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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 112. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1951 4195 112. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4195D, 4223D edenkworte des Präsidenten zum Tag der Reichsgründung 1871 4196A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Dr. Horlacher 4199A Beratung der Interpellation der Abg. Strauß u. Gen. betr. Verwendung der Besatzungskosten (Nr. 1530 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der BP betr. Inanspruchnahme von Gebäuden und Wohnungen durch die Besatzungsmächte (Nr. 1721 der Drucksachen), mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Beschlagnahme von Wohnraum für alliierte Truppen-Angehörige (Nr. 1726 der Drucksachen) und mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films (34. Ausschuß) über die Petition Nr. 8341 (Nr. 1753 der Drucksachen) 4196A Strauß (CSU), Interpellant 4196B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 4199B, 4207A Dr. Seelos (BP), Antragsteller . . . . 4203A Frau Meyer-Laule (SPD), Antragstellerin 4204A Brunner (SPD), Berichterstatter . 4206B Euler (FDP) 4208B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 4210B Ewers (DP) 4213B von Thadden (DRP) 4214C Renner (KPD) 4215B Dr. Hamacher (Z) 4216D Abstimmungen 4217C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Nrn. 328, 788 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) (Nr. 1724 der Drucksachen) . . . 4218A Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 4218A Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter . . 4224A Neumayer (FDP), Berichterstatter . 4228B Weiterberatung vertagt 4235D Zweite Beratung des Entwurfs eines Wahlprüfungsgesetzes (Nr. 983 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (2. Ausschuß) (Nr. 1756 der Drucksachen) 4195D, 4235D Ewers (DP), Berichterstatter (schriftlicher Bericht) 4236B Weiterberatung vertagt 4236A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für Sicherungs- und Überleitungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft (Nrn. 1510, 1679 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1764 der Drucksachen); Änderungsantrag Umdruck Nr. 38 4236A Beratung vertagt 4236C Nächste Sitzung 4236C Anlage: Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses betreffend Entwurf eines Wahlprüfungsgesetzcs (Nrn. 983 und 1756 der Drucksachen) 4236 Die Sitzung wird um 13 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht der 112. Sitzung Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (2. Ausschuß) im Einvernehmen mit dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Entwurf eines Wahlprüfungsgesetzes (Nrn. 983 und 1756 der Drucksachen) Berichterstatter : Abgeordneter Ewers Die Entscheidung, ob eine Wahl zu einem demokratischen Parlament sachgemäß durchgeführt ist und der einzelne Abgeordnete sich gesetzmäßig als Abgeordneter betätigt, gehört ebenso wie die Frage der Immunität der Abgeordneten zu den althergebrachten „Palladien" des Parlaments. Im alten Reichstag war daher die Wahlprüfung durch den Reichstag selbst vorzunehmen, der seine Entscheidungen zunächst in fünf, durch den Zufall des Loses bestimmten Abteilungen vorprüfen und sodann durch einen Wahlprüfungsausschuß vorbereiten ließ. Dieses System wurde in dem Reichstag der Republik von 1919 ab deshalb abgelehnt, weil offenbar bei solchen Entscheidungen mehr der Politik als der objektiven Rechtsfindung gedient wurde. Deshalb wurde durch die Weimarer Verfassung in Art. 31 ein Wahlprüfungsgericht vorgesehen, auf dessen Entscheidung allerdings das Parlament insofern einen gewissen Einfluß ausüben konnte, als es in der Besetzung mit fünf Richtern tagte, von denen die Mehrheit, also drei, Mitglieder des Reichstags sein mußten. Die beiden anderen wurden dem Reichsgericht entnommen, da es das in der Weimarer Verfassung vorgesehene oberste Reichsverwaltungsgericht nicht gab. Das Grundgesetz hat die Einführung einer dritten Methode für richtig gehalten. Es hat in Art. 41 bestimmt, daß zwar zunächst einmal der Bundestag in allen Wahlprüfungsangelegenheiten die „Entscheidung" zu fällen hat, daß aber gegen seine „Entscheidung" eine Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist. Das ist in der Geschichte des deutschen Staatsrechts eine Neuheit. Diese Regelung läuft darauf hinaus, daß das Parlament in einer Verwaltungsstreitigkeit konkreten Inhalts zunächst einmal zu entscheiden hat, dann aber seine Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht nachgeprüft werden kann. Der Bundestag ist, abgesehen von der Frage der Immunität, bei der aber keineswegs allein rechtliche, sondern staatspolitische Auffassungen eine maßgebende Rolle spielen, sonst in keinem Falle berufen und (Ewers) darauf eingerichtet, in Einzelstreitfällen „Entscheidungen" zu treffen; er ist vielmehr seiner Natur nach Gesetzgebungsorgan, wobei selbstverständlich die Politik stets eine entscheidende Rolle spielen muß. Bei der Wahlprüfung aber hat der Bundestag nicht nach politischer Zweckmäßigkeit, sondern unter Anwendung bestehender Gesetze mit größtmöglicher Objektivität jedenfalls dann zu entscheiden, wenn seine Beschlüsse der Nachprüfung durch ein unabhängiges Gericht standhalten sollen. Nachdem nun das Grundgesetz durch Art. 41 dem Bundestag auferlegt hat, das Nähere in Ansehung der Wahlprüfung durch ein Gesetz zu bestimmen, ist es nach einstimmiger Auffassung sowohl des Wahlprüfungsausschusses als auch des Rechtsausschusses Aufgabe des Gesetzgebers, durch die rechtliche Gestaltung der Wahlprüfung eine möglichst große Sicherheit dafür zu schaffen, daß in Wahlprüfungssachen Entscheidungen ergehen, die auch bei richterlicher Nachprüfung Bestand haben. Andernfalls besteht die Gefahr, daß das Ansehen des Bundestages leidet. Nach Auffassung des Wahlprüfungsausschusses, der die Frage der zweckmäßigen Gestaltung des Wahlprüfungsgesetzes in sehr eingehenden und langwierigen Beratungen erwogen hat, bietet die Regierungsvorlage Drucksache Nr. 983 nicht die erforderliche Gewähr, daß die Herbeiführung der Entscheidung des Bundestags mit so viel rechtlichen Garantien ausgestattet ist, wie es erforderlich erscheint. Die Vorlage der Regierung hat daher in ihren wesentlichen Abschnitten eine grundsätzliche Umformung erfahren, deren Tendenz in jedem Falle war, die Wahlprüfung aus der Atmosphäre politischer Zweckmäßigkeit möglichst in diejenige zutreffender Rechtsanwendung zu verlagern. Eine weitere Schwierigkeit für das zu verabschiedende Gesetz beruht darauf, daß das Wahlprüfungsgesetz als solches nur verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten kann. Der Bundestag ist nicht auf Grund eines Bundeswahlgesetzes gewählt, sondern auf Grund eines Sondergesetzes, das von den Ministerpräsidenten der deutschen Länder aufgestellt ist, so daß bei seiner nächsten Wahl ein bisher unbekanntes Wahlgesetz anzuwenden sein wird. Es mußte daher möglichst weitgehend Bedacht darauf genommen werden, daß die verfahrensrechtlichen Vorschriften auch dann anwendbar bleiben, wenn ein anderes Wahlrecht als dasjenige, das zur Zeit der Bundestagswahl galt, vorhanden sein wird. Die Frage, ob in diesem zukünftigen Wahlrecht zweckmäßigerweise nicht. auch materiell-rechtliche Bestimmungen darüber aufzunehmen sein werden, unter welchen Umständen im einzelnen eine Wahl als unwirksam anzusehen ist, ist sowohl im Wahlprüfungsausschuß als auch im Rechtsausschuß erörtert worden. Die Tatsache, daß es ein umfassendes materielles Wahl-prüfungsrecht bisher nicht gibt, beruht darauf, daß bis 1919 der Reichstag selber in erster und letzter Instanz und ab 1919 ein besonderes Wahlprüfungsgericht ebenfalls in erster und letzter Instanz die Rechtssätze über die materielle Wahlprüfung zu entwickeln hatte, so daß sich ein Bedürfnis für die objektive Festsetzung des Rechts nicht herausgestellt hat. Wenn in Zukunft der Bundestag durch ein unabhängiges Gericht, dem Abgeordnete des Bundestages auf keinen Fall angehören dürfen, die Entscheidung nachprüfen läßt, bleibt die Frage offen, ob nicht zweckmäßigerweise der Gesetzgeber sowohl den Bundestag als auch den Bundesverfassungsgerichtshof an bestimmte Rechtsätze binden sollte, damit auf einer einheitlichen Basis das Recht fortgebildet werden kann. Diese Frage ist aber bei Verabschiedung des zukünftigen Wahlgesetzes zu entscheiden und nicht schon bei dem Wahlprüfungsgesetz. Nach diesen Vorbemerkungen komme ich zur Erörterung der Einzelbestimmungen der Ausschußvorlage. Ich darf formell nur noch folgendes vorausschicken. In der 69. Sitzung war die Regierungsvorlage dem Wahlprüfungsausschuß ohne Debatte zur weiteren Beratung überwiesen. Späterhin hat der Ältestenrat den Wunsch geäußert, daß auch der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sich mit der Vorlage befassen möge; ein Wunsch, der den Absichten des Wahlprüfungsausschusses durchaus entsprach. Die einzelnen Bestimmungen wurden daher, nachdem der Wahlprüfungsausschuß seine Arbeiten abgeschlossen hatte, durch den 23. Ausschuß nachgeprüft; dabei waren die Vorschläge des Wahlprüfungsausschusses Grundlage für die Erörterungen. Der 23. Ausschuß hat zum Aufbau des Gesetzes und zu seinen einzelnen wesentlichen Normen keine Änderung vorgeschlagen oder beschlossen; er hat in manchen Beziehungen die Vorlage technisch verbessert, die grundsätzlichen Bestimmungen aber ebenso wie der Wahlprüfungsausschuß durchweg einstimmig gutgeheißen. Ich trage im folgenden also den Sachverhalt sowohl im Sinne des Wahlprüfungsausschusses wie auch des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vor. Die §§ 1-4 entsprechen weitgehend der Regierungsvorlage, während §§ 5-13 der Drucksache Nr. 1756 eine Gegenüberstellung — Synopsis — mit den Vorschlägen des Regierungsentwurfs nicht vertragen. § 1 wiederholt in seinem ersten Absatz die Grundsatzbestimmung des Art. 41 des Grundgesetzes. Die Regelung im zweiten Absatz entspricht der im Wahlprüfungsrecht seit je geübten Praxis, daß die Entscheidung nicht nur konstituierend die Ungültigkeit — oder Gültigkeit — einer Wahl zu bestimmen, sondern sich insbesondere darüber auszusprechen hat, wie auf Grund der Rechtslage bei einer ungültigen Wahl weiter zu verfahren ist. Die Ausschußvorlage hat einen möglichst allgemein gehaltenen Wortlaut gewählt, damit alle Möglichkeiten, die das zukünftige Wahlrecht etwa vorsehen könnte, erfaßt sind. Bei § 2 war die Grundsatzfrage zu entscheiden, ob, wie die Regierungsvorlage vorsah, eine Nachprüfung nur auf Einspruch erfolgt, oder ob, wie es der Bundesrat wollte, auch eine Nachprüfung von Amts wegen vorzusehen sei. Die Ausschußvorlage geht einen Mittelweg. Im Abs. 1 wird der Grundsatz, daß eine Nachprüfung nur auf Einspruch hin erfolgen solle, aufrechterhalten; im Abs. 2 aber wird, um eine von Amts wegen vorzusehende Nachprüfung zu ermöglichen, festgestellt, daß gewisse Amtsträger in amtlicher Eigenschaft eine solche Prüfung anregen können. Die Frage, ob jeder Wahlberechtigte oder nur bestimmte Persönlichkeiten Einspruch einlegen können, wurde dahin beantwortet, daß man in einem freiheitlichen Staate die Möglichkeit, eine Prüfung der Wahl zu veranlassen, auch einem einzelnen Staatsbürger nicht verschließen sollte. Der Abs. 3 behandelt die Formalien des Einspruchs, wobei möglichst geringe Anforderungen vorgesehen sind, der Abs. 4 die Frist für Einlegung des Einspruchs, die natürlich für den Präsidenten des Bundestags nicht schon mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, wohl aber mit seiner Wahl zum Präsidenten beginnen kann. (Ewers) Der Abs. 5 entspricht der Regierungsvorlage. Wodurch und wieso eine Mitgliedschaft später erworben werden kann, ist offengelassen, da das materielle Wahlrecht insofern Bestimmungen enthalten könnte, die heute noch nicht zu übersehen sind; nach der heutigen Wahlrechtslage sind die beiden Möglichkeiten der Nachwahl und des Nachrükkens aus der Liste gegeben. Zu § 3. Dieser Paragraph führt den Wahlprüfungsausschuß als Vorbereitungsorgan ein. Damit, daß dieser Ausschuß nicht etwa durch die Geschäftsordnung des Bundestags, sondern durch ein Bundesgesetz statuiert ist, erhält er eine Sonderqualität. Es steht danach also dem Bundestag nicht mehr frei, ob er einen Wahlprüfungsausschuß errichten will oder nicht, und auch seine Zusammensetzung ist gesetzlich festgelegt, ebenso seine Aufgaben entsprechend dem Inhalt des Wahlprüfungsgesetzes. Darüber, daß ein solcher Ausschuß nach der Natur der Sache notwendig und unvermeidlich ist, dürften Zweifel nicht obwalten können; denn dieser Ausschuß hat insbesondere die Funktion, den Beteiligten rechtlich Gehör zu verschaffen und die Beweisaufnahme durchzuführen. Beides sind Prozeßfunktionen, die von einem Parlament von mehreren hundert Mitgliedern unmöglich wahrgenommen werden können. Da der Wahlprüfungsausschuß ein unentbehrliches Instrument ist, um die Sammlung des tatsächlichen und rechtlichen Materials durchzuführen, muß er das Organ sein, das für eine objektive Rechtsanwendung in erster Linie bei diesen Vorbereitungsarbeiten, aber auch bei seinen weiteren Vorschlägen an den Bundestag die Gewähr bietet. Seine Funktionen sind in den Ausschüssen mehrfach zutreffend als „quasi-richterliche" bezeichnet werden. Auf Grund dieser Erwägung ist in der Ausschußvorlage eine zahlenmäßig möglichst geringe Besetzung vorgesehen, nämlich sieben Mitglieder, eine Anzahl, die auch bei Gerichten höherer Ordnung sehr wohl noch in Frage kommt. Da aber bei jeder Parlamentsarbeit nun einmal politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen, ist weiter vorgesehen, daß neben sieben Stellvertretern durch beratende Mitglieder in dem Ausschuß alle diejenigen Fraktionen vertreten sein sollen, die bei der Siebenzahl nach dem d'Hondtschen System nicht berücksichtigt werden konnten. Die Wahl des Wahlprüfungsausschusses erfolgt dann also in der Weise, daß in ihn vom Bundestag nach dem d'Hondtschen System sieben Mitglieder gewählt werden und weiterhin je ein Mitglied der danach nicht in ihm vertretenen Fraktionen, so daß jede weitere Fraktion ein weiteres Mitglied als beratendes Ausschußmitglied zur Wahl in Vorschlag bringen kann. Mit dieser Gestaltung glaubt die Vorlage allen rechtlichen und politischen Gesichtspunkten Rechnung getragen zu haben. Bemerkt wird, daß der Ausschuß schon bisher im wesentlichen in entsprechender Besetzung gearbeitet hat. In Abs. 3 ist aus