Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich mitteilen: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 28 der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wir führen Punkt 1 der Tagesordnung fort: Fragestunde
— Drucksache 8/3421 —
Wir sind bei den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Anwesend ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Schartz auf:
Welche Möglichkeiten hat nach Auffassung der Bundesregierung die deutsche Bevölkerung im Obermoselraum, ihre Interessen an der Einhaltung angemessener Sicherheitsbestimmungen und der Verhinderung einer unzulässigen Aufheizung der Mosel vor und bei dem Bau eines Kernkraftwerkes in Cattenom zu wahren, und mit welcher Unterstützung durch die Bundesregierung kann sie rechnen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Schartz, die Fragen der Reaktorsicherheit, des Strahlenschutzes und der Umweltbelastungen des Kernkraftwerkes Cattenom werden in der deutsch-französischen Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen behandelt. Probleme, die im Zusammenhang mit der Belastung der Mosel stehen, werden in der internationalen Kommission zum Schutz der Mosel vor Verunreinigung beraten. Der bereits erstellte Entwurf eines internationalen Wärmelastplanes für die Mosel wird auf Grund der französischen Entscheidung zur nun beabsichtigten Erweiterung des Kernkraftwerkes Cattenom überprüft.
Sinn der Kommision ist es, darauf hinzuwirken, daß bei der Errichtung des Kernkraftwerkes Cattenom die deutschen Interessen berücksichtigt und nachteilige Auswirkungen, insbesondere für die Grenzbevölkerung, vermieden werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schartz.
Herr Staatssekretär, da die französische Regierung die deutsche Bundesregierung überhaupt nicht darüber informiert hat, daß sie die Anlage von zwei auf vier Kernkraftwerksblöcke ausweiten will, kann man doch wohl davon ausgehen, daß die deutschen Interessen bisher nicht entscheidend berücksichtigt worden sind. Welche Möglichkeiten — das ist ja der Kern meiner Frage — zeigen Sie den betroffenen Bevölkerungskreisen in der Bundesrepublik Deutschland auf? Haben Sie mit der französischen Regierung darüber gesprochen, ob Regreßansprüche deutscher Bürger gegen die französische Regierung eingeklagt werden können?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schartz, darüber ist bisher nicht gesprochen worden. Wie ich einem mir heute zugeleiteten Schreiben vom 26. November dieses Jahres an den Ministerpräsidenten des Saarlandes entnehme, ist die französische Regierung allerdings bereit, mit der deutschen Seite — und dies heißt wiederum: in der Kommission, über die wir gestern bei Abbruch der Fragestunde gesprochen haben — über die Fragen zu reden, wie es beabsichtigt war. Ich hatte Ihnen gestern gesagt, daß der ins Auge gefaßte Termin auf französischen Wunsch verschoben wurde. Aber es ist deutlich, daß die französische Regierung — sei es zu Ende dieses Jahres, sei es zu Anfang nächsten Jahres — gesprächsbereit ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schartz.
Herr Staatssekretär, Sie heben auf die gestrigen Fragen ab. Darf ich Sie fragen, ob denn nicht die Möglichkeit besteht — Sie sind dieser Frage gestern ausgewichen —, daß die deutsche Bundesregierung einen offiziellen Protest gegen die Erweiterung der Anlage in Cattenom auf vier Kernkraftwerksblöcke einlegt?Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schartz, sicher besteht diese Möglichkeit. Nur, wir sollten doch wohl das tun, was im Interesse der Bevölkerung am wirksamsten ist. Deswegen gehören
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Parl. Staatssekretär Dr. Sperlingdie Verfahrensschritte, mit denen wir in der Tat die Interessen der deutschen Bevölkerung im Grenzraum wahrnehmen, sehr sorgfältig abgesprochen auch mit der luxemburgischen Regierung, die dort ebenfalls ein Kernkraftwerk errichten möchte, und sicher ebenso mit den beiden betroffenen Landesregierungen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann .
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß von Anfang an klar war, daß es vier Kraftwerksblöcke sein würden, daß also die jetzigen Informationen nur auf eine andere Auslegung dieser Kernkraftwerksblöcke zurückzuführen sind, und ist nicht all das, was an Umweltbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit diesen vorher vorgesehenen Kraftwerksblöcken einzukalkulieren war, den Ländern Saarland und Rheinland-Pfalz sowie der Bundesregierung gleichermaßen bekannt gewesen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffmann, es war von Anfang an klar, daß die französische Regierung die Absicht hatte, vier Kraftwerksblöcke zu errichten, aber sie selber, die französische Regierung, hat getrennt zwischen zwei Kraftwerkblöcken à 1300 MW, für die sie ein schnelles Errichtungsprogramm hatte, und den beiden weiteren, noch nicht fest beabsichtigten Blöcken mit jeweils 900 MW, über die noch weitere Gespräche geführt werden sollten.
Inzwischen hat sich die Lage dahin gehend verändert, daß vier Blöcke fest beabsichtigt sind und daß die beiden Blöcke von 900 MW auf 1300 MW ausgeweitet worden sind.
Die daraus entstehenden Probleme können nur in einem Konsultationsverfahren der Regierungen erörtert werden. Es gibt — dies mag man bedauern — kein institutionell mit Verpflichtungscharakter ausgestattetes Gremium, in dem dies . sozusagen zwangsläufig zur Sprache käme. Mit Frankreich haben wir in solchen Raumordnungs- und Standortfragen nicht eine gemeinsame Kommission, wie sie etwa mit den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Osterreich besteht.
Die Regierungen der beiden Bundesländer sind an den Gesprächen, die die Bundesregierung mit der französischen Regierung und in einem zweiten Gang dann auch mit der luxemburgischen Regierung geführt hat, voll beteiligt gewesen und haben die Möglichkeit gehabt, in diesen Gesprächen die Standpunkte der Landesregierungen und die Interessen der Bevölkerung vorzutragen.
Zu Frage 103 eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Vorstellungen davon, wie sie der deutschen Bevölkerung gerade im Obermoselraum dabei behilflich sein könnte, bei eventuell auftretenden Schäden — auch bei Spätschäden —
Schadenersatzansprüche anzumelden und durchzusetzen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bisher gibt es feste Vorstellungen dieser Art nicht. Ich bin mir auch noch nicht ganz klar darüber, ob irgendeine Landesregierung, die sich grundsätzlich für die Errichtung von Kernkraftwerken in ihrem Bereich einsetzt, hinsichtlich deutscher Kraftwerke entsprechende Vorstellungen entwickelt hat.
Frage 103 ist erledigt. Ich rufe Frage 104 des Abgeordneten Müller auf:
Kann die Bundesregierung die Meldungen in der Presse bestätigen, daß entgegen einer in der deutsch-französischen Arbeitsgruppe ,Standortfragen" gegebenen Auskunft in Cattenom anstatt zwei 1 300-Megawatt-Blöcken auf Grund einer Entscheidung des französischen Ministerrates nunmehr vier Blöcke gebaut werden sollen?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir befinden uns damit im selben Themenbereich wie soeben: Das französische Industrieministerium hat bereits durch Dekret vom 11. Oktober 1978 die Eignung des Standortes Cattenom für ein Kernkraftwerk mit vier Blöcken und einer Gesamtleistung von 4 400 MW festgestellt, und zwar, wie ich eben auch schon sagte, für zwei Blöcke mit je 1 300 MW und zwei Blöcke mit je 900 MW.
In der Sitzung der deutsch-französischen Arbeitsgruppe für Standortfragen von Kernkraftwerken, die unter Beteiligung der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland sowie des Großherzogtums Luxemburg am 19. Juni 1979 in Paris tagte, wurde erklärt, das Dekret vom 11. Oktober 1978 beinhalte noch keine Genehmigung der Erweiterung, des Baus oder des Betriebs des Kernkraftwerks Cattenom; eine Entscheidung über den Bau von mehr als zwei Blöcken in Cattenom sei noch nicht getroffen.
Am 6. Juli 1979 wurde die baurechtliche Genehmigung, die den Beginn der Arbeiten gestattet, für die ersten beiden Blöcke von je 1 300 MW durch den Präfekten des Départements Moselle erteilt.
Nunmehr hat die französische Regierung ihren Beschluß bekanntgegeben, daß eine Erweiterung des Kernkraftwerks Cattenom um die Blöcke 3 und 4 mit je 1 300 MW Leistung erfolgen soll und daß jetzt' die dafür notwendigen Verfahren eingeleitet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie angesichts der Antwort, die Sie gestern meinem Kollegen Schartz auf seine Zusatzfrage gegeben haben, der Bundesrepublik bzw. der Bundesregierung stehe weder ein Einspruchsrecht zu noch sei das Einvernehmen mit der Bundesregierung beim Bau des Kernkraftwerks gefragt, fragen, welche Möglichkeiten nach Ihrer Meinung die saarländische Landesregierung hat, auf die Entscheidung
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Müller
französischer Dienststellen, insbesondere Regierungsdienststellen einzuwirken?Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Dieselben wie die Bundesregierung, Herr Kollege: die einer guten und überzeugenden Argumentation im Interesse der Bevölkerung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung den Stand der Bemühungen sowohl der EG-Kommission einerseits als auch des Europäischen Parlaments andererseits, eine Harmonisierung der Standortbedingungen für Kraftwerke oder für sonstige umweltbelastende Anlagen in Grenzbereichen herbeizuführen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Wir betrachten diese Bemühungen als notwendig, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, daß die betroffenen Landesregierungen in diesem Verfahren informativ genauso ausgestattet gewesen sind wie die Bundesregierung, möchte ich Sie fragen, ob in der Argumentation in diesem Kreise eine unterschiedliche Bewertung des gesamten Komplexes „Ausbau nuklearer Industrie" zwischen den drei Beteiligten auf deutscher Seite, Bundesregierung, Landesregierung Rheinland-Pfalz und Landesregierung Saar, erkennbar geworden ist?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffmann, die Ausführungen der Landesvertreter haben sich den Argumenten des Vertreters der Bundesregierung in diesen Gesprächen voll angeschlossen. Dies darf wohl ohne Verletzung von Vertraulichkeit gesagt werden.
Werden keine weiteren Zusatzfragen gewünscht? — Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Was hat die Bundesregierung angesichts der Erklärung des französischen Betreibers EDF zum Bau des Kernkraftwerkes Cattenom , in der u. a. die Standortentscheidung für Cattenom damit begründet wird, eventuelle Umweltbelastungen würden die Stadt Thionville (Diedenhofen) nicht treffen, unternommen, damit eventuelle Umweltbelastungen oder Störfallauswirkungen nicht - die deutsche Bevölkerung treffen, und mit welchen Ergebnissen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: In den Sitzungen der deutsch-französischen Arbeitsgruppe über Standortfragen von Kernkraftwerken ist vereinbart worden, daß sämtliche Fragen, die im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Cattenom auftreten können und die das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Großherzogtums Luxemburg betreffen, in weiteren Gesprächen behandelt werden. Es bestand insbesondere Einvernehmen darüber, daß Sicherheitspläne zum Schutz der Bevölkerung gemeinsam zwischen Luxemburg, der
Bundesrepublik Deutschland und Frankreich erarbeitet werden.
Wie ich bereits auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Schartz ausgeführt habe, hat die Bundesregierung nach Bekanntwerden der Erklärung über die geplante Erweiterung des Kernkraftwerks Cattenom sofort Schritte unternommen, um sobald als möglich die Arbeitsgruppe einzuberufen. Ich habe vorhin gesagt, daß uns aus einem Schreiben an den saarländischen Ministerpräsidenten bekanntgeworden ist, daß die französische Regierung zu Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres zu Gesprächen bereit ist, daß dies also eine Terminfrage ist, nicht eine Grundsatzfrage.
Deswegen kann man sagen: Die mit Cattenom zusammenhängenden Fragen werden in diesen Gesprächen wie auch in den weiteren Kommissionen, von denen ich vorher gesprochen habe, behandelt werden. Mit den Problemen der Reaktorsicherheit, des Strahlenschutzes und der Umweltbelastungen befaßt sich also die deutsch-französische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen. Hier liegen noch keine Ergebnisse vor. Die Probleme im Zusammenhang mit der Belastung der Mosel werden, wie ich schon ausgeführt habe, in der internationalen Kommission zum Schutz der Mosel beraten.
Das wäre es; alles andere wäre Wiederholung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die deutsche Bevölkerung vor den französischen Gerichten nicht die gleichen Rechte hat wie etwa französische Bürger, und wie könnte die Bundesregierung demnach der Bevölkerung helfen, ihre Ansprüche im Bedarfsfalle juristisch geltend zu machen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage nicht präzise beantworten. Wir werden zu prüfen haben, inwieweit hier etwas möglich ist, was den deutschen Bürgern im Rahmen der Einigung Europas vielleicht eine bessere Stellung im streitigen Verfahren vor Gerichten verschaffen kann. Ich glaube aber, es hat nichtviel Sinn, Dinge in. der Fragestunde zu beraten, die ja wohl in die Souveränitätsrechte eines anderen Staates hineingehen. Deswegen kann man in dieser Fragestunde wohl auch kaum Details solcher Überlegungen behandeln.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Müller.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Herrn Bundeskanzler zu empfehlen, dem Beispiel des Luxemburger Regierungschefs Pierre Werner zu folgen, der zugesagt hat, den Gesamtkomplex des Kraftwerks Cattenom mit dem französischen Staatschef Giscard d'Estaing zu besprechen? Könnte nicht durch ein solches Gespräch angesichts des guten Verhältnisses, das beide ja ha-
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Müller
ben sollen, eine kleinere Dimensionierung der gesamten Anlage erreicht werden?Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben dankenswerterweise auf das hervorragende Verhältnis zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten hingewiesen. So wie unser Bundeskanzler gebaut ist, braucht er keinen zusätzlichen Hinweis, um sich auch im Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten mit den Fragen zu befassen, die die Bevölkerung in jenem Bereich berühren, aus dem Sie kommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben angekündigt, auf der Grundlage dieses größeren Ausbaus des Kernkraftwerks Cattenom neue Untersuchungen darüber anzustellen, welche Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Darf ich daraus schließen, daß Ihnen und den beiden Landesregierungen die Umweltbelastungen nach dem alten vorgesehenen Stand bekannt sind, und gibt es dazu eine dezidierte Stellungnahme der Bewertung?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffmann, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie zu einem Teil dieser Fragen in früheren Fragestunden schriftliche Fragen gestellt und auch Antworten bekommen. Daher wissen Sie, daß ein anderes Ressort federführend ist. Sie können sicher sein, daß sich die Bundesregierung in den verschiedenen Ressorts, die auf Grund der Sachlage mit Cattenom befaßt sind, sehr nachdrücklich darum kümmern wird, daß nach Möglichkeit alle jene Bestimmungen, die wir im Interesse der deutschen Bevölkerung im eigenen Land einhalten wollen, auch eingehalten werden, wenn jenseits unserer Grenzen Kernkraftwerke gebaut werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schartz.
Es ist für mich sehr interessant, daß der Bau des Bundeskanzlers — um nicht zu sagen: die Konstruktion des Bundeskanzlers — mit dem Bau des Kernkraftwerkes Cattenom in Zusammenhang gebracht wird. Aber besteht nicht trotz des von Ihnen zitierten guten Verhältnisses die Gefahr, Herr Staatssekretär, daß ähnlich wie bei der Entscheidung über den Bau von vier Kernkraftwerksblöcken, über den die Bundesregierung nach Ihrer Aussage nicht informiert war, jetzt auch die Fragen der Sicherheitsbestimmungen und der Belastung der Mosel von der französischen Regierung so vorentschieden werden, daß wir das im nachhinein nur noch zur Kenntnis nehmen können?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schartz, solche Gefahren bestehen selbstverständlich, wenn unter souveränen Staaten das Befassen mit Fragen, die Dinge jenseits der Grenze betreffen, als eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten des anderen Staates verstanden wird. Vielleicht darf ich nur ganz bescheiden darauf hinweisen, wie ungemein empfindlich — zu Recht — in einem föderalistischen Staat wie dem unseren unsere Ministerpräsidenten sind, wenn sich der Bund in fürsorglicher und zurückhaltender Weise um Fragen bemüht und kümmert, die vornehmlich die Länder angehen. Sie dürfen nicht erwarten, daß die französische Regierung in solchen Punkten freudiger ist als etwa die Ministerpräsidenten, wenn sich die Bundesregierung um Dinge kümmert, für die sie auf Grund der Rechtslage keine unmittelbare Zuständigkeit hat.
Herr Kollege Schartz, Sie haben Ihrer Frage eine Anmerkung vorausgeschickt, die keine Frage war. Ich habe die Absicht, in dieser Fragestunde sehr darauf zu achten, daß keine Bewertungen vorgenommen werden. Auch wenn ich nicht rügen will, daß Ihre Frage, die sich mit der physischen Konstellation des Herrn Bundeskanzlers befaßt, eine politische Bewertung darstellt, möchte ich das doch anmerken.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Cronenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie die Fragen der Kollegen Schartz und Müller in dieser Angelegenheit auch als Musterbeispiel des gestern karikierten Sankt-FloriansPrinzips werten?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Cronenberg, der Herr Präsident hat soeben gesagt, er wolle in der Fragestunde keine Wertungen zulassen. Ich meine, deswegen haben Sie sehr hypothetisch gefragt, was ich könnte, und nicht, ob ich das tue. Herr Kollege, ich sehe mich in der Lage, das zu können, was Sie gefragt haben.
Keine weitere Zusatzfrage.Hinsichtlich der Fragen 106 und 107 bittet der Fragesteller, Herr Abgeordneter Dr. Jahn , um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich begrüße den Herrn Staatssekretär Engholm.Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf. Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:Inwieweit stimmen die im 3. Bericht nach § 35 BAföG von der Bundesregierung erstellten Prognosen über die voraussichtliche Entwicklung der Lebenshaltungskosten als Grundlage für die Berechnung der Elternfreibeträge im BAföG mit der tatsäch-
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Vizepräsident Leberlichen Preisentwicklung bis heute und der geschätzten Entwicklung für 1980 überein?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Daweke, ausweislich des 3. Berichts nach § 35 BAföG ist für die Anpassung der Freibeträge vom Elterneinkommen an die Veränderung der Lebenshaltungskosten die Entwicklung des Indexes für den Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen maßgeblich.
Bei der Vorlage des Berichts im Herbst 1978 wurde ein Indexanstieg vom September 1977, dem Zeitpunkt der letzten Anpassung, bis Herbst 1979, dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Änderungsgesetzes, um 5,2 v. H. angenommen; die Freibeträge wurden beispielsweise wie folgt angehoben: der Freibetrag für Kinder über 15 um 5,4 v. H., der Freibetrag für das Elternpaar selbst um 7,9 v. H., der Freibetrag für den alleinstehenden Elternteil um 9,2 v. H., der Freibetrag für Kinder in förderungsfähiger Ausbildung um 14,3 v. H.
Tatsächlich ist der Index um 7,1 v. H. angestiegen. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß nach dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom November 1979 „allein die Preissteigerungen bei Mineralölerzeugnissen innerhalb der letzten Monate die Lebenshaltung der privaten Haushalte im Durchschnitt direkt um 1 ½ % verteuert haben".
Um die Förderungsleistungen zu verstetigen, ist im 6. Änderungsgesetz zum BAföG allerdings erstmals eine Zwischenanpassung schon für das nächste Jahr, also den Herbst 1980, vorgenommen worden. Um den angestrebten Effekt zu erzielen, wurde — trotz der mit einer so langfristigen Prognose verbundenen Unsicherheit — einvernehmlich eine Anhebung der Freibeträge vom Elterneinkommen um durchschnittlich 3 v. H., einzelner Freibeträge darüber hinaus, z. B. der Freibeträge für das Elternpaar, um 4,1 v. H., für erforderlich gehalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist, wenn Sie die Projektion für das Jahr 1980 berücksichtigen und die beschlossenen Erhöhungen einbeziehen, zwischen 1979 und 1980 die Differenz insgesamt zwischen der tatsächlichen Entwicklung und dem, was wir durch die Erhöhung der Elternbeträge auffangen?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Bisher, Herr Kollege, liegt uns nur die Entwicklung der letzten zwei Jahre vor. Heute darüber zu spekulieren, wie die Preisentwicklung im Jahr 1980 aussehen wird, würde ich persönlich nicht wagen. Sie kennen die Unsicherheiten wissenschaftlicher Prognosen für 1980. Man kann für die abgelaufene Periode sagen, daß die Erhöhung der Freibeträge durch die Bank, vielleicht mit einer oder zwei Ausnahmen, die Erhöhung der Lebenshaltungskosten aufgefangen hat, was ich insgesamt für eine gute Sache halte.
Ich muß vielleicht ergänzend darauf hinweisen, daß für die meisten auswärts untergebrachten Studenten auch das Gesetz über die Gewährung eines einmaligen Zuschusses zu den Heizölkosten, das der Bundestag vor kurzem verabschiedet hat, in Anspruch genommen werden kann, so daß unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Leistung für die auswärts wohnenden Studenten vermutlich die meisten Studierenden „relativ gut" in den letzten Jahren über den Winter gekommen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben auf die Entwicklung der Ölpreise als Ursache für die Preissteigerungen hingewiesen. Glauben Sie nicht, daß es für die Betroffenen eigentlich relativ uninteressant ist, wo die Ursachen für die Preissteigerungen liegen, sondern daß sie insgesamt spüren, daß sie von den Preissteigerungen betroffen werden, und eigentlich eine Antwort auf diese Entwicklung erwarten?Engholm, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen voll zu und habe deswegen eigentlich, wohl wissend, wie Ihre nächste Zusatzfrage aussieht, vorweggeschickt, daß wir deshalb ein Heizölkostenzuschußgesetz gemacht haben, das die meisten der Studierenden betreffen wird, d. h. ihnen diese zum Teil sehr drastischen Kostensteigerungen aufzufangen erleichtern wird. Ich muß noch einmal sagen: Wie die Situation im nächsten Jahr im Detail bei den Preissteigerungen aussehen wird, vermag derzeit, zumal bei den anstehenden weltwirtschaftlichen Unruhen, niemand zu sagen. Ich glaube, eine gute Grundlage wird die Zwischenanpassung im Jahr 1980 sein.Vizepiäsident Leber: Wird keine weitere Zusatzfrage gewünscht?Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:Hält die Bundesregierung angesichts der schon in 1979 festzustellenden und von ihr nicht erwarteten Preissteigerung die während der Beratung der 6. Novelle von der CDU/CSU-Fraktion erhobene Forderung nach höheren Freibeträgen nunmehr für gerechtfertigt, und wie beabsichtigt sie, der Entwicklung der Preissteigerungsrate im BAföG Rechnung zu tragen?Bitte, Herr Staatssekretär.Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daweke, Methode und Verfahren der Anpassung der Freibeträge, auch der vom Einkommen der Eltern, ist in § 35 BAföG geregelt. Demnach sind diese Beträge alle zwei Jahre zu überprüfen, an den eingetretenen Veränderungen u. a. der Lebenshaltungskosten zu messen und gegebenenfalls anzupassen. Die Bundesregierung wird und muß selbstverständlich nach dieser gesetzlichen Vorschrift verfahren.Unabhängig davon beobachtet sie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten sorgfältig. Soweit ihr dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforder-
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Parl. Staatssekretär Engholmlich erscheint, wird sie notwendige Konsequenzen diskutieren und vornehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in der ersten Antwort zugegeben haben, daß die Entwicklung doch anders verlaufen ist, als Sie sie selbst projiziert hatten, darf ich fragen, ob Sie unter diesen Gesichtspunkten für das Jahr 1980 Überlegungen anstellen, diese Preissteigerungsraten aufzufangen.
Engholm, Parl. Staatssekretär: Ich habe — und ich kann dies nur wiederholen — darauf hingewiesen, daß wir als sozusagen der Lobbyist der Geförderten — das ist der Bundesminster für Bildung und Wissenschaft — die Entwicklung sehr sorgfältig beobachten und sozusagen Gewehr bei Fuß stehen, um notwendige Maßnahmen vorzuschlagen. Auf die parlamentarisch und zwischen Bundestag und Bundesrat und Ländern vorhandenen Schwierigkeiten bei möglichen Konsequenzen muß ich Sie als Mitglied des Bildungsausschusses nicht hinweisen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Darf ich Sie dann als Mitlobbyist für die Belange der Betroffenen fragen, ob die Bundesregierung ähnlich wie die im Bundestag vertretenen Parteien in der Diskussion um die Familienprogramme des nächsten Jahres beabsichtigt, auch in diesem Bereich aktiv zu werden. Oder beschränkt sich das auf die Frage der Kinderfreibeträge, Zuschüsse und ähnliches?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Nein, die Bundesregierung erörtert zur Zeit, wie Sie wissen, ein umfangreiches Entlastungsprogramm. Bei den Erörterungen dieses umfangreichen Programms spielen die Familien mit Kindern, die sich in der Ausbildung befinden, ebenfalls eine Rolle.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Dazu ist Herr Staatsminister von Dohnanyi anwesend.
Die Fragen 120 und 121 des Abgeordneten Dr. Schwencke werden schriftlich beantwortet, weil der Abgeordnete nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Bei der Frage 122 des Abgeordneten Dr. Hupka bittet der Antragsteller um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 123 des Abgeordneten Thüsing auf:
Treffen nach Information der Bundesregierung die Vorwürfe des nicaraguanischen Geheimdienstleiters Hugo Torres zu, wonach der scheidende Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Nicaragua, HansUlrich Meyer-Lindemann, einen deutschen Söldner des gestürzten Somoza-Regimes dabei unterstützt hat, das Land heimlich zu verlassen,
und welche Konsequenzen hat die Bundesregierung gegebenenfalls daraus gezogen?
Herr Staatsminister, zur Beantwortung.
Herr Kollege, Botschafter Dr. Meyer-Lindemann befindet sich seit dem 31. Januar 1979 im Ruhestand und lebt seither in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung hat keine Informationen darüber, wonach Herr Dr. Meyer-Lindemann einen deutschen Söldner des gestürzten Somoza-Regimes dabei unterstützt haben soll, Nicaragua heimlich zu verlassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Wären Sie, Herr Staatsminister, bereit, über die Botschaft der Bundesrepublik in Nicaragua nachzufragen, wie dann der Leiter des nicaraguanischen Geheimdienstes Hugo Torres zu dieser Behauptung kommt, die in meiner Frage enthalten ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es ist bei der Botschaft nachgefragt worden. Es hat sich keine Substantiierung für die Behauptung ergeben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es üblich, daß deutsche Behörden im Ausland Deutschen helfen, in Bedrängnis das Land zu verlas- sen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, danach bin ich nicht gefragt worden. Ich bin zu einem bestimmten Tatbestand gefragt worden. Zu diesem hatte ich Auskunft zu geben. Wir haben dann in Nicaragua nachgefragt. Es hat sich ergeben, daß die Behauptungen, die dort aufgestellt worden waren, unrichtig waren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wäre es ein strafwürdiger Tatbestand, wenn ein Deutscher in einem fremden Heer Dienst tut und ein deutscher Botschaftsangehöriger ihm dabei — ganz gleich, in welcher Weise — Unterstützung leistet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, in der Frage waren so viele Konjunktive, daß ich mir erlaube festzustellen, daß ich solche hypothetischen Fragen hier nicht beantworten möchte.
Keine weiteren Zusatzfragen, meine Damen und Herren? —Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Hat die Regierung der Volksrepublik Polen auf amtlichem Wege Vorstellungen gegen das neue Umsatzsteuergesetz auf der Grundlage der Argumente des Artikels der offiziellen TRYBUNA LUDU vom 13. November 1979 erhoben und bejahendenfalls, mit welcher Begründung ist die Bundesregierung polnischen Vorwürfen wegen „revisionistischer Formeln im Umsatzsteuergesetz", „rechtlicher Aggression" und fehlender „vertraglicher Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland" sowie „pseudorecht-
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Vizepräsident Leberlicher Forderungen" wegen „angeblicher Offenhaltung der Deutschen Frage" entgegengetreten?Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung kann über Einzelheiten von Gesprächen hier selbstverständlich nicht immer öffentlich Auskunft geben; aber Sie können davon ausgehen, daß gewisse Behauptungen in dem Artikel, wären sie auf amtlicher Ebene vorgetragen worden, zurückgewiesen worden wären.
Herr Staatsminister, wollen Sie nicht doch der deutschen Öffentlichkeit bekanntgeben, ob die Regierung der Volksrepublik Polen — und danach ist gefragt — auf amtlichem Wege, also über Botschafter, hier oder in Warschau, Vorstellungen gegen das neue Umsatzsteuergesetz erhoben hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, danach hatten Sie nicht gefragt.
Sie hatten „auf der Grundlage der Argumente" eines bestimmten „Artikels" gefragt. Ich verweise noch einmal darauf, daß ich hier auf die Einzelheiten von Gesprächen nicht eingehen kann.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja?
Natürlich, Herr Präsident, habe ich noch eine Zusatzfrage. Nach der Grammatik und Stilistik ist die Hauptfrage darauf gerichtet, ob die Volksrepublik Polen auf amtlichem Wege Vorstellungen erhoben hat. Können Sie das der deutschen Öffentlichkeit beantworten oder nicht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, über diese Fragen ist mit Vertretern der Volksrepublik Polen gesprochen worden. Das ist richtig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, können Sie dann auch bestätigen, daß sich die Vorstellungen, die die polnische Regierung bei dem von Ihnen eben erwähnten Gespräch mit der deutschen Botschaft in Warschau erhoben hat, in den Bahnen bewegten, die durch den vom Kollegen Czaja zitierten Artikel vorgezeichnet worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich verweise auf die Antwort, die ich eben dem Kollegen Czaja gegeben habe.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 125 der Frau Abgeordneten Simonis auf:
Treffen Berichte zu, daß der Dirigent der Berliner Philharmoniker trotz einer Gage von 30 000 DM pro Abend, die ihm das Auswärtige Amt anläßlich einer Konzertreise in die VR China gezahlt hat, durch sein Verhalten die chinesischen Gastgeber so brüskiert hat, daß nur mit Mühe Irritationen vermieden werden konnten, und wie kann die Bundesregierung in Zukunft sicherstellen, daß bei solchen Reisen die ver-
pflichtenten Künstler, deren Auftreten ja der Darstellung deutscher Kunst und Kultur im Ausland dienen soll, ein nicht über das üblicherweise tolerierte Maß von Exzentrizität hinausgehende Verhalten zeigen?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Mir war gesagt worden, Herr Präsident, daß die Frage der Kollegin Simonis schriftlich zu beantworten sei. Ich habe die Frage —
Sie haben recht, Herr Staatsminister. Das ist auch bei mir vermerkt. Aber die Frau Kollegin Simonis hat die Bitte um schriftliche Beantwortung zurückgezogen und möchte eine mündliche Beantwortung. Ich kann verstehen, daß Sie vielleicht darauf nicht vorbereitet sind.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Doch, Herr Präsident. Ich bin darauf vorbereitet, obwohl Frau Kollegin Simonis eine schriftliche Antwort vergleichbaren Inhalts wahrscheinlich bereits in der Post vorfindet.
Frau Kollegin, die Berichte, in denen angeblich von Irritationen auf der Seite der chinesischen Gastgeber über das Konzert der Berliner Philharmoniker in Peking zu lesen war, haben keine Grundlage. Im Gegenteil, sowohl die Zuhörer als auch die beteiligten chinesischen Musiker, die zum Teil sogar an dem Abschlußkonzert teilnehmen konnten, haben sich mit Begeisterung über das Konzert geäußert. Es besteht keinerlei Anlaß, Ihrer letzten Bemerkung nachzugehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Simonis.
Herr Staatsminister, gehe ich recht in der Annahme, daß Ihnen diese Bestätigung von dem Dirigenten des angesprochenen philharmonischen Konzerts gegeben worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, der Dirigent ist eine schwer ansprechbare Person,
wie Sie sich vorstellen können. Wir hatten nicht die Gelegenheit — und das war auch nicht notwendig —, mit dem Dirigenten selbst darüber zu sprechen. Die Berichte, die wir von allen Beteiligten über das Konzert hatten, waren so positiv, daß ich Sie, Frau Kollegin, beruhigen kann: Sie sind einer „Peking-Ente" — gewissermaßen — aufgesessen.
Frau Kollegin Simonis, zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, daß die „Peking-Ente" den deutschen Steuerzahler 30 000 DM pro Abend gekostet hat?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich glaube, es besteht kein Anlaß, hier über Honorare zu sprechen, die große Dirigenten für. sich in Anspruch nehmen. Die Summen sind im allgemei-
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14886 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Staatsminister Dr. von Dohnanyinen hoch und in der Regel noch höher, als Sie oder ich es uns vorstellen können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Trifft es zu, deß die deutschen Auslandsvertretungen anläßlich der Goodwill-Tournee der .Big Band" der Bundeswehr durch die Vereinigten Staaten im Frühjahr dieses Jahres keine offizielle Ankündigung zur Vorbereitung des Konzerts erhalten haben?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Voss — es ist eine musikalische Stunde, Herr. Präsident, wenn ich mir das erlauben darf —,
Ihre Annahmen sind nicht richtig. Die Gastspielreise der „Big Band" in den Vereinigten Staaten ist in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten vorbereitet worden. Die Botschaft in Washington war von Anfang an in die Vorbereitungen eingeschaltet. Sie ist auch bei der Auswahl der fünf Orte, an denen die Big Band gespielt hat, beteiligt worden. Das Auswärtige Amt hat die Konzertreise der Big Band mit einem Zuschuß gefördert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatsminister, ist es denn auch zutreffend, daß das deutsche Generalkonsulat in San Francisco von der Tournee der Big Band unterrichtet gewesen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob die Unterrichtung in San Francisco in derselben Weise stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, daß sie mindestens über die deutsche Botschaft in Washington erfolgt ist. Ich bin aber gerne bereit, dem noch einmal nachzugehen. Sie können davon ausgehen, Herr Kollege, daß von unserer Seite her jeder Versuch gemacht wird, die Auslandsvertretungen selbstverständlich über das Auftreten der Big Band zu informieren. Die Erfolge der Veranstaltungen waren groß.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, in Ihre Unterrichtung und die dieser vorausgehenden Prüfungen mit einzubeziehen, ob es stimmt, daß der Beamte des Konsulats in San Francisco, der sich, obwohl er nicht unterrichtet war, sehr tatkräftig um das Gelingen dieses Konzerts bemüht hat, nachträglich mit Schwierigkeiten überzogen worden ist und sogar in die Gefahr geriet, zwangsversetzt zu werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Voss, ich habe das Gefühl, wir haben es hier schon wieder mit einer Ente zu tun. Ich halte dies für völlig ausgeschlossen. Es ist doch ganz selbstverständlich,
daß die Auslandsvertretungen beteiligt werden. Wie gesagt, diese Planung ist in Abstimmung mit der Botschaft erfolgt. Ich bin ganz sicher, daß Ihre Informationen falsch sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 127 des Abgeordneten Dr. Voss auf:
Ist es zutreffend, daß das Auswärtige Amt in Anbetracht eines beträchtlichen materiellen Aufwands für die Goodwill-Tournee die Nichtunterrichtung der zuständigen Auslandsmissionen, wodurch die Erfolgsaussichten des Gastspiels erheblich gemindert wurden, für vertretbar hält?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das Auswärtige Amt ist selbstverständlich der Auffassung, daß von ihm geförderte Gastspielreisen deutscher Ensembles im Ausland den zuständigen deutschen Auslandsvertretungen zur Kenntnis gebracht werden müssen. Dies ist im vorliegenden Fall durch die frühzeitige Einschaltung der Botschaft in Washington geschehen. Die Tournee war ein großer Erfolg. Herr Kollege, ich befand mich zufällig an einem der Tage zu Gesprächen in Washington und hatte Gelegenheit, an dem Abend die Veranstaltung der Big Band zu besuchen. Ich kann nur bestätigen, daß es ein großer Erfolg war.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatsminister, darf ich in Frageform noch einmal darauf hinweisen, daß es sich hier nicht um Washington, sondern um San Francisco handelt und daß ich Sie bitte, gerade diesen Tatbestand in San Francisco noch einmal in eine Prüfung und eine entsprechende Unterrichtung einzubeziehen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hatte das schon verstanden. Ich bin ganz sicher, daß Sie sich irren, bin aber gerne bereit, Ihrem Irrtum nachzugehen.
Die Frage 127 ist beantwortet. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Menzel auf :
Beabsichtigt die Bundesregierung, Richtlinien für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des verantwortlichen Schichtpersonals von Kernkraftwerken in psychischer und physischer Hinsicht zu erlassen , und falls ja, in welcher Weise ist sichergestellt, daß durch solche Richtlinien die Rechte des Betriebsrats der betroffenen Unternehmen nicht eingeschränkt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Genehmigungen für kerntechnische Anlagen dürfen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14887
Parl. Staatssekretär von Schoelerdes Atomgesetzes unter anderem nur dann erteilt werden, wenn keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers und der für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes der Anlage verantwortlichen Personen ergeben. Weil für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen nicht nur die Fachkunde des Personals, sondern auch seine Zuverlässigkeit in physischer und psychischer Hinsicht von wesentlicher Bedeutung ist, hat die Bundesregierung zusammen mit den zuständigen atomrechtlichen Behörden der Länder Überlegungen zum einheitlichen Vollzug dieser Genehmigungsvoraussetzung angestellt. Als Ergebnis liegt bislang ein Konzeptentwurf vor.Obwohl die Maßnahmen zur Beurteilung der Zuverlässigkeit des in Kernkraftwerken eingesetzten Personals streng genommen allein das vom Atomgesetz begründete Verhältnis von Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde und Antragsteller berühren, der bei der betriebsinternen Umsetzung der behördlichen Anordnungen selbstverständlich einschlägige gesetzliche Vorschriften wie die des Betriebsverfassungsgesetzes beachten muß, verkennt die Bundesregierung nicht, daß die erwogenen Maßnahmen zur Beurteilung der Zuverlässigkeit auch Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben werden. Unter Federführung des für diese Fragen zuständigen Bundesministers des Innern wurden und werden deshalb Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern geführt, um ein sowohl den Rechten der Arbeitnehmer wie den sicherheitstechnischen Notwendigkeiten, wie sie in den Genehmigungsvoraussetzungen des Atomgesetzes zum Ausdruck kommen, angemessenes Vorgehen festzulegen.In diesem Zusammenhang mag die Anmerkung interessieren, daß die von Präsident Carter eingesetzte Kemeny-Kommission zur Untersuchung des Störfalls Harrisburg in ihrem im Oktober vorgelegten Bericht ausdrücklich das Fehlen der Forderung nach psychologischen Eignungsuntersuchungen des Betriebspersonals bedauert und dies für die schlechte Personalqualifikation mit verantwortlich macht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Menzel? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Trifft es zu, das das Bundesinnenministerium die Zusammenarbeit des Instituts für Reaktorsicherheit beim TÜV Rheinland in Köln mit der südafrikanischen Energiebehörde ESCOM bei der Standortwahl, beim Bau und bei der Beurteilung von Sicherheitsfragen der von Frankreich in die Republik Südafrika gelieferten Atomreaktoren gefördert hat bzw. fördert?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der von Ihnen in Ihrer Frage erwähnte Sachverhalt hat den Deutschen Bundestag schon einmal beschäftigt. Er ist damit bereits öffentlich erörtert worden, und zwar in einer Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Oktober 1975. Damals hatte der damalige Kollege Dr. Haenschke eine Frage an die Bundesregierung gerichtet, die ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere. Die Frage lautete:
Beabsichtigt die Bundesregierung, über den Beratervertrag des Instituts für Reaktorsicherheit mit der Electricity Supply Commission in Johannesburg hinaus Südafrika bei der Errichtung einer Kernenergiewirtschaft deutsche Hilfe leisten zu lassen?
Diese Frage ist damals von dem damaligen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie, Herrn Dr. Hauff, wie folgt beantwortet worden — ich zitiere —:
Herr Kollege Haenschke, das Institut für Reaktorsicherheit der TÜV e. V. hat gegen Erstattung üblicher Gebühren einen Beratungsauftrag für die südafrikanische ESCOM übernommen. Das IRS ist als e. V. nicht gehalten, die Zustimmung der Bundesregierung für diese Maßnahme einzuholen. Die Tätigkeit des IRS für die ESCOM ist somit keine Hilfeleistung der Bundesregierung für Südafrika. Es besteht keine Zusammenarbeit der Bundesregierung mit Südafrika auf dem Gebiet der Kernenergie. Eine solche Zusammenarbeit ist auch nicht beabsichtigt.
Soweit also die Ausführungen des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Forschung und Technologie Dr. Hauff am 1. Oktober 1975 im Plenum des Deutschen Bundestages.
Die Bundesregierung hat in der nachfolgenden Zeit ihren Einfluß als Auftraggeber der IRS dahin gehend geltend gemacht, daß diese Beratungstätigkeit zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet wurde. Die Tätigkeit des IRS für ESCOM wurde daraufhin im Jahre 1976 eingestellt.
Dieser Sachverhalt zeigt die Entschlossenheit der Bundesregierung, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Unterbindung dieser Beratertätigkeit eines privaten Unternehmens zu nutzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Institut für Reaktorsicherheit, die heutige Gesellschaft für Reaktorsicherheit, den Bund als Gesellschafter hat und aus Bundesmitteln institutionell und mit Projektmitteln gefördert wird?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, das damalige Institut für Reaktorsicherheit ist später in der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aufgegangen. Der Bund war nicht Gesellschafter des Instituts für Reaktorsicherheit. Das Institut für Reaktorsicherheit wurde von den Technischen Uberwachungsvereinen und dem Germanischen Lloyd getragen.Was die Gesellschaft für Reaktorsicherheit betrifft, so ist es seit Anfang 1977 so, daß 52 % der Anteile dem Bund, Bayern und NRW, also der öffentlichen Hand, und 48 % den Technischen Überwachungsvereinen gehören.Der Vorgang, über den wir uns jetzt unterhalten, liegt in einer Zeit, die vor dem Aufgehen des damaligen IRS in die heutige GRS gelegen hat.
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14888 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Vertreter des Bundesinnenministers, Ministerialdirigent Sahl, am 17. Dezember 1975 über die vorgesehene Vertragsverlängerung mit ESCOM unterrichtet worden ist und bei der Besprechung keine Einwendungen oder Gegenvorstellungen erhoben hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Conradi, dies trifft nicht zu. Ich habe mit dem Beamten, den Sie erwähnt haben, gesprochen. Er hat sofort, als er von dem Beratungsvertrag mit der ES- COM erfuhr, starke Bedenken angemeldet. In der folgenden Zeit hat die Bundesregierung, wie ich bereits erwähnt habe, ihren Einfluß als Auftraggeber des IRS dahin gehend geltend gemacht, daß diese Tätigkeit beendet wurde.
Ich hatte vorhin vergessen, eine Frage von Ihnen zu beantworten. Der Einfluß der Bundesregierung auf das IRS war nicht nur deshalb vorhanden, weil die Bundesregierung Auftraggeber war, sondern auch, weil das IRS der institutionellen Förderung unterlag. Eine projektbezogene Förderung gab es, soweit ich für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern Auskunft geben kann, nicht. Die Tätigkeit des IRS für ESCOM ist jedenfalls in keiner Weise von der Bundesregierung gefördert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Conradi.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es einen Briefwechsel zwischen dem IRS und der ESCOM aus dem Jahre 1976 über eine Phase 3 der Beraterverträge gibt, aus dem hervorgeht, daß es Anweisungen für inzwischen erbrachte Leistungen des IRS gab, und daß die internen Mitteilungen des IRS nicht erkennen lassen, daß der Vertreter des Bundesinnenministerium im IRS dagegen Vorstellungen erhoben hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich habe sowohl mit dem damaligen Geschäftsführer des IRS als auch mit dem Beamten des Bundesinnenministeriums, den Sie vorhin erwähnt haben, Kontakt aufgenommen bzw. gesprochen. Beide bestätigen übereinstimmend, daß auf einer Vorstandssitzung des IRS vom Vertreter des Bundesinnenministeriums starke Bedenken gegen den Vertrag zwischen dem IRS und der ESCOM geltend gemacht worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatssekretär, sind die Informationen über die Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Reaktorsicherheit und der ESCOM für die Bundesregierung Anlaß gewesen, auch bei anderen Firmen noch einmal zu prüfen, ob es eine mittelbare oder unmittelbare Zusammenarbeit mit der südafrikanischen ESCOM gegeben hat oder gibt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, ich habe darauf hingewiesen, daß der Deutsche Bundestag am 1. Oktober 1975 über diesen Sachverhalt unterrichtet worden ist. Ich kann Ihnen jetzt für die Dauer der vier Jahre nicht sagen, welche Schritte im einzelnen unternommen worden sind. Ich bin gern bereit, Ihnen dies mitzuteilen. Ich betone aber noch einmal, daß es keine nukleare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika gibt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Erler.
