Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. Juni 1979 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 oder 3 nicht gestellt:Gesetz zur Einführung eines MutterschaftsurlaubsGesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des MutterschutzgesetzesGesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen
Gesetz über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes
Fünftes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
Fünftes Gesetz zur Änderung des BundeswahlgesetzesFünftes Gesetz zur Änderung des UnterhaltssicherungsgesetzesGesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im StädtebaurechtGesetz zu dem Übereinkommen vom 15. Dezember 1975 über das europäische Patent für den Gemeinsamen MarktGesetz über das Gemeinschaftspatent und zur Änderung patentrechtlicher Vorschriften
Gesetz zum Vertrag vom 9. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Autobahnzusammenschluß im Raum Basel und Weil am RheinIn seiner Sitzung am 22. Juni 1979 hat der Bundesrat ferner beschlossen, demGesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes
nicht zuzustimmen. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3015 verteilt.In derselben Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, hinsichtlich der nachstehenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß angerufen wird:Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer GesetzeGesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der GewerbeordnungGesetz zur Änderung dienstrechtlicher VorschriftenSeine Schreiben werden als Drucksachen 8/3011, 8/3012, 8/3013 und 8/3014 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 21. Juni 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Spranger, Berger , Regenspurger, Dr. Miltner, Röhner, Volmer, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Broll, Krey, Dr. Langguth, Dr. Laufs und der Fraktion der CDU/CSU betr. Dienstpostenbewertung und Zuordnung der Funktionen zu den Ämtern — Drucksache 8/2916 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3008 verteilt.
Überraschend erreichte uns die Nachricht vom Tode des saarländischen Ministerpräsidenten Franz Josef Röder. Er starb plötzlich in den gestrigen Morgenstunden. Ein Herzversagen setzte kurz vor seinem 70. Geburtstag seinem Leben ein Ende. Noch am Vortage stand er mitten in der Verantwortung seiner politischen Arbeit.Franz Josef Röder wurde am 22. Juli 1909 als Sohn eines Seminardirektors in Merzig im Saarland geboren. Er besuchte das Humanistische Gymnasium in St. Wendel und studierte anschließend in Freiburg im Breisgau, Innsbruck und Münster Latein, romanische Sprachen und Geographie. 1935 wurde er Studienassessor und war. von 1937 bis 1945 im Auslandsschuldienst tätig, ab 1940 als Lehrer an der deutschen Schule in Den Haag. Nachdem er mehrere Jahre als Leiter des Sprachendienstes und als Chefdolmetscher bei der Generaldirektion der Deutschen Eisenbahn in Speyer gearbeitet hatte, kehrte er 1948 in den höheren Schuldienst zurück. Er wirkte zuletzt als Oberstudiendirektor am Realgymnasium in Dillingen.Noch während der Zeit, als das Saarland kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland war und die Parteien dort verboten waren, schloß sich Franz Josef Röder der illegal tätigen CDU-Saar an. Er war seit den ersten freien Landtagswahlen im Jahre 1955 Mitglied der CDU-Fraktion des Saarländischen Landtags. Er erwarb sich bleibende Verdienste bei der Ablehnung des Saarstatuts und für die Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland. In dieser Zeit war der Verstorbene auch stellvertretendes Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates. Als überzeugter Europäer lag ihm die Freundschaft mit unserem französischen Nachbarn ganz besonders am Herzen. Die Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen hat er maßgeblich mitgetragen. Mit der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1957 wurde Franz Josef Röder auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Er blieb es allerdings nur bis zum Oktober jenen Jahres, weil er sich den Aufgaben der Landespolitik zuwenden wollte. Noch im gleichen Jahre, 1957, wurde er Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung. Dieses Amt bekleidete er bis 1965. Am 30. April 1959 wurde er als Nachfolger des tödlich verunglückten Egon Reinert
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12968 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Präsident StücklenMinisterpräsident des Saarlandes. Als Präsident des Bundesrates 1959 und 1969 hat er mit viel Einfühlungsvermögen und Würde die Bundesrepublik Deutschland bei wichtigen Anlässen repräsentiert.Franz Josef Röder war ein überzeugter Anhänger des bundesstaatlichen Prinzips. Vor dem Bundesrat stellte er dessen Vorzüge in einer vielbeachteten Rede heraus. Er sagte:Der bundesstaatliche Charakter der Bundesrepublik Deutschland hat das organische Hineinwachsen des Saarlandes als eines neuen Gliedstaates sehr gefördert. Die Unterschiedlichkeiten in der Staatspraxis, die wirtschaftlichen und sozialen Besonderheiten des Saarlandes können in der föderativen Ordnung unseres Staatswesens besser und im Interesse unserer Bevölkerung sinnvoller gewahrt bleiben, als dies in einem zentralistischen Einheitsstaat der Fall gewesen wäre.Franz Josef Röder ist die schwierige Aufgabe gelungen, nach der politischen Integration auch die wirtschaftliche Eingliederung des Saarlandes erfolgreich zu vollenden. Dabei gelang es ihm auch, Verständnis für gewisse Sonderstellungen des Saarlandes im. Verhältnis zu Frankreich zu erreichen. Während seiner 20jährigen Amtszeit, die ihn zum dienstältesten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deurtschland werden ließ, gewann er über die Grenzen des Saarlandes hinaus großes Vertrauen. Als Landesvater war er sehr beliebt und von der Bevölkerung überall anerkannt. Auch der politische Gegner hat ihm die Anerkennung nie versagt. Er hatte Freunde in allen Parteien und Fraktionen.Im Namen des Deutschen Bundestages spreche ich der Familie des Verstorbenen, der Regierung des Saarlandes, der saarländischen Bevölkerung und der Christlich Demokratischen Union Deutschlands unser Mitgefühl aus. — Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich — so ist das Leben — einem Geburtskind des Deutschen Bundestages, Herrn Kollegen Mattick, die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 71. Geburtstag im Namen des Hauses zu übermitteln. Alles Gute und Gesundheit!
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 1978 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages— Drucksachen 8/2625, 8/2986 — Berichterstatter: Abgeordnete Ernesti, HornWünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort?
— Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Krone-Appuhn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung wurde dem Herrn Wehrbeauftragten für seinen klaren und nichts beschönigenden Bericht gedankt. Ich möchte das im Namen der CDU/ CSU-Fraktion nachdrücklich wiederholen und Sie, sehr verehrter Herr Wehrbeauftragter, bitten, im Rahmen dieser Debatte zu Ihrem Bericht noch einmal dás Wort zu ergreifen.In der Berichterstattung über die Verteidigungspolitik haben wir in den letzten Jahren in erster Linie Abrüstungsverhandlungen, das Kräfteverhältnis Ost-West, Rüstungs- und damit verbundene Finanzprobleme und neue Waffensysteme gelesen. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß durch den Bericht des Herrn Wehrbeauftragten endlich einmal der Mensch in den Streitkräften in den Vordergrund der Diskussion gerückt ist. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, die besten und teuersten Waffensysteme, die allen Anforderungen einer modernen Kriegführung entsprechen und damit die Abschreckung gewährleisten, die uns den Frieden garantiert, nützen nichts, wenn der Mensch, der diese Waffensysteme zu beherrschen hat, das Gefühl hat, mißachtet zu werden, verplant zu sein, ohne sich wehren zu können, und, wie der Generalinspekteur es ausgedrückt hat, in bestimmten sozialpolitischen Positionen 80 Jahre hinter den heute allgemein anerkannten sozialen Errungenschaften hinterherhinkt.
Hier reicht es auch nicht, wenn man — à la Bericht der „Koordinierungsgruppe soziale Maßnahmen der Bundeswehr" — nur eine Bestandsaufnahme macht, sondern die Probleme, die sowohl die Bundeswehr als auch die Bevölkerung beunruhigen, müssen angesprochen werden.Wir sind uns interfraktionell darüber einig, daß die Bundeswehr keine Armee von Barbaren ist, die Soldaten wie Söldner der Fremdenlegion behandelt; noch ist sie eine Armee von Trinkern, die ihre Dienstpflicht nicht mehr erfüllen kann.
Trotzdem fragen besorgte Eltern und auch Wehrpflichtige, die demnächst eingezogen werden, dank der überzogenen Presseberichte, was denn nun eigentlich an den Überschreitungen stimmt, Presseberichte, die schlagzeilensüchtig das herausgegriffen haben, was im Bericht des Herrn Wehrbeauftragten als besonders negativ auffiel.Lassen Sie mich deswegen zunächst einmal die Grundrechtsverletzungen ansprechen, deren geringe Anzahl, wie das Bundesverteidigungsministerium mit Recht betont, nicht für eine allgemeine Verschlechterung der Situation spricht, die aber dennoch von uns hinterfragt werden müssen, um künftig Vorkommnisse der geschilderten Art überhaupt zu verhindern.Mit der Aufstellung der Bundeswehr wurde erstmals auch ein systematischer Rechtsunterricht eingeführt, der nach 20jähriger Zeit überdacht und den neuen Erfordernissen angepaßt werden muß. In der Vergangenheit kam es in der Praxis der Rechtsan-
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Frau Krone-AppuhnWendungen immer wieder zu Schwierigkeiten, weil das Bundesverteidigungsministerium nur Rahmenrichtlinien erließ und in den verschiedenen Ausbildungsgängen unterschiedliche Rechtsauffassungen und Rechtsmeinungen vertreten wurden. Die so entstandene Rechtsunsicherheit kann nur durch eine für den gesamten Rechtsunterricht zuständige zentrale Einrichtung beseitigt werden. Wir sollten die Rechtslehrer nach wiè vor der Dienstaufsicht der leitenden Rechtsberater der Ämter unterstellen, die Fachaufsicht aber einem Inspizienten für den Rechtsunterricht übertragen. Dieser hat darauf hinzuwirken, daß in allen drei Teilstreitkräften und im Territorialheer Rechtsunterricht nach einheitlichen Kriterien betrieben wird und eine einheitliche Rechtsaussage erfolgt. Das ist jedoch nur gewährleistet, wenn ihm ein Inspektionsrecht für die Durchführung des Rechtsunterrichts eingeräumt wird und er die Möglichkeit hat, Rechtslehrer auch bezüglich ihrer pädagogischen Qualifikation zu überprüfen.Der Herr Wehrbeauftragte hat recht, wenn er in seinem Bericht darauf hinweist, daß eine vertiefte Rechtsausbildung Rechtsbewußtsein weckt und damit Rechtsverletzungen vorbeugt.Bezüglich der Aufnahmeriten bei bestimmten Waffengattungen, die die körperliche Unversehrtheit oft in hohem Maße gefährden, gesundheitsschädlich sind oder die Menschenwürde verletzen, sollten wir einmal grundsätzlich überlegen, ob es berechtigt ist, solche sogenannten Einführungszeremonien einfach zu untersagen.Ich möchte das am aufgezeigten Fall der Pioniertruppe darstellen. Es handelt sich dabei um einen alten Spaß, mit dem viele Generationen von Soldaten vom Rekruten zum Pionier geschlagen wurden. Der traurige Fall des Schwerverletzten Soldaten zeigt, daß dieser Ulk außerordentlich gefährlich sein kann. Trotzdem sollte man anstelle eines Verbotes der „Pioniertaufe" einen besseren Ersatz für die Aufnahme in die Gemeinschaft einführen. Dieses könnte z. B. eine sportliche Übung sein. Eine Schlauchbootfahrt mit militärischen Einlagen wäre sinnvoll; sie bildet aus, sie fördert die Kameradschaft. Am Ende steht die Aufnahme in den Kreis der Pioniere durch den Kommandeur und die Anerkennung der gezeigten Leistungen.Es ist gar keine Frage, daß Alkoholgenuß während der Dienstzeit Ordnung und Disziplin gefährdet. Der geschilderte Fall des betrunkenen Kompaniechefs fordert die Frage nach der Dienstaufsicht durch den Kommandeur geradezu heraus. Warum gab es hier keine einschneidende Disziplinarmaßnahme? Alkoholiker sind sofort aus der Truppe zu entfernen, zu Entziehungskuren zu entsenden und, falls diese erfolglos sind, aus der Truppe zu entlassen.Der angeprangerte übermäßige Alkoholgenuß in der Truppe könnte aber auch dadurch verursacht sein, daß die militärischen Führer nicht in der Lage sind, die Soldaten intensiv genug und sinnvoll zu beschäftigen. Bei Truppenbesuchen kann man immer wieder feststellen, mit welcher Begeisterung die Soldaten an Gefechtsausbildungen und Nachtübungen teilnehmen. Andererseits sitzen sie gelangweilt im vorgeschriebenen politischen Unterricht, weil dieser nicht nach neuesten pädagogischen Erkenntnissen durchgeführt wird. Fragt man dann die Kommandeure, ob nicht mehr sportliche Übungen und Gefechtsausbildungen den Korpsgeist stärken und die Motivation der Soldaten verbessern würden, wird uneingeschränkt mit Ja geantwortet, allerdings darauf verwjesen, daß Übungsmunition für solche militärischen Veranstaltungen fehlt.Ersten ist hier im Interesse der militärischen Ausbildung dringend Abhilfe geboten.
Zweitens sollte man einmal darüber nachdenken, ob in der Bundeswehr nicht analog zu dem, was die amerikanische Armee hier in Deutschland tut, zur sinnvollen Beschäftigung der Soldaten in der Freizeit und während der Bereitschaft Hobbygruppen geschaffen, Wettbewerbe veranstaltet und den Soldaten z. B. Autowerkstätten auf dem Kasernengelände zur Verfügung gestellt werden sollten, so daß sie unter Anleitung und Mithilfe eines Kfz-Mechanikers, der normalerweise bei jeder Einheit vorhanden ist, abends ihre Autos pflegen und reparieren können, statt vor dem Fernseher zu sitzen oder zu trinken. Das heißt, die Soldaten brauchen insgesamt Hilfe zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung.Steigender Alkoholkonsum kann aber auch ein Zeichen dafür sein, daß innerhalb der Bundeswehr eine Identitätskrise besteht, die auf mangelnde Innere Führung zurückzuführen ist. Das berühmte existentielle Vakuum, das auch im zivilen Bereich in der jungen Generation anzutreffen ist, wurde durch eine permanente Kritik an allen Grundwerten, ohne neue Zielvorstellungen zu setzen, hervorgerufen.
Es wird eine wichtige Aufgabe für den lebenskundlichen Unterricht sein, hier Koordinatensysteme anzubieten, die dem Soldaten Hilfe zur Selbstfindung geben.Der Bundesminister der Verteidigung erklärt in seinem Kommentar zum Bericht des Wehrbeauftragten, daß es für den Soldaten im Grundwehrdienst mit Vorrang um die Aufgabe gehe, daß alle militärischen Vorgesetzten den Sinn des Dienstes in den Streitkräften so erklären und jeden Soldaten den Besitz von Freiheit und Recht im Dienst so erleben lassen, daß er die Verteidigungswürdigkeit unserer grundgesetzlichen Ordnung aus eigener Erfahrung einsehen kann.Der Kollege Ernesti hat in der Debatte am 18. Mai bereits darauf hingewiesen, daß die Schule für Innere Führung der Bundeswehr ausgezehrt worden sei. Die personelle Ausstattung und die Infrastruktur der Schule für Innere Führung reichten zur Zeit nicht aus, die militärischen Führer in die Lage zu versetzen, dem Soldaten die Einsicht in die Wichtigkeit seiner Aufgabe zu vermitteln.Wenn allerdings Sie, Herr Fraktionsvorsitzender Wehner, die berechtigte Kritik des Kollegen Ernesti auf der sicherheitspolitischen Informationstagung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in Bre-
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Frau Krone-Appuhnmen am 19. Mai mit einer gewissen Betrübnis als lauter Fliegenschisse bezeichnen,
dann muß ich hier die Frage stellen, ob Ihnen die Innere Führung ein wirkliches Anliegen ist.
Schon zeichnen sich nämlich in Reden und Stellungnahmen von Mitgliedern der SPD Tendenzen ab, die mit ihrem militärischen Auftrag verbundene besondere Organisation der Bundeswehr, das Dienst- und Treueverhältnis und die Fürsorgepflicht durch ein völlig anderes Konzept ablösen zu lassen. Z. B. wurde bei einem Grußwort auf einer Bereichsversammlung des Deutschen Bundeswehrverbandes von einem Sozialdemokraten der Soldat mit Arbeitnehmern gleichgestellt und Mitbestimmung für alle Soldaten gefordert.
Neuerdings hört man häufig auch die Forderung nach Humanisierung der Arbeitswelt in der Bundeswehr. Sie, sehr verehrter Herr Kollege Wehner, wissen sicher noch sehr genau, was aus der Sowjetarmee geworden ist, nachdem Marschall Tuchatschewskij ermordet und die unbedingte Gleichheit aller Soldaten eingeführt worden war: Im finnischen Winterkrieg stellte man fest, daß man ohne hierarchischen Aufbau und klare Führungsstrukturen nicht auskommt.Die CDU/CSU-Fraktion wird sich mit Vehemenz gegen alle Versuche wehren, den Aufbau der Bundeswehr durch Gleichmacherei und Mitbestimmung zu zerstören, weil wir wissen, daß sie dann ihrem militärischen Auftrag nicht mehr gerecht werden kann.
Bereits am 12. Februar 1970 hatte der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt erklärt, es müsse sehr viel mehr als bisher Wert auf die Fürsorge für den Soldaten und auch für den Unteroffizier gelegt werden. Am 2. November 1978 erklärte Herr Verteidigungsminister Apel, Sozialdemokraten rückten die sozialen Belange der Streitkräfte in den Vordergrund. Außerdem erklärte der derzeitige Minister der Verteidigung sowohl auf der sicherheitspolitischen Tagung am 26. August 1978 in Kassel als auch auf der 23. Kommandeurtagung auf Borkum, daß er sich um die menschliche Seite in den Streitkräften bemühen werde. Acht Jahre immer wieder freundliche Beteuerungen und Versprechungen, so daß Soldaten heute schon auf die Idee kommen, die Bundeswehr als eine Armee der Hoffnung zu bezeichnen.
In Wirklichkeit ist die Personalsituation sowohl quantitativ als auch psychologisch mit Sorge zu beurteilen.Erstens. Bataillonskommandeure haben nur noch geringe Aussicht — auch nach langer Stehzeit —, auf einen höherwertigen Dienstposten nach A 15 versetzt zu werden.Zweitens. Die Situation bei den Hauptleuten ist bekannt. Die Masse versieht ihren Dienst wie eh und je ordentlich. Es muß jedoch festgestellt werden, daß mehr und mehr von ihnen bemüht sind, ihren Bereich mit einem Minimum an Aufwand so zu führen, daß es ihnen keine Schwierigkeiten einbringt. Das Engagement schwindet; das Klima wird frostiger; die Tendenz, Führung auf Administration zu reduzieren, steigt.
Zugführer waren bisher die Träger der Ausbildung. Sie stehen aber in immer geringerem Umfang zur Verfügung, weil sie trotz nahezu vollem Stellenplan als studierte Offiziere noch zirka ein Jahr lang auf militärische Lehrgänge müssen und dann erst noch Erfahrungen sammeln müssen, ehe sie voll zur Verfügung stehen. Die Feldwebel wiederum fallen für längere Zeiten durch Lehrgänge der Fortbildungsstufe A aus.Dies alles führt dazu, daß der praktische Dienst nur durch einige wenige aufrechterhalten wird, deren Dienstzeitbelastung in der Tat enorm hoch ist.
Von diesen guten Leuten versuchen etliche, wegen dieser Belastungen auszuscheiden. So haben z. B. bei einem Panzerbataillon zwei Kompaniefeldwebel die Entlassung beantragt, und zwei weitere Feldwebel haben Antrag auf Umwandlung ihres Dienstverhältnisses, d. h. Verkürzung, gestellt. Dabei treten vermehrt Fälle von Hauptleuten wie von Kompaniefeldwebeln auf, die sich gerade vor belastenden Zeiten wie Übungen oder Truppenübungsplatzaufenthalten krankmelden. Die Dienstzeit beträgt in einem Brigadebereich im Durchschnitt etwa 50 Stunden pro Woche. Dies ist auch erforderlich, um das Ausbildungsziel zu erreichen und bei den zahlreichen Inspizierungen und Überprüfungen bestehen zu können.Ob hier ein finanzieller Ausgleich etwas bewirken kann, ist nicht so sicher. Wichtiger erscheint, einiges in Angriff zu nehmen, was im Atmosphärischen liegt. So sollte man z. B. Übungen von Freitag bis Dienstag tunlichst nicht mehr durchführen. Man sollte überhaupt die Wochenenden der Familie belassen, wann immer dies möglich ist. Die vorgesehenen Stoffpläne — Gesamtausbildungsplan, genannt GAP — müssen von zentraler Stelle entrümpelt werden, wobei zwar wünschenwerte, aber nicht zwingend gebotene Ausbildungsteile zu eliminieren wären. Die Schere zwischen F-STAN und StellenIst muß geschlossen werden, um gerade bei Unteroffizieren die entstehenden Lasten auf möglichst viele Schultern verteilen zu können.Darüber hinaus sollte jeder Vorgesetzte angehalten werden, so wenig Unruhe wie möglich zu produzieren.
Haben Sie sich einmal, sehr verehrter Herr Minister Apel, vorlegen lassen, was im Laufe eines Jahres an Ubungsvorhaben auf Bataillone, Brigaden und Divisionen zukommt? Haben Sie einmal nachvollzogen, daß allein aus Übungsvorhaben dieser drei Verbände bzw. Großverbände, rechnet man die beiden
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Frau Krone-AppuhnSommermonate und den Weihnachtsmonat ab, pro Monat ein Übungsvorhaben auf die Basis zukommt? Dabei zähle ich die Sondervorhaben wie Wettbewerbe, Sportveranstaltungen und Alarmübungen mit der jeweiligen Vor- und Nachbereitung gar nicht mit.Zu all diesen dienstlichen Belastungen kommen auf die Soldaten auch Belastungen im persönlichen Bereich zu, die es sonst in keiner Institution unserer Gesellschaft gibt.
Mehr als 24 000 Soldatenfamilien müssen jährlich auf Grund einer Versetzung ihren Wohnort wechseln. Es steht zu befürchten, daß die geplanten Strukturmaßnahmen der Streitkräfte das Versetzungskarussell in den nächsten Jahren verstärkt in Gang setzen werden. Bereits jetzt erfolgen Versetzungen in größerem Umfang, ohne daß damit irgendeine Förderung des betroffenen Soldaten verbunden ist.Nicht grundlos hat die deutsche Ärzteschaft vor den Versetzungsfolgen gewarnt und die Erfahrungen bestätigt, die auch in der wissenschaftlichen Untersuchung von Frau Dr. Gisela Gerber über die familienindividuelle Mobilität und deren Problematik für Kinder zutage getreten sind. Danach sollen Kinder mindestens fünf Jahre an einem Ort bleiben und in bestimmten Altersstufen ihre vertraute Umgebung möglichst überhaupt nicht verlassen.
Moderne Streitkräfte können auf Mobilität der Soldaten nicht verzichten; das wissen wir sehr genau. Deshalb sind Versetzungen in bestimmtem Umfang unabdingbar. Die zur Zeit zu verzeichnende Versetzungshäufigkeit könnte jedoch nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion reduziert werden, wenn zumindest folgende Aspekte berücksichtigt würden:Erstens. Über organisatorische und planerische Maßnahmen der Streitkräfte darf erst entschieden werden, wenn vorab eine Abstimmung mit der Personalführung über die personellen Konsequenzen dieser Maßnahmen erfolgt ist, wobei das Ziel einer geringstmöglichen Anzahl von Versetzungen verfolgt werden muß.Zweitens. Dienstlich notwendige Versetzungen müssen rechtzeitig, mindestens ein Jahr vorher, dem betroffenen Soldaten angekündigt werden, um ihm und seiner Familie hinreichend Gelegenheit für notwendige Dispositionen zu geben.Drittens. Die Versetzungstermine der Soldaten sind möglichst den Zeitpunkten der Schulabschlüsse anzupassen, um einen möglichst glatten Schulwechsel zu ermöglichen.Außerdem geht es um eine Milderung der sozialen Folgen von Versetzungen. Sofern Versetzungen unvermeidbar sind, muß das soziale Umfeld so geordnet werden, daß ein Wechsel mit so wenig Reibungsverlusten wie möglich verbunden ist.Häufig ist lediglich ein Ausgleich über das Trennungsgeld möglich. Die CDU/CSU hält es nach wie vor für das geringere Übel, die Trennung der Familie in Kauf zu nehmen, als Kindern die Zukunft zu verbauen. Ich brauche wohl nicht weiter auszuführen, welche Auswirkungen häufiger Schulwechsel, der Wechsel der Ausbildungsplätze auf die Berufschancen eines Kindes hat. Ich nehme hierzu auf die oben zitierten Ausführungen der deutschen Ärzteschaft Bezug.Die langjährigen Bemühungen des Deutschen Bundeswehrverbandes, die sozialen Folgen häufiger Versetzungen durch ein flexibleres Reise- und Umzugskostenrecht abzumildern, sind nunmehr auch vom Bundesminister der Verteidigung aufgegriffen worden.Es geht um folgende Maßnahmen, für die ich um Ihre Unterstützung bitte: Verlängerung der Frist für die Zahlung des Trennungsgeldes von derzeit einem Jahr auf zwei Jahre — die derzeitige Regelung entspricht z. B. überhaupt nicht der Situation der reformierten Oberstufe der Gymnasien —, die Zahlung von Trennungsgeld bis zum Ende des laufenden Schuljahres, in gewisser Weise auch Anerkennung der Berufstätigkeit der Ehefrau als Umzugshinderungsgrund.Insgesamt ist zu sagen: Das internationale Jahr des Kindes muß auch für Soldatenkinder wirksam werden. Wenn das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in seinem Diskussionspapier den Zigeunerkindern einen ausführlichen Bericht widmet, geht es nicht an, daß die Führung des Bundesministeriums der Verteidigung gleichzeitig aus den Kindern ihrer Soldaten „Zigeunerkinder" macht, die unverschämterweise von Lehrern gelegentlich auch so bezeichnet werden, und deren Zukunftschancen dadurch verbaut, daß man Versetzungen ohne Rücksicht auf die Belange der Familie vornimmt.
Frau Abgeordnete Krone-Appuhn, Sie haben eingangs Ihrer Ausführungen davon gesprochen, daß Sie erwarten, daß der Wehrbeauftragte das Wort nimmt. Soll das als ein Antrag verstanden werden?
— Als ein Antrag nach § 116 c der Geschäftsordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Nagel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der 20. Bericht, den ein Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages vorgelegt hat. Er hat in der ersten Debattenrunde insbesondere von Ihnen, Herr Kollege Ernesti, an die Adresse des Bundesministers der Verteidigung gerichtet, eine Abqualifizierung erfahren, die dem, was Auftrag dés Wehrbeauftragten und Inhalt seines Berichtes ist, nicht gerecht wird.Nun ist es ja das gute Recht der Opposition, sich kritisch mit dem auseinanderzusetzen, was die Poli-
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Nageltik des Bundesministers der Verteidigung oder der Regierung überhaupt ist.
In den 60 Punkten, die hier aufgeführt sind, sind eine Vielzahl von Themen angesprochen, über die in den Ausschußberatungen zu einem großen Teil Einvernehmen bestanden hat. Um so verwunderlicher ist es, daß hier Töne zu hören waren, die sich ganz anders als das anhören, was in den Ausschußsitzungen vorgetragen worden ist.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, eine kurze Vorbemerkung machen, bevor ich zu den Punkten zurückkomme, zu denen ich zu sprechen habe. Der Obmann der Arbeitsgruppe „Sicherheit" der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hat in einer Stellungnahme erklärt: Sicherheitspolitik ist nicht nur Verteidigungsfähigkeit durch moderne Waffen und Entspannungsbemühungen; Sicherheitspolitik beinhaltet auch, daß in unserer Republik eine Armee diese Verteidigungsfähigkeit garantiert, deren Angehörige ein Höchstmaß an moderner Menschenführung erleben.Zur Erläuterung dessen, was man an Verständnis braucht, wenn man über ein solches Gebilde wie die Bundeswehr und über das, was sich darin vollzieht, urteilt, ist — auch weil es sich um Menschen handelt, die mit hochmodernem Gerät umzugehen haben — in Erinnerung zu rufen, was Professor Kremer von der Technischen Hochschule in Karlsruhe einmal mit dem Satz skizzierte: Die Zeit, in der wir leben, ist eine Übergangsphase von einer nahezu 6 000 Jahre stabil verlaufenen Menschheitsepoche, die wir „Kultur" nennen, hin zu einer in hohem Maße von der Kraftmaschine und der Meß- und Regeltechnik bestimmten Zivilisationsstufe, die noch keinen Namen hat.Ein solcher Zustand, der ein ständiges Umlernen und Umdenken mit sich bringt, führt zwangsläufig auch zu gewissen Verunsicherungen. Hinzu kommt — jetzt wieder bezogen auf das Gebilde Bundeswehr, in der 500 000 Soldaten und rund .170 000 Zivilbedienstete tätig sind —, daß ein solches Gebilde nicht ohne Reibungsverluste geführt werden kann. Das bedingt natürlich auch ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen einerseits und andererseits, daß diejenigen, denen Führungsaufgaben übertragen sind, das notwendige Quantum an Führungsqualitäten mitbringen, um die Reibungsverluste auf einem Minimum zu halten. Dennoch hat sich — so steht es im Bericht des Wehrbeauftragten — gezeigt, daß eine ganze Reihe von Vorgängen, die zu Beanstandungen führten, vorgekommen sind; mit denen hat er sich auseinandergesetzt und dem Ausschuß, dem Ministerium und dem Parlament Empfehlungen gegeben, wie solche Unebenheiten künftighin vermieden werden sollen.In Kapitel 3.5.5 — wohl der schönste Teil im Bericht des Wehrbeauftragten, weil er die Überschriften „Urlaub" und „Sonderurlaub" trägt —
wird zunächst einmal darauf verwiesen, daß ein gewisses Unverständnis festzustellen war, wenn esdarum ging, Sonderurlaub zu gewähren. Der Wehrbeauftragte hat dann einige Beispiele dafür angeführt; u. a. erfordere die Prüfung, ob Sonderurlaub aus persönlichen Gründen gewährt werden kann, ein sachgerechtes Abwägen der persönlichen Belange und der dienstlichen Notwendigkeiten. Soweit ist das alles in Ordnung. Dann heißt es:Gelegentlich fließen in ablehnende Entscheidungen jedoch Überlegungen ein, die weder einer rechtlichen Prüfung standhalten noch mit der Inneren Führung in Einklang zu bringen sind.Dann wird ein Beispiel dafür gegeben:Einem Soldaten, der noch etwa acht Monate zu dienen hatte, wurde Sonderurlaub zur Vorstellung bei einem möglichen späteren Arbeitgeber mit der Begründung verweigert, der Soldat hätte noch eine verhältnismäßig lange Restdienstzeit.Die Schlußfolgerung, die der Wehrbeauftragte daraus gezogen hat, nämlich sich da etwas beweglicher zu zeigen, trifft den Kern. Dieses Begehren wird auch von uns unterstrichen. Nur möchte ich an diesem Punkte anfügen — und das hängt auch mit der Ausbildung der Führungskräfte zusammen —, daß auch in der Bundeswehr gilt, was in der freien Wirtschaft von jedem Betriebsrat und von jedem, der Führungsfunktionen dort hat, verlangt wird, nämlich daß er einen Tarifvertrag lesen und ihn deuten kann, ohne daß es für jede Passage eines Tarifvertrags einer sogenannten authentischen Interpretation bedarf.
Übertragen auf die Bundeswehr heißt das, daß die- jenigen, die Führungsfunktionen haben, natürlich auch mit dem müssen umgehen können, was an Verordnungen und Gesetzen und ihren Bereich unmittelbar betrifft. Ich will nicht sagen, daß sie das auswendig können müssen, aber sie müssen das zumindest lesen können und wissen, wo etwas steht, wenn man eine Entscheidung treffen soll und man in einem Zustand lebt: Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich kränken?
Dann muß man mal in die Unterlagen hineinschauen, um richtig zu deuten, beweglich zu sein und um auch etwas von der Wärme spüren zu lassen, die von einem Vorgesetzten ausgehen muß gegenüber denjenigen, die er zu führen sich entschlossen hat.
— Ich sage immer, Kollege Wörner, oft macht der Ton die Musik. Es kommt darauf an, wie ein Vorgesetzter seinen — ich gebrauche das Wort ungern — „Untergebenen" begegnet. Jeder spürt wohl, ob von ihm auch ein Stückchen Wärme, Verständnis für das Begehren des anderen ausgeht,
ob man Vertrauen zueinander haben kann, was letztlich auch wieder das Klima in einer Truppe oder in einem Betrieb bestimmt und dazu beiträgt, die der Truppe — oder wem auch immer — gestellte Aufgabe unkompliziert zu lösen, weil nicht immer Dro-
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Nagelhungen oder nachteilige Vermutungen damit verbunden sind.In diesem Punkte also sollte Wert darauf gelegt werden, daß künftighin diejenigen, die führen sollen, noch mehr mit dem vertraut gemacht werden, was an Richtlinien, Gesetzen oder sonstigen Vorschriften zu beachten ist, damit solche Fehlbeurteilungen und Abweisungen, die dann wieder korrigiert werden müssen, unterbleiben.Nun möchte ich zu einem anderen Kapitel in diesem Bericht kommen, dem der Dienstbefreiung. Meine Damen und Herren, ich rede nicht von dem, was auf Seite 22 des Berichts über die Teilnahme an Karnevalsveranstaltungen und die Dienstbefreiung an solchen Tagen gesagt ist.
— Das gehört natürlich auch dazu. — Ich spreche zu jenem Teil, der auch in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zum Bericht des Wehrbeauftragten aufgegriffen wurde. Der Wehrbeauftragte schreibt:Nach meinem Dafürhalten sollten jedoch bei Anlässen, die von regionalem Brauchtum und örtlichen Gepflogenheiten bestimmt sind, im Interesse aller Soldaten an einem Standort — auch bei unterschiedlichen Unterstellungsverhältnissen — örtlich möglichst einheitliche Regelungen erfolgen.Im Zusammenhang mit der Dienstbefreiung wird also abgehoben auf das regionale Brauchtum und die örtlichen Gepflogenheiten, die je nach Standort einer Einheit unterschiedlich sind. Da sollte man künftighin möglichst beweglicher verfahren und darauf Rücksicht nehmen.In der Kommentierung seitens des Ministeriums wird dazu gesagt:Die Auffassung des Wehrbeauftragten wird geteilt, daß immer dann, wenn die dienstlichen Erfordernisse es zulassen, Dienstbefreiung aus besonderem Anlaß für alle Soldaten am Standort einheitlich geregelt werden sollte. Eine entsprechende Weisung . . . ist an die Standortältesten ergangen.Solange keine sonstigen negativen Erfahrungen vorliegen, sollte man zunächst einmal abwarten, was aus dieser Anweisung an die Standortältesten wird. Man wird sicherlich darauf zurückkommen müssen. Ich meine, man sollte, natürlich unter Berücksichtigung der dienstlichen Obliegenheiten, etwas mehr auf das Begehren, aus Gründen des Brauchtums und der örtlichen Gepflogenheiten Dienstbefreiung zu bekommen, eingehen.Meine Damen und Herren, nun zu dem Kapitel „Ausgleich für zusätzlich geleistete Dienste". Wir haben uns im Verteidigungsausschuß darüber verschiedentlich unterhalten. Es sind auch Empfehlungen dazu gegeben worden. Ich möchte hierzu eine Bemerkung anschließen, von der ich meine, daß wir uns damit im Verteidigungsausschuß oder wo auch immer einmal ernsthaft auseinandersetzen müssen.Ich bin der festen Überzeugung, daß die, ich sage einmal: Überstunden, die über das zumutbare Maß dienstlicher Beanspruchung hinaus anfallen, oft eine Folge mangelnder Organisation innerhalb der Truppe oder eines Dienstbereiches sind und nur deswewegen notwendig werden. Mir scheint, daß von denjenigen, die in der Truppe Dispositionen treffen, die Aufgaben-, Tätigkeits- und Funktionsplanung nicht mit dem notwendigen Ernst beachtet wird, wer zu welchem Zeitpunkt und wo zur Dienstverrichtung eingeteilt wird. Dabei kommen oft Stunden zusammen, die im Grunde genommen bei jedem vernünftig Denkenden und im besonderen denjenigen, die die 35-Stunden-Woche europäisch geregelt wissen wollen, auf Unverständnis stoßen. Man wird also, denke ich, bei den Entscheidungen, welche Tätigkeiten zu welchen Zeiten anzuordnen sind, sorgfältiger als bisher überlegen müssen, was notwendig ist. Wenn dies gründlicher gemacht wird, ergibt sich meiner Auffassung nach schon daraus eine Teillösung des Problems, mit dem sich das Parlament und seine Fachausschüsse im Augenblick herumschlagen, des Problems nämlich, wie dieser zusätzlich geleistete Dienst entgolten werden kann. Darüber gibt es ja die sonderbarsten Vorstellungen. Ich denke, das, was der Wehrbeauftragte in diesem Zusammenhang gesagt hat, kann unterstrichen werden. Das BMVg hat in seiner Erklärung dazu natürlich auch von dem erforderlichen Ermessens- und Entscheidungsspielraum, der zu belassen ist, gesprochen und hat auf die besonderen Schwierigkeiten hingewiesen, die dann entstehen, wenn Einsatzbereitschaft rund um die Uhr notwendig wird. Es hat sich dabei als Beispiel natürlich einen Bereich herausgesucht, in dem das Problem besonders gravierend auftritt, nämlich den Bereich der Luftverteidigung und der Flugkörperverbände, in dem zur Zeit Spitzenbelastungen von teilweise mehr als 70 Wochenstunden registriert werden.Nunmehr komme ich zu einem anderen Kapitel, zu den Fürsorgeangelegenheiten. Meine Damen und Herren, ich bin dem Wehrbeauftragten ganz besonders dankbar dafür, daß die Einleitung seines Kapitels „Fürsorgeangelegenheiten" unter 3.6 mit den Worten beginnt:Der Rechtsstaat im Sinne unseres Grundgesetzes gründet auf der Würde des Menschen. Sie ist höchste Norm unseres Verfassungsrechts, sie bedarf individueller Freiheit und sozialer Sicherheit. Unser Rechtsstaat muß deshalb notwendigerweise auch Sozialstaat sein. Die in der Verfassung enthaltenen Grundrechte gehen von einem Freiheitsbedürfnis aus, das verknüpft ist mit der Verantwortung des einzelnen für sich selbst. Sozialstaatliches Wirken kann deshalb nicht unbegrenzt ausgedehnt werden, will es nicht die Grenze zur freiheitsgefährenden Bevormundung überschreiten. Jeder, der mehr soziale Vor- und Fürsorge fordert, muß— ein ganz wichtiger Satz in diesem Kapitel —in Kauf nehmen, daß der Staat — will er nicht auf das „Gießkannenprinzip" ausweichen — sich durch Kontrolle und Eingriffe in die Privatsphäre Kenntnis von den persönlichen Ver-12974 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 1E3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979Nagelhältnissen des Leistungsempfängers verschafft, die um so tiefer gehen, je mehr die Leistungen den individuellen Bedürfnissen der Begünstigten gerecht werden sollen. Leistungen des Sozialstaates sind deshalb so zu begrenzen, daß sie nicht die die Freiheit bedingende Selbstverantwortung des einzelnen — des mündigen Bürgers — erlahmen lassen, sondern sie sogar stärken. Auch Fürsorge- und Betreuungsmaßnahmen in der Bundeswehr sind diesen Anforderungen unterworfen, wobei den besonderen Gegebenheiten der Streitkräfte Rechnung zu tragen ist.Meine Damen und Herren, diesen Feststellungen des Wehrbeauftragten haben wir Sozialdemokraten nichts hinzuzufügen, weil sie sich mit dem decken, was wir an sozialpolitischer Konzeption entwickelt haben und was wir dem einzelnen für seinen Verantwortungsbereich auch meinen zumuten zu können. Deswegen ist der Stellungnahme, die das Bundesministerium der Verteidigung dazu abgegeben hat, auch nichts hinzuzufügen, denn sie teilt ja im wesentlichen diese Auffassung.Ein Kapitel, das sehr umstritten ist — da sind wir alle ja, wie Sie wissen, noch nicht ganz einer Meinung —, ist das Kapitel „Wehrsold". Ob und gegebenenfalls wann da wieder einmal eine Regulierung vorgenommen wird, kann ja im Augenblick nicht verbindlich gesagt werden. Aber ich bin der Auffassung, man kann der Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung beitreten, daß es kein Zurück mehr zu einer halbmonatlichen Auszahlung des Wehrsolds geben kann. Wer volljährig ist und ein ganzer Mann sein will, muß sich wohl auch gefallen lassen, daß man ihm zumutet, daß er mit dem ihm für den ganzen Monat ausgezahlten Wehrsold haushalten kann. Auch als es anders geregelt war, hat es im übrigen die Fälle gegeben, daß Schulden gemacht wurden, und das würde auch nicht aufhören, wenn man auf die halbmonatliche Zahlung zurückkäme.Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen; die rote Lampe leuchtet schon auf. Schön, nicht, Herr Dr. Wörner? „Die rote Lampe leuchtet"!
Herr Abgeordneter, bringen Sie diese rote Lampe nicht in ein schiefes Licht.
Zu dem Kapitel „Wohnungsfürsorge" möchte ich noch einige wenige Bemerkungen machen. Die zum Teil miserablen Zustände in den Unterkünften sind hier ausführlich beschrieben; ich möchte nur hinzufügen, daß Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, nicht nur mit dem notwendigen Nachdruck aufgegriffen und verfolgt werden sollten, sondern daß die Mißstände auch beseitigt werden sollten. Dafür sollte sich nicht nur das Parlament, sondern auch das Ministerium entsprechend stark machen.
Dem, was zu dem Kapitel „Wohnungsfürsorge" gesagt worden ist, und dem was der Herr Wehrbeauftragte dazu vorgetragen hat, ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Da heißt es, die Wohnungsfürsorge soll im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach dem Soldatengesetz solchen Bundeswehrangehörigen und ihren Familien, die wegen Wohnungsmangels am Dienstort usw. noch nicht oder nur unzureichend mit Wohnraum versorgt sind, bei der Bereitstellung einer entsprechenden Wohnung behilflich sein. Ich muß dazu sagen, daß Soldaten genauso wie jeder andere das Recht und das Bedürfnis haben, anständig untergebracht zu sein. Nur, auch Rom ist ja, wie wir wissen, nicht an einem Tag gebaut worden. Aber wenn da nahezu 200 000 Wohnungen zur Verfügung stehen, kann das ja auch bedeuten, daß es 200 000 Wünsche gibt. Auf diesem Gebiet werden zwar große Anstrengungen gemacht, aber sie reichen meines Erachtens nicht aus, um das, was der Wehrbeauftragte in seinem Bericht als Wunsch und Empfehlung zum Ausdruck gebracht hat, zu verwirklichen. Deswegen, meine ich, sollten wir an die Kollegen des Haushaltsausschusses die unüberhörbare Bitte richten, zu überlegen, ob nicht anders, als bisher programmiert, Mittel für diesen Bereich bereitgestellt werden können, um das, was der Wehrbeauftragte dazu gesagt hat und was die Bundeswehr und ihre Angehörigen als erforderlich bezeichnen, zu erfüllen.Ich will mich mit dem Mietzins und der Wohnungsvergabe und dem, was in diesem Zusammenhang noch hier drinsteht, mit dem Trennungsgeld, dem Wehrdienstbeschädigungsverfahren, der sozialen Sicherung ehemaliger Soldaten bei Arbeitslosigkeit, ihrer Wiedereingliederung, mit der Behandlung ihrer Anträge, auf Zeit übernommen werden, usw. nicht groß auseinandersetzen, weil dies — ich glaube, darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit — im Verteidigungsausschuß bereits des öfteren behandelt und auch die Notwendigkeit erkannt worden ist, daß den Beanstandungen Rechnung zu tragen ist; der Ausschuß wird sich mit Sicherheit in den nächsten Monaten noch intensiv damit beschäftigen.Nur noch eine kleine und damit abschließende Bemerkung dazu. Ich bitte, den Bericht des Wehrbeauftragten in einem engen Zusammenhang mit dem zu sehen, was von der Koordinierungsgruppe „Sozialmaßnahmen der Bundeswehr" in einer dicken Broschüre gesagt worden ist, die nahezu 165 Seiten umfaßt.
— Wissen Sie, Herr Kollege Würzbach, auf die Dicke kommt es ja nicht an; entscheidend ist, was da drinsteht, und da steht eine ganze Menge drin.
— Nein, da steht, Herr Kollege Würzbach, eine ganze Menge drin.
Sie werden gar nicht bestreiten können, daß einigesvon dem, was hier an Empfehlungen ausgesprochen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 12975
Nagelworden ist, mittlerweile schon seine Erfüllung gefunden hat. Auch Dinge, die im Bericht des Wehrbeauftragten zur Regelung empfohlen wurden, sind mittlerweile erledigt.
Aber Sie rennen bei uns Sozialdemokraten offene Türen ein, wenn es darum geht, das zu verwirklichen, was dort an Schönem empfohlen und anders zu regeln vorgeschlagen ist. Da sind wir mit von der Partie, da lassen wir uns von Ihnen auch gar nicht übertrumpfen.Nur, wenn dieses Papier — ich denke, nach den Sommerferien — noch einmal ausführlich beraten wird — damit Sie sich nicht an dem Umfang stören, Herr Kollege Würzbach —, sollten wir gleichzeitig prüfen, was aus dem von Ihnen, Herr Kollege Ernesti, und auch von uns dem Wehrbeauftragten und dem Bundesminister der Verteidigung aufgegebenen Auftrag geworden ist, und fragen, was von den vielen Dingen in diesem Katalog bereits erledigt ist, damit wir abchecken können und einen Überblick bekommen, was erfüllt ist und was nicht erfüllt ist.Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich über einige Dinge im Eiltempo habe hinweggehen müssen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An den Beginn meiner Ausführungen möchte ich anläßlich des 20jährigen Bestehens der Institution des Wehrbeauftragten einen Glückwunsch und einen Dank an den derzeitigen Wehrbeauftragten, seine Vorgänger und die derzeitigen und früheren Mitarbeiter im Amt des Wehrbeauftragten stellen.
Die Einrichtung des Wehrbeauftragten hat sich bewährt. Der vorliegende Bericht mit seinen zahlreichen guten Anregungen und hilfreichen Warnungen ist ein weiterer Beweis für diese Tatsache. Es ist zu hoffen, daß die nun schon seit Langem geplante Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes bald abgeschlossen werden kann. Die wichtige Aufgabe des Wehrbeauftragten könnte dann von ihm noch effektiver versehen werden.Im vorliegenden Bericht haben für uns besondere Bedeutung die Aussage, daß der Wehrbeauftragte im Jahre 1978 mehr als in vorangegangenen Berichtszeiträumen von gewichtigen Grundrechtsverletzungen Kenntnis erhielt, und die Aussage, daß Fehler im Führungsverhalten und eine Minderung von Disziplin und Ordnung durch übermäßigen Alkoholgenuß begünstigt wurden. Beide Aussagen stehen im Zusammenhang. Von großem Gewicht ist für uns auch der Abschnitt seines Berichts, in dem sich der Wehrbeauftragte zum Grundsätzlichen der Inneren Führung äußert. Hierauf möchte ich im zweiten Teil meiner Ausführungen eingehen. Zu Fragen der sozialen Lage und des Personalwesens wird mein Kollege Ludewig sprechen.Wir als Freie Demokraten nehmen es sehr ernst, wenn dem Wehrbeauftragten in diesem Berichtszeitraum mehr schwerwiegende Grundrechtsverletzungen zur Kenntnis gelangt sind, als das im vorausgegangenen Jahr der Fall war. Wir nehmen es sehr ernst, wenn auch in diesem Jahr wieder gravierende Fehler im Führungsverhalten unterliefen. Wir haben andererseits mit Freude zur Kenntnis genommen, daß der Bundesminister der Verteidigung mit Zahlen belegen konnte, daß die im Bericht aufgeführten Grundrechtsverletzungen sowie die Führungsfehler und Disziplingefährdungen nach übermäßigem Alkoholgenuß in der Tat nicht den Schluß auf eine Verschlechterung insgesamt zulassen und daß die Vorgesetzten in nahezu allen Fällen angemessen reagiert haben. Es ist zu hoffen, daß die Tatsachen das falsche Bild wieder zurechtrücken, das in der Öffentlichkeit durch einseitige Berichterstattung entstanden ist.Zum Thema Alkoholkonsum in der Bundeswehr möchte ich sagen: Ich nehme an, daß er dort im Schnitt vermutlich nicht sehr viel höher ist als in den Redaktionen von Zeitungen und Nachrichtenmagazinen.
Alkoholkonsum ist meines Erachtens ein gesellschaftliches Problem, dem man weder mit pauschalen Diffamierungen noch mit Gartenlaubenidyllen — so kam mir das vorhin doch vor, Frau Kollegin Krone-Appuhn —,
sondern nur mit Aufklärung und Menschenführung begegnen kann.
— Es hat gerade noch gefehlt, daß die Opposition sagt, Herr Kollege Kittelmann, schuld habe natürlich die Regierung. Es wäre auch zu schön, wenn es einmal anders wäre.Wir begrüßen, daß der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme erklärt, daß er mit der von ihm veröffentlichten Statistik keine Verharmlosung der Probleme bezweckt.Wir begrüßen auch, daß er deutlich sieht, daß hier jeder Einzelfall von Verletzung der Menschenwürde für sich gesehen werden muß und sein Gewicht in der Mißachtung von Grundnormen unserer Verfassung liegt. Wie der Bundesminister der Verteidigung meinen auch wir, daß derlei Vorkommnisse die Bereitschaft junger Menschen gefährden, ihre Wehrpflicht abzuleisten oder freiwillig in der Bundeswehr zu dienen. Dies gilt auch für den Einfluß der Eltern, deren besorgte Reaktion auf die Veröffentlichungen solcher Grundrechtsverletzungen in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zum Wehrbeauftragtenbericht beschrieben worden ist.
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12976 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
MöllemannAlle Vorfälle unterstreichen nachhaltig die Berechtigung der Forderung nach einer Verlängerung und Verbesserung der Unteroffiziersausbildung vor allem dort, wo es um die Befähigung zur Menschenführung geht.
Wir unterstreichen diese Forderung erneut. Hier muß aber nicht nur bei Unteroffizieren, sondern beim Führungsnachwuchs überhaupt mehr getan werden. Alle hier zur Debatte stehenden Vorkommnisse unterstreichen nachhaltig die Forderung des Wehrbeauftragten — ich zitiere —, daß die Vorgesetzten „das eigene, an den Normvorstellungen unserer Verfassung sich orientierende Rechtsempfinden zu schärfen und durch Beispiel die Untergebenen hierfür zu sensibilisieren" haben.Sie unterstreichen auch die Richtigkeit der Forderungen, die wir zu Anfang dieser Legislaturperiode gestellt haben. Wir haben damals gesagt — ich zitiere —:Die Innere Führung muß verbessert werden. Entgegen den Auffassungen des Wehrbeauftragten— das sind die damals proklamierten Auffassungen des Wehrbeauftragten, die mittlerweile korrigiert worden sind —weist die Innere Führung in Theorie und Praxis noch erhebliche Mißstände auf. Menschenführung und Fürsorge in der Bundeswehr leiden unter einem immer stärker um sich greifenden Spezialisten- und Funktionärstum. Der Mensch wird Mittel zum Zweck. Verbessert werden muß der Führungsstil durch mehr Delegation, um Entscheidungsfreude, Verantwortungsbereitschaft und geistige Mobilität zu erhöhen. Jede Möglichkeit der Mitgestaltung der Soldaten aller Ebenen— aller Dienstgradgruppen —muß genutzt werden. Das Betriebsklima muß verbessert werden durch stärkeres Hervorheben der Menschenführung. Dies erfordert eine Führerauswahl, welche die Fähigkeiten und Kenntnisse in Fürsorge, Menschenführung und politischer Bildung stärker berücksichtigt. Dies muß auch für die Beurteilungen der Führer gelten.Eingeführt werden müssen partnerschaftliche Unterrichtsmethoden und die Verwirklichung der in der Zentralen Dienstvorschrift 12/1 geforderten zeitgemäßen Lernziele und Lerninhalte. Diese müssen die Notwendigkeit des Verteidigungsauftrages zwar in den Mittelpunkt stellen, aber auch die Notwendigkeit der Fortsetzung der Entspannungspolitik betonen. Die Schule für Innere Führung muß moralisch, personell und organisatorisch stärker unterstützt werden. Die Besuche von Lehrgängen für Innere Führung und politische Bildung für Kommandeure und Einheitsführer müssen obligatorisch werden.Das war ein Zitat aus dem Arbeitsprogramm unserer Fraktion 1976. Ich glaube, wenn wir die Lageanalyse des Wehrbeauftragten heute mit dem vergleichen, was wir seinerzeit gefordert haben, wird jeder sagen, daß das damals eine richtige Bewertung war.Der Soldat der Bundeswehr muß willens und bereit sein, das Recht und die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen. Die Innere Führung soll den Soldaten zur Verteidigung unseres freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens führen, indem sie ihn Recht, Freiheit, Fürsorge und Betreuung ebenso wie die anderen Freiheiten des Grundgesetzes im höchstmöglichen Ausmaß im Dienstalltag erleben läßt. Wenn der Soldat seinen Auftrag versteht, wird die Verteidigungsbereitschaft und damit auch die Abschreckung glaubwürdig sein.Die Opposition hat damals, als wir das vorgetragen haben, gesagt, das seien keine wirklichen Sorgen. Ich finde es ohnehin sehr interessant, daß Kollegen von der Opposition über das Thema Innere Führung reden. Zwar kann ich mir das über Inneres noch vorstellen, aber hinsichtlich der Führung habe ich Zweifel. Im übrigen glaube ich nach der Rede . der Kollegin Krone-Appuhn, der ich in einigen Punkten zustimme, allmählich dem Gerücht, daß es bei Ihnen eine Zentrale Dienstvorschrift 1/1 für Parlamentsreden gibt: Parlamentsreden werden vom engeren Fraktionsvorstand der CDU/CSU- Fraktion — das ist der mit 45 Personen — nur genehmigt, wenn Herbert Wehner mindestens dreimal beschimpft wird.
Das wurde vorhin wieder recht deutlich.Wir waren und sind der Auffassung, daß es wenig sinnvoll ist, die Probleme der Inneren Führung dadurch lösen zu wollen, daß man nur Teilprobleme, z. B. Bürokratisierung, in Angriff nimmt. Wir gingen dabei davon aus, daß die Bürokratie am wenigsten zur Lösung der Probleme der Inneren Führung geeignet ist. Das gilt jedenfalls für diejenigen in der Bürokratie, die diese Probleme selbst geschaffen haben. Wir haben deshalb gefordert, eine Kommission unter einem Sonderbeauftragten für Innere Führung einzusetzen. Wir bedauern, daß dieser Vorschlag nicht akzeptiert wurde. Wir begrüßen hingegen, daß eine Bestandsaufnahme der Inneren Führung vorgenommen worden ist.Ein großer Teil der von uns gestellten, vorhin zitierten Forderungen wurde in den vom Bundesminister der Verteidigung inzwischen ergriffenen Verbesserungsmaßnahmen berücksichtigt. Die Beurteilung des inneren Gefüges der Streitkräfte durch die Führungsstäbe, die Erkenntnisse des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr sowie sozialwissenschaftliche Untersuchungen waren u. a. Anstoß für die Einsetzung der „Kommission zur Stärkung der Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung in der Bundeswehr", für den neuen Auftrag an die Schule für Innere Führung der Bundes-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 12977
Möllemannwehr, für den Auftrag an das Militärgeschichtliche Forschungsamt, für die Berücksichtigung von Fragen der Inneren Führung bei der Wehr- und Heeresstrukturreform, für die Neuordnung der Ausbildung für Offiziere und Unteroffiziere und für die Wiederaufnahme der Informationstagungen mit Mannschaften, Unteroffizieren, Einheitsführern und Kommandeuren.Es ist etwas weiteres, sehr wesentliches geschehen: Unserer immer wieder erhobenen Forderung entsprechend sind nun endlich qualifizierte Offiziere an den Schalthebeln der Inneren Führung: Schließlich begrüßen wir es auch, daß der Bundesminister der Verteidigung in der ersten Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten angekündigt hat, daß er nach der Sommerpause ein Konzept zur Verbesserung der Unteroffiziersausbildung vorlegen werde.
