheinen lassen. Dann ist der Richter kein Judex inhabilis, aber ein Judex suspectus, der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann.
    Noch eine andere Frage, die von größter Bedeutung für die Stellung des Richters ist. hat den Ausschuß beschäftigt, die Frage der Dissenting opinion, d. h. ob der überstimmte Richter die Befugnis haben soll, nach angloamerikanischem Vorbild seine von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht der Öffentlichkeit zu unterbreiten. So imponierend bei einer solchen Regelung die Richterpersönlichkeit hervortritt, die durch die Dissenting opinion in hohem Verantwortungsgefühl gegenüber Recht und Gerechtigkeit ihre persönliche Stellung zu den behandelten Rechtsfragen klarstellt, glaubte doch der Rechtsausschuß, auf die Übernahme dieses Instituts verzichten zu sollen. Das Vertrauen zur Justiz und besonders , die. Autorität, der Verfassungsjustiz sind


    (Dr. Wahl)

    bei uns nicht groß genug, um in politischen Prozessen unliebsame und tar die ganze Institution lebensgefährliche Reaktionen der Öffentlichkeit auszuschließen, wenn ein Richter selbst zum Ausdruck bringt, man hätte auch anders entscheiden können.
    Gewiß ist die Dissenting opinion ein Institut aus alten deutschrechtlichen Wurzeln; aber seit Jahrhunderten urteilt in deutschen Landen das Gericht als anonyme Behörde ohne Klarstellung darüber, wie die mitwirkenden Richter sich zur gemeinsamen Entscheidung eingestellt haben — die Vorgänge bei der Abstimmung sind ja geheim zu halten —; und gerade d i e Justiz, die diese eminent politischen Entscheidungen zu fällen hat, schien dem Ausschuß am wenigsten einen solchen Bruch mit der deutschen Gerichtstradition vertragen zu können. Wenn die Dissenting opinion bei uns eingeführt werden soll, dann darf man damit nicht bei dem Bundesverfassungsgericht beginnen, denn das politische Kernproblem unserer Verfassungsjustiz besteht darin, daß sich die Urteile des Gerichtshofes auch wirklich durchsetzen. und es muß alles vermieden werden, was der Autorität seiner Entscheidungen Abbruch tun könnte.
    Was die Parteien angeht, so konnte bei den allgemeinen Verfahrensvorschriften nicht geregelt werden, wer in den einzelnen Fallgruppen, die die Verfassung dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zuweist, jeweils legitimiert ist, das Verfahren in Gang zu bringen. Die Fälle sind zu disparat, als daß mehr als eine nichtssagende und deshalb zu Auslegungsschwierigkeiten führende Formel hätte gefunden werden können. Deshalb ist die Frage der Aktivlegitimation, d. h. die Frage, wem die Befugnis zusteht, jeweils das Verfahren zu beantragen, in dem von mir zu behandelnden Abschnitt nicht erörtert, sondern dem dritten, speziellen Teil des Gesetzes überlassen worden.
    Unter den allgemeinen Verfahrensvorschriften ist aber das Problem behandelt, wer eine aktivlegitimierte Partei vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten darf. Der Ausschuß hat sich hier für zwei Prinzipien entschieden, die der unerhörten juristischen Schwierigkeit der hier zur Entscheidung stehenden Fragen Rechnung tragen: erstens Vertretungszwang für die in aller Regel notwendige mündliche Verhandlung und zweitens Anwaltsmonopol für diese Vertretung, jedoch mit zwei Ausnahmen: die Regierungen, also der Bund und die Länder, können sich durch die juristischen Beamten ihrer Behörden, die gesetzgebenden Körperschaften oder klageberechtigten Teile von diesen können sich durch Mitglieder dieser Körperschaften vertreten lassen.
    Ferner hat den Ausschuß folgende Einzelfrage besonders beschäftigt. Wenn eine Personengruppe verklagt ist oder als Kläger auftritt, dann soll es nicht jedem Mitgliede dieser Personengruppe möglich sein, sich durch einen eigenen Prozeßvertreter vertreten zu lassen, weil das leicht zu Mißbräuchen und zu unerträglicher Schwerfälligkeit des Verfahrens führen könnte. Das Gericht kann deshalb anordnen, daß die Personengruppe ihre Rechte, insbesondere das Recht auf Anwesenheit im Termin, durch einen oder mehrere Beauftragte wahrnehmen läßt.
    Was den Gang des Verfahrens betrifft. so unterscheidet man danach, ob ' der äußere Betrieb des Prozesses mehr beim Gericht oder bei den Parteien liegt, den sogenannten Amts- oder Parteienbetrieb und entsprechend für die Erarbeitung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen den sogenannten Untersuchungsgrunasatz — hier liegt das Schwergewicht beim Gericht — oder die Verhandlungsmaxime, die den Parteien die tatsächlichen Behauptungen und die Herbeischaffung der Beweismittel überläßt. Daß der Amtsbetrieb allein der Würde des Bundesverfassungsgerichtes' entspricht, das in der Durchführung der anberaumten Termine nicht von der Säumigkeit der Parteien bei Ladungen und Zustellungen oder von gemeinsamen Vertagungsanträgen abhängig sein darf, liegt auf der Hand.
    Schwieriger war schon die Entscheidung der entsprechenden Frage für die Erarbeitug der tatsächlichen Urteilsgrundlagen selbst; denn Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen oder zwischen Ländern können, wie auch der völkerrechtliche Prozeß im Haag gezeigt hat, in der Art eines Zivilprozesses geführt werden. Wie insbesondere der anglo-amerikanische Strafprozeß beweist, hat die Überzeugung viel für sich, daß im Kampf zweier für das Vorbringen und die Beweisführung allein verantwortlicher Parteien eine genügende Garantie für eine wahre und ausreichende Urteilsgrundlage gegeben ist. Trotzdem hätte die Übernahme der Verhandlungsmaxime in den Prozeß des Bundesverfassungsgerichts einen Bruch mit der deutschen Tradition bedeutet, die die Verhandlungsmaxime nur für den Zivilprozeß zuläßt, und deshalb wird es in § 26 zur Pflicht des Gerichtshofes erhoben, von sich aus die Wahrheit zu erforschen. also gegebenenfalls auch über die Beweisanträge der Parteien hinauszugehen. Die Beweisanträge der Parteien sind deshalb nicht überflüssig oder wertlos. Das Gericht wird sich mit ihnen nach den Grundsätzen auseinanderzusetzen haben, ,die im Strafprozeß, der ebenfalls vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht ist, in einer langjährigen und hochbedeutsamen Praxis besonders vom Reichsgericht herausgearbeitet worden sind.
    Es kommt hinzu, daß das Urteil des Verfassungsgerichts alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie überhaupt alle deutschen Gerichte und Behörden bindet. Diese Wirkung seiner Entscheidungen inter omnes gehört zum Wesen des Prozesses, wie ihn sich der Rechtsausschuß gedacht hat. Gerade daß der Untersuchungsgrundsatz gilt, das Gericht also unabhängig von dem Verhalten der Prozeßparteien den Sachverhalt von sich aus klärt, ermöglicht die Findung einer Entscheidung, die nicht bloß für die Prozeßbeteiligten, sondern für alle tauglich ist. Es wäre unerträglich, eine Entscheidung mit Wirkung gegenüber allen auf Grund der Herrschaft der jeweiligen Prozeßparteien über den Prozeßstoff zuzulassen. So heißt es auch in § 33 Absatz 2, daß das Bundesverfassungsgericht, anstatt selbst die Beweise zu erheben, die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen kann, wenn das Urteil in einem Verfahren ergangen ist, in dem die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen war.
    Eine Frage aus dem Gebiet des Beweisrechts war besonders schwierig, nämlich die Lösung des Problems, wieweit die im allgemeinen Prozeßrecht bestehende Möglichkeit für den Dienstvorgesetzten, zum Schutz von Staatsgeheimnissen einem beamteten Zeugen die Aussagegenehmigung zu verweigern, auch im Verfassungsstreit anerkannt werden muß. Daß hier nicht einfach der Dienstvorgesetzte in einer für das Gericht bindenden Weise dem Zeugen die Aussage verwehren darf, liegt auf der


    (Dr. Wahl)