Herr Staatssekretär, bleiben Sie deshalb bei der Behauptung der Bundesregierung, daß es lediglich rein private Kontakte von Wissenschaftlern gegeben hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann noch einmal wiederholen, daß es zu keinem Zeitpunkt eine Zusammenarbeit zwischen Regierungsstellen oder eine Zusammenarbeit, die von Regierungsstellen gefördert worden wäre, gegeben hat.
Bei dem Fall, um den es jetzt geht und der bereits im Oktober 1975 in diesem Hohen Hause behandelt wurde, handelt es sich um die Zusammenarbeit eines privaten Wirtschaftsunternehmens mit ESCOM. Die Bundesregierung hat das ihr Mögliche getan, um diese Beratertätigkeit zu unterbinden, um jeden Anlaß für Mißverständnisse auszuschließen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Simonis.
Herr Staatssekretär, können Sie hier zusagen, daß Sie Ihren Einfluß geltend machen werden, daß die Zuwendungsempfänger, die entweder Projektmittel oder auch direkt Personalmittel bekommen, darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Bundesregierung keine wie auch immer geartete atomare Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern — sei es auch im privaten Bereich — und der Südafrikanischen Union wünscht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Simonis, Sie haben die Auffassung der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Ich habe vor dieser Fragestunde die in Frage kommenden Ressorts gebeten, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mir versichert, daß es auch bei den institutionell geförderten Organisationen keine Zusammenarbeit mit Südafrika gibt. Ich gehe aber davon aus, daß diese Fragestunde Anlaß für alle Ressorts ist, sich noch einmal mit dieser Frage zu beschäftigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, in diese Überprüfung auch die Tatsache einzubeziehen, daß der Fragesteller eine briefliche Antwort eines Ressorts besitzt, aus der hervorgeht, daß im Rahmen der institutionellen Förderung von internationalen Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik auch Staatsangehörigen der Südafrikanischen Republik die Möglichkeit gegeben wird, Grundlagenkenntnisse etwa in der Schwerionenforschung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14889
Ganselzu erwerben — die für die Produktion von Nuklearwaffen verwendet wird —, und daß dies angeblich bisher aus Gründen der Freiheit der Forschung nicht beeinflußbar gewesen sei? Sind Sie bereit, auf Grund Ihrer klaren Stellungnahme dafür zu sorgen, daß Ihre Haltung einheitlich durchgesetzt werden kann?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich gehe nicht davon aus, daß das, was ich hier gesagt habe, zu einer Änderung irgendeiner Praxis führen muß.Was die spezielle Frage betrifft, die Sie erwähnt haben, so hat die Bundesregierung wiederholt darauf hingewiesen, daß sie auf Begegnungen von Wissenschaftlern und Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen außerhalb ihres Bereiches keinen Einfluß hat. Dies kann sie nicht ändern.Wenn Sie wollen, daß der Brief, den Sie offensichtlich in Händen haben — den Sie zitiert haben —, noch einmal überprüft wird, bin ich dazu bereit. Ich weiß nicht, aus welchem Ressort er stammt. Ich würde ihn dann an das betreffende Ressort weiterleiten.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin von Bothmer.
Herr Staatssekretär, in der „Monitor"-Sendung am letzten Montag hat der Firmensprecher der Firma . Varian-MAT geäußert, daß Isotopenmeßgeräte, die allein für die Urananreicherungsanlagen gebraucht werden, nach Südafrika geliefert worden sind und daß weitere Lieferungsverträge für 1980 schon unterschrieben sind — —
Frau Kollegin von Bothmer, die Frage steht nicht im Zusammenhang mit dem Text der Frage, wie sie mir hier unter Nr. 30 vorliegt. Ich bedaure außerordentlich, ich kann Ihre Frage nicht zulassen.
Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 31 des Abgeordneten Conradi auf:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, ihre Erklärungen, es gebe keine atomare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika, zu korriergieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, die Frage habe ich bereits im Zusammenhang mit einer Zusatzfrage beantwortet, die vorhin, ich glaube, Frau Kollegin Simonis gestellt hat. Die Bundesregierung hat schon deshalb keinen Anlaß, ihre Erklärungen zu korrigieren, weil der Sachverhalt, um den es hier geht, bereits am 1. Oktober 1975 im Plenum des Bundestages dargestellt wurde.
Sie haben zwei Zusatzfragen, Herr Kollege Conradi.
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht den Widerspruch, der darin liegt, daß ein Unternehmen Zusammenarbeit auf nukleartechnischem Gebiet mit südafrikanischen Stellen pflegt — und dafür Verträge hat und honoriert wird — und daß etwa der Staatssekretär Grüner in der letzten Woche in der „Monitor"-Sendung erklärt hat: „Die Bundesregierung bleibt dabei, daß es zwischen Südafrika und der Bundesrepublik keine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Urananreicherung gibt oder gegeben hat." Oder in einer Fragestunde 1977 sagte Staatssekretär Grüner:
Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß deutsche Unternehmen zur Zeit mit der Republik Südafrika auf nukleartechnischem Gebiet zusammenarbeiten oder in Zukunft zusammenarbeiten wollen.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich kann zu Erklärungen der Bundesregierung schon deshalb keinen Widerspruch sehen, weil der hier erwähnte Sachverhalt am 1. Oktober 1975 im Deutschen Bundestag erörtert worden ist und dies ja eine öffentliche Erörterung war.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin von Bothmer.
Herr Präsident, darf ich meine Frage dann in diesem Bereich stellen?
Wenn sie mit der Frage in Einklang zu bringen ist.
Ich glaube, das ist so.
Herr Staatssekretär, da Sie also sagen, es gebe keinerlei Zusammenarbeit, möchte ich doch fragen, wie die Bundesregierung dazu steht, daß die Firma Varian-MAT Isotopenmeßgeräte nach Südafrika liefert, die nur für Urananreicherungsanlagen zu gebrauchen sind, und daß diese Firma für 1980 schon den Vertrag fertig hat, wieder zwei solche Geräte zu liefern, und daß die Bundesregierung auch diese Lieferung bereits bestätigt hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich muß Sie bitten, diese Frage an den innerhalb der Bundesregierung für diese Fragen zuständigen Wirtschaftsminister zu richten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner hat in der von Ihnen erwähnten „Monitor' -Sendung dazu ja bereits Stellung genommen.
Frau Kollegin von Bothmer, ich habe Ihre Frage zugelassen, weil ich nicht wußte, wie sie enden würde. Aber sie steht mit Sicherheit nicht voll im Einklang mit dem Text der Frage 31.
Zu einer Zusatzfrage, Frau Kollegin Erler.
Herr Staatssekretär, da man ja auch die deutschen Firmen zur Bundesrepublik Deutschland rechnen muß, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, sämtliche Verträge, die deutsche Firmen im sensiblen Bereich der Nukleartechnik mit Südafrika geschlossen haben, angesichts der
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14890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Frau ErlerTatsachen, die jetzt bezüglich der Firma Varian bekanntgeworden sind, erneut zu überprüfen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, über die Möglichkeiten, die die Bundesregierung in diesem Bereich hat, und darüber, wie sie davon Gebrauch macht, müßten Sie sich bitte auch bei dem dafür innerhalb der Bundesregierung zuständigen Wirtschaftsminister erkundigen.
Herr Abgeordneter Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, auf dem Hintergrund Ihrer heutigen Erklärungen Auskunft darüber zu geben — wenn nicht heute, dann schriftlich —, ob die Lieferung von Isotopenmeßgeräten — —
Herr Kollege Thüsing, das ist in Frage 31 nicht gefragt. Hier ist gefragt, ob die Bundesrepublik atomare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika korrigieren will. Hier steht nichts, was mit Isotopenmeßgeräten geschieht. — Gibt es weitere Zusatzfragen?
— Sie haben eine Zusatzfrage, die erlaubt ist. — Keine weiteren Zusatzfragen? — Dann ist die Frage 31 beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderungen ehemals und noch aktiver Spitzensportler , Sportfördermittel des Bundes nur noch an solche Verbände zu geben, in denen Mitbestimmung der Aktiven gewährleistet ist, und hielte sie eine derartige Vergabepraxis für vereinbar mit dem Grundsatz der Subsidiarität und der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten der freien Sportorganisationen?
Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung begrüßt die sowohl beim Deutschen Sportbund als auch in den Bundessportfachverbänden zu beobachtende Tendenz, die aktiven Sportler zunehmend an den Entscheidungsprozessen in den Sportorganisationen zu beteiligen. Sie hält es jedoch mit dem Grundsatz der Autonomie des Sports für nicht vereinbar, entsprechende innerverbandliche Regelungen zur Bedingung für die Vergabe von Sportförderungsmitteln des Bundes zu machen.
Keine Zusatzfrage? — Dann ist die Frage 32 beantwortet.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz, vertreten durch seinen damaligen Präsidenten Günther Nollau, den Ermittlungsbehörden und dem zuständigen Gericht Akten vorenthalten, die bereits 1973 zur Entlastung der mutmaßlichen Terroristin Astrid Proll in einer Frankfurter Anklage wegen versuchten Mordes geführt haben könnten?
Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich mit Nein. Aus den Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ergibt sich, daß bereits im Januar 1974 die Aussagegenehmigungen für die beiden am Tatort anwesenden Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorbereitet und vom damaligen Präsidenten, Dr. Nollau, gebilligt worden waren. Vor Absendung der Aussagegenehmigungen teilte das Landgericht Frankfurt dem Bundesamt für Verfassungsschutz am 4. Februar 1974 mit, daß das Verfahren gegen Astrid Proll gemäß § 205 der Strafprozeßordnung vorläufig eingestellt worden sei, so daß es zu einer Absendung der Aussagegenehmigungen nicht mehr kam.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Reddemann.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Aussage, daß dem Bundesamt für Verfassungsschutz um diese Zeit durchaus entlastendes Material vorgelegen hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reddemann, es steht mir nicht zu, die Wertung vorzunehmen, die ein Gericht vorzunehmen hat, nämlich ob eine Aussage belastend oder entlastend ist. Für die Bundesregierung ist entscheidend, daß in all den Fällen, in denen auch Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Sachaufklärung und damit zu einem ordnungsgemäßen Strafverfahren beitragen können, diese Aussagen gemacht werden, wenn nicht ganz zwingende Gründe in einem extremen Ausnahmefall entgegenstehen. Die Wertung dieser Aussagen muß dann in einem Rechtsstaat dem Gericht vorbehalten bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da in diesem Zusammenhang ein Auslieferungsverfahren beantragt werden mußte: Meinen Sie nicht, daß durch eine engere Zusammenarbeit der entsprechenden Behörden mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz vielleicht manche Schwierigkeiten, die vor allem in der britischen Öffentlichkeit aufgetaucht sind, hätten beseitigt werden können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reddemann, Ihre Frage setzt ebenfalls die Bewertung dieser Aussagen voraus. Ich kann nur noch einmal betonen: Dem Bundesminister des Innern kommt es darauf an, daß ein Gericht, vor dem das ordnungsgemäße Strafverfahren läuft, dann, wenn es eine Aussage anfordert, immer auch von Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über den diesen bekannten Sachverhalt informiert wird. Ausnahmen davon kann es nach unserer Auffassung nur in ganz seltenen, gravierenden Fällen geben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist die Frage 33 beantwortet.Die Fragen 35 und 36 des Herrn Abgeordneten Flämig können nach den Richtlinien in dieser Wo-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14891
Vizepräsident Leberche nicht behandelt werden, da ihr Gegenstand auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages für. diese Woche gestanden hat. Sie werden in einer späteren Fragestunde behandelt.Zur Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Gansel auf:Haben nach Kenntnis der Bundesregierung staatliche Sicherheitsdienste oder einzelne Bundesbeamte dem Springer-Konzern beim Abhören des Schriftstellers Wallraff „Amtshilfe" geleistet?Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege die Antwort lautet nein.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel?
Herr Staatssekretär, nachdem der Schriftsteller Wallraff schon einmal Objekt oder Opfer einer Abhöraktion gewesen ist, frage ich: Hat das Bundesinnenministerium danach eine besondere Veranlassung gehabt, den öffentlich erhobenen Vorwurf, der BND habe bei einer Abhöraktion, die ja offenbar stattgefunden hat — Zufall kann es wohl kaum gewesen sein —, Hilfe geleistet, im Gespräch mit dem Schriftsteller zu klären?
Herr Kollege Gansel, Ihre Frage enthält zwei Feststellungen. Ich bitte Sie, sich auf Fragen zu beschränken, und ich bitte den Herrn Staatssekretär, nur die Frage zu beantworten.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde Sie bitten, die Frage zu wiederholen, weil ich sie nicht verstanden habe.
Herr Staatssekretär, hat das Bundesinnenministerium den Vorwurf des Schriftstellers Wallraff, er sei Opfer einer Abhöraktion in Zusammenarbeit zwischen der Redaktion der Bild-Zeitung und dem Bundesnachrichtendienst gewesen, zum Anlaß genommen, ihn mit diesem Schriftsteller zu erörtern, nachdem dieser als Objekt oder Opfer einer vorangegangenen Abhöraktion diesen Vorwurf möglicherweise nicht ganz grundlos erhoben haben könnte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich mit Nein. Zum zweiten Teil Ihrer Frage muß ich darauf hinweisen, daß ich Ihre Ausgangsfrage ganz klar beantwortet habe: Nach Kenntnis der Bundesregierung haben staatliche Sicherheitsdienste oder einzelne Bundesbeamte bei der von Ihnen erwähnten Abhöraktion in keiner Weise mitgewirkt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, da durch die Abhöraktion offenbar in das Postgeheimnis eines Staatsbürgers eingegriffen worden ist und damit Grundrechte und die Verfassung verletzt worden
sind, frage ich: Ist dies zum Anlaß genommen worden, diesen Vorgang durch die für den Schutz der Verfassung zuständigen Behörden technisch und politisch untersuchen zu lassen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Gansel. Der Staatssekretär des Postministeriums hat im Innenausschuß zu der Frage Stellung genommen, ob eine Fehlschaltung über einen so langen Zeitraum, wie sie von der Redaktion der BildZeitung behauptet wurde, geschehen könne. Er hat dazu gesagt, daß so etwas sehr selten möglich sei, daß Wiederholungsfälle noch seltener seien und daß eine Dauerwiederholung über mehrere Stunden unmöglich sei. Er hat außerdem mitgeteilt, daß der Postminister einen Spezialtrupp einsetzen will, der die Telefonleitung Wallraffs auf technische Veränderungen überprüfen soll.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Voigt.
Herr Staatssekretär, ist das bekanntgewordene verfassungswidrige Verhalten des Springer-Verlages für die Bundesregierung Anlaß gewesen, den Springer-Verlag oder einzelne Bedienstete in die Beobachtung durch den Verfassungsschutz einzubeziehen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, diese Frage ist Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Unabhängig davon hat die Bundesregierung ein Interesse daran, daß der wahre Sachverhalt in dieser Frage voll aufgeklärt wird. Das, was sie dazu beitragen kann, wird sie tun.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Wittmann.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bzw. der Bun- despostminsiter auch dann einen technischen Suchtrupp einsetzen, wenn sich ein anderer Staatsbürger, der nicht Wallraff ist, darüber zu beklagen hat, daß Fehlschaltungen mit Abhörmöglichkeiten vorkommen könnten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, ich nehme an, daß es die übliche Praxis des Postministers ist, dann, wenn solche Behauptungen auftauchen, eine Untersuchung einzuleiten. Aber ganz unabhängig davon, ob das üblicherweise der Fall ist oder nicht, meine ich doch, daß Sie nicht kritisieren sollten, daß der Postminister versucht, Vorwürfe, die in der Offentlichkeit erhoben worden sind, durch eine klare Aufhellung des Sachverhalts zu widerlegen, oder jedenfalls festzustellen versucht, was nun der wahre Sachverhalt war.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Brandt.
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14892 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß von seiten der Post ein solcher Spezialtrupp auch in Sachen eines Staatsbürgers namens Strauß eingesetzt worden ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brandt, das ist nach meiner Kenntnis so gewesen. Ich möchte aber - noch einmal auf die vorherige Frage zurückkommend — doch erwähnen, daß die Tatsache, daß es sich hier um Herrn Wallraff gehandelt hat, auch nach Auffassung der Opposistion kein Grund sein sollte, die notwendige Untersuchung etwa zu unterlassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß diese Untersuchungen der Bundespost auch durch einen Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages behandelt worden sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Miltner, jetzt muß ich Sie wirklich darum bitten, die Frage nach Einzelheiten des Verfahrens der Deutschen Bundespost, mit dem wir uns jetzt schon die ganze Zeit befassen, an den zuständigen Postminister zu stellen. Ich kann Ihnen Einzelheiten dazu, wie die Post verfährt, nicht mitteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen; damit ist die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Gansel beantwortet.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Spranger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt daß der Bericht der Zeitschrift „Neue Revue" vom 10. November 1979 zutrifft, wonach ein Großteil der auf deutschen Flughäfen verwendeten Geräte zur Durchleuchtung von Handgepäck untauglich ist, um Handwaffen wie z. B. Revolver aufzuspüren?
Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der von Ihnen zitierte Bericht in der Zeitschrift „Neue Revue' vom 10. November 1979 trifft nicht zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger.
Herr Staatssekretär, ist demnach davon auszugehen, daß die bei diesen Überprüfungen in Flughäfen im Einsatz befindlichen Blitzgeräte in der Lage sind, Sprengstoff, Plastikmaterial und Rauschgift festzustellen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, in den Flughäfen in der Bundesrepublik Deutschland sind sowohl Blitzstrahler als auch Dauerstrahler im Einsatz. Die Bundesregierung verfolgt alle Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet sowohl im In- als auch im Ausland. Wir haben bisher kein Gerät gefunden, das besser geeignet wäre, die Bedingungen, die an solche Geräte gestellt werden müssen, zu erfüllen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dem Bericht dieser Redakteure nachgegangen, die behaupten, sie hätten mit gleichartigen Spielzeugpistolen einen Entführungsfall, wie es ihn damals im September in Köln gegeben hat, wiederholen können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, Sie müssen, wenn Sie sich mit dieser Frage ernsthaft beschäftigen, von zwei Voraussetzungen ausgehen, die an die Eignung solcher Geräte zu stellen sind. Erstens müssen die Geräte geeignet sein, beim Durchleuchtungsvorgang möglichst viele Gegenstände festzustellen, und zweitens müssen sie möglichst weitgehend gesundheitliche Beeinträchtigungen des Bedienungspersonals und des Flugpersonals vermeiden. Ich wiederhole, daß uns kein Gerät bekannt ist, das diese beiden Bedingungen besser erfüllte als die von uns bereits eingesetzten Geräte.
Selbstverständlich bleibt dabei immer ein Bereich, der von diesen Geräten nicht erfaßt wird. Das ist bei allen Geräten der Fall. Deswegen haben die Handnachkontrollen, die in der Bundesrepublik Deutschland bei der Fluggastkontrolle in einem sehr großen Umfang — in einem größeren Umfang als in den europäischen Staaten um uns herum — durchgeführt werden, eine ganz erhebliche Bedeutung. Wir bemühen uns also wirklich darum, alles zu tun, um diese Kontrollen so sicher wie menschenmöglich zu machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
Herr Staatssekretär, ist angesichts der Überprüfungspraxis und der Kenntnisse von der Wirksamkeit solcher Geräte zumindest die Vermutung begründet, daß eine Pistole, die dennoch im Flugzeug auftaucht, wahrscheinlich eine Plastikpistole ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Broll, es kommt darauf an, ob Sie sich darauf verlassen können, daß bei der Fluggastkontrolle wirklich jeder Fluggast durch die Kontrolle gekommen ist. Es ist natürlich denkbar, daß es jemand — wir bewegen uns jetzt im Bereich der Theorie, der Hypothesen — gelingen könnte, obwohl alle Sicherungsmaßnahmen dagegen ergriffen worden sind, unter Vermeidung der Fluggastkontrolle in ein Flugzeug zu gelangen. Deshalb wird die Vermutung, die Ihre Frage enthält, gegeben sein, die absolute Gewißheit aber nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Riedl.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, einmal die Beamten auf dem Flughafen Köln/Bonn nach ihren Erfahrungen mit diesen Geräten und danach zu befragen, ob es richtig ist, daß die dort eingesetzten Geräte in aller Regel Papier und Akten fotografisch so wiedergeben, daß dies wie Metall ausschaut, daß also einer, der mit einer Tasche kommt, in der nur Papier ist, ganz genau durchsucht wird, weil sich dieses auf
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14893
Dr. Riedl
dem Schirm so abzeichnet, als ob es Metall wäre? Die Polizisten haben mir schon bestätigt, daß diese Geräte keinen Pfennig wert sind. Wären Sie bereit, dies einmal an Ort und Stelle überprüfen zu lassen?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, ich stelle mit Vergnügen und Freude fest, daß Sie sich in diese Frage sehr eingearbeitet haben. Ich gestehe freimütig, daß ich eine so intensive Kenntnis, wie Sie sie hier dargelegt haben, nicht habe.
— Nein, Herr Kollege Riedl, ich gehe genau an der gleichen Stelle durch wie Sie, habe aber trotzdem nicht diese intensive Kenntnis, wie Sie sie dargelegt haben. Ich passiere die Kontrollen so wie jeder andere Staatsbürger dieser Republik auch.Was Ihre Frage nach dem Gespräch mit den Beamten betrifft, will ich jetzt aber doch ernsthaft auf folgendes hinweisen, Herr Kollege Riedl: Beamte des Bundesinnenministeriums bereisen regelmäßig die Flughäfen auch in der Bundesrepublik Deutschland, um sich vor Ort von den Dingen ein Bild zu machen, die wir in dieser Fragestunde diskutieren. Was ich Ihnen hier dazu sagen kann, ist das Ergebnis dieser Gespräche vor Ort.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Voss.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung einmal überlegt, zu der bewährten Handkontrolle zurückzukehren, nachdem die Geräte, wie Sie eben geschildert haben, erhebliche Mängel haben und eine Handkontrolle unserer Sicherheit sehr viel förderlicher sein würde als die Systeme, die jetzt im Einsatz sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voss, ich habe darauf bereits hingewiesen. Die Bundesregierung hat manuelle Nachkontrollen veranlaßt, und zwar seit Herbst 1977. Diese beschränken sich nicht auf die Fälle, bei denen keine eindeutige Erkennung möglich ist, sondern werden auch bei Nichtanzeige des Röntgengeräts durchgeführt. Insgesamt erreichen die Nachkontrollen von Hand eine Quote von 50 % und liegen damit beträchtlich über dem Weltstandard von 10 %. Die besondere Effektivität dieser Nachkontrollen besteht darin, daß sie variabel erfolgen und für den Fluggast nicht kalkulierbar sind.
Herr Kollege Kuhlwein zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind die Kontrollen so effektiv gewesen, daß seinerzeit dabei auch der Revolver entdeckt wurde, den der CSU-Vorsitzende beim Besteigen einer Lufthansa-Maschine mit sich trug?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, meine Kenntnis dieses Vorganges kommt aus der Presse. Deshalb kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen, wie dieser Revolver entdeckt worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Simonis.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß ein Teil der hier gestellten Fragen und auch eine Ihrer Antworten, d. h. die Unkenntnis über das, was in den Flughäfen an Kontrollen passiert, darauf zurückzuführen ist, daß Mitglieder des Kabinetts und einige höhergestellte Mitglieder dieses Hauses an den Kontrollen vorbei — —
Frau Kollegin Simonis, die Frage steht mit Sicherheit nicht in Übereinstimmung mit dem Text der Ausgangsfrage. Hier ist gefragt, ob der Bundesregierung Mängel auf den Flughäfen bekannt sind.
Werden weitere Zusatzfragen gestellt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich trotzdem noch einmal — —
Wenn Sie das wünschen.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Darf ich trotzdem noch einmal darauf hinweisen, Frau Kollegin — ich habe das vorhin schon bei einer anderen Frage getan —, daß ich die Kontrollen selbstverständlich so passiere wie Sie und alle anderen Bürger dieser Republik.
Keine weitere Zusatzfrage. Frage 39 ist damit erledigt.
Ich rufe Frage 40 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung ggf. unternommen, um die damit aufgedeckte Lücke in den Sicherheitskontrollen des Flugverkehrs und insbesondere der Lufthansa zu schließen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, die Antwort hat sich durch die Zusatzfrage und meine Antworten darauf erledigt. Ihre Frage ist beantwortet worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß diese sogenannten Dauerstrahlgeräte in anderen Ländern, wie USA, Niederlande und Irland, schon längst als einheitlicher Typ zur Verfügung stehen, und warum hat die Bundesregierung diese Art von Geräten bisher nur teilweise angeschafft?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, ich betone noch einmal, daß wir an die Eignung eines Gerätes zwei Bedingungen stellen. Die erste ist, daß das Gerät möglichst viel erkennt, und die zweite ist, daß die Sicherheit des Bedienungspersonals und der Fluggäste in höchstem Maße gewährleistet sein muß. Diese zweite Bedin-
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Parl. Staatssekretär von Schoelergung ist bei den Dauerstrahlern das Problem. Sie können bei einem Dauerstrahl eher Probleme für die Sicherheit des Bedienungspersonals und der Fluggäste als bei dem anderen Modell haben. Unter diesen beiden Gesichtspunkten werden in der Bundesrepublik Deutschland die Geräte ausgewählt, die zur Kontrolle benutzt werden, und unter diesen beiden Gesichtspunkten sind diejenigen, die wir haben, nach unserer Erfahrung und Beobachtung auch der internationalen Entwicklung optimal.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger.
Herr Staatssekretär, wie ist etwa das Verhältnis zwischen Blitz- und Dauerstrahlgeräten, und ist es zutreffend, daß in den letzten Wochen beispielsweise auf dem Flughafen in Frankfurt solche Dauerstrahlgeräte zum Einsatz gekommen sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß ein bestimmter Typ eines Dauerstrahlgeräts in der Bundesrepublik Deutschland im Einsatz ist. Wie das Verhältnis dieser beiden Arten zueinander ist, kann ich im Augenblick aus dem Kopf nicht sagen; aber ich bin gern bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger .
Herr Staatssekretär, gehört zu den Schritten, die die Bundesregierung unternehmen wird, auch die Nachprüfung, ob die von Ihnen vorhin erwähnten Handkontrollen durch das Kontrollpersonal auch tatsächlich durchgeführt werden? Ich frage dies angesichts der Tatsache, daß mir persönlich in diesem Zeitraum eine solche Handkontrolle auf einem der verschiedenen Flughäfen noch nie begegnet ist.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte daran nicht die Vermutung knüpfen, daß Sie einer derjenigen sind, der sich den Kontrollen entzieht. Ich kann nur darauf hinweisen, daß mir solche Handkontrollen öfter vorgekommen sind, und ich kann Ihnen sagen, daß durchschnittlich etwa 50 % der Reisenden von dieser Handkontrolle betroffen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, uns hier einmal zu erklären, was die Geräte wirklich erkennen? Wir gehen hier davon aus — das ist in den Fragen deutlich geworden —, daß sie Plastik nicht erkennen, dagegen Papier als Metall erkennen. Das kann nicht der richtige Weg der Erkennung sein.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voss, ich bin gern bereit, Ihnen dies im einzelnen schriftlich nachzureichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Wittmann auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Umstände der am 11. Oktober 1978 durch bayerische Behörden veranlaßten Abschiebung zweier CSSR-Flüchtlinge in die CSSR sowohl einen Verstoß gegen ein einschlägiges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, gegen einen Beschluß der Innenministerkonferenz als auch eine Verletzung des Ausländerrechts darstellt, da bei der Entscheidung der bayerischen Behörden das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf überhaupt nicht eingeschaltet worden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammenfassend beantworten könnte.
Ist der Fragesteller damit einverstanden?
— Dann rufe ich auch die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Wittmann auf:Hat es neben den bekanntgewordenen Fällen weitere Abschiebungen gegeben, und welche Möglichkeiten bestehen nach Ansicht der Bundesregierung, künftig sicherzustellen, daß sich ähnliche Fälle in unserem Lande nicht wiederholen?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die auf Grund einer Abschiebeverfügung des Landratsamts Berchtesgadener Land am 23. November 1978 erfolgte Abschiebung der beiden tschechoslowakischen Staatsangehörigen Cernak und Zilka verstößt— erstens gegen § 38 des Ausländergesetzes, weil, wie sich aus den nunmehr von Bayern vorliegenden Unterlagen ergibt, ein Asylantrag vorgelegen hatte, der nach § 38 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf hätte weitergeleitet werden müssen,— zweitens gegen § 14 Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes, weil die betreffenden Tschechoslowaken in einen Staat abgeschoben wurden, in dem ihnen auf Grund der dortigen Republikschutzgesetzgebung politische Verfolgung drohte,— drittens gegen den Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. August 1966, wonach auch solche Angehörige von Ostblockstaaten, die illegal eingereist sind, nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden dürfen.Damit liegt auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Asylrecht des Art. 16 des Grundgesetzes vor.Neben diesen beiden Fällen sind von bayerischen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung in sieben weiteren Fällen Personen abgeschoben oder zurückgewiesen worden, die aus Ostblockstaaten kamen und Asylbegehren zum Ausdruck gebracht haben. Diese Fälle sind der Bundesregierung erst durch die Dokumentation des bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 23. November 1979 bekanntgeworden.Was die Möglichkeiten der Bundesregierung betrifft, Rechtsverletzungen durch Behörden der Län-
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist die verfassungsmäßige Pflicht der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß die Verfassung und die Gesetze des Bundes überall in der Bundesrepublik Deutschland eingehalten werden. Sie muß deshalb darauf bestehen, daß sich solche Fälle nicht wiederholen. Neben den von ihr bereits ergriffenen Schritten hätte die Bundesregierung nur noch die Befugnis der Bundesaufsicht nach Art. 84 GG, um künftige ähnliche Rechtsverletzungen zu unterbinden. Erklärungen des bayerischen Staatsministers des Innern, daß sich derartige Vorfälle nicht wiederholen sollten, geben allerdings der Bundesregierung Anlaß zu der Hoffnung, daß diese Möglichkeiten nicht ausgeschöpft zu werden brauchen.
Ehe ich Ihnen das Wort zu einer Zusatzfrage erteile, Herr Kollege Wittmann, möchte ich Sie um Verständnis bitten, daß ich bei diesem Punkt, der hohe politische Aktualität hat, noch einmal bitte, darauf zu achten, daß in die Fragestellung keine Feststellungen und keine Bewertungen gekleidet werden. Es würde mir leid tun, wenn ich deswegen Fragen nicht zulassen könnte.
Das Wort zur ersten Zusatzfrage hat der Herr Kollege Wittmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die bayerische Staatsregierung ihren Erlaß vom 17. März 1978 an die Grenzschutzbehörden noch nicht zurückgenommen hat, und besteht da nicht die Gefahr, daß sich solche Ereignisse wiederholen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, zu dem von Ihnen erwähnten Erlaß vom 17. März 1978 ist der bayerischen Staatsregierung vom Bundesminister des Innern unsere Rechtsauffassung mitgeteilt worden, nach der dieser Erlaß nicht im Einklang mit den vom Bund und von den Ländern gemeinsam verabschiedeten Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz steht. Diese Mitteilung des Bundesministers des Innern an das bayerische Staatsministerium des Innern ist am 17. März 1979 erfolgt. Der bayerische Staatsminister des Innern ist von uns gebeten worden, diese Richtlinien zu überarbeiten und ihnen eine andere, mit den Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz übereinstimmende Fassung zu geben. Darauf haben wir bis zum heutigen Tag noch keine Mitteilung aus Bayern erhalten.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Wittmann.
Herr Staatssekretär, wenn ich die Pressemitteilungen der letzten Tage verfolge, stelle ich fest, daß die bayerische Staatsregierung nun versucht, die Verantwortung — —
Herr Kollege Wittmann, ich muß Sie bitten, sich an meine Bitte zu halten. Sie stellen hier etwas fest, was in der Presse steht. Ich möchte Sie bitten zu fragen.
Ich frage also die Bundesregierung, wieweit sie an der Ausweisung dieser beiden Tschechen verantwortlich beteiligt war.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, Bundesdienststellen waren an der Abschiebung dieser beiden Personen nicht beteiligt. Die alleinige und volle Verantwortung liegt bei bayerischen Dienststellen. Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten verschiedentliche Versuche unternommen, eine volle Aufklärung des Sachverhalts und eine klare rechtliche Bewertung durch die bayerische Staatsregierung zu erhalten. Beides ist ihr trotz mehrfacher Versuche bis zum heutigen Tag nicht möglich gewesen. Erst durch die Vorlage der Dokumentation am 23. November 1979 durch Herrn Tandler haben wir einen gewissen Überblick über die Sachverhalte, über die wir hier diskutieren, erhalten, und dies, obwohl wir uns vorher mehrmals darum bemüht hatten.
Keine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Wittmann. Ich habe noch acht Fragesteller für Zusatzfragen notiert. Als nächstem gebe ich das Wort zu einer Zusatzfrage dem Kollegen Voigt.
Herr Staatssekretär, wie wollen die Bundesregierung und — soweit es ihr bekannt ist — die bayerische Staatsregierung dazu beitragen, daß die erhebliche Unsicherheit, die bei tschechoslowakischen Bürgerrechtlern in der CSSR und bei Emigranten aus der CSSR in der Bundesrepublik Deutschland durch die Verfahrensweise eingetreten ist, beseitigt wird und bei ihnen eine Sicherheit über die tatsächliche Verfahrensweise wiederhergestellt wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, wir können diese Sicherheit nur so wiederherstellen, daß wir alles tun, damit auch in Bayern die bestehenden Gesetze und die bestehende Rechtslage bei der Praxis der Ausländer- und Grenzbehörden beachtet werden. Wenn dies geschieht,
dann ist die Sicherheit, nach der Sie gefragt haben, gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger .
Herr Präsident, da Sie auch die Frage 42 mit aufgerufen haben, möchte ich den Herrn Staatssekretär fragen, ob ihm bekannt ist, daß am 8. Oktober 1979 Grenzschutzbeamte des Bundes eine 14jährige Äthiopierin in ihr Heimatland zurückgeschickt haben, in dem ja die gleichen Bedingungen herrschen, die Sie vorhin unter Hinweis auf § 14 des Ausländergesetzes genannt haben.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, der Fall ist der Bundesregierung selbstverständlich bekannt. Wie Sie wissen, hat Bundesin-
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Parl. Staatssekretär von Schoelernenminister Baum alle Bemühungen unternommen, um zu erreichen, daß dieses Mädchen wieder in die Bunderepublik Deutschland einreisen kann. Dies ist mittlerweile auch erfolgt. Der entscheidende Unterschied zu den hier diskutierten Fällen ist der, daß es sich hier nicht um jemand handelte, der Asyl an der Grenze begehrte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Marschall.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wie vielen von den 57 — laut einem Brief des bayerischen Innenminsters an den Lindauer Landrat — in Bayern zurückgewiesenen Asylsuchenden des Jahres 1978 das Asylrecht rechts- und verfassungswidrig verweigert wurde?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Miltner.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Bund ein fachliches Weisungsrecht gegenüber den bayerischen Grenzbehörden hat und davon keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl die Grenzschutzdirektion Koblenz, die dem Bundesinnenministerium untersteht, vier Wochen vor der Abschiebung Kenntnis von dieser Abschiebungsabsicht hatte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Miltner, dies trifft nicht zu. Die Abschiebung ist von einer bayerischen Ausländerbehörde vorgenommen worden. Gegenüber dieser bayerischen Ausländerbehörde haben Bundesdienststellen keinerlei Weisungsbefugnis.
Zu einer weiteren Zwischenfrage hat das Wort der Kollege Voss.
— Meine Damen und Herren, ich kann die Redner nur in der Reihenfolge aufrufen, wie sie den Schriftführern und mir zur Kenntnis gekommen sind.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß zwei Bundesbehörden, die dem Bundesinnenministerium unterstehen, nämlich das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf und die Grenzschutzdirektion Koblenz, am 14. Oktober 1978 von der beabsichtigten Abschiebung unterrichtet worden sind, daß keine Reaktion von seiten irgendeiner dieser Behörden oder des Bundesinnenministeriums erfolgt ist und daß erst 38 Tage nach diesem Zeitpunkt die wirkliche Abschiebung vorgenommen wurde?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voss, von dem Erlaß des Landratsamts Berchtesgadener Land vom 9. November 1978, mit dem die Abschiebung in die Tschechoslowakei angeordnet wurde, sind Bundesdienststellen nicht benachrichtigt worden. Aus der Nachricht, auf die Sie jetzt Bezug nehmen, ergab sich nicht, daß die Abschiebung in die Tschechoslowakei, d. h. in einen Verfolgerstaat, beabsichtigt war.
Zu einer weiteren Zusatzfrage hat jetzt der Kollege Spranger das Wort.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß das Bundesinnenministerium, daß insbesondere Sie, um den 7. Dezember 1978 herum von einem Schreiben des Vertreters des Flüchtlingskommissars der UNO, des Herrn Dr. Henkel, an die bayerische Staatsregierung vom 7. Dezember 1978 unterrichtet wurde, in dem ausdrücklich stand, daß die Betroffenen in die CSSR abgeschoben worden sind? Aus welchen Gründen hat es die Bundesregierung bis zum 30. Juli 1979 unterlassen, dieser Angelegenheit pflichtgemäß nachzugehen?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß Sie die Bundesregierung auffordern, in zukünftigen Fällen stärker gegen Bayerns Praxis vorzugehen.
Was den Sachverhalt betrifft, der Ihrer Frage zugrundeliegt, möchte ich auf folgendes hinweisen.
— Herr Kollege, ich bin gerade dabei.Es trifft zu, daß sich der Hohe Flüchtlingskommissar am 7. Dezember 1978 gegenüber dem bayerischen Staatsministerium des Innern über diese Behandlung der beiden Tschechoslowaken beschwerdeführend geäußert hat. Ein Abdruck dieses Schreibens ist auch dem Bundesinnenministerium zur Kenntnis gebracht worden.
Ich habe daraufhin den Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars zu einem Gespräch gebeten. Dieses hat am 9. Januar 1979 stattgefunden.
In diesem Gespräch hatte der Hohe Flüchtlingskommissar noch keine Auskunft von der bayerischen Staatsregierung auf seine Beschwerde vom 7. Dezember 1978. Wir sind deshalb beide davon ausgegangen, daß eine weitere Sachaufklärung durch die bayerischen Behörden erforderlich ist.
Diese Sachverhaltsaufklärung hatte der Hohe Flüchtlingskommissar eingeleitet.Über den Fortgang der Angelegenheit sind wir dann nicht mehr unterrichtet worden. Erst durch das Schreiben des Kollegen Karsten Voigt vom 17. Mai 1979 sind wir veranlaßt worden, nun auch eigene Sachverhaltsaufklärungen unmittelbar bei bayerischen Behörden zu versuchen. Diese Versuche haben bis zum heutigen Tage, leider, nicht dazu geführt, daß wir ein umfassendes Bild über den Sach-
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Parl. Staatssekretär von Schoelerverhalt und eine klare rechtliche Bewertung erhalten haben.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß wir diesen Fall so ernst nehmen sollten, daß es niemand darauf ankommen sollte, hier die Verantwortung hin- und herzuschieben.
Es kann alles nichts daran ändern, daß die Abschiebung von bayerischen Behörden vorgenommen worden ist und daß dort die alleinige politische Verantwortung liegt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, daß Sie diese Fragestunde mit gehöriger Ruhe begleiten. Die für die Fragestunde angesetzte Zeit ist seit zwei Minuten überschritten. Die Frage ist aber aufgerufen. Ich möchte die Möglichkeiten für zusätzliche Fragen jetzt nicht abschneiden, sondern die Gelegenheit geben, diese Frage abschließend zu behandeln. Wir werden die angesetzte Zeit um die dafür notwendige Zeit überschreiten.
Ich habe die Bitte, daß sich die Fragesteller kurz fassen und auf Bewertungen verzichten, die schon ein paarmal angeklungen sind. Auch die Beantwortung durch den Herrn Staatssekretär sollte in gebührlicher Kürze erfolgen. Sonst müßten wir die Zeit für die Fragestunde vermutlich um eine Stunde überschreiten.
Als nächstem erteile ich dem Herrn Kollegen Wendig das Wort.
Herr Staatssekretär, liegen dem Innenministerium inzwischen Erklärungen vor, wonach die bayerische Staatsregierung heute, nach ihrem jetzigen Wissensstand, das Verfahren, das im vergangenen Jahr dort stattgefunden hat, selbst als ein Verfahren ansieht, das nicht mit den rechtlichen und gesetzlichen Vorschriften in Übereinstimmung steht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Eine solche Erklärung liegt der Bundesregierung nicht vor.
Auf unsere Bitte um eine rechtliche Bewertung dieses Vorgangs sind uns nur früher Stellungnahmen zugegangen, aus denen sich ergab, daß die bayerische Staatsregierung diese Fälle für rechtlich nicht beanstandbar hält. Eine solche rechtliche Bewertung entspricht nicht der Auffassung der Bundesregierung. Aus neuerer Zeit kennen wir nur öffentliche Erklärungen der bayerischen Staatsregierung. In diesen öffentlichen Erklärungen wird zu der Rechtsfrage nicht klar Stellung genommen.
Ich hoffe trotzdem, daß in der Praxis in Bayern sichergestellt ist, daß sich solche Fälle nicht wiederholen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Gerlach.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung neben den bereits bekannten Schreiben auch darüber informiert, daß in dem Fernschreiben der Grenzpolizeidirektion Freilassing vom 14. Oktober 1978 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß die österreichischen Behörden die Übernahme im Rahmen des deutsch-österreichischen Schub-Abkommens abgelehnt hatten und somit für den klar denkenden Verantwortlichen — auch in Ihrem Verantwortungsbereich — verständlich werden mußte, daß allein eine Überführung in die Tschechoslowakei noch in Betracht kam?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Dies trifft nicht zu, Herr Kollege Gerlach. Es wäre auch eine Abschiebung in andere Länder in Frage gekommen. In dem Fernschreiben ist nicht erwähnt, auf welchem Reiseweg die beiden in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Abschiebungen können grundsätzlich entweder in ein aufnahmebereites Land der Wahl dessen, der abgeschoben werden soll, oder in ein Land, aus dem der Betreffende kommt, oder in das Heimatland erfolgen. Für eine Beurteilung des Sachverhalts, wohin eine Abschiebung geplant war, ergaben sich aus dem Fernschreiben keine Informationen.
Im übrigen muß ich Sie darauf hinweisen, daß in diesem Fernschreiben viele Angaben, die die beiden Betroffenen gemacht haben und für diesen Fall wichtig sind, nicht enthalten waren, so z. B. die Angabe, daß sie Schwierigkeiten mit der Kommunistischen Partei hatten, und ähnliches, also ein Sachverhalt, aus dem sich der Tatbestand der politischen Verfolgung ergibt. Ich weise deshalb darauf hin, weil der Bundesregierung diese Sachverhalte erst durch die Ausgabe des „Spiegels" vom Montag dieser Woche bekanntgeworden sind. Vorher haben wir trotz aller Bemühungen, den Sachverhalt aufzuklären, dieses nicht erfahren.
Meine Damen und Herren, damit Sie wissen, wann Sie zu einer weiteren Zusatzfrage das Wort erteilt bekommen, will ich die Reihenfolge nennen, wie sie hier bei mir verzeichnet ist. Ich habe hier die Abgeordneten Wittmann , Berger, Riedl, Marschall, Frau Erler und Hartmann vermerkt.
— „Voss" steht nicht mehr hier. Herr Kollege Voss, ich habe keine Wortmeldungen mehr entgegengenommen, seit ich vorhin meine Erklärung abgegeben habe. Ich nehme auch keine weiteren Wortmeldungen mehr an.
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Vizepräsident LeberAls nächster hat der Kollege Wittmann zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben selbst festgestellt haben, Ihnen sei vom Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars hier in der Bundesrepublik am 9. Januar über die beiden Tschechoslowaken Mitteilung gemacht worden, frage ich Sie, warum Sie erst am 30. Juli — mittlerweile lag auch noch das Schreiben eines Kollegen dieses Hauses vor — eine Anfrage an das bayerische Staatsministerium des Innern gerichtet haben.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wittmann, Sie gehen von einem falschen Sachverhalt aus. Das Schreiben des Kollegen Voigt vom 17. Mai 1979 hat der Bundesminister des Innern zum Anlaß genommen, über die Grenzschutzdirektion bei der bayerischen Grenzpolizei den Versuch einer Sachaufklärung zu machen. Daraufhin hat die bayerische Grenzpolizei die ihr vorliegenden Unterlagen dem Bundesminister des Innern zur Kenntnis gebracht. Diese Unterlagen waren allerdings unvollständig. Daraus kann aber kein Vorwurf hergeleitet werden, denn mehr hatte die bayerische Grenzpolizei nicht, weil nicht sie, sondern die Ausländerbehörde des Landratsamtes Berchtesgadener Land die Abschiebung vorgenommen hat. Nachdem dieses Material dem Bundesminister des Innern vorgelegen hat, hat er sich unmittelbar an die bayerische Staatsregierung gewandt und ihr mitgeteilt, daß die Behandlung dieser beiden Flüchtlinge nach den der Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt bekannten Informationen gegen mehrere Bestimmungen des Ausländergesetzes und Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz verstieß. Das heißt, daß unmittelbar nach dem Fernschreiben des Kollegen Karsten Voigt der Versuch einer eigenen Sachaufklärung bei bayerischen Behörden unternommen worden ist.
