Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 9/2184, 9/2190 —
Zunächst werden die Dringlichen Fragen des Herrn Abgeordneten Haase , dann die Fragen 141 und 142 des Abgeordneten Dr. Soell aufgerufen. Die beiden zuletzt genannten Fragen werden zusammen mit den Dringlichen Fragen den anderen vorliegenden Fragen nach Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde vorgezogen, weil sie zum Bereich der Dringlichen Fragen gehören. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die erste Frage des Herrn Abgeordneten Haase aus Drucksache 9/2190 auf:
Trifft die Presseverlautbarung der Süddeutschen Zeitung vom 26. November 1982 zu, daß Bundeskanzler Dr. Kohl am 6. Dezember 1982 mit dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand über die Fusion Grundig/Thomson-Brandt und die Ministererlaubnis sprechen wird.
Herr Kollege, die Quelle der von Ihnen genannten Presseverlautbarungen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Es trifft zu, daß der Herr Bundeskanzler am 7. Dezember 1982 in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand zusammentreffen wird. Gesprächsthemen wurden nicht vereinbart.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es denkbar, daß dieses Treffen, das der Bundeskanzler und der Staatspräsident in Paris haben werden, inhaltlich nicht in Ihrem Hause vorbereitet wird, sondern daß der Bundeskanzler über den Sprecher des Bundespresseamtes, Herrn Stolze, der wiederum von Herrn Poullain in dieser Frage interviewt worden ist, direkt angesprochen worden ist und diese Frage außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs behandelt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist selbstverständlich, daß in dieser Frage ein sehr enger Kontakt, wie das immer üblich ist, zwischen den zuständigen Ministerien und dem Bundeskanzleramt stattfindet, so daß es hier keine Informationslücken geben kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bewußt, daß, wenn von französischer Seite diese Frage angesprochen wird — und alles deutet darauf hin — und der Bundeskanzler auch nur den Eindruck erweckt, daß er diesem Vorhaben positiv oder aufgeschlossen gegenübersteht, er damit auch die politische Verantwortung dafür übernimmt, daß in den nächsten Monaten und in den Zeitabläufen darüber hinaus viele, viele Arbeitsplätze in der Bundesrepublik im Rahmen der Rationalisierung freigesetzt werden? Der Herr Generaldirektor von Thomson-Brandt hat ja heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wörtlich erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Die wesentlich höhere Beschäftigungszahl bei Grundig resultiere aus der erheblich größeren Fertigungstiefe. Gelinge es nicht, neue Produkte auf den Markt zu bringen, komme man in Zukunft auf Grund der unumgänglichen Rationalisierung und Straffung der Produktion mit weit weniger Leuten aus.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird sich allein schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit jeder Bewertung des Vorhabens enthalten müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Arbeitsplatzgarantie, die der französische Elektrokonzern über eine „Botschaft" in „Bild am Sonntag" am 28. November dieses Jahres abgegeben hat unter der Überschrift: „Arbeitslose: Wir retten Grundig-Arbeitsplätze!" — Botschaft über „Bild am Sonntag" an 30 000 Beschäftigte in der Bundesrepublik? Können Sie sich
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Dr. Riedl
vorstellen, daß diese Arbeitsplatzgarantie in den Gesprächen zwischen unserem Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten nicht doch eine ganz wesentliche Rolle spielen muß?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich zweifle nicht daran, daß dieses Thema vom französischen Staatspräsidenten angesprochen werden wird. Das ist nicht als Thema vereinbart, aber angesichts der Bedeutung, die diesem Vorhaben von der französischen Regierung ersichtlich beigelegt wird, zweifle ich nicht daran, daß das ein Gesprächsthema sein wird. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß es aus rechtsstaatlichen Gründen für die Bundesregierung und auch für den Bundeskanzler nicht möglich ist, zu diesem Vorhaben etwa in positiver oder negativer Weise Stellung zu nehmen. Daß alle damit verbundenen schwerwiegenden Fragen im allgemeinen Bewußtsein und ganz speziell im Bewußtsein des Bundeskanzlers sind, ist völlig richtig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, werden Sie denn zumindest gegenüber dem Bundeskanzler mal darauf hinweisen, daß er bei diesem Gespräch mit Mitterrand doch zum Ausdruck zu bringen hat, daß bei uns die Gesetze eben so sind, daß diese Fusion mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem jetzigen Kenntnisstand nicht zustandekommen kann, und meinen Sie nicht, daß es notwendig ist, dies auch einmal gegenüber Herrn Grundig zum Ausdruck zu bringen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, solange weder dem Bundeskartellamt noch der Bundesregierung detaillierte Informationen und Begründungen vorliegen, ist eine so weitgehende Außerung nicht möglich. Wichtig ist es allerdings, darauf hinzuweisen — und das ist in jeder Phase des Verfahrens geschehen —, daß ein solches Vorhaben, wenn es verwirklicht werden sollte und ein entsprechender Antrag gestellt würde, der Fusionskontrolle unterliegt und in diesem sehr detailliert geregelten mehrstufigen Fusionskontrollverfahren alle Gesichtspunkte eine Rolle spielen werden, die hier in den Fragen als Besorgnis anklingen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stiegler.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der französische Staatspräsident in einem Brief an den Bundeskanzler die Hoffnung ausgedrückt hat, die Bundesregierung werde diese Fusion unterstützen, und daß er diese Angelegenheit geradezu zu einem Testfall der deutsch-französischen Freundschaft gemacht hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann dazu nichts sagen, weil mir ein solcher Brief nicht bekannt ist. Es trifft allerdings zu, daß die französische Regierung zu erkennen gegeben hat, daß sie diesem Fusionsfall eine politische Bedeutung im Sinne eines sehr positiven Interesses beilegt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt.
Herr Staatssekretär, gibt es denn Beispiele dafür, daß bei einer Fusion mit einem ausländischen Unternehmen, das eine solche Arbeitsplatzgarantie gegeben hat, wie sie der Kollege Riedl gerade erwähnt hat, diese Arbeitsplatzzusage eingehalten wurde und die Fusion zu positiven Ergebnissen geführt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Mir ist kein Fall einer Fusion bekannt, bei dem etwa Arbeitsplatzgarantien eingehalten worden wären oder hätten eingehalten werden können. Im allgemeinen werden Fusionen j a unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung vereinbart, und dazu gehört bedauerlicherweise in vielen Fällen auch Arbeitsplatzabbau. Eine beschäftigungspolitisch positive Wirkung könnte nur dann eintreten, wenn eine solche Fusion zu einer entsprechenden Ausdehnung der Produktion führen würde, in diesem Fall auf dem Videorecordermarkt, wo ja die sehr hohen Überkapazitäten der japanischen Industrie und die entsprechende Verbilligung der Geräte die Hersteller europäischer Videorecorder in Schwierigkeiten gebracht haben. Nur bei einer solchen denkbaren Ausweitung der Produktion könnten auch positive Beschäftigungswirkungen entstehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Haase auf:
Gedenkt die Bundesregierung, bei diesen Gesprächen davon auszugehen, daß die Ministererlaubnis erteilt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage einer Ministererlaubnis kann sich erst nach einer Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamtes stellen. Bislang haben die Unternehmen das Zusammenschlußvorhaben beim Amt aber noch nicht einmal förmlich angemeldet. Solange das Verfahren der Fusionskontrolle läuft, wird sich die Bundesregierung schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, die Eingriffe in ein schwebendes Verfahren verbietet, jeder Bewertung des Vorhabens enthalten. Dies gilt auch für Gespräche mit ausländischen Regierungen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht viel sinnvoller, wenn die Bundesregierung deutlich machte, daß es andere Wege der Kooperation gibt als den Verkauf des Konzerns Grundig nach Frankreich, wodurch sich eine absolute Dominanz der französischen Seite nicht nur in der Bundesrepublik — wenn man SABA und Nordmende noch einbezieht —, sondern in ganz Europa ergäbe? Für andere Wege der Kooperation müßte die Regierung dann allerdings einen Rahmen schaffen, wie es z. B. bei der Zusammenarbeit für den Airbus der Fall ist.
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Firma Grundig sind die Zusammenarbeitsmöglichkeiten sehr wohl bekannt, wie die Aktivitäten der Firma in der Vergangenheit deutlich ausweisen. Es hat ja mit verschiedenen Herstellern Gespräche gegeben. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, für solche Kooperationen etwa staatliche Subventionen in Aussicht zu stellen, wie es in einem völlig anders gelagerten Fall der europäischen Zusammenarbeit, nämlich bei der Produktion des Airbus, geschehen ist.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig folgere, bedeutet das doch, daß Sie damit einen Freiraum für staatliche Interventionen aus Paris und aus Frankreich und damit auch die Gefahr schaffen, daß die deutsche Unterhaltungselektronik — ja, darüber hinaus die gesamte deutsche Elektronikindustrie — ausverkauft wird und somit entscheidende deutsche Positionen auf dem europäischen Markt preisgegeben werden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Bewertung steht im Gegensatz zu dem, was die Firmen Thomson-Brandt und Grundig zur Begründung ihrer Zusammenarbeit gesagt haben. Ich kann mich ohne Prüfung noch nicht vorliegender Unterlagen einer solchen Bewertung deshalb nicht anschließen. Es ist jedenfalls das erklärte Ziel — ob es erreichbar ist, ist eine andere Frage —, durch einen solchen Zusammenschluß die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auf dem Markt der Videorecorder gegenüber der sehr starken und mit großen Überkapazitäten am Markt befindlichen japanischen Konkurrenz zu stärken.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß vor kurzem durch die Firma Philips eine weitergehende Fusion mit Grundig angestrebt wurde, als sie jetzt zustande gekommen ist, und daß eine Zusammenarbeit bzw. eine Fusion Philips/Grundig das kleinere Übel wäre als eine Fusion Grundig/Thomson-Brandt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen bestätigen, daß es eine Zusammenarbeit Philips/ Grundig gibt, die mit einer Beteiligung von unter 25 % durch die Firma Philips bei der Firma Grundig begründet worden ist, und daß es ursprünglich Überlegungen gab, in diesem Bereich eine höhere Beteiligung anzustreben, die aber nicht verwirklicht worden ist.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt.
Frau Schmidt: (SPD): Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß es bei einer Fusion mit Thomson-Brandt kein deutsches Unternehmen mehr gibt, das in der Bildschirmtechnologie zu Hause ist und auf diesem Gebiet Investitionen tätigt, und wie würde sich die
Bewertung dieser Tatsache auf eventuelle Entscheidungen der Bundesregierung auswirken?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die internationale Kapitalverflechtung und auch die Investitionen ausländischer Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland immer positiv bewertet. Sie haben, wie sich an vielen Beispielen zeigen läßt, bei uns in der Vergangenheit entscheidende, positive beschäftigungspolitische Wirkungen gehabt.
Wir werden alle Fragen, die im Zusammenhang mit dem Zusammenschlußvorhaben Thomson-Brandt und Grundig stehen, selbstverständlich unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft sehen. Dabei wird eine ganz entscheidende Rolle spielen, welche Auswirkungen ein solcher Zusammenschluß auf die Beschäftigung und natürlich auch auf die technologischen Fähigkeiten in unserem Land haben würde.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin bestätigt, daß es, auch wenn noch kein förmliches Prüfungsverfahren eingeleitet ist, Vorgespräche auf höchster politischer Ebene geben wird. Wird die Bundesregierung dabei die negativen Erfahrungen zur Sprache bringen, die wir im Zusammenhang mit der Fusion von Video-Color gemacht haben, und wird die Bundesregierung dabei auch die Belange der deutschen Beschäftigten, insbesondere in den strukturschwachen Gebieten, zur Sprache bringen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es werden, Herr Kollege, alle Aspekte Berücksichtigung finden, und es ist offenkundig, daß die Beschäftigungsfrage das dringendste Problem in der Bundesrepublik Deutschland ist und daß ihm deshalb im Rahmen solcher Gespräche eine absolute Priorität zukommt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eimer.
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Stiegler möchte ich Sie fragen: Werden also dann die bisherigen, nicht sehr positiven Erfahrungen beim Zusammenschluß von deutschen Firmen mit Thomson-Brandt bei der Erteilung der Ministererlaubnis eine entscheidende Rolle spielen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Entscheidung, die das Bundeskartellamt oder die der Minister zu treffen hat, wird auf der Grundlage der dann gegebenen konkreten Informationen und der dann gegebenen Einschätzung, welche Auswirkungen sie haben wird, zu fällen sein. Man kann nicht aus Erfahrungen in anderen Unternehmensbereichen eine Schlußfolgerung für einen solchen Fall ziehen. Das wäre rechtsstaatlich nicht möglich, wäre aber auch wirtschaftlich völlig falsch. Und ich sage noch einmal: die eigentliche Begründung, die von den Beteiligten gegeben wird, ist die Behaup-
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Parl. Staatssekretär Grüner
tung — die ich nicht nachvollziehen kann —, daß damit die Wettbewerbsfähigkeit der Gruppe gegenüber der japanischen Konkurrenz gestärkt würde. Daraus unmittelbar läßt sich die Behauptung ableiten, daß das ein Beitrag zur Sicherung der Beschäftigung wäre. Ob das wirklich der Fall sein wird, muß die Prüfung der Unterlagen ergeben, wenn uns solche Unterlagen vorgelegt werden, d. h. wenn dieser Intention dann auch der konkrete Antrag folgt, was bis heute nicht geschehen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Sicherung der Arbeitsplätze, den Zeitraum für die Erteilung der Ministererlaubnis möglichst kurz zu halten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht in dieser Frage große Eilbedürftigkeit.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Struck.
Herr Staatssekretär, voraussetzend, daß ein Kooperationsabkommen zwischen der Firma Grundig und der Firma Telefunken auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik besteht, möchte ich Sie fragen: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie sich eine Fusion Thomson-Brandt/Grundig auf den Bereich der Firma Telefunken auswirken würde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Detaillierte Informationen nicht. Die bisher gegebenen Informationen sagen aus, daß diese Zusammenarbeit in eine solche Fusion mit einbezogen werden soll. Aber das sind keine verläßlichen, von den künftigen Antragstellern wirklich begründet vorgebrachten Aussagen, die also eine zuverlässige Information hier ermöglichen, sondern das ist lediglich der Informationsstand, wie er sich aus Gesprächen ergeben hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Bülow.
Herr Staatssekretär, als jemand, der einer europäischen Industrieverflechtung sehr positiv gegenübersteht, frage ich Sie: Glauben Sie, daß wir es bei dem Fall ThomsonBrandt/Grundig mit einer rein privatwirtschaftlichen Kooperation oder Verflechtung von zwei in verschiedenen Nationen beheimateten Industrieunternehmen zu tun haben? Oder glauben Sie nicht mit mir, daß dahinter eine in Frankreich angesiedelte gesamte Industriestrategie betreffend die beiden Gebiete Mikroelektronik und Kommunikationstechnik der Zukunft zu sehen ist? Und glauben Sie daher nicht, daß es notwendig sein wird, daß auch die deutsche Politik sich mit dieser Strategie beschäftigt und eine vernünftige Antwort findet, um sowohl auf privatwirtschaftlicher Ebene als auch auf politischer Ebene zu einer echten Kooperation
und nicht zu einer einseitigen Konstruktion der Industrieverhältnisse zu kommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt aus Frankreich verschiedene Äußerungen, aber es ist gar keine Frage, daß auch regierungsamtliche Äußerungen deutlich machen, daß hier eine Strategie französischer staatlicher Industriepolitik sichtbar wird. Es ist selbstverständlich, daß diese Strategie aus unserer Sicht vor dem Hintergrund gesehen werden muß, welche Auswirkung sie auf unseren Arbeitsmarkt und auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit haben wird. Es ist bedauerlich, daß im Zusammenhang mit Äußerungen aus Frankreich die französische Industriestrategie auch vor dem Hintergrund interpretiert wird — obwohl das nicht die Äußerung der französischen Regierung ist —, daß hier eine nationale Strategie angestrebt werde mit der ausschließlichen Zielsetzung, den französischen Arbeitsmarkt abzusichern. Das wäre eine Strategie, die der internationalen Arbeitsteilung zuwiderlaufen würde und die die wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf die wir mit Frankreich essentiell angewiesen sind, aufs schwerste gefährden könnte, wenn sie zur offiziellen französischen Regierungspolitik würde, was wir nicht hoffen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 141 des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Soell auf:
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen den auch gegen den Import von Videorecordern aus Grundig-Werken gerichteten Schikanen der französischen Zollverwaltung und dem von Pariser Stellen befürworteten Plan eines Kaufs der Grundig-Werke durch den französischen Elektrokonzern Thomson-Brandt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bin leider auf diese Frage nicht vorbereitet, wie ich zu meinem Schrecken feststelle.
Vielleicht können Sie, wenn Sie die Frage jetzt mit aller Ruhe jetzt durchlesen — —
Grüner, Parl. Staatssekretär: Sie wird mir gerade gereicht.
Auf Grund des Ministerratsbeschlusses vom 20. Oktober 1982 hat die französische Regierung die Abfertigung für Videorecorder auf eine Zollstelle beschränkt. Diese Maßnahme gilt für alle importierten Geräte dieser Art, unabhängig von ihrer Herkunft. Die Bundesregierung sieht daher keinen Zusammenhang dieser Importrestriktionen mit den Verkaufsverhandlungen zwischen Grundig und Thomson-Brandt.
Im übrigen wäre die Ausübung wirtschaftlichen Drucks auch ungeeignet, das Ergebnis der kartellrechtlichen Kontrolle der Transaktion zu beeinflussen. Die Fusionskontrolle des Bundeskartellamts, aber auch das sich daran möglicherweise anschließende Ministererlaubnisverfahren sind an klare rechtliche, gegebenenfalls auch gerichtlich nachprüfbare Kriterien geknüpft, die nicht durch beliebige handelspolitische Junktims unterlaufen werden können.