    Hand, da sonst die Regierung in der Lage wäre, die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern. Andererseits gibt es Fälle, in denen die Geheimhaltung gewisser Vorgänge im Staatsinteresse geboten ist. Der Ausschuß hat den Ausweg gefunden, daß der Zeuge sich nicht auf seine Schweigepflicht berufen kann, wenn das Bundesverfassungsgericht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen die Verweigerung der Aussagegenehmigung für unbegründet erklärt.
    Eine entsprechende Lösung ist für Geheimurkunden gefunden worden. Wenn dem Gericht solche Geheimdokumente zugeleitet werden, kann es mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen ihre Beiziehung ablehnen, wenn ihre Verwendung mit der Staatssicherheit unvereinbar ist. Damit scheiden sie als Prozeßmaterial aus. Sie können bei der Entscheidung nicht verwendet werden, und auch das grundsätzlich anerkannte Recht der Beteiligten auf Einsicht der Akten besteht für die Geheimurkunde nicht, da sie nicht zu den Akten des Prozesses genommen worden ist. Nur diese Regelung verbürgt, ohne das unter Umständen lebenswichtige Interesse des Staates an der Geheimhaltung seiner arcana zu vernachlässigen, den in einem Rechtsstaat notwendigen Grundsatz, daß die Entscheidung nur auf solche Beweise gestützt werden kann, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
    Im übrigen folgt das Verfahren den bewährten Grundsätzen der Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlung. Natürlich kommt das Verfahren nur durch einen schriftlichen Antrag in Gang. Aber keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wenn nicht beide Parteien auf die Verhandlung ausdrücklich verzichten. Nur formwidrige, unzulässige, verspätete oder offensichtlich unbegründete Anträge sowie Anträge von offensichtlich Nichtberechtigten können durch einstimmig gefaßten Beschluß, der keiner weiteren Begründung bedarf, verworfen werden.
    Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergeihen im Namen des Volkes genau so wie die Entscheidungen aller anderen Gerichte. Sie wirken, wie schon erwähnt, für alle Gerichte und Behörden, womit der vom Verfassungsgericht festgestellte Inhalt eines Grundrechts oder einer sonstigen streitigen Verfassungsbestimmung nicht nur für den konkreten Anlaß, sondern für alle gleichliegenden Anlässe für bindend erklärt wird. Wenn etwa ein Redner in einem bestimmten Bezirk ein Redeverbot bekommen hat und das Bundesverfassungsgericht dieses Redeverbot für verfassungswidrig erklärt, dann darf in einem anderen Land eicht mit der gleichen Begründung ihm wieder ein Redeverbot auferlegt werden, da alle Gerichte und Behörden sich der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu beugen haben, daß die Voraussetzungen für eine verfassungsmäßige Beschränkung der Redefreiheit nicht gegeben sind.
    Handelt es sich um die Nichtigerklärung eines Gesetzes, so bestimmt Art. 31 Absatz 2 ausdrücklich, daß die Nichtigerklärung des Gesetzes selbst Gesetzeskraft hat und daß der Justizminister die Entscheidung im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen hat. Diese Veröffentlichung ist aber nach dem Gewicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Voraussetzung für ihre Wirksamkeit; es handelt sich vielmehr um eine Sollvorschrift, die der Ordnung halber das übliche Publikationsorgan für Gesetze auch für solche Nachrichten zugänglich macht.
    Eine bekannte Streitfrage in der Weimarer Zeit war die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügungen im Staatsprozeß. Alle diejenigen, die die sogenannte Justiziabilität politischer Vorgänge überhaupt kritisch beurteilten, sprachen sich gegen die einstweilige Verfügung aus, während der Staatsgerichtshof die einstweilige Verfügung zuließ und nicht immer glücklich praktizierte. Nachdem nunmehr das Grundgesetz grundsätzlich durch den großen Katalog von Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht politische Vorgänge zu beurteilen hat, die Justiziabilität dieser Vorgänge bindend festgelegt hat, mußte auch die einstweilige Verfügung als ein. zulässiges Mittel der Verfassungsrechtsprechung anerkannt werden. Dies geschieht durch § 32. Aber ein besonders wichtiger Grund für den Erlaß der einstweiligen Verfügung muß vorliegen. § 32 bestimmt, daß die einstweilige Anordnung als vorläufige Regelung des Streitfalles möglich ist, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist.
    Die folgenden Absätze lehnen sich eng an das Verfahren der einstweiligen Verfügung im Zivilprozeß an. Nur eine Neuschöpfung hat der Rechtsausschuß beschlossen: die einstweilige Verfügung tritt nach drei Monaten außer Kraft. Sie kann nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden. Der Sinn der Bestimmung liegt auf der Hand: der eigentliche Verfassungsstreit, die sogenannte Hauptsache, soll durch den Erlaß der einstweiligen Verfügung nicht überflüssig werden. Der Hauptprozeß soll durchgeführt werden, weil nur er die notwendigen Garantien für die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens und für eine erschöpfende Beweisaufnahme bietet.
    Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die Kosten. Das Verfahren bei, dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei. Es werden keine Gebühren erhoben und keine Auslagen ersetzt verlangt. Umgekehrt hat aber in den Verfahren, die auf den Ausspruch einer Unrechtsfolge gerichtet sind, also Strafcharakter haben, der obsiegende, also freigesprochene Angeklagte Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung. Nur wenn eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig oder 'unbegründet abgewiesen wird, kann. das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 120 bis 1000 DM auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Mißbrauch darstellte. Es soll damit die querulatorische Verfassungsbeschwerde hintangehalten werden.
    Eine letzte Bestimmung endlich befaßt sich mit der Vollstreckung der Entscheidung. Das Problem wurde eingehend erörtert; zeitweise dachte man gar an die Einschaltung des Bundespräsidenten, aber schließlich wurde, um eine sachgemäße Vollstreckung in den zahlreichen Varianten. die zur Entscheidung kommen können, sicherzustellen, die Regelung der Zwangsvollstreckung einfach dem Urteil selbst überlassen.
    Gegenstand meines Referats ist ferner von den besonderen Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht tätig werden soll, die sogenannte Verfassungsbeschwerde. Es kann nicht verhohlen werden, daß gegen diesen allgemeinen Rechtsbehelf im Rahmen des Rechtsausschusses manche Bedenken laut geworden sind, denn die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, den jeder In-


    (Dr. Wahl) '

    herber eines Grundrechts oder eines der diesem gleichgestellten Rechte gegenüber allen Akten der Staatsgewalt verwenden kann, mögen sie nun der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder Verwaltung angehören, wenn nur eine Verletzung eines der in der Verfassung gewährten Grundrechte oder eines anderen entsprechend geschützten Rechtes, wie es sich aus den Bestimmungen über das Wahlrecht und die Grundlagen unserer Justiz ergibt, in Frage steht. Man sagte, die Verfassungsbeschwerde in dieser Ausdehnung gewähre zuviel Rechtsschutz, wir stünden vor der Entwicklung zu einem reinen Justizstaat, der die eigentlichen Staatsaufgaben zugunsten der Rechtsstaatlichkeit vernachlässige, und man komme zudem den Ländern ins Gehege, die insbesondere in den modernen Verwaltungsgerichtsverfahren bereits den möglichen Endpunkt der Entwicklung des Rechtsschutzes erreicht hätten.
    Trotzdem hat sich der Rechtsausschuß für die Einführung der Verfassungsbeschwerde entschieden. Sowohl der Regierungsentwurf des Bundesjustizministeriums wie der Entwurf der SPD sahen die Verfassungsbeschwerde vor, die in der Tat am ehesten das Zusammenwachsen von Volk und Verfassung herbeiführen kann und das demokratische Bewußtsein des Staatsbürgers stärkt. Ein Bundesverfassungsgericht, das die Aufgabe hat, die Verfassung zu hüten, entbehrt eine seiner wichtigsten Funktionen, wenn der Schutz der Grundrechte nicht in den Bereich seiner Jurisdiktion einbezogen wird.
    Freilich erhob sich sofort die Frage, wie die mögliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in unser bisheriges Rechtsschutzsystem einzubauen sei. Der Entwurf antwortet: Grundsätzlich muß dieses Rechtsschutzsystem unberührt bleiben, so daß immer dann, wenn gegen den Staatsakt, der die Verletzung der subjektiven Verfassungsrechte enthält, ein Rechtsmittelzug, also ein besonderes Rechtsschutzverfahren gewährt ist, dieser Rechtsmittelzug erschöpft sein muß, ehe in einem letzten Rekurs bei dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden kann, es liege ein Verstoß gegen die Verfassung vor. Nur dann, wenn die Verfassungsfrage von besonderer Bedeutung ist — sei es, daß die Frage wesentlich die Allgemeinheit interessiert, sei es, daß die Erschöpfung des Rechtsweges einen schwerwiegenden und unabwendbaren Nachteil für den Betroffenen nach sich ziehen würde —, kann ausnahmsweise, noch bevor der Rechtsweg erschöpft ist, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.
    In welchem Verhältnis soll dann diese Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfassungsbeschwerden stehen, die in den Gesetzen über die Staatsgerichtshöfe der Länder bereits vorgesehen sind? Insbesondere der Bundesrat war der Meinung, daß, wenn wegen eines einem Bundesgrundrecht entsprechenden Landesgrundrechts eine Verfassungsbeschwerde in den Ländern gegeben sei, die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht nicht mehr gewährt werden könne, d. h. also, das Bundesverfassungsgericht sollte nur subsidiär hinter den Verfassungsgerichten der Länder zum Zuge kommen, praktisch nur dann, wenn es sich um die Auslegung eines Grundrechts handelt, das wohl im Grundgesetz, aber nicht in der entsprechenden Landesverfassung enthalten ist.
    Der Rechtsausschuß hat sich mit diesem Problem eingehend befaßt und ist schließlich zu der in Abs. 3 des § 90 enthaltenen Lösung gekommen, daß durch die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, die Anrufung der Lanaesverlassungsgerichte nicht ausgescniossen wird; denn die Aufgabe der Landerverfassungsgerichte besteht dann, die Wahrung der in den Landesverfassungen gewährten Grundrechte und nicht der im Grundgesetz gewahrten Grundrechte zu überwachen. Auch soweit die Grundrechte in den Verfassungstexten des Bundes und der Lander übereinstimmen, ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß in den Einzelheiten sich Verschiedenheiten in der Auffassung entwickeln können, und es war wohl die vorwiegende Ansicht im Rechtsausschuß, daß für diese Fragen anders als bei sonstigem Recht das Bundesrecht dem abweichenden Landesrecht nicht vorgehen könne. Unter diesen Umständen blieb keine andere Möglichkeit, als die konkurrierende Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und der Länderverfassungsgerichte anzuerkennen, wobei bei vielen Mitgliedern des Rechtsausschusses die Vorstellung mitspielte, daß man eben zwei Grundrechte habe, ein Bundesgrundrecht und ein Landesgrundrecht, und die Zuständigkeit der Landesstaatsgerichtshöfe für die Auslegung des Bundesgrundrechts zu verneinen sei, wie umgekehrt auch das Bundesverfassungsgericht über die Grenzen des Landesgrundrechts keine verbindlichen Feststellungen treffen könne.
    Die also umrissene Verfassungsbeschwerde steht jedem zu, der in seinem Grundrecht oder in einem gleichgestellten Recht durch einen Akt der öffentlichen Gewalt verletzt ist, mag es sich um einen Gesetzgebungs-, einen richterlichen oder einen Verwaltungsakt handeln. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Feststellung kommt, daß ein Gesetz, ein Urteil oder Verwaltungsakt das Grundrecht des Beschwerdeführers verletzt, so führt dies zu einer Aufhebung bzw. Nichtigerklärung des in Verletzung der Verfassung vorgenommenen Staatsaktes. Praktisch wird also über dem Rechtszug, der in solchen Fällen an sich schon gegeben ist, noch eine weitere Instanz eröffnet, und zwar muß das Rechtsmittel innerhalb eines Monats seit Zustellung der Entscheidung mit Gründen — bzw. innerhalb eines Jahres bei Gesetzen und sonstigen Hoheitsakten, gegen die ein Rechtsweg nicht offensteht — ergriffen werden. Hat der Beschwerte das Rechtsmittel nicht ergriffen und wird in einem gleichgelagerten Falle von dritter Seite die Verfassungsbeschwerde erhoben und die Nichtigkeit eines Gesetzgebungsaktes festgestellt, dann nützt diese Nichtigkeitserklärung demjenigen, der die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde versäumt hat, grundsätzlich nichts.
    Diese Frage wird im Referat des verehrten Herrn Kollegen Neumayer noch näher behandelt werden; aber damit Sie die Funktion der Verfassungsbeschwerde im ganzen erfassen, darf ich mit wenigen Worten auf dieses Problem eingehen. Der alte Satz, daß Nichtigkeiten, die rückwirkend eine Kluft zwischen Recht und Leben aufreißen, möglichst einzuschränken sind, gilt insbesondere dann, wenn eine längere Staatspraxis von der Gültigkeit einer Rechtsnorm ausgegangen ist. In allen diesen Fällen automatisch eine rückwirkende Nichtigkeit aller auf Grund dieser Rechtsnorm erlassenen Akte zu verordnen, würde in unser ganzes Rechtsleben eine unerträgliche Unsicherheit bringen. Der Ausschuß hat deshalb gesagt, daß die Nichtigkeit oder Aufhebung des Staatsaktes nur für denjenigen eingreifen kann, der selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat, während alle