— Herr Kollege Würzbach, wenn wir von Maßnahmen sprechen, meinen wir immer Maßnahmen, die wir zügig ergreifen. Es ist also diese Sommerpause gemeint. Entscheidungen schnell zu treffen, das ist eines der Prinzipien der Menschenführung, der Tätigkeit eines Verantwortlichen in der Bundeswehr.Das alles sind also richtige Maßnahmen, deren Erfolg noch abgewartet werden muß und deren Entwicklung wir konstruktiv-kritisch begleiten werden. Lassen Sie mich daher schon jetzt einige Bemerkungen dazu anbringen. Die Schule für Innere Führung muß ausreichend mit Wissenschaftlern ausgestattet sein; das ist zur Zeit nicht der Fall. So, steht für den Auftrag, Feldforschung zu betreiben, kein wissenschaftliches Personal zur Verfügung. Den im Zusammenhang mit der Schule für Innere Führung vom Wehrbeauftragten in seinem Jahresbericht 1978 unterbreiteten Vorschlägen schließen wir uns an, so vor allem den Forderungen nach Lehrpersonal, welches die Innere Führung sachkundig und engagiert vertreten kann, nach dem — teilweise schon verwirklichten — geistigen Verbund des sogenannten geistigen Zentrums der Schule für Innere Führung mit den anderen Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungsstätten im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, nach der Aufgabe von Teilstreitkraft-Egoismen und vor allem nach engagiertem und überzeugtem Einsatz der militärischen und politischen Führung der Bundeswehr bei der Durchsetzung der Konzeption der Schule für Innere Führung. Wenn das Militärgeschichtliche Forschungsamt den Auftrag erhalten hat, die Ausbeute der allgemeinen und militärgeschichtlichen Forschung so aufzubereiten, daß sie für den praktischen Gebrauch in der Truppe geeignet ist, so begrüßen wir dies nachhaltig.Meine Damen und Herren, das alles sind Fortschritte, die wir nicht unterschätzen sollten. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, daß es noch erhebliche Defizite gibt. Ich meine damit nicht jene Mängel, die in der Inneren Führung immer bestehen werden — grundsätzlich, aber auch z. B. vor dem Hintergrund der Unerfahrenheit junger Ausbilder —, weil deren Ziele als Hochziele aufzufassen sind. Ich spreche vielmehr jene Defizite an, die aus mangelndem Verständnis von Innerer Führung, mangelndem Willen zur Annahme und damit zum Praktizieren von Innerer Führung resultieren.Der Wehrbeauftragte stellt in seinem Bericht fest, daß die Innere Führung von den Soldaten im wesentlichen angenommen worden sei. Das Bundesministerium der Verteidigung bemerkt im gleichen Zusammenhang — ich zitiere —:Während es in der Anfangszeit darauf ankam, die theoretischen und gesetzlichen Grundlagen der Inneren Führung zu schaffen, durchzusetzen und in der Öffentlichkeit darzustellen, ging es später vorrangig darum, mit Blick in die Zukunft das Konzept für die Anwendung in der Truppe umzusetzen. Heute sollen vor allem Hilfen für die geistige Durchdringung des Konzeptes und die Verbesserung praktischen Führungs- und Ausbildungsverhaltens gegeben werden.Wir sind aber nicht der Auffassung, daß man die Verhältnisse so pauschal beschreiben kann. Wir betrachten die Situation ein wenig differenzierter und kritischer. Zwar verkennen auch wir die positive Seite der Bilanz nicht: Der Primat der Politik ist gesichert und in der Bundeswehr unumstritten. Die Bundeswehr ist von der Gesellschaft angenommen. Die Bundeswehr ist als funktionsfähige Armee geachtet. Die theoretischen und gesetzlichen Grundlagen der Inneren Führung sind gelegt. Innere Führung hat in jedem Fall nicht mehr die Funktion eines Legitimierungskonzepts zu erfüllen, eine Funktion, die ihr in den Jahren des Entstehens der Bundeswehr durch die damaligen Verhältnisse zugewachsen ist.Das Verhältnis der Bundeswehrangehörigen zur Gesellschaft hat sich entkrampft. Das Gefühl, unverstanden und abgekapselt zu sein, und die daraus resultierende Abwehrhaltung sind geschwunden. Der Rechtsschutz unserer Soldaten ist besser als in jeder anderen Armee der Welt. Aber Innere Führung ist eben mehr als nur eine Rechtsschutzkonzeption. Die Zeiten der Grashey und Karst sind ja wohl hoffentlich Vergangenheit. Nach langen Jahren des offenen Kampfes auch führender Soldaten gegen die Innere Führung sind die Widersacher ruhiger geworden. Das erste unter sozialliberaler Regierung erschienene Weißbuch hat deutlich gemacht — ich zitiere —: Das Grundgesetz hat die Bundeswehr demokratisch fundiert. Es hat ... das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform verbindlich gemacht. Und weiter: Wer die Grundsätze der Inneren Führung ablehnt, taugt nicht zum Vorgesetzten unserer Soldaten.Dennoch, daß das Konzept im allgemeinen angenommen, daß es durchgesetzt sei, davon kann so pauschal nicht die Rede sein. Ich nenne hier zur Untermauerung meiner Behauptung nur die Analyse der Jugendoffiziere der Bundeswehr zum Zustand der Inneren Führung, die ich schon in der ersten Lesung zitiert habe, oder die Widerstände, die
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12978 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Möllemannes an den Hochschulen der Bundeswehr und an vielen anderen Stellen der Bundeswehr gegen das Anleitstudium, ja gegen das Integrationskonzept der Hochschulen der Bundeswehr überhaupt gibt. Als ich das letztemal hier die Studie der Jugendoffiziere angesprochen habe, habe ich noch ganz fröhlich gesagt, ich freute mich, daß solchen, die eine solche Analyse erstellten, heute ja keine Schwierigkeiten mehr daraus erwachsen würden, etwa wegen Nichteinhaltens des Dienstweges. Wie mir mittlerweile bekanntgeworden ist, ist das ein viel zu fröhlicher Optimismus gewesen. Ich wäre wirklich dankbar, wenn wir von Innerer Führung in diesem Zusammenhang auch in dem Sinne redeten, daß Vorgesetzten, denen noch nicht ganz klar ist, daß die Erstellung einer Studie Abhilfe schaffen kann, dies einmal verdeutlicht wird.Ich rate dem, der sich unserer Meinung bei dieser Bewertung nicht anschließen kann, dazu, einmal in der Bundeswehr Gespräche zum Konzept der Inneren Führung aufzunehmen. Sie werden feststellen, daß das Konzept in seiner ganzen Tragweite eben doch noch nicht erkannt oder noch nicht angenommen ist. Es herrschen also, wenn auch keineswegs durchgehend, noch immer mangelnde Klarheit und mangelnde Bereitschaft zur geistigen Durchsetzung, Umsetzung und Annahme des Reformkonzepts sowie Verengung des Konzepts auf Recht und Rechtsanwendung oder auf Menschenführung im herkömmlich verstandenen Sinne oder mangelnde geistige Aufarbeitung der Traditionsfrage und mangelnde Erkenntnis, daß Tradition heute nur auf das vom Grundgesetz gewollte Normen- und Wertsystem bezogen sein kann.Dies alles ist unseres Erachtens darauf zurückzuführen, daß man in der Bundeswehr unmittelbar nach den hoffnungsvollen Ansätzen des Jahres 1970 kaum noch nennenswerte Anstrengungen zur geistigen Durchdringung und Durchsetzung des Konzepts der Inneren Führung unternahm. Diskussion und Überzeugungsarbeit, die man richtigerweise zu einem Leitsatz der Inneren Führung erhoben hatte, fanden zur Durchsetzung des Grundkonzepts nicht statt. Im Gegenteil, es wurde Denkpause befohlen. Es hieß: Innere Führung wird nicht diskutiert, sondern praktiziert. Praktiziert wurde allerdings eher ein Abbau von Innerer Führung. Zu dieser Zeit begann beispielsweise auch der Niedergang der Schule für Innere Führung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Würzbach? — Bitte.
Meinen Sie nicht, Kollege Möllemann, daß Sie nicht nur einigen Politikern, die damals Verantwortung trugen, sondern einer ganzen Generation von Offizieren unserer Bundeswehr damals, die auch heute noch Dienst tun, kräftig dadurch Unrecht tun, daß Sie über Innere Führung und Grundrechte erst ab 1969 oder 1970 zu reden beginnen?
Da müßte ich mich sehr mißverständlich ausgedrückt haben. Ich habe von dem Reformkonzept der Inneren Führung und seiner Anwendung gesprochen und mich dabei auf die Darstellung im Weißbuch 1970 bezogen. Ich habe nicht behauptet, daß vor 1970 Grundrechte in der Bundeswehr nicht praktiziert worden seien.Aus diesem auch schon vom ehemaligen Wehrbeauftragten Fritz-Rudolf Schultz geschilderten Mangel an geistiger Verarbeitung des Konzepts versuchte man, Innere Führung erneut zu verengen, um sie in den Griff zu bekommen. Wieder tauchten und tauchen die Schlagworte auf, nach denen Innere Führung doch eigentlich nur ein schlechtes Wort für eine gute alte Sache, nämlich für eine harte, aber gerechte und fürsorgliche Menschenführung sei.Es ist deshalb sehr richtig und begrüßenswert, wenn es in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zum Wehrbeauftragtenbericht 1978 heißt, daß es nun um die Hilfe für die geistige Durchdringung des Konzepts und um die Verbesserung praktischen Führungs- und Ausbildungsverhaltens geht. Wir haben solche Erkenntnisse lange Zeit vermißt. Aber gleichzeitig müssen eben große Anstrengungen unternommen werden, um das Konzept politisch und von den jeweiligen militärischen Vorgesetzten aus durchzusetzen, wo es noch nicht angenommen worden ist. Im übrigen scheint mir das geistige Durchdringen eines Konzepts auch in gewisser Weise Voraussetzung für seine Annahme zu sein.Was ist nun notwendig, damit das Konzept der Inneren Führung in seinem ganzen Umfang geistig durchdrungen, angenommen und umgesetzt wird? Ich nenne hier nur einige Schwerpunkte ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Jene Gebiete, auf denen Maßnahmen vom Bundesministerium der Verteidigung bereits ergriffen worden sind, und jene, die hier bereits ausführlich besprochen wurden, behandle ich nicht mehr, z. B. den gesamten von der de-Maizière-Kommission in Angriff genommenen Komplex der Führungsfragen, den Komplex der Bürokratie oder etwa den Komplex der Unteroffiziersausbildung.Notwendig erscheint uns: Der Wille der Bundeswehrführung, Innere Führung auf allen Ebenen durchzusetzen, muß so deutlich bleiben, wie es zur Zeit der Fall ist. Wer beweist, daß er das Prinzip der Inneren Führung geistig verarbeitet hat und willens sowie fähig ist, es in die Praxis umzusetzen, sollte bei der Vorgesetzten-Auswahl den Vorzug bekommen. Die Beurteilungsbestimmungen müssen entsprechend geändert werden. Die derzeitige Bestimmung, nach der die gebundene Beschreibung nur durch eine zusätzliche kurze freie Beschreibung ergänzt werden kann, reicht nicht aus. Die freie Beschreibung muß in diesem Punkt obligatorisch werden.
Innere Führung hat auch ein nicht zu unterschätzendes organisatorisches Element. Der Wehrbeauftragte sagt in seinem Bericht:
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MöllemannInnere Führung will Organistions- undKommunikationsformen entwickeln, die den einzelnen Menschen als verantwortliche, eigenständige Größe und als Wert in sich selbst herausstellen und stärken; hierdurch erst wird zeitgemäße Menschenführung ermöglicht.Die derzeitigen organisatorischen Gegebenheiten stellen sich der Verwirklichung dieser Forderungen aber geradezu in den Weg. Block- und Ergänzungsausbildung reißen die kleinen Gruppen ständig auseinander. Alle drei Monate ändern die kleinen Gruppen ihre Zusammensetzung. Damit fehlt nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für wirksame Menschenführung, sondern auch für die Motivation des Soldaten, gute Leistungen zu vollbringen.
— Herr Kollege, ich behaupte ja gar nicht, daß wir ganz allein alle Weisheit für uns gepachtet haben. Bestimmte Dinge sind auch dann richtig, wenn Sie sie sagen. Also ich würde es nicht davon abhängig machen, ob auch Sie diese Erkenntnisse haben.Hiermit in engem Zusammenhang steht auch die zeitliche Überlastung aller Vorgesetzten, die ihnen kaum erlaubt, ihrem Fürsorgeauftrag gegenüber dem Mitarbeiter nachzukommen, sich seiner Sorgen und Nöte anzunehmen, die vor allem beim Übergang vom zivilen ins militärische Leben auftreten.So ist es nicht verwunderlich, wenn jüngste Bestandsaufnahmen ergeben haben, daß selbst in den Kompanien — überschaubaren Einheiten also — die Vorgesetzten ein völlig falsches, viel zu optimistisches Bild davon haben, welche Belastungen die Wehrpflicht für die Soldaten mit sich bringt.Das Bundesministerium der Verteidigung sollte auch hierfür über Lösungsmöglichkeiten nachdenken.Der unterrichtenden politischen Bildung muß es gelingen, in verständlicher Weise deutlich zu machen, was Innere Führung ist und was sie will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
dem Staatsbürger im Soldatenberuf muß vor allem das Konzept der Inneren Führung in seinem vollen Umfang verständlich gemacht und er muß für dieses Konzept gewonnen werden — nicht durch Druck, sondern durch Diskussion und Überzeugung. Dabei muß ihm klar werden, daß die Ziele der Inneren Führung beste deutsche soldatische Tradition verkörpern.In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal die Notwendigkeit betonen, die Konzeption der Hochschule der Bundeswehr konsequent entsprechend dem Kern der Reformansätze von 1971 zu verwirklichen. Die erzieherischen Wirkungen eines so angelegten Studiums auf die zukünftigen Offiziere und damit mittelbar auch auf die Streitkräfte werden nur zögernd, wenn überhaupt, akzeptiert, zum Teil sogar bekämpft. Gerade diese werden aber das Bewußtsein der Offiziere im Sinn unserer oben skizzierten Ziele in Zukunft verändern und ihnen die geistige Beweglichkeit verschaffen, die für demokratische Denk- und Verhaltensweisen unerläßlich ist. Das gilt gewiß nicht nur für Soldaten, sondern für jeden Staatsbürger.Aus dem gleichen Grund fordern wir auch eine umgehende Verwirklichung des Anleitstudiums und erneut die Aufnahme ziviler Studenten an der Hochschule der Bundeswehr. Zivile Studenten sind für uns nicht nur Ausdruck der Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft; sie sind auch eine sachliche Notwendigkeit, z. B. um an diesen Hochschulen wissenschaftlichen Nachwuchs heranziehen zu können.Zu den' Erfahrungen der Hochschule der Bundeswehr gehört auch, daß die studierenden Offiziere eine längere Vorlaufzeit in der Truppe als Vorgesetzte benötigen. Das wird ihnen eine berufsbezogene Ausrichtung des Studiums erleichtern.Beim Wehrpflichtigen muß es vor allem darauf ankommen, ihm seine Rolle, seine Aufgabe und Verantwortung als Staatsbürger in Gesellschaft und Bundeswehr im Unterricht, vor allem aber dadurch zu verdeutlichen, daß man ihm die Chance zur Mitwirkung einräumt. Denn politische Bildung geht weit über die staatsbürgerliche Unterrichtung hinaus. Sie braucht vor allem das Erlebnis der gleichberechtigten Teilhabe an den sozialen Vorzügen, an den Rechten und der Freiheit; der Freiheit nicht nur im Sinne von Freiheit wovon, sondern vor allem auch von Freiheit im Sinne vom Mitverantwortung als Staatsbürger und Mitarbeiter in Uniform.Ich möchte von vornherein klarstellen, wovon wir sprechen, wenn wir Mitwirkung fordern. Partizipation ist jede Form von Einflußnahme auf den Entstehungsprozeß und den Ablauf von Entscheidungen, die von oder mit anderen getroffen werden. Im Falle der Mitbestimmung bedeutet sie die Wahrnehmung einer rechtlich gesicherten Einflußnahme auf Entscheidungen, die durch den Beschluß eines paritätisch besetzten, auf gesetzlicher Grundlage arbeitenden Organs zustande kommen oder infolge einer Sperrminorität nur rechtens zustande kommen, wenn näher bestimmte Gruppen oder alle Gruppen zustimmen.Mitwirkung — und von dieser spreche ich hier — ist Partizipation geringeren Ausmaßes. Sie bedeutet Anteil an der Klarstellung der sachlichen Voraussetzungen für das Fällen von Entscheidungen durch Information, Anhören, Diskutieren, Empfehlen usw. Ein anderer Einfluß auf die letzte Willensentscheidung erfolgt nicht.Die dritte der liberalen Thesen zur Gesellschaftspolitik des Freiburger Programms lautet:Liberalismus fordert Demokratisierung der Gesellschaft. Nach dem Grundsatz „Die Gesellschaft sind wir alle" erstrebt der Liberalismus die Demokratisierung der Gesellschaft durch größtmögliche und gleichberechtigte Teilhaber
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Möllemannaller an der durch Arbeitsteilung ermöglichten Befriedigung der individuellen Bedürfnisse und Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten.Partizipation ist für uns Liberale also Mittel und Ausdruck notwendiger gesellschaftlicher Entwicklung. Anders als ihre Gegner vorgeblich oder tatsächlich befürchten, stärkt sie daher auch die Demokratie und schwächt sie nicht. Partizipation ist für uns Mittel und Ausdruck individueller Selbstverwirklichung. Individuelle Selbstverwirklichung ist nicht nur eine subjektive politische Forderung. Sie ist eine liberale Forderung, weil sie ein objektives menschliches Bedürfnis ist. Partizipation schreitet heute in allen Gesellschaftsbereichen voran.Innere Führung will den Soldaten in die Gesellschaft integrieren. Er soll auch als Wehrdienstleistender am politischen, geistigen und sozialen Leben und Wandel teilnehmen. Das Leitbild, der freie mündige Staatsbürger in Uniform, erfährt seine höchstmögliche Verwirklichung in der individuellen, also unmittelbaren Teilhabe am militärischen und gesellschaftlichen Leben.Teilhabe findet daher auch in den Streitkräften statt. Sie ist in den letzten Jahren vorangeschritten. Dies kommt in der Erweiterung der Rechte des Vertrauensmannes zum Ausdruck. Er besitzt nunmehr Initiativ-, Anhörungs- und Informationsrecht in Fragen des inneren Dienstes, der Fürsorge, der Berufsförderung und des außerdienstlichen Gemeinschaftslebens. Dem Vorgesetzten ist Erörterungs- und Informationspflicht auferlegt worden. Weitere Teilhaberechte ergeben sich aus der Wehrdisziplinarordnung und der Wehrbeschwerdeordnung. Insgesamt handelt es sich um kollektiv erfolgende Mitwirkungsrechte, die auf die genannten Bereiche bezogen sind.So begrüßenswert alle bereits gegebenen Möglichkeiten der kollektiven Teilnahme sind, sie leisten eines nicht, worauf wir besonderen Wert legen: die persönliche Mitwirkung und damit die persönliche Entfaltung jedes einzelnen, zumindest aber einer möglichst hohen Zahl von Soldaten in den Einheiten. Diese muß im Rahmen der vom Grundgesetz und der vom Auftrag der Bundeswehr gesetzten Grenzen, vor allem im Rahmen des Prinzips von Befehl und Gehorsam geschehen. Befehl und Gehorsam setzen die Grenzen aber nur dort, wo dies für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte und zur Durchsetzung des Primats der Politik unbedingt notwendig ist. So muß z. B. der Bereich der taktischen und operativen Führung von Mitwirkung ausgeschlossen bleiben.In diesem skizzierten Rahmen entspricht die Teilhabe möglichst vieler einzelner Soldaten nicht nur der politischen Forderung und dem objektiven Bedürfnis nach Selbstverwirklichung des einzelnen; sie dient auch der organisatorischen Effizienz. Grundrechtsverletzungen von Vorgesetzen, wie wir sie in dieser Debatte beklagen, werden einem Untergebenen gegenüber seltener werden, der in einem möglichst großen Verantwortungsbereich an _Entscheidungen mitwirkt. Teilhabe bringt erst den selbständig denkenden und handelnden Soldaten hervor, den eine hochtechnisierte Armee und das moderne Gefecht verlangen. Teilhabe ist somit Voraussetzung für die Verwirklichung des mitverantwortlichen Soldaten als Mitarbeiter in der Bundeswehr, und sie ist Voraussetzung für den Soldaten als Staatsbürger.Erinnern wir uns noch einmal eines Zitats aus dem Gutachten des Ausschusses für Erziehungs- und Bildungswesen von 1957. Ich zitiere:Alle politische Bildung im Jugendalter ist nur im Vorgriff möglich. Im eigentlichen Sinne kann 'sie erst geschehen, ' wenn der Mensch selbst in politischen Entscheidungen steht.Teilhabe ist somit praktizierte politische Bildung.Für die Teilhabe in der Bundeswehr gibt es eine Vielzahl von theoretischen Modellen. Soweit sie sich in dem von mir vorhin beschriebenen Rahmen halten, sollte ihre Verwirklichung mittel- und langfristig überprüft werden. Über das heute zu Verwirklichende gehen sie aber weit hinaus. Es sollte daher den bereits praktizierten Modellen, die auf unmittelbare Mitwirkung im Einheitsrahmen zielen, zunächst der Vorzug gegeben werden. Diese Modelle haben die Effizienz und das Betriebsklima verbessert, und sie haben nicht nur Vorbehalte gegen die Mitwirkung bei verantwortlichen Führern aller Ebenen abgebaut, sondern auch Sympathien für Teilhabe geschaffen. Mit diesen oder vergleichbaren modifizierten Modellen sollten ausreichend breit angelegte Versuche durchgeführt und Erfahrungen gesammelt werden, auf denen weiterführende Lösungen aufgebaut werden können. Auf dieser Forderung möchten wir bestehen.Die Bundeswehr kann die Aufgabe der Inneren Führung nun allerdings nicht allein bewältigen. Sie braucht dazu Hilfe. Manche Defizite im Zusammenhang mit der Inneren Führung haben ihre Ursachen nicht in der Bundeswehr, sondern in anderen Bereichen der Gesellschaft. Dies gilt für das Traditionsdefizit. Dies gilt auch für das Defizit an politischer Bildung.Auch neueste Untersuchungen haben wiederum ergeben, daß es der Bundeswehr noch immer nicht gelungen ist, den Soldaten ihren Auftrag klarzumachen. Hier hat nicht nur die Bundeswehr Schwierigkeiten, hier hat in einem bestimmten Umfang auch das Schulwesen, hier haben die Kultusminister versagt. Wir haben von seiten der FDP, auch hier im Bundestag, mehrfach gefordert, daß in Schulen und Hochschulen die Probleme der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ebenso wie die Grundfragen von Wehr- und Zivildienst sowie die Friedens- und Konfliktforschung angemessen behandelt werden. Die Ständige Konferenz der Kultusminister hat uns vor zwei Jahren zugesagt, sich hier um Abhilfe zu bemühen. Bisher können aber keinerlei Fortschritte in dieser Richtung beobachtet werden.Geht das Problem der Kriegsverhütung nicht alle Bürger an? Werden nicht alle jungen Männer aufgefordert, als Wehrdienstleistende oder, wenn ih-
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Möllemannnen das Gewissen nicht erlaubt, Soldat zu werden, im Zivildienst zum Frieden beizutragen? Hat ein Staatsbürger, von dem verlangt wird, diesem Staat als Soldat oder Zivildienstleistender zu dienen, nicht ein besonderes Recht auf Information über den Sinn dieses Dienstes? Wen wundert es, daß bei diesen Mängeln der politischen Bildung in der Schule die Bundeswehr nicht mit dem Problem fertig wird, ihren Teil zur politischen Bildung beizutragen.Ich möchte nun, verbunden mit einem nochmaligen Dank an den. Wehrbeauftragten und seine Mitarbeiter, zusammenfassend folgende Schlußfolgerungen ziehen: Eine Minderheit — in diesem Jahr haben sich 5 von 41 000 Offizieren und 49 von 144 000 Unteroffizieren Grundrechtsverletzungen zu schulden kommen lassen — gefährdet das Ansehen der Bundeswehr in ihrer Gesamtheit, aber auch Ansehen und' Erfolg der vielen Tausenden von Unteroffizieren und Offizieren, die in einem aufreibenden Dienst täglich mit Anstand ihre Pflicht als Vorgesetzte und Ausbilder erfüllen. Ich möchte an diese Soldaten, aber nicht weniger an die Wehrpflichtigen, unseren ausdrücklichen Dank richten.
Ihre leutselige Bemerkung in der ersten Lesung des Berichts, Herr Kollege Ernesti, daß die Bundeswehr besser sei als ihr Ruf, und ähnliche Bernerkungen sind nicht sehr aussagekräftig und hat die Bundeswehr auch nicht nötig.
Dennoch bleibt auf dem Gebiet der Inneren Führung noch viel zu tun. Wir haben unsere Forderungen auch diesmal sehr detailliert dargestellt und werden konsequent auf ihre Verwirklichung dringen.Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu Hoffnungen für eine wirkliche Verbesserung der Inneren Führung Anlaß gibt. Dies nicht nur wegen der dort angekündigten Maßnahmen, deren Durchführung wir engagiert unterstützen werden, Hoffnung gibt die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung auch deshalb, weil dort im grundsätzlichen Teil auf anerkennenswertem Niveau vieles gesagt wurde, was konzeptionelles Denken zeigt und ein von uns eben vorher vermißtes Problembewußtsein deutlich macht.Auch die FDP-Fraktion stellt im übrigen den Antrag, dem Herrn Wehrbeauftragten hier das Wort zu erteilen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist angebracht, daß ich bereits nach der ersten Runde das Wort nehme, weil eine Aussprache zum Bericht des Wehrbeauftragten — ich begrüße es, daß es die zweite Aussprache ist — für die Bundeswehr, für den Deutschen Bundestag und auch für die Öffentlichkeit ganz besonders von Gewinn ist, wenn wir dialogisch miteinander reden, d. h. konkret, wenn ich bereits zu diesem Zeitpunkt die Antworten gebe auf die Bemerkungen und die kritischen Fragen, die gestellt wurden. Das soll keineswegs ausschließen, daß ich erneut das Wort nehmen muß, je nach Lauf der Debatte.Ich möchte dem Wehrbeauftragten erneut für den Bericht danken. 20 Jahre Wehrbeauftragter zeigen, daß parlamentarische Kontrolle über eine besondere Institution — in diesem Fall die Institution des Wehrbeauftragten — allen hilft: dem Parlament, dem Ministerium, insbesondere aber unserer Bundeswehr. Ich denke, die Qualität dieses Berichts wird auch nicht dadurch verringert, daß die veröffentlichte Meinung einzelne Akzente überbewertet und sie ganz besonders herausgestellt hat.Sehr geehrte gnädige Frau, Sie haben davon gesprochen, daß der Mensch in der Bundeswehr im Mittelpunkt stehen solle und daß Sie erwarten, daß hier etwas geschieht. Ich kann Ihnen voll und ganz zustimmen, allerdings mit der Einschränkung, die auch von Herrn Nagel in die Debatte eingeführt wurde, nämlich daß der Stand der sozialen Sicherheit bei unserer Bundeswehr durchaus beachtlich ist und daß wir auch ein Interesse daran haben müssen, daß im Sinne der individuellen Verantwortlichkeit und damit auch der Freiheitlichkeit dieses Staatswesens soziale Fürsorge nicht in soziale Gängelei umschlägt.Wenn wir uns darüber einig sind — und ich sehe, daß Sie dem ausdrücklich zustimmen —, dann sind wir, glaube ich, ein ganzes Stück weiter.Im übrigen kann ich mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß die sogenannten Chefgespräche, also das, was die einzelnen Ressortminister — in diesem Falle ich — mit dem Herrn Bundesfinanzminister für den Haushalt 1980 abzusprechen haben, durchaus unterstreichen, daß wir die Berner-kung — Ihre Bemerkung, meine Bemerkung —, der Mensch habe im Mittelpunkt zu stehen, durchaus ernst genommen haben. Wir haben über die mittelfristige Finanzplanung hinaus 370 Millionen DM erhalten. Von diesem Betrag werden wir nach der Absprache mit dem Herrn Bundesfinanzminister — ich denke, das Kabinett wird dem zustimmen — rund 260 Millionen DM für Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit ausgeben. Das heißt mit anderen Worten: Wir haben ganz bewußt durch die Gestaltung des Haushaltsvolumens 1980 diesen Schwerpunkt gesetzt.Ich will überhaupt nicht verheimlichen, daß diese Tatsache auch Probleme mit sich bringt, insbesondere im Bereich der Infrastruktur, wo Preissteigerungen unsere Möglichkeiten, mit dem gleichen Haushaltsansatz das Volumen zu schaffen, das wir eigentlich brauchen, begrenzen.Anders ausgedrückt: Es ist zu einem guten Teil erreicht, daß in der Bundeswehr der Mensch im Mittelpunkt steht, aber um einen Preis, den wir bei den Haushaltsberatungen vorzuführen und darzule-
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Bundesminister Dr. Apelgen haben. Es ist ein Preis, zu dem wir uns zu bekennen haben; denn für den Verteidigungsminister wie für den Bundesgesetzgeber, der den Bundeshaushalt beschließt, gilt der Satz, daß jede Mark nur einmal ausgegeben werden kann.Ich möchte gern über einige der Dinge reden, die wir Ihnen für die Haushaltsberatungen 1980 vorschlagen werden.Wir haben uns mit der Forderung durchgesetzt, einen Dienstzeitausgleich bei einer Dienstzeitbelastung von über 56 Wochenstunden einzuführen. Der Bundeswehrverband, mit dem ich vor einigen Monaten diese Forderung besprochen habe, hält das ebenso wie die ÖTV für einen sehr konstruktiven Ansatz.Ich bin insbesondere froh darüber, daß bei diesem Dienstzeitausgleich, der keine Abgeltung von Überstunden bedeutet — die Bundeswehr ist nicht völlig mit dem öffentlichen Dienst gleichzusetzen—, auch die Wehrpflichtigen mit 54 DM monatlich beteiligt sind,
weil ich nicht einsehen kann und nicht einsehenwill, daß wir für alle Soldaten Dienstzeitausgleich— wenn auch in einem bescheidenen Maße — einführen, aber die Wehrpflichtigen, die auch in einem hohen Maße von der Dienstzeitbelastung betroffen sind, draußen vorlassen. Dieser Dienstzeitausgleich, diese Pauschale von 90 DM für Berufs-und Zeitsoldaten und von 54 DM für Wehrpflichtige heißt nicht, daß wir damit von dem wesentlichen Ziel weggehen dürfen, und das wesentliche Ziel ist nicht Ausgleich von Dienstzeitbelastung, sondern Reduzierung von Dienstzeitbelastung. Wir werden uns bemühen müssen, durch vielerlei Regelungen hier Abhilfe zu schaffen.Ein Weg scheidet allerdings aus, nämlich personelle Engpässe bei der Bundeswehr durch eine Erhöhung der Zahl der Soldaten ausgleichen zu wollen. Dies kann man sich durchaus als einen Lösungsweg- vorstellen, daß man sagt: Wenn unsere, Bundeswehr überlastet ist, dann gehen wir eben über die 495 000 Soldaten hinaus. Ich brauche nicht zu begründen, daß das nicht im Interesse des westlichen Bündnisses sein kann. Auch hier kommt es darauf an, unsere Bundeswehr im Gesamtzusammenhang so zu sehen, daß alle ihre Last tragen und niemand versucht, sich hier nach vorn zu schieben. Ich muß aber auch sehr deutlich sagen, daß im Zuge von Verhandlungen, die bei MBFR laufen, dieser Weg für mich ausgeschlossen ist. Ganz zu schweigen davon, daß ich, ehrlich gesagt, nicht wüßte, wie der Haushaltsgesetzgeber — nämlich Sie — reagieren würde auf eine deutliche Erhöhung der Bestandszahlen bei der Bundeswehr; denn das ist ja ohne beträchtliche finanzielle Aufwände nicht zu erhalten.Wir werden schließlich den Planstellenanteil für Hauptfeldwebel, der jetzt bei A 9 15 % beträgt, auf 25 % anheben; ich finde, das ist ein wichtiger Durchbruch.
Nun werden Sie sagen: 30 % war das Ziel. Zugegeben!
— Herr Berger, ich bitte Sie! Auch Gott hat die Welt erst in sieben Tagen geschaffen, und auch ich kann nicht alles in einem Jahr erledigen.
Deswegen sollten wir erst einmal zur Kenntnis nehmen, daß hier endlich ein Durchbruch erzielt worden ist, den wir sicher alle begrüßen. Wenn die Herren der Opposition in der Lage wären, den Haushaltsausschuß davon zu überzeugen, daß mehr noch besser wäre, dann sind Sie mit meiner ganzen Sympathie ausgestattet. Nur muß ich eines hinzufügen: In den letzten Jahren ist da überhaupt nichts gegangen; jetzt ist endlich etwas gegangen. Das gleiche gilt für die Marinezulagen und für die Einbeziehung der Feldjäger in die Allgemeine Polizeizulage.
— Ich nehme das mit Betrübnis zur Kenntnis.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber natürlich!
Herr Minister, wäre es nicht angemessen, wenn Sie sich zuerst mit Ihrem Kollegen vom Finanzressort auseinandersetzten und nicht alles auf den Haushaltsausschuß schöben?
Das ist richtig. Der Kollege im Finanzressort, Herr Althammer, ist, wie Sie gesehen haben, durchaus generös gewesen. Das Problem wird sein, Sie in Ihrer Doppelfunktion, hier als CDU/CSU alles mögliche zu fordern, was Sie dann im Haushaltsausschuß wegen höherer Einsicht abblocken wollen, auf ein Gleis zu setzen, das auch für Sie intellektuell erträglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen also, hier wird etwas getan, hier kommen wir einen Schritt weiter. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß das auch Konsequenzen hat.Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zu dem Thema „Der Mensch im Mittelpunkt" machen. Da bin ich in der Tat der Meinung, daß wir dem Thema Bürokratisierung, Auftragstaktik, eine zentrale Rolle beimessen müssen. Ich erwarte mit großem Interesse den Bericht der de-Maizière-Kommission. Es ist abzusehen, daß wir in einige Probleme hineinlaufen werden, weil wir natürlich nicht alles, was uns eine unabhängige Kommission empfiehlt, um Bürokratisierung abzubauen, verwirklichen können. Die Debatte muß aber geführt werden. Es
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Bundesminister Dr. Apelmuß eine Debatte darüber geführt werden, warum zunehmend bürokratische Abläufe das Leben in der Bundeswehr, aber auch in dieser Gesellschaft bestimmen. Wir müssen darüber debattieren, daß wir die Soldaten nicht immer qualifizierter ausbilden können und gleichzeitig über Bürokratisierung immer mehr gängeln. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß mehr Zentralisierung ein Mehr an menschlicher Kälte, einen Verlust an Eigenverantwortlichkeit und damit keineswegs ein Mehr an Effizienz bringt. Es müssen also Freiräume geschaffen werden, die dann aber auch ertragen werden müssen. Wir müssen dann auch ertragen, wenn der eine oder andere Offizier in seiner Stellungnahme, in seinem Verhalten auch Fehlverhalten zeigt. Das Entlangmäandern aller Regelungen, die sich oft auch noch widersprechen, das sich überall breitmachende Absicherungsdenken muß dann zu Ende sein, und dann müssen der Deutsche Bundestag und auch ich mit einer größeren Gelassenheit Abweichungen von einer eigentlich gewollten Linie hinnehmen und ernsthaft debattieren und nicht gleich mit dem Knüppel dazwischenschlagen wollen.Sie, gnädige Frau, haben schließlich drittens zu diesem Thema über Versetzungshäufigkeit gesprochen. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß in den letzten zehn Jahren die Zahl der Versetzungen bei den Offizieren von rund 35 % der Offiziere, die im Jahre 1969 versetzt wurden, auf 26 %, die 1977 versetzt wurden, zurückgegangen ist. Bei den Unteroffizieren wurden 1969 21 % versetzt, 1977 nur noch 12 °/e.
Ich bleibe dennoch mit Ihnen der Meinung, daß wir dieses Thema weiterhin aus zwei Gründen kritisch betrachten müssen: Der Bildungsföderalismus bringt hier insbesondere den Familien mit Kindern Probleme. Wir werden diesen Bildungsföderalismus nicht überwinden wollen und auch nicht können. Zum zweiten müssen wir auf die mitarbeitende Ehefrau auch als Ausdruck zunehmender Emanzipation der Frau — und die Frauen von Offizieren rücken immer stärker auch in akademische Berufe ein, insbesondere in Berufe im Bereich der Ausbildung und Lehre, wenn Sie so wollen, an der Schule — eine gewisse Rücksicht nehmen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß zumindest Sie, gnädige Frau, und wir in die gleiche Richtung denken. Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit mitteilen, daß wir gestern im Ministerium über die Realisierung des Heeresmodells 4 gesprochen und dabei festgestellt haben, daß weniger als 1 v. H. der Soldaten des Heeres durch die Realisierung des Heeresmodells 4 von Versetzungen betroffen sein werden. Das heißt, es stellt sich jetzt dar, daß sich mein Ziel, ein Heeresmodell zu haben, das auch in dieser Frage auf unsere Soldaten Rücksicht nimmt, tatsächlich erreichen läßt.Im übrigen hat der Inspekteur des Heeres gestern mit meiner Zustimmung deutlich gemacht, daß wir bei der Realisierung des Heeresmodells 4 die gebotene Eile beachten, uns aber keineswegs inHektik hineintreiben lassen, auch wegen der notwendigen Rücksicht auf unsere Soldaten.Lassen Sie mich zu dem Thema Alkohol im Dienst kommen. Wir haben darüber das letzte Mal hier sehr gründlich debattiert. Herr Möllemann hat an diese Debatte erinnert. Ich will sie nicht erneut aufnehmen. In einem Punkt haben wir uns inzwischen sachkundiger gemacht und in der Tat feststellen müssen, daß erstens das Thema Alkohol im Dienst bei der Bundeswehr sicherlich kein Thema ist, das im Pingpongverfahren zwischen Opposition und Bundesregierung hin- und hergespielt werden sollte. Wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir dies versuchten.Ich bitte aber darum, daß wir dieses schlimme Thema nicht als ein Thema nehmen, das bundeswehrspezifisch ist.
Sicherlich gibt es das eine oder andere Problem. An Einödstandorten ist sicherlich manches bei der Führung der Unterführer zu verbessern. Ich werde darauf zurückkommen. Hier müssen wir mehr für die Motivation junger Menschen bei der Bundeswehr sorgen.Wenn wir über Alkohol sprechen, sprechen wir aber über ein allgemeines gesellschaftliches Problem. Ich habe mir die Zahlen angeschaut, aus denen hervorgeht, wie sich das in den letzten 15 oder 20 Jahren entwickelt hat. Es ist beängstigend! Es ist beängstigend, wie dieses Volk — aus welchen Gründen auch immer — immer stärker den Alkohol verwendet.
— Auf diese Bemerkung habe ich direkt gewartet. Aus Verzweiflung über die Bundesregierung wird in Bayern gesoffen! Also wissen Sie, das müssen Sie in Ihrer Strategiekommission behandeln; dorthin gehört es.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen dieses Thema also breiter sehen. Dennoch bin ich der Meinung, daß es — Herr Möllemann hat das sehr deutlich gesagt — auch etwas mit Innerer Führung zu tun hat. Lassen Sie mich deswegen jetzt zu diesem Thema einige Bemerkungen machen.Die Innere Führung hat in den nun bald 25 Jahren der Existenz der Bundeswehr eine beachtenswerte Wandlung durchgemacht. Sie ist heute sicherlich nicht mehr ein Instrument zur Abwehr totalitärer — faschistischer oder anderer — Strömungen in der Bundeswehr. Das heißt, das, was am Beginn der Bundeswehr Motiv sein konnte, ist heute nicht mehr Motiv. Denn wir alle lassen uns ja wohl hoffentlich nicht einreden, daß diese Bundeswehr in Gefahr wäre, von links oder rechts ausgehöhlt zu werden.. Diese Bundeswehr ist eine republikanische Armee; Extremisten links und rechts
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Bundesminister Dr. Apelsind Randerscheinungen, die für die Bundeswehr nicht typisch sind.
Deswegen hat die Innere Führung heute diese Zielsetzung nicht, und deswegen muß sie in ihrer inhaltlichen Bestimmung offen sein. Ich halte überhaupt nichts davon, Definitionen für Innere Führung zu finden; sie werden immer zu eng oder zu weit sein.Innere Führung gilt — dies möchte ich ausdrücklich unterstreichen, Herr Möllemann — für alle Ebenen. Die Innere Führung ist nicht allein ein Thema für die unterste Führungsebene der Bundeswehr. Sie gilt auch für den Bundesverteidigungsminister und damit auch für alle Generale und alle Kommandeure innerhalb der Bundeswehr.
Hier werden wir einiges vermitteln müssen, auch bei uns selbst. Ansprüche der Inneren Führung richten sich auch an mich und richten sich auch an Sie; sie richten sich an alle.Dennoch sollten wir vielleicht eine Minute darüber nachdenken, was wir mit der Inneren Führung eigentlich bewirken wollen. Ich stelle eine Aussage an die Spitze, die Sie vielleicht schockieren wird, die aber meine Überzeugung wiedergibt:Innere Führung stärkt auch die Effizienz der Truppe.
— Gut, aber dies wird oft bestritten, Herr Berger.
Es wird so getan, als wäre dies Fürsorge. Nein, die Bundeswehr ist auch deswegen so gut, weil bei ihr Innere Führung praktiziert wird.
Zum anderen dient die Innere Führung auch — und nun möchte ich wissen, ob Sie mir auch jetzt noch zustimmen, Herr Berger — der politischen Machtbegrenzung und der Kontrolle, auch zwischen Führern und Geführten. Ohne daß damit Befehl und Gehorsam ausgehöhlt würden, muß, wie Herr Möllemann gesagt hat, über Innere Führung Partizipation möglich sein, damit müssen Jugendoffiziere Stellung nehmen können, und damit muß es —ich habe das auf unserem sicherheitspolitischen Kongreß ausdrücklich begrüßt — möglich sein, daß an der Führungsakademie ein Jahrgang sachlich zu dem Stellung nimmt, was er dort vorfindet.
Es muß auch möglich sein, daß zivile Dozenten dasselbe tun und vom stellvertretenden Inspekteur der Bundeswehr eine sachgerechte Antwort auf ihre Petition erhalten und mit ihm debattieren.Wenn Sie dem zustimmen, werden manche hektischen und nervösen Debatten zwischen uns künftig nicht mehr möglich sein. Innere Führung heißt nämlich dann auch Dialog, und Innere Führung heißt dann auch: eine eigene Position beziehen, soweit sie mit dem Auftrag der Bundeswehr vereinbar ist, und dann kann nicht ununterbrochen, in welchem Falle auch immer, nach disziplinarischen Maßnahmen gerufen werden, wie wir es hier in einer aktuellen Stunde vor einiger Zeit bezüglich eines Generals Ihrerseits erlebt haben;
dann müssen wir hier konsequent bleiben.
Schließlich ist, denke ich, Innere Führung dazu da, den jungen Menschen — und das ist ganz wichtig — das Gefühl zu vermitteln, daß diese Bundeswehr Teil unserer Republik ist. Hier tritt ja der junge Mensch zum erstenmal dem Staat gegenüber. Zum erstenmal erlebt er Staatlichkeit. Zum erstenmal wird dann sein republikanisches Bewußtsein geformt und deformiert.Aber wir sollten uns auch über die Schwierigkeiten der Inneren Führung nicht täuschen. Es ist schon schwierig, junge Menschen, die den Einflüssen von Konsum, Freizeit, Wegwerfgesellschaft unterworfen sind, in die Bundeswehr hineinzubringen, sie mit ihrem Auftrag vertraut zu machen, ihnen dennoch Innere Führung erlebbar zu machen, ihnen deutlich zu machen, daß Mitbestimmung am Arbeitsplatz nicht Mitbestimmung in der Bundeswehr heißen kann, aber Partizipation, d. h. dialogische Prozesse.Schließlich kommt es auch darauf an — und ich glaube, das müssen wir auch bei dieser Debatte sagen —, Überforderungen im Bereich der politischen Bildung der Inneren Führung nicht anlasten zu wollen. Die Bundeswehr kann das nicht leisten, was die reformierte Oberstufe oder die Schule insgesamt nicht leistet. Wir müssen, glaube ich, auch in diesen Fragen einfach bescheidener werden.Ich glaube, der Wehrbeauftragte hat in dem folgenden Zitat umschrieben, was Innere Führung ist: „Innere Führung erschöpft sich nicht in Rechtsanwendung". Justitiabilität und Vorschriftsmäßigkeit reichen nicht aus. Innere Führung verlangt vor allem Herz, Haltung und Stil. — Dies ist sicherlich nicht sehr präzise formuliert, umreißt aber das, um was es geht. Ich bin froh, wenn die Damen und Herren der Opposition durch Nicken auch dieser Feststellung zustimmen.Wie wollen wir nun die Schule für Innere Führung weiterentwickeln? Ich denke schon, daß die hehren Grundsätze allein nicht reichen. Es kommt darauf an, konkret etwas zu tun. Im Personellen geschieht einiges. Aber reicht das? Können wir es uns leisten, die vielfältigen Einrichtungen der Bundeswehr, die indirekt oder direkt etwas mit der Inneren Führung zu tun haben, sie zumindest zu vermitteln haben, wie das Militärgeschichtliche Forschungsamt, wie das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, wie in gewissem Sinne auch die Bundeswehrhochschulen, alle nebeneinander bestehen zu lassen? Kann der geistige Verbund, kann
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Bundesminister Dr. Apeldie geistige Brücke reichen? Oder brauchen wir auch mehr, eine geographische Zusammenfassung?Ich kann Ihnen darauf heute keine Antwort geben. Ich möchte mit Ihnen auch darüber einen Dialog führen. Ich weiß, was ich sage, wenn ich der Meinung wäre — ich rede jetzt im Konjunktiv —, es wäre zu überlegen, ein geistiges Zentrum auch dadurch zu schaffen, daß räumliche Nähe hergestellt wird. Ich weiß, welche Widerstände ich auslöse. Ich weiß, welche Proteste wach sind. Die Gespräche mit den Herren des Sozialwissenschaftlichen Instituts und des MGFA habe ich bereits geführt. Aber ich denke, wir müssen uns dieser Debatte sehr ernsthaft stellen. Wir können ihr nicht ausweichen.Wir werden am Ende, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch sicherzustellen haben, daß noch stärker als bisher die Personalbeurteilung und Personalauswahl nicht zu einseitig auf Sachkompetenz gegründet werden. Das heißt überhaupt nicht, daß ich hier Regelungen ändern will; aber ich möchte allen Beteiligten diesen Eindruck vermitteln.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu Herrn Nagel und zu dem Thema Wohnungsfürsorge machen. Sie haben dieses Thema, Herr Kollege, nur kurz angesprochen. Ich möchte Ihnen sagen, daß wir die Forderung hinsichtlich der Zahlen, die im Weißbuch 1970 genannt wurden, nämlich 27 000 Wohnungen über den Bestand hinaus zusätzlich zu bauen, inzwischen erfüllt haben. Uns stehen 165 000 zweckgebundene Wohnungen für Bundeswehrangehörige zur Verfügung. Wir haben uns da- ' mit durchsetzen können, die Zuständigkeit zur Vergabe dieser Wohnungen im Verteidigungsministerium zu belassen. Wir werden daran festhalten, daß dies unsere ureigene Aufgabe ist. Wir können feststellen, daß inzwischen an allen Standorten Wohnungen zugewiesen werden können. Das gilt in der Regel auch für die Ballungsräume wie Bonn, Hamburg, München, Kiel oder Köln. Aber natürlich gibt es beträchtliche Klagen über die Qualität der Wohnungen — sie sind zu klein, sie sind zu alt —, .und insbesondere hat es Beschwerden darüber gegeben, daß umgezogenen Bundeswehrangehörigen eine Wohnung zugewiesen wurde, die sie nicht wollten und die für sie zu klein war, und ihnen dann, wenn sie diese Wohnung nicht angenommen haben, das Trennungsgeld gestrichen wurde. Ich habe dafür gesorgt, daß diese Regelung beendet wurde.
Wenn umgezogen wird, wird eine Wohnung unverbindlich angeboten. Wenn diese Wohnung der Qualität nicht entspricht und abgelehnt wird, wird das Trennungsgeld eben nicht gestrichen.
Ich halte das für eine wichtige Verbesserung, die im übrigen, Herr Kollege Würzbach, deutlich macht, daß die Bestandsaufnahme, die Sie mit einem Zwischenruf kritisiert haben, keineswgs ohne Effekt ist; denn ohne diese Bestandsaufnahme wäre dieses und vieles andere nicht denkbar gewesen.Sie hat erst dazu beigetragen, daß die Probleme in unser Bewußtsein gekommen sind.
— Hochverehrter Herr Kollege, nun wollen wir doch einmal wirklich zufrieden sein, daß in diesem Jahre ein gewisser Fortschritt erreicht wird. Ich möchte der Opposition, der CDU/CSU doch auch noch 1981 sagen können, was wir im Bereich der sozialen Maßnahmen weiter getan haben. Ich möchte Ihnen als Oppositionsabgeordneten auch dann die Chance geben, weiterhin mehr zu fordern. Das ist doch alles in Ordnung; dagegen ist doch auch nichts einzuwenden.
Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema: Die Mietenhöhe wird beklagt. Das stimmt. Die Mieten sind auch in diesem Bereich gestiegen. Die Mietbelastung entspricht allerdings im Durchschnitt der vor zehn Jahren. Nur, auch in diesem Punkte bitte ich uns im Deutschen Bundestag um intellektuelle Klarheit.Die Mietpreispolitik, die in diesem Hause verabschiedet wurde und die ich nicht zu kritisiren habe, hat überall zum Anstieg von Mieten geführt. Das ist der Wille des Gesetzgebers gewesen. Dann können Sie als Opposition, die Sie im Bereich der Wohnungsbaupolitik ja weitergehende Vorstellungen haben, aber in diesem Punkte nicht plötzlich den Spieß umdrehen und der sozialliberalen Koalition, die sich auf etwas geeinigt hat, was ich für erträglich halte, vorwerfen, daß die Mieten für die Bundeswehrangehörigen gestiegen sind. Sie sind gestiegen — ich kann es nicht bestreiten —, aber in einem Maße, das erträglich ist.Ich stimme Herrn Möllemann ausdrücklich zu, daß die Unteroffizierausbildung von zentraler Bedeutung ist. Der Inspekteur des Heeres hat dazu seine Vorstellungen vorgelegt.
Die Unteroffiziere werden die Vollausbildung ganz durchlaufen. Dann beginnt der Unteroffizier-Grundlehrgang, und die länger dienenden Unteroffiziere erhalten eine zusätzliche Ausbildung im Bereich Menschenführung und Methodik der Ausbildung..
Wir werden nach dieser Sommerpause ein Konzept vorlegen, Herr Würzbach, das wir dann gerne mit Ihnen im Verteidigungsausschuß beraten werden.Ich möchte zu einem letzten Problemkreis kommen, der zwar bisher in der Debatte keine Rolle gespielt hat, der mir aber so am Herzen liegt, daß ich ihn von mir aus in unseren Dialog einführen möchte: das Thema Beförderungs- und Verwendungsstau.
Der Mechanismus ist bekannt. Wir können in der Bundeswehr generell nur so viele Berufssoldaten einstellen, wie gleichzeitig zur Ruhe gesetzt werden. Dieser Mechanismus setzt eine ausgewogene
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12986 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Bundesminister Dr. ApelAltersstruktur voraus. Hätten wir sie, hätten wir keine Probleme. Diese ausgewogene Altersstruktur ist jedoch auf Grund bekannter Tatbestände, nicht zuletzt auf Grund der blutigen und tödlichen Konsequenzen des letzten Weltkrieges, nicht gegeben.1982 bis 1991 wird dieses Problem zum gravierenden Thema der Bundeswehr werden, und zwar in doppelter Hinsicht. Wir werden in diesen Jahren, in denen wir durchaus die Chance hätten, viele junge tüchtige Menschen für die Bundeswehr zu interessieren und zu engagieren, so wenige Zurruhesetzungen haben, daß wir nur wenige junge Leute für die Bundeswehr werden gewinnen können. Dann aber, wenn der Trend umbricht, wenn wir ab 1991/92 auf Grund der Alterspyramide mit hohen Zahlen bei den Zurruhesetzungen rechnen, werden wir uns in einer Zeit befinden, in der junge Menschen — lassen Sie mich das so salopp sagen — Mangelware sind. Dann werden wir die Probleme haben, die heute oft schon beschrieben werden: wie wir überhaupt den Bestand der Bundeswehr, auch bei Wehrpflichtigen, halten können. Das heißt, wir kommen gleich zweimal in die Schere: Wenn wir eigentlich junge Menschen bekämen, können wir sie nicht einstellen, weil nur so wenige Pensionierungen stattfinden, und wenn die Zahl der Pensionierungen stark ansteigt, wird uns unter Umständen der Nachwuchs fehlen. Das Problem ist also erkannt. Es wird im Weißbuch, das wir Ihnen im September, also auch nach dieser Sommerpause, vorlegen werden, in aller Deutlichkeit dargestellt sein.Nun werden Sie sagen — ich bin auf diese Debatte durchaus vorbereitet —: Wenn dies so ist, warum sollte man nicht bereits im Jahre 1980 beginnend etwas tun? Auch zu diesem Thema möchte ich Sie einladen, mit mir zusammen — ich bin dazu sehr gern bereit —, eine sehr gründliche Debatte zu führen. Denn es ist wenigstens nach meinen Vorstellungen ausgeschlossen, daß wir Offiziere noch vorzeitiger, als das jetzt gegeben ist, auf freiwilliger Basis meinethalben, in Pension schikken. Ich sehe dafür in diesem Hause keine Mehrheit, und ich kann das eigentlich auch nicht verantworten. Insbesondere bei einer Regelung auf freiwilliger Basis — als ehemaliger EG-Beamter habe ich Erfahrungen mit dem dort praktizierten golden handshake — gehen nicht unbedingt diejenigen, die wir ganz gern gehen sehen würden, sondern es gehen die Guten. Ob dieses dem Ziel entspricht, die Qualität der Offiziere der Bundeswehr anzuheben, wage ich zu bezweifeln. Sie sehen, ich problematisiere dieses Thema hier heute bewußt, damit wir eine sachgerechte Debatte beginnen. Wenn wir die Chance hätten — ich sage sofort, daß wir sie derzeit nicht haben —, zusätzlich Stellen zu bekommen und, wenn Sie so wollen, ältere Bataillons- und Kompaniechefs aus dem aktiven Truppendienst herauszunehmen, bin ich überhaupt noch nicht sicher, ob das diejenigen, die wir herauslösen, so gut finden werden. Haben wir die nötige intellektuelle Vorarbeit geleistet, um dann 45jährigen Bataillonschefs oder 35jährigen Kompaniechefs eine Verwendung zu geben, die sie nicht als Abstellgleis und als Abschieben empfinden?Haben wir hier die nötige intellektuelle Vorarbeit geleistet? Ist die Debatte überhaupt reif?Damit bin ich bei den Realisierungschancen. Beförderungs- und Verwendungsstau gibt es überall in dieser Gesellschaft. Wie viele tüchtige junge Menschen stehen heute vor den Türen der Universitäten, vor den Türen des öffentlichen Dienstes und sehen sich blockiert! Wir haben viermal soviel Bewerber für den Offiziersberuf, wie wir gebrauchen, wie wir annehmen können. Hier gibt es Generationsungerechtigkeiten. Beförderungs- und Verwendungsstau gibt es auch in der zivilen Verwaltung, bei den Unternehmen, im gewissen Sinne auch im Deutschen Bundestag; wir alle werden das bei unserem Versuch erleben, wiederaufgestellt zu werden. Insofern müssen wir auch diese Debatte noch auskämpfen. Bei dieser Debatte darf auf keinen Fall der gesamte öffentliche Dienst für sich den Beförderungs- und Verwendungsstau geltend machen. Dann hätten wir überhaupt keine Chance für unser Anliegen; denn wir wollen den Beförderungs- und Verwendungsstau nicht bekämpfen, um Beförderungschancen zu vermitteln, sondern um eine junge Armee zu haben: Einheitsführer, die so wie die Wehrpflichtigen denken, 45jährige Bataillonschefs, die beweglich sind, 35jährige Kompaniechefs, die tüchtig sind. Ich selbst bis 47 Jahre alt; ich weiß also, worüber ich rede. Wenn dies so ist, dann sage ich Ihnen: Diese Debatte kann — auch wegen des Datums 1982, wo die Probleme beginnen — durchaus noch etwas laufen. Wir haben unsere Kollegen in den anderen Ressorts überhaupt noch nicht davon überzeugt, daß dies sein muß.Ich füge eine letzte Bemerkung hinzu: Wir werden in dem Haushaltsvoranschlag, den wir Ihnen vorlegen werden, viele hundert zusätzliche Stellenhebungen haben, nicht zuletzt, um das Heeresmodell 4, in diesem Fall insbesondere die Aufstellung der drei zusätzlichen Brigaden, möglich zu machen. Es gibt auch in diesem Bereich die Notwendigkeit einer gewissen politischen Abfolge: die Dinge zu tun, die jetzt gemacht werden müssen — bei den Hauptfeldwebeln, bei dem Heeresmodell 4, bei den Stellen für die Innere Führung, bei den Stellen für die Bundeswehrhochschulen; es sind, wie gesagt, viel hundert zusätzliche Stellen —, um sich dann auf dieses Thema zu konzentrieren. Ich gehe davon aus, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hier drängend argumentieren werden. Ich gehe davon aus, daß meine Kollegen von der SPD und meine politischen Freunde, wenn ich so sagen darf, von der FDP drängen werden; ich wünsche mir das. Aber was ich mir auch wünsche, ist, gerade dieses Thema nicht so zu behandeln, daß wir den Eindruck erwecken, als gehe es uns um Beförderungschancen. Es geht um eine junge, dynamische, leistungsfähige Armee!Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich bei den drei Debattenrednern für die bisherigen Ausführungen ausdrücklich bedanken, weil sie mir gezeigt haben, daß uns diese Art von Dialog weiterführt. Niemand — natürlich auch ich nicht — hat die Weisheit gepachtet. Deswegen ist kritisches Debattieren, insbesondere in der Öffent-
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Bundesminister Dr. Apellichkeit, im Deutschen Bundestag, notwendig. Wenn wir das in dieser Ausführlichkeit hier zum zweiten Mal tun, dann ist das für die Bundeswehr, insbesondere aber für mich, eine große Hilfe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Diskussion über den Bericht des Wehrbeauftragten für einige grundsätzliche Bemerkungen über die innere Lage der Bundeswehr nutzen, also etwas über den gesteckten Rahmen dieses Berichts hinausgehen. Denn die Bundeswehr ist nach meinem Eindruck — ich glaube, ich stehe mit diesem Eindruck nicht allein — in ihrem inneren Gefüge an einem kritischen Punkt angelangt. Ich meine, sie bedarf in einigen wesentlichen Bereichen dringend einer Kurskorrektur, wenn sie ihrer Aufgabe weiterhin gerecht werden will.Dabei drohen die Gefahren für diese Armee und ihr inneres Gefüge aus einer ganz anderen Richtung als der, die wir hier üblicherweise im Blick haben und die der Wehrbeauftragte kraft seines Auftrages zu beobachten, aufzuzeigen hat. So ernst wir einerseits seine Mahnungen nehmen, so deutlich wird doch andererseits an seinem Bericht und auch an dem, was der Minister und andere hier gesagt haben — ich möchte dem ausdrücklich zustimmen —, daß die Bundeswehr als Ganzes — trotz aller zu Recht gerügten Einzelfälle — nicht in Gefahr ist, die Menschenrechte, die Grundsätze der Inneren Führung zu mißachten, dem Alkoholismus zu verfallen oder dem Rechts- oder Linksradikalismus zu erliegen. Die eigentlichen — ich sage: akuten — Gefahren drohen dem inneren Gefüge der Bundeswehr aus der zunehmenden Seelenlosigkeit der technischen und organisatorischen Abläufe, aus einer wachsenden Bürokratisierung und Reglementierung, die den einzelnen Menschen zu ersticken drohen, aus der Herrschaft des Computers über den Soldaten selbst dort, wo es vermeidbar wäre,
aus der Verdrängung der Erziehung durch bloße Wissensvermittlung und aus der Überbetonung des Meßbaren und des Materiellen.Ganz typisch dafür ist — das haben wir uns ja alle angewöhnt —, daß wir, wenn wir Streitkräftevergleiche durchführen, die Zahl der Panzer, die Zahl der Flugzeuge, die Zahl der Schiffe vergleichen. aber dabei kaum noch von der Qualität des Soldaten reden.
— Ich meine, Herr Buchstaller, um es ganz klar und eindeutig zu sagen:
Die eigentliche und die schwerste Gefahr für dieStreitkräfte in der gegenwärtigen Lage ist die, daßdie Rechnung immer mehr ohne den Menschen, denSoldaten draußen in den Kompanien, in den Batterien und in den Staffeln gemacht wird,
daß man sich immer weniger überlegt, welche Auswirkungen die Unzahl von Umstrukturierungen, von Befehlen, von Maßnahmen, von Verordnungen draußen haben muß, wie sie sich auf den Soldaten draußen auswirken.
— Ich bin nicht in der Gefahr, Herr Jungmann, das, was zum Teil in der Tat in Gesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft angesiedelt ist, alleine der Bundesregierung oder dem Bundesverteidigungsminister — diesem oder irgendeinem früheren — aufbürden zu wollen. Mir kommt es hier nicht auf eine polemische Auseinandersetzung an. Herr Jungmann, mir kommt es darauf an, weil hier so viel über Probleme geredet wird, die ich mehr oder minder für Scheinprobleme halte, daß endlich einmal der Blick wirklich auf das gerichtet wird, was diese Armee bewegt, gleichgültig wer das nun zu verantworten hat. Dort, wo ich glaube, daß die Bundesregierung die Verantwortung trägt, werde ich das schon deutlich genug, sagen.Ich sage noch einmal: seelenloser, rein technokratischer Perfektionismus macht sich immer breiter. Der Verlust an menschlichen Bezügen und Gemeinschaftsgeist ist unverkennbar. Es ist doch bedenklich — und das ist von Ihnen zu verantworten, weil Sie das eingeführt haben —, daß dem Bataillonskommandeur die Möglichkeit zur Förderung und Beförderung auch seiner Unteroffiziere aus der Hand genommen wurde. Damit ist Wesentliches für das Gemeinschaftsgefühl in diesem Bataillon verlorengegangen.
Noch bedenklicher sind die Auswirkungen der computerisierten Personalführung: Zehntelnoten, im Computer gespeichert, entscheiden in sturem Schematismus über die Beförderungschancen, ohne für ausgleichende Bewertung durch die personalführende Stelle Raum zu lassen. Ersparen Sie mir die Legion von Beispielen, die ich dazu anführen könnte. Wir sind keine Maschinenstürmer. Mir braucht niemand zu sagen, daß ein gewisses Maß, ein hohes Maß an Technik in einer modernen Armee gebraucht wird. Aber ich sage ebenso klar: wenn der Mensch auch in der Armee Herr der Technik bleiben soll, dann müssen Erziehung, Charakter, Persönlichkeitswerte und Gemeinschaft wieder stärker unser Handeln dieser Armee gegenüber bestimmen.