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Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung Informationen und Nachrichten etwa in der „Süddeutschen Zeitung" der letzten Woche, in der ein solcher Zusammenhang hergestellt wird, wie ich ihn in dieser Frage formuliert hatte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann verstehen, daß solche Vermutungen angestellt werden, aber ich kann nur wiederholen, daß das keinen Einfluß auf den angestrebten Zusammenschluß haben wird und daß auch kein Zusammenhang besteht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, werden Sie auf Herrn Bundeskanzler Kohl einwirken, daß er bei dem Treffen mit Mitterrand auch diese unsinnige Verzollung von Videorecordern in Poitiers zur Sprache bringt und dafür sorgt, daß dieser Unsinn beseitigt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben als Bundesregierung und als Bundeswirtschaftsministerium gegenüber der französischen Regierung sofort interveniert. Das hat auch die Kommission getan, die ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir auf allen Ebenen derartige Ereignisse und Vorkommnisse ansprechen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase .
Herr Staatssekretär, wird nicht an diesem Fall ganz deutlich, daß es sich bei den Verkaufsabsichten und Fusionsabsichten nur um ein Scheinargument handeln kann, wenn man sieht, daß der Konzern Thomson-Brandt japanische Videorecorder bis Ende 1983 in Frankreich vertreiben will und daß der Absatz deutscher Geräte — von Grundig —, also auf dem europäischen Markt hergestellter Geräte, in Poitiers behindert wird? Wenn man sich mit der Aussage beschäftigt, daß diese Maßnahme ein Gegengewicht gegen japanische Importe sein soll, muß man zu dem Ergebnis gelangen, daß es sich dabei um ein Scheinargument handelt.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus diesem Grunde ist das Vertragsverletzungsverfahren von der Europäischen Kommission eingeleitet worden. Es wird in diesem Vertragsverletzungsverfahren Gelegenheit sein, alle Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, auch die, die Sie hier vorgetragen haben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 142 des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Soell auf:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um zu verhindern, daß durch protektionistische Praktiken von seiten Frankreichs zusätzlicher Druck auf die Verkaufsverhandlungen zwischen Thomson-Brandt und den Grundig-Werken ausgeübt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie aus der Antwort zu Ihrer ersten Frage bereits hervorgeht, kann durch protektionistische Maßnahmen Frankreichs kein Druck auf die Verkaufsverhandlungen zwischen Thomson-Brandt und Grundig ausgeübt werden. Da die Verringerung der Zahl der Zollstellen für Videorecorder, die natürlich auch die deutschen Exporte betrifft, unseres Erachtens mit dem EWG-Vertrag nicht vereinbar ist, hat die Bundesregierung die EG-Kommission auf diese Vertragsverletzung hingewiesen. Außerdem hat Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff schon bei den deutsch-französischen Gipfelkonsultationen am 21. und 22. Oktober gegenüber seinen französischen Gesprächspartnern unsere Bedenken vorgebracht.
Der Präsident der Europäischen Kommission hat inzwischen mitgeteilt, daß gegen diese französische Importrestriktion das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 des EWG-Vertrags eingeleitet worden ist.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie meinen, es sei über protektionistische Praktiken nicht direkt Druck ausgeübt worden, möchte ich fragen: Liegen Ihnen Informationen über die Stückzahlen der von Grundig importierten Videorecorder in Frankreich vor, aus denen zumindest ein indirekter Druck hervorgeht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Derartige Zahlen liegen mir nicht vor. Ich werde aber gerne versuchen, sie zu beschaffen, und werde Ihnen darüber eine Mitteilung zukommen lassen. An meiner gegebenen Antwort ändert sich dadurch allerdings nichts.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie bei der Vorbereitung der Gespräche des Bundeskanzlers mit dem französischen Staatspräsidenten dazu beitragen, daß auch diese Probleme besprochen werden, die — jedenfalls in der deutschen Öffentlichkeit — zusätzliche Bedenken gegen eine europäische Zusammenarbeit auf diese Weise hervorrufen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin ganz sicher, daß diese Fragen eine wichtige Rolle spielen werden, wobei ich hinzufüge, daß die öffentliche Erörterung von Meinungsverschiedenheiten — jedenfalls, soweit sie zwischen Regierungen bestehen — im allgemeinen der Sache nicht förderlich ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Staatssekretär, unterstellt, daß der Konzern Thomson-Brandt materielles Interesse an der unerträglichen Behinderung des Imports von Videogeräten durch das geschilderte Verfahren hat: könnten Sie sich vorstellen, daß dieses materielle Interesse sinkt, wenn die hier diskutierte Fusion zustande kommt?
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht auszuschließen, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, Ihr Haus — ich meine auch Bundeskanzler Kohl — hat sich bisher immer gegen irgendwelche Verstaatlichungstendenzen ausgesprochen. Sehen Sie denn eine Verstaatlichung durch den französischen Staatskonzern Thomson-Brandt als weniger gravierend an als möglicherweise eine Verstaatlichung durch die deutsche Bundesregierung?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben verstaatlichte Unternehmen nie als Vorteil für marktwirtschaftliche Politik gesehen, sondern waren hier im Gegenteil immer sehr zurückhaltend. Wir sind allerdings nicht der Meinung, daß wir anderen Regierungen die Politik vorschreiben können. Verstaatlichte Unternehmen oder im Staatsbesitz befindliche Unternehmen haben sich in vielen Fällen auch bei uns im Markt durchaus bewährt — unter der Voraussetzung, daß die Politik auf diese Unternehmen keinen Einfluß in dem Sinne genommen hat, daß etwa politische Vorgaben gemacht worden sind. Ich würde in einer Beteiligung eines französischen Unternehmens in Staatsbesitz keinen Hinderungsgrund sehen, eine solche Beteiligung zu begrüßen, wenn sichergestellt ist, daß dieses Unternehmen sich im Markt so bewegen kann,
) wie es die marktwirtschaftliche Ordnung und die internationale Arbeitsteilung vorschreiben. In dem Augenblick, in dem etwa staatliche Industriepolitik oder staatliche Arbeitsmarktpolitik als Auflage von einer Regierung einem solchen Unternehmen gegeben würde, würde ich eine andere Bewertung vornehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Cronenberg, daß es ja nach wirtschaftlichem Ermessen dahin kommen müßte, daß die Behinderung der Importe von Grundig nach Frankreich im Video-Bereich dann aufhören würden, frage ich Sie: Würden Sie die logische Konsequenz daraus ziehen, daß es dann ja wohl das beste wäre, Grundig nach Frankreich zu verkaufen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein. Diese Konsequenz würde ich daraus nicht ziehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Staatssekretär, unterstellt, es kommt zu einem Antrag in dem Fusionsverfahren. über den das Bundeskartellamt oder möglicherweise der Bundeswirtschaftsminister zu entscheiden her Halten Sie es für zulässig, daß das Bundeskartellamt oder der Bundesminister für Wirtschaft die Tatsache, daß einer der Antragsteller ein verstaatlichtes Unternehmen ist, überhaupt in
dem Antragsverfahren oder in dem Entscheidungsverfahren berücksichtigt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nur im Verfahren einer etwaigen Ministererlaubnis, wo j a eine Ausnahmeentscheidung nach einem ablehnenden Spruch des Bundeskartellamts dann möglich wäre, wenn die Fusion für die Struktur unserer Volkswirtschaft als förderlich angesehen werden kann — neben anderen Voraussetzungen —, würde diese Frage sicher eine Rolle spielen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dolata werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Stutzer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Die Frage 5 des Abgeordneten Immer soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Jäger auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen oder wird sie noch ergreifen, um den obsterzeugenden Landwirten angesichts der bedrückenden Einkommenssituation in der Landwirtschaft bei der Verwertung und Vermarktung der überreichen Obsternte dieses Herbstes zu helfen?
Herr Kollege, wie Bundesminister Ertl bereits in seiner Antwort auf eine entsprechende Frage des Kollegen Schartz ausgeführt hat, stehen zur Sicherung des Absatzes des in den Europäischen Gemeinschaften erzeugten Obstes die Instrumente der gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse sowie für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse zur Verfügung. Diese werden auch in der Bundesrepublik Deutschland voll ausgeschöpft. Ich darf an die positiven Auswirkungen erinnern, die sich aus der vom Ministerrat beschlossenen Anhebung der beihilfebegünstigten Menge von Kirschen in Sirup ergeben haben. Auf Drängen der Bundesregierung hat die EG-Kommission die Mitgliedstaaten auch in diesem Jahr zur Durchführung von vorbeugenden Rücknahmen bei Äpfeln und Birnen ermächtigt. In der Bundesrepublik Deutschland wird hiervon Gebrauch gemacht.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus zugelassen, daß die betreffenden Brennereien im laufenden Wirtschaftsjahr im Vorgriff auf den am 1. Okto-
Parl. Staatssekretär Gallus
ber 1983 beginnenden zehnjährigen Abschnitt Obst verarbeiten dürfen, und zwar bis zu 0,5 hl bzw. 1 hl Alkohol. Die CMA führt Sondermaßnahmen zur Förderung des Apfelabsatzes durch. Den Erzeugerorganisationen steht darüber hinaus der mit finanzieller Unterstützung des Bundes gegründete Fonds der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse zur Verfügung.
Im übrigen haben die beteiligten Wirtschaftskreise ermäßigte Transporttarife für Verarbeitungsobst, befristet bis zum 31. Dezember 1982, eingeführt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie in der langen Liste der Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen wird oder schon ergriffen hat, auch steuerliche Maßnahmen der Monopolverwaltung erwähnt haben, darf ich Sie zusätzlich fragen, ob hinsichtlich der aus der Landwirtschaft an die Bundesregierung herangetragenen Wünsche bei der Festlegung der Höhe des Ausbeutesatzes für die Abfindungsbrennereien ebenfalls mit einer positiven Entscheidung, die zumindest zu einer Nichterhöhung führt, gerechnet werden kann.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage gehört nicht in unser Ressort, sondern betrifft den Finanzminister. Aber weil wir das gemeinsam machen, kann ich Ihnen sagen, daß wir übereingekommen sind, die Frage der Erhöhung der Ausbeutesätze vorerst nicht mehr weiter zu verfolgen. Hier müssen noch eine ganze Reihe Fragen abgeklärt werden.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Darf ich aus dieser Antwort schließen, Herr Staatssekretär, daß im Augenblick jedenfalls mit einer weiteren Erhöhung der Ausbeutesätze nicht gerechnet werden muß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Oostergetelo auf:
Teilt die Bundesregierung meine Befürchtung, daß auf Grund der enormen Rückgänge bei den Anbauflächen für Roggen in der Bundesrepublik Deutschland die noch vorhandene Vielfalt im Brotangebot gefährdet sein kann, und was gedenkt die Bundesregierung bejahendenfalls gegen die beschriebene Entwicklung zu unternehmen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Anbauflächen von Roggen sind langfristig tatsächlich stark zurückgegangen. Bei einer Ernte von 1,6 und einer Vermahlung von 1 Million Tonnen ist die Versorgung derzeit aber noch gesichert. Es ist nicht zu erwarten, daß sich die bisherige Entwicklung gleichermaßen fortsetzt. Denn der Markt wird auf die sich ändernden Verhältnisse reagieren. Die Erzeuger haben den Anteil der Erntemengen, den sie verkaufen, bereits spürbar erhöht. Bei einem weiteren Rückgang des Anbaus würden sich höhere Marktpreise einstellen. Dies hat sich regional jetzt schon
gezeigt. Nach Auffassung der Bundesregierung bietet die Marktordnung bei Roggen ausreichenden Spielraum für eine Ausrichtung des Marktes nach Angebot und Nachfrage. Die beteiligten Wirtschaftskreise, Landwirte, Händler, Genossenschaften und Mühlen, sollten sich hierauf einstellen und die Marktversorgung gemeinsam längerfristig planen. Dazu gehört z. B. der Abschluß von Anbau- und Lieferverträgen, gegebenenfalls unter Einschaltung von Erzeugergemeinschaften.
Zusätzliche Maßnahmen im Rahmen der Marktordnung, z. B. einen gegenüber den anderen Getreidearten höheren Interventionspreis für Roggen, hält die Bundesregierung zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Mühlen nicht für notwendig.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie selber zugestehen, daß der Rückgang der Roggenanbauflächen enorm ist: Wäre es nicht sinnvoll, dennoch Roggen dem Weizen bei Preisgestaltungen gleichzustellen, zumal Roggen in der Regel auf mageren Böden wächst, so daß dieser Preis auch den benachteiligten Gebieten zugute käme?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir halten das für falsch. Wenn ein Mehrbedarf an Brotroggen tatsächlich besteht, dann wird sich auch — entsprechend dem Markt — der Preis für Brotroggen frei nach oben gestalten.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Bäcker und die Brotindustrie heute schon sehr klagen, frage ich Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um beispielsweise im Forschungsbereich bessere Sorten heranzuzüchten, die nicht nur besser lagerfähig, sondern auch weniger auswuchsanfällig sind, um dem Bäckerhandwerk und der Brotindustrie besseren Brotroggen zur Verfügung zu stellen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Züchtung von Getreidesorten ist nicht in erster Linie Aufgabe der Bundesforschung. Sie steht hier nur helfend zur Seite; das wird auf privater Basis getätigt. Wenn es so ist, wie wir wissen und wie Sie auch vermuten, daß mehr Brotroggen gebraucht wird und der Preis nach oben geht, dann bin ich sicher, daß auch die züchterische Bearbeitung des Roggens eine höhere Intensität erfahren wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Lutz auf:
In welchem Umfang sind die Ausgaben der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1. Januar 1972 und 31. Dezember 1976 sowie zwischen 1. Januar 1977 und 31. Dezember 1981 prozentual angestiegen, und wie hat sich in den gleichen Zeiträumen die Grundlohnsumme entwikkelt?
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Herr Kollege, die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind je Mitglied zwischen 1972 und 1976 um rund 15,2 % jährlich und von 1977 bis 1981 um rund 7 % jährlich gestiegen. Die Grundlohnsumme je Mitglied stieg von 1972 bis 1976 um rund 9% jährlich sowie um rund 5,7 % jährlich im Zeitraum von 1977 bis 1981.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie einen Überblick, ob sich die Ausgabensteigerungen in der privaten Krankenversicherung etwa in den gleichen Sprüngen vollzogen haben, oder gibt es da gravierende Unterschiede?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Steigerungsraten der Ausgaben in der privaten Krankenversicherung lagen etwas über den Steigerungsraten bei der gesetzlichen Krankenversicherung, aber nur geringfügig, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sich diesen Unterschied erklären, wenn Ihre Partei unterstellt, daß bei Selbstbeteiligung die Kosten geringer sein müßten, d. h. die Ausgaben in der privaten Krankenversicherung niedriger liegen müßten als in der gesetzlichen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es liegen uns keine gesicherten Untersuchungen darüber vor, wie und in welchem Umfang die medizinische Entwicklung auf die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung durchschlägt. Wir haben gute Erkenntnisse über die finanzielle Entwicklung, aber eben nicht über die Auswirkungen der medizinischen Entwicklung auf die finanzielle Entwicklung.
Im übrigen will ich darauf verweisen, daß wegen des Kostenanstiegs auch in der privaten Krankenversicherung die ärztliche Gebührenordnung geändert worden ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, da häufig von überzogener Anspruchsmentalität und Mißbrauch in der gesetzlichen Krankenversicherung gesprochen wird, möchte ich Sie fragen, ob Sie aus dem Rückgang der Kostensteigerungsraten auch herauslesen, daß überzogene Anspruchsmentalität und Mißbrauch durch die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zurückgegangen sind.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Es sind sehr viele Gründe für die genannten Entwicklungen in den Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblich. Ich würde mit Blick auf eine Frage zur Lohnfortzahlung, die dieses Haus schon einmal befaßt hat, sagen, daß wie jedes Gesetz natürlich auch die gesetzlichen Bestimmungen zur Krankenversicherung mißbräuchlich genutzt wer-
den können. Aber es liegen keine gesicherten Erkenntnisse über das Ausmaß von Mißbrauch vor.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, in früheren Diskussionen wurde dieser Kostenanstieg in der gesetzlichen Krankenversicherung von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion gelegentlich auf gesetzliche Leistungsausweitungen zurückgeführt. Da Sie hier gerade die Entwicklung für die gesetzliche wie für die private Krankenversicherung dargelegt und erklärt haben, daß der Anstieg in der privaten Krankenversicherung noch höher sei: Sind Sie bereit, zuzugestehen, daß das damals gebrauchte Argument nicht zutreffend sein kann?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie werden aus meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Lutz unschwer haben erkennen können, daß wir zwischen 1972 und 1976 und zwischen 1977 und 1981 unterschiedliche Entwicklungen gehabt haben, in dem erstgenannten Zeitraum einen steileren Anstieg in den Leistungsausgaben, danach einen gebremsten Anstieg. Hierfür spielen viele Gründe eine Rolle. Fragen Ihrer Kollegen, die gerade zu diesem Komplex gestellt worden sind, werden im Rahmen dieser Fragestunde noch aufgerufen werden. Dann werde ich im Detail auf die Ursachen zurückkommen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Kostenentwicklung in den Ländern, in denen es im staatlichen System der Krankenversicherung Kostenbeteiligungen gibt, im Verhältnis zu der Entwicklung bei uns?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wir beurteilen das nicht günstig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß gerade in dem von Ihnen angesprochenen ersten Zeitraum mit den hohen Steigerungsraten besonders kostenträchtige gesetzliche Maßnahmen wie z. B. die Einführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes eine große Rolle spielten, aber auch die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Sozialgesetzgebung wie z. B. Einführung von Zahnersatz als Regelleistung?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nur bestätigen, was Sie in Ihrer Frage als Tatsache feststellen, und hinzufügen, daß wir natürlich auch im Bereich der Rehabilitation in dem genannten Zeitraum einen erheblichen Leistungsanstieg und damit entsprechende Leistungsausgaben festzustellen hatten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cronenberg.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8189
Herr Staatssekretär, Sie haben dargelegt, daß sich die Beitragssteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung anders entwickelt haben als in der privaten Krankenversicherung. Halten Sie einen solchen Vergleich überhaupt für zulässig, oder ist es nicht vielmehr richtig, daß diese Steigerungen in der privaten Krankenversicherung von einem ganz anderen Niveau ausgehen, so daß hier im Grunde genommen Äpfel mit Birnen verglichen werden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Stellung genommen im Zusammenhang mit einer Frage, die sich auf den Anstieg der Ausgaben bezogen hat und nicht auf die Entwicklung der Beiträge in beiden Versicherungssystemen. Im übrigen bedarf es natürlich einer ganz sorgfältigen Untersuchung, inwieweit Entwicklungen in einem privaten Krankenversicherungssystem vergleichbar sind mit der Entwicklung in einer gesetzlichen Krankenversicherung.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Lutz auf:
Welche Steigerungsraten weist der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1. Januar 1972 und 31. Dezember 1976 sowie zwischen 1. Januar 1977 und 31. Dezember 1981 auf, und wie haben sich innerhalb dieses Zeitraums die durchschnittlichen Beitragssätze in den verschiedenen Kassenarten entwickelt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung betrug im Jahresdurchschnitt 1972 8,39 v. H. und stieg im Jahresdurchschnitt 1976 auf 11,29 v. H. Das entspricht einem Anstieg von 2,9 Beitragssatzpunkten. Zwischen 1977 und 1981 stieg der Beitragssatz im Jahresdurchschnitt von 11,37 v. H. auf 11,79 v. H. Das entspricht einem Anstieg von 0,42 Beitragssatzpunkten.