Als nächster hat der Kollege Berger zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen gegen das Verhalten von Behörden gegenüber Türken angegangen sind, die aus politischen Gründen um Asyl gebeten hatten und in einer Art Nacht- und Nebelaktion abgeschoben werden sollten, obwohl das Oberverwaltungsgericht Münster zweifelsfrei entschieden hatte, daß zuerst über das Asylersuchen einwandfrei befunden werden müsse?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nachdem, was ich Ihrer Frage entnehme, handelt es sich hier um einen Vorgang im Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen, die Sie zitiert haben, gäben, damit ich bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung nachfragen kann, ob Ihre Information zutrifft und wie dieser Fall rechtlich zu bewerten ist.
Meine Damen und Herren, verfolgen Sie diese Debatte bitte mit Ruhe.
Als nächster hat der Herr Kollege Riedl das Wort.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, den genauen Wortlaut des Fernschreibens, das hier jetzt einige Male zitiert worden ist, vorzulesen. Ich meine das Fernschreiben, das bayerische Behörden Bundesdienststellen zugeleitet haben und dem Sie angeblich nicht entnommen haben wollen, daß eine Abschiebung beabsichtigt war.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, ich bin gerne bereit, Ihnen das Fernschreiben zur Verfügung zu stellen. Ich habe es im Augenblick nicht da.
Herr Kollege Marschall, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Äußerungen des Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, den bayerischen Behörden könne in dieser Angelegenheit kein Vorwurf gemacht werden,
mit den der Bundesregierung bekanntgewordenen Tatsachen nicht zu vereinbaren sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir geht es nicht darum, Vorwürfe zu erheben, sondern was ich nur feststellen kann, ist, daß in diesem Fall rechtlich nicht einwandfrei, d. h. unter Verstoß gegen mehrere Gesetzesbestimmungen, gehandelt worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Erler.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung das rechtswidrige Verhalten in Bayern zum Anlaß genommen zu überprüfen, ob es auch in anderen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg, ähnliche Richtlinien gibt wie die bayerischen vom März 1978?
Frau Kollegin Erler, Ihre Zusatzfrage steht nicht im Sachzusammenhang mit den eingebrachten Fragen 41 und 42. Ich lasse sie daher nicht zu.Als letzter hat das Wort zu einer Zusatzfrage der Kollege Hartmann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14899
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten des Eingreifens hätte die Bundesregierung gehabt, wenn sie — ich unterstelle einmal, daß Ihre Schilderung zutrifft — von der beabsichtigten Abschiebung in die CSSR Kenntnis gehabt hätte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst einmal freue ich mich, daß Sie bereit sind zu unterstellen, daß das, was ich sage, stimmt.
Zweitens möchte ich Sie darauf hinweisen, daß es sich um eine hypothetische Frage handelt, die Sie gestellt haben. Drittens kann ich Ihnen dazu sagen, daß die Bundesregierung keine Möglichkeit gehabt hätte, das Landratsamt Berchtesgadener Land, das die Abschiebung veranlaßt hat, anzuweisen, anders zu verfahren.
— Herr Kollege Riedl, Sie wissen doch wohl selbst, daß dieser Zwischenruf nicht ganz ernst zu nehmen ist.
Meine Damen und Herren, damit sind alle Zusatzfragen, die ich noch zulassen konnte, beantwortet. Wir haben die Zeit der Fragestunde damit zwar etwas überschritten, aber ich denke, es war gut, daß wenigstens diese beiden Fragen ausführlich erörtert worden sind.
Ich darf noch mitteilen, daß die Frage 115 des Abgeordneten Stockleben vom Fragesteller zurückgezogen ,worden ist. Die übrigen wegen Zeitablaufs nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragestunde ist damit beendet.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes
— Drucksache 8/2722 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/3448 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-
Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/3333 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans
Interfraktionell ist eine Aussprache mit je einem Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden.
Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg des Entwurfes dieses Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes über die erste Lesung im Mai 1979 und die Ausschußberatung bis zum heutigen Tage würde sicher nichts anderes als normale Pflichterfüllung des Parlaments darstellen, genauso wie die Behandlung der Berichte der Bundesregierung über die Erfahrungen hinsichtlich der Regelung der Änderung des Fleischbeschaugesetzes von 1973 und der Auswirkungen des Verkaufs von frischem Geflügelfleisch auf Wochenmärkten — —
Herr Kollege Neumann, darf ich Sie bitte einen Augenblick unterbrechen. — Meine Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich, der Debatte zu folgen und die Unruhe etwas zu dämpfen.
Ich darf Sie bitten, fortzufahren.
Das wäre also normale Pflichterfüllung gewesen, wenn dieses Gesetz nicht eine Regelung enthielte, die einem Teil der deutschen Jäger nicht gefällt. So hat es bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf im federführenden Ausschuß bereits eine große Koalition zwischen den Koalitionsparteien und den Oppositionsparteien gegen die Stimmen von drei Jägern gegeben.
— So, Sie haben nur zwei Jäger in der Fraktion?In der Tat jedoch dient die Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes in erster Linie der Einarbeitung zweier EG-Richtlinien, einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und einer des Bundesverwaltungsgerichts, die es erforderlich machen, die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auf der Grundlage der beiden Gesetze Folgeverordnungen erlassen werden können.Daß dabei die Bundesregierung versucht hat, das Fleischbeschaugesetz und das Geflügelfleischhygienegesetz übersichtlicher zu gestalten, und der Ausschuß darüber hinaus auch versucht hat, beide Gesetze verständlicher zu machen, ist selbstverständlich. Es wird deshalb nur wenige hier im Deutschen Bundestag die Selbstverständlichkeit aufregen, daß wir in dieses Fleischbeschaugesetz hineingeschrieben haben, daß das Fleisch von Affen nicht zum Genuß durch Menschen gewonnen werden darf. Genausowenig wird es die meisten interessieren, daß wir mit deutscher Gründlichkeit den Begriff „Tierkörper" definiert haben. Da die meisten das Gesetz nicht gelesen haben, will ich hier die Definition von „Tierkörper" vorlesen. Danach handelt es sich bei einem Tierkörper um den „ganzen Körper eines Schlachttiers nach dem Entbluten, Enthäuten und Ausweiden, Abtrennen der Gliedmaßenenden in
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14900 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Neumann
Höhe des Vorderfußwurzel- und des Hinterfußwurzelgelenks , des Kopfes, des Schwanzes und der milchgebenden (laktierenden) Drüse". Wir verdanken es dem Ernährungsausschuß, daß er die Fachworte ins Deutsche übersetzt hat, so daß für jeden verständlich ist, was „laktierende Drüsen" sind.
Aber dennoch darf nicht verkannt werden, daß mit dem heute anstehenden Gesetz zur Änderung der beiden Gesetze das europäische Recht weiter harmonisiert wird und daß Wettbewerbsverzerrungen, soweit sie infolge gesundheitspolitisch unterschiedlicher Voraussetzungen in den Ländern der EG geschaffen worden sind, beseitigt werden und darüber hinaus dieses Gesetz den berechtigten Forderungen nach Bekämpfung der Anlieferung von gesundheitsschädlichem Fleisch und Geflügel nachkommt.Soweit dieses Gesetz das Geflügelfleischhygienegesetz ändert, wird in Ausführung der EG-Richtlinie dieses auf den innergemeinschaftlichen und innerstaatlichen Handelsverkehr auch mit zubereitetem Geflügelfleisch ausgedehnt. Dadurch wird für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr die Fleischerzeugerrichtlinie in das innerstaatliche Recht übernommen. übrigens erfolgte die Einzelabstimmung über die Änderung des Geflügelfleischhygienegesetzes einstimmig, auch mit Zustimmung der Jäger, weil nach dem Gesetz nur das Schlachtgeflügel — also Hühner, Puten, Perlhühner, Enten und Gänse — betroffen ist, und darauf wird normalerweise nicht geschossen.Unüberbrückbare Gegensätze zwischen Teilen der Abgeordneten, nämlich jenen mit Jagdschein und jenen ohne Jagdschein, gibt es aber offensichtlich bei der Änderung des Fleischbeschaugesetzes. Der Bericht der Bundesregierung über die Erfahrung hinsichtlich der Änderung des Fleischbeschaugesetzes von 1973 hatte deutlich gemacht, daß die Einbeziehung des Haarwilds in die Einfuhruntersuchung nach dem Fleischbeschaugesetz notwendig war. Offensichtlich infolge geänderter Eßgewohnheiten eines Teils unserer Bevölkerung nahm nämlich die vermehrte Einfuhr von Wildbret im ganzen Tierkörper in der Decke, d. h. also im Fell, zu, aber auch die Einfuhr von Wildbret in zerlegtem Zustand. Da dies zunächst nicht der Fleischbeschau unterlag, mußte eine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher befürchtet werden.Zwischenzeitlich war übrigens — das sei nur am Rande angemerkt — auch Wild vermehrt in Herden unter der Obhut von Menschen aufgezogen worden, das nicht der Fleischbeschau und der Schlachttierbeschau unterlag, während dies bisher für Haustiere immer schon galt.Es hat sich dann herausgestellt, daß die Beanstandungen bei dem Wildbret, das ohne Decke, also ohne Fell, in den Bereich der Bundesrepublik verbracht worden ist, nicht zahlreicher waren als die Quote bei eingeführtem frischem Fleisch von Haustieren. Die Einfuhr von ganzen Tierkörpern in Fellen zeigte jedoch eine Reihe von Beanstandungenauf, was dazu führte, daß wir mit diesem Gesetzentwurf die Einfuhr von Wildbret in dieser Form, also in der Decke, nicht mehr gestatten. Ausnahmen sind selbstverständlich bei besonderen Verhältnissen und hygienischen Bedingungen wie in dem bisherigen Gesetz auch weiterhin gestattet.Die mit der Änderung des Fleischbeschaugesetzes von 1973 eingeführte Regelung für die Einfuhr von Wildbret aus dem Bereich der EG hat die Kommission in Brüssel veranlaßt, nunmehr darauf hinzuweisen, daß dies eine Diskriminierung der europäischen Partner bedeutet, da ja in Deutschland die Pflicht zur. Fleischbeschau für das hier erlegte Wild nicht besteht. Die Kommission hat daher — unserer Ansicht nach auch zu Recht — die Bundesrepublik Deutschland daran erinnert, daß sie die Pflichten nach dem EG-Vertrag zu erfüllen und im innerstaatlichen Recht eine Änderung vorzunhemen hat. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht also nunmehr vor, daß das gewerbsmäßig in den Handel gebrachte, hier erlegte Haarwild ebenfalls der Fleischbeschau unterliegt.Ein Teil der Jägerschaft und auch der Bundesrat hielten eine solche Regelung nicht für notwendig, weil die Jäger auf Grund ihrer guten Ausbildung in der Lage seien, zu erkennen, ob ein Tier gesund oder krank sei. Dies soll hier nicht bestritten werden. Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß das Schutzbedürfnis des Verbrauchers bei Fleisch von erlegtem Haarwild, welches gewerbsmäßig über Dritte in den Verkehr gebracht wird, höher einzustufen ist als möglicherweise entstehende Umstände oder Kosten einer Fleischbeschau. Es muß verhütet werden, daß mit Krankheitserregern versehenes Wildbret, verdorbenes, verschmutztes oder substantiell verändertes Wildbret gewerblich an den Verbraucher weitergegeben wird.In diesem Zusammenhang ist auf folgendes hinzuweisen. Uns wurde mitgeteilt, daß im Deutschen Jagdkalender — ich persönlich besitze ihn nicht — zu lesen sei, in einem Bundesland würden bereits 25 bis 30 % des Wildes auf Schiene und Straße erlegt. Dieses Wild kommt also nicht vor das prüfende Auge des deutschen Jägers und kommt nicht in den Wildhandel, sondern verschwindet in Gaststätten und anschließend offensichtlich in den Mägen der Verbraucher.
Wir wollen aber zur Beruhigung der Jägerschaft ausdrücklich darauf hinweisen, daß nicht der Fleischbeschau unterliegt, was zum Eigenverbrauch der Jägerschaft, auch in geschlossenen Gesellschaften, Jagdgesellschaften etwa, beim sogenannten Schüsseltreiben, in Gaststätten und sonstigen Einrichtungen verzehrt wird. Auch der Zeitpunkt, an dem bei erlegtem Haarwild die Fleischbeschau abgeschlossen sein muß, ist so gewählt, daß noch nicht untersuchtes Wild in Kühlräumen des Wildhandels oder in Gaststätten aufbewahrt werden kann. Einzelheiten darüber wird eine Folgeverordnung regeln.Der Vollständigkeit halber und weil es sicher ebenso viele Menschen wie diejenigen betrifft, die
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gewerbsmäßig inländisches Wildbret in den Handel bringen, sei noch darauf hingewiesen, daß ebenfalls neu in das Fleischbeschaugesetz das Hauskaninchen aufgenommen worden ist. Aber auch hier gilt, daß die Schlachttier- und Fleischbeschau unterbleiben kann, wenn das Fleisch zum eigenen Verbrauch verwendet wird oder unmittelbar an einzelne natürliche Personen weitergegeben wird. Wir haben im übrigen im Ausschuß darauf gedrängt, daß diese Regelung hinsichtlich des Hauskaninchens und des Haarwilds, das gewerbsmäßig in den Handel gebracht wird, erst am 1. Januar 1982 in Kraft tritt.Zum Schluß möchte ich noch etwas zu den Kosten sagen. Soweit es sich um Maßnahmen im innerstaatlichen Bereich handelt, sind die Gebühren für Schlachttier- und Fleischbeschau durch die Länder und Gemeinden kostendeckend den Verursachern aufzuerlegen. Einfuhruntersuchungskosten dürfen als Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes nur in Ausnahmefällen erhoben werden. Im Handelsverkehr mit Drittländern wird jedoch die Einfuhruntersuchung weitgehend in die Versandländer verlegt, so daß dort mehr Kosten entstehen. Die verringerten Einfuhruntersuchungskosten in Höhe. von 40 Millionen DM werden dem Verbraucher leider nicht zugute kommen, weil sich diese nur gering auf den Kilopreis niederschlagen. Die vermehrten Kosten bei der Fleischbeschau von Wildbret im Inland werden möglicherweise ab 1982 zu einer leichten Erhöhung der Verbraucherpreise für Wildbret führen. Aber im Interesse des Gesundheitsschutzes werden die Liebhaber dieser Fleischsorten das sicher bezahlen. Im übrigen gilt ja: „Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben."
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Hammans das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes und des Geflügelfleischhygienegesetzes soll — s o 11 ! — der fortschreitenden Harmonisierung im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen Rechnung getragen werden. Bedingt durch die Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinien vom 21. Dezember 1976 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen war es erforderlich, eine größere Übersichtlichkeit im geltenden Fleischbeschaurecht herzustellen. Dies ist im Interesse des Verbraucherschutzes sehr zu begrüßen und trägt somit auch den Bemühungen Rechnung, mehr Übersichtlichkeit bei der Anwendung von Gesetzen zu schaffen.Gestatten Sie mir, meine Damen und Herrn, einen Hinweis auf ein Gutachten von Professor Dr. Kreuzer, Dr. Schneidawind und Professor Dr. Gedek zur Problematik der Fleischbeschau bei Haarwild. Meine Damen und Herrn, es heißt dort u. a. — ich darf ein paar Sätze zitieren —:Das geltende Fleischbeschaurecht zielt in erster Linie darauf ab, den Verbraucher vor gesundheitlichen Schädigungen zu bewahren. Unabdingbare Bestandteile dieser Untersuchung sind sowohl die Lebenduntersuchung wie die pathologisch-anatomische Untersuchung von Fleisch und Organen der Schlachttiere. In einigen Fällen ist sogar die Erlaubnis zur Schlachtung vom Ergebnis der Lebenduntersuchung abhängig. Eine Lebenduntersuchung muß beim jagdbaren Wild natürlich ausfallen.
Beobachtungen am lebenden Wild sind nur für den erlegenden Jäger durchführbar.— Die Methode mit dem Salz auf dem Schwanz bei Hasen funktioniert eben nicht.
Das Spektrum der Wildkrankheiten gleicht nicht dem bei schlachtbaren Haustieren. Krankheiten, die bei den Haustieren im Vordergrund stehen, sind beim Wild von geringer Bedeutung und umgekehrt. Die wenigen beim Wild bedeutsamen Krankheiten, insbesondere solche mit Zoonose-Charakter wie die Tollwut, sind oft nur über Lebenduntersuchungen und — bei gegebenen Verdacht — mit Hilfe von Labormethoden feststellbar. Bei allen anderen gesundheitlich bedenklichen Krankheiten manifestiert sich das Krankheitsbild vorrangig in den Organen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang — auch im Zusammenhang mit diesem Gutachten — auf einen besonders strittigen Punkt hinweisen. Es handelt sich um die Frage, die auch diskutiert wurde, ob alle Wildtiere, die zur Lebensmittelgewinnung bestimmt sind, in Zukunft den fleichbeschaurechtlichen Regelungen zu unterwerfen sind. Ich sagte schon, daß nach den geltenden Vorschriften des Fleischbeschaurechts der Verbraucher vor gesundheitlichen Schädigungen geschützt werden soll. Auch die jetzt vorgesehene Einbeziehung des Haarwildes in das Fleichbeschaugesetz ist nicht unumstritten.
Zum einen ist die Zulässigkeit der Einbeziehung des Wildes in das Fleischbeschaugesetz aus rechtssystematischen Gründen zweifelhaft, da die Bestimmungen des Fleischbeschaurechts bei schlachtbaren Haustieren einen in Jahrzehnten gewachsenen Rechtsbereich beinhalten. Zum anderen läßt sich aus Gründen der Hygiene eine Einbeziehung des Haarwildes in das Fleischbeschaugesetz nicht unbedingt begründen, weil insbesondere das fachgerechte, wie man das nennt, Aufbrechen und der Transport des Haarwildes nicht in der Weise gehandhabt werden können, die den Vorschriften des Fleischbeschaugesetzes entspricht. Meine Damen und Herren, das trifft auch für den Import zu. Ich selbst habe mir an der Grenze die Praxis der Kontrollen angesehen und kann behaupten, daß die Kontrollen jedenfalls an dem Montagvormittag, an dem ich sie beobachtet habe, nicht wirksam waren.
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14902 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Dr. HammansNach längerer Debatte in der CDU/CSU-Fraktion über diesen Punkt steht fest, meine Damen und Herren, daß der überwiegende Teil meiner Fraktion diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen wird.
Ich habe für die Bedenken der Kolleginnen und Kollegen volles Verständnis — meine Damen und Herren der SPD- und der FDP-Fraktion, Sie werden sich an die Ausschußberatungen erinnern, in denen auch ich meine Bedenken bereits vorgetragen habe —, und zwar aus folgenden Gründen: Es hat in. der Vergangenheit keine Nachricht gegeben, daß ein Jäger Wild zum Eigenbedarf erlegt oder in den Handel gebracht hätte, das dem Verbraucher Schaden zugefügt hätte. Die Jäger handeln nach der Devise: Nur das, was absolut einwandfrei ist, darf dem menschlichen Verzehr dienen.Meine Damen und Herren, ein Teil des Erfolges der „Grünen" — und hier meine ich jetzt nicht die Jäger und die Bauern, sondern die, die sich als Partei die „Grünen" nennen — ist darauf zurückzuführen, daß die Bürger nicht noch mehr Bürokratie haben wollen, und das gerade versprechen die „Grünen" unter anderem.
Die Bürger im Lande und meine Fraktionskollegen haben recht, wenn sie fragen, ob man denn wirklich alles regeln muß, ob man auch etwas, was bisher einwandfrei funktionierte, reglementieren muß, schwieriger machen muß und mit Kosten verbinden muß.
Demgegenüber steht die Drohung, über den Europäischen Gerichtshof eine Änderung unseres geltenden Rechts zu erzielen, wenn wir nicht freiwillig eine Änderung im Sinne der Richtlinien vornehmen. Zu befürchten ist, daß ein Entscheid des Gerichtshofes härter ausfallen wird als der in manchen Ausschußsitzungen erkämpfte Kompromiß, nur das Haarwild einer veterinärmedizinischen Untersuchung zu unterwerfen, das zum Verkauf an Geschäfte oder Restaurants gehen soll.Größtes Erstaunen hat hervorgerufen, daß in dem Gesetzentwurf — hier eingebracht durch den Bundesrat — vorgeschlagen wird, daß Affenfleisch nicht in den Handel zum Verkauf als Lebensmittel gelangen soll. Meine Damen und Herren, das hat natürlich Schmunzeln hervorgerufen. Im Hintergrund steht, daß im Zusammenhang mit dem Töten eines Affen zwei Menschen auf ungeklärte Weise, vermutlich durch Viren, zu Tode gekommen sind. Der Nachweis dieser Viruserkrankung ist aber bis heute nicht möglich gewesen.Das vorhin erwähnte Unbehagen meiner Kollegen in der Fraktion bezieht sich aber ,auch auf das Geflügelfleischhygienegesetz. Sie werden verstehen, wenn ich dazu ein Beispiel anführe. Nach diesem Gesetz soll fließendes Wasser bei frisch geschlachtetem Geflügel zur Kühlung nicht mehr verwendet werden dürfen, und zwar erstens aus hygienischen Gründen und zweitens, damit kein Fremdwasser in das Geflügel eindringt. Selbstverständlichmüssen Anforderungen an die Hygiene gestellt werden. Aber es ist nun einmal nicht möglich, daß derjenige, der die Tiere tötet, hygienisch einwandfrei an jedes einzelne Tier herantritt. Was das Kühlen in Wasser betrifft, so möchte auch ich kein Fremdwasser als Geflügelfleisch kaufen. Andererseits ist diese Methode z. B. bei Puten eine hervorragende Möglichkeit, zu kühlen, ohne daß Wasser in den Tierkörper eindringt. An der derzeitigen Praxis sehen wir, daß Großschlachtereien das Spinchiller-Verfahren, bei dem in Wasser gekühlt wird, nach wie vor verwenden können und daß es auch bei kleinen Betrieben so gehandhabt wird. Dabei wurde in dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Verkaufs von Frischflügel auf Wochenmärkten Gott sei Dank keinen Anlaß zu Beanstandungen festgestellt. Die mittleren Betriebe aber, die etwa 2 000 Tiere im Jahr schlachten, werden- streng daraufhin untersucht, ob nicht mit Wasser gekühlt wird. Dabei ist dies mit Sicherheit auch bei mittleren Betrieben die beste Methode zu kühlen.Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt — und damit lassen Sie mich schließen —: Die notwendige Untersuchung von Geflügelfleisch wird die Erhebung von Gebühren zur Folge haben, die natürlich auf den Verbraucher abgewälzt werden. Dies trifft zwar alle Erzeugerstaaten; aber da die Holländer und die Dänen, wie schon bekannt wurde, auch in Zukunft einen Teil dieser Gebühren staatlicher- seits übernehmen werden, wird es zu einer erneuten Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der Deutschen kommen.Dieses Gesetz sollte eine Harmonisierung bringen; es bringt aber allein schon über die Gebühren eine neue Disharmonie. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß ich Ihnen noch mehr Gründe aufzeigen muß, damit Sie verstehen, daß ein Großteil meiner Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem sich schon meine Vorredner intensiv mit dem Gesetz auseinandergesetzt haben, will ich versuchen, mich kurz zu fassen, obwohl ich feststellen muß, daß die Meinungen hier weiter auseinandergehen als in dem federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit.Hier haben wir es wieder mit einem Gesetz zu tun, das im wesentlichen der Harmonisierung von Rechtsvorschriften und Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dienen soll. Von daher hat der Entwurf unsere grundsätzliche Zustimmung. Schließlich, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht übersehen, daß das große gemeinsame Europa, das wir alle anstreben, eben nur durch viele kleine, unscheinbare Schritte erreicht werden kann. Ein solcher kleiner Schritt ist hier auf dem Gebiet der Fleischbeschau beabsichtigt.
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SpitzmüllerZu bedauern ist allerdings, daß solche Schritte aufeinander zu in Europa keineswegs mit weniger Bürokratie verbunden sind, sondern leider mit dem Gegenteil.
Meine Damen und Herren, als Mitglied dieses Hohen Hauses bin ich es ja nun gewohnt, daß Gesetzesinitiativen oder EG-Verordnungen angeschossen werden. Aber es war nun doch etwas ganz Ungewöhnliches, daß ganze Landesjagdverbände einen Entwurf unter Beschuß genommen haben.
Gegenstand der Kritik ist die — von Ihnen, von der Opposition ja besonders angesprochene — vorgesehene Einbeziehung des Haarwildes in die Fleischbeschau. Hier befürchtete die deutsche Jägerschaft zunächst, jegliches Wildbret sollte mit viel bürokratischem Aufwand von den Fleischbeschauern unter die Lupe genommen werden. Selbst die privaten Jagdessen und Schüsseltreiben sollten auf diese Weise nicht mehr ohne amtlichen Stempel stattfinden können.
Diese Vorstellung ging in die Irre; denn diese Gefahr hat der Regierungsentwurf von vornherein vermieden, indem er den Forderungen der Jägerschaft insoweit folgte. Den Jägern und ihren Gästen wird also nicht etwa per Gesetz der Geschmack an der Jägerei und dem Jagdschmaus verdorben.
Daß allerdings eine Fleischbeschau stattzufinden hat, wenn der Jäger an dem Wildbret bedenkliche Merkmale entdeckt, ist doch letztendlich unbestritten. Einig ist man sich in der Jägerschaft aber auch darin, daß sogenanntes Fallwild, Unfallwild und Gehegewild durch eine Fleischbeschau zu untersuchen ist.Bedenkt man diese zahlreichen unstrittigen Fälle und die weitgehenden Ausnahmen für den privaten Verbrauch, so schrumpft das ohnehin nicht gerade große Problem auf recht bescheidene Dimensionen zurück. Ich finde, auch die deutschen Jäger sollten insoweit einem verbesserten Verbraucherschutz Tribut zollen. Ein solcher Verbraucherschutz kann nicht nur in Eigenregie geleistet werden.Zudem gibt es — meine Damen und Herren, soweit Sie Jäger oder Freunde von Jägern sind — grundsätzlich für jeden Jäger die Möglichkeit, sich zum sogenannten bestätigten Jäger bestellen und mit Aufgaben der Fleischbeschau betrauen zu lassen.
Ich glaube, wenn Sie das einmal durchlesen, werden Sie feststellen, daß Ihre Opposition dagegen nicht sonderlich gut begründet ist.
Mit dieser beschränkten Einbeziehung von Haarwild in die Fleischbeschau folgt die Bundesrepublik — was schon ausgeführt wurde — einer dringenden Aufforderung der EG-Kommission, die wegen der zur Zeit unterschiedlichen Behandlung von inländischem und eingeführtem Wildbret ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen die Bundesrepublik eingeleitet hat. Schließlich unterliegt Haarwild aus dem Ausland bei uns schon längst strengeren Untersuchungsvorschriften als unser eigenes Wildbret.
— Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann mich nur darüber wundern, daß Sie sich so erheitert fühlen,
denn bisher war ich immer der Meinung, auch Sie wollten etwas dafür tun, daß Europa zusammenkommt.Umgekehrt — der Herr Kollege Hammans hat schon darauf hingewiesen — sollten sich auch andere EG-Länder ihrerseits EG-freundlicher verhalten. Diese Forderung kann man am Beispiel der Niederlande und Dänemarks, wo das nicht der Fall ist, veranschaulichen. Dort nämlich wird durch eine Erstattung der Untersuchungsgebühren beim Geflügelfleisch den eigenen Exporteuren auf unserem Markt ein Wettbewerbsvorteil zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft verschafft. Selbst wenn der Buchstabe des EG-Vertrages dadurch nicht verletzt sein sollte, scheint uns dieses Verfahren doch seinen Geist zu verletzen, der verlangt, daß sich jedes Mitgliedsland der Gemeinschaft gegenüber jedem anderen EG-konform verhält.Im übrigen sind wir ja dabei, solche wettbewerbsverzerrenden und diskriminierenden Gesetzesbestimmungen zu überprüfen und zu harmonisieren.
Auf die Dauer nämlich, meine Damen und Herren, wird sich das kurzfristige Zuschanzen von Vorteilen an die eigene Wirtschaft als kurzsichtig und als Nachteil nicht nur für die europäische Sache, sondern auch für das eigene Land erweisen.Wir erkennen durchaus die Schwachstellen dieses Gesetzes.
Aber wenn wir uns EG-konform verhalten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als diesem Gesetz zuzustimmen; denn es enthält keine EG-unfreundlichen Regelungen. Von daher fühlen wir uns auch verpflichtet, diesem Gesetz zuzustimmen — in der Erwartung, daß sich auch die anderen EG-Staaten in anderen Bereichen dem anschließen, was wir hier wollen, nämlich dem Verzicht auf eine Diskriminierung des anderen und eine Bevorzugung des eigenen Landes.
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14904 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes ist von der Bundesregierung eingebracht worden, weil Regelungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der Fleischhygiene in deutsches Recht umzusetzen sind. Hierfür müssen das Fleischbeschaugesetz und das Geflügelfleischhygienegesetz angepaßt werden.Die gemeinschaftlichen Regelungen für Fleischerzeugnisse sind erstmals umfassend in deutsches Recht umzusetzen. In den übrigen Bereichen der Gemeinschaftsregelungen für Fleischhygiene hat bereits eine Umsetzung stattgefunden, die auf Grund der Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entsprechend ausgestaltet werden muß.Dies betrifft insbesondere den Bereich der Einfuhruntersuchung, die im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr nicht mehr in systematischer Weise vorgenommen werden darf, wenn im Versandland gleichwertige Untersuchungen stattgefunden haben. Betroffen durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist auch der Bereich der Untersuchungskosten. Diese dürfen auch für die noch zulässige stichprobenweise Einfuhruntersuchung den Importeuren nicht mehr auferlegt werden.Alle Gemeinschaftsregelungen, die die Gewinnung des Fleisches und die Herstellung von Fleischerzeugnissen betreffen, enthalten den Grundsatz, daß die aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlichen Kontrollen durchgeführt und vom Versandland garantiert werden müssen. Weil diese Kontrollen im Versandland durchgeführt und vom Empfangsland anerkannt werden, damit auf die Einfuhrkontrollen ohne Beeinträchtigung des Gesundheitsschutzes verzichtet werden kann, müssen die Kriterien für die Versanduntersuchung harmonisiert sein, wenn der irmergemeinschaftliche Handelsverkehr befriedigend funktionieren soll.Die neuen Regelungen haben im Ergebnis eine wesentliche Erleichterung im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr und im Handelsverkehr mit Drittländern für frisches Fleisch zur Folge. Der Gesundheitsschutz für den Verbraucher wird dadurch nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, er wird dort verbessert, wo es auf Grund der zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen erforderlich war.Gute Erfahrungen liegen auch mit dem seit 1973 im Fleischbeschaurecht enthaltenen Anforderungen an die Einfuhr von Wildbret vor. Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag über die Erfahrungen hinsichtlich der Regelungen des Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes berichtet. Daraus geht hervor, daß sich diese fleischbeschaurechtlichen Maßnahmen, die die lebensmittelrechtlichen Regelungen, die sogenannte Wildfleischverordnung, ablösten, bewährt haben. Die vor Erlaß dieses Gesetzes aufgetretenen Mißstände sinddanach nicht mehr bekanntgeworden. Seit der Anwendung dieses Gesetzes hat sich der hygienische Zustand des eingeführten Wildbrets und auch dessen Handelsqualität erheblich verbessert, wie dies von den beteiligten Wirtschaftskreisen ausdrücklich bestätigt wird. Es bestand daher für diesen Gesetzentwurf nur die Notwendigkeit, kleinere Korrekturen vorzunehmen, die jedoch das Prinzip unangetastet lassen.In Verbindung mit diesem positiven Bericht über die Anwendung von Rechtsvorschriften für die Untersuchung des Wildbrets, das eingeführt wird, möchte ich auf den Punkt hinweisen, der in diesem Gesetzentwurf Hauptgegenstand der Auseinandersetzungen war. Während zu den übrigen Regelungen des Entwurfs in fachlicher Sicht vom Grundsatz her Einigkeit in den Auffassungen erzielt werden konnte, lag die Absicht, das im Inland erlegte Wild in die Fleischbeschauvorschriften aufzunehmen, grundsätzlich im Meinungsstreit. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß sowohl das Wildbret, das aus Gehegen, Wildparks und ähnlichen Einrichtungen anfällt, wie auch das Wildbret, das in freier Wildbahn erlegt und über Wildhandel oder Gaststätten an den Verbraucher abgegeben wird, den Untersuchungen nach dem Fleischbeschaugesetz zu unterwerfen. Bei erlegtem Haarwild bleibt die direkte Abgabe des Wildbrets vom Jäger an den Verbraucher, auch das sogenannte Schüsseltreiben, von den gesetzlichen Vorschriften unberührt. Damit unterliegt nur solches Haarwild aus freier Wildbahn der Beschau, dessen Untersuchung zum Schutz des Verbauchers vor gesundheitlichen Gefahren erforderlich ist, insbesondere Fallwild, Unfallwild oder krankes Wild. Dieser Bereich ist mengenmäßig gering. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung der freien Jagd kann nicht gesprochen werden.Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit die Frage der Aufnahme des im Inland erlegten Haarwilds in die Untersuchungsvorschriften des Fleischbeschaugesetzes sehr eingehend beraten haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, daß auch dieses Wildbret aus gesundheitlichen Gründen der Untersuchung unterworfen werden sollte.Herr Kollege Dr. Hammans, Sie haben aus dem Schreiben und angefügten Gutachten des Deutschen Jagdschutzverbandes zitiert. Auch ich möchte aus diesem Gutachten einen Satz zitieren:Durch Schaffung einer wildbrethygienischen gesetzlichen Bestimmung könnte erstens die Lebensmittelüberwachung hinsichtlich des Wildbrets so konkretisiert werden, daß man die zweifellos bestehenden Mängel in den Griff bekommen würde, und zweitens dem Zugzwang gegenüber der EG nachgekommen werden.Ich muß Ihnen dazu sagen, daß unsere Bemühungen, eine solche Regelung zu finden, von den Gremien der EG ausdrücklich als nicht gleichwertig mit einer fleischbeschaurechtlichen Regelung betrachtet wurde und infolgedessen dieser Gedanke, eine andere rechtliche Regelung zu finden, in die Irre
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14905
Parl. Staatssekretär Zandergeht. Auch der Aspekt der Gleichbehandlung des eingeführten und des im Inland anfallenden Wildbrets ist berücksichtigt worden. Durch eine Ausnahmevorschrift im Geflügelfleischhygienegesetz ist es den Landwirten mit kleiner Geflügelhaltung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, nicht untersuchtes Geflügelfleisch auf Wochenmärkten und ähnlich, auch über ein Einzelhandelsgeschäft nach alter Übung weiter abzugeben. Wie in dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Verkaufs von frischem Geflügelfleisch auf Wochenmärkten näher ausgeführt ist, hat diese Regelung nicht zu gesundheitlichen Bedenken geführt. Die Vorschrift konnte beibehalten werden.Abschließend möchte ich bemerken, daß dieses Gesetz nach wie vor dringlich ist, weil der innergemeinschaftliche Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen bisher nur mit provisorischen Zwischenlösungen ermöglicht werden konnte. Außerdem sollte die durch das Gesetz angestrebte und eingeleitete Vereinfachung des Fleischbeschaurechtes bald verwirklicht werden. Den an der Beratung beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundestages möchte ich für die gründliche Beratung danken und Sie um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bitten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Abs. 1 auf. Wer diesem Absatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
— Das erste war die Mehrheit. Darüber besteht im Präsidium keine kontroverse Auffassung. Damit ist Abs. 1 angenommen.Ich rufe Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist dies in der zweiten Lesung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen ist es in dritter Lesung angenommen.
— Nach intensivem Nachdenken sind wir zu der Meinung gekommen, daß das erste die Mehrheit war. Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.Es liegen noch zwei weitere Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3333 unter den Nrn. 2 und 3, die Berichte der Bundesregierung auf den Drucksachen 8/2032 und 8/2604 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen sowie die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre dagegen keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes— Drucksache 8/2646 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/3350 —Berichterstatter:Abgeordneter Schröder
Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Auch zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird auch hierzu nicht gewünscht.Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist — soweit ich sehe, gegen eine Stimme — in dritter Beratung angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Mai 1979 und dem Beschluß vom 24. Mai 1979 über den Beitritt der Republik Griechenland zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl— Drucksachen 8/3231, 8/3287 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3416 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmannb) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 8/3415 —
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14906 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Vizepräsident Frau RengerBerichterstatter:Abgeordneter Rapp
Ich rufe zugleich den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Pfennig, Dr. Marx, Dr. Klepsch, Luster, Blumenfeld, Dr. Müller-Hermann, von Hassel, Frau Dr. Walz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUBeteiligung des Europäischen Parlaments an der Ratifizierung des Vertrages über den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft— Drucksache 8/3408 —Hierzu ist interfraktionell eine verbundene Aussprache in Form • der Kurzdebatte vereinbart. Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Rapp, als Berichterstatter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte in Ergänzung des schriftlichen Berichts einige Anmerkungen zu den Beweggründen machen, von denen wir uns bei der Beratung des EG-Beitritts Griechenlands in den Ausschüssen haben leiten lassen und die den Geist und den Stil dieser Beratung geprägt haben.
Der Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften und die Einbeziehung Griechenlands in die Europäische Politische Zusammenarbeit ist ein Ereignis von historischer Bedeutung und Tragweite. Uber den Bezug auf Griechenland hinaus wird damit der erste Schritt der zweiten Erweiterungsrunde getan, der sogenannten Süderweiterung Europas, nach deren Abschluß die Europäische Gemeinschaft die Zahl ihrer Mitglieder von derzeit neun auf zwölf erhöht haben wird.
Dem Gewicht dieses Vorgangs entsprachen das Engagement und die Intensität, mit der die beteiligten Ausschüsse des Deutschen Bundestages — es waren insgesamt sechs Ausschüsse — die Vorlage der Bundesregierung über den EG-Beitritt Griechenlands beraten haben. In den parlamentarischen Beratungen kamen der Wunsch und der Wille der Bundesrepublik Deutschland, Griechenland den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften zu ermöglichen, ebenso überzeugend zum Ausdruck wie in der Haltung der deutschen Vertreter bei den Beitrittsverhandlungen auf Gemeinschaftsebene.
Dies gilt für alle Fraktionen des Hauses. Wir alle wissen, daß Europa und die Europäischen Gemeinschaften ohne Griechenland unvollständig wären. Kann man sich die kulturelle Identität Europas ohne den Beitrag Griechenlands vorstellen, des Griechenlands der Antike und des Mittelalters ebenso wie des Griechenlands der Neuzeit und der Gegenwart?
Vor diesem Hintergrund hat sich in den Ausschüssen des Bundestags nie die Frage des Ob des EG-Beitritts Griechenlands gestellt. Zur Debatte standen die Probleme des Wie. Es gilt, den Beitritt Griechenlands so zu regeln, daß die Interessen aller Beteiligten in einem vernünftigen Kompromiß zum Austrag und zum Ausgleich kommen; aller Beteiligten, sagte ich. Das ist das neue Mitgliedsland Griechenland ebenso, wie es die bisherigen Mitgliedstaaten sind, wie es die Gemeinschaft als solche ist, wie es vorausschauend die beiden weiteren beitrittswilligen Länder Spanien und Portugal sind, wie es die assoziierten Staaten und die der Gemeinschaft sonst verbundenen Partner sind.
Die fast dreijährige Dauer der Verhandlungen zeigt, daß dabei schwierige Probleme zu lösen waren. In den Ausschüssen des Bundestags kam die Genugtuung darüber zum Ausdruck, daß die Beitrittsverhandlungen allen Schwierigkeiten zum Trotz erfolgreich haben zum Abschluß gebracht werden können. Der Verhandlungserfolg, meine Damen und Herren, wird sich freilich in den nächsten Jahren im politischen Alltag bewähren müssen. Wir alle sind uns darüber im klaren, daß die Anpassungsprobleme auf beiden Seiten schwierig und langwierig sein werden und daß auf alle Beteiligten spürbare Belastungen zukommen werden.
Die Solidarität mit dem neuen Mitglied Griechenland wird Opfer verlangen. Gerade wir Deutschen sollten dazu in besonderer Weise bereit sein, wir, die wir uns bei aller Unterschiedlichkeit der Konstellationen daran erinnern lassen sollten, was der Marshall-Plan seinerzeit als die erfolgreichste Solidaritätsaktion der Geschichte für uns und für die Festigung unserer Demokratie bedeutet hat. Nun wird sich dem griechischen Volk gegenüber die europäische Solidarität und damit auch unsere Solidarität zu bewähren haben. Dabei dürfen wir freilich auch die Wachstumsimpulse ins Kalkül ziehen und sollten sie nicht geringschätzen, die vom Beitritt Griechenlands mittel- und längerfristig ausgehen werden. Es wäre falsch, die EG-Erweiterung als eine Art Nullsummenspiel zu begreifen, bei dem einer nur gewinnen kann, was der andere verliert. Der Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften wird sich als ein Gewinn für eben die Gemeinschaft erweisen, als eine Bereicherung, die wir alle in vielfältiger Weise erfahren werden. Von dieser Zuversicht und Einsicht hat sich der federführende Auswärtige Ausschuß und haben sich die mitwirkenden Ausschüsse leiten lassen, als sie den EG-Beitritt Griechenlands billigten.
Wir heißen Griechenland in der Europäischen Gemeinschaft willkommen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stercken.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag will heute als erste gesetzgebende Körperschaft in der Europäischen Gemeinschaft das Gesetz über den Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften verabschieden, um damit seinen Re-
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Dr. Sterckenspekt, seine Sympathie für das griechische Volk und die Bedeutung einer langen geschichtlichen Verbundenheit hervorzuheben.Die Erörterung dieses Gesetzes in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages hat auch eine Reihe von Besorgnissen deutlich gemacht, die vor allem deshalb nicht unterschlagen werden sollte, wie Kollege Rapp schon anmerkte, weil die Verhandlungen mit weiteren Mittelmeerländern bevorstehen und dabei in einigen Bereichen mehr Klarheit wünschenswert wäre. Dies betrifft insbesondere die Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten deutscher Erzeuger, die Gefährdung des Drittlandhandels, die Kosten der Agrarmarktordnungen, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Handlungsfähigkeit der Institutionen der erweiterten Gemeinschaft sowie die finanziellen Mehrbelastungen der Gemeinschaft.Niemand hat erwartet, daß der Beitritt Griechenlands ohne Opfer für die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft vonstatten gehen würde. Beunruhigend ist für beide Teile nur der Grad der Ungewißheiten, den wir unseren griechischen Freunden, aber auch uns selber gerne erspart hätten. Doch dürfen diese Überlegungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir mit der Aufnahme Griechenlands als Vollmitglied der Europäischen Gemeinschaft, wie wir meinen, einen Schritt von historischer Bedeutung vollziehen.Wir sollten uns daher heute in Erinnerung rufen, daß seit der Assoziierung Griechenlands mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft alle seine berufenen demokratischen Sprecher deutlich gemacht haben, daß Griechenland in seiner Verbindung mit dem europäischen Kontinent in erster Linie eine politische Entscheidung treffen will. Ministerpräsident Karamanlis sagte anläßlich der Verleihung des Internationalen Karls-Preises der Stadt Aachen am 4. Mai 1978:Es ist selbstverständlich, daß alle Länder einen Teil ihrer Befugnisse dem europäischen Verband abtreten müssen, um die Entfaltung einer einheitlichen Politik im politischen, wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Bereich zu ermöglichen.Die innergriechische Diskussion überzeichnet demgegenüber nicht die kurzfristigen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die im vergangenen Jahr eingeleiteten Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung und Steigerung der Produktivität in Griechenland sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für wachsende Erfolge.
Der Wille ist deutlich spürbar, den Beitritt auch als eine Option für die freiheitliche und demokratische Ordnung der Staaten der Europäischen Gemeinschaft zu werten. Griechenland will seinen geschichtlichen Platz innerhalb einer Gemeinschaft freier Völker befestigen, weil es damit nicht nur seine Integrität und wirtschaftliche Sicherheit zu sichern wünscht, sondern insbesondere eine politische Zuordnung erfährt, die sich sowohl nach innen wie nach außen stabilisierend auswirken soll. Angesichts des Zustandes dieser Erde, auf der nur eine Minderheit ihre Rechte im Rahmen einer freiheitlichen und sozialen Ordnung geltend machen kann, fördert der enge Zusammenschluß von Demokraten die Anziehungskraft der Bürger- und Menschenrechte und gibt ihnen die zentrale Bedeutung, die nur sie für die Erhaltung von Frieden und Freiheit haben können.