der Regierungsvorlage der Schriftführer gestrichen. Die Schriftführung kann nur durch einen Beamten des Bundestags wahrgenommen werden, da die Ausschußmitglieder weder Zeit noch Gelegenheit hierzu haben werden. Zu § 4. Diese Bestimmung behandelt die Beschlußfähigkeit, die wie in allen Bundestagsausschüssen grundsätzlich schon dann gegeben ist, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Für die vorbereitenden und sonstigen allgemeinen Beschlüsse ist dies selbstverständlich. Von besonderer Bedeutung ist diese Frage aber bei der mündlichen Verhandlung und Beratung des Ausschusses in jeder einzelnen Sache, die in § 8 Abs. 2 und in § 10 behandelt sind. Dort wird noch Ergänzendes zu sagen sein. Zu § 5. Von § 5 an setzt die Umgestaltnug der Regierungsvorlage ein. Um zu einem rechtlich fundierten Vorschlag zu kommen, ist nach der Meinung der von mir vertretenen Ausschüsse zweierlei notwendig: erstens eine gründliche Vorbereitung und Materialsammlung bei jeder einzelnen Anfechtungssache, zweitens eine mit Rechtsgarantien ausgestattete mündliche Verhandlung, in der rechtlich Gehör gewährt wird und bei der die Beteiligten ihre Auffassung den Mitgliedern des Wahlpräfungsausschusses, die zur Entscheidung berufen sind, vorzutragen Gelegenheit haben werden. Dementsprechend wird, nachdem im Abs. 1 — entsprechend § 6 Abs. 1 der Regierungsvorlage — ein Berichterstatter bestimmt ist, zunächst einmal eine „Vorprüfung" angeordnet, in der auch die Formalien des Einspruchs zu erörtern sind. Die Vorprüfung hat, wie das im Gesetz in Abs. 2 zum Ausdruck kommt, den Zweck, die Sachlage so zu fördern, daß möglichst nach einem einzigen Verhandlungstermin eine Schlußentscheidung möglich erscheint. Der Abs. 3 des § 5 entspricht dem § 7 Abs. 1 der Regierungsvorlage. Es ist hier insbesondere angeordnet, daß Zeugen und Sachverständige schon im Rahmen der Vorprüfung vernommen und beeidigt werden können, insoweit allerdings nur im Wege der Rechtshilfe. Im Abs. 4 ist die Rechts- und Amtshilfeverpflichtung statuiert und weiter vorgeschlagen, daß bei gerichtlichen Vernehmungen die Hauptbeteiligten zu benachrichtigen sind, um ihre Rechte, wenn -sie wollen, in dem Termin wahrzunehmen. Wir kommen zu § 6. Im § 6 Abs. 1 ist die mündliche Verhandlung obligatorisch bestimmt. Nur wenn alle Beteiligten verzichten, kann davon abgesehen werden. Dadurch soll eine möglichst große Garantie für die Unmittelbarkeit und erschöpfende Behandlung der Einzelentscheidung gesichert sein. Als zunächst beteiligt an dem Verfahren sind im Abs. 2 des § 6 der Einsprechende und der Abgeordnete, um dessen Wahl es sich handelt, aufgeführt; der erstere ist beteiligt als derjenige, der das Verfahren in Gang gebracht hat, der letztere nicht etwa deshalb, weil es sich nur und ausschließlich um seine persönlichen Interessen drehte, sondern weil diese nach der Erfahrung auf jeden Fall irgendwie berührt werden. Die Wahlprüfung hat selbstverständlich nicht nur mit Privatrechten, sondern in erster Linie damit zu tun, daß der Bundestag den Gesetzen entsprechend zusammengesetzt ist. In Abs. 3 sind dann entsprechend dem Grundsatz, der im § 2 Abs. 2 aufgestellt ist, gewisse Amtspersonen als Nebenbeteiligte aufgeführt, die dem Verfahren beitreten können und denen in Abs. 4 auch dann ein besonderes Antragsrecht zuerkannt ist, wenn sie nicht etwa als Einsprechende ohnehin Hauptbeteiligte sind. Abs. 5 entspricht den Regeln eines geordneten Prozesses, indem er den Beteiligten die Akteneinsicht gestattet. § 7 enthält Bestimmungen, die den Ablauf des mündlichen Verhandlungstermins regeln sollen. Der Bericht des Berichterstatters ist obligatorisch, damit in der Verhandlung nichts unberücksichtigt bleibt, was etwa in den Akten enthalten ist, vor der Entscheidung aber in Gegenwart der Beteiligten gar nicht angesprochen wurde. Die weitere Regelung des Abs. 1 dürfte ohne weiteres verständlich sein, sie entspricht den Vorschlägen der Regierungsvorlage in ihrem § 7 Abs. 2. (Ewers) In Abs. 2 ist sodann die Beweisaufnahme angeordnet, die in der mündlichen Verhandlung stattfinden muß, soweit sie nicht in der Vorprüfung gemäß § 5 Abs. 3 angeordnet ist. Die Frage der Beeidigung ist in das Ermessen des Ausschusses gestellt. Sodann ist das Schlußwort nach der Beweisaufnahme dahin geregelt, daß der Anfechtende als derjenige, der im Normalfall der schwächere Teil ist, das Schlußwort hat. In Abs. 3 ist gemäß § 7 Abs. 3 der Regierungsvorlage eine Niederschrift gesetzlich vorgeschrieben, die allerdings zwangsläufig eine Wiedergabe der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen enthalten muß, wenn sie ihrem Zweck, der Instanz des Verfassungsgerichtshofs als Material zu dienen, entsprechen soll. Im § 8 ist die äußere Form der mündlichen Verhandlung geregelt. Hier ist in Abs. 1 insbesondere klar vorgeschrieben, daß n u r diese mündliche Verhandlung öffentlich stattzufinden hat und nicht etwa, wie man es aus § 5 Abs. 1 der Regierungsvorlage herauslesen konnte, jede gewöhnliche Sitzung oder Zusammenkunft des Wahlprüfungsausschusses. Der Ausschuß hat sich überlegt, ob eine Vorschrift möglich sei, daß eine mündliche Verhandlung nur stattfinden solle, wenn alle Mitglieder des Ausschusses selbst oder ihre Stellvertreter anwesend sind. Diese Vorschrift kann aber im Rahmen eines Parlaments nicht erzwungen werden. Sie schien daher praktisch nicht möglich. Es ist deshalb eine Sondervorschrift aufgenommen worden, durch die insbesondere herbeigeführt werden soll, daß der Vorsitzende sich, ehe er einen Sitzungstag für die mündliche Verhandlung bestimmt, nach Möglichkeit davon überzeugen soll, ob alle Mitglieder oder ihre Stellvertreter zur Verfügung stehen, und die Ausschußmitglieder dazu anhalten soll, ihrer gesetzlichen Sollverpflichtung wenn irgend angängig zu genügen. Tatsächlich und rechtlich aber kann der Ausschuß nach Abs. 2 schon entscheiden, wenn nur vier Mitglieder oder Stellvertreter anwesend sind. In § 8 Abs. 3 ist ebenso wie generell im § 9 nach dem Muster der Wahlprüfungsordnung des früheren Wahlprüfungsgerichts des alten Reichstags vom 8. 10. 1920 der Zivilprozeß als die generelle Prozeßform bestimmt, nach der sich das Verfahren richten soll. Dadurch soll insbesondere ein Hinweis darauf geschehen, daß jeder Abgeordnete ohne jedes eigene Verschulden in die Rolle kommen kann, daß seine Wahl angefochten ist, daß es sich also in aller Regel keineswegs um die Nachprüfung irgendwelcher Beanstandungen handelt, die den Abgeordneten selbst treffen, sondern um die Nachprüfung der Formvorschriften, an deren Verletzung er selbst völlig unbeteiligt ist. § 9 ist dem § 9 der soeben genannten Wahlprüfungsordnung nachgebildet, um diejenigen allgemeinen Bestimmungen für anwendbar zu erklären, die in jedem Falle zu beachten sind. Mit diesem besonderen Hinweis auf Einzelbestimmungen sowohl im § 8 Abs. 3 wie im § 9 soll hervorgehoben werden, daß die Form des Verfahrens im übrigen im Ermessen des Wahlprüfungsausschusses liegt, soweit nicht in dem Gesetz selbst, wie es insbesondere in den §§ 5 bis 8 geschehen ist, besondere Vorschriften erlassen sind. Dazu ist noch weiterhin folgendes zu bemerken. Die Gesetzesvorlage sieht absichtlich keinerlei Bestimmungen für die Zulassung von Vertretern im Wahlprüfungsausschuß oder die Erscheinungspflicht von Beteiligten vor. Daraus ergibt sich also, daß jeder als Vertreter bestellt werden kann —und nicht etwa nur Rechtsanwälte — und daß niemand verpflichtet ist, auf eine Terminsnachricht hin zu erscheinen, es sei denn, er ist als Zeuge oder als Sachverständiger geladen. In § 10 Abs. 1 ist entsprechend § 8 Abs. 1 der Regierungsvorlage die geheime Beratung über das Ergebnis der mündlichen Verhandlung angeordnet. Diese Bestimmung erscheint selbstverständlich, wenn man den „quasi-richterlichen" Charakter des Wahlprüfungsausschusses bedenkt. Um die Unmittelbarkeit der Verhandlung und Entscheidung zu gewährleisten, ist in Abs. 2 ausdrücklich vorgeschrieben, daß nur diejenigen Mitglieder des Ausschusses an der Schlußberatung teilnehmen dürfen, die der mündlichen Verhandlung beigewohnt haben, so daß also jeder Mitentscheidende über alle Gesichtspunkte, die etwa geltend gemacht sind, unterrichtet ist. Eine sehr wesentliche Bestimmung ist sodann Abs. 3 des § 10, in der, da in einer Gerichtssache eine Entscheidung gefällt werden m u ß , eine Stimmenthaltung mit der Maßgabe, daß der Betreffende bei der Mehrheit oder bei der Minderheit nicht mitgezählt werden will, nicht möglich ist. Wenn also bei voller Besetzung des Wahlprüfungsausschusses drei Abgeordnete für die Ungültigkeit der Wahl, zwei dagegen sprechen und zwei sich der Stimme enthalten möchten, so ist die Entscheidung dahin gefallen, daß die Wahl gültig ist; denn die Stimmenthaltung bedeutet jedenfalls keine Jastimme, und jeder Abgeordnete muß konkret, also entweder mit Ja oder Nein Stellung nehmen. § 11 gehört ebenfalls noch zu den nötigen Formalien des Wahlprüfungsverfahrens und regelt die Form, in der der Wahlprüfungsausschuß seinen Vorschlag dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen muß. Der Beschluß selbst ist schriftlich zu f assen. Dieser muß zunächst einmal die dem Bundestag vorzuschlagende „Entscheidung" im Wortlaut wiedergeben. Diese „Entscheidung" muß in ihrem Tenor entweder die Wahl für gültig erklären oder die Ungültigkeit und die sich daraus ergebenden Folgerungen aussprechen. Der Beschluß ist mit Tatbestand und Gründen zu versehen; er muß also alles in allem den Charakter einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung haben. Die im Schlußsatz vorgesehene Möglichkeit, auf den Akteninhalt Bezug zu nehmen, entspricht der gerichtlichen Praxis. § 12. Dem Plenum des Bundestags gegenüber hat der Beschluß des Wahlprüfungsausschusses nur die Qualität eines Antrags. Die Vorschriften, wie und innerhalb welcher Fristen er im Bundestag zu behandeln ist, gehören als wesentliche Formvorschriften, die der Bundestag beachten muß, in dieses Gesetz. Dabei ist, wie auch im § 8 Abs. 3 der Regierungsvorlage vorgesehen, im § 12 Wert darauf gelegt, daß jedes einzelne Mitglied des Bundestags Gelegenheit hat, sich über die Begründetheit der vorgeschlagenen, vom Bundestag zu fassenden Entscheidung selbst Gedanken zu machen. Eine mündliche Berichterstattung ist, wie der letzte Satz des § 12 ergibt, in aller Regel nicht vorgesehen, aber selbstverständlich ergänzenderweise zulässig und möglicherweise dann zweckmäßig, wenn es sich um besonders grundsätzliche und schwierige Entscheidungen handeln sollte. Im § 13 ist sodann im Abs. 1 entsprechend der Regierungsvorlage § 9 Abs. 1 angeordnet, daß der Bundestag wie in aller Regel mit einfacher Mehrheit zu beschließen hat. Es ist weiter angeordnet, daß eine Ablehnung des Vorschlages des Wahlprü- (Ewers) fungsausschusses eine Zurückverweisung der Sache an den Wahlprüfungsausschuß bedeutet, also im Einzelfalle nicht etwa besonders beschlossen zu werden braucht. Entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag kann dabei die ablehnende Mehrheit dem Ausschuß die Nachprüfung einzelner Zweifelsumstände aufgeben. Die Regierungsvorlage sah darüber hinaus vor, daß das Plenum dem Ausschuß sogar „bestimmte Weisungen erteilen" könne. Das ist von beiden Ausschüssen, für die ich berichte, einstimmig abgelehnt worden, da damit das Recht eines Abgeordneten entgegen der Bestimmung im Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt wäre. Der Abs. 2 bestimmt dann, daß nach Zurückverweisung der Wahlprüfungsausschuß im Bundestag einen neuen Antrag vorzulegen hat. Das kann natürlich schon deshalb nur nach erneuter mündlicher Verhandlung geschehen, weil möglicherweise der zweite zu erarbeitende Vorschlag des Ausschusses nicht von den gleichen Mitgliedern des Ausschusses vorgenommen wird, die an der ersten Verhandlung teilgenommen haben. Darüber hinaus muß selbstverständlich, sobald Anregungen wegen der Nachprüfung vom Bundestag erteilt werden, das insoweit vorhandene Material der mündlichen Verhandlung einer besonders sorgfältigen und eingehenden Prüfung unterzogen und mit den Beteiligten besprochen werden. Die Frage, wie der Bundestag nach Zurückverweisung und nach Vorlage eines zweiten Vorschlags des Ausschusses zu einer endgültigen Entscheidung kommt — und das muß das Ziel jedes Verfahrens sein —, hat die Ausschüsse sehr lange und eingehend beschäftigt. Selbstverständlich kann der Bundestag nicht verpflichtet sein, dem zweiten Vorschlag des Ausschusses, der vielleicht dasselbe enthält wie der erste, zuzustimmen; denn dann wäre die Entscheidung nicht in die Hände des Bundestags, sondern allein in die Hand des Wahlprüfungsausschusses gelegt. Eine abweichende Entscheidung kann aber auf ganz verschiedenen Gründen und Erwägungen beruhen. Es ist daher hier nach dem Vorbild des konstruktiven Mißtrauensvotums — Art. 67 des Grundgesetzes — vorgesehen, daß die Ablehnung nur in der Weise erfolgen kann, daß statt dessen der Bundestag einem andern seiner ihm zur Annahme vorgelegten Anträge zustimmt, der ebenfalls den Anforderungen des § 11 entspricht, also einen Entscheidungsvorschlag enthält mit Tenor, Tatbestand und Gründen, so daß das Bundesverfassungsgericht in der Lage ist, die so gefällte Entscheidung nachzuprüfen, wenn Beschwerde eingelegt werden sollte. Wenn in einem einzelnen Falle ein solcher Antrag, der natürlich gewisser Vorbereitung bedarf, nicht vorliegt, wird die Mehrheit, die dem Ausschußvorschlag nicht zustimmen will, in aller Regel Aussetzung der Verhandlung beantragen, um einen dem § 13 Abs. 2 genügenden Gegenvorschlag dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen zu können. Der Abs. 3 entspricht dem § 9 Abs. 2 der Regierungsvorlage. Der § 14 entspricht dem § 10 der Regierungsvorlage. Es ist nur vorgesehen, daß nicht die Mitglieder des Bundestags selbst, sondern auf ihr Verlangen hin der Präsident die Wählbarkeit eines Abgeordneten nachprüfen lassen kann, der dazu aber auch ohne das Verlangen von Abgeordneten von Amts wegen berechtigt ist. Diese Nachprüfung ist an keine Frist gebunden. Der § 15 entspricht dem § 11 der Regierungsvorlage. Die Formulierung, daß „nach den Vorschriften des Gesetzes zu verfahren ist", ist deshalb gewählt, um klarzustellen, daß bei diesem Verfahren das Antragsrecht sich nach § 2 richtet. Hier ist irgendeine Frist nicht vorgesehen. Der § 16 behandelt die Frage der vorläufigen Wirksamkeit der Entscheidung des Bundestags schon vor