Denn der soldatische Verband lebt weit mehr als jeder andere vom menschlichen Zusammenhalt und von der Kameradschaft. Der einzelne Soldat muß sich in seiner Kompanie, in seiner Staffel, in seiner Batterie heimisch fühlen können, und zwar dies gerade auch dann, wenn er mit hochmodernen Waffensystemen und Maschinen zu tun hat.Darum sage ich noch einmal: wir sollten uns angewöhnen - u n s angewöhnen; auch das ist nicht nur an Ihre Adresse gesagt, sondern auch an unsere
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12988 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. WörnerAdresse —, alle Strukturüberlegungen und Maßnahmen vorrangig daran zu messen, wie sie sich auf den Menschen und die soldatische Gemeinschaft auswirken.Nach meiner Meinung sind es vier Probleme, an denen die Streitkräfte gegenwärtig vor allem leiden: einmal und zunächst eine zunehmende Überlastung durch wachsende Aufgaben bei gleichbleibender Personaldecke; zweitens eine unzulängliche Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere; drittens eine wachsende Flut von Papier und — ich sage: überflüssiger — Reglementierung; viertens die zunehmende Benachteiligung der Soldaten in Besoldung und Beförderung gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft, der Nation, in der wir leben.
Zum ersten. Herr Minister, man nimmt offensichtlich in Ihrem Haus nicht zur Kenntnis, daß die Truppe durch wachsende Aufgaben, Neu- und Umgliederungen, Übungen, Manöver — Frau Krone-Appuhn hat das ja an einem Beispiel dargestellt —, Lehrgänge, Berichtspflichten und ähnliches überfordert wird. Wenn Sie einmal diese Praxis sehen — und, gestatten Sie mir diesen Hinweis, deswegen ist es so gut, daß einige der Kollegen Wehrübungen machen und damit die Armee auch einmal von innen her aus der praktischen Erfahrung kennenlernen —: es ist kaum vorstellbar, was auf einen Bataillonskommandeur oder einen Kompaniechef alles hereinbricht.Dabei wird immer deutlicher — da gibt es kein Vertun —, daß die Personaldecke der Bundeswehr für die Zahl der Verbände und Einheiten, die die Bundeswehr aufgestellt hat, zu kurz ist.
Die Folge ist chronischer Personalmangel an Führern und Unterführern draußen in der Truppe. Viele Kompanien haben neben dem Kompaniechef nur einen einzigen Offizier. Es ist schon fast die Regel, daß bis zu einem Drittel der Unteroffiziere in den Kompanien fehlt, weil sie entweder kommandiert oder auf Lehrgängen sind. Die Folge davon ist die permanente Überlastung ihrer Führer und ihrer Unterführer. Das wiederum führt dazu, daß der direkte Kontakt zum Wehrpflichtigen, auf den es ankommt, notleidet. Das führt zu Gammelei, und das führt zu der Unzufriedenheit, die wir alle beobachten und gleichermaßen beklagen.
Ich habe hier, Herr Minister — und Ihre Herren - können Ihnen bestätigen, daß das kein Einzelfall ist —, eine Schilderung eines Bataillonskommandeur,: Der Kompaniechef auf dem Fortbildungslehrgang C, drei Monate weg. Er wird durch einen Leutnant vertreten, der ein abgebrochenes Studium, aber keinen Offizierslehrgang absolviert hat. Dieser Mann steht mit 23 Jahren vor der Kompanie und führt die Kompanie. Der Kompaniefeldwebel ist auf einem Lehrgang der Fortbildungsstufe A, sechs Monate. Ein Zugführer ist in der Fortbildungsstufe B, ein bis zwei Jahre. Als Zugführer sind Unteroffiziere mit kurzer Dienstzeit eingesetzt. Und von diesenUnteroffizieren sind einige ständig auf Lehrgängen. Dann schreibt dieser Bataillonskommandeur: Sie können sich selbst vorstellen, wie die Ausbildung in einer solchen Kompanie aussieht, -wo ein junger Unteroffizier mit 25 Soldaten irgendeine Ausbildung mit Gewalt zu machen hat.Und da kommen Sie, lieber Herr Apel, hierher und reden goldene Worte, die ich nur unterschreiben kann, über Innere Führung. Wenn ich all diese Sätze höre und lese, frage ich: Was soll denn da noch übrigbleiben, wenn Sie zur Praxis kommen? Sorgen Sie dafür, daß das anders wird! Dann können die Leute so befehlen und so mit ihrer Truppe umgehen, wie es Ihre goldenen Worte über Innere Führung verlangen.
Wissen Sie, manchmal habe ich den Eindruck: Sie sind von dieser Truppe und ihrer Praxis meilenweit entfernt; sonst könnten Sie hier nicht so auftreten,
ebensowenig andere, die hier künstliche Probleme schaffen.Politische Bildung ist wichtig. Aber wer sagt einmal, daß politische Bildung in dieser Armee besser als in vielen anderen, dazu noch berufeneren Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird?
Wer sagt eigentlich einmal, daß wir diese Truppe überfordern, wenn wir den Führern und Unterführern bei all dem, was sie zu tragen haben, auch noch auftragen, das nachzuholen, was Elternhaus und Schule in den Jahren zuvor versäumt haben?
Ich sage das nicht, weil ich etwa die politische Bildung nicht verbessern möchte; sondern ich sage das nur, weil manchmal der Eindruck besteht, die Truppe habe nur noch zwei oder drei Probleme. Das eine ist angeblich der Alkoholismus. Da wirken Blätter wie „Stern" und „Spiegel" fleißig mit. Der Alkoholismus wird übertrieben und so gekennzeichnet, als sei unsere Armee eine Säuferarmee. Das ist nicht Ihre Schuld, Herr Berkhan. Weiter wird so getan, als seien die politische Bildung und die Innere Führung die zentralen Probleme dieser Armee. Das sind sie eben nicht. Diese Armee hat wesentlich andere und — ich sage — wesentlich schwerere Probleme.Daher lautet unsere Forderung, Herr Apel: Der Schüleretat muß erhöht werden. Hier haben Sie eine klare Aussage der CDU/CSU-Fraktion. Machen Sie mit! Dann sind einige dieser Probleme beseitigt.
Dann erst können Sie auch erwarten, daß Sie in der Praxis, wie Sie es mit Recht gesagt haben, einen Dienstzeitausgleich verwirklichen können. Wie wollen Sie denn in der Lage, die Sie zum Teil mit geschaffen haben, einen Dienstzeitausgleich verwirklichen? Die Last für die wenigen Ausbilder, Unterführer und Führer würde nur noch größer werden. Das sage ich Ihnen hier voraus. Wenn Sie es prak-
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Dr. Wörnertizieren, werden wir über die Konsequenzen hier zu diskutieren haben.Ich komme zur Ausbildung. Folgendes sage ich nicht nur zur politischen, sondern auch zur militärischen Führung: Wir vernachlässigen in unverantwortlicher Weise die militärische Praxis und das soldatische Können. Die jungen Unteroffiziere sind trotz besten Willens und großer Leistungsbereitschaft einfach nicht in der Lage, auszubilden und zu führen. Der Grund liegt darin, daß sie zu kurz ausgebildet sind. Das hat sich offensichtlich herumgesprochen. Als ich vor zwei Jahren in Nürnberg auf dem verteidigungspolitischen Kongreß der CSU eine Grundsatzrede zu all diesen Problemen gehalten habe, hat man mich beschuldigt, ich mache diese Armee schlecht. Ich hörte sogar, daß im Militärischen Führungsrat über meine Ausführungen debattiert worden sei und daß einige der Herren die Stirn gerunzelt hätten. Ich freue mich, daß alle die Themen, die ich damals genannt habe und die als so ärgerlich empfunden wurden, heute sogar in den Redekatalog des Ministers Eingang gefunden haben.Wenn Sie hergehen und die Unteroffiziersausbildung, so wie wir das im Konzept der CDU/CSU vorgesehen haben, verbessern, haben Sie unsere volle Unterstützung. Das sage ich Ihnen und auch dem neuen Heeresinspekteur hiermit zu.Aber das ist nicht nur bei den Unteroffizieren so. Auf diese junge Unteroffiziersgeneration stößt eine junge Offiziersgeneration von den Bundeswehrhochschulen, der es ebenfalls an Truppenpraxis mangelt und die überdies eine völlig unzureichende taktisch-operative Ausbildung hat.Ich sage hier — und ich weiß, was ich sage —: Das gegenwärtige Bildungskonzept dieser Bundesregierung und dieser Bundeswehr leidet an seiner Einseitigkeit und seiner Kopflastigkeit zugunsten des theoretisch-wissenschaftlichen Bereichs und an seiner Überfrachtung mit berufsfremdem Stoff.
Damit wir nicht in die falsche Ecke gedrängt werden: Sie wissen von mir und von meiner Fraktion, daß wir durchaus für die wissenschaftliche Ausbildung der Offiziere sind. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die meinen, wissenschaftliche Qualifikation und praktisches militärisches Können vertrügen sich nicht. Das Verhältnis zwischen beiden stimmt aber nicht mehr. Jeder Wirtschaftsführer würde Sie auslachen, wenn Sie ihm nahebrächten, seinen Führungsnachwuchs nur noch zu zwei Fünfteln mit berufsbezogenem und zu drei Fünfteln mit berufsfremdem Stoff auszubilden. Gehen Sie einmal zu Bosch, Daimler-Benz oder VW und fragen Sie einmal, wie dort der Führungsnachwuchs ausgebildet wird. Fragen Sie einmal, ob dort auch drei Fünftel der Ausbildung einem Stoff gelten, der in diesen Betrieben später überhaupt nicht gefragt ist. Man wird Sie auslachen. Dies sage ich Ihnen voraus.Was ist die Folge? Wir sind dabei, unsere stärkste Waffe wegzugeben. Das war und bleibt die Führungskunst auf dem Gefechtsfeld. Es ist ein Alarmzeichen erster Ordnung — allerdings wird darüber nicht gesprochen; in Ihren Reden kommt dies nicht vor —, wenn im Zustandsbericht der Bundeswehr, von Ihren „eigenen" Militärs aufgeschrieben, das mangelnde taktische Führungsvermögen der jungen Offiziere und Unteroffiziere beklagt wird. Lassen Sie es mich einmal überspitzt und nur in der Tendenz richtig sagen, Herr Apel — ich formuliere es aber bewußt so—: Wir sind immer stärker in Gefahr, Manager, Funktioner und Administratoren auszubilden, obwohl wir Menschenführer und Soldaten bräuchten.
Daher fordern wir, daß unsere Offiziers- und Unteroffiziersbewerber in der Truppe länger Erfahrungen sammeln, ehe sie mit der Ausbildung an den Hochschulen beginnen, daß der Praxisbezug verstärkt wird und daß sich vor allen Dingen die Ausbildung wieder stärker an den Anforderungen des Ernstfalles ausrichtet. Wir wollen nicht, daß diese Armee eingesetzt werden muß. Wir wollen den Frieden, nur den Frieden. Helmut Schmidt hat aber einmal gesagt — ich glaube, daß dies immer noch richtig ist —: Diese Armee wird nur dann nicht kämpfen müssen, wenn sie kämpfen kann. — An diesen Anforderungen haben wir die Ausbildung in dieser Armee auszurichten.Nun zur Bürokratisierung — schade, daß mir die Zeit davonläuft; darauf wollte ich einen Schwerpunkt legen —: Ich sage Ihnen: Es gibt für die Armee kaum eine gefährlichere Tendenz als die immer noch wachsende Papierflut und die Sucht nach immer perfekterer Reglementierung. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Daran sind nicht nur die Politiker und die Zivilisten schuld. Ich sage immer wieder im Verteidigungsausschuß — lassen Sie es mich hier vor der Öffentlichkeit ganz bewußt wiederholen —: Es gibt auch eine Sorte militärischer Bürokraten, von denen ich den Eindruck habe, daß sie manchmal den Bürokratismus in der typisch militärischen Art auch noch perfektionieren wollen.Ich will nur zwei oder drei Beispiele bringen: Wenn ein leibhaftiger Oberst der Bundeswehr einen zweiseitigen Erlaß über den Gebrauch des Genitivs mit „—es" oder „—s" oder wenn das Ministerium einen zehnseitigen Erlaß über Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher im dienstlichen Bereich herausbringt, der sich in dem schlichten, einfachen deutschen Satz „Nehmt Rücksicht aufeinander" zusammenfassen ließe,
kann ich nur sagen — ich will die berühmt-berüchtigte Saunabadeordnung, in der sogar vom Ministerium her vorgeschrieben ist, wie der Soldat die Treppe zur Sauna emporsteigen muß, gar nicht erst bemühen —:
Suchen Sie nicht bei Kommissionen die Lösung, suchen Sie dort die Lösung, wo Leute zehnseitige Erlasse herausgeben, deren Inhalt man mit einem Satz ausdrücken könnte — und der wäre auch noch selbstverständlich! Dann hätten Sie die Bürokratisierung beseitigt.
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12990 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. WörnerIch kann aus eigener militärischer Praxis hier zehn Stunden lang ein Beispiel auf das andere häufen. Das meiste davon nimmt in Ihrem Ministerium, im militärischen und zivilen Bereich sowie bei der politischen Leitung, seinen Ausgang.Jetzt bin ich bei der Sprache. Manchmal habe ich den Eindruck, daß die Bundeswehrhochschulen inzwischen eines bewirkt haben: Nicht nur die Absolventen dieser Bundeswehrhochschulen, sondern auch die, die sie nicht besucht haben, bemühen sich offensichtlich, sich in einer wissenschaftlichen Sprache auszudrücken, d. h. vor allen Dingen in Redewendungen soziologischer, soziologistischer, fachchinesischer Art.
Ich habe manchmal den Eindruck: Habt ihr eigentlich vergessen, was für ein klassisches Deutsch die Militärsprache des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts — lesen Sie einmal, was der Herr Generaloberst Beck geschrieben hat — benutzt hat? Entschuldigen Sie bitte diese formlose Redewendung „ihr".Die Führungsvorschrift 1.2 der CDU heißt — weil Herr Möllemann, der leider jetzt nicht da ist, von der Führungsvorschrift Nr. 1.1 der CDU gesprochen hat —: Lobe den Gegner, wo er es verdient hat. Deswegen sage ich Ihnen: Sowenig mir einige Ausdrücke von Herrn Wehner passen, so muß ich doch sagen, von seiner Sprachkraft könnten die Bundeswehr und ihr Ministerium einiges lernen.
Das Schlimmste ist: Die Folge dieser Bürokratisierung ist, daß der Mut zu selbständigem Handeln immer weiter zurückgeht. Die andere Folge ist die mangelnde Fähigkeit zur Entscheidung. Die jungen Leute sind guten Willens — übrigens, je weiter nach unten, desto besser. Was erreichen Sie mit der Bürokratisierung? Sie höhlen die Auftragstaktik aus. Gehen Sie einmal nach Israel und fragen Sie die Israelis, welcher Tugend sie ihre militärischen Erfolge zuschreiben. Sie erhalten die Antwort — mir mehrfach wörtlich so gegeben —: der Übernahme des preußischen Prinzips der sogenannten Auftragstaktik. Und wir sind dabei, dieses Prinzip auszuhöhlen — trotz aller goldenen Worte, die Sie und andere auch heute wieder dazu gefunden haben.Sie haben Kommissionen eingesetzt. Sehr schön. Unsere Mitarbeiter haben etwas Gutes gefunden, eine Publikation des neu in sein Amt eingetretenen Verteidigungsministers vom 24. Februar 1970. Er kommt resümierend zu dem gewaltigen Satz — auch so einem goldenen Satz —: „Der Papierkrieg muß durch Delegation von Befugnissen nach unten auf ein Mindestmaß reduziert werden." Das war 1970. Jetzt kommen Sie daher und verkünden die gleiche Weisheit. Die Papierflut ist gestiegen. Ich haben den Verdacht, die Arbeit Ihrer Kommission wird, nicht weil sie falsch besetzt ist, sondern weil Sie daraus wahrscheinlich keine Schlußfolgerungen ziehen werden, nur dazu führen, daß es am Ende noch mehrVorschriften und nicht weniger geben wird. Ich sage Ihnen das von vornherein.Ihre Standpauke, Herr Apel, vor den Kommandeuren hatte die falschen Adressaten. Nicht die Truppenkommandeure der unteren und mittleren Führungsebene sind die Verursacher — jedenfalls meistens nicht —, sondern sie sind die Opfer der Bürokratisierung. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Suchen Sie die Verantwortung bei sich und Ihrem Ministerium, bei seinen Regelungen und Weisungen! Handeln Sie nach dem Grundsatz, daß weniger mehr ist, dann haben wir das Thema „Bürokratisierung" in fünf Jahren vom Tisch.
Der Minister sagte selber, man müsse den Mut aufbringen, sich vor die untergebenen Soldaten zu stellen. — Das ist auch so ein goldenes Wort. Tun Sie es doch! Aber statt dessen reagieren Sie doch, wenn etwas passiert, immer nur mit Verboten. Das ist doch Ihre Flucht aus eben jener goldenen Regel. Das bedeutet: Sie untergraben die Glaubwürdigkeit dessen, was Sie sagen, fortlaufend dadurch, daß Ihre Taten nicht Ihren Worten entsprechen.Jetzt zur Benachteiligung. Wir machen uns, glaube ich, viel zu wenig klar, daß unseren Soldaten auch in Friedenszeiten Belastungen abverlangt werden wie kaum einer anderen Schicht in unserem Volk, wie kaum einer anderen Berufsgruppe. Es fängt mit der Dienstzeit an. Die Zahlen sind hier heute nicht genannt worden. Ich möchte sie vor der Öffentlichkeit darlegen. Ihre eigene Untersuchung hat ergeben: Über 100 000 Soldaten leisten zwischen 40 und 50 Stunden wöchentlich — da wollen andere für die 35-Stunden-Woche auf die Straße! —, über 230 000 Soldaten 50 bis 60 Stunden wöchentlich, 130 000 Soldaten über 60 Stunden die Woche. Und das in einer Gesellschaft — ich sage das noch einmal —, in der einige schon von der 35-Stunden-Woche reden.Was meinen Sie, wie das auf eine U-Bootbesatzung wirkt, wie das auf den Chef eines Panzerbataillons oder auf den Zugführer oder den Kompaniefeldwebel einer Panzergrenadierkompanie wirkt! — Ungeheuer. Natürlich weiß er, daß er als Soldat keine geregelten Dienstzeiten hat und haben kann und daß für ihn eine 40-Stunden-Woche nicht in Frage kommt. Aber er sagt sich zu Recht: Wenn ich schon mehr leisten und mehr Dienst tun muß, dann habe ich den Anspruch, in meiner Besoldung und in meinen Beförderungschancen mindestens anderen Gruppen in der Gesellschaft und im öffentlichen Dienst gleichgestellt zu werden.
Das ist nicht mehr der Fall.
Da kommen einige und sagen: Das ist schön und gut, aber Soldatenüberstunden gibt es gar nicht, weil ein Soldat keine Dienstzeitbegrenzung hat. — Lassen Sie mich .dazu sagen: Ich habe es satt, daß immer dann an den Sonderstatus von Soldaten appelliert und von ihm gesprochen wird, wenn es um die Pflichten geht; wenn es um die Rechte geht,
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Dr. Wörnerdann ist es ein Beruf wie jeder andere auch und dann hat er keine besonderen Wünsche zu haben.
Das stimmt nicht zusammen.
Sie können ganz einfach nicht bestreiten, Herr Apel, daß unter Ihrer Verantwortung und der Verantwortung Ihres Vorgängers sich die klaffende Lücke zwischen dem allgemeinen öffentlichen Dienst, der Wirtschaft und den Soldaten verschärft hat. Sie haben selbst wiederholt vor der Truppe gesagt, Sie würden sich energisch zur Wehr setzen, wenn jetzt weitere Sonderregelungen beschlossen würden. — Als nächstes wurde dann jene bekannte Sonderzulage im Polizeibereich beschlossen. Sie haben gesagt, Sie würden das im Kabinett nicht zulassen. Ich sage nicht, daß es der Polizei nicht zusteht; ich sage nur: Wenn Sie 'es der einen Gruppe gewähren, dann müssen Sie es bei einer so hohen Belastung auch der anderen Gruppe gewähren. Sonst fühlen die sich mit Recht benachteiligt.
Ich komme als letztes wie Sie zum Beförderungs- und Verwendungsstau. Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: In meinen Augen und in den Augen der CDU/CSU-Fraktion hat die Milderung — mindestens die Milderung — und schlußendlich die Beseitigung des Beförderungs- und Verwendungsstaus absoluten Vorrang.
Sie wissen doch, wie stark der Beförderungs- und Verwendungsstau bei den Unteroffizieren und den Oberfeldwebeln, bei den Offizieren, insbesondere den Hauptleuten, schon auf die Stimmung drückt und wie sehr dies die Einsatzbereitschaft der Armee inzwischen schon beeinträchtigt. Insbesondere der Verwendungsstau widerspricht jenem klassischen Prinzip, daß eine Armee jung sein und jung geführt sein muß: Nachdem wir davon jahrlang reden, geht es doch nicht an, Herr Apel, daß Sie hierher kommen und uns erzählen, Sie müßten diesen Bereich mit uns problematisieren. Die Problematisierungsphase haben wir vor drei Jahren hinter uns gebracht. Wir haben Lösungsvorschläge erarbeitet. Ihr Ministerium hat sie erarbeitet. Es fehlt nicht an der Problematisierung, sondern an Ihrer Entscheidung und an der Durchsetzung dieser Lösungen im Kabinett.
Fragen Sie doch mal Ihre Personalabteilung — oder ist Ihnen das Papier nicht vorgelegt worden? das würde mich wundern —, was die Ihnen vorschlägt. Ich gebe Ihnen ein kleines Rezept — die Zustimmung der CDU/CSU liegt vor —: Beseitigen Sie als erstes die unsinnige Verlängerung um dieses eine Zusatzjahr; dann haben Sie den Beförderungs- und Verwendungsstau um einen vollen Jahrgang entlastet. Warum nicht? Da brauchen Sie nichts zu problematisieren, das brauchen Sie nur zu tun.
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Der Beförderungs- und Verwendungsstau hat verheerende Auswirkungen auf die Zivilcourage in der Armee. Das ist nicht verwunderlich, wenn es um Zehntelnoten geht, wenn man weiß: Davon hängt dein Fortkommen ab; da kannst du unter Umständen ein, zwei, drei Jahre hinterherhinken. Da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Bereitschaft, Zivilcourage zu zeigen, etwas zögerlich ist. Wir erziehen, wenn man es etwas übertrieben kennzeichnen will, zum Duckmäusertum.Deswegen sage ich Ihnen noch einmal, Herr Minister, wir halten es für eine falsche Priorität. Wir anerkennen durchaus, daß das eine oder andere mit unserer Zustimmung, mit der Zustimmung der Koalitionsfraktionen geschehen ist. Herr Jungmann, zu dem, was Sie vorher angesprochen haben, sage ich: Natürlich ist die Ursache des Beförderungs- und Verwendungsstaues nicht von dieser Regierung geschaffen worden. Mit diesem Beförderungs- und Verwendungsstau hätte jeder von uns zu leben und umzugehen. Das heißt, jeder von uns stünde in der Lage, etwas dagegen tun zu müssen. Ich wehre mich nur dagegen, daß man diese jungen Offiziere und Unteroffiziere auf die 80er Jahre vertröstet, ohne ihnen eine einzige konkrete Zusicherung zu geben. Sie haben auch gar keine Aussicht vor Augen. Sie wissen dagegen, daß 1985 von 2 200 Majoranwärtern ganze 73 befördert werden können, wenn nichts geschieht. Das sind 3,8 %. Jetzt vergleichen sich diese jungen Offiziere zu Recht, wenn sie das Abitur gemacht haben, mit den Abiturienten derselben Klasse, die beispielsweise Lehrer geworden sind. Das ist doch legitim!Deswegen sage ich Ihnen, Sie können nicht so tun, als ob das erst problematisiert werden müßte. Sie tun sich, Ihrer Regierung, der Bundeswehr und uns allen einen großen Gefallen, wenn Sie Ihren Prioritätenkatalog überprüfen und dafür sorgen, daß jetzt endlich Maßnahmen ergriffen werden, daß ein Stufenplan zur Beseitigung des Beförderungs- und Verwendungsstaus vorgelegt wird.
Ich schließe mit folgenden Bemerkungen. Die Angehörigen der Bundeswehr lassen sich nicht mehr mit wohlklingenden Worten abspeisen. Sie wollen Taten sehen. Die Waffe und die Maschine sind wichtig. Wichtiger noch in dieser Armee — ich sage das noch einmal — ist der Mensch. Gerade in einer modernen, hochtechnisierten Armee spielt die Qualität der Soldaten, sein Engagement, seine Haltung, sein Charakter und seine Überzeugung, für eine richtige und gute Sache zu stehen, die entscheidende Rolle. Sorgen wir alle dafür, daß aus dieser Erkenntnis endlich die richtigen Konsequenzen gezogen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist eine gute Sache, daß der
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12992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
HornBundestag heute einen halben Tag lang über den Bericht des Wehrbeauftragten diskutiert, damit im Sinne der Anregung des Fraktionsvorsitzenden der SPD einmal eine Aufarbeitung von vielem erfolgt, was lange Zeit liegen geblieben ist, wobei eine Art Bestandsaufnahme gemacht und natürlich auch ein Hinweis gegeben werden muß, welche konkreten Vorstellungen wir z. B. im sozialen Bereich und bei den Laufbahnproblemen haben. Ich finde das auch deshalb sehr gut, weil dadurch unsere Soldaten draußen wissen, daß wir uns ihrer Angelegenheiten annehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Darstellungen von allen Seiten waren recht hilfreich. Herr Kollege Wörner, an Ihren Ausführungen muß ich allerdings zwei Mängel feststellen. Der eine Mangel besteht darin, daß Sie Aussagen über Sachverhalte gemacht und Darstellungen von Mängeln gegeben haben, die wir alle schon beklagt haben. Dies liegt alles im Rahmen dessen, was wir alle für selbstverständlich halten.Herr Kollege Dr. Wörner, Sie haben zum zweiten zum Teil philosophische Betrachtungen und Darstellungen sehr abstrakter Art gebracht,
sie entbehrten jedoch jedes Lösungsvorschlages. Die Beschwörung, daß etwas besser werden soll, ohne im Parlament aufzuzeigen, wie es besser werden soll, halte ich für nicht genügend.
Wir waren in einem guten Dialog. Es ist notwendig, daß Schwachstellen aufgezeigt werden. Es. ist beispielsweise notwendig, daß wir das Thema der Überbürokratisierung diskutieren. Allerdings darf man die Bundeswehr in einer so einseitigen Weise, wie Sie, Herr Dr. Wörner, es taten, auch nicht darstellen.Sie sagten, die Bundeswehr sei an einem kritischen Punkt angelangt, eine Kurskorrektur sei notwendig. Die akute Gefahr bestehe darin, daß das innere Gefüge der Bundeswehr den einzelnen Soldaten ersticke. Es sei eine Überbetonung des Meßbaren, des Zählbaren vorhanden. Von der Qualität der Soldaten sei kaum noch die Rede. Sie sagten weiter, daß ein seelenloser Perfektionismus vorherrsche. Mir scheint dies ein Horrorgemälde zu sein, das weder der Bundeswehr im ganzen noch dem einzelnen Soldaten gerecht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nur noch einmal darauf hinweisen: Wie wäre es dann zu verstehen, daß bei der letzten Flutkatastrophe 90 % der Soldaten eine Stunde nach Durchsage in Fernsehen und Rundfunk bereits an ihrem Einsatzort waren? Das waren keine seelenlose Mechanismen, sondern das waren junge Menschen, die eine gute Ausbildung hinter sich hatten und ihre Pflicht erfüllen wollten.
Ich will an das erinnern, was unsere Soldaten bei der jüngsten Schneekatastrophe in Niedersachsen und' in Schleswig-Holstein geleistet haben. Das kann man doch nicht mit seelenlosen Mechanismen vergleichen. Das sind vielmehr Leute, die von einem hohen Maß an Pflichterfüllung leben, das sind junge Menschen, die auch die Grundvoraussetzungen haben, um ihre Pflicht als solche erkennen zu können. Ich will in diesem Zusammenhang nur noch auf die Waldbrände in der Lüneburger Heide hinweisen, bei denen sich unsere Soldaten in einer so enormen Weise eingesetzt haben. Manche haben bei diesen Einsätzen sogar ihr Leben gelassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich darauf hinweise, so dient dies nicht einer Apologie, um Schwachstellen zu verdecken. Das wäre der Sache nicht dienlich, wenn wir den Bericht des Wehrbeauftragten, der sich als eine Art Mängelprüfer versteht, lediglich lesen und diskutieren würden. Herr Kollege Wörner, Sie sind doch oft im Ausland, mehr noch als ich. Wir beide wissen doch, wie beispielsweise die Bundeswehr bei den allianzbezogenen Tests anerkannt und gewertet wird. Die Bundeswehr braucht nicht nur keinen Vergleich zu scheuen, die Bundeswehr schneidet dank hervorragender Ausbildung auch hervorragend ab.
Man kann das alles nicht so einseitig darstellen, wie es hier geschah. Wenn man dies täte, müßte man die Dinge einmal in einem größeren Zeitabschnitt gegeneinander aufrechnen. Nachdem Herr Dr. Wörner in die Kiste hineingegriffen hat, aus der nun ein Schreiben zum Vorschein kam, in dem sich der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt bereits gegen die Bürokratie aussprach, gestatten Sie mir, daß ich auch einmal in die Kiste greife, in die Kiste von vor zehn Jahren, in der folgendes enthalten ist. Es geht um einen Bericht von höchsten Soldaten der Bundeswehr, die die damalige Lage folgendermaßen charakterisieren:Jedes Kurieren an Symptomen verspricht ebenso wenig durchschlagenden Erfolg wie die Beseitigung einzelner Mängel. Nur eine Reform an Haupt und Gliedern der Bundeswehr und Gesellschaft mit dem Ziel, die Übel an der Wurzel zu packen, kann die Kampfkraft des Heeres entscheidend heben. Die zur Beurteilung des gegenwärtigen Zustandes festgestellten Kriterien wie— fehlender Verteidigungswille im Volk,— Anzeichen mangelnder Disziplin in der Truppe,— Mangel an Selbstbewußtsein,— mangelnde Elastizität des Führerkorps,— unzureichende Ausbildung der Führer aller Grade,— Resignationstendenzen im Führerkorps,— unzureichende Integration der Bundeswehrin das Volk bedingen sich gegenseitig. In ihrer Abhängigkeit voneinander bilden sie den Teufelskreis, in dem eines das andere verstärkt.
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HornDies, meine sehr verehrten Damen und Herren, war die Schlußpassage der Studie „Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres" von Juni 1969. Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen: Das war die Bilanz einer 14jährigen politischen Führung der Bundeswehr durch die CDU.
— Sehr richtig, Herr Kollege Wörner, weil ich in gleicher Weise wie Sie — das nehme ich jedenfalls an —
die Bundeswehr nicht zu einer Einrichtung sui generis, sondern zum integrierten Faktor innerhalb unserer Gesellschaft machen will. Das war der Grunde
Die von Ihnen dargestellten Mängel sind zum Teil tatsächlich vorhanden. Nur habe ich auch neulich schon im Verteidigungsausschuß betont: Eine Aneinanderreihung von Einzelmängeln zu einem Horrorbild verzerrt und verfälscht das Bild dieser Bundeswehr als eines notwendigen Instruments unserer Verteidigung in einer Weise, wie sie einfach nicht mehr zu rechtfertigen ist.Der Herr Kollege Wörner hat hier die Ausbildung gerügt. Er hat dargestellt, daß die Ausbildung in sich sehr ungenügend ist. Seine Aussage ist vor allen Dingen immer wieder die, zivilberufliche Erfordernisse würden häufig größer geschrieben als die Einsatzfähigkeit und die Schlagkraft der Truppe.
— Herr Kollege Weiskirch, wenn Sie so apodiktisch sagen, das stimme ja auch, möchte ich Ihnen eines vorhalten: Sie wissen doch ganz genau, daß wir es bei der Bundeswehr mit einem Strukturgefüge zu tun haben, innerhalb dessen weniger als ein Drittel aller Soldaten in Kampffunktionen eingesetzt sind; etwa die Hälfte ist in technischen Verwendungen eingesetzt, die übrigen in administrativen Tätigkeiten und anderen Unterstützungsaufgaben. Das heißt, das ist ein hochkomplexes Gebilde, das man nicht so einfach monokausal betrachten kann.Der technische Standard ist — das wissen Sie auch — der Maßstab der Schlagkraft einer Armee. Die Anforderungen an die technische Intelligenz der Soldaten sind doch in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Die Bedienung komplizierter Waffen und Geräte erfordert nicht nur eine höhere Leistungsfähigkeit, sondern auch ein höheres Maß an Selbständigkeit und an Verantwortungsbewußtsein des einzelnen, dessen Entscheidungsbereich mit dem Maß der an ihn gestellten Aufgaben wächst.Das muß man natürlich sehen. Man kann nicht auf der einen Seite — dort, wo von Partizipation die Rede ist, wie es beim Kollegen Möllemann oder auch beim Bundesverteidigungsminister der Fall war — kritische Fragezeichen setzen und auf der anderen Seite wiederum die Selbständigkeit der Soldaten fordern. Das eine schließt das andere nicht aus, bzw. das eine bedingt das andere. Nur über Partizipation, über konkrete Erlebbarkeit wird das Selbstbewußtsein und der Freiheitsbereich des einzelnen entsprechend gesteigert. Sie wissen ja auch, daß der Grundsatz der Selbständigkeit und Selbsttätigkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Batteriechef erklärte mir kürzlich — und Sie alle haben doch ähnliche Erfahrungen —: Wir sind an einer Grenze angelangt, wo der Befehl allein nicht mehr ausreicht. Das aber heißt, technische Ausbildung und Erziehung und verantwortungbewußte Selbstentscheidung bedingen einander immer mehr. Neue Wertkategorien bestimmen den Geist der Soldaten. Gehorsam ohne Mitdenken wird zunehmend problematisch. Gehorsam selbst ist auch weiterhin eine unerläßliche Tugend der Soldaten, aber eine Sekundärtugend. Die Technik vergrößert die Verantwortlichkeit und Selbständigkeit der Soldaten. Sie fordert Vertrauen der militärischen Vorgesetzten in die fachlichen Leistungen ihrer Untergebenen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Würzbach?
Ja, gern. Bitte, Herr Würzbach.
Herr Kollege Horn, könnten Sie — Sie sind ja mit Recht zuweilen stolz auf Ihre pädagogische Vergangenheit — mit dazu beitragen, daß das von Ihnen wie auch vom Kollegen Möllemann heute wiederholt hier eingeführte Wort „Partizipation" in ein deutsches, klares, allen verständliches, nicht biegsam formulierbares Wort übersetzt wird, damit Politiker wie Soldaten, Untergebene wie Vorgesetzte wissen, was damit von SPD und FDP gemeint wird.
Schönen Dank, das ist gar keine Frage. Es geht um mehr Anteilnahme, wie sie in gewissen Bereichen zum Teil schon vorhanden ist. Ich erinnere hier etwa an den Bereich der soldatischen Betreuungsmaßnahmen, der Vertrauensleute und der soldatischen Mitsprachemöglichkeiten. Es geht um Anteilnahme, es geht um Mitbeteiligung der Soldaten in allen Bereichen, innerhalb derer sie tätig sind und auch innerhalb derer sie ausgebildet werden. Gerade Sie als ehemaliger Soldat müßten ja doch wohl entweder in Frage stellen, was mir dieser Batteriechef hier gesagt hat, oder es bestätigen können. Denken Sie doch einmal an den Bereich der Flarak, denken Sie doch einmal an den Bereich der Sondermunitionsdepots, denken Sie doch einmal an die Bereiche, wo ein einziger Soldat, Herr Kollege Würzbach, wie der Kompanie-
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12994 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Hornchef mir sagte, einen Test für die ganze Einheit kaputtmachen kann, ohne daß man den Soldaten ein schuldhaftes Verhalten nachweisen könnte, wo einfach grundsätzlich Kameradschaftlichkeit, Einsicht und Willen zur Pflichterfüllung und zum Miteinander gegeben sein müssen. Daß unsere Soldaten dabei so gut abschneiden, sollte uns doch im Grunde stolz machen.
Das soll nicht das verdecken, was Sie und ich hier in irgendeiner Form beklagen.Ich will Ihnen einen anderen Hinweis geben. Wenn sich vorhin der Kollege Wörner so sehr über die Bürokratisierung beklagt hat, kann ich dem zustimmen; sie ist fast unerträglich. Nur, eines müssen wir wissen: das betrifft doch nicht nur den Bereich der Bundeswehr, sondern liegt leider Gottes in der gesamten öffentlichen Hand vor, und die Bürokratisierung ist nicht nur bei uns in der Bundesrepublik ein Mißstand, sondern geht anscheinend doch einfach Hand in Hand mit einer sich verändernden, technisierten, sich komplizierenden Welt. Wir wollen nicht davor resignieren; das ist vollkommen klar. Wir müssen diese Angelegenheit angehen. Auch da stimme ich mit Ihnen überein. Ich bin dem Herrn Kollegen Wörner dankbar, wenn er beispielsweise darauf hinweist, daß so ein unsinniges Elaborat von neun Seiten und noch mehr darüber verzapft wird, wie sich die Raucher und die Nichtraucher in einem Raum verhalten., statt daß einfach gesagt wird: Nehmt aufeinander Rücksicht.Herr Kollege Wörner, wollen wir doch einmal untersuchen, ob vielleicht im Verteidigungsministerium oder sonstwo viel zuviel Leute Zeit haben, um einen solchen Unsinn zu verzapfen. Wir wollen sie dann doch in die Truppe versetzen; denn wir beklagen ja alle, daß die Truppe zuwenig Leute hat. Vielleicht ist der Wasserkopf auf der Hardthöhe oder auch bei sonstigen Stäben zu groß.
Als ich die Darstellungen kürzlich vom Kollegen Ernesti und heute vom Kollegen Wörner vernahm, wurde ich an ein Wort von General von Seeckt erinnert, wobei ich einräumen muß, daß es mir als Sozialdemokraten sicherlich nicht ganz leicht fällt, ausgerechnet ihn zu zitieren. Aber in dem Fall geht es mir wie vorhin Herrn Apel, der in diesem Zusammenhang zutreffend bemerkte: Wenn einer recht hat, muß man ihm auch recht geben. Von Seeckt sagte: Es ist ein altes und doch nicht gutes Kampfmittel, im politischen Leben die Absicht des anderen ins Absurde zu übertreiben und diese Übersteigerung dann zu bekämpfen. Das ist genau die Situation, in der wir uns befinden.Wir müssen sachlich analysieren, wo es Schwächen gibt, müssen diese Einzelmängel angehen, die wir auch in diese Diskussion einbeziehen. Ich erinnere etwa an den Beförderungs- und Verwendungsstau, wobei das Hauptproblem nicht nur im Beförderungsstau liegt, Herr Kollege Wörner, sondern meiner Auffassung nach ist vor allen Dingen dor Verwendungsstau auf die Dauer ein ganz enormes Problem in bezug auf die Funktionsfähigkeit der Truppe und ihrer Auftragserfüllung.In diesem Punkt stimmen wir völlig überein. Hier muß eine Lösung gefunden werden. Ich will auch konkreter werden, Herr Verteidigungsminister: Sicherlich wird es keine kostenneutrale Lösung geben — das hat der Wehrbeauftragte geschrieben —, d. h., wir müssen in irgendeiner Form zur Kasse treten, um auf der einen Seite die menschlichen Probleme zu lösen, auf der anderen Seite gleichzeitig aber auch die funktionalen Probleme der Bundeswehr mit Blick auf ihre Auftragserfüllung zu beheben. Darin stimmen wir überein.
— Das werden wir sehen.Zum Bereich der Bildung und Ausbildung, der immer wieder angeschnitten wurde: Seit fünf Jahren sind die Bundeswehrhochschulen in Betrieb. Inzwischen haben sich 7 500 Soldaten einer Ausbildung an den beiden Hochschulen unterzogen; entweder sind sie bereits abgegangen oder sie befinden sich noch in der Hochschulausbildung. Es war doch ein riesiger Kraftakt, den wir mit der Gründung der Bundeswehrhochschulen vor einigen Jahren unternommen haben. Wir wußten auch alle von Anfang an, daß das nicht friktionslos verläuft. Wir wußten doch alle, daß es irgendwo bestimmt Ecken geben würde, zumal wir uns auf Neuland begeben hatten; denn die Tradition der deutschen Hochschulen zeigt sich ja in der Institution der allgemeinen Hochschule. Hier wurde eben eine Hochschule für ganz bestimmte Zwecke und für einen ganz bestimmten Berufsbereich gegründet.Es wird von dem Soziologendeutsch und davon geredet, daß diese Leute nicht mehr einsatzfähig seien. Dazu ist zu sagen, daß das doch auch nur eine bedingte Wahrheit ist. In der Truppe wird uns erzählt: Die Leute müssen einen größeren Vorlauf bekommen, damit sie stärker mit der Praxis konfrontiert werden können. Alles schön und gut; darüber kann man sich seine Gedanken machen. Nur, auf meine Frage, wie diese Leute denn bei der Truppe jeweils einschlagen, wenn sie als Erstabsolventen zurückkommen, haben alle Kommandeure gesagt: Die Leute sind prima, die Leute sind in Ordnung, die Leute sind für ihre Zwecke hervorragend geeignet. Hier klafft doch etwas auseinander: einerseits eine allgemeine negative Kritik und auf der anderen Seite die positive Annahme des Ergebnisses im einzelnen und im konkreten Falle.In dieser Hinsicht sollten wir allesamt Stück für Stück aufarbeiten. Wir wissen, diese Bundeswehr ist nicht die Bundeswehr einer Partei, sondern sie ist die Bundeswehr für unseren Staat. Ihr Auftrag ist es, für die Aufrechterhaltung von äußerer Sicherheit zu sorgen und den Frieden zu garantieren. In dieser Hinsicht wollen auch wir allesamt unser Bestes tun.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 12995
Meine Damen und Herren, es ist beantragt, dem Wehrbeauftragten das Wort zu erteilen. Dieser Antrag wird in ausreichendem Maße unterstützt.Ich bitte Sie, Herr Wehrbeauftragter Berkhan, das Wort zu nehmen.Berkhan, Wehrbeauftragter des Bundestages: Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich denke, Frau Präsident, Sie werden mir gestatten, daß ich meiner Freude Ausdruck verleihe, daß es in diesem Jahr gelungen ist, den Jahresbericht des vergangenen Jahres schon so frühzeitig, d. h. drei Monate nach Vorlage, sowohl durch die erste Lesung als auch durch die Beratung im Fachausschuß zu bringen und ihn schon heute in der zweiten Lesung abschließend zu behandeln.
— Herr Abgeordneter Dr. Wörner, da es mir nicht ansteht, den Fraktionsvorsitzenden allein Dank zu sagen, wollte ich gerade den Mitgliedern des Hauses dafür danken. Herr Abgeordneter Wehner gehört zu den Mitgliedern dieses Hauses.
Ich wollte den Abgeordneten des Fachausschusses danken; aber, Herr Minister, auch Ihren Mitarbeitern und Ihnen gilt mein Dank. Sie haben es erreicht, daß so zügig Stellung genommen werden konnte und wir hier heute diese Beratung haben.Die diesjährige Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung — vielleicht klingt das etwas nach meinem alten Beruf, ich war Lehrer — sehe ich als gehaltvoll an.
Ich begrüße es, daß sie auf meine Argumentation eingeht, wenn ich auch feststelle — das ist institutionell wohl auch nicht ganz vermeidbar — daß in einigen Punkten unterschiedliche Betrachtungsweisen erkennbar werden oder ich mir hier und dort eine konkretere oder genauere Aussage, z. B. zur politischen Dimension der Inneren Führung oder zum Verwendungsstau — ich sage nicht „Beförderungsstau" — gewünscht hätte. Denn gerade auch diese beiden Fragen hatten nicht nur für das Berichtsjahr eine Aktualität; vielmehr machten die Ereignisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung meines Jahresberichts deutlich, daß der politischen Dimension der Inneren Führung ein hohes Maß an Brisanz innewohnt, wenn im Bereich kritischer und auch kontroverser politischer Wertung das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pflicht von Vorgesetzten, bei Äußerungen Zurückhaltung zu wahren, in einem scheinbaren Widerstreit stehen.Doch auch zum anderen Punkt, zum Verwendungsstau hätte ich eine Äußerung des Bundesministers der Verteidigung erwarten dürfen, wie er konkret an die Lösung der Aufgabe heranzugehen und wie er die Schwierigkeiten zu beseitigen gedenkt. Denn seiner recht kargen Stellungnahme zum Jahresbericht stehen schließlich die konkretenVorstellungen gegenüber, die er schon in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 11. Mai 1979 entwickelt hat. Diese Erwägungen hätten auch in seine Stellungnahme zum Jahresbericht einfließen sollen.Trotz dieser Punkte sehe ich dennoch keinen Anlaß, mich über leere Seiten — wie bei den Anmerkungen des Ministers im letzten Jahr zum Grundrechtsteil — zu beklagen.Herr Abgeordneter Nagel, ich möchte die Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, aber hinsichtlich Ihres Wunsches nach einer Gegenüberstellung Soli/Ist hatten wir uns vorbehaltlich der Zustimmung der Obleute und des Herrn Vorsitzenden geeinigt, dieses am Ende der Amtsperiode des Wehrbeauftragten in den fünften Bericht aufzunehmen. Ich möchte die Geschichte dieser Vereinbarung hier nicht noch einmal darlegen.Der Schwerpunkt des letzten Jahresberichts liegt in den grundsätzlichen Äußerungen zur Inneren Führung. Ich hatte hier bewußt eine Gewichtung vorgenommen, weil die breite, zum Teil kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit im Berichtsjahr Gesichtspunkte erkennen ließ, die auf eine Verengung dessen hindeuten, was unter Innerer Führung zu verstehen ist. Man hätte wahrscheinlich zuviel erwartet, hätte man gehofft, daß dieser Schwerpunkt des Jahresberichts die Schlagzeilen der Presse füllt. Andere Passagen, die mehr Sensation verhießen, lassen sich auf dem Meinungsmarkt eben besser an den Mann bringen. Dies mag man bedauern; aber das ist ein Preis für freie Berichterstattung, und auf diese möchte doch wohl keiner in diesem Hause, keiner von uns hier, verzichten.Die selektive Berichterstattung in der Öffentlichkeit kann den Wehrbeauftragten jedoch nicht veranlassen, seinen Bericht an das Parlament — nur das ist der Adressat, so steht es im Gesetz — in Verkennung seines gesetzlichen Kontrollauftrages mit einer sachfremden Optik zu verfassen. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist zwar ein Gesamtbericht; er kann aber nicht die Funktion einer Chronik der Leistungen des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung übernehmen. Das Gesetz hat mich nun einmal als einen „Mißstandsprüfer" konzipiert. Die Wahrnehmung meines gesetzlichen Auftrags macht es deshalb erforderlich, daß ich mich überwiegend mit negativen Erscheinungen in den Streitkräften in den Bereichen der Grundrechtsanwendung und der Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung zu beschäftigen habe. Eine Auswertung des Jahresberichts darf diese gesetzlich gewollte Verengung nicht außer Betracht lassen. Sie sollte auch nicht dazu taugen, den Wehrbeauftragten als Kronzeugen einzuvernehmen oder anzurufen für oder gegen eine bestimmte Position, die in der politischen, parlamentarischen Sphäre vertreten wird.Die in der Öffentlichkeit genannten und meinen statistischen Angaben entnommenen Zahlen über Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen die Innere Führung geben mir Anlaß, auf die Aussagefähigkeit dieser Zahlen mit einigen Worten einzugehen. Ich muß betonen, daß die statistischen An-
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12996 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Wehrbeauftragter Berkhangaben in meinem Jahresbericht natürlich nicht dazu geeignet sein können, präzisen Aufschluß über den Zustand der Bundeswehr zu geben. Ich habe dies in meiner Einleitung zum Abschnitt Grundrechte im Jahresbericht wie auch bei der Veröffentlichung vor der Presse am 28. März sehr deutlich zum Ausdruck gebracht und erklärt, daß meine übergreifenden Erkenntnisse nicht auf eine Verschlechterung insgesamt schließen lassen. Das statistische Zahlenmaterial kann nur das aussagen, was von meinen Mitarbeitern und von mir bearbeitet wurde; es ist also nur ein Zeugnis über die Tätigkeit in meinem Hause.Dem Wehrbeauftragten ist es also nicht möglich, dem Parlament Erkenntnisse vorzulegen, die methodisch auf einer sozialwissenschaftlich gesicherten Empirie beruhen. — Muß ich das Wort „Empirie" übersetzen, Herr Abgeordneter Würzbach? Ich habe jetzt Angst,
hier solche Vokabeln zu benutzen. —
Denn mir steht der dafür notwendige Apparat, das dafür notwendige Instrumentarium nicht zur Verfügung. Mir gegenüber besteht eben keine allgemeine Berichts- oder Meldepflicht über Verletzungen von Grundrechten und Grundsätzen der Inneren Führung.Und noch etwas: Die von mir in dem Bericht genannten Fälle sind ausschließlich Einzelfälle, so wie eben jeder geschilderte Lebenssachverhalt immer einen Einzelfall darstellt. Die krassen und von vielen für unvorstellbar gehaltenen Vorgänge aus dem Grundrechtsbereich stehen zwar gottlob nicht als typisch da, sie zwingen aber doch zur verschärften Beobachtung. Auch die Qualifizierung als Einzelfall kann den Aussagewert einer Fehlhandlung keineswegs mindern. Selbst wenn die geschilderten schlimmen Fälle in ihrer Schwere allein oder für wenige stehen, so schockt es doch, daß sie sich überhaupt ereignen konnten. Meine Erfahrungen zeigen: Fehlhandlungen der im Jahresbericht angesprochenen Art geschehen auch in weniger eklatanter Form immer wieder.Meinem Jahresbericht ist nicht zu entnehmen, daß Grundrechtsverletzungen und alkoholbedingte Beeinträchtigungen des Führungsverhaltens und der Disziplin in der Bundeswehr an der Tagesordnung sind oder daß ich von einer Zunahme der Zahl schwerwiegender Grundrechtsverletzungen gesprochen habe. Ich habe gesagt, daß mir — wörtliches Zitat — „mehr ... Grundrechtsverletzungen von Gewicht zur Kenntnis gelangten". Ich habe nach der nicht wertenden Überschrift „Alkohol — Beeinträchtigung des Führungsverhaltens und der Disziplin" zum Ausdruck gebracht und auch da mache ich hier heute keineswegs Abstriche —, daß fehlerhaftes Führungsverhalten dann begünstigt wurde, wenn Alkohol im Spiele war. Neuere Erkenntnisse bestätigen mir dies leider allzu sehr.Auf diese Genauigkeit muß ich Wert legen. Denn auch die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung geht zumindest an einer Stelle, auf der Seite 27 der Synopse, von einer „Zunahme" der Zahl schwerwiegender Grundrechtsverletzungen aus, die von mir gerade nicht behauptet worden ist. Wenn ich auch die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu diesem Thema begrüße, so habe ich dennoch Zweifel, ob die vom Minister angegebenen Zahlen der Meldungen über besondere Vorkommnisse wirklich ein zutreffendes Bild vermitteln. Ich hätte Bedenken, allein hieraus Schlüsse zu ziehen, daß eine Verschlechterung nicht eingetreten sei. Denn wenn ich nur die in meinem Jahresbericht angegebenen Verletzungen von Grundrechten durch Offiziere addiere, komme ich zu anderen und leider auch höheren Zahlen. Sie dürfen sicher sein, daß die angegebenen Beispiele nicht die einzigen Fälle waren, die mir im Berichtsjahr bekanntgeworden sind.Auch beschränken sich Grundrechtsverletzungen eben nicht allein auf Mißhandlungen und entwürdigende Behandlungen von Untergebenen durch Vorgesetzte. Auch Verstöße gegen das Petitionsrecht, also gegen das Grundrecht aus Artikel 17 wären hier zu nennen.Noch einmal ein kurzes Wort zum Alkohol. So ernst jedes Fehlverhalten im Zusammenhang mit Alkohol zu werten ist, so wenig sollte eine ernsthafte Erörterung über dieses Thema dazu verleiten, diese Vorfälle zu verallgemeinern oder sie gar als typisch für die Bundeswehr hinzustellen. Das Problem ist zu umfassend und zu schwierig, als daß Denkschablonen und Klischees ihm gerecht werden können.Was ich zu Beginn meines Jahresberichts im anderen Zusammenhang äußerte, gilt auch für die Wertung alkoholbedingter Verfehlungen. Die Wertung eines Fehlverhaltens darf nicht dazu führen, generell die Bundeswehr gleichsam als Monolith institutionell mit diesem Fehlverhalten zu identifizieren. Pluralität und Heterogenität der Gesellschaft spiegeln sich in unserer von der Wehrpflicht — —
— Herr Abgeordneter Dr. Wörner, das ist nicht mit den Fremdwörtern zu erklären, sondern mit meinem Zahnarzt, der mir die Lippe verbohrt hat.
Aber das wollte ich ja gar nicht vor der Öffentlichkeit sagen. Ich habe große Schwierigkeiten, mich zu artikulieren. Aber ich gebe mir Mühe. Ich hoffe, es geht noch wieder weg.Das spiegelt sich also alles in der von der Wehrpflicht geprägten Armee der Bundeswehr wider. Die Bundeswehr in diesem Zusammenhang als Monolith einer „Armee von Trinkern" darzustellen, ist eine Mißachtung all derer, die ihren Dienst in dieser Armee pflichtbewußt und korrekt verrichten, und das ist die große Mehrzahl der Soldaten.
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Wehrbeauftragter BerkhanAber nicht ohne Grund habe ich bei meinen Beispielen über rüde Sprache einen Bataillionskommandeur, einen Kompaniechef und einen Oberleutnant angeführt. Es sind eben nicht nur die jüngeren Vorgesetzten oder die Mannschafts- und Unteroffiziersdienstgrade untereinander, die sich empfindlich im Ton vergreifen. Erst jüngst sagte mir ein Divisionskommandeur, daß ihm der rüde Umgangston bis hinauf zu seinen Bataillonskommandeuren Sorgen bereite. Da können wir nicht mehr sagen, diese Soldaten seien auf den Bundeswehrhochschulen nicht zureichend für die Praxis vorgebildet worden. Sie sind noch anders ausgebildet worden. Aber, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, mir ist ja Polemik hier untersagt,
und ich bitte das so zu nehmen, wie ich es meine.In meinem Jahresbericht habe ich versucht, durch eine Bündelung von Normelementen das herauszustellen, was Innere Führung will. Natürlich lassen sich diese Normen nicht ohne Nuancierungen auf alle Lebenssachverhalte absolut übertragen. Es gilt auch der Satz, daß Ungleiches als ungleich behandelt werden muß. Differenzierung ist also notwendig.Wenn ich davon sprach, daß die Verwirklichung der Inneren Führung ein Hochziel sei, will ich damit keinesfalls zwischen den Zeilen einen leisen Abschied von diesem Hochziel anklingen lassen, wie es ein geistreicher Zeitgenosse der schreibenden Zunft am 30. März in seiner Zeitung tat. Innere Führung ist ein unlösbarer Teil der jeweils am Auftrag orientierten Gesamtführung. Innere Führung außerhalb der Gesamtführung verliert überhaupt jeden Sinn. Innere Führung ist deshalb nicht als Einzeldisziplin bewertbar, und sie läßt sich auch nicht in einzelne Pakete aufteilen: Innere Führung bildet in ihrem umfassenden Sinne mit jedwedem militärischen Führen eine Einheit. Dieses erkannt zu haben läßt eben nicht zu, Innere Führung aufzuteilen auf der einen Seite in einen verbindlichen und rechtlich umschriebenen Bereich, wo ein Mangel zugleich als ein Dienstvergehen zu werten ist, und auf der anderen Seite in einen abstrakten, durch Rechtsnormen nicht erfaßbaren Bereich von Leitbildern oder „Hochzielen", denen sich der Soldat nur asymptotisch nähern kann.Die Verwirklichung von Innerer Führung kann nur und muß Hochziel sein. Davon bleibt unberührt, daß Mängel im Vollzug von Innerer Führung dann als Dienstpflichtverletzung geahndet werden können, wenn — und insoweit stimme ich der Auffassung des Bundesministers der Verteidigung zu — rechtsverbindliche Vorschriften verletzt wurden. Die Kongruenz von Grundsätzen der Inneren Führung und positiven Rechtsnormen ist zwar vielfach, aber nicht immer gegeben.Die Ausführungen des Bundesministers der Verteidigung zu meinem Stichwort „Bürokratisierung" teile ich. Sie veranlassen mich aber auch, meine Äußerungen zu ergänzen.Abgesehen von den ganz allgemeinen Schwierigkeiten, zu definieren, wo in einem Rechtsstaat und in seiner modernen Armee mit hochkomplizierter Infrastruktur und kurzen Ausbildungszeiten dip Grenze zwischen notwendiger „Bürokratisierung" und „Überbürokratisierung" liegt, sehe ich persönlich die Grenze zwischen notwendiger Regelungs- und Vollzugsdichte auf der einen und Überbürokratisierung auf der anderen Seite jedenfalls dort, wo militärische Bürokratie beginnt, sich eigengesetzlich und damit losgelöst von einem Gestaltungswillen zu entwickeln. Ein Oberst der Bundeswehr sollte nicht Herrn Duden ersetzen wollen. Da stimme ich Ihnen völlig zu, Herr Abgeordneter Dr. Wörner.Auch ich will ein Beispiel geben: Weisungen höherer Kommandobehörden werden von nachgeordneten Vorgesetzten, den Zwischenvorgesetzten, nicht nur umgesetzt, sondern in aller Regel zugleich mit weiteren Forderungen angereichert mit der Folge, daß dann auf der Ausführungsebene der Adressat der Weisung überfordert wird, zumal bei ihm oft der sogenannte Bündelungseffekt eintritt.Wo dies geschieht, wird versäumt, die Grenze zu erkennen, jenseits derer militärische Bürokratie sich zu sehr an den eigenen Notwendigkeiten und zu wenig an den Bedürfnissen der Truppe orientiert.Ein weiteres Beispiel: Wenn ich einen Befehl lese, daß ein Spähtrupp, sofern er mit seinem Kettenfahrzeug die Straße verunreinigt hat, sofort die Straße zu reinigen und, wo dies nicht möglich ist, Verkehrssicherung vorzunehmen hat, kann ich nur sagen, daß der Kommandeur, der diesen Befehl herausgegeben hat, nicht mehr weiß, wie groß seine Spähtrupps eigentlich sind; er hat sie auch weder mit Schaufeln noch mit Besen noch mit anderen Reinigungsgeräten ausgerüstet. Außerdem: Ein Spähtrupp, der die Straße reinigt, wird wahrscheinlich nichts mehr erspähen,
weil die anderen, die ausgespäht werden sollen, schon lange gemerkt haben, daß er sich sinnigerweise mit sehr nützlichen, aber anderen Aufgaben beschäftigt.
Der Abbau der Bürokratie hat jedoch in einem Rechtsstaat Grenzen. Dessen muß man sich bewußt sein. Wo dieser Abbau nicht möglich ist, muß beim Soldaten Verständnis für den technisch-organisatorischen Aspekt bürokratischer Führungsmaßnahmen geweckt werden. Ich halte dies für eine eminent wichtige Erziehungsaufgabe. Denn nicht alles, was z. B. ein Bataillonskommandeur oder ein Kompaniechef am Schreibtisch erledigen müssen, entzieht sie militärischen Führungsaufgaben, sondern kann durchaus Teil oder Ausfluß dieser Aufgaben sein. Es wäre also ein Mißverständnis, zu glauben, die Tätigkeit von Offizieren am Schreibtisch sei immer schon ein Stück „Verbürokratisierung".Für gefährlich halte ich die Stellungnahme des Bundesministers in diesem Zusammenhang, daß der
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12998 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Wehrbeauftragter BerkhanSoldat „Mut zur Lücke" — wörtlich zitiert! — zeigen soll. Der Bundesminister der Verteidigung sagt dies zu meiner Aussage, die große Zahl von Vorschriften, Erlassen, Weisungen und Befehlen bringe für viele Soldaten ein Ausmaß von Forderungen mit sich, die vollständig, gewissenhaft und unverzüglich zu erfüllen — so verlangt es § 11 des Soldatengesetzes — sie nicht in der Lage sind. Denn gerade in diesem Fall tritt das ein, Herr Minister, was meines Erachtens nicht geschehen darf: Der Untergebene wird in der Verantwortung mit allen für ihn nachteiligen Konsequenzen alleingelassen, weil der Vorgesetzte sich nicht der Disziplin unterzieht, streng zu prüfen, ob seine Befehle überhaupt so umsetzbar sind, wie es das Soldatengesetz in § 11 verlangt. Es handelt sich hier um den klassischen Fall der Absicherung.
