Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 10/2296, 10/2347 —
Dazu liegen auf Drucksache 10/2347 einige Dringliche Fragen vor, die den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung betreffen. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Treffen Pressemeldungen vom 12. November 1984 zu, daß am Wochenende die bei der NATO in Brüssel akkreditierten Botschafter in geheimer Sitzung dem Rogers-Plan ihre Zustimmung erteilt haben, und welche Verbindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland hat gegebenenfalls diese Zustimmung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Kollege Scheer, in zahlreichen Sitzungen der NATO-Gremien der letzten Jahre, u. a. auf dem Bonner Gipfel 1982, hat das Bündnis die Gültigkeit der Strategie der flexiblen Reaktion, MC 14/3, bestätigt und beschlossen, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken und damit die Strategie der Kriegsverhinderung durch glaubwürdige Abschreckung zu festigen. Dies war übrigens auch bei der Vorgängerregierung erklärtes Ziel.
In diesem Gesamtrahmen und angesichts der Entwicklung der Bedrohung haben sich die politischen und militärischen Gremien der NATO u. a. gezielt mit der Notwendigkeit befaßt, nach Aggressionsbeginn, nach Beginn eines Angriffs des Warschauer Paktes, dessen zweite Staffeln wirkungsvoller bekämpfen zu können, d. h. ihren Aufmarsch zu stören und zu verzögern und damit ihre Kräfte zu schwächen. Damit soll Zeit für die Heranführung von Verstärkungskräften bei uns gewonnen und die grenznahe Vorneverteidigung zur Wahrung der Sicherheit und Unverletzlichkeit des NATO-Territoriums gestärkt werden. Hierdurch wird zugleich die Abhängigkeit der NATO vom frühzeitigen Einsatz von Kernwaffen zur Abwehr eines überlegenen konventionellen Angriffs reduziert.
Im Sinne dieser Zielsetzung hat der Verteidigungsplanungsausschuß am 9. November dieses Jahres eine vom NATO-Oberbefehlshaber Europa erarbeitete und vom NATO-Militärausschuß gebilligte langfristige Planungsrichtlinie -- ich wiederhole: Planungsrichtlinie — für die Bekämpfung der Folgestaffeln des Warschauer Paktes angenommen. Die Fachleute kennen dieses Instrument unter der Bezeichnung „Long Term Planning Guideline — Follow-on Forces Attack", Kurzform „FOFA".
Diese Richtlinie ist ein Zielsetzungsdokument. Es beschreibt bündnisweit anerkannte konzeptionelle Vorstellungen, die in der langfristigen Planung der Bündnispartner berücksichtigt werden sollen. Es schließt die wirksame Nutzung moderner Technologie zur Aufklärung und Bekämpfung der zweiten Staffeln ein. Die Planungsrichtlinie ist weder ein Waffenbeschaffungsprogramm, noch formuliert sie eine neue Strategie oder Verteidigungsdoktrin. Die Bekämpfung gegnerischer Kräfte in der Tiefe mit der weitreichenden Waffenwirkung von Luftwaffe und Artillerie war schon immer integraler Bestandteil der Verteidigungsplanung des Bündnisses und der Bundeswehr. Die am 17. Oktober dieses Jahres vom Bundeskabinett gebilligte Bundeswehrplanung berücksichtigt den konzeptionellen Grundgedanken dieser Planungsrichtlinie.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, ich muß leider feststellen, daß Sie die Frage nicht beantwortet haben.
Nichts feststellen, sondern fragen, Herr Dr. Scheer!
Ich sage das deshalb, weil ich mir nicht sicher bin, ob das dann als Zusatzfrage gelten muß.
Ja, als Zusatzfrage. Es tut mir leid.
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7232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Dann stelle ich die Zusatzfrage, welche Verbindlichkeit das Ergebnis dieser Sitzung für die Bundesrepublik Deutschland haben wird.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich müßte, wenn Sie sagen, Sie hätten keine Antwort bekommen, die ganze Antwort, die ich Ihnen gründlich, ernsthaft, umfassend, auf Dokumente und auf Planungsmodalitäten der NATO hinweisend gegeben habe, wiederholen. Ich will dies nicht tun. Bezüglich der Verabschiedung dieses Dokuments: wie seit Bestehen der NATO hat dies als Planungszielsetzung Verbindlichkeit.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Scheer.
Meine weitere Zusatzfrage lautet dann: Wann gedenkt die Bundesregierung die parlamentarischen Gremien über das Konzept im einzelnen zu informieren, wann ist die Sitzung des Ministerrates der NATO, auf der dann welche Entscheidungen in diesem Zusammenhang fallen, und sieht die Bundesregierung zeitlich überhaupt noch eine Möglichkeit dafür, daß sich das Parlament damit ausreichend beschäftigt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Scheer, Sie persönlich wie auch alle Kollegen in den Fachausschüssen sind über diese Zielsetzungen — ich wiederhole: Zielsetzungen, die unsere Bundesregierung von der Vorgängerregierung übernommen hat — immer wieder laufend informiert worden,
zuletzt bei der Vorstellung des Planungskonzepts, verabschiedet im Kabinett am 17. Oktober, das der Minister persönlich Ihnen im Verteidigungsausschuß gemeinsam mit dem Generalinspekteur vorgetragen hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gerstl.
Herr Staatssekretär, dieser Vorgang ist doch eine wichtige Sache, und ich frage Sie jetzt: Wann ist der Termin festgelegt worden, zu dem sich die NATO-Botschafter getroffen haben, und war nicht vorher genügend Zeit, die parlamentarischen Gremien über den Inhalt dieser Gespräche und Entscheidungen entsprechend zu unterrichten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerstl, auch Sie waren anwesend, als im Verteidigungsausschuß für das Parlament darüber berichtet wurde. Ich will — ich bin auch gehalten, dies zu tun — sehr zurückhaltend formulieren, aber der Eindruck eines gewissen Dramatisierens eines völlig normalen Vorgangs von Ihrer Seite zwingt sich hier einfach auf. Genau dieser Punkt „Stärkung der konventionellen Abwehrfähigkeit im Falle eines sowjetischen Angriffs", bezogen auf diesen Plan, den General Rogers als Oberbefehlshaber jetzt lediglich mit etwas mehr Geschwindigkeit und Deutlichkeit voranzutreiben versucht, geht zurück auf den März 1976, Herr Kollege — auf den März 1976! Dort ist
begonnen worden, in den entsprechenden dafür eingerichteten Gruppen mit Rückkopplung jeweils zur politischen Leitung die Grundlage hierfür zu legen. Es ist dann im Oktober 1982 ein erster Entwurf für diese Langzeitplanungsrichtlinie vorgelegt worden. Sie und alle Kollegen aller Parteien im Verteidigungsausschuß sind seit 1976, wo ich es persönlich miterlebt habe, über die dieser Planungsrichtlinie zugrunde gelegten Analysen, sich aus der Bedrohung ergebend, sich aus den technischen Möglichkeiten bei uns ergebend, informiert worden — ein laufender Prozeß, den wir fortzusetzen gewillt sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß sich an den bisherigen Planungen im Grunde nichts geändert hat, sich die Bundesregierung aber trotzdem verpflichtet fühlt, einem neuen Plan zuzustimmen? Wie bringen Sie das eigentlich in Übereinstimmung? Weshalb Zustimmung, wenn sich nichts geändert hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Probleme mit dem In-Übereinstimmung-Bringen scheinen Sie und manche Ihrer Kollegen zu haben, nicht die Bundesregierung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogt .
Herr Staatssekretär, was sagt die Bundesregierung zu der Ansicht, daß der Rogers-Plan ein Subkonzept der von der Bundesregierung in ihrer Gültigkeit für die NATO bestrittenen Air/Land-Battle-Doktrin ist, und zwar schon deshalb, weil Absicht und Fähigkeit, dem Gegner in der Tiefe seines Raumes vernichtende Schläge zuzufügen, ein Kernstück beider Konzepte ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Verbindungen zu Air/Land-Battle lassen sich hier in keiner Form herstellen, es sei denn, man nimmt Fakten nicht zur Kenntnis oder verdreht diese in der Auswertung. Die Komponenten, über die wir hier reden und die durch Darstellung in der Öffentlichkeit nun einmal die Überschrift „Rogers-Plan" bekommen haben, sind Bestandteile der viele, viele Jahre rückwärts — übrigens erfolgreich — gültigen, in der MC 14/3 festgelegten NATO-Strategie.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Zusatzfragen, wenn ich die stellen darf.
Nein.
Wenn ich nur eine Zusatzfrage habe, dann lautet die wie folgt: Sie haben gesagt, der Beschluß sei weder ein Beschaffungsprogramm noch verändere er die Verteidigungsdoktrin. Ist das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7233
Bahrso zu verstehen, daß der Beschluß in Brüssel eine Planung ist, die ausgearbeitet werden muß, um dann, was die Ergebnisse dieser Planung angeht, politisch beschlossen zu werden?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nicht in der Form, wie Sie es hier implizieren wollen, wohl aber so, daß es, nachdem man jetzt, nachdem der Rahmen in der Richtlinie mit der Zielsetzung beschrieben ist, an die Detailplanung, was nun eingeleitet werden wird, herangeht und sich dort bestimmte Projekte innerhalb dieses Rahmens unter Nutzung moderner Technologie ergeben, völlig logisch ist, daß wir, wie es immer hier bei uns auch praktiziert wurde, dann mit den einzelnen Projekten, mit bestimmten Waffensystemen auf dem vorgeschriebenen, bei uns im Parlament seit Gründung üblichen Weg an den Fachausschuß, den Verteidigungsausschuß, und an den Haushaltsausschuß und damit an das Parlament herangehen werden und müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke .
Herr Staatssekretär, könnten Sie ihre erste Antwort in folgender Hinsicht verdeutlichen: Wenn das eine normale Entwicklung innerhalb der NATO-Planung ist, warum ist dann die Entscheidung in einem Geheimtreffen ohne Mitteilung der Bundesregierung getroffen worden, und muß man diese Entscheidung, die Sie j a nicht bestritten haben, so verstehen, daß damit im Grundsatz für die Bundeswehr und die Bundesrepublik der Rogers-Plan akzeptiert ist und es jetzt nur noch um die Ausfüllung im waffenmäßigen Bereich und sonstigen Bereichen geht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bleiben wir bei dem Namen Rogers-Plan, den diese Planungskomponente nun bekommen hat. Sie haben beim Zuhören bei meiner ersten Antwort sehr wohl verstanden, daß es sich um eine Planungsrichtlinie — den Namen gebend, eine Zielsetzung beschreibend — handelt und daß wir nun mit Einzelheiten daraus — wie eben auf die Zusatzfrage des Kollegen Bahr noch einmal ausgeführt — den üblichen Weg gehen müssen.
Daß Sie mit Ihrer Erfahrung und früheren Verantwortung danach fragen, warum dies in einer geheimen Sitzung — und da wird etwas hineingedeutelt — stattgefunden hat, das, muß ich sagen, Herr Kollege Ehmke, befremdet mich sehr. Seit es die NATO, die militärischen wie die politisch besetzten Gremien gibt, werden zu diesen Sitzungen keine Journalisten und keine Öffentlichkeit eingeladen, Herr Kollege. Dies ist in der üblichen Form, sachlich, ruhig, wie seit unserem Beitritt, in diesem Gremium hier durchgeführt worden.