ihrer Rechtskraft. Hier sind drei Regelungsmöglichkeiten denkbar, jede wieder mit gewissen Abwandlungen. Erstens: die Entscheidungen haben erst mit Rechtskraft Wirksamkeit. Zweitens: die Entscheidungen haben schon v o r Rechtskraft Wirksamkeit. Drittens: der Bundestag kann von Fall zu Fall entscheiden, ob und welche Wirksamkeit die Entscheidung schon vor der Rechtskraft haben soll. Die Regierungsvorlage ist den Weg gegangen, daß sie im § 12 die Möglichkeit 2 mit der Möglichkeit 3 kombiniert hat, indem sie die Regel aufstellte, daß die Rechte und Pflichten des Abgeordneten, dessen Wahl für ungültig erklärt ist, zu ruhen hätten, daß aber der Bundestag von Fall zu Fall etwas anderes bestimmen könne. Der Wahlprüfungsausschuß hielt es für in hohem Maße bedenklich, im einzelnen Fall diese für die politische Zusammensetzung des Parlaments unter Umständen sehr bedeutsame Frage von einer Entscheidung des Bundestags abhängig zu machen, da hierbei der Tendenz seiner Vorlage zuwider unzweifelhaft politische Möglichkeiten und Machtverhältnisse eine kaum zu vermeidende Rolle spielen könnten. Er lehnte daher die Entscheidungsbefugnis des Bundestags ab und sprach sich einstimmig für eine klare Regelung im Gesetz aus. Der inzwischen von der SPD-Fraktion vorgelegte Änderungsantrag schlägt den Weg der Möglichkeit 1 vor, daß also in keinem Fall die Entscheidung des Bundestags vor Rechtskraft irgendwelche Wirksamkeit äußert. Die Ausschußvorlage schlägt den dritten Weg mit der Maßgabe vor, daß nicht etwa das Mandat des Abgeordneten erloschen, wohl aber seine Tätigkeit als Abgeordneter lahmgelegt ist. Er behält also seine fixen Diätenbezüge, er behält seine Immunität und bleibt im übrigen Abgeordneter; er kann sich aber an den Arbeiten des Plenums und der Ausschüsse während des Schwebezustandes nicht mehr beteiligen. Für den Vorschlag der Ausschüsse, der mit überwiegenden Mehrheiten gefaßt ist, waren folgende Gründe maßgebend. Der Ausschuß glaubt, durch die Gestaltung des Wahlprüfungsrechts im einzelnen größtmögliche Vorsorge getroffen zu haben, daß der Bundestag in jedem einzelnen Fall soweit irgend möglich nur auf Grund gesetzlicher Vorschriften und nicht unter dem Gesichtspunkt politischer Zweckmäßigkeit seine Entscheidungen fällen wird. Wenn man demgegenüber aber eine Norm einführt, durch die dieser Entscheidung, solange sie nicht rechtskräftig geworden ist, jegliche Bedeutung abgesprochen wird, entwertet man den Beschluß des Parlaments vollständig. Die Tatsache, daß in einem gewissen Umfang, nämlich in Ansehung der Mandatsausübung, die Entscheidung des Bundestages alsbald von einer gewissen Bedeutung sein m u ß , dürfte darüber hinaus dem Bundestag Veranlassung geben, sich nicht mit flüchtigen und nicht bis ins letzte durchdachten Entscheidungen zu begnügen, sondern mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob im einzelnen Fall eine Wahl für ungültig erklärt werden muß. Wenn die Entscheidung des Bundestags daher vorläufig und zunächst für den beteiligten Abgeordneten keinerlei Bedeutung hat, so besteht die Gefahr, daß sich der Bundestag von dem Gedanken leiten läßt, (Ewers) daß es auf seine Entscheidung ja ohnehin nicht ankomme, sondern daß das Wahlprüfungsgericht schon Recht sprechen werde. Eine solche Haltung, die hier selbstverständlich nur als Möglichkeit angedeutet werden soll, erschien im Ausschuß als für das Ansehen des Bundestags in hohem Maße bedenklich. Dann soll noch darauf hingewiesen werden, daß die Erklärung der Ungültigkeit einer Wahl zumeist keinerlei Kritik gegen den Abgeordneten enthält, sondern auf von seinem Verhalten völlig unabhängigen Umständen beruht, die er weder rechtlich noch moralisch zu vertreten hat. Es ist also keineswegs damit, daß dem Ausspruch des Bundestags eine gewisse vorläufige Wirksamkeit verliehen wird, irgendein Werturteil über die Person des beteiligten Abgeordneten gefällt. Allerdings hat die Vorlage des Ausschusses von der Regel des Abs. 1 des § 16 eine Ausnahme vorgesehen, und zwar dann, wenn es sich in einem einzelnen Einspruchsverfahren um das Mandat von mehr als neun Abgeordneten handelt, wenn also möglicherweise eine ganze Fraktion von dem Verfahren betroffen ist. Diese Ausnahme mit einer gewissen Mindestzahl — man hat sich auf die Mindestfraktionsstärke geeinigt — war schon deshalb geboten, weil zur Zeit dem Ausschuß Anfechtungen vorliegen, in denen die Wahlen, die in ganzen Ländern vorgenommen worden sind, aus formalen Gründen für ungültig gehalten werden. Wenn man also diese Massenanfechtung sofort irgendwie wirksam werden ließe, wenn der Bundestag seinerseits glaubt, daß man ihnen entsprechen muß, so würde man die Arbeiten des Bundestags unter Umständen lahmlegen. Bei solchen Massenanfechtungen handelt es sich natürlich stets um formale Wahlrechtsbestimmungen, ) die, wie anzunehmen ist, im einzelnen Fall in hohem Maße zweifelhaft sein dürften, da ja nach der Meinung des Anfechtenden der Wahlleiter des Landes eine offenbare Fehlentscheidung bei Feststellung des Wahlergebnisses getroffen haben müßte. Es wird bemerkt, daß die Gestaltung des § 16 im Wahlprüfungsausschuß zu sehr langwierigen Erörterungen geführt hat und erst nach wiederholten Überlegungen die jetzt vorgelegte Form fand. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich nach Darlegung aller Umstände der Meinung des Wahlprüfungsausschusses angeschlossen. § 17. Diese Vorschrift ist auf Anregung des Bundesrats aufgenommen; sie entspricht der allgemeinen Regel, daß niemand zur Entscheidung in eigener Sache berufen sein kann. Sie bezieht sich sowohl auf die Mitwirkung im Ausschuß wie im Plenum. Auch in diesem Falle ist wieder die Ausnahme entsprechend dem § 16 Abs. 2 vorgesehen, wenn eine einzelne Anfechtungssache mehr als neun Abgeordnete berührt. § 18. Nach einem Beschluß des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht soll entsprechend der Gesamtgestaltung des Gesetzes betreffend den Bundesverfassungsgerichtshof das bestehende Verfahren nicht im Wahlprüfungsgesetz, sondern in dem eben genannten Gesetz geregelt werden. Der Wahlprüfungsausschuß hat dies zur Kenntnis genommen. Im Rahmen meines Berichts habe ich daher zur Frage der Gestaltung des Beschwerderechts keine Stellung zu nehmen. Zu § 19. Die Vorschrift ist gleichlautend mit dem § 15 der Regierungsvorlage. Daß das Wahlprüfungsverfahren, soweit es sich vor dem Bundestag vollzieht, keine Kosten verursachen darf, dürfte der normalen Rechtsgestaltung entsprechen. Gleiches war schon im § 15 der Wahlprüfungsordnung vom 8. Oktober 1920 vorgesehen. Das gleiche gilt für die Nichterstattung der Auslagen. Zu § 20. Der § 16 der Regierungsvorlage ist auf Wunsch des Bundestags dahin ergänzt worden, daß noch ein Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes neue Einsprüche ermöglicht werden, weil dies einer rechtsstaatlichen Regelung entsprechen dürfte. Praktisch wird diese Bestimmung, wie man im Ausschuß annimmt, keine besondere Bedeutung haben. Bedeutsam ist, daß die Worte „beim Bundestag eingelegt" in der Regierungsvorlage geändert sind in „beim Bundestag eingegangen". Diese Änderung erschien erforderlich, weil die bisher vorliegenden Einsprüche ausnahmslos bei den zuständigen Wahlleitern eingelegt und durch diese dem Bundestag vorgelegt sind; sie sind also im Sinne des Gesetzes inzwischen beim Bundestag „eingegangen" und damit ohne weiteres formal wirksam. Bei der Formulierung der Regierungsvorlage käme in Betracht, daß alle bisherigen Einsprüche noch einmal formell erneuert werden müßten. Der § 21 entspricht dem § 17 der Regierungsvorlage. Die möglichst eilige Inkraftsetzung des Wahlprüfungsgesetzes ist ein selbstverständliches Erfordernis. Zum Schluß darf bemerkt werden, daß der Wahlprüfungsausschuß glaubt, mit diesem Gesetz eine Handhabe zu haben, um praktisch und so rasch wie möglich seinen Aufgaben zu genügen, und daß die Einzelbestimmungen sich als beweglich genug herausstellen, um eine sachgemäße Handhabung aller Wahlprüfungssachen auch vor dem Bundestag zu gewährleisten. Nachrichtlich sei bemerkt, daß dem Wahlprüfungsausschuß zirka 70 Einsprüche vorliegen. Ob die Hoffnung begründet ist, daß der Wahlprüfungsausschuß mit der Erledigung der Einsprüche bis Ende des laufenden Jahres fertig wird, muß abgewartet werden. Ewers Berichterstatter
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst eine Übersicht über die Entwicklung der Beratungen über die Gesetzesvorlage im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu geben. Am 14. Dezember 1949 brachte die Fraktion der SPD im Bundestag mit Drucksache Nr. 328 den Initiativentwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ein. Der Entwurf wurde in der 28. Sitzung des Bundestages am 19. Januar 1950 nach der ersten Beratung dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Die Bundesregierung legte den Entwurf eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Drucksache Nr. 788 in der 56. Sitzung des Bundestages am 31. März 1950 vor, nachdem der Bundesrat innerhalb seiner verfassungsmäßigen Frist seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf formuliert hatte. Auch dieser Entwurf wurde nach der ersten Beratung im Plenum dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur weiteren Bearbeitung überwiesen.
    Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht befaßte sich mit dem Thema zum ersten Mal in seiner 21. Sitzung am 15. März vorigen Jahres, in der Referent und Korreferent einen Überblick über die Gesetzesmaterie gaben. In seiner 22. Sitzung am 16. März 1950 waren die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundesrates anwesend, die die Auffassung des Bundesrates zum Regierungsentwurf darlegten. In der folgenden Sitzung am 21. März wurde eine Generaldebatte geführt, die in der nächsten Sitzung auf die einzelnen Hauptprobleme spezialisiert wurde. Zum Abschluß der Generaldebatte hörte der Ausschuß die Präsidenten der Verfassungsgerichtshöfe der Länder Bayern, Hessen und Württemberg-Baden als Sachverständige zu einer Reihe von Fragen an.
    Danach trat der Ausschuß in die erste Lesung des Gesetzestextes &n. In der ersten Lesung wurden nur die Probleme erörtert, ohne daß Abstimmungen stattfanden. Es wurden lediglich Anregungen und Vorschläge gegeben, die in der zweiten Lesung berücksichtigt werden sollten. Die erste Lesung erstreckte sich auf eine Reihe von Sitzungen, die bis in die Mitte des Juli vorigen Jahres reichten. Nach Abschluß der ersten Lesung beschloß der Rechtsausschuß, einen Unterausschuß einzusetzen, der versuchen sollte, die in der Generaldebatte sowie in der ersten Lesung aufgetretenen unterschiedlichen Auffassungen zu einer Übereinstimmung zu bringen. Die Vertreter des Bundesjustizministeriums waren bei den Beratungen des Unterausschusses anwesend. Der Kompromißvorschlag des Unterausschusses wurde sodann dem Gesamtausschuß vorgelegt. Dieser verhandelte über den Entwurf in zwei weiteren Lesungen. Das Ergebnis liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 1724 vor.
    Die Mitglieder des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht waren sich von Anfang an darüber im klaren, daß die Organisation des Bundesverfassungsgerichtes so installiert werden müßte, daß sie vom Willen aller Fraktionen, aller Parteien und damit von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes getragen würde, Der Rechtsausschuß und der Unterausschuß haben sich in sehr sorgfältigen Beratungen intensiv bemüht, dieses grundlegende Verfassungsgesetz in dieser Weise zustande zu bringen. Das, was Ihnen vorliegt, wird von dem Willen aller im Rechtsausschuß vertretenen Fraktionen getragen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß seit dem Erlaß des Grundgesetzes keine Gesetzesvorlage eine so große verfassungsrechtliche Bedeutung hat wie dieses Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Wenn wir uns fragen, was wir im Kern der Dinge dem Bolschewismus entgegenzusetzen haben, so ist es die Idee des Rechtsstaates. Das Bundesverfassungsgericht ist die Krönung des Rechtsstaates, und mit diesem Gesetz, das nicht nur institutionelle, nicht nur organisatorische Bedeutung hat, sondern einen großen materiellen, verfassungsrechtlichen Inhalt hat, wird eine alte Rechtsentwicklung in Deutschland zur Vollendung geführt.
    Der Ausschuß hat über das grundsätzliche Wesen der Staatsgerichtsbarkeit eingehende Aussprachen gepflogen. Im Verlauf der Debatte ist immer wieder die Erscheinung jener beiden Begriffe hervorgetreten: der Unterschied zwischen einer Rechtsentscheidung und einer politischen Entscheidung. Es war damals der Minister Katz als Vertreter des Bundesrates, der in einer Sitzung des Ausschusses zum Ausdruck brachte, grob ausgedrückt handle es sich bei den Fällen, die vor dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung kommen sollten, um politische Entscheidungen in juristischem Gewand. Er hat diese Formulierung im Anschluß an die Feststellung geprägt, daß durch die Fälle der Art. 72 und 73 des Grundgesetzes Dinge juridizierbar gemacht worden sind, die sich ihrem Wesen nach der richterlichen Entscheidung, der Justitiabilität entziehen. Dennoch ist diesem Einwand oder dieser Formulierung des Herrn Landesministers Katz von den Mitgliedern des Ausschusses zum Teil scharf widersprochen worden. Es war der Kollege Jaeger, der ausführte, daß das Bundesverfassungsgericht nicht politische Entscheidungen zu fällen, sondern den juristischen Kern, der in einem Streitfall enthalten ist, herauszustellen habe. Herr Kollege Etzel bezeichnete das Bundesverfassungsgericht als das oberste Organ der Verfassungsgarantie.
    Besonders klärend waren die Ausführungen, die der Kollege Arndt zu diesem Punkt der Debatte gemacht hat. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich bei Entscheidungen der Staatsgerichtsbarkeit nicht um Willensentscheidungen handle, also nicht um politische Entscheidungen, wie sie das Parlament oder andere zur politischen Willensbildung berufene Institutionen zu fällen haben. Herr Kollege Arndt hat dies Problem dahingehend formuliert, das Bundesverfassungsgericht habe den im Grundgesetz vorhandenen, wenn auch oft nicht klar erkennbaren Willen des Verfassungsgesetzgebers zu achten und sozusagen an das Licht zu heben. Kurz formuliert könnte man sagen: Bei Entscheidungen einer Staatsgerichtsbarkeit handelt es sich um echte richterliche Entscheidungen, bei denen nicht etwas