Bei den einzelnen Kassenarten ist die Entwicklung unterschiedlich verlaufen, jedoch ist übereinstimmend ein flacherer Anstieg des Beitragssatzes in der Zeit von 1977 bis 1981 festzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz, bitte.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielte eigentlich darauf ab, zu erfahren, ob sich die Beitragssätze beispielsweise bei den AOK wesentlich stärker nach oben entwickelt haben als bei den Ersatzkassen, oder ob das nicht der Fall ist.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen auf die Frage nach der unterschiedlichen Entwicklung des Beitragssatzes bei den einzelnen Kassenarten folgende Antwort geben:
Bei den Ortskrankenkassen stieg der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz bis zum Jahre 1976 um rund 2,92 Beitragssatzpunkte, im Zeitraum von 1977 bis 1981 um 0,71 Beitragssatzpunkte. Bei den Betriebskrankenkassen ist im Zeitraum von 1972 bis 1976 ein Anstieg des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes von 2,38 Beitragssatz-
punkten und von 1977 bis 1981 von 0,30 Beitragssatzpunkten festzustellen. Die Innungskrankenkassen und die Angestellten-Ersatzkassen haben von 1972 bis 1976 den durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz um jeweils drei Beitragssatzpunkte angehoben. In den folgenden Jahren haben die Innungskrankenkassen die Beitragssätze um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht, während die Angestellten-Ersatzkassen ihre Beitragssätze im Zeitraum von 1977 bis 1981 um rund 0,04 Beitragssatzpunkte angehoben haben.
Kann ich, Herr Staatssekretär, aus diesen unterschiedlichen Entwicklungen schließen, daß sich die schwierigen Risiken in zunehmendem Maße bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen sammeln?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aus diesen Angaben können Sie das nicht schließen, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Keller.
Herr Staatssekretär, gibt es schon Anzeichen — wir waren eben bei den bisherigen Beitragsentwicklungen —, daß Kassen und, wenn ja, welche Kassen Beitragssenkungen für das Jahr 1983 beschlossen oder angekündigt haben oder andere Kassen ihre Beitragssätze konstant halten wollen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, wir haben einen gewissen Überblick darüber, daß verschiedene Kassen Beitragssatzsenkungen angekündigt haben, und zwar — wenn ich das einmal global sagen darf — sind es 48 AOKs, etwa 100 Betriebskrankenkassen und 14 Innungskrankenkassen. Ich muß aber der Vollständigkeit halber hinzusagen, daß auch einige Kassen Beitragssatzanhebungen angekündigt haben. Nur ist die Zahl der Kassen, die die Beiträge erhöhen wollen, im Vergleich zu denen, die die Beiträge senken werden, sehr gering. Ich könnte Ihnen das auf die einzelnen Bundesländer verteilt im Detail hier sagen, bin aber aus zeitlichen Gründen auch gern bereit, Ihnen das schriftlich zu geben. Im übrigen bin ich gern bereit, Anfang des Jahres, wenn wir einen vollständigen Überblick haben, auf diese Frage noch einmal zurückzukommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage meines Kollegen Lutz nach den Ursachen nicht hinreichend beantworten konnten, frage ich Sie: Ist die unterschiedliche Beitragssatzgestaltung zwischen den einzelnen Kassenarten trotz vorhandenem Ausgleich u. a. auf das unterschiedliche Maß zu versorgender Rentner zurückzuführen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, Herr Kollege Lutz hatte eine ganz konkrete Frage gestellt, und auf diese ganz konkrete Frage hatte ich eine Antwort gegeben; ein so enger Zusammenhang zwischen Morbidität und Beitrags-
8190 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Parl. Staatssekretär Vogt
entwicklung, wie er ihn festgestellt hat, kann nicht bestätigt werden. Genauso kann ich Ihre Aussage nicht bestätigen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, können Sie uns, da Sie auf die ganz konkreten Ursachen keine konkrete Antwort zu geben in der Lage sind, die von der Bundesregierung angestellten Überlegungen zu den Ursachen für die unterschiedliche Beitragsentwicklung mitteilen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, sowohl für die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung wie spiegelbildlich für die Beitragsentwicklung sind viele Gründe maßgeblich. Das hängt zusammen mit dem Leistungskatalog etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung, das hängt zusammen mit der Zusammensetzung des Versichertenkreises, das hängt zusammen mit dem Verhalten des einzelnen gegenüber der Solidareinrichtung gesetzliche Krankenversicherung, und das hängt nicht zuletzt von einer allgemeinen Entwicklung und der Reaktion der Bürger auf diese Entwicklung ab. Daß der Krankenstand in den letzten Monaten stark gesunken ist, ist sicherlich nicht auf eine gesetzliche Maßnahme zurückzuführen, auch nicht auf das Verhalten der Selbstverwaltungsorgane, sondern darauf, daß der Bürger auf eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung mit der entsprechenden Auswirkung auf Leistungsentwicklung und Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung reagiert. Wir haben also eine Vielzahl von Ursachen für beide Entwicklungen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, da Sie gerade die Frage der Versichertenstruktur angesprochen haben, daß die Versichertenstruktur in den Allgemeinen Ortskrankenkassen für die hinter der Frage des Kollegen Lutz steckende Erklärungsabsicht ausschlaggebend sein könnte und daß sich die Beitragsentwicklung bei den AOKs entgegen Ihrer ursprünglichen Antwort dem Kollegen Lutz gegenüber doch darauf zurückführen läßt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, ich muß darauf hinweisen, daß die wissenschaftliche Untersuchung über den Zusammenhang, nach dem Sie fragen, erst in den Anfängen steckt. Es gibt möglicherweise Tatsachen oder Indizien, die Ihre Frage auf den ersten Blick bestätigen könnten, aber ich möchte Ihre Frage nicht einfach nur auf Grund von Indizien des ersten Blicks beantworten, sondern ich möchte hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages wirklich auf gesicherten Erkenntnissen beruhende Antworten geben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Staatssekretär, Sie gaben an, daß die Ersatzkassen eine besonders niedrige Steigerungsrate des Beitragssatzes in dem zweiten Zeitraum hatten. Ist dies nicht darauf zurückzuführen, daß die Ersatzkassen kurz zuvor sehr hohe Beitragssatzsteigerungen beschlossen hatten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich sind prozentuale Steigerungen jeweils immer von dem Bezugszeitraum abhängig, den man wählt. Die in Ihrer Frage enthaltene Sachaussage kann ich nur bestätigen, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Glombig auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich die Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend stabilisiert hat, und wenn ja, welche Rolle mißt sie bei der Erreichung dieses Ergebnisses den Instrumentarien des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes und des Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetzes zu?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die bisher für das erste Halbjahr 1982 vorliegenden Finanzstatistiken der gesetzlichen Krankenkasssen lassen für das laufende Jahr eine finanziell günstige Entwicklung erwarten.
Der Zuwachs der Ausgaben wird voraussichtlich deutlich unter dem Anstieg der Grundlöhne liegen. Ein ähnlich günstiges Ergebnis ist lediglich im Jahre 1977 erreicht worden, während in den Jahren 1978 bis 1981 jeweils ein teilweise erheblicher Überhang der Ausgaben über die Grundlohnentwicklung eingetreten ist.
Dies hat zu einem Anstieg des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung von 11,26 v. H. im Jahre 1979 auf 12 v. H. zu Beginn dieses Jahres geführt.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich hätte fragen sollen, ob ich die Fragen 10 und 11 gemeinsam beantworten kann.
Dann rufe ich auch die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Glombig auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Ergebnisse bei der Kostendämpfung im Gesundheitswesen hätten erreicht werden können auch ohne die genannten Gesetzes-maßnahmen und ohne die nachhaltige politische Einwirkung auf die Partner der Selbstverwaltung durch frühere Bundesregierungen, und wenn ja, wie?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Frage 11 beantworte ich wie folgt: Die günstige Finanzentwicklung, Herr Kollege, vor allem im Jahre 1977 und im laufenden Jahr 1982, fällt zeitlich zusammen mit dem Inkrafttreten des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes im Jahre 1977 und des Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetzes zum 1. Januar 1982. In diesen Jahren sind auch die kostendämpfenden Maßnahmen der Selbstverwaltung, insbesondere der Selbstverwaltung der Krankenkassen und Ärzte wirksam gewesen. Schließlich spiegelt
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8191
Parl. Staatssekretär Vogt
sich in der Abflachung der Leistungsausgaben die rückläufige gesamtwirtschaftliche Entwicklung wider.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie der Rolle der Selbstverwaltung im Rahmen der Kostenentwicklung eine so große Bedeutung beimessen — ich bin durchaus der Meinung, daß man diese Rolle nicht unterschätzen darf —: Warum hat dann die neue Bundesregierung die gesetzlichen Maßnahmen zur Kostendämpfung gegenüber den Vorstellungen der sozialliberalen Koalition noch verstärkt, insbesondere auch durch eine Verstärkung der Selbstbeteiligungselemente? Sind Sie nicht der Meinung, daß es dann auch überlegenswert wäre, die Elemente der Kostenbeteiligung nicht gesetzlich zu regeln, sondern durch die Selbstverwaltung, und sind Sie nicht der Meinung, daß das auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Entwicklungen der Kosten bei den einzelnen Krankenversicherungsträgern notwendig wäre?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glombig, ich bin zwar der Auffassung — ich habe das in der Beantwortung Ihrer Frage schon gesagt —, daß wir in diesem Jahr eine verhältnismäßig günstige Entwicklung feststellen können, aber das heißt nicht, daß wir in der gesetzlichen Krankenversicherung keine ungelösten Probleme hätten. Niemand gibt die Gewähr dafür, daß sich die Entwicklung des Jahres 1982 in den Jahren 1983 und den folgenden weiter fortsetzt. Wir haben weiterhin — wir kommen im Verlauf dieser Fragestunde auf dieses Thema zu sprechen — beim Kostenanstieg im Bereich der Krankenhäuser sicherlich eine offene Flanke.
Im übrigen hat die neue Bundesregierung die kostendämpfenden Maßnahmen im Saldo nicht wesentlich erhöht, denn sie hat zwar — das ist richtig — die Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt von 7 auf 14 Tage verlängert, dafür hat sie aber die Kinder unter 18 Jahren aus dieser Eigenbeteiligung herausgenommen.
Herr Abgeordneter Glombig zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es dann richtig, bei der Bekämpfung der Kostenentwicklung den Weg der Refinanzierung über die Kostenbeteiligung zu gehen, dabei den Grundsatz der Solidarität zu verletzen und die Lasten nicht auf die Solidargemeinschaft zu verteilen, sondern auf diejenigen, die krank sind, ins Krankenhaus müssen oder aber eine Kur in Anspruch nehmen müssen? Wie ist es unter diesen Umständen mit Ihrer früheren Aussage bestellt, daß eine Kostenbeteiligung quasi eine Sondersteuer darstellt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glombig, die neue Bundesregierung hat hier eine Gesetzgebung fortentwickelt, die diesem Hause von der alten
Bundesregierung vorgelegt worden ist. Das als erstes.
Als zweites kann ich Ihnen sagen, daß mit dem Stichwort der Eigenbeteiligung unterschiedliche Erwartungen geweckt werden. Man kann von der Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen sprechen und das als ein zusätzliches Steuerungselement verstehen sowohl für die Nachfrager als auch für die Anbieter von Gesundheitsleistungen. Ich persönlich bekenne ausdrücklich, daß ich in einer Eigenbeteiligung, die diese Steuerungsfunktion erfüllt, auch im Rahmen einer gesetzlichen Krankenversicherung einen sehr guten und triftigen Grund sehe. Es gibt aber selbstverständlich auch die Möglichkeit, Herr Kollege, unter den Begriff der Eigenbeteiligung Überlegungen zu fassen, wie — abgesehen von dem Beitrag, den jeder Versicherte an die gesetzliche Krankenversicherung abführen muß — die Finanzgrundlagen des Systems der Krankenversicherung durch denjenigen abgesichert werden können, der dieses System in Anspruch nimmt.
Keine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Glombig? — Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie jetzt gerade erklärt haben, die Verdoppelung der Selbstbeteiligung, durch die neue Bundesregierung beabsichtigt und eingebracht, sei keine wesentliche Erhöhung, frage ich Sie, ob Sie sich vorstellen können, daß ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt Ihrer Auffassung völlig konträr gegenübersteht.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, in Ihrer Frage steckt eine Behauptung, die nicht stimmt. Sie sprechen von einer Verdoppelung des Eigenbeitrags zu den Kosten des Krankenhausaufenthalts. Das ist nicht das, was diesem Haus zur Beschlußfassung vorliegt, denn wir haben aus dieser Maßnahme die Kinder unter 18 Jahren herausgenommen. Deshalb ist es nicht tragbar — so möchte ich es formulieren —, wenn Sie hier von einer hundertprozentigen Anhebung dieses Eigenbeitrags sprechen. Sie vermitteln der Öffentlickeit einen Eindruck, der mit dem, was hier zur Gesetzgebung vorliegt, nicht in Übereinstimmung steht.
Herr Abgeordneter Dreßler zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf die Kinder ausklammern und Sie noch einmal fragen: Können Sie sich vorstellen, daß ein Arbeitnehmerhaushalt mit durchschnittlichem Einkommen ohne Kinder, bei dem der Alleinernährer nach Ihrer Meinung im Rahmen der Selbstbeteiligung einen doppelt so hohen Anteil zu tragen hat, Ihre These, das sei keine wesentliche Erhöhung, mit Blick auf seinen Geldbeutel nicht teilen kann?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dreßler, ich habe gesagt, daß wir die Gesetzgebung, die Sie in diesem Hause eingeführt haben, nicht wesentlich verändert haben. Ich habe nicht von der Höhe des
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Parl. Staatssekretär Vogt
Beitrages selbst gesprochen, als ich von der nicht wesentlichen Erhöhung sprach. Außerdem darf ich Sie darauf hinweisen, daß in dem Gesetzgebungsvorhaben auch Härteregelungen enthalten sind. Das ist Ihnen sicherlich so gut bekannt wie mir.
Herr Abgeordneter Keller zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn in der Gesundheitspolitik das Prinzip der Solidarität eine entscheidende Rolle spielt: Sind Sie mit mir der Meinung, daß dabei auch das Prinzip der Subsidiarität im Hinblick auf Selbstverwaltung der Kassen und im Hinblick auf Eigenverantwortung des einzelnen nicht außer acht gelassen werden darf?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung die Entscheidungsbereiche für die Selbstverwaltung ausgeweitet werden sollten. Wir tun erste Schritte in diese Richtung. Diese Politik wird von der Bundesregierung weiter verfolgt werden. Ich bin sicher, daß diese Politik mit dazu beitragen wird, neben einem verbesserten gesundheitlichen Angebot auch die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen noch etwas stärker unter Kontrolle zu halten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Herr Staatssekretär, nachdem hier vom Herrn Kollegen Glombig das Prinzip der Solidarität angesprochen wurde, frage ich Sie: Beinhaltet das Prinzip der Solidarität im Bereich der Krankenversicherung, daß hier alles, was machbar ist, gezahlt wird, oder bedingt es nicht vielmehr, daß das Notwendige und das, was zu finanzieren möglich ist, getragen wird, während das, was dem einzelnen — um auch noch auf die Subsidiarität zu sprechen zu kommen — aufgetragen werden kann, auch von ihm getragen wird? Meine zweite Zusatzfrage: Beinhaltet das Prinzip der Solidarität auch nicht, daß nicht nur die Gemeinschaft dem einzelnen gegenüber, sondern daß auch der einzelne der Gemeinschaft gegenüber Pflichten hat und daß er die Gemeinschaftsleistungen nicht überfordert?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Bekker, ich würde Ihnen ausdrücklich in dem zustimmen, was Sie in Ihrer zweiten Frage formuliert haben. Das Prinzip der Solidarität verpflichtet den einzelnen, im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu den Aufgaben, die gemeinschaftlich erfüllt werden, seinen Beitrag zu leisten. Es verpflichtet ihn aber auch, diese gemeinschaftlichen Aufgaben nicht ungebührlich, nämlich dort, wo er die Aufgabe selbst wahrnehmen könnte, auszuweiten. Wer solidarische Sicherungssysteme in dem Sinne ausnutzt und für sich nutzt, daß er auf die Gemeinschaft etwas überträgt, was er selbst bewältigen kann, handelt unsolidarisch.
Als Zweites — um auf Ihre erste Frage einzugehen — kann ich sagen, daß mit dem Prinzip der Solidarität natürlich das Prinzip der Eigenverantwortung in Übereinstimmung gebracht werden kann und muß. Konkret gibt es kein Gesundheitssystem und kann es kein finanzierbares Gesundheitssystem geben, auf das alle gesundheitlichen Beschwerden abgewälzt werden.