Ich will Ihnen zwei Erläuterungen hinzufügen. So wurde am 29. April 1982 — Sie sagen: geheim; ich sage: in der üblichen Form einer geschlossenen Sitzung — unter Bundeskanzler Schmidt und Verteidigungsminister Apel eine solche Langzeitplanungsrichtlinie in der NATO zur Verbesserung der Luftverteidung in Europa festgelegt, und auch dies erfolgte in der gleichen Prozedur. Übrigens, die Art, so zu prozedieren, ist von den Verteidigungsministern mit Rückkoppelung mit den Regierungen im Mai 1980 festgelegt worden.
Ich bitte also zu beachten, daß wir hier eine übliche, bis dann praktizierte Gepflogenheit in der gleichen Form fortgesetzt haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hauser .
Herr Staatssekretär, würden Sie der Feststellung des Kollegen Ehmke, in der jüngsten Aktuellen Stunde am Freitag zustimmen, daß die Verteidigungsstrategie der NATO auch Luftangriffe ins feindliche Hinterland vorsehe und daß das immer so gewesen sei?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine richtige Feststellung, die als Forderung lange bestand, die den Fähigkeiten nach aber nur zum Teil erfüllt werden kann, weshalb diese Planungsrichtlinie vorsieht, unsere Fähigkeiten zur Verbesserung der Abschreckung dort zu verbessern.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs .
Herr Staatssekretär, daß Journalisten an Tagungen des NATO-Rats nicht teilnehmen, ist bekannt. Warum, frage ich Sie, haben Sie nicht direkt danach die Öffentlichkeit, zumindest das Parlament oder wenigstens den Verteidigungsausschuß über diese Beschlüsse informiert?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben dies in der geziemenden Form getan.
Ich hoffe, auch Sie haben eine Presseerklärung, die am 10. November von uns herausgegeben wurde, auf den Tisch bekommen. Ich erinnere daran, daß auf der Tagung die Beschlußfassung am 9. November stattgefunden hat. Sie werden mir zustimmen: Schneller geht es nicht. Wenn Sie diese Presseerklärung aus Ihren Unterlagen nehmen und nachlesen, werden Sie sehen, daß das eine sehr gründliche, detaillierte und verständlich formulierte Information ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für den üblichen Umgang zwischen Regierung und Parlament, daß Sie dem Parlament eine Unterrichtung anbieten, die auch die Presse erhält, und meinen Sie, daß eine Unterrichtung, die Sie für die Presse hergestellt haben,
für einen Parlamentarier ausreichend ist?
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7234 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will, obwohl Sie es ja wissen, in Erinnerung rufen, daß der Minister die Planung der Bundeswehr für die lange Zeit, die vor uns liegt, am 17. Oktober im Kabinett vorgetragen hat und sie dort vom Kabinett gebilligt wurde. Von da ist sie, wie ich einmal sagen möchte, fast eher im Laufschritt zu den Fachkollegen im Verteidigungsausschuß gegangen. Der Minister hat diese Planung dort zunächst auch Ihren Kollegen vorgetragen — sie ist Bestandteil der Dinge, über die wir hier reden — und dann die Presse informiert.Ich bitte, diese Fakten nicht in einer Form zu verdrehen, wie dies Ihre Frage eben beinhalten konnte.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht etwas tiefgestapelt, wenn Sie sagen, der Rogers-Plan sei gar kein Rogers-Plan, sondern nur eine ganz normale Planung, während Sie doch andererseits gesagt haben, seit 1976 sei diese Planung in der Entwicklung? Sie ist auch in vielen Fach- und anderen Zeitungen kommentiert worden. Ich entsinne mich z. B. an die Zeitschrift „Neue Politik". Bedeutet das, daß der Rogers-Plan jetzt an einem entscheidenden Abschluß ist und sozusagen vollständig verabschiedet wird, oder wird er genauso wie von 1976 bis jetzt immer weiter entwickelt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie haben richtig wiederholt, daß die Zielsetzungen für diese Rahmenplanungen bis in das Jahr 1976 zurückgehen, und auch noch einmal richtig dargestellt, daß ein Journalist — ich nenne ihn konkret beim Namen: Adelbert Weinstein ist es gewesen — diesem Begehren der NATO, das ein altes Begehren ist, den Namen Rogers-Plan gegeben hat, weil General Rogers sich als erster dieser Verbesserung besonders energisch angenommen hat. Ich stelle noch einmal fest: Es ist keine neue Strategie, kein neues Konzept, keine neue Doktrin, sondern es paßt in die bewährte Strategie der NATO.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter von Bülow.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich den Umstand, daß Sie in Ihrer Presseerklärung abwegig mitteilen, es handle sich hier lediglich um eine Richtlinie für konzeptionelle Vorstellungen, nicht um ein Waffenbeschaffungsprogramm und schon gar nicht um eine neue Strategie, während der Oberbefehlshaber der NATO davon spricht, daß der Beschaffungsumfang etwa 90 Milliarden DM ausmachen werde und daß dazu eine Erhöhung der jährlichen Rüstungsausgaben der Parnter von den bisher angestrebten 3 % auf 4 % notwendig sei? Wie kann es dann sein, daß die Bundeswehrstruktur dies alles heute schon mit abdeckt, was im Rogers-Plan ausgedacht worden ist? Muß nicht eine wesentliche Veränderung der Bundeswehrplanung vorgenommen werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Teil der Planungsrichtlinie, Herr Kollege Bülow, ist mit keinem Wort eine Summe von 90 Milliarden DM oder von ähnlicher Höhe. Teil der Planungsrichtlinie, über die wir hier reden, ist mit keinem Wort auch eine prozentuale reale Erhöhung, um wieviel Prozent auch immer, so daß ich den Widerspruch, nach dem Sie möglicherweise fragten, überhaupt nicht sehe.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Auf welchen Beschluß der Bundesregierung würde sich gegebenenfalls die Zustimmung unseres NATO-Botschafters zu diesem Plan stützen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Annahme einer solchen Langzeitplanungsrichtlinie, die eindeutig auf der Grundlage erklärter und über viele Jahre — ich wiederhole: auch von der Vorgängerregierung — praktizierter Regierungspolitik und der beschlossenen NATO-Strategie liegt, bedarf keines formellen Beschlusses der Bundesregierung.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, da Sie jetzt ständig betonen, es sei gar nichts Neues, was da beschlossen worden ist — das soll hier noch nicht bewertet werden; denn es geht um die Form der politischen Willensbildung; das sage ich zur Verdeutlichung —, frage ich: Wie erklären Sie Ihre Feststellung, daß dies alles nichts Neues sei, während die gesamte Fachpresse — ich habe eben Adelbert Weinstein zitiert — und auch der NATO-Oberbefehlshaber selber hier von einem neuen Konzept sprechen, das 90 Milliarden DM kosten würde und noch eine Reihe anderer Konsequenzen hätte?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Von der Bundesregierung werden Sie kein einziges Zitat finden,
das diese Überlegungen an irgendwelchen DM-Beträgen oder prozentualen Erhöhungen festmacht. Sie werden aber sehr wohl, wenn Sie ein wenig Quellenforschung betreiben, Herr Kollege, von dieser Regierung wie von der Regierung vorher und von allen besonders in dem Bereich Verantwortung tragenden Mitgliedern des Verteidigungsausschusses und den sich mit Fragen der Strategie im Auswärtigen Ausschuß Auseinandersetzenden ähnliche Forderungen nach Verbesserung der konventionellen Fähigkeiten unter Nutzbarmachung der modernen Technologien finden. Sie werden sie massenhaft finden.Herr Kollege, ich nehme Ihre Frage gerne zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß die ersten Anfänge, entsprechend der Bedrohung hier mehr zu tun, bis vor ein, zwei Jahren — vielleicht kann man sogar sagen: bis vor einem halben Jahr — in Übereinstimmung zwischen den Fraktionen geschehen sind. Ich nenne Ihnen das System MARS als Beispiel, das unter Ihrer Regierung eingeleitet wurde und genau in diesen Planungsrahmen hineingehört, ferner das System Alpha-Jet. Das System Tornado ist gera-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7235
Parl. Staatssekretär Würzbachdezu ein klassisches Beispiel in dieser Beziehung. Wir fangen da nicht auf einmal mit einer neuen Sache an, sondern wir verstärken die Bemühungen zur Realisierung eines alten, bisher gemeinsamen Ziels.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, da es bei der Fragestunde darum geht, Nebel zu lichten, statt Nebel zu schaffen
— letzteres muß ich bisher leider als Ergebnis feststellen —,
frage ich Sie: Können Sie fachmännisch bestätigen, daß es sehr wohl ein erheblicher Unterschied ist, ob bei einem Konzept weniger oder wesentlich mehr Waffen vorgesehen sind, ob die Reichweite der Systeme nur 50 oder 100 km oder sehr viel mehr beträgt, und dies alles ein erhebliches Gewicht für die Frage der Rüstungsprojekte, die Frage der Haushaltsbelastung und natürlich auch die Frage des Ost-West-Verhältnisses und der Stabilität hat? Können Sie wenigstens dies bestätigen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist unklar, ob von Ihnen bewußt oder unbewußt ein völlig anderes Feld, als es im Augenblick zur Debatte steht, beschritten wird. Es geht hier nicht — in keiner Form präjudizierend — um irgendwelche bestimmten Waffensysteme, die so weit oder so weit reichen, die so oder so beschaffen sind, die vom Boden oder aus der Luft abgefeuert werden, die diese oder jene Flugeigenschaften haben, um keine Einzelheiten irgendwelcher solcher heute oder in der Zukunft möglichen Systeme. Dies habe ich vorhin erwähnt. Dies muß in einer anderen Prozedur im einzelnen, mit enger Rückkopplung, ja mit Genehmigung des Parlaments, nachher erfolgen. Hier geht es um den Rahmen, die Richtlinie, die Zielbeschreibung dessen, was nachher ausgefüllt werden muß.
Ich darf, bevor ich die Fragen weitergebe, die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß wir bei der Frage 2 des Abgeordneten Dr. Scheer sind und dies hier schon ein bißchen mehr nach Frage 3 klingt, die der Abgeordnete Dr. Ehmke gestellt hat. Achten sie bitte in Ihrer Zusatzfragestellung darauf.
Jetzt hat der Abgeordnete Vogt eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn sich die Bundesregierung so sicher ist, daß die Zustimmung zu diesem Rogers-Plan auf alten Planungen und auf alten Direktiven der Bundesregierung beruht: Warum ist dann beispielsweise der Entscheidungsfahrplan im Blick auf die NATO mit den zuständigen Gremien des Parlaments nicht besprochen worden, warum haben Sie nicht zusammen mit diesen Gremien geprüft, inwieweit diese alten Richtlinien tatsächlich mit dieser neuen Entscheidung übereinstimmen, und warum haben Sie dies nicht mit den zuständigen Ausschüssen, z. B. dem Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle, auf seine Folgewirkungen in abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischer Hinsicht erörtert?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß diese verabschiedete Planungs-, Rahmen-, Zielsetzungsrichtlinie in voller Übereinstimmung mit der bisher praktizierten Politik — ich sage noch einmal — aller Regierungen und mit der praktizierten gültigen NATO-Strategie steht und überhaupt kein Anlaß besteht, hieraus eine neue formelle Beschlußfassung herbeizuführen. Was allerdings ständig getan wurde — dies stellen Sie dem wirklichen Verlauf nicht entspechend dar —, ist eine enge Rückkoppelung über alle Jahre in der Vergangenheit bis in die letzten Tage . hinein, indem wir den Fachausschuß, den Verteidigungsausschuß, die Fraktionen, jedermann informiert haben. Hier ist nichts im verborgenen, erst recht nichts Neues gemacht worden.