Hier vom Untergebenen Mut zur Lücke zu fordern, steht dem Vorgesetzten schlecht an,
da er sich mit dem Mut des Untergebenen seine eigene Absicherung erkauft.
Damit gibt er eben ein schlechtes Beispiel Innerer Führung. Nicht nur der Bundesminister der Verteidigung hat sich vor seine Nachgeordneten zu stellen.
— Hören Sie mich bitte in Ruhe an. Ich verfalle sonst sehr leicht in eine Rolle, die mir nicht mehr zusteht.
— Aber natürlich. Das gebe ich ja zu. Natürlich juckt es mich.Nicht nur der Bundesminister der Verteidigung, sondern auch die nachgeordneten Kommandeure und die Chefs, ja selbst die Zugführer haben sich vor ihre Untergebenen zu stellen. Das ist nur möglich, wenn sie dem Soldatengesetz Genüge verschaffen und ihre Befehle so geben, daß sie im Sinne von § 11 ausgeführt werden können. Herr Abgeordneter Dr. Dregger, nicht § 11 der Mecklenburgischen Landesverfassung — da heißt es nämlich: Dat blivt alens bin olen —, sondern § 11 des Soldatengesetzes meine ich.Wir haben uns über diesen Punkt im Verteidigungsausschuß unterhalten, doch ich unterstreiche meine Auffassung hier noch einmal im Plenum, weil der Jahresbericht mit der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung den Soldaten in einer Schriftenreihe zur Kenntnis gebracht wird. Im genannten Zusammenhang Mut zur Lücke zu fordern — mag es auch vom Minister in Anführungszeichen gesetzt sein —, könnte die Bindung des Soldaten an Befehl und Gehorsam offen in Frage stellen, wenn es dem Untergebenen überlassen bleibt, in welchen Fällen und in welchem Umfang Befehle nicht mehr ausgeführt werden.Wenn ich in der Anlage 3 der ZDv 12/1 „Politische Bildung in der Bundeswehr" von einer gesteigerten Verfeinerung der Vorschriften sprach, so bezog sich dieses ausdrücklich darauf, daß dort Ziele und Mittel bis hin zum Stundenansatz befohlen werden, ohne daß eben das dienstliche Umfeld berücksichtigt wird und ohne daß sichergestellt ist, daß die Vorgaben auch tatsächlich so vollzogen werden können, wie es in dem eben schon genannten § 11 des Soldatengesetzes gefordert wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
klare, eindeutige und damit praktikable Regelung geben kann.In der Beurteilung, ob der Soldat bei der Teilnahme an einer Veranstaltung Uniform tragen darf oder nicht, d. h. ob die Veranstaltung unpolitischen oder politischen Charakter hat, spielen in zu starkem Maße Überlegungen eine Rolle, die allein subjektiver Wertung unterworfen sind. Es fehlt an tatsächlichen, objektivierbaren Kriterien, die eine annähernd gleiche Handhabung des Erlasses in der Bundeswehr gewährleisten. Die vom Bundesminister der Verteidigung in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 9. Mai vorgetragenen Alternativen wären meines Erachtens durchaus geeignet gewesen, diesen Mangel zu beheben. Die Argumentation des Ministers — so auch im Plenum am 18. Mai — überzeugt mich. nicht. Abgesehen davon, daß Zahlen kein Argument für die Beibehaltung einer unzulänglichen . Regelung sein können, so geben diese Zahlen bestenfalls auch nur die Anzahl der Soldaten wieder, die auf einer „auffälligen" Veranstaltung waren. Die Äußerungen des Verteidigungsministers lassen zudem vermuten — nur vermuten, Herr Minister —, daß er seine Beobachtung allein auf den 1. Mai abstellt. Die Unzulänglichkeit der jetzigen Regelung wurde jedoch gerade durch einen Fall deutlich, der in Parlament und Öffentlichkeit Aufsehen verursachte und gar nichts mit dem 1. Mai zu tun hatte: Ein Soldat war mit Disziplinararrest gemaßregelt worden, weil er im ehemaligen Konzentrationslager Dachau bei einer gewerkschaftlichen Veranstaltung zur Erinnerung an die Pogrome gegen unsere deutschen jüdischen Mitbürger im Jahre 1938, also in Erinnerung an die sogenannte Reichskristallnacht, in Uniform einen Kranz niedergelegt hatte. Es gibt auch noch andere Beispiele neueren Datums, die nichts mit dem 1. Mai zu tun haben und die die mangelnde Praxisnähe dieses Erlasses verdeutlichen. Es wäre daher zu fragen, ob die statistische Basis, die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 12999
Wehrbeauftragter BerkhanGrundlage der Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung wurde, nicht eine andere hätte sein müssen. Ich bedaure die Entscheidung des Ministers, den unzulänglichen Erlaß nicht zu ändern.Die Aussagen des Jahresberichts zu den ersten drei Abschnitten, „Vorbemerkungen — Grundsätzliches zur Inneren Führung", „Grundrechte der Soldaten", „Grundsätze der Inneren Führung", werden stark von der Forderung nach einer Bewußtseinsbildung hinsichtlich der Wertordnung des Grundgesetzes sowie einer Ausbildung von Rechtskenntnissen geprägt; denn Fehler beim Vollzug der Inneren Führung — und dazu gehören auch Rechtsverletzungen — lassen durchweg erkennen, daß sie in entscheidendem Maße durch Mängel auf diesen Gebieten begünstigt wurden. Zu Recht betont der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme zum Abschnitt „Wehrdisziplinarrecht" die Bedeutúng des Rechtsunterrichts. Frau Abgeordnete Krone-Appuhn, Sie haben dies hier soeben auch getan. Auch Sie haben betont, wie wichtig der Rechtsunterricht in der Aus- und Weiterbildung von Offizieren und Unteroffizieren ist.Ich teile in diesem Zusammenhang, Herr Minister, Ihre Bewertung der Rechtsberater, die bei den Einleitungsbehörden in Personalunion auch die Funktion von Wehrdisziplinaranwälten wahrnehmen. Dennoch scheint mir die Bemerkung des Ministers, die Weiterbildung der Disziplinarvorgesetzten müsse, gestützt auf praktische Führungserfahrungen, in der Hand unmittelbarer Vorgesetzter bleiben, in dieser allgemeinen Form nicht einsichtig. Sie ist zwar nicht eigentlich falsch, sie relativiert aber die vorangestellte Aussage über die Bewertung der wichtigen Aufgaben der Rechtsberater in der Truppe. Gerade die Weiterbildung, die durch die Rechtsberater ständig und mit sehr gutem Erfolg praktiziert wird, dürfte keine Schmälerung erfahren.Neben der Schule der Bundeswehr für Innere Führung habe ich im Jahresbericht zwei Einrichtungen der Bundeswehr, das Militärgeschichtliche Forschungsamt und die Arbeitsgruppe Rechtsunterricht, angesprochen, die eine große Rolle bei der Entwicklung und bei der Ausbildung eines zu fordernden Wert- und Rechtsbewußtseins wahrnehmen. Beide stehen nicht im Blick der Öffentlichkeit. Sie sind personell und materiell nicht bevorzugt ausgestattet, und sie sind dennoch wichtig für die Fortschreibung der Inneren Führung.Die Arbeitsgruppe Rechtsunterricht z. B. bestand in ihren Anfängen aus zwei Beamten, zeitweise auch nur aus einem Beamten, und ein dritter war gelegentlich „außerhalb von Dienstposten" dort tätig. Die Situation ist heute nicht anders. Auch die materielle Ausstattung ist karg. Die Arbeitsergebnisse dieser winzigen Organisationseinheit sind deshalb doppelt hervorzuheben. Nicht der große personelle und materielle Apparat, sondern das persönliche Engagement einiger weniger, nicht das spektakuläre, sondern das unverdrossene und stetige Arbeiten im Stillen sind hier das Kriterium. Ähnlich dieser Arbeitsgruppe gibt es auch andere Einrichtungen der Bundeswehr, die nicht im Lichte allgemeiner Aufmerksamkeit stehen und dennoch Beachtliches leisten.Herr Minister, lassen Sie mich hier noch etwas anfügen: Ich bitte Sie, prüfen zu lassen, ob die Vorstellungen, wie sie sich in der Schule für Innere Führung, gottlob zum richtigen Zielpunkt hin entwickeln, gerade für den Arbeitsbereich Mediendidaktik ausreichend sind. Ich weiß, daß es auf diesem Felde sehr wenige Fachleute in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Wir haben zwar viele Pädagogen, aber relativ wenige Fachleute in der Mediendidaktik. Es ist zu fragen, ob Soldaten geeignet sind, diesen Bereich vorzubereiten, weil man etwa mit zwei Jahren Anlaufzeit rechnen muß und der Soldat in der Regel nach drei, vier Jahren wieder versetzt wird. Das Feld „Mediendidaktik" wird in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren eine besondere Rolle spielen. Daher bitte ich Sie, diesen Punkt noch einmal einer Prüfung zu unterziehen.Lassen Sie mich abschließend meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß der Bundesminister der Verteidigung den im Jahresbericht geforderten geistigen Verbund der Schule der Bundeswehr für Innere Führung mit anderen Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr, wie dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt, dem Sozialwissenschaftlichen Institut, dem Streitkräfteamt usw., anstrebt. Er hat hier heute gesagt, er wolle gemeinsam mit Ihnen im Fachausschuß darüber nachdenken, ob zu dem geistigen Verbund auch ein regionaler Verbund gehöre. Wenn ich vom geistigen Verbund sprach, so meinte ich damit die notwendige Kommunikation und Kooperation dieser Einrichtungen in Fragen der Inneren Führung. Ich rede nicht einer organisatorischen Zusammenfassung dieser Institutionen das Wort, denn erstens kann ich nicht in die Organisationsgewalt des Bundesministers der Verteidigung eingreifen, und zweitens sehe ich kein Heil für die im Jahresbericht angesprochenen Institutionen im Zugriff des Organisators. Diese gewachsenen Institutionen der Bundeswehr sollten nicht ohne zwingenden Grund zu einer Einheit organisatorisch zusammengefaßt werden. Der geistige Verbund ist mir das Wichtige. Bewährtes sollte nicht abgerissen werden, um es in neuer Organisation wieder erstehen zu lassen. Ich sehe hier auch grundsätzliche Probleme berührt, nämlich Probleme des Selbstverständnisses solcher Institute und Institutionen und solche des Selbstverständnisses der Bundeswehr insgesamt.Wie die Schule der Bundeswehr für Innere Führung ein Stück gewachsene eigene Tradition für die Bundeswehr ist, so gilt dies auch für die anderen Institutionen. Als Beispiel möchte ich hier das im Bericht erwähnte Militärgeschichtliche Forschungsamt mit seinem Wehrgeschichtlichen Museum nennen. Es hat sich durch seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Veröffentlichungen nationales und internationales Ansehen erworben. In ihm wird die Militärgeschichte in der Bundeswehr durch Forschung und Umsetzung der Forschungsergebnisse für den praktischen Gebrauch in
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Wehrbeauftragter BerkhanBildung und Ausbildung wie auch die gegenständliche Darstellung im Museum als Einheit verkörpert. Keines dieser Elemente kann ohne Schaden für die anderen und ohne Verlust der Identität der Institution aus diesem Verbund gelöst werden. Die sich im Militärgeschichtlichen Forschungsamt verkörpernde eigene Tradition der Bundeswehr sollte gepflegt und ausgebaut werden. Dies sollte auch für das Wehrgeschichtliche Museum in Rastatt hinsichtlich seines Ausbaus gelten.Der geistige Verbund der Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr mit der Schule der Bundeswehr für Innere Führung sollte nicht zur Preisgabe der Identität der einzelnen bewährten Institutionen führen.Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal dafür danken, daß es gelungen ist, vor der Sommerpause den Bericht im Parlament zum zweitenmal zu behandeln.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und insbesondere, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld, die Sie mit mir gehabt haben.
Herr Wehrbeauftragter, wir bedanken uns. Das Wort hat Frau Abgeordnete Tübler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst ein Wort zu Ihren Ausführungen, Herr Minister. Sie haben den Dienstausgleich angesprochen. Meine Fraktion vertritt die Meinung: Es ist ein positiver Ansatz, aber mehr auch nicht. Vorrang, Herr Minister, hat auf jeden Fall die Truppenzulage. Sie stellt eine Möglichkeit dar, den Nachholbedarf gegenüber anderen Gruppen im öffentlichen Dienst — ich meine z. B. die bereits seit langem gezahlte Polizeizulage — zu decken. Im übrigen ist dies ein einstimmiger Beschluß der Projektgruppe und des Verteidigungsausschusses. Ich möchte das noch einmal in Ihre Erinnerung rufen.
Nun hat sich der Kollege Nagel auch mit einem Thema befaßt, das für mich außerordentlich wichtig ist, nämlich mit der Wohnungsfürsorge für Bundeswehrangehörige. Herr Nagel hat davon gesprochen, daß Rom nicht an einem Tag gebaut wurde — das wissen wir auch, Herr Nagel — und daß Anstrengungen gemacht werden. Darf ich Sie berichtigen: wurden. Warum, werden Sie vielleicht aus meinen Ausführungen nachher ersehen. Der Herr Wehrbeauftragte hat dankenswerterweise eine Analyse über die Wohnungsfürsorge in der Bundeswehr vorgelegt. Ich halte seine Ausführungen für durchaus zutreffend.Allerdings muß ich bemerken, daß sie in einem erheblichen Gegensatz zu den Feststellungen im Bericht der Koordinierungsgruppe ,,Sozialmaßnahmen für die Bundeswehr" steht, die sich mit der sozialen Lage der Angehörigen der Bundeswehr befaßt hat. Dort wird u. a. festgestellt: Die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die Wohnungsfürsorge aller Bundesbediensteten hat sich nach Meinung des Kommissionsberichtes bewährt. Die Veranschlagung der Wohnungsfürsorge im Einzelplan des Ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bedeutet angeblich keine Einschränkung der Zuständigkeiten des Bundesministeriums der Verteidigung bei der Wohnungsvergabe. Das allgemein ausreichende Wohnungsangebot in den Standorten ermögliche es dem Bundeswehrangehörigen, eine seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Wohnung zu finden. — Ich meine, hier kann von einer Bewährung der Wohnungsfürsorge überhaupt keine Rede sein.Sie haben vorhin gesagt, Herr Minister, niemand habe die Weisheit gepachtet. Sie haben hinzugefügt: „Auch ich nicht." Ich hoffe, daß ich durch meine weiteren Ausführungen Ihren Wissensstand vielleicht etwas erweitern kann und Sie das in Ihre zukünftige Arbeit einplanen.
Sie haben gesagt, daß die Wohnungsvergabe beim Bundesminister der Verteidigung verbleibt. Das entspricht aber nicht der Vorlage Ihres eigenen Hauses, die wir bereits in der vorigen Woche im Ausschuß diskutiert haben. Dort haben Sie — wenn auch erst unter 1981— als nicht einmal kostenträchtige Maßnahme das Besetzungsrecht mit der Federführung des Wohnungsbauministers angeführt. Deshalb habe ich das Gefühl, daß hier Ihr Wissensstand etwas aufgebessert werden muß. Tatsächlich ist festzustellen, daß der Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nicht allein für die Wohnungsfürsorge der Soldaten zuständig sein kann. Zuständig muß der Bundesminister der Verteidigung als Dienstherr der Soldaten und' als Bedarfsträger sein. Der Wohnungsbauminister kann lediglich ausführendes Organ sein. Tatsächlich versucht aber der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sämtliche Zuständigkeiten in der Wohnungsfürsorge für die Soldaten — auch in der Wohnungsvergabe — an sich zu ziehen. Die Zuständigkeiten des Bundesministeriums der Verteidigung in der Wohnungsfürsorge für die Soldaten reduzieren sich mehr oder weniger auf die Vergabe von zum großen Teil veralteten und überteuerten Wohnungen. Änderungen mit dem Ziel einer Verbesserung der Wohnungsfürsorge sind offensichtlich vom Bundesministerium der Verteidigung nicht vorgesehen. Andernfalls hätte man einer Überführung der Haushaltsmittel in den Einzelplan 25 des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wohl nicht zugestimmt.Die Feststellungen des Kommissionsberichts verkennen die wahren Verhältnisse in den Streitkräften und gehen an dem Problem vorbei.
Tatsächlich liegt die Wohnungsfürsorge für die Bundeswehr im argen, was nicht zuletzt auch an der fehlenden Zuständigkeit des Bundesministeriums der Verteidigung in dieser Frage liegt. Ich möchte Ihnen einen kurzen Überblick geben, wie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13001
Frau Tüblersich die Wohnungsfürsorge im Augenblick darstellt. Meine Kollegin Frau Krone-Appuhn hat davon gesprochen, daß auch das soziale Umfeld der Bundeswehr eine nicht unerhebliche Rolle spielt; ich meine, dies gehört dazu. .Eine echte Wohnungsfürsorge für die Bundeswehr ist gerade wegen der Versetzungshäufigkeit unverzichtbar. Für die Wohnungsfürsorge der Bundeswehr gibt es aber kein Konzept; das müssen wir immer wieder feststellen. Dies beruht unter anderem darauf, daß die eigentlichen Zuständigkeiten, wie ich bereits gesagt habe, nicht beim zuständigen Bundesministerium liegen.Rein rechnerisch — das muß man zugeben — ist der Wohnungsbedarf der Bundeswehr nach Abwicklung umfangreicher Wohnungsbauprogramme gedeckt. Zum größten Teil — das müssen wir genauso klar feststellen — sind diese Wohnungen aber überaltert, schlecht geschnitten und entsprechen trotz Modernisierungsmaßnahmen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Es besteht deshalb weiterhin ein großer Bedarf an preiswerten modernen Wohnungen.Bei den Bundesdarlehenswohnungen hat das Prinzip der kostendeckenden Miete außerhalb von Ballungsgebieten mit großem Wohnungsbedarf und entsprechend hohen Mieten zur Preisführerschaft gegenüber den Vergleichsmieten des freien Wohnungsmarktes geführt. Das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau waren bisher weder bereit noch in der Lage, die Mietbelastung zu begrenzen. Ab 1. Juli 1979 steigen die Pauschalen für Verwaltungskosten für alle und die für Instandhaltungskosten für die Bundesdarlehenswohnungen, die bis Ende 1969 bezogen wurden. Die Mieten für Bundesmietwohnungen sind im Jahre 1977 an die untere Grenze der Vergleichsmieten des freien Wohnungsmarktes herangeführt worden. Für 1979 wird zur Zeit eine weitere Erhöhung der Grundmieten durchgeführt.Daher ist festzustellen, daß aus den genannten Gründen bisher schon über 20 000 Bundesdarlehenswohnungen zur einmaligen oder dauernden Fremdbesetzung freigegeben werden mußten. Ich meine, das ist nicht gerade eine positive Bilanz, die das Ministerium hier aufzuweisen hat.Meine Damen und Herren, der desolate Zustand der Wohnungsfürsorge für die Bundeswehr hat zu der Bitte des Verteidigungsausschusses an den Wehrbeauftragten geführt, in einem Jahresbericht, und zwar in diesem, zur gesamten Problematik der Wohnungsfürsorge Stellung zu nehmen. Der vorliegende Bericht bestätigt die Forderungen in Sachen Wohnungsfürsorge. Er fordert auch, fürsorglichere Verfahren zu finden. Gegenüber dieser unmißverständlichen Rüge des Wehrbeauftragten an die Adresse des Bundesministers der Verteidigung liest sich der Kommissionsbericht in Sachen Wohnungsfürsorge — das muß in aller Deutlichkeit gesagt werden — wie Schönfärberei. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, Herr Nagel, ob der Inhalt dick oder dünn oder wie auch immer ist.Hier ist man von der Theorie ausgegangen, und ich muß in aller Deutlichkeit sagen: Man hat wenig Ahnung davon, wie es draußen in der Praxis aussieht.
Ich habe diese Mängel bereits am vergangenen Mittwoch angesprochen und möchte jetzt noch ganz kurz einige Punkte ansprechen, insbesondere das Auslaufen des Besetzungsrechts. In einer Empfehlung des Bundesministeriums der Verteidigung wird vorgeschlagen, die Vertragspraxis dahin zu ändern, daß unbillige Härten für den einzelnen durch das Auslaufen des Besetzungsrechts vermieden werden. Zuvor wird in der Stellungnahme festgestellt, daß der Bundesminister des Innern Umzugskostenerstattungen nach Erlöschen des Besetzungsrechts nicht zugelassen habe, da es sich um Umzüge aus privaten Gründen handle. Eine Änderung der Darlehensverträge dürfte sich nicht realisieren lassen. Das müssen wir ganz deutlich sehen. Damit können zur Rückzahlung des Bundesdarlehens und zur Ablösung des Besetzungsrechts des Bundes entschlossene Vermieter nicht gehindert werden, wenn sie das Mindestbesetzungsrecht von 20 Jahren einhalten und die erforderlichen Mittel aufbringen. Den betroffenen Soldaten und den übrigen Bediensteten im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung kann nur dadurch geholfen werden, daß ihnen die Umzugskosten erstattet und andere Bundesbedienstetenwohnungen zur Verfügung gestellt werden, die sie auf die Dauer zu tragbaren Mieten bewohnen können.Der vom Bundesministerium der Verteidigung beim Auslaufen des Besetzungsrechts vorgeschlagene Ausgleichsanspruch bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens würde den Soldaten nur dann etwas nutzen, wenn der Bund die Differenz zwischen der Vergleichs- und der Bundesbedienstetenmiete für die Dauer übernehmen würde.Meine Damen und Herren, auch bei der Modernisierung werden die Soldaten nicht, wie andere Bürger, einmal, sondern dreimal zur Kasse gebeten, nämlich bei der Durchführung der Modernisierung und bereits nach Ablauf von weiteren drei oder sechs Jahren, wenn die Aufwendungszuschüsse zur Hälfte oder ganz entfallen müssen.Herr Bundesminister der Verteidigung, auch Sie haben sich über die hohen Mieten mit Sorge geäußert. Ich meine, wir sollten hier besonders die Problematik der Bundesdarlehenswohnungen und der Bundesmietwohnungen im Auge behalten und auch in Zukunft weiterhin diskutieren.Ein besonderes Anliegen ist es mir auch, daß die Familienheimdarlehen in der Zukunft etwas mehr und besser zum Zuge kommen, damit auch den Soldaten die Möglichkeit eröffnet wird, an der Vermögensbildung teilzunehmen.Wir haben auch das Problem der nicht familiengerecht belegten Wohnungen. Ich meine, Umzugskosten müßten auch dann erstattet werden können, wenn der Soldat in eine für ihn familiengerechte Wohnung einzieht.
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Frau TüblerIch könnte hier einige Beispiele für diese unzumutbaren Mieterhöhungen gerade bei den Bundesmietwohnungen anführen; aus Mangel an Zeit will ich mir das aber verkneifen. Ich bin jedoch gern bereit, Herr Minister, Ihrem Hause diese Beispiele zur Verfügung zu stellen.
Nochmals also unsere Forderung: Es ist die alleinige Zuständigkeit des Bundesministers für Verteidigung notwendig; der Wohnungsbauminister darf hier nicht allein das Sagen haben.Ein kurzes Wort möchte ich noch zu den sogenannten Mannschaftsräumen bzw. Kantinen sagen. Ich bin der Meinung, daß die Kantinenreform mit Sicherheit nicht das gebracht hat, was man sich bei der Einrichtung der sogenannten Heimbetriebsgesellschaft erwünschte und erhoffte.
Auch hier, meine Damen und Herren, liegen die Preise wirklich im argen, und nachdem wir uns ja lange genug mit diesem Ärgernis herumgeplagt haben, frage ich mich heute, ob wir hier nur einen neuen Kopf geschaffen haben, der nicht dem Wohl der Soldaten dient, ob wir nicht zu hohe Löhne und Gehälter zahlen, statt das zu tun, was eigentlich beabsichtigt war, nämlich die Preise für die Soldaten herabzudrücken..Schließlich noch eine kurze Anmerkung. Ich lese auf Seite 43 des sogenannten Sozialberichts eine Notiz über die Sozialarbeit in der Bundeswehr. Da heißt es:Bundeswehrangehörige und ihre Familien werden in persönlichen und familiären Notlagen und Konfliktsituationen durch graduierte Sozialarbeiter der Bundeswehr beraten und betreut.Herr Minister und auch Herr Wehrbeauftragter, ich hoffe, daß wir darin übereinstimmen, daß die vornehmste Pflicht des Vorgesetzten und des militärischen Führers in der Sorge für seine Untergebenen liegt,
daß dies also nicht zur Verwaltungsaufgabe degradiert wird. Hierzu würden Sie nie die Zustimmung meiner Fraktion bekommen. Ich glaube, wir werden alles tun müssen, um in Zukunft unser Augenmerk in diese Richtung zu lenken.Zum Schluß darf ich mich bei Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und bei Ihren Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit, die wir miteinander hatten, bedanken. Ich hoffe, daß diese Nöte und Sorgen, die ich hier heute noch vorgetragen habe, die wirklich ein echtes Anliegen im sozialen Umfeld der Bundeswehr darstellen, für die Zukunft von uns gemeinsam — vielleicht auch mit Hilfe des neuen Wissensstandes des Herrn Verteidigungsministers — beseitigt werden können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Schluß der Grundsatzdebatte am 18. Mai 1979 anläßlich der Vorlage des Jahresberichts des Wehrbeauftragten haben Sie, Herr Minister, von der Gelassenheit gesprochen, mit der wir diskutieren sollten. Ich kann jetzt leider nicht diskutieren, sondern unter Zeitdruck eigentlich nur die von mir selbst vorformulierte Rede sehr schnell ablesen, damit auch Sie, Herr Minister, vor 13 Uhr noch zum Sprechen kommen, was ich sehr gern mit anhören würde.Sie haben uns Gelassenheit verordnet, und Sie haben sich als Partner angeboten, der selbstkritisch genug ist, um zu wissen, daß nur der Dialog uns vorwärtsbringt, wenn wir darüber diskutieren wollen, was dieser Republik und der Bundeswehr förderlich ist. Wir wollen das.Was der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages — Sie, sehr geehrter Herr Berkhan — in diesem Jahr berichtet hat, kann von uns nicht aufmerksam genug gelesen, diskutiert und konsequent behandelt werden. Trotzdem: Die Armee ist nicht die Armee der Saufbolde und Schinder. Entgleisungen bleiben Einzelfälle, wie Sie, lieber Kollege Horn, gesagt haben. Wir können auch mit Ihnen, sehr geehrter Herr Ernesti, sagen: Die Truppe ist besser als ihr Ruf.Mein Fraktionskollege Möllemann hat in seinem Redebeitrag am 18. Mai 1979 drei Schwerpunkte aufgegriffen, nämlich Versetzungshäufigkeit, Dienstzeitbelastung und Verwendungsstau. Sie, sehr geehrter Herr Minister, sind dankenswerterweise auf diese drei Schwerpunkte auch schon eingegangen und haben Zahlen genannt.1969, sagten Sie, sind 35 % der Offiziere versetzt worden. Das heißt, in jedem Jahr mußte jeder dritte Offizier mit einer Versetzung und infolgedessen meistens auch mit einem Umzug rechnen. 1977 waren es nur noch 26 0/0; das ist nur noch jeder vierte Offizier von ca. 40 000. Herr Minister, vielleicht ist das aber immer noch einer zuviel; vielleicht kommen wir mit jedem fünften oder mit jedem sechsten Offizier aus, wenn wir von alten Gewohnheiten abgehen, wenn wir noch mehr als bisher an Frauen und Kinder der Soldaten denken und nicht zuerst daran, wie das schon immer gewesen ist oder wie wir das schon immer gemacht haben.Auch die von Ihnen zu Recht zitierte hohe soziale Sicherheit innerhalb der Bundeswehr, sage ich, muß vielleicht nicht mit der Dauerentwurzelung von Familien erkauft werden. In Garmisch-Partenkirchen hat mir die Frau eines Soldaten gesagt, daß sie 13mal umgezogen ist; und wenn das eine Frau sagt, ist das ganz besonders eindrucksvoll.Erfreulich zu melden, daß der Dienstzeitausgleich nunmehr in einem ersten Schritt geregelt werden soll. Mit Befriedigung stelle ich fest, daß damit etwas eingeräumt wird, was ich 1976 in einer meiner ersten Reden hier an dieser Stelle gefordert habe.Sie, Herr Minister, sind auch auf den Verwendungsstau eingegangen und haben Vorschläge angekündigt, damit vom Beginn der nächsten Legislaturperiode an dieses Problem gelöst werden kann.
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Ludewig Sie sagten dazu, das werde nicht billig. Es gab schon Ankündigungen in dieser Richtung, und wir hatten gehofft, wir könnten dies jetzt schon hinter uns haben, auch noch in den Haushalt 1979, wenigstens aber in den Haushalt 1980 einbauen. Wir werden zusammen um Verständnis bei den Betroffenen werben müssen, daß nicht alles auf einmal finanziert werden kann!Wie fremd im Selbstverständnis der Bundeswehr und selbst im Hause des Wehrbeauftragten der Begriff der politischen Tätigkeit scheinbar — scheinbar, sage ich ausdrücklich — noch ist, läßt sich daraus ableiten, daß im Abschnitt 3.3 unter der Überschrift „Politische Betätigung" der Wehrbeauftragte nur von politisch extremen Gruppen und ihren Aktionen spricht. Sie können das nachlesen. Wir Freien Demokraten können uns auch eine ganz normale politische Betätigung der Soldaten vorstellen. Wenn es stimmt, daß Soldaten Bürger in Uniform sind, müssen sie das auch dort sein und tun können — sich politisch betätigen —, wo sie als Bürger in Uniform Wochen, Monate und Jahre leben, nämlich in ihrem Lebensraum, in ihrer Garnison, ja auch in ihrer Kaserne. Wir wünschen uns eine unbefangene Betrachtungsweise, weniger Restriktionen. Wir werden uns mit einem Politikverbot in den Kasernen sowohl für Soldaten als auch für Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker zu bestimmten Zeiten auf gar keinen Fall abfinden. Was soll das? Lassen wir uns 1979 noch ein Hausverbot für Politiker gefallen? Ich verweise auf die Worte des Bundespräsidenten von unserem falschen Harmoniestreben, das uns bis jetzt noch immer gehindert hat, Meinungsverschiedenheiten per Diskussion sachlich auszutragen, notfalls auch hart — und notfalls dann mit dem Kompromiß zu leben. Partei- und Fraktionsvorsitzende möchte ich auffordern, diese Worte zu beherzigen und nicht stereotyp Jahr für Jahr sich selbst und alle anderen politisch aktiv Handelnden dem Verdacht auszusetzen, sie würden schon bei ihrem Erscheinen Unfrieden in die sonst ach so friedlichen Kasernen tragen!Ich möchte nun zu meinen eigentlichen Thema, den Personal- und Fürsorgeangelegenheiten, kommen. Aus dem Bericht des Herrn Wehrbeauftragten geht hervor, daß sich ca. zwei Drittel der im Berichtsjahr abgeschlossenen Vorgänge auf diesen Bereich konzentrieren; es waren 4 000 von ca. 6 000. An erster Stelle stehen innerhalb dieser Kategorie Eingaben zu Personal- und Fürsorgeangelegenheiten, Eingaben wegen Versetzungen und Kommandierungen. Es folgen Laufbahnfragen der Unteroffiziere, das Besoldungsrecht, der Urlaub und Fragen der Wehrpflichtigen. Mit unserem immer wieder vorgetragenen Prioritätenkatalog liegen wir also richtig.Wir stimmen dem Wehrbeauftragten zu, daß dann, wenn schon aus verschiedenen verständlichen Gründen verheiratete Wehrpflichtige in der Bundeswehr Dienst tun, diese, wenn irgend möglich, heimatnah verwendet werden sollten. Die Bedarfsdeckungspläne — stellt der Wehrbeauftragte ganz richtig fest — müßten für diese zahlenmäßigkaum ins Gewicht fallende Gruppe von Soldaten genügend Spielraum lassen.In erfreulicher Ausführlichkeit hat sich der Wehrbeauftragte mit dem Verwendungsstau im Offizierskorps beschäftigt. Wir hatten gehofft, durch einen Nachtrag zum Haushalt 1979 wenigstens den früheren Zustand wiederherstellen und einmalig einen Jahrgang zusätzlich in den Ruhestand überführen zu können. Das ist leider an mangelnder Verfügbarkeit der Geldmittel gescheitert. Solange das nicht möglich ist, muß auch unserer Meinung nach den Empfehlungen des Wehrbeauftragten nach größerer Offenheit gefolgt werden. Wir haben früher schon Offenlegung der Qualifikation, der Dienstaltersunterlagen und die Herausgabe von Jahrgangslisten vorgeschlagen, womit man eine größere Palette von Personalführungshilfen zur Verfügung hätte.Der Ausgleich für zusätzlich geleistete Dienste wird uns, wenn wir ihn 1980, wie angekündigt, einführen, zirka 150 Millionen DM kosten, obwohl es sich nur um eine Pauschale von maximal 90 DM für Berufs- und Zeitsoldaten und von 54 DM für Wehrpflichtige handelt, sofern der durchschnittliche Dienst länger als 56 Stunden pro Woche gedauert hat.Ausdrücklich begrüßen wir die eben schon genannten und die weiteren Maßnahmen, die Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Bülow dem Verteidigungsausschuß mit Brief vom 11. Juni 1979 angekündigt hat. Insbesondere begrüßen wir alle familienfreundlichen Maßnahmen, wobei es uns na-. türlich lieber wäre, wir könnten sie schon 1980 einführen und nicht teilweise erst 1981.Angesichts der Unterlagen, die wir in der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses erhalten haben, kann es sich eigentlich nur um ein Versehen handeln, wenn in der Vorlage, sehr geehrter Herr Minister, die Stellenzulage für fliegendes Personal — Hubschrauber, Transportflugzeuge usw. — nicht enthalten ist. Der Unmut und die Unruhe der Hubschrauberpiloten, insbesondere der Heeresflieger, haben eigentlich den Anstoß zur Bildung der Projektgruppe „Zulagewesen" gegeben. Es wäre absurd, nunmehr ausgerechnet diese Gruppe nicht zu berücksichtigen. Wie gesagt, es kann sich nur um ein Versehen handeln. Ich hoffe sehr, daß der Betrag für die Anerkennung eines gerechtfertigten Anspruchs in die Gesamtrechnung 1980 noch einzubauen ist.Es bleibt mir an dieser Stelle noch die angenehme Pflicht, dem Bundesminister der Verteidigung für den vorgelegten Bericht über die soziale Lage der Angehörigen der Bundeswehr zu danken. Auch der Wehrbeauftragte mißt dieser Broschüre in seinem Bericht einen hohen Informationswert bei. Sie kann meiner Meinung nach Grundlage der weiteren Arbeit in diesem Bereich und willkommene Gedächtnisstütze sein.Was die Familienheimfahrten von Soldaten anlangt, wage ich, Zweifel an der Beurteilung des Wehrbeauftragten anzumelden. Ministerium und Wehrbeauftragter lehnen unseren liberalen Vor-
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13004 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Ludewigschlag ab, den Wehrpflichtigen die Fahrtkosten der Bundesbahn auszuzahlen und es ihnen als mündigen Bürgern — „Bürgern in Uniform" — zu überlassen, den günstigsten und schnellsten Heimweg — eventuell auch mit ihrem eigenen Pkw — zu wählen.
Mir ist zu Ohren gekommen, daß die zur Begründung immer wieder genannten Unfälle mit Schwerverletzten und Toten nicht auf der Wochenendfamilienheimfahrt, sondern bei Dienstfahrten und bei kurzen Fahrten im Standortbereich passiert sind. Wir Liberalen erneuern unsere Forderung auf Auszahlung des Fahrpreises der Eisenbahn, auch wenn der eigene Pkw benutzt wird.
— Das ist 'bislang leider an den Usancen dieses Hauses gescheitert. Aber ich denke, wir kriegen das vielleicht auch ohne Sie hin.
Wenn schon Eisenbahn, dann schlagen wir allerdings vor, daß der Intercity-Zuschlag von 3 DM voll übernommen wird und daß Zubringerfahrten, sogenannte Werk- und Fürsorgefahrten, im Einzelfall auch über eine Strecke von über 50 km durchgeführt werden. Zur Erhellung nenne ich als Beispiele nur vier Namen: Ebern im Wehrbereich VI, Münsingen, Stetten am Kalten Markt und Großengstingen im Wehrbereich V.Lassen Sie mich noch schnell den Katalog der familienfreundlichen Maßnahmen durch einige Empfehlungen ergänzen: Ich meine, wir sollten Umzugskostenvergütung auch bei Umzügen innerhalb des Einzugsgebietes des Dienststandortes zahlen. Ich meine, wir sollten Trennungsgeld auch über ein Jahr hinaus bezahlen, besonders dann, wenn Kinder des Betroffenen die letzten Klassen weiterführender Schulen besuchen. Ich meine, wir sollten der Familie wegen die zweite Familienheimfahrt im Monat für Trennungsgeldempfänger genehmigen. Und es wäre schön, wenn wir die Kostenerstattung für den sogenannten Endumzug nicht erst 1981, sondern schon 1980 realisieren könnten. Ebenso sollten wir — ich könnte es mir jedenfalls vorstellen — die Schulbeihilferichtlinien mit Zuschüssen für Internatsunterbringung der insbesondere im Ausland tätigen Angehörigen der Bundeswehr ebenfalls auf 1980 vorziehen.Ich höre auch, daß man Zahlungen von Beihilfen an Versorgungsempfänger bequemer und einfacher durch Überweisung erledigen könnte. Warum geschieht das noch nicht? Gibt es Schwierigkeiten, und wo könnte das Parlament helfen?Zu guter Letzt komme ich auf das Thema der leidigen Umzüge infolge häufiger Versetzungen zurück. Umziehen ist das Schicksal der Soldaten, was insbesondere für die Familien bedeutet: heraus aus gewohnter Umgebung, aus sozialer Umwelt um die Wohnung — das Stadtviertel, die Schule, den Verein, die Kirchengemeinde —, heraus aus dem Freundeskreis. Ich habe mir sagen lassen, daß eine Umzugsfibel für die leidvoll Getroffenen herauskommen soll. Sicher ist das eine gute Maßnahme, die sicherlich laufend zu ergänzen sein wird.Dies war aus der Praxis für die Praxis. Wer sagt, das seien Einzeldinge, das sei unwichtig und betreffe nur wenige Leute, dem erwidere ich: Selbst für einen einzelnen müßten wir uns als Parlament einsetzen, wenn es notwendig wäre.Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, ich hoffe, daß wir mit der heutigen Debatte dem Bericht des Wehrbeauftragten die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt haben. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Minister, daß Ihrem Wunsch nach dem Dialog zum Nutzen der Republik und der Bundeswehr ausreichend entsprochen worden ist. Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Berkhan, und Ihren Mitarbeitern für den freimütigen Bericht, auch für die freimütigen Stellungnahmen zu diesem Bericht. Ich hoffe, daß unsere Aussprache und die Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen haben, den 170 000 Zivilbediensteten der Bundeswehr, den 41 000 Offizieren, den 144 000 Unteroffizieren und den 315 000 Wehrpflichtigen und längerdienenden Mannschaftsdienstgraden zeigen, daß sich der Bundestag ihrer Probleme annehmen kann, wie wir das heute getan haben.
Ich denke, wir sollten diesen Tagesordnungspunkt noch vor Ende der Vormittagssitzung abschließen und dafür die Zeit etwas überschreiten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Apel.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich gern mit dem Abgeordneten Herrn Dr. Wörner auseinandersetzen.
— Sie werden sicher Verständnis dafür haben, daß ich mit meinen Bemerkungen beginnen muß, da ich nicht weiß, wann er zurückkommt.Ich frage mich immer wieder, wenn wir über Probleme der Verteidigungspolitik und der Bundeswehr miteinander reden und sehr offen debattieren, ob es notwendig ist, in dieser Schärfe und in dieser Tonart zu reden. Ich frage mich: Was muß sich Herr Dr. Wörner eigentlich hier in diesem Deutschen Bundestag beweisen, daß er in dieser Art und Weise argumentiert. Aber diese Frage hat er selbst zu beantworten. Ich kann es nicht durchgehen lassen, daß wir Polemik an die Stelle intellektueller Redlichkeit setzen. Wenn wir uns die letzten 16 Monate gemeinsamer Arbeit im Bereich der Verteidigungspolitik anschauen, können wir nicht übersehen, daß die Union den Vorstellungen zum Heeresmodell 4 zugestimmt und es ausdrücklich gebilligt hat. Dann können Sie, Herr Abgeordneter,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13005
Bundesminister Dr. Apel.hier nicht davon reden, daß es einen „Reformwirrwarr" gibt. Zumindest Ihre Kollegen haben gesagt, die sozialen Maßnahmen, die wir jetzt durchgesetzt haben, seien gut und ein guter Einstieg. Sie können deshalb nicht so tun, als gebe es hier ein totales Durcheinander und als geschehe nichts.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Ja, aber zunächst möchte ich meine Argumentation beenden.
Schließlich können Sie, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß der Wehrbeauftragte als eine unabhängige und autonome Instanz in seinem Jahresbericht ausdrücklich davon gesprochen hat, daß die soziale Lage der Bundeswehr gut ist und daß wir insbesondere auch im Bereich der Inneren Führung ein ganzes Stück vorangekommen sind. Wenn dies alles, stimmt, frage ich mich in der Tat: Was sollen die Schärfe, die Demagogik und der Versuch, so zu tun, als sei nichts geschehen oder als sei ein heilloses Durcheinander entstanden.
Ich bin jetzt sehr gern zur Beantwortung der Zwischenfrage bereit, Frau Präsident.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Wörner.
Herr Minister, wenn Sie schon von intellektueller Redlichkeit sprechen, wäre ich dankbar, wenn Sie mir die Frage beantworteten, ob Ihnen klargeworden ist, daß ich nicht das Heeresmodell 4 oder das kritisiert habe, was daraus geworden ist, sondern daß ich an der Vielzahl der Umstrukturierungen, der Verordnungen und sonstiger Maßnahmen darzustellen versucht habe, daß eine derartige Menge an Belastungen auf den einzelnen Kommandeur oder Chef zukommt, daß er überfordert ist und daß dafür die Personaldecke zu kurz ist. Das müßten Sie intellektuell begriffen haben.
Also, ich weiß nicht, was der letzte Satz wieder soll. Ich werde mich auf jeden Fall nicht auf diese Ebene begeben.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, in aller Ruhe und Gelassenheit antworten: Das, was ich hier versuche, ist nichts weiter, als in einer Reihe von Punkten darzulegen und darzustellen — dem haben Sie nicht widersprochen — daß die letzten 16 Monate Verteidigungspolitik dadurch gekennzeichnet sind, daß eine ganze Reihe von wegweisenden Strukturentscheidungen, die Unordnung und Unsicherheit beenden, mit Ihrer Zustimmung gefällt worden sind. Und darum geht es. Es geht darum, daß wir hier miteinander über die Be-reiche reden, über die wir kritisch reden müssen, und daß wir uns auf das konzentrieren, was uns wirklich voneinander trennt.Ich möchte eine weitere Bemerkung machen: So kann es ja wohl nicht sein, daß wir nach der Sommerpause, in der ersten Lesung des Haushalts, von den Damen und Herren der Opposition hören werden, daß die Verschuldung des Bundes viel zu hoch sei, daß die Konsolidierungsbemühungen des Bundes nicht ausreichten, Sie aber hier heute in einer Spezialdebatte als ein wichtiger Mann der Opposition so tun, als könnten wir das Füllhorn auch über die Bundeswehr beliebig ausschütten.
Ich würde das zwar gern tun, aber im Gegensatz zu Ihnen nun mag das Polemik sein; das tut mir leid — spüre ich ein Mindestmaß an Gesamtverantwortung. Ich kann mich als zuständiger Bundesminister — das gleiche gilt für die Abgeordneten der Koalition — hier nicht hinstellen und so tun, als hätten wir keine Haushaltsproblematik. Wenn wir diese aber doch haben, dann bin ich zufrieden, daß wir im Bereich des sozialen Fortschritts eine ganze Reihe von Dingen möglich machen, und zwar in einem Haushaltsjahr, in dem die Haushaltssteigerung insgesamt nur 5 °/o betragen wird. Da hat es doch keinen Zweck, uns hier die Polizeizulage vorzuhalten. Da hat es doch keinen Zweck, zu sagen, der Beförderungs- und Verwendungsstau müsse jetzt aufgelöst werden. Es gibt ja einen Unterschied zwischen Polemik und Politik. Politik ist auch hier die Kunst des Möglichen. Ich meine schon, daß wir eine ganze Reihe von Dingen erreicht haben. Wenn es im Laufe der Haushaltsberatungen möglich sein wird, mehr zu tun, und sich der Bundesgesetzgeber darüber einig wird, dann werde ich dem nicht im Wege stehen. Aber ich muß mir auch hier meiner Gesamtverantwortung bewußt sein.Sie haben schließlich, Herr Kollege Wörner, über die Dienstzeitbelastung gesprochen. Die Analyse stimmt weitgehend; sie kann gar nicht bestritten werden. Nur, bitte schön — der Herr Abgeordnete Horn hat darauf hingewiesen —: wir möchten von Ihnen auch Lösungsvorschläge hören. Es kann doch nicht allein Aufgabe des verteidigungspolitischen Sprechers der Opposition sein, anzuklagen. Vielmehr müßten Sie einmal sagen — dazu haben Sie nichts gesagt —, ob Sie die Zahl der Soldaten der Bundeswehr anheben wollen.
— Na ja, nun gut. — Wenn Sie sich darüber beschweren, daß zu viele Soldaten auf Kursen sind, müssen Sie einmal eine Aussage darüber treffen, ob Sie die Ausbildung ändern wollen.
Ich bin auch nicht zufrieden mit dem, was Sie zu den Bundeswehrhochschulen gesagt haben. Denn
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Bundesminister Dr. Apelim Gegensatz zu Ihnen ist unsere Erfahrung die, daß die Absolventen der Bundeswehrhochschulen sehr wohl sehr erfolgreiche Truppenführer sind.
Es gibt für mich eine sehr interessante — nun bin ich wieder bei einem Fremdwort — Korrelation, also ein Zusammenpassen von zwei Tatsachen, nämlich daß der gute Absolvent einer Bundeswehrhochschule normalerweise auch ein guter Truppenführer ist. Ich hätte es nie für denkbar gehalten, daß ein guter Akademiker auch in einem anderen Bereich normalerweise eine gute Leistung bringt, aber so ist es. Und so bin ich wirklich dafür, daß wir die Dinge auf das reduzieren, worum es geht, und die Polemik außenvor lassen.Im weiteren Verlauf Ihrer Ausführungen haben Sie sich über die Papierflut und die Bürokratisierung lustig gemacht. Sie haben gesagt, wir hätten kein Konzept. Nun lassen Sie uns doch einmal abwarten, was die de-Maizière-Kommission im Oktober bringt; dann lassen Sie uns gemeinsam zur Sache streiten.Ich kann überhaupt nicht akzeptieren, wenn Sie generell den Eindruck erwecken wollen, als seien unsere Soldaten schlecht ausgebildet. Da gibt es sicherlich manche Probleme. Wir haben über die Unteroffiziersausbildung hier gesprochen. Aber eines werden Sie mir zugeben: unsere Bundeswehr ist vom Geist, von der Bewaffnung, von der Ausbildung und, so füge ich hinzu, in gewissem Sinne auch von ihrem sozialen Standard her eine Armee, die sich weltweit sehen lassen kann.
Ich wünsche mir also, daß wir vielleicht doch etwas sachlicher miteinander reden können. Ich werde in jedem Falle meinem Temperament nicht folgen und so aus dem Wald herausrufen, wie es in den Wald hineinschallt.Herr Wehrbeauftragter, darf ich vier Bemerkungen machen. Sie haben gesagt, ein bißchen mehr hätte zum Beförderungs- und Verwendungsstau gesagt werden können. Ich will durchaus zugeben, daß ich diese Kritik einzustecken habe. Aber im Gegensatz zu Ihrer Institution, die eine fordernde, kontrollierende und drängende ist, im Gegensatz auch zu dem, was das Parlament zu diesem Thema sagt, kann ich als Minister nur so viel sagen und auch schreiben, wie ich verantworten und durchsetzen kann. Herr Wehrbeauftragter, mir lag daran, auf eine ganze Reihe von personalen Entscheidungen auch hinsichtlich des Heeresmodells hinzuweisen, die im Endeffekt ja auch durch Stellenanhebungen den Beförderungs- und Verwendungsstau bescheiden lindern. Diese Dinge vorab zu machen, galt es um so mehr, als die Probleme Beförderungs- und Verwendungsstau in der nächsten Legislaturperiode dringlich werden.Sie haben zweitens gesagt, die Zahlen bewiesen hinsichtlich des Alkohols in der Bundeswehr nichts. Dies gebe ich ohne weiteres zu. Zahlen können zumindest Ihre und unsere Besorgnis nicht widerlegen. Aber sie sind natürlich ein Maßstab, den wir haben, und wir müssen diesen Maßstab auch verwenden.Betroffen gemacht hat mich Ihre Bemerkung, in der Sie länger ausgeführt haben, unsere Formulierung vom „Mut zur Lücke" sei schlimm. Ich bin nicht so ganz sicher, ob wir beide den Text richtig verstehen. Ich sage das bewußt höflich. Denn die Formulierungen in unseren Bemerkungen auf Seite 15 sind die folgenden:Im allgemeinen— ich zitiere wörtlich —überlassen die Vorschriften Kommandeuren und Einheitsführern den erforderlichen Spielraum im Sinne der Auftragstaktik.Und zwar geht es hier nur um Ausbildung.Es ist möglich, Schwerpunkte in der Ausbildung zu setzen, um Mut zur Lücke zu zeigen.Nur in dieser Hinsicht, Herr Wehrbeauftragter — und ich glaube, die Bemerkungen, die Sie an diese Formulierung angeschlossen haben, treffen nicht das, was Sie gesagt haben, oder sagen wir besser: sagen wollten —, nur in diesem Punkte wollen wir sagen: Ausbildung soll vor Ort geschehen, und da muß man nicht jede Anweisung bis zum letzten Tezett beachten. Da muß man auch eigene Schwerpunkte setzen können.
— Ich wollte im Endeffekt mit dieser etwas unglücklichen Formulierung — Herr Würzbach, sie ist unglücklich — nur deutlich machen, „Auftrags- taktik" heißt, daß Ausbildung vor Ort geregelt wird und daß man sich nicht sklavisch an jede einzelne Vorschrift halten muß.Aber ich gebe Ihnen eines zu: hier liegt auch ein Vorwurf an uns selbst. Die Vorschriften durchforsten und sehen, ob man nicht auf einiges verzichten kann, das wird im Anschluß an die de-MaizièreKommission geschehen.
— Herr Berkhan ist nie polemisch. Herr Berkhan ist ein charmanter Mann; er ist aus Hamburg.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben sich darüber beklagt oder beschwert gefühlt, daß wir den Uniformtrageerlaß nicht ändern wollen. Sie haben auf einen Fall abgehoben, der mich auch bedrückt hat, nämlich auf die Teilnahme eines Soldaten in Uniform an einer Demonstration in Dachau. Sie haben gesagt, dieses Problem könnten wir lösen, indem wir die Alternativen, die wir im Verteidigungsausschuß vorgetragen haben, Praxis werden ließen. Nun muß ich zur größeren Klarheit sagen: diese Alternative hätte geheißen — um einen Begriff aus der Verkehrspolitik zu verwenden —: Rückzug aus der Fläche. Das heißt nämlich: Uniformtrageverbot generell außerhalb des kasernierten Bereichs. Gut, in dem Moment haben wir kein
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Bundesminister Dr. ApelProblem mehr, weder am 1. Mai noch in Dachau noch in Arolsen noch anderswo.Aber, Herr Wehrbeauftragter, ich frage Sie und frage uns alle: Ist das die Lösung, daß wir, weil wir das Problem haben, daß einzelne provokant —und auch der Fall Dachau ist ja ein Fall der Provokation gewesen — in Uniform an politischen Veranstaltungen, an denen sie so nicht teilnehmen dürfen, teilnehmen und uns dadurch zum Eingreifen zwingen wollen, uns zurückziehen und die Uniform aus dem sozialen Umfeld herausnehmen? Ich habe da meine großen Zweifel. Deswegen werden wir, befürchte ich, weiterhin mit einem unvollkommenen Erlaß leben müssen.Vor dem anderen Weg, der, wenn ich mich rich- tig erinnere, aus Ihrer Ecke leise vorgeschlagen wurde — Liberalisiert doch das Uniformtragen! Seid nicht so pingelig! Laßt die Soldaten doch auch an politischen Veranstaltungen in Uniform teilnehmen! —, kann ich uns alle nur warnen. Denn spätestens wenn die ersten 30 oder 50 Soldaten bei der NPD oder beim KBW mitmarschiert sind, ist diese liberale Debatte beendet. Dann werden Sie von mir zu Recht verlangen, daß ich dieser Art von Verdächtigung von 500 000 Soldaten durch einige wenige Irregeleitete ein Ende setze.Sie sehen also schon, Herr Wehrbeauftragter: Die Dinge sind ziemlich kompliziert. Auch in diesem Zusammenhang haben Sie recht, wenn Sie sagen: Die Zahlen sagen uns nicht viel. Aber die Zahlen sagen wenigstens eines: daß wir auch in dieser Frage mit größerer Gelassenheit an die Dinge herangehen sollten. Ich möchte, wenn es geht, jemanden, der uns provozieren und der uns als eine Armee der demokratischen Intoleranz vorführen will, lieber mitlaufen lassen, statt ihm den Gefallen zu tun, einzugreifen und ihm damit einen wirksamen Auftritt vor Fernsehkameras zu verschaffen. Aber hier gibt es dann Grenzen. Hier gibt es Grenzen der Opportunität. Die muß man sich genau anschauen.Frau Tübler, vieles, was Sie gesagt haben, muß hier nicht kommentiert werden. Es sind wesentliche und wichtige Debattenbeiträge; sie gehören in unsere Überlegungen.Aber in einem Punkt möchte ich gern ein Mißverständnis ausräumen. Vielleicht kann ich damit helfen, daß Sie die Dinge anders sehen — ich will nicht sagen: richtig sehen; das wäre ja unhöflich. Die Regelungen sind nämlich so: Der BMBau — der Bauminister — verwaltet die Haushaltsmittel für alle Vorhaben im Bereich des Wohnungsbaus der öffentlichen Hand. Er teilt uns aus seinem Etat unsere Mittel zu. Wir bauen die Wohnungen, die wir wollen, dort, wo wir sie für zweckmäßig halten, und wir vergeben die Wohnungen. Und insofern vergeben Sie mir, wenn ich behaupte, daß ich diesmal recht hatte.
Zu Herrn Ludewig möchte ich eigentlich nur zwei Bemerkungen machen: über die Hubschrauberpiloten und die Pkw-Heimfahrten. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt sagen soll; aber ich sag' s mal.
Der Finanzminister ist ja nicht da. Wir sind hier ganz unter uns, wie man sieht.Die Zulagenregelungen, die wir für die Marine gefunden haben, waren sicher sehr vordringlich.
— Ich weiß, Sie müssen da klatschen. „SchleswigHolstein, meerumschlungen." — Aber das soll doch nicht heißen, daß wir damit am Ende der Dinge sind. Insofern meine ich: Wir sollten das Mögliche jetzt tun und uns das Gute vorbehalten.Nun noch eine Bemerkung — die letzte — zum Thema Heimfahrt der Wehrpflichtigen im eigenen Pkw, notfalls unter Zahlung der Summe, die für die Eisenbahnfahrt zur Verfügung stünde. Ich bin aus drei Gründen nicht so sicher, ob wir diesen Weg gehen können.Den einleuchtendsten Grund zuerst. Wir haben 107 Millionen DM für das ganze Paket zur Verfügung: ab 1. Juli jeden Sonntag mit dem Zug kostenlos nach Hause fahren. Wenn wir Ihren Weg gehen, wird es drei- bis viermal so teuer. Unsere Experten sagen: mindestens viermal. Wir haben das Geld nicht.
— Zugegeben, Frau Tübler, es hat ja auch keinen Zweck — und ich versuche es gar nicht — an der Sache vorbei zu argumentieren.
Zweitens. Es bleibt die Tatsache bestehen, daß in den letzten neun Jahren von 1970 bis Ende 1978 über 4 000 Wehrpflichtige, 4 000 junge Menschen, durch Verkehrsunfälle gestorben sind — zugegeben, nicht alle auf dem Weg im Pkw von und zur Kaserne, aber doch viele. Wir wissen doch, wie das geht: im letzten Moment weg, viele in das Auto hineingepackt und auf geht's. Ich weiß nicht, ob ich dazu beitragen sollte.
— Ja, sicherlich. Die Frage ist doch, ob wir noch finanzielle Anreize geben sollen. Wenn wir für heimatnähere Einberufung sorgen und dafür plädieren, jede Woche zur Heimfahrt die Eisenbahn zu benutzen, ist es doch gut.Eine dritte und letzte Bemerkung. Auch dies will ich ganz offen sagen: Wenn wir jungen Menschen für die Heimfahrt mit dem Pkw Geld geben, müssen wir auch kontrollieren, ob sie den Pkw benutzen, d. h., wir können hier nicht einfach zahlen. In welche Problematik kommen wir dann eigentlich hinein, wenn zwei- und dreimal gezahlt wird, aber nur ein Pkw sich bewegt? Auch in dieser Debatte, Herr Ludewig, ist nichts endgültig. Ich wollte und mußte, wie ich denke, Ihnen aber zumindest sagen,
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13008 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Bundesminister Dr. Apelwarum wir an der gegenwärtigen Regelung festhalten.Ansonsten: Herr Wehrbeauftragter, schönen Dank für Ihren Bericht. Er war Anlaß für eine wichtige Debatte.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß schlägt auf Drucksache 8/2986 unter den Ziffern 1 und 2 vor, den Jahresbericht 1978 des Herrn Wehrbeauftragten auf Drucksache 8/2625 zur Kenntnis zu nehmen und dem Herrn Wehrbeauftragten für seine Arbeit im Berichtsjahr zu danken. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/2986 unter Ziffer 3 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist ebenfalls einstimmig so beschlossen.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Das Haus tritt um 14 Uhr zur Fragestunde wieder zusammen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 8/3000 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Pensky auf:
Erwägt die Bundesregierung Maßnahmen, wonach in den Behindertenwerkstätten Tätige die Möglichkeit einer betrieblichen Altersversorgung, ähnlich wie sie für Arbeitnehmer in der privaten Industrie bestehen, erhalten können, und sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, für diesen Personenkreis einen Beitrag zur Vermögensbildung zu leisten, wie dies ebenfalls im Bereich der Privatwirtschaft möglich ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, wenn es gestattet ist, würde ich gerne die Fragen 1 und 2 zusammen beantworten.
Herr Kollege, sind Sie einverstanden?
Ich habe nichts dagegen, wenn sie hinreichend beantwortet werden.