Wir brauchen eine Begrenzung und eine Konzentration der gesundheitlichen Leistungen auf das, was die gesetzliche Krankenversicherung und die private Krankenversicherung tun können.
Aber wir können nicht jedes Beschwernis physischer oder psychischer Natur auf die gesetzliche Krankenversicherung abwälzen, weil dann dieses System nicht mehr finanzierbar ist.
Auch unter den Protesten meiner sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen will ich nur darauf hinweisen, daß derjenige, der der gesetzlichen Krankenversicherung den Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation zugrunde legt, die Axt an die Finanzierbarkeit dieses .System sozialer Sicherung anlegt. Diesen Weg wird die neue Bundesregierung nicht gehen, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter Egert zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe mit zunehmendem Befremden gehört, was Sie hier über Subsidiarität sagen. Sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie ein in einem Jahrhundert gewachsenes Versicherungsprinzip in der Sozialversicherung, nun wirklich revolutionär verändern wollen? Und wenn wir über Subsidiarität hier reden, wäre dann nicht gleichzeitig der Sozialhilfeminister verpflichtet, mindestens anwesend zu sein; denn dort war dies bisher ein Prinzip. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, daß diese Bundesregierung die hundertjährige Geschichte der Sozialversicherung ändern will.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege Egert, zuerst einmal haben Persönlichkeiten, von denen ich sage würde, daß sie in meiner geistigen und politischen Tradition stehen, dieses System der sozialen Sicherheit geschaffen und weiter fortentwickelt. Wir werden es auch in der Zukunft im Geiste der Schöpfer dieses Sozialversicherungssystems weiter fortentwickeln. Machen Sie sich darüber bitte wirklich keine Sorgen!
Herr Abgeordneter Egert zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Ausführungen auf die Frage meines Kollegen Glombig nach der Selbstbeteiligung und Möglichkeiten, solches in der Satzung aufzunehmen, habe ich nicht verstanden. Ich frage Sie, ob Sie zu Ihrer Aussage
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8193
Egert
stehen, daß die Selbstbeteiligung eine unzulässige Sondersteuer ist.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich habe auf die Frage des Kollegen Glombig dargestellt, was sich an Vorstellungen hinter dem Begriff der Selbstbeteiligung versteckt, was dahinter verstanden werden kann. Ich habe diesen Bemerkungen,
Herr Kollege Egert, nichts hinzuzufügen. Es gibt auch die Vorstellung, mit der Eigenbeteiligung die finanziellen Grundlagen des Systems der sozialen Sicherung weiterhin zu gewährleisten. Ich sage — das ist meine Position —: Ich hänge mehr der Idee an, mit der Selbstbeteiligung neue Steuerungselemente in das System der gesetzlichen Krankenversicherung einführen zu können. Daß das mit finanziellen Auswirkungen verbunden ist, liegt natürlich auf der Hand, Herr Kollege.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß sich die SPD von der geplanten Kostenbeteiligung distanziert hat? Und wollen Sie hier zugestehen, daß die neue Bundesregierung diese Elemente in der Länge verdoppelt hat? Können Sie mir außerdem einmal erklären, welches wirtschaftliche Steuerungsinstrument diese geplante Selbstbeteiligung nach Ihrer Auffassung ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe natürlich mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie sich von einem Teil des Gesetzgebungsvorhabens, welches Sie in dieses Hohe Haus eingebracht haben, distanzieren. Ich will aber auch darauf hinweisen — zu Ihrer persönlichen und auch zur Erinnerung der Öffentlichkeit —, daß Sie sich von der Erhöhung der Rezeptblattgebühr, die ebenfalls ein Element der Selbstbeteiligung ist, natürlich nicht distanziert haben, sondern diese weiter tragen wollen. Ich darf Sie daher bitten, bei Ihren Einlassungen zur Selbstbeteiligung doch wirklich so differenziert vorzugehen, wie Sie es in diesem Hause bisher getan haben.
Herr Abgeordneter Kirschner zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich wiederhole meine Frage: Können Sie mir erklären, inwieweit nach Ihrer Auffassung die Selbstbeteiligung ein wirtschaftliches Steuerungsinstrument im Sinne von Kostendämpfung und nicht im Sinne von Verlagerung auf die Versicherten ist? Und würden Sie mir bitte auch die von Ihnen dargelegte Härteregelung interpretieren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werden die jetzt im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehene Maßnahme in einem angemessenen Zeitraum überprüfen. Wir bewegen uns derzeit auf dem Feld der Spekulation, welche Wirkung diese Form der Selbstbeteiligung hat. Sie arbeiten mit Annahmen, die anderen arbeiten ebenfalls mit Annahmen. Wir
werden nach einer guten Zeit der Erfahrung sehen, welche Konsequenz dies haben wird. Wir werden dann über den Sinn und die mögliche Veränderung dieser Maßnahme neu zu beraten haben.
Zusätzlich haben Sie nach der Härteregelung gefragt. Dazu ist zu sagen, daß die Selbstbeteiligung nur einmal im Jahr verlangt werden kann.
Frau Abgeordnete Steinhauer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie einen Krankenhausaufenthalt als ungebührlich bezeichnet haben, frage ich: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eine Verdoppelung der Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt — nämlich von 7 auf 14 Tage, also eine Steigerung um 100% — als unwesentlich bezeichnen? Was ist denn nach Ihrer Auffassung wesentlich, wenn es schon 100 % nicht sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Verehrter Frau Kollegin, auch durch Wiederholung einer Frage, in der ein falscher Aussageinhalt steckt, wird die Frage nicht richtig.
Ich habe dem, was ich vorhin auf eine Frage Ihres Kollegen geantwortet habe, nichts hinzuzufügen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Also ich möchte noch einmal genau wissen: hundert Prozent ist nach Ihrer Auffassung nicht wesentlich?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Liebe Frau Kollegin, ich darf Sie bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß zwar die Zeitdauer von sieben Tagen auf vierzehn Tage verlängert worden ist, daß aber aus dieser Maßnahme die Kinder unter 18 Jahren herausgenommen worden sind. Wenn Sie dies vollständig sagen, bestätige ich Ihnen auch, daß dies unsere Absicht ist.
Herr Abgeordneter Keller, Sie haben sich zu einer zweiten Zusatzfrage gemeldet. Bitte!
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die beiden Prinzipien Solidarität und Subsidiarität im Gesundheitswesen kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch bedeuten, weil sie vom gleichen Menschen ausgehen und auf den gleichen Menschen ausgerichtet sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Keller, ich kann bestätigen, daß nach meiner Kenntnis dessen, was christliche und katholische Soziallehre zu den beiden Prinzipien aussagen, diese in einem korrespondierenden Verhältnis und nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen. Im übrigen wäre es natürlich sehr interessant, im Rahmen eines Seminars vertieft in die Gedankenführung der Vertreter der Idee der Subsidiarität und der Solidarität hier einzuführen.
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Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Ausführung vorhin über den Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation so interpretieren, daß für Sie der Inhalt des Krankheitsbegriffs von den Möglichkeiten abhängig ist, die Heilung der Krankheit zu finanzieren?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, ich darf Sie doch noch einmal bitten, wirklich davon Kenntnis zu nehmen, was ich gesagt habe. Ich habe nämlich gesagt, wenn wir den Gesundheitsbegriff dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterlegen, haben wir in die gesetzliche Krankenversicherung einen Gesundheitsbegriff eingeführt, der nicht mehr solidarisch zu finanzieren ist. Nichts mehr und nichts weniger habe ich gesagt. Aber bei dem, was ich gesagt habe, bleibe ich selbstverständlich.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Maßnahmen der neuen Bundesregierung insoweit im Widerspruch zum Subsidiaritätsbegriff der katholischen Soziallehre stehen, als dieser Subsidiaritätsbegriff sich gerade als staatliche Hilfe zur Selbsthilfe definiert und daß davon überhaupt keine Rede mehr sein kann bei Familien, beispielsweise einer kurzarbeitenden Stahlarbeiterfamilie, bei denen etliche Maßnahmen der neuen Bundesregierung zusammentreffen, etwa Krankenhauskostenbeteiligung auf 14 Tage, etwa Mehrwertsteuererhöhung, etwa Streichung im BAföG-Bereich?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Frage beweist mir, daß es sicherlich notwendig wäre, sich über den Begriff der Subsidiarität hier zu unterhalten und Einigkeit zu erzielen. Denn was Sie dem Subsidiaritätsbegriff hier angetan haben, ist, gelinde gesagt, ein Zerrbildzeichnen. Es kommt nicht nur auf die staatliche Hilfe zur Selbsthilfe an, es ist nicht nur ein Prinzip, das das Verhältnis zwischen Staat und dem einzelnen Bürger charakterisiert oder umgekehrt. Sie lassen etwa den gesamten Bereich der freien gesellschaftlichen Kräfte, der Selbstverwaltung aus diesem Begriff der Subsidiarität und der Zuordnung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten heraus, was mir eben zeigt, daß Sie einen Subsidiaritätsbegriff entwickelt haben, der sicherlich einmalig ist, aber, ich glaube, auch einmalig bleiben wird.
Meine Damen und Herren, wir haben uns sehr weit von den Ausgangsfragen entfernt. Ich wäre dankbar, wenn wir wieder etwas näher zu den Ausgangsfragen Zusatzfragen stellen würden, zumal da ja zu diesem Thema schon die Durchführung einer Aktuellen Stunde angemeldet ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, ich will die Ermahnung des Herrn Präsidenten gern beherzigen. Deswegen frage ich zum viertenmal und sehr einfach: Stammt von Ihnen der Satz: „Die Selbstbeteiligung ist eine unzulässige Sondersteuer", ja oder nein?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, ich habe von dem, was ich dazu gesagt habe, nichts wegzuschieben und dem nichts hinzuzufügen. Meine Meinung bleibt, unabhängig von einem Datum, im Unterschied zu Ihrer Meinung zur Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt.
Herr Abgeordneter Heyenn zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, Sie seien heute nicht in der Lage, die finanziellen Auswirkungen der Selbstbeteiligung und die ordnungspolitische Bedeutung der Selbstbeteiligung zu konkretisieren, und Aussagen darüber mit dem Hinweis verweigern, dies sei reine Spekulation, darf ich Sie dann fragen, warum Sie dies einführen wollen.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heyenn, wir haben die finanziellen Auswirkungen dieser Selbstbeteiligung durchaus exakt benannt und beziffert. Die finanziellen Auswirkungen dieser Selbstbeteiligung werden in der Größenordnung von 280 Millionen DM bei Krankenhausaufenthalt und 20 Millionen DM bei der Zuzahlung zu Kuren beziffert. Dies liegt fest. Ich habe nur vorhin gesagt, wie sich die Bürger nach Einführung dieser Selbstbeteiligung verhalten werden, dies ist jetzt nicht abschätzbar, dies ist nicht kalkulierbar. Darauf bezog sich auch die Frage Ihres Kollegen und nicht darauf, was Sie jetzt in diese Frage bzw. in meine Antwort hineingelegt haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Neumeister.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Selbstbeteiligung im Krankenhaus gerade angesichts der zunehmenden Selbsteinweisungsfälle doch einen Steuerungseffekt im Hinblick auf Kostendämpfung haben könnte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich würde hier wieder antworten wollen: wir werden die Auswirkung dieser Maßnahme sorgfältig prüfen müssen. Dann wird sich auch feststellen lassen, ob die Erwartungen, die Sie zum Ausdruck gebracht haben und für die natürlich auch etwas spricht, sich einstellen werden oder nicht.
Herr Abgeordneter Stahl zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage der Kollegin Steinhauer gesagt, daß eine Steigerung um 100 % — hier ging es um die künftige Selbstbeteiligung, wenn jemand im Krankenhaus liegt — für den Betroffenen „unwe-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8195
Stahl
sentlich" sei. Würden Sie dem Bundestag einmal in der Fragestunde darstellen, welche Steigerungssätze die neue Bundesregierung, bezogen auf die Belastung der Bürger in Prozentzahlen, als „wesentlich" bezeichnen würde, wenn Sie bei 100 % sagen, dies sei „unwesentlich".
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, auch hier darf ich zuerst antworten, daß eine Aussage durch Wiederholung nicht wahrer wird. Ich habe nicht gesagt, daß die Erhöhung der Zahl der Tage von 7 auf 14 „unwesentlich" sei, sondern ich habe gesagt, daß etwas, was Sie hier im Haus eingebracht haben, nicht wesentlich verändert worden ist; denn wir haben auf der einen Seite die Zahl der Tage erhöht, und wir haben auf der anderen Seite die Kinder herausgenommen. Wenn Sie immer nur auf den einen Punkt hin argumentieren, sagen Sie nicht die volle Wahrheit dessen, was hier durch die neue Bundesregierung in die Gesetzgebung hineingebracht worden ist.
Herr Abgeordneter Stahl zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich würde Sie herzlich bitten, doch für die Bundesregierung diese Frage zu beantworten, ab welchem Prozentsatz Sie eine Erhöhung als „wesentlich" bezeichnen würden, wenn man eine solche vornimmt. Liegt bei Ihnen das, was Sie jetzt als wesentlich bezeichnen würden, bei 10 %, liegt er bei 250 % oder gar bei 300 %?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben hier durch Ihre Gesetzgebung ein Prinzip eingeführt, nämlich das Prinzip der Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalten. Dieses Prinzip haben wir nicht verändert. Von daher haben wir auch keine wesentliche Veränderung vorgenommen. Wir haben eine Veränderung bei der Zahl der Tage vorgenommen und haben die Kinder aus der Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt herausgenommen. Sie können hier nicht die Fortentwicklung, die Veränderung eines Prinzips als etwas wesentlich Neues darstellen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie dann wenigstens zugestehen, daß, wenn es auch im selben Prinzip bleibt, die Verdoppelung der Quantität eine neue Qualität des Prinzips bedeutet?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege, die Einführung von Tagen der Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt, nämlich statt null sieben Tage, ist eine prinzipiell neue Maßnahme. Wir haben dieses Prinzip nicht wesentlich geändert, sondern haben es fortgeführt. Wenn etwas Wesentliches geschehen ist, dann durch das, was die alte
Regierung hier als Gesetzgebung in dieses Haus hineingegeben hat.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, teilen Sie dann wenigstens meine Sorge, daß diese Erhöhung der Selbstbeteiligung angesichts des ohnehin schon niedrigen Krankenstandes in den Betrieben ebenfalls dazu beitragen könnte, daß unsere arbeitende Bevölkerung zuwenig für ihre Gesundheit tut?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der niedrige Krankenstand, den wir heute festzustellen haben, hat sicherlich verschiedene Ursachen. Möglicherweise kommt hier die Sorge der Arbeitnehmer zum Ausdruck, daß ihr Arbeitsplatz dadurch gefährdet sein könnte. Um auf Ihre Frage eine Information zu geben: Wir haben festzustellen, daß sich zwar die Zahl der Krankheitsfälle nicht verringert hat, wohl aber die Zahl der Krankheitstage. Das heißt, daß eine Krankheit möglicherweise nicht völlig ausgeheilt wird — möglicherweise, ich unterstelle das einmal als Hypothese. Wir werden es noch genau zu untersuchen haben. Ich gehe nicht davon aus, daß das, was hier bei Krankenhausaufenthalten als Eigenbeteiligung von uns fortentwikkelt worden ist, die Auswirkungen haben wird, von denen Sie gesprochen haben. Um nochmals auf die Prozentrechnungen Ihrer Kollegen zurückzukommen, darf ich Sie fragen, wie Sie die Einführung von Tagen der Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalten von null auf sieben Tage in Prozentsätzen festgelegt haben möchten. Dann stelle ich gern meinen Prozentsatz gegen Ihren Prozentsatz. Dann können wir quantitativ wie qualitativ abwägen.
Frau Abgeordnete Dr. Lepsius zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hier ist vorhin unwidersprochen der Begriff der Selbsteinweisung in das Krankenhaus gefallen. Könnten Sie mir erläutern, wie das geschehen soll, ob das mit Rückendeckung von Ärzten erfolgt, und wie sich eigentlich Versicherte selber ins Krankenhaus einweisen können?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Dies sind Vorgänge, die etwa an Wochenenden oder bei Notfällen eintreten,
wo derjenige, der eine ärztliche Leistung in Anspruch nehmen will, sich unmittelbar zum Krankenhaus begibt und dort die Leistungen in Anspruch nimmt. Wir stellen fest, daß sich solche Fälle häufen.
Frau Abgeordnete Dr. Lepsius zu einer weiteren Zusatzfrage.
8196 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit unterstellen, daß Ärzte, die ambulant Versicherte in Krankenhäuser einweisen, sich der Korruption schuldig machen — oder wie soll ich Ihre Ausführungen von eben verstehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Verehrte Frau Kollegin, ich bewundere Ihre Fähigkeit, in die Beantwortung meiner Frage solche Begriffe hineinzuinterpretieren, wie Sie sie gerade gebracht haben. Ich sehe keinen sachlichen Anlaß, auf diese Frage eine Antwort zu geben.
Herr Abgeordneter Mahne zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Beantwortung einer Frage vorhin darauf hingewiesen, daß die Kostenminderung bei den Krankenkassen durch die Eigenbeteiligung jetzt nicht voll quantifizierbar sei, da letztlich das Verhalten der Patienten durch die Bundesregierung derzeit nicht kalkulierbar sei. Ich möchte Sie fragen, ob ich aus dieser Antwort schließen kann, daß Sie der Auffassung sind, daß eine Zahl von Patienten deshalb auf einen Krankenhausaufenthalt verzichtet, weil sie zur Selbstbeteiligung herangezogen werden, obwohl sie diesen Krankenhausaufenthalt aus gesundheitlichen Gründen und aus Heilbehandlungsgründen dringend nötig hätten.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Es gibt keinen Anlaß, dies zu unterstellen, Herr Kollege. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß wie in diesem Fall und wie in anderen Fällen der Gesetzgeber immer klug beraten ist, auf institutionelle Änderungen hin das Verhalten der Bürger zu analysieren. Wir haben hier eine Änderung vor. Wir haben immer sorgfältig zu betrachten und zu beachten und zu überprüfen, ob sich der Bürger nach der Änderung anders verhält als vorher. Ich glaube, das ist gerade die Aufgabe, die der Gesetzgeber in diesem Bereich hat.