Meine Damen und Herren, ich lese Ihnen die Frage vor, die zur Zeit zur Debatte steht:
Auf welchen Beschluß der Bundesregierung würde sich gegebenenfalls die Zustimmung unseres NATO-Botschafters zu diesem Plan stützen?
Wenn Sie Ihre Frage aufrechterhalten, gebe ich Ihnen das Wort. — Dann wäre Herr Dr. Ehmke dran.
Herr Staatssekretär, reicht Ihr Differenzierungsvermögen aus, zwischen einem allgemeinen Wunsch, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken, einschließlich der Bekämpfung einer zweiten sowjetischen Linie — das ist ja unbestritten —, und der Ankündigung, nun zu dieser Bekämpfung in einer Planungsrichtlinie neue Vorhaben einzubringen — denn sonst brauchte man eine neue Planungslinie nicht zu machen —, zu unterscheiden? Oder habe ich Sie so zu verstehen, daß in dieser Planungsrichtlinie überhaupt nichts steht?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Mein Differenzierungsvermögen — um Ihr Sprachspiel aufzunehmen, Herr Kollege — reicht sehr wohl — ich hoffe, daß sich eigentlich alle ernsthaft damit beschäftigen — dafür aus, zu erkennen, daß es bei der erheblichen konventionellen Überlegenheit der anderen Seite und bei dem, wie ich hoffe, weiterhin gemeinsamen Ziel, von einem Zwang zum frühen Einsatz von Nuklearwaffen wegzukommen, nötig ist, im Falle eines Angriffs die konventionellen auf uns zukommenden weiteren sowjetischen Staffeln nicht erst bei uns im Lande, bei Hamburg oder bei Hannover oder hinter Hamburg oder hinter Hannover, zum Stoppen zu bringen, sondern, wenn sie uns angreifen, dies mit weiterreichenden Waffen, wie sie — ich nannte MARS, Alpha und Tornado — schon eingeführt wurden, möglichst weit hinten zu schwächen, zu stoppen, das Auftreffen hier in unserem
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7236 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Parl. Staatssekretär WürzbachBereich zu verhindern. Ich hoffe, daß nach einer einsetzenden Diskussion, auch bei Ihnen, die Fraktionen wieder zueinander finden, um diese Zielsetzung zu realisieren, eine alte, notwendige Zielsetzung.
Dies ist mein letzter Versuch, an dieser Frage zu bleiben. Sonst schalte ich um auf die nächste.
Herr von Bülow hat das Wort als nächster Frager.
Herr Staatssekretär, reicht Ihr Differenzierungsvermögen noch weiter, so daß Sie möglicherweise erkennen können, daß die vielen Ziele, die sich der Oberbefehlshaber Rogers mit seinem Plan gestellt hat, in eine Grauzone vorstoßen, wo es nicht allein um die verhältnismäßig nahe Abwehr von Kräften vor der vorderen Front geht — bei der wir keine Einwendungen haben —, sondern wo in die Tiefe des gegnerischen Raumes vorgestoßen werden soll, und daß das aus sowjetischer Sicht wiederum Bewegungen in der dortigen Landschaft zustande bringen muß,
die sie nicht ruhen lassen wird, die Wettrüstungsspirale voll durchzudrücken, und daß wir uns von daher der Möglichkeit begeben, in ernsthafte Abrüstungsverhandlungen hineinzukommen, und hat irgendeine begrenzende Darstellung der Bundesregierung in den Verhandlungen, um dies zu vermeiden, eine Rolle gespielt?
Es tut mir leid. Ich bleibe konsequent. Herr Staatssekretär, das gehört nicht zu der Frage 2, die wir zur Zeit behandeln.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Abgeordneten Dr. Ehmke auf:
Welche Auswirkungen für die Rüstungs- und Streitkräfteplanung der Bundeswehr würde der Rogers-Plan haben, und wann gedenkt die Bundesregierung den deutschen Bundestag über diesen Plan zu informieren?
Hier kann Herr von Bülow seine Frage noch einmal stellen. Sie paßt möglicherweise besser hierhin, aber nicht zur Frage 2. Wenn sich die anderen Herren zu der Frage 3 erneut melden wollen, steht dem nichts im Wege.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, Sie erlauben, daß ich hoffe, der Kollege von Bülow möge diese Frage noch einmal stellen, so daß ich die Chance zur Antwort bekomme.
Herr Kollege Ehmke, die vom Bundeskabinett am 17. November gebilligte Bundeswehrplanung berücksichtigt in den erforderlichen Teilbereichen den Grundgedanken dieser Planungsrichtlinie, deren Entstehen im übrigen auf das Jahr 1976 — ich wies darauf hin — zurückgeht und die als erster konkreter Entwurf bereits 1982 — auch dies wurde erwähnt — den Nationen vorgelegt wurde. Im übrigen wurde das Parlament laufend über diese Planungen und die zugrundeliegende Bedrohung informiert, und dies wird weiter so erfolgen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die am 9. November in der NATO beschlossene Planungsrichtlinie nicht ein Element enthält, das nicht bereits in dem Entwurf des Bundeswehrplans '90, wie er durchs Kabinett gegangen ist und dann dem Verteidigungsausschuß vorgelegt worden ist, enthalten ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sowohl in unserer Bundeswehrplanung wie in dem entsprechenden Dokument der NATO sind Zielsetzungen beschrieben worden, die in der Zukunft mit konkreten Einzelprojekten ausgefüllt werden müssen. Insofern würde ich Ihrer Interpretation zustimmen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke? — Das ist nicht der Fall.
Dann frage ich Herrn Kollegen von Bülow, ob er noch einmal fragen will. Ich rufe auch die anderen, die auf meiner Liste stehen, auf und frage sie, ob sie hier noch fragen wollen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Frage noch im Kopf. Wenn Sie wollen, antworte ich gleich darauf.
Herr Staatssekretär, ich wiederhole die Frage aber gerne. Ist Ihnen klar, daß hier kein Streit zwischen den großen Fraktionen über die Frage des Abhaltens einer zweiten Welle besteht, daß es aber bei dem Rogers-Plan — dessen muß sich die Regierung bewußt werden — darum geht, daß man damit, allein von der Formulierung her, in Zahlen und Reichweiten vorstoßen wird, die wiederum eine Destabilisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Blöcken herbeiführen müssen und von daher die Entspannungspolitik und friedliche Koexistenz auf diesem Kontinent verhindern könnten?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre erste Frage leiteten Sie mit einem Schwenker in bezug auf das Differenzierungsvermögen ein. Daran möchte ich anknüpfen. Dieses Differenzierungsvermögen sollte gerade bei uns, bei denen, die sich mit dieser Materie befassen und in der Öffentlichkeit informierend tätig sind, schon bei der Sprache beginnen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie in Verbindung mit dieser Planungsrichtlinie — ich vollziehe jetzt einmal Ihren Schritt mit — das spätere mögliche Füllen des Planungsrahmens mit bestimmten Systemen mit dem Wort „vorstoßen" — so wörtlich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7237
Parl. Staatssekretär Würzbachvon Ihnen gesagt — verbunden haben. Herr Kollege, in Verbindung mit einem solchen System, das konventionell und unbemannt, wie immer auch beschaffen, ist und mit dem in der Tiefe — ob 30 km oder 30 plus x km — ein auf uns Zumarschierender, uns Angreifender angehalten wird, können Sie doch nicht von „vorstoßen" reden.
Dies tut — darüber haben wir hier bei uns in der Aktuellen Stunde debattiert — die Sowjetunion mit auf dem Lande sich bewegenden gepanzerten Verbänden.Was die Frage von möglichen Rüstungskontrollverhandlungen angeht, an denen uns liegt — dies will ich in Übereinstimmung mit allen vorher noch einmal betonen —, so ist nicht diese Frage von Bedeutung, sondern ganz allein — hier sind wir bisher nicht weitergekommen — die Frage der Verifizierung. Hier sind wir ohne das letzte Tabu offen und lassen uns, um bei uns wie auf der anderen Seite verifizieren zu können, in alle Karten gucken. Das heißt, ein jedes Geschütz, alle Beschaffenheiten können hier überprüft werden, wann, wo und von wem auch immer — aber auf beiden Seiten.
Wünscht der Abgeordnete Gerstl seine Frage noch zu stellen? — Das ist nicht der Fall.
Dann hat jetzt der Abgeordnete Bahr zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben davon gesprochen, daß die Planungen sich auf Mittel beziehen, die konventionell in die Tiefe wirken sollen. Ist darunter zu verstehen, daß es sich um Mittel handelt, die nur und rein und ausschließlich und unterscheidbar konventionell sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Planungsrahmenrichtlinie bezieht sich ausschließlich auf konventionelle Waffensysteme. Sie beschreibt nicht im einzelnen — weil dies technologisch erst im Detail geprüft, überlegt und möglicherweise den Entwicklungen der Zukunft angepaßt werden muß —, um welche Systeme es sich handelt. Ich will von mir aus ein Problem ansprechen, das als Problem gesehen wird und das Sie wohlverpackt am Ende Ihrer Frage mit ansprachen. Sie wissen, daß es heute Waffensysteme gibt, die, auch wenn wir sie ausschließlich für den konventionellen Gebrauch anlegen, eine, wie der Fachmann sagt, „dual capability" beinhalten können. Deshalb ist es wichtig — hier sind wir offen, wie ich es eben erläuterte —, zu verifizieren, wie auch immer.
Wenn wir an diese Frage aber herangehen, sollten wir objektiverweise darauf hinweisen, daß im Bereich der Sowjetunion alle Systeme der Luftangriffsverbände, aber auch der Luftverteidigung, der Flugabwehrkräfte der Sowjetunion diese „dual capability" haben. Es besteht also die Möglichkeit, sie konventionell wie nuklear einzusetzen. Herr Kollege von Bülow, viele der sowjetischen Systeme haben sogar eine „triple capability", d. h. es besteht die Möglichkeit, dann auch chemische Waffen einzusetzen. Das sind aber zwei Paar Schuhe, wie Sie sehr wohl wissen. Verifizierung tut hier not.
