Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dafür bedanken, daß trotz allen Streits auch in dieser Diskussion die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Dienste der Kostendämpfung signalisiert wurde.
Ich will es festhalten: Dieses Ziel eint uns; wir streiten uns über die Wege. — Nur, meine Damen und Herren, verehrte Kollegen, eines wundert mich immer: Alles, was gut war, hat die SPD in zwölf Jahren gemacht; alles, was schlecht war, haben wir in sechs Wochen gemacht. Mit dieser Arbeitsteilung tragen Sie sicher nicht zur Kooperation bei.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Begründung der Aktuellen Stunde sagen. Ich begrüße die Aktuelle Stunde; sie gibt mir Gelegenheit, zur Gesundheitspolitik aktuell Stellung zu nehmen. Aber die Begründung, mein Kollege habe nur mangelhaft geantwortet
— Sie haben recht: Ich war nicht da —, kann allein deshalb nicht stimmen, weil Sie die Aktuelle Stunde schon heute morgen angekündigt haben.
Sie müssen ja hellseherische Fähigkeiten haben, wenn Sie heute morgen schon wußten, daß die mangelhafte Auskunft die Gelegenheit für die Aktuelle Stunde ist.
Wenn der Parlamentarische Staatssekretär von 18
gestellten Fragen nur vier Fragen beantworten
kann, dann würde ich auch vorsichtig sein mit der Qualifikation „mangelhafte Beantwortung".
— Verehrter Kollege Egert, allein die Logik befähigt mich zu sagen, daß Sie heute morgen nicht wissen konnten, was mein Kollege Vogt heute nachmittag sagt. Das ist allein Logik.
— Herr Kollege Egert, gestatten Sie doch, daß ich meine Gedanken hier zusammenhängend vortragen kann. Sie haben j a Gelegenheit, wieder hierhin zu kommen, und vielleicht antworte ich wieder.
Zum Thema Selbstbeteiligung: Vielleicht lassen wir die Drapierung dieses Wortes mit Schrecken; denn, meine Damen und Herren, Selbstbeteiligung ist doch keine Erfindung der CDU/CSU. Die Elemente der Selbstbeteiligung sind doch in Ihrer Regierungszeit sukzessiv ausgebaut worden. Das gilt sowohl für die Beteiligung an den Medikamenten — das war 1977 und 1982 — als auch für die Beteiligung beim Zahnersatz, 20 % zum 1. Juli 1977 — auch das war in Ihrer Regierungszeit — und für die Selbstbeteiligung bei kieferorthopädischen Maßnahmen
— haben Sie die eingeführt, oder haben Sie sie nicht eingeführt? —,
20%ige Beteiligung bei kieferorthopädischen Maßnahmen! 1977 haben leider Gottes nicht wir regiert, sondern Sie.
Nun zum Thema Krankenhaus. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch auch da in aller Nüchternheit feststellen, daß hier sicherlich Handlungsbedarf besteht, damit die Kosten in Schach und Proportionen gehalten werden können. Nur, meine Damen und Herren, ich verstehe nicht ganz Ihre Hektik. Die Novelle, die Sie beschlossen haben, ist am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten. Die Tinte ist noch nicht richtig trocken, da verlangen Sie schon die nächste Novelle. Diese Hektik wird die neue Bundesregierung nicht mitmachen.
Wir machen Gesetze, wir novellieren, aber nur dann, wenn jeder Schritt solide abgesichert ist. Wir sind Handwerker, die keine Bruchbude bauen, sondern den nächsten Schritt auf ein Fundament solider Zusammenarbeit gründen.
Was die Finanzierungsfragen anbelangt: Auch in der Regierungserklärung kommt unsere Absicht zum Ausdruck, die Finanzierungsfrage neu zu re-
8202 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Blüm
gein, und vor allen Dingen unser Zweifel, ob das Mischsystem nicht auch Verantwortungen verwischt, unsere Absicht, diese Frage, natürlich nach guter Vorbereitung durch Gespräche mit den Ländern und allen Beteiligten, einer Neuordnung zuzuführen. Denn das, was wir machen, machen wir nicht wie ein Dieb in der Nacht, sondern vorbereitet durch Gespräche mit den Betroffenen. Überrumpelung gibt es bei einem Arbeitsminister Norbert Blüm nicht.
Im übrigen kann ich Ihren Ehrgeiz, Betten abzubauen, nur unterstützen. Das ist Ländersache. Vielleicht versuchen Sie es einmal in Nordrhein-Westfalen. Da gibt es noch viele Betten abzubauen, gibt es auf Ihrer Seite noch einen weiteren Beitrag zum Bettenabbau zu leisten.
Ich sehe schon, daß hier bereits einiges geleistet wurde.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Krankenhaus sagen: Trotz knapper Finanzmittel, leerer Kassen — die wir im übrigen nicht zu verantworten haben — haben wir für 1983 zusätzlich 50 Millionen DM insbesondere für Krankenhausinvestitionen in unseren Haushaltsplanungen vorgesehen, weil wir wissen, daß es hier einen Bedarf gibt für Rationalisierung, auch für Energieeinsparung.