Im übrigen haben wir die finanziellen Auswirkungen dieser Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt und bei Kuren so gut, wie es möglich ist, geschätzt.
Der Abgeordnete Glombig hat sich zu Zusatzfragen gemeldet. Er hat noch zwei Zusatzfragen. Wir wären an sich am Ende der Fragestunde. Ich lasse diese beiden Zusatzfragen noch zu. Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident, ich möchte nur von einer Zusatzfrage Gebrauch machen. — Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die Streichung der Ausnahme von der Kostenbeteiligung bei Krankenhausbehandlung in Härtefällen auch nicht wesentlich ist im Sinn Ihrer Vorstellung von Wesentlich und Unwesentlich?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe auf die Härteklausel hingewiesen, als es um die Frage ging, ob nicht bei einkommensschwächeren
Gruppen hier eine besondere Härte entsteht. Diesen besonderen Härten soll durch die Härteklausel entgegengewirkt werden. Nichts anderes ist gefragt und geantwortet worden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glombig. Bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Ausnahme in Härtefällen auf Grund der Vorlage der neuen Bundesregierung ausgeschlossen ist und daß es sie gar nicht mehr gibt? Oder sind Sie bereit, diese Ausnahme in Härtefällen bei Krankenhausbehandlung wieder einzuführen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Härtefallregelung bedeutet — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen —, daß nur einmal im Jahr die Selbstbeteiligung gezahlt werden muß.
Wir sind am Schluß der Fragestunde.
Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Zeitler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantrage ich eine Aktuelle Stunde. Dieses Verlangen stützt sich auf I 1 b der Anlage 5 zu unserer Geschäftsordnung.
Wir haben soeben in der Fragestunde die Fragen 8 bis 11 behandelt. Sie bewegen sich um das Thema: Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Wir waren nicht in der Lage, das Thema vertieft zu behandeln. Uns waren auch die gegebenen Antworten nicht ausreichend.
Deswegen halten wir die Aktuelle Stunde für notwendig.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat soeben durch ihren Parlamentarischen Geschäftsführer gemäß I 1 b der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine
Aktuelle Stunde
zu den Antworten auf die Fragen betreffend Kostendämpfung im Gesundheitswesen — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — verlangt. Die Aussprache muß nach 2 a der Richtlinie unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Ehe wir in die Aussprache eintreten, verweise ich auf Absatz 7 der Richtlinien: „Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen." Diese Bestimmung gilt für den Präsidenten genauso wie fürs Haus. Ich bitte Sie, dies freundlichst zu berücksichtigen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8197
Vizepräsident Windelen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Zeitler hat hier — und das war eine vornehme Umschreibung dessen, was hier in der letzten Stunde passiert ist — die Begründung für diese Aktuelle Stunde gegeben und dabei von mangelhaften Auskünften gesprochen. Ich habe den Eindruck gehabt, daß die Auskünfte, die wir von der Bundesregierung auf die Fragen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen hören mußten, an einigen Punkten dreist, ja an bestimmten Punkten sogar tolldreist waren.
Es ist schon gespenstisch, zu sehen, daß wir eine öffentliche Diskussion haben, die geradezu groteske Züge trägt. Da führt die neue Regierung — vor allem draußen, also nicht hier im Parlament — aus — und das mit Blick auf den 6. März —, was sie hier für eine schlimme Erblast übernommen habe. Wenn es dann konkret wird und hier gefragt wird, wie es denn um die schlimme Erblast, etwa im Gesundheitswesen, bestellt ist, dann sind die Antworten unbefriedigend. Es ist doch schon geschmäcklerisch, meine Damen und Herren, wenn Erben und Erblasser zugleich — traulich vereint — in einer neuen Regierung sitzen.
Da wird kunstvoll und professionell daran gewebt, einen Augiasstall vorgaukeln zu können, den es angeblich auszumisten gilt. Das kann schon deshalb nicht gelingen, weil man sich Norbert Blüm kaum als Herkules vorstellen kann.
Zugleich spart die Bundesregierung in der gesundheitspolitischen Diskussion ein Thema völlig aus, das die Bürgerinnen und Bürger draußen tatsächlich betroffen macht. Die Damen und Herren der Unionsparteien haben auch allen Grund, dieses Thema auszusparen. Denn die alte Bundesregierung hat ihr Versprechen wahrgemacht und Kostenstabilität im Gesundheitswesen erreicht.
Nach langen Jahren erhöhen viele Krankenkassen — das durften wir hören — ihre Beiträge zum zweiten Mal hintereinander nicht. Im Gegenteil, viele Krankenkassen können ihre Beiträge senken. Dies ist ein Erfolg der von sozialdemokratischen Arbeitsministern eingeleiteten und umgesetzten Kostendämpfungspolitik.
Diese Politik hat die CDU/CSU bekämpft. Wir haben diese Kostenstabilität erreicht, ohne dabei gegen die Grundsätze unseres Krankenversicherungssystems zu verstoßen. Das, was wir heute hier über Solidarität und Subsidiarität gehört haben, zeigt Unkenntnis. Denn das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung kennt kein Subsidiaritätsprinzip. Darüber, was vielleicht gemeint sein könnte, daß gesundheitsbewußtes Verhalten dann in die Diskussion um Subsidiarität mit einbezogen werden kann, kann man reden. Aber das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung auszuhebeln heißt, mit einer hundertjährigen Geschichte zu brechen. Es ist schlimm, wenn in der Hinsicht nicht einmal die elementaren Kenntnisse vorhanden sind.
Die neue Bundesregierung, gerade zwei Monate im Amt, verstößt bereits mit ihrem ersten wichtigen Gesetzentwurf, dem Haushaltsbegleitgesetz, gegen das tragende Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung,
indem sie die Selbstbeteiligung bei Kuren und Krankenhausbehandlung einführt. Nun ist hier mit dem Finger sozusagen vorwurfsvoll auf die SPD und auf das, was gestern in der alten Regierung war, gezeigt worden. Ich darf daran erinnern, daß die frühere politische Führung des Arbeitsministeriums und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht haben, daß sie für die Sinnhaftigkeit dieses Koalitionspreises nicht in Anspruch genommen werden wollen
und nun auch nicht nachträglich in Anspruch genommen werden dürfen. Dieses Spiel werden wir nicht mitmachen.
Wir Sozialdemokraten haben uns unter unserer Regierung bemüht, die Lasten gleichgewichtig zu verteilen. Sowohl die Versicherten als auch die Leistungserbringer im Gesundheitswesen sollten im Rahmen der Kostendämpfung herangezogen werden, und sie sind herangezogen worden. Die neue Bundesregierung gefährdet nun dieses Gleichgewicht, indem sie einseitig die Versicherten und Patienten mit Selbstbeteiligungsregelungen und abermaligen kräftigen Gebührenerhöhungen, etwa bei den Rezepten, bedenkt. Der Herr Bundeskanzler verteilt Lob an die Ärzte, weil sie sich freiwillig zu einem sechsmonatigen Verzicht auf weitere Honorarerhöhungen bereit gefunden haben — ich frage dazu: auf welchem Niveau? —, bringt aber gleichzeitig ein Gesetz auf den Weg, mit dem bei den Versicherten zwangsweise abkassiert wird. Welches ständische Menschenbild steht denn hinter dieser Vorstellung!
Da ist man einerseits zu vornehm, mit dem Gesetz zu agieren, aber andererseits ist man überhaupt nicht betroffen, wenn das bei der breiten Masse der Bürger in diesem Lande passiert. Lob für freiwilligen Verzicht einerseits, Selbstbeteiligung, Gebührenerhöhung und Einkommensminderung für die große Masse andererseits — dies ist sozial unausgewogen und wird unseren kämpferischen Widerstand finden. Sie treiben Kostendämpfungspolitik auf dem Rücken der Patienten und zu Lasten der Geldbeutel der Versicherten.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat in der alten Bundesregierung darauf gedrungen, daß alle Leistungserbringer ihre Beiträge gleicher-
8198 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Egert
maßen leisten. Sie gehen jetzt hin und benutzen die Honorarfestschreibung durch die Ärzteschaft als Schlagetot, um die Gewerkschaften unter Druck zu setzen, damit sie sich gegenüber der vom Bundesarbeitsminister geforderten Lohnpause als willfähriger erweisen. Dies ist ein Anschlag auf die Tarifautonomie. Diese Politik soll zwischen Arbeitnehmer, Arbeitslose, Rentner und Sozialhilfeempfänger einen Keil treiben. Da spielen wir nicht mit, den Weg in die Ellenbogengesellschaft machen wir nicht mit. Eine Welle von „Gemeinsinn", die dazu führt, daß die Schwachen in dieser Gesellschaft absaufen sollen, wird den Widerstand der Sozialdemokraten finden.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein erstaunlicher Vorgang: Ein ehemaliger Staatssekretär und Kollege geht hier hin und nennt einen Gesetzgebungsvorgang „geradezu tolldreist" — wenn ich das richtig in Erinnerung habe —, den er selbst noch bis vor wenigen Wochen in weiten Teilen identisch, wortgleich, vorgelegt und getragen hat.
Alle möglichen Selbstbeteiligungskomponenten, die in diesem Gesetzentwurf vorgelegt werden, haben in gleicher Weise, weitestgehend, auch schon im alten Gesetzentwurf gestanden.
Ein Zweites. Man könnte bei Ihrer gekünstelten Empörung etwas weiter zurückgehen. Im Jahre 1957 hat es eine Kommission beim Präsidium der SPD gegeben. Damals schon wurde sehr klug begründet, daß es eigentlich sinnvoll wäre, sich zu überlegen, für die häuslichen Ersparnisse während Krankenhausaufenthalten eine Selbstbeteiligung einzuführen. Damals war Rationalität offenbar noch gefragt. Heute scheint mir eher kämpferische Emotion gefragt zu sein.
Meine Damen und Herren, die Frage der Selbstbeteiligung ist keine einfache. Das ist hier in aller Deutlichkeit auszusprechen. Was wollen wir, diese Koalition und diese Regierung, damit eigentlich erreichen? Nicht einen kurzfristigen Spareffekt — darum geht es uns nicht —, sondern wir zielen auf den dynamischen, langfristigen Effekt. Wir wollen, zugegeben, eine Mentalitätsänderung. Denn wie ist die Problemstellung, die Ausgangslage, die Sie mitzuverantworten haben?
Im Jahre 1969, als Sie anfingen, lagen die Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung noch bei 8%.
Heute, wo Sie abgetreten sind, liegen sie bei 12 %.
Das sind 4 % mehr! Daß sich da natürlich bei den
einzelnen Krankenversicherten die Auffassung verstärkt: „Wenn ich schon soviel bezahle, dann will ich auch etwas zurückhaben", ist offenbar. Der Rückhol-Effekt, der dann das gesamte Leistungsspektrum weiter ausbreitet, die Kosten weiter nach oben treibt, muß in irgendeiner Weise gestoppt werden.
Wir meinen, daß man versuchen muß, dies punktuell, sozial vertretbar mit Selbstbeteiligungen zu schaffen. Sie können einen langfristigen Effekt haben. Wenn der sich nicht einstellt — das ist jetzt noch nicht zu sagen —, dann müssen Selbstbeteiligungskomponenten natürlich kritisch unter die Lupe genommen werden, meine Damen und Herren. Aber wir müssen es versuchen! Oder wollen Sie mitverantworten, daß die Krankenversicherungsbeiträge weiterhin über 12, auf 13 und 14 % linear in die Höhe gehen, wie das in den letzten Jahren unter Ihrer Ägide geschehen ist?
— Wenn Sie einen Kollegen hier auch einmal sprechen ließen und nicht ständig wadenbeißerische Zwischenrufe machten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Wir müssen bei der Selbstbeteiligung folgende Komponenten berücksichtigen:
Erstens. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß das, was durch Selbstbeteiligungsbeträge hereinkommt, tatsächlich zur Entlastung und Stabilisierung der Krankenversicherung verwandt wird. Genau das war bei Ihren Vorschlägen nicht der Fall. Wir müssen das — in der Kürze der Zeit konnten wir das natürlich nicht korrigieren — für die Zukunft ins Auge fassen, sonst funktioniert das mit der Mentalitätsänderung mit Sicherheit nicht.
Zweitens. Wir müssen sehen, daß, wenn Selbstbeteiligung eingeführt wird, sie nicht nur an einer Stelle eingeführt wird, sondern, wenn möglich, in allen Leistungsbereichen. Sonst gäbe es irgendwelche Verschiebungen, Ausweichungen und Umleitungseffekte, die wir gemeinsam nicht wollen.
Drittens. Wir brauchen ausreichende und gezielte soziale Ausnahmekomponenten. Die genau hat diese neue Bundesregierung überzeugender und klarer in dieses Gesetz eingebaut, als es die alte Bundesregierung zu tun vermochte.
Meine Damen und Herren, wir werden mit der Selbstbeteiligung mit Sicherheit nicht von heute auf morgen Wunder bewirken. Aber wir müssen danach trachten, daß sich beim Patienten ein Steuerungselement herausbildet. Denn es ist unsere gemeinsame Sorge, daß dieses Gesundheitssystem nicht mehr richtig steuerbar ist. Das war Ihre Klage, und das ist heute auch unsere Klage. Also tun wir etwas dagegen, und suchen wir entsprechende Steuerungselemente! Wir brauchen ein Steuerungselement unten beim Bürger — Selbstbeteiligung —, wir brauchen das Steuerungselement in der Mitte
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8199
Dr. Faltlhauser
— Stärkung der Selbstverwaltung —, und wir müssen sicherlich auch Gesetze ändern, z. B. das Krankenhausfinanzierungsgesetz mit seinem dualen Finanzierungssystem. — Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Eimer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Egert hat vorhin in seiner Rede von dem Erblasser und Erben zugleich gesprochen. Ich möchte hier eines klarstellen, was vielleicht in Ihrer Rede herausgekommen sein könnte. Wir bekennen uns zu alledem, was wir in der sozialliberalen Koalition mit Ihnen gemacht haben. Ich glaube, Sie haben von uns noch nie gehört, daß wir von „Saustall" oder ähnlichen Ausdrücken gesprochen haben. Aber eines muß man natürlich dazu sagen: Wenn diese Koalition zu Ende gegangen ist, dann deswegen, weil wir genau dies verhindern wollten.
— Ja sicher, wir wissen j a, wie die Entwicklung vorangegangen ist.
Eine besondere Rolle in dieser Auseinandersetzung, vor allem auch vorher in der Fragestunde, spielten die prozentualen Steigerungen im Bereich der Beteiligung, die Erhöhung von sieben auf 14 Tage. Ich bin der Meinung, daß dies eine sehr gefährliche Argumentation ist, vor allem dann, wenn man mit Zahlen wohl nicht recht umgehen kann. Sicher ist die Erhöhung von sieben Tagen Beteiligung auf 14 Tage eine Steigerung um 100 %. Das haben Sie j a wohl hören wollen.
Aber Sie haben natürlich dabei vergessen, einmal nachzurechnen, welche Steigerung die Erhöhung von null Tagen auf sieben Tage bedeutet. Das sind nicht 100 %, das sind nicht 500 %, nicht 1 000 %, sondern das geht ins Unendliche. Ich würde mit diesen Prozentzahlen sehr vorsichtig umgehen.
Sie haben außerdem dabei vergessen zu beachten, daß wir einige Sicherungen eingebaut haben, z. B. daß Kinder unter 16 Jahren nicht mehr davon betroffen sind. Sie haben auch die Begründung vergessen, die zu dieser Maßnahme geführt hat, die wir im Grundprinzip gemeinsam eingeführt haben, nämlich die häusliche Ersparnis. Sie haben in dieser Betrachtung etwas Weiteres vergessen: Sie tun so, als ob jeder, der in das Krankenhaus geht, automatisch 14 Tage und länger im Krankenhaus ist. Die Durchschnittsverweildauer im Krankenhaus liegt aber unter 14 Tagen. Bei all denjenigen, die in einem Zeitraum zwischen sieben Tagen und unter 14 Tagen liegen, trifft diese Steigerung nicht zu.
Wenn man zu dem Thema Selbstbeteiligung spricht, sollte man versuchen, die Emotionen, wie
sie heute in die Fragestunde und auch jetzt hereingebracht worden sind, beiseite zu schieben. Emotionen helfen uns auf diesem Gebiet nicht weiter. Wir haben ja versucht, zusammen mit Ihnen Selbstbeteiligung durchzusetzen und verschiedene Modelle einzuführen. Es war in der Koalitionsvereinbarung schon unter einem Arbeitsminister Ehrenberg. Als Ergebnis ist bisher nie etwas oder jedenfalls nicht allzuviel herausgekommen. Wir gehen auf diesem Weg weiter. Denn wir wissen alle: Auf Dauer können wir die Kosten im Gesundheitswesen nicht mehr tragen und unserem Bürger zumuten, wenn wir nicht eine Einschränkung, vor allem des Anstiegs, erreichen können. — Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Faltlhauser, wenn Sie schon sagen, daß Sie hier eine Mentalitätsänderung wünschen, hätte ich gerne von Ihnen gehört, für wen diese Aussage eigentlich gilt; aus Ihrer Interpretation j a wohl nur für die Versicherten.
Es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie dabei auch etwas zu den Anbietern von Gesundheitsleistungen gesagt hätten,
insbesondere auch deshalb, da Ihnen genauso wie uns bekannt ist, wie hoch die Einkommen derer, gemessen am Durchschnittseinkommen der Versicherten, sind. Aber dies wird natürlich wohlweislich verschwiegen.
Sie haben die Härtefallregelung voll herausgenommen. Dies müßten Sie endlich auch einmal hier zur Kenntnis nehmen, bzw. Sie dürfen es nicht verschweigen.
Meine Damen und Herren, alle Bemühungen der früheren Bundesregierungen, auf dem Krankenhaussektor zur Kostenstabilisierung einen kräftigeren Beitrag zu leisten, sind, dies darf nicht verschwiegen werden, am Widerstand der CDU/CSU-geführten Bundesländer gescheitert.