Sie haben in diesem Fall vier Zusatzfragen.Ich rufe auch die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Pensky auf:Erwägt die Bundesregierung, zur Pflege bettlägeriger Schwerbehinderter finanzielle Mittel für eine häusliche Hilfe bereitzustellen, da diese Verfahrensweise wohl kostengünstiger ist als die Bereitstellung eines Pflegeplatzes im Heim, und beabsichtigt die Bundesregierung diesbezügliche Absprachen mit den Kran' kenkassen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pensky, Ihre Frage wirft eine Fülle von rechtlichen und finanziellen Problemen auf, die sorgfältig abgewogen werden müssen und kurzfristig wohl nicht gelöst werden können. Ich vermag Ihre Frage deshalb noch nicht abschließend zu beantworten. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand läßt sich folgendes sagen:.Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und Vergünstigungen nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz können grundsätzlich alle Arbeitnehmer erhalten. Soweit also Behinderte in Werkstätten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig sind, kommen für sie die Vorteile dieser beiden Regelungen in Betracht. Insofern bedürfte es keiner neuen Maßnahmen. Es wird allerdings vielfach davon ausgegangen, daß ein großer Teil des genannten Personenkreises im arbeitsrechtlichen Sinne nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern in einem Betreuungsverhältnis besonderer Art zu seiner Werkstatt steht.Eine weitere Problematik liegt im finanziellen Bereich. Deshalb wird die Möglichkeit, auch den in den Behindertenwerkstätten Tätigen eine betriebliche Altersversorgung zukommen zu lassen, insbesondere auch davon abhängen, ob die Träger der Werkstätten in die Lage versetzt werden können, die finanziellen Lasten zu tragen. Diese Fragen werden von der Bundesregierung geprüft. Die Bundesregierung wird auch prüfen, ob es möglich sein wird, die in Werkstätten beschäftigten Behinderten in die Vergünstigung des Dritten Vermögensbildungsgesetzes einzubeziehen.Ich komme zu Ihrer zweiten Frage. Versicherte erhalten in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Pflege durch Krankenpflegepersonen, wenn Krankenhauspflege geboten, aber nicht ausführbar ist oder Krankenhauspflege dadurch nicht erforderlich wird. Diese Leistung wird dann erbracht, wenn ein Kranker gepflegt werden muß. Sie umfaßt deshalb in erster Linie medizinische Maßnahmen. Die häusliche Pflege und Betreuung bettlägeriger Schwerbehinderter, die nur dieser Pflege und Betreuung, aber keiner Krankenpflege bedürfen , werden von der Krankenkasse nicht übernommen. Hier kommen letztlich die Leistungen der Sozialhilfe in Betracht. Sie gewährt Personen, die infolge einer Behinderung so hilflos sind, daß sie nicht ohne Wartung und Pflege bleiben können, Hilfe zur Pflege, d. h. unter bestimmten Voraussetzungen Übernahme der Kosten für eine Pflegeperson, Zahlung von Pflegegeld.
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Parl. Staatssekretär BuschfortDie Bundesregierung wird prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um die häusliche Hilfe für Schwerbehinderte zu verstärken.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Antwort auf meine Frage darf ich zunächst mit einer Feststellung beginnen.
Herr Kollege, genau das dürfen Sie nicht. Wenn Sie bitte eine Frage stellen wollen.
Ich frage Sie, ob Sie nicht doch der Meinung sind, daß es besser gewesen wäre, die Fragen getrennt zu behandeln, Herr Staatssekretär, da es doch zwei völlig verschiedene Problembereiche sind. Ich stelle meine erste Zusatzfrage zur betrieblichen Altersversorgung und Vermögensbildung, weil Sie von der Grundsatzfrage ausgegangen sind, ob es sich hier um Beschäftigte handelt, die sich in einem Arbeitsverhältnis befinden. Ich glaube aber aus Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, schließen zu können, daß es Ihnen in der Kürze der Zeit offenbar nicht möglich war, zu diesem neuen Problem alles umfassend abzuklären.
— Ich frage doch. Dies ist ein Parenthesesatz, den ich dazwischengeschoben habe.
Ich gehe deshalb von der Annahme aus, daß Sie nach einer gründlichen Abklärung noch einmal auf diese Frage zurückkommen, Herr Staatsekretär. Habe ich recht mit der Annahme, daß Sie so verfahren wollen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pensky, wir haben das natürlich zunächst einmal geprüft. Ich darf Ihnen sagen: Es spricht vieles dafür, daß auch die Beschäftigten in Werksätten Arbeitnehmer sind. Ich will allerdings nicht verschweigen, daß die steuerrechtliche Problematik und auch die arbeitsvertragliche Problematik damit noch nicht beantwortet sind. Sie wissen, daß viele Personen gerade in diesen Werkstätten nicht eigenständig Arbeitsverträge abschließen können und vielfach ein Arbeitsvertrag überhaupt nicht vorliegt. Die Weisungsgebundenheit spricht allerdings für den Rang als Arbeitnehmer.
Von daher gibt es bei uns noch Unsicherheiten. Deshalb auch die Bemerkung, daß wir unsere Untersuchungen selber noch nicht abgeschlossen haben. Wir kommen darauf zurück.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß Sie im Prinzip dem hier vorgetragenen Anliegen zur betrieblichen Altersversorgung bzw. zur Vermögensbildung dieses Personenkreises positiv gegenüberstehen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja. Sozialpolitisch kann ich gar nicht anders antworten: Beschäftigte in Werkstätten haben sicherlich auch ein Recht darauf, in den Kreis der Arbeitnehmer einbezogen zu sein und damit auch Anspruch auf Vermögensbildung und auf betriebliche Altersversorgung zu haben.
Wie das ausgestaltet wird, liegt allerdings im Ermessen des jeweiligen Arbeitgebers. Sie wissen, daß dies mit finanziellen Aufwendungen verbunden ist und die Werkstatt in aller Regel diese finanziellen Voraussetzungen aus eigener Kraft gar nicht erbringen kann, es sei denn, daß der Träger unabhängig von der Rendite der Werkstatt sagt: Wir wollen auch für diese Personen die betriebliche Altersversorgung oder aber Leistungen zur Vermögensbildung beisteuern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Pensky.
Bezüglich der bettlägerigen Schwerbehinderten möchte ich fragen, ob Sie mit Ihrer Antwort zum Ausdruck bringen wollten, daß die Frage der Kranken geregelt ist, aber die Frage der an sich nicht kranken, aber dennoch ständig bettlägerigen Schwerbehinderten noch nicht hinreichend durch die jetzige Regelung abgedeckt ist.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Pensky. Nach § 182 RVO muß die Krankenkasse für die Erkrankungsfälle eintreten. Ob das zu Hause oder im Krankenhaus ist, spielt dabei keine Rolle. Die medizinische und pflegerische Versorgung ist dann zu gewährleisten. Im Bereich der Pflegefälle ist nicht die Krankenkasse, sondern die Sozialhilfe oder aber die Familie selber zuständig.
Wir glauben, daß hier noch einiges zu verändern ist. Deshalb werden wir uns mit diesen Fragen weiter beschäftigen.
Ich kann also darauf vertrauen, Herr Staatssekretär, daß Sie auch dieser Frage noch einmal nachgehen und daß ich später darauf zurückkommen kann?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja.
Keine weiteren Zusatzfragen. Danke schön, Herr Staatssekretär.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander zur Vefügung.Ich rufe zunächst die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Josten auf:Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß Aluminium ein Nervengift ist, wie ein ärztliches Forschungsteam der Ruhr-Universität laut Rheinzeitung, Koblenz, vom Freitag, dem 15. Juni 1979, festgestellt haben soll, und wenn ja, welche Folgerungen wird die Bundesregierung daraus ziehen?Bitte, Herr Staatssekretär.
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13010 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Herr Kollege Josten, Aluminium wird üblicherweise als untoxisches Material angesehen. Aluminiumhaltige Arzneimittel werden seit vielen Jahren zur Behandlung der Übersäuerung des Magens mit Erfolg eingesetzt.
Der von Ihnen genannte Beitrag in der „Rhein-Zeitung" Koblenz bezieht sich auf eine Arbeit, die im „Deutschen Ärzteblatt" Nr. 24 vom 14. Juni 1979 erschienen ist. Die genannten Autoren der Ruhr-Universität stellen darin ausdrücklich fest, „daß gegenwärtig keine Veranlassung zu Befürchtungen beim Gebrauch von aluminiumhaltigen Antacida beim nierengesunden Patienten besteht. Erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich der Dosierungsgewohnheiten ist allerdings bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion am Platz".
Da diese Patienten unter besonders strenger ärztlicher Aufsicht stehen, muß der behandelnde Arzt bei ihrer Behandlung den Nutzen einer Therapie mit Aluminiumsalzen zur Senkung des erhöhten Phosphatspiegels gegen eventuelle Risiken abwägen. Von einer allgemeinen Gefährdung durch aluminiumhaltige Arzneimittel kann nicht gesprochen werden.
Die Bundesregierung sieht daher zur Zeit keine Notwendigkeit, aus den Mitteilungen des ärztlichen Forscherteams Folgerungen zu ziehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, kann man auf Grund Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß die Aluminiumzufuhr mit der Nahrung in der Bundesrepublik in der Gefahrenzone nicht im Ansteigen ist?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, Sie können davon ausgehen. Ich werde in der Antwort auf Ihre nächste Frage gern etwas präzisere Ausführungen hinsichtlich der Mengen machen.
Wollen Sie erst die nächste Frage beantworten?
Ich bin damit einverstanden, wenn Sie mir die weiteren Zusatzfragen zulassen.
Die bekommen Sie; möglicherweise ist es dann leichter.
Dann rufe ich die Frage 4 des Abgeordneten Josten auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu ergreifen, um unsere Bevölkerung auf diesem Gebiet aufzuklären und insbesondere bei der Fabrikation aluminiumverpackter Fertiggerichte den Ursachen für gesundheitliche Schäden weitestgehend entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, in dem von Ihnen zitierten Bericht des ärztlichen Forscherteams wird darauf hingewiesen, daß die
Aluminiumaufnahme durch Lebensmittel, die in Aluminiumfolie zubereitet oder verpackt werden, gering ist. Nach zuverlässigen Feststellungen liegt die mit der Nahrung überlicherweise aufgenommene Menge an Aluminium in der Größenordnung von weniger als 100 Milligramm pro Tag. Da oral aufgenommenes Aluminium in diesen Mengen als un-toxisch gilt, hält es die Bundesregierung nicht für erforderlich, die Bevölkerung vor der Verwendung aluminiumverpackter Fertiggerichte zu warnen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist denn die Bundesregierung der Meinung, daß die schädlichen Einwirkungen auf den menschlichen Organismus bisher nicht unterschätzt wurden, wie es von dem Ärzteteam angenommen wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, Sie unterstellen auch in Ihrer ersten Frage, die ich vorhin beantwortet habe, daß dieses Forscherteam die Feststellung getroffen hat, es handle sich bei Aluminium um ein Nervengift. Davon ist in der genannten Untersuchung an keiner Stelle die Rede. Es gibt allerdings Gefährdungen, die vor allen Dingen bei Beschäftigten in der Bauxitgewinnung aufgetreten sind. Da hat es sich aber um Staublungen und ähnliche Erkrankungen gehandelt, wie sie bei solchen Tätigkeiten auch in anderen Industriezweigen vorkommen können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, wie insbesondere Arbeitern, von denen Sie sprachen, die gefährdet sind, z. B. an Aluminiumschmelzöfen mehr Schutz für ihre Gesundheit geboten werden kann?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, ich kann Ihnen Fragen beantworten, die im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Gefährdung bei Nahrungsmitteln stehen. Wegen fehlender Zuständigkeit bin ich nicht in der Lage, diesen Teil, der in die Zuständigkeit des Arbeitsministers fällt, zu beantworten. Ich bin aber gewiß, daß Ihnen das Bundesarbeitsministerium bei einer entsprechenden Frage eingehend zeigen kann, welche Schutzvorschriften dort bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man auf Grund Ihrer gesamten Ausführungen davon ausgehen, daß aluminiumvergiftete Personen nicht einem solch grauenhaften Schicksal entgegengehen, wie es von dem ärztlichen Forscherteam angegeben und in der Presse der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13011
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, Sie können davon ausgehen, daß bei dem jetzigen Überblick, den wir haben, und bei den geringen Mengen von Aluminium, die bei Fertiggerichten in die Nahrung übergehen, kein Anlaß besteht, die Bevölkerung in irgendeiner Weise zu beunruhigen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sperling steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Wie weit sind die Bemühungen des Bundesbauministers gediehen, die gesamte Wohnungsbauförderung stadtentwicklungspolitisch und familienpolitisch zu überarbeiten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Jahn, wären Sie mit einer zusammenfassenden Antwort auf Ihre beiden Fragen einverstanden?
Wenn ich die vier Zusatzfragen bekomme, ja.
Selbstverständlich.
Dann rufe ich auch die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Ist noch in diesem Jahr mit der Vorlage einer solchen Neukonzeption zu rechnen, wie vom Bundesbauminister in der Allgemeinen Zeitung vom 4. April 1979 angekündigt wurde?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jahn, die Grundlagen für die Wohnungspolitik des Bundes in dieser Legislaturperiode sind in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 dargestellt worden.
Stadtentwicklungspolitische Akzente wurden in der Vergangenheit vor allem durch das Zukunftsinvestitionsprogramm, familienpolitische Akzente durch die Finanzhilfen für das Sozialprogramm im sozialen Wohnungsbau und durch die Verbesserung des Wohngeldes gesetzt. Stadtentwicklungspolitische Aspekte haben außerdem bei der Ausdehnung des § 7 b und der Grunderwerbsteuerbefreiung auf den Erwerb vorhandenen Wohnraums zur eigenen Nutzung eine wichtige Rolle gespielt, ebenso beim Entwurf einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Es ist selbstverständlich, daß sich beim zuständigen Bundesminister auf diesen vorangegangenen Änderungen und deren Wirkungsanalyse auch konzeptionelle Überlegungen ergeben, die als Basis für neue Weichenstellungen dienen können. Solche Überlegungen sind gegenwärtig Gegenstand von Erörterungen zwischen den beteiligten Bundesressorts. Wir werden diese Überlegungen in Zukunft bei Gesetzesänderungen sicher schrittweise berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jahn.
Herr Staatssekretär, da Sie diese Überlegungen nicht konkretisiert haben, frage ich Sie: In welcher Weise will die Bundesregierung das Wohnverhalten der Bevölkerung beeinflussen, wie es Minister Dr. Haack in der „Allgemeinen Zeitung" vom 4. April 1979 angekündigt hat?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jahn, nach dem „Wohnverhalten" haben Sie gefragt?
Jawohl, nach dem Wohnverhalten; so ist es dort wörtlich ausgedruckt.
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Das Wohnverhalten der Bevölkerung zu beeinflussen heißt, daß man beim Entwickeln neuer Siedlungen, beim Füllen von Baulücken in den vorhandenen Siedlungen neue Konzepte oder andere Unterstützungen anbietet. Wir haben das Stadthauskonzept vorgestellt und bemühen uns zur Zeit, es in die Tat umzusetzen. Das, worauf Sie vielleicht ebenfalls anspielen, wäre ein Durchprüfen unseres Fördersystems, ob dieses in der Tat umgestellt werden kann, damit die Verteilung von Wohnfläche zwischen Stadt und Land nicht mehr ganz so weiterläuft, wie das bisher in der Vergangenheit geschehen ist. Das würde das Wohnverhalten der Bevölkerung aber nur in sehr entfernter Weise beeinflussen.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade das Stadthausmodell ansprachen, frage ich Sie: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Stadthauskonzept nicht zur Senkung der Grundstückspreise pro Quadratmeter geführt hat, sondern lediglich das Haus in der Stadt in Stadthaus umbenannt worden ist?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Jahn. Grundstücksparendes Bauen in der Stadt, und zwar einfamilienhausähnlich, führt dazu, daß insgesamt die Grundstückskosten für ein entsprechendes Bauvorhaben einen geringeren Anteil an den Gesamtbaukosten einnehmen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, an welche konkreten familienpolitischen Maßnahmen denkt die Bundesregierung bei der Vorlage der angekündigten Neukonzeption in der Wohnungsbaupolitik?
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13012 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jahn, da Sie das Wort „konkret" eingefügt haben, darf ich sagen, daß ich auf das Wort „konkret" eine etwas ungenauere Antwort gebe. Sie kennen unser Förderungssystem. Sie wissen, daß wir uns mit Erwägungen tragen, die sagen: Wir brauchen familienpolitische Komponenten, etwa in § 7 b oder bei anderen Förderungsbestandteilen. Dies kann in der Bundesregierung niemand im Alleingang machen. Wenn, dann muß dies zwischen den beteiligten Ressorts zur Diskussion gestellt werden. In dieser Diskussion befinden wir uns.
Letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Jahn.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei einer Neukonzeption nicht nur das Problem der Stadtflucht, sondern auch das der Landflucht einer Lösung bedarf?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Sehr richtig, Herr Kollege Jahn, weswegen wir sagen, daß sich dort Stadtbaupolitik und Raumordnungspolitik verzahnen, weil wir in den Ballungsräumen keine weitere Zuwanderung aus den strukturschwachen Gebieten brauchen und dennoch damit rechnen müssen, daß nicht unter dem Gesichtspunkt Stadtflucht, sondern unter dem Gesichtspunkt Verringerung der Siedlungsdichte, der Wohndichte in den Städten, um dort angenehmeres Wohnen möglich zu machen, noch Menschen in den Ballungsraum abwandern werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Josten.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch der Meinung, daß die familienpolitischen Gesichtspunkte bei der gesamten Wonungsbauförderung von Bundes- und Landesregierungen noch mehr, als es bisher geschah, berücksichtigt werden müssen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Dies ist sicher richtig. Sie haben zwei Adressaten genannt, die darüber auch immer in Kontakt stehen. Dennoch wird es Schwierigkeiten bereiten, sich über konkrete Vorhaben zu einigen, auch mit den Ländern.
Keine weitere Zusatzfrage. Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 7 des Herrn Abgeordneten Stockleben:
Welche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Nutzung von Biomasse für die Gewinnung von Energie werden von der Bundesregierung gefördert, und welche Mittel werden hierfür aufgewandt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stockleben, der Bundesminister für Forschung und Technologie hat im Programm „Technologien zur Nutzung der Sonnenenergie 1977 bis 1980" darauf hingewiesen, daß wegen des geringen Umwandlungsgrades von solarer Strahlungsenergie in nutzbare Energie der Biomasse und des daraus folgenden hohen Flächenbedarfs für eine biologische Nutzung der Sonnenenergie eine Intensivierung derartiger Technologien der Energieerzeugung nur in Verbindung mit der Nahrungsmittel- und Rohstoffproduktion sinnvoll ist. Als konkretes Vorhaben wird von der Bundesregierung zunächst eine experimentelle Untersuchung über Möglichkeiten der Energiegewinnung aus Stroh gefördert, für die 722 000 DM zur Verfügung gestellt wurden.Daneben werden mehrere Vorhaben gefördert, deren Ergebnisse indirekt der Biomasseproduktion zugute kommen. Dazu zählen neben Übersichtsstudien vor allem Untersuchungen über Umwandlungsmöglichkeiten. Da die biologische Energieerzeugung vor allem für sonnenreiche und großflächige Länder Bedeutung hat, werden vermehrt Forschungsvorhaben gefördert, welche Systeme für diese Anwendung entwickeln.An entsprechenden grundlegenden Untersuchungen über eine „Energielandwirtschaft" beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Energieforschungsprogramms der Europäischen Gemeinschaft und der Internationalen Energieagentur.Besondere Bedeutung mißt die Bundesregierung der Umwandlung von Biomasse in Gas bei. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie fördert bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig den Bau und den Betrieb einer Versuchsanlage zur Erzeugung von Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen bei der Massentierhaltung. Hierbei werden die verfahrenstechnischen und die wirtschaftlichen Parameter für die Auslegung und Erstellung von Biogasanlagen untersucht. Für dieses Vorhaben sind Zuschüsse in Höhe von 2,25 Millionen DM bereitgestellt worden.Im Klärwerk Oldenburg ist geplant, einen Generator über einen mit Klärgas betriebenen Gasmotor anzutreiben. Der damit erzeugte Strom dient zur Eigenversorgung; der Überschußstrom wird ins Netz eingespeist. Mit der Motorabwärme wird der Wärmebedarf des Klärwerkes gedeckt. Das Bundesforschungsministerium fördert dieses Projekt. mit einem Zuschuß von 2,9 Millionen DM.Eine vollständige Übersicht über die auch vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten geförderten Vorhaben ist zuletzt in den Antworten auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Zumpfort in der 162. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 22. Juni 1979 und des Abgeordneten Lenzer in der 162. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 22. Juni 1979 gegeben worden. Eine Zusammenstellung der einzelnen Projekte ist der Antwort auf die Frage des Abgeordneten Paintner in der 121. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 1978 vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beigefügt worden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13013
Parl. Staatssekretär StahlHerr Kollege Stockleben, wegen des engen Zusammenhangs der Thematik mit anderen Forschungszielen kann eine gesonderte Summe für die Vorhaben zur Energieerzeugung allein aus Biomasse nicht genannt werden.
Herr Kollege, ich hoffe, daß Sie den gesamten Inhalt voll aufgenommen haben.
Stellen Sie eine Zusatzfrage?
— Bitte schön.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß das Ministerium für Forschung und Technologie in Kooperation mit dem Landwirtschaftsministerium versuchen wird, über die Pilotanlage in Braunschweig hinaus eine großtechnische Anlage dann zu fördern, wenn ein entsprechender Antrag von den möglichen Betreibern — ich denke hier beispielsweise an eine landwirtschaftliche Genossenschaft — gestellt wird, und stehen dafür ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, es findet eine Abstimmung zwischen den hier angesprochenen Ressorts statt. Wenn Anträge vorliegen, werden sie sehr eingehend von den Fachleuten geprüft, und wenn sie für gut befunden werden, werden entsprechende Projekte, soweit möglich, in der Regel auch gefördert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Ey.
Herr Staatssekretär, für welche Bereiche von Biomassen zeichnen sich — im Verhältnis zu anderen Energieträgern — substitutions-fähige oder wettbewerbsfähige Formen ab?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, Ihre Frage ist sehr schwer zu beantworten. Das hängt natürlich auch von der Marktlage der Biomassen selbst und vom Preis der Energie im Markt ab. Ich glaube aber, es ist notwendig, daß man sämtliche Chancen verschiedenartiger Energieproduktion bzw. -erzeugung nutzt, und dazu gehören natürlich auch Untersuchungen in diesem Bereich.
Ich rufe Frage 8 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Nutzung von Stroh zur Energiegewinnung, und wie sieht nach ihrer Auffassung die Energiebilanz dieser Art von Gewinnung aus?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, in der Bundesrepublik Deutschland fallen jährlich etwa 25 Millionen Tonnen Getreidestroh an, die wegen der geänderten Produktionsmethoden in der Landwirtschaft zum Teil nicht mehr nutzbringend, d. h. in der Tierhaltung oder der Bodenverbesserung, verwendet werden können. Es kann daher damit gerechnet werden, daß ca. 3 bis 5 Millionen Tonnen Stroh pro Jahr als Energieträger zur Verfügung stehen, sobald geeignete Methoden der Umwandlung dieser Biomasse entwickelt sind. Diese Strohmenge entspricht einem Heizöläquivalent von etwa 1 bis 1,5 Millionen Tonnen und einem Steinkohleäquivalent von 1,2 bis 2 Millionen Tonnen.
Die günstigste Möglichkeit zur Energieerzeugung aus Stroh bietet eine geeignete Form der Verbrennung. Da sich Getreidestroh in physikalischer und chemischer Hinsicht wesentlich von herkömmlichen Festbrennstoffen unterscheidet, müssen besondere Verbrennungsanlagen entwickelt werden. Diese können nur bei möglichst geringem Bedienungsaufwand mit fossil gefeuerten konventionellen Heizungssystemen konkurrieren. Das setzt die Entwicklung besonderer Verpackungsformen für Stroh und von Vorrichtungen zur mechanischen Beschickung voraus.
Die sinnvolle Verwendung von Biomasse zur Energieerzeugung setzt selbstverständlich voraus, daß die Energiebilanz, d. h. die Differenz zwischen dem erzielbaren Energiegewinn und dem Energieaufwand für das Sammeln, Trocknen, den Transport und die Aufbereitung, positiv und das Verfahren wirtschaftlich ist. Nach Untersuchungsergebnissen, die der Bundesregierung vorliegen, ist bei Energiegewinnung aus Stroh dann mit einem günstigen wirtschaftlichen Ergebnis zu rechnen, wenn die Verbrennung in der näheren Umgebung des Strohaufkommens — möglichst auf dem gleichen Bauernhof — erfolgt.
Im übrigen, Herr Kollege Stockleben, darf ich auf die zuvor genannten Antworten in der Fragestunde vom 22. Juni gegenüber anderen Kollegen nochmals verweisen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben.
Herr Staatssekretär, gehe ich dann richtig in der Annahme, daß die Bundesregierung bereit wäre, in der Fläche, also dort, wo besonders viel Stroh anfällt, Kleinheizkraftwerke zu fördern, um damit Sammelkosten zu ersparen? Oder wäre die Bundesregierung eher bereit, im Bereich des Einsammelns, wo ja die erheblichen Kosten entstehen, verstärkt Fördermöglichkeiten ins Auge zu fassen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, zu diesem Problem hat es vor einigen Wochen ein sehr ausführliches Symposium in München gegeben. Es gab dabei eingehende Ausführungen zu diesem Bereich. Die Bundesregierung wird derartige Anstöße, wie Sie sie auch hier gegeben haben, fachlich eingehend prüfen lassen. Wenn Chancen auf Forschungserfolge möglich sind, werden derartige Forschungsvorhaben auch in Erwägung gezogen.
Noch eine Zusatzfrage? — Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
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13014 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die modernen Großballenbergungsverfahren auf dem Strohsektor als eine besonders geeignete Form für die Weiterverwendung des Strohs als Energiespender betrachtet werden können?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, auch diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Sie wissen ja, daß die Großballen, die heute überwiegend nicht mehr so stark wie früher gepreßt werden, auch eines besonderen Ofens zur Verbrennung bedürfen. Ich bin überfragt, inwieweit die einschlägige Technik in diesem Bereich heute schon Erfahrungen hat, daß sie auch automatisch in den Ofen eingeführt werden können. Das Auseinanderreißen derartiger Ballen würde mehr Bedienung zur Folge haben und entsprechend natürlich auch eine ganze Menge Kosten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Glaubt die Bundesregierung, daß die derzeitige Förderung und Nutzung der obersten Begabungsschicht der deutschen Jugend ausreicht in Anbetracht der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich der wissenschaftlichen Leistungen in unserer Zeit weit zurückgefallen ist, und in Anbetracht der zu erwartenden Herausforderungen, denen sich unser Volk und Staat in den nächsten Jahrzehnten gegenüber sieht, und wenn nein, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich würde gern beide Fragen des Herrn Abgeordneten Kunz im Zusammenhang beantworten, wenn es erlaubt wäre.
Ja, bitte sehr. Ich rufe dann auch die Frage Nr. 10 auf:
Welche Vorstellungen besitzt die Bundesregierung für die Mobilisierung der obersten Begabungsschicht und deren frühzeitige, ausreichende und intensive Ausbildung zum Nutzen unseres Volks ?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kunz, die Bundesregierung teilt nicht die Absicht, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich der wissenschaftlichen Leistungen weit zurückgefallen sei. Sie warnt nachdrücklich vor einer derart pauschalen Kritik unseres Bildungswesens und der deutschen Forschung. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Professor Maier-Leibnitz hat gerade vor wenigen Tagen den Beitrag der deutschen Forschung an der „Weltforschung" auf etwa 8 °/o geschätzt, eine, wie ich glaube, sehr beachtliche Leistung.
Die von der Bundesregierung vertretene Politik einer breiten Qualifizierung möglichst aller Jugendlichen, schafft unseres Erachtens die Voraussetzungen dafür, daß sich auf der Grundlage der Breitenförderung und einer sozialen Absicherung — etwa durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz — der Nachwuchs für Führungspositionen in Staat und Gesellschaft entsprechend qualifizieren kann.
Die Bundesregierung hält es für nicht unproblematisch, von einer „obersten Begabungsschicht" zu sprechen. Ein solcher Begriff könnte leicht zu dem Mißverständnis führen, daß die Zugehörigkeit zu einer solchen „Schicht" gleichsam per Geburt oder per Natur vorgegegeben sei. Sie hält es für richtiger, darauf hinzuwirken, daß sich der Nachwuchs für Führungsaufgaben in Staat und Gesellschaft allein auf Grund Leistung und sozialen Verhaltens in Ausbildung und Beruf als qualifiziert erweisen kann.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das breite Angebot an Qualifikationen unser Land in die Lage versetzt, im internationalen Wettbewerb die Position weiterhin zu behaupten. Die Bundesregierung fördert deshalb hervorragende Leistungen nicht nur über den Ausbau des Hochschulwesens, sondern zusätzlich auch durch die Finanzierung von Stipendien der Hochbegabtenförderungswerke, der personenbezogenen Förderung über die Deutsche Forschungsgemeinschaft und anderer wichtiger Einrichtungen der Forschung und der Forschungsförderung. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat, wie Ihnen bekannt, kürzlich Vorschläge vorgelegt, die die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern und Instrumente entwikkeln sollen, mit denen die besonders geeigneten und leistungsfähigsten Absolventen der geburtenstarken Jahrgänge für einen Erneuerungsschub in Wissenschaft und Forschung in den 80er und 90er Jahren gefördert werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatssekretär, geht es der Bundesregierung um eine Förderung der einzelnen Personen oder sollte es ihr nicht vielmehr darum gehen, mögliche Begabungsreserven zu mobilisieren?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Kunz, wir stimmen im Grundsatz, glaube ich, durchaus überein. Der Bundesregierung geht es darum, jede Begabung in der Bundesrepublik — sei es auf dem hochgeistigen, sei es im beruflichen, sei es im künstlerisch-musischen Sektor — zu fördern. Um aber Begabungen entdecken zu können — das ist die Voraussetzung für ihre Förderung —, muß zunächst einmal in aller Breite erkundet werden, wo diese Begabungen vorhanden sind. Deshalb ist der Ansatz der Bundesregierung, möglichst in aller Breite bildungspolitisch zu fördern, dann entsprechend die richtigen Begabungen herauszuziehen und die dann auch bis zum Ende zu fördern.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13015
Herr Staatssekretär, wenn bei den jungen Menschen die Begabung entdeckt ist — Sie haben eben davon gesprochen, daß das eines der Ziele der Bundesregierung ist
ist es dann nicht notwendig, die mehr individuelle Förderung des einzelnen ins Auge zu fassen, als darauf zu hoffen, daß sie sich im Laufe der Zeit schon entwickeln werde?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Nein, ich glaube, daß das in der Bundesrepublik vorhandene Bildungswesen auf dem allgemeinbildenden wie auf dem berufsbildenden Sektor — bis hinein in den tertiären Bereich — die Entfaltung jedweder Begabung eröffnet.
Ich muß hierzu eine Einschränkung machen. Ich glaube, daß wir in der Bundesrepublik nach wie vor zu sehr dem Fehler verfallen, zu frühzeitig auszulesen, statt entsprechend in aller Breite zu fördern. Ein Beispiel, wenn es mir gestattet ist: Wenn wir heute im traditionellen Schulsystem bereits im 10. Lebensjahr über die definitive Bildungslaufbahn der Kinder entscheiden, also bereits im Lebensalter von zehn darüber bestimmen, ob einer zur Hauptschule, zur Realschule oder auf das Gymnasium geht, halte ich das für eine viel zu frühe Entscheidung. Im 10. Lebensjahr kann kein definitives Urteil über die Bildungsreserven eines jungen Menschen gefällt werden. Deswegen vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß Ausleseentscheidungen bei Jugendlichen so spät wie möglich einsetzen müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kunz.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Begabung bei den Menschen unterschiedlich ist und daß die Leistungsfähigkeit des Menschen nicht überwiegend oder ganz alleine von der Umwelt beeinflußt wird?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, Herr Kollege, daß es einerseits vorgegebene Begabungen gibt, die man wissenschaftlich im einzelnen allerdings noch nicht genau orten kann, daß aber auf der anderen Seite Begabung und Intelligenz auch hochgradig gesellschaftlich determiniert, also auch mobilisierbar sind. Da wir in den von Natur vorgegebenen Begabungsbereich nicht eindringen können und auch auf keinen Fall eindringen dürfen, bleibt in der praktischen Bildungspolitik also nur die Möglichkeit, die Umweltdetermination von Intelligenz, von Begabung und von Reserven zu gestalten. Daran arbeitet die Bundesregierung auf allen Gebieten.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, darf ich zusammenfassend noch einmal fragen:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sie mit ihren Maßnahmen in der Förderung in erforderlichem Maße zur Entdeckung, Förderung und Entwicklung der natürlichen Begabungen unseres Volkes ausreichend beiträgt?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist im wesentlichen — mit der Einschränkung, die ich bei der ersten Antwort gegeben habe — hinsichtlich der Weiterentwicklung der Instrumente zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Meinung, daß vieles getan worden ist, um die Begabungen zu fördern. Vielleicht sollte ich Sie noch darauf hinweisen, daß es nicht allein Aufgabe der Bundesregierung ist, innerhalb ihres begrenzten bildungspolitischen Kompetenzbereiches zu fördern, sondern daß die Hauptförderungsaufgaben bei den Bundesländern liegen. Derzeit ist die Mehrzahl der Bundesländer unionistisch regiert; Ihre Frage müßte sich deshalb auch an Ihre Parteifreunde in den dortigen Regierungen richten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hornhues.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sich so lobend über unser Bildungssystem geäußert haben, frage ich Sie: Hat die Bundesregierung die Absicht, nunmehr den Mängelbericht zurückzunehmen?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, gerade neuere Erfahrungen, die in einigen Bundesländern etwa hinsichtlich der Vergrößerung der Schwierigkeiten für Kinder beim Übergang von einer zur anderen Stufe des Bildungswesens gemacht werden, lassen es uns dringend geraten erscheinen, den Mängelbericht, der im übrigen den offiziellen Titel „Strukturbericht" trägt, auch weiterhin am Leben zu erhalten; wir werden uns also mit den in diesem Bericht genannten Strukturproblemen auch noch in Zukunft viel zu beschäftigen haben.
Keine weitere Zusatzfrage. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler steht zur Beantwortung zur Verfügung.Die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Hölscher werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Freiherr Spies von Büllesheim ist zurückgezogen worden.Da der Herr Abgeordnete Reuschenbach nicht im Saal ist, werden seine Fragen 14 und 15 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
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13016 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Vizepräsident Frau RengerFrage 16 des Herrn Abgeordneten Braun wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Wir kommen zur Frage 19 des Herrn Abgeordneten Wimmer . Da der Fragesteller nicht im Saal ist, wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Ey auf :Wie gedenkt die Bundesregierung die mit der Verminderung der Zahl der Sonderwagen SW I und II zwangsläufig verbundene Einschränkung der Einsatzbereitschaft des Bundesgrenzschutzes auszugleichen?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes mit Sonderwagen beträgt zur Zeit zahlenmäßig 513 Fahrzeuge, die durch neue bzw. umgerüstete Sonderwagen ersetzt werden müssen. Nach dem bisherigen Ergebnis der Verhandlungen über den Haushalt 1980 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1983 ist im Rahmen eines Stufenplanes zunächst für 300 Sonderwagen des Bundesgrenzschutzes die Ersatzbeschaffung oder eine ersatzbeschaffungsgleichwertige Modernisierung bzw. Regenerierung durchzuführen. Eine Erhöhung um weitere 50 Fahrzeuge ist in Aussicht gestellt, wenn einsatztaktische Erfahrungen dies erforderlich machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kellege Ey.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß im Endeffekt die Anzahl der Fahrzeuge von 500 auf 350 oder 300 vermindert werden soll?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Ey, das wäre ein unzutrefender Schluß aus meiner Antwort. Ich habe Ihnen nur mitteilen können, daß in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1983 die Neubeschaffung bzw. Regenerierung von 300 bis 350 Fahrzeugen vorgesehen ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist meine Annahme richtig, daß spätestens. bis 1985 alle bisherigen 500 Fahrzeuge zumindest auf dem modernsten Stand, d. h. auf dem Stand der neuen Fahrzeuge sind, deren Lieferung jetzt vorgesehen ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, auch darauf kann ich Ihnen kein „Ja" zur Antwort geben, weil es mir nicht möglich ist, über die mittelfristige Finanzplanung hinaus längerfristige Aussagen zu machen, als in den Gesprächen mit dem Finanzminister inzwischen festgelegt worden ist. Diese Verhandlungen sind mit Geltung bis zum Jahre 1983 und noch nicht für die Folgezeit geführt worden.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Übernahme der Programme von ARD und ZDF in kommerzielle Kabelfernsehsysteme in Belgien, der Schweiz und in Osterreich die Interessen deutscher Staatsbürger verletzt, und ist sie bereit, dies in Ausübung ihrer Fürsorgepflicht in Verhandlungen mit den Regierungen dieser Staaten geltend zu machen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß in der Bundesrepublik Deutschland ausgestrahlte Programme von ARD und ZDF in einigen Nachbarländern aufgefangen und über Kabelsysteme weitergeleitet werden. Diese Vorgänge können den Interessen der Urheber, Leistungsschutzberechtigten und Rechtsinhaber, die an den Sendungen Rechte besitzen, zuwiderlaufen und ihre urheberrechtlichen Senderechte berühren. Es liegt zunächst im wohlverstandenen Interesse der Berechtigten, derartige individuelle Rechte auf der Basis von privaten Verhandlungen selbst wahrzunehmen. Dies geschieht zweckmäßigerweise auf Verbandsebene. Verhandlungen unter den Beteiligten und ihren Organisationen auf bilateraler Ebene ist grundsätzlich der Vorzug gegenüber einem Tätigwerden der Bundesregierung zu geben, zumal da der Bereich des Rundfunks fast ausnahmslos den Ländern vorbehalten ist. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß — insbesondere von den deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten — bereits Kontakte mit ausländischen Kabelveranstaltern stattgefunden haben und daß sich im Kreise der Rechtsinhaber und ihrer Organisationen Bestrebungen zeigen, zur Vermeidung praktischer Schwierigkeiten die Wahrnehmung ihrer betroffenen Rechte einer gemeinsamen Institution anzuvertrauen.
Auf Bemühungen der Bundesregierung auf internationaler Ebene werde ich im Rahmen der nachfolgenden Frage zu sprechen kommen, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dübber.
Vielleicht kann gleich meine zweite Frage beantwortet werden.
Ich rufe auch die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die infolge der technischen Entwicklung zunehmende Quantität solcher Übernahmen kein individuelles Problem der Autoren und Darsteller mehr ist, sondern europäischer vertraglicher Regelung bedarf, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13017
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß einzelne Urheber und Darsteller selbst ihre Rechte gegen ausländische Kabelunternehmen nur schwer durchsetzen können. Eine wirksame Wahrnehmung ihrer Rechte wird jedoch durch ihren Zusammenschluß in urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften ermöglicht. Zum Teil nehmen auch die Rundfunk- und Fernsehanstalten neben ihren eigenen Leistungsschutzrechten die Rechte von Autoren und Darstellern mit wahr.
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13018 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, ich bestätige Ihren Eindruck. Gleichwohl sind meine Informationen so, daß es einen zunehmenden Umfang dieses Geschäftes gibt. Meinen Sie nicht doch, daß es sinnvoll wäre, hierüber Erhebungen anzustellen und darüber nachzudenken, ob nicht durch Vorschriften z. B. über die Vorlage eines Personalausweises bei solchen Geschäften der Umgehung ein Riegel vorgeschoben werden sollte?Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werden gern darüber nachdenken — zunächst in unserem Bundesfinanzministerium und dann zusammen mit den Ländern. Ich gebe Ihnen über das Ergebnis dieses Nachdenkprozesses gern Nachricht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13019
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen abgehandelt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf :
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Sonderprogramm Ruhr — wie es in der Ruhrgebietskonferenz vom 8./9. Mai 1979 umrissen worden ist — zu einer Benachteiligung anderer Regionen des Bundesgebiets, insbesondere des ostwestfälischen und Paderborner Raums, führen wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Das von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen geplante Programm für das Ruhrgebiet enthält vorrangig Maßnahmen, die auf die Beseitigung ruhrgebietsspezifischer Engpässe abzielen und somit keine Benachteiligung anderer Regionen zur Folge haben. Es ist davon auszugehen, daß die Landesregierung keine Benachteiligung des ostwestfälischen und Paderborner Raumes zulassen wird.
Maßnahmen des Bundes kommen grundsätzlich nur im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz, seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung und seiner finanzwirtschaftlichen Möglichkeiten in Frage. Die Bundesregierung erwägt Maßnahmen, die sich in den Handlungsrahmen der Landesregierung für das Ruhrgebiet einpassen, die aber vom Ansatz her auch noch anderen Regionen zugute kommen.
Im übrigen wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß durch derartige Maßnahmen die Fortentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" nicht behindert wird, wie dies der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung vom 23. Januar 1979 ausdrücklich gefordert hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der ostwestfälische Raum, insbesondere die Kreise des ehemaligen Hochstifts Paderborn, in den vergangenen Jahren bei allen Programmen, Rahmenplänen und Sonderprogrammen des Bundes — etwa für Hochschulbau, Städtebauförderung, Bundesfernstraßenbau, Forschungsförderung sowie Umweltschutzmaßnahmen — eine besondere Förderung erfahren hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann im Augenblick keine Stellungnahme dazu abgeben, weil mir die Unterlagen dafür nicht vorliegen.
Die zweite Zusatzfrage.
Sind Sie bereit, eventuell vorhandene Unterlagen aus Ihrem Haus mir schriftlich zu liefern und mir eine entsprechende Mitteilung zu machen, wenn ich Sie schriftlich bitte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich mache das sehr gern. Sie wünschen eine Darstellung der Förderungen, die in diesem Raum stattgefunden haben?
Das werde ich gern veranlassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Arbeitslosigkeit im Kerngebiet des Ruhrgebiets besonders hoch ist und daß es hier auch Strukturschwächen gibt, besonders im Bereich Stahl und Kohle?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß wir dort — wie übrigens auch in einigen anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland — Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit haben. Im Ruhrgebiet wie an der Saar ist die Monostruktur, die von Kohle und Stahl geprägt ist, zweifellos ein besonderer Problembereich.
Keine weitere Zusatzfrage.Die Fragen 29 und 30 des Herrn Abgeordneten Zywietz werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf.Trifft es zu, daß mehr als 70 Prozent der deutschen Versorgung mit Heizöl, Dieselöl und Benzin aus direkten Rohölimporten der Bundesrepublik bei einer Erhöhung der Einstandspreise seit Jahresbeginn von „nur" vier bis fünf Pfennig pro Liter stammen, also nicht über den Rotterdamer Markt eingeführt werden, und welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß durch eine Verbesserung der Angebots- und Preistransparenz vor allem auf dem Rotterdamer 01-markt Spekulationen gegen die Verbraucher eingeschränkt werden können?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, daß gegenwärtig mehr als 70 °/o der deutschen Versorgung mit Heizöl, Dieselöl und Benzin aus inländischer Rohölverarbeitung gedeckt werden. Seit Dezember 1978 bis Mai 1979 haben sich die Grenzübergangspreise für Rohöl von 202 DM bereits auf 260 DM/t erhöht; die gegenwärtigen Rohöleinstandskosten dürften in der Größenordnung von durchschnittlich 280 DM/t liegen. Dies entspricht einer Erhöhung seit Jahresbeginn um 7 Pf/1.Die Rohölpreisentwicklung ist aber nur einer der Bestimmungsfaktoren der Verbraucherpreise für Mineralölprodukte. Die Bundesregierung hat in den
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13020 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Parl. Staatssekretär Grünervergangenen Wochen im Rahmen der Fragestunde wiederholt zu Entwicklung und Ursachen des Verlaufs der Verbraucherpreise Stellung genommen. Dabei hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß die Preisentwicklung in der Bundesrepublik sehr stark von der Entwicklung auf dem Rotterdamer Markt beeinflußt wird.In Rotterdam sind die Preise seit Dezember für Benzin um mehr als 20 Pf/1 und für leichtes Heizöl sowie Dieselkraftstoff um über 30 Pf/1 angestiegen. Die durchschnittlichen Raffinerieabgabepreise liegen dagegen für leichtes Heizöl und Dieselkraftstoff mit 39 Pf/l um etwa 14 Pf/l und für Normalbenzin mit 35 Pf/1 um 6 Pf/l über den entsprechenden Dezemberwerten.Wenn somit diese Entwicklung zu einer beträchtlichen Erhöhung der Zukaufskosten der Mineralölgesellschaften 'geführt hat, so erwartet die Bundesregierung doch nach wie vor, daß die Gesellschaften in dieser Situation die gesamtwirtschaftliche Lage berücksichtigen und nicht alle Preiserhöhungsspielräume ausnutzen.Um die Transparenz über die Preisbildung auf dem Rotterdamer Markt zu verbessern und die bestehenden privaten Preisnotierungen zu überprüfen, hat die EG-Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten 1978 eine Untersuchung durchgeführt. Diese Studie hat die Gültigkeit der Marktnotierungen im wesentlichen bestätigt. Angesichts der gegenwärtigen Marktsituation wurde die Untersuchung über Funktionsweise, Volumen und Preisbildung des Rotterdamer Marktes zum 1. Juni dieses Jahres für die Dauer eines Jahres wiederaufgenommen. Alle Raffineriegesellschaften und die für den Rotterdamer Markt wichtigen deutschen Handelsgesellschaften nehmen daran teil.Ebenfalls unter der Zielsetzung „mehr Transparenz" hat die Bundesregierung im EG-Energierat und im Europäischen Rat grundsätzlich der Einführung einer Registrierung aller Mineralölimporte zugestimmt, wobei zwei von uns genannte Voraussetzungen akzeptiert wurden: Erstens. Auch die anderen großen Verbraucherländer, USA und Japan, beteiligen sich an dieser Registrierung. Darüber wird beim Weltwirtschaftsgipfel in Tokio zu sprechen sein. Zweitens. Es werden alle Mineralölimporte erfaßt, d. h. nicht nur diejenigen, deren Preisabschlüsse über einem bestimmten Niveau — OPEC- Preise — liegen. Damit wird die Gefahr unterbunden, daß die Spot-Mengen zu hohen Preisen „abgeschreckt" und in andere Verbrauchszentren umgelenkt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die heute in den Zeitungen nachzulesende Horrormeldung der Firma Exxon, daß die Lieferungen von Mineralöl an die verschiedenen Länder um 12 % gekürzt werden sollen, und halten Sie dies angesichts dessen für vernünftig, daß das Erdölangebot nachweislich relativ groß ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann bestätigen, daß derartige Meldungen, die ich nicht überprüfen kann - es liegen mir darüber keine Informationen vor —, von der gegenwärtigen Versorgungssituation her bei uns einer Grundlage entbehren. Der Blick in die Zukunft allerdings ist uns allen verwehrt.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 32 und 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Zumpfort werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Raum ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 34 und 35 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Gerstein, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger. — Er ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 37 und 38 des Herrn Abgeordneten Ueberhorst werden ebenfalls schriftlich beantworte, da der Fragesteller nicht im Raum ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 51 und 52 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Milz, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 39 des Herrn Abgeordneten Paintner. — Er ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die von dem Abgeordneten Paintner eingebrachte Frage 40.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung im einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb gegen die Aufschließung von Stroh mit Natronlauge zur Verwendung als Futtermittelkomponente keine Bedenken erhebt, während sie zur Produktionsaufnahme bereiten Futtermittelherstellern seit mehreren Jahren die Zulassung versagt, und ist Ihr bekannt, daß z. B. in Großbritannien bereits in ca. zehn Werken dieses Verfahren industriell angewendet wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die unterschiedliche Behandlung von mit Natronlauge aufgeschlossenem Stroh, je nachdem, ob es von einem Hersteller gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht wird oder ob es vom Landwirt im eigenen Betrieb hergestellt und verfüttert wird, beruht einzig auf den verschiedenen Sachverhalten,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Parl. Staatssekretär Gallusdie futtermittelrechtlich verschieden zu beurteilen sind.Mit Natronlauge aufgeschlossenes Stroh ist futtermittelrechtlich als Einzelfuttermittel zu beurteilen, dem bei der Herstellung Stoffe — außer Wasser — zugesetzt werden. Sofern sie nicht ausschließlich für andere als Nutztiere bestimmt und entsprechend gekennzeichnet sind, dürfen derartige Produkte als Einzelfuttermittel gewerbsmäßig nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch Rechtsverordnung zugelassen worden sind .Sie können jedoch auch im Wege der Ausnahmegenehmigung für Versuchszwecke zugelassen werden, sofern Versuchsergebnisse zu erwarten sind, die für eine Ergänzung futtermittelrechtlicher Vorschriften von Bedieutung sein können . Ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung liegt vor. Hierüber konnte jedoch noch nicht entschieden werden, da der Antragsteller trotz mehrfacher Aufforderung noch nicht alle nach § 11 Abs. 4 FMG hierfür erforderlichen Unterlagen vorgelegt hat.Wird mit Natronlauge aufgeschlossenes „Stroh hingegen vom Landwirt selbst hergestellt und an die eigenen Nutztiere verfüttert, so bedarf es keiner Zulassung, da in diesem Fall das Einzelfuttermittel nicht gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht wird. Der Landwirt muß hierbei allerdings das allgemeine Verbot des § 3 Nr. 1 FMG beachten, wonach Futtermittel nicht derart hergestellt oder behandelt werden dürfen, daß sie bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Verfütterung geeignet sind, die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Erzeugnisse zu beeinträchtigen oder die Gesundheit der Tiere zu schädigen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
In welchem Umfang und wie fördert die Bundesregierung Maßnahmen des Naturschutzes im Zusammenhang mit Flurbereinigungsverfahren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Flurbereinigungsbehörden haben bei der Durchführung ihrer Maßnahmen den Erfordernissen des Umweltschutzes, insbesondere des Naturschutzes und der Landschaftspflege, Rechnung zu tragen. Die dazu erforderlichen Aufwendungen — Ausführungskosten — fallen der Teilnehmergemeinschaft zur Last.
Der Bund beteiligt sich im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" an der Finanzierung der Ausführungskosten in der Flurbereinigung nach Maßgabe der vom Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz beschlossenen Förderungsgrundsätze. Das gilt auch für die mit Rücksicht auf den Umweltschutz, den Naturschutz und die Landschaftspflege erforderlichen Maßnahmen. Die Umwandlung oder sonstige wesentliche Beeinträchtigung von Mooren, Magerrasen, Binnendünen, Sumpf, Ried und Röhricht sowie von offenen großflächigen Zwergstrauchheiden darf grundsätzlich nicht gefördert werden.
Zwischen dem Bund und den Ländern besteht Einigkeit darüber, daß Aufgaben, die nicht überwiegend der Agrarstrukturverbesserung, sondern der Erhaltung der Kulturlandschaft, der Landschaftspflege und der Erhaltung der Erholungsfunktion der Landschaft dienen, nicht als Gemeinschaftsaufgabe anzusehen sind und daher grundsätzlich allein aus Landesmitteln gefördert werden können.
Erstmals können jedoch seit dem Haushaltsjahr 1979 Bundesmittel in Höhe von jährlich 5 Millionen DM zur Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung eingesetzt werden — Kap. 10 02, Tit. 882 07. Damit dokumentiert die Bundesregierung die Bedeutung, die sie diesem Bereich zumißt. Die Mittel werden vor allem eingesetzt, um bedrohte Naturräume, die dem hohen Anspruch gerecht werden, in das Eigentum entsprechender Träger, z. B. Naturschutzverbände und kommunaler Gebietskörperschaften, zu überführen und eine naturschutzgemäße Sicherung und Pflege zu ermöglichen
Es ist damit zu rechnen, daß diese Maßnahmen in den Folgejahren fortgesetzt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, im Rahmen des Naturschutzes schutzwürdige Flächen bedürfen im Zusammenhang mit Flurbereinigung erheblicher finanzieller Aufwendungen: Sind Sie mit mir der Meinung, daß das Zurverfügungstellen dieser Finanzmittel im Hinblick auf die reibungslose Durchführung dieser Maßnahmen in möglichst kurzer Frist erfolgen müßte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, soweit Naturschutzmaßnahmen im Rahmen der Flurbereinigung erfolgen, werden die Mittel entsprechend den allgemeinen Richtlinien, die vom Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe festgelegt worden sind, zur Verfügung gestellt. Ich sehe hier keine Verzögerungen irgendwelcher Art.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Berger auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Berger wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal.
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13022 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Vizepräsident Frau RengerDie Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 80 und 81 des Herrn Abgeordneten Hoffmann werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Herr Staatssekretär Hiehle, ich bedaure, daß Sie umsonst hier gesessen haben. Aber dafür ist die Fragestunde schneller zu Ende. Herzlichen Dank.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wrede zur Verfügung.Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch auf:Ist die Bundesregierung bereit, durch den Bundesverkehrsminister oder einen der Parlamentarischen Staatssekretäre sich an Ort und Stelle mit der Argumentation der betroffenen Gemeinden und Städte und der Bürgerinitiativen im Würzburger Raum zu den Neubauplänen der Deutschen Bundesbahn für die Strecke Hannover—Würzburg auseinanderzusetzen, nachdem der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung vom 13. Juni 1979 die Petition der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen hat?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, unabhängig von dem Beschlußvorschlag des Petitionsausschusses ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, größere Vorhaben der Verkehrsplanung mit den Betroffenen zu erörtern. Für die Planung der Neubaustrecke liegen Zuständigkeit und Verantwortung jedoch ausschließlich bei der Deutschen Bundesbahn. Die Regierung von Unterfranken als höhere Landesplanungsbehörde hat auf Antrag der Deutschen Bundesbahn das Raumordnungsverfahren, dem die Querung des Maintales im Raume Würzburg zugrunde liegt, am 17. 9. 1975 eingeleitet. Der Bundesminister für Verkehr erwartet, nachdem die Deutsche Bundesbahn ihre Planungen wiederholt erläutert und in einer Informationsveranstaltung am 19. Februar 1979 vorgestellt hat, einen baldigen Abschluß des Raumordnungsverfahrens.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bötsch.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie zunächst darauf aufmerksam machen, daß diese Informationsveranstaltung nicht am 19. Februar, sondern am 9. März 1979 stattgefunden hat.
Darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß also auch im derzeitigen Stadium kein politisch Verantwortlicher bereit ist, mit den betroffenen Bürgern bzw. mit dem betroffenen Oberbürgermeister, Landrat und Bürgermeister in eine Diskussion einzutreten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst muß ich mich für das falsche Datum entschuldigen. Ich halte es für unerheblich, ob das an diesem oder an einem anderen Tage stattgefunden hat. Ich halte es aber für sehr maßgeblich, d a ß eine Information aller Interessierten im Raum Würzburg stattgefunden hat.
Zweitens habe ich auf die auschließliche Zuständigkeit des Vorstands der Deutschen Bundesbahn hingewiesen. Ich hielte es für ungut, wenn politische Repräsentanten, Vertreter der Bundesregierung oder auch andere in der Öffentlichkeit vor Ort den Eindruck erweckten, als könnten sie an den rechtlichen Gegebenheiten und den Zuständigkeiten etwas ändern.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß natürlich jeder Betroffene oder sich betroffen Fühlende die Möglichkeit hat, nach Abschluß des Raumordnungsverfahrens, wenn das Planfeststellungsverfahren eingeleitet wird, seine Anregungen und Bedenken geltend zu machen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bötsch.
Darf ich Ihre Antwort also so interpretieren, daß Sie mit der Deutschen Bundesbahn weiterhin der Auffassung sind, die sogenannte Tunnelvariante nicht in das Raumordnungsverfahren einzuführen, womit man Gefahr läuft, daß dieses Raumordnungsverfahren, das seit fast vier Jahren läuft, negativ endet?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da Sie von der Informationsveranstaltung wissen, nehme ich an, daß Sie selbst teilgenommen haben. Ich unterstelle auch, daß Ihnen bekannt ist, daß in Vorbereitung der Entscheidung der Deutschen Bundesbahn elf verschiedene Varianten untersucht worden sind und daß im Zusammenhang aller Wirkungsfaktoren, die bei einer solchen Maßnahme zu berücksichtigen sind, die Bundesbahn sich für diese Lösung, die sie in das Raumordnungsverfahren eingebracht hat, entschieden hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.Die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Krey wird schriftlich beantwortet, da der Abgeordnete nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Gertzen auf:Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um den Ausbau der Autobahn 98 von Singen nach Lindau zu fördern?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die A 98 zwischen Singen und dem Bundesautobahnkreuz bei Wangen erhielt nach den Festlegungen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen im Bereich Singen—Überlingen einbahnig die höchste Dringlichkeitseinstufung 1 a. Zwischen Singen und Stockach sind die Bauarbeiten bereits angelaufen. Vom Streckenabschnitt Überlingen—Markdorf wur-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13023
Parl. Staatssekretär Wredede eine Fahrbahn und vom Streckenabschnitt Markdorf—Wangen der volle Querschnitt in die Dringlichkeitsstufe 1 b eingeordnet.Im Rahmen der zur Zeit durchgeführten zweiten Fortschreibung des Bedarfsplans wird auch die Dringlichkeitseinstufung der A 98 überprüft. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der aus der Sicht des Bundesverkehrsministeriums auch weiterhin gegebenen vorrangigen Dringlichkeit des Ausbaus der Bundesstraße 31.Das Ergebnis in bezug auf die A 98 bleibt abzuwarten und wird dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorgelegt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die sowohl vom Land Baden-Württemberg als auch vom zuständigen Landkreis, nämlich dem Bodenseekreis, vertretene Auffassung, daß die Bundesstraße 31 am Bodenseeufer entlang nur bei einem zweibahnigen Vollausbau in der Lage wäre, den zu erwartenden Verkehr aufzunehmen und deswegen die Bundesstraße 31 in der jetzigen Planungsausgestaltung die Bodenseeautobahn, also die A 98, in dem erwähnten Ausmaß nicht überflüssig macht?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Sie kann sie nicht teilen, weil sie zur Zeit in der Überprüfung des Bedarfsplans ist und entsprechende Zahlen noch gar nicht vorliegen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß ich schon im Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit hatte, Ihnen auf eine entsprechende Frage den sehr engen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Bundesstraße 31 und dem Bedarf für die Autobahn A 98 darzulegen.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Gertzen auf:
Ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung den Ausbau der Autobahn Memmingen—Lindau ebenfalls in die Dringlichkeitsstufe 1 a aufnimmt, zumal nach dem Ausbau des Pfändertunnels nicht nur der Anschluß an die österreichische Autobahn Richtung Süden hergestellt ist, sondern auch der Reschenpaß für Italienreisende schneller erreicht werden kann und damit eine starke Verkehrsentlastung im Großraum München erreicht wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Rahmen der zur Zeit laufenden zweiten Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen wird auch eine Überprüfung der Dringlichkeitseinstufung der A 96 Memmingen—Wangen erfolgen. Ergebnisse liegen zur Zeit noch nicht vor. Es bleibt abzuwarten, ob für die Strecke, für die im zur Zeit gültigen Bedarfsplan ein einbahniger Neubau in Dringlichkeitsstufe 1 a vorgesehen ist, ein sofortiger Vollausbau in der höchsten Dringlichkeitsstufe in Frage kommen kann. Die endgültige Entscheidung trifft auch hier der Deutsche Bundestag.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Präsidentin, ich muß hier noch einmal nachfragen, weil die Frage von höchster Aktualität für unseren Raum ist.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich eine Notwendigkeit einer raschen Dringlichkeitseinstufung einer zweibahnigen Strekke der A 96 zwischen Memmingen und Lindau dadurch ergeben hat, daß nunmehr auf diese Autobahn von Norden her zwei voll ausgebaute Autobahnen zukommen werden, nämlich die A 96 und die A 8 von Ulm nach Kempten, während im Süden sogar drei Autobahnen nach Fertigstellung des Pfändertunnels von dieser Strecke abzweigen, so daß dieses Zwischenstück eigentlich sogar im Augenblick eher drei- statt zweibahnig ausgebaut werden müßte?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind selbstverständlich alle diese Gesichtspunkte bekannt. Sie dürfen davon ausgehen, daß sie bei der zur Zeit im Gange befindlichen Überprüfung des Bedarfsplanes auch entsprechend gewürdigt werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. von Geldern auf:
Teilt die Bundesregierung die unter Seeleuten verbreitete Auffassung, daß die neu eingeführte Qualifikation eines Schiffsbetriebsmeisters weder auf See noch an Land die mit der Ausbildung verbundenen Erwartungen rechtfertigt, und ist sie gegebenenfalls bereit, eine neue Perspektive für den Schiffsbetriebsmeister aufzuzeigen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung teilt nicht diese Auffassung. Die in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ÖTV und DAG, den Reederverbänden und den Küstenländern in Anlehnung an die Bestimmung des Berufsbildungsgesetzes entwickelte Verordnung schafft erstmals auch in der Seeschiffahrt die gesetzlichen Grundlagen für eine Fortbildung zum Meister. Sie trägt der Notwendigkeit Rechnung, auf Schiffen mit Mannschaftsmitgliedern im Mehrzweckeinsatz einen Meister als Vorgesetzten einzusetzen, der im Decks- wie im Maschinenbereich qualifiziert ist und gibt dem Schiffsbetriebsmeister wegen der berufs- und arbeitspädagogischen Anforderungen die Eignung für die Ausbildung der Auszubildenden in der Seeschiffahrt. Der Schiffsbetriebsmeister wird jedoch über den Einsatz auf Mehrzweckschiffen hinaus auch die herkömmlichen Bordpositionen Bootsmann, Lagerhalter und Maschinenvormann übernehmen können. Damit erhält er eine größere berufliche Mobilität als diese nur einseitig qualifizierten Berufspersönlichkeiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
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13024 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die in meiner Frage angedeuteten Klagen aus der Praxis ganz unbekannt? Haben Sie darüber noch keine Stimmen aus der Praxis gehört?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir sind keine Klagen bekannt. Mir ist nur bekannt, daß die nach diesem neuen Berufsbild bisher ausgebildeten Schiffsbetriebsmeister alle eine Bordposition im Mehrzweckeinsatz erhalten haben und daß von den 20, die sich zur Zeit in Ausbildung befinden, 16 die Zusage ihrer Reedereien haben, nach Lehrgangsabschluß auch bei derselben Reederei beschäftigt zu werden. Ich muß also nach den vorliegenden Zahlen davon ausgehen, daß sich diese neue Einrichtung tatsächlich bewährt hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Wimmer auf:
Haben nach Ansicht der Bundesregierung die Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Lage die Möglichkeit, die durch die Kostensituation auf dem Mineralölsektor bedingten Preissteigerungen für die von ihnen verwendeten Kraftstoffe um mehr als 25 v. H. anders als durch Tariferhöhungen abzufangen, und würde die Bundesregierung durch derartige Tariferhöhungen nicht das Konzept gefährdet sehen, den öffentlichen Personennahverkehr zu einer echten Alternative des privaten Personennahverkehrs zu machen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die wirtschaftliche Lage der Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs läßt nur wenig Spielraum, die Preissteigerungen für Kraftstoffe aufzufangen. Hieraus kann jedoch eine Gefährdung für das Konzept des öffentlichen Personennahverkehrs nicht abgeleitet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Wimmer.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung, falls es zu Mengenproblemen auf dem Kraftstoffmarkt kommt, in jedem Fall sicherstellen, daß die Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs vorrangig bedient werden, damit es da nicht beim Betrieb zu Problemen kommt?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will jetzt nicht darauf eingehen, in welchem Umfang die Bundesregierung im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung Einfluß auf die Verteilung nehmen kann. Selbstverständlich wird sie alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, einsetzen, um, wie in anderen, so auch in diesem speziellen Bereich zu verhindern, daß es zu solchen Engpässen kommt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Jentsch auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundespostministers, der mit Erlaß vom 6. April 1979 an die Oberpostdirektionen verfügt hat, daß es sich nach der Neufassung der Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue erübrige, Beschäftigte bei der Einstellung über die politische Betätigung gegen die demokratische Grundordnung zu belehren, und wie wird der Wegfall dieser Belehrung begründet?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Präsident, ich würde gerne, wenn der Kollege einverstanden ist, seine beiden Fragen zusammen beantworten.