    (Dr. von Merkatz)

    erfunden wird, was im Grundgesetz nicht enthalten ist, sondern bei denen das, was als Gehalt des Willens des Gesetzgebers tatsächlich vorentschieden schon vorhanden ist, gefunden wird. Es ist also nicht die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, mit ihren Entscheidungen politische Willensentscheidungen, die Arbeit des Gesetzgebers zu ersetzen oder irgendeinen Griff in die Sterne zu tun; es ist die Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, das, was im Grundgesetz vom Willen des Gesetzgebers vorentschieden ist, zu finden und damit zu konkretisieren.
    Mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage möchte ich aus der Generaldebatte die Ausführungen der Ausschußmitglieder wiedergeben, da sie für das ganze Wesen dieser Gerichtsbarkeit und die spätere Auslegung und die Tragweite ihrer Entscheidungen von Bedeutung sind. Es war der Kollege Arndt, der sich gegen die von Herrn Dr. Süsterhenn vertretene Lehre wandte, daß der Richter nicht nur dem Gesetz, sondern auch seinem Gewissen, ja in erster Linie seinem Gewissen unterworfen sei. Diese Lehre, die eine naturrechtliche Lehre ist, ist durch Ausführungen von Herrn Rotberg aufgenommen und durch Arbeiten des Professors Jerusalem weitergebildet worden. In den Debatten ist zum Ausdruck gebracht worden, daß eine solche Auffassung vom Wesen der Staatsgerichtsbarkeit Dynamit enthalte und damit präjudizierend für das Ende der richterlichen Unabhängigkeit sei; denn wenn eine solche Auffassung Schule mache, bekämen wir eine Gegenbewegung, die die richterliche Unabhängigkeit dann aus den Angeln heben müsse. Infolgedessen würden bei der Befolgung dieser Grundansicht die Beschlüsse des Parlaments aus den Angeln gehoben werden können. Der Richter wäre dann nicht gehalten, sich den im Parlament zum Ausdruck gebrachten Auffassungen zu fügen, und könnte sich im Gegensatz zu den demokratischen Entscheidungen des Parlaments an den Richtlinien einer ewigen Gerechtigkeit orientieren. Das Bundesverfassungsgericht aber werde nicht über ewige oder nichtewige Grundsätze zu entscheiden haben, sondern es habe eine klare Richtlinie für seine Rechtsprechung, nämlich das Grundgesetz, allenfalls noch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts.
    Über die Frage, ob im Grundgesetz lediglich vorstaatlich gegebene Naturrechte kodifiziert sind oder ob es sich dabei um menschlich gesetztes Recht handelt, werde man katholischer- und lutherischerseits — so führte der Kollege Arndt aus — verschiedener Ansicht sein. Aber diese Frage könne bei einer richtigen Haltung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nicht auftreten. Das Bundesverfassungseericht habe die gesetzgeberischen und sonstigen Ereignisse nur am Grundgesetz zu messen. Es könne sich — und das war die übereinstimmende Auffassung des gesamten Ausschusses — beim Bundesverfassungsgericht nur uni ein echtes Gericht handeln. welches zur Entscheidung darüber berufen sei, ob die Maßnahme eines gesetzrebenden oder verwaltenden Organs mit dem Grundgesetz vereinbar sei oder nicht. Das sei das Generalthema der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts.
    Das Bundesverfassungsgericht und die Staatsgerichtsbarkeit überhaupt — so fuhr damals Kollege Arndt bei der Generaldebatte fort — sei etwa gegenüber einem Zivil- oder auch einem Strafgericht strukturell ein aliud. und zwar deswegen, weil es nicht einen Einzelfall zu entscheiden habe. sondern weil alles, was es tue und entscheide, mindestens materiell, mindestens in der Konsequenz eine Wirkung für das Ganze habe. Der Zivilprozeß Müller gegen Schulze könne eine sehr wichtige Rechtsfrage enthalten. Aber es habe seinen Sinn, daß die Rechtskraft hier nur inter partes, nur zwischen den streitenden Teilen gelte, weil keine Enscheidung für das Staatsganze falle. So auch in jedem Strafprozeß. Dagegen sei es das Eigentümliche der Staatsgerichtsbarkeit, daß man ihre Verfahren nicht wie einen Zivil- und Strafprozeß beliebig oft wiederholen könne oder daß sie nur für einen Einzelfall eine Entscheidung brächten, sondern sie brächten immer eine Entscheidung für die . Gesamtheit, für den Staat als Ganzes. Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Staatsgerichtsbarkeit und allen anderen gerichtlichen Verfahren müsse deutlich erkannt werden.
    Daraus würden sich — so fuhr damals Kollege Arndt fort — erhebliche Folgerungen für die Einzelverfahren ergeben, die nicht in der Form eines Parteienstreites nach dem Vorbild eines Zivilprozesses aufgebaut werden könnten. Es liege insoweit eine substantielle Unterscheidung gegenüber allen anderen Gerichtsbarkeiten vor. Das Bun desverfassungsgericht habe als echtes und unabhängiges Gericht zu handeln, wobei unter einem echten Gericht ein Organ zu verstehen sei, das nicht politische Entscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen zu treffen. d. h. etwas zu erkennen habe, was bereits entschieden sei.
    Aus dieser Grundstruktur und aus dieser grundsätzlichen Stellung des Gerichtes wurden in dieser Generaldebatte die drei wichtigsten Grundprobleme entwickelt, die bei der gesamten Gesetzesvorlage zur Entscheidung standen: erstens die Frage des Plenarprinzips, d. h. wie überhaupt die Verfassung des Bundesgerichts aussehen solle, zweitens das Verhältnis zwischen den beamteten und den nichtbeamteten Richtern im Bundesverfassungsgericht und drittens die Art der Richterwahl in das Bundesverfassungsgericht.
    Gegenstand meines Berichts sind diese organisatorischen Fragen sowie die damit eng zusammenhängenden Schlußbestimmungen des Gesetzes. Bevor ich aber auf diese einzelne Problematik eingehen kann, ist es notwendig, einen Rückblick auf die Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in Deutschland zu tun. Es war der hier in Bonn amtierende Professor Friesenhahn, der bereits im Jahre 1932 im Handbuch des deutschen Staatsrechts einen grundlegenden Artikel über das Wesen der Staatsgerichtsbarkeit geschrieben hat. Er hat in diesem Artikel eine Theorie der Staatsgerichtsbarkeit aufgestellt, die zu kennen nützlich ist, um zu erfahren, in welch konkreter Form das Bundesverfassungsgericht bei der Gesamtentwicklung dieses Problems einen erheblichen Fortschritt darstellt. Professor Friesenhahn unterscheidet drei Arten von Staatsgerichtsbarkeit: die Verfassungsgerichtsbarkeit in engerem Sinn, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die zur Schlichtung des Streites zwischen den Organen und den Willensträgern des Verfassungslebens möglich ist; die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit, d. h. eine Gerichtsbarkeit, die dem Gegenstand nach den Streit zwischen dem Bund — dem Gesamtstaat — und den Gliedern zu schlichten hat, d. h. die Beziehungen, die zwischen Bund und Gliedern bestehen, richterlich zu entscheiden hat, Beziehungen, die also stets auf der Grundlage der Bundesverfassung beruhen; und schließlich die sogenannte Bundesgerichtsbarkeit, wobei es sich um Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten eines Bundes handelt. Neben diesen Verfassungsstreitigkeiten im engeren Sinn ist das Verfassungsgericht oder das Staatsgericht in der Regel auch zuständig für die Ministeranklage, für