Ich darf zwischendurch sagen, daß wir uns freuen, einige Kollegen aus dem amerikanischen Kongreß als unsere Gäste auf der Tribüne begrüßen zu können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn ich davon ausgehe, daß Sie die dritte Frage von Herrn Ehmke dahin gehend beantwortet haben, daß die Einzelelemente, die im Zusammenhang mit der Bundeswehrplanung vorgetragen wurden, durchaus das beinhalten, was mit der ersten Frage von Herrn Scheer gemeint war, darf ich Sie fragen: Stimmt es wirklich, daß sich, wie Sie und auch der Minister erklärt haben, an der NATO-Strategie, bezogen auf die Bundeswehrplanung, nichts ändert?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben doch die Bundeswehrplanung vorgetragen und auch bestimmte Elemente an die Hand bekommen. Sie werden sehen, daß dort bestimmte Felder in einer Zielsetzung beschrieben sind. Alles andere wäre übrigens töricht und bedürfte dann Ihrer Kritik. Wir beschreiben, daß wir, um bestimmte Zwecke zu erreichen, in dem entsprechenden Jahreszeitraum zu Gebote stehende neue Technologien ausnutzen werden. Wir haben bewußt nicht dieses Geschütz auf jenes Geschütz, jenen Panzer auf einen anderen Panzer und damit dieses Nachfolgedenken festgeschrieben. Wir werden vielmehr in dem entsprechenden Planungszeitraum die entsprechenden technischen Möglichkeiten einführen: mit Rückkopplung — ich wiederhole das — zum Fachausschuß in der frühen Phase, in der Einführungsphase, zum Haushaltsausschuß bezüglich des Geldes usf.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogt .
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung am 9. November, also an demselben Tag, an dem der Planungsausschuß der NATO den Rogers-Plan gebilligt hat, dem Parlament nicht durch den Verteidigungsminister im Rahmen der Aktuellen Stunde Mitteilung davon gemacht? Mit anderen Worten: Warum ist statt einer Information des Parlaments dort auch vom Verteidigungsminister eine Ablenkungsschlacht im Hinblick auf diese Entscheidung in Brüssel geschlagen worden?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben überhaupt keinen Grund gehabt, Herr Kollege, von irgend etwas abzulenken. Wir haben keinen Grund gehabt, weil das ein uraltes praktiziertes Vorgehen ist — ich habe es hier in der Fragestunde schon zwei- oder dreimal erwähnt —, hieraus eine Aktuelle Stunde oder sonst etwas zu machen. Jeder Kollege, der fachlich zuständig ist, ist über alle diese
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7238 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Parl. Staatssekretär WürzbachSchritte über viele Jahre umfassend und im Detail informiert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, anknüpfend an die Frage des Herrn Kollegen von Bülow: Sie haben vorhin davon gesprochen, daß ein derartiger „deep strike" möglichst tief erfolgen soll. Welche Reichweite eines derartigen deep strike ist nach dem Rogers-Plan vorgesehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben mich eben nicht richtig zitiert. Ich habe ganz bewußt offengelassen, ob es 30 km oder x km sind. Es muß der zukünftigen Planung überlassen werden, darüber zu entscheiden: Sind es 30 km — über diese Entfernung streiten wir uns augenscheinlich noch nicht; ich habe die Zahl vom Kollegen Bülow aufgenommen —, oder sind es 30 plus x km? Wo ist die Grenze?
Dies muß ausgefüllt werden. Dies ist nachher auch Sache des entsprechenden Systems mit seinen Fähigkeiten, über die wir reden werden, reden wollen und reden müssen, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihren bisher gegebenen Antworten schließen, daß Sie neue Elemente, die bisher in der Bundeswehr nicht vorhanden sind, einführen wollen? Wie stellt sich inhaltlich die Planungsrichtlinie dar? Welche Arbeitsaufträge haben Sie erteilt, um bestimmte neue Waffensysteme zu erarbeiten? Es muß ja einen Planungsvorgang auch im Hause gegeben haben. Sind Sie bereit, dem Verteidigungsausschuß diesen Planungsvorgang vorzulegen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst einmal möchte ich Ihnen folgendes in Erinnerung rufen, das Ihnen als Fachmann gegenwärtig sein dürfte. Es gibt bestimmte Waffensysteme, die dazu gehören und deren Beschaffung unter der Vorgängerregierung eingeleitet wurde bzw. deren Beschaffung schon abgeschlossen ist. Ich habe vorhin MARS, Alpha-Jet und Tornado erwähnt. Es gehört dazu — darüber haben wir den Ausschuß informiert, und wir haben die Mittel dafür vom Haushaltsausschuß eingeworben —, den Tornado nun zu dem zu machen, was die Vorgängerregierung, als sie dieses teure Flugzeug anschaffte, eigentlich auch als Auftrag damit verbunden hat, nämlich daß er nicht nur fliegen kann, sondern daß er auch bestimmte Waffen — MW 1 ist eine solche — hat, die im Hinterland — hier sind wir wieder bei der Zahl x — feindliche Flugplätze, Rollbahnen und Flugzeuge zerstören kann, bevor sie hochkommen und bei uns etwas zerstören. Das sind also Komponenten, die in die Vergangenheit hineingehen.
Wenn diese Detailplanungen abgeschlossen sind und uns auf den Tisch gelegt werden, werden wir bestimmte Aufträge — entsprechend der zur Verfügung stehenden Technologie — geben, die dem Ausschuß, den Fraktionen natürlich zugeleitet werden, wenn dies in bestimmte Systeme übergeht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, da es bei dieser Frage um die Zahl und die Reichweite von Waffensystemen, insbesondere in Mitteleuropa, geht, und da Sie gesagt haben, daß alles, was von der Bundesregierung als Planung bisher vorgelegt worden sei, mit dem identisch sei, was am Wochenende an Richtlinien, Planungen beschlossen worden sei: Sind Sie bereit, dem Verteidigungsausschuß bzw. dem Parlament eine konkrete Liste vorzulegen, aus der sich ergibt, an welcher Stelle die bisherige Planung mit dem Konzept, das am Wochenende beschlossen worden ist, übereinstimmt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist kein Konzept beschlossen, es ist eine Planungsleitlinie als Rahmen beschlossen worden. Es gibt keine konkreten, inzwischen in Systemen greifbaren Beschlüsse, weder in dem einen Dokument noch in diesem Bereich für die Bundeswehrplanung, sondern es gibt Räume, in denen die Zielsetzung, der Rahmen beschrieben ist, den wir — entsprechend der in dem Zeitraum dann zur Verfügung stehenden Technologie — füllen werden. Natürlich — dies sage ich Ihnen zu; etwas anderes könnte ich gar nicht sagen — leiten wir Ihnen, dem Parlament in dem Moment, in dem sich konkrete Systeme anbieten und beschlossen werden, um damit den Rahmen zu füllen, diese zu.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, können Sie mir noch einmal bestätigen, daß durch die jetzt beschlossenen Rahmenrichtlinien, wenn ich das so sagen darf, die bisherigen Prioritäten für die Verteidigungsplanung der Bundesregierung in keiner Weise verändert worden sind, als da waren: erste Dringlichkeit: Kampf in der Vorneverteidigung gegen die erste angreifende Welle; zweite Dringlichkeit: Kampf gegen die feindliche Luftwaffe, möglichst am Boden; dritte Dringlichkeit: Kampf gegen die nachfolgende zweite feindliche Welle?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bestätige alle diese Punkte und füge einen vierten — drei haben Sie genannt — hinzu, nämlich Wegkommen-Wollen — in dem Fall, daß wir angegriffen worden sind — von einem zwangsläufigen frühen Einsatz nuklearer Waffen wegen der konventionellen Überlegenheit der anderen Seite.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs .
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die Raumtiefe erwähnt. Gibt es hinsichtlich der Tiefe des Raums eine Festlegung, gibt es eine Obergrenze hinsichtlich der Ausdehnung?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7239
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter .
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von dem Unterschied zwischen Leitlinie und Konzept gesprochen. Können Sie mir denn einmal sagen bzw. beschreiben, wann aus einer Leitlinie ein Konzept wird, ist der Übergang da fließend, oder läßt sich das an einem Punkt festmachen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bemühe mich gern, Ihnen hier zu helfen. Das Konzept, nach dem wir arbeiten, das Konzept, das wir von der Vorgänger-Regierung übernommen haben, ist das der Flexible Response. Um diese bei weiterentwickelter und zunehmender Bedrohung auch in der Zukunft glaubwürdig zu erhalten — ein Konzept, eine Strategie, die sich bewährt hat —, ist es nötig, bestimmte Komponenten der Bedrohung den technischen Fähigkeiten entsprechend anzupassen. Dies wird nicht von irgendeiner Nation neben der anderen her aus dem Ärmel gemacht, so möchte ich einmal sagen, sondern in diesem konkreten Fall hat man sich 1976 bis heute — zwei Jahre fehlen an zehn — hingesetzt und überlegt: Wie kann man bestimmte Dinge hier verbessern? Dafür hat man dann Leitgedanken, Rahmenrichtlinien verabschiedet. Da wird nicht in irgendeiner Form am Konzept, an der Strategie gerüttelt. Von diesen Leitlinien, von diesen Rahmenrichtlinien gibt es eine Fülle. Ich nannte die eine aus dem April 1982 über die Luftverteidigung. So gibt es ähnliche in anderen Bereichen.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt zehn Zusatzfragen allein zu dieser dritten dringlichen Frage zugelassen.
Ich möchte übergehen zur letzten Dringlichkeitsfrage dieses Sektors, zur Frage 4 des Abgeordneten Dr. Ehmke:
Sind von der Bundesregierung bereits finanzielle Zusagen zum Rogers-Plan gegeben worden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, meine Antwort ist nein. Die Annahme einer Langzeitplanungsrichtlinie bedeutet noch keine konkrete Bindung bestimmter Ressourcen, auch nicht finanzieller. Völlig klar ist, daß wir, wenn sich ein einzelnes Waffensystem hieraus ergibt, den vorgeschriebenen parlamentarischen Weg zu gehen haben, und zwar so, wie es immer getan wurde. Ich habe vorhin in den Antworten zu anderen Fragen darauf hingewiesen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, ist mit der Verabschiedung der Planungsrichtlinie auch nicht eine Richtlinie über die generelle Erhöhung der Haushalte verbunden gewesen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wie vorhin schon ausgeführt: Nein.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Wann, Herr Staatssekretär, rechnen Sie damit, daß konkrete Auswirkungen in Form von Projekten und finanziellen Mitteln auf Grund der jetzt beschlossenen Arbeit zum erstenmal von Ihnen vorgelegt werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sie kennen die zeitlichen Prozeduren, die sich angesichts dessen ergeben, daß in unserem NATO-Bündnis viele Staaten zusammengefaßt sind. Ich habe hier keine konkreten, im Kalender festzumachenden Vorstellungen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kann man nicht davon ausgehen, daß bereits Mittel im Rahmen der NATO-Infrastruktur für diese Sache eingesetzt sind bzw. daß die Planungsleitlinie korrespondierend zu diesen Ausgaben beschlossen ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was wäre das für eine Regierung und was wäre das für eine Opposition, die die Regierung zu überprüfen hat, die zuläßt, daß heute schon kostenträchtig Infrastrukturen geschaffen werden, wenn man über die Systeme für die Infrastrukturen noch nichts weiß?
Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.
Herr Staatssekretär, rechnen Sie persönlich damit, daß sich als Ergebnis der Rahmenrichtlinie die Kosten erhöhen werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, persönliche Vermutungen habe ich von dieser Bank aus nicht darzustellen. Für die Regierung habe ich eben geantwortet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogt .
Herr Staatssekretär, ist es nicht doch so, daß erste finanzrelevante Entscheidungen bereits auf der Ministerratstagung der NATO Anfang Dezember fallen werden und daß gerade deshalb — auch zur Verblüffung der Fachwelt — die Grundsatzfrage jetzt bereits auf Botschafterebene entschieden worden ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht so, Herr Kollege.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin über die Infrastrukturen gesprochen. Würden Sie mir die Erinnerung bestätigen, daß z. B. in bezug auf die Stationierung der Pershing II in Frankfurt-Hausen bereits Infrastrukturen geschaffen wurden, bevor hier im Bundestag entschieden worden ist, ob stationiert wird oder nicht?
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7240 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir reden hier über langfristige Planungen. Diese sind auch bei anderen Objekten vorausgegangen.
Zusatzfrage des Abgeordneten von Bülow.
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß die Beschlußfassung der Ministerratstagung im Dezember von ähnlicher Unverbindlichkeit sein wird, wie Sie sie eben für die Botschaftertagung charakterisiert haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Bülow, ich kenne kein einzelnes heute greifbares Projekt von Waffensystemen, das plötzlich aus dem Hut gezaubert werden kann. Wäre dies der Fall, daß wir über bestimmte Systeme schon verfügen könnten, um die Abwehrfähigkeit und die Glaubwürdigkeit unserer Strategie zur Friedenserhaltung darin umzusetzen, wäre diese Planungsleitrichtlinie nicht erforderlich gewesen.
Die Minister werden diese Planungsleitrichtlinie bekräftigen und den Auftrag geben, daß nun in den nationalen Regierungen und in der NATO im politischen wie im militärischen Bereich Detailuntersuchungen angestellt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, ist denn die Annahme richtig, daß in der Verpflichtung der Bundesregierung, einen höheren Anteil an der NATO-Infrastruktur zu übernehmen — nicht prozentual, aber in der Summe; praktisch ist es ja eine Verdoppelung der bisherigen Zusagen —, bereits Projekte enthalten sind, die Sie hier heute in der Erklärung angesprochen haben, daß das also praktisch nur eine Weiterführung von Maßnahmen ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier bestehen keine Verbindungen in der Art.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen daß der NATO-Oberbefehlshaber im Groben von der Notwendigkeit der Realisierung dieser Leitlinie oder dieses Konzepts oder dieses Plans oder wie auch immer — wir wollen hier keine Überdifferenzierung in den Begriffen üben —, von einer Erhöhung um real 4 % in einem Zeitraum von mehreren Jahren gesprochen hat und eine Summe von 90 Milliarden DM genannt hat? Hält die Bundesregierung diese Summe für unverbindlich, und, wenn sie sie nicht für unverbindlich hält, hat sie dem dann zugestimmt oder hat sie dem widersprochen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: In diesem Dokument ist — ich habe das bereits vorhin erwähnt — keine Summe und keine prozentuale Steigerungsrate, welcher Beschaffenheit auch immer, erwähnt. Daraus folgt, daß es in diesen Richtungen keinerlei Verbindlichkeiten für die Bundesregierung gibt.
Ich rufe Dringlichkeitsfrage 5 — sie hat mit dem Thema Kultur und Bundeswehr zu tun — der Abgeordneten Frau Geiger auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, ab sofort Düsenjägerflüge der Bundeswehr über die Wieskirche ganz einzustellen und auf die Verbündeten einzuwirken, auf das Überfliegen der Wieskirche mit Düsenjägern und Hubschraubern zu verzichten, da am vergangenen Wochenende die Wieskirche wegen akuter Einsturzgefahr gesperrt werden mußte und nicht auszuschließen ist, daß von Hubschraubern und Düsenjägern verursachte Schwingungen zum schlechten Zustand des Rokokobaudenkmals beigetragen haben und weitere Überflüge die Wieskirche noch mehr schädigen könnten?
Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Geiger, eindeutig steht der Flugbetrieb unserer Luftwaffe — dies bezieht sich sowohl auf die Düsenflugzeuge als auch auf Hubschrauber — nicht — ich betone mit Nachdruck noch einmal: nicht! — im Zusammenhang mit den durch die Fachleute festgestellten Schäden an der Wieskirche. Dies wird übrigens durch einige entsprechende Gutachten bestätigt. Dennoch hat die Bundeswehr — übrigens bereits am Montag, dem 12. November — von sich aus für den Tiefflug ein Überflugverbot für alle unsere Luftfahrzeuge für die Dauer der Sperrung des Bauwerkes der Wieskirche erlassen. Dies schließt natürlich auch den entsprechenden Tiefflugverkehr der Alliierten, unserer Verbündeten mit ein.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Geiger.
Herr Staatssekretär, kann ich nicht daraus, daß Sie jetzt aber doch die Hubschrauberflüge und die Düsenjägertiefflüge eingestellt haben, schließen, daß sie doch denken, das könnte mitursächlich für den traurigen Zustand der Kirche sein, und haben Sie nicht von Untersuchungen gehört, denen zufolge bei Überflügen von Hubschraubern Schwingungen im Kirchenschiff festgestellt werden konnten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Von den letzten Untersuchungen, Frau Kollegin, habe ich nicht gehört. Ich verweise vielmehr noch einmal auf die Gutachten, die uns vorliegen, aus denen hervorgeht, daß durch unsere Flugübungen keine Einflüsse auf Bauwerke, auch nicht auf dieses, vorgekommen sind.
Die erste mutmaßende Frage von Ihnen möchte ich so nicht stehenlassen: Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß die Flugübungen keinen Einfluß auf die festgestellten Beschädigungen dieses großartigen Bauwerkes haben. Um aber jede Art der Mutmaßung, der Unterstellung, der Behauptung und alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten ganz sicher auszuschließen, haben wir hier — trotz anderslautender Gutachten, trotz anderer militärischer Forderungen — die Entscheidung getroffen, die Wieskirche nicht im Tiefflug zu überfliegen.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Geiger.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7241
Herr Staatssekretär, Sie wissen doch sicher, daß die Wieskirche überregionale Bedeutung hat, daß sie außerordentlich beliebt ist im ganzen Land, daß sie noch eine funktionierende Kirche, eine Wallfahrtskirche, ist, und Sie wissen doch sicher auch, daß gerade unsere Bevölkerung viel Verständnis für unsere Verteidigungsanstrengungen aufbringt: Wäre es angesichts dieser Tatsachen nicht vernünftiger, die Wieskirche aus den Fluglinien der Düsenjäger und der Hubschrauber auszusparen, und zwar auf Dauer?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, all die von Ihnen am Anfang gesagten Dinge unterstreiche ich, unterstreicht jeder Pilot der Luftwaffe, unterstreichen wir alle. Nur: Die Luftwaffe ist nur eine Luftwaffe, wenn sie fliegt. Manche Räume sind trotz dieser Dinge leider nicht davon auszuschließen. Sehen Sie, wir haben bei uns 3 300 Krankenhäuser, davon 2 700 in ländlichen Gegenden, wir haben 1 500 anerkannte Kurorte, wir haben viele Hunderte von ähnlich bedeutenden, von den Menschen besonders in der Region, aber auch in ganz Europa und in der Welt geschätzte Bauwerke: Wenn Sie um all diese herum eine Zone legten, die nicht überflogen werden darf, dann müssen Sie die Luftwaffe am Boden lassen. Weil wir urteilen, wie Sie dies beschrieben haben, haben wir gesagt: Für die Zeit dieser Beschädigungen — bis zum Reparieren, hoffentlich, und Feststellen der Ursachen — machen wir einen Kreis drumherum und belasten damit — das möchte ich auch sagen — nun natürlich vermehrt die Bevölkerung in den Bereichen um diesen Kreis herum.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, Sie haben grundsätzlich ausgeschlossen, daß von dem Tiefflugverhalten der Luftwaffe Schädigungen ausgehen. Aber sicherlich ist Ihnen doch bekannt, daß Lärm nicht nur Gebäude, sondern auch Menschen belastet. Sind Sie denn bereit, die Konzeption der Verdrängung vom Tiefflug aus bestimmten Gebieten stärker voranzutreiben, um hier baldmöglichst der deutschen Öffentlichkeit zu sagen, was die Bundesregierung auf diesem Gebiet zu tun gedenkt?
Herr Staatssekretär, ich möchte unterbrechen. Der Herr Präsident hat eine Dringlichkeitsfrage unter dem besonderen Gesichtspunkt zugelassen, daß die Wieskirche in diesen Tagen durch die Zeitung ging. Das Thema Tiefflug, Bauwerke und Bevölkerung ist ein ständiges Thema unserer Fragestunde. Das wissen Sie. Ich würde das gern bei anderen Gelegenheiten aufrufen.
Ich will nicht verhindern, daß der Herr Staatssekretär Ihnen antwortet. Ich bitte aber, sich bei den Zusatzfragen auf die Wieskirche zu beziehen und nicht auf etwas anderes.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich kann bei grundsätzlicher Übereinstimmung zu dem, was Sie sagten, einen Bezug zur Frage ebenfalls nicht sehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, wenn Sie denn schon feststellen, daß Ihnen Zusammenhänge zwischen den Zerstörungen an der Wieskirche und den Tiefflügen bisher nicht bekannt seien: Auf welchen wissenschaftlich abgesicherten Untersuchungen basiert diese Erklärung?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Auf einer Reihe von Gutachten, die ich gerne zusammenstellen lasse und Ihnen zugänglich mache, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei Tiefflügen, aber auch bei Überschreitungen der Schallgrenze durch den Druck wiederholt Fensterscheiben zu Bruch gegangen sind und daß damit — nach meiner Meinung — selbstverständlich ist, daß an Bauwerken, die solchen Druckwellen ausgesetzt sind, natürlich Schäden entstehen?