Ja, bitte schön. Ich rufe auch noch die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Jentsch auf:
Hält es die Bundesregierung mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn für vereinbar, daß der Beamte bei der Einstellung nicht mehr auf seine Pflichten, die ihm auf Grund der Verfassung und der Beamtengesetze obliegen, hingewiesen wird?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Schönen Dank! — Herr Kollege, die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, daß sich dessen aus den Jahren 1950 und 1957 stammende Verfügungen über die Belehrung von Beschäftigten bei der Einstellung über ihre politische Treuepflicht nach Inkrafttreten der Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue vom 17. Januar 1979 am 1. April 1979 erübrigt haben. Die Belehrungen sind nicht nur bei der Deutschen Bundespost, sondern z. B. auch im Bereich des Bundesministers des Innern, von dem sie ursprünglich ausgegangen waren, aufgehoben worden.
Die Erlasse waren nicht mehr Bach- und zeitgemäß.
Die Aufhebung verletzt deshalb auch nicht die, Fürsorgepflicht. Beamte haben zudem den Diensteid zu leisten, in dem sie sich verpflichten, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren. Über den sachlichen Inhalt dieser Verpflichtung werden die Beamten im Rahmen ihrer Ausbildung umfassend unterrichtet. Im übrigen geht der Staat von einer verfassungstreuen Einstellung seiner Bürger aus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jentsch.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß auch in anderen Behörden, also anderen obersten Bundesbehörden oder bei der Deutschen Bundesbahn, die Regelungen genauso sind?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das im Moment konkret nicht beantworten. Ich lasse das gerne überprüfen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13025
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue vom 17. Januar 1979 hingewiesen. Teilen Sie meine Auffassung, daß eine Belehrung die Einstellungsbehörde zu einem besseren Urteil — dieses Urteil muß sie ja nach pflichtgemäßem Ermessen fällen — über das Vorliegen der Verfassungstreue führen kann, weil dies Möglichkeiten gibt, die Reaktion des Bewerbers auszuloten, was eben nicht möglich wäre, wenn eine solche Belehrung überhaupt nicht stattfindet.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sagte schon, die Bundesregierung geht erstens von der Verfassungstreue ihrer Bürger aus. Zweitens darf ich darauf verweisen, daß selbstverständlich alle Bewerber für den öffentlichen Dienst, Beamte, Angestellte und auch Arbeiter, im Rahmen ihrer Ausbildung — ich beziehe mich hier auf die Post — in erheblichem Umfange auch Unterricht in Staatsbürgerkunde erfahren. Man kann von daher davon ausgehen, daß sie bei Eintritt in das Berufsleben auch über die notwendigen Kenntnisse und Zusammenhänge im Zusammenhang mit unserer Verfassung informiert sind.
Dritte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, die Bundesregierung gehe von der Verfassungstreue der Bewerber aus, habe ich das so zu interpretieren, daß ein Urteil über das Vorliegen der Verfassungstreue überhaupt nicht mehr gebildet werden muß, daß also keine Prüfung stattfindet, weil vermutet wird, daß in jedem Falle Verfassungstreue vorliegt?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ja, die Bundesregierung geht von der Verfassungstreue aus. Die Richtlinien, die Ihnen sicher bekannt sind, sagen sehr genau aus, wann und in welchem Umfange bei Vorliegen von Kenntnissen über die Person des Bewerbers entsprechende Maßnahmen einzuleiten sind.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich das, was Sie hier vorgetragen haben, als richtig unterstelle, halten Sie dann das Verfahren, das die nordrhein-westfälische Landesregierung praktiziert, nämlich eine solche Belehrung vorzunehmen, für rechtswidrig oder für politisch anfechtbar?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte mir dazu kein Urteil erlauben. Ich sehe auch den Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage nicht. Sie haben mich konkret nach dem Postministerium gefragt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da Sie in der Antwort auf die Fragen des Kollegen Jentsch davon ausgegangen sind, daß in der Ausbildung der Anwärter für den öffentlichen Dienst der Frage der Verfassungstreue ein genügend breiter Raum eingeräumt wird, können Sie uns darüber Auskunft geben, welchen Umfang dieser spezielle Punkt in der Ausbildung der Anwärter für die verschiedenen Stufen einnimmt?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen z. B. sagen, daß bei der Ausbildung zum gehobenen Postdienst 30 Stunden Unterricht über Beamtenrecht, 30 Stunden Unterricht über das Grundgesetz und 10 Stunden allgemeine politische Bildung gegeben werden. Im Rahmen der ausbildungsbegleitenden lehrmäßigen Unterweisung beim einfachen Postdienst gibt es keine festen Stundenzahlen, aber es wird 10 Stunden über Staatskunde und 8 Stunden über Beamtenrechte und Beamtenpflichten unterrichtet.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir stehen damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Alle Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — es sind dies die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Spranger sowie 58 und 59 des Abgeordneten Lintner — werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir für heute mit der Fragestunde am Ende, und ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerlach , Handlos, Dr. Dregger, Dr. Wörner, Dr. Marx, Dr. Miltner, de Terra, Spranger, Weiskirch (Olpe), Biechele, Dr. Laufs, Frau Krone-Appuhn, Dr. Kraske, Dr. Riedl (München), Gerster (Mainz), Dr. Waffenschmidt, Biehle, Broll, Regenspurger, Dr. Friedmann, Frau Pieser, Dr. Hüsch, Dr. Meyer zu Bentrup und der Fraktion der CDU/ CSU
Gesamtverteidigung
— Ducksache 8/2295 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates
Verteidigungsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesamtverteidigung, zivile Verteidigung, ziviler Bevölkerungsschutz, Schutzraumbau: In all diesen Fragen — es sind Fragen der Existenzsicherung unseres Volkes — treten wir seit Jahren auf der Stelle. Kritik und Anregungen
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13026 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. Dreggerder Opposition werden weder widerlegt noch berücksichtigt; kleine Verbesserungen werden als große Erfolge gefeiert. Mitglieder der Regierung äußern sich allenfalls im Ausschuß; im Plenum haben sie in dieser Legislaturperiode bis heute beharrlich geschwiegen. Man hat den Eindruck, der Regierung wäre es am liebsten, wenn auch die Opposition dieses Thema vergessen würde.In der Debatte zur ersten Regierungserklärung nach der Bundestagswahl, am 21. Januar 1977, also vor 2 1/2 Jahren, habe ich dieses Den-Kopf-in-denSand-Stecken kritisiert und im Namen der Opposition die Regierung aufgefordert, Zielvorstellungen für die Zivilverteidigung zu entwickeln. Vorausgegangen war die Erklärung der Bundesregierung in der 100. Sitzung des Innenausschusses am 18. Februar 1976, wonach das Schutzbauprogramm, das die Regierung noch am 26. März 1974 als unerläßlich bezeichnet hatte, eingestellt werden sollte. Ich habe damals gefragt, ob sich die Einschätzung des Unerläßlichen durch die Regierung geändert habe oder ob es ihr nur zu teuer sei, das für den Schutz der Menschen Unerläßliche zu tun. In diesem Zusammenhang habe ich auf die außerordentlichen Anstrengungen der Sowjetunion auch auf dem Gebiet der Zivilverteidigung hingewiesen.Die Bundesregierung hat in der damaligen Debatte keine Antworten gegeben; sie hat geschwiegen. Warum? Aus Gleichgültigkeit? Aus Scham über das Versäumte? Aus Rücksichtnahme auf Moskau? Oder vielleicht aus Rücksichtnahme auf die linken Flügel der Regierungsparteien?
— Ja, es muß doch Gründe haben! Sie können ja nachher sagen, woran es liegt.In der Haushaltsdebatte vom 22. Juni 1977 haben wir das Thema dann erneut aufgegriffen. Anlaß dazu war neben der Untätigkeit der Regierung eine Äußerung des Kollegen Pawelczyk. Er hatte damals nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. Mai 1977 davor gewarnt, den Zivilschutz mit der militärischen Verteidigung auf dieselbe Stufe zu stellen, und er begründete das mit der, wie ich meine, absurden These, ausgerechnet Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung bedeuteten den Übergang von der Kriegsverhütungszur Kriegführungsstrategie.
Ich habe dem entgegengehalten und möchte das heute wiederholen, da sich Regierung und Koalition von diesen Thesen noch nicht ausdrücklich distanziert haben:Erstens. Der Ausbau des Zivilschutzes ist unentbehrlicher Bestandteil der Kriegsverhütungsstrategie; denn die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee kann nicht kämpfen, wenn die Angehörigen der kämpfenden Soldaten schutzlos der Vernichtung preisgegeben sind. Wenn die Bundeswehr aber nicht kämpfen kann, kann sie auch nicht abschrekken und damit nicht den von ihr erwarteten Beitrag zur Friedenssicherung erbringen.Zweitens. Wenn unsere Kriegsverhütungsstrategie scheitert, dann bedeutet ziviler Bevölkerungsschutz Substanzschutz für unser Volk. Er ist für kein Volk notwendiger als für das unsere; denn sowohl nach der Offensivstrategie des Ostens wie nach der Defensivstrategie des Westens wäre unser Land im Falle eines Krieges Hauptkriegsschauplatz.In der Debatte vom 22. Juni habe ich vier Schwerpunkte eines Konzepts für die Gesamtverteidigung genannt, erstens eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen der zivilen und der militärischen Verteidigung, zweitens die Stärkung der Zivilschutzorganisationen, drittens den Bau von Schutzräumen, viertens die Sicherung der Versorgung für den Krisen- und Spannungsfall.Da die Regierung auch in dieser zweiten Plenardebatte schwieg, habe ich damals Helmut Schmidt zitiert. Ich möchte dieses Zitat heute wiederholen:Ich meine,— es war damals auf den zivilen Bevölkerungsschutz bezogen —man sollte sich mit großem sittlichen Ernst zur Maxime machen, daß wir die Verpflichtung haben, jede Chance, die es geben sollte, zum Schutze menschlichen Lebens zu nutzen.Das war die Meinung von Helmut Schmidt am 11. Juni 1962. Ich nehme an, daß das auch heute noch, und zwar auch im Hinblick auf den zivilen Bevölkerungsschutz, seine Meinung ist. Wenn er als Kanzler trotzdem seit Jahren dazu schweigt und, wie ich meine, durch Unterlassen seine Amtspflicht verletzt, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, dann muß das besondere Gründe haben.Ich habe den Grund damals in einem Dilemma gesehen. Ich habe gemeint und habe das auch in der Plenardebatte ausgeführt, Helmut Schmidt könne seine Partei nicht führen, weil er nicht ihr Vorsitzender sei, und er könne nicht kraftvoll regieren, weil er sich nicht auf eine Partei stützen könne, die er führe. Heute bin ich der Meinung, daß meine damalige Analyse zu optimistisch war, weil sie voraussetzte, daß Herr Schmidt als Vorsitzender der SPD seine Partei auf seinen Kurs in der Sicherheitspolitik bringen könne. Das glaube ich heute nicht mehr.Seitdem hat 'es Äußerungen des Kollegen Wehner, also des Fraktionsvorsitzenden der SPD, und des Kollegen Bahr, des Bundesgeschäftsführers der SPD, gegeben, die mich daran zweifeln lassen. Ich meine die sonderbaren Ausführungen des Herrn Bahr zur Neutronenwaffe und die ebenso sonderbaren Äußerungen des Herrn Wehner zum angeblich defensiven Charakter der sowjetischen Aufrüstung.Gegen diese mächtigen Stimmen in seiner Partei kann sich — davon bin ich heute überzeugt — der Bundeskanzler in keinem Falle durchsetzen. In Sicherheitsfragen ist er in seiner Handlungsfähigkeit gelähmt; für ein Volk in der geographischen und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13027
Dr. Dreggerpolitischen Lage des unseren eine schlimme Sache.Unsere Vorstöße in den Plenardebatten vom 21. Januar 1977 und vom 22. Juni 1977 blieben freilich nicht ohne jede Wirkung. Über Zivilbevölkerungsschutz wird seitdem wieder geredet, wenn auch nicht vom Bundeskanzler. Die für das Haushaltsjahr 1979 ursprünglich vorgesehene Kürzung der ohnehin völlig unzureichenden Mittel konnte verhindert werden. Im Innenausschuß gab es einstimmige Empfehlungen zur allerdings geringfügigen Verstärkung der Haushaltsmittel. Der Innenausschuß setzte eine Arbeitsgruppe Zivilschutz unter Vorsitz des Kollegen Gerlach ein.Trotzdem: An der Lage hat sich im Grunde nichts geändert. Bisher ist auch nichts auf den Weg gebracht, was sie ändern könnte. Die Zivilbevölkerung ist im Falle eines Krieges nach wie vor schutzlos der Vernichtung preisgegeben.
Sie ist damit Geisel in der Hand eines möglichen Angreifers.
— Sie ist Geisel in der Hand eines möglichen Angreifers.Die Kampffähigkeit der Bundeswehr, damit aber auch ihre Fähigkeit zur Abschreckung und das heißt ihre friedenssichernde Funktion sind damit entscheidend beeinträchtigt.
Da Anregungen und Vorschläge an die Adresse dieser Regierung offenbar nutzlos sind, versuchen wir nunmehr, durch einen förmlichen Antrag an den Bundestag die Regierung zum Handeln zu zwingen. Wir sind uns dabei klar darüber, daß wir als Opposition das Notwendige nicht durchsetzen können. Wir wissen auch, daß Einzelanträge zum Haushalt einem neuen realistischen Konzept nicht zum Durchbruch verhelfen können. Wir brauchen jedoch ein neues realistisches Konzept für die Gesamtverteidigung. In unserem Antrag wird es in Umrissen sichtbar. Herr Kollege Gerlach wird es nach mir im einzelnen begründen. Ich möchte einige Gesichtspunkte hervorheben.Ein Angriff gegen die Bundesrepublik Deutschland würde sich nicht allein gegen die Armee, sondern gegen alle — Männer und Frauen, Greise und Kinder, Stadt und Land, Staat und Wirtschaft — richten. So war es in den beiden Weltkriegen; so würde es erst recht in einem künftigen Krieg sein. Seine Totalität würde noch zunehmen, weil die fünften Kolonnen des Angreifers bei uns im vollem Umfange aktiv sein würden. Ein solcher Angriff wäre eine Kombination von Desinformation, Subversion, Propaganda, Einschüchterung, Terror jeder Art und militärischer Aktion.
Die Konzentration unserer Verteidigungsvorbereitungen auf die militärische Verteidigung ist bei dieser Sachlage eine Absurdität.
Diese Absurdität äußert sich einmal in einem außerordentlichen Ungleichgewicht zwischen den Ausgaben für die militärische und die zivile Verteidigung. 1979 beträgt die Relation 57 : 1. In der Sowjetunion und in Schweden beträgt die Relation 20 : 1, in der Schweiz 13 : 1. Dabei muß berücksichtigt werden, daß 60 % unserer Mittel für die Zivilverteidigung auf Personalkosten entfallen.Die einseitige Ausrichtung auf die militärische Verteidigung äußert sich ferner im Fehlen einer Konzeption, im Fehlen der Organisation und im Fehlen der Koordination für die Gesamtverteidigung.
Um dem abzuhelfen, fordern wir eine Stabsstelle im Bundeskanzleramt. In Frankreich gibt es dafür das Generalsekretariat für die Gesamtverteidigung als Stabsorgan des Regierungschefs. In der Schweiz gibt es die Zentralstelle für Gesamtverteidigung. Schweden, Österreich und Kanada haben den Verteidigungsminister mit der Aufgabe der Koordination beauftragt. In der Sowjetunion hat die Zivilverteidigung den Charakter einer Teilstreitkraft, die dem stellvertretenden Verteidigungsminister unterstellt ist.Im übrigen fordern wir Richtlinien für die zivilmilitärische Zusammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen, ferner Richtlinien für den Umfang der zivilen Verteidigung, einen Stufenplan für ihre Verwirklichung, eine verbindliche Führungsorganisation für alle Verwaltungsstufen sowie die Sicherstellung ihres Personalbedarfs für den Verteidigungsfall.Von besonderer Bedeutung ist die psychologische Verteidigung, d. h. die geistige Vorbereitung der Bevölkerung auf die Gefahren, die ihr drohen, und die Möglichkeiten, ihnen zu begegnen.
Österreich und die Schweiz nennen es die geistige Landesverteidigung, die als gleichrangig neben die militärische und die zivile tritt.Wir fordern ein Gesundheitssicherstellungsgesetz. Die Bundesregierung hat soeben auf unsere Kleine Anfrage — Drucksache 8/2992 — hin eingeräumt, daß wir die Gesundheitsvorsorge im Verteidigungsfall nicht sicherstellen können.
Wir fordern die Sicherstellung der Versorgung, insbesondere die Anlage einer Nahrungsmittelreserve.
Das Wichtigste ist meiner Überzeugung nach die Einführung einer Schutzbaupflicht, zunächst für alle privaten und öffentlichen Neubauten. Was auf diesem Felde in den Jahren des Wiederaufbaus unterblieben ist, kann von allen, die dafür Verant-
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13028 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. Dreggerwortung tragen, nur als schwere Gewissensbelastung empfunden werden.
Eine Rechtfertigung gibt es dafür nicht. Niemand von uns kann garantieren, daß bei uns in Zukunft unterbleibt, was es bisher leider zu allen Zeiten gegeben hat und — das ist noch bedrückender — auch heute noch um uns herum in der Welt geschieht. Wie wollen wir es sittlich rechtfertigen, meine Kolleginnen und Kollegen, das unterlassen zu haben, was zum Schutz des Lebens unserer Mitbürger möglich ist und vielleicht notwendig sein wird? Das gilt um so mehr, als das Unterlassen von Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf unser Land nicht verringert, sondern eher vergrößert. Von Krieg zu Krieg hat sich der Anteil der Zivilbevölkerung an den Gesamtverlusten erhöht. Im ersten Weltkrieg waren es 5 °/o, im zweiten Weltkrieg 48 °/o, in Korea 83 °/o, für Vietnam fehlt es an Zahlen. Der private und öffentliche Aufwand für Schutzbaumaßnahmen darf uns angesichts dieser Lage nicht schrecken. Wir sind angesichts der Finanznot der öffentlichen Hand ohnehin gezwungen, die Prioritäten. unserer Ausgabenpolitik zu verändern. Auch auf anderen Gebieten werden Aufgaben der Existenzsicherung den Vorrang vor weiterer Wohlstandssteigerung haben müssen.
Unser Volk wird das begreifen, wenn Regierung und Parlament die Lage schildern, wie sie ist, und ein vernünftiges Konzept zur Verwirklichung des Notwendigen vorlegen. Dabei werden wir das Beispiel friedliebender Nachbarvölker in die Diskussion einführen können. So heißt es in einem Bericht des Bonner „General-Anzeigers" aus diesen Tagen — ich zitiere —:Die Bundesregierung in Bern hat einen Plan vorgelegt, nach dem bis 1990 für alle 6,3 Millionen Eidgenossen ein Schutzraum zur Verfügung stehen soll, in dem es sich mehrere Wochen leben läßt. Alle in den vergangenen 30 Jahren errichteten Häuser und Wohnblocks— das ist bei uns unterblieben —mußten mit gegen radioaktive Strahlung gefeiten Schutzräumen ausgestattet werden.
Hinter dicken Betontoren sollen die Bewohner eiserne Rationen für drei Monate lagern.Ohne Mitwirkung der Regierung geht es allerdings nicht. Ob eine Schutzbaupflicht eingeführt werden soll, ist eine politische Frage, die nicht auf einen Staatssekretärsausschuß verwiesen werden kann, wie es diese Bundesregierung am 6. Juli 1977 getan hat.
Staatssekretäre können prüfen, wie eine Aufgabe gelöst wird, aber nicht, ob sie zu lösen ist. Das ist Sache des Kabinetts, Sache vor allem des Kanzlers. Deshalb mein Appell an den Bundeskanzler, sich seiner Amtspflicht auf diesem Felde nicht weiterzu entziehen. Friedenssicherung und Substanzschutz für unser Volk ist keine Staatssekretärsfrage, sondern eine Kanzlerfrage.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möhring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Dregger, man merkt die Absicht, und man ist verstimmt, möchte man fast sagen; denn der von Ihnen so bezeichnete „förmliche" Antrag, der uns hier vorgelegt wird, richtet sich mit allen seinen Forderungen fast ausschließlich an den Bundesminister des Innern und trägt trotzdem die Überschrift „Gesamtverteidigung". Es gäbe hier einmal einen Begriff zu klären, d. h., wenn Sie wollen, diese „Form" in Ordnung zu bringen. Korrekter wäre es nämlich, den Antrag mit „Zivilverteidigung" zu überschreiben. Die Federführung ist ja — das haben Sie inzwischen gemerkt — in Ordnung gebracht worden, und damit haben Sie sich indirekt schon korrigiert. Wir hoffen, daß in den Anschlußberatungen auch sachlich einiges in Ordnung gebracht werden kann.
— Ich komme gleich zur Sache. Schön wäre es nämlich, wenn Ihre Fraktion an diesem Antrag „Gesamtverteidigung" in die heutige Debatte auch ein Gesamtinteresse durch Anwesenheit mit eingebracht hätte.
Aber es scheint sich wieder einmal zu spezialisieren.Als Mitglied des mitberatenden Verteidigungsausschusses werde ich mich auf die Kommentierung von Bemerkungen Ihres Antrags beschränken, die die militärische Sicherheitspolitik betreffen. Der Kollege Dr. Nöbel wird sich dann mit dem eigentlichen Kern des Antrags,
der Einbettung Ihrer Forderung nach Verbesserung der Zivilverteidigung in den großen Rahmen politischer und militärischer Sicherheitsvorsorge, befassen und Ihren Maßnahmenkatalog einer kritischen Würdigung unterziehen.Der erste Absatz Ihres- Antrages, meine Damen und Herren von der Opposition, lautet:Erstes Ziel unserer Sicherheitspolitik ist es, die Freiheit zu sichern, den Frieden zu erhalten und die demokratische Ordnung zu schützen. Daher muß alles getan werden, einen Krieg zu verhindern oder ihn — wenn unvermeidbar — zu überstehen.Diese beiden Sätze könnten einem Weißbuch dieser Bundesregierung entnommen sein; ich unterstreiche sie durchaus.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13029
MöhringDer zweite Absatz allerdings kann stutzig machen. Er lautet:Seit Aufstellung der Bundeswehr haben sich die militärischen und politischen Rahmenbedingungen unserer Sicherheitspolitik grundlegend geändert.Was bedeutet diese Ihre Aussage? Soll dies innenpolitisch gemeint sein?
Ich bitte Ihre Redner um Präzisierung. Das Wörtchen „unsere", Herr Dr. Dregger, läßt mich allerdings hoffen, daß sich die jetzige Opposition auch voll zu ihrer Verantwortlichkeit von gestern bekennt.
Was soll übrigens die Bemerkung, die starke Betonung der Gesellschafts- und Sozialpolitik habe zur Minderung der Einsicht des Bürgers in die Notwendigkeiten der Verteidigung geführt? Bedauern Sie diesen starken sozialen Aufstieg der letzten Jahre unter unserer Regierung?
Bedauern Sie unsere Gesellschaftsstruktur, die eine der freiesten der Welt ist? Was soll das? Wir Sozialdemokraten jedenfalls sind stolz auf das Erreichte. Im übrigen: Wenn wir in Ihrem Sinne den Bürger informieren wollen, wie Sie es ja fordern, dann rennen Sie nach Karlsruhe und lassen uns die Verteilung von Broschüren verbieten.
Und Ihre Haushaltsleute stellen, wo immer es geht, Anträge, um die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit — Sie nennen das dann Regierungspropaganda — zu kürzen.
Dies ist die Doppelbödigkeit Ihrer Politik.
— Herr Kollege Haase, ich würde Ihnen gern Rede und Antwort stehen, aber ich habe eine sehr begrenzte Redezeit; Sie verstehen dies sicher.
Im übrigen werden wir in den Ausschüssen noch genug Gelegenheit haben, uns sehr, sehr eingehend damit zu beschäftigen.Herr Kollege Dregger, die Annahme, daß unser Land, wie Sie es gerade noch einmal unterstrichen haben, für mögliche Angreifer sofort Hauptkriegsschauplatz wird, ist in dieser absoluten Form wohl umstritten.
Einem Angreifer könnte es natürlich auch einfallen, den harten Kern mitteleuropäischer NATO- Front auszusparen und ihn von den schwächeren Flanken her aufzurollen. Dies alles ist mehr oder weniger, wenn Sie wollen, sicherheitspolitische Spekulation. Ich gebe Ihnen aber selbstverständlich zu: Ernsthaftes Nachdenken ist hier jedem erlaubt.In Ihrem Antrag steht in Absatz 3 folgender Satz: „Aktive Sicherheit beruht auf den beiden Elementen militärischer Verteidigung und zivile Verteidigung". Ist dieser Satz wirklich so gewollt, oder haben die Initiatoren hier geschludert? Ist Ihnen denn noch immer nicht bekannt, daß unsere Gesamtverteidigung — ich komme zu dem Inhalt dieses Begriffs — ohne die Säule der aktiven Entspannungspolitik — bei voller Zustimmung des gesamten westlichen Bündnisses — undenkbar ist?
Ist Ihnen entfallen, daß auch Sie seit der Zeit der Großen Koalition dafür die Mitverantworung tragen? Ich denke hier an das Signal von Reykjavik. Dort begann doch das, was Sie heute verschweigen wollen. Dies gehört mit zu der, Gesamtverteidigung.
— Selbstverständlich, die Mitverantwortung für die Entspannung, wie wir sie wollen, tragen Sie genauso!
Daher versuchen Sie bitte nicht, in dieser Debatte Entspannung durch Zivilverteidigung zu ersetzen oder zu unterlaufen.
— Ich darf wohl bitten, auch das einer näheren Erläuterung in Ihren Folgebeiträgen zu unterziehen.
Das Fehlen eines geschlossenen NATO-Konzepts der Zivilverteidigung ist hinlänglich bekannt, Genauso bekannt ist jedoch auch, daß Ursache und Beginn des Mißverhältnisses zwischen den Aufwendungen für Rüstung und Zivilschutz bei den seit Anfang der 50er Jahre von der CDU geführten Bundesregierung liegen und daß diese sozialliberale Regierung in knapp zehn Jahren nicht den katastrophalen Nachholbedarf abdecken kann, der von
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Möhringdiesen CDU-Vorgängern in der fast doppelten Zeit, die davor liegt, verursacht worden ist.
— Ihre lautstarke Kommentierungen beweisen mir, daß hier wohl ein gewisser Nerv getroffen worden ist.
In Ihrem Maßnahmenkatalog muß auf eine Richtigstellung gedrängt werden. Sie verlangen für die Territorialverteidigung eine personelle und materielle Ausstattung, die sich schon im Frieden auf die ihr obliegenden Aufgaben des Verbindungswesens, der Sicherung, Versorgung und Unterstützung gegenüber allen zivilen und militärischen Ansprechpartnern auf allen Verwaltungs- und Kommandoebenen wirksam vorbereitet. So heißt es bei Ihnen. Ich gebe gern zu, daß der bestehende und von mir erwähnte Nachholbedarf zur Zeit nur punktuell und kontinuierlich beseitigt werden kann. Aber zur Ehrenrettung unserer Territorialverteidigung muß ich sagen, daß gerade sie in den von Ihnen kritisch betrachteten Bereichen den aufgezeigten Aufgaben hervorragend gewachsen ist und daß die Ausstattung durch sozialdemokratische Verteidigungsminister mit besonderer Aufmerksamkeit in diesen Bereichen auch spürbar modernisiert wurde.
Sicher ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß durch das System einer Mobilmachungsarmee mit exaktem Erreichen geforderter NATO-Präsenzzeiten im Mob-Anteil auf eine ständige Friedenspräsenz des gesamten Verteidigungsumfangs — einschließlich der von Ihnen gewünschten Einrichtungen — aus Kostengründen verzichtet werden kann. Das Verbindungswesen ist voll einsatzbereit und personell in einem guten Stand. Davon habe ich mich bei meinen Übungen persönlich überzeugt. Gelegentlich hakt es natürlich aus, nur, wie mir berichtet wurde, nicht bei der Territorialorganisation, sondern bei dem Grad des Verständnisses ziviler verantwortlicher Verwaltungsstellen gegenüber den Wehrbereichen, besonders in einigen schwarzen Landesteilen unserer Bundesrepublik.
Vielleicht, meine Damen und Herren von der Opposition, reden Sie einmal mit Ihren CDU/CSU-Innenministern über die von Ihnen vorgetragenen Forderungen.Ihre Forderung, im Spannungs- und Verteidigungsfall auch Reservisten außerhalb ihrer militärischen Verwendung nutzen zu können, ist eigentlich überflüssig. Sie wissen genau, daß große Teile der nicht mehr benötigten Personalreserve sofort über das Arbeitssicherstellungsgesetz zu den von Ihnen gewünschten Verwendungen heranziehbar sind. Man muß allerdings bereits in Friedenszeiten ausreichende Dienstplätze für solche Verwendungen ausweisen. Wie dies zu geschehen hat, darüber fehlt in Ihrem Antrag jeder noch so kleine Hinweis.Wir werden Gelegenheit haben, in den Ausschüssen manche Ungereimtheit zu beseitigen. Eines dürfen wir hier aber mit aller Eindeutigkeit heute schon feststellen: eine totale Verbunkerung der Bundesrepublik Deutschland ist weder möglich noch erforderlich. Und so viel kann schon heute gesagt werden: solange Sie hier nur pauschale Forderungen aufstellen, ohne zu sagen, wer die Auswirkungen dieses Antrages aus welchen Mitteln bezahlt und ob Ihre Mitglieder im Haushaltsausschuß Ihren Forderungen zustimmen werden, solange Sie nicht sagen, ob Sie diese Mittel etwa dem Beschaffungstitel oder sogar dem Topf beabsichtigter sozialer Verbesserungen für Soldaten entnehmen wollen, so lange bleibt leider vieles bei Ihnen reine Deklamation. Schade, hier gibt es manche Substanz. Welche Übereinstimmungen zu erreichen sind, werden die Beratungen ergeben.Die SPD-Fraktion stimmt der Überweisung dieses Antrags an den Innenausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verteidigung, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Haushaltsausschuß zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zunächst meiner Genugtuung Ausdruck, daß nun offenbar auch die Opposition das Thema Gesamtverteidigung für sich entdeckt hat. Ich meine das ganz im Ernst. Schließlich haben wir Liberalen lang genug auf dieses Problem hingewiesen. Da freut man sich, wenn man sieht, daß die Sache in Bewegung gerät.
Liebe Kollegen, ich wollte gerade Ihrem Sprecher, Herrn Kollegen Dr. Dregger, sagen, daß der Vorwurf, Rücksicht auf die Linken in den Parteien — das ist ja immer ein schön griffiger Vorwurf —
oder gar auf den Osten sei das Motiv dafür, daß im Bereich der Gesamtverteidigung nicht alles so weit, wie man es sich vorstellen kann, entwickelt ist, auch nicht dadurch überzeugender wird, daß man ihn besonders schneidig vorträgt.Ich meine auch, daß Ihr Hinweis auf die vermeintliche Führungsschwäche des Bundeskanzlers in einer Situation, in der sich die Union mit dem Thema „Führung und Führungsschwäche" befindet, eigentlich gar nicht so fröhlich wirkt.
— Eben! Er ist Kanzler und bleibt Kanzler; und der andere ist kein Kanzler und wird auch nicht Kanzler. Da haben Sie völlig recht.
Im übrigen: Sie haben von geistiger Verteidigung gesprochen, Herr Kollege Dregger. Geistige Ver-
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Möllemannteidigung setzt aber eines voraus, nämlich eine gewisse Ehrlichkeit in bezug darauf, warum wir eine bestimmte Schwierigkeit jetzt haben. Sie sollten sagen, daß alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages in einer bewußten Prioritätensetzung in den letzten Jahren und Jahrzehnten den Schwerpunkt auf den Bereich der militärischen Landesverteidigung gesetzt und den anderen Bereich bewußt zurückgestellt haben. Ich finde, dies ist ehrlicher und überzeugender, als hier den Eindruck zu erwecken, Sie hätten, wenn Sie nur gekonnt hätten, das alles anders gemacht.Die Gesamtverteidigung ist ein uraltes Thema liberaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wer das bezweifeln möchte, den verweise ich auf das Jahr 1968. Das war die Zeit der sogenannten Großen Koalition. Da waren nämlich wir es, die die Bundesregierung dazu gebracht haben, ein erstes Konzept der zivilen Verteidigung vorzulegen.Es ist aber — das muß ich sagen — leider auch eine Tatsache, daß die im Bericht vom 20. Dezember 1968 bekundete Absicht der Bundesregierung, „die zivile Verteidigung gegenüber der militärischen nicht zu vernachlässigen", gewiß nicht so verwirklicht worden ist.
Die zivile Komponente der Verteidigung ist gegenüber der militärischen nach wie vor unterbelichtet. Die tatsächliche Vorbereitung auf Krisen und Katastrophenfälle ist eher kümmerlich und zur schnellen Bewältigung auch nur regionaler Störfälle kaum ausreichend.Ich teile durchaus auch nicht die durchweg optimistische Bewertung der Gesamtverteidigung durch manchen öffentlichen Diskussionsbeitrag. Von einem funktionierenden Konzept der Gesamtverteidigung oder einem System der Gesamtverteidigung kann man noch nicht sprechen. Eine Anzahl gesetzgeberischer Einzelmaßnahmen macht noch kein System. Auch der Verweis auf die verteidigungspolitischen Richtlinien oder das militärstrategische Konzept hilft da nicht viel. Erstens kennt die keiner, und zweitens ersetzen Papiere keine eingespielte und auf allen Ebenen funktionierende Führungsorganisation. Ich fürchte, daß wir bei der nächsten Naturkatastrophe die gleichen erregten Fragen nach Zuständigkeit und Verantwortlichkeit hören werden, wie sie in diesem Winter in Schleswig-Holstein gestellt worden sind.Alle stimmen darin überein, daß sich das Szenario der Bedrohung erweitert hat, daß unsere hochempfindliche Industriegesellschaft heute und in Zukunft mit einer ganzen Anzahl neuer Krisen und Bedrohungslagen fertig werden muß.Militärische Verteidigung allein kann dem nicht mehr gerecht werden. Es kommt vielmehr darauf an, in einem realistischen praktikablen und finanzierbaren Konzept der Gesamtverteidigung alle politischen, militärischen, wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten unseres Landes zu nutzen, um erstens die Versorgung und das Überleben der Bevölkerung zu sichern, zweitens die Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte zu gewährleisten, drittens die Regierungs- und Verwaltungsfunktionen aufrechtzuerhalten und viertens die lebenswichtigen Güter einschließlich der Versorgungs- und Energiezentren unseres Landes zu schützen.Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch machbar. Die finanziellen Mittel und Möglichkeiten setzen vor allem beim Aufbau eines wirksamen Zivilschutzes enge Grenzen. Es wird nicht möglich sein, jedem Bürger vollen Schutz zu gewähren. Möglich ist nur ein teilweiser Überlebensschutz. Aber dieses Minimalkonzept sollten wir verwirklichen.Das ist nicht zuletzt deshalb notwendig, um dem Bürger das Bewußtsein zu vermitteln, daß militärische Verteidigung ihm eine Überlebenschance läßt. Der Staat kann schließlich auch nicht alles machen und überall zugleich sein. Wir müssen dem Bürger klar sagen, daß es ohne größere Bereitschaft zur Selbsthilfe als bisher nicht geht. Wir Liberalen haben angeregt, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes hier mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Ich wiederhole an dieser Stelle die Aufforderung an die Bediensteten in Gemeinden, Land und Bund, wenigstens einen erweiterten Erste-Hilfe-Kursus freiwillig zu absolvieren. Das ist das Mindeste, was der einzelne tun kann. Wir wollen die DDR nicht kopieren, aber etwas mehr als bisher müssen wir tun. Wenn man heute sieht, wie die Menschen bei Unfällen und Katastrophen hilflos herumstehen, ist man fast geneigt, Grundkenntnisse in Selbst- und Katastrophenschutz als Einstellungsvoraussetzung oder Ausbildungsanteil für den öffentlichen Dienst zu fordern.Ich halte es nicht für angebracht, in dieser ersten kurzen Aussprache das Konzept der FDP zur Gesamtverteidigung in allen Details zu präsentieren.
Lassen Sie mich aber immerhin bemerken, daß die FDP die einzige Partei ist, die ein geschlossenes Konzept der Gesamtverteidigung seit Jahren anzubieten hat. Herr Kollege von Geldern, wenn Sie sagen „Nein, bloß nicht!", nehme ich fast an, daß Sie an einer sachlichen Aussprache gar nicht interessiert sind.
— Ich habe Sie also mißverstanden. Sie sagen: Das lohnt sich nicht. Ich finde es interessant, daß Sie das von einem Konzept sagen, das Sie nicht kennen. Also muß ich doch ein bißchen ausführlicher darauf zu sprechen kommen. Hören Sie jetzt einmal gut zu.Ich möchte, damit Sie wissen, wovon Sie sprechen, zitieren, was ich dazu auf dem sicherheitspolitischen Kongreß der FDP in Münster gesagt habe:Zur Analyse der sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten unseres Staates im Rahmen des NATO-Bündnisses, aber auch hinsichtlich der nationalen Aufgaben und zur Erarbeitung von Optionen und Entschei-
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Möllemanndungshilfen sollte ein zusätzliches interministerielles Gremium geschaffen werden. In diesem Gremium sollen Politiker, weisungsunabhängige Fachleute der im Bundessicherheitsrat vertretenen Ressorts sowie Wissenschaftler und andere fachkundige Experten übergreifende Probleme unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik untersuchen. Durch dieses interministerielle Gremium soll die Arbeit des Bundessicherheitsrates effektiv ergänzt und der Einfluß auf Struktur, Strategie und Konzeption auch zur Gesamtverteidigung des Bündnisses verbessert werden. Darüber hinaus sollen die Arbeitsergebnisse dieses Gremiums die Voraussetzungen für eine versachlichte und gleichbleibende qualifizierte öffentliche Diskussion verbessern. Hinzuzufügen wäre noch, daß dieses Gremium auch den zuständigen Ausschüssen des Bundestages beratend zur Seite stehen sollte.Meine Kolleginnen und Kollegen, bislang war es nicht möglich, einen Konsens mit den übrigen Fraktionen über die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung herbeizuführen.
— Nein, auch nicht mit der SPD. Dies ist bisher eine Position nur der FDP. Wir werden allerdings bemüht sein, ein konkretes Organisationsmodell zu entwickeln, das die Notwendigkeit und den Sinn dieser Einrichtung noch deutlicher werden läßt.Weiterhin möchte ich folgendes feststellen. Wir brauchen ein realistisches Konzept der Gesamtverteidigung. Wir haben die Bundesregierung in unserem Arbeitsprogramm aufgefordert, ein zusammenhängendes Konzept der Gesamtverteidigung unter stärkerer Beachtung der Zivilverteidigung zu erarbeiten. Das vorhin angesprochene Gremium könnte dabei gute Dienste leisten. Bei diesem Konzept kommt es insbesondere auf folgende Punkte an: erstens ein einheitliches Krisenmanagement im Frieden und im Einsatz einschließlich des Katastrophenschutzes im Frieden, zweitens eine bessere Nutzung der Quellen des Landes zur Unterstützung der militärischen Verteidigung, drittens einen besseren Schutz der Bevölkerung durch vorbereitete Pläne für Krisen im Spannungsfall und Einsatz, viertens ein einheitliches Konzept gegen subversive Tätigkeit und gegen verdeckten Kampf und fünftens die Heranziehung von mehr freiwilligen Kräften für den Zivilschutz.Die Gesamtverteidigung ist also nach einem klaren Konzept zu führen, das ein einheitliches Führungssystem für den Verteidigungsfall erhält und durch das die Hilfeleistung bei Katastrophen auch im Frieden erleichtert wird. Sie erfordert vorbereitete und koordinierte Organisationsstrukturen und Durchführungspläne auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.Für den Einsatz der Bundeswehr bei Katastrophen im Frieden bestehen feste verfassungsrechtliche Grenzen. Die im Rahmen des Grundgesetzes und der Zivilschutzgesetze gegebenen Möglichkei ten für einen Einsatz der Bundeswehr sollten allerdings auch voll ausgeschöpft werden.Auch die militärische Verteidigung ist in vielfältiger Weise von der Zivilverteidigung abhängig. Ein Netz militärischer und ziviler Dienststellen für Führung, Unterstützung und Versorgung verknüpft beide Elemente der Verteidigung miteinander.
Ein enges Zusammenspiel zwischen den militärischen und den zivilen Fachbereichen erhöht die Fähigkeit, nach Katastrophen den Schadensumfang zu begrenzen und schnelle Hilfe zu leisten. Träger dieser Zusammenarbeit sind auf der militärischen Seite das Territorialheer und die Bundeswehrverwaltung, so jedenfalls, wenn es nach unseren Vorstellungen läuft.Zivilverteidigung will den Bürger schützen und dient der Linderung von Kriegsfolgen. Der Bau von Schutzräumen, das Sicherstellen lebenswichtiger Versorgungen sowie Maßnahmen zur Hilfeleistung und Rettung in Katastrophenfällen tragen hierzu bei.Die Aufrechterhaltung von Regierungs- und Verwaltungsfunktionen in Krisenlagen und im Verteidigungsfall wird durch rechtzeitige Vorkehrungen der Zivilverteidigung wesentlich gefördert. Zivilverteidigung wird erst wirksam, wenn die staatlichen Vorkehrungen durch die Einsicht des Bürgers ergänzt werden, daß er selbst Vorsorge zu treffen hat und in kritischen Situationen zur kritischen Mitwirkung aufgerufen ist. Wir fordern also ein solches System der Gesamtverteidigung.Die Bundesregierung hat also ein Konzept zu entwickeln, in dem Bund, Land, Kreis und Kommune in einem geschlossenen System miteinander verbunden sind. Aus der Konzeption müssen sich Richtlinien für die Gesamtverteidigung ergeben. Dabei ist die Bundesregierung nicht nur auf ihre eigene Entschlossenheit, auf den guten Willen, sondern natürlich auch auf die Kooperationsbereitschaft der Länder und Kommunen angewiesen. Wir sollten in unseren Parteien jeweils auf diesen Ebenen darauf hinwirken, daß diese gegeben ist.Die Opposition verlangt in ihrem Entschließungsantrag eine Zentralstelle im Bundeskanzleramt zur Koordination aller Maßnahmen der Gesamtverteidigung — da ist der Bundeskanzler also nicht zu führungsschwach, die soll er trotzdem bekommen —, den Erlaß von Rahmenrichtlinien, die Festlegung einer verbindlichen Führungsorganisation, die Zusammenfassung und Vereinfachung der Zivilschutzgesetzgebung und weiteres, alles Forderungen, die im Grundsatz von uns geteilt werden. Darüber ist dann en détail zu reden.Wir hoffen indessen, daß der Entschließungsantrag der CDU/CSU zur Gesamtverteidigung keine politische Eintagsfliege ist. Wir wünschen uns vielmehr, daß sich die Ausschüsse eingehend mit dem Thema Gesamtverteidigung beschäftigen. Namens meiner Fraktion darf ich Ihnen versichern, daß wir gern bereit sind, den vorliegenden Antrag zur Gesamtverteidigung mit Ihnen intensiv zu be-
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Möllemannraten und dort, wo es in einem realistischen Konzept möglich ist, Nägel mit Köpfen zu machen.
Es gibt ein Wort von Johann Gottfried Herder: „Wer der Vernunft dient, kommt der Notwendigkeit zuvor". Dieses Motto sollten wir uns zu eigen machen, wenn wir uns darüber unterhalten, was sich auf dem Feld der Gesamtverteidigung zum Schutz der Bürger und zur Aufrechterhaltung unserer freiheitlichen Ordnung besser machen läßt. Was notwendig ist und realistischerweise gemacht werden kann, muß schon heute getan werden; denn wenn der Sturm erst einmal da ist, kann man die Segel nicht mehr flicken.Ich bin zuversichtlich, daß die Bundesregierung und insbesondere der Bundesinnenminister Gerhart Baum durch gezielte Aktivitäten in dieser als richtig erkannten Richtung vorgehen werden.
Das Wort hat Herr Bundesminister Baum.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dregger, es ist zu begrüßen, daß wir dieses Thema behandeln. Ich begrüße das außerordentlich, weil ich genausowenig wie Sie leugnen kann, daß das Thema des Schutzes der Zivilbevölkerung in den letzten Jahren gegenüber der Landesverteidigung hintanstehen mußte. Ich begrüße also, daß wir hier diskutieren und daß wir im Ausschuß weiterdiskutieren werden.Aber ich kann nicht einsehen, warum Sie, Herr Dregger, es nicht lassen können, auch bei diesem Thema unserer Bevölkerung Angst zu suggerieren.
Dafür besteht überhaupt kein Anlaß, jedenfalls dann nicht, wenn Sie Ihren eigenen Antrag ansehen; denn selbst die Realisierung dieses Antrages kann gar keinen Vollschutz garantieren, wie Sie es geradezu suggerieren, wenn Sie der Bevölkerung Angst machen. Wir können keinen Vollschutz garantieren.
Sie sind in Ihrem Antrag auch so redlich — der Antrag ist sehr sachlich im großen ganzen —, keine Angst zu schüren. Warum tun Sie es hier wieder?
— Sie haben hier den Eindruck erweckt, als sei die Bevölkerung schutzlos preisgegeben, und das stimmt nicht, Herr Kollege Dregger.
Angesichts der Fortschritte, die auf diesem Gebiet in den letzten Jahren erreicht wurden, die auch von diesem Bundeskanzler mit zu verantworten sind, halte ich es für absurd, daß Sie Bundeskanzler Schmidt eine Amtspflichtsverletzung vorwerfen. Dazu besteht überhaupt kein Anlaß.
Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung schließt die Bereiche der Gesamtverteidigung und der zivilen Verteidigung als gleichwertige Elemente eines geschlossenen und glaubwürdigen Verteidigungskonzepts ein. Allerdings — ich wiederhole —: Die Probleme der Gesamtverteidigung haben immer, wenn auch in unterschiedlichem Maße, im Schatten der verteidigungspolitischen Diskussion gestanden. Ich bedaure das. Wir sind jetzt längst in einer Phase, da dies anders wird, nicht allein durch Ihren Antrag, Herr Dregger.
Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß im Mittelpunkt der heutigen Debatte nicht die gesamte Sicherheitspolitik steht, sondern die zivile Verteidigung und die Zusammenfügung der militärischen und der zivilen Verteidigung zu einem einheitlichen Konzept der Gesamtverteidigung.Ich begrüße es, daß uns der Antrag der Opposition Gelegenheit gibt, diese Thema zu debattieren. Die Debatte wird dazu beitragen, den Stellenwert der Gesamtverteidigung und der zivilen Verteidigung im Rahmen eines geschlossenen Verteidigungskonzepts deutlicher zu machen.
— Die Polemik, Herr Kollege, ist ja nur eine Reaktion auf die unnötige Schärfe, die Herr Dregger in die Debatte gebracht hat.
Die Sache ist so wichtig und so ernst, daß wir sie hier in Ruhe behandeln sollten. Ich werde das jetzt jedenfalls versuchen.Vorweg kann ich daher feststellen: Gesamtverteidigung ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Sie ist keine Frage und ist nie eine Frage gewesen. Wir wollen den Frieden wahren und die Freiheit schützen. Es gilt, alles dafür zu tun, einen Krieg zu verhindern. In dem Eingangssatz Ihres Antrags haben Sie das auch hervorgehoben.Dazu gehört auch, daß der Krieg als kalkuliertes Mittel der Politik ausscheidet, daß er selbst als
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Bundesminister BaumKalkül der Drohung unvorstellbar wird. Deshalb muß unser Verteidigungskonzept so ausgestaltet sein, daß ein Gegner seine Ziele nicht schon durch bloße Erpressung mit einer Kriegsandrohung erreichen kann. Dazu bedarf es nicht nur militärischer Verteidigungsbemühungen, sondern eben auch entsprechender Anstrengungen auf der zivilen Seite.
Die Verteidigungsbereitschaft ist insgesamt in Frage gestellt, wenn die Bevölkerung schutzlos bleibt, wenn die Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte nicht gesichert ist, wenn die Streitkräfte nicht ausreichend unterstützt werden können und wenn der Staatsapparat unter Kriegsbedingungen nicht arbeitsfähig ist. Darüber sind wir uns sicher einig.Zur Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft im Frieden gehört also auch die zivile Verteidigung. Ohne Zivilverteidigung ist Verteidigungsfähigkeit nicht glaubwürdig.Die zivile Verteidigung ist also nicht Hemmschuh, sondern Ergänzung der Entspannungspolitik. Entspannungspolitik setzt Verteidigungsfähigkeit des Westens voraus. Maßnahmen der zivilen Verteidigung und damit des Zivilschutzes sind von ihrer Zielrichtung her nur auf die Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit ausgerichtet und schon von daher nicht entspannungsfeindlich.Im Gegenteil: Die Entspannung würde gefährdet, wenn Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungswille nachließen, weil Unsicherheit in der Selbstbehauptung kein Boden ist, von dem aus sich Ent-spannungs- und Friedenspolitik führen ließe.Nun erweckt Ihr Antrag, Herr Dregger, den Eindruck, als sei die Funktionsfähigkeit von Gesamtverteidigung und Zivilverteidigung aus konzeptionellen Gründen gefährdet. Ich bin der Meinung, das Gegenteil ist der Fall. Die konzeptionellen Grundlagen der Gesamtverteidigung, auch für den zivilen Bereich, lagen und liegen vor. Die konzeptionellen Grundlagen berücksichtigen bereits jetzt die Belange des jeweils anderen Bereichs und sind auf ein enges Zusammenwirken der zivilen und der militärischen Verteidigung ausgerichtet.Wir brauchen daher keine neue Konzeption der Gesamtverteidigung. Über eine Zusammenfassung der konzeptionellen Grundlageh in Rahmenrichtlinien, wie Ihr Antrag es vorschlägt, läßt sich reden.Allerdings: Rahmenrichtlinien, die nach dem Wunsch der Opposition auch den Umfang der zivilen Verteidigung festlegen sollen, würden an der Konzeption nichts ändern und nichts Neues bringen. Sie könnten aber u. a. ein Mehr an Transparenz bedeuten.Ich möchte also ganz deutlich sagen: Wir haben kein Verzahnungsdefizit auf der Konzeptionsebene, auch wenn Ihr Antrag dies suggeriert und der Bundesregierung sogar vorwirft, sie habe sich ihrer Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung entzogen.Angelpunkt der Gesamtverteidigung ist die Koordinierung des zivilen und des militärischen Bereichs, die jeweils eine eigenständige Struktur und Organisation besitzen. Auch hier wird die Glaubwürdigkeit der Gesamtverteidigung weder durch ein Defizit in der Führungsorganisation noch durch ein Praxisdefizit in Frage gestellt. Der Bundessicherheitsrat hat nach Aufgabe und Kompetenzzuweisung die Funktion eines politischen Gesamtverteidigungsorgans, das im übrigen seine Funktion sehr wohl wahrnimmt. Des weiteren arbeiten die Ressorts, bei denen die Zuständigkeiten für die anderen Verteidigungsgebiete liegen, in guter, ja vorbildlicher Weise zusammen. Ob daneben zusätzliche Stellen und Organisationseinheiten, wie im Entschließungsantrag verlangt — zentrale Koordinierungsstellen — wie Sie sagen —, der Sache wirklich förderlich wären, ist daher, von rechtlichen und sonstigen Erwägungen abgesehen, die Frage.Ich meine, auch auf Länderebene kann von einem Defizit nicht gesprochen werden. Die Länder nehmen diese Aufgabe ernst und haben entsprechende Organe gebildet.. Es wird allerdings darauf ankommen, jetzt durch ständige Übung den Einsatzstand der Führungsorganisation weiter zu verbessern und damit auch die zivil-militärische Zusammenarbeit zu fördern. Wer hier Defizite beklagt, muß schon, Herr Kollege Dregger, konkreter werden und darf sich nicht mit allgemeinen Vorwürfen begnügen. Vielleicht hören wir von Herrn Kollegen Gerlach gleich etwas dazu.Diese zivil-militärische Zusammenarbeit, d. h. das im Rahmen der Gesamtverteidigung unerläßliche Zusammenwirken der militärischen und der zivilen Verteidigung, funktioniert; das möchte ich auch für den zivilen Bereich ausdrücklich betonen. Sie wird auf der Ebene der Bundesregierung durch die Zusammenarbeit der zivilen Verteidigungsressorts mit dem Verteidigungsministerium sichergestellt. Zwischen den Ländern einschließlich ihren nachgeordneten Bereichen und den verschiedenen Führungsebenen des Territorialheeres sowie der Bundeswehrverwaltung bestehen ebenfalls gemeinsame zivil-militärische Koordinierungsgremien. Die Zusammenarbeit erstreckt sich auf alle Tätigkeiten der zivilen und militärischen Führungsstellen und hat zum Ziel, alle Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung auszuschöpfen. Auch insoweit bedarf es nicht einer zusätzlichen Führungsstruktur, die, wie wir meinen, das bestehende System eher belasten würde.Zur Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Umstellung der Verwaltung auf einen Verteidigungsfall sollten die vorhandenen Führungsstrukturen weitgehend aufrechterhalten werden. Soweit zur Erfüllung von Aufgaben der zivilen Verteidigung ein von den obersten bis zu den unteren Behörden durchgehender Weisungsstrang erforderlich gehalten wurde, werden wesentliche Aufgaben schon jetzt in bundeseigener Verwaltung wahrgenommen.Insgesamt stelle ich noch einmal fest: Es besteht keine Diskrepanz zwischen Regierung und Opposi-
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Bundesminister Baumtion in der Zielrichtung, das zweite Bein der Gesamtverteidigung kräftiger werden zu lassen. Es bestehen auch keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß es in unserer geographischen Lage und bei dem Stand der Weiterentwicklung der Waffentechnik keinen absoluten Schutz, keinen Vollschutz der Bevölkerung geben kann. Wer etwas anderes sagt, handelt unredlich.
In der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition ist in der Zivilverteidigung eine Menge geschehen, Herr Kollege Dregger. Es gilt, zwei Bereiche zu unterscheiden: einen Bereich, in dem, wenn ich von den persönlichen und sachlichen Verwaltungsaufgaben absehe, grundsätzlich kein Geld erforderlich ist, um Fortschritte zu erzielen, und einen anderen Bereich, in dem es ohne angemessene Haushaltsmittel nicht geht. Ich möchte zunächst die finanzneutralen Maßnahmen und das, was dort geschehen ist, darstellen.Die Ausfüllung der. Sicherstellungsgesetze durch Verordnungen und andere Maßnahmen ist von der jetzigen Regierung kontinuierlich betrieben worden, wie ein Blick in die Gesetzblätter der zurückliegenden Zeit beweist; die Ergänzung noch fehlender Rechtsgrundlagen ist in Angriff genommen. So wird z. B. vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit derzeit ein Gesetzentwurf zur Gesundheitssicherstellung vorbereitet, den Sie ja auch in Ihrem Antrag ansprechen. In diesem Gesetz sollen vor allem die Aufgaben und Befugnisse der Gesundheitsbehörden bei der Planung und Durchführung von Vorsorgemaßnahmen geregelt werden. Einer besonderen Aufforderung in diesem Punkte an die Bundesregierung bedarf es daher nicht.Ich komme nun zu dem Bereich, in dem ohne angemessene Haushaltsmittel nichts geht, dem Zivilschutz. Der Zivilschutz ist das Herzstück und die bürgernächste Seite der zivilen Verteidigung. Gerade diese Zielrichtung der zivilen Verteidigung, der Überlebensschutz des Bürgers, ist von eminenter politischer Bedeutung. Bei aller Anerkennung des Stellenwertes der zivilen Verteidigung kommen wir um folgende Feststellungen nicht herum:Erstens. Wenn wir keine Totalverbunkerung der Bundesrepublik Deutschland wollen, wie es auch schon mein Vorredner ausgeführt hat, erfordert auch ein Minimalkonzept des Zivilschutzes, Herr Kollege Dregger, ganz erhebliche finanzielle Mittel. Der Zivilschutz tritt damit in Konkurrenz zu anderen Staatsaufgaben. Wir müssen uns hierbei schwierigen politischen Prioritätsentscheidungen stellen. Jeder, der Forderungen aufstellt, auch Sie, muß sagen, wie er die zusätzlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Stabilisierung des Haushalts und Abbau der Verschuldung — das fordern Sie ja — finanzieren will. Das heißt, Sie müssen sagen, welche anderen Staatsaufgaben Sie zurücktreten lassen wollen, Herr Dregger, um diese zu finanzieren.
Sie haben bereits vorbeugend im Hinblick auf diese Bemerkung, die ich jetzt eben gemacht habe, gesagt, Sie würden keine Anträge stellen, weil Sie das ganze Konzept nicht für richtig hielten oder weil Sie ein neues Konzept erwarteten. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aber nicht aus der Verantwortung entlassen, in Kürze, wenn wir den Haushalt 1980 beraten, Roß und Reiter zu nennen
und uns zu sagen, wo Sie mehr Mittel einsetzen und wo Sie andere Aufgaben zurücktreten lassen wollen.