    (Dr. von Merkatz)

    die Prüfung von Wahlen, für die abstrakte Normenkontrolle, für die Entscheidung von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Verfassung, für eine gutachterliche Tätigkeit und möglicherweise für die Verfassungsbeschwerde, eine Einrichtung, die früher in ihrer Tragweite wenig erkannt wurde und die bisher in der Wissenschaft und in der Praxis als der Verwaltungsgerichtsbarkeit benachbart bezeichnet worden ist.
    Die positiv-rechtliche geschichtliche Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits im alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es mehrere Reichsgerichte, die solche ständische Streitigkeiten auszutragen hatten. Nach der deutschen Verfassungstheorie ist die Verfassung, um es kurz auszudrücken, ein Vertrag zwischen der Krone und der Volksvertretung. Diese Verfassungstheorie, die die Verfassungsurkunde als einen Vertrag betrachtet, trägt deutlich die Tradition ständischer Auffassung an der Stirn. In der Wiener Schlußakte ist für den Deutschen Bund in Art. 60 und 61 eine Verfassungs- und Staatsgerichtsbarkeit vorgesehen, die durch den Bundesbeschluß vom 30. Oktober 1834 konkretisiert worden ist. Damals wurde das Bundesschiedsgericht eingeführt. Art. 1 dieses Bundesbeschlusses des Deutschen Bundes vom 30. Oktober 1834 hat in Art. 76 Abs. 2 der Reichsverfassung von 1871 seinen Niederschlag gefunden, in dem der Bundesrat für solche staatsgerichtliche Entscheidungen zuständig gemacht wurde. Es handelt sich beim Bundesrat aber um ein politisches Organ, das in engen Grenzen Verfassungsstreitigkeiten zu entscheiden hatte.
    Um die Fortschritte zu sehen, die die Entwicklung dieser Frage genommen hat, ist es wichtig, den alten Art. 76 zu zitieren. Dort war der Bundesrat für zuständig erklärt, auf Anrufen des einen Teils erstens Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, zu erledigen; zweitens Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.
    Aus diesem Art. 76 der alten Reichsverfassung
    von 1871 ist Art. 19 der Reichsverfassung von Wei-
    mar entstanden. Art. 19 lautete wie folgt:
    Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.
    Wir sehen hier eine Fortentwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in zweierlei Hinsicht: Einmal tritt an die Stelle des politischen Gremiums des Bundesrats ein echtes Gericht, der Staatsgerichtshof. Zum andern wird die Kompetenz dieses Staatsgerichtshofs nicht unerheblich erweitert, indem auch Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern in die Kompetenz des Staatsgerichtshofs mit einbezogen werden. Nicht aber gehörte zur Kompetenz des Staatsgerichtshofs die Enscheidung überReichsverfassungsstreitigkeiten. Die grundlegende Entscheidung hierüber finden Sie im 118. Band der Reichsgerichtsentscheidungen im Anhang 4. Dort wird entschieden, daß auch eine Reichsverfassungsstreitigkeit unter die Kompetenz des Staatsgerichtshofs fällt, wenn sie innerhalb eines Landes entstanden ist und die Normen der Reichsverfassung in diesem Streit eine die Landesverfassung ergänzende Anwendung finden. Der Schritt, der hier zur Erweiterung der Kompetenz der Staatsgerichtsbarkeit gemacht worden ist, bedeutete also einen nicht unerheblichen Einbruch in die Möglichkeit, Streitigkeiten mit politischer Tragweite justiziabel zu machen. Diese Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit fand im Jahre 1933 durch den Absolutismus des Führerstaates ein Ende.
    Um nun zu sehen, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundlage hier einen ganz erheblichen Schritt weitergegangen ist, ist es erforderlich und nützlich, die Vorgeschichte der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat zu streifen. Hierbei war vor allem die Denkschrift „Die oberste Bundesgerichtsbarkeit" grundlegend, die der jetzige Staatssekretär. damaliges Mitglied des Parlamentarischen Rates, Dr. Strauß verfaßt hat und die später veröffentlicht worden ist. Unter den Leitsätzen, die Dr. Strauß hier ausgearbeitet hat, finden sich folgende Forderungen:
    Auszunehmen von der Gerichtsbarkeit des Obersten Bundesgerichts sind die politischen Verfassungssachen. Diese sind angesichts der besonderen deutschen Verhältnisse an einen besonderen Verfassungsgerichtshof zu überweisen. Diese Ausnahme ist jedoch auf Streitigkeiten mit politischem Wertakzent zu beschränken; vorwiegend rechtliche Streitigkeiten, insbesondere die inzidentielle Prüfung. ob die Gesetze der Verfassung entsprechen. sind der Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts zu überlassen.
    Sie sehen in dieser Denkschrift des Herrn Dr. Strauß eine Konzeption, die das Oberste Bundesgericht bei allen wirklich justiziablen Fällen zur Spitze der gesamten Gerichtsbarkeit zu machen bestrebt war.
    Der Parlamentarische Rat ist dieser Auffassung von Herrn Dr. Strauß nicht gefolgt, sondern hat bereits in den Beratungen der ersten Lesung eine grundsätzliche Änderung dieser Konzeption beschlossen. In der Berichterstattung über das Bundesverfassungsgericht soll festgehalten werden, welchen Ausgangspunkt seinerzeit die Idee des Bundesverfassungsgerichts hatte. Es ist wert, auch in diesem Bericht — der ja vielleicht mit zur Auslegung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht herangezogen wird — einige grundsätzliche Ausführungen von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zu zitieren. In der ersten Lesung am 8. Dezember 1948 wurde von ihm ausgeführt:
    Wir haben im Ausschuß
    — dem Fachausschuß, der die Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vorbereitet hat —
    bewußt das Oberste Bundesgericht an die Spitze gestellt, weil nach unseren Vorstellungen in einer Weise, die erst nach sachlichen Auseinandersetzungen durch einfaches Bundesgesetz geregelt werden kann, das Oberste Bundesgericht als der Repräsentant der gesamten rechtsprechenden Gewalt und der Rechtspflege erscheinen soll, während das Bundesverfassungsgericht, das ihm zweifellos in seiner Bedeutung am nächsten kommt, doch mit einer Reihe ganz spezieller Aufgaben als eine Art Sonderstaatsgericht auftreten wird. Wir haben das Oberste Bundesgericht auch deswegen an die erste


    (Dr. von Merkatz)

    Stelle gesetzt, weil im Bundesverfassungsgericht voraussichtlich — was auch der einfache Bundesgesetzgeber regeln wird — Mitglieder des Obersten Bundesgerichts vertreten sein werden. Wir wollen hier einen etwas neuen Weg gehen. Wir wollen das Oberste Bundesgericht gegenüber allen anderen Gerichten herausheben. Um dieses mehr optischen Eindrucks willen — wir wollen weniger eine hierarchische Abgrenzung zwischen Oberstem Bundesgericht und Bundesverfassungsgericht schaffen — möchten wir bitten, es bei der bisherigen Reihenfolge zu lassen.
    Bei dem Entwurf, der den Beratungen des Hauptausschusses zugrunde lag, stand das Oberste Bundesgericht in der Aufzählung vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hatte gewissermaßen einen Ausnahmecharakter und war zur Entscheidung nur solcher Fälle bestimmt, die einen ausgesprochen politischen Akzent hatten.
    Zu demselben Thema hat sich Herr Dr. Strauß noch einmal geäußert. Es ging dabei um die Einfügung der wichtigen Bestimmung, dem Bundesverfassungsgericht auch die Kompetenz zu geben, über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder eines anderen Beteiligten zu entscheiden. Das war die Bestimmung, mit der die Entwicklung, die im Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich angesetzt hatte, um einen entscheidenden Schritt weitergetragen wurde. Wenn ich die Denkschrift des Herrn Dr. Strauß richtig verstehe, wollte er seinerzeit — und das war das Kernproblem, das im Parlamentarischen Rat dabei zu entscheiden war — Zurückhaltung üben, um nicht Dinge judizierbar I zu machen, die ihrem Wesen und ihrem Kern nach einen stark politischen Akzent haben.
    Herr Dr. Strauß führte aus:
    Wir haben uns über diese Frage im Ausschuß eingehend unterhalten. Wir sind von der Regelung der Weimarer Verfassung ausgegangen, deren Ausführungsgesetz bei Streitigkeiten zwischen Organen des Deutschen Reiches den Staatsgerichtshof nicht für zuständig erklärt hatte. Man weiß nicht, ob das seinerzeit mit Absicht geschehen ist, oder ob man hier eine Lücke übersehen hat. Jedenfalls hat die Erörterung dieser Frage zu einer Entschließung des Kölner Juristentages von 1926 geführt, der die Ausfüllung dieser Lücke empfohlen hat. Dieser Resolution ist mit beachtlichen Gründen entgegengetreten worden, insbesondere auch von dem späteren Reichsjustizminister Dr. Joël. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es sich in der Mehrzahl dieser Fälle um echte politische Entscheidungen handelt, die nur durch die dazu berufenen Organe politisch entschieden werden können und daß einem Verfassungsgerichtshof bei solchen Streitigkeiten eine Aufgabe zugewiesen wird, die er in einem Rechtsverfahren in vielen Fällen — in anderen mag es anders liegen — nur schwer bewältigen kann. Aus diesem Grunde hatten wir die Einschränkung vorgesehen. Wir hatten erwogen, die Ziffer 1 zu streichen, und haben uns dann auf die Einschränkung geeinigt, daß er nicht über die Streitigkeiten schlechthin entscheidet — das ist Aufgabe des Bundestages, der Bundesregierung und des Bundesrats im Wege eines Mißtrauensvotums oder im Wege der Ablehnung einer Vorlage der Bundesregierung —. sondern nur über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten, wenn also die Streitigkeiten involvieren, daß ein Artikel des Grundgesetzes so oder so ausgelegt wird.
    Wir fürchten, daß sonst dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von Fällen übertragen wird, die jenseits der Grenzen des Justiziablen liegen.
    Der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates ist, wie gesagt, dieser zurückhaltenden Auffassung über die Möglichkeit einer Staatsgerichtsbarkeit nicht gefolgt. So ist es dann zu der Ihnen bekannten Formulierung der Zuständigkeit in Art. 93 des Grundgesetzes gekommen.
    Es war notwendig, diese Geschichte der Staatsgerichtsbarkeit in kurzen Zügen darzustellen, denn das Ausmaß der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts ist ja für sein Wesen und für die Art seiner Organisation entscheidend. Dabei trat noch eine weitere Frage auf. Der Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes enthält in Art. 93 den Begriff der Verfassungsbeschwerde nicht. Die Verfassungsbeschwerde, auf deren Bedeutung im einzelnen ich hier nicht eingehen kann — das wird einer der Herren Berichterstatter nach mir tun —, blickt auch in deutschen Landen auf eine gewisse Geschichte zurück. So hatte u. a. die bayerische Verfassungsurkunde in Art. 94 — so glaube ich — auch in der Weimarer Zeit die Verfassungsbeschwerde bereits eingeführt. Allerdings war sie dort außerordentlich begrenzt, weil in Fällen, i n denen jemand in seinen Rechten verletzt worden war und ihm die Möglichkeit gegeben war, vor einem bürgerlichen oder Verwaltungsgericht sein Recht zu suchen, der Verfassungsbeschwerde nicht stattgegeben werden konnte. Diese alte bayerische Verfassungsbeschwerde bedeutete also lediglich die Ausfüllung einer Lücke, die dadurch entstand, daß das System der Gerichtsbarkeit nicht in allen Fällen eine Rechtsschutzmöglichkeit gewährte. Bei den Beratungen über diese Frage ist der Rechtsausschuß auf Grund der übereinstimmenden Voten der beiden Sachverständigen, der Präsidenten Lehr und Wintrich, zur Einführung der Verfassungsbeschwerde so, wie sie im Regierungsentwurf enthalten war, gekommen. Ich verweise auf die grundlegenden Ausführungen des Regierungsvertreters, die er in der 30. Sitzung am 20. April zu Begriff und Wesen der Verfassungsbeschwerde gemacht hat.
    Nachdem also der weite, Ihnen vorliegende Zuständigkeitskatalog gemäß § 13, der Art. 93 GG durchführt und konkretisiert, gegeben war und zusätzlich noch — das war nach dem Grundgesetz durchaus möglich — auch die Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gemacht worden war, ergab sich, daß dieses Gericht eine außerordentliche Arbeitsfülle zu bewältigen hat. Damit darf ich in die Erörterung der Strukturprobleme des ersten Teiles eintreten.
    § 1 der Gesetzesvorlage hat gemäß den Berntungen im Rechtsausschuß, wie ich darzulegen
    die Ehre hatte, folgende Formulierung erhalten: Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.
    Damit ist zum Ausdruck gebracht: Selbständigkeit und Unabhängigkeit und: es handelt sich um einen Gerichtshof, ein echtes Gericht. Zur Bewältigung der durch die weite Zuständigkeit entstehenden Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichtes,