Zweimal, zum einen mit dem Kostendämpfungsgesetz 1977, zum anderen mit der Novellierung des KHG 1979, sind die Bemühungen der sozialdemokratischen Arbeitsminister zum Scheitern gebracht worden.
Erst der dritte Versuch, nämlich das KrankenhausKostendämpfungsgesetz von 1981 hat den Einstieg in die Kostendämpfung im Krankenhausbereich gebracht. Er konnte letztendlich gegen die Bundes-
8200 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Kirschner
ratsmehrheit durchgesetzt werden, allerdings um den Preis, daß ihm wesentliche kostendämpfende Elemente für den Krankenhaussektor fehlen. Das Ergebnis sieht dementsprechend aus; man muß sich nur einmal die Ausgabentableaus der Krankenkassen für den Krankenhaussektor ansehen.
Soll die Kostendämpfung im Gesundheitswesen nicht insgesamt gefährdet werden, sind im Krankenhaussektor weitere Maßnahmen zwingend geboten. Wird nicht auch der Krankenhausbereich wirksam in die Kostendämpfungskonzeption eingebunden, sind Disparitäten in den Kostenentwicklungen zwischen den einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens unausweislich. Dies beschwört einen Verteilungskampf um Honorar- und Preisanteile im Gesundheitswesen herauf, den wir alle nicht wollen können.
Die Schwierigkeiten, mit denen die frühere Bundesregierung hier zu kämpfen hatte, sind für die neue Bundesegierung nicht gegeben. Es gibt keine unterschiedlichen Mehrheiten zwischen Bundestag und Bundesrat. Dies ist für die neue Bundesregierung ein Grund mehr, auf diesem Gebiet endlich tätig zu werden.
Mit großer Verwunderung hat die SPD-Bundestagsfraktion zur Kenntnis genommen, daß der Bundesarbeitsminister zwar über alle möglichen Pausen philosophiert, aber dort, wo die Kosten deutlich aus dem Ruder laufen — im Krankenhausbereich —, dort, wo eine Pause wirklich nötig wäre, überhaupt keinen Vorschlag unterbreitet hat, ja
) nicht einmal mit einem Wort diese Problematik erwähnt hat.
Statt dessen wird die von der SPD immer sehr skeptisch beurteilte Selbstbeteiligung, die wir nur dem Koalitionskompromiß geopfert haben, bei Krankenhausaufenthalten auf zwei Wochen ausgedehnt. Das heißt nichts anderes — dies muß klar und deutlich gesagt werden —, als die steigenden Kosten auf den Kranken zu verlagern. Dies ist kein wirtschaftliches Steuerungsinstrument; es ist dafür total ungeeignet, denn über die Verweildauer entscheidet letzten Endes der Arzt und nicht der Patient.
Sinnvolle Kosteneinsparungen ohne Verschlechterung des medizinischen Niveaus sind über den Abbau überzähliger Betten möglich. Ich darf daran erinnern, daß die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft dazu eine Zahl von 19 200 überzähligen Betten genannt hat. Bei 40 000 DM Vorhaltekosten pro Bett und Jahr ergibt dies eine Summe in einer Größenordnung von annähernd 800 Millionen DM. Wenn wirklich Kostendämpfungsmaßnahmen sinnvoll durchgeführt werden sollen, dann haben Sie hier eine Möglichkeit. Wir als Opposition jedenfalls wären bei entsprechenden Vorschlägen bereit — anders als Sie —, konstruktiv mitzuarbeiten.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Egert hat vorhin sehr laut und massiv verkündet, daß die Kostendämpfungsmaßnahmen der bisherigen Regierung durch die Gesetzgebung der verschiedenen Sozialminister gegriffen hätten. Ich habe das sichere Gefühl, daß diese Gesetze Eingriffe in die gesamte Struktur unseres Gesundheitswesens bedeutet haben, aber in bezug auf Ordnungspolitik und auch Finanzpolitik sehr umstritten gewesen sind. Ordnungspolitisch haben sie jedenfalls Eingriffe gebracht, die wir nicht mittragen konnten; finanzpolitisch haben sie nichts gebracht.
Die Einsparungen im Gesundheitswesen kamen sicherlich vor allen Dingen durch die Maßnahmen der Konzertierten Aktion. Die Ergebnisse wären noch besser gewesen, wenn die Konzertierte Aktion so aufgestellt worden wäre, wie die CDU/CSU sie ursprünglich gewollt hatte, nämlich als Ersatz für dirigistische gesetzliche Maßnahmen.
Immerhin haben Sie es fertiggebracht, die Konzertierte Aktion in das Kostendämpfungsgesetz hineinzupacken. Daß sie da trotzdem noch gezogen hat, ist ein Verdienst derjenigen in der Selbstverwaltung, die ihre Verantwortung erkannt haben und sich entsprechend verhalten haben.
Die CDU hat eine völlig andere Einstellung zu der Konzertierten Aktion als Sie, meine Damen und Herren von der SPD.
Wir sehen in der Konzertierten Aktion ein Gremium, das die Bereitschaft aller im Gesundheitswesen Verantwortlichen und aller an ihm Beteiligten zum Zusammenwirken fördert, indem es ihnen nämlich die Möglichkeit eröffnet, ihr Handeln untereinander abzustimmen. Pluralistischer Aufbau und Zusammensetzung der Konzertierten Aktion ermöglichen prinzipiell die Bewältigung der anstehenden Probleme auf breiter Basis, und zwar nicht durch Eingriffe in bewährte Systeme.
Für die CDU baut die Konzertierte Aktion darüber hinaus auf dem Prinzip demokratisch und fachlich begründeter Selbstverwaltungskompetenz der Beteiligten auf. Ihr Sachverstand soll zu einem funktionsfähigen Gesundheitswesen beitragen, ihm zugute kommen. Deswegen ist es wichtig, daß Empfehlungen in der Konzertierten Aktion nicht allein die Wünsche und die Forderungen der Bundesregierung widerspiegeln, sondern daß sie auf dem Konsens der an der Konzertierten Aktion Beteiligten aufbauen.
Mit dieser Grundkonzeption bietet nämlich eine Konzertierte Aktion nach Auffassung der CDU/ CSU wesentliche Voraussetzungen für eine ausgewogene Verteilung der Belastung in einem gegliederten Gesundheitswesen. Durch eine Versachlichung der Diskussion, durch Kommunikation unter
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8201
Frau Dr. Neumeister
den Beteiligten und durch konzertiertes Handeln werden die Interessen der Beteiligten, vor allen Dingen aber auch die Interessen der Patienten in einen Gesamtzusammenhang gestellt. Damit wird die Mitverantwortung für das Funktionieren des Gesamtsystems gestärkt. Meine Damen und Herren, genau das ist wichtig. Wir haben ja jetzt auch erlebt, daß diese Mitverantwortung nur durch die von mir zuvor erwähnten Maßnahmen gestärkt und herausgefordert wird. Ich denke dabei an die Bereitschaft der Ärzte und Zahnärzte, einem Stillhalteappell zu folgen, der sich jetzt auch schon in den Verträgen mit den Krankenkassen ausgewirkt hat.
Wir sollten den Weg der Konzertierten Aktion, d. h. der Einbeziehung aller am Gesundheitswesen Beteiligten, weitergehen. Das ist der Weg der Vernunft. Dieser Weg ist aber auch der Appell an das wirtschaftlich, sozial und gesundheitspolitisch Mögliche. Diesen Weg werden wir in der neuen Koalition gehen.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dafür bedanken, daß trotz allen Streits auch in dieser Diskussion die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Dienste der Kostendämpfung signalisiert wurde.
Ich will es festhalten: Dieses Ziel eint uns; wir streiten uns über die Wege. — Nur, meine Damen und Herren, verehrte Kollegen, eines wundert mich immer: Alles, was gut war, hat die SPD in zwölf Jahren gemacht; alles, was schlecht war, haben wir in sechs Wochen gemacht. Mit dieser Arbeitsteilung tragen Sie sicher nicht zur Kooperation bei.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Begründung der Aktuellen Stunde sagen. Ich begrüße die Aktuelle Stunde; sie gibt mir Gelegenheit, zur Gesundheitspolitik aktuell Stellung zu nehmen. Aber die Begründung, mein Kollege habe nur mangelhaft geantwortet
— Sie haben recht: Ich war nicht da —, kann allein deshalb nicht stimmen, weil Sie die Aktuelle Stunde schon heute morgen angekündigt haben.
Sie müssen ja hellseherische Fähigkeiten haben, wenn Sie heute morgen schon wußten, daß die mangelhafte Auskunft die Gelegenheit für die Aktuelle Stunde ist.
Wenn der Parlamentarische Staatssekretär von 18
gestellten Fragen nur vier Fragen beantworten
kann, dann würde ich auch vorsichtig sein mit der Qualifikation „mangelhafte Beantwortung".
— Verehrter Kollege Egert, allein die Logik befähigt mich zu sagen, daß Sie heute morgen nicht wissen konnten, was mein Kollege Vogt heute nachmittag sagt. Das ist allein Logik.
— Herr Kollege Egert, gestatten Sie doch, daß ich meine Gedanken hier zusammenhängend vortragen kann. Sie haben j a Gelegenheit, wieder hierhin zu kommen, und vielleicht antworte ich wieder.
Zum Thema Selbstbeteiligung: Vielleicht lassen wir die Drapierung dieses Wortes mit Schrecken; denn, meine Damen und Herren, Selbstbeteiligung ist doch keine Erfindung der CDU/CSU. Die Elemente der Selbstbeteiligung sind doch in Ihrer Regierungszeit sukzessiv ausgebaut worden. Das gilt sowohl für die Beteiligung an den Medikamenten — das war 1977 und 1982 — als auch für die Beteiligung beim Zahnersatz, 20 % zum 1. Juli 1977 — auch das war in Ihrer Regierungszeit — und für die Selbstbeteiligung bei kieferorthopädischen Maßnahmen
— haben Sie die eingeführt, oder haben Sie sie nicht eingeführt? —,
20%ige Beteiligung bei kieferorthopädischen Maßnahmen! 1977 haben leider Gottes nicht wir regiert, sondern Sie.
Nun zum Thema Krankenhaus. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch auch da in aller Nüchternheit feststellen, daß hier sicherlich Handlungsbedarf besteht, damit die Kosten in Schach und Proportionen gehalten werden können. Nur, meine Damen und Herren, ich verstehe nicht ganz Ihre Hektik. Die Novelle, die Sie beschlossen haben, ist am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten. Die Tinte ist noch nicht richtig trocken, da verlangen Sie schon die nächste Novelle. Diese Hektik wird die neue Bundesregierung nicht mitmachen.
Wir machen Gesetze, wir novellieren, aber nur dann, wenn jeder Schritt solide abgesichert ist. Wir sind Handwerker, die keine Bruchbude bauen, sondern den nächsten Schritt auf ein Fundament solider Zusammenarbeit gründen.
Was die Finanzierungsfragen anbelangt: Auch in der Regierungserklärung kommt unsere Absicht zum Ausdruck, die Finanzierungsfrage neu zu re-
8202 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Blüm
gein, und vor allen Dingen unser Zweifel, ob das Mischsystem nicht auch Verantwortungen verwischt, unsere Absicht, diese Frage, natürlich nach guter Vorbereitung durch Gespräche mit den Ländern und allen Beteiligten, einer Neuordnung zuzuführen. Denn das, was wir machen, machen wir nicht wie ein Dieb in der Nacht, sondern vorbereitet durch Gespräche mit den Betroffenen. Überrumpelung gibt es bei einem Arbeitsminister Norbert Blüm nicht.
Im übrigen kann ich Ihren Ehrgeiz, Betten abzubauen, nur unterstützen. Das ist Ländersache. Vielleicht versuchen Sie es einmal in Nordrhein-Westfalen. Da gibt es noch viele Betten abzubauen, gibt es auf Ihrer Seite noch einen weiteren Beitrag zum Bettenabbau zu leisten.
Ich sehe schon, daß hier bereits einiges geleistet wurde.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Krankenhaus sagen: Trotz knapper Finanzmittel, leerer Kassen — die wir im übrigen nicht zu verantworten haben — haben wir für 1983 zusätzlich 50 Millionen DM insbesondere für Krankenhausinvestitionen in unseren Haushaltsplanungen vorgesehen, weil wir wissen, daß es hier einen Bedarf gibt für Rationalisierung, auch für Energieeinsparung.
Nur, lassen Sie uns auch die Frage des Krankenhauses nicht nur auf die Frage des Geldes reduzieren. Es geht auch darum, über die Strukturen des Krankenhauses überhaupt nachzudenken. Muß denn jeder Kranke, der im Krankenhaus landet, dort landen? Sollten wir nicht den Versuch unternehmen, auch der häuslichen Pflege wieder neue Chancen zu geben,
und zwar nicht allein aus Kostengründen, sondern auch aus Gründen der Humanität? Wir müssen nicht alles den großen Apparaten ausliefern, den großen Gesundheitsfabriken. Wir müssen die Familie stärken. Ich weiß, daß das mit Appellen allein nicht zu tun ist, daß wir die Familie unterstützen müssen durch Sozialstationen, in denen auch die häusliche Pflege nicht nur eine neue Wertschätzung, sondern auch finanzielle Unterstützung findet. Ich glaube, das kommt uns zu guter Letzt billiger, als wenn wir davon ausgehen, daß das Krankenhaus die bevorzugte Stelle ist, die Gesundheitsprobleme zu lösen. Diese Hoffnung sollten wir etwas relativieren.
Meine Damen und Herren, vielleicht sollten wir die Aktuelle Stunde auch benutzen, ein paar grundsätzliche Fragen zu klären. Ich glaube, wir müssen uns über die Frage unterhalten: Brauchen wir speziell auch in der Krankenversicherung mehr Staat
oder weniger Staat? Vor diese Alternative gestellt, spreche ich mich für weniger Staat aus.
Das heißt nicht Privatisierung. Das ist ein Mißverständnis. Es heißt, daß die Kräfte der solidarischen Selbsthilfe gestärkt werden müssen.
Um die Position in der knappen Zeit hier zu beschreiben: Zwei Vorfahrtsregeln gelten für die Sozialpolitik dieser Bundesregierung. Die erste Vorfahrtsregel: Selbstverwaltung hat Vorfahrt vor Gesetzgebung. Und die zweite Vorfahrtsregel: freiwillig geht vor Zwang. Ich erkläre das zur Vorfahrtsregel. Das heißt nicht, daß der Staat und die Gesetzgebung Fahrverbot hätten, sondern daß der Staat zunächst der Selbstverwaltung die Chance geben will, aus eigener Kraft Probleme zu lösen. Dazu gehört Vertrauen.
Ich sehe auch in der Konzertierten Aktion ein Mittel, die Kooperation zwischen Staat und Selbstverwaltung auszubauen, ohne daß der Staat in die Rolle des Lehrmeisters kommt. Der Staat ist Partner der Selbstverwaltung und nicht der Befehlsgeber der Selbstverwaltung.
Wir haben nicht das altliberale Verständnis, daß er nur der Nachtwächter sei; nein, er ist der Ersatzmann. Dann, wenn die Kräfte der Selbstverwaltung überfordert sind, entspricht es auch dem Subsidiaritätsprinzip, daß der Staat als Hüter des Gemeinwohls der Gesamtverantwortung verpflichtet ist. Im übrigen glaube ich, meine Damen und Herren, daß alle Zwangsmaßnahmen in der großen Gefahr stehen, von den Betroffenen unterlaufen zu werden, und daß man versucht, sie zu umgehen. Deshalb setzt unsere Gesundheitspolitik auf die Vernunft, setzt auf die Selbständigkeit der Bürger. Wir haben mehr Vertrauen zu den Versicherten, zu den Bürgern als Sie, die Sie sie ständig mit Sanktionen belästigen.
Ich betrachte es durchaus als Erfolg, daß sich die Ärzte zu einer halbjährigen Honorarpause bereit erklärt haben.
Meine Damen und Herren, Sie führen Klage über das hohe Einkommensniveau der Ärzte. Also, wir übernehmen das hohe Einkommensniveau. Wir bauen darauf unsere Sozialpolitik auf. Wir beginnen nicht mit einem hohen Einkommensniveau. Zum zweiten muß ich sagen, wir wollen auch die Frage der Arzthonorare nicht mit Neidkomplexen irrationalisieren. Wir wollen auch in dieser Frage rational diskutieren.
Im übrigen gibt es hier keine Gefälligkeitspolitik.
Die Regierung hat ihren Kurs, auch durch die Ge-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8203
Bundesminister Dr. Blüm
bührenordnung ärztliche Einkommen in Schach und Proportion zu halten, gegen alle Proteste durchgehalten. Wir sind keine Regierung, die Schlagseite hat. Wir ziehen unseren Kurs unbeeindruckt. Uns kann man nur mit Argumenten Eindruck machen. — Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gattermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr richtig, hier spricht jemand, der sich überhaupt nicht auskennt, wie Sie sagen. Ich bin kein Sozialpolitiker und kein Gesundheitspolitiker. Ich habe mich gemeldet, Herr Kollege Kirschner, weil ich ein Wort zu Ihrer Feststellung sagen wollte, daß Sie sich zu der Selbstbeteiligung von 5 DM nur unter Koalitionszwängen bereit erklärt hätten, also offensichtlich unter haushaltspolitischen oder unter Machterhaltungsgesichtspunkten.
Sie haben unser Petitum offenbar restlos mißverstanden.
Ich möchte hier ausdrücklich erklären, daß es wohl überhaupt keinen Ersatz für das solidarische Prinzip gibt, das unsere sozialen Systeme trägt. Aber wir kommen doch an der Feststellung nicht vorbei, daß sich in der Art der finanziellen Abwicklung das Ganze gelegentlich wie quasi ein Vertrag zu Lasten Dritter darstellt. Das ist eine vordergründige Betrachtungsweise, weil nämlich der Dritte, der bezahlt, im Grunde genommen die Beteiligten über ihre Beiträge wieder selber sind. Wir sind der Überzeugung — und dies war auch der Grund für diese 5-Mark-Operation, Herr Kollege Westphal, Sie erinnern sich daran —,
daß unser Sozialsystem auf die Dauer nur finanzierbar ist, wenn wir diese „Selbstbedienung" zu Lasten Dritter, wenn ich das mal so sagen darf
— aber das betrifft weiß Gott nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu —, in das Kostenbewußtsein der Beteiligten rücken, daß wir also dieses System nur in den Griff bekommen, wenn wir in sozial verträglicher, maßvoller Form die Beteiligten an diesem System rundum kostenbewußt machen.