Zweitens. Wenn ein Vollschutz der Bevölkerung nicht möglich ist, gilt es, den rechten Mittelweg zwischen den einzugehenden Risiken und dem vertretbaren Aufwand für einen Teilschutz zu finden.Drittens. Wir müssen der Bevölkerung sagen, welcher Schutz mit welchen Mitteln möglich ist. Vor diesem Grundproblem stand und steht jedes Parlament, jede Regierung und jede Partei. Dies gilt es in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, vor allem dann, wenn versucht wird, der Bevölkerung einzureden, es fehle nur am guten Willen von Parlament und Regierung, an der theoretischen Konzeption für den Zivilschutz, um einen wirksamen Überlebensschutz zu gewährleisten.
Wir müssen in Anbetracht anderer wichtiger Staatsaufgaben gemeinsam realisierbare Wege aufzeigen. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren schon Akzente gesetzt und die Mittel für die zivile Verteidigung Schritt für Schritt erhöht. Das gilt auch für das vom Innenausschuß empfohlene Finanzsonderprogramm für den Ersatz überalterter Fahrzeuge im Katastrophenschutz und für den hier schon so oft genannten Schutzraumbau. Die Gesamtausgaben für die zivile Verteidigung betrugen 1969 432 Millionen DM. Sie sind in diesem Jahr auf 730,7 Millionen DM gestiegen. Davon sind die Mittel für den Zivilschutz von 297 Millionen DM im Jahre 1969 auf 583 Millionen DM in diesem Jahr angewachsen. Schwerpunkte der Maßnahmen der Bundesregierung liegen insbesondere in der Wiederaufnahme der Schutzbauförderung, in der Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes und in der Wiederaufstockung und Fortführung der Lebensmittelbevorratung.Ein Mangel des Konzepts der zivilen Verteidigung lag darin, daß Perfektionierung der zivilen Verteidigung der tragende Gedanke des Konzepts war. Der Perfektionismus ehrgeiziger Pläne stand wegen der nicht zu beschaffenden Haushaltsmittel dem Ausbau der Zivilverteidigung im Wege. Die Entschlackung ehrgeiziger Pläne ist daher der erste
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13036 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Bundesminister BaumSchritt zur Steigerung der Wirksamkeit der Zivilverteidigung. Die Schritt-für-Schritt-Verwirklichung eines realistischen Konzeptes ist ein größerer Beitrag zur zivilen Verteidigung als das unerfüllbare theoretische Konzept optimaler Lösungen, die sich ohnehin in kurzer Zeit oder mittelfristig nicht verwirklichen lassen.Nun ein Wort zum Schutzraumbau. Sicher, die bisherige Bilanz des Schutzraumbaus ist nicht zufriedenstellend. Bisher sind nur 1,8 Millionen neue Schutzplätze eingerichtet worden, zum Teil allerdings mit einer sehr aufwendigen Ausstattung, die vereinfacht werden könnte. Ich bin also der Meinung, man könnte mehr Schutzräume bauen, wenn man auf eine allzu aufwendige Ausstattung, wie sie in der Vergangenheit vorgesehen worden ist, verzichtete. Hinzu kommt eine Anzahl von Schutzmöglichkeiten in Altbauten, natürlichen Stollen und ähnlichen Einrichtungen, über die jedoch keine genauen Zahlenangaben vorliegen. Wichtig sind daher ehrlicher Verzicht auf vollen Atomschutz — meine Damen und Herren, der ist nicht möglich — und Reduzierung technischer Anforderungen zum Schutz gegen die Auswirkungen selektiven Einsatzes taktischer Atomwaffen und zum Schutz gegen Wirkungen konventioneller Waffen einschließlich chemischer Angriffe.Die Leitidee einer neuen Konzeption der Schutzbauförderung ist: Breitenwirkung im Schutzraumbau muß Vorrang vor der technischen Perfektion bei einer geringeren Anzahl von Schutzplätzen haben.Wer heute das Fehlen von Schutzräumen beklagt, Herr Kollege Dregger, muß auch einmal die wirklichen Ursachen dafür nennen. Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre, bei einem großen Neubauvolumen, ist der Grundstein für die Probleme gelegt worden, über die wir heute diskutieren. Die Regierung Erhard hat die Schutzbaupflicht mit dem Haushaltssicherungsgesetz 1966 suspendiert. Damals wäre es sehr wirkungsvoll gewesen, diese Schutzbaupflicht in den Neubauboom der Nachkriegszeit einzuführen. Ich will diese Entscheidung, Herr Kollege Dregger, jetzt im nachhinein gar nicht kritisieren. Aber was damals nicht geschehen ist, kann jetzt nicht im Eiltempo nachgeholt werden, und das müssen vor allen Dingen diejenigen einsehen, die jetzt Vorwürfe machen, aber damals an der Entscheidung mitgewirkt haben und sie mit zu verantworten haben.
Eine realistische Schutzbauförderung hat drei Ansatzpunkte: erstens Förderung des Baus von Hausschutzräumen in Wohngebäuden und _Schulen durch Zuschüsse sowie steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten; zweitens Förderung des Baus von Mehrzweckanlagen — Tiefgaragen, Haltestellen und Bahnhöfen von unterirdischen Bahnen —, ohne daß zu hohe technische Schutzanforderungen gestellt würden; drittens Instandsetzung ehemaliger Schutzbauwerke, ebenfalls ohne überspannte technische Anforderungen.Bei aller Forcierung der Schutzbauförderung darf jedoch eines nicht außer acht gelassen werden: Die Verwirklichung dieser Konzeption braucht Zeit, meine Damen und Herren, braucht viel Zeit. Der Bedarf an Mehrzweckbauten kann nicht künstlich gesteigert werden, und Mehrzweckbauten dieser Art können auch nicht einfach befohlen werden. Bei aller Förderung des Baus von Schutzräumen bleibt es Sache des Bürgers, von den Zuschüssen und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten als einer Hilfe zur Selbsthilfe Gebrauch zu machen. Zu einer Breitenwirkung im Schutzraumbau kann es nur dann kommen, wenn staatliche Maßnahmen und die Bereitschaft der Bürger, für Krisensituationen selbst Vorsorge zu treffen, zusammenkommen.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zum Katastrophenschutz machen. Die Zielplanung der 60er Jahre zielte darauf ab, im Frieden 600 000 für den Verteidigungsfall ausgerüstete Helfer vorzuhalten. Ich möchte hier erklären: Wollten wir an dieser Zahl festhalten — ich lasse das einmal offen —, müßten die Finanzmittel vervielfacht werden. Aber auch bei der jetzigen Finanzausstattung kann die Leistung des Katastrophenschutzes wesentlich gesteigert werden. Gerade weil sich die im Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes festgelegte Grundkonzeption eines einheitlichen Katastrophenschutzes in Frieden und im Verteidigungsfall als sachgerecht bewährt hat, haben wir eine solide Grundlage für Verbesserungen im Detail.Für den erweiterten Katastrophenschutz, für den der Bund die Verantwortung trägt und der den Gefahren eines Ernstfalles zu begegnen hat, ist in intensiven Verhandlungen mit den Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und den Hilfsorganisationen ein mehrjähriges Programm der Weiterentwicklung erarbeitet worden. Es gibt also keinen Stillstand auf diesem Gebiet. Ich skizziere dieses Programm:Erstens. Die Konzeption eines einheitlichen Katastrophenschutzes zur Bekämpfung von Katastrophen im Frieden und im Verteidigungsfall wird beibehalten..Zweitens. Auf die Mitwirkung von freiwilligen Helfern im erweiterten Katastrophenschutz wird nicht verzichtet. Der Aufbau eines Zivilschutzkorps des Bundes aus berufsmäßigen Angehörigen und aus Wehrpflichtigen wird nicht angestrebt. Die Schaffung eines solchen Instruments wäre weder finanziell realisierbar noch gesellschaftspolitisch eine Alternative zu den freiwilligen Hilfsorganisationen; es wäre eine Diskriminierung, eine Herabsetzung der Menschen in den freiwilligen Hilfsorganisationen, meine Damen und Herren; die schaffen das nämlich selber.Drittens. Das Führungselement im Katastrophenschutz wird verbessert. Durch das von Bund und Ländern gemeinsam erarbeitete Modell einer Katastrophenschutzleitung und technischen Einsatzleitung sind die strukturellen Voraussetzungen für eine Optimierung der Zusammenarbeit im Katastrophenschutz geschaffen worden.
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Bundesminister BaumViertens. Die Ausstattung der bestehenden Einheiten des erweiterten Katastrophenschutzes wird verbessert. Ein erster Schritt ist mit der schon erwähnten Erhöhung der Mittel für den Ausstattungsbereich getan. Ich möchte dem Bundestag für seine Initiative ausdrücklich danken. Weitere Schritte werden folgen müssen. Wir werden uns über diese Schritte im Ausschuß im einzelnen unterhalten müssen.Fünftens. An einer verwaltungsmäßigen Vereinfachung des Katastrophenschutzes wird gearbeitet. In einer Arbeitsgruppe, in der alle Beteiligten vertreten sind, konnten bereits beachtliche Ergebnisse erzielt werden.Sechstens. Die Zivilschutzgesetzgebung wird vereinfacht und damit auch transparenter gemacht. In der nächsten Legislaturperiode wird dem Hohen Haus ein Gesetzentwurf vorgelegt werden können, der das Zivilschutzgesetz, das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes und möglicherweise auch das Schutzbaugesetz zusammenfaßt. Hierzu werden die gerade in der letzten Zeit reichlich gewonnenen Erfahrungen noch abschließend ausgewertet und eingebracht werden. Ich bin gerne bereit, über diese Vorbereitung im Ausschuß im einzelnen zu berichten.Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Im Spannungs- und Verteidigungsfall ich möchte das nur kurz anreißen — ist sie für die Funktionsfähigkeit der Gesamtverteidigung von besonderer Bedeutung. Diese Aufgabe fällt Bund und Ländern gemeinsam zu. Dies ist auch in dem „Programm für die Innere Sicherheit" der Ständigen Konferenz der Innenminister so festgeschrieben. Bereits nach dem heutigen Rechtsstand ist sichergestellt, daß im Spannungs- und Verteidigungsfall der Grenzschutzdienstpflicht unterliegende Personen vom Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz herangezogen werden können. Die Personalreserve nimmt allerdings ab; noch ermöglicht sie es jedoch, einen etwaigen Personalfehlbestand des Bundesgrenzschutzes auszugleichen und eine Verstärkung vorzunehmen.Es ist allerdings davon auszugehen, daß in einem Verteidigungsfall zur ausreichenden Erfüllung aller polizeilichen Aufgaben im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Bildung von Polizeireserven in Bund und Ländern diskutiert werden muß. Ich muß hier deutlich sagen, das ist nicht und gar nicht an erster Stelle ein Problem des Bundes, sondern das sind Probleme, die die Länder haben.Lassen Sie mich einen letzten Punkt erwähnen: Aufklärung der Bevölkerung. Aufklärung der Bevölkerung über Fragen der Gesamtverteidigung und damit auch der zivilen Verteidigung ist dringend notwendig. Wir messen ihr besonderen Wert bei. Die Bundesregierung ist bemüht, die Aufklärung der Bevölkerung gleichermaßen freimütig wie verständlich vorzunehmen, weil nur so Verteidigungswille und Verteidigungsfähigkeit gefördert werden können. Dies bedeutet ehrliche, nüchterne und umfassende Unterrichtung der Bevölkerung über die Fragen der zivilen Verteidigung. Zivilschutzpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn ihr im politischen Bereich und in der Öffentlichkeit ein entsprechender Stellenwert eingeräumt wird. Es ist gar kein Zweifel, daß viele Jahre lang nach dem Kriege die Öffentlichkeit für diese Fragen nicht sensibilisiert war, daß sie nicht bereit war, diese Fragen aufzunehmen. Das hat sich, meine ich, jetzt etwas geändert.Um es pointiert zu formulieren: Zivile Verteidigung muß als ganz normale, selbstverständliche Aufgabe angesehen werden. Die Aufklärungsarbeit zur Selbsthilfe der Bevölkerung ist daher elementarer Baustein eines Konzepts der zivilen Verteidigung. Es ist unerläßlich — ich greife das auf, was Herr Kollege Möllemann gesagt hat —, daß der Bürger für seinen privaten Bereich soweit wie möglich selbst Vorsorge trifft. Dieses Vorsorgebewußtsein drückt sich eben in freien Entscheidungen des Bürgers aus, selber, ohne staatlichen Zwang Vorsorge zu treffen. Leider ist das bisher noch nicht in genügendem Maße geschehen. Die Erfahrungen der Schneekatastrophe in Schleswig-Holstein haben das gezeigt. Maßnahmen des Staates und Selbsthilfe des Bürgers müssen sich also ergänzen, um eine Großkatastrophe bewältigen zu können.Die Mitwirkung des Bürgers beschränkt sich aber nicht auf den Bereich der Eigenvorsorge. Sache des Bürgers muß auch die Mitarbeit in den Einheiten und Einrichtungen des Zivilschutzes sein. Ohne freiwillige, ehrenamtliche, aktive Beteiligung der Bevölkerung innerhalb und außerhalb der humanitären Hilfsorganisationen ist Zivilschutz überhaupt nicht möglich. Viele Tausende von ehrenamtlichen Helfern geben ein hervorragendes Beispiel für einen staatsbürgerlichen Dienst an der demokratischen Gemeinschaft. Wenn wir über zivile Verteidigung diskutieren, sollten wir hervorheben, daß viele Tausende unserer Mitbürger auf diesem Gebiet tagtäglich ehrenamtlich tätig sind.Daher gilt es auch, die Effektivität des Bundesverbandes für den Selbstschutz zu steigern. Ich nenne als Stichworte: Organisations- und Strukturmaßnahmen, Neuakzentuierung der Öffentlichkeitsarbeit, Aus- und Fortbildungsveranstaltungen und verstärkte Kooperation mit anderen Stellen.Also ein weites Feld schwieriger Probleme. Sie lassen sich nicht einfach durch Deklarationen lösen, Herr Kollege Dregger. Hier darf nicht nur der Mund gespitzt werden, hier muß gepfiffen werden.
Ich bin gespannt, welche Vorschläge Sie im Ausschuß machen. Das Thema ist zu ernst, um in Polemik zerredet zu werden. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß für Vorwürfe an sie oder an die Koalitionsfraktionen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerlach.13038 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979Gerlach [CDU/CSU] : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl noch nie in den letzten 25 Jahren wurde so oft, so intensiv und mit so beschwörenden Worten über die Notwendigkeit einer funktionstüchtigen Gesamtverteidigung gesprochen wie in den ersten drei Jahren dieser Legislaturperiode — leider etwas zu einseitig: seitens der Fraktion der CDU/CSU. Heute hat sich beim ersten Redner der SPD-Fraktion gezeigt, daß noch sehr viel Informationsarbeit notwendig ist. Seine Ausführungen strotzten von Unsachlichkeit und offensichtlicher Unkenntnis der Zusammenhänge. Das war nicht sehr ermutigend. Ich hoffe, daß in den Beiträgen seitens der anderen Kollegen von Ihrer Seite noch etwas Besseres kommt.Die FDP-Fraktion hat in der Tat Ermutigendes vorgetragen. Wir kennen natürlich die Programme. Nur, Herr Möllemann, die Botschaft hör' ich wohl, allein es fehlen die Taten. Ich hoffe, daß bei den Ausschußarbeiten auch die Taten folgen werden.Wir können ein gut Teil dessen begrüßen, was der Bundesinnenminister vorgetragen hat. Wir würden ihm weitgehend zustimmen. Nur, er verweist uns wiederum auf die Zukunft, auf die nächste Legislaturperiode. Herr Innenminister, das habe ich von Ihren Vorgängern in der letzten Legislaturperiode ebenfalls gehört. Heute tragen wir die Verantwortung in dieser so schwierigen Frage, Sie, ich, wir alle miteinander. Deswegen müssen wir heute die Steine setzen, die für eine funktionierende Gesamtverteidigung notwendig sind.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß es die Fraktion der CDU/CSU war, die gleichsam das Tabu durchbrochen hat. Es schmeckt Ihnen nicht, wenn der Kollege Dr. Dregger in klarer Formulierung das zum Ausdruck bringt, was die Realität ist.
Sie müssen zugeben, daß es um die Gesamtverteidigung sehr, sehr schlecht steht. Der Kollege Dregger legt den Finger auf die Wunde, die dadurch gekennzeichnet ist, daß hinter einer hochgerüsteten und hochqualifizierten Bundeswehr heute eine fast völlig schutzlose Zivilbevölkerung steht. Wir wissen aus Erfahrungen und Gesprächen mit Angehörigen der Bundeswehr, daß dieses Mißverhältnis nicht ohne psychologische Auswirkungen auf den einzelnen Soldaten und seine Einsatzbereitschaft für die auf der Wehrpflicht beruhende Bundeswehr bleibt.Erstes Ziel unserer Sicherheitspolitik ist es, den Frieden zu erhalten, die Freiheit zu sichern und die demokratische Ordnung zu schützen. Jüngste Studien der NATO und die Auswertung der Manöver Wintex 1977 und 1979 haben bestätigt und unterstrichen, daß sich seit Aufstellung der Bundeswehr die militärischen und politischen Rahmenbedingungen unserer Sicherheitspolitik grundsätzlich geändert haben. Herr Bundesinnenminister, deswegen müssen wir heute andere Schwerpunkte setzen, als sie vor zehn Jahren gesetzt werden mußten.
In dem gleichen Maße, wie die atomare Abschrekkung an Wirkung verloren hat, ist der konventionelle Krieg wieder denkbarer geworden. Unser Land wäre heute Hauptkriegsschauplatz. Dieser Situationsanalyse wird jedoch das Verteidigungskonzept der Bundesregierung nicht gerecht. Selbst Freunden der Bundesregierung ist aufgefallen, daß ihrer Antwort auf die Große Anfrage unserer Fraktion zur Sicherheitspolitik jeder Ansatzpunkt für ein Konzept der Gesamtverteidigung leider Gottes fehlt.Was macht die Situation so bedenklich? Erstens: Es fehlen Schutzplätze. Zur Zeit sind solche nur für etwa 3 % — das sind 1,8 Millionen Bürger — vorhanden. Andere Staaten können das besser. Die Schweiz hat für über 80 %, die Schweden haben für über 65 °/o, die Dänen für 50 %, die Norweger für 40 % ihrer Bevölkerung Schutzräume. Es muß dazu gesagt werden: bei unserer Bevölkerung besteht ein großes Interesse an Schutzräumen. Nur sind die Mittel nicht vorhanden. Auch hier müssen nun einfach andere Schwerpunkte gesetzt werden, Herr Bundesminister. Ich bedauere sehr, daß der Finanzminister jetzt nicht auf seinem Platz sitzt; denn er wäre in dieser Frage in der Tat der Ansprechpartner.
Ich habe hier ein Schreiben des Innenministers von Baden-Württemberg an meinen Kollegen Biechele. Er antwortet dem Kollegen Biechele, daß er sich um Schutzraumbauten in Schulen bemüht. Er stellt aber gleichzeitig fest, daß ihm eine Antwort des Bundesinnenministeriums zugegangen ist, daß die Mittel bis 1981 erschöpft sind. Was nutzt es, wenn draußen die Bevölkerung Schutzräume bauen will, wenn wir das forcieren und keine Mittel vorhanden sind? Hier muß die Konzeption geändert werden.
Ich habe hier weiter ein Schreiben der katholischen Pfarrcuratie St. Philippus aus München an meine Kollegin Krone-Appuhn, sie wolle auch einen Schutzraum für 300 Personen bauen. Sie sehen, die Bürger wollen. Sie haben auch Mittel zugesagt bekommen; aber es sind viel zuwenig Mittel. Wegen der nunmehrigen Konzeption der Bundesregierung reichen die Mittel nicht einmal, wenn man in den Anforderungen an die Qualität der Schutzräume ganz heruntergeht, um primitiven Schutzraumbau zu betreiben. Das heißt, daß selbst dieser primitive Schutzraumbau wieder mangels Finanzmasse aufgegeben werden muß, wenn die Konzeption nicht geändert wird.Ein weiteres Beispiel für das Interesse der Bevölkerung draußen ist die Tatsache, daß Meldungen vorliegen, daß viele Bürger Schutzräume von Leuten kaufen — meine Damen und Herren, Sie hören richtig: kaufen —, die Schutzräume gebaut haben, sie aber wegen der geringen Familiengröße nicht voll ausnutzen. Solche Leute bieten Schutzräume an, die man also, wie gesagt, kaufen kann. Das heißt, daß hier ein Interesse besteht und daß wir als Parla-
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ment die Verantwortung dafür tragen, daß dieses berechtigte Interesse auch realisiert werden kann.
Zweitens. Ich habe gefragt: Was macht die Situation so bedenklich? Die technische Ausrüstung der Hilfsorganisationen ist veraltet. Viele von uns waren sicher schon draußen bei Übungen der Hilfsorganisationen. Sie haben gemerkt, mit welchen Fahrzeugen, mit welchen Geräten sich diese Leute begnügen müssen: vom alten Borgward bis zum nicht mehr funktionierenden Funkgerät. Doch sie, die Frauen und Männer der Hilfsorganisationen, beherrschen die Situation. Ich darf die Gelegenheit hier einmal nutzen, um ihnen zu danken, daß sie nicht aufgeben, daß sie weitermachen.
Es ist, Herr Bundesminister, nicht damit gedient, wenn wir die Zielprojektion 600 000 Helfer reduzieren und an den Mitteln ausrichten, die der Finanzminister zur Verfügung stellt. Die 600 000 sind vorhanden; wir können und wollen sie nicht einfach nach Hause schicken, sondern wir wollen ihren Idealismus nutzen. Denn bezahlen könnten wir das im Endergebnis alles nicht. Aber wir müssen sie unterstützen, die Frauen und Männer der Hilfsorganisationen.
Drittens. Heute verläßt man sich bei Katastrophen — ich darf an die Großkatastrophen erinnern — auf die Schützenhilfe von Bundeswehr und BGS. Aber: Die Bundeswehr steht im Verteidigungsfall nicht zur Verfügung, meine Damen und Herren. Ich hätte vom Innenminister heute, wo er ja viel Zeit hatte, seine Überlegungen hier darzulegen, auch gern einmal etwas zu der Frage gehört: Wie ist es denn mit schwerem Gerät? Soll solches angeschafft werden? Wie will man solchen Katastrophen — ohne Bundeswehr — künftig begegnen?Viertens. Viele Verwaltungsvorschriften hemmen mehr, als sie helfen. Hier muß eine Bereinigung stattfinden.
Fünftens. Es hapert am Zusammenspiel der Hilfsorganisationen. Das fängt bei unterschiedlichen Ausbildungskonzepten an und hört bei unterschiedlichen Funkfrequenzen auf.Sechstens. Ehrenamtliches Engagement wird durch Bürokraten erschwert und oft sogar belächelt. Ich darf nur daran erinnern, daß die freiwilligen Helfer für ihre Honorare auch noch Steuern bezahlen müssen.Siebtens. Die Nahrungsmittelreserven wurden ersatzlos gestrichen. Was an Ansätzen jetzt wieder vorhanden ist, ist ganz einfach zuwenig und für die Zukunft nicht ausreichend. Hier muß, wenn wir feststellen, daß in einer Katastrophensituation nicht einmal die notwendige Säuglingsmilch vorhanden ist,
eine grundsätzliche Änderung stattfinden.Achtens. Kein Arzt, kein Lehrer, kein Familienvater weiß, was er im Ernstfall zu tun hat. Nur einer weiß es: der Soldat. Welch ein Mißverhältnis, meine Damen und Herren!
Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß es heute nicht mehr allein die Armee ist, die gegen Armeen anzutreten hätte. So wie sich ein Angriff auf einen Staat heute gegen seine politische Struktur, seine Wirtschaft, die Nation als Ganzes und nicht nur gegen die Armee richtet, so muß auch die Verteidigung auf allen Gebieten ins Auge gefaßt werden, auf denen der Staat angegriffen werden kann. Wenn es an irgendeiner Stelle fehlt, wenn die geistige Bereitschaft des Volkes zum Widerstand fehlt, wenn die wirtschaftlichen Vorbereitungen schlecht getroffen worden sind, wenn nicht durch Zivilschutz für das Überleben der Nation gesorgt worden ist, wird das Ganze in Frage gestellt. Die größten Anstrengungen auf anderen Teilgebieten können dann nicht zum Ziele führen. Das in diesem Zusammenhang öfter gebrauchte Bild von der Kette ist offenbar richtig. Es ist absurd, zu denken, das dritte oder das fünfte Glied dieser Kette könne ruhig etwas schwächer sein, wenn nur das erste und noch das zweite kräftig seien. Die Kette wird an ihrer schwächsten Stelle reißen; das Ganze hält nicht.Die militärische Verteidigung ist von der zivilen Unterstützung abhängig. Das betrifft die MOB-Ergänzung aus dem zivilen Bereich, die zivilen Leistungen für die Versorgung und auch das Transport-und Fernmeldewesen. Es ist allerdings bedauerlich, in diesem Zusammenhang erwähnen zu müssen, daß allseits Klage darüber geführt wird, Generäle der Bundeswehr und auch Spitzen des Bundesverteidigungsministeriums würden den Aufgabenbereich der zivilen Verteidigung nicht genügend unterstützen, vor allem die finanziellen Forderungen zur Erhöhung der entsprechenden Haushaltsansätze nicht mit vertreten. Sogar der Bundeskanzler erinnert sich nicht mehr daran, was er seinerzeit — Herr Dr. Dregger hat es zitiert — als Innensenator von Hamburg für unabdingbar notwendig erachtet hat, nämlich eine funktionstüchtige Zivilverteidigung als Ergänzung der militärischen Verteidigung.Ich fasse zusammen: was ist zu tun?Erstens. Das Engagement des Staates und der in ihm Verantwortung Tragenden für die Bedeutung und die Aufgabe der zivilen Verteidigung muß in der Öffentlichkeit verstärkt werden.Zweitens. Die Zivilverteidigung muß durch Bereitstellung adäquater Finanzmittel des Bundes insbesondere für die Ersatzbeschaffung von standardisierten Fahrzeugen und Geräten, für den Schutzraumbau und für eine Verbesserung des Alarmsystems aller Katastrophenschutzeinheiten gestärkt werden.
Drittens. Die Zusammenarbeit der zivilen und militärischen verantwortlichen Stellen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene muß verbessert werden, vor allem durch die Förderung der freiwilligen Hilfsorganisationen in ihrem Engagement und durch den
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Abbau der eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der Organisationen hemmenden Verwaltungsvorschriften.Viertens. Die Aufklärung über die Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und somit auch über die Bedeutung und die Aufgaben der zivilen Verteidigung im Rahmen des Sozial- und Gemeinschaftskundeunterrichts in den Schulen muß vertieft werden.Wenn man die funktionelle Bedeutung der verschiedenen Sektoren für die Verteidigung richtig sieht, muß von diesen anderen Diensten der Schatten des Subsidiären und des Zweitklassigen genommen werden. Gesamtverteidigung verlangt eine besondere Straffung der Funktionen des Staates für den Fall des Druckes von außen. Alles, was dieser Verstärkung dient, muß als Dienst grundsätzlich gleichen Wert und gleiche Würde besitzen. Strategische Einsicht ist Einsicht in Funktionszusammenhänge. Wer funktionell denkt, darf zwar durchaus Prioritäten setzen, er muß das zweifellos, aber er wird Hierarchien bejahen, die funktionell legitimiert sind. Gesamtverteidigung erstreckt sich nicht nur auf alle Sektoren des nationalen Lebens, sondern bedarf der tieferen Begründung. Alle pragmatische Politik und alle praktischen Vorbereitungen zur Verteidigung sind an geistige Fundierungen gebunden.Im übrigen darf ich auf den vorgeschlagenen Beschlußkatalog in unserem Antrag zur Gesamtverteidigung in der Drucksache 8/2295 verweisen. Uns ist bewußt, daß unsere Vorschläge noch mancherlei Bereicherungen erfahren können. Trotz des wenig erfreulichen Anfangs heute durch den Vertreter der SPD-Fraktion hege ich die Erwartung, daß das Parlament bei den weiteren Beratungen unseres Antrags nicht an wesentlichen Problemen vorbeihastet, so wie das heute in dieser zweistündigen Debatte getan werden muß, oder sich an den Problemen vorbeimogelt.Ich sehe durchaus gute Ansätze für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Koalition und Opposition in dieser für unsere Bürger so lebenswichtigen Frage. Voraussetzung bleibt allerdings, daß unsere Vorschläge nicht ausgelaugt, vielmehr eher zielstrebig bekräftigt und ergänzt werden. Ich meine, es ist allerhöchste Zeit, in den Problembereichen der Gesamtverteidigung Nägel mit Köpfen zu fertigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag begrüßt jede Initiative, die geeignet ist, bei der Lösung von Problemen auf dem schwierigen Gebiet der zivilen Verteidigung mitzuhelfen. Es ist unbestritten, daß hier ein echter Nachholbedarf besteht.Ich bedaure die Art und Weise und die Härte, mit der die Auseinandersetzung heute hier geführt wurde. Von Herrn Dregger sind wir ja einiges gewöhnt. Aber Sie, Herr Gerlach, habe ich nicht wiedererkannt. Wahrscheinlich sind Sie anders, wenn Sie ein Mikrophon vor dem Mund haben.
— Sie haben z. B. gesagt, daß — sehr einseitig — in den letzten drei Jahren wie noch nie in den letzten 25 Jahren über zivile Verteidigung geredet worden sei
und daß immer Ihre Fraktion dazu den Anstoß gegeben habe. Ich muß Sie erinnern: Sie sind Leiter der Arbeitsgruppe Zivilschutz im Innenausschuß des Bundestages. Was ist denn von Ihrer Seite außer Fragen an die Regierung gekommen? In dieser Gruppe ist so viel wie nichts gelaufen. Dort ist eines positiv gekommen: das Programm, das unsere Fraktion eingebracht hat. Und wir mußten mit unseren Haushaltsleuten im Haushaltsausschuß dafür sorgen, daß diese Zusatzmittel bewilligt werden konnten. So sieht es aus.
Nun zu Ihrem Antrag. Auch ich habe nur eine kurze Redezeit. Ein ernstgemeinter Antrag kann ja wohl nicht vom Erwecken des Eindrucks ausgehen, wir ständen vor einem Nichts und durch Ihren Antrag sei der Schlüssel zu der gewünschten Optimallösung geliefert. Unter dem Stichwort „Gesamtverteidigung" — das übrigens keine neue Erfindung ist— soll der Eindruck erweckt werden, unsere Verteidigungsfähigkeit sei nicht gewährleistet. Unter „Gesamtverteidigung" verstehen wir alle gesamtpolitischen Voraussetzungen zur Friedenserhaltung: die Politik der Friedenssicherung.Kern Ihres Entschließungsantrags ist die Forderung nach Maßnahmen auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung, ausgehend von dem pauschalen Vorwurf, die Bundesregierung habe sich ihrer Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung entzogen. Diesen Vorwurf weisen wir zurück.
Sie hätten — das ist schon angesprochen worden— diesen Vorwurf bis einschließlich 1966 allen Bundesregierungen uneingeschränkt so global tagtäglich machen können. Das haben Sie versäumt. Zugegeben, auch heute ist manches noch nicht in Ordnung. Aber es wurden nicht unwesentliche, sondern wesentliche Verbesserungen geschaffen bzw. gerade in dieser Wahlperiode, Herr Gerlach, in Angriff genommen.Ich komme jetzt zu Ihren einzelnen Forderungen und Vorschlägen.Sie fordern Rahmenrichtlinien zur „Organisation und Koordination der zivilmilitärischen Zusammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen", in denen „der Umfang der zivilen Verteidigung festzulegen und ein Stufenplan für ihre Verwirklichung vorzusehen" ist.
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Dr. NöbelHierbei vermissen wir Genauigkeit. Sie haben sich ja durch Herrn Dr. Dregger sehr geschickt herausreden lassen, der sogleich einschränkte: Ein neues Konzept wird in „Umrissen" sichtbar. Ich wiederhole: Hier vermissen wir Genauigkeit. Wollen Sie — so fragen wir — die bereits gültigen und geltenden Konzeptionen für den zivilen und den militärischen Bereich abgeschafft, geändert oder ergänzt wissen? Sie sind ja aufeinander abgestimmt. Oder geht es darum, offene Richtlinien mit dem Ziel zu formulieren, die Sicherheitspolitik für die Bevölkerung durchsichtiger zu machen — natürlich mit den Nachteilen, die Offenlegungen in diesem Bereich zum Teil ohne weiteres mit sich bringen? Hier sind Grenzen gesetzt. Oder geht es Ihnen um Kompetenzverlagerung auf den Bund, z. B. in Form eines Rahmengesetzes? Darüber müßte erst einmal detailliert gesprochen werden. Wir sind dazu bereit. Denn mehr Richtlinien können mehr Verwirrung und mehr Komplizierung stiften.
— In diesem Haus wird doch dauernd von Verwaltungsvereinfachung gesprochen. Wir haben es begrüßt, daß die Exekutive einen Wust von Verwaltungsvorschriften abgebaut hat und dies in Absprache mit den Ländern weiter forciert. Das haben wir zunächst einmal als wesentlich angesehen.Sie wollen — ich zitiere — „für die laufende Koordination der Maßnahmen der Gesamtverteidigung eine Zentralstelle im Bundeskanzleramt" eingerichtet wissen. Dies geht nicht, und zwar zum einen nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen, weil die Ressortaufgaben den Ressortministern in eigener Verantwortung obliegen. Zum anderen fragen wir uns, ob Sie den Bundessicherheitsrat ersetzen wollen. Er ist die Koordinierungsstelle als Gesamtverteidigungsorgan zwischen den Ressorts. Die Entscheidungsbefugnis liegt ohnehin beim Kabinett.Sie fordern „die Festlegung einer verbindlichen Führungsorganisation für alle Verwaltungsebenen". Die Führungsmöglichkeit der bundeseigenen Verwaltung ist gegeben. Die Bundesauftragsverwaltung existiert auch im Verteidigungsfall.Nun gilt natürlich im Zivilschutz- und Sicherstellungsbereich für die Kommunalebene bei dem, was im Auftrag des Bundes auszuführen ist, die generelle Zuständigkeit des jeweiligen Hauptverwaltungsbeamten. Entwürfe zur Bildung von Arbeitsstäben für die obersten Landesbehörden durch die Landesregierungen und ebenso für die obersten Bundesbehörden im Rahmen der Ausweichplanung liegen vor. Für den letzteren Bereich bereitet die Bundesregierung eine gemeinsame Geschäftsordnung für den Verteidigungsfall vor.Was man kritisieren könnte, ist die Tatsache, daß vieles mehr oder weniger vom persönlichen Engagement etwa des jeweiligen Hauptverwaltungsbeamten bzw. des von ihm eingesetzten Dezernenten abhängig ist. Aber wollen Sie persönlichen Einsatz durch Modelle, durch immer wieder neue Richtlinien bewerkstelligen? Sorgen Sie bitte mit dafür, daß die örtlichen Räte, die Gemeinderäte, die Stadträte, die örtlichen Kommunalpolitiker, die örtlichen Parteigremien sich auf diesem Felde mehr bemühen als bisher, daß Zivilschutzausschüsse in den Kommunen eingerichtet werden, daß die Verwaltungen durch die örtlichen Politiker auch auf diesem Felde besser kontrolliert werden! Das wäre eine Aufgabe jeder politischen Partei. Wenn ich Ihre Forderung nach „verstärkter Vorbereitung der Verwaltung auf ihre Verantwortung im Verteidigungsfall" so deuten darf, daß die Führung von Einsatzverbänden damit gemeint ist, so kann ich Ihnen unser uneingeschränktes Ja mitteilen. Zur Zeit wird zwischen den Innenministern von Bund und Ländern das Modell einer bundeseinheitlichen Katastrophenschutzleitung für diesen Zweck auf Kreisebene erörtert. Insofern ist Ihre Forderung überholt. Ich möchte auch daran erinnern, daß in den Fällen, in denen zur Erfüllung von Aufgaben ein von den obersten bis zu den unteren Behörden durchgehender Weisungsstrang für unerläßlich gehalten wird, diese Aufgaben in bundeseigener Verwaltung wahrgenommen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerlach?
Bitte sehr!
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß unser Antrag vom 16. November 1978 stammt und daß ein ganzer Teil der von Ihnen genannten und in Erarbeitung befindlichen Vorlagen damals noch nicht in Angriff genommen worden war?
Daß der Antrag vom November 1978 ist, kann ich bestätigen. Wieviel von den Vorarbeiten der Regierung schon in Ihrem Antrag enthalten ist, vermag ich nicht genau zu umreißen.
Warndienst, Technisches Hilfswerk, Bundesverband für den Selbstschutz, Teile des Sicherstellungsbereiches — all das sind ja Aufgaben, die in bundeseigener Verwaltung wahrgenommen werden. Andererseits sind doch regionale und dezentrale Gesichtspunkte nicht von der Hand zu weisen. Die Entscheidung vor Ort können Sie nicht ausschließlich in Bonn fällen. Im übrigen haben wir ein Grundgesetz. Natürlich sehen auch wir personelle, finanzielle und andere Rahmenbedingungen im Bereich von den Gemeinden an aufwärts. Das ist klar. Natürlich sind die Vorbereitungen der Verwaltung auf ihre Verantwortung im Verteidigungsfall zu verstärken, und dies geschieht auch. Es gibt eine Reihe kontinuierlicher Maßnahmen für diesen Zweck: zivile Übungen, zivile Beteiligungen an militärischen Übungen — diese hat es früher nicht gegeben —, Verbesserung des Ausbildungswesens, organisatorische, personelle und materielle Vorkehrungen, zivile Alarmplanung bis hin zur Komplettierung der noch fehlenden Rechtsgrundlagen.Sie wollen nach Ihrem Antrag die Heranziehung der von Wehr- und Zivildienst Freigestellten zur Dienstleistung im Zivilschutz mit Eintritt des Verteidigungsfalles sichergestellt wissen. Speziell in diesem Punkt kommt es in der Tat darauf an, klare
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12042 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. NöbelRegelungen in Ergänzung des Arbeitssicherstellungsgesetzes zu finden, auf das Kollege Möhring hingewiesen hat. Nach diesem Gesetz können bekanntlich Männer und Frauen für Verteidigungszwecke an ihre Arbeitsplätze gebunden oder in private Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden.Die Opposition fordert die Vereinfachung der Zivilschutzgesetzgebung. Im Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes von 1968 ist als Grundkonzeption der einheitliche Katastrophenschutz zur Bekämpfung von Katastrophen im Frieden und im Verteidigungsfall festgelegt, eine bewährte Konzeption, die von den Ländern als Modellgesetz anerkannt ist und die Landeskatastrophenschutzgesetzgebung nach sich gezogen hat — leider noch nicht in allen Ländern; auch das müssen wir sehen.Das Zivilschutzgesetz wurde 1976 novelliert. Die Gesetzgebung entspricht nach unserer Meinung bisher der gegenwärtigen Bedürfnislage, was nicht bedeutet, daß Ausbildung, Ausstattung und insbesondere Leitungs- und Führungsstruktur nicht verbessert werden müßten. Die Innenminister des Bundes und der Länder haben ein Modell erarbeitet, um bundesweit die unverzügliche Einsatzbereitschaft im Bedarfsfall, im Frieden und im Verteidigungsfall gleichermaßen, sicherzustellen.Ich erinnere auch an die Abstimmung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden über ein neues Ausbildungskonzept.Was die Ausstattung betrifft, so kann ich auf die Bemühungen gerade meiner Fraktion hinweisen, auf die Mittelaufstockungen im vorigen Jahr und das Finanzsonderprogramm für die Jahre 1979 bis 1983.All diese konkreten und konzeptionellen Verbesserungen, die umfassende Vereinfachung der Verwaltung sind der realistische Beitrag zur Verbesserung des gesamten Zivilschutzes. Dies mußte vordringlich sein und muß auch vorangetrieben werden.Nachdem wir nun endlich nach vielen Jahren, nach Jahrzehnten des Hin und Her, sogar des Rückschritts — an den Eklat von 1965/66 will ich hier gar nicht mehr erinnern —, handfeste Ergebnisse vorweisen können und auch die Länder auf der Grundlage des Gesetzes von 1968 nachgezogen haben bzw. dabei sind nachzuziehen, ist Ihre Forderung nach Gesetzesvereinfachung zwar nicht abwegig, aber doch nur eine Bestätigung für die Bundesregierung, die die Realisierung dieses Zieles bereits mit Vorrang betreibt, wie der Herr Bundesinnenminister hier soeben bestätigt hat.Dabei bleibt es bei der vollzogenen Integration von friedenszeitlichem und erweitertem Katastrophenschutz durch Konzentration der Bundesmaßnahmen auf die Bereiche, deren Funktionsfähigkeit im Verteidigungsfall entscheidende Bedeutung hätte.Sie fordern die gesetzliche Pflicht zum Schutzraumbau in privaten und öffentlichen Neubauten. Die Bilanz des Schutzraumbaus ist insbesondere deshalb negativ — darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden, und Herr Dregger hat gesagt, dies sei seine Gewissensbelastung —, weil er in der Wiederaufbauphase versäumt wurde. Aber so einfach kann man sich nicht zurückziehen. Damals wäre es schon allein aus baulichen Gründen leichter gewesen; das muß man doch hinzufügen.Ich möchte wiederholen, was damals, am 15. April 1964, der heutige Vorsitzende des Haushaltsausschusses zu diesem Punkt von dieser Stelle gesagt hat — ich zitiere —:Wir sollten uns aber auch in Zukunft hüten, auf dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes Fehlinvestitionen vorzunehmen.
Er sagte das als Antwort auf die eindeutigen Forderungen der SPD-Fraktion. Er fuhr fort:Wir sollten uns im wohlverstandenen gemeinsamen Interesse darüber unterhalten, ob wir den Luftschutzbau dadurch unmöglich machen wollen, daß wir dem Staat die volle Last aufbürden .. .Das wollen Sie heute nachholen.Wir haben die Mittel für den Schutzraumbau erhöht. Die Hälfte der Mittel geht an die Altbunkersanierung, was natürlich auch aus städtebaulichen Gründen eine wichtige Angelegenheit ist. Ebenso wichtig sind die Mittel für Hilfskrankenhäuser. Dadurch sind entscheidende neue Impulse zu erwarten, nicht zuletzt für die eigene Initiative der Bürger. Ohne die Bereitschaft der Bürger, unter Ausnutzung der staatlichen Hilfen — über die Höhe kann man streiten, Herr Gerlach, das gebe ich Ihnen zu; hier können wir gemeinsam noch etwas versuchen — selbst etwas für ihren eigenen Schutz zu tun, ist der Schutzraumbau nicht möglich. Es bedarf dieser Bürgerinitiative auf breiter Basis.
Eine Schutzbaupflicht brächte überdies Erschwernisse beim Bauen, auch unerwünschte Baupreissteigerungen, Mieterhöhungen und was damit alles verbunden ist.Wir sehen auch den mündigen Bürger, der von uns etwas anderes erwartet als die Schutzbaupflicht. Durch verstärkte Aufklärung ist vieles zu machen.Die Opposition fordert ein Gesundheitssicherstellungsgesetz. Dieses ist in Vorbereitung. Auf Grund der erforderlichen Vorabstimmungen mit den Verbänden, mit den Ländern, innerhalb der Ressorts und auch auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, durch die Berücksichtigung von Übungserfahrungen hat sich die Erstellung des Entwurfs etwas verzögert. Er kommt aber.Die Opposition fordert den Vollzug der Gesetze zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, der Streitkräfte usw. Natürlich werden die Rechtsgrundlagen angewandt. In dieser Wahlperiode wird die sogenannte zivile Verteidigungsreserve wieder aufgestockt. Ziel ist die Versorgung mit verzehrfertigen Lebensmitteln als tägliche warme Mahlzeit für 30 Tage. Daneben besteht die „Bundesreserve Getreide". Die Babynahrung als besonderes Produkt ist nicht zu vergessen. Eine Mittelaufstockung um 8,5 Millionen DM wurde bereits vorgenommen.
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Dr. NöbelEs sind also auch auf diesem Gebiet Fortschritte zu verzeichnen. Es läßt sich leicht sagen: Das ist alles zuwenig, das reicht nicht.Die Nachversorgungsmöglichkeiten durch die EG und das Atlantische Bündnis erwähne ich am Rande. Das wird bei diesen Argumentationen immer wieder vergessen; ich nehme an: bewußt.Sie fordern die verbesserte Aufklärung der Bevölkerung. Darüber ließe sich angesichts der morgigen Fragestunde viel sagen. Ich stelle nur fest: 50 Millionen DM stellt der Bund dem Bundesverband für den Selbstschutz jährlich zur Verfügung. Diesem Verband obliegt es, im Frieden die Bevölkerung über die Wirkungen von Angriffswaffen und über Schutzmöglichkeiten, über Aufgaben und Maßnahmen des Selbstschutzes aufzuklären, die Gemeinden, Landkreise, Behörden und Betriebe bei der Unterrichtung und Ausbildung im Selbstschutz zu unterstützen.Uns liegt daran — das versichere ich hier —, die Effektivität dieses Verbands zu verbessern. Wir stellen in letzter Zeit fest, daß bereits erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten. Nur möchte ich davor warnen, immer nur zu kritisieren und die dort Tätigen mutlos zu machen. Wir müssen ihnen helfen.Sie fordern von der Regierung, sie solle alle zwei Jahre über die Lage der Gesamtverteidigung unterrichten. Dabei wird andererseits interfraktionell, wenn ich das richtig begriffen habe, versucht, das Parlament vor der Flut der Berichte seitens der Regierung zu bewahren. Regierungserklärungen, Berichte zur Lage der Nation, Haushaltsberatungen, Debatten über die Sicherheitspolitik geben ausreichend Gelegenheit, Ihrem Anliegen gerecht zu werden. Wir sollten nicht noch zusätzliche Berichte anfordern.Lassen Sie mich abschließend ergänzen: Tagtäglich tun unsere Hilforganisationen draußen ihre Pflicht. Sie sind mir in der Debatte heute hier etwas zu kurz gekommen. Sie würden ihre Pflicht auch im Verteidigungsfall erfüllen. Das Deutsche Rote Kreuz, der Malteser-Hilfsdienst, der Arbeitersamariterbund, die Feuerwehren — das alles zusammengenommen macht über 1,2 Millionen freiwillige Helfer aus.Denken wir an die Leistungen in der Katastrophenmedizin — darüber wurde hier kein Wort gesagt —, an die Wissenschaftler und ihre Leistungen in der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern; denken wir an die beispielhaften, großartigen Erfolge im Hubschrauberrettungsdienst.
Das wird immer wieder verschwiegen, es paßt nicht ins Bild.Aber wir möchten diese Gelegenheit wahrnehmen, von dieser Stelle aus wiederum unseren Dank und unsere Verbundenheit all denen gegenüber auszusprechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biehle.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach den Ausführungen meiner beiden Kollegen Dr. Dregger und Gerlach auch einmal aus der Sicht eines Verteidigungspolitikers der CDU/ CSU-Fraktion, einige Gesichtspunkte zur Gesamtverteidigung ansprechen. Doch zunächst ein paar Vorbemerkungen.Herr Bundesminister Baum meinte zu dem Kollegen Dregger, er sollte es nicht bei Allgemeinplätzen belassen, obwohl in der Tat eine ganze Reihe von konkreten Punkten aufgeführt worden sind. Jedenfalls — und das darf ich hier feststellen — ist das erste Mal in dieser Legislaturperiode durch die Initiative der CDU/CSU erreicht worden, daß ein Bundesminister überhaupt zu den' Fragen der Gesamtverteidigung Stellung bezogen hat.
Herr Bundesminister Baum meinte, wir sollten der Bevölkerung nicht Angst suggerieren. Es geht nicht darum, Angst zu suggerieren, sondern ähnlich wie bei den Renten, bei der Schuldenwirtschaft und vielen anderen Bereichen der Bundespolitik darum, dem Bürger die Realitäten aufzuzeigen, die Wahrheit zu sagen und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Ich möchte auf das zurückkommen, was der Kollege Möhring gesagt hat. Unter Entspannungsbemühungen verstehen wir natürlich auch Gegenleistungen, nicht einseitige Leistungen. Wenn wir auf der anderen Seite die enorme Aufrüstung des Warschauer Paktes, wenn wir die Grenzbefestigungen, wenn wir die Betriebskampfgruppenaufstellung in der DDR und vieles andere mehr sehen, dann dient dies sicherlich nicht der Entspannung.Gesamtverteidigung ist die Zusammenfassung aller zivilen und militärischen Verteidigungsanstrengungen. Das heißt, daß der Staat nicht nur im militärischen Bereich abwehrbereit sein muß, sondern er muß auch sicherstellen, daß im Ernstfall die Substanz und die Grundfunktionen des öffentlichen und privaten Lebens erhalten bleiben. Der Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Zivilschutz. Das ergibt sich auch aus dem unveräußerlichen Recht auf Leben und freie Entfaltung der Persönlichkeit. Militärische Verteidigung ohne zivile Verteidigung ist sinnlos. Wie soll denn ein junger Wehrpflichtiger motiviert werden, sich für die Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung einzusetzen und notfalls auch tapfer zu kämpfen, wenn er weiß, daß seine Familie und die Heimat ungeschützt sind?Der Stellenwert der militärischen und zivilen Verteidigung bemißt sich ohne Zweifel an der nüchternen und realistischen Beurteilung der Sicherheitslage, in der sich unser Land, Europa und das Bündnis befinden. Dazu muß ich Ihnen sagen, Herr Minister Baum, die Rahmenbedingungen in der Sicherheitslage haben sich verändert, sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich. Dies ist zu beachten.Lassen Sie mich trotz der Dienstvorschrifthinweise des Kollegen Möllemann als der FDP-Mehrzweck-
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13044 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Biehlewaffe heute morgen auch einen Hinweis auf Herrn Wehner geben. Wer wie Wehner wider besseres Wissen und gegen die Feststellungen aller militärischen und zivilen Fachleute die in der Geschichte einmalige Aufrüstung in der Sowjetunion und im Warschauer-Pakt-Bereich als defensiv bezeichnet oder, wie es der DGB-Vorsitzende Vetter in einer Ansprache vor deutschen Soldaten in El Paso in Texas getan hat, diese Bedrohung durch die Sowjetunion überhaupt nicht anspricht, aber den jetzigen Verteidigungshaushalt der Bundesregierung zugunsten — wie er sagte — gesellschaftlicher Reformen zur Disposition stellt, hat natürlich ein gespaltenes Verhältnis zur Gesamtverteidigung und zu den dafür notwendigen Maßnahmen.Man fragt sich • eigentlich: Wo bleibt denn der Bundeskanzler, um diese irreführenden Thesen und Feststellungen im Interesse der Sicherheit zu korrigieren und den großen Worten auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen? Wenn ich sage, Taten folgen zu lassen, dann bestreite ich nicht, daß es einige Mini-Ergebnisse auf dem Gebiet der Gesamtverteidigung gegeben hat. Doch es fehlt das geschlossene Konzept, der scharfe Biß in diesen Dingen. Was nutzt es dem Bürger, wenn die Sirenen im Lande eingebaut und über die Warnämter ausgelöst werden können, die Bevölkerung aber nur die einzige Chance hat, sich vielleicht zu einem gemeinsamen Gebet zusammenzufinden, weil es nur für die Bundesregierung und einige privilegierte Bürger Schutzräume in diesem Lande gibt?
Vor wenigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, in der Schweiz zusammen mit einigen Kollegen die zivilen Verteidigungseinrichtungen kennenzulernen. Da gibt es nicht nur ähnlich wie z. B. im neutralen Schweden und in anderen Staaten umfassende Aufklärungsmaßnahmen für die Bevölkerung über die Gesamtverteidigung und über die Zivilverteidigung, sondern fast zu 100 % — das ist schon gesagt worden — auch die notwendigen Schutzräume für die Bevölkerung. Auch die Zivilschutzorganisationen und die Ausrüstungen sind mustergültig und vorbildlich.Der Schweizer Bundespräsident stellt in einer Informationsschrift als Motivation der Gesamtverteidigung heraus:Wir wollen unsere Sicherheit auf zwei Arten erhöhen:1. indem wir einerseits weiterhin zur Gestaltung und Sicherung eines dauerhaften Friedens beitragen und versuchen, Spannungen abzubauen;2. indem wir andererseits fortfahren, alle nötigen Verteidigungs- und Durchhaltemaßnahmen zu treffen. Dabei gilt es, dem Ausland glaubhaft zu zeigen, daß die Schweiz nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand bezwungen werden kann.Daran sollte sich auch die Bundesregierung ein Beispiel nehmen angesichts der Tatsache, daß wir natürlich auch aus der wehrgeographischen Lage inEuropa und aus unserer Grenzlage zum Warschauer Pakt wohl der gefährdetste Bereich sind.Was geschieht denn eigentlich, so muß man fragen, bei Grenzverletzungen und konventionellen kleineren Zwischenfällen an der Grenze zum anderen Teil Deutschlands, nachdem der Bundesgrenzschutz durch diese Bundesregierung systematisch seiner ursprünglichen Fähigkeiten zu bestimmten Sicherungsaufgaben an der Zonengrenze, Übungen in Verbandsgröße, Ausbildung seiner Offiziere und vieler anderer Möglichkeiten beraubt wurde?Als letzte Sonderaktion — dies wurde heute in der Fragestunde bestätigt — soll nun auch die Zahl der gepanzerten BGS-Sonderfahrzeuge auf 300 bzw. 350 reduziert werden, nachdem schon die Grenzstreifen und die Grenzüberwachungsflüge in den letzten Jahren merklich eingeschränkt worden sind. Wenn dies Ihre Entspannung ist, wie Sie immer sagen, dann haben Sie dafür leider nur neue Grenzbefestigungen und Selbstschußanlagen durch die DDR eingehandelt. Von der militärischen Aufrüstung im gesamten Bereich des Warschauer Pakts ist nicht mehr die Rede. Wer soll denn im kleinen Konfliktfall an der Grenze eingesetzt werden, da die Bundeswehr nicht zuständig ist? Da hat es zwar 1977 einen Grenzsicherungserlaß des Bundesministers der Verteidigung gegeben, aber bis heute gibt es dazu keine Ausführungsbestimmungen, so daß auch die Zuständigkeit nicht geklärt ist. Hier, so meine ich, ist eine ganz gravierende Sicherungslücke, die auch nicht durch Entspannungspolitik zu ersetzen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Ich habe leider eine so begrenzte Zeit, daß ich sie ausnutzen muß, wie dies die Kollegen von der SPD vorhin auch getan haben.Seit Jahren — und da komme ich auf ein Thema, das wiederholt angesprochen worden ist - weiß die Bundesregierung, daß das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland sowohl für den Frieden als auch im Verteidigungsfall für die Truppe nicht sichergestellt ist. Wie sieht dies erst im Krisen- und Verteidigungsfall für die Truppe und die Bevölkerung aus? Seit Jahren fordern wir das Gesundheitssicherstellungsgesetz, um auch personell alle Voraussetzungen für den Ernstfall zu schaffen. Leider gibt es aber immer wieder nur Versprechungen. Auch heute haben wir nur gehört, daß dies in Vorbereitung sei. Dies hören wir seit Jahren. Selbst die Verteidigungspolitiker der Koalition haben im Verteidigungsausschuß beklagt, daß das Gesetz noch nicht vorhanden sei. Es ist bisher immer wieder am Gesundheitsministerium gescheitert.Die Ausbildung von Personal genügt einfach nicht, wenn im Ernstfall mangels Gesetzes nicht auch Dienstverpflichtungen ausgesprochen werden können. Dies gilt ebenso für Ärzte und medizinisches Fachpersonal.Das Bundesministerium der Verteidigung löst jetzt sogar noch das als Modell gut angelaufene Sanitäts-
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Biehlekonzept mit seinen Sanitätszentren in Schleswig-Holstein auf und entblößt dabei auch die Truppe — dies sei hier auch bemerkt — von Sanitätspersonal, um andere Ziele der Heeresstruktur zu erreichen. Dies zeigt nicht unbedingt große Verantwortung, wie ich meine.In den Regierungsbezirken — auch das muß einmal angesprochen werden — lagern im Rahmen des Gesundheitswesens und der Gesundheitsvorsorge Hilfskrankenhäuser originalverpackt. Sie verkommen nahezu, weil man jegliche Übungen und öffentliche Einsätze aus Furcht vor linken Kriterien in den eigenen Reihen unterläßt. Man weiß nicht einmal, ob diese Ausrüstungen überhaupt vollständig sind. Auch da sollte man sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen, wo mit diesen Einrichtungen laufend geübt wird und der praktische Einsatz auch mit den Hilfskräften durchgeführt wird, damit im Ernstfall dies alles funktioniert.Von den fehlenden Schutzraumbauten für Krankenhäuser, Altenheime und sonstige Einrichtungen ist gar nicht die Rede. Auch auf diesem Gebiet kann man sich in neutralen Staaten ein Beispiel nehmen. Wenn man hier Vergleiche zieht — und dies ist heute wiederholt geschehen —, habe ich das Gefühl, daß wir in tausend Jahren noch nicht so weit sind, den Stand anderer Länder zu erreichen, wenn diese Koalition das Sagen behält.
Aber ich meine, trotz der Möllemannschen Thesen und Träumereien wachsen auch da die Bäume dieser Koalition sicherlich nicht in den Himmel.Was für den Schutzraumbau gilt, ist auch für die nationale Nahrungsmittelreserve zutreffend. Nachdem die finanziellen Mittel für diese Nahrungsmitteleinlagerungen in den letzten Jahren immer mehr gekürzt wurden, gingen natürlich auch die Bevorratungen entsprechend zurück. Dasselbe Spiel beobachten wir ja auch beim 01 oder allgemein im Zusammenhang mit den Energieversorgungsproblemen. Seit Monaten behauptet die Bundesregierung, es gebe genügend Öl, aber jetzt rennt man sich überall im Ausland die Hacken ab, um über die Klippen zu kommen, weil man sich selbst über Monate und Jahre hinweg etwas vorgegaukelt hat.Man vergißt dabei — und dies bezieht sich wieder auf die Nahrungsmittelreserve —, daß im Krisen-, Spannungs- und Verteidigungsfall auch die Zuführung von Versorgungsgütern — so der Bundesminister für Ernährung in einem Lagebericht — für lange Zeit ausfällt und ausschließlich die Vorräte eine entscheidende Grundlage auch für die Überlebenschance der Bevölkerung darstellen.Im Verkehrsbereich ist — lassen Sie mich auch dies ansprechen — bei der letzten Wintex-Übung die Erfahrung gemacht worden, daß man insbesondere im Nachschub- und Transportbereich sowie auch für die Bewältigung von angenommenen Flüchtlingsströmen größten Wert auf die Bundesbahn legt, weil die Straßen einen starken zweibahnigen Verkehr nicht aufnehmen können.Zu den gerade jetzt aktiv laufenden Bestrebungen der Bundesregierung und der Bundesbahn, vieleBahnstrecken stillzulegen, kann man der Bundesregierung nur ins Stammbuch schreiben, daß hier — neben der Außerachtlassung vieler lokaler struktureller Belange — eine bedeutende Stütze der Gesamtverteidigung nicht nur im Zonenrandgebiet, sondern auch in den Auffangräumen abgebaut wird.Die großen Lücken und Mängel bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit haben sich nicht nur bei der großen Waldbrandkatastrophe in Niedersachsen bemerkbar gemacht. Die Verteidigungsbezirkskommandos müssen auf Grund des Fehlens von Verteidigungskreiskommandos große geographische Räume auf Regierungsbezirksebene abdecken. Dies führt zwangsläufig zu größten Engpässen auch im Zusammenwirken der erforderlichen Kräfte.Ich darf deshalb den vom Kollegen de Terra und meiner Fraktion wiederholt vorgelegten Vorschlag in diese Debatte einbringen und erweitern, nach dem Offiziere nicht nur zur Wahrnehmung von Aufgaben und zum Ausbau einer wirksamen Gesamtverteidigung zu den Landkreisverwaltungen abgestellt werden, sondern auch als Zivilschutzbeauftragte in den kommunalen Gebietskörperschaften einzusetzen sind. Dies wäre, so meinen wir, nicht nur ein Beitrag zur Gesamtverteidigung, sondern hätte auch noch den Nebeneffekt, einen Beitrag zum Abbau des Verwendungs- und Beförderungsstaus der Bundeswehr zu leisten; zwei Fliegen würden also mit einer Klappe geschlagen.Hinzu kommt auch noch das in unserer Großen Anfrage angesprochene Problem der Territorialverteidigung mit Verbindungs-, Sicherungs-, Unterstützungs- und Versorgungsaufgaben. Wir haben ein ungeheures Reservistenreservoir, das mit großen finanziellen Mitteln ausgebildet wurde, aber fast völlig brachliegt. Nachdem weder die Polizei noch der BGS z. B. den Objektschutz übernehmen können, wäre hier eine wichtige Aufgabe auch durch Reservisten zu erfüllen. Diese Einbindung gilt auch für die Wehrpflichtigen und die Reservisten im BGS und in den Einheiten der Zivilverteidigung. Als Beispiel kann man anführen, daß die Schweiz z. B. auch eine Zivilschutzdienstpflicht hat, die auch für die Wehrpflichtigen und die Reservisten gilt.Lassen Sie mich zu dem Wert des K-Schutzes folgendes feststellen. Wann wollen Sie denn eigentlich verbindlich auch die offene Frage lösen, daß die Kräfte des Katastrophenschutzes bei Eintritt eines eventuellen Verteidigungsfalles wirklich vom Wehrund Zivildienst freigestellt werden, um zu verhindern, daß der Katastrophenschutz durch die Entblößung von diesen gut ausgebildeten Helfern zu einer eigenen Katastrophe wird? Dabei darf wohl der Idealismus der Helferinnen und Helfer nicht überstrapaziert werden, indem nur unzureichendes oder veraltetes Gerät zur Verfügung steht. Das durch den Einsatz der Union erreichte Sonderprogramm wird sicherlich als ein erster Schritt in die richtige Richtung gelten.Bei dieser Gelegenheit darf ich wohl einmal allen Kräften der Territorialverteidigung, des Zivilschutzes und den Helferinnen und Helfern aller Zivilorganisationen, die wir auch weiterhin stärken wol-
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Biehlelen, Dank und Anerkennung für ihren aufopfernden Dienst sagen.