    (Dr. Wahl)

    diejenigen, die diese Frist versäumt haben, sich dadurch mit der ihnen zuteil gewordenen Regelung zufrieden gegeben haben und nicht mehr von der Verfassungsbeschwerde eines Dritten oder einer sonstigen Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes im Wege der Normenkontrolle profitieren können. Die Verfassungsbeschwerde hat also in der Regelung, die der Ausschuß vorschlägt, zugleich eine den Rechtsschutz einschränkende Funktion, indem alle diejenigen, die die Verfassungsbeschwerde nicht ergreifen, sich mit der von ihnen als endgültig hingenommenen Rechtslage abfinden müssen. „Iura vigilantibus sunt scripta" — die Rechte sind für die Wachsamen aufgeschrieben — gilt auch hier.
    Die einzige Ausnahme einer automatischen Rückwirkung, die allerdings der Ausschuß glaubte machen zu müssen, besteht darin, daß bei Strafen in allen Fällen ein Wiederaufnahmeverfahren gewährt werden muß, wenn die Strafnorm, auf Grund deren die Strafe ausgesprochen wurde, als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet worden ist. Ferner darf aus einem Vollstreckungstitel, dessen gesetzliche Grundlage durch den Bundesverfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wird, eine Vollstreckung nicht mehr fortgesetzt werden. Entsprechendes gilt für die Vollstreckung und Vollziehung von. Verwaltungsakten, die nunmehr der Rechtsgrundlage entbehren. Aber von diesen Fällen abgesehen, bleiben die abgewickelten Angelegenheiten, ohne daß eine Remedur möglich ist, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit unberührt, sofern nicht der Betroffene selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat. Auch eine Rückforderung des Geleisteten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ist ausdrücklich abgelehnt. Es kann freilich ein Fall vorliegen, in dem es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, eine umwälzende Entscheidung des Verfassungsgerichts auch denen zugute kommen zu lassen, die sich bei dem sie beschwerenden Hoheitsakt zunächst beruhigt hatten; aber dann ist es Sache des Gesetzgebers, einzugreifen und eine über die Vorlage hinausgehende Rückwirkung anzuordnen. Das ist der Sinn der im letzten Satz des § 94 der Vorlage enthaltenen Verweisung auf § 79.
    Damit bin ich im Ende des mir zugefallenen Teilberichts und schließe, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß das Bundesverfassungsgericht die Friedensfunktion aller Gerichtsbarkeit auf seinem schwierigen Gebiet möge erfüllen können. Unsere Vorlage hat ihm nach besten Wissen und Gewissen aller Ausschußmitglieder den Weg zu diesem Ziele eröffnet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Neumayer zur Berichterstattung.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Fritz Neumayer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den dritten Teil des Gesetzes über den Bundesverfassungsgerichtshof hier vorzutragen. Herr Kollege Dr. von Merkatz hat von hoher Warte und mit von größter Sachkenntnis und rechtsgeschichtlicher Kenntnis ausgezeichneten gedankenreichen Ausführungen den Aufbau und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtshofes geschildert. Herr Kollege Professor Dr. Wahl hat in äußerst klarer Weise die allgemeinen Verfahrensvorschriften dargestellt. Es ist meine Aufgabe, Ihnen nun die besonderen Verfahrensvorschriften vorzutragen. Ich muß mich hierzu auf die Ebene der praktischen Durchführung dieses Gesetzes begeben und bitte Sie, mir dahin zu folgen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die allgemeinen Verfahrensvorschiften, die Herr Kollege Professor Dr. Wahl hier vorgetragen hat, gelten auch für den dritten Teil des Gesetzes, soweit dort .nicht besondere Vorschriften für die Einzel-
    getroffen worden sind. In Art. 93 des Grundgesetzes ist die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofes geregelt. Die dort gegebenen Zuständigkeiten sind nicht erschöpfend, sondern im Grundgesetz findet sich eine Reihe von weiteren Bestimmungen, die wiederum eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründen. Verschiedene dieser Fragenkomplexe hängen aufs engste miteinander zusammen, so insbesondere die Anklage gegen den Bundespräsidenten und die Richteranklage; die Normenkontrolle, sei es, daß sie von einem obersten Bundesorgan oder von einem Gericht beantragt wird; so auch die Bestimmungen über die Verwirkung der Grundrechte und die Vorschriften über das Parteienverbot. Ich werde mich in meinem Vortrag an die Reihenfolge halten, die in der Vorlage, welche Ihnen heute vorliegt, eingehalten ist.
    Ich komme nun zunächst zu dem ersten Abschnitt, zu § 13 Nr. 1. Hier ist unter Bezugnahme auf Art. 18 des Grundgesetzes die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für Entscheidungen über die Verwirkung von Grundrechten behandelt. Bei Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 1 kann die Verwirkung bestimmter Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden, nämlich dann, wenn diese Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht worden sind. Nach den Bestimmungen des § 15 Abs. 2 kann die Verwirkung der Grundrechte nur mit einer Mehrheit von 8 Stimmen, also mit der in den allgemeinen Verfahrensvorschriften für eine Entscheidung zum Nachteil des Antraggegners vorgesehenen Mehrheit beschlossen werden.
    Der Ausspruch der Verwirkung von Grundrechten bedeutet eine so schwerwiegende Maßnahme, daß das Antragsrecht nur in die Hand der obersten Staatsorgane gelegt werden konnte, denen der Schutz des Staates obliegt. Demnach kann der Antrag nach § 36 nur vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs hatte auch einer Minderheit des Bundestages, die wenigstens ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfaßt, ein Antragsrecht zugebilligt. Der Ausschuß glaubte aber, nicht so weit gehen zu sollen, sondern er folgte hier der Anregung des Bundesrates, der angesichts der schwerwiegenden Bedeutung der Verwirkung von Grundrechten das Antragsrecht ausschließlich der Mehrheit des Bundestages vorbehalten wollte. Die schwierige Auslegung des Begriffs „Mißbrauch von Grundrechten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" wurde bewußt der Rechtsprechung überlassen.
    Der Ausschuß hat eine neue in § 37 verankerte Bestimmung in die ursprüngliche Regierungsvorlage aufgenommen. Danach muß dem Antragsgegner binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sodann zu beschließen, ob der Antrag als unzulässig oder als nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die