Das heißt, wir haben beim Kostendämpfungsgesetz, Herr Kollege Westphal, versucht, mit den Mitteln der Konzertierten Aktion auf die eine Seite der Beteiligten Einfluß zu nehmen, nämlich auf die, die kassieren für ihre Leistungen in dieser Gesellschaft.
Wir haben die Vertretung der Versicherten durch die Selbstverwaltungsorgane und hoffen auf ihr Wirken. Aber wir sind angesichts schrumpfender Wachstumsraten und angesichts immer schwieriger werdender Finanzierung zu der Überzeugung gelangt, daß wir geeignete und, ich sage es noch einmal, auch sozial verträgliche Systeme finden müssen, in denen wir jeden einzelnen Patienten kosten-bewußt machen.
Nun kann man darüber streiten, ob das gerade beim Krankenhaus der richtige Weg ist oder nicht.
Jedenfalls ist dies das gesellschaftliche Petitum. Wir wollen auf der Seite der Versicherten ein wenig mehr Selbstverantwortung und Selbstbeteiligung verwirklichen, wie wir auf der Seite bei den Ärzten und anderen Beteiligten des Gesundheitswesens auf Einsicht hoffen.
Da darf ich wiederholen, was Herr Blüm hier gesagt hat. Seine Appelle zur Pause haben immerhin bei zwei Beteiligten dieses Verfahrens, bei zwei Gruppen, nämlich bei den Ärzten und den Zahnärzten, Erfolg gehabt. Ich hoffe, seine Appelle werden auch noch in anderen Bereichen Erfolg haben.
Ich erteile dem Abgeordneten Schreiner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Bemerkungen zu den „verkehrspolitischen" Ausführungen des Ministers bezüglich der Vorfahrtsregeln machen.
Herr Minister, Sie sagten, die erste Vorfahrtsregel heiße: Freiwilligkeit geht vor Zwang.
— Wir sind nicht im Kuckucksnest, Herr Kollege. — Sie sollten die zweite Vorfahrtsregel ebenso deutlich ansprechen: Die Kleineren trifft der staatliche Zwang — siehe Erhöhung der Rezeptblattgebühr, siehe Krankenhauskostenbeteiligung —, während die Größeren das Freiwilligkeitsprinzip trifft.
Wo ist es Ihnen in den zwei Monaten der neuen Regierungszeit denn beispielsweise gelungen, bei den Größeren bezüglich der finanziellen Verhältnisse Selbstbeschränkungsmaßnahmen durchzusetzen? Sprechen nicht alle Tendenzen für das Gegenteil?
Wie beurteilen Sie z. B. die Entwicklung bei den Pharmapreisen? Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß in den letzten drei Monaten die Pharmapreise sprunghaft angestiegen sind,
daß die Steigerungsrate etwa das Dreifache dessen
betrug, was wir vorher unter einer sozialliberalen
Regierung hatten? Dies vor dem Hintergrund, daß
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Schreiner
der Arzneimittelbereich die Versicherten im Jahre 1981 rund 14 Milliarden DM gekostet hat! Dies vor dem Hintergrund, daß uns Experten sagen, daß ohne große Probleme eine Einsparquote von fast 5 Milliarden DM möglich wäre! Dies vor dem Hintergrund, daß beispielsweise die Arzneimittelkosten im westeuropäischen Ausland — Großbritannien, Italien, Frankreich — im Durchschnitt um das Zweieinhalbfache niedriger liegen als in der Bundesrepublik Deutschland!
Wo bleibt das Wort des Bundesministers von der Pause? Wo bleibt die gesetzliche Regelung? Wo bleiben die entsprechenden Vorschriften in den Haushaltsbegleitgesetzen?
Wo bleibt die entsprechende Aktivität in der Konzertierten Aktion? Überhaupt nichts! Nichts ist vorhanden.
Herr Minister, ich darf Sie aus einer Rede vom Jahr 1977 zitieren. Damals haben Sie gesagt: Sozialpolitik ist dort gut und auf Zustimmung gerichtet, wo sie mehr soziale Gerechtigkeit verwirklicht. — Die bisherigen Ergebnisse der sozialpolitischen Bemühungen der neuen Bundesregierung laufen auf mehr soziale Ungerechtigkeit hinaus und damit auf Ablehnung nicht nur durch die Opposition in diesem Hause, sondern auch durch die Adressaten Ihrer Politik.
Das wird im Ergebnis dazu führen, daß Sie drauf und dran sind, gesellschaftliche Verhältnisse zu produzieren, an deren Wegstrecke die Aufkündigung des sozialen Konsens liegt. Es wird dazu führen, daß Sie gesellschaftliche Verhältnisse produzieren, die das Ende der Ära des sozialen Friedens markieren.
Wenn Sie auch weiterhin Pausenminister nur für die kleineren Einkommensbezieher bleiben, wenn Sie weiterhin nur die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitslosen und die Arbeitnehmer mit kleineren Einkommen schröpfen und beispielsweise die Arbeitnehmerwitwen zwingen, im nächsten Jahr auf die Hälfte des zu erwartenden Anstiegs ihrer Renten zu verzichten, aber nicht im geringsten bereit sind, im Bereich der größeren Einkommen, im Bereich der großen Profite, im Bereich der überproportionalen Gewinne Opfer zu verlangen, auch nur andeutungsweise Ihren Opferbegriff durchzusetzen, dann ist das Ergebnis Ihrer Politik in der Tat politisch unsozial, dann hat die Politik Ihres Ministeriums jedenfalls mit Sozialpolitik nichts mehr zu tun, dann ist dieses Ministerium das Ministerium der Arbeitslosigkeit und der sozialen Demontage.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn hier von einer mangelhaften Beantwortung der Fragen durch den Parlamentarischen Staatssekretär gesprochen worden ist und dies als Begrün-
dung für eine Aktuelle Stunde herangezogen worden ist, dann möchte ich dem entgegenhalten, daß von den 18 Fragen überhaupt nur vier in einer Dreiviertelstunde beantwortet wurden. Mir scheint das, nachdem Sie da schon auf die übrigen Fragen ausgewichen waren, eine mangelhafte Begründung für Ihre Aktuelle Stunde zu sein. Mir scheint das eher eine Maßnahme des Vorwahlkampfes zu sein. So ist es wahrscheinlich auch zu werten.
Sie sprachen davon, Herr Kirschner, daß die Bemühungen des Kostendämpfungsgesetzes 1977 unterlaufen worden seien und daß das keinen Erfolg gehabt habe. Ich möchte Sie auf ein Buch des früheren Ministers Herrn Ehrenberg und auch von Frau Fuchs „Sozialstaat und Freiheit" hinweisen. Lesen Sie doch bitte mal auf der Seite 330 nach, was beide schreiben: daß trotz der Ausklammerung des Krankenhausbereichs im Kostendämpfungsgesetz die Erfolge der Kostendämpfung seit 1977 bemerkenswert und wesentlich größer sind, als selbst Optimisten damals erwartet hatten. Wenn dann Herr Kirschner sagt, das sei unterlaufen worden, dann widerspricht er ja seinem früheren Minister.
Sie sprachen davon, daß die Kostenstabilität durch die Regierungsmaßnahmen herbeigeführt worden ist. Meine Damen und Herren, wir müssen davon ausgehen, daß zuvor die Selbstverwaltung angefangen hat. Sie können eben nicht hinwegdiskutieren, daß die Steigerungsraten nicht erst 1977 herunterfuhren, sondern bereits 1976, als noch kein Gesetz da war. Damals war noch Wahlkampf, damals ist von dieser Sache noch gar nicht gesprochen worden. Bereits in diesem Jahr ist eine Halbierung der Steigerungsraten eingetreten. Die Wirkung geht auch nur zum Teil auf gesetzliche Maßnahmen in den beiden Jahren 1977 und 1982 bzw. auf Regierungsmaßnahmen zurück. Viel stärker ist die Wirkung dessen, was die Selbstverwaltung unternommen hat. Ein Beweis dafür ist z. B., daß im Jahre 1981 die Ärzte erklärt haben, daß sie keine Honorarsteigerungen vornehmen wollten. Genauso ist es bei den Zahnärzten gewesen. Dies ist eine freiwillige Vereinbarung. Das hat dazu geführt, daß in den vergangenen Jahren die Steigerungsraten dort eben niedriger sind und, wie Sie heute gehört haben, generell unter der Steigerung der Grundlohnsumme bleiben. Meine Damen und Herren, wir halten eben viel mehr von freiwilligen Maßnahmen, weil sie wirkungsvoller sind, als von dirigistischen Maßnahmen.
Ein Wort noch zu dem Solidarprinzip. Wir glauben, daß durch die Selbstverwaltung die Eigenverantwortung im Wege der Selbstbeteiligung herbeigeführt wird. Kostendämpfung kann nur erreicht werden, wenn die Eigenverantwortung gestärkt wird. Wir haben nun mal eine Erblastsituation. Sie wissen selbst, daß Ihr Altbundeskanzler am 30. Juni dieses Jahres bei Ihnen gesagt hat: Wer mehr beschäftigungswirksame Maßnahmen treffen will, muß sehr viel tiefer in die Sozialleistungen einschneiden. Und dies noch zu einer Zeit, als er noch von einem „stocksoliden" Haushalt gesprochen und geglaubt hat, daß die Arbeitslosenzahlen sehr viel niedriger sein würden, als sie tatsächlich sind.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8205
Dr. Becker
Das gemeinsame Ziel, die großen Leistungen der Medizin und deren Weiterentwicklung allen zugänglich zu machen, erreichen wir nur, wenn sich bei kleinen Maßnahmen der Bürger selbst mitbeteiligt.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung vermittelt den Eindruck, als seien die positiven Ergebnisse der Kostendämpfung nicht durch Aktivitäten der früheren Bundesregierung, sondern nur durch freiwillige Aktivitäten der Selbstverwaltung zustande gekommen. Meine Damen und Herren, ich muß diesem Eindruck mit großer Entschiedenheit entgegentreten. Wer so argumentiert, webt an einer Legende, die nicht zutrifft. Für den Bereich der Vergütungen im ambulanten ärztlichen Sektor trifft sicherlich zu, daß sich die Verhandlungspartner bei Honorarverhandlungen auf vernünftige, der Kostendämpfung dienende Ergebnisse ohne gesetzliche Regelungen, also freiwillig, geeinigt haben. Aber es wäre doch unlauter, zu behaupten, dies habe mit der Kostendämpfungspolitik der früheren Bundesregierung nichts zu tun. Denn die sogenannte freiwillige Einigung erfolgte stets auf massiven politischen Druck, sie erfolgte, um bereits in Arbeit befindliche Gesetze zu verhindern.
Die Motivation dieser freiwilligen Einigung zwischen den Verhandlungspartnern war eindeutig die Verhinderung einer sonst erforderlichen gesetzlichen Regelung. Glauben Sie allen Ernstes, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung hätten die politischen Durchsetzungsmöglichkeiten besessen, einen solchen Honorarabschluß zu bekommen, ohne die Alternative in Form einer gesetzlichen Regelung im Rücken zu haben? Glauben Sie wirklich, es wäre zu freiwilligen Vereinbarungen ohne politischen Druck, der auch von der „Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen" ausgeht, gekommen? Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, zumal im Bereich der Vergütungen für ambulante ärztliche und zahnärztliche Leistungen wurden die Ergebnisse durch eine konsequente Kostendämpfungspolitik der früheren Bundesregierung erzielt. Wem an der Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung besonders liegt, der kann es nur begrüßen, daß sich Ärzte und Krankenkassen mittlerweile abermals auf einen Verzicht auf eine weitere Einkommenserhöhung bei Ärzten für ein halbes Jahr geeinigt haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält das erzielte Verhandlungsergebnis aber nicht für ausreichend. Ärzte und Zahnärzte gelten in unserem Land als wirtschaftlich besonders leistungsfähig. Sie stehen damit im Gegensatz zu einer Vielzahl ihrer Patienten, die durch ihre Krankenversicherungsbeiträge die Ärzteeinkünfte wesentlich mitfinanzieren. Gleichzeitig hat die neue Bundesregierung im Haushaltsbegleitgesetz den Patienten durch Selbstbeteiligung und Gebührenerhöhung erneut einen erheblichen Stabilisierungsbeitrag abverlangt und sich bei den Ärzten und Zahnärzten mit einem halbjährigen Verzicht auf weitere Einkommenserhöhungen zufriedengegeben.
Für die SPD-Bundestagsfraktion ist diese Lastenverteilung nicht tragbar. Wir werden daher bei den abschließenden Beratungen einen Änderungsantrag zum Haushaltsbegleitgesetz einbringen, der nach Auslaufen der geltenden Honorarverträge für Ärzte und Zahnärzte gesetzlich eine 5%ige Honorarkürzung vorsieht. Auf diesem Wege können wir auf die zusätzliche Belastung der Patienten und Versicherten durch Selbstbeteiligung und Gebührenerhöhung verzichten und hätten einen sozial gerechten Verteilungsmaßstab für die Lasten in der Krankenversicherung gefunden.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist sehr gespannt, wie sich die Vertreter der Koalitionsfraktionen vor dem Hintergrund der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, auch Ärzten und Zahnärzten müßten Opfer abverlangt werden, verhalten werden.
Das Wort hat noch einmal der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
— Herr Kollege, gehen Sie davon aus, daß der Präsident die Geschäftsordnung kennt und danach verfährt.
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten die Gelegenheit für diesen Dialog nutzen. Meine Damen und Herren, was ich nicht gut fände — ich will mich dieser Versuchung auch entziehen —, ist eine Schwarzweißmalerei. Ich stelle mich hier nicht hin und sage: Alles, was die bisherigen Regierungen getan haben, war schlecht, und alles, was jetzt kommt, ist über jeden Zweifel erhaben. Das habe ich nie getan. Nur: Sie sollten umgekehrt nicht so tun; Sie sollten nicht so tun, als hätten wir in diesen sechs Wochen ein völlig neues System aufgebaut.
Ich erkenne ausdrücklich an, daß nicht nur die Selbstverwaltungen Leistungen erbracht haben. Die Konzertierte Aktion am 15. November hat ausdrücklich den Versicherten ihre Anerkennung ausgesprochen. Ich zitiere:
Von den Versicherten werden durch gesetzliche Regelungen ebenfalls erhebliche Opfer gefordert. Es wird ausdrücklich anerkannt, daß auch bei den Versicherten eine zunehmende Bereitschaft vorhanden ist, Kosten im Gesundheitswesen einzusparen.
Es gibt also niemanden, der es allein schafft; nur
durch Zusammenwirken ist es möglich. Daß den
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Bundesminister Dr. Blüm
Versicherten Opfer abverlangt werden, ist keine Neuigkeit dieser Regierung. Ihre Gesetzgebung hat im letzten Jahr allein die Versicherten mit 860 Millionen DM belastet. Ich kann Ihnen die einzelnen Maßnahmen noch einmal vorlesen. Neu sind unsere Maßnahmen nicht.
— Das heißt, daß alle dazu beigetragen haben, daß sich der Kostenanstieg verlangsamt hat, daß wir uns allerdings auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen können, daß wir weiter daran arbeiten müssen, die Kosten in Schach und Proportionen zu halten.
Ich will noch einen Punkt anführen. Gestatten Sie doch, für die Vergangenheit in Anspruch zu nehmen, daß die Gesetzgebung nicht nur auf die Bundesregierung zurückgeht, sondern ein großer Teil in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat, ein Teil sogar über den Vermittlungsausschuß geschehen ist. Ich will hier gar keine Geschichtsbetrachtung anstellen, sondern nach vorne blicken.
Herr Schreiner hat gesagt, ich sei der Pausenminister für die kleinen Leute. Meine Damen und Herren, gerade weil die Rentner ein halbes Jahr auf die Anpassung ihrer Rente verzichten müssen, habe ich dafür plädiert, daß diese Rentner der Maßstab für alle sind. Sie sagen jetzt: Die Rentner wurden mit Zwang behandelt; warum sollen die anderen freiwillig handeln? Wollen Sie mir die Empfehlung geben, in die Tarifautonomie einzugreifen? Dies muß ich weit von mir weisen; ich werde nie in die Tarif autonomie eingreifen.
Das ist aus dem Munde eines Sozialdemokraten nun wirklich eine Neuigkeit. Ich bleibe bei der Freiwilligkeit.
Was nun den Zwangsstopp anbelangt: Sehen Sie, Ihr sozialistischer Genosse Mitterrand hat mit gesetzlichen Stopps relativ schlechte Erfahrungen, einschließlich dem gesetzlichen Preisstopp. Ich glaube, daß ein gesetzlicher Preisstopp immer unterlaufen wird. Der Einfallsreichtum derjenigen, die Produkte verkaufen wollen, ist immer größer als die Phantasie der Überwachungsbürokraten. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank ist die Phantasie der Bürokraten geringer.
Ich halte nichts von gesetzlichem Stopp; zumal, wenn er aufgelöst wird, das große Rückspiel beginnt. Dies gilt auch für die Ärzte. Meine Damen und Herren, warum beschmutzen Sie denn Ihre eigene Vergangenheit? Die Konzertierte Aktion im Frühjahr dieses Jahres hat sich ausdrücklich für einen freiwilligen Verzicht auf Einkommenserhöhungen bei den Ärzten ausgesprochen. Ihre Regierung hat doch ausdrücklich auf Freiwilligkeit Wert gelegt; Herr Westphal, Sie werden es bestätigen. Wir setzen diese Freiwilligkeit fort. Ich verstehe Ihre Kritik gar nicht. Allerdings — das gebe ich zu
— haben wir diese Freiwilligkeit nicht mit Drohungen kombiniert. Ich laufe nicht gern mit Drohgebärden herum. Ich bleibe dabei, daß wir im Gespräch bleiben müssen, daß auf Einsicht gesetzt wird.