Wenn auch die Gegenstände, auf die sich unsere Gemeinsamkeit im Augenblick konkret beziehen muß, vornehmlich materieller Natur sind, so dürfen wir in dieser Stunde nicht die geistesgeschichtlichen Abhängigkeiten und Traditionen übersehen, die das Verhältnis zwischen den bisherigen Staaten der Gemeinschaft und Griechenlands auszeichnen.
Dies gilt im besonderen Maße für Deutschland. Unter diesen geschichtlichen Vorzeichen wäre eine Absurdität gewesen, wenn das Land, dem die europäische Geschichte so viele geistige Antriebskräfte verdankt, nicht Mitglied einer Gemeinschaft geworden wäre, die sich gerade auf demokratische Traditionen und kulturelle Überlieferungen gründet, die dem Geiste Griechenlands entstammen.
Die bevorstehende Vollmitgliedschaft ist daher für die Gemeinschaft ein Ansporn, diese kulturellen, geistesgeschichtlichen Dimensionen nicht außer acht zu lassen. Für die auswärtige Kulturpolitik eröffnen sich neue Schwerpunkte eines erweiterten Konzeptes europäischer Partnerschaft. Es wäre bedrückend, wenn die Subsidien nur für die Früchte des Ackers, nicht aber des Geistes zur Verfügung stünden.
Die langjährigen Aufnahmeverhandlungen und das Vertragsergebnis geben aber in dieser Stunde auch Anlaß zu einigen Überlegungen, aus dem Geiste freundschaftlicher Solidarität heraus. Mit der Aufnahme Griechenlands werden auch seine politischen Probleme mit in die Gemeinschaft auf genommen, für deren Bewältigung im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit bislang keine Verantwortlichkeiten übernommen worden sind.Die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zur Türkei, die Lösung der Bedrängnis Zyperns können nach meinem Verständnis von europäischer politischer Zusammenarbeit nur in einem solchen Rahmen befriedigend und kompetent erfolgen. Ansätze dafür hätten schon die Verhandlungen erbringen müssen. Ein Konflikt zwischen europäischen Staaten muß von denjenigen mit entschärft werden, die ihre Gemeinschaft gerade zum Zwecke ihres Friedens, ihrer Wohlfahrt und ihrer Sicherheit begründet haben. Spekulationen auf die normative Kraft des Faktischen oder auf den Einsatz von Machtmitteln bedeuten einen Verzicht auf die friedensstärkende Kraft unserer Gemeinschaft. Wer sie will, der muß Frieden und Solidarität wollen. Mißt Griechenland schon der politischen Zusam-
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14908 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Dr. Sterckenmenarbeit so viel Bedeutung bei, dann wäre die Beschränkung auf ein Denken in Freihandelszonen das genaue Gegenteil dessen, was letztlich die Zielsetzung der Europäischen Gemeinschaft war und bleiben muß. Unsere Hoffnung richtet sich darauf, daß solche Prinzipien auch bei der Wiederherstellung der militärischen Integration im Nordatlantischen Bündnis volle Anwendung finden.Ich wünsche Griechenland in dieser Stunde auch, daß seine schicksalhafte Verbindung mit Europa nicht weiterhin Gegenstand der innenpolitischen Auseinandersetzung bleibt. Ich hoffe sehr, daß die Perspektive wieder Anwendung findet, die der derzeitige Oppositionsführer Papandreou am 29. Januar 1965 in der Bonner Universität vorgetragen hat, als er die Regierungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aufrief, Griechenland nicht zu vergessen und alsbald seine Vollmitgliedschaft in der Gemeinschaft zu ermöglichen.Die sozialen Chancen im europäischen Marktsystem werden sich kaum entfalten können, wenn in der ideologischen Kontroverse die politischen Kräfte vergeudet werden. Der europäische Charakter des Vorgangs, den wir heute erörtern, würde noch deutlicher, wenn auch das Europäische Parlament den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft förmlich beschließen würde.
Die Annahme des Ihnen vorliegenden Antrags der CDU/CSU-Fraktion müßte eigentlich eine selbstverständliche Konsequenz der vielen Zusicherungen sein, die Mitglieder aller Fraktionen im Laufe des Europawahlkampfes gegeben haben. Für kommende Generationen wäre es jedenfalls unverständlich, wenn wir uns in dieser Stunde nicht zu diesem Verständnis bekannt hätten. Wenn der Souverän dieses Zeichen setzt, dann erleichtern wir den Weg des Europäischen Parlaments zu mehr Kompetenz und politischer Bedeutung. Alle Fraktionen dieses Hauses sollten dieser Absicht beitreten, wie wir dies auch im Hinblick auf den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu tun gedenken.Namens der CDU/CSU-Fraktion stimme ich daher dem Gesetzentwurf zu und bitte Sie, auch dem Antrag zur Beteiligung des Europäischen Parlaments am Vorgang der Ratifizierung Ihre Stimme zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Corterier.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem meisten, was Herr Kollege Stercken soeben vorgetragen hat, zustimmen. Man hat gemerkt, daß ein bewährter Freund Griechenlands gesprochen hat. Zu den beiden Anträgen werde ich abschließend noch eine Bemerkung machen.Mit der heutigen zweiten Lesung des Gesetzentwurfes über den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl findet das Ratifikationsverfahren für den Beitritt Griechenlands, soweit es den Deutschen Bundestag betrifft, seinen Abschluß. Der Bundestag und seine Ausschüsse haben genauso wie der Bundesrat das Vertragsgesetz zügig behandelt. Allerdings kann von einem „Durchpeitschen", wie es der Kollege Narjes in einer doch etwas bösartigen Formulierung behauptet hat, nicht die Rede sein. Wir haben einen berechtigten Wunsch der griechischen Regierung gern erfüllt. Die Beitrittsverhandlungen haben sich bis zur Unterzeichnung des Vertrages am 28. Mai dieses Jahres doch ziemlich lange hingezogen, jedenfalls erheblich länger, als es unsere griechischen Freunde erhofft hatten. Daß sie nun erwarten, daß der für sie so wichtige Beitritt zur Gemeinschaft, der von Ministerpräsident Karamanlis als historisches Ereignis bezeichnet worden ist, ohne weitere Verzögerungen vonstatten geht, ist verständlich.Wenn die Bundesrepublik als erster der bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft das Ratifikationsverfahren abschließt, dann spielt sie die gleiche Rolle wie schon während der Beitrittsverhandlungen. Sie ist nicht nur seit der Stellung des Beitrittsantrages durch die griechische Regierung nachdrücklich für die Einbeziehung Griechenlands in die Gemeinschaft eingetreten, sondern hat sich auch stets dafür eingesetzt, diesen Beitritt so rasch wir möglich zu vollziehen. Es ist zu hoffen, daß die Parlamente der acht anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unserem Beispiel folgen, damit der vereinbarte Beitrittstermin, der 1. Januar 1981, eingehalten werden kann.Wir haben in den Beratungen sowohl hier im Plenum in der ersten Lesung wie auch in den Ausschüssen die Probleme, die der Beitritt Griechenlands und später auch Spaniens und Portugals für die Gemeinschaft mit sich bringt, nicht verkannt. Da sich der Berichterstatter in seinem Bericht vor allem auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme konzentriert hat, möchte ich nur noch kurz auf die Frage der Auswirkung des Beitritts auf die Institutionen der Gemeinschaft sowie auf das Türkei-Problem eingehen.Es ist oft davon die Rede, daß durch den Beitritt neuer Staaten der Entscheidungsprozeß der Gemeinschaft gelähmt werden könne. Ich glaube, wer so argumentiert, ist nicht fair gegenüber den Beitrittskandidaten; denn er unterschlägt, wie gravierend die Mängel schon im Entscheidungsprozeß der jetzigen Gemeinschaft sind. Allerdings werden durch den Beitritt neuer Länder die Probleme in diesem Bereich sicherlich noch größer, wenn nicht im Zusammenhang mit der Erweiterung der Gemeinschaft eine große Anstrengung zur Verbesserung ihres Entscheidungsprozesses unternommen wird. Vorschläge dafür, wie das im einzelnen aussehen kann, liegen auf dem Tisch, wie etwa der Bericht der Drei Weisen.
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Dr. CorterierIch möchte nur zwei Beispiele herausgreifen, um zu zeigen, um was es nach meiner Meinung geht. Ich meine, daß in der zukünftigen Zwölfergemeinschaft, wenn sie funktionsfähig sein soll, unbedingt öfter durch Mehrheitsbeschlüsse entschieden werden muß, als das bisher der Fall war. Was die Organisation der Kommission angeht, so meine ich, daß sie nach der Erweiterung nur dann arbeitsfähig sein wird, wenn die Zahl der Kommissare kleiner sein wird, als das bei Anwendung des bisherigen Länderschlüssels der Fall wäre.Nun noch eine Bemerkung zu den Auswirkungen des Beitritts Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft auf die Türkei. Die Türkei hat nicht nur — nach Griechenland — den ältesten Assoziationsvertrag mit der Gemeinschaft, sondern ist Westeuropa darüber hinaus in vielfacher Weise verbunden. Der Beitritt Griechenlands darf daher nicht nur nicht zu einer Verschlechterung der Beziehungen der Türkei zur Gemeinschaft führen, sondern es muß im Gegenteil eine Intensivierung der beiderseitigen Beziehungen geben. Die griechische Regierung hat mehrfach kategorisch versichert, daß sie trotz des leider fortbestehenden Konflikts mit der Türkei ihre Mitgliedschaft in der Gemeinschaft nicht dazu benutzen werde, einen zukünftigen Beitritt der Türkei zu verhindern bzw. sich gegen die Fortentwicklung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft zu wenden. Es gibt für uns keinen Anlaß, an der Ernsthaftigkeit dieser Versicherung zu zweifeln.Es wird aber großer Anstrengungen bedürfen, um die Assoziationsbeziehungen mit der Türkei fortzuentwickeln, und zwar so, daß es zu einer erheblich intensiveren wirtschaftlichen und finanziellen Kooperation zwischen der Gemeinschaft und der Türkei kommt.Wie der Berichterstatter in seinem Bericht richtig festgestellt hat, sind wir bei unseren Beratungen bei Abwägung aller Probleme und aller Argumente schließlich doch einmütig zu der Auffassung gelangt, daß die politischen Gründe für den Beitritt Griechenlands zur Gemeinschaft zwingend sind. Griechenland ist wegen seiner Geschichte und seiner Kultur, wegen seiner Politik und seiner Wirtschaft seit jeher untrennbar mit Europa verbunden. Diese Verbundenheit fand bereits darin ihren Ausdruck, daß Griechenland ganz kurz nach Gründung der Gemeinschaft im Jahre 1961 einen Assoziationsvertrag mit der Perspektive des Beitritts abschloß. Dieser Beitritt kann jetzt vollzogen werden. Wir wünschen, daß er für beide Seiten ein Erfolg sein möge, für die Gemeinschaft und für Griechenland.Wir wünschen vor allem aber, daß sich die großen Hoffnungen, die Griechenland mit diesem Beitritt verbindet, erfüllen mögen. Das griechische Volk hat in den letzten Jahrzehnten schwere Prüfungen zu bestehen gehabt. Es war nicht nur Opfer des Zweiten Weltkrieges, sondern auch, während im übrigen Europa bereits der Wiederaufbau begonnen hatte, Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges. Dann kamen die Jahre der Diktatur von 1967 bis 1974. Die deutschen Sozialdemokraten, die sich gerade aus dieser dunklen Zeit heraus den griechischen Demokraten besonders verbunden fühlen, wünschen dem griechischen Volk, daß der Weg Griechenlands in die Europäische Gemeinschaft gleichzeitig der Weg in eine bessere, glücklichere Zukunft sein wird.Ich darf nun noch zu den beiden uns vorliegenden Anträgen eine kurze Bemerkung anschließen. Mir ist gesagt worden, daß zwischen den Fraktionen die Überweisung vereinbart worden ist. Wir können uns darüber also noch im Ausschuß im einzelnen unterhalten. Deswegen jetzt nur soviel: Wir freuen uns natürlich, daß Sie unserer Entschließung, die die Bedeutung des Beitritts unterstreicht, zuzustimmen gedenken.Ich darf Ihnen schon jetzt sagen, daß wir mit Ihrer Entschließung inhaltlich selbstverständlich einverstanden sind. Auch wir sind der Meinung, daß in Zukunft das Europäische Parlament an allen Entscheidungen, die die Europäische Gemeinschaft betreffen, beteiligt werden muß.Nur haben wir zum einen rechtliche Bedenken, denn nach dem Statut ist ja eine förmliche rechtliche Beteiligung nicht möglich. Es kann sich also nur um eine politische Geste seitens des Europäischen Parlaments handeln. Wir sind dann allerdings der Meinung, daß man zumindest die Frage stellen muß, ob das nun direkt gewählte Europäische Parlament in dieser Form von uns eine Schützenhilfe oder eine Ermunterung braucht, die dort vielleicht als Bevormundung angesehen werden könnte.
Wir können im Ausschuß gern die Argumente austauschen.Ich darf abschließend sagen, daß meine Fraktion dem Vertragsgesetz zustimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Gemeinschaft ist zwar aus einem gemeinsamen Markt entstanden, also wirtschaftlich gewachsen; ihre ideelle und damit politische Entwicklung aber beruht gerade darauf, daß sie Trägerin der demokratischen und kulturellen Werte ist, die seit der Antike unser gemeinsames europäisches Erbe bilden. Mit dem Beitritt Griechenlands, der Wiege europäischer Kultur und demokratischer Staatsform, verstärkt sich der europäische Charakter der Gemeinschaft außerordentlich.Deshalb begrüße ich für meine Fraktion ohne jeden Vorbehalt und mit Freude den Beitritt Griechenlands als zehntes Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zum 1. Januar 1981. Wir, die Liberalen, haben großen Respekt vor dem griechischen Volk, das aus eigener Kraft eine Diktatur überwunden und zurückgefunden hat zu der demos kratein, zur Herrschaft des Volkes, die einst von Griechenland ausging, und das damit natürlich auch die Voraussetzungen für diesen Beitritt geschaffen hat.
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14910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
JungNun geht es aber heute nicht so sehr um einen Blick zurück bis in die Antike, sondern vielmehr um Betrachtungen, die in die Zukunft gerichtet sind; denn mit dieser Erweiterung wird die zweite Beitrittsrunde eröffnet, wird ein Schritt auf dem Weg zur größeren Hinwendung der Gemeinschaft zum Mittelmeerraum getan, was ihr auch langfristig ein größeres geographisches Gleichgewicht geben wird.Gerade heute angesichts der aktuellen Diskussion in Dublin mit dem gewichtigsten Partner der ersten Beitrittrunde von 1973, nämlich Großbritannien, dürfen wir bei aller Freude über diese neue und für andere Staaten auch präjudizierend wirkende Erweiterung nicht die damit auch verbundenen Probleme übersehen. Eine gute Ehe oder eine gute Partnerschaft sind um so dauerhafter, je offener man von Anfang an miteinander spricht. Die liberale und demokratische Fraktion im Europäischen Parlament hat dies bei ihren vielen Anstrengungen — ich darf darauf verweisen, daß sie hier mehr als alle an0deren Fraktionen im Europäischen Parlament aktiv war — zur Vorbereitung des griechischen Beitritts immer getan. Sie hat auch durch ihre Initiative zum Treffen der Präsidenten des Europäischen Parlaments und des griechischen Parlaments die Voraussetzungen für offene Gespräche auf dieser parlamentarischen Ebene geschaffen.Durch eine institutionelle Zusammenarbeit zwischen beiden Parlamenten im nächsten Jahr — der Fraktionsvorstand der liberalen Fraktion des Europäischen Parlaments wird übrigens nächste Woche drei Tage in Athen sein und unter anderem diese Zusammenarbeit vorbereiten — wird dieser Dialog auf der parlamentarischen Ebene noch vertieft werden, und dies ist nötig. Denn wenn auch die langwierigen Verhandlungen — Herr Corterier hat soeben darauf verwiesen, daß es immerhin drei Jahre gedauert hat seit dem Juni 1977, als Griechenland gemäß Art. 237 des EWG-Vertrags seinen Antrag gestellt hat — mit der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 28. Mai dieses Jahres ihren glücklichen Abschluß fanden, müssen bei der praktischen Umsetzung des Vertrags noch viele Schwierigkeiten überwunden werden. Da bedarf es gegenseitigen großen Verständnisses und auch einer besonderen Geduld.Griechenland wird zwar nach dem Vertrag ab dem Neujahrstag 1981 Vollmitglied der Europäischen Gemeinschaft mit Sitz und Stimme in allen EG-Organen: Es wird einen eigenen EG-Kommissar nominieren können, ein Mitglied zum Europäischen Gerichtshof entsenden, und auch im Europäischen Rechnungshof wird ein griechisches Mitglied sitzen. Natürlich wird es wie die übrigen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft eine Vertretung im Ministerrat haben, und es wird — wie Belgien — 24 Abgeordnete ins Europäische Parlament schicken.Aber seine wirtschaftliche Integration, vor allem in Problembereichen, erfolgt nur schrittweise im Rahmen von Übergangsfristen bis zu fünf bzw. sieben Jahren. In dieser Zeit kann Griechenland seine Wirtschaft den Gemeinschaftsregeln anpassen. Diese Zeit braucht ein Land auch, dessen Bruttoinlandsprodukt fast dreimal so gering ist wie das der EG-Länder im Schnitt. Das ist ein Problem zwischen Arm und Reich, nicht nur zwischen Nord und Süd, zwischen den Industriestaàten und der Dritten Welt, sondern dies ist auch ein Problem, das wir hiermit innerhalb Europas lösen.Ein Großteil des gemeinschaftlichen Besitzstandes muß von Griechenland schon vom 1. Januar 1981 an übernommen werden. Bei der schrittweisen Anpassung wurden je nach Sachbereichen, ich sagte es schon, Übergangszeiten bis zu fünf Jahren vorgesehen. Für die besonders sensiblen Bereiche, z. B. im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder im Bereich der europäischen Agrarpolitik bei Tomaten und Pfirsichen, wurden Fristen von sieben Jahren vereinbart.Im Bereich der Zollunion werden die Restzölle bis zum 1. Januar 1986 abgeschafft. Im Bereich der Außenhandelsbeziehungen mit Drittländern kann Griechenland für fünf Jahre noch bestimmte mengenmäßige Beschränkungen aufrechterhalten.Der Kapitalverkehr zwischen Griechenland und der übrigen Gemeinschaft wird innerhalb von fünf Jahren schrittweise liberalisiert und die Drachme im Laufe dieser Zeit in den europäischen Rechnungseinheiten-Währungskorb einbezogen, sobald dieser gemäß der Entschließung des Europäischen Rats vom 5. Dezember 1978 über das Europäische Währungssystem überprüft wird.In der Regionalpolitik — das ist sehr wichtig für Griechenland — und im sozialen Bereich — das ist nicht minder wichtig — werden die gleichen Kriterien wie für die anderen Mitgliedstaaten zugrunde gelegt, allerdings mit Ausnahme des freien Zugangs zur Beschäftigung, den ich soeben schon erwähnt habe, und der Zahlung von Kindergeld; dafür gibt es Sonderregelungen. Ich will aber im einzelnen darauf nicht eingehen.Ein weiteres wichtiges Zugeständnis deutscherseits — neben diesen schon erwähnten — ist die Tatsache, daß ein bisher als gewerbliches Erzeugnis betrachtetes Produkt, nämlich Baumwolle, das für Griechenland außerordentlich wichtig ist, wie ein Agrarerzeugnis — also beihilfefähig — behandelt wird.Fest steht, daß Griechenland im ersten Jahr seiner Mitgliedschaft Empfänger von netto ca. 80 Millionen Rechnungseinheiten — das sind über 200 Millionen DM — aus dem Gemeinschaftsbudget sein wird und daß es nach der fünfjährigen Übergangszeit einen Nettogewinn von ca. 1,3 Milliarden DM — das sind 500 Millionen Rechnungseinheiten — aufweisen wird. Dies wird natürlich auch Konsequenzen für den Gemeinschaftshaushalt und Jesses Finanzierung haben. Diese Fakten verschärfen natürlich auch wieder die Diskussion im Rahmen der europäischen Agrarpolitik über die Finanzierung der Überschußproduktion.Auch möchte ich darauf verweisen, daß die Kosten im Europäischen Parlament natürlich dadurch nicht geringer werden, daß die Sprachen sich um eine vermehren und der Sprachendienst der Europäischen Gemeinschaft erweitert wird. Ich er-
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Jungwähne dies nur, weil auch der Bundeshaushalt durch erhöhte Abführung von Mehrwertsteuereinnahmen an den Gemeinschaftshaushalt mittelbar betroffen wird. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, dieses „Opfer" ist uns — auch vom Sicherheitsaspekt in Europa her — die ideelle und materielle Stärkung der NATO-Südflanke wert.Allerdings muß mit der Lösung des Beitrittsproblems Griechenland verstärkt eine gemeinsame Mittelmeerpolitik betrieben werden. Dabei sind alle Abkommen mit den Mittelmeeranrainern zu beachten. Angesichts der politischen Entwicklung gerade in Nahost ist dies für uns von höchster Bedeutung. Der Nahe Osten muß in die europäische Mittelmeerpolitik noch stärker einbezogen, der europäisch-arabische Dialog noch intensiver gepflegt werden. Dieser Beitrittsakt — mit all seinen begleitenden Problemen — wird insgesamt gesehen nicht nur die Demokratie und ihre Entwicklung in Griechenland fördern, sondern trägt auch ganz wesentlich zur Sicherheit in Europa und damit zur Sicherheit im eigenen Lande bei.Die Freien Demokraten danken deshalb der Bundesregierung für ihre Bemühungen, für das konstruktive Verhandlungsergebnis. Wir haben allen Anlaß, besonders dem Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, zu danken. Mit diesem Vertrag hat er durch sein persönliches Engagement in der Sache bewiesen, daß Liberalismus nicht ein schönes Etikett, sondern bedeutender Inhalt der praktischen Politik ist.
Ich darf für meine Fraktion sowohl den Entschließungsanträgen als auch dem Gesamtvertragswerk zustimmen.
Das Wort hat der Herr Staatsminister von Dohnanyi.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bei Einbringung der Gesetzesvorlagen Gelegenheit, hier über den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft zu sprechen und seine Bedeutung zu unterstreichen. Ich möchte das an dieser Stelle nicht wiederholen. Denn die Bedeutung der Entscheidung heute hängt ja nicht von der Länge des Beitrags ab, den die Bundesregierung leistet.Ich will zunächst ein Wort aufgreifen, das von allen Kollegen verwendet worden ist, nämlich das Wort von dem Gewicht, das die Entscheidung der Süd-Erweiterung für die Abrundung der Europäischen Gemeinschaft im Ganzen hat. Wir gehen davon aus, daß diesem wichtigen Tage weitere Entscheidungen für Portugal und Spanien folgen werden.Ich will für die Bundesregierung ausdrücklich unterstreichen, daß wir die Probleme, die mit dieser Erweiterungsrunde verbunden sind, nicht unterschätzen. Die Ausschüsse haben auf verschiedene Probleme mit besonderem Gewicht hingewiesen;auch die Redner heute haben einige dieser Punkte noch einmal hervorgehoben und unterstrichen. Ich will für die Bundesregierung sagen, daß wir bei der Realisierung des Beitritts gerade die Punkte, die in den Ausschüssen berührt worden sind, besonders im Auge behalten werden und daß wir den Rat des Deutschen Bundestages und seiner Ausschüsse bei der Konkretisierung immer wieder suchen werden.Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß auch die Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft durch diese Beitrittsrunde berührt werden. Ob wir mit den Vorschlägen der Drei Weisen die Schritte tun können, die zu tun notwendig sind, wird erst die Beratung ergeben müssen.Meine Damen und Herren, ich will jetzt einen Punkt aufgreifen, der hier eine Rolle gespielt hat, nämlich die Bedeutung des Beitritts Griechenlands auch für andere Mittelmeeranrainer. Dies gilt insbesondere für das Assoziierungsverhältnis zur Türkei, das mit neuem Leben erfüllt werden muß. Der Beitritt Griechenlands darf und wird die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei im Rahmen des bestehenden Assoziationsabkommens nicht ändern. Griechenland hat sich im Beitrittsvertrag zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes verpflichtet, zu dem auch das Assoziierungsverhältnis zur Türkei gehört. Die Bundesregierung wird die weitere Heranführung der Türkei an die Gemeinschaft über eine Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Türkei und über möglichst enge außenpolitische Konsultationen aktiv anstreben. Ebenso wird die Europäische Gemeinschaft die Auswirkungen auf andere Mittelmeeranrainer sorgfältig zu beobachten haben.In diesem Zusammenhang möchte ich einen zweiten Punkt aufgreifen, nämlich die politische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Schon heute wird Griechenland durch regelmäßige Konsultationen an die außenpolitischen Positionen der Neun herangeführt, die im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit erarbeitet werden. Griechenland wird auch zunehmend in die außenpolitische Zusammenarbeit der Neun in Drittländern und bei den internationalen Organisationen, z. B. in den Vereinten Nationen, einbezogen. Wir erwarten, daß vom Beitritt an die beiderseitigen außenpolitischen Positionen Griechenlands und der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft weitgehend harmonisiert sein werden. Auch hier wird es dann um das Gesamtinteresse der ganzen Gemeinschaft gehen.Meine Damen und Herren, ich will ein Wort zu dem Antrag sagen, der hier von seiten der Opposition gestellt worden ist, das Europäische Parlament sollte an dem Ratifikationsverfahren bei den Beitrittsverträgen förmlich beteiligt werden. In dieser Frage entscheidet die Bundesrepublik Deutschland, entscheidet dieses Haus, entscheidet auch die Bundesregierung nicht allein; wir können das nur im Rahmen der Gemeinschaft. Nach den Gründungsverträgen ist eine förmliche Mitwirkung des Europäischen Parlaments nicht vorgesehen. Es handelt sich bei den Beitrittsverträgen um Abkommen zwi-
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Staatsminister Dr. von Dohnanyischen den Mitgliedstaaten und dem Beitrittsland. Aber ich will hier unterstreichen: Wir werden mit unseren Partnern prüfen, ob bei den Beitrittsverträgen eine Anhörung des Europäischen Parlaments möglich gemacht werden kann.
Bedenken grundsätzlicher Art bestehen insofern seitens der Bundesregierung nicht.Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratungen in den Ausschüssen standen unter dem Zeitdruck des Kalenders der Gemeinschaft. Ich möchte gerade deswegen allen an der Beratung beteiligten Ausschüssen für die zügige Arbeit danken. Ich bin sicher, daß diese bedeutsamen Vorlagen die Zustimmung des ganzen Hauses finden werden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung zu Tagesordnungspunkt 10. Ich rufe die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3439 und gleichzeitig den Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 8/3408 auf. Interfraktionell ist Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß beantragt. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zur Förderung des Baues von Erdgasleitungen
— Drucksache 8/3081 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/3446
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Simonis
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/3418 —
Berichterstatter: Abgeordneter Haase
Wird hierzu vom Berichterstatter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits bei der ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Bau von Erdgasleitungen in entlegene strukturschwache Gebiete hat sich herausgestellt, daß dieses Gesetz in diesem Parlament nicht umstritten ist. Alle Fraktionen dieses Hauses waren und sind darin einig, daß innerhalb des vorgesehenen Zeitraums 170 Millionen DM für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Länder müssen einen gleichen Betrag zur Förderung des Baus der Erdgasleitungen zur Verfügung stellen. Sie können diesen Bau auch mit höheren Beiträgen fördern.Angesichts dieser übereinstimmenden Haltung aller Fraktionen will ich für die CDU/CSU auf die allgemeinen Zielsetzungen und die Geschichte dieses Gesetzentwurfs nicht eingehen. Der Gesetzentwurf geht auf den Gruppenantrag der Kollegen Schmidhuber, Warnke, Waigel der CSU vom 26. Juli 1978 zurück. Das darin zum Ausdruck gebrachte Anliegen mußte durch ein Gesetz erfüllt werden, weil das Land Niedersachsen verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Abschluß einer Verwaltungsvereinbarung hatte.Dieses Hohe. Haus hat dem Wunsch der Länder, das Gesetz möglichst schnell zu verabschieden, tatsächlich durch große Beschleunigung Rechnung getragen. Der ersten Beratung am 11. Oktober folgte schon am 14. November die Beratung im Wirtschaftsausschuß, und heute sind wir bereits in der Schlußberatung. Zwar konnten im Wirtschaftsausschuß nicht alle Wünsche der Länder und des Bundesrates zu diesem Gesetz erfüllt werden, aber der Wunsch, den Entwurf beschleunigt zu behandeln, ist sicherlich in vorzüglicher Weise erfüllt worden.Ich will im folgenden kurz auf die wesentlichen Punkte der Diskussionen und Beratungen im Ausschuß für Wirtschaft eingehen. Erstens. Der Bundesrat hat eine Rückwirkung. des Gesetzes auch für Vorhaben gewünscht, die nach dem 1. Oktober 1978 begonnen wurden. Das ist mit Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes begründet worden. Der diesem Hause heute vorliegende Gesetzentwurf sieht eine Rückwirkung auf den 1. Januar 1979 vor. Er enthält damit einen Kompromiß, der es den Ländern jedenfalls ermöglicht, noch solche Vorhaben zu fördern, die im Vertrauen auf eine Verabschiedung dieses Gesetzes im Jahre 1979 begonnen wurden.Zweitens. Die Bundesförderung in Höhe von 15 % bleibt hinter der im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgesehen gewesenen Förderung von 20 % zurück. Dadurch geht den Ländern jedoch nichts verloren, weil die Anteile der einzelnen Länder im Gesetz selbst festgeschrieben sind und diese Mittel von den Ländern angesichts der Vielzahl der konkurrierenden Leitungsprojekte aller Voraussicht nach auch bei dem geringeren Fördersatz von 15 zu Lasten des Bundes voll ausgeschöpft werden können.Werden die Bundesmittel voll ausgeschöpft, so werden innerhalb der nächsten fünf Jahre im Rahmen dieses Programms Erdgasleitungen in struktur-
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Dr. Freiherr Spies von Büllesheimschwache, entlegene Gebiete mit einem Bauvolumen von 1,1 Milliarden DM gebaut. Diese gewaltige Summe vermittelt eine Vorstellung davon, daß mit der durch dieses Gesetz gewährten Förderung ein ganz wesentlicher Schritt zum Anschluß auch entlegener Gebiete an das Erdgasnetz und damit auch ein beachtlicher Schritt zu deren weiterer wirtschaftlicher Entwicklung getan wird.Der Nachteil nicht vorhandenen Gasanschlusses war in entlegenen Gebieten immer gegeben. Er hat sich aber durch die neue Energiesituation noch schärfer ausgewirkt, weil Gas eine Primärenergie ist, die sicherer und außerdem billiger als Mineralöl ist. Zwar sind die Gaspreise in der Regel an die Mineralölpreise gebunden, aber sie folgen immer mit einem zeitlichen Verzug, und es kann auch in Zukunft erwartet werden, daß die Gaspreise nicht so stark steigen wie die Preise von Mineralölprodukten. Es ist daher erfreulich, daß ein starker Ausbau des Erdgasnetzes der zusätzlichen und weiter wachsenden Benachteiligung entlegener wirtschaftsschwacher Gebiete erheblich entgegenwirken wird.Drittens. Der Ausschuß für Wirtschaft hat es nicht für richtig gehalten, es — dem Gesetzentwurf des Bundesrates entsprechend — bei einer bloßen Unterrichtungspflicht der Länder gegenüber dem Bund zu belassen. Die Vergabe einheitlicher Bundeszuschüsse unter einheitlichen Bedingungen an die Länder macht es erforderlich, daß auch die Anwendungspraxis im Grundsatz gleich ist. Die Auswahl der Vorhaben und die Bewilligung der Zuschüsse sollen zwar allein weiter den Ländern obliegen, aber gemäß § 5 des Gesetzes ist der Bundesminister für Wirtschaft berechtigt, Vorhaben von der Förderung auszuschließen, wenn sie der Zielsetzung des § 2 nicht entsprechen.Viertens. Im Ausschuß für Wirtschaft hat die Frage der Rückzahlbarkeit der Finanzhilfen eine erhebliche Rolle gespielt. Die CDU/CSU hat sich gegen die von der Koalition vorgeschlagene und in Drucksache 8/3418 vorliegende Formulierung der Rückzahlungsverpflichtung gewandt. Sie stimmt aber der von der Bundesregierung neu eingebrachten Formulierung, die als Antrag der Koalitionsparteien in Drucksache 8/3440 heute hier vorliegt, zu. Dieser Änderungsantrag kann auch als ein solcher der CDU/CSU angesehen werden; nur technische Gründe haben gestern die interfraktionelle Einbringung verhindert.Einig waren und sind wir alle uns darin, daß Subventionen nicht erweitert, sondern abgebaut werden sollen und daß diesem Ziel die Rückzahlbarkeit entspricht. Zwar handelt es sich bei diesen Bundeszuschüssen dem Grunde nach um solche, die letztlich ihrer Art nach denen für die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" entsprechen, die nicht rückzahlbar sind. Außerdem ist richtig, daß bei einer Rückzahlbarkeit die vollen Baukosten für die Erdgastransportleitungen in die Gaspreise entlegener Gebiete eingehen. Andererseits ist aber kein sachlicher Grund dafür zu erkennen, daß die Zuschüsse, wenn eine Erdgastransportleitung in entlegene Gebiete unter diesenBedingungen wirtschaftlich wird, als verlorene Zuschüsse den oft überregionalen Versorgungsunternehmungen verbleiben sollen.Die Rückzahlungsverpflichtung darf aber nicht zu einer fortwährenden, laufenden und aufwendigen Kontrolle und unnötiger Bürokratie führen. Sie soll von den Bedingungen des Einzelfalls ausgehen, also den absehbaren wirtschaftlichen Entwicklungen des einzelnen Leitungsprojekts, und sie soll flexibel handhabbar sein. Sie soll nicht zu einem komplexen undurchschaubaren Versteckspiel von Gemeinkostenrechnungen, Ertragszuordnungen etc. führen. Sie soll schließlich, wo eine Rückzahlung angemessen ist, auch tatsächlich zu einer Rückzahlung führen und damit zu einem meßbaren Erfolg der Vorschrift über die Rückzahlungsverpflichtung.Diesen Bedingungen entspricht der Änderungsantrag mit den Formulierungen „ganz oder teilweise" und durch die Einführung des Elements der Voraussicht in den Worten „wirtschaftlich betrieben werden kann". Diese Formulierung ermöglicht es z. B. durchaus, die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten jeder Leitung vorweg abzuschätzen und feste Rückzahlungstermine und -summen, jedenfalls für die Erreichung bestimmter Durchsatzmengen, zu vereinbaren, was die vorstehend dargestellten bedenken — Herr Kollege Wolfram, darin sind wir einig — weitgehend entfallen läßt.Die Einzelheiten des Verfahrens über das Zusammenwirken von Bund und Ländern, aber auch zur Handhabung der Rückzahlungsverpflichtung werden in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern festgelegt. Es ist zu hoffen, daß diese Verwaltungsvereinbarung den Ländern einen wesentlichen Handlungsspielraum läßt und daß diese Verwaltungvereinbarung so schnell abgeschlossen wird, wie dieses Parlament diesen Gesetzentwurf behandelt hat.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf und auch dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der gestrigen Aussprache über die Energiepolitik, bei der viel von Kernenergie die Rede war und wenig von Erdgas, obwohl die Kernenergie nur 3 % Anteil an der Primärenergie hat, während das Erdgas zur Zeit einen Versorgungsanteil von 15,4 % mit steigender Tendenz hat, sollten wir wenigstens ein paar kurze Worte zur Gesamtsituation verlieren.
— Wir haben das erwähnt. Aber so ist das eben, Herr Kollege, die andere Seite macht dann um 3
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14914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Haase
viel Klamauk. Sie macht insgesamt viel Klamauk um nichtige Anlässe.Wenn wir wissen, daß Erdgas in ausreichender Menge zur Verfügung steht — in Europa haben wir immerhin 5 500 Milliarden Kubikmeter, die jetzt bereits erschlossen sind; darüber hinaus gibt es noch vermutete unerschlossene Felder —, der deutsche Verbrauch aber nur 56 Milliarden Kubikmeter beträgt, kann man sich ausrechnen, daß beim Erdgasverbrauch eine Steigerung durchaus denkbar, ja wünschenswert ist. Damit ist aber, wie ich meine, die Pflicht verbunden, kurz- und mittelfristig insbesondere bisher benachteiligte Gebiete an die Erdgasversorgung anzuschließen. Daneben besteht der Gesichtspunkt, daß man revierferne Gebiete und energieferne Gebiete an die Erdgasversorgung anschließen muß, damit auch für die Bürger in diesen Bereichen eine gleiche Chance gegeben ist, sich mit Energie zu versorgen. Diese beiden Gesichtspunkte sind meiner Ansicht nach die einzigen, die in diesem Zusammenhang zählen.Ich will an dieser Stelle auch deutlich machen, daß wir von der Bundesregierung erwarten, daß es bei der Subventionierung von Gasanschlüssen in diesen Gebieten nicht zu einer Existenzvernichtung der kleinen und mittelständischen Flüssiggaslieferanten kommt. Dies schulden wir ihnen einfach deshalb, weil sie diese Bereiche bisher voll versorgt haben.
An dieser Stelle muß ich die Bundesregierung nachdrücklich auffordern, dafür zu sorgen, daß die Rückzahlklausel, die auf Initiative der sozialdemokratischen Fraktion im Wirtschaftsausschuß eingeführt worden ist, nicht eine Alibifunktion haben darf, sondern erfolgreich angewandt werden muß. Der Bund gibt in vier Jahren immerhin 170 Millionen DM, also einen ganz erheblichen Betrag. Dies läßt sich nur als Motivation rechtfertigen, die regionalen Leitungen schnell auszubauen. Daraus folgt aber, daß dies nicht eine der unzähligen Subventionen werden darf, die den Empfänger zwar freut, aber dem Zweck kaum dient und den Konsumenten sicher nichts nützt.
Wir sehen sehr kritisch die ständig steigenden Gewinne und Rücklagen der Gaslieferer bei ständig steigenden Preisen. Die Ruhrgas, immerhin der größte Gaslieferant in der Bundesrepublik, hat 1976 einen Gewinn von 60 Millionen DM und 1978 bereits einen Gewinn von 74,5 Millionen DM ausgewiesen. Bei dem deutschen Gaslieferer und Gasförderer Brigitta sind es immerhin 250 Millionen DM im Jahre 1978. Dabei ist einzuräumen, daß der Gesetzentwurf nur dann Zuschüsse gewährt, wenn die Projekte von kleinen Gesellschaften betrieben werden und wenn die Projekte Gebiete betreffen, die nur mit einem Verlust zu versorgen wären. Die Gewinnentwicklung, wie sie sich allenthalben auf dem Gasmarkt abzeichnet, kann natürlich sehr bald auch bei den Projekten, die ich genannt habe, in dieGewinnzone führen, und dann ist es dem deutschen Steuerzahler nicht zumutbar, daß diese Zuschüsse verloren sind.Nur unter dieser Voraussetzung — das sage ich noch einmal mit allem Nachdruck — stimmt die sozialdemokratische Fraktion diesem Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung zu, wobei wir uns natürlich freuen, das jetzt auch die CDU/CSU begriffen hat, daß man rückzahlbare Zuschüsse in diese Gesetzesformulierungen aufnehmen muß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In mancherlei Beziehung ist dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates in den bisherigen Beratungen sowohl im Ausschuß als auch im Plenum — ich darf hinzufügen: von allen Fraktionen des Hauses —, wie ich meine, Großzügigkeit und Wohlwollen entgegengebracht worden, und das bezieht sich auf mehrere Punkte. Da ist einmal das Wohlwollen überhaupt, die grundsätzliche Bereitschaft, dieses Gesetz aufzunehmen, zu unterstützen, und zum anderen ist es das Wohlwollen in der Dotation, das mit den 170 Millionen DM für fünf Jahre zum Ausdruck kommt. Ich meine, Wohlwollen wird auch dadurch ausgedrückt, wie wir bisher das parlamentarische Verfahren aufgenommen und durchgeführt haben. Es ist bereits daran erinnert worden, daß das gleiche Ziel eigentlich einfacher auch mit einer Verwaltungsvereinbarung zu erreichen gewesen wäre. Weiter ist von den beiden Kollegen bereits angedeutet worden, daß Wohlwollen auch in der vorgesehenen Rückdatierung dieses Gesetzes auf den Jahresbeginn 1979 zum Ausdruck kommt.Angesprochen ist damit das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Förderung des Baues von Erdgasleitungen. Es sei daran erinnert, daß dieses Gesetz, das erst vor sechs Wochen in der ersten Lesung hier vorgestellt wurde, zwei Hauptrichtungen verfolgt, nämlich eine regionale Hilfestellung zu geben und zum anderen energiepolitisch erwünschte Substitutionseffekte — weg vom Öl, mehr hin zum Gas — und eine damit einhergehende Verbreiterung der Angebotspalette zu schaffen.Diese Politik, die hier in einem Baustein zum Ausdruck kommt, ist Teil des energiepolitischen Programms der Bundesregierung: Erweiterung der Angebotspalette, rationelle Energieverwendung, Sicherung der Energieversorgung. Es ist ein Baustein ail der richtigen Stelle, nämlich beim Einstieg in den Wärmemarkt, der etwa 40 % unseres gesamten Energiebedarfs in Anspruch nimmt und bislang zu 50 % durch Heizöl abgedeckt wird, so daß alle Fakten darauf hindeuten, daß man mit Hilfe dieser und anderer Maßnahmen ein Stück von der Dominanz des Heizöls im Wärmemarkt wegkommt.Dieses Gesetz, das wir von der FDP-Fraktion in seinen Intentionen unterstützen, kann aus der Bundessicht aber nur ein Angebot an die Länder sein, Investitionen in diesem Bereich mit 15 % zu unterstützen. Wir meinen, dies ist eine faire und auf die
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ZywietzAbsicht schauende richtige Unterstützung. Es ist aber insofern nur ein Angebot des Bundes. Denn die Länder bleiben frei, diesen Betrag zu verdoppeln oder darüber hinauszugehen, je nach Einschätzung der einzelnen Projekte.
Nicht nur in diesem Bereich nimmt Frau Minister Breuel aus Niedersachsen eine besondere Position ein. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, daß gerade Niedersachsen und die erwähnte Frau Minister ursächlich dafür verantwortlich sind, daß die Verwaltungsvereinbarung nicht zustande gekommen ist und das Nachbarland Schleswig-Holstein mit seiner CDU-Regierung das, was die Verwaltung nicht geschafft hat, in die Form eines Gesetzes gegossen hat, das wir hier mit so viel Wohlwollen behandeln. Man müßte fast hinzufügen, daß außerdem das Land Niedersachsen in der Frage der „windfall profits" eine verständnisvolle Haltung durch unsere Politik seitens der sozialliberalen Koalition erfahren hat.Um so mehr ist es aus dem, was mit diesem Gesetz gewollt und gedacht ist, nötig, mit Schärfe auf eine Rückzahlung zu achten, falls sich mit diesen Subventionen geförderte Projekte als wirtschaftlich erweisen sollten. Einige Daten deuten darauf hin, daß diese Wahrscheinlichkeit groß ist und durch die preisliche Entwicklung auf dem Energiemarkt noch größer werden kann,
die wohl nach allen Indizien wahrscheinlich ist.
Wir möchten diese Formel der teilweisen oder vollen Rückzahlung nicht als eine pädagogische Pflichtübung verstanden oder entwertet wissen.
Wir werden mit Aufmerksamkeit verfolgen, wie sich die Handhabung in diesem Bereich vollzieht. Wir werden mit Interesse verfolgen, wie der Auftrag an die Bundesregierung zu Verhandlungen mit den Bundesländern umgesetzt wird. Auf jeden Fall darf es nicht zu einer Leer- oder Papierformel mit gekonnten Finessen der Umgehungstechnik in der Praxis degradiert werden.Der Weg der Umsetzung der Absichten, die hinter diesem Gesetz stehen, bis zur jetzt bevorstehenden Verabschiedung war nicht ganz geradlinig. Im Hintergrund stehen die Vereinbarungen und die Aussprachen des Weltwirtschaftsgipfels hier in Bonn im Jahr 1978 und das anfängliche Bemühen, auf dem Verwaltungsweg zum gleichen Ziel zu kommen wie jetzt durch das Gesetz. Die Beratung hat zielgerichtetes Tempo erst zwischen der ersten Lesung vor sechs Wochen und der jetzigen zweiten und Schlußlesung in diesem Hause bekommen. Die erste Lesung hat bereits verdeutlicht, daß alle Fraktionen zu diesem Gesetz stehen. Sie hat auch verdeutlicht — wir haben das Versprechen eingelöst —, daß wir sehr schnell beraten wollten. Die erste Lesung hat auch schon die Einzelprobleme angedeutet, die bereits dargelegt worden sind, nämlich die Rückzahlungsverpflichtung, auf die ich schon eingegangen bin, und die Rückdatierung.Die Rückdatierung auf den Beginn des Jahres vollziehen wir eigentlich nur mit schwersten Bedenken. Wir wollen nicht, daß dies leichtfertig zum Anlaß für andere, präjudizierende Nacheiferungen genommen wird. Es ist eigentlich nur auf dem Hintergrund der Tatsache zu verantworten, daß in Erwartung einer Verwaltungsvereinbarung bereits im Etat 1979 unter Tit. 88 201 33 Millionen DM vorgesehen worden sind, diese Verwaltungsvereinbarung aber nicht zustandegekommen ist, statt dessen jetzt dieses Gesetz verabschiedet wird, daß aber damals —eigentlich nicht haushaltsreif — bereits mit einem großen Wohlwollen und in der Erwartung der Verwaltungsvereinbarung Gelder eingestellt worden sind. Ich muß das noch einmal in dieser Deutlichkeit unterstreichen, damit auch die Bedenken ernst genommen werden, hieraus nicht etwa ein Präjudiz abzuleiten.