    (Dr. von Merkatz)

    das damit entgegen der Auffassung von Herrn Dr. Strauß im Parlamentarischen Rat zur obersten Spitze der Rechtsprechung überhaupt gemacht worden ist, kam es organisatorisch darauf an, ein Gericht zu bilden, das in der zahlenmäßigen Besetzung nicht zu groß ist und doch eine Einheit darstellt. Der Ausschuß, die Sachverständigen und alle Beteiligten waren sich über den Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Rechtsprechung einig.
    Der Entwurf der Sozialdemokratischen Partei hatte das reine Plenarprinzip vorgesehen, einen einheitlichen Gerichtskörper von zehn Richtern, der immer in seiner Gesamtheit ein erkennendes Gericht war, und für den Fall, daß ein Richter ausfiel, gab dieser Entwurf die Möglichkeit der Vertretung einzelner Richter.
    Im Gegensatz zu diesem kleinen Gerichtshof war von der Regierung ein mit 24 Richtern besetztes Gericht und ein sogenanntes roulierendes System vorgeschlagen worden. Ich möchte hierbei betonen, daß sowohl im Entwurf der Regierung als auch im Entwurf der Sozialdemokratie der Grundsatz der Einheit des Gerichts und der Einheit der Rechtsprechung absolut festgehalten worden ist. Der Gegensatz zum sogenannten Plenarprinzip war nicht das von der Regierung vorgeschlagene roulierende System, sondern das sogenannte Senatsprinzip, bei dem man den Gerichtshof in Senate aufteilte.
    Der Bundesrat hatte gegenüber dem roulierenden System, bei dem immer mit einer „Sitzgruppe" von neun Richtern als erkennendem Gericht gearbeitet wurde, ein Plenarprinzip bei einer Gesamtzahl von zwölf Richtern vorgeschlagen, die mit einem Quorum von neun Richtern beschlußfähig waren. Der Bundesrat hatte außerdem, damit diese Arbeitslast bewältigt werden könne, vorgeschlagen, daß für Sachen von sekundärer Bedeutung eine geringere Besetzung Platz greifen konnte.
    Die Frage des Plenarprinzips, der Durchführung des Plenarprinzips und der Bewältigung der großen Arbeitslast des Gerichtes war das Grundproblem, das die Beratungen des Ausschusses und auch des Unterausschusses in hohem Maße beherrscht hat. Schließlich ergab sich eine Lösung, wie sie in den §§ 2, 14, 15 und 16 der Vorlage niedergelegt ist.
    Nach § 2 besteht das Bundesverfassungsgericht aus zwei Senaten. In jeden Senat werden zwölf Richter gewählt. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorlage ist jeder Senat beschlußfähig, wenn mindestens neun Richter anwesend sind. Im Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, über die Verwirkung von Grundrechten, Nr. 2, über die Verfassungswidrigkeit von Parteien, Nr. 4, über die Anklage des Bundestags oder des Bundesrats gegen den Bundespräsidenten, und Nr. 9, über die Richteranklage gegen Bundesrichter und Landesrichter, bedarf es zu einer dem Antragsgegner nachteiligen Entscheidung in jedem Falle einer Mehrheit von acht Stimmen. Im übrigen entscheidet die einfache Mehrheit, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt.
    Gemäß § 16 wird die Einheit des Gerichts — das ist das Grundprinzip, an dem festgehalten wurde — dadurch hergestellt, daß, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will, darüber das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entscheidet. Dieses Plenum ist beschlußfähig, wenn von jedem Senat neun Richter anwesend sind. Das Plenum entscheidet auch, welcher Senat für ein anhängig werdendes Verfahren zuständig ist, wenn nach den gestellten Anträgen sowohl der Erste wie der Zweite Senat zuständig sind oder wenn die Zuständigkeit sonst zweifelhaft ist.
    Die Lösung, die gefunden worden ist, war also die Schaffung eines Bundesverfassungsgerichts, das immer in zwei Senaten tagt und dessen Richter sich gegenseitig vertreten können. Bei der Zuständigkeitsverteilung der beiden Senate gemäß § 13 und gemäß § 14 hat man eine Auswahl getroffen, die schwer in eine Begrifflichkeit hineinzubringen ist und die deshalb gesetzestechnisch mit den einzelnen Nummern des § 13 angeführt worden ist. Man kann vielleicht sagen, daß der Zweite Senat für alle Organstreitigkeiten zuständig ist, während der Erste Senat Fragen der Grundordnung und der Normenkontrolle zu regeln hat. Aber diese Begrifflichkeit trifft den Kern der Sache nicht ganz. Es wird eine Aufgabe der Wissenschaft sein, hier eine weitere Klärung herbeizuführen. Insbesondere wird die Rechtsprechung des Gerichtshofes selbst diese Klärung herbeizuführen haben.
    Von demselben Problem der Bewältigung der Arbeitslast ist die Frage der Zusammensetzung des Gerichts, der zahlenmäßigen Besetzung abhängig. Von der Sozialdemokratie war, wie erwähnt, eine kleine Zahl vorgeschlagen worden, nämlich bloß zehn Richter, während der Regierungsentwurf auf 24 Richter und der Bundesrat auf zwölf Richter kamen. Dabei legte die Sozialdemokratie Wert darauf, daß alle Richter gleichen Ranges und gleichen Rechtes sein sollten; denn das Grundgesetz sieht vor, daß das Gericht mit Berufsrichtern und mit anderen Mitgliedern besetzt werden sollte.
    Damit kommen wir zur Frage der Qualifikation der Richter, welche Anforderungen an die Richterpersönlichkeiten zu stellen waren. Der Ausschuß hat auf der Grundlage der Vorarbeiten des Unterausschusses den gleichen Rang aller Richter des Bundesverfassungsgerichts festgelegt. Deshalb ist in den Entwürfen der Ausdruck „andere Mitglieder", wie ihn das Grundgesetz noch enthält, fortgefallen. Wir finden hier den einheitlichen Begriff des Richters angeführt. Die Richter müssen gemäß § 3 das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum Bundestag wählbar sein und sich schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des Bundesverfassungsgerichts zu werden.
    Nun kam es: nachdem von einigen Sachverständigen Bedenken angemeldet wurden — ich glaube es war Herr Oberlandesgerichtspräsident Dr. Zürcher, der Präsident des Staatsgerichsthofs in Baden, der die Vollendung des 40. Lebensjahres als nicht hinreichende Altersgrenze nannte —, zu verschiedenen Auffassungen hauptsächlich über die Frage. welche Anforderungen an die Befähigung zum Richteramt im Bundesverfassungsgericht unter Wahrung des Prinzips, daß alle Richter dieses Gerichtshofes gleichen Rang haben, zu stellen waren. Das Ergebnis ist gewesen: sie müssen außerdem die Befähigung zum Richteramt besitzen oder auf Grund der vorgeschriebenen Staatsprüfungen die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erworben haben, sich durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. Hierbei handelt es sich um ein echtes Kompromiß zwischen sehr verschiedenen Auffassungen. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah vor, daß bei den Richtern, die nicht Berufsrichter waren — also bei den anderen Mitgliedern —, keine juristische Vorbildung zwingend vorgeschrieben sein sollte. Es . war da formu-


    (Dr. von Merkatz)

    liert: Die Richter sollen im Leben erfahren sein, das Vertrauen der Allgemeinheit genießen und die Gewähr bieten, daß sie gerecht, mit sozialem Verständnis und im Geiste des Grundgesetzes die ihnen anvertraute rechtsprechende Gewalt ausüben werden.
    Die Meinungen sind hier sehr gegeneinander gegangen. Die Sachverständigen — unter anderem Herr Justizminister Beyerle — legten gerade auf die Tatsache Wert, daß das Laienelement, wenn man es so nennen darf, gleichwertig als Richter in diesem Bundesverfassungsgericht tätig werden solle, weil es bei den Aufgaben, die eine Staatsgerichtsbarkeit an den Richter stellt — auch der Herr Kollege Arndt hat so argumentier, —, wertvoller sei, daß nicht der theoretisch ausgebildete Jurist hier den Stil der Rechtsprechung bestimmen solle, ' sondern der Mann mit Lebenserfahrung, einer Erfahrung, die im öffentlichen Leben in der .Regel dann auch umfangreiche juristische Kenntnisse in sich schließe. Der Bundesrat hatte in dieser Frage eine vermittelnde Haltung eingenommen. Er hatte lediglich das Erfordernis „rechtskundig" verlangt. Der Ausschuß hat sich aber schließlich auf die verhältnismäßig scharfen Anforderungen, die § 3 Abs. 2 stellt, geeinigt, und zwar aus der Erwägung, daß, wenn man wirklich gleichrangige Richter haben wollte und eine zahlenmäßig nicht allzu starke Besetzung des Bundesverfassungsgerichts vorsah, es dann erforderlich sei, daß Leute mit besonderen Rechtskenntnissen, wie es § 3 Abs. 2 formuliert, in das Bundesverfassungsgericht hineinkommen. Der Mann, der die theoretischen Kenntnisse des Juristen aufweisen soll, soll sich daneben noch durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen und im öffentlichen Leben erfahren sein. In dieser Formulierung klingt der Grundgedanke, der den Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion beherrscht, mit an, derselbe Grundgedanke, der auch den Bundesrat in seinen Gegenvorschlägen geleitet hat.
    Auch über die Richterwahl fanden Auseinandersetzungen statt. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah hier eine Wahl nur für die Wahlperiode und eine indirekte Wahl durch Wahlmänner vor. Im Ausschuß wurden Bedenken geäußert, ob diese indirekte Wahl verfassungsrechtlich zulässig ist. Der Ausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses indirekte Wahlverfahren das Richtige und auch verfassungsrechtlich zulässig ist.
    Weiter wurde die Frage zur Entscheidung gestellt, ob — wie bei dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion — ein Bundesanwalt als Vertreter des öffentlichen Interesses geschaffen werden sollte. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich entgegen den Empfehlungen des Sachverständigen Dr. Lehr gegen einen Bundesanwalt ausgesprochen.
    Schließlich war die Frage der Wahl des Präsidenten und die Wahl des Vizepräsidenten streitig. Der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sah eine Wahl des Präsidenten durch den Bundestag vor, während die Wahl des Vizepräsidenten durch den Bundesrat erfolgen sollte. Der Entwurf der Regierung dagegen sah vor, daß Präsident und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts nur aus den Gruppen der im Bundesverfassungsgericht vertretenen Bundesrichter von den Mitgliedern des Gerichts gewählt werden sollten, während der Bundesrat eine Zwischenlösung vorsah, nach der die Gesamtzahl der Richter den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts wählen sollte. Das Ergebnis der Beratungen war, daß man sich im wesentlichen dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen hat. In § 9 ist niedergelegt: Präsident und Vizepräsident werden alternierend vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt.
    Damit kann ich die Darstellung der Organisation und Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts abschließen. Jetzt möchte ich nur noch einige wenige ergänzende Ausführungen über die Schlußvorschriften machen.
    In den Schlußvorschriften findet sich der Grundsatz, daß der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 2 mit einer jährlichen Dienstaufwandsentschädigung von 4 800 DM erhalten soll. Der Stellvertreter des Präsidenten, der Vizepräsident, soll Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 3 a erhalten, und die Richter des Bundesverfassungsgerichts sollen Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe B 4 erhalten. Im übrigen sollen die allgemeinen besoldungsrechtlichen Vorschriften gelten. Daß man hier eine Etatisierung in das Organisationsgesetz über das Bundesverfassungsgericht hereingenommen hat, ist eine Ausnahme. Dabei hat sich der Ausschuß von der Erwägung leiten lassen, daß mit Rücksicht auf die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichtes auch in den Bezügen in diesem verfassungsrechtlichen Gesetz die Dignität des Gerichtes herausgestellt werden sollte. Man muß sich darüber klar sein: nachdem man diesem Bundesverfassungsgericht eine so weitgehende Kompetenz gebeten hat und damit die Dritte Gewalt erstmalig in der Geschichte des Verfassungsrechts zu einem wirksamen, zu dem Fundament der rechtsstaatlichen Verfassungswirklichkeit machen will, müssen die Richter nicht nur von höchster persönlicher Qualifikation sein, sondern sollten auch in ihrer Besoldung hervorgehoben werden.
    Im übrigen finden sich in den Schlußbestimmungen verschiedene Sicherungen für die Stellung des Richters, die seine persönliche Unabhängigkeit betreffen, Bestimmungen, die erforderlich geworden sind, nachdem man sich zu der Regelung in § 3 bereit gefunden hat.
    Ich habe mich hiermit bemüht, lediglich in ganz groben Strichen die organisatorischen Grundprinzipien des Verfassungsgerichts, ihre geschichtliche Entstehung und Tragweite darzulegen. Die Einzelheiten und die konkrete Regelung der sehr schwierigen Probleme darf ich den beiden anderen Herren Berichterstattern überlassen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter Dr. von Merkatz und den Damen und Herren, die mit angespannter Aufmerksamkeit diesem Vortrag gefolgt sind.
Meine Damen und Herren! Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß endlich einmal die Frage ernsthaft erörtert werden muß, ob wir bei derartig wichtigen, aber auch derartig umfänglichen Berichten von Ausschüssen nicht auf den Weg der schriftlichen Berichterstattung kommen sollten.

(Zustimmung.)

Denn das Interesse, das die Öffentlichkeit und das Haus meines Erachtens an diesen Berichterstattungen hat, ist das, daß die Materialien des Gesetzes festgehalten- werden. Das geschieht bei einer


(Präsident Di. Ehlers)