    (Neumayer)

    Verhandlung durchzuführen ist. Durch diese Bestimmung ist analog dem Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren eine Art Vorprüfung eingeführt worden. Es soll einer Überlastung des Bundesverfassungsgerichts vorgebeugt und gleichzeitig dem Angeklagten rechtliches Gehör gewährt werden. Man wollte also vermeiden, daß jemand ohne hinreichenden Grund vor das Bundesverfassungsgericht geladen wird. So bedeutet dieser § 37 einmal eine Erschwerung des Entziehungsverfahrens und zum andern einen Schutz des Angeklagten.
    In dem nun folgenden § 39 wird der mögliche Inhalt und die Wirkung einer die Verwirkung eines Grundrechtes aussprechenden Entscheidung bestimmt. Es bestand Einigkeit darüber, daß die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Maßnahmen keine strafrechtliche Diskriminierung bedeuten, wie dies z. B. bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte im Strafrecht der Fall ist. Der Ausspruch der Verwirkung beseitigt die besondere Rechtsgarantie, die für den einzelnen in den Grundrechten enthalten ist. Sie beseitigt somit die Schranke, die dem Gesetzgeber, der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit durch die Grundrechte gezogen ist. Da nach Art. 18 des Grundgesetzes auch das Ausmaß der Verwirkung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden soll, bestehen keine Bedenken, dem Bundesverfassungsgericht auch die Möglichkeit zu geben, dem Antragsgegner nach Art und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen aufzuerlegen, soweit diese Beschränkungen nicht andere als die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen.
    Nach längeren Beratungen hat der Ausschuß die Ihnen nunmehr vorliegende Formulierung ge) wählt, und zwar davon ausgehend, daß, soweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert ist, die Verwaltungsbehörden zum Einschreiten gegen den Antragsgegner keiner weiteren rechtlichen Grundlage mehr bedürfen, daß sie aber in jedem anderen Fall an das Gesetz gebunden sind. Art. 20 des Grundgesetzes bleibt also auch in diesen Fällen voll wirksam. Wenn nun z. B. das Bundesverfassungsgericht lediglich die Verwirkung des Grundrechts der Redefreiheit ausspricht, so bedarf die Verwaltungsbehörde zum Einschreiten gegen den Antragsgegner nach wie vor einer gesetzlichen Grundlage. Sie bleibt also an das Versammlungsordnungsgesetz gebunden. Hat aber das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig ausgesprochen, daß dem Antragsgegner auf gewisse Zeitdauer das Reden in politischen Versammlungen untersagt ist, dann kann die Verwaltungsbehörde auf Grund dieses Ausspruchs ohne weiteres gegen den Redner einschreiten.
    Nach Art. 18 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verwirkung der Grundrechte, sondern auch deren Ausmaß zu bestimmen. Daraus ergibt sich erstens: Das Ausmaß der Verwirkung umschließt auch den Ausspruch einer Teilverwirkung. Wenn z. B. ein hervorragender Arzt eine ausgesprochen antidemokratische Partei propagiert, so kann ihm wohl das Recht der politischen Meinungsäußerung abgesprochen, es kann ihm aber nicht verboten werden, in medizinischen Fachzeitschriften medizinische Artikel zu schreiben. Eine derartige Teilverwirkung eines Grundrechts kann bereits im Urteil konkretisiert werden.
    Zweitens: Es bestand im Ausschuß trotz vorgebrachter Bedenken schließlich kein Zweifel darüber, daß dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gegeben werden müsse, auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte auch das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen oder auch die Auflösung juristischer Personen anzuordnen. Wahlrecht und Wählbarkeit sind keine Grundrechte, da sie nicht in die im ersten Teil des Grundgesetzes behandelten Rechte mit einbezogen sind. Man war sich darüber klar, daß der Gefahr, eine freiheitliche Demokratie durch Mißbrauch ihrer Grundlagen aus den Angeln zu heben, vorgebeugt werden müsse. Will man aber eine Schranke gegen den Mißbrauch der freiheitlichen Rechte errichten, dann muß dieser gesetzgeberische Wille auch bei der Durchführung entsprechende Wirksamkeit erhalten. Wenn man schon einem Staatsbürger das Recht der Meinungsfreiheit und andere Grundrechte beschneiden kann, so muß erst recht das nicht unter den Begriff der Grundrechte fallende Recht, das aktive und passive Wahlrecht, aberkannt werden können. Dies liegt im Begriff der Verwirkung der Grundrechte. Daher trug der Ausschuß keine Bedenken, die Folgen der Verwirkung der Grundrechte und ihr Ausmaß durch einfaches Bundesgesetz zu bestimmen.
    Es erwies sich als notwendig, die Mindestdauer der Verwirkung auf ein Jahr festzulegen. Ist die Verwirkung zeitlich nicht befristet oder für einen längeren Zeitraum als ein Jahr ausgesprochen, so mußte dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit gegeben werden, auf Antrag die Verwirkung ganz oder teilweise aufzuheben oder in ihrer Dauer abzukürzen. Von dieser Möglichkeit kann aber das Bundesverfassungsgericht nach § 40 erst Gebrauch machen, wenn seit dem Ausspruch der Verwirkung zwei Jahre verflossen sind.
    In § 41 wurde sodann bestimmt, daß nach einer sachlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über einen Antrag ein solcher gegen den gleichen Antragsgegner nur dann wiederholt werden kann, wenn er auf neue Tatsachen gestützt wird. Diese Bestimmung greift z. B. dann Platz, wenn eine Untergrundbewegung neuerdings nachgewiesen werden kann.
    In § 42 sind sodann die Strafbestimmungen für den Fall vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder gegen die im Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen festgelegt.
    Meine Damen und Herren, ich komme nun zum zweiten Abschnitt, § 13 Nr. 2. Der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, kann — ähnlich wie im Falle der Grundrechtsverwirkung — nur vom Bundestag, dem Bundesrat und von der Bundesregierung gestellt werden. Nach dem Beschluß des Ausschusses kann eine Landesregierung den Antrag gegen eine Partei nur dann stellen, wenn sich deren Organisation auf das Gebiet eben dieses Landes beschränkt. Man ging hierbei von der Auffassung aus, daß nur die Stelle, die regional wirklich mit der Sache zu tun hat, den Antrag stellen kann. Gerade mit dieser Einengung wird den berechtigten Interessen der Länder Rechnung getragen. Falls sich jedoch die Organisation auf mehrere Länder erstreckt, so ist der Bundesrat in der Lage, von sich aus durch Antragstellung einzugreifen. Ich möchte hier betonen, daß es für eine dem Antragsgegner nachteilige Entscheidung, ebenso wie im Falle der Verwirkung eines Grundrechtes, auch hier entspre-