— Aber wo immer man es vermeiden kann, sollte man es tun. Ich hoffe, wir können darin übereinstimmen, Herr Kollege.Ich komme zum Schluß. Dieses Gesetz und auch den Änderungsantrag, der hier schon begründet worden ist, unterstützen wir eigentlich in der Erwartung, daß nicht mit dieser öffentlichen Bundessubvention im Rücken hemdsärmelig vorgegangen wird, weder hemdsärmelig gegenüber mittelständischen Unternehmen als möglichen Betroffenen und Berührten noch hemdsärmelig gegenüber dem Mitbürger als Abnehmer. Wir wissen sehr wohl, daß es keinen Anschlußzwang bei leitungsgebundenen Energien gibt. Hier fördern wir das Gas als leitungsgebundene Energie. Dennoch möchte ich für die Fraktion der FDP den Wunsch und die Erwartung ausdrücken, daß alle Beteiligten mit der Bereitschaft zu klarer Information und guter Kooperation in den Kommunen mit den Bürgern und mit den Mittelständlern, die in diesem Bereich tätig sind, dieses Gesetz umsetzen werden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung.Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist angenommen.
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14916 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Vizepräsident Frau RengerIch rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3440 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Die CDU/CSU wollte diesem Antrag zustimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen. Wer dem § 2 in der Ausschußfassung nach Maßgabe der soeben beschlossenen Änderung die Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 2 ist angenommen.Ich rufe die §§ 3 bis 8 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Sie enthalten sich, Herr Gärtner? — Bei einer Enthaltung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Hierzu wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in der dritten Beratung einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe folgende Tagesordnungspunkte auf:12. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung
— Drucksache 8/2516 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3449 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3412 —Berichterstatter: Abgeordnete Broll Dr. Wernitz
13. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke
— Drucksache 8/2517—Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3413 —Berichterstatter:Abgeordnete BrollDr. Wernitz
14. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
— Drucksachen 8/2518, 8/3054 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3444 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksachen 8/3417, 8/3428 —Berichterstatter: Abgeordnete Broll Dr. Wernitz
Interfraktionell ist eine verbundene Debatte mit Kurzbeiträgen vereinbart worden.Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Herr Abgeordneter Broil, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Drucklegung der drei Berichte des Ausschusses hat sich eine Reihe kleiner Fehler ergeben, die auf das Tempo zurückzuführen sind, mit dem der Ausschuß diese Dinge beraten und das er auch den Behörden aufgezwungen hat. Ich bitte Sie, das zu Protokoll zu nehmen und die Beschlüsse, die gleich zu fassen sein werden, jeweils in der berichtigten Form zu fassen.
Ich habe das für meinen Kollegen Dr. Wernitz, der Mitberichterstatter ist, mit gesagt.
Sprechen Sie in der Debatte jetzt gleich weiter? — Ich eröffne die Aussprache. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Professor Anderson, dem Professor für Statistik an der Universität München, stammt das Wort: „Mit der Statistik ist es wie mit dem Bikini: Man sieht nur wenig, und das Wesentliche ist verborgen."
In Wirklichkeit ist es doch wohl so, daß kaum einervon uns, außer den Liebhabern der Statistik, etwaweiß, daß 562 Beamte, 1719 Angestellte und 31 Arbei-Deutscher Bundestag. — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14917Brollter, insgesamt also 2 312 Bedienstete, allein im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden und in den Zweigstellen Düsseldorf und Berlin arbeiten. Wenn Sie noch einmal die gleiche Zahl von Beamten bei den Ländern zugrunde legen, die sich dort mit Statistik befassen, kommt eine ansehnliche Zahl von fast 5 000 Personen heraus, die ihr Leben damit zubringen, Milliarden von Zahlen einzusammeln, zu dividieren, zu multiplizieren, zu addieren und dann die Quersummen herauszugeben, mit denen wir Politiker arbeiten.
— Es ist bekannt, lieber Herr Kollege Wolfram, daß Kritik und Spott der Statistik, solange es sie gibt, immer zuteil geworden ist.
Die Ämter sagen, es gebe viel zu viele Anforderungen an die Statistik, aber viel zuwenig Personalstellen. Die Bürger, speziell die Unternehmen, klagen darüber, daß sie viel zu sehr, geradezu in einer apokalyptischen Flut, von statistischen Befragungen heimgesucht werden und ganze Heere von Personal einsetzen müssen, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können. Die Empfänger der Statistik, die Behörden, die wissenschaftlichen Institute, die Verbände, klagen, die Statistiken seien viel zu ungenau, kämen viel zu spät und müßten viel gründlicher bearbeitet werden und viel genauere Ergebnisse bringen.Kollege Wernitz und ich als Berichterstatter, wir alle im Innenausschuß, haben uns in vielen Sitzungen bemüht, in einem geradezu herkulischen Akt eine Ordnung in dieses Gestrüpp der Statistik zu bringen, und hatten gemeint, es werde uns gelingen, mit Hilfe der Verwaltung, die sich redlich Mühe gegeben hat, einen wesentlichen Teil der Statistik im Bundesgebiet zu beseitigen. Wir hatten geglaubt, wir würden dabei vor allen Dingen aus dem Bereich der Wirtschaft Unterstützung finden. Weit gefehlt, meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle haben gesagt: Natürlich muß die Statistik bereinigt werden, natürlich muß viel weniger Statistik erhoben werden. Bei uns aber brauchen wir leider Gottes speziellere Angaben, bei uns muß etwas mehr Statistik sein.
So hatte z. B. die Regierung vorgeschlagen, die Lohnkostenerhebung von dem vierteljährlichen Turnus auf den halbjährlichen, teilweise auf den jährlichen Turnus umzustellen. Der DGB und die Arbeitgeberverbände waren gemeinsam der Meinung, das gehe auf keinen Fall. Gegen diese unheilige Allianz von restaurativen statistischen Tendenzen war natürlich der Innenausschuß völlig machtlos. Wir mußten in diesem Fall auf eine Kürzung verzichten.Insgesamt aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir doch eine Menge von Statistikbereinigung geschafft. Wir glauben, daß es uns gelungen ist, die Belastungen der Bürger wesentlich zu vermindern.Die Statistik steht zwischen drei Zielen, deren Realisierung sie genau wie die der Ziele des berühmten magischen Dreiecks letztlich nicht erreichen kann. Sie soll möglichst wissenschaftlich genau sein und muß deswegen auf viel repräsentative Statistik und Stichproben verzichten, sie soll möglichst wenig belastend sein und müßte deswegen genau das Gegenteil tun, und sie soll, vor allen Dingen für die Länder und Gemeinden, ihre Zahlen in ganz tiefer regionaler Gliederung bringen, was wiederum eine sehr spezielle Untersuchung bis in die letzten Unternehmen hinein voraussetzt und zu den anderen beiden Zielen konträr ist.Angesichts dieser Schwierigkeit verdient die Beamtenschaft, die sich im Ministerium und vor allen Dingen in den statistischen Ämtern mit Statistik beschäftigt, wirklich ein Lob. Die Wissenschaft der Statistik ist in der Bundesrepublik auf einem sehr guten Stand. Die amtliche Statistik hat in der Bundesrepublik und im internationalen Raum einen hervorragenden Ruf. Auch die Verbände können mit den Ergebnissen, die statistische Erhebungen erbringen, insgesamt durchaus zufrieden sein. Das wird anerkannt. Auch als Politiker wollen wir dies einmal sagen, zumal die Arbeit der Statistiker ja weitestgehend im Verborgenen geschieht. Wer nur bespöttelt wird und dessen Arbeit nie an das Licht der Öffentlichkeit kommt, könnte — zumindest seit dieses Wort bekannt ist — sonst leicht frustiert sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen zugeben, daß wir selbst einen Teil dazu beigetragen haben, daß Statistik in Verruf geraten ist. Wie sehr haben sich Politiker z. B. so fragwürdiger statistischer Untersuchungen wie des Krelle-Gutachtens und der Statistiken über die Bildungsverhältnisse in der Bundesrepublik und im Ausland bemächtigt! Welcher Unfug ist im schulischen, im wirtschaftlichen und im politischen Bereich mit diesen Statistiken angerichtet worden! Das ist nicht Schuld der Statistik, sondern Schuld derjenigen, die entweder nicht wissen, wo die Grenze statistischer Wahrheit liegt, oder bewußt mißbrauchen, was die Ämter und die Institute herausgebracht haben.Es gibt unbestreitbar ein geradezu pathologisches Bedürfnis, politische Entscheidungen mit statistischen Zahlen zu begründen. Je mehr Zahlen sich hinter dem Komma finden, desto wissenschaftlicher scheint die Politik zu sein, die man damit begründet. Ich nehme dabei keine Partei aus; wir sind in dieser Hinsicht alle allzumal Sünder.Die Europäische Gemeinschaft ist ein typisches Beispiel dafür. Sie überschüttet uns ja mit Forderungen nach Statistik, denen wir überhaupt nicht nachkommen können. Ganze Wälder müßten abgeholzt werden, nur um die statistischen Papiere herstellen zu können, die wir, kämen wir all diesen Wünschen nach, nach Brüssel schicken müßten. So sollen alle zehn Jahre Obstbaumzählungen durchgeführt werden. Als ob die Obstbäume, auch wenn man sie noch so- genau zählt, jedes Jahr die gleiche Ernte brächten! Was man in der Wirklichkeit nicht weiß, scheint zumindest nach der Statistik bekannt sein
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Brollzu müssen. Dies scheint manche Leute außerordentlich zu beruhigen.Wir haben — ich sagte es — einen Kompromiß im Statistikbereinigungsgesetz gefunden, der wohl trägt. Um auch den reformerischen Schwung der Bundesregierung weiter zu beflügeln, der ja erlahmt zu sein scheint, haben wir den Titel „Statistikbereinigungsgesetz" in „1. Statistikbereinigungsgesetz" geändert, was für das Jahr 1980, das Jahr der Bundestagswahl, die Hoffnung eröffnet, daß von der Regierung, wenn sie weiter regiert, noch mehr Gesetze dieser Art vorgelegt werden. Dies ist ein Element des Wahlkampfs, auf das Sie kaum werden verzichten können.
Wir haben in dem anderen Gesetzentwurf, dem Entwurf eines Bundesstatistikgesetzes, einige Änderungen vorgenommen, von denen wir uns Besserungen versprechen. Die Ressorts hatten sich angewöhnt, Statistiken, die vom Parlament nicht gewünscht waren und deswegen hier nicht durchgingen, als wissenschaftliche Aufträge an Institute zu vergeben. Sie hatten deswegen für das Bundesstatistikgesetz die Formulierung vorgeschlagen, daß das Bundesamt für Statistik in Wiesbaden die Regierung „auf Anforderung" bei der Vergabe von Statistiken an andere Institutionen beraten solle. Wir haben den Begriff „auf Anforderung" schlicht gestrichen — ohne parteipolitischen Streit. Wir wünschen, daß das Amt bei jeder Vergabe dieser Art gefragt wird. Ich möchte sogar noch weitergehen und sagen: Wir wünschen, daß überhaupt keine Aufträge dieser Art vergeben werden, ohne daß der Haushaltsausschuß gefragt wird und ohne daß das Amt und das Parlament die Zustimmung dazu geben.
Natürlich folgen die Ministerien dabei dem alten Spruch, der Ihnen sicher auch bekannt ist, man solle nur der Statistik glauben, die man selbst gefälscht hat.
Wir wünschen allerdings, daß Statistiken grundsätzlich nicht gefälscht sind, und haben deshalb die erläuterte Regelung getroffen.Von verschiedener Seite ist das Ansinnen an uns gerichtet worden, Einzelangaben — sei es in bezug auf Unternehmen, sei es in bezug auf Einzelpersonen — an alle möglichen Interessenten weitergeben zu können. Die Geheimhaltungsvorschriften — denken Sie an den Datenschutz — wären dabei sehr schwer einzuhalten gewesen. Wir haben vor allen Dingen aber Verständnis dafür, daß das Statistische Bundesamt befürchtet, bei Weitergabe von Einzelangaben auch an noch so vertrauenswürdige Persönlichkeiten — wo diese Angaben nachher landen, kann man doch nie prüfen — würde die Bereitschaft der Bürger geschwächt, die Wahrheit zu sagen, wenn befragt wird. Wenn aber überhaupt Statistik erhoben wird, muß die Garantie gegeben sein, daß die Befragungen ehrlich sind und daß die Antworten richtig gegeben werden. Sonst wäre die ganze Arbeit für die Katz.Ein Problem, das sich bei statistischen Erhebungen immer wieder gezeigt hat, ist die Schwierigkeit der Zusammenarbeit zwischen dem Statistischen Bundesamt und den Landesämtern. Wir wünschen, daß der Föderalismus erhalten bleibt. Wir haben in Nuancen die Macht des Amtes verstärken wollen, glauben aber, daß die Konkurrenz in diesem Bereich auch für die Wissenschaftlichkeit der Statistik fruchtbar ist.Ich darf zum Schluß, da ja die Volkszählung des Jahres 1981 droht, aus der Bibel zitieren. Sie werden verzeihen, daß ich nicht Karl Marx zitiere, sondern aus dem Alten Testament, das unserer Partei doch näher liegt. Schon 1000 Jahre vor Christus hat es eine solche Volkszählung gegeben. Da heißt es im 2. Buch Samuel:Aufs neue entbrannte der Zorn des Herrn wider Israel. Er reizte David gegen es auf und sprach: „Gehe hin, zähle die Israeliten und die Judäer!"Sie streiften im ganzen Lande herum. Dann kamen sie nach neun Monaten und zwanzig Tagen nach Jerusalem zurück ...Davids Herz fing an zu pochen, als er das Volk gezählt hatte, und er betete zum Herrn: „Ich habe schwer gesündigt, daß ich also tat. Nun, Herr, entferne die Schuld Deines Knechtes, denn überaus töricht habe ich gehandelt.' ...So ließ der Herr eine Pest in Israel vom Morgen bis zur festgesetzten Zeit wüten, es starben aus dem Volk von Dan bis Beerseba 70 000 Mann.Zwei Lehren daraus: Erstens. Die Statistik ist eine üble Sache, eine Gott nicht wohlgefällige, eine sündige Sache. Ich kann den Beamten der Ämter auch diese Schlußfolgerung nicht ersparen. Zweitens eine tröstliche Erkenntnis: Was auch immer Politiker falsch machen, die Zeche zahlt das Volk. Das ist auch gut so; denn wer von uns wäre noch Politiker, wenn wir die Zeche für den Unfug, den wir anrichten, selbst bezahlen müßten?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der intensiven und sachorientierten Beratungen in den beteiligten Ausschüssen und in den Berichterstattergruppen ist es gelungen, in rund neun Monaten dieses umfangreiche, komplexe Paket der drei Statistikgesetze ins Plenum des Bundestages zu bringen. Alle drei Entwürfe haben bei den abschließenden Beratungen im Innenausschuß einstimmige Billigung gefunden. Dieses Ergebnis war nur möglich, weil alle Beteiligten kompromißbereit und sachbezogen mitgearbeitet haben. Zu danken ist hier — nicht zuletzt, sondern zuvörderst — den Mitarbeitern der einschlägigen Ressorts und den beteiligten Mitarbeitern aus dem Bereich der Bundestagsverwaltung.Zusammen mit den drei Gesetzentwürfen soll eine Entschließung verabschiedet werden, mit der die Richtung für die weiteren Arbeiten auf dem Sek-
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Dr. Wernitztor der statistischen Rechtsvorschriften markiert wird. Danach sollen die amtlichen statistischen Befragungen auf das unumgänglich notwendige Mindestmaß begrenzt werden. Die mit der Beantwortung gesetzlich angeordneter Fragen verbundenen Belastungen der Bevölkerung — von dieser und auch von der Wirtschaft oft als Belästigung empfunden — sind nur dann zu rechtfertigen, wenn auf anderem Wege keine aussagefähigen Entscheidungsgrundlagen bereitgestellt werden können. Nur dann, wenn sich alle Beteiligten und Verantwortlichen in Exekutive und Legislative diese Grundhaltung zu eigen machen, wird auf Dauer das Ziel einer Begrenzung der Statistiken auf ein vernünftiges Maß erreicht werden.Bei den Beratungen hat sich die Notwendigkeit gezeigt, stärker als bisher darauf zu achten, daß die — zumeist mit großem Aufwand erstellten — Statistiken dann auch wirklich zur Informationsversorgung der Parlamente, der Regierungen von Bund und Ländern, der Kommunen, der Wissenschaft und Forschung sowie einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.In der Vorlage der Entschließung hat sich auch das Ergebnis einer Grundsatzdiskussion im Zusammenhang mit allen drei Entwürfen niedergeschlagen, nämlich die Notwendigkeit eines strengen Geheimhaltungs- und Datenschutzes für alle erhobenen Einzelangaben. Das gilt sowohl für personenbezogene Daten als auch für die übrigen Einzelangaben, insbesondere bezogen auf die Unternehmen und Betriebe der Wirtschaft. Die hinreichende Gewährleistung des Geheimhaltungsprinzips der erhobenen Einzelangaben entscheidet jetzt und auch künftig über die Qualität der Statistiken. Insbesondere der zur Auskunft gesetzlich Verpflichtete muß auf den Quellenschutz vertrauen können. Nur dann ist damit zu rechnen, daß die Angaben auch künftig korrekt und vollständig sein werden.Wenn von der Notwendigkeit eines strengen Geheimhaltungs- und Datenschutzes die Rede ist, so deshalb, weil beide Begriffe eben nicht deckungsgleich sind. Während das statistische Geheimhaltungsprinzip auf den Schutz aller Einzelangaben, also der personenbezogenen und der übrigen Daten, abstellt, ist der Datenschutz auf die personenbezogenen Daten ausgerichtet. Dementsprechend geht es beim Statistikrecht auch um Fragen des bereichsspezifischen Datenschutzes. An verschiedenen Stellen der Gesetzentwürfe sind datenschutzrechtliche Anregungen der Beauftragten des Bundes und der Länder aufgegriffen worden.Es ist im übrigen interessant, aber durchaus kein Widerspruch, daß sich gerade auch die Datenschutzbeauftragten nachdrücklich für die Entwicklung von Verfahren eingesetzt haben, die unter Beachtung der Prinzipien von Geheimhaltung und Datenschutz eine optimale Nutzung auch außerhalb der statistischen Behörden zulassen.Kostspielige, unökonomische Parallelerhebungen müssen, wo immer es geht, vermieden werden. Auch dieser Bereich sollte künftig im Blickfeld aufmerksamer Beobachtung aus dem parlamentarischen politischen Raum bleiben.Die Statistikgesetze werden konkret und zum praktischen Anwendungsfall für den Bürger durch die Frage- bzw. Erhebungsbögen. Hier hat es in der Vergangenheit immer wieder Ärger gegeben. Alle Verantwortlichen, insbesondere in den statistischen Ämtern, müssen deshalb einer verständlichen und bürgerfreundlichen Fragebogengestaltung einen hohen Rang einräumen. Dabei geht es nicht nur darum, die Antwortbereitschaft der Befragten zu sichern und eventuell zu erhöhen, und um die Verbesserung der Qualität statistischer Ergebnisse; von der bürgerfreundlichen Gestaltung der Fragebögen hängt es wesentlich ab, mit welcher Grundeinstellung der Bürger und Auskunftspflichtige der Statistik gegenübersteht. Hier wird also über den dauerhaften Erfolg der anerkennenswerten Bemühungen um die Entschlackung der Statistiken mit entschieden.Mit dem Entwurf eines Statistikbereinigungsgesetzes wird ein Anfang gemacht, das Programm der amtlichen Statistik zu kürzen. Um dies auch nach außen sichtbar zu machen — Herr Broll hat darauf hingewiesen —, soll die Vorlage „1. Statistikbereinigungsgesetz" genannt werden. Unser Ziel muß es sein, daß die ständige kritische Überprüfung bestehender und geplanter Statistiken als Daueraufgabe begriffen wird. Hierzu könnte der sogenannte Abteilungsleiterausschuß der Bundesregierung, der die schwierigen Vorarbeiten zum Statistikbereinigungsgesetz bravourös gemeistert hat, auch künftig einen konstruktiven Beitrag leisten. Die fachlich zuständigen Ausschüsse des Parlaments sollten sich über den entsprechenden Fortgang dieser Arbeiten regelmäßig berichten lassen. Das Ergebnis sollte zu gegebener Zeit die Vorlage eines weiteren Statistikbereinigungsgesetzes sein; denn Statistikbereinigung ist keine Eintagsfliege der Entbürokratisierung, sondern, wie gesagt, Daueraufgabe.Die Arbeiten auf diesem Sektor sind auch deshalb so schwierig und mühselig, weil alle Anstrengungen zur Entschlackung der Statistiken beinahe immer ein Ringen mit den jeweiligen Fachvertretern bedingen, die nur höchst ungern auf „ihre" Statistiken verzichten. Insofern besteht immer die Gefahr, daß an Stelle der Statistikbereinigung eine — allerdings falsch verstandene — Statistikbereicherung herauskommt. Dies ist aber schon vorhin in dem Beitrag angeklungen; ich kann es mir ersparen, das weiter auszuführen.Unser kritischer Blick muß aber auch den von den Europäischen Gemeinschaften angeordneten Statistiken gelten. Dort zeigen sich zum Teil bedenkliche Tendenzen zur bürokratischen Ausweitung, denen Bundesregierung und Bundestag entgegentreten müssen.Mit der Neufassung des aus dem Jahre 1953 stammenden Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke werden die Aufgaben des Statistischen Bundesamts und die Vorschriften über die Anordnung und Durchführung von Bundesstatistiken neu geregelt. Dabei muß den Entwicklungen auf dem Gebiet des Datenschutzes und des Strafrechts Rechnung getragen werden. Zugleich wird den gestiegenen Anforderungen an Aktualität und Qualität der Bun-
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Dr. Wernitzdesstatistik entsprochen. Dies hat sich im Aufgabenkatalog des Statistischen Bundesamtes entsprechend niedergeschlagen.Es wäre reizvoll, hier nun einzelne Punkte aufzugreifen, etwa das Stichwort „Übermittlung von Einzelangaben für wissenschaftliche Zwecke", etwa die Frage der Erweiterung der Mitgliederzahl des Statistischen Beirats oder das Thema „Kreis der Stellen und Personen, denen Einzelangaben übermittelt werden können". Wer sich dafür näher interessiert, sei auf den Bericht aus dem Innenauschuß verwiesen.Das Gesetz über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung schafft die rechtliche Grundlage für die zum 20. Mai 1981 vorgesehene Volkszählung. Die letzte Zählung fand im Jahre 1970 statt. Diese im Zehn-Jahre-Turnus durchgeführten Erhebungen sollen Angaben über den neuesten Stand der Bevölkerung, ihrer räumlichen Verteilung und ihrer Zusammensetzung nach demographischen und sozialen Merkmalen sowie über ihre wirtschaftliche Betätigung liefern. Es liegt auf der Hand, daß diese Erhebungen und Ergebnisse unentbehrliche Grundlagen für gesellschafts- und wirtschaftspolitische Planungen und Entscheidungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden und weit darüber hinaus darstellen.Auch hier galt es, die unterschiedlichen Anliegen auf einen Nenner zu bringen. Ich will es mir ersparen, dies hier im einzelnen anzusprechen. Auch darauf hat Herr Broll bereits Bezug genommen.Der Kostenpunkt beim Volkszählungsgesetz ist zwischen Bundesregierung und Bundesrat nach wie vor strittig. Er wird aber sicher im Bundesrat zu klären sein. Diese Klärung konnte nicht unsere Aufgabe sein.Es bleibt zu hoffen, daß die drei Statistikgesetze nach ihrer wohl einvernehmlichen Verabschiedung hier im Plenum des Deutschen Bundestages auch den Bundesrat in absehbarer Zeit passieren können.
Das Wort hat der-Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Herr Kollege Broll hat am Beginn seiner Ausführungen einige sehr eindrucksvolle Zahlen über die Personen genannt, die in Bund und Ländern in der Statistik beschäftigt sind. Diese Zahlen sind ja nicht klein. Ich weiß nun nicht, ob diese Zahlen den einen begeistern oder den anderen erschrecken. Das kommt vielleicht schon auf die Stimmungslage an. Sie ist, wenn man das Reizwort „Statistik" hört, bisweilen verschieden.In einem stimme ich allerdings — und das gilt auch für die Beratung dieser drei Gesetze, die bisher in den Ausschüssen und der Arbeitsgruppe stattgefunden hat, ganz sicher — mit der Auffassung überein, daß in diesen Bereichen ein wenig das SanktFlorian-Prinzip gilt: daß man grundsätzlich zwareine Reduzierung von statistischen Erhebungen oder Belastungen anerkennt, aber sagt: Dann bitte nicht bei mir, sondern an anderer Stelle.Das wissen wir alle, und man kann darüber ironisieren oder nicht: Statistik ist für viele Bürger unseres Landes manchmal ein, sagen wir, durchaus mehrdeutiger Begriff. Sie ist für die einen die nicht näher zu begründende Notwendigkeit, auf die insbesondere in einer modernen Industriegesellschaft Staat, Kommunen, Wirtschaft und auch Wissenschaft nicht verzichten können. Für andere ist sie eine manchmal ärgerliche, auch nicht ganz einsehbare Belastung, und für wieder andere ist sie ein Instrument, das den Bürger gar wie eine Nummer in ein für ihn nicht durchschaubares System zwingt. Jede dieser Meinungen hat einen mehr oder weniger groBen Kern Wahrheit für sich. Aber keine ist die ganze Wahrheit.Gleichwohl wird niemand bestreiten, daß ohne ein Mindestmaß an statistischen Erhebungen weder Verwaltung noch Wirtschaft noch Wissenschaft auskommen können. In Frage steht auch hier wieder das Maß der notwendigen Erhebungen, ihr Verhältnis zum effektiven Nutzen — auf der Grundlage einer objektiven Kosten-Nutzen-Analyse — sowie die Notwendigkeit, wenn möglich mehr zur Wahrung des Geheimnisschutzes zu tun.Die Ziele, die mit den heute vorgelegten Gesetzentwürfen angesprochen sind, liegen deshalb überwiegend in den folgenden drei Bereichen.Erstens: Übernahme neuer Aufgaben durch die Bundesstatistik da, wo geänderte Verhältnisse oder neue Erkenntnisse und Erfahrungen in der Vergangenheit dies erzwingen — dies gilt vor allem für einige Bestimmungen des Bundesstatistikgesetzes —, die Übernahme von Zusatzaufbereitungen durch das Statistische Bundesamt, die Führung einer allgemeinen statistischen Datenbank, die Zusammenarbeit mit supra- und internationalen Organisationen.Zweitens kommt es darauf an, sehr sorgfältig zu prüfen, ob und inwieweit der Umfang statistischer Erhebungen auf ein unbedingt notwendiges Maß zurückgeführt werden kann.Drittens müssen Regelungen gefunden werden, die einen strengeren Geheimnis- und Datenschutz gewährleisten, als dies nach dem bisher geltenden Recht möglich war und ist.Wir begrüßen, daß die Bundesregierung mit den drei Entwürfen einen ersten Schritt in diese richtige Richtung unternommen hat. Die Beratungen im Innenausschuß, vorbereitet durch die Berichterstattergruppe Statistik, konnten auf einer breiten, soliden Grundlage vonstatten gehen, weil alle relevanten Bereiche — Datenschutz, kommunale Spitzenverbände, Verbände der Wirtschaft und Wissenschaft und Religionsgemeinschaften — in die gründlichen Fachgespräche einbezogen gewesen sind.Das erste dieser Gesetze, das Volkszählungsgesetz für 1981, hat nach den Beratungen im Innenausschuß eine Fassung erhalten, die den gestellten Anforderungen in einem hohen Maße Rechnung trägt. Ich möchte mich hier darauf beschränken, auf die
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Dr. Wendigwichtigen Regelungen des § 9 hinzuweisen. Neben dem notwendigen Registerausgleich mit dem Melderegister ist die Weitergabe von Einzelangaben an andere Behörden an strengere Voraussetzungen geknüpft.Die Belange der Kommunen, aus Gründen der Regionalplanung, der gemeindlichen Planung und des Umweltschutzes über ausreichende statistische Unterlagen zu verfügen, sind mit den Bedürfnissen des Datenschutzes befriedigend zur Deckung gebracht. Die Übermittlung von Angaben an alle Gemeinden — unter Ausklammerung des Namens oder unter Beifügung des Namens nur dann, wenn die ausschließlich statistische Nutzung der Angaben durch eine entsprechende Satzung sichergestellt ist — dürfte nach unserer Überlegung allen diesen Bedürfnissen hinreichend gerecht werden. Gleiches gilt — jedenfalls im Prinzip — auch für die. Weitergabe von Daten für wissenschaftliche Zwekke.Die Neufassung des seit 1953 geltenden und seit dem nur wenig geänderten Bundesstatistikgesetzes war unter den aufgezeigten allgemeinen Gesichtspunkten seit längerem überfällig. Auch hier will ich mich auf einige wenige Hinweise beschränken; einige davon habe ich schon genannt.Eine Erweiterung des Statistischen Beirats haben wir -- mit dem Entwurf der Bundesregierung — nicht für erforderlich gehalten, weil die interessierten Einrichtungen, Religionsgesellschaften und die Bundesanstalt für Arbeit, wie bisher als Sachverständige zu den Beratungen hinzugezogen werden können. Dem Bundesbeauftragten für Datenschutz steht bereits auf Grund seiner gesetzlich fixierten Position ein umfassendes Kontrollrecht zu. Mit der Bundesregierung stimmen wir nach gründlichen Überlegungen auch der zusätzlichen Möglichkeit zu, statistische Anfragen durch Rechtsverordnungen an veränderte Verhältnisse flexibel anzupassen.Auch im Bundesstatistikgesetz nimmt — das ist für mich der Kernpunkt — ein verbesserter Geheimnis- und Datenschutz einen besonderen Platz ein. Hier ist wichtig, daß die Übermittlung statistischer Einzelangaben an die zuständigen Stellen nur zulässig ist, wenn und soweit diese Übermittlung unter Angabe des Empfängerkreises und der Art des Verwendungszweckes in der die Statistik anordnenden Rechtsvorschrift zugelassen ist.Gleichzeitig haben wir in § 11 eine Vorschrift eingefügt, die sicherstellt, daß anonymisierte Einzelangaben nicht geheimgehalten werden müssen. Diese Vorschrift dürfte vor allem den Bedürfnissen von Wissenschaft und Forschung, die wir voll anerkennen, entgegenkommen.Schließlich sieht der Entwurf jetzt eine Löschungspflicht für Daten, die zur Identifizierung der Auskunftspflichtigen dienen können, unter der Voraussetzung vor, daß eine Kenntnis dieser Daten für die Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiet der Statistik nicht mehr erforderlich ist. Vor allem diese Bestimmungen, meine Damen und Herren, dürften zeigen, daß hier ein wesentlicher Fortschritt im Be-reich des Persönlichkeitsschutzes erreicht worden ist, der die notwendige Übermittlung statistischer Erhebungen gleichwohl nicht in Frage stellt.Das Statistikbereinigungsgesetz endlich führt uns durch eine Fülle von Einzelvorschriften, die jetzt auch nicht annähernd im einzelnen genannt und erörtert werden können, in die Prüfung der Frage ein, in welchem Umfang neben einer notwendigen Aktualisierung eine Reduzierung statistischer Erhebungen auf ein notwendiges Mindestmaß schon jetzt erreicht werden konnte.
Wir halten dieses Gesetz für besonders wichtig, weil die befragten Bürger — vielfach zu Recht — Kritik an einem Übermaß statistischer Erhebungen geübt haben. Der Bereinigungseffekt wird durch Streichung einiger Statistiken, durch Verzicht auf einzelne Erhebungsmerkmale, durch eine geringere Häufigkeit der Befragungen und schließlich durch eine Verminderung der Zahl der Befragten erreicht.In einem besonderen Fall allerdings soll ein bestimmter Bereich der öffentlichen Finanzwirtschaft wieder in einer Finanzstatistik erfaßt werden. Es handelt sich um die Finanzwirtschaft der öffentlichen Krankenhäuser, die das Krankenhausfinanzierungsgesetz aus der Erhebungspflicht ausgenommen hatte. Inzwischen hat, wie wir meinen, die Praxis gezeigt, daß auf eine Erhebung der entsprechenden Daten nicht verzichtet werden kann.Abschließend, meine Damen und Herren, möchte auch ich Ihre Aufmerksamkeit auf den vom Innenausschuß vorgelegten Entschließungsantrag richten. Mit dieser Entschließung markiert der Deutsche Bundestag die Richtung, in der sich die zukünftige Entwicklung nach unseren Überlegungen zu vollziehen hat. Diese Gesetze sind ein wichtiger erster Schritt. Es kommt für die Zukunft darauf an, weiter an einer Begrenzung der Statistiken, zugleich aber an ihrer erhöhten Effizienz zu arbeiten. Wenn wir mit der Entschließung die Bundesregierung auffordern, sich weiter um Entlastungsvorschläge zu bemühen, so verbinde ich damit zugleich die Aufforderung und die Bitte, auch auf das Verhältnis der Kosten zur Effizienz der Erhebungen zu achten und sich auch nicht — ich will es einmal so formulieren — vor Überlegungen zu scheuen, ob nicht eine solche Prüfung auch einmal von einer außerhalb der öffentlichen Verwaltung stehenden Stelle wahrgenommen werden kann.Im übrigen, meine Damen und Herren: Die Fraktion der FDP stimmt den drei Entwürfen zu und bittet zugleich um Ihre Zustimmung zu dem Entschließungsantrag, den Ihnen der Innenausschuß vorgelegt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Unland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwa zwei Drittel aller Statistiken
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14922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Dr. Unlandsind Wirtschaftsstatistiken. Daher ist es wohl angebracht, einige zusätzliche Bemerkungen aus wirtschaftspolitischer Sicht zu machen.Ich möchte mich zunächst bei den beiden Berichterstattern, den Kollegen Wernitz und Broll, dafür bedanken, daß sie dem Wirtschaftsausschuß in so ungewöhnlicher Weise Gelegenheit gegeben haben, an diesen Novellen mitzuwirken, an denen die Wirtschaftspolitik ein ganz besonderes Interesse hat.Nach Auskunft von Fachleuten, die das genau gezählt haben, muß die Wirtschaft heute Meldebögen für über hundert amtliche Statistiken bearbeiten. Die Industrie- und Handelskammer Koblenz hat bei einer Befragung von 29 ausgewählten Betrieben festgestellt, daß diese für das Ausfüllen von Formularen und für die Bearbeitung von Statistiken, also nicht nur für Statistiken, durchschnittlich 2 000 Arbeitsstunden mit einem Aufwand von 60000 DM pro Jahr leisten müssen. Wenn man auch nicht jede dieser Zahlen auf die Goldwaage legen sollte — hier werden häufig amtliche und verbandliche Statistiken durcheinandergeworfen —, so machen diese Größenordnungen doch klar, welch gravierende Belastung die statistischen Arbeiten insbesondere für mittelständische Unternehmen bedeuten, die nicht über leistungsfähige Stabsabteilungen wie Großunternehmen verfügen.Es ist deshalb zu begrüßen, daß jetzt auf Veranlassung des Bundesinnenministers ein Arbeitskreis eingerichtet worden ist, der sich endlich mit der Schätzung auch der Kosten bei den Meldepflichtigen befassen soll. Diese waren ohnehin darüber verbittert, daß in den Vorblättern zu den Gesetzentwürfen immer nur von den Kosten bei Bund, Ländern und Gemeinden, nie jedoch von den Kosten der Lieferanten der Zahlen die Rede war.Das Faß zum Überlaufen aber brachten die Ereignisse um die Material- und Wareneingangserhebung Ende 1978/Anfang 1979. Hier mußten, ohne ausreichend darauf vorbereitet zu sein, etwa 20 000 Unternehmen des Bergbaus und des verarbeitenden Gewerbes und ca. 10 000 Unternehmen der Bauwirtschaft den Wert aller im Geschäftsjahr 1978 bezogenen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe melden, die im Unternehmen be- oder verarbeitet wurden. Diese Angaben waren anhand einer Warenliste zu machen, die allein für die chemische Industrie 39 Positionen enthielt. Hierin nicht enthaltene Waren und Materialien waren anhand eines Warenverzeichnisses zu verschlüsseln, das schon in seiner Kurzfassung 40 Warengruppen mit zweistelligen Codenummern, 154 Warenzweige mit dreistelligen Codenummern, 346 Warenklassen mit vierstelligen Codenummern und 584 Warenarten mit fünfstelligen Codenummern enthielt.Sei es, daß die Vorbereitungszeit zu kurz war, sei es, daß die Information der Firmen durch ihre Verbände unzulänglich war: es brach ein Sturm los im deutschen Blätterwald. „Unternehmen protestieren gegen die Fron der Statistik" oder „Unternehmer wollen nicht Zahlenknechte des Staates sein", so die FAZ vom 9. Dezember 1978 und 25. Januar 1979 — eine Zeitung, die ansonsten ja nicht so sehr zu dramatisierenden Überschriften neigt. Oder auch: „Derstatistische Wildwuchs muß ausgerodet werden", so das Handelsblatt vom 20. September 1978. Es gibt viele ähnliche Beispiele.Meine Damen und Herren, sicherlich hat diese Dramatisierung der Statistikbereinigung einen erheblichen Push gegeben, der uns bis zur heutigen abschließenden Beratung begleitet hat. Der heutige Tag könnte eine Kehrtwendung bedeuten, einen ersten Schritt auch zur Entbürokratisierung auf einem wichtigen Gebiet; hier stimme ich Herrn Kollegen Wernitz voll zu.Doch wie fast alles im Leben hat auch die Statistik zwei Seiten — ich behaupte: mindestens zwei Seiten —, und man sollte auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Lassen Sie mich ein kurzes frei erfundenes Beispiel einschieben, das aber so oder so ähnlich mehrmals in der Woche bei uns vorkommt. Da beklagt der Präsident eines großen Verbandes in seiner Festrede zur Jahresversammlung lebhaft die Überforderung der kleinen und der mittleren Unternehmen durch die Auflagen der amtlichen Statistik. Kurz zuvor noch hatte der Hauptgeschäftsführer dieses Verbandes in einem Pressegespräch eine Verbesserung der Statistik für seinen Fachbereich gefordert. Die Absurdität dieses Beispiels wird deutlich, wenn man hinzufügt, daß derselbe Präsident denselben Hauptgeschäftsführer, der ihm seine Festrede schreiben mußte, vorher kritisiert hatte, weil dieser mangels vorhandener Statistiken diejenigen Zahlen nicht beisteuern konnte, die der Präsident zur Begründung eines verbandspolitischen Anliegens für unabdingbar hielt. — So weit, meine Damen und Herren, dieses nachdenklich machende Beispiel.Worum geht es nun bei der anderen Seite? Was für Politik und Wissenschaft ganz allgemein gilt, gilt für Wirtschaftsanalyse und wirtschaftspolitische Entscheidungen in ganz besonderer Weise. Diese sind ohne statistisch aufbereitete Informationen über das Wirtschaftsgeschehen nicht mehr denkbar. Die Statistik ist, ob wir das bedauern oder nicht, weitgehend zu ihrem Spiegel geworden. Man sollte aber auch — wenn ich das einfügen darf — etwas bedenken, was sehr häufig verkannt wird: Zahlen stehen meistens nur stellvertretend für Fakten. Für manche Politiker steht dagegen die Zahl häufig an der Stelle von Logik und Ratio — als ob, meine Damen und Herren, Statistik von ökonomischer Beweisführung entbinden könnte.Ich sagte, moderne Wirtschaftspolitik ist ohne Statistik nicht mehr denkbar. Daher konnte es auch bei der Statistikbereinigung nicht darum gehen, sich mit der Gesetzesmachete einen Weg durch den Urwald der Zahlen zu bahnen. Es war vielmehr unsere Aufgabe, in vielen konkreten Einzelfällen zu prüfen, ob überkommene Statistiken noch notwendig sind, ob sie in ihrem Umfang und ob sie in ihrer Form noch notwendig sind. Ich glaube, das Ergebnis kann sich sehen lassen, füge aber sofort hinzu — und ich stimme da mit den Rednern aller Fraktionen überein —: Statistikbereinigung bleibt für uns eine Daueraufgabe.Hierzu einige kurze Überlegungen: Aussagekräftige Statistiken setzen zuverlässige Meldungen
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Dr. Unlandvoraus. Die statistischen Dienste sollten in Zukunft — neben der Berücksichtigung der Kosten, die dem Meldenden entstehen — mehr als bisher Wert darauf legen, dem Meldenden als Gegenleistung schnell zuverlässige statistische Informationen zur Verfügung zu stellen. Es muß einen mittelständischen Unternehmer einfach frustrieren, wenn er mehrere Wochen nach Lieferung seiner Zahlen erst vorläufige Statistiken erhält, die hinterher auch noch um 20 % und mehr korrigiert werden müssen.
Dafür ist nicht immer das Statistische Bundesamt verantwortlich zu machen. Die Datenerhebung und die Datenbearbeitung bis zum Landesergebnis sind überwiegend Sache der statistischen Landesämter. Wegen deren unterschiedlicher Größe, Kapazität und Ausstattung bzw. — und das scheint mir sehr wichtig zu sein — wegen der unterschiedlichen Priorität der Arbeiten in den Landesrechenzentren — da hat natürlich der Finanzminister bei der Steuerveranlagung immer Vorrang vor der Datenverarbeitung für statistische Zwecke — kommt es gelegentlich zu terminlichen Verzögerungen; dann muß hochgerechnet und später wieder korrigiert werden. Wie ist das Ergebnis? Die Politiker sind verärgert, die Datenlieferanten fühlen sich düpiert, und die Presse schreibt ironische Artikel. Die Ursache dafür ist das unausgewogene Bund-Länder-Verhältnis auf dem Gebiet der Statistik, das — das sage ich bewußt und mit vollem Respekt vor dem Bundesrat — der Verbesserung bedarf.Meine Damen und Herren, zentrale Erhebungen und Aufbereitungen könnten die Möglichkeiten einer Repräsentativstatistik intensiver ausschöpfen und mithin mehr als eine dezentral angelegte Statistik dem Wunsch nach Entlastung von Befragungen Rechnung tragen. Als Beispiele dafür nenne ich nur die demoskopischen Berechnungen und die Wahlprognosen, durch die uns ja bereits eine Stunde nach Schließung der Wahllokale Aussagen vorliegen, die später nur noch um ganz geringe Prozentbruchteile korrigiert werden müssen.Bei der künftigen statistischen Bereinigung ist die Gewährleistung einer absoluten Geheimhaltung aller Wirtschaftsdaten, deren Bekanntgabe wettbewerbliche Nachteile für das meldende Unternehmen auslösen könnte, von mindestens gleicher Bedeutung. Ich möchte es ganz klar ansprechen: hier geht es nicht um Wissenschaftsfeindlichkeit oder ähnliches, hier geht es in erster Linie um die Qualität der Daten. Ein Unternehmer, der nicht voll überzeugt sein kann, daß die von ihm gelieferten Daten geheim bleiben, wird nicht bereit sein, exakte Angaben aus seinem Unternehmen zu liefern. Und Kontrollmöglichkeiten haben die statistischen Dienste bekanntlich nicht, meine Damen und Herren.Professor Wagemann schrieb bereits vor 50 Jahren, daß es zu den vornehmsten Aufgaben eines Statistischen Dienstes gehöre, allzu viele Statistiken zu vermeiden:Denn wer auf Grund wissenschaftlicher Tradition oder persönlicher Erfahrungen weiß, welche Grenzen der statistischen Erkundung gezogen sind, der sieht sich vor bei der Handhabung dieses wichtigen staatlichen Erkenntnisinstruments. Ein guter statistischer Kopf, ja schon der gesunde Menschenverstand, weiß vieles, ohne daß er es sich erst durch Anfragen bestätigen lassen muß.Wie wahr, kann man da nur mit einem Seitenblick auf die in Aussicht genommene Strukturberichterstattung sagen.Die Kollegen Broll und Wernitz haben den an diesen Gesetzesänderungen beteiligten Beamten gedankt. Ich möchte mich dem anschließen. — Herr Präsident, Sie gäben mir sicherlich noch eine halbe Minute, wenn Sie wüßten, was ich noch sagen möchte. — Ich möchte stellvertretend der Präsidentin des Statistischen Bundesamts, die hier nicht genannt worden ist und die in ganz besonderer Weise statistischen Sachverstand hat, dafür danken, daß sie uns bei diesen Arbeiten begleitet hat, und zwar aus einem besonderen Grunde: Frau Dr. Bartels tritt Ende dieses Jahres in den Ruhestand — aus rein beamtenrechtlichen Gründen. Ich glaube, ihr sollte auch von dieser Stelle aus für ihre langjährige Arbeit gedankt werden.