schriftlichen Berichterstattung in gleicher Weise, wenn sie ins Protokoll genommen wird. Ich bitte also die Damen und Herren, auch bei ihren Beratungen Erwägungen in dieser Richtung anzustellen.
Ich darf jetzt den zweiten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Wahl, bitten, das Wort zu nehmen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eduard Wahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es übernommen, namens des Rechtsausschusses über den zweiten Teil der Vorlage, „Allgemeine Verfahrensvorschriften", zu berichten. Hier lagen zwei Möglichkeiten vor: entweder von Gesetzes wegen eine genaue Prozeßordnung auszuarbeiten. zum mindesten eine generelle Verweisung auf die Justizgesetze, sei es den Strafprozeß oder gewisse Partien des Zivilprozesses auszusprechen, oder dem Gerichtshof selbst die Ausarbeitung seiner Prozeßrechtssätze, sei es im Gerichtsgebrauch, sei es im Wege fixierter und zu einer Verfahrensordnung zusammengefaßter Plenarbeschlüsse zu überlassen. Der Ausschuß hat einen mittleren Weg gewählt, auch so der Auflage des Grundgesetzes in Art. 94 Absatz 2 genügend, um einerseits unbedingt notwendige und politisch bedeutsame Entscheidungen über das zu befolgende Verfahren festzulegen, andererseits der Verfahrensfindung des Bundesverfassungsgerichtes keine allzu engen Schranken zu setzen.
    In der Tat ist es gerade bei der Staatsgerichtsbarkeit häufig den Gerichten selbst in weitem Umfang überlassen geblieben, in welcher Weise sie prozedieren sollten, und an der Haager Cour permanente ist sogar in jedem einzelnen Verfahren oft in wochenlangen Sitzungen das Programm festgelegt worden, nach welchem der Prozeßstoff bewältigt werden sollte, natürlich nicht ohne dabei implicite wichtige Prozeßrechtsfragen mitzuentscheiden. Bei der Einzigartigkeit der im Staatsprozeß zu lösenden Rechts- und Tatfragen wäre in der Tat jeder Gesetzgeber überfordert. wenn er noch vor der praktischen Bewährung der gesamten Institution alle Einzelheiten des Verfahrens von vornherein festlegen sollte. Deswegen erschien es richtig, dem neuen Gerichtshof, für dessen Zusammensetzung alle denkbaren Garantien gegeben sind, das Vertrauen entgegenzubringen, daß er schon den rechten Weg finden werde, um in den Einzelheiten ein den Bedürfnissen der ihm überwiesenen Fallgruppen entsprechendes Verfahren zu entwickeln.
    Es war auch daran gedacht, ihn zu zwingen, die Prozeßrechtssätze, die er anwenden würde, als Verfahrensordnung zu beschließen und diese Beschlüsse im Bundesgesetzblatt publizieren zu lassen. Aber abgesehen davon, daß diese Bestimmung auf staatsrechtliche Schwierigkeiten hätte stoßen können — man denke an die Frage, ob es möglich ist, daß der Bundestag seine Gesetzgebungskompetenz an einen Gerichtshof delegiert —, hätte die Überlassung der Gesetzgebungsbefugnis an das Bundesverfassungsgericht dieses vor die gleiche unlösbare Aufgabe gestellt, von vornherein ein für elle erdenklichen Kombinationen taugliches Verfahren zu ersinnen.
    Es schien deswegen richtig, bloß die Hauptgrundsätze des Verfahrens festzulegen und die Ausbildung des Verfahrensrechts im einzelnen der Übung, dem Gerichtsgebrauch in den einzelnen Fallgruppen zu überlassen und auf . den Vorteil einer schriftlichen Fixierung des Prozeßrechts zugunsten der Möglichkeit sachgerechter Verfahrensfindung im Einzelfall zu verzichten und damit den historisch immer wieder bewährten Weg der gewohnheitsrechtlichen Durchbildung des Verfahrensrechts zu beschreiten.
    Dementsprechend beschloß der Rechtsausschuß, weder der Anregung zu entsprechen, eine generelle Anwendung des Strafprozeßrechts vorzuschreiben — die Verweisung in § 17 auf das Gerichtsverfassungsgesetz betrifft nur die Öffentlichkeit, die Sitzungspolizei, die Gerichtssprache, die Beratung und die Abstimmung und übernimmt damit Regelungen, die bei allen deutschen Gerichten in Anwendung stehen —, noch auch die Abfassung einer ergänzenden Prozeßordnung und deren Veröffentlichung dem Gerichtshof zur Pflicht zu machen.
    Wenn es gilt, ein Prozeßverfahren zu ordnen oder darzustellen, hat es sich eingebürgert — sowohl in der Praxis der Gesetzgebung wie bei der wissenschaftlichen Behandlung der Probleme —, zunächst auf die Subjekte des Prozesses. d. h. das Gericht und die Parteien, und dann auf den Gang des Verfahrens selbst einzugehen. Dieser Ordnung folgt die Vorlage und auch mein kurzes Referat.
    Nachdem mein verehrter Herr Kollege Dr. von Merkatz Ihnen bereits die personelle Zusammen- setzung der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts vor Augen geführt hat, ist bei dem nunmehr zu behandelnden Abschnitt der allgemeinen Verfahrensvorschriften nur noch auf die Frage des Ausschlusses von Gerichtspersonen, den sogenannten Judex inhabilis, sowie auf die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, den sogenannten Judex suspectus einzugehen. Die Vorlage folgt hier bewährten Vorbildern. Im wesentlichen ist folgende Regelung beschlossen worden. Wer in einer Sache von Amts oder Berufs wegen in einem früheren Stadium mitgewirkt hat, ist von der Richtertätigkeit ausgeschlossen, ebenso wer am Verfahren unmittelbar beteiligt oder mit einem unmittelbar Beteiligten verheiratet oder nahe verwandt oder verschwägert ist. In diesem Sinne ist nicht unmittelbar beteiligt, wer bloß auf Grund seines Familienstandes, seines Berufes. seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Doch können in solchen Fällen darüber hinausgehende Tatbestände vorliegen, die den Richter für die Rechtsfindung als ungeeignet erscheinen lassen. Dann ist der Richter kein Judex inhabilis, aber ein Judex suspectus, der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann.
    Noch eine andere Frage, die von größter Bedeutung für die Stellung des Richters ist. hat den Ausschuß beschäftigt, die Frage der Dissenting opinion, d. h. ob der überstimmte Richter die Befugnis haben soll, nach angloamerikanischem Vorbild seine von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht der Öffentlichkeit zu unterbreiten. So imponierend bei einer solchen Regelung die Richterpersönlichkeit hervortritt, die durch die Dissenting opinion in hohem Verantwortungsgefühl gegenüber Recht und Gerechtigkeit ihre persönliche Stellung zu den behandelten Rechtsfragen klarstellt, glaubte doch der Rechtsausschuß, auf die Übernahme dieses Instituts verzichten zu sollen. Das Vertrauen zur Justiz und besonders , die. Autorität, der Verfassungsjustiz sind


    (Dr. Wahl)

    bei uns nicht groß genug, um in politischen Prozessen unliebsame und tar die ganze Institution lebensgefährliche Reaktionen der Öffentlichkeit auszuschließen, wenn ein Richter selbst zum Ausdruck bringt, man hätte auch anders entscheiden können.
    Gewiß ist die Dissenting opinion ein Institut aus alten deutschrechtlichen Wurzeln; aber seit Jahrhunderten urteilt in deutschen Landen das Gericht als anonyme Behörde ohne Klarstellung darüber, wie die mitwirkenden Richter sich zur gemeinsamen Entscheidung eingestellt haben — die Vorgänge bei der Abstimmung sind ja geheim zu halten —; und gerade d i e Justiz, die diese eminent politischen Entscheidungen zu fällen hat, schien dem Ausschuß am wenigsten einen solchen Bruch mit der deutschen Gerichtstradition vertragen zu können. Wenn die Dissenting opinion bei uns eingeführt werden soll, dann darf man damit nicht bei dem Bundesverfassungsgericht beginnen, denn das politische Kernproblem unserer Verfassungsjustiz besteht darin, daß sich die Urteile des Gerichtshofes auch wirklich durchsetzen. und es muß alles vermieden werden, was der Autorität seiner Entscheidungen Abbruch tun könnte.
    Was die Parteien angeht, so konnte bei den allgemeinen Verfahrensvorschriften nicht geregelt werden, wer in den einzelnen Fallgruppen, die die Verfassung dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zuweist, jeweils legitimiert ist, das Verfahren in Gang zu bringen. Die Fälle sind zu disparat, als daß mehr als eine nichtssagende und deshalb zu Auslegungsschwierigkeiten führende Formel hätte gefunden werden können. Deshalb ist die Frage der Aktivlegitimation, d. h. die Frage, wem die Befugnis zusteht, jeweils das Verfahren zu beantragen, in dem von mir zu behandelnden Abschnitt nicht erörtert, sondern dem dritten, speziellen Teil des Gesetzes überlassen worden.
    Unter den allgemeinen Verfahrensvorschriften ist aber das Problem behandelt, wer eine aktivlegitimierte Partei vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten darf. Der Ausschuß hat sich hier für zwei Prinzipien entschieden, die der unerhörten juristischen Schwierigkeit der hier zur Entscheidung stehenden Fragen Rechnung tragen: erstens Vertretungszwang für die in aller Regel notwendige mündliche Verhandlung und zweitens Anwaltsmonopol für diese Vertretung, jedoch mit zwei Ausnahmen: die Regierungen, also der Bund und die Länder, können sich durch die juristischen Beamten ihrer Behörden, die gesetzgebenden Körperschaften oder klageberechtigten Teile von diesen können sich durch Mitglieder dieser Körperschaften vertreten lassen.
    Ferner hat den Ausschuß folgende Einzelfrage besonders beschäftigt. Wenn eine Personengruppe verklagt ist oder als Kläger auftritt, dann soll es nicht jedem Mitgliede dieser Personengruppe möglich sein, sich durch einen eigenen Prozeßvertreter vertreten zu lassen, weil das leicht zu Mißbräuchen und zu unerträglicher Schwerfälligkeit des Verfahrens führen könnte. Das Gericht kann deshalb anordnen, daß die Personengruppe ihre Rechte, insbesondere das Recht auf Anwesenheit im Termin, durch einen oder mehrere Beauftragte wahrnehmen läßt.
    Was den Gang des Verfahrens betrifft. so unterscheidet man danach, ob ' der äußere Betrieb des Prozesses mehr beim Gericht oder bei den Parteien liegt, den sogenannten Amts- oder Parteienbetrieb und entsprechend für die Erarbeitung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen den sogenannten Untersuchungsgrunasatz — hier liegt das Schwergewicht beim Gericht — oder die Verhandlungsmaxime, die den Parteien die tatsächlichen Behauptungen und die Herbeischaffung der Beweismittel überläßt. Daß der Amtsbetrieb allein der Würde des Bundesverfassungsgerichtes' entspricht, das in der Durchführung der anberaumten Termine nicht von der Säumigkeit der Parteien bei Ladungen und Zustellungen oder von gemeinsamen Vertagungsanträgen abhängig sein darf, liegt auf der Hand.
    Schwieriger war schon die Entscheidung der entsprechenden Frage für die Erarbeitug der tatsächlichen Urteilsgrundlagen selbst; denn Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen oder zwischen Ländern können, wie auch der völkerrechtliche Prozeß im Haag gezeigt hat, in der Art eines Zivilprozesses geführt werden. Wie insbesondere der anglo-amerikanische Strafprozeß beweist, hat die Überzeugung viel für sich, daß im Kampf zweier für das Vorbringen und die Beweisführung allein verantwortlicher Parteien eine genügende Garantie für eine wahre und ausreichende Urteilsgrundlage gegeben ist. Trotzdem hätte die Übernahme der Verhandlungsmaxime in den Prozeß des Bundesverfassungsgerichts einen Bruch mit der deutschen Tradition bedeutet, die die Verhandlungsmaxime nur für den Zivilprozeß zuläßt, und deshalb wird es in § 26 zur Pflicht des Gerichtshofes erhoben, von sich aus die Wahrheit zu erforschen. also gegebenenfalls auch über die Beweisanträge der Parteien hinauszugehen. Die Beweisanträge der Parteien sind deshalb nicht überflüssig oder wertlos. Das Gericht wird sich mit ihnen nach den Grundsätzen auseinanderzusetzen haben, ,die im Strafprozeß, der ebenfalls vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht ist, in einer langjährigen und hochbedeutsamen Praxis besonders vom Reichsgericht herausgearbeitet worden sind.
    Es kommt hinzu, daß das Urteil des Verfassungsgerichts alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie überhaupt alle deutschen Gerichte und Behörden bindet. Diese Wirkung seiner Entscheidungen inter omnes gehört zum Wesen des Prozesses, wie ihn sich der Rechtsausschuß gedacht hat. Gerade daß der Untersuchungsgrundsatz gilt, das Gericht also unabhängig von dem Verhalten der Prozeßparteien den Sachverhalt von sich aus klärt, ermöglicht die Findung einer Entscheidung, die nicht bloß für die Prozeßbeteiligten, sondern für alle tauglich ist. Es wäre unerträglich, eine Entscheidung mit Wirkung gegenüber allen auf Grund der Herrschaft der jeweiligen Prozeßparteien über den Prozeßstoff zuzulassen. So heißt es auch in § 33 Absatz 2, daß das Bundesverfassungsgericht, anstatt selbst die Beweise zu erheben, die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen kann, wenn das Urteil in einem Verfahren ergangen ist, in dem die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen war.
    Eine Frage aus dem Gebiet des Beweisrechts war besonders schwierig, nämlich die Lösung des Problems, wieweit die im allgemeinen Prozeßrecht bestehende Möglichkeit für den Dienstvorgesetzten, zum Schutz von Staatsgeheimnissen einem beamteten Zeugen die Aussagegenehmigung zu verweigern, auch im Verfassungsstreit anerkannt werden muß. Daß hier nicht einfach der Dienstvorgesetzte in einer für das Gericht bindenden Weise dem Zeugen die Aussage verwehren darf, liegt auf der


    (Dr. Wahl)