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    chend § 15 Abs. 2 einer Mehrheit von acht Stimmen, also einer qualifizierten Mehrheit bedarf.
    Der Ausschuß hielt es zur Sicherstellung der Durchführung des Verfahrens für notwendig, die Vertretungsberechtigung für den Fall, daß sich die Partei auflöst und niemand mehr da ist, gegen den vorgegangen werden kann, festzulegen. Als vertretungsberechtigt gelten in derartigen Fällen die Personen, die die Geschäfte der Partei, die den Antrag veranlaßt hat, zuletzt tatsächlich geführt naben.
    In § 45 sind ähnliche Bestimmungen über einen Eröffnungsbeschluß, wie dies im Verfahren wegen Verwirkung der Grundrechte festgelegt ist, getrof f en.
    Der Ausschuß war der Meinung, daß es, falls sich der Antrag als begründet erweist, genügt, wenn das Bundesverfassungsgericht die Vertassungswidrigkeit der politischen Partei feststellt. Mit dieser Feststellung ist nach Auffassung des Ausschusses in jedem Falle das Parteiverbot zu verbinden. Dagegen ist die Einziehung des Vermögens der Partei fakultativ. Im Ausschuß wurde die Bestellung von Treuhändern für das Parteivermögen erwogen. Man hat aber von einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung abgesehen, da notfalls das Bundesverfassungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 32 entsprechende Maßnahmen treffen kann. Für den Fall der Einziehung des Vermögens wurde die Regierungsvorlage dahin ergänzt, daß das eingezogene Vermögen nur zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden darf. Das Verbot kann sich auch auf einen rechtlich und organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränken.
    Ein Mandatsverlust kann nach der Gesetzesvorlage in diesem Falle nicht ausgesprochen werden. Ein solcher kann sich aber aus einem Verfahren wegen Verwirkung der Grundrechte gegen den einzelnen Angehörigen der Partei ergeben, wenn ihm die Wählbarkeit abgesprochen wird. Das Verbot der Partei als solcher zieht nicht den Verlust des Mandats ihrer Abgeordneten nach sich.
    Die Bestimmungen des § 38, wonach nach Eingang des Antrages von dem Bundesverfassungsgericht eine Beschlagnahme oder Durchsuchung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung angeordnet werden kann, gelten für den zweiten Abschnitt, den ich soeben vorgetragen habe, entsprechend.
    Ich komme zu dem dritten Abschnitt, § 13 Nr. 3, der sich mit der Wahlprüfung befaßt. Nach Art. 41 des Grundgesetzes ist die Wahlprüfung Sache des Bundestags. Gegen dessen Entscheidung ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Das Wahlprüfungsgesetz sieht vor, daß jeder einzelne Wahlberechtigte das Anfechtungsrecht hat. Wenn nun das Wahlprüfungsgesetz dem einzelnen Wahlberechtigten das Anfechtungsrecht zuspricht, so kann ihm nach Auffassung des Ausschusses auch das Einspruchsrecht gegen die Entscheidung des Bundestags nicht entzogen werden. Doch hielt man es, um querulatorische Anträge möglichst einzudämmen, für notwendig, eine Beschwerde des einzelnen davon abhängig zu machen, daß mindestens 100 Wahlberechtigte der Beschwerde beitreten. Im übrigen steht die Beschwerde gegen den Beschluß des Bundestags dem Abgeordneten, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, einer Fraktion oder einer mindestens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfassenden Minderheit des Bundestags zu. Die Einspruchsberechtigten kraft Amtes, also die Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Minister, haben kein Beschwerderecht. Die Ausschlußfrist von einem Monat wurde für angemessen und notwendig gehalten.
    Der vierte Abschnitt, § 13 Nr. 4, befaßt sich mit der Anklage gegen den Bundespräsidenten. Ähnlich gestaltet ist § 13 Nr. 9, der sich mit der Richteranklage befaßt. In beiden Fällen gelten die Bestimmungen des § 15 Abs. 2, wonach nur eine qualifizierte Mehrheit von acht Stimmen eine Verurteilung aussprechen kann. Nach Art. 61 des Grundgesetzes können der Bundestag oder der Bundesrat den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. Damit ist das Recht der Anklageerhebung genau umgrenzt, so daß eine nochmalige Hervorhebung in dem jetzt zur Beratung stehenden Gesetzentwurf nicht notwendig war.
    Art. 61 des Grundgesetzes enthält bereits Bestimmungen über das Recht, den Antrag auf Erhebung der Anklage zu stellen. Die Mehrheit, deren der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf, ist dort ebenfalls festgelegt. Art. 61 des Grundgesetzes bestimmt weiter, daß die Anklage von einem Beauftragten der anklagenden Körperschaft erhoben wird. Der Ausschuß hat den in § 43 der ursprünglichen Vorlage vorgesehenen Abs. 4 mit Rücksicht auf diese Bestimmung des Grundgesetzes gestrichen, die die Vertretung der Anklage durch die anklagende Körperschaft unmittelbar festlegt. Im übrigen regelt g 49 die Förmlichkeit für die Erhebung der Anklage innerhalb der vom Grundgesetz gesteckten Grenzen. Die vom Präsidenten der die Anklage erhebenden Körperschaft gefertigte Anklageschrift muß die Feststellung enthalten, daß der Beschluß auf Erhebung der Anklage mit der Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags oder mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats gefaßt worden ist. Obwohl in Art. 121 des Grundgesetzes festgelegt ist, daß die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags im Sinne des Grundgesetzes immer die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl bedeutet, hat der Ausschuß es doch für richtig gehalten, in § 49 Abs. 3 ausdrücklich hervorzuheben, daß die notwendige Mehrheit zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags bedeutet. In § 50 und in den folgenden Bestimmungen ist statt „gesetzgebende Körperschaft" der Ausdruck „antragsberechtigte Körperschaft" gewählt.
    Gewisse Schwierigkeiten hat die Frage bereitet, wann der der Anklage zugrunde liegende Sachverhalt der antragsberechtigten Körperschaft bekannt geworden ist. Die Körperschaft als solche kann natürlich keine Kenntnis erhalten. Kenntnis erhalten können immer nur ihre Mitglieder oder das vertretungsberechtigte Organ. Der Ausschuß hat den Standpunkt vertreten, daß diese Frage der Praxis überlassen werden sollte.
    In § 51 ist gesagt, daß die Einleitung und Durchführung des Verfahrens durch den Rücktritt des Bundespräsidenten, durch sein Ausscheiden aus dem Amt oder durch Auflösung des Bundestags oder . den . Ablauf seiner Wahlperiode nicht berührt wird. Damit steht dieses Gesetz im GegenSatz zu den meisten Disziplinargesetzen, in denen vorgesehen ist, daß das Disziplinarverfahren bei dem Ausscheiden des Antragsgegners aus dem Amt


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    eingestellt wird. Die vorliegende Bestimmung war daher notwendig, um festzulegen, daß im Gegensatz zu den Disziplinargesetzen das Ausscheiden des Bundespräsidenten aus seinem Amt das Verfahren gegen ihn nicht berührt. Die in der ursprünglichen Fassung der Vorlage für die Zurücknahme der Anklage vorgesehene qualifizierte Mehrheit des Bundestags oder des Bundesrats wurde dahin abgeändert, daß dieser Beschluß nur der einfachen Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags oder der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats bedarf.
    Wenn in § 52 Abs. 2 ausgesprochen ist, daß die Anklage vom Präsidenten der antragstellenden Körperschaft durch Übersendung einer Ausfertigung des Beschlusses an das Bundesverfassungsgericht zurückgenommen wird und der Bundespräsident innerhalb eines Monats widersprechen kann, so ist für den Beginn dieser Frist der Eingang der Zurücknahme der Anklage zu verstehen. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß dies genügend deutlich in der Fassung des § 52 Abs. 2 und 3 zum Ausdruck kommt.
    In § 53 wird bestimmt, daß nach Erhebung der Anklage das Bundesverfassungsgericht durch einstweilige Anordnung verfügen kann, daß der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Diese einstweilige Anordnung beruht auf Art. 61 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die allgemeinen Grundsätze des § 32 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof finden hier keine Anwendung. Einengende Voraussetzungen für diese einstweilige Anordnung gegenüber dem Grundgesetz zu schaffen, war nicht möglich. Eine qualifizierte Mehrheit für eine Verlängerung der einstweiligen Anordnung kam daher auch nicht in Betracht.
    Die in § 54 erwähnte Voruntersuchung konnte nach Auffassung des Ausschusses nur einem dem Spruchsenat nicht angehörenden Richter anvertraut werden. Es wurde daher ausdrücklich festgelegt, daß die Voruntersuchung einem Richter des Ersten Senats, der im Verfahren gegen den Bundespräsidenten nicht erkennt, zu übertragen sei.
    Nach § 55 kann gegen den Bundespräsidenten auch verhandelt werden, wenn er unentschuldigt ausbleibt oder wenn er sich ohne ausreichenden Grund vorzeitig entfernt. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß bei richtiger Auslegung des Wortes „unentschuldigt" das Bundesverfassungsgericht eine Lösung finden wird, falls der Präsident sich mehrmals entschuldigt, so daß eine Verhandlung nicht stattfinden könnte.
    Nach der ursprünglichen Vorlage sollte der Berichterstatter die Anklageschrift verlesen. Der Ausschuß entschied sich dafür, daß der Beauftragte der antragstellenden Körperschaft die Anklage vorträgt.
    Nun zum Urteil selbst. Nach § 56 ist im Urteil festzustellen, ob der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines genau zu bezeichnenden Bundesgesetzes schuldig ist. Der in der Vorlage vorgesehene Fall der Freisprechung wurde abgelehnt, da das Verfahren nicht mit einem Strafverfahren identifiziert werden sollte. Für den Fall, daß das Verhalten des Bundespräsidenten objektiv eine Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes darstellt, dem Bundespräsidenten aber ein Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann, hat nach Auffassung des Ausschusses der Urteilstenor dahin zu lauten, daß der Bundespräsident weder das Grundgesetz noch ein Bundesgesetz vorsätzlich verletzt hat. In' den Gründen des Urteils ist dann allerdings auszuführen, daß zwar eine objektive, nicht aber eine subjektive Verletzung des Grundgesetzes oder eines Bundesgesetzes nachgewiesen ist. Der Ausschuß hat den in der Vorlage gewählten Ausdruck der Verletzung eines genau zu bezeichnenden Bundesgesetzes ausdrücklich aufgenommen, da er in dieser Abweichung von dem Text des Grundgesetzes eine Verletzung des Grundgesetzes nicht erblickt hat. Der Gang der mündlichen Verhandlung ist im § 55 in den Grundzügen geregelt.
    Nach § 57 ist eine Ausfertigung des Urteils samt Gründen dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung zu übersenden. Man war sich darüber einig, daß die allgemeinen Verfahrensvorschriften des § 30 Abs. 2, wonach alle Entscheidungen den Beteiligten zuzustellen sind, auch hier anwendbar sind. Die Zustellung als solche hat selbstverständlich eine andere Rechtswirkung als die Übersendung. Trotzdem hielt man die Übersendung an Bundesrat und Bundestag für notwendig, da diese Körperschaften möglicherweise staatsrechtliche Maßnahmen zu treffen haben. Eine besondere Erwähnung des Bundespräsidenten in § 57 erschien nicht notwendig, da dem Bundespräsidenten als Beteiligten ohne weiteres nach § 30 Abs. 2 die Entscheidung zugestellt werden muß.
    Ein Wiederaufnahmeverfahren im Falle der Anklage gegen den Bundespräsidenten wurde nicht vorgesehen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß in derartig hochpolitischen Fällen ein solches Verfahren nicht denkbar ist, da man den Bundespräsidenten später nicht wieder in sein Amt einsetzen könne. Es handelt sich dann eben um einen irreparablen staatsrechtlichen Vorgang. Auch für den Fall, daß der Bundespräsident zwar für schuldig erklärt wird, der Amtsverlust aber nicht eintritt, konnte ein Wiederaufnahmeverfahren nicht in Betracht gezogen werden. Meine Damen und Herren, es ist doch wohl zu erwarten, daß diese Bestimmung betreffend die Anklage gegen den Bundespräsidenten nur theoretische Bedeutung haben wird.
    Ich komme zum fünften Abschnitt, der ähnliche Voraussetzungen hat wie der vierte Abschnitt, zu § 13 Nr. 9. Die Richteranklage, meine Damen und Herren, läßt eine entsprechende Anwendung der im Verfahren gegen den Bundespräsidenten maßgebenden Vorschriften, nämlich der §§ 49 bis 55 mit Ausnahme des § 49 Abs. 3 Satz 2, § 50 und § 52 Abs. 1 Satz 2 zu. Antragsteller kann nach Art. 98 Abs. 2 des Grundgesetzes nur der Bundestag sein. Für § 58 wurde im wesentlichen die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung gewählt.
    Im übrigen ist zu unterscheiden, ob der Bundesrichter im Amt oder außerhalb seines Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt. Im ersten Falle, also wenn dem Bundesrichter ein Verstoß im Amt vorgeworfen wird, beschließt der Bundestag nicht vor rechtskräftiger Beendigung des gerichtlichen Verfahrens, in dem dieser Verstoß sich ereignet haben soll, oder, wenn vorher wegen desselben Verstoßes ein förmliches Dienststrafverfahren eingeleitet worden ist, nicht vor der Eröffnung dieses Verfahrens. Nach Ablauf einer Präklusivfrist von sechs Monaten seit der rechtskräftigen Beendigung des gerichtlichen Verfahrens, in dem der Bundesrichter sich des Verstoßes schuldig gemacht haben soll, ist der Antrag nicht mehr zulässig.