Ich möchte ihr sehr viel mehr als ein „otium cum dignitate" wünschen. Ich meine, daß es jeder deutschen Universität, vielleicht außer Bremen, gut anstehen würde, eine Honorarprofessorin Bartels in ihren Reihen zu haben.
— Vielleicht, Frau Kollegin, schriebe Frau Dr. Bartels dann ein Buch, auch als Anregung für uns, über die Möglichkeiten weiterer statistischer Bereinigungen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun wollte ich den Herrn Kollegen Unland für die Sachlichkeit und Nüchternheit seines Beitrags loben, und da muß er zum Schluß einen Schlenker gegen die Universität Bremen machen. Das war nicht notwendig.Meine Damen und Herren, es könnte sein, daß man annimmt, daß das Thema Statistik wenig erregend ist. Wir sind uns in der Sache einig; auch haben Zahlen an und für sich etwas Trockenes an sich. Wer aber die Aufgabe hat, in Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden über wirtschaftspolitische Probleme oder über die Situation von Unternehmen zu debattieren, der wird erkennen, daß er häufig sehr erregte Gesprächspartner trifft, die ihm sagen, welche Last und Belästigung es bedeutet, die Zahlenkolonnen aufzustellen, die vom Statistischen Bundesamt bzw. von den Statistischen Landesämtern und anderen Stellen gefordert werden. Es erheben ja auch noch die Industrie- und Handelskammern und
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14924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Rothdie verschiedensten Verbände Daten. Man sollte nicht vergessen, daß über die amtliche Statistik hinaus private Unternehmen und Betriebe noch in erheblichem Umfange Zahlenangaben zu leisten haben. Insofern versteht man, daß eine gewisse Berechtigung in dem Ärger liegt. Der Fortgang unseres Gesetzgebungsverfahrens hat aber gezeigt, daß der Ärger wenig durch Verhalten geprägt wird. Das heißt: der Ärger, den Unternehmer, Betriebsleiter, Manager, alle möglichen Leute, die im Betrieb etwas zu sagen haben, in bezug auf statistische Erhebungen haben, setzt sich kaum in ihre Verbände und im Verhalten der Verbandsvertreter fort. Herr Unland hat das gerade für jenen Zirkel deutlich gemacht, den er zitiert hat.Ich will ein Zitat bringen. Da hat uns ein Wirtschaftsverband geschrieben. Ich will den Namen gar nicht nennen, weil er nur für das Typische steht, das sich in dem Gesetzgebungsverfahren gezeigt hat. Es ist ein großer mittelständischer Verband, der bei der Forderung nach Entbürokratisierung immer an der Spitze steht:Sosehr wir auch die Bemühungen um eine Verringerung des statistischen Aufwands im Interesse der von unserem Verband vertretenen Betriebe begrüßen, so sehr müssen wir uns dagegen wenden, daß die stets benötigten Angaben der X-Statistik erheblich reduziert werden. Sie sind eine besonders wichtige Entscheidungsgrundlage der Mittelstandspolitik und müssen daher unbedingt erhalten bleiben. Wir bitten deshalb, unseren Einwand auf Erhalt unserer Statistik so weit als möglich im Ausschuß zu berücksichtigen.Das war ein typischer Brief im Gesetzgebungsverfahren. Das Sankt-Florian-Prinzip gilt natürlich besonders auch bei der Statistik. Jeder Verband und jeder Wirtschaftsbereich achten strikt darauf, daß sie Informationen über Marktentwicklung, Produktionsentwicklung, über die Zahl der Beschäftigten und über vieles andere mehr erhalten. Im Grundsatz ist man zwar, vor allem auf Verbandstagungen, in aller Entschiedenheit dafür, umfassend durchzuforsten und viel zu ändern; in der Praxis des Lobbyismus während eines Gesetzgebungsprozesses ist das dann allerdings relativ schnell vergessen.Der Bundesrat wollte die Vorlage des Kabinetts verbessern und hat auch Vorschläge gemacht. Ich denke beispielsweise an den Vorschlag, die Textilfachstatistik zu beseitigen. Die Textilwirtschaft hat sich sofort empört geäußert, daß sie für ihre Entscheidungsgrundlagen, insbesondere auch für ihre internationalen Wirtschaftsbeziehungen, ihre Textilfachstatistik erhalten müsse. Wir sehen hier also ein Auseinanderklaffen des offiziellen Anspruchs, des formulierten Anspruchs und der Praxis, was meines Erachtens außerordentlich typisch ist.Nach den Erfahrungen in diesem Gesetzgebungsgang ist auch die Frage zu stellen, ob die Verbände in jeder Einzelfrage und in jeder Gesetzgebungsar-belt tatsächlich die Interessen ihrer Mitglieder so vertreten, wie das notwendig ist, oder ob nicht gerade auch Verbandsbürokratie die Einzelinteressen der beteiligten Mitglieder eines Verbandes überwu chern kann. Diese Fragestellung erscheint mir an dieser Stelle geboten.Ich finde, wir sollten hier auch klar sagen, daß Zahlenmaterial als Grundlage für gesellschaftspolitische, wirtschaftspolitische und sozialpolitische Entscheidungen in einer modernen Gesellschaft notwendig ist. Wir können keinen wichtigen Gesetzgebungsgang mehr durchführen, ohne auf Daten des Statistischen Bundesamtes oder der Länder zurückzugreifen. Ich glaube, dieser Anspruch auf Information, den nicht nur wir als Gesetzgeber haben, sondern den auch viele Einzelpersonen und Gruppen, soziale Gruppen und ihre Vertretungen, haben, muß anerkannt werden. Ich glaube, das ist im Statistikbereinigungsgesetz berücksichtigt worden. Wir haben nichts gestrichen, was absolut nötig war. Wir haben allerdings an einigen Punkten Uberflüssiges beseitigen können.Zum Schluß möchte ich noch zwei Bemerkungen zu der Problematik machen, die sich auf neue wissenschaftliche Methoden auf der einen Seite und die wissenschaftliche Arbeit in Instituten der Wirtschaftsforschung auf der anderen Seite bezieht.Ich habe den Eindruck, den ich nicht näher und detaillierter begründen will — dazu ist jetzt nicht die Zeit —, daß die Methoden der neueren, der moderneren empirischen Sozialforschung in die Arbeit der statistischen Ämter noch keinen ausreichenden Eingang gefunden haben. Das schließt an einen Punkt des Herrn Kollegen Unland an. Die statistischen Daten, die wir beispielsweise zur Investitionstätigkeit der Unternehmen bekommen, sind nach meiner Meinung sehr viel älter und sehr viel weniger aussagekräftig als beispielsweise die mit Methoden der modernen Sozialforschung aufbereiteten Daten aus dem Ifo-Investitionstest. Ich stelle für die Zukunft die Frage, ob nicht in einem Dialog zwischen Wissenschaft, statistischen Ämtern und Verwaltung bzw. Politik eine stärkere Durchsetzung empirischer Sozialforschungsmethoden, die keine Gesamterhebungen mehr verlangen, innerhalb der statistischen Arbeit erfolgen kann. Dankenswerterweise haben alle Vorredner betont, daß an der statistischen Bereinigung weitergearbeitet und daß das ein ständiger Prozeß werden soll. Ich glaube, daß wir von unserer Seite vor allem diesen Gedanken einführen sollten.Meine letzte Bemerkung gilt der Geheimhaltungsproblematik und der Arbeit wissenschaftlicher Einrichtungen. Wir alle werden beraten, beispielsweise für die Wirtschaftspolitik von den Forschungsinstituten für Wirtschaft. Wir fördern diese Institute. Diese Institute hatten im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses gebeten und verlangt, direkten Zugriff zu den Primärdaten der statistischen Ämter zu erhalten.Wir haben dieser Forderung nicht nachgegeben — übrigens einstimmig —, weil wir gesagt haben: Wenn wir nicht mehr die absolute Sicherheit bieten können, daß Materialien, die vom Betrieb an die statistische Allgemeinheit gehen, geheim bleiben, dann werden die Meldungen nicht exakter, sondern weit weniger exakt als in der Vergangenheit sein.
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RothDeshalb haben wir die Forderungen der wissenschaftlichen Institute nicht akzeptiert.Daraus, daß wir das nicht getan haben, ist zu folgern, daß wir das Statistische Bundesamt und die Statistischen Landesämter noch mehr als bisher auffordern sollten, Serviceinstitutionen auch für die Forschungsinstitute zu sein und auch bereit zu sein, jenseits der alltäglichen Arbeit Sonderforschungsaufgaben bzw. Datenaufbereitungen zu übernehmen, die im Rahmen beispielsweise der von uns außerordentlich hoch eingeschätzten Strukturberichterstattung in Zukunft notwendig sind. Zu der strikten Geheimhaltungspflicht und zur Ablehnung des Antrags der Forschungsinstitute gehört es, daß wir ein Zugehen der statistischen Ämter auf Bundes- und auf Landesebene auf die Bedürfnisse der Forschungsinstitute haben.Die sozialdemokratische Fraktion stimmt diesem Gesetz also zu. Wir freuen uns, daß es jenseits von jenem Getöse auf Verbandstagen hier einstimmig verabschiedet werden kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie einige abschließende Bemerkungen: Auch ich, Herr Kollege Roth, freue mich über die Einmütigkeit, die diese Gesetze hier finden. Ich freue mich über den ausgesprochenen Dank gegenüber den Beamten des Innenministeriums und des Statistischen Bundesamts. Auch ich möchte sagen, daß ich die Arbeit der Präsidentin des Statistischen Bundesamts außerordentlich schätzengelernt habe. Wir lassen sie zum Ende dieses Jahres mit Bedauern ziehen. Wir werden einen Weg suchen, wie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse der Sache weiterhin zugute kommen können.
Die öffentliche Kritik hat sich in den letzten Jahren gegen Umfang und Anzahl amtlicher Statistiken gerichtet. Zahlenmäßig belegte Fakten sind aber nun einmal die Grundlage jeder politischen Argumentation, und alle notwendigen politischen Maßnahmen und Planungen wären erheblich erschwert, wenn wir solche statistischen Angaben nicht hätten, Die moderne Industriegesellschaft ist eine Informations- und Kommunikationsgesellschaft, deren Funktionsfähigkeit und Lebensfähigkeit von Informationen abhängt.In diesem vielfältigen Geflecht der Informationsgewinnung, der Verbreitung und Verarbeitung von Informationen hat die amtliche Statistik einen hohen Rang, nicht nur für den Staat und seine Behörden, sondern vor allem — dies möchte ich angesichts kritischer Bemerkungen in der Öffentlichkeit deutlich hervorheben — für Wirtschaft und Gesellschaft. Mit konkreten Daten und Zahlen kann man die moderne Industriegesellschaft sicher nicht einfacher gestalten, aber konkrete Fakten können den Nebel der Komplexität durchschaubarer und damit beherrschbarer machen.Andererseits ist die Kritik über eine zu große Zahl statistischer Erhebungen, über umfangreiche und schwer verständliche Formulare und über die zunehmende Arbeitsbelastung ernst zu nehmen; insbesondere im Bereich der Wirtschaft, die mit der Beantwortung statistischer Fragen belastet ist, ist diese Kritik verbreitet. Ich habe aber die gleiche Erfahrung gemacht wie der Kollege Roth. Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs haben wir immer wieder festgestellt, daß die gleichen Institutionen, die auf einen Abbau von Statistik drängen und Bürokratiekritik üben, sich energisch für ihren eigenen Bereich die perfektesten Statistiken wünschen, die es nur gibt.Der Bürger erwartet eine glaubwürdige Antwort auf die Kritik, auf das Unbehagen an Bürokratie und auf das Hineinwuchern des Staates in die private Sphäre. Gerade wegen der Komplexität der Lebenssachverhalte — und dies gilt vor allem für die Statistik — müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um überall dort, wo es möglich ist, Rechtsbereinigungen vorzunehmen und Verfahrensabläufe zu vereinfachen. Wir müssen kritischer als bisher. die Notwendigkeit neuer Gesetze und Verordnungen prüfen und müssen überall, bis hin zu den Formularen und Fragebögen immer wieder fragen, ob uns der Bürger eigentlich noch versteht. Dies gilt cum grano salis auch für statistische Erhebungen. Solange der Bürger Fragebögen und Formulare, deren sich die statistischen Behörden nun einmal bedienen müssen, nur als unverständliche staatliche Neugier empfindet, ist dieses Verständnis gestört.Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Statistikbereinigungsgesetzes und der Entwurf einer Neufassung des Bundesstatistikgesetzes tragen dieser Kritik Rechnung. Ohne den hohen Stellenwert der Statistik außer acht zu lassen, machen beide Gesetzentwürfe ernst mit der Prüfung, in welchem Umfang Statistiken überhaupt benötigt werden. Wir nehmen also die Kritik auf, die sich an einer zu großen Zahl von Statistiken entzündet hat. Zum ersten Mal in der Geschichte der amtlichen Statistik der Bundesrepublik ist es gelungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Zahl der amtlichen Statistiken verringert und dadurch einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Bürokratie leistet.Ich meine, daß es gelegentlich der Beratung eines Statistikgesetzes wichtig ist, hier zwei Zahlen zu nennen. Das Statistikbereinigungsgesetz ändert rund 24 von insgesamt 61 nationalen Rechtsgrundlagen im Sinne einer Einstellung von Statistiken, einer Kürzung von Erhebungsmerkmalen oder einer Verringerung der Zahl der Auskunftspflichten. Prozentual sind das 40 % der statistischen Rechtsgrundlagen. Von den 215 Einzelstatistiken, die auf Grund dieser 61 Rechtsgrundlagen durchgeführt werden, werden 141 oder 65 % entsprechend abgeändert.Noch ein Wort zum Volkszählungsgesetz 1981:Die Volkszählungen sind nach wie vor eine unentbehrliche Grundlage für gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entscheidungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Wir haben die Frage aufgeworfen, ob angesichts des hohen Mitteleinsat-
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Bundesminister Baumzes die Daten nicht auf andere Weise beschafft werden können. Die Antwort heißt nein; einen anderen Weg konnten wir nicht vorschlagen.Eine Bemerkung zum Datenschutz:Die Grundsätze der statistischen Geheimhaltung haben sich in den vergangenen Jahren trotz aller gelegentlich geübten Kritik als wirkungsvoll und bürgerfreundlich bewährt. Dies ist ein Kapitel eines bereits seit Jahren bewährten bereichsspezifischen Datenschutzes. Die Geheimhaltungsregelungen des bisherigen Gesetzes über die Statistik mit ihrer strafrechtlichen Bewehrung werden daher durch den vorliegenden Entwurf im Grundsatz übernommen und an die Rechtsentwicklung auf den Gebieten des Datenschutzes und des Strafrechts angepaßt. Statistische Geheimhaltung oder Schutz von Einzelangaben vor mißbräuchlicher Verwendung sind, meine ich, zugleich Voraussetzung für die Auskunftsbereitschaft und für die Objektivität der Angaben zu jeder amtlichen Statistik. Eine Lockerung bestehender Geheimhaltungsvorschriften bzw. die Einführung von Übermittlungsmöglichkeiten zugunsten einer weitergehenden Nutzung statistischen Primärmaterials außerhalb der statistischen Ämter bedarf daher in jedem Fall einer kritischen Prüfung. Wir verkennen nicht, daß die erhobenen Daten unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten optimal ausgewertet werden sollten. Hierzu gehört sicherlich auch die verstärkte wissenschaftliche Analyse in Universitäten und Forschungsinstituten, auf die Herr Kollege Roth eben hingewiesen hat.Sowohl in den drei vorliegenden Entwürfen der Bundesregierung als auch nach den vom Innenausschuß empfohlenen Änderungen wird diesen Gesichtspunkten des Daten- und Geheimhaltungsschutzes Rechnung getragen. Der gleichzeitig mit den Gesetzentwürfen vorgelegte Entschließungsantrag wird nicht nur für die Statistischen Ämter von Bedeutung sein, sondern auch für die Arbeit der Ministerien und insbesondere für das Innenministerium bei seiner von allen Rednern als notwendig bezeichneten Weiterarbeit an der Statistikbereinigung.Eine letzte Bemerkung zur Volkszählung 1981:Ich halte es für sehr wichtig, daß die Fragebogen, die bei der Erhebung benutzt werden, leicht und verständlich abgefaßt werden;
denn der Bevölkerung sollten bei einer so breit angelegten Zählung nicht übermäßige Schwierigkeiten, Herr Kollege Schäfer, aus der Formulartechnik erwachsen. Ich habe, wie Sie wahrscheinlich auch, eine angeborene Abneigung gegenüber dem Ausfüllen von Formularen; Das wird vielen Bürgern genauso gehen wie uns.Ich habe veranlaßt, daß sich das Statistische Bundesamt gemeinsam mit den Statistischen Landesämtern und anderen zuständigen Stellen um eine bürgerfreundliche Fragebogengestaltung bemüht.Ich möchte den beteiligten Ausschüssen für die gute Zusammenarbeit danken. Besonders den beiden Berichterstattern, Ihnen, Herr Kollege Wernitz, und Ihnen, Herr Kollege Broll, danke ich für die gute Zusammenarbeit. Dieses nicht alltägliche Maß des Einvernehmens unterstreicht unser gemeinsames Anliegen. Ich sage zum Schluß: Auf gute Zusammenarbeit bei weiteren Bereinigungsgesetzen!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Bevor ich die einzelnen Paragraphen des Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung zur Abstimmung aufrufe, kommen wir zu einem Berichtigungsersuchen des Berichterstatters, in dem es um eine rein redaktionelle Berichtigung geht, die mit allen Fraktionen abgestimmt ist. Bei § 9 Abs. 3 ist folgender Satz anzufügen: „Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Keine Bemerkungen dazu? —Dann rufe ich §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem die Zustimmung geben will, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 8/3412 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine Äußerung einer gegenteiligen Meinung. Dann ist so beschlossen.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung über das Bundesstatistikgesetz.Ich rufe §§ 1 bis 17, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist in zweiter Lesung so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht. —Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist ebenfalls einstimmig angenommen.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt in Drucksa-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14927
Präsident Stücklenche 8/3413 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetz eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine Äußerung einer gegenteiligen Meinung. Es ist so beschlossen.Wir kommen zum Statistikbereinigungsgesetz, Drucksachen 8/3417 und 8/3428.Auch zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Berichtigungsersuchen des Berichterstatters vor, in dem es um redaktionelle Änderungen geht, bezüglich derer bei allen Fraktionen Übereinstimmung besteht. Diese Berichtigungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:a) Artikel 1 Nr. 4 Buchstabe a) muß wir folgt lauten:„a) In Absatz 1 werden der Beistrich und die Worte ,die Zahlkarten für Todeserklärungen an das Statistische Bundesamt gestrichen."b) Artikel 2 Nr. 12 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) muß wie folgt lauten:„bb) Nummer 4 wird gestrichen und der Strichpunkt in Nr. 3 durch einen Punkt ersetzt."c) In Artikel 2 Nr. 13 Buchstabe a) müssen in § 13 Abs. 1 Satz 1 die Worte „den §§ 10 und 11 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke" durch die Worte „§ 10 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke vom ... " ersetzt werden.d) In Artikel 2 Nr. 15 Buchstabe c) muß die Bezeichnung „§ 12" durch die Bezeichnung „§ 11" ersetzt werden.e) In Artikel 21 Nr. 1 Buchstabe a) muß das Wort „gefaßt" durch das Wort „geändert" ersetzt werden.f) In Artikel 21 Nr. 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) müssen die Worte „wird wie folgt gefaßt" durch die Worte „erhält folgende Passung" ersetzt werden.g) In Artikel 21 ist nach Nr. 6 folgende Nr. 7 einzufügen:„7. In § 13 wird die Verweisung ,§§ 3 bis 1Z durch die Verweisung ,§§ 3 bis 11' ersetzt."Die bisherigen Nummern 7 und 8 werden Nummern 8 und 9.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 19 und Art. 21 bis 29 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung und zugleich die Berichtigungsersuchen, die im Stenographischen Bericht enthalten sind und die keine materielle Änderung beinhalten, auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist somit einstimmig angenommen.Es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt aufDrucksache 8/3417 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3417 unter Ziffer 3 außerdem die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobel — Enthaltungen? — Die Entschließung ist einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien— Drucksache 8/3270 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3445 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedel
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3368 —Berichterstatter:Abgeordnete Bühling, Krey
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine. Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen?.— Keine. Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksa-
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14928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Präsident Stücklenche 8/3368 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes fiber Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft— Drucksache 8/2597 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3369 —Berichterstatter:Abgeordnete Spranger, Bühling
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich/um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Auf Drucksache 8/3369 unter Ziffer 2 empfiehlt der Ausschuß; die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Fortentwicklung des Strafvollzuges — Erstes Strafvollzugs-Fortentwicklungsgesetz
— Drucksache 8/3335 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß 4 96 GOWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß — federführend — sowie gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, den Gesetzentwurf auch an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang
- Drucksache 8/3317 —Überweisungsvorschlag des Ültestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für WirtschaftDas Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf hat die Gleichberechtigung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz zum Ziel. Er zielt damit gleichzeitig auf die rechtliche und faktische Absicherung der Gleichberechtigung, aber auch auf die Veränderung von Verhaltensweisen in der täglichen Praxis. Wir haben immer wieder feststellen müssen: Jedesmal, wenn die Gleichberechtigung diskutiert wird, sind theoretisch alle dafür. In der täglichen Praxis aber bewegt sich die tatsächliche Gleichberechtigung oft lediglich mit dem Tempo einer Schnecke auf einem mühsamen und langwierigen Wege.
— Ich überschätze die Schnecke vielleicht in ihrem Tempo, Herr Kollege Wehner. Aber auch im Tempo einer Schnecke kann doch wenigstens ein wenig vorangebracht werden.Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt und dessen Kernpunkt ein allgemeines Benachteiligungsverbot ist, umfaßt vor allem Fragen der Einstellung, der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenso wie den beruflichen Aufstieg. Zur wirksamen Durchsetzung der Gleichberechtigung enthält der Entwurf eine Beweislastumkehr bei vermutlicher Diskriminierung und ein allgemeines Maßregelungsverbot zugunsten der Arbeitnehmer.Mit diesem Gesetzentwurf wird dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes, den berechtigten Forderungen der Frauen und unseren rechtlichen und politischen Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise Rechnung getragen. Natürlich wissen wir alle: Die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau ist keine Idee, die vor ein paar Jahren in Brüssel geboren wurde. Gerade die Sozialdemokraten in unserem Lande können auf eine lange Tradition im
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14929
Bundesminister Dr. EhrenbergKampf um die volle Gleichberechtigung der Frau zurückblicken. Schon August Bebel schrieb 1863 — ich darf zitieren —:Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.Und 30 Jahre später forderte das Erfurter Programm der SPD die Abschaffung aller Gesetze, welche die Frauen in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen. Die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft klingt fast wörtlich mit dieser Programmstelle überein.Meine Damen und Herren, dieser kurze Rückblick zeigt schon, daß die Problemsicht auch vor 100 Jahren vorhanden war. Er zeigt aber auch, wie zäh der Widerstand gegen diese Forderungen war und ist. Sonst wäre es nicht nötig, noch nach 100 Jahren im Parlament über diese Probleme zu diskutieren.
Art. 3 unseres Grundgesetzes stimmt immer noch nicht, verehrte Kollegin Wex, mit der sozialen Wirklichkeit überein. Unterstützt durch die Initiativen der EG-Kommission zur gesellschaftlichen Gleichstellung der Frau, will die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf einen wesentlichen Beitrag leisten, dem Verfassungsgrundsatz zur Gleichberechtigung stärkeren Nachdruck zu verleihen. Ansatzpunkt ist dabei das Arbeitsverhältnis. Solange Benachteiligungen der Frauen am Arbeitsplatz noch nicht der Vergangenheit angehören, solange muß hier der Schwerpunkt unserer Bemühungen liegen, Verfassungsgebot und soziale Wirklichkeit besser in Übereinstimmung zu bringen.Daß das trotz dieses eindeutigen Verfassungsgebots in vielen Branchen und Unternehmen und leider auch bei öffentlichen Arbeitgebern immer noch nicht der Fall ist, dafür gibt es eine lange Reihe zum Teil sehr trauriger Beispiele. Ich will nur ganz wenige hier zitieren: so beipielsweise, daß vor kurzem eine Verwaltungsangestellte, die sich um die freie Stelle eines Standesbeamten bewarb, mit der Begründung abgelehnt wurde, daß ein Mann mehr Würde ausstrahle; oder daß beispielsweise an einem EDV-Arbeitsplatz eine Frau nicht eingestellt wurde, weil damit die „moralische Situation" in dem Betrieb, in dem vorwiegend Männer arbeiten, gefährdet werden könnte.
Ein Münchener Werksarzt hat einer Frau sogar bescheinigt, daß Frauen zu kurze Daumen und zu lange Zeigefinger haben und deshalb als Installateure nicht geeignet sind.
Ich will diese lange Reihe . von Beispielen hier nicht fortsetzen. Aber sie und andere machen deutlich, daß in unserem Gesetzentwurf die Beweislastumkehr bei Diskriminierungen. unverzichtbar ist.
Auch nach geltendem Recht können Arbeitnehmerinnen, die den Eindruck hatten, sie würden vom Arbeitgeber wegen ihres Geschlechts benachteiligt, zum Arbeitsgericht gehen. Aber bisher haben die Arbeitnehmerinnen den Beweis anzutreten, daß sie aus geschlechtsspezifischen Gründen benachteiligt wurden. Dieser Beweis war in der Regel, obwohl die Fakten vorlagen, nicht zu erbringen. Nach unserem Gesetzentwurf muß jetzt umgekehrt der Arbeitgeber beweisen, daß sachliche, nicht auf das Geschlecht bezogene Gründe seine Entscheidung rechtfertigen.Ich höre leider oft aus den Reihen der Opposition und auch im Bundesrat, daß die Umkehr der Beweislast nicht in unser Rechtssystem passe. Ich kann mich dem nicht anschließen; denn wie gut die Beweislastumkehr in unser Rechtssystem und in unsere ökonomischen und politischen Realitäten paßt, sehen wir beispielsweise an der Produzentenhaftung oder auch bei der Kündigung eines Wehrpflichtigen. Auch in diesen Fällen haben die Arbeitgeber oder der Produzent die Beweislast zu tragen. Die in der Rechtsprechung bereits anerkannte Beweislastumkehr ist darum auch bei diesem Gesetzentwurf ein unverzichtbarer Schritt, um den Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verschaffen.
Nach diesem Gesetzentwurf können Arbeitgeber eine Einstellung von Frauen nicht mehr mit überholten Vorbehalten ablehnen, und die Möglichkeit, daß eine Frau irgendwann einmal schwanger werden könnte, darf ebenfalls nicht mehr pauschal als Ablehnungsgrund benutzt werden.
Es wird also beispielsweise nicht mehr, wie noch vor kurzem der Pressesprecher des deutschen Einzel- handels geschrieben hat, möglich sein, daß gesagt wird — ich darf zitieren —:Da wird bei der Einstellung von Arbeitnehmerinnen in Zukunft nach den schon vorhandenen Kindern gefragt, und wenn es zwei sind, sagt der Arbeitgeber „okay, weil bei Durchschnittsrechnung ja keine mehr nachkommen".Äußerungen und Verhaltensweisen dieser Art werden, wenn das vorliegende Gesetz Realität geworden ist, nicht mehr möglich sein.Auch wenn die Rechtsprechung heute schon in Einzelfällen so entschieden hat, ist dennoch dieser Gesetzentwurf auch deshalb notwendig, weil entsprechende Stellen zersplitterten Richterrechts bisher nur in vielen Urteilen versteckt und selbst für Juristen kaum auffindbar waren. In Zukunft wird dieser Grundsatz an prägnanter Stelle im Bürgerlichen Gesetzbuch stehen. Wer in den Betrieben tatsächlich mit Rechtsproblemen konfrontiert ist, beispielsweise die Betriebsräte, aber auch die Rechtsschutzsekretäre der Gewerkschaften, soll sich künftig leichter auf eine eindeutige Rechtslage stützen können und nicht nach zersplittertem Richterrecht suchen müssen. Dann wird auch, so hoffe ich, mancher Arbeitgeber, der heute noch nicht davon über-
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14930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Bundesminister Dr. Ehrenbergzeugt ist, zur Kenntnis nehmen, daß der Anspruch der Frauen auf Gleichberechtigung am Arbeitsplatz in unserem Staat Rechtswirklichkeit geworden ist.Wie schwer dies allerdings auch im politischen Bereich immer noch fällt, dafür gibt es unter anderem auch traurige Beispiele aus den Bundesratsprotokollen über die Behandlung dieses Gesetzentwurfs. Beispielsweise hat der damalige Justizminister von Rheinland-Pfalz, Herr Theisen, der Bundesregierung unter anderem schematisierende Gleichbehandlung vorgeworfen und erklärt, daß „die Bundesregierung in wilder Verblendung die Augen verschließt vor den gesellschaftlichen, soziologischen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen der naturgegebenen Verschiedenheit der Geschlechter". Ich will mir Ausführungen darüber ersparen, wieweit Geisteshaltungen dieser Art das Sehvermögen beeinträchtigen, wenn es um Unterschiede geht.Aber ich glaube, vor dem Hintergrund dieser Diskussion lohnt ein Blick in die Berufsbildungsstatistik. Immer mehr Mädchen und Frauen lassen sich in gewerblich-technischen Berufen ausbilden.
Immer mehr wird festgestellt, daß Mädchen in Männerberufen erfolgreich sind.
Dieser begrüßenswerten Entwicklung werden wir allerdings nicht Vorschub leisten, wenn, wie beispielsweise an dieser Stelle vor kurzem in der Haushaltsdebatte geschehen, der Bundesregierung „Emanzipationshysterie bei ihren Bemühungen um Gleichberechtigung der Frauen" vorgeworfen wird.Wir werden auch nicht die tiefen Vorurteile und die rückwärtsgerichteten Verhaltensweisen überwinden, wenn beispielsweise bei einer Veranstaltung des Arbeitsministeriums in Baden-Württemberg meine verehrte Kollegin Griesinger den Frauen in allem Ernst geraten hat, die „drei Ks" wieder aus dem Keller zu holen und bei den Kindern, in der Küche und in der Kirche ihre eigentlichen Aufgaben zu sehen.
Auf der gleichen Veranstaltung hat — das ist nachzulesen — Frau Kollegin Noelle-Neumann aus Umfrageergebnissen folgendes festgestellt:Es ist falsch, der Frau durch Verkündigung einer Ideologie eine Rolle zuzuschreiben.
Der Appell an die Frauen, auf ihren Beruf zugunsten einer scheinbar heilen Familie zu verzichten, ist eine Aufforderung zum Unglücklichsein nicht nur der Frauen, sondern auch deren Kinder und Männer.Wenn Sie beides, die Äußerungen von Frau Kollegin Griesinger und die von Frau Noelle-Neumann, nachlesen wollen, sei Ihnen „Die Zeit" vom 1. Juni 1979 empfohlen.
Meine Damen und Herren, wer in politischer Verantwortung steht, hat den zunehmenden Wunsch der Frauen nach gleichberechtigter beruflicher Tätigkeit zu respektieren und dafür praktikable Lösungen zu finden. Die jahrhundertelange Benachteiligung der Frau hat eine lange Reihe von sozialen Problemen verursacht, die vom Defizit an schulischer Ausbildung über das Defizit an beruflicher Ausbildung bis hin zu schlechteren und krisenanfälligeren Arbeitsplätzen reichen.Dieser Gesetzentwurf wird dazu beitragen, diese Entwicklung umzukehren. Vor dem Verfassungsgebot der strikten Gleichbehandlung kann man sich nicht, wie bei der Bundesratsmehrheit geschehen, hinter der angeblich unangemessenen Einschränkung der Freiheit beim Abschluß von Verträgen verschanzen. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, seine Gebote durch positive Maßnahmen in die soziale Wirklichkeit umzusetzen. Es geht beidem vorliegenden Gesetzentwurf nicht darum — wie von der Bundesratsmehrheit befürchtet -, die Vertragsfreiheit abzuschaffen, sondern es geht darum, die Vertragsfreiheit dort einzugrenzen, wo sie nur die Freiheit eines Vertragspartners sichert und die soziale Abhängigkeit des anderen unberücksichtigt läßt.
Hier helfen uns und den erwerbstätigen Frauen nicht schöne Worte über die Gleichberechtigung und Plädoyers für die freiheitliche alternative Partnerschaft. Hier helfen auch nicht theoretische Analysen. Hier helfen - wie im Arbeitsrecht und in der Sozialpolitik überhaupt nur klare gesetzliche Vorschriften und beharrliche Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung.
Meine Damen und Herren, in einem zweiten Schwerpunkt will der Entwurf die Rechte der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang, insbesondere dann, wenn Betriebe verkauft werden, wahren und schützen. Ansprüche aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sollen für mindestens ein Jahr grundsätzlich nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden können. Auch die Schutzvorschriften für die Mitglieder der Betriebsräte und der Personalräte werden für diese Fälle erweitert.Beide Teile dieses Gesetzentwurfs werden dazu beitragen, den Grundsatz der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt besser durchzusetzen und die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Betriebsräte auch bei einem Inhaberwechsel besser zu schützen. Beide Regelungen können damit auch als wesentliche Beiträge zur weiteren Humanisierung des Arbeitslebens angesehen werden.
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Bundesminister Dr. EhrenbergLassen Sie mich abschließend, meine Damen und Herren, zum Ausdruck bringen: So wie mehr Frauen in der. Politik eine Chance bedeuten, zu einer besseren Politik zu kommen,
so bedeuten mehr Frauen in der Arbeitswelt die Chance, zu einer humaneren Arbeitswelt zu kommen.Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf zügig und gründlich zu beraten, damit er bald in zweiter und dritter Lesung hier verabschiedet werden kann und Rechtssicherheit und klare Ansprüche der Frauen in die soziale und rechtliche Wirklichkeit unseres Lebens bringt.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart, daß eine Aussprache mit je zwei Kurzbeiträgen der Fraktionen stattfinden soll.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete George.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorab ein Wort an den Herrn Bundesarbeitsminister. Ich meine, wir alle hier im Parlament wollen die „Schnecke Gleichberechtigung" gemeinsam auf Trab bringen.
Aber ich hätte mir gewünscht, daß Sie mehr sachliche Substanz und weniger Klassenkampf,
mehr Fairneß uns gegenüber und weniger Häme gegenüber den Männern, mehr Rationalität und weniger Emotionalität aufgebracht hätten.
All das hätte Ihnen gut angestanden. Ich finde, es handelt sich hier um ein sehr sensibles Thema, das wir wirklich mit großem Ernst behandeln sollten.
— Ich bedanke mich für die Störmanöver. Sie sehen, wie heftig man hier reagiert, wenn ich den Finger auf die Wunden lege.Damit keine Irritation und kein Mißverständnis aufkommen, damit auch kein Verdrehungs- und Verleumdungspotential aufgebaut werden kann, möchte ich meiner Einlassung hier und heute zu diesem Gesetzentwurf drei grundsätzliche Feststellungen voranstellen.Erstens. Die Union läßt sich im Grundsatz und im Detail von niemandem, auch nicht von Ihnen, überbieten
in ihrer positiven programmatischen und vorbehaltlosen pragmatischen Haltung zur wirklichen Gleichberechtigung.
Schließlich war es die CDU/CSU-Fraktion, die die Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" parlamentarisch initiiert hat, nicht Sie.
Zweitens. Die Union findet sich nicht damit ab, daß die Frauen in mannigfacher Hinsicht und in vielfacher Zahl noch unterprivilegiert, diskreditiert und männlichen Rollendiktaten unterworfen sind. Auch wir sehen das. Unser Bewußtsein hat sich da nicht geändert, sondern unsere Augen und unser Verstand waren und sind wach. Es ist für uns jedenfalls unerträglich, daß Frauen oft noch als „arbeitsmarktpolitische Reservearmee" behandelt werden: Bei Voll- und Überbeschäftigung werden sie in die Betriebe hineinkomplimentiert, in Krisenzeiten sind sie meist die ersten, die in die Arbeitslosigkeit hinauskatapultiert werden.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Veranlassung: Sie haben hier drei EG-Richtlinien verarbeitet. Eine haben Sie verschwiegen: die Lohngleichheits-Richtlinie.
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14932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Dr. GeorgeDie andere haben Sie zitiert und kaum angewandt, und die EG-Richtlinie über die Gleichberechtigung haben Sie in den wichtigsten Punkten zwar übernommen, aber die Hauptfrage: wie steht es eigentlich bei den Zugangsbedingungen im Arbeitsverhältnis, zur Weiterbildung, zur Ausbildung, Art. 4 der EG-Richtlinie, haben Sie hier überhaupt herausgelassen.
Es besteht der Verdacht, daß Sie das aufsparen wollen für Programme, wie sie in England und in anderen Ländern — die in ihrer Verfassung keinen Gleichberechtigungsgrundsatz haben — mit „affirmative action programms" oder ähnlichem oder mit Kontingentierungsvorschriften usw. praktiziert werden.
Ich warte auf die Einstellung der Freien Demokraten dazu, auf Graf Lambsdorff, der hier sehr mit Ihnen gerungen hat, insbesondere hinsichtlich der Beweislastregelung. Ich weiß nicht, ob Sie mit diesem Gesetz nicht einen Bumerang aufbauen, der am Ende gegen die zu Begünstigenden wirkt. — Soviel zur Frage der Veranlassung.Zur Frage der Wirkung: Ob man die Reden von Frau Anke Fuchs liest, von Frau Annemarie Renger, ob man die Artikel von Rolf Seeland liest oder von Christine Hohmann-Dennhard — diese haben ja sehr intensiv vorgebaut und aufgebaut —: Es sieht so ads, als würden Sie das Land des Lächelns in Aussicht stellen.Aber schon die Tatsache, daß bei der EnqueteKommission die Antworten auf die Fragen 24 bis 28, die dieses Thema im Rahmen des Hearings vom 6. und 7. September betreffen, nicht vorliegen, sowie die Tatsache, daß es eines Spitzengesprächs zwischen dem Bundeskanzler und Arbeitsminister Ehrenberg einerseits und Herrn Genscher und Graf Lambsdorff andererseits über die Frage der Beweislast bedurfte, zeigen, daß ich mich darauf zu Recht berufen kann und berufen darf: Helfen Sie mit, daß eine marktkonforme Sozialpolitik — ein Wort von der FDP-Seite — entsteht! Ich warne Sie vor kontraproduktiven Sozialgesetzen.
und helfen wir alle miteinander, zu einer besseren, zu einer funktionsfähigen, zu einer gerechten Lösung zu kommen! Ich empfehle, daß wir in einem Hearing alle diese juristischen, insbesondere verfas-Dr. Georgesungsrechtlichen, und auch die faktischen Probleme klären.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre reizvoll, sich mit den exotischen Darstellungen des Herrn George hier zu beschäftigen. Ich will mich aber nicht in die Irre führen lassen. Wir haben es schon häufiger erlebt, daß hier der Versuch gemacht wird, Nebelkerzen aufsteigen zu lassen und mit dem Nebel zu verdecken, was wirklich in einer gesetzgeberischen Absicht der Bundesregierung steht. Deswegen werde ich mich an diesem Spiel nicht beteiligen. Wir werden im Ausschuß genügend Zeit haben, über Ihre Bedenken in der Sache zu reden. Diese Diskussion wird nach dem Vorlauf, den Sie hier geboten haben, die gebotene Heftigkeit und sachliche Notwendigkeit haben, denn was ich hier verstanden habe, war, wenn es bei den Frauen draußen ankommt, ein mehr als zynischer Beitrag.
Ich will nur ein Wort aufnehmen. Sie haben gesagt: „Marktkonforme Lösung". Was hat denn der Markt bisher für die arbeitenden Frauen geboten?
Der Markt hat sie als industrielle Reservearmee benutzt.
Wenn wirtschaftlich Konjunktur war, durften sie anden Arbeitsplatz, wenn Rezession war, durften siezurück in die Küche, und dann wurde noch dieIdeologie mitgeliefert, warum dies notwendig sei.
— Ja, ich weiß, das tut Ihnen weh, weil diese Form von Marktwirtschaft nicht unseren Vorstellungen entspricht. Wir machen nicht mit, wenn die Frauen beliebig wie ein Spielball hin- und hergeschoben werden. Dahin werden Sie uns nicht bringen.
Lassen Sie mich ein paar Worte dazu sagen, was ich in diesem Gesetzentwurf sehe. Ich sage Ihnen, wir sollten hier wirklich über die Belange einer Mehrheit in der Bevölkerung reden, nämlich die Belange der Frauen. Ihr Beitrag, Herr George, war dazu nicht angetan. Art. 3 unseres Grundgesetzes verspricht den Frauen — das steht da originär und nicht irgendwie verklausuliert — eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Ich sehe nicht, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit dieses Versprechen, diesen Anspruch, der dort in der Verfassung steht, heute, 30 Jahre nach Inkrafttreten unseres Grundgesetzes, wirklich eingelöst hätte. Da ist noch eine ganze Menge zu tun, um Gleichberechtigung herzustellen.
Wenn wir heute dennoch nicht nur an der Klagemauer stehen, verdanken wir dies einer, wie ich sagen möchte, späten, aber dennoch in die parlamentarische Beratung eingebrachten Initiative der Bundesregierung. Einen zusätzlichen Anstoß zu dieser überfälligen Regelung haben zwei Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft gegeben. Doch kaum hat dieses zarte Pflänzchen für ein bißchen mehr Gleichberechtigung das Licht der Welt erblickt, sieht es sich doppelt bedroht. Da ist der Bundesrat angetreten und heute nun auch die Opposition, um ihm die Existenzberechtigung zu nehmen, indem versucht wird, den Gesetzentwurf mit der Stellungnahme so zu entkernen, daß nur noch eine formlose und sinnentleerte Hülle übrigbleibtAuf der anderen Seite haben sich innerhalb der Frauenbewegung Stimmen erhoben, die das Unmögliche jetzt fordern und dem Gesetzentwurf mit einer Meßlatte zu Leibe rücken, die ihn überfordern muß.Zwischen diesen Fährnissen politisch hindurchzusteuern, damit das ganze Unternehmen nicht bereits am Beginn scheitert, ist genau der Auftrag, den das Parlament hat. Die Bedenken des Bundesrates können wir getrost einmal vernachlässigen, und zwar deshalb, weil sie doch sehr die Luft des Gestrigen atmen und weil sie sehr vordergründig auf scheinbar wirtschaftliche Zwänge abstellen.
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14934 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Ich kann versprechen, daß wir neben dem Appell, nicht während des Rennens aufzustecken und langen Atem zu beweisen, als Sozialdemokraten, und zwar Frauen und Männer gemeinsam, das Problem der Gleichstellung der Frau im gesellschaftlichen Leben nicht auf halbem Wege liegen lassen werden; denn dies ist ein Schritt, bei dem noch eine ganze Menge flankierende Maßnahmen zu tun sind.Dieser erste Schritt steht zur Diskussion. Er nimmt sich auch im internationalen Vergleich, der hier in die Diskussion eingeführt worden ist, bescheiden aus. Dennoch kann der Gesetzentwurf der bedeutsamste Beitrag zur Gleichstellung von Mann und Frau in dieser Legislaturperiode werden, wenn dieses Parlament es nur will.
Dabei vergessen wir Sozialdemokraten nicht, daß Gesetz und Recht überkommene Verhaltensweisen festgeschriebene Rollenbilder und überholte Denkweisen nur sehr bedingt beeinflussen können. Das Gesetz kann lediglich Flankenschutz für gesellschaftliche Entwicklungen geben und erreichte Erfolge absichern. In diesen Begrenzungen werten wir den Gesetzentwurf und würdigen seine positiven Ansätze.Was kann das Gesetz erreichen, was soll es erreichen? Mit dem vorliegenden arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz sollen sich Arbeitnehmer künftig auf eine eindeutige Rechtslage stützen können, um ihren berechtigten Ansprüchen besser Geltung zu verschaffen, als es gegenwärtig möglich erscheint. Dabei halten wir es für besonders wichtig, daß das vorgesehene Diskriminierungsverbot zur Wirkung kommt, daß es dem Arbeitgeber künftig untersagt ist, einen Arbeitnehmer bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg und bei der Kündigung wegen seines Geschlechts zu benachteiligen. Wenn strittig ist, ob eine geschlechtsspezifische Benachteiligung vorliegt, soll künftig der Arbeitnehmer hierfür nicht auch noch den Beweis antreten müssen. Dieser obliegt vielmehr dem Arbeitgeber; er hat seinerseits den Nachweis zu erbringen, daß eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sachlich begründet war. Diese Beweislastumkehr, für die es in der bisherigen Rechtsprechung Muster gibt, halten wir für unverzichtbar, wenn man ernsthaft beabsichtigt, die Rechtsposition einer Arbeitnehmerin zu stärken. Das im Regierungsentwurf vorgesehene Maßregelungsverbot hängt unmittelbar damit zusammen, daß es dem Arbeitgeber untersagt, die Arbeitsbedingungen eines Mitarbeiters zu verschlechtern oder ihn zu benachteiligen, wenn er die ihm zustehenden Rechte auch wirklich wahrnimmt und sie geltend macht.Wir begrüßen es auch, daß endlich der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, wenn sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten, ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben wird.