Ich möchte Sie fragen, ob Sie das nicht weiter untersuchen wollen, damit wirklich ganz klar ist, daß das bei der Wieskirche nicht etwa die Ursache war, aber das Einstellen der Flüge immerhin erfolgt ist, damit nicht weitere Schäden an der Wieskirche entstehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben in der Fragestunde — auch Sie — oft danach gefragt, und es sind Antworten der Regierung über das Verhalten bei Überschallflügen gegeben worden. Ich habe Ihnen die Zahl häufig genannt: Nur viele tausend Meter hoch in bestimmten Gegenden und zu bestimmten Zeiten kann dies vorgenommen werden. Dies ist in diesem Bereich nicht erfolgt. Auch eine mit einem langen Klimmzug herzustellende Verbindung ist dort nicht gegeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß diese berühmte Wieskirche zur Zeit der Säkularisation schon einmal als Steinbruch freigegeben worden ist, daß damals die dort ansässigen Bauern dies auf Fürsprache des bayerischen Kurfürsten Max IV. Josef verhindert haben, und ist die Bundesregierung bereit, diese damalige tätige Mithilfe der Bauern dahin gehend zu unterstützen, daß ihnen dauerhafter Erfolg beschieden sein soll?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Berger, ich will nicht in die Geschichte, auch nicht in die bewegte Geschichte, dieser Region zurückgehen, sondern noch einmal betonen, daß der Bundesregierung sehr daran liegt, daß dieses bedeutende Bauwerk — noch bedeutender durch die Geschichte um dieses herum — für die Zukunft erhalten bleibt und daß wir unseren Teil dazu beitragen, daß dies
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7242 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Parl. Staatssekretär Würzbachnun in Ruhe reparaturmäßig durchgeführt werden kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ich habe Sie richtig verstanden, daß Sie vorhin erklärt haben, Sie hätten veranlaßt, daß Überflüge eingestellt würden. Darf ich Sie dann fragen, nach welchen Kriterien man dies woanders erreichen kann, wenn Sie in diesem Fall so etwas angeordnet haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, unser Präsident wies eben darauf hin, aus welchen Gründen wir dies zum Gegenstand der Dringlichkeitsfrage gemacht haben. Es hat in den letzten Jahren bisher konkret kein Bauwerk ähnlicher Bedeutung gegeben, bei dem solche gravierende Schäden entdeckt wurden. Deshalb hat sich unsere Luftwaffe, unsere Bundeswehr, mit einem Auftrag für unsere Bevölkerung, in dieser Form so, ich sage: beweglich verhalten, wissend — das will ich hier nicht verschweigen —, daß natürlich bei dem einen oder dem anderen Kollegen, der mit seiner Region ähnliche Probleme hat, in Zukunft möglicherweise die Versuchung entsteht, auf eine ähnliche Art und Weise auch in seinem Bereich bestimmte Zirkel fliegen zu lassen. Dieses Risiko — ich nenne es einmal so — haben wir sehr wohl vor Augen gehabt, und dennoch sind wir beim Abwägen zu dieser eben von mir begründeten Entscheidung gekommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stockhausen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, seit wann das Gebiet der Wieskirche Überfliegungsgebiet unserer Luftwaffe ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Seit unsere Luftwaffe und die Flugzeuge der Allierten bei uns fliegen, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, wir sind — genau nach einer Stunde — am Ende der Behandlung der Dringlichen Fragen. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß in diesem Jahr rechtswidrige Übergriffe des Anstaltspersonals in den Haftanstalten der DDR gegen politische Häftlinge wieder erheblich zugenommen haben, insbesondere das Prügeln von Häftlingen, ihr Anketten an das Zellengitter, Psycho-Terror bis zum Selbstmord, Nachverurteilung während der Haft für nicht strafbare Handlungen wie die Beratung von Mithäftlingen in Ausreiseangelegenheiten sowie das Unversorgtlassen von Häftlingen im Erkrankungsfall mit der Folge mehrerer Herztode, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Entwicklung in der Behandlung politischer Häftlinge in der DDR?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung ist bekannt, daß es immer wieder rechtswidrige Übergriffe des Anstaltspersonals in den Haftanstalten der DDR gegenüber politischen Häftlingen gegeben hat. Die Bundesregierung hat diese Unrechtshandlungen genauso verurteilt wie Menschenrechtsverletzungen überall in der Welt, wo sie geschehen. Sie wird nicht nachlassen, Unrecht als Unrecht zu bezeichnen, und wird alle ihr gegebenen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Menschen zu helfen.
Der Bundesregierung liegen bisher gesicherte Erkenntnisse, daß im Jahre 1984 Ausschreitungen und Übergriffe gegen politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR gegenüber früheren Jahren zugenommen haben, nicht vor. Jede Information über derartige Vorkommnisse wird von der Bundesregierung sehr sorgfältig untersucht und verfolgt. Sofern die Voraussetzungen gegeben sind, wird die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter befaßt.
Die von Ihnen in Ihrer Frage genannten konkreten Unrechtstatbestände sind der Bundesregierung erst vor wenigen Tagen aufgezeigt worden. Sie wird diesen konreten Vorwürfen nachgehen. Das Entsprechende ist veranlaßt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei allfälligen Gesprächen mit der DDR insbesondere die außerordentlich unbefriedigende Situation der medizinischen Versorgung von Häftlingen — auch der politischen Häftlinge, unter denen sich ja auch Personen aus der Bundesrepublik Deutschland, die drüben in Haft sind, befinden — zur Sprache bringen und darauf drängen, daß dort endlich eine menschenwürdige Versorgung stattfindet, die es ausschließt, daß Menschen wegen Unterversorgung an Herzerkrankungen sterben müssen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die medizinische Versorgung in Haftanstalten der DDR läßt nach unseren Maßstäben generell zu wünschen übrig und ist mit dem Standard, der bei uns gesetzlich festgeschrieben worden ist, leider nicht zu vergleichen. Solche Fälle sind also nicht auf den Bereich der politischen Häftlinge beschränkt, sondern liegen im gesamten System der medizinischen Versorgung in den dortigen Haftanstalten begründet. Ich muß Ihnen aber leider bestätigen, daß es somit auch bei politischen Häftlingen in der Vergangenheit bedauerliche Fälle schlechter medizinischer Versorgung gegeben hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984 7243
Herr Kollege Hennig, wird die Bundesregierung die Situation in den Haftanstalten der DDR — insbesondere die Situation der politischen Häftlinge — auch zum Gegenstand der Vorbereitung des Expertenfolgetreffens in Ottawa im kommenden Jahr machen, wo es ja ganz speziell um Menschenrechtsfragen geht, und wird sie die dort versammelten Vertreter der 35 Teilnehmerstaaten auf die Situation in den Haftanstalten der DDR mit dem gebührenden Nachdruck hinweisen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch wenn die Vorbereitungen für Ottawa noch nicht abgeschlossen sind, gehe ich davon aus, daß dies ein dafür besonders relevanter Punkt sein wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei ihren Schritten gegenüber der Regierung der DDR auf andere Quellen als der Kollege Jäger bei seiner Fragestellung zurückgreifen wird?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Lieber Kollege Löffler, da der Kollege Jäger keinerlei Quellen angegeben hat, kann ich diese Frage im Moment nicht schlüssig beantworten.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Terborg.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es dann, wenn Erkenntnisse zur Situation von politischen Häftlingen in der DDR vorliegen, Aufgabe der Bundesregierung sein müßte, diese Erkenntnisse zunächst in einer vertraulichen Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses zu behandeln?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Wir sind dazu jederzeit gerne bereit, Frau Kollegin, und beobachten jeden Einzelfall auf das sorgfältigste, befragen jeden politischen Häftling, der herkommt, nach seinem Schicksal, und wenn sich daraus in der Tat Anlaß ergibt, eine Menschenrechtsverletzung anzunehmen, wird das von uns aufgegriffen, im Bedarfsfall auch nach Salzgitter weitergegeben. Wir können darüber zusammenfassend jederzeit im Innerdeutschen Ausschuß berichten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, fordert die Bundesregierung bei so gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Einzelfällen auch die Einhaltung der vertragsrechtlichen Rechtsverpflichtungen des Politischen Menschenrechtspaktes der UN durch die DDR ein, und wird sie dafür sorgen, daß bei den Staatenberichten, die in den einschlägigen Ausschüssen gegeben werden, auch diese Fragen zur Sprache kommen?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Czaja, Sie haben mit Recht auf eine wichtige Unterlage hingewiesen, die in diesem Zusammenhang zu beachten ist. Daß wir auf die Einhaltung bei jeder sich bietenden Gelegenheit drängen, bedarf keiner besonderen Versicherung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schlaga.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist die Quelle nicht bekannt, die Herr Jäger für seine Frage benutzt hat? Darf ich Sie darauf verweisen, daß es am Samstag früh, am 9., ein Interview im Deutschlandfunk gegeben hat mit einem Herrn Clausen, in dem wortwörtlich die gleichen Formulierungen gebraucht worden sind, wie sie Herr Jäger in seiner Frage verwendet hat, und darf ich in diesem Zusammenhang weiter fragen, ob es denn richtig ist, wie es in diesem Interview hieß, daß die neue Bundesregierung künftig weniger für den Kauf von politischen Häftlingen zu zahlen braucht, d. h. daß sie mehr Häftlinge für weniger Geld kauft, und geht sie unter Umständen davon aus, daß die DDR, um auf die gleiche Summe zu kommen, mehr Häftlinge in ihre Zuchthäuser hineinstecken wird?
Herr Kollege Schlaga, Sie müssen kürzer fragen und dann noch eine Weile stehenbleiben, bis die Antwort gegeben ist.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schlaga, wir haben uns im bisherigen Verlauf der Fragestunde auf das äußerste im Differenzieren geübt, deswegen möchte ich Sie darauf hinweisen, daß ich nicht gesagt habe, mir sei die Quelle des Herrn Kollegen Jäger nicht bekannt, sondern daß ich gesagt habe, er habe sie nicht angegeben. Und nur zu dem, was er hier real gefragt hat, habe ich kommentierend oder beantwortend Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, inwieweit diese Probleme, die ja bekannt sind, auch Gegenstand der Kreditverhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR gewesen sind.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, ich gehe davon aus, daß wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit die DDR auf solche konkreten Fälle dann auch konkret ansprechen, aber ich habe keine Veranlassung, vertrauliche Verhandlungen hier im einzelnen darzulegen.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende des Geschäftsbereiches.Ich brauche die Geschäftsbereiche des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit und des Bundesministers für Forschung und Technologie nicht aufzurufen, weil die Fragesteller um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen gebeten haben. Es handelt sich um die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Stutzer sowie die Frage 4 des Abgeordneten
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7244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1984
Vizepräsident WestphalStiegler. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Staatssekretär Dr. Häfele steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Frage 6 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Frage 7 des Abgeordneten Wieczorek wird auf Grund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Frage 8 des Abgeordneten Böhm ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Zur Frage 9 bittet der Fragesteller, der Abgeordnete Antretter, um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Müntefering:Um wieviel könnte der bleifreie Kraftstoff 1985/86 verbilligt werden, wenn die steuerlichen Mehreinnahmen, die durch die Verteuerung des verbleiten Kraftstoffs um zwei Pfennig entstehen, aufkommensneutral zugunsten des bleifreien Kraftstoffs eingesetzt würden, der bei der Zwei-Pfennig-Regelung immer noch deutlich teurer sein wird als verbleiter Kraftstoff?Bitte schön. Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Ihre Frage darf ich so beantworten:
Durch die im Gesetzentwurf der Bundesregierung über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens vorgesehene Senkung der Mineralölsteuer für unverbleiten Ottokraftstoff und die Erhöhung der Mineralölsteuer für verbleiten Kraftstoff um jeweils 2 Pfennig je Liter werden die Wettbewerbsbedingungen für unverbleiten Kraftstoff bereits um 4 Pfennig je Liter verbessert. Dabei rechnet die Bundesregierung damit, daß dann die Mineralölwirtschaft den unverbleiten Ottokraftstoff infolge der steuerlichen Maßnahmen preisgünstiger anbieten kann. Es ist nicht möglich, die Mineralölsteuer für unverbleiten Kraftstoff 1985 und 1986 weiter zu senken, ohne gleichzeitig die Steuer für verbleiten Kraftstoff anzuheben. Mehreinnahmen, die sich in den ersten Jahren ergeben können, stehen Mindereinnahmen ab etwa 1988 gegenüber. Die Aufkommensentwicklung wird von der Absatzentwicklung der Kraftstoffsorten bestimmt. Dabei darf auch nicht außer Betracht gelassen werden, daß der Bund bei einer rascheren Umstellung auf unverbleiten Kraftstoff keinen vollen Ausgleich erhält.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, Ihre Erläuterung in Ehren; aber ich hatte gefragt, um wieviel 1985/86 der unverbleite Kraftstoff über die Steuer verbilligt werden könnte, nämlich über das, was an Mehreinnahmen über die Erhöhung um 2 Pfennig beim verbleiten Kraftstoff hereinkommt. Könnten Sie mir das bitte beantworten?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Da gibt es Schätzungen — es ist natürlich nicht ganz einfach — zwischen 200 Millionen und allenfalls 500 Millionen. Aber noch einmal: Die Aufkommensneutralität kann hier natürlich nur über mehrere Jahre hergestellt werden, ganz ähnlich übrigens wie bei der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung. Je mehr der Vorgang vorankommt — und das ist ja das, was wir wollen —, desto schneller kommt die Aufkommensneutralität, und je erfolgreicher diese Politik ist, desto schneller wird der Bund ein Minus machen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es sinnvoll wäre, gerade in der Übergangsphase auch durch steuerliche Maßnahmen die Umstellung zu beschleunigen — was Sie ja auch versuchen —, und daß, wenn man für die ersten Jahre ein Verhältnis von 8: 2 zwischen verbleitem und unverbleitem Kraftstoff unterstellt, für die Jahre 1985 und 1986 der unverbleite Kraftstoff um 8 Pfennig verbilligt werden könnte, wenn der verbleite um 2 Pfennig teurer wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Die Sachverständigen haben uns überzeugend dargelegt, daß eine Überförderung in Ihrem Sinn zu Mißbrauchsmöglichkeiten und Umgehungen führt, die wir alle nicht wollen.