Nur, lassen Sie uns auch die Frage des Krankenhauses nicht nur auf die Frage des Geldes reduzieren. Es geht auch darum, über die Strukturen des Krankenhauses überhaupt nachzudenken. Muß denn jeder Kranke, der im Krankenhaus landet, dort landen? Sollten wir nicht den Versuch unternehmen, auch der häuslichen Pflege wieder neue Chancen zu geben,
und zwar nicht allein aus Kostengründen, sondern auch aus Gründen der Humanität? Wir müssen nicht alles den großen Apparaten ausliefern, den großen Gesundheitsfabriken. Wir müssen die Familie stärken. Ich weiß, daß das mit Appellen allein nicht zu tun ist, daß wir die Familie unterstützen müssen durch Sozialstationen, in denen auch die häusliche Pflege nicht nur eine neue Wertschätzung, sondern auch finanzielle Unterstützung findet. Ich glaube, das kommt uns zu guter Letzt billiger, als wenn wir davon ausgehen, daß das Krankenhaus die bevorzugte Stelle ist, die Gesundheitsprobleme zu lösen. Diese Hoffnung sollten wir etwas relativieren.
Meine Damen und Herren, vielleicht sollten wir die Aktuelle Stunde auch benutzen, ein paar grundsätzliche Fragen zu klären. Ich glaube, wir müssen uns über die Frage unterhalten: Brauchen wir speziell auch in der Krankenversicherung mehr Staat
oder weniger Staat? Vor diese Alternative gestellt, spreche ich mich für weniger Staat aus.
Das heißt nicht Privatisierung. Das ist ein Mißverständnis. Es heißt, daß die Kräfte der solidarischen Selbsthilfe gestärkt werden müssen.
Um die Position in der knappen Zeit hier zu beschreiben: Zwei Vorfahrtsregeln gelten für die Sozialpolitik dieser Bundesregierung. Die erste Vorfahrtsregel: Selbstverwaltung hat Vorfahrt vor Gesetzgebung. Und die zweite Vorfahrtsregel: freiwillig geht vor Zwang. Ich erkläre das zur Vorfahrtsregel. Das heißt nicht, daß der Staat und die Gesetzgebung Fahrverbot hätten, sondern daß der Staat zunächst der Selbstverwaltung die Chance geben will, aus eigener Kraft Probleme zu lösen. Dazu gehört Vertrauen.
Ich sehe auch in der Konzertierten Aktion ein Mittel, die Kooperation zwischen Staat und Selbstverwaltung auszubauen, ohne daß der Staat in die Rolle des Lehrmeisters kommt. Der Staat ist Partner der Selbstverwaltung und nicht der Befehlsgeber der Selbstverwaltung.
Wir haben nicht das altliberale Verständnis, daß er nur der Nachtwächter sei; nein, er ist der Ersatzmann. Dann, wenn die Kräfte der Selbstverwaltung überfordert sind, entspricht es auch dem Subsidiaritätsprinzip, daß der Staat als Hüter des Gemeinwohls der Gesamtverantwortung verpflichtet ist. Im übrigen glaube ich, meine Damen und Herren, daß alle Zwangsmaßnahmen in der großen Gefahr stehen, von den Betroffenen unterlaufen zu werden, und daß man versucht, sie zu umgehen. Deshalb setzt unsere Gesundheitspolitik auf die Vernunft, setzt auf die Selbständigkeit der Bürger. Wir haben mehr Vertrauen zu den Versicherten, zu den Bürgern als Sie, die Sie sie ständig mit Sanktionen belästigen.
Ich betrachte es durchaus als Erfolg, daß sich die Ärzte zu einer halbjährigen Honorarpause bereit erklärt haben.
Meine Damen und Herren, Sie führen Klage über das hohe Einkommensniveau der Ärzte. Also, wir übernehmen das hohe Einkommensniveau. Wir bauen darauf unsere Sozialpolitik auf. Wir beginnen nicht mit einem hohen Einkommensniveau. Zum zweiten muß ich sagen, wir wollen auch die Frage der Arzthonorare nicht mit Neidkomplexen irrationalisieren. Wir wollen auch in dieser Frage rational diskutieren.
Im übrigen gibt es hier keine Gefälligkeitspolitik.
Die Regierung hat ihren Kurs, auch durch die Ge-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1982 8203
Bundesminister Dr. Blüm
bührenordnung ärztliche Einkommen in Schach und Proportion zu halten, gegen alle Proteste durchgehalten. Wir sind keine Regierung, die Schlagseite hat. Wir ziehen unseren Kurs unbeeindruckt. Uns kann man nur mit Argumenten Eindruck machen. — Ich bedanke mich.