    Hand, da sonst die Regierung in der Lage wäre, die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern. Andererseits gibt es Fälle, in denen die Geheimhaltung gewisser Vorgänge im Staatsinteresse geboten ist. Der Ausschuß hat den Ausweg gefunden, daß der Zeuge sich nicht auf seine Schweigepflicht berufen kann, wenn das Bundesverfassungsgericht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen die Verweigerung der Aussagegenehmigung für unbegründet erklärt.
    Eine entsprechende Lösung ist für Geheimurkunden gefunden worden. Wenn dem Gericht solche Geheimdokumente zugeleitet werden, kann es mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen ihre Beiziehung ablehnen, wenn ihre Verwendung mit der Staatssicherheit unvereinbar ist. Damit scheiden sie als Prozeßmaterial aus. Sie können bei der Entscheidung nicht verwendet werden, und auch das grundsätzlich anerkannte Recht der Beteiligten auf Einsicht der Akten besteht für die Geheimurkunde nicht, da sie nicht zu den Akten des Prozesses genommen worden ist. Nur diese Regelung verbürgt, ohne das unter Umständen lebenswichtige Interesse des Staates an der Geheimhaltung seiner arcana zu vernachlässigen, den in einem Rechtsstaat notwendigen Grundsatz, daß die Entscheidung nur auf solche Beweise gestützt werden kann, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
    Im übrigen folgt das Verfahren den bewährten Grundsätzen der Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlung. Natürlich kommt das Verfahren nur durch einen schriftlichen Antrag in Gang. Aber keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wenn nicht beide Parteien auf die Verhandlung ausdrücklich verzichten. Nur formwidrige, unzulässige, verspätete oder offensichtlich unbegründete Anträge sowie Anträge von offensichtlich Nichtberechtigten können durch einstimmig gefaßten Beschluß, der keiner weiteren Begründung bedarf, verworfen werden.
    Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergeihen im Namen des Volkes genau so wie die Entscheidungen aller anderen Gerichte. Sie wirken, wie schon erwähnt, für alle Gerichte und Behörden, womit der vom Verfassungsgericht festgestellte Inhalt eines Grundrechts oder einer sonstigen streitigen Verfassungsbestimmung nicht nur für den konkreten Anlaß, sondern für alle gleichliegenden Anlässe für bindend erklärt wird. Wenn etwa ein Redner in einem bestimmten Bezirk ein Redeverbot bekommen hat und das Bundesverfassungsgericht dieses Redeverbot für verfassungswidrig erklärt, dann darf in einem anderen Land eicht mit der gleichen Begründung ihm wieder ein Redeverbot auferlegt werden, da alle Gerichte und Behörden sich der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu beugen haben, daß die Voraussetzungen für eine verfassungsmäßige Beschränkung der Redefreiheit nicht gegeben sind.
    Handelt es sich um die Nichtigerklärung eines Gesetzes, so bestimmt Art. 31 Absatz 2 ausdrücklich, daß die Nichtigerklärung des Gesetzes selbst Gesetzeskraft hat und daß der Justizminister die Entscheidung im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen hat. Diese Veröffentlichung ist aber nach dem Gewicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Voraussetzung für ihre Wirksamkeit; es handelt sich vielmehr um eine Sollvorschrift, die der Ordnung halber das übliche Publikationsorgan für Gesetze auch für solche Nachrichten zugänglich macht.
    Eine bekannte Streitfrage in der Weimarer Zeit war die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügungen im Staatsprozeß. Alle diejenigen, die die sogenannte Justiziabilität politischer Vorgänge überhaupt kritisch beurteilten, sprachen sich gegen die einstweilige Verfügung aus, während der Staatsgerichtshof die einstweilige Verfügung zuließ und nicht immer glücklich praktizierte. Nachdem nunmehr das Grundgesetz grundsätzlich durch den großen Katalog von Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht politische Vorgänge zu beurteilen hat, die Justiziabilität dieser Vorgänge bindend festgelegt hat, mußte auch die einstweilige Verfügung als ein. zulässiges Mittel der Verfassungsrechtsprechung anerkannt werden. Dies geschieht durch § 32. Aber ein besonders wichtiger Grund für den Erlaß der einstweiligen Verfügung muß vorliegen. § 32 bestimmt, daß die einstweilige Anordnung als vorläufige Regelung des Streitfalles möglich ist, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist.
    Die folgenden Absätze lehnen sich eng an das Verfahren der einstweiligen Verfügung im Zivilprozeß an. Nur eine Neuschöpfung hat der Rechtsausschuß beschlossen: die einstweilige Verfügung tritt nach drei Monaten außer Kraft. Sie kann nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden. Der Sinn der Bestimmung liegt auf der Hand: der eigentliche Verfassungsstreit, die sogenannte Hauptsache, soll durch den Erlaß der einstweiligen Verfügung nicht überflüssig werden. Der Hauptprozeß soll durchgeführt werden, weil nur er die notwendigen Garantien für die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens und für eine erschöpfende Beweisaufnahme bietet.
    Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die Kosten. Das Verfahren bei, dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei. Es werden keine Gebühren erhoben und keine Auslagen ersetzt verlangt. Umgekehrt hat aber in den Verfahren, die auf den Ausspruch einer Unrechtsfolge gerichtet sind, also Strafcharakter haben, der obsiegende, also freigesprochene Angeklagte Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung. Nur wenn eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig oder 'unbegründet abgewiesen wird, kann. das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 120 bis 1000 DM auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Mißbrauch darstellte. Es soll damit die querulatorische Verfassungsbeschwerde hintangehalten werden.
    Eine letzte Bestimmung endlich befaßt sich mit der Vollstreckung der Entscheidung. Das Problem wurde eingehend erörtert; zeitweise dachte man gar an die Einschaltung des Bundespräsidenten, aber schließlich wurde, um eine sachgemäße Vollstreckung in den zahlreichen Varianten. die zur Entscheidung kommen können, sicherzustellen, die Regelung der Zwangsvollstreckung einfach dem Urteil selbst überlassen.
    Gegenstand meines Referats ist ferner von den besonderen Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht tätig werden soll, die sogenannte Verfassungsbeschwerde. Es kann nicht verhohlen werden, daß gegen diesen allgemeinen Rechtsbehelf im Rahmen des Rechtsausschusses manche Bedenken laut geworden sind, denn die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, den jeder In-


    (Dr. Wahl) '

    herber eines Grundrechts oder eines der diesem gleichgestellten Rechte gegenüber allen Akten der Staatsgewalt verwenden kann, mögen sie nun der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder Verwaltung angehören, wenn nur eine Verletzung eines der in der Verfassung gewährten Grundrechte oder eines anderen entsprechend geschützten Rechtes, wie es sich aus den Bestimmungen über das Wahlrecht und die Grundlagen unserer Justiz ergibt, in Frage steht. Man sagte, die Verfassungsbeschwerde in dieser Ausdehnung gewähre zuviel Rechtsschutz, wir stünden vor der Entwicklung zu einem reinen Justizstaat, der die eigentlichen Staatsaufgaben zugunsten der Rechtsstaatlichkeit vernachlässige, und man komme zudem den Ländern ins Gehege, die insbesondere in den modernen Verwaltungsgerichtsverfahren bereits den möglichen Endpunkt der Entwicklung des Rechtsschutzes erreicht hätten.
    Trotzdem hat sich der Rechtsausschuß für die Einführung der Verfassungsbeschwerde entschieden. Sowohl der Regierungsentwurf des Bundesjustizministeriums wie der Entwurf der SPD sahen die Verfassungsbeschwerde vor, die in der Tat am ehesten das Zusammenwachsen von Volk und Verfassung herbeiführen kann und das demokratische Bewußtsein des Staatsbürgers stärkt. Ein Bundesverfassungsgericht, das die Aufgabe hat, die Verfassung zu hüten, entbehrt eine seiner wichtigsten Funktionen, wenn der Schutz der Grundrechte nicht in den Bereich seiner Jurisdiktion einbezogen wird.
    Freilich erhob sich sofort die Frage, wie die mögliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in unser bisheriges Rechtsschutzsystem einzubauen sei. Der Entwurf antwortet: Grundsätzlich muß dieses Rechtsschutzsystem unberührt bleiben, so daß immer dann, wenn gegen den Staatsakt, der die Verletzung der subjektiven Verfassungsrechte enthält, ein Rechtsmittelzug, also ein besonderes Rechtsschutzverfahren gewährt ist, dieser Rechtsmittelzug erschöpft sein muß, ehe in einem letzten Rekurs bei dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden kann, es liege ein Verstoß gegen die Verfassung vor. Nur dann, wenn die Verfassungsfrage von besonderer Bedeutung ist — sei es, daß die Frage wesentlich die Allgemeinheit interessiert, sei es, daß die Erschöpfung des Rechtsweges einen schwerwiegenden und unabwendbaren Nachteil für den Betroffenen nach sich ziehen würde —, kann ausnahmsweise, noch bevor der Rechtsweg erschöpft ist, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.
    In welchem Verhältnis soll dann diese Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfassungsbeschwerden stehen, die in den Gesetzen über die Staatsgerichtshöfe der Länder bereits vorgesehen sind? Insbesondere der Bundesrat war der Meinung, daß, wenn wegen eines einem Bundesgrundrecht entsprechenden Landesgrundrechts eine Verfassungsbeschwerde in den Ländern gegeben sei, die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht nicht mehr gewährt werden könne, d. h. also, das Bundesverfassungsgericht sollte nur subsidiär hinter den Verfassungsgerichten der Länder zum Zuge kommen, praktisch nur dann, wenn es sich um die Auslegung eines Grundrechts handelt, das wohl im Grundgesetz, aber nicht in der entsprechenden Landesverfassung enthalten ist.
    Der Rechtsausschuß hat sich mit diesem Problem eingehend befaßt und ist schließlich zu der in Abs. 3 des § 90 enthaltenen Lösung gekommen, daß durch die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, die Anrufung der Lanaesverlassungsgerichte nicht ausgescniossen wird; denn die Aufgabe der Landerverfassungsgerichte besteht dann, die Wahrung der in den Landesverfassungen gewährten Grundrechte und nicht der im Grundgesetz gewahrten Grundrechte zu überwachen. Auch soweit die Grundrechte in den Verfassungstexten des Bundes und der Lander übereinstimmen, ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß in den Einzelheiten sich Verschiedenheiten in der Auffassung entwickeln können, und es war wohl die vorwiegende Ansicht im Rechtsausschuß, daß für diese Fragen anders als bei sonstigem Recht das Bundesrecht dem abweichenden Landesrecht nicht vorgehen könne. Unter diesen Umständen blieb keine andere Möglichkeit, als die konkurrierende Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und der Länderverfassungsgerichte anzuerkennen, wobei bei vielen Mitgliedern des Rechtsausschusses die Vorstellung mitspielte, daß man eben zwei Grundrechte habe, ein Bundesgrundrecht und ein Landesgrundrecht, und die Zuständigkeit der Landesstaatsgerichtshöfe für die Auslegung des Bundesgrundrechts zu verneinen sei, wie umgekehrt auch das Bundesverfassungsgericht über die Grenzen des Landesgrundrechts keine verbindlichen Feststellungen treffen könne.
    Die also umrissene Verfassungsbeschwerde steht jedem zu, der in seinem Grundrecht oder in einem gleichgestellten Recht durch einen Akt der öffentlichen Gewalt verletzt ist, mag es sich um einen Gesetzgebungs-, einen richterlichen oder einen Verwaltungsakt handeln. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Feststellung kommt, daß ein Gesetz, ein Urteil oder Verwaltungsakt das Grundrecht des Beschwerdeführers verletzt, so führt dies zu einer Aufhebung bzw. Nichtigerklärung des in Verletzung der Verfassung vorgenommenen Staatsaktes. Praktisch wird also über dem Rechtszug, der in solchen Fällen an sich schon gegeben ist, noch eine weitere Instanz eröffnet, und zwar muß das Rechtsmittel innerhalb eines Monats seit Zustellung der Entscheidung mit Gründen — bzw. innerhalb eines Jahres bei Gesetzen und sonstigen Hoheitsakten, gegen die ein Rechtsweg nicht offensteht — ergriffen werden. Hat der Beschwerte das Rechtsmittel nicht ergriffen und wird in einem gleichgelagerten Falle von dritter Seite die Verfassungsbeschwerde erhoben und die Nichtigkeit eines Gesetzgebungsaktes festgestellt, dann nützt diese Nichtigkeitserklärung demjenigen, der die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde versäumt hat, grundsätzlich nichts.
    Diese Frage wird im Referat des verehrten Herrn Kollegen Neumayer noch näher behandelt werden; aber damit Sie die Funktion der Verfassungsbeschwerde im ganzen erfassen, darf ich mit wenigen Worten auf dieses Problem eingehen. Der alte Satz, daß Nichtigkeiten, die rückwirkend eine Kluft zwischen Recht und Leben aufreißen, möglichst einzuschränken sind, gilt insbesondere dann, wenn eine längere Staatspraxis von der Gültigkeit einer Rechtsnorm ausgegangen ist. In allen diesen Fällen automatisch eine rückwirkende Nichtigkeit aller auf Grund dieser Rechtsnorm erlassenen Akte zu verordnen, würde in unser ganzes Rechtsleben eine unerträgliche Unsicherheit bringen. Der Ausschuß hat deshalb gesagt, daß die Nichtigkeit oder Aufhebung des Staatsaktes nur für denjenigen eingreifen kann, der selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat, während alle


    (Dr. Wahl)

    diejenigen, die diese Frist versäumt haben, sich dadurch mit der ihnen zuteil gewordenen Regelung zufrieden gegeben haben und nicht mehr von der Verfassungsbeschwerde eines Dritten oder einer sonstigen Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes im Wege der Normenkontrolle profitieren können. Die Verfassungsbeschwerde hat also in der Regelung, die der Ausschuß vorschlägt, zugleich eine den Rechtsschutz einschränkende Funktion, indem alle diejenigen, die die Verfassungsbeschwerde nicht ergreifen, sich mit der von ihnen als endgültig hingenommenen Rechtslage abfinden müssen. „Iura vigilantibus sunt scripta" — die Rechte sind für die Wachsamen aufgeschrieben — gilt auch hier.
    Die einzige Ausnahme einer automatischen Rückwirkung, die allerdings der Ausschuß glaubte machen zu müssen, besteht darin, daß bei Strafen in allen Fällen ein Wiederaufnahmeverfahren gewährt werden muß, wenn die Strafnorm, auf Grund deren die Strafe ausgesprochen wurde, als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet worden ist. Ferner darf aus einem Vollstreckungstitel, dessen gesetzliche Grundlage durch den Bundesverfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wird, eine Vollstreckung nicht mehr fortgesetzt werden. Entsprechendes gilt für die Vollstreckung und Vollziehung von. Verwaltungsakten, die nunmehr der Rechtsgrundlage entbehren. Aber von diesen Fällen abgesehen, bleiben die abgewickelten Angelegenheiten, ohne daß eine Remedur möglich ist, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit unberührt, sofern nicht der Betroffene selbst die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat. Auch eine Rückforderung des Geleisteten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ist ausdrücklich abgelehnt. Es kann freilich ein Fall vorliegen, in dem es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, eine umwälzende Entscheidung des Verfassungsgerichts auch denen zugute kommen zu lassen, die sich bei dem sie beschwerenden Hoheitsakt zunächst beruhigt hatten; aber dann ist es Sache des Gesetzgebers, einzugreifen und eine über die Vorlage hinausgehende Rückwirkung anzuordnen. Das ist der Sinn der im letzten Satz des § 94 der Vorlage enthaltenen Verweisung auf § 79.
    Damit bin ich im Ende des mir zugefallenen Teilberichts und schließe, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß das Bundesverfassungsgericht die Friedensfunktion aller Gerichtsbarkeit auf seinem schwierigen Gebiet möge erfüllen können. Unsere Vorlage hat ihm nach besten Wissen und Gewissen aller Ausschußmitglieder den Weg zu diesem Ziele eröffnet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)