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    Der Ausschuß ließ sich bei der Fassung dieser Bestimmungen von dem Gedanken leiten, daß man bei Vorliegen eines schwerwiegenden Verstoßes, der zur Eröffnung eines Dienststrafverfahrens geführt hat, mit der Anklage gegen den Bundesrichter nicht mehr warten könne. In den Fällen eines groben Verstoßes, der zur Eröffnung eines Disziplinarverfahrens geführt hat, kann also das Parlament noch vor dem rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Verfahrens, in dem der Bundesrichter sich des Verstoßes schuldig gemacht haben soll, einschreiten. Ist aber ein Disziplinarverfahren nicht eröffnet, dann muß unter allen Umständen die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung abgewartet werden. Diese Feststellung ist notwendig, damit die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt wird. Sonst könnte während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens der Richter der höheren Instanz durch die Erhebung der Richteranklage unter Druck gesetzt werden. Es handelt sich also bei diesen Vorschriften nicht um die Privilegierung des Richters, sondern es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als um die Sicherstellung einer unabhängigen Rechtspflege. Daher die Bestimmung, daß vor Beendigung des Verfahrens, in dem dem Richter ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorgeworfen wird, nicht zur Anklageerhebung geschritten werden kann.
    Meine Damen und Herren! Für den Verstoß außerhalb des Amtes wird in Abs. 3 des § 58 ein Antrag dann nicht mehr für zulässig erklärt, wenn seit dem Verstoß zwei Jahre verflossen sind. Abs. 3 bezieht sich also ausschließlich auf Verstöße außerhalb des Amtes. Die Anklage wegen eines Verstoßes außerhalb des Amtes basiert auf der Auffassung, daß der Richter auch außerhalb seines Amtes eine erhöhte Verantwortung trägt.
    Nach § 59 erkennt das Bundesverfassungsgericht auf eine der im Art. 98 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehenen Maßnahmen oder auf Freispruch. Hier also ein bewußter Gegensatz gegenüber der Anklage gegen den Bundespräsidenten.
    Falls das Gericht auf Entlassung erkannt hat, tritt der Amtsverlust mit der Urteilsverkündung automatisch ein. Wird auf Versetzung in ein anderes Amt oder in den Ruhestand erkannt, so obliegt der Vollzug der für die Entlassung des Bundesrichters zuständigen Stelle. Der Amtsverlust bedeutet nach Auffassung des Ausschusses den absoluten Verlust aller Gerechtsame aus dem Amt. Eine Modifizierung der Entlassung etwa in dem Sinne, daß dem Richter ein Teil seines Gehaltes oder seiner Pension belassen werden kann, ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Deshalb kann die Entlassung nach Auffassung des Ausschusses nur schlechthin ausgesprochen werden. In einem solchen Falle steht dem Betroffenen lediglich der Weg der Begnadigung durch den Bundespräsidenten offen. Für den Vollzug der Entlassung ist selbstverständlich der zuständige Ressortminister zuständig. Die Bestimmung des § 59 Abs. 4 bedeutet lediglich eine zusätzliche Vorschrift, um auch die obersten Bundesorgane zu unterrichten. Im übrigen gelten auch hier die allgemeinen Vorschriften des § 30 Abs. 2.
    Das Verhältnis eines Disziplinarverfahrens zu dem Verfahren des Bundesverfassungsgerichts regelt sich nach § 60. Ein Disziplinarverfahren kann demnach auch eingeleitet werden, nachdem das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bereits eröffnet ist. Allerdings muß es dann ausgesetzt werden. Wenn umgekehrt das Disziplinarverfahren bereits vorher eingeleitet war und das Bundesverfassungsgericht erst dann mit der Sache befaßt wird, muß auch in diesem Fall das Disziplinargericht sein Verfahren aussetzen. Beide Verfahren, Disziplinarverfahren und Bundesverfassungsgerichtsverfahren stehen völlig unabhängig nebeneinander. Ist ein Disziplinarverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen und wird zu einem späteren Zeitpunkt und auf Grund anderer Voraussetzungen die Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben und kommt dieses zu einem anderen Entscheid als das Disziplinargericht, so geht selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Die Vorschrift des ne bis in idem wird nach Auffassung des Ausschusses nicht verletzt, da das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sich völlig von dem eines Disziplinargerichts unterscheidet und kein Disziplinarverfahren ist.
    § 61 geht auf gemeinsame Anregung des Bundesrats-Rechtsausschusses und der Landesjustizverwaltungen zurück. Die übereinstimmende Auffassung war, daß ein Wiederaufnahmeverfahren im Falle der Richteranklage möglich sein sollte. Also auch hier wieder ein bewußter Gegensatz zu dem Verfahren gegen den Bundespräsidenten: bei der Richteranklage ist ein Wiederaufnahmeverfahren zulässig, bei der Anklage gegen den Bundespräsidenten ist ein solches Wiederaufnahmeverfahren nicht zulässig.
    Auch § 62 entspricht einem Vorschlage des Bundesrates, wodurch die sehr wertvolle Vereinheitlichung der Richteranklage im ganzen Bundesgebiet geschaffen wird. Von diesem Grundsatz darf nicht durch einfaches Landesgesetz abgewichen werden, wenn auch das im Grundgesetz ausdrücklich aufrechterhaltene frühere Landesverfassungsrecht etwas anderes bestimmen kann. Es steht demnach einem Landesrecht frei, eine Richteranklage einzuführen. Tut es dies, so muß die Entscheidung über die Richteranklage dem Bundesverfassungsgericht zustehen, und zwar in dem Verfahren, das das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vorschreibt.
    Ich komme zum sechsten Abschnitt, § 13 Nr. 5. Meine Damen und Herren! Art. 93 Abs. 1 Ziffer 1 des Grundgesetzes bestimmt die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Bei der Auslegung dieses Artikels war davon auszugehen, daß nur bei einem echten Streit zwischen Verfassungsorganen über einen bestimmten Sachverhalt ein Bedürfnis nach einer Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht vorliegt. Es muß sich also in allen diesen Fällen, die vor das Gericht gebracht werden können, materiell um einen konkreten Streit handeln. Daraus folgt, daß die am Streit beteiligten Organe, die in § 63 aufgeführt werden, als Antragsteller und als Antraggegner im Verfahren auftreten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat sich auf die Auslegung des Grundgesetzes zu beschränken. Demnach kann das Gericht nur feststellen, was Rechtens ist, und mit dieser Feststellung das Grundgesetz auslegen. Ein Urteil, das eine Verpflichtung zur Unterlassung oder zur Durchführung einer Maßnahme auf-