Wir kommen zu der Frage 11 des Abgeordneten Müntefering:
In welchem Umfang sind Personenkraftwagen in die steuerliche Begünstigung einbezogen, die mit beigepacktem Katalysator gekauft worden sind, und wie müssen Besitzer solcher Personenkraftwagen den Nachweis führen, daß sie einen mit Katalysator ausgerüsteten Personenkraftwagen fahren, wenn sie den steuerlichen Vorteil in Anspruch nehmen wollen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet: Voraussetzung für die Gewährung der Steuerbefreiung soll die Einstufung des Personenkraftwagens als schadstoffarm sein. Ob diese Voraussetzung vorliegt, wird von der Zulassungsstelle festgestellt und im Fahrzeugschein vermerkt werden. Dies würde auch gelten, wenn ein miterworbener Katalysator erst nachträglich in einen Personenkraftwagen eingebaut wird. Die Steuerbefreiung würde in diesem Fall mit dem Tag der Eintragung im Fahrzeugschein beginnen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Diese Beipackidee beruht ja auf dem Gedanken, den Katalysator selber einbauen zu können. Damit ist natürlich die Möglichkeit verbunden, ihn selber auszubauen. Meine Frage ist deshalb — ich denke, auch das war meine
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MünteferingFrage, die Ihnen vorgelegen hat —: Wie wollen Sie sicherstellen, daß die als Beipack mitgelieferten Katalysatoren wirklich in den Autos sind und dort — auch später — gefahren werden?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Deswegen kommt ja die Vorschrift, daß die Zulassungsstelle dies bescheinigen muß. Es genügt nicht, daß der Fahrzeugbesitzer nur den Katalysator im Beipack zeigt.
Noch eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Ich frage noch einmal: Haben Sie eine Vorstellung über ein Instrument — Verplombung oder was auch immer —, mit dem sichergestellt werden kann, daß der Katalysator nicht ausgebaut werden kann? Denn ein Katalysator verbraucht sich j a, und es könnte im nachhinein für den einen oder anderen durchaus interessant sein, im Fahrzeugschein stehen zu haben, daß er einen Katalysator an seinem Auto gehabt hat, der aber nun nicht mehr eingebaut ist.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, Herr Kollege, daß der Bundesminister für Verkehr die Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung auf den Weg gebracht hat. Auch genau diese Frage wird dabei zu lösen sein. Das ist also eine Frage des Verkehrsrechts.
Jetzt kommen wir zu der Frage 12 des Abgeordneten Uldall:
Wie viele bundeseigene Wohnungen sind bisher auf Grund des BMF-Erlasses vom 4. November 1983 veräußert worden, und wie hoch ist ihr Anteil am Gesamtbestand bundeseigener Wohnungen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort auf Ihre Frage 12, Herr Kollege Uldall, lautet: In der Zeit vom 4. November 1983 bis zum letzten Erhebungsstichtag, dem 1. September 1984, sind 358 Wohnungen veräußert worden. Der Gesamtbestand bundeseigener Wohnungen beträgt rund 50 000, von denen allerdings die Hälfte für eine Veräußerung gar nicht erst in Betracht kommt, weil sie für die Unterbringung von Bundesbediensteten verwendet wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Uldall.
Wie schätzen Sie, Herr Staatssekretär, angesichts dieses doch recht mageren Ergebnisses die Entwicklung der Veräußerung in den nächsten Jahren?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir wollen das vorantreiben, und wir hoffen, in den nächsten Jahren die Quote steigern zu können. Allerdings ist es von der allgemeinen Marktlage her, die Sie kennen, nicht ganz einfach.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Uldall? — Nein.
Aber Sie haben noch eine Frage. Es ist die Frage 13:
Wie viele der verkauften bundeseigenen Wohnungen wurden an die Mieter und wie viele wurden an Dritte verkauft?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort auf die Frage 13 lautet so: Von den seit Ankündigung der verstärkten Veräußerung bundeseigener Wohnungen Anfang 1983 durchgeführten Verkäufen von 566 Wohnungen entfallen 164 auf Verkäufe an Mieter oder deren Kinder. Die übrigen Wohnungen sind an sonstige Erwerber veräußert worden. Hierzu zählen unter anderem auch Belegenheitsgemeinden — das sind die Gemeinden, in denen sich die Wohnungen befinden —, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften und frühere Eigentümer.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Uldall.
Gibt es für die Erwerber, sofern sie Mieter sind, Herr Staatssekretär, irgendwelche Vergünstigungen, z. B. steuerliche Vergünstigungen oder Vergünstigungen bei Darlehen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir wollen gerade den Mietern, die nicht so zahlungskräftig sind oder schon älter sind und ein Darlehen aufnehmen wollen, in den Bedingungen sehr entgegenkommen, so daß also Raten zu günstigen Zinsbedingungen hier durchaus möglich sind.
Herr Abgeordneter Müntefering möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie noch sagen, wie Ihre Zielmarge ist? Wie viele Wohnungen sollen nach Ihrer Meinung in den nächsten Jahren verkauft werden?In Anknüpfung an die Frage 13 frage ich: Ist bei den Verkäufen an Dritte sichergestellt, daß es nicht durch Umwandlung der Wohnungen zu Mieterverdrängungen kommen kann?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte den zweiten Teil Ihrer Frage vorweg: Auch dies ist sichergestellt, wir legen großen Wert darauf, daß hierbei ein Mieterschutz besteht. Das wird auch in die Verkaufsbedingungen eingehen.Im ersten Teil haben sie gefragt, wie viele Wohnungen es sein werden. Wir wollen es natürlich möglichst forcieren. Wir haben den Grundsatz: Soweit nicht eine Notwendigkeit besteht, braucht eine Wohnung nicht im Bundesbesitz zu bleiben. Aber von zwei Seiten her sind hier doch Grenzen gegeben. Die eine Grenze ist vom Markt her gegeben. Wir kennen alle die Marktlage. Die ist für so etwas jetzt nicht günstig. Die zweite Grenze ist von der Kapazität der Liegenschaftsverwaltungen des Staates her gegeben. Da bedarf es vieler Verhandlungen und Gespräche um jemanden zu überzeugen, daß es vielleicht doch eine sinnvolle Sache sei, eine solche Wohnung zu kaufen. Das ist nicht so ganz einfach.
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Wir sind damit am Ende der Fragen des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Neumann auf:
Ist die Bundesregierung inzwischen über die Einzelheiten der Fusion der Firmen Klöckner und Krupp informiert, und welche Folgerungen zieht sie daraus für den Stahlerzeugungsstandort Georgsmarienhütte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Unternehmen haben der Bundesregierung mit Schreiben vom 7. November 1984 nähere Einzelheiten zu der beabsichtigten Fusion mitgeteilt und eine weitere Detailunterrichtung angekündigt. Aus den bisher gegebenen Informationen, die dem derzeitigen Stand der Überlegungen der damit Beauftragten der Unternehmen entsprechen, ergibt sich, daß beim Standort Osnabrück/ Georgsmarienhütte Veränderungen geplant sind. Eine Entscheidung der Aufsichtsgremien der Unternehmen liegt bisher nicht vor.
Ein Fusionskonzept, wie es jetzt diskutiert wird, ist immer sowohl mit Vorteilen als auch mit Nachteilen verbunden. Weitere Kostensenkungen und Kapazitätsanpassungsmaßnahmen, die im Rahmen einer Fusion leichter als im Alleingang verwirklicht werden können, stärken in der Regel die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und sind geeignet, die verbleibenden Arbeitsplätze zu sichern. Andererseits führen diese Maßnahmen zu schmerzlichen Eingriffen, insbesondere in davon betroffenen Regionen.
Es ist der Bundesregierung nicht möglich, zu den Fusionsvorhaben Stellung zu nehmen, bevor die zuständigen Aufsichtsgremien eine Entscheidung getroffen haben. Sobald die endgültigen Beschlüsse vorliegen, wird die Bundesregierung auf der Basis der Stellungnahme eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers zusammen mit den betroffenen Landesregierungen entscheiden, welche Folgerungen zu ziehen sind.
Eine detaillierte Stellungnahme zu Vor- und Nachteilen dieser Fusion würde zudem die Offenbarung von betriebsindividuellen Einzeldaten voraussetzen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen. Ihre Weitergabe ist nur im Rahmen des § 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zulässig. In diesem Rahmen und entsprechend ihrer ständigen Übung hat die Bundesregierung dem Haushaltsund dem Wirtschaftsausschuß des Parlaments vertrauliche Einzelangaben gemacht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in Anbetracht der Tatsache, daß die Stillegung des Werkes Georgsmarienhütte — nur danach hatte ich gefragt — die Arbeitslosigkeit dort auf 28 % bringen würde, die Bereitstellung der öffentlichen Mittel, die mit dem Schreiben, das Sie zitiert haben, verlangt werden, zu verweigern, falls das Werk geschlossen wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wiederhole noch einmal, daß uns Unternehmensentscheidungen in diesem Bereich nicht vorliegen und daß Entscheidungen der Bundesregierung und der beteiligten Landesregierungen erst möglich sein werden, wenn uns solche Unternehmensentscheidungen tatsächlich vorgelegt worden sind.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Neumann.