— Sie haben doch gerade davon gesprochen, daß Ihre Freiwilligkeit nur deshalb Erfolg hatte, weil Sie immer mit dem Gesetz gedroht haben. Ich nehme nur die Worte auf, die Sie hier in die Debatte eingebracht haben.
Was die Pharma-Industrie anbelangt, will ich auch von dieser Stelle anerkennen, daß in diesem Jahr große Anstrengungen gemacht wurden, den Preisanstieg zurückzudrängen: im ersten Halbjahr 2 % Preisanstieg bei der Pharma-Industrie. Ich bin immer mit von der Partie, wenn es darum geht, Gruppen zu kritisieren; aber ich glaube, zur Politik gehört auch, Leistungen anzuerkennen. Ich will ausdrücklich die Leistung der Ärzte in Sachen Honorarpause und die Leistung der Pharma-Industrie in Sachen Preisdisziplin anerkennen. Nur soll das niemand als einen Freifahrtschein ansehen. Wir werden weitermachen müssen.
— Warum sind Sie denn nur so aufgeregt?
In der Pharma-Industrie kam es zu einem neuen Preisschub im September. Ich warne Sie, das der neuen Regierung in die Schuhe zu schieben. Wir waren leider Gottes im September noch nicht im Amt.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin jahrelang Vorsitzender der Vertreterversammlung einer Allgemeinen Ortskrankenkasse gewesen und gehöre auch heute noch diesem Organ an. Wir diskutieren seit Jahren miteinander, wie wir den rasanten Kostenanstieg in der sozialen Krankenversicherung bremsen können. Es gibt ja vielfältige Bemühungen. Sie kommen nicht von einer Seite, sondern dies ist von allen Seiten, die mit diesen Fragen beschäftigt sind, immer wieder angepackt worden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, es gibt auch eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Sie eingeleitet haben, um mit diesen Problemen fertigzuwerden. Es ist also nichts Neues, was jetzt mit dem Haushaltsbegleitgesetz geschehen soll.
Der sensible Punkt ist doch, wenn ich die Diskussion draußen richtig verstehe, daß wir jetzt den Leuten zumuten, 5 DM in den ersten 14 Tagen für den Krankenhausaufenthalt zu zahlen. Ich diskutiere sehr oft mit Arbeitern darüber. Ich lege den Arbeitern die Frage vor: Was ist denn sozial: wenn wir euch jedes Jahr immer stärker über Beiträge höher belasten, oder wenn wir euch im konkreten
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Müller
Einzelfall mit einem zumutbaren Eigenbetrag an der Finanzierung beteiligen?
'
Ich kann Ihnen sagen, wie die Antwort meist ausfällt: Verständnisvolles Nachdenken! Es ist sicher für manchen eine Härte.
Aber wir haben die Kinder aus dieser Regelung herausgenommen, ebenso die Mütter bei der Niederkunft — im Gegensatz zu dem, was Sie im Sommer geplant hatten.
Wir müssen doch einmal offen miteinander reden. Die 280 Millionen, die hier erreicht werden sollen, damit die Beiträge stabil bleiben, sind doch ein ganz entscheidender Beitrag auch zur Konsolidierung der Kosten.
Ich habe, verehrter Herr Kollege Glombig, in der vorigen Woche in der Zeitung gelesen, Sie hätten ausgeführt, das sei im Sommer ein politischer Preis gewesen
und damit wollten Sie jetzt nichts mehr zu tun haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bedauere, daß Sie jetzt so tun — und das ist ja auch merkwürdig in dieser Debatte —, als hätten Sie überhaupt keine Verantwortung für das, was in der Vergangenheit hier geschehen ist.
Heute müssen wir für die Fehler und Folgen geradestehen, die Sie mit Ihrer Politik 13 Jahre lang verursacht haben. Wir müssen jetzt den Bürgern einiges zumuten, und Sie sagen: Das ist von uns nicht zu vertreten. Ich meine, Sie sollten da einmal sehr kritisch miteinander überlegen, wie Sie denn die Dinge in Ordnung bringen würden.
Sie sagen einfach: Das war ein politischer Preis; damit haben wir heute nichts mehr zu tun. Soll das heißen, daß das nur ein Zugeständnis an Ihren früheren Koalitionspartner war? Ich habe Redner aus Ihrer Fraktion anders sagen hören. Sie haben das damals ganz anders begründet, als ich es heute in der Zeitung lese.
— Natürlich habe ich das gehört. Natürlich haben Sie das monatelang verteidigt. Und heute tun Sie so, als hätten Sie damit nichts zu tun.
Sie sollten einmal ganz nüchtern überlegen, ob das redlich ist.
Was Sie heute hier veranstalten, ist doch schon ein Stück Wahlkampf, um dem Bürger draußen zu
sagen: Seht her auf die bösen Leute der neuen Koalition; die wollen euch belasten.
Wir machen heute Dinge, die zugegebenermaßen nicht schön sind, aber die wir vor jedermann vertreten können,
weil die Folgen Ihrer Politik damit in Ordnung gebracht werden müssen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat in seinem ersten Beitrag in gewohnter Weise sehr blumenreich seine sozialpolitische und gesundheitspolitische Philosophie hier ausgebreitet. Mit dieser Philosophie könnte man sich auseinandersetzen. Das ist gar keine Frage. Nur, dann müßte sie konsequent in die Praxis umgesetzt werden.
Frau Dr. Neumeister hat in ähnlicher Weise hier Ausführungen über ihr Verständnis von Konzertierter Aktion gemacht. Nun, Herr Bundesarbeitsminister, wenn das Prinzip der Freiwilligkeit und das Prinzip von Selbstverwaltungsbeschlüssen für Sie Vorrang haben, dann frage ich Sie: Warum sehen Sie denn die Selbstbeteiligung der Patienten an den Kosten des Krankenhauses mit dem Hammer des Gesetzes, mit dem dirigistischen Eingriff des Gesetzes vor?
Logischerweise hätten Sie die Frage der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Krankenhauses — denn das soll's ja wohl sein, was man hiermit abschneiden will — in die Konzertierte Aktion einbringen oder in anderer Weise angehen, sie mit den Partnern dort bereden müssen, Frau Dr. Neumeister. Nein, wenn es um die Patienten, die Versicherten geht, dann wird sehr wohl die Gesetzeselle genommen.
Was wir zu beklagen haben, ist, daß Ihre Haltung sich für schöne Reden eignet, aber nicht konsequent in die Praxis umgesetzt wird. Deshalb müssen Sie sich von uns entsprechenden Widerspruch gefallen lassen.
Nun, wenn wir auf das Thema Krankenhaus und Selbstbeteiligungsregelung noch einmal eingehen, dann darf ich doch an den Anfang dieser Fragestunde erinnern. Der Parlamentarische Staatssekretär Vogt hat zugeben müssen, daß die Ausgabenentwicklung bei der gesetzlichen Krankenversicherung und bei der privaten Krankenversicherung gleichermaßen stürmisch verlaufen ist, ja daß die Entwicklung in der privaten Krankenversicherung noch höhere Zuwachsraten zu verzeichnen hatte.
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Jaunich
Die private Krankenversicherung zeichnet sich dadurch aus, daß sie Selbstbeteiligungsinstrumente kennt. Trotzdem hat dies also hier nicht dazu geführt, daß die Ausgaben langsamer gestiegen wären.
Weiter: Wenn eine Selbstbeteiligung an den durch den Krankenhausaufenthalt verursachten Kosten eine Steuerungsfunktion hätte, könnte man darüber ja noch reden. Was im Ersten und Zweiten Kostendämpfungsgesetz von uns gemacht worden ist, hat in der Tat dazu geführt, daß Beitragssenkungen bei einigen Kassen möglich waren oder heute möglich sind. Auch ich, Herr Kollege Müller, bin Vorsitzender einer Vertreterversammlung. Wir werden bei uns übernächste Woche eine Beitragssatzsenkung beschließen. Nur, welche Steuerungsfunktion soll von der Selbstbeteiligung an den durch Krankenhausaufenthalt verursachten Kosten ausgehen? Gehen Sie denn davon aus, daß es einen Patienten gibt, der sich selbst ins Krankenhaus „verfrachtet", der, wenn er einmal dort „gelandet" ist, auch noch Wert darauf legt, daß er länger drin bleibt als eben nötig? Ich glaube, diesen Vorwurf kann man niemandem gegenüber machen.
Wenn also die Ausgabensteigerungen im Krankenhausbereich ungebrochen oder nicht in dem Maße abgeflacht worden sind, Herr Arbeitsminister, wie das im ambulanten Bereich der Fall war, muß das doch daran liegen, daß für den Krankenhausbereich die entsprechenden Steuerungsmechanismen fehlen. Das, was Sie vorhaben, ist ein untaugliches Element.
Bei der Gleichheit der Mehrheiten in beiden Gesetzgebungsorganen, Bundesrat und Bundestag, hätte es Ihnen besser angestanden, in diese Phase der Gesetzgebung eine Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes einzuspeisen,
um an die wirklichen Wurzeln zu kommen. Selbst wenn Ihre Vorstellungen, die davon ausgehen müssen, daß irgend jemand unberechtigterweise im Krankenhaus ist und durch 5 DM abgeschreckt werden könnte, richtig wären, würde das nicht zu einer Verminderung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für das Krankenhauswesen führen — das wissen Sie —; denn dies muß Hand in Hand mit der Rückführung von Bettenkapazitäten gehen. Solange dies nicht erreicht ist, sind die Kosten die gleichen.
Dies zeigt also in weiterer Weise, daß der Weg, den Sie gewählt haben, ein falscher Weg ist. Deswegen werden wir Ihnen auf diesem Weg nicht folgen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Jahreswechsel werden die Bürger oftmals nach den besonderen und erstrangigen Wünschen für das neue Jahr gefragt. Sie antworten mit beständiger Regelmäßigkeit,
das Wichtigste für sie seien Frieden und Gesundheit.
— Ich hoffe, daß Ihr Zwischenruf zu Protokoll genommen wird, damit die Bürger einmal die Ernsthaftigkeit, die Sie in diese Aussprache hineinlegen, erfahren. — Ich wiederhole: Die Bürger antworten, daß Gesundheit ein hohes Gut ist.
Deswegen ist Gesundheitspolitik für billige Polemik nicht geeignet; ich denke, daß wir uns darin einig sind.
— Gut. — Wenn wir uns darin einig wären, hätten wir die Aufgabe, gemeinsam nach noch besseren gesundheitspolitischen Wegen zu suchen.
Kein Mensch wird annehmen, daß uns das, was wir an Einschnitten und zusätzlichen Belastungen jetzt für notwendig erachten, leichtfällt. Kein Mensch wird annehmen, daß wir diese Maßnahmen aus irgendeinem x-beliebigen Grunde einleiten. Es geht uns vielmehr darum, die Ausgabenflut zu beschränken, und zwar im Interesse des Bürgers.
Alles, was Sie hier gesagt haben, hätten Sie in den vergangenen 13 Jahren anpacken, auf den Weg bringen können, nicht nur durchdenken, sondern auch einleiten können. Nun weiß ich: Man muß in einer Koalition Kompromisse schließen. Aber die Wucht der Kritik, der Vorwurf, das alles liefe in eine falsche Richtung, richtet sich doch elementar gegen Sie selber.
Das eine oder andere von dem, was Sie eingeleitet haben, können wir fortführen. Sie wenden sich mit Vehemenz gegen die Beteiligung an den Kosten für einen Krankenhausaufenthalt; dabei haben Sie damit angefangen. Sie haben doch mit den 5 DM pro Tag angefangen, das hier ganz konkret vorgeschlagen.
Und dann immer wieder diese Gegenüberstellung: Der sogenannte kleine Mann einerseits und der Arzt andererseits. Sie malen sich da so Klassen aus,
schlagen munter drauf los und wundern sich, daß das alles nicht klappt. — Und das klappt nicht, weil es in der Wirklichkeit so nicht ist.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8209
Kroll-Schlüter
Wir haben die Gebührenordnung für Ärzte enger gefaßt.
— Die konkrete endgültige Maßnahme ist durch diese Regierung getroffen worden. Das werden Sie doch nicht bestreiten können.
Wir sind auf dem Wege zu mehr Eigenverantwortung in allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur im Gesundheitsbereich. Und wir möchten, daß Eigenverantwortung auch zu Direktbeteiligung führt. Direktbeteiligung soll nicht zur Stopfung von Haushaltslöchern führen, sondern
zur Stabilisierung, wenn möglich, zur Reduzierung der Beiträge, z. B. der Krankenversicherungsbeiträge. Es ist oft genug in der öffentlichen Diskussion betont worden: In den vergangenen 13 Jahren ist dieser Staat zu einem Steuer- und Abgabenstaat geworden. Die Belastungen sind teilweise unerträglich. Und die Bürger haben das natürliche Gefühl, von dem, was sie abgeben, auf irgendeinem Wege wieder etwas hereinholen zu sollen.
Und es ist die große Versuchung, die Sie ihnen auferlegt haben, z. B. über die Apotheke das eine oder andere wieder hereinbekommen zu können. Dieser Weg muß unterbrochen werden.
Wir sind uns klar darüber, daß die Kurzfristigkeit auch den einen oder anderen Mangel zur Folge hat. Aber wir sind mit unseren Maßnahmen auf dem richtigen Wege, auch weil wir den Bürger anders sehen als Sie, weil wir ihm zutrauen, daß er Selbstbeteiligung in Eigenverantwortung in rechter Weise zu handhaben weiß.
Zur Belastung des kleinen Mannes, die Sie hier zeichnen: Vielleicht erkundigen Sie sich einmal beim nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau, der dieser Tage ausdrücklich gesagt hat: In keiner Phase der Nachkriegspolitik ist den Unternehmen soviel Geld staatlicherseits zugeflossen wie in den vergangenen 13 Jahren — und das in einer Phase, als das Realeinkommen der Arbeitnehmer gesunken ist. Diese 40 Milliarden DM für die größeren Unternehmen haben vor allem die kleinen Steuerzahler aufgebracht.
— Ich zitiere nur Herrn Rau, der das in aller Eindringlichkeit, Direktheit und Offenheit gesagt hat. Sie sollten mit ihm abrechnen, wenn Sie sagen, daß das nicht stimme.
Das ganze hat sich doch langsam zu einem System ausgeweitet, nach dem Motto: Wer bedürftig ist, schaut nicht mehr durch, und wer durchschaut, ist nicht immer bedürftig. — Das ist doch die ganze
Krux. Und deswegen gilt es, wieder mehr Offenheit und Ehrlichkeit, Direktverantwortung auch im Gesundheitswesen zu praktizieren. Auf diesem Wege sind wir, und auf diesem Wege der Eigenverantwortung der Bürger werden wir, auch in ihrem Interesse, gute Erfolge erzielen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Nach unserer Geschäftsordnung bleibt die Redezeit der Bundesminister in der Aktuellen Stunde unberücksichtigt. Wir haben jetzt noch drei Minuten.
Herr Abgeordneter Glombig, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade der letzte Redner, Herr Kollege Kroll-Schlüter, hat ganz deutlich gemacht, daß es hier um nichts anderes als um eine Veränderung des Systems geht,
um sonst gar nichts. Das heißt: Dies ist die Wende in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies ist der Anfang von einem Ende, das wir uns wohl lebhaft ausmalen können, von dem wir aber natürlich nicht konkret wissen, wie es tatsächlich aussieht. Dies ist eine andere Politik. Dies ist die Abkehr vom Solidarprinzip.
Das müssen Sie doch endlich einmal zugeben. Darüber kann doch der ganze Qualm, den Sie entwikkeln, überhaupt nicht hinwegtäuschen.
Fest steht: Diese Wende ist von der FDP eingeleitet worden. Es war immer ein Herzensanliegen der FDP, uns mit den Elementen der Selbstbeteiligung in die Nähe der privaten Krankenversicherungen zu rücken.
Dies ist auch ein Interesse der FDP im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit der privaten Krankenversicherung gegenüber der sozialen Krankenversicherung. Nun wollen wir doch einmal ehrlich aussprechen, um was es auch geht: nämlich auch um wirtschaftliche Interessen. Dies hat nichts, aber auch gar nichts mit Kostendämpfung zu tun. Denn wo soll die Kostendämpfung im Krankenhaus liegen? Doch bei Leuten, die nicht wählen können, ob sie ins Krankenhaus gehen oder nicht. Wer geht denn aus lauter Vergnügen ins Krankenhaus?
Es gehen die Menschen ins Krankenhaus, die müssen.
Wenn Sie jetzt sagen, wir hätten dies alles mitgemacht, kann ich nur erwidern: Dies war ein massiver Druck der FDP in der sozialliberalen Koalition. Unsere Position in Sachen Kostenbeteiligung ist immer klar gewesen. Irgend jemand hat behauptet, wir hätten die Einführung der Kostenbeteiligung
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Glombig
befürwortet. Ich halte es für sehr verantwortungslos, zu behaupten, daß zu irgendeiner Zeit der sozialliberalen Koalition von seiten der Sozialdemokratie, auch nur durch einen Sozialdemokraten die Einführung einer Kostenbeteiligung befürwortet worden wäre. Dies läßt sich überhaupt nicht nachweisen.
Unsere Bundesregierung, die sozialliberale Bundesregierung, wäre niemals und war niemals die vorgesetzte Behörde der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Wir haben Anfang September durch den Mund des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund erklärt, daß dieser Punkt in der Vorlage der sozialliberalen Regierung neben allen anderen ein Punkt der Korrektur sein wird. Dies habe ich im Namen der so-
zialdemokratischen Fraktion am 10. September hier erklärt. Dies hätte sich auch bewahrheitet. Übrigens: Die versuchte Einführung der Kostenbeteiligung war einer der wesentlichen Gründe dafür, daß die sozialliberale Koalition auseinandergebrochen ist. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Dezember 1982, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.