Auch diese Vorschrift ist ein Schritt in die richtige Richtung, um Frauen zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen; denn oft wurden sie gleich doppelt benachteiligt: zunächst durch niedrigere Löhne, denen später zwangsläufig niedrigere Renten folgten.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält die Einzelregelungen der Regierungsvorlage für unerläßlich, um den Grundgesetzauftrag nach drei Jahrzehnten im Arbeitsleben wirklich zu verwirklichen. Zugleich setzen wir die Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft um.Ich weiß, daß manche politischen Wunschvorstellungen über die Möglichkeiten dieses Gesetzes hinausreichen. So wird beispielsweise an ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz gedacht. Wenn man sich jedoch darauf beschränkt und nur dieses Plakat aufstellt, so entzieht man sich damit dem schwierigen Unternehmen, an diesem Gesetzentwurf positive Veränderungen vorzunehmen. Wir Sozialdemokraten sind offen, alle Vorschläge zu prüfen, die darauf zielen, den Gesetzentwurf zu verbessern. Dazu fordern wir auf. Wir werden zu dem Gesetzentwurf nicht deshalb nein sagen, weil wir im ersten Ansturm nicht alle unsere Vorstellungen verwirklichen können. Wir appellieren an die anderen Fraktionen,
sich im guten Sinne ebenfalls als Lobbyisten zu betätigen, damit nicht auf Dauer richtig bleibt, was ein Ausschuß der Evangelischen Kirche Deutschlands Anfang des Jahres festgestellt hat, was ich mit freundlicher Genehmigung des Präsidenten zitieren darf:Ohne die Leistungen der Frau könnte unsere Gesellschaft nicht bestehen. Es gäbe keine Weiterentwicklung des menschlichen Lebens ohne die Arbeit der Frau. Dennoch beobachten wir eine deutliche Zurückstellung der Frau hinter den Mann, dessen Beitrag zur Erfüllung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben viel höher bewertet wird.Wir Sozialdemokraten wollen konkret unseren Beitrag leisten, damit noch in dieser Wahlperiode ein wichtiger weiterer Baustein auf dem Weg zur Gleichstellung der Frau gesetzt werden kann. — Vielen Dank für auch Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14935
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag des Kollegen Dr. George erwarte ich mit freudiger Erregung und einer gewissen Spannung den Beitrag der Frau Kollegin Hürland. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, Frau Kollegin Hürland, daß Sie alles, was der Kollege Dr. George sagte, bestätigen werden. Abgesehen von der Frage, ob Polemik drin war oder nicht: Ich fand Ihre Rede viel polemischer als die des ehrenwerten Arbeitsministers Ehrenberg. Aber dies ist eine Wertung, die ich hier nicht zu vollziehen habe.Nur, Herr Kollege Dr. George, wenn Sie sinngemäß sagen, die Union läßt sich durch niemand übertreffen, wenn es um das Gleichberechtigungsgebot für Frauen im Beruf geht, dann ist das eine für mich wirklich originelle Kehrtwendung. Denn bis jetzt hatte ich eher den Eindruck, daß unionspolitische Familienpolitik bildhaft eher so zu umschreiben ist, daß Sie mit Erziehungsgeld für alle die Küchentüren weit aufreißen wollen und die Frauen zurück in die Küche und zum Kind treiben wollen.
Ich fand Ihre Ausführungen insofern ganz sympathisch. Hoffentlich setzen Sie sich im Bereich der Familienpolitik einmal durch.Wir von der FDP jedenfalls haben in unserem Gleichberechtigungsprogramm 1980 schon festgestellt — ich darf zitieren —:Zwar ist in weiten Bereichen die Gleichberechtigung der Frau formalrechtlich verwirklicht. Doch gewährt die Gesellschaft der Frau immer noch einen geringeren Raum zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung als dem Mann. Diese Kluft zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit ist auszufüllen.Deshalb verlangt meine Partei auch ein Antidiskriminierungsgesetz. Wir werden uns hierüber — ich hoffe: gemeinsam — zum gegebenen Zeitpunkt unterhalten müssen. In diesem Antidiskriminierungsgesetz ist grundsätzlich u. a. die direkte Diskriminierung zu verbieten, also der Tatbestand, daß eine Frau auf Grund ihres Geschlechts schlechter als ein Mann unter gleichen Umständen behandelt wird oder umgekehrt.Wir sehen in dem vorliegenden Gesetzentwurf einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der grundsätzlichen Forderung nach gleichen Rechten von Mann und Frau auch im beruflichen Leben. Durch diesen Gesetzentwurf soll die Gleichberechtigung der Frau im Arbeitsleben verbessert werden. Kern des Gesetzentwurfs ist deshalb das Verbot, einen Arbeitnehmer wegen seines Geschlechts zu benachteiligen.Es wird allerdings immer wieder behauptet, ein solches Gesetz sei überflüssig, weil wir den Art. 3 des Grundgesetzes haben, der die Diskriminierung von Frauen verbietet. Aber Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit stimmen auch hier nicht immer überein. Auch heute noch werden Frauen bestimmte Arbeitsplätze verwehrt. Auch heute noch verdienen Frauen in vielen Fällen weniger als Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Chancengleicheit ist insofern in diesem Bereich zu oft ein frommer Wunsch geblieben. Das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes wird immer wieder verletzt.Zweifellos — dies muß man positiv anmerken — haben die Frauen im Bildungsbereich aufgeholt. Bei den Realschulabgängern, aber auch bei den Abiturienten stellen sie immerhin die Hälfte. Aber dann kommt der Bruch. Im Beschäftigungssystem findet sich davon kaum etwas wieder. Zwar sind 40 % der Erwerbstätigen Frauen. Aber auch zwei Drittel aller Arbeitslosen sind Frauen. Es gibt eben zwei Arbeitsmärkte. Es gibt einen breit gefächerten normalen Arbeitsmarkt, auf dem die Frauen eine kleine Minderheit darstellen, und es gibt einen Arbeitsmarkt, der sich auf wenige, typisch weibliche oder als typisch weiblich angesehene Berufe bezieht. Und wie ist es beim Bundestag selbst?
Ich habe mir heute nachmittag mal die Zahlen von der Bundestagsverwaltung kommen lassen.
Das ist recht interessant. Die Beschäftigten bei Abgeordneten sind zu 66 % Frauen, in der Bundestagsverwaltung bei den Angestellten 67 % Frauen, bei den Lohnempfängern 43 % Frauen und — jetzt kommt eine Zahl, die genau diese Divergenz der beiden Arbeitsmärkte zeigt — bei den Beamten nur 9,3 %; hier im Bundestag, in diesem Hause bei den Beamten nur 9,3 %!
Wir haben also hier einen solchen Arbeitsmarkt, bei dem zwar die Mehrzahl der in unseren Büros beschäftigten Mitarbeiter Frauen sind; aber es wäre ja wohl ein falscher Schluß, wenn wir sagen würden, hier hätten endlich mal die Frauen die Männer überholt. Denn wo sind die Angebote der Stenotypisten? Wo sind die Angebote der Sekretäre? Die gibt es doch nicht. Das sind doch im allgemeinen keine Berufe, die dem Mann einen Status vermitteln.Ich könnte mir allerdings, wenn wir dieses Gesetz jetzt verabschieden, auch in unseren eigenen Situationen und in unseren eigenen Büros ganz interessante Diskussionen vorstellen, wenn nämlich nach Inkrafttreten des Gesetzes mal ein Mann gegenüber der Bundestagsverwaltung oder gegenüber einem von uns Abgeordneten glaubhaft machte, daß er wegen seines Geschlechts nicht an den Stenoblock oder an die Schreibmachine dürfte. Dies ist die andere Seite der Medaille. Es wäre sicher interessant, wenn sich so etwas mal ereignen würde.Im allgemeinen wird allerdings durch dieses Gesetz den Frauen geholfen. Ich bin mal gespannt, was nun z. B. die Deutsche Lufthansa tut, die es ja bis jetzt abgelehnt hat, weibliche Piloten zu beschäftigen — im Gegensatz zu anderen international anerkannten Fluggesellschaften.Meine Damen und Herren, wenn ich bei dieser Gelegenheit schon einige allgemeine Betrachtun-
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14936 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Hölschergen über die Rolle der Frauen in der Berufswelt anstelle, dann möchte ich auch nicht verschweigen, daß es sogenannte Schutzvorschriften für weibliche Arbeitnehmer gibt, die im Grunde genommen eine Bevormundung und auch eine Diskriminierung der Frauen darstellen. So dürfen Arbeiterinnen nachts nicht arbeiten. Es ist auch noch gar nicht so lange her, daß Männer dieses Hauses aus einer meines Erachtens falsch verstandenen Fürsorge vorschlugen, man solle doch dieses Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen auf weibliche Angestellte ausdehnen. Da gibt es das Verbot der Beschäftigung von Frauen am Bau. Da habe ich vom Arbeitsministerium kürzlich erfahren, daß sich ein Mädchen als Stukkateurin hat ausbilden lassen, aber diesen Beruf nicht ausüben darf, weil ja dort etwas geschleppt werden muß. Ich meine: wenn Nachtarbeit gesundheitsschädlich ist, wenn bestimmte körperliche Arbeiten unzumutbar sind, dann sind sie für alle unzumutbar und nicht nur für Frauen,
dann darf man das Berufsfeld nicht geschlechtsspezifisch aufteilen nach dem starken und dem schwachen Geschlecht, sondern dann muß man z. B. fragen, ob Nachtarbeit nicht insbesondere für ältere Menschen — Männer und Frauen — schädlich ist, und dann sollte man etwas tun. Wir sollten endlich Schluß machen mit diesen geschlechtsspezifischen Arbeitsschutzvorschriften, die im Grunde genommen nur Bevormundung und Diskriminierung ausdrücken und zur Folge haben.Ähnliche diskriminierende Wirkungen kann auch der Kündigungsschutz haben, wenn er allein auf Frauen abgestellt ist. Insofern müssen wir auch mal beobachten, wie sich das mit dem Kündigungsschutz beim kürzlich beschlossenen Mutterschaftsurlaub entwickelt. Wenn sich dies als Bumerang herausstellen sollte, müssen wir hier im Interesse der Frauen reagieren.
Diese Gefahr ist andererseits dann nicht gegeben, wenn wir uns dazu aufraffen können, einen Elternurlaub einzuführen, weil dann das Risiko gleichmäßiger auf beide Geschlechter verteilt ist.Aber heute geht es um die erste Lesung des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes. Wenn also ein Arbeitnehmer vermutet, daß die Ablehnung seiner Einstellung oder z. B. seiner Beförderung nur wegen seines Geschlechts erfolgt ist, kann er Tatsachen glaubhaft machen, und der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, daß nicht geschlechtsbezogene, sondern sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Der Arbeitnehmer kann dann Schadensersatz verlangen, und zwar wird ihm das sogenannte Vertrauensinteresse ersetzt.Meine Damen und Herren, ich will gar nicht verhehlen, daß Teile meiner Fraktion besondere Schwierigkeiten sehen bei der Lösung des Problems, wie bei der Beweislastverteilung in Diskriminierungsfällen ein befriedigender Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen des Arbeitnehmers einerseits und des Arbeitgebers andererseits gefunden werden kann. Der Objektivität halber muß auch festgestellt werden, daß uns die EG-Richtlinie von1960 nicht zwingt, diese Beweislastregelung, wie wir sie vorsehen, einzuführen. Dennoch darf aber nicht verkannt werden, daß es in der Praxis z. B. einem nicht berücksichtigten Bewerber kaum gelingen wird, vor Gericht seinerseits nachzuweisen, daß er wegen seines Geschlechtes nicht eingestellt wurde; denn die sachlichen Gründe für solche Entscheidungen sind ihm im allgemeinen nicht bekannt. Ohne die Beweislastregelung bliebe es wohl bei einem allgemeinen Diskriminierungsverbot, das für die Praxis keine große Bedeutung hätte.Wir wollen allerdings auch nicht — dies möchte ich in aller Deutlichkeit sagen —, daß durch dieses Gesetz der Eindruck entsteht, der Einstellende werde von vornherein in die Ecke des Diskriminierers gestellt,
unter dem Motto: Gleich, wie du dich entscheidest, du mußt dich rechtfertigen, und du bist im Grunde ein latenter Missetäter. Darum geht es wirklich nicht.
— Ich hoffe, daß allein die Existenz eines solchen Gesetzes schon dafür sorgen wird, daß personelle Entscheidungen in Zukunft weniger von geschlechtsspezifischen Motiven bestimmt werden.Ich weiß, ich muß Schluß machen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Dies ist nur ein Teilbereich. Weitere Schritte müssen folgen; denn das Gleichberechtigungsgebot bezieht sich nicht nur auf die Arbeitswelt, es umfaßt alle Gebiete des Lebens, die Politik, uns, die Parteienvertreter, die Medien, die Werbung, die Stellenausschreibung, die Bildung, die Kultur und die soziale Sicherung. Wir wollen die freie Wahl der Frau,
die freie Wahl zwischen Familie und Beruf oder beidem zum Beispiel. Dazu dient letzten Endes auch dieses Gesetz. Wir wollen damit echte, praktische Chancengleichheit erreichen.Wir werden uns für eine zügige Beratung einsetzen. Wir werden im Rahmen der Beratungen sicher auch Praktiker anhören müssen, auch Frauenverbände. Man sollte eine Anhörung veranstalten.Ich hoffe, daß wir einvernehmlich dieses wichtige Gesetz verabschieden werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Ehrenberg, Sie haben eingangs Ihrer Rede sehr richtig gesagt, es gehe vor allem um Bewußtseinsänderungen und entsprechende Verhaltensweisen. Ich kann dem nur zustimmen. Aber, wenn ich mir den Wortlaut Ihrer Rede in Erinnerung rufe, sprachen Sie nur von „Arbeitnehmern", von „Arbeitgebern", von „Unternehmern", von „Gewerkschaftssekretären". Meinen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14937
Frau HürlandSie nicht, daß es auch Gewerkschaftssekretärinnen, Unternehmerinnen, Arbeitnehmerinnen gibt?
Die Fraktion der CDU/CSU ergreift bzw. unterstützt jede Initiative, die zur Gleichberechtigung der Frau auch im Arbeitsleben führt. Das ist keine Behauptung ins Leere; denn seit 1966 befaßt sich der Deutsche Bundestag alle zwei Jahre mit der Gleich- berechtigungssituation im Arbeitsleben. Auf Grund dessen wurden z. B. die diskriminierenden Leichtlohngruppen fast völlig abgeschafft. Auch für die Bewertung der Arbeit sind den Parteien des Arbeitslebens gerechtere Kriterien an die Hand gegeben worden.Das sich dieses Hohe Haus mit dieser Materie alle zwei Jahre befaßt, verdanken wir einer Initiative meiner Fraktion, die vom Ausschuß für Arbeit unter dem Vorsitz meines Kollegen Adolf Müller seinerzeit einstimmig beschlossen worden ist.
Seit dieser Zeit haben die Fraktionen gemeinsam daran gearbeitet, die Gleichberechtigung im Arbeitsleben weiterzubringen, damit endlich — wie es im Vorblatt des Entwurfs der Bundesregierung heißt — dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der Praxis weiter zum Durchbruch verholfen wird.
Die Verwirklichung des Gleichberechtigungsgebots im Arbeitsleben stellt für meine Fraktion ein wesentliches Stück des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates dar, wozu uns das Grundgesetz in den Art. 2, 3, 6 und 12 verpflichtet. Auch die Verfassungen der Bundesländer, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen will, verlangen dies. Die tatsächliche Situation der berufstätigen Frau entspricht leider bisher nicht den Maßstäben unserer Verfassung,
die wir als unabdingbare Ordnungsregel auch des gesellschaftlichen Lebens verstehen.Leider hat sich die Lage in der jüngsten Vergangenheit wegen der anhaltend ungünstigen Arbeitsmarktsituation gerade für die Frauen noch weiter verschlechtert,
wie es die hohe Arbeitslosigkeit von Frauen beweist. Das an sich schon ungünstige statistische Bild beschönigt aber in Wirklichkeit noch die tatsächliche Lage, weil ein Großteil der ehemals berufstätigen Frauen in der Statistik gar nicht mehr als arbeitslos erscheint.
Wir wissen, daß die Arbeitslosigkeit der Frauen im wesentlichen nicht auf die Diskriminierung zurückzuführen ist. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Einer ist aber sicher der, daß in der Vergangenheit viele Frauen nicht den ihrer Neigung entsprechenden Ausbildungsstand erstrebt haben. Auch konnten sie nicht immer den ihrer Neigung entsprechenden Beruf ergreifen, weil dieser für Frauen verschlossen war.Ferner sind die Aufstiegschancen für Frauen im Berufsleben nicht gerade günstig, wenn man von den wenigen Alibi-Frauen auch in den Fraktionen des Deutschen Bundestages — einmal absieht. Vielfach wurden wir Frauen, durch Tradition und Vorurteile bedingt, auf typische Frauenarbeitsplätze geschoben. Damit wurde unsere persönliche Entfaltungsfreiheit in der Realität behindert. Im betrieblichen Leben — und dazu zählen auch die Behörden, ganz gleich, unter welcher politischen Konstellation — sind wir Frauen mit wenigen Ausnahmen anerkannt gute Mitarbeiter, aber im wesentlichen doch Zuarbeiter für die Herren.Hier möchte ich auch einmal ein Wort an die kommunalen Parlamente richten. In ihrer Hand liegt es nicht zum unwesentlich Teil, ob Frauen der Zugang zu Spitzenpositionen in der öffentlichen Verwaltung auch weiterhin verschlossen bleibt.
Nach meinen Informationen gibt es zur Zeit in der Bundesrepublik keine einzige Frau, die an der Spitze einer kommunalen Verwaltung steht.Die Durchschnittseinkommen der Frauen sind immer noch niedriger als die der Männer. Nach den Vorschriften über den sozialen Arbeitsschutz sind wir Frauen zwar wegen unserer besonderen biologischen Konstitution in den Augen der Männer zuweilen privilegiert; andererseits bringen uns diese Vorschriften aber tatsächlich Nachteile, weil wir angeblich nicht wie Männer in die allgemeine Arbeitsorganisation eingegliedert werden können und dadurch möglicherweise zu teuer werden.Ich plädiere jedoch nicht für eine Abschaffung der besonderen Schutzvorschriften für Frauen, wie dies im April dieses Jahres der Bundesgeschäftsführer der SPD, Egon Bahr, in einer mit unserer Kollegin Renger gemeinsam veranstalteten Pressekonferenz getan hat. Meines Erachtens ist der gesetzliche soziale Arbeitsschutz für Frauen und Mütter unverzichtbar, wenn auch in einigen Fragen durchaus korrigierbar. Aber ausschließlich auf die Vertragsfreiheit der Frauen abzustellen, halte ich schlicht für unmöglich, weil dadurch das Arbeitsrecht in seinem Kern überflüssig würde. Schließlich sind wir Frauen in kollektiven Interessenvertretungen des Arbeitslebens völlig unterrepräsentiert. In Gewerkschaftsvorständen sind ebensowenig Frauen anzutreffen wie in den Betriebs- und Personalräten. Das gleiche gilt leider auch für die Arbeitgeberseite.Ich möchte diese Situationsbeschreibung damit abschließen, daß nach meiner Meinung die Frauenerwerbsarbeit noch in dreifacher Hinsicht problematisch ist.Erstens. Frauenarbeit ist allgemein unter rechtlichen und tatsächlichen Aspekten oft noch diskriminiert.Zweitens. Die Erwerbsarbeit und die Mutterrolle sind meistens nur unter Schwierigkeiten miteinander vereinbar.
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14938 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Frau HürlandDrittens. Die Anforderungen der Arbeit und die Anforderungen der Familie überfordern vielfach die Frau. Hier helfen nach meiner Meinung nicht unbedingt ein neues Gesetz oder noch so detaillierte Vorschriften. Vielmehr muß der schon in Gang gesetzte Umdenkungsprozeß fortgesetzt werden.
Träger der Verantwortung für die Frauenerwerbstätigkeit sind der Staat, die Tarifpartner, die betrieblichen Sozialpartner und nicht zuletzt die einzelne Frau und der einzelne Mann. Wir haben es hier im Bundestag nur mit der Rolle des Staates zu tun. In die Aufgaben der anderen Verantwortungsträger einzugreifen, halte ich für gefährlich, weil dadurch deren unmittelbare Verantwortlichkeit verlorengehen kann. Manch ein gutgemeintes Gesetz zugunsten der Frauen oder anderer sogenannter Problemgruppen hat sich oft als ein Bumerang erwiesen. Deshalb sollten wir bei der Beratung dieses Regierungsentwurfs darauf achten, daß wir nur solche Lösungen im Blick auf tatsächlich und rechtlich vorhandene Diskriminierungen finden, die in der Praxis auch durchgeführt werden können. Es wäre meines Erachtens für die Frauen, die sich auch im Berufsleben entfalten möchten, ein Bärendienst, wenn wir ihnen durch ein kompliziertes Gesetzeswerk den Zugang zur Arbeit erschweren und noch weitere Vorurteile gegen die Erwerbstätigkeit der Frau errichten würden.Unsere Arbeit an dem Gesetz sollte für die Partner des Arbeitslebens — und ich meine alle: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Betriebsräte und Personalchefs und auch die Partner des Arbeitsvertrages — kein Grund sein, ihre Verpflichtung ruhen zu lassen, die Gleichberechtigung im Arbeitsleben zu verwirklichen. Auf Anregung des Bundestages sind z. B. den Tarifvertragsparteien Kriterien an die Hand gegeben worden, wie die Frauenarbeit nach modernen Bewertungsmaßstäben gerecht entlohnt werden kann.Betriebsräte und Arbeitgeber haben wir z. B. in § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes verpflichtet, die Diskriminierung auszuschließen. Vielleicht sollte im Gesetzgebungsverfahren überlegt werden, ob nicht nur das Gleichberechtigungsgebot, sondern auch die Familienrolle der Frau zu einem beachtenswerten Kriterium für die betrieblichen Sozialpartner nach § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes werden kann. Besonders sollten aber auch die betrieblichen Stellen etwas mehr Phantasie aufbringen, wie man die Arbeitsorganisation den Bedürfnissen der Frauen mit Familienbindungen besser anpassen kann.Die CDU/CSU-Fraktion ist zu einer konstruktiven Arbeit in den Ausschüssen bereit. Wir wollen die Gleichberechtigung der Frau jedoch nicht mit dem Gerichtsvollzieher verwirklichen, sondern es muß für alle Verantwortlichen, für jeden Bürger eine Selbstverständlichkeit sein, daß Männer und Frauen auch im Arbeitsleben Partner sind.
Das Wort hat Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß ich nach Frau Hürland spreche, und zwar einfach deswegen, weil offenkundig geworden ist, daß man in diesem Hause doch eine ganze Menge an Punkten gemeinsam lösen kann. Darüber freue ich mich, und das macht mir wirklich für die Beratungen in den Ausschüssen Mut.Herr George, wenn Sie als einziger Ihrer Fraktion gesprochen hätten, hätte ich meine Rede mit den Worten beginne müssen: Mit der Gleichberechtigung ist es halt wirklich so eine Sache.
— Keine Sorge, dazu komme ich auch noch. — Der Herr Arbeitsminister hat mit seiner Bemerkung ganz recht, daß es bei den Leuten, die das alles nicht so arg angeht — und Sie, Herr George, sind natürlich nicht so sehr betroffen, Sie merken die Betroffenheit nicht auf Grund Ihres Geschlechts, doch natürlich sind Sie in Ihrer Rolle als Mitglied des CDU-Wirtschaftsrats ebenfalls betroffen, auch das muß man sehen —, offensichtlich ganz unterschiedliche Betroffenheiten gibt. Es wird eben doch ein Unterschied gemacht: In Feiertagsreden wird von „hochsensiblen Themen" gesprochen, da wird Einigkeit im Ziel beschworen, da soll es keinen „Klassenkampf" geben. Bei solchen Gelegenheiten wird gesagt, vom Grundsatz her sei man ja einverstanden. Und je abstrakter es wird, desto einiger wird man sich. Gleichzeitig geht man aber hin und öffnet jedes nur denkbare juristische Hintertürchen, um ja von dem Programmsatz „Hin zu mehr Gleichberechtigung" wegzukommen.
Frau Hürland, vor diesem Hintergrund hoffe ich, daß wir wirklich ein bißchen etwas gemeinsam machen können. Ich bin der Meinung, Frauen denken bezüglich dieses Punktes ziemlich nüchtern und praktisch. Sie haben etwas gegen Etikettenschwindel, Herr George. Sie wollen die Gleichberechtigung nicht nur in Sonntagsreden, sondern sie wollen sie im alltäglichen Leben. Und zum alltäglichen Leben gehört heute das Arbeitsleben.Es kommt noch etwas hinzu: Nach 30 Jahren Grundgesetz werden die Frauen auch zunehmend ungeduldig. Sie hören sich nicht mehr so gerne an, daß wir in der Verfassung ein absolut gültiges Gleichheitsgebot haben, das auch nach unserer Verfassungsrechtsprechung den Rang eines Grundrechts hat. Da kommt eine Generation junger Frauen nach der anderen, die jetzt eine immer bessere Ausbildung bekommen. Wir alle waren doch dafür, auch Sie, wenn auch unsere Freunde dafür in der Praxis erheblich mehr getan haben.
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Auch deswegen sind die Frauen nach 30 Jahren Grundgesetz immer „sensibler" gegen falsche Töne — um einmal dieses Wort zu benutzen — geworden. Sie sind auch sensibel, wenn im beginnenden Wahlkampf eine Partei, welche es auch sei, versucht, ein bißchen Reibach mit den Frauen zu machen. Die Frauen sehen nämlich das Auseinanderklaffen von Verfassung und Realität sehr genau. Wenn man diesen Maßstab an die EG-Richtlinie und an das deutsche Anpassungsgesetz anlegt, kann man feststellen, ohne sich dabei etwas zu vergeben, daß in bezug auf Einstellung, Aufstieg und Entlohnung das Gesetz diesen von uns gewünschten Prozeß, Frau Hürland, tatsächlich beschleunigen kann.Es muß einem dann wie Hohn vorkommen, wenn man die Beratungsprotokolle des Bundesrates liest und dort erfährt, daß das mit der Gleichberechtigung zwar in der Verfassung stünde — das kommt auch in einem Antrag der Landesregierung BadenWürttemberg zum Ausdruck, Niedersachsen steht da nicht allein, und das ist für mich ganz besonders bedenklich —, aber das sei alles gar nicht so gemeint, das sei nicht so wörtlich zu nehmen. Da müßten Aspekte der Zweckmäßigkeit eine Rolle spielen. Das alles müsse „richtig" verstanden werden. Und ich erinnere daran, daß der ehemalige Justizminister von Rheinland-Pfalz sagte — das hat der Herr Bundesminister schon zitiert —, man dürfe das nicht so „ideologisch verblendet" sehen.Meine Damen und Herren, es geht dabei ja nicht um neue Regelungen, die an verschiedenen Lebenssituationen von Frauen anknüpfen, sondern es geht um den Abbau von Benachteiligungen, die Frauen jeden Tag an sich selber erfahren, nicht bloß aus der Statistik.
Ich habe gedacht, das sei alles ein Ausrutscher gewesen. Nach dem, was ich heute von Ihnen gehört habe, Herr George, habe ich den Eindruck: Es ist kein Ausrutscher. Deswegen will ich hier noch einmal sehr deutlich folgendes sagen. Die Väter des Grundgesetzes haben damals auch schon gewußt, daß es einen biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt. Sie haben damals auch schon gewußt — diese Meinung war damals noch stärker vertreten als heute —, daß es funktionale und arbeitsteilige Unterschiede gibt. Sie wollten in Kenntnis dieser Tatsachen daran keine ungleichenFolgerungen geknüpft haben. Das wissen die Frauen, und das wollen die Frauen auch.Wenn Sie mit dem juristischen Argument kommen, das alles gelte wegen der Drittwirkung der Grundrechte zwar gegenüber dem Staat, vielleicht sogar auch noch dann, wenn es sich um einen Monopolbetrieb handelt — Herr Hölscher hat vorhin die Lufthansa-Fälle erwähnt, über die wir uns hier schon unterhalten haben —, das gelte aber nicht in den Fällen, in denen die Frauen normalerweise betroffen sind, nämlich dann, wenn sie einen Arbeitsplatz suchen oder wenn es um Arbeitsbedingungen geht, dann muß ich Ihnen sagen: Für diese Einstellung fehlt den Frauen jedes Verständnis, und dafür habe ich wiederum sehr viel Verständnis.Wenn man dann noch von Herrn George hört, daß ein in der Verfassung durchaus erwähntes Recht, nämlich die Abschlußfreiheit — sie ist ja in der allgemeinen Handlungsfreiheit mit geschützt —, dem ausdrücklichen Gleichbehandlungsgebot mindestens gleichrangig sei — bei Ihnen klang es verdammt so, als ginge es vor —, dann kann ich nur raten, daß man sich dieses Rangverhältnis ganz genau merkt: Das ist dann, wie ich meine, Herr George, Klassenkampf, nur von der anderen Seite. Ich glaube, darüber sollte man sich auch einmal klar sein.
Frau Wex, jetzt komme ich zu den praktischen Punkten, bei denen ich hoffe, daß wir gemeinsam Verbesserungen erreichen.
— Wissen Sie, ich bin der Meinung, daß dieses einmal gesagt werden muß. Ich kann das mit der „Emanzipationshysterie" und mit dem GegeneinanderAusspielen-Wollen der verschiedenen Frauengruppen nicht mehr hören. Das liegt mir schon lange auf der Seele, und das sage ich jetzt auch einmal.
Ich komme jetzt zum EG-Anpassungsgesetz. Wenn wir nüchtern an die Rechte herangehen, was die Frauen haben sollen, so muß klar sein, daß wir unter Diskriminierungen die mittelbaren und unmittelbaren Beeinträchtigungen verstehen. Ich meine, daß da einige Klarstellungen vorgebracht werden müssen.
— Ich sehe Sie alle so nicken. Ich werde Sie beim Wort nehmen, meine Damen und Herren, wenn es darum geht, dieses im Gesetzentwurf noch klarer zu machen.Es ist mir klar — aber das muß auch, wie ich glaube, allgemein bei der Lektüre dieses Gesetzes klarer werden —, daß die Rechtsgrundlage für das Gesetz nicht Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ist, sondern Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes. Ich habe dafür Verständnis, weil die Anordnung der Worte im ersten Absatz des § 611 a ein bißchen mißverständlich ist, wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund in
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14940 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Frau Dr. Däubler-Gmelinseiner Presseerklärung heute sagt: Paßt hier gut auf, daß ihr die Rechtsgrundlage nicht verschiebt.Das sagen diese Praktiker deshalb, weil sie wissen, daß die Juristen in den Personalabteilungen somit sehr leicht die Beurteilungsgrundlage verschieben könnten. Das könnte dann schließlich auf das individualarbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot Auswirkungen haben und auch für die Rechtsgrundlage in § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes, die Sie erwähnt haben, und es könnte sich ebenso auf das Tarifvertragsgesetz auswirken, und das darf nicht ins Rutschen kommen.Nächster Punkt! Wer sich in Fragen der Gleichberechtigung auskennt, der weiß sehr wohl, daß das Haben eines Rechtsanspruches und die Durchsetzung hier noch weniger als in anderen Feldern zusammenfallen — zum einen einfach deshalb, weil Frauen ihre Rechte zu wenig kennen. Hier wird das Gesetz hilfreich sein. Zweitens deshalb, Herr George, weil Frauen, was die Durchsetzung ihrer Rechte anlangt, nicht an der Spitze stehen. Ich weiß gar nicht, wie Sie hier überhaupt auf die Idee kommen, von „Prozeßlawine" zu reden. Sie wissen doch ganz genau, daß häufig genug auch aus Ihrer Ecke den Frauen geraten wird, sie sollten sich eben wehren, wenn es nötig sei. Ja, wenn die sich wehren sollen, dann muß man ihnen aber doch auch die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten geben.
Ich bin der Meinung, daß Frauen sich heute häufig genug deswegen nicht wehren, weil sie sagen: es hat ja alles keinen Wert, wir können nichts beweisen. Hier wird das Gesetz, wie ich hoffe, tatsächlich helfen.Nur — das ist jetzt der zweite Punkt, den ich Sie vorzumerken bitte — werden wir uns natürlich sehr deutlich über die Hemmschwelle vor dem Prozeß unterhalten müssen. Ich bin da anderer Meinung als Sie, Herr Hölscher. Ich glaube nicht, daß wir den Arbeitgeber in die Ecke des Missetäters stellen
— lassen Sie mich doch erst einmal ausreden —, wenn wir sagen: wir dürfen der Frau nicht zumuten, daß sie erst einmal „Tatsachen glaubhaft machen" muß, bevor ein Verfahren mit Beweislastumkehr tatsächlich anfängt.
— Gut, dann finden wir gemeinsam eine Formulierung, die tatsächlich diese Hemmschwelle senkt. Dann kommen wir weiter.Außerdem sollten wir uns überlegen, ob die EG-Kommission nicht recht hat, wenn sie sagt, sogar die Sanktionen, die wir im europäischen Bereich haben, seien zu niedrig. Das gilt dann verstärkt für dieses Gesetz. Da gibt es auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen: Es ist ja in der Tat die Frage, ob man es bei einem Schadensersatzanspruch auf den Vertrauensschaden belassen muß oder ob man nicht wenigstens doch auf eine Art Anspruch auf vorrangige Einstellung der diskriminierten Frau kommt.Auch bei der Beförderung könnte ich mir Sanktionen vorstellen, die dem Diskriminierungsverbot in diesem Zusammenhang etwas mehr Nachdruck verleihen. Das alles zu erörtern, wird in den Ausschußberatungen Gelegenheit sein.Lassen Sie mich mit einer Bitte schließen. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir 30 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, mehr als 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Europäischen Vertrages mit seinen Artikeln 117, 118 und 119 — und denen stimmt doch nicht nur diese Regierung zu, Herr George — uns darauf verständigen könnten, nicht die ideologischen Grabenkämpfe von vor 50 Jahren oder noch früher zu führen. Wir leben nicht mehr im Jahre 1900. Wir haben die veränderte Rolle der Frauen. Ich glaube, wir kommen nicht mit dem „Prokrustesbett" oder „Gleichmacherei" weiter, sondern wir kommen mit einer ganzen Reihe von vernünftigen Vorschlägen weiter, wenn wir das Gesetz ausbauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Allein der Unterschied in der Anredefloskel, die ich seit einigen Jahren benutze, wird dem Thema nicht so ganz gerecht. Ich bin aber der Meinung: Emanzipation ist, wenn man nicht darüber spricht. Daß dieser Zustand noch nicht erreicht werden konnte, führt dazu, daß wir dieses Gesetz hier zu beraten haben. In dieser Richtung weist vieles von dem, was die Kollegen, wie ich mit Freude feststelle, aus allen Fraktionen — insbesondere die letzten Redner, man muß da ja Unterschiede machen — gesagt haben.Die Juristen werden mit großen Beklemmungen sehen, was hier nach langen Überlegungen und Verhandlungen im Kernpunkt formuliert worden ist. Es geht um die mehrfach falsch — so möchte ich ganz schlicht sagen — angesprochene Beweislastumkehr, die in Wirklichkeit eine Beweislastverschiebung ist, und zwar auf die Mitte zwischen den beiden Möglichkeiten hin. Das, was dazu formuliert worden ist, scheint mir der Sachlage durchaus gerecht zu werden. Es wird nur in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten.Andererseits ist nicht zu verkennen, daß es unmöglich ist, demjenigen, der wegen seines Geschlechts im Berufsleben benachteiligt worden ist, die Beweislast aufzubürden. Ein solcher Beweis würde bei auch nur halbwegs geschickt funktionierenden Personalabteilungen ein für allemal nicht zu führen sein und deshalb diese Sache von Anfang an zahnlos machen.Umgekehrt aber würde die volle Beweislastumkehr, die im Gesetz eben nicht gewollt ist, dazu führen, daß eine Benachteiligung der jeweils anderen Seite eintreten müßte. Das ist ja die mißliche Folge, und das kann ja auch nicht gewollt sein. Darum diese komplizierte Rechtsfigur mit den Tatsachenbehauptungen, die erst einmal indizieren müssen, daß hier wohl eine Benachteiligung vorliegt, was
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14941
Kleinertdann anschließend den Gegenbeweis auf die andere Seite hinüberbringt.Man kann nur hoffen, daß in den Beratungen — mindestens für den Bericht — noch sehr klare Ausführungen zustande kommen, die den Richtern helfen, mit dieser schwierigen Figur zurechtzukommen, da andere Lösungsmöglichkeiten wohl nicht gegeben sind. Da scheint mir — aus juristischer Sicht jedenfalls — das Kernproblem dieses Vorhabens zu liegen, wenn ich einmal von meinem Eingangssatz absehe. Aber das dort Gesagte kann erst im Verlauf einiger Jahre — wie ich befürchte: einiger Jahrzehnte — dazu führen, daß gesetzliche Regelungen überflüssig werden. Sicherlich gibt es auch hier eine gewisse Wechselwirkung zwischen gesetzlichen Regelungen und Bewußtseinsbildung, und zwar sowohl so herüber als auch so hinüber, die man hier fördern muß.Hoffen wir, daß die Beratungen zu einem Ergebnis führen, bei dem nicht wieder das auftaucht, wovor ich hier neulich in einem anderen Zusammenhang schon einmal gewarnt habe: daß man nämlich, um jemandem etwas Gutes zu tun, hinterher mit den dafür gefundenen gesetzlichen Regelungen das Gegenteil erreicht. Diese Sorge habe ich insbesondere bei der Beförderung; bei der Einstellung sehe ich das gar nicht so sehr. Bei der innerbetrieblichen Beförderung sehe ich das Risiko, daß man im einen oder anderen Fall — jedenfalls in überschaubaren Bereichen — eher von einer Einstellung absieht, wenn man diesen Konflikt als nächstes schon auf sich zukommen sieht, als daß man hier die wünschenswerte Einstellung vornimmt. Das ist etwas, was nun einmal entschieden werden muß, was zuvor gründlich beraten werden wird. Hoffen wir, daß es sich im Sinne all der guten Absichten, die hier — im wesentlichen jedenfalls — hervorgetreten sind, so umsetzen läßt.Das Entscheidende muß bei so komplizierter rechtlicher Konstruktion natürlich sein, daß wir alle sehen: Es handelt sich hier um eine „Flotte in Bereitschaft"; das ist mein Versuch, den in der deutschen Sprache weit geläufigeren Ausdruck „fleet in being" ins Deutsche zu übersetzen.
Entscheidend ist, daß dieses Gesetz möglichst selten angewendet werden muß, daß seine Existenz genügt, zu einer von uns allen gewünschten vernünftigeren Handhabung in der Praxis beizutragen.Ganz zum Schluß möchte ich noch sagen: Ich hoffe, daß wir bei Gelegenheit, bei möglichst vielen Gelegenheiten dennoch auf gewisse Unterschiede
durchaus ehrerbietig, durchaus höflich und voller Freude hinweisen dürfen, auch wenn sich in diesem beruflichen Bereich Gleichberechtigung, die wir wünschen, durchsetzen wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3317 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Zukunftschancen der jungen Generation— Drucksachen 8/2045, 8/3356 —Berichterstatter:Abgeordnete Berger ThüsingWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/3356. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2045 für erledigt zu erklären. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung der Sammelübersicht 58 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/3367 —Wird das Wort gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/3367, die in der Sammelübersicht 58 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich im ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu den Unterrichtungen durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1976"Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1977"— Drucksachen 8/1682, 8/3119, 8/3324, 8/3330 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerlach Schäfer (Offenburg)dazu
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14942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Präsident StücklenBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3447 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Wünscht jemand das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Gerlach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es für zweckdienlicher gehalten, wenn wir gestern vormittag bei der großen Energiedebatte auch diesen Tagesordnungspunkt mitbehandelt hätten. Es wäre dann so manche Emotion, glaube ich, wieder heruntergeholt worden.
Wir haben vor uns liegen den Bericht der Bundesregierung über die Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung der Jahre 1976 und 1977. Die Beschlußempfehlungen dazu konnten im Innenausschuß gemeinsam erarbeitet werden. Diese Übereinstimmung ist ein gutes Zeichen in dieser für unsere Zukunft so entscheidenden Frage.
Die Berichte der Bundesregierung haben ein gutes Ergebnis: Die Strahlenbelastung in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht größer geworden. Dieses Ergebnis wünschen wir uns auch für die kommenden Jahre.
Um dies zu erreichen, haben wir im Innenausschuß die Einführung bestimmter Maßnahmen empfohlen, beispielsweise der Fernsehüberwachung, die in Bayern schon eingeführt ist und sich dort gut bewährt hat, und einiger Register, die nun hoffentlich — das darf ich ausdrücklich betonen — unbürokratisch und schnell Auskunft über die Strahlenbelastung einzelner Gebiete und ausgewählter Personenkreise in der Bundesrepublik Deutschland geben können. Ziel muß sein, die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern, ohne durch Bürokratisierung und Verstaatlichung der Kontrolltätigkeit denen, die mit Radioaktivität hantieren, die Eigenverantwortung zu nehmen.
Bevor ich mich nun den Berichten der Bundesregierung zuwende, lassen Sie mich hier einmal vor der Öffentlichkeit die Tatsache unterstreichen, der man sich leider — deswegen auch meine Anfangsbemerkung — in weiten Kreisen unserer Bevölkerung nicht immer recht bewußt ist: Strahlen — darauf muß hingewiesen werden — gibt es seit Urbeginn. Die Strahlen in der Natur unterscheiden sich in gar nichts von den Strahlen, die bei der Nutzung der von den Menschen geschaffenen Strahlenquellen entstehen. So wie es Feuer gab, bevor der Mensch es zähmte, wie es Elektrizität gab, bevor der Mensch sie nutzte, gab es auch die Strahlenradioaktivität und Atomkraft lange vor der Nutzbarmachung dieser neuen Energiequellen durch den Menschen.
Deswegen hat der Bundesminister dem guten Bericht der Bundesregierung einen, so meine ich, schlechten Dienst erwiesen, als er — offensichtlich
zur Vorlage an die Öffentlichkeit — diesen Bericht mit einem Umschlag versah und darauf überdimensional ein Kernkraftwerk zeichnete. Herr Staatssekretär, der Sie den Bundesminister vertreten, ich meine, Sie haben damit der Sache einen schlechten Dienst erwiesen. Entweder war das Leichtfertigkeit — auch dann kann es nicht verziehen werden —, oder es sollten bewußt Emotionen gezüchtet werden, und das wäre noch weniger verzeihlich.