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    erlegt, ist daher in diesen Fällen ausgeschlossen. Antragsteller und Antraggegner können nur sein: der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, der ständige Ausschuß nach Art. 45 des Grundgesetzes, die Bundesregierung und die im Grundgesetz und in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde der Ausdruck „Teile dieser Organe" der Fassung des Entwurfs vorgezogen. Hierunter sind insbesondere die Fraktionen zu verstehen.
    In § 64 wurde der im Entwurf für die Antragsfrist bestimmte Zeitraum von drei Monaten auf sechs Monate erhöht. Auch dies entspricht einem Vorschlag des Bundesrates.
    Der neu eingefügte Abs. 2 des § 65 soll zur Unterrichtung der daselbst genannten Organe dienen. Man war der Auffassung, daß die Unterrichtung schon deshalb notwendig ist, weil diese Organe einschließlich des Bundespräsidenten die Möglichkeit des Beitritts haben müssen.
    Die in § 66 vorgesehene Verbindung oder Trennung von anhängigen Verfahren bezieht sich selbstverständlich nur auf solche Verfahren, die die Auslegung des Grundgesetzes betreffen.
    § 67 läßt im Gegensatz zur Regierungsvorlage auch eine abstrakte Feststellung in beschränktem Umfange zu. Diese Erweiterung entspricht den von der Sozialdemokratischen Partei vorgetragenen Wünschen. Der Tragweite der Bestimmung entsprechend ist sie als Kann - Vorschrift eingefügt worden. Das Ausmaß der Entscheidung hängt von der Entscheidung des konkreten Falles ab. Man wollte durch diese Bestimmung dem Bundesverfassungsgericht die Befugnis zu einer authentischen Auslegung von Bestimmungen des Grundgesetzes zuerkennen, hat dies aber bewußt in Form einer Kann-Vorschrift getan. Damit ist gesagt, daß das Bundesverfassungsgericht eine Auslegung nur insoweit geben kann, als sie für den zu behandelnden Fall von Bedeutung ist. Spielt also zum Beispiel die Auslegung des Art. 59 des Grundgesetzes, das heißt die Frage, ob internationale Abkommen der Ratifizierung durch den Bundestag unterliegen, eine Rolle, dann hat das Bundesverfassungsgericht ausschließlich die für diesen konkret vorliegenden Fall bedeutsame Rechtsfrage zu entscheiden. Von der Befugnis, eine über den Streitgegenstand hinausgehende Entscheidung zu fällen, darf nach Auffassung des Ausschusses nur mit größter Vorsicht Gebrauch gemacht werden, nämlich dann, wenn eine solche Entscheidung im inneren Zusammenhang mit der zu behandelnden Rechtsfrage steht. Eine derartige Entscheidung hat keine Gesetzeskraft; sie bindet zwar die Beteiligten, wird aber nicht im Gesetzblatt veröffentlicht.
    Ich komme zum siebenten Abschnitt, § 13 Nr. 7. Nach Art. 93 Abs. 1 Ziffer 3 ist das Bundesverfassungsgericht zuständig bei Meinungsverschiedenheiten über die Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht. In dem Fall der Ausübung der Bundesaufsicht kommt die Vorschrift des Art. 84 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes zur Anwendung, wonach bei der Feststellung von Mängeln bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern gegen einen Beschluß des Bundesrates das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. Hier handelt es sich demnach einmal um Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Exekutive, zum andern um eine Mängelrtige im Sinne des Art. 84 Abs. 4 des Grundgesetzes. In allen diesen Fällen wird der Bund durch die Bundesregierung und das Land durch die Landesregierung repräsentiert. Diese sind daher allein am Verfahren beteiligt.
    Die Vorschriften der §§ 64 bis 67, die für die oben behandelten Fälle gelten, sollen auch hier zur entsprechenden Anwendung kommen. Der nach Art. 84 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes erlassene Beschluß des Bundesrates soll nur innerhalb eines Monats nach der Beschlußfassung angefochten werden können.
    Nun der achte Abschnitt, § 13 Nr. 8. Nach Art. 93 Abs. 1 Ziffer 4 hat das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist. Daraus ergibt sich: Bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern und zwischen verschiedenen Ländern handelt es sich in Übereinstimmung mit der Praxis des Staatsgerichtshofs stets um Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art. Dabei stehen sich die Länder als solche, nicht aber ihre Organe gegenüber. Im Gegensatz zu Ziffer 1 und 2 des § 71, der diese Materie betrifft, behandelt Ziffer 3 öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen verschiedenen Organen eines Landes. Unter öffentlich-rechtlichen Steitigkeiten sind hier Verfassungsstreitigkeiten zu verstehen. Demnach sind Antragsteller und Antragsgegner im Falle von Ziffer 1 Bundesregierung und Landesregierung und im Falle von Ziffer 2 die Landesregierungen. In beiden Fällen wird das Land nur von seiner Regierung vertreten. Im Falle von Ziffer 3 — bei öffentlichrechtlichen Streitigkeiten innerhalb eines Landes — können dagegen alle Verfassungsorgane des Landes und die mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe Partei sein.
    Nach § 72 kann das Bundesverfassungsgericht erkennen auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Maßnahme, auf die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Maßnahme zu unterlassen, rückgängig zu machen, durchzuführen oder zu dulden, und nach Ziffer 3 auf die Verpflichtung, eine Leistung zu erbringen. Im Falle des § 71 Ziffer 3, also bei Organisationsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, stellt das Gericht fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung der Landesverfassung verstößt. Die bereits behandelte Vorschrift des § 67 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Demnach kann auch hier eine für die Auslegung der Landesverfassung erhebliche Rechtsfrage mit entschieden werden, wenn von deren Entscheidung das Urteil abhängt.
    Der neunte Abschnitt, § 13 Nr. 10. Nach Art. 99 des Grundgesetzes kann dem Bundesverfassungsgericht durch Landesgesetz die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes zugewiesen werden. Die Länder sind also ermächtigt, unter Verzicht auf eigene Landesverfassungsgerichte die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten dem Bundesverfassungsgericht zu übertragen. Der Kreis der Beteiligten ist ebenso abgegrenzt wie in den vorhergehenden Fällen. Das heißt, nur die obersten Organe eines Landes und die in der Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Organs mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe können am Verfahren beteiligt werden. Die Entscheidung ist entsprechend dem bereits behandelten § 72 zu fällen. Dazu ist zu bemerken, daß bis jetzt alle Länder bis auf Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht haben oder in Kürze bekommen. Die