Diese Antwort, Herr Staatssekretär, veranlaßt mich zu einer weiteren Frage: Teilen Sie nicht die Auffassung der Landesregierung Niedersachsen, daß öffentliche Mittel auf keinen Fall gegeben werden sollten, wenn das Werk Georgsmarienhütte stillgelegt wird, und darüber hinaus alle öffentlichen Subventionen, soweit dies rechtlich möglich ist, zurückverlangt werden sollten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, solange ein verbindliches Unternehmenskonzept nicht vorgelegt worden ist, ist die Bundesregierung nicht in der Lage, zu diesen hypothetischen Fragen eine Stellungnahme abzugeben.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hornhues.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es für einen Politiker des betroffenen Raumes sehr schwer ist, zu akzeptieren, daß Fragen zu dem, worüber alle Welt redet und schreibt, hier unter dem Gesichtspunkt von Vertraulichkeit und Verschwiegenheit nicht beantwortet werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, ich verstehe das vollkommen. Das ist ein ausgesprochen unbefriedigender Zustand. Wir sind aber durch die hier zitierte Rechtslage gebunden. Und ich mache darauf aufmerksam, daß die öffentliche Erörterung von Vor- und Nachteilen einzelner Art unmittelbar nachteilige Auswirkungen auch auf die Arbeitsplätze haben kann. Das ist der Grund, warum wir in vertraulicher Sitzung der dafür zuständigen Ausschüsse jedenfalls das beantworten, was zu beantworten uns möglich ist. Ich wäre sehr dankbar, wenn die daran interessierten Kollegen die Unterrichtung in den zuständigen Ausschüssen unter „Vertraulich" entgegennähmen.
Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Neumann auf:Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Höhe die fusionierten Unternehmen Klöckner/Krupp Subventionen von der Bundesregierung verlangen und ob dadurch der Stahlerzeugungsstandort Georgsmarienhütte gesichert wird?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Unternehmen haben im Hinblick auf die erheblichen zusätzlichen Aufwendungen, die der neuen Gesellschaft bei Realisierung der Fusionsplanungen entstehen, zusätzliche Hilfen erbeten. Sie gehen davon aus, daß diese Hilfen und die vorgesehenen Rationalisierungsmaßnahmen zur Sicherung des Fortbestandes der Unternehmen notwendig sind. Nur so können nach Auffassung der Unternehmen Dauerarbeitsplätze im Stahlbereich, aber auch in dem Bereich, der nicht der Produktion nach dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zuzurechnen ist, z. B. im Schmiedebereich, erhalten und gesichert werden. Da zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sowohl Subventionen als auch weitere Stillegungen nach Auffassung der beteiligten Unternehmen für notwendig gehalten werden, sind auch bei Gewährung von Hilfen Stillegungen nicht zu vermeiden — wenn ich die von den Unternehmen vorgetragenen Überlegungen zur Grundlage meiner Antwort mache.
Zusatzfrage des Abgeordneten Neumann .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in dem Schreiben der Firma Krupp/Klöckner an den Bundeswirtschaftsminister, das öffentlich ist, eine Subvention von 350 Millionen DM verlangt wird und gleichzeitig für die Stillegung der Georgsmarienhütte Kosten in Höhe von 330 Millionen DM in Ansatz gebracht werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bedaure, daß ich nicht das als öffentlich bekannt bezeichnen kann, was etwa in einer Zeitung abgedruckt ist. Wir sind von den Unternehmen nicht ermächtigt, hier irgendwelche öffentlichen Aussagen zu machen, sondern wir haben die Ermächtigung der Unternehmen — und wir brauchen die Ermächtigung der Unternehmen dazu —, in vertraulicher Sitzung des zuständigen Ausschusses derartige Fragen zu beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Staatssekretär, noch eine Zusatzfrage zur Frage 15: Hält die Bundesregierung an der Aussage des Bundeskanzlers vom 3. März 1983 fest, in der er nach den Zitaten, die Sie schon in der letzten Fragestunde gebracht hatten, wörtlich erklärt hat:
Ich kann nicht die Maxhütte in Bayern, ich kann nicht die Georgsmarienhütte, ich kann nicht Salzgitter von der Entwicklung abkappen, genauso wie Duisburg und Dortmund. Wir müssen hier eine gemeinsame nationale Anstrengung machen,
und halten Sie daran fest, daß dies als Garantieerklärung für die Erhaltung des Stahlstandortes Georgsmarienhütte aufzufassen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nein, ich halte diese Schlußfolgerung aus den Äußerungen des Bundeskanzlers nicht für gerechtfergigt, wie das auch Herr Kollege Dr. Sprung hier vor dem
Bundestag schon gesagt hat, sondern aus den Äußerungen des Bundeskanzlers ist ganz klar das Bemühen der Bundesregierung um die Erhaltung der Standorte, aber nicht eine Standortgarantie zum Ausdruck gekommen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hornhues.
Herr Staatssekretär, darf ich diese Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung unverändert bei den anstehenden Fusionssubventionsverhandlungen alles tun wird, was in ihren Kräften steht, um den Stahlstandort Georgsmarienhütte zu erhalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, alle unsere Maßnahmen, alle unsere Hilfen waren allein darin begründet, so viele Arbeitsplätze wie möglich im Bereich der Stahlindustrie zu erhalten und vor dem Hintergrund eines wirklich ganz außergewöhnlich zu nennenden Subventionswettlaufs das nicht zu Lasten der deutschen Stahlarbeitsplätze allein gehen zu lassen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Beckmann.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der hier angesprochenen Subventionsforderungen und Subventionsmöglichkeiten den Wunsch der australischen CRA, sich mit mehr als einer halben Milliarde D-Mark an dem neuen Unternehmen zu engagieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Tatsache, daß diese Beteiligungsabsicht besteht, ist ein sehr erfreuliches Zeichen dafür, daß ein leistungsfähiger ausländischer Konzern die Stahlaktivitäten der Firmen Krupp und Klöckner offenbar positiv beurteilt. Wir sind der Meinung, daß diese Tatsache ein Anzeichen dafür ist, daß wir für diese Unternehmensgruppe zuversichtlich in die Zukunft sehen können.
Die Fragen 16 und 17 brauchen nicht aufgerufen zu werden, weil der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten hat. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß sich der Strompreis durch die Auflagen der Verordnung über Großfeuerungsanlagen in unzumutbarer Weise erhöht und der Braunkohlenstrom Höchstpreisstrom zu werden droht?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Der zur Erfüllung der Anforderungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung erforderliche Investitionsaufwand wird von der Elektrizitätswirtschaft auf 10 bis 15 Milliarden DM für Rauchgasentschwefelungsanlagen und auf 3 bis 7 Milliarden DM für Anlagen zur Stickoxidminderung geschätzt. Die relativ großen Spannwei-
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Parl. Staatssekretär Grünerten der Schätzungen erklären sich dadurch, daß ein Großteil der Anlagen erst in der Projektierung ist bzw. im Fall der Stickoxidminderung der Kenntnisstand über die bisher nur im Ausland eingesetzte Verfahrenstechnik unter den Anwendungsbedingungen der Bundesrepublik noch begrenzt ist. Die Kosten für den aus Braun- und Steinkohle erzeugten Strom werden sich nach Einschätzung der Elektrizitätswirtschaft damit um insgesamt 3 bis 4 Pfennig pro Kilowattstunde erhöhen. Unter Berücksichtigung des Kohleanteils an unserer gesamten Stromerzeugung bedeutet dies einen Anstieg des Strompreisniveaus um 1,5 bis 2 Pfennig pro Kilowattstunde. Das entspricht, gemessen am heutigen Durchschnittspreis, einer Verteuerung um rund 10 %. Die Verstromung von Braunkohle wird voraussichtlich um 2 bis 3 Pfennig pro Kilowattstunde teurer, da zwar einerseits der Aufwand für die Rauchgasreinigung wegen der größeren Rauchgasvolumen im Vergleich zur Steinkohle größer sein wird, gleichzeitig aber wegen der hohen Auslastung der Braunkohlekraftwerke auch der Divisor größer sein wird. Strom aus Braunkohle wird aber auch in Zukunft wegen der niedrigeren Brennstoffkosten günstiger sein als Strom aus heimischer Steinkohle, Öl oder Gas.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß der in Frankreich hergestellte Strom erheblich billiger bezogen werden kann als der in Deutschland hergestellte Strom, und können Sie bestätigen, daß namhafte deutsche Firmen in Verhandlungen stehen mit dem Ziel, französischen Strom zu beziehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es hat immer Stromlieferungen über die Grenze hinweg gegeben. Der Bundesregierung sind keine Initiativen bekannt, die diese Lieferungen im bisherigen Umfange fühlbar überschreiten. Selbstverständlich ist es richtig, daß Überlegungen dieser Art angestellt werden und auch in Zukunft Bedeutung haben werden. Von größeren Abschlüssen ist uns aber nichts bekannt geworden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für notwendig, damit der in Deutschland hergestellte Strom international langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine solche Wettbewerbsfähigkeit allein auf der Basis des Einsatzes unserer Steinkohle ist nicht einfach zu erreichen, wie wir wissen. Aber wir haben j a durch den Jahrhundertvertrag sichergestellt, daß unsere Energieversorgungsunternehmen Steinkohle verstromen, daß sie also nicht auf billigere Einsatzkohle ausweichen können. Wir haben im Interesse der Sicherheit unserer Versorgung und der
Arbeitsplätze die Verteuerung unserer Stromerzeugung in Kauf genommen, ohne zu verschweigen, daß damit auch Wettbewerbsprobleme verbunden sein können.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß die Strompreiserhöhung, wie Sie sie vorhin angekündigt haben, in jedem Falle auch dazu beitragen wird, daß der Strom sparsamer verwendet wird, und infolgedessen unseren Bestrebungen, Ressourcen zu schonen, entgegenkommt? Weiterhin möchte ich Sie fragen: Welche Zahlen sind Ihnen bekannt, wie die Stromerzeugung der EdF in Frankreich durch Subventionen gestützt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist richtig: Je teurer der Strom ist, je teurer die Energie ist, desto größer wird der Anreiz zur Einsparung sein, desto größer sind die Möglichkeiten, auch durch entsprechende Investitionen zu sparen. Von daher ist eine sparsame Energieverwendung nur über entsprechende hohe Preise möglich.
Man soll aber natürlich nicht verschweigen, daß diese Teuerung entsprechende Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie hat und daß jede Kilowattstunde Strom, die ich als Privatmann teurer bezahlen muß, auch meine Möglichkeiten des Verbrauchs in anderen Bereichen einschränkt. Diese Teuerung ist also nicht kostenlos zu haben, sondern sie ist im privaten Bereich mit einem Nachfrageausfall in anderen Bereichen verbunden. Wir haben diese Entwicklung aus Umweltschutzgründen, aber auch aus anderen Gründen be-j aht. Wir dürfen die Bevölkerung und uns selbst aber nun nicht über die negativen Seiten dieser Entwicklung hinwegtäuschen. Sie gehören mit zum Bild.
Frau Kollegin, ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen aus dem Gedächtnis zum französischen Strompreisniveau und zu dessen Zustandekommen eine Aussage zu machen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die Unterlagen, die uns hierzu zur Verfügung stehen, schriftlich zuzuleiten.
Es tut mir leid, meine Damen und Herren. Wir stehen am Ende der Fragestunde. Die Zeit ist schon überschritten. Ich kann also leider auch nicht einmal mehr Zusatzfragen zulassen. Der Herr Staatssekretär muß morgen noch einmal wiederkommen, weil noch eine Frage offen ist.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Donnerstag, den 15. November 1984, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.