Auf diesem Umschlag ist nun einmal die typische Silhouette eines Kernkraftwerks für alle deutlich zu sehen, und dieses Symbol .ist im Zusammenhang mit diesem Bericht der Bundesregierung irreführend. Bilder sagen mehr als viele Worte. Jeder, der diesen Umschlag sieht, muß doch die folgende Gedankenverbindung knüpfen: Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung hängen ausschließlich mit Kernkraftwerken zusammen. Eben diese Gedankenverbindung ist falsch; sie sollte im Interesse aller und im Interesse einer sachlichen Diskussion vermieden werden. Denn damit beginnt die Dämonisierung; Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung werden wahrheitswidrig als etwas in erster Linie Unnatürliches hingestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Hauptanteil der Gesamtbelastung entfällt auf die Strahlenbelastung durch natürliche radioaktive Stoffe und kosmische Strahlung.Nur dann, wenn wir auf die Natürlichkeit einer gewissen Strahlenbelastung hinweisen, wird es uns gelingen, die dumpfe Angst vor dieser neu ins Bewußtsein der Menschheit getretenen Kernenergie abzubauen und die Sorge auf das angemessene und wahrheitsgetreue Maß zurückzuschrauben.Den Grünen, die besorgte und verängstigte Teile der Bevölkerung um sich scharen wollen, müssen wir sagen, daß beispielsweise die Strahlenbelastung eines Naturfreundes, der die Zugspitze erklettert, ungleich höher ist als die Strahlenbelastung eines Menschen, der in der Nachbarschaft eines Kernkraftwerkes lebt. Wir brauchen noch nicht einmal so hoch hinauf zu gehen, brauchen nicht auf die Zugspitze zu klettern. Wir brauchen nur einmal das Leben in den höhergelegenen Gebieten Deutschlands zu betrachten, in unseren Mittelgebirgen, etwa im Bayerischen Wald. Dort bringt das Leben mehr Strahlenbelastung mit sich als ein Wohnen neben einem Kernkraftwerk.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat das in seiner „Bürgerinformation nukleare Entsorgung" ja auch unterstrichen. Dort hat er auf Karten die natürliche Strahlenbelastung in Deutschland dargestellt. Die dunklen Flächen auf den Karten in diesem Büchlein, das ich im übrigen jedem empfehlen möchte, stellen die Gebiete mit großer Strahlenbelastung dar. Es zeigt sich, daß es sich dort, wo dunkle Flächen sind, wo große Strahlenbelastungen gegeben sind, ausschließlich um natürliche Strahlenbelastungen handelt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14943
Gerlach
Wenn der Bundesminister sich darum bemüht hätte, mit seinem Titelbild wahrheitsgetreu zu bleiben, die wahren Verhältnisse darzustellen, so hätte er über den allergrößten Teil dieses Titelbildes beispielsweise eine natürliche Landschaft zeichnen müssen. Danach hätte er, wesentlich kleiner, die Mediziner darstellen müssen, denn in diesem Bericht wird ganz deutlich darauf hingewiesen, daß ein wesentlicher Teil der Strahlenbelastung aus der Medizin kommt. Was uns im Ausschuß alle bedrückt hat — ich glaube das sagen zu können —, war die gleichzeitige Feststellung, daß durch unsachgemäße Ausbildung und unsachgemäßes Handeln im medizinischen Bereich unnötigerweise ein gut Teil der Strahlenbelastung entsteht. Auf diese Zusammenhänge muß hingewiesen werden, vor allem auch auf die Tatsache, daß von manchem Material,. von mancher Substanz, die wir heute zum Bauen verwenden, viel größere Strahlenbelastungen auf den Bürger, auf den Bewohner ausgehen als von der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Es war ebenso bedrückend, in diesem Bericht registrieren zu müssen, daß es Wohnungen gibt, in denen wir überdimensionale Strahlungen vorfinden, von denen ungeheure Belastungen für die Menschen ausgehen, die dort wohnen.In der Reihenfolge der Quellen, die zu unserer Strahlenbelastung beitragen, kommen nach der Medizin längst vertraute Dinge, die mit Kraftwerken überhaupt nichts zu tun haben. So ist beispielsweise jemand, der eine Reise mit dem Flugzeug macht, in großer Höhe einer stärkeren Strahlenbelastung ausgesetzt, als er selbst weiß. Das alles muß um der Wahrheit willen einmal klargelegt und dargelegt werden, damit wir ein ausgeglichenes Bild von der natürlichen und von der künstlich herbeigeführten Strahlenbelastung bekommen.Schließlich sollten gerade die Fernsehberichterstatter einmal ihren Zuschauern sagen, daß der durchschnittliche Fernsehzuschauer ebensoviel oder, richtiger gesagt, ebensowenig Strahlung aus dem Fernsehgerät aufnimmt wie der unmittelbare Nachbar eines Atomreaktors. Das, meine Damen und Herren, ist die wahre Relation, in der alles gesehen werden muß. Das ist der Inhalt des Strahlenschutzberichts.Die Empfehlungen des Innenausschusses enthalten eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Strahlenbelastung der Bevölkerung der Bundesrepublik noch besser erfaßt werden soll. Wir haben auch diese Empfehlungen einstimmig beschlossen. Ich möchte im übrigen anregen, einmal darüber nachzudenken, ob nicht künftig stärker Empfehlungen in den Strahlenschutzbericht eingearbeitet werden sollten, etwa wie im Umweltschutzbericht, sicherlich nicht in der gleichen Größenordnung, aber doch soviel an Empfehlungen, daß wir nicht nur sozusagen einen Bericht der nackten Tatsachen haben, sondern auf Grund dieser Fakten Ansätze dafür finden können, abzuschaffen, was nicht in Ordnung ist. Nichts ist so gut, daß es nicht noch verbessert werden könnte.Eines liegt mir am Herzen und soll hier betont werden: Umweltbelastung und Strahlenbelastung durch den Betrieb von Kohlekraftwerken müssen intensiver überprüft werden. Die Experten sind unterschiedlicher Meinung. Sie sind sich nur in einem einig: Die Umweltbelastung, auch durch radioaktive Strahlung, beim Betrieb von Kohlekraftwerken ist nicht geringer als die beim Betrieb eines Kernreaktors.
— Aus dem Betrieb heraus, Herr Kollege. Ich glaube, da gibt es keine Differenzen. Sie rechnen natürlich beispielsweise in Ihrer breiteren Betrachtungsweise die Belastungen hinzu, die der Bergmann beim Abbau der Kohle hat. Wir haben es aber im Strahlenschutzbericht nicht mit diesem Bereich zu tun, sondern mit dem Bereich der durchschnittlichen Belastung eines Bürgers in der Bundesrepublik, also nicht desjenigen, der in einem speziellen Betrieb arbeitet. Da aber sind sich die Experten in der Tat einig, daß die Strahlenbelastung bei beiden Kraftwerksarten zumindest gleich ist.Freilich ist bei jenem großen Störfall, wo möglicherweise alle Sicherheitsmaßnahmen versagen, der heute unwahrscheinlich ist — gestern wurde breit darüber diskutiert —, aber selbstverständlich nie ausgeschlossen werden kann, die radioaktive Belastung aus Kernkraftwerken ungleich höher. Das muß ich um der Ordnung und der Wahrheit willen einfach dazusetzen, um das alles objektiv zu sehen. Das soll auf keinen Fall verniedlicht werden. Die Angst vor einem solchen Unfall ist allerdings gegen viel konkretere Zukunftsängste abzuwägen. Auch die Möglichkeit von Verteilungskriegen um die immer knapper werdenden Energievorräte muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Vor einem solchen Hintergrund erscheint das Risiko der friedlichen Nutzung der Kernenergie vergleichsweise gering, wenngleich — ich möchte es noch einmal betonen — es auf keinen Fall verniedlicht werden soll.Der Bundesregierung ist es leider nicht gelungen, das Wissen über diese Fakten hinreichend weit zu verbreiten. Vor allem in den sie tragenden Parteien haben ihre zwar mit hohem finanziellem Aufwand und großem Wirbel veranstalteten, weitgehend aber eher als Werbekampagne für einzelne Minister verstandene Aktionen nicht das für eine sachliche Diskussion notwendige Wissen vermittelt. Zu unermüdlicher sachlicher Aufklärung wäre insbesondere der für die Reaktorsicherheit zuständige Bundesminister des Innern berufen gewesen. Er hat, wie ich kurz darstellen konnte, versagt. Wir fordern ihn deshalb auf, schnellstens wirksame und insbesondere wahrheitsgetreue Aufklärung zu verbreiten.Vor allem aber hat er dafür zu sorgen, daß künftig die Berichte über Umweltradioaktivität dem Deutschen Bundestag schneller zur Verfügung gestellt werden. Es geht nicht an, daß wir erst heute über die Berichte der Jahre 1976 und 1977 diskutieren können. Ich kenne die Schwierigkeiten, die Relation der verflossenen Zeit wesentlich zu verkürzen, ich möchte aber trotzdem darum bitten, daß alle Anstrengungen unternommen werden, um dem Deutschen Bundestag die Berichte schneller vorzulegen,
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14944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Gerlach
damit nicht über radioaktive Belastungen diskutiert werden muß, die zwei Jahre zurückliegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist eigentlich etwas schade, Kollege Gerlach, daß Sie durch Teile Ihrer Ausführungen soeben die Wirklichkeit der Ausschußberatungen verzerren. Ich fand und finde es gut, daß wir uns im Ausschuß gründlich der Fragen angenommen haben — sie verdienen es —, daß wir die Fragen, die auf den parlamentarischen Prüfstand gehören, dort hingebracht haben und daß wir unabhängig von der Frage, wie wir die Nutzung der Kernenergie im einzelnen in ihrer Akzeptabilität oder Akzeptanz bewerten, gemeinsam nicht nur den Bericht bewertet, beurteilt und begrüßt haben, sondern auch einige Schlußfolgerungen daraus gemeinsam einstimmig formuliert haben. Sie sehen es mir sicher nach, Herr Kollege Gerlach, wenn ich mich im Gegensatz zu Ihnen jetzt in meinen Ausführungen weniger um die Verpackung des Berichtes, um jenes Bild eines Kernkraftwerkes, als vielmehr um den Inhalt kümmere.
Dies ist auch dem Gegenstand angemessen.Ich bin sehr froh darüber, daß gemeinhin das Gerede von der Kernenergie, von der Kernspaltungstechnologie als einer besonders umweltfreundlichen Technologie zusehends verstummt ist. In der Tat ist der Prozeß der Kernspaltung, für sich allein genommen, einer der lebensfeindlichsten Vorgänge überhaupt. Nicht umsonst brauchen wir dicke Mauern von Beton und Stahl und ein umfassendes Kontroll-, Steuerungs- und Überwachungssystem von Mensch und Technik, um diese Kernspaltungstechnologie einigermaßen verantwortbar zu machen. Eine der Gefahrenquellen dabei ist — und das ist ein unabweisbares Beiprodukt jedes Kernspaltungsprozesses — das künstliche Erzeugen von Radioaktivität, die Freisetzung radioaktiver Strahlenbelastung. Deswegen müssen wir diese Radioaktivitätsfreisetzung sorgsamer bewachen als unseren eigenen Augapfel.Wir können ohne Übertreibung darauf hinweisen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland — und das ist das Verdienst dieser Bundesregierung, aber auch dieses ganzen Hauses — ein umfassendes, im Weltmaßstab durchaus vorbildliches Vorbeugungs-und Überwachungssystem strahlenschutz- und atomrechtlicher Art haben, das dafür Sorge trägt, daß im Normalbetrieb das, was aus kerntechnischen Anlagen an Radioaktivität, also an Strahlenbelastung, abgegeben wird, so niedrig, wie nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich, und auch so ungefährlich wie möglich zum Schutz der Gesundheit der Bürger gehalten wird.Meine Fraktion hält an diesen strengen Auflagen der Strahlenschutzverordnung und des Atomgesetzes fest. Jeder Aufweichung, etwa aus ökonomischen Gründen — Herr Stoltenberg hat gestern etwas im Hinblick auf § 28 der Strahlenschutzverordnung gesagt, was fahrlässig war —, der Strahlenschutzverordnung und des Atomgesetzes, die weniger Schutz für die Bevölkerung mit sich brächte, werden wir entschiedenen Widerstand leisten.
Wir alle wissen: Gute Gesetze sind nur dann gut, wenn sie gesellschaftliche Wirklichkeit sind. Dazu gehört, daß ihr Vollzug garantiert und ihre Einhaltung gewährleistet werden. Dazu dienen u. a. die Berichte der Bundesregierung über Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Diese Berichte sind notwendig und unerläßlich. Bei vielen Berichten, die dieses Hohe Haus von der Bundesregierung fordert, kann man die Frage nach deren Notwendigkeit stellen. Aber die Pflicht zu diesen Berichten darf nicht entfallen. Meine Fraktion, Herr Kollege Gerlach, ist der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behörden für die Sorgfalt dankbar, mit der sie die Berichte erstellt haben.Zum Inhalt der Berichte kann ich mich kurz fassen. Jeder im Haus hat sie gelesen.Die beiden Berichte weisen aus — darauf haben Sie, Herr Kollege Gerlach, zu Recht hingewiesen —, daß die Strahlenbelastung aus kerntechnischen Anlagen im Vergleich zur natürlichen Strahlenbelastung und zur Strahlenbelastung aus der Nuklearmedizin und der Röntgendiagnostik — gottlob, sage ich — äußerst gering ist.Trotzdem besteht kein Grund, selbstzufrieden die Hände in den Schoß zu legen. Es besteht auch kein Grund zur Dramatisierung. Nicht zuletzt deswegen haben wir als Parlament insgesamt, Herr Kollege Gerlach, einstimmig der Bundesregierung ein paar Aufgaben gestellt. Wir erwarten, alsbald in einem Bericht von der Einleitung entsprechender Maßnahmen zu erfahren. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß wir — gottlob, sage ich — in der Bundesrepublik — wenn wir von Störfällen absehen, die aber keine größere Radioaktivität freigesetzt haben — bei der Besprechung der Berichte nur über den Normalbetrieb zu reden brauchen.Ich will mehr andeutungsweise einige Punkte behandeln die uns aufgegeben sind, um in diesem Bereich mehr Erkenntnis zu schaffen. Ich sagte soeben: Es werden schwach radioaktive Abgaben abgegeben. Trotzdem kann heute niemand mit Sicherheit behaupten, daß langfristige Wirkungen auch schwach radioaktiver Abgaben tatsächlich gefahrlos sind. Um Ihnen einen kleinen Überblick zu geben: Es erscheinen jährlich etwa 100 bis 200 wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema der langfristigen Wirkungen auch schwach radioaktiver Abgaben. Eine Computer-Auswertung der Literatur aus den Jahren 1978 und 1979 — es sind mehr als 300 entsprechende wissenschaftliche Arbeiten — läßt folgende Feststellung treffen: Die Auswertung dieser vorliegenden Arbeiten betreffen langfristige Wirkung schwach radioaktiver Abgaben ist nicht geeignet, negative Auswirkungen auch lang anhaltender sehr niedriger Strahlenbelastungen auf den Menschen zu beweisen. Jetzt kommt die Kehrseite,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14945
Schäfer
meine Damen und Herren. Es kann aber ebenso wenig bewiesen werden, daß solche Expositionen, solche Belastungen keine Auswirkungen haben. Deswegen haben wir zu Recht einstimmig darauf hingewiesen, daß hier mehr Klarheit not tut.Ich will in diesem Zusammenhang eine zweite, in der Forschung noch nicht als sicher und erkannt zu bewertende Feststellung treffen. Ich meine das Problem des sogenannten Synergismus, des Zusammentreffens verschiedener, für sich allein vergleichsweise harmloser Schadenspartikel, die in der Zusammenwirkung Schadensauswirkungen haben können. Auch hier stehen wir — das gilt auch für andere Bereiche — erst am Anfang einer Forschungserkenntnis. Anders gesagt, auch hier gilt, was in vielen Bereichen, gerade in der Umwelt- und Ökologiepolitik gilt: das Maß unserer Erkenntnis ist geringer als die Notwendigkeit zur Entscheidung.Der Kollege Gerlach hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die radioaktive Belastung im Vergleich von Kohle- und Kernkraftwerken näherer Untersuchung bedarf. Auch hier, Kollege Gerlach, rate ich zur Nüchternheit, zur Sachlichkeit und zur sachlichen Richtigkeit. Die vorliegenden Untersuchungen haben eine Schwankungsbreite im Faktor 1 bis 100. Es gibt beispielsweise eine Untersuchung vom Bundesgesundheitsamt aus dem Jahre 1976, die auch die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen einbezieht, also Kernkraftwerke nicht nur als Einzelteile im gesamten Brennstoffkreislauf dieser Betrachtung — —
— Davon spreche ich, Herr Kollege Gerlach. Aber es ist falsch. Wir schätzen uns ja; deswegen bin ich gerne bereit, auf eine Zwischenfrage einzugehen. Es ist falsch und es ist nicht zulässig, den Eindruck zu erwecken, es sei ausreichend, wenn man nicht den gesamten Brennstoffkreislauf, was radioaktive Abgaben angeht, betrachtet, sowohl bei Kohlekraftwerken vom Abbau bis zur Verfeuerung als auch bei Kernkraftwerken von der Urangewinnung an. Da gibt es eine Studie — es gibt auch andere —, die sagt, wenn man die Wiederaufarbeitung mit einbezieht, ist die radioaktive Belastung bei Kernkraftwerken im Normalbetrieb größer als bei Kohlekraftwerken; auch dann — das weist die Studie aus — sei sie nach heutigem Erkenntnisstand nicht gesundheitsschädigend.Ich unterstreiche noch einmal das Problem der medizinischen Radioaktivitätsbelastung. In der Tat ist es so, daß dies in der öffentlichen Diskussion zuwenig beachtet wird. Hier müssen wir als Parlament gemeinsam dafür Sorge tragen, daß sowohl von der Ausbildung der Mediziner her als auch von der Umstellung auf die moderne Technik von Röntgenbildwiedergabesystemen her tatsächlich jene Technik angewandt wird, die dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht und geringere Strahlenbelastungen mit sich bringt. Denn hier liegen die Strahlenbelastungen um ein Vielfaches über dem, was sich durch künstliche, kerntechnisch bedingte Strahlenbelastung ergibt.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Forderung unterstreichen, die wir auch einstimmig — ich begrüße dies - erhoben haben. Es ist notwendig, daß Personen, die regelmäßig Strahlenbelastungen — beruflich bedingt — ausgesetzt sind, einen Strahlenschutzpaß erhalten. Das ist heute noch nicht verbindlich vorgeschrieben. Es ist im Interesse der dort Beschäftigten notwendig. Dies gilt sowohl für diejenigen, die in kerntechnischen Anlagen beschäftigt sind — wir haben das heute im Bereich des Wartungspersonals —, als auch für diejenigen, die vor allem in der Röntgendiagnostik Strahlenbelastungen ausgesetzt sind. Ich hoffe, daß wir eine solche Forderung nach einem Personendosisregister und einem Strahlenschutzpaß etwa nach schweizerischem Vorbild auch bei uns durchsetzen können.Es liegt mir daran, meine Damen und Herren, in dem Katalog der Forderungen ein Weiteres zu betonen.Es gibt Bürger, die trotz allem — und nicht zu Unrecht — Fragen stellen, ob der heutige Erkenntnisstand — ich habe dazu einiges gesagt — ausreicht. Die Bürger sollen wissen, daß wir die Frage nicht nur ernst nehmen, sondern auch auf den parlamentarischen Prüfstand bringen. Wir haben in der Enquete-Kommission „Zukünftige Energiepolitik" gerade zum Problem der Strahlenbelastungen und der radioökologischen Belastungen zusätzliche Gutachten in Auftrag gegeben, weil das in der Wissenschaft teilweise sehr kontrovers diskutiert wird.Einer der Vorbehalte mancher besorgter Bürger wird im folgenden erkennbar. Sie sagen: Ihr weist uns aus, daß es keine erkennbare Zunahme der Zahl der Krebserkrankungen auf Grund radioaktiver Belastungen gebe. Wo habt ihr eigentlich die Bemessungsgrundlage? Wie wollt ihr eigentlich die mögliche Zunahme an Krebserkrankungen beweisen oder definitiv ausschließen können, wenn es kein Krebserkrankungsregister gibt, wenn keine Vergleichsmaßstäbe der Art vorhanden sind, daß eine Aussage möglich ist, wie hoch beispielsweise die Zahl der Krebserkrankungen in einer bestimmten Region vor dem Messungszeitraum gewesen ist?Deswegen — ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren — begrüße ich, daß der Innenausschuß einstimmig die Forderung nach Einführung eines Krebserkrankungsregisters als unerläßlich, nicht nur im Zusammenhang mit der Radioaktivitätsbelastung oder der Belastung durch andere Umweltschadstoffe, erklärt hat.Wir danken der Bundesregierung noch einmal ausdrücklich für die sorgsame, gewissenhafte Arbeit. Auch wir halten es für notwendig, daß der Berichtspflicht innerhalb eines Jahres nachgekommen wird. Ich bedanke mich ebenfalls bei den Kollegen der FDP für die wie üblich an der Sache orientierte Zusammenarbeit, genauso bei den Kollegen von der CDU/CSU, die in diesem Falle auch sachorientiert waren.
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14946 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedaure, daß bei einer in dem Gesamtzusammenhang der Kernenergie doch sehr wichtigen Materie — denn ich glaube, daß Furcht und Besorgnis der Bevölkerung im Hinblick auf die Radioaktivität, die Strahlenbelastung, intensiv vorhanden ist — das Plenum so spärlich besetzt ist. Es sieht ein wenig so aus wie bei einer stochastischen Strahlenwirkung, zufallsabhängig und gestreut.Aber es gibt drei Dinge, über die man keine humorvollen Anmerkungen machen sollte: Das eine ist die Kernenergie, das zweite die Zonenrandförderung und das dritte die Frauenemanzipation. Deswegen möchte ich das damit auch beschließen.Ich meine, daß die Radioaktivität wirklich für denjenigen, der sich mit dieser Materie nicht von Amts wegen — im politischen, im wissenschaftlichen Bereich — befaßt, etwas nicht Erfaßbares, Angsteinflößendes, eben mit unseren Sinnen nicht Erklärbares ist. Wir sehen das auch an dem Bericht von 1977, der bei elf Seiten Text zwei Seiten Erläuterungen brauchte, um die Fachwörter auch denjenigen näherzubringen, die sich mit dieser Materie stärker auseinanderzusetzen versuchen. Allein schon dieser Umfang der Erklärungen, der weit über das hinausgeht, was im wissenschaftlichen Bereich Fußnoten an Platz einzunehmen pflegen, macht deutlich, wie fern diese komplizierte Erläuterung von der verständlichen Sprache ist.Deswegen meine ich, daß wir hier noch stärker als bisher auf größte Offenheit, auf eine klare Position und auch auf einfache Beschreibung dringen müssen, damit der Bürger die Emotionen abbauen kann, damit er verwertbare Infomationen bekommt.Herr Kollege Gerlach, ich meine, Ihre Kritik an dem Umschlagbild des Berichtes ist nicht richtig. Der Bürger verbindet mit Radioaktivität nun einmal in besonderem Maße den Bereich der Kernenergie. Das ist sicher falsch. Wir sollten uns aber nicht vorstellen, daß wir dies mit einem anderem Bild abbauen könnten. Im übrigen wäre zu fragen, ob die Darstellung eines Kohlebrockens — denn wir wissen, selbst wenn die genauen Untersuchungsergebnisse uns noch nicht vorliegen, daß die natürliche Strahlung bei der Kohle wahrscheinlich größer ist als im Falle eines gut gewarteten Kernkraftwerks — von Professor Beuys etwas einprägsamer wäre.Ich meine, daß wir hier um der Klarheit und der Offenheit willen von der Radioaktivität der Kernenergie ausgehen und sie darstellen müssen.Wenn ich den Bericht betrachte, stelle ich fest, daß die Hälfte der „Vorkommnisse beim Umgang mit radioaktiven Stoffen" auf Unachtsamkeit oder — ein bißchen spezifischer formuliert — auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Noch gefährlicher als das Maß der noch ungeklärten Beeinflussung des menschlichen Organismus durch geringe oder größere Mengen an Radioaktivität ist für mich, daß wir auf Grund der menschlichen Urizulänglichkeittrotz aller technischen und wissenschaftlichen Bemühungen, Sicherungen einzubauen, solche Unachtsamkeiten oder Fahrlässigkeiten nicht ausschließen können. Wir können sie beim Transport von radioaktiven Stoffen nicht ausschließen, und wir können sie bei dem Umgang mit technischen Anlagen nicht ausschließen, auch für die Zukunft nicht. Dasselbe gilt übrigens auch für die Abgabe radioaktiver Stoffe in Abwasser oder Abluft.Ich wäre übrigens dankbar, wenn die Bundesregierung in Zukunft auch hier die Fälle nicht nur bei den einzelnen Atomkraftwerken oder kerntechnischen Anlagen, aufführte, sondern zugleich jeweils feststellte — wie sie das auch bei den Vorkommnissen im Umgang mit radioaktiven Stoffen getan hat —, wie diese Abgaben zustande gekommen sind: aus Fahrlässigkeit, aus Unachtsamkeit oder auf Grund technischer Mängel. Ich meine, auch das wäre der Klarheit dienlich.In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf die Frage der Kumulation der Strahlungen eingehen. Herr Kollege Gerlach, Sie haben vorhin die Strahlungen des Fernsehers beschrieben. Auch wenn jemand einen Fernseher in der Nähe eines Kernkraftwerkes betreibt, wird es eine Kumulation geben; er hat dann ein Mehr an Strahlung zu erwarten als das, was für die einzelne Belastung ausgerechnet ist. Wir werden uns unter diesem Gesichtspunkt auch mit der weiteren Herabsetzung der Strahlenbelastung beschäftigen müssen, und zwar nicht nur im Blick auf Wartungsmannschaften, sondern auch im Blick auf alle ständig betroffenen Personen. Der Innenausschuß hat, wie ich meine, zu Recht die Einführung eines Personendosisregisters gefordert.Ich bin der Meinung, daß die medizinische Röntgenuntersuchung erheblich reduziert werden muß. Wir erleben es in den einzelnen Ländern immer wieder, daß aus, wie ich meine, übertriebener medizinscher Vorsorge Röntgenreihenuntersuchungen nicht nur allgemein für die Bevölkerung angeordnet werden, sondern auch bei beruflichen Einstellungen. Ich glaube, man könnte auch mit einer erheblich reduzierten Anwendung dieser im Strahlenschutzbereich ja sehr intensiv wirkenden Gefährdung auskommen.Ein wichtiger Punkt ist schließlich — ich möchte das nur schwerpunktmäßig behandeln — die verstärkte Untersuchung über die langfristigen Folgen kleiner radioaktiver Abgaben. Der Kollege Schäfer hat das mit den 300 Untersuchungen, die ja sehr unterschiedlich ausgefallen sind, schon ausführlich begründet. Ich meine, daß das für uns der wichtigste Punkt sein muß, und zwar auch bezüglich des Vergleichs zwischen natürlicher und, wenn man so will, künstlicher Radioaktivität. Ich habe vor einem Jahr eine Anfrage an die Regierung gerichtet, weil im Zusammenhang mit dem stillgelegten Kernkraftwerk Lingen eine Untersuchung bekannt wurde, die vorgab, daß eine stärkere Häufung von Krebs- und Leukämiefällen aufgetreten sei. Die Regierung konnte aber schlüssig und eindeutig nachweisen, daß diese Untersuchung weder wissenschaftlich noch statistisch irgendeinen Erhebungswert für sich in Anspruch nehmen konnte. Ich glaube daher, daß wir
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14947
Wolfgramm
mit den Werten, die hier vorgetragen worden sind, jedenfalls fürs erste deutlich machen können, daß die Gefahren in dieser Form nicht bestehen.Wir Freien Demokraten nehmen das Problem der Radioaktivität in der Umweltbelastung sehr ernst, gerade weil eben noch nicht alle Wirkungen und Auswirkungen bekannt sind. Deswegen müssen wir die Ergebnisse immer wieder überprüfen und die Schutzverordnungen, wenn wir entsprechende Ergebnisse vorliegen haben, verschärfen.Wir danken der Regierung für die beiden vorgelegten Berichte und bitten sie, die Empfehlungen ernst zu nehmen und sich zu bemühen, die Ergebnisse in die zukünftigen Beratungen einzubringen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1330, die Berichte der Bundesregierung auf den Drucksachen 8/1682 und 8/3119 zur Kenntnis zu nehmen, sowie die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Punkte 23 bis 26 der Tagesordnung auf:
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/93/EWG über Maßnahmen zum Schutz gegen das Verbringen von Schadorganismen der Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse in die Mitgliedstaaten
— Drucksachen 8/3161 Nr. 50, 8/3362 —
Berichterstatter: Abgeordneter Klinker
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3164/76 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
— Drucksachen 8/3162, 8/3365 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dreyer
25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Rechtsschutzversicherung
— Drucksachen 8/3295, 8/3336 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Rapp
26. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Verfahren für die Ausfuhr von Waren
— Drucksachen 8/3296, 8/3337 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Es handelt sich um Beschlußempfehlungen der Ausschüsse zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß wir über die Vorlagen gemeinsam abstimmen? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/3362, 8/3365, 8/3336 und 8/3337. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Müller (Remscheid), Dr. Blüm, Vogt (Düren), Breidbach, Frau Karwatzki, Zink, Link, Berger (Herne), Höpfinger, Katzer, Krampe, Stutzer, Volmer, Löher, Hasinger, Dr. Reimers, Sauer (Salzgitter), Dr. Köhler (Duisburg), Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU Verkürzung der Jubiläumsdienstzeiten (Änderung * 4 LStDV)
— Drucksachen 8/2334, 8/3322 —
Berichterstatter: Abgeordneter Stutzer
Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden.
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stutzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit Blick auf die Uhr möchte ich nicht näher auf die Begründung des Antrags der CDU/CSU eingehen, mit dem eine Änderung des § 4 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung mit dem Ziel beantragt wurde, die Jubiläumsdienstzeiten zu verkürzen und den jetzigen Freibetrag von 1 200 DM bei einem 25jährigen Arbeitnehmerjubiläum maßvoll — ich betone: maßvoll — auf 1 800 DM zu erhöhen. Antrag und Begründung sind der Drucksache 8/2334 zu entnehmen.
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14948 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
StutzerDer Finanzausschuß hat den Antrag am 9. Mai 1979, am 19. September 1979 und am 10. Oktober 1979 beraten. Zu dem bereits im Jahre 1978 von der CDU/CSU gestellten Antrag gab der Vertreter der Bundesregierung in der ersten Ausschußsitzung eine negative Stellungnahme ab.
Er begründete seine ablehnende Haltung unter anderem mit den von der Regierung befürchteten Rückwirkungen auf den öffentlichen Dienst.Nun, meine Damen und Herren, kommt etwas Unglaubliches. Man höre und staune: In den „Finanznachrichten" Nr. 46 steht zu lesen — ich zitiere —:Bundesfinanzminister Hans Matthöfer läßt deshalb entsprechend vielfachen Anregungen von Betriebsräten den Entwurf einer Änderungsverordnung vorbereiten, die steuerfreie Jubiläumszuwendungen bereits beim 35jährigen, 45jährigen und beim 55jährigen Jubiläum ermöglicht.Mit keinem Wort geht der Bundesfinanzminister darauf ein, daß die Verkürzung der Jubiläumsdienstzeiten allein auf eine Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurückzuführen ist.Das führte zu einer Kleinen Anfrage der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Hierzu darf ich auf die Drucksache 8/3300 verweisen. Auch in der Antwort auf diese Anfrage gibt der Bundesfinanzminister nicht zu, daß allein die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit ihrem Antrag ihn veranlaßt hat, die Jubiläumsdienstzeiten zu verkürzen. Das ist, so meine ich, ein einmaliger Vorgang und eine Mißachtung dieses Hohen Hauses.
Nun aber, meine Damen und Herren, zum Verhalten der Koalition. Erst nach längerem Zögern erklärten sich SPD und FDP bereit, den zeitlichen Rahmen den eingetretenen Veränderungen der Arbeitswelt anzupassen, wie es von der CDU/CSU beantragt wurde, und damit den berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer und Betriebe Rechnung zu tragen. Hierbei leistete die FDP anfangs den größten Widerstand. Auch sie fürchtete Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst und meinte im übrigen, daß unser Antrag die Mobilität der Arbeitnehmer nicht fördern würde.Ihre Gegenargumente zeigten wieder einmal, daß die FDP überhaupt nicht weiß, was in den Betrieben los ist. Sonst hätte sie nämlich wissen müssen, daß die Jubiläen im öffentlichen Dienst mit denen, die der CDU/CSU-Antrag anspricht, überhaupt nicht zu vergleichen sind, da es sich hier um eine Treueprämie für eine langjährige Tätigkeit in einem Betrieb handelt, was nämlich beim öffentlichen Dienst nicht der Fall ist.Aber nicht nur bei der FDP, sondern auch bei einigen Kollegen der SPD war eine erschreckende Unwissenheit festzustellen, weil nämlich von dieser Seite behauptet wurde, daß die Jubiläen in Tarifverträgen geregelt seien. Von SPD-Abgeordneten, so meine ich, sollte man eigentlich erwarten, daß sie wissen, daß die Jubiläumsdienstzeiten Inhalt von Betriebsvereinbarungen sind.
Ich verkenne, nicht, daß einige Kollegen der SPD — hierzu gehören z. B. die Kollegen Meinecke und Rohde — das von Anfang an anders und richtig gesehen haben.Um so erstaunter sind wir aber, daß auch diese Kollegen, die als Gewerkschaftsmitglieder die Verhältnisse in den Betrieben eigentlich kennen und daher auch wissen sollten, daß nicht nur viele Betriebsräte, sondern auch die Gewerkschaften und die Arbeitgeberorganisationen darauf hingewiesen haben, daß es mit einer Verkürzung der Jubiläumsdienstzeiten allein nicht getan ist, sondern daß auch die Freibeträge angehoben werden müßten; es abgelehnt haben, der von der CDU/CSU beantragten maßvollen Erhöhung des Freibetrags für das 25jährige Jubiläum zuzustimmen.
Diese Freibeträge sind bereits seit 1950 festgeschrieben worden. 'Schon das ist etwas, was überhaupt kein Arbeitgeber verstehen kann und was nicht gerade für eine arbeitnehmerfreundliche Haltung dieser Bundesregierung, Herr Staatssekretär, spricht.Ich möchte hier nur ein einziges Beispiel nennen. Bei einem 25jährigen Jubiläum haben wir heute ebenso wie 1950 einen Freibetrag von 1 200 DM. Dieser Freibetrag müßte nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums unter Berücksichtigung der seit 1950 erfolgten Preissteigerungen heute_ 2 934 DM betragen. Mit Rücksicht auf die hohe Staatsverschuldung war die CDU/CSU in ihrem Antrag maßvoll, indem sie eine Erhöhung nicht auf 2 934 DM, sondern nur auf 1 800 DM beantragte. Aber selbst diese maßvolle Erhöhung den Arbeitnehmern zuzugestehen waren SPD und FDP nicht bereit.Die Begründung einiger Kollegen der Koalition, daß von einer Erhöhung des Freibetrags nur Arbeitnehmer in Großbetrieben profitieren würden — Sie brauchen nur in Kleinbetriebe oder Mittelbetriebe zu gehen oder aber einmal mit dem DGB zu sprechen, um sich von dem Gegenteil zu überzeugen —, überzeugte ebensowenig wie der Einwand der Bundesregierung, hierdurch werde es zu Steuerausfällen bis zu 80 Millionen DM kommen. Herr Staatssekretär, ich bestreite diese Zahl, die die Bundesregierung auch nicht belegen kann — sie sagt, sie kann es nicht feststellen — und die auch in Widerspruch zu den Argumenten der Koalition steht. Diese sagt nämlich, daß nur verhältnismäßig wenig Arbeitnehmer von den neuen Freibeträgen profitieren würden. Vielleicht nimmt die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, nachher dazu Stellung, ob sie in dem Steuerentlastungspaket, das sie für 1980 diesem Hohen Hause vorlegen will, vorgesehen hat, auch die Freibeträge für Jubiläumszuwendungen zu erhöhen, so wie es der Kollege Huonker im Finanzausschuß bereits angekündigt hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14949
StutzerSie, meine Damen und Herren, werden den Kollegen in den Betrieben eine Antwort geben müssen, warum Sie dem Antrag der CDU/CSU nicht gefolgt sind. Ich meine, Sie werden bei dieser Antwort schlecht aussehen. Sie haben wieder einmal ein Beispiel dafür gegeben, daß Sie nicht die Interessen der Arbeitnehmer vertreten und daß Sie auch nicht bereit sind, den Anregungen der Gewerkschaften und Betriebsräte zu folgen.Dem vorliegenden Beschluß wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im übrigen zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Diederich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung unserer Empfehlung — der Empfehlung des Finanzausschusses — gefolgt ist, Jubiläumsgeschenke anläßlich des 40-, 50- und 60jährigen Jubiläums auch dann steuerfrei zu stellen, wenn sie innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem jeweiligen Jubiläum gezahlt werden.Die Begründung liegt nahe. Die allgemeine Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch Einführung der flexiblen Altersgrenze, durch Verlängerung der Ausbildungszeit und durch vorzeitige Pensionierung aus wirtschaftspolitischen Gründen bringt es mit sich, daß viele Arbeitnehmer, die früher in den Genuß 40-, 50- oder 60jähriger Jubiläen gekommen sind, dies heute nicht mehr haben können. Insofern erhalten wir ihnen diese Möglichkeit.Immerhin verursacht diese kleine Veränderung der Lohnsteuerdurchführungsverordnung Ausfälle von 10 Millionen DM. Wir waren aber der Meinung, daß man dies im gemeinsamen Interesse tun sollte. Wir hoffen, daß der Bundesrat die Vorlage der Bundesregierung — ich weiß nicht, ob das schon beim Bundesrat vorliegt — unverzüglich verabschieden wird.Den darüber hinausgehenden Antrag der Opposition lehnen wir ab, und zwar aus rein finanzwirtschaftlichen Gründen, Herr Kollege Stutzer, wie wir dies auch im Finanzausschuß wiederholt gesagt haben. Immerhin würde die Erhöhung der Steuerfreigrenze bei 25jährigen Jubiläen von 1 200 DM auf 1 800 DM 80 Millionen DM an Steuerausfällen verursachen. Wir sind der Meinung — wir haben diese Debatte ja öfter, aber leider immer zu später Stunde geführt —, daß wir dies sehr wohl sehr sorgfältig mit anderen Dingen aufrechnen sollten, die wir alle gemeinsam machen wollen.
— Herr Schäuble, ich will hier jetzt zwar nicht in die Details gehen, aber so viel steht fest: Wir haben gemeinsam zwei, drei Beratungen im Finanzausschuß gehabt:
Wir haben diese Angaben von der Bundesregierungbekommen, und sie sind von Ihrer Seite unwidersprochen geblieben. Auch der Herr Kollege Stutzer hat hier insoweit nicht widersprochen. Da stehen Sie nun einmal unter Beweiszwang,
wenn Sie nachweisen wollen, daß diese Zahlen, von denen wir gemeinsam ausgegangen sind, weil wir sie gemeinsam akzeptiert haben, nicht den Tatsachen entsprechen.
— Das sind die Zahlen, von denen wir hier ausgegangen sind. —
Wir sehen in letzter Zeit mit sehr großer Sorge, daß die Opposition im Finanzausschuß hinsichtlich der Befürwortung von ausgabefreundlichen Gesetzen geradezu äußerst großzügig ist. Ich denke nur an die gestrige Diskussion über die Notstromaggregate oder an die Diskussion, die wir hier neulich über die Entfernungspauschale geführt haben. Es ist sehr leicht, Dinge, hinsichtlich derer wir in der Sache einig sind, hier immer wieder als Kleingesetze hineinzuschießen, um dann sagen zu können: Abgelehnt worden, abgelehnt worden, abgelehnt worden!
Wir sehen die Dinge nicht nur unter isoliertem Sachaspekt, sondern wir von der Koalition tragen die Verantwortung für das Gleichgewicht im Staatshaushalt.
Wir sind daher der Meinung, daß die vorliegende Problematik auch in großem Zusammenhang zu erwägen ist.Die Beratung dieses Anliegens, Herr Kollege Stutzer, ist übrigens nicht allein von ihnen veranlaßt worden. Sie haben zwar den Antrag vorgelegt — das bestreitet niemand —,
aber ich kann Ihnen gern die vorliegenden Schriftwechsel, die Berichte, Vermerke über die Gespräche in den Betrieben vorlegen, in denen das von den Arbeitnehmern schon seit langer Zeit gefordert wird.
Nur, wir stehen dann auch vorn
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14950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979
Dr. Diederich
und sagen den Arbeitnehmern, mit welchen anderen Anliegen das aufzurechnen ist.
Wir haben — im Gegensatz zu Ihnen — Prioritäten. Sie beweisen hier ja Tag für Tag, daß das, was hier ankommt, bei Ihnen ein großes Sammelsurium, aber keine wohldurchdachte Politik ist.
Wir werden das — ich wiederhole es — im Zusammenhang mit der Beratung des Steuerpakets 1981 im Ausschuß abwägen und dann sehen, ob wir das mit den anderen arbeitnehmerfreundlichen Maßnahmen, die in diesem Steuerpaket sein werden, hinbekommen, ob wir es da machen können. Das ist unsere Politik.Meine Herren, Sie haben hier nun die ganze Zeit dazwischengerufen. Ich darf hier zum Schluß - ich glaube, ich brauche auf die Sachbegründung nicht einzugehen, da wir uns in der Sache, warum das irgendwann einmal notwendig ist, ja gar nicht so uneinig sind —,
Herr Schäuble, etwas zitieren. Ich werde Ihnen die Begründung liefern, warum wir dagegenstimmen. Die Begründung stammt aus Ihrer Fraktion. Ich zitiere:Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie eine so sparsame Opposition wie diese, die dazu noch mehrfach die Bereitschaft signalisiert hat, auch unpopulär scheinende, aber notwendige Maßnahmen mitzutragen.Unpopulär mag es sein, aber notwendig ist es, daß wir Ihre Vorlage hier heute ablehnen. Übrigens, um die Fundstelle zu nennen: Dies haben die Kollegen Pieroth und Langner gestern in einer Erklärung zur Subventionspolitik zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, dieser Satz ist so gültig, daß ich ihn auch hier für diese Debatte übernehmen kann.
Wir lehnen den Antrag ab. Beherzigen Sie den Satz Ihrer Kollegen, und folgen Sie uns jetzt! Dann zeigen Sie Verantwortung. Sie sind ja auch dabei, sich einzuüben, vielleicht in späteren Jahren einmal Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Tun Sie das jetzt und lehnen Sie diese Vorlage mit uns ab! Wir werden sie dann bei der Beratung des Steuerpakets noch einmal mit in die Betrachtung einbeziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Stutzer, Sie haben hier von schrecklicher Unkenntnis gesprochen, und die haben Sie auch noch Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorgeworfen. Ich möchte hier doch einmal feststellen, daß Unkenntnis für Abgeordnete ein nicht unnatürlicher Zustand ist. Im übrigen haben Sie das Plenum mit einer Betriebsversammlung verwechselt. Ich meine, das, was wir hier als Beschlußempfehlung — auch auf Ihre Initiative hin — behandeln und dann in die Gesetzesüberlegungen einbringen wollen, würde doch eine emotionsfreiere Betrachtungsweise verdienen.Meine Fraktion meint, ein praxisnahes Steuerrecht muß geänderten Sachverhalten Rechnung tragen. Geänderte Sachverhalte aber sind dadurch gegeben, daß die Zahl der 40-, 50- und 60jährigen Dienstjubiläen, die man früher kannte, heute kaum erreicht wird. Diese Zahl wird deshalb nicht erreicht, weil das neunte Schuljahr eingeführt wurde, weil wir eine flexible Altersgrenze haben. In diesem Bereich werden wir in Zukunft noch einiges mehr tun. In vielen Gebieten ist schon das zehnte Schuljahr Wirklichkeit geworden. Deswegen stimmen wir der Vorstellung zu, bei 40-, 50- und 60jährigen Arbeitnehmerjubiläen eine Verkürzung in der Weise zu ermöglichen, daß die steuerfreie Auszahlung innerhalb eines Zeitraums von bis zu fünf Jahren vor dem jeweiligen Jubiläum erfolgen kann. Und es spricht für das Bundesfinanzministerium, daß es einer entsprechenden Lohnsteuerdurchführungsverordnung das Wort redet. Ich meine, das setzt auch Signale für die Unternehmen, so zu verfahren und auch schon bei 35- und 45jähriger Dienstzugehörigkeit entsprechende Zuwendungen zu gewähren.Der zweiten Komponente Ihres Antrages, Herr Kollege Stutzer, werden wir nicht zustimmen. Eine Erhöhung des Steuerfreibetrages von 1 200 auf 1 800 DM würde einfach einen zu hohen Steuerausfall mit sich bringen. Zum anderen gibt es auch keinen repräsentativen Überblick über die tarifliche und betriebliche Praxis, der zeigen würde, wieweit der bisherige Freibetrag tatsächlich voll ausgeschöpft wird. Über die tatsächlichen Verhältnisse müßte man erst genauere Zahlen haben. Außerdem haben wir ja die Freibeträge für Zuwendungen bei 40jährigen Jubiläen schon 1978 von 1 800 DM auf 2 400 DM angehoben: Auch da würde ja nach den gemachten Vorschlägen eine Verkürzung um fünf Jahre eintreten.Die Zeit ist vorgerückt, und dies ist die letzte Anmerkung des heutigen Abends. Deswegen möchte ich nur noch sagen, daß die Betriebe etwas Verdienstvolles täten, wenn sie wertvolle Sachgeschenke wieder in den Vordergrund rückten. Dies schafft auch für andere Freuden. Ich jedenfalls erinnere mich mit großem Vergnügen, daß eine goldene Taschenuhr, die meinem Großvater zum 50jährigen Arbeitnehmer-Dienst-Jubiläum überreicht worden ist, dann durch Erbfall an mich übergegangen ist, ohne daß ich so viele Jahre bisher schon aufzuweisen hätte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 189. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1979 14951
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3322 unter Ziffer 1, den Antrag auf Drucksache 8/2334 abzulehnen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?
Diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/3322 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer der Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Entschließung ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 30. November 1979, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.