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    Bestimmung des § 75, wonach die allgemeinen Vorschriften des II. Teiles dieses Gesetzes entsprechend gelten, war notwendig, um zu verhüten, daß die Länder allgemeine Verfahrensvorschriften erlassen. Wenn ein Land das Bundesverfassungsgericht anruft, muß es sich auch den dort geltenden Vorschriften unterwerfen.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum 10. Abschnitt, § 13 Nr. 6. Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 des Grundgesetzes bestimmt die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht, und zwar auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages. Eines förmlichen Antrags im Bundestag bedarf es hierzu nicht; vielmehr kann ein Drittel der Abgeordneten den entsprechenden Antrag unmittelbar beim Bundesverfassungsgericht einreichen.
    Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die sogenannte abstrakte Normenkontrolle. Der Kreis der Antragsteller ist in Art. 93 des Grundgesetzes gezogen. In § 77 ist bestimmt, daß den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist zu geben ist. E's ist selbstverständlich, daß, ohne daß dies im Gesetz ausdrücklich erwähnt wird, auch die Bürgerschaft und der Senat der Hansestädte Hamburg und Bremen in den Kreis der von § 77 umschlossenen Organe fallen. Unter Landesregierung und Landtag sind demnach in Hamburg und Bremen Senat und Bürgerschaft zu verstehen.
    Wenn nun die Nichtigkeit von Bundes- oder Landesrecht, da mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, festgestellt wird, können auch weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus den gleichen Gründen für nichtig erklärt werden. Eines besonderen Antrages bedarf es hierzu nicht. Vielmehr kann das Gericht auch ohne Antrag eine solche Entscheidung erlassen. Man kam zu dieser Bestimmung in Fortentwicklung des Rechtes der Weimarer Zeit. Zu diesem Zweck mußte die damals fehlende Grundlage hier neu geschaffen werden. Wenn z. B. einige Paragraphen eines Gesetzes für nichtig erklärt werden, so bleibt das Gesetz als solches, eben der Rest des Gesetzes, bestehen. Ein Recht des Bundesverfassungsgerichtes, neues Recht zu schaffen, besteht nicht und konnte nicht anerkannt werden. Verfahrensverstöße werden im allgemeinen das ganze Gesetz umgreifen, während materielle Verstöße nur die einzelnen Bestimmun- gen nichtig machen.
    Die jetzige Formulierung des § 79 ist das Ergebnis langer und eingehender Verhandlungen. Man hat sich die Frage vorgelegt: Was soll mit den Entscheidungen, also mit Verwaltungsakten, mit Urteilen, mit Beschlüssen geschehen, die auf Normen beruhen, die auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofes für nichtig erklärt worden sind? Welche Folgerungen sind aus dieser Nichtigerklärung zu ziehen? Der Ausschuß hat sich bemüht, auch die Folgen von Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, zu erfassen. Man hatte zunächst den Grundsatz der objektiven Schadenshaftung aufgestellt. Nach eingehender Prüfung drang aber doch die Überzeugung durch, daß der Rechtsfriede und die Rechtssicherheit dem Rechtsschutz des einzelnen vorgehe. Dies gilt insbesondere für Verwaltungsakte und für Entscheidungen auf dem Gebiete des Zivilrechts. Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß man im Interesse der Rechtssicherheit auf diesen Gebieten Normenverletzungen des objektiven Rechts, ähnlich wie bei der durch die Rechtsprechung entwickelten Rechtskrafttheorie, hinnehmen müsse. Eine Ausnahme glaubte der Ausschuß nur auf ,dem Gebiete des Strafrechts machen zu müssen, da die Vollstreckung von Strafen, die auf Grund einer für nichtig erklärten Norm ausgesprochen worden sind, nicht verantwortet werden kann. In solchen Fällen mußte daher die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ein rechtskräftiges Strafurteil nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zugelassen werden. Im Zivilrecht besteht die Möglichkeit, Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung von Urteilen, die auf einer für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruhen, zu erheben. Dagegen mußten im Interesse der Rechtssicherheit Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung ausdrücklich ausgeschlossen werden.
    Zusammenfassend ergibt sich daraus: Bestehende Rechtsbehelfe werden durch § 79 nicht ausgeschlossen. Wo keine Rechtsbehelfe vorhanden sind, werden keine neuen geschaffen, mit Ausnahme des für ein rechtskräftiges Strafurteil gegebenen Wiederaufnahmeverfahrens.
    Für Verwaltungsakte bedeutet dies folgendes: Nicht mehr anfechtbare Verwaltungsakte behalten ihre Wirkung. Frei zurücknehmbare Akte können nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Verwaltungsbehörde zurückgenommen oder aufrechterhalten werden. Im übrigen ergibt sich aus der Tatsache, daß Verwaltungsakte von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben, nur, daß dort, wo nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein normaler Rechtsbehelf möglich ist, dieses Recht durch § 79 nicht ausgeschlossen wird. Eine Anfechtung ist in solchen Fällen darauf zu stützen, daß der Akt keine gesetzliche Grundlage mehr habe und daher aufzuheben sei. Für die Fälle, in denen durch die Regelung des § 79 für die Beteiligten eine besondere Härte entsteht, sieht das Gesetz vor, daß der Gesetzgeber durch eine be- sondere gesetzliche Regelung eingreifen kann.
    Eine weitere Ausnahme von der Regel des § 79 gilt für den Fall, daß die Entscheidung — Verwaltungsakt, Beschluß oder Urteil —, die auf Grund der für nichtig erklärten Norm ergangen ist, durch Verfassungsbeschwerde angegriffen worden ist. Hierüber hat sich Herr Kollege Professor Dr. Wahl schon eingehend verbreitet, so daß ich auf seine Ausführungen Bezug nehmen kann. In diesem Fall ist das Bundesverfassungsgericht berechtigt und verpflichtet, die Entscheidung aufzuheben, wenn die Verfassungsbeschwerde begründet ist.
    Elfter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 11. In Art. 100 des Grundgesetzes wird das richterliche Prüfungsrecht in den Fällen, in denen ein Gericht eine Rechtsnorm wegen ihrer Unvereinbarkeit mit einer Rechtsnorm höheren Ranges nicht anwenden will, bei dem Bundesverfassungsgericht konzentriert. Auch hier handelt es sich um eine echte Normenkontrolle, die einem Gericht Anlaß zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gibt. Gegenüber der Regierungsvorlage ist in § 80 insofern eine Änderung vorgenommen worden, als die Vorlage bei dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar über das zuständige obere Bundesgericht und, soweit es sich um Länderrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes zu erfolgen hat. Das vom Bundesrat befürwortete Verfahren, den Antrag des Gerichts über die Landesjustizverwaltung weiterzuleiten, wurde für unzweckmäßig gehalten, da gerade verhindert werden soll, daß der Präsident oder irgendeine Justiz-.


    (Neumayer)

    verwaltungsstelle den Richter irgendwie beeinflußt. Gericht im Sinne dieser Bestimmung ist nach Auffassung des Ausschusses stets das erkennende Gericht, also die Kammer oder der Senat, nicht aber der Präsident des Gerichts.
    Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist 'in Anlehnung an den SPD-Entwurf auch den Prozeßbeteiligten des Rechtsstreits, der Anlaß zur Vorlage der Rechtsfrage bot, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
    Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von einer Prozeßrüge. Man war sich darüber klar, daß dieser Absatz 3 des § 80 in denjenigen Prozessen, in denen Amtsbetrieb herrscht, entbehrlich, im Parteiprozeß dagegen unentbehrlich ist. Selbstverständlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht nur über die Rechtsfrage, nicht dagegen über den anhängigen Prozeß.
    Zwölfter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 12. Nach Art. 100 Abs. 2 des Grundgesetzes ist in einem Rechtsstreit. wenn Zweifel auftauchen, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den einzelnen erzeugt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht kann nun zwar mit Gesetzeskraft feststellen, daß eine Regel des Völkerrechts Bundesrecht ist; es kann aber nicht mit gleicher Wirkung feststellen. daß sie objektives Völkerrecht ist. Die Prüfung der Frage, ob eine solche Regel des Völkerrechts besteht, muß das Gericht zwar vornehmen, aber eine in den Tenor aufzunehmende Feststellung würde die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts überschreiten, da dieses nur zur Entscheidung über das Bestehen dieser völkerrechtlichen Regel als Bundesrecht befugt ist. Da solche Entscheidungen unter Umständen sehr schwerwiegende und weittragende Folgen nach sich ziehen. ist dem Bundesrat. dem Bundestag und der Bundesregierung Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Im übrigen gilt für die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht dieselbe Regelung wie bei der vom Gericht beantragten Normenkontrolle.
    Dreizehnter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 13. Nach Art. 100 Abs. 3 des Grundgesetzes muß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden, wenn das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines anderen Landes abweichen will. Bundesrat und Bundesregierung und. wenn von der Entscheidung des Verfassungsgerichts eines Landes abgewichen werden soll, diesem Gericht ist Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist zu gewähren. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auch hier nur über die Rechtsfrage.
    Vierzehnter Abschnitt, Verfahren in den Fällen des § 13 Nr. 14. Nach Art. 126 des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht bei Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht zu entscheiden. Die Antragsberechtigung des Bundestages, des Bundesrates, der Bundesregierung und der Landesregierungen wurde in § 86 Abs. 1 festgelegt. Ebenso hat ein Gericht, wenn in einem anhängigen Verfahren streitig und erheblich ist, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Man glaubte durch die Fassung „streitig" den im Grundgesetz aufgestellten Begriff der „Meinungsverschiedenheiten" zu erfassen, hielt es aber für notwendig, durch Aufstellung der Erheblichkeit als weiterer Voraussetzung einer allzu weiten Auslegung des Begriffs „Meinungsverschiedenheiten" vorzubeugen.
    Die Rechtslage bei Art. 126 des Grundgesetzes ist nach Auffassung des Ausschusses eine andere als bei Art. 100 des Grundgesetzes. Im letzteren Falle handelt es sich darum, ob eine Bestimmung nichtig ist, bei Art. 126 dagegen um die Frage, ob eine Norm als Länderrecht oder als Bundesrecht gültig ist oder fortbesteht. Es wird rechtspolitisch von großer Bedeutung sein, daß so die Möglichkeit gegeben wird, binnen verhältnismäßig kurzer Zeit die vielfältigen Streitigkeiten zu bereinigen, ob eine Norm Bundesrecht oder Landesrecht ist.
    Meine Damen und Herren, ich komme nun noch zu dem sechzehnten Abschnitt, der sich mit der Einholung eines Gutachtens bei dem Bundesverfassungsgerichtshof befaßt. Ein Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts kann nur durch gemeinsamen Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gefordert werden. Der gemeinsame Antrag erschien notwendig, um eine übermäßige Inanspruchnahme des Gerichts zu vermeiden. Auch der Bundespräsident kann ein Rechtsgutachten anfordern. Diese Möglichkeit ist politisch besonders bedeutsam für den Fall, daß der Bundespräsident gegen ein von ihm auszufertigendes Gesetz verfassungsrechtliche Bedenken hat. Das Gutachten ist vom Plenum des Bundesverfassungsgerichts zu erstatten. Eine bindende Wirkung gemäß § 31 Abs. 2 kommt ihm nicht zu.
    Meine Damen und Herren! Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Ich habe versucht, die sehr spröde und trockene Materie der besonderen Verfahrensarten hier in möglichster Kürze darzustellen.

    (Heiterkeit.)

    — Sie lachen, meine Damen und Herren, aber noch kürzer war es wirklich bei der Wichtigkeit dieser Materie nicht zu machen!
    Meine Damen und Herren! Wir hoffen, daß die Vorlage über den Bundesverfassungsgerichtshof Gesetz wird. Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß das Bundesverfassungsgericht ein Wahrer der freiheitlichen Demokratie, ein Hüter der Verfassung werden möge, daß seine Richter ihres Amtes unbeeinflußbar, unparteiisch, frei von Furcht und keinem Drucke irgendwelcher Art nachgebend walten mögen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)