Ich stimme auch dem zu, was Herr Bundesminister Baum gesagt hat, daß angesichts der Lage in unseren Hilfsschutzorganisationen das Zivilschutzkorps keinen Platz hat; denn unsere Organisationen sind personell bestens gerüstet. Das Materielle muß der Bund tun, um den Idealismus und die guten Initiativen zu unterstützen.In den Dank möchte ich aber auch ausdrücklich das Bundesamt für Zivilschutz einbeziehen, das sich die größte Mühe gibt, mit den geringen Mitteln das Beste aus seinem Auftrag zu machen.Herr Bundesminister Baum hat u. a. die Frage nach der Finanzierung unserer Anregungen und Forderungen gestellt. Ich glaube, zunächst einmal ist es Aufgabe der Regierung, Vorschläge zu unterbreiten. Sie können sicher sein, daß wir immer wieder ein offenes Ohr für solche Finanzierungsvorschläge haben. Ich empfehle aber der Koalition, nicht immer gleich soziale Demontage ins Spiel zu bringen, sondern vielleicht doch auch einmal u. a. zu prüfen, ob das der DDR gemachte finanzielle Geschenk von Hunderten von Millionen der nicht ausgeschöpften Transitpauschale oder auch das 1,3-Milliarden-DMGeschenk an Polen im Rahmen der pauschalen Abgeltung nicht bestehender individueller Rentenansprüche gerechtfertigt oder, wie 1976 ein Kommentator schrieb, nur ein politischer Trick war.Lassen Sie mich zusammenfassen:1. Gesamtverteidigung ist mit der zivilen Verteidigung lebensnotwendiger Dienst für den Frieden.2. Gesamtverteidigung bedeutet keinesfalls Militarisierung des öffentlichen Lebens, sondern die sinnvolle Zusammenfassung aller Komponenten für jeden Katastrophen- und Verteidigungsfall.3. Nur wer Zivilschutz auch ernst nimmt, stärkt zugleich den militärischen Bereich und macht Abschreckung erst glaubwürdig.4. Zivil-militärische Zusammenarbeit ist im Frieden notwendig, damit sie im Ernstfall funktioniert.5. Ausrüstung und Organisation der Zivilverteidigung müssen dringend verbessert, ergänzt und gestärkt werden.6. Das Reservistenpotential ist sinnvoll in die Gesamtverteidigung einzubauen.7. Die realistische Aufklärung der Bevölkerung unter Einschaltung bestehender Einrichtungen muß verstärkt werden, wobei ich davon ausgehe, daß dabei nicht nur Ausweitung im personellen Bereich erfolgt.8. Der verstärkte Schutzraumbau unter Einführung einer Schutzraumbaupflicht ist voranzutreiben, wobei die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen muß.9. Gesamtverteidigung darf nicht in Bürokratie ausarten. Die Zivilschutzgesetzgebung ist zu vereinfachen und z. B. durch Zusammenfassung desZivilschutzgesetzes mit dem Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes zu verbessern.10. Das Zusammenwirken, insbesondere auch im Sanitätsdienst, ist dringend auszubauen und schnellstens das Gesundheitssicherstellungsgesetz vorzulegen.Handeln Sie rasch! Unsere Unterstützung haben Sie immer, wenn es um den Schutz unserer Bevölkerung und damit um einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens geht.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist — abweichend von den Vorschlägen des Altestenrates — vereinbart worden, den Antrag auf Drucksache 8/2295 an den Innenausschuß — federführend — und an den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 8/3019 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 8/3020 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kraske.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor mehr als fünf Jahren, im Mai 1974, hat meine Fraktion die Bundesregierung in einem förmlichen Antrag aufgefordert, Vorschläge zur Beschleunigung und zur Verbesserung des Anerkennungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer zu machen. Wir hatten gehofft, auf einer solcher Grundlage, ähnlich wie zwei Jahrzehnte zuvor, zu einer von allen Fraktionen getragenen Neuordnung kommen zu können. SPD und FDP sind an einer solchen Zusammenarbeit nicht in-
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Dr. Krasketeressiert gewesen. Sie schlugen jedes Verständigungsangebot in den Wind, weil sie wieder einmal glaubten, daß sie die Opposition nicht brauchten.Für ihre Vorstellungen zur Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung hätten sie allerdings auch kaum auf unsere Unterstützung zählen können. Sie führten von Anfang an am Grundgesetz vorbei. Das Ergebnis kennen wir. Es ist das unrühmliche „Postkartenverfahren", das die Wehrpflicht zu unterlaufen drohte und vom Bundesverfassungsgericht für null und nichtig erklärt werden mußte. So haben Rechthaberei, Leichtgläubigkeit und ein höchst zweifelhafter Umgang mit unserer Verfassung die längst überfällige Neuregelung um volle fünf Jahre verzögert.Aber mehr als das: Durch das vorübergehend in Kraft gesetzte „Postkartenverfahren" haben SPD und FDP in der jungen Generation Illusionen geweckt und Utopien genährt, die nun bei der Rückkehr zu den Realitäten unserer politischen verfassungsmäßigen Ordnung enttäuscht werden müssen und damit jede vernünftige Neuordnung ganz unnötig belasten.So hilfreich die Beratungen der interfraktionellen Arbeitsgruppe in den zurückliegenden Monaten waren — ich bekenne mit Dank an alle Beteiligten gern, daß ich sie in ihrer Offenheit, ihrer Sachlichkeit und ihrem Stil durchaus auf die Habenseite meiner parlamentarischen Erfahrungen buche —, so bedauerlich bleibt die Erinnerung, daß es erst eines unübersehbaren Hinweises des Bundesverfassungsgerichts auf die Zustimmungspflicht des Bundesrates bedurfte, um die Koalitionsfraktionen gesprächsbereit zu machen.
Und so fruchtbar die Zusammenarbeit der Fraktionen in der Arbeitsgruppe war, so betrüblich bleibt es, daß sich die Bundesregierung — von der äußerst hilfreichen Mitwirkung der leitenden Beamten des Arbeitsministeriums abgesehen — in einer politischen Enthaltsamkeit geübt hat, die wir sonst von ihr wahrhaftig nicht gewohnt sind.Das gilt leider in besonderem Maße für den, der sich durch die Frage der Kriegsdienstverweigerung am unmittelbarsten betroffen fühlen müßte: für den Bundesverteidigungsminister. Seit dem Karlsruher Urteil haben wir von ihm nicht ein einziges ernsthaftes Wort gehört, wie denn er sich aus seiner Ressortverantwortung heraus eine vertretbare Lösung vorstellen würde. Die Tatsache, daß sein Amtsvorgänger bei dieser Frage leider meist auf dem falschen Fuß hurra gerufen hat, kann doch für den Nachfolger kein Grund sein, überhaupt nicht mehr hurra zu rufen und statt dessen — um im Bilde zu bleiben, aber die Waffengattung zu wechseln — auf Tauchstation zu gehen.
Ich räume gern ein, daß es in der Politik manchmal ein probates Mittel ist, zu schweigen und abzuwarten, bis man sieht, wohin der Hase läuft.
Das gilt vor allem, wenn man einen so stark entwickelten Selbsterhaltungstrieb wie der verehrte Herr Bundesverteidigungsminister hat. Aber ich bezweifele, daß dies seiner Ressortverantwortung gerecht wird, und ich bezweifele vor allem, daß soviel Angst vor der eigenen Courage ein gutes Vorbild für die Bundeswehr ist.
Wenn wir trotz der monatelangen Bemühungen der interfraktionellen Arbeitsgruppe nun doch nicht in der Lage sind, heute nur einen, einen gemeinsamen Entwurf zu beraten, so hat das zwei Gründe. Wir haben uns nicht über die künftige Dauer des Zivildienstes einigen können, und wir haben offenbar unterschiedliche Auffassungen über Möglichkeiten und Grenzen eines schriftlichen Anerkennungsverfahrens. Ich hatte geglaubt, daß wir uns zumindest in der zweiten Frage in der Arbeitsgruppe verständigt hätten. Die dem Gesetzentwurf beigefügte Begründung zeigt jedoch in ihrer ursprünglichen Fassung, daß man aus dem vereinbarten Gesetzestext offenbar die Schlußfolgerung ableiten kann, die Anerkennung im schriftlichen Verfahren solle künftig die Regel und die persönliche Anhörung als Grundlage für die Entscheidung nur noch die Ausnahme sein. Dem kann meine Fraktion unter gar keinen Umständen zustimmen, und ich denke auch, daß dies weder den Erfordernissen der Praxis noch dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts gerecht würde.
Wir waren uns, wenn ich mich recht entsinne, in der Arbeitsgruppe einig, daß ein schriftliches Verfahren auf gar keinen Fall denen zugute kommen dürfe, die mit gewandter Feder oder gar mit Hilfe eines Briefstellers eine zu Herzen gehende Begründung schreiben, hinter der sich am Ende ganz andere Motive verbergen. Das wäre dann wirklich „Brief statt Postkarte", und das will hoffentlich niemand.
Das schriftliche Verfahren sollte vielmehr solchen Fällen vorbehalten bleiben, in denen ein Antragsteller auf andere, zusätzliche Weise — durch seine bisherige Lebensführung, durch ein bestimmtes religiöses Bekenntnis, durch ein hinter den Augenblick der aktuellen Entscheidung zurückreichendes Engagement — glaubhaft machen kann, daß seine Entscheidung im Einklang mit Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes steht. Solche Fälle sind nun einmal nicht die Regel. Deswegen haben wir Wert darauf gelegt, unsere Überzeugung — wie ich glaubte: die gemeinsame Überzeugung unserer Arbeitsgruppe — durch eine Klarstellung im Gesetzestext deutlich zu machen. Wir haben darüber hinaus den Verzicht auf eine Anhörung an ein einstimmiges Votum des Ausschusses gebunden, weil wir der Meinung sind, wenn auch nur ein Mitglied des Ausschusses den Wunsch habe, sich ein persönliches Bild vom Antragsteller zu machen, müsse dem Rechnung getragen werden.Wir haben in unseren Entwurf eine weitere Änderung zu § 6 vorgesehen. Damit wollten wir Bedenken aufnehmen, die in unserer Fraktion, insbesondere aber auch von der Bundesregierung, vorgetra-
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Dr. Kraskegen worden sind. Die neue Regelung gibt, wie das bisher der Fall war, vor allem aus Gründen der Rechtsgleichheit auch der Behörde die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die ergangene Entscheidung einzulegen.Der eigentliche Streitpunkt zwischen den Fraktionen war aber die Dauer des Zivildienstes. Meine Fraktion hat sich schon vor Beginn der interfraktionellen Beratungen dafür entschieden, die Zivildienstdauer auf 18 Monate festzusetzen, um damit die zumindest mögliche zeitliche Belastung durch Wehrübungen, aber vor allem auch die zusätzlichen Belastungen für den Soldaten, die wir alle kennen, wie Kasernierung, härtere Disziplin, häufigere heimatferne Unterbringung, Überstundenbelastung, auszugleichen. Wir haben in den letzten Tagen deutlich gemacht, daß wir auch in dieser Frage zu einem Kompromiß, zu einer Verständigung auf 17 Monate, bereit gewesen wären und bereit bleiben. Der von der Koaltion geforderten Beibehaltung der gegenwärtigen Dauer von nur 16 Monaten können wir nicht zustimmen. Wir können dies um so weniger, als offenkundig auch die Spitze des Bundesverteidigungsministeriums aus Gründen der Gleichbehandlung eine Verlängerung über 16 Monate hinaus für erforderlich hält.Die Gesetzentwürfe, die dem Hause nunmehr vorliegen, werden aber auch dort, wo sie deckungsgleich sind, nicht auf einhellige Zustimmung stoßen. Nur, der Spielraum, den die Verfassung uns gibt, ist geringer, als viele das wahrhaben wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 13. April 1978 dankenswerterweise in die Erinnerung' zurückgerufen, was auch in diesem Hause mancher vergessen zu haben schien, daß nämlich der Dienst in den Streitkräften die einzige — primäre — Dienstpflicht ist, daß der Zivildienst ein Ersatzdienst ist und daß es zwischen Wehrdienst und Zivildienst keine wie immer geartete Wahlfreiheit geben kann.
Meine Damen und Herren, das gefällt manchen in unserem Lande nicht, aber die Ehrlichkeit gebietet, der Öffentlichkeit und insbesondere den Betroffenen deutlich zu sagen, daß diese Feststellungen nicht irgendeinem willkürlichen Belieben des Bundesverfassungsgerichtes entspringen, sondern daß mit dessen Urteil nur erneut das Spannungsverhältnis deutlich geworden ist, das in der Verfassung selbst angelegt ist. Deshalb sollte sich niemand von uns dort, wo es brenzlig wird und wo die Entscheidungen, die uns abverlangt werden, nicht besonders populär sind, hinter dem Bundesverfassungsgericht verstekken. Daß die Grundgesetzartikel 4 Abs. 3 einerseits und 12 a und 87 a andererseits in Widerstreit zueinander stehen und daß es da keine glatten Lösungen geben kann, hat nicht das Karlsruher Gericht, sondern das haben wir als Gesetzgeber zu vertreten.Im übrigen mache ich draußen immer häufiger die Erfahrung, daß diejenigen, die sich am lautesten auf die eherne Geltung des Art. 4 Abs. 3 berufen und ihn für sich selbst reklamieren, mit dem übrigen In-halt der gleichen Verfassung ziemlich liederlich umgehen.
Aber wer zum Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ja sagt, muß ein ebenso klares Ja zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 sagen, muß ja sagen zur verpflichtenden Geltung ordnungsgemäß zustande gekommener Gesetze und schließlich auch zur alleinigen Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, das Grundgesetz in Streitfragen auszulegen. Man kann sich aus einer Verfassung nicht nach Lust und Laune das heraussuchen,
was einem gerade in. den Kram paßt.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seinem Urteil vom 13. April vorigen Jahres vor die Alternative gestellt, an dem bisherigen Anerkennungsverfahren mit möglichen Modifizierungen festzuhalten oder aber auf jegliches Verfahren zu verzichten und statt dessen den Zivildienst so auszubauen, daß er durch das Ausmaß seiner Belastung für den „Betroffenen" als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung gelten kann. Es hat auch in meiner Fraktion viele Stimmen gegeben, die uns rieten, diesen zweiten Weg zu gehen, aber wahrhaftig nicht aus Freude an der „lästigen Alternative", sondern um ein für allemal dem Streit um die Ausgestaltung eines Anerkennungsverfahrens zu entgehen. Wenn wir in unserer Fraktion und dann auch in der interfraktionellen Arbeitsgruppe dennoch bei der ersten Lösung geblieben sind, dann haben dabei ebenso viele praktische wie prinzipielle Erwägungen mitgespielt. Ich kann mir — um dies für mich selbst zu sagen — nur schwerlich einen Zivildienst vorstellen, der zwar einerseits, wie es das Gericht verpflichtend vorschreibt, ohne alle Schikane, andererseits aber lästig genug ist, ' um alle vermeintlich unechten Verweigerer wirksam abzuschrecken. Der bloße Hinweis auf eine Verlängerung auf 24 Monate reicht mir da nicht aus. Ich kann es auch nicht besonders gerecht finden, wenn Kriegsdienstverweigerer, die sich zu Recht auf Art. 4 Abs. 3 berufen, durch zusätzliche Belastungen dafür bestraft werden sollen, daß andere sich womöglich zu Unrecht darauf berufen und von einem solchen 'Mißbrauch abgeschreckt werden müssen.
Vor allem aber: bei einem Verzicht auf jedes förmliche Anerkennungsverfahren würden wir unsere jungen Wehrpflichtigen auch dann vor eine Wahl stellen, wenn der Zivildienst verlängert und zusätzlich erschwert würde, eben vor die Wahl zwischen dem Wehrdienst und seiner lästigen Alternative. Eine solche Wahlfreiheit verträgt sich nach meiner Überzeugung mit einer allgemeinen Dienstpflicht, aber nicht mit der allgemeinen Wehrpflicht.Wir sind demnach davon ausgegangen, daß auch künftig die bloße Erklärung, ein Wehrpflichtiger wolle sich auf Art. 4 Abs. 3 berufen, nicht ausreicht. Eine solche Erklärung kann nicht nur entgegengenommen, sie muß angenommen werden. Dazu
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13049
Dr. Kraskebedarf es in jedem Fall eines förmlichen Verfahrens. Gleichzeitig haben wir uns allerdings bemüht, bei der Ausgestaltung dieses Verfahrens die Konsequenzen aus den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre zu ziehen. Wir haben uns dabei von unserem vor fünf Jahren eingebrachten Antrag und von den Grundgedanken des Gesetzentwurfs leiten lassen, den wir 1975 und 1977 dem Hause vorgelegt haben. Ich freue mich, daß es uns auch da, wo der nun vorliegende Entwurf das Ergebnis von interfraktionellen Kompromissen ist, gelungen ist, wichtige Elemente unserer früheren Überlegungen aufzunehmen.Ich kann im Rahmen dieser ersten Beratung nicht auf Einzelheiten des Entwurfs eingehen. Aber ich möchte auf die wichtigsten Verbesserungen hinweisen, die das künftige Verfahren haben soll.Wir wollen das Verfahren, das sich bisher oft über Monate und Jahre hingezogen hat, beschleunigen. Dazu dient vor allem der Fortfall des Widerspruchsverfahrens, d. h. der Verzicht auf die bisherigen Prüfungskammern.Wir wollen das Verfahren vereinfachen. Dazu dient die Möglichkeit, in bestimmten Fällen auf die persönliche Anhörung des Antragstellers zu verzichten und ihn schon auf Grund der Aktenlage anzuerkennen.Wir wollen das Verfahren verbessern, indem wir die Kriterien der Anerkennung — Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit der Gewissensentscheidung — ausdrücklich in den Gesetzestext aufnehmen. Entgegen manchen Mißverständnissen wollen wir damit ganz klarmachen, daß sich der Staat eben nicht das Recht anmaßt und anmaßen darf, darüber zu entscheiden, was ein richtiges und was ein falsches Gewissen sei. Vielmehr kann es ausschließlich darum gehen, festzustellen — soweit dies menschenmöglich ist —, ob jemand eine ernsthafte, ehrliche, ihn unausweichlich bindende Gewissensentscheidung getroffen hat oder ob er den Wehrdienst womöglich aus ganz-anderen Gründen verweigern will.Wir folgen damit nur einem auch heute noch höchst bemerkenswerten „Ratschlag", mit dem der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland vor fast einem Vierteljahrhundert die damaligen parlamentarischen Beratungen begleitet hat und in dem es hieß, wegen der Verwechselbarkeit seines Tuns mit Verweigerungen aus anderen Motiven könne dem Verweigerer wohl zugemutet werden, die Gewissensmäßigkeit seines Handelns glaubhaft zu machen. Der Staat müsse betonen — das sagte damals die Evangelische Kirche —; daß die verfassungsmäßige Ordnung nicht durch Hinnahme individueller Erklärungen, die einer subjektiven Willensentscheidung über die Ausführung des Gesetzes gleichkommen könne, in Frage gestellt werden dürfe.Schließlich wollen wir das Verfahren und die Situation des Antragstellers erleichtern, indem es durchgängig, d. h. bis zu einer unanfechtbaren rechtskräftigen Entscheidung aufschiebende Wirkung erhalten soll. Damit wollen wir künftig die oft tragischen, immer aber belastenden Fälle ausschließen, in denen Verweigerer noch während eines laufenden Verfahrens zur Bundeswehr einberufen werden und dann womöglich regen wiederholter Befehlsverweigerung straffällig werden.Was die Organisation des Verfahrens angeht, so wollen wir sie, wie es schon unser früherer Gesetzentwurf vorsah, aus der Zuständigkeit der Wehrverwaltung herausnehmen. Das bedeutet nicht den mindesten Vorwurf an die Wehrverwaltung. Wir haben im Gegenteil allen Anlaß, den Beamten, die hier auf einem schwierigen Posten ihre Pflicht getan haben, ausdrücklich unseren Dank auszusprechen.Mit der Änderung der organisatorischen Zuständigkeit wollen wir aber auch den letzten Zweifel ausschließen, dem Anerkennungsverfahren würden irgendwelche an Bedarf orientierte Quoten zugrunde gelegt. Ein solcher Zweifel war auch bisher unbegründet. Er soll künftig von vornherein ausgeschlossen sein.Ob es freilich zweckmäßig ist, die Verfahren in die Zuständigkeit der Länder zu übertragen, bleibt sehr gründlich zu prüfen. Die Länder haben ihr Interesse angemeldet, sich an der Aufsicht über den Zivildienst zu beteiligen. Das ist höchst verständlich. Ihnen sozusagen im Gegenzug nun auch die Aufsicht über die Anerkennungsverfahren zu übertragen, war ein Kompromiß in der interfraktionellen Arbeitsgruppe, mit dem wir einer eigenen Stellungnahme der Länder weder vorgreifen wollten noch konnten. Wir haben im Gegenteil ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir diesem Kompromiß nur unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Einigung zwischen Bund und Ländern zustimmen könnten.Was hier gilt, trifft natürlich auch für manche anderen Fragen zu. Ich füge deshalb an dieser Stelle eine allgemeine Bemerkung an.Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe kann, auch wenn sie noch so viele Abende opfert, nicht die systematische Arbeit der Ausschüsse ersetzen oder vorwegnehmen. So gibt es viele Bestimmungen, die im parlamentarischen Verfahren noch einmal sehr gründlich unter politischen, rechtlichen und organisatorischen Gesichtspunkten zu prüfen sein werden.Ich nenne hier nur eine Bestimmung, weil sie in den beiden Kirchen große Unruhe ausgelöst hat, nämlich die Streichung des alten § 26 Abs. 8, der die Tätigkeiten der kirchlichen Beistände regelt. Das, was die Kirchen jetzt befürchten, ist sicher nicht die Intention der Verfasser des Entwurfs gewesen.Auch wenn eine volle Einigung im letzten Augenblick gescheitert ist und dem Haus nun zwei Entwürfe vorliegen, hat sich meine Fraktion dem Grundkonsens unserer Arbeitsgruppe insoweit verpflichtet gefühlt, als wir zur ersten Lesung einen Entwurf vorlegen wollten, der zwar, wie ich hoffe, in seiner Grundtendenz und seinem wesentlichen Inhalt, aber sicher nicht mit allen seinen Buchstaben in die Schlußabstimmung gehen wird.Über die vorgesehenen Änderungen im Zivildienst wird unsere Kollegin Frau Verhülsdonk sprechen. Ich kann mich deshalb auf eine allgemeine Bemerkung beschränken.Nachdem wir uns für die Beibehaltung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens entschieden haben,
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13050 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Dr. Kraskedenkt niemand daran, den Zivildienst künstlich zu erschweren. Aber wir haben gerade das, was das Bundesverfassungsgericht über die Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes gesagt hat, ganz ernst zu nehmen. Deshalb standen unsere Beratungen unter der Frage: Wie können wir den Zivildienst bei all seiner prinzipiellen Andersartigkeit doch in seiner Belastung dem Wehrdienst vergleichbar machen?Für zahlreiche Einsatzplätze gilt das schon heute und seit langer Zeit. Aber es gilt keineswegs für alle; das war die gemeinsame Überzeugung aller drei Fraktionen und der Bundesregierung in der Arbeitsgruppe. Deshalb ist eine gründliche Reorganisation unerläßlich.Wenn ich nun allerdings aus vielen Eingaben, die uns in diesen Tagen erreichen, die wohlmeinende Warnung höre, „daß kritische junge Bürger zunehmend staatsverdrossen werden, weil ihre Motivation für einen sozialen Friedensdienst nicht mehr berücksichtigt wird", dann muß ich dem mit aller Entschiedenheit widersprechen.
Das Bundesverfassungsgericht hat unzweideutig klargemacht, daß der Zivildienst keine wie immer geartete Alternativpflicht, sondern Ersatz für den nicht geleisteten Wehrdienst ist.
Entscheidendes Kriterium für die Auswahl von Zivildienstaufgaben und Zivildienstplätzen kann deshalb nur das Gemeinwohl, nicht aber das Bedürfnis der Kriegsdienstverweigerer nach Selbstverwirklichung sein.
Bei einem Wehrpflichtigen, der rund um die Uhr auf Wache zu ziehen hat, muß die Selbstverwirklichung schließlich auch eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Nach monatelangen Vorgesprächen gehen wir mit den beiden Entwürfen nun in die Ausschußberatungen. Dabei wird es ganz gewiß noch manche Kontroversen geben. Das muß kein Schaden sein, wenn wir darum streiten, wie wir die Pflichten, vor die uns das Grundgesetz stellt, am besten und am überzeugendsten gesetzlich ausfüllen. Eines aber sollten wir bei dieser ersten Beratung bis zur Schlußabstimmung und darüber hinaus im Auge behalten: daß es in allen Diskussionen draußen — in Jugendversammlungen, unter Kriegsdienstverweigerern, auf Kirchentagen — in dieser Frage zuallerletzt um unterschiedliche Auffassungen von CDU/CSU, SPD und FDP, um unterschiedliche Auffassungen hier in diesem Hause geht. Da geht es viel eher um die Frage nach dem Staat, in dem wir alle miteinander leben. Da geht es viel eher um die Frage, ob wir bereit sind, mit Recht und Gesetz, mit der allgemeinen Wehrpflicht auch dort, wo wir dafür weder Zustimmung noch sehr viel Verständnis finden, Ernst zu machen. Was wir bei allen Auseinandersetzungen über Einzelfragen gemeinsam zu vertreten haben — ich hoffe dies jedenfalls —, ist die übereinstimmende Überzeugung dieses Hauses, daß fromme Friedfertigkeit allein nicht in der Lage ist, diese Welt vor einem neuen, alles vernichtenden Krieg zu bewahren. Deshalb sind wir gerade um der Sicherung des Friedens willen auf unseren Beitrag zur NATO, auf die Bundeswehr und auf die allgemeine Wehrpflicht angewiesen. Und deshalb sollten wir gerade in einer Debatte wie der heutigen den Mut haben, gemeinsam festzustellen, daß den eigentlichen Friedensdienst unsere jungen Saldaten leisten und daß es ohne deren selbstlose Pflichterfüllung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bald nicht mehr gäbe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.Diese ersten leitenden Sätze unseres Grundgesetzes erfahren ihre Ausgestaltung in den folgenden Grundrechten. Unter ihnen nimmt Art. 4 eine hervorragende Stellung ein. Er bekräftigt, die Freiheit des Gewissens macht die Würde des einzelnen Menschen aus. Auf diese wie die anderen Grundrechte und die in ihnen verbürgte Freiheit des einzelnen Bürgers gründen sich Legitimation und Ordnung unseres Staates. Das Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten ist nicht nur verbindlich und unbedingt — es ist die Grundlage unserer Gemeinschaft.
Der Gewissensfreiheit als einem ihrer Elemente gibt Art. 4 des Grundgesetzes einen so hohen Rang, daß er in Abs. 3 von dieser Freiheit nicht einmal gegenüber der für alle Bürger gleichen außerordentlichen Lage eines Krieges eine Ausnahme zuläßt. Selbst in dieser außerordentlichen Lage geht die Freiheit des Gewissens ohne Einschränkung vor.Die Ermächtigung an den Gesetzgeber, das Nähere zu regeln, darf deshalb nicht als Recht zur Einschränkung der Gewissensfreiheit mißverstanden werden. Diese Ermächtigung ist vielmehr die Verpflichtung, dem Willen des Grundgesetzes im einzelnen Geltung zu verschaffen. Jeder Versuch, das Recht der Kriegsdienstverweigerung zu regeln, muß in dem Bemühen erfolgen, dem Grundgesetz in der Gestaltung der Einzelregelungen ohne Vorbehalt zu folgen, d. h. die Freiheit des Gewissens zu sichern. Freiheit sichert man nicht, indem man ihr mißtraut. Hier liegt schon im Ansatz der entscheidende Unterschied zwischen der Grundauffassung, mit der Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, an die Bewältigung dieses Problems herangehen, und unserer Auffassung. Die Aufgabe, die uns gestellt ist, kann nur richtig gelöst werden, wenn wir uns getreu an den Wortlaut und an den Auftrag der Verfassung halten.
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Jahn
Sie halten den Schutz der Freiheit vor möglichem Mißbrauch für den richtigen Maßstab, für wichtiger als die unbedingte Gewähr der Gewissensfreiheit. Die Position, die Sie einnehmen, ist eine andere als unsere. Wir wollen versuchen, den Weg zu finden, wie der Gewissensfreiheit am besten Genüge getan werden kann. Sie wollen, weil Sie im Grunde der Freiheit mißtrauen, vor allem den Weg finden, wie der Mißbrauch der Freiheit abgewehrt werden kann. Dieser Unterschied — und da sollten wir uns gegenseitig nichts vormachen — bestimmt unsere Auseinandersetzungen — das geht zurück auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates — in allen Diskussionen um die richtige Ausgestaltung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung. Diese weit auseinanderliegenden Grundauffassungen haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, schließlich daran gehindert, zu dem Ergebnis der Bemühungen der interfraktionellen Gespräche Ihre Zustimmung zu geben.Der Entwurf, den die Fraktionen der SPD und der FDP heute hier vorlegen, übernimmt in den wesentlichen Teilen des Ergebnis der langwierigen und mühevollen interfraktionellen Gespräche. Wir hätten es begrüßt, wenn es möglich gewesen wäre, einen Entwurf, der von allen Fraktionen getragen worden wäre, einzubringen. Wir waren uns schließlich — daran muß erinnert werden — am Ende der interfraktionellen Gespräche unter allen Beteiligten einig.Sie, die Opposition, haben sich aber als unfähig erwiesen, diese Einigung mitzutragen. Das liegt wohl an Ihrer inneren Verfassung oder — sollte man richtiger sagen — an Ihren Zuständen, die Sie haben und die Sie nicht in den Stand versetzen, die Kraft aufzubringen, die notwendig gewesen wäre, um zu dieser interfraktionellen Einigung ein eindeutiges Ja zu sagen. Sie mußten ganz offensichtlich denjenigen in Ihrer Fraktion nachgeben, die nicht einmal den bescheidenen Preis zahlen wollten, der erforderlich gewesen wäre, um eine vollständige und uneingeschränkte Einigung zu erzielen und hier im Hause einzubringen.Mit Ihren nach der interfraktionellen Einigung neu erhobenen Forderungen auf Verschärfung des Anerkennungsverfahrens und einer ja wohl eher als Strafe denn als Bemessungsgrundlage gedachten Verlängerung des Zivildienstes haben Sie den Kräften in Ihren Reihen nachgegeben, die der Freiheit mißtrauen, die, statt das Grundgesetz auszuführen, seine Durchsetzung lieber gängeln wollen. Hier konnten wir nicht ja sagen, hier mußten wir eindeutig nein sagen. Hier mußten wir deutlich machen, daß es eine Grenze dessen gibt, worüber eine Verständigung zwischen uns erzielt werden kann.Wir haben es am Willen zur Einigung mit Ihnen wahrlich nicht fehlen lassen. Der Ausgangspunkt der Sozialdemokraten war ein völlig anderer. Wir wollten keine Gewissensprüfung, gleich in welcher Form. Wir wollten — dafür hatten wir uns in den Vorberatungen unserer Fraktion eindeutig und unmißverständlich entschieden — den anderen Weg gehen den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich für zulässig erklärt hat.Wir wollten den Zivildienst als Friedensdienst ausgestaltet, als einen Dienst, dessen Bedingungen und Anforderungen die Entscheidung des Gewissens für die Verweigerung des Kriegsdienstes allein als glaubwürdig und ernsthaft erkennen ließ.Wenn Sie hier heute gesagt haben, Sie könnten sich nicht vorstellen, wie das aussehen könne, dann muß ich Ihnen entgegenhalten, Herr Dr. Kraske: Sie haben die Diskussion über die Möglichkeiten dieses Weges von vornherein dadurch verhindert, daß Sie gesagt haben, eine Regelung ohne ein Anerkennungsverfahren sei für Sie überhaupt nicht diskutabel.
Aus Ihrer Sicht heraus und von Ihrer Ausgangsposition ist das erklärbar. Aber sich hier hinzustellen und zu behaupten, es gebe eine solche Lösung nicht, es sei nicht möglich, sie zu finden, ist ein Ausweichen vor der Auseinandersetzung um die Frage: Wie ernsthaft wollen wir uns denn darum bemühen, hier eine Regelung zu finden, von der alle mit gutem Gewissen sagen könnten, das sei die dem Grundgesetz gemäße Ausführung von Art. 4 Abs. 3, das sei die angemessene Form der Achtung vor der Gewissensentscheidung des einzelnen jungen Bürgers?Zwei Gründe waren es, die uns veranlaßt haben, dennoch die Einigung mit Ihnen zu suchen. Es war erstens die Notwendigkeit, das gegenwärtige unzulängliche, in vielen Einzelfällen auch unerträgliche und als unzumutbar empfundene Verfahren der Anerkennung und auch — dieses ist offen einzuräumen — bestehende Unzulänglichkeiten des Zivildienstes durch eine bessere Neuordnung zu ersetzen. Der zweite Grund war die gebotene Achtung vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen Entscheidung die Mitwirkung des Bundesrats, in dem Sie ja eine Mehrheit gegen uns einsetzen können, erzwingt.Wenn Sie darauf verweisen, daß es angeblich früher keine Gesprächsbereitschaft gegeben habe, dann ist an dieser Stelle wohl einmal die Frage berechtigt, Herr Dr. Kraske: Wieviel ernsthafte Gesprächsbereitschaft, wieviel Bereitschaft, vorgefahrene Bahnen zu verlassen, gab es eigentlich bei Ihnen, die eine geeignete Grundlage für Gespräche und gemeinsame Überlegungen geboten hat? Auch Sie haben doch erst auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Fähigkeit entwickelt, eine Reihe von Fragen ernsthaft zu diskutieren, die früher hätten diskutiert werden können und früher hätten diskutiert werden müssen.
Die jetzt zustande gekommene, in vielen wesentlichen Fragen erzielte Einigung — ich hoffe, in den Ausschußberatungen wird davon soviel wie möglich zusammengeführt bleiben — kann dem Zivildienst eine neue Grundlage geben. Die Verbesserungen, die auch jetzt noch übereinstimmend in den beiden unterschiedlichen Entwürfen festgehalten sind und vorgeschlagen werden, sind erkennbar. Sie sind die Grundlage dafür gewesen, daß wir daran festgehalten haben, das, was Inhalt, Gegenstand und Ergebnis der interfraktionellen Gespräche war, als eigenen
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13052 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Jahn
Entwurf einzubringen, obwohl jedermann weiß, daß damit die eigentliche Grundüberzeugung, die in meiner Fraktion herrscht, nicht im genügenden Maße zum Ausdruck kommt.Wir wollen, daß das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer neu geregelt wird. Wir wollen ein anderes, ein besseres Verfahren. Der Entwurf legt klare Verfahrens- und Entscheidungsgrundsätze fest. Wir haben sie in der eindeutigen Formulierung des Gesetzes bisher nicht. Das ist ein für die weitere Entwicklung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung wesentlicher Fortschritt.Zu prüfen ist nicht die Gewissensentscheidung, sondern — auch das wird nunmehr eindeutig festgestellt — allein ihre Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit. An dieser Feststellung gab es Kritik und wird es Kritik geben. Jedermann weiß, daß die Grenzziehung in der Tat im Einzelfall schwierig sein wird. Diejenigen, die mit dem Gesetz umzugehen haben werden, bekommen hier ein Instrument in die Hand, das, wenn es dem Ziel des Gesetzes entsprechend eingesetzt wird, gegenüber dem gegenwärtigen Zustand gerade auch für die Betroffenen mehr Sicherheit und Klarheit geben kann.Wir wollen, daß den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Antragsteller im Gesetz — so gut das dort geregelt werden. kann — dadurch Rechnung getragen wird, daß, wenn es irgend möglich ist — gegebenenfalls durch Klärung des Sachverhaltes mit Hilfe entsprechender Nachfragen —, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren und ohne persönliche Anhörung ergehen kann. Ich halte es für ein Mißverständnis — um nicht zu sagen, eine gewollte Mißdeutung —, wenn aus den gemeinsam erarbeiteten Formulierungen nun plötzlich herausgelesen wird gestützt auf eine für jedermann erkennbar mißverständliche Formulierung in dem Entwurf einer Begründung —, hier solle sozusagen eine Art ausschließlicher Vorrang des schriftlichen Verfahrens gegeben werden. Was angestrebt ist: Den Antragstellern soll die Möglichkeit gegeben werden, auf einfache Weise ihre Überzeugung darzulegen, dies ohne den Druck, den jede Verhandlung mit sich bringt, für sich zum Ausdruck zu bringen und das so glaubwürdig zu formulieren, daß an Hand solcher schriftlicher Unterlagen nach Möglichkeit eine Entscheidung ergehen kann.Wer darin eine unzulässige Erleichterung des Verfahrens sehen will, dem halte ich entgegen: Keine Art des Verfahrens, die dem Antragsteller, dem jungen Bürger bessere Möglichkeiten gibt, seine Auffassung, seine Überzeugung darzutun, darf zurückgewiesen werden. Wir wollen eine Erleichterung des Verfahrens, um dem jungen Bürger und Antragsteller zu helfen, diese für ihn ungewöhnlich schwierige und oft kaum zu bewältigende Lage zu meistern.Ich weise die Unterstellung, die in der Behauptung liegt, damit sei von vornherein die Gefahr des Mißbrauchs verbunden, zurück. Darin liegt nicht nur ein erstaunliches Maß an Überheblichkeit gegenüber den Antragstellern, das ist auch ein vorweggenommenes Mißtrauen gegenüber den Ausschüssen fürKriegsdienstverweigerung, bevor sie überhaupt da sind und bevor sie überhaupt begonnen haben zu arbeiten.Wir wollen nur in den Fällen, in denen ein schriftliches Verfahren nicht zu einer befriedigenden Urteilsbildung führt, das mündliche Verfahren vorsehen. Dies ist selbstverständlich notwendig, wenn das schriftliche Verfahren nicht ausreicht, aber es soll nicht als Prinzip am Anfang stehen. Darin unterscheiden sich die beiden Entwürfe, darin unterscheiden sich unsere Auffassungen, und darin unterscheidet sich auch die Bewertung, die wir gegenüber dem Anspruch des Grundrechts auf Gewissensfreiheit vornehmen.Der Entwurf sieht vor, daß nicht nur das Verfahren besser wird, sondern daß auch die Ausschüsse, denen die Entscheidung über die Anerkennung anvertraut wird, eine neue und bessere Form als bisher bekommen sollen. An Stelle der bisherigen bei der Wehrverwaltung eingerichteten Prüfungsausschüsse soll in Zukunft im Bereiche der Länder eine neue Form von Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerung gebildet werden. Ich kann dem, Herr Dr. Kraske, was von Ihnen zur Bewertung der Urteile der bisherigen Prüfungsausschüsse gesagt worden ist, zustimmen. Es ist aber wohl nicht zu bestreiten, daß deren bisherige Ansiedlung im Bereiche der Wehrverwaltung ein Grund dafür war, bei vielen Antragstellern die Besorgnis zu wecken, ob hier wirklich allein objektive Gründe zur Entscheidung beigetragen haben. So unbegründet diese Befürchtungen auch gewesen sein mögen, notwendig war und ist es, diese Besorgnis zu zerstreuen, und notwendig war und ist es, dem durch eine neue Organisation der Ausschüsse für Kriegsdienstverweigerung Rechnung zu tragen.In diesen Ausschüssen werden in Zukunft keine Beauftragten der Wehrverwaltung mehr mitwirken. Sie sollen unabhängige Vorsitzende mit der Befähigung zum Richteramt haben. Ihnen sollen zwei Beisitzer mit der Befähigung zum Jugendschöffen angehören. Alle drei Mitglieder dieser Ausschüsse sollen gleichberechtigtes Stimmrecht haben. Hier wird also eine neue unabhängigere Form gefunden, die dem Vertrauen in der Urteilsbildung und Urteilsfindung dieser Ausschüsse helfen kann.Wir wollen, daß die Prüfungskammern und damit der Widerspruch in Zukunft wegfallen, um auch auf diese Weise zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen. Die nächste Instanz nach einer ablehnenden Entscheidung ist nach der gemeinsamen Überzeugung dann die Anrufung des Verwaltungsgerichts. Wichtig ist, daß an einem sehr belastenden Punkt — auch da stimmen wir überein — eine klare Regelung getroffen wird. Der Antrag auf Anerkennung soll in jedem Fall aufschiebende Wirkung haben. Vor einer abschließenden Entscheidung soll keine Heranziehung zum Wehrdienst erfolgen.Wir halten es für geboten, daß Organisation und Ausführung des Zivildienstes weiterentwickelt werden. Notwendig ist eine Organisation, die nahe beim tatsächlichen Einsatz des Zivildienstleistenden liegt,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13053
Jahn
eine Verwaltung, die eine wirksame und überzeugende Durchführung des Zivildienstes möglich macht. Deswegen geht unser Vorschlag dahin, Zivildienstämter als Auftragsverwaltung des Bundes durch die Länder einzurichten. Dieser bisher nicht vorhandene Unterbau für die Organisation des Zivildienstes soll helfen, die Fürsorge für die Zivildienstleistenden zu verbessern, soll zugleich aber auch eine bessere Überwachung des Zivildienstes möglich machen.In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe von Fragen, die nicht allein im Gesetz geregelt werden können. Die Verbesserung des Zivildienstes ist in weiten Bereichen eine Erwartung an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und die von ihm zu ergreifenden Verwaltungsmaßnahmen. Das Gesetz wird nur dann seinen Sinn erfüllen und das neue Verfahren nur dann glaubwürdig sein, wenn wir in Zukunft eine so ausreichende Zahl von Platzen haben, daß jeder Zivildienstleistende alsbald nach seiner Anerkennung einberufen werden kann.Es ist dankbar zu vermerken, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung diese Bemühungen längst eingeleitet hat. Allein im jetzt zurückliegenden Jahr sind 5 000 neue Zivildienstplätze geschaffen worden. Wir verfügen derzeit über 41 000 Plätze. Wir halten diese Zahl für die endgültige Regelung noch nicht für ausreichend. Wir haben gemeinsam die Auffassung vertreten, daß schließlich 60 000 Plätze zur Verfügung stehen müssen. Hier wird weitergearbeitet werden müssen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung weiß und muß wissen, daß er, wenn er sich so wie bisher weiter darum bemüht, den Erwartungen derjenigen entspricht, die sich hier durch die gesetzliche Neuordnung um neue Grundlagen bemühen.Im Gesetz bleibt, entgegen manchen Deutungen, der Vorgang des Einsatzes im sozialen Bereich erhalten. Aber wir müssen versuchen, darüber hinaus neue Möglichkeiten des Einsatzes im Zivildienst zu finden. Der Umweltschutz, der Landschaftsschutz und der Zivilschutz sind vorstellbare Gebiete. Die Bemühungen der Verwaltung müssen darauf gerichtet sein, auch hier neue Möglichkeiten zu erschließen und dort tatsächlich Dienstplätze zu schaffen.Die Diskussion um die Ausgestaltung der Dienstplätze hat zu manchen — in den letzten Tagen auch laut ausgesprochenen — Sorgen im sozialen Bereich geführt. Ich möchte hier ein deutliches Wort sagen. Die bisherige Art, die bisherige Praxis der besonderen Zustimmung der Beschäftigungsstelle zur Person des Dienstpflichtigen bedarf auch nach unserer Auffassung der Überprüfung. Das ist weder eine allgemeine Kritik am bisher bestehenden Zustand noch ein allgemeines Billigen von Fehlentwicklungen, die es in einer Vielzahl von Einzelfällen gibt. Der Entwurf schlägt eine neue Formulierung vor. Er will helfen, neue und überzeugendere Maßstäbe zu gewinnen. Weder wollen wir Kritik verallgemeinern noch wollen wir begründete Kritik beiseiteschieben. Ich bitte darum, daß uns diejenigen, die von dieser Frage besonders betroffen sind, dabei helfen, diese neuen Maßstäbe zu gewinnen. Sie werden feststellen, daß die jetzt im Entwurf gefundenen Formulierungen nach wie vor einer überzeugenden Regelung den Weg offenhalten.Die Möglichkeiten der dienstlichen Unterbringung sollen — auch dies ist eine Forderung des Entwurfs — erweitert werden, damit in den Fällen, in denen es notwendig ist, auch eine heimatferne Einberufung möglich ist. Die Zurverfügungstellung ausreichender dienstlicher Unterbringungsmöglichkeiten betrifft eine der weiteren Erwartungen, die wir gegenüber dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung haben.Der Entwurf sieht vor, daß der Einführungsdienst, der mindestens für einen Monat vorgesehen ist, in Zukunft zwingend erfolgt. Dafür reichen die vorhandenen Schulkapazitäten nicht aus; sie müssen erweitert werden. Auch hier bedarf es entsprechender Anstrengungen der Verwaltung.Ein Letztes, worauf sich unsere Erwartungen gegenüber dem Bundesminister erstrecken, ist folgendes. Wir wissen, daß die vorhandenen Dienstplätze zum Teil unterschiedliche Anforderungen an die Zivildienstleistenden stellen. Die Gleichwertigkeit der Dienstplätze ist nicht nur eine Frage der Gleichbehandlung der Zivildienstleistenden etwa gegenüber den Wehrpflichtigen, sondern auch eine Frage der Gleichbehandlung der Zivildienstleistenden untereinander. Wir halten diese Aufgabe für ebenso ernst wie notwendig und erwarten, daß eine Überprüfung zu einem Höchstmaß an erreichbarer Gleichwertigkeit führt.Es kommt hinzu, daß nach unserer allgemeinen Überzeugung die Neuregelung erst in Kraft treten soll, wenn eine genügende Zahl von entsprechend eingerichteten Plätzen zur Verfügung steht. Wir haben die Erwartung an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, daß auf diesem Gebiete zügig gearbeitet wird; denn es geht hier um eine der Voraussetzungen dafür, daß die Neuregelung so bald wie möglich in Kraft treten kann.Die damit umrissene, in unserem Entwurf vorgesehene Neuordnung des Zivildienstes und des Anerkennungsverfahrens macht die Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Dauer des Zivildienstes ebenso einfach wie zwingend. Das Maß bestimmt Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes: „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen."Das Bundesverfassungsgericht hat es für möglich erachtet, von diesem Grundsatz des Art. 12 a dann abzuweichen, wenn damit ein anderer Maßstab für die Glaubwürdigkeit der Gewissensentscheidung gesetzt werden soll. Auf einen solchen neuen Maßstab haben wir uns nicht einigen können. Es bleibt bei einem, wenn auch verbesserten Anerkennungsverfahren. Die Anforderungen an den Zivildienst werden weiterentwickelt und verbessert. Die Gleichwertigkeit gegenüber dem Wehrdienst wird erreicht werden können, wenn die Ziele des Entwurfs in vollem Umfange durchgesetzt werden.Unter diesen Umständen läßt der Art. 12 a für eine Abweichung von der Dauer, die heute für den Zivildienst vorgesehen ist, nämlich von 16 Monaten,
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13054 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Jahn
keinen Raum. Der Wehrdienst macht 16 Monate aus, und dies nur dann, wenn man sehr großzügig rechnet. Herr Kollege Dr. Kraske, Sie haben sich vorhin mächtig angestrengt, um eine nicht belegte, aber immerhin fiktive Zahl von 18 Monaten zusammenzukratzen. Sie wissen, daß alle die Elemente, die Sie vorgetragen haben, zusammengerechnet nicht ausreichen, um die Lücke auszufüllen, die im Hinblick auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Wehrpflichtigen immer noch bleibt. Wir wissen auf Grund einer eindeutigen Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung: Die durchschnittliche Mehrbelastung der Wehrdienstleistenden beträgt maximal sieben Tage. Das sind 15 Monate und sieben Tage; bleiben immer noch drei Wochen übrig. Die können Sie mit Überstunden, auf die Sie vor allen Dingen Bezug nahmen, nun wirklich nicht ausfüllen. 18 Monate können Sie nicht rechtfertigen.
Der Zivildienst kann bei dieser Sachlage unter keinen Umständen länger als 16 Monate dauern. Wenn schon, dann müssen Sie eine bessere Begründung geben, als sie von Ihnen versucht worden ist und die in sich ja schon wenig überzeugend gewesen ist. Im Grunde müssen Sie für sich — aber nicht nur für sich, sondern auch für uns — die Frage beantworten: Worauf wollen Sie mit den 18 Monaten eigentlich hinaus? Ich spreche den Verdacht offen aus. Sie wollen mit der Erhöhung auf 18 Monate die Zivildienstleistenden im Grunde für ihre Gewissensentscheidung bestrafen.
Wenn das so ist, dan sagen Sie es doch auch bitte. Dann wissen wir, woran wir miteinander sind. Dann wissen Sie aber auch eindeutig, daß dafür weder die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes noch der Wortlaut der Verfassung das mindeste Maß an Rechtfertigung geben.Unsere Auffassung zur Dauer des Zivildienstes ist klar. Wehrdienst ist Friedensdienst, Zivildienst ist Friedensdienst. Die Aufgabe ist gleichwertig, die Ausgestaltung wird gleichwertig. Die Dauer kann nur gleich, nämlich maximal 16 Monate, sein.Der vorliegende Entwurf ist das Ergebnis einer ersten Beratung. Sie kann die Beratungen der Ausschüsse weder ersetzen noch konnten wir sie vorwegnehmen. Dort wird noch eingehende, gründliche und sorgfältige Arbeit geleistet werden müssen. Ich verknüpfe damit eine dreifache Bitte.Die erste Bitte richtet sich an die Bundesländer. Sie konnten, weil wir den Entwurf hier im Hause erarbeitet und eingebracht haben, bisher nicht Stellung nehmen. Dennoch sind mit diesem Entwurf wichtige Erwartungen an die Bundesländer geknüpft. Ihnen sollen die eigentlichen Aufgaben der Organisation anvertraut werden, ihnen soll die Durchführung des Zivildienstes anvertraut werden, sie sollen es übernehmen, in Zukunft auch das Verfahren zu regeln. Es geht die Bitte an sie, mitzuhelfen, daß wir im Einvernehmen eine notwendige Aufgabe so regeln und so lösen, daß den beabsichtigten Verbesserungen des Zivildienstes keine unnötigen Hindernisse entgegengestellt werden.Die zweite Bitte richte ich an die Beteiligten. Ich meine damit die Verbände und Organisationen der Zivildienstleistenden ebenso wie diejenigen, die im sozialen Bereich Dienstplätze zur Verfügung stellen. Alle Vorbehalte und alle Abwehr, die in diesen Tagen zu hören ist, klingen in den Ohren derjenigen, die an diesem Entwurf gearbeitet haben, etwas vorschnell, voreilig und so, daß man in vielen Punkten erkennen kann: Eine gründliche Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der Überlegungen hat noch nicht stattgefunden und wohl auch gar nicht stattfinden können. Hier soll niemand benachteiligt, hier soll niemand schlechtergestellt werden. Es geht um Verbesserungen im Zivildienst. Dazu brauchen wir Rat. Diesen Rat werden wir erbitten. Er möge uns nicht vorenthalten werden.Eine dritte Bitte richte ich an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition. Wir haben ein gutes Stück an Einigung erzielen können. Klammern Sie sich jetzt, wo wir in die entscheidende Phase der Beratungen hineingehen, nicht an extreme Positionen!.
Gerade bei einem Gesetz, das eine der Kernforderungen unserer Verfassung für die Arbeit des Tages handhabbar machen soll, brauchen wir und brauchen auch Sie die Fähigkeit zur Einigung. Ich wünsche Ihnen und ich wünsche der Sache, daß Sie die Stärke finden, sich mit uns zu einigen.Die angestrebten Verbesserungen des Rechts der Kriegsdienstverweigerer auf der Grundlage des Entwurfs stellen in unseren Augen ein Mindestmaß des Notwendigen dar. Sie umfassen das, was unter den gegenwärtigen Umständen erreichbar ist. Was aber erreichbar ist, müssen wir auch tun, für die Sache, die glaubwürdig sein und bleiben muß, für die Betroffenen, für die jungen Bürger, denen gegenüber wir glaubwürdig sein und bleiben wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die SPD /FDP-Koalition heute einen Gesetzentwurf zur Neuordnung von Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst einbringt, dann tut sie dies eigentlich gleichzeitig stellvertretend für die Opposition, auch wenn die Unterschrift der CDU/CSU fehlt; denn die Beauftragten der drei Bundestagsfraktionen haben in viermonatigen sehr intensiven Beratungen einen Kompromiß geschlossen, der zwar vom kleinsten Nenner der Gemeinsamkeiten geprägt ist, aber dennoch eine Vielzahl von Verbesserungen enthält.Ich möchte mich an dieser Stelle deshalb ausdrücklich für die konstruktive und faire Zusammenarbeit mit den Kollegen der CDU und auch der CSU in der interfraktionellen Arbeitsgruppe bedanken.
Ich denke, daß wir einerseits von sehr vielen unserer Forderungen abrücken mußten, daß wir aber
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Hölscherandererseits auch Verständnis bei den Kollegen der Opposition für unsere Position gefunden haben.Dieser im Interesse der Sache notwendige Konsens und der gemeinsame Wille zur Einigung wurden eigentlich erst dann gefährdet — ich möchte sagen: kaputt gemacht —, als sich offensichtlich bestimmte Kollegen der CSU zum Herren des Verfahrens machten, obwohl sie die Arbeit in der interfraktionellen Kommission anderen überließen.
Der Kollege Althammer von der CSU wird sich wohl selbst noch das Vergüngen bereiten, seine Fraktionskollegen, denen er selbst die ganze Arbeit überlassen hat, hier heute anschließend noch zu desavouieren.Ich danke auch sehr den Vertretern der Bundesregierung, insbesondere den Beamten des Arbeitsministeriums, an der Spitze Herrn Staatssekretär Strehlke, für die hervorragende Zuarbeit, die sicher von ausschlaggebender Bedeutung dafür war, daß wir heute einen Gesetzentwurf vorlegen, der meines Erachtens wesentlicher Korrekturen in den parlamentarischen Beratungen nicht mehr bedarf.
Wenn es dennoch nicht zu einer gemeinsamen Einbringung des interfraktionellen Entwurfs gekommen ist, tragen hierfür nicht wir die Schuld, auch nicht — dies muß ich aus Gründen der Fairneß in aller Deutlichkeit noch einmal sagen — die Kollegen der Opposition, die monatelang mit uns zusammengearbeitet haben, sondern die Verantwortung liegt nach allem, was man auch aus den Reihen der Opposition hört, allein bei der CSU, die auch in diesem Falle der großen Schwesterpartei CDU ihren Willen aufgezwungen hat.
Wir waren weiß Gott sogar noch bis zur letzten Woche konzessionsbereit, obwohl wir die Arbeit der interfraktionellen Gruppe bereits Ende April abgeschlossen hatten; aber irgendwo ist dann auch im Interesse unserer eigenen Glaubwürdigkeit eine Grenze erreicht. Dennoch stehen wir trotz vieler Bedenken zu den Ergebnissen unserer gemeinsamen Arbeit. Meine Damen und Herren, wenn sich die CDU/CSU mit der Absage an den gemeinsamen Entwurf dem Konsens verweigert, den wir gefunden hatten, und wenn sich die CDU mit der Absage an den gemeinsamen Entwurf dem Diktat der CSU beugt, dann kann die Opposition nicht erwarten, daß auch die Koalitionsfraktionen dieses Trauerspiel mitmachen. Wir jedenfalls lassen uns weder erpressen noch durch nachgeschobene Forderungen aufs Kreuz legen.
Wenn wir als Koalition den gemeinsam erarbeiteten Entwurf einbringen, dann tun wir dies, weil sich die Opposition durch die Einbringung eines eigenen Entwurfs im Grunde genommen aus der Verantwortung für die Ergebnisse der interfraktionellen Arbeitsgruppe fortstehlen will, und das lassen wir nicht zu. Keineswegs identifizieren wir uns inhaltlich mit allen Teilen. Die FDP ist nach wie vor der Meinung, daß ein Verzicht auf ein Prüfungsverfahren politisch notwendig und rechtlich auch möglich ist. Denn das Bundesverfassungsgericht hat uns nicht zur Auflage gemacht, an einem Prüfungsverfahren festzuhalten, sondern auch den Ausweg über die Ausgestaltung des Zivildienstes als Test auf die Gewissensentscheidung angeboten. Es ist richtig, was der Kollege Jahn anmerkte: Wir hatten gar keine Gelegenheit, in der interfraktionellen Arbeitsgruppe über diesen Weg zu beraten, weil uns der Verhandlungsführer der Opposition erklärt hat, die Beibehaltung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens sei eine unabdingbare Forderung der Opposition.Wenn der Entwurf dennoch die Beibehaltung eines Anerkennungsverfahrens vorsieht, so nicht wegen des Karlsruher Urteils, sondern deshalb, weil ohne die Zustimmung der CDU/CSU, die zur Zeit noch die Mehrheit im Bundesrat hat, nichts mehr geht und die Opposition auf eine Überprüfung von Gewissensentscheidungen besteht, eben weil sie von ihrem Grundansatz her dem Bürger nicht mit Vertrauen, sondern mit Mißtrauen begegnet und zunächst einmal prüfen will, ob ein Bürger die Grundrechte in Anspruch nehmen darf oder nicht.
Also mußten wir uns, um überhaupt zu Verbesserungen zu kommen, mit dem zur Zeit politisch Machbaren begnügen.Allerdings, meine Damen und Herren, möchte ich für meine Fraktion hier in aller Offenheit und in aller Form erklären: Wenn die Opposition letztlich nicht zu den unter ihrer maßgeblichen Beteiligung erarbeiteten Vorschlägen steht, kann sich die FDP in letzter Konsequenz auch nicht mehr an die von ihr gemachten Zugeständnisse gebunden fühlen. Dies gilt insbesondere für die uns abgezwungene Beibehaltung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer.
Der von der Opposition parallel eingebrachte Entwurf entspricht in zwei wesentlichen Punkten — es sind zwei wesentliche Punkte — nicht den interfraktionellen Vereinbarungen und kann auf keinen Fall Anlaß für weitere Zugeständnisse der Koalition sein. Wir, die FDP, sind nicht damit einverstanden, die von der interfraktionellen Arbeitsgruppe beabsichtigten Verbesserungen beim Anerkennungsverfahren dadurch wieder auszuhöhlen, daß die Anerkennung nach Aktenlage etwa nur noch für Jehovas Zeugen gilt.
Jeder Kriegsdienstverweigerer muß die reale Chance haben, daß der Prüfungsausschuß auf die Vorladung verzichtet, wenn er nach dem Studium der eingereichten Unterlagen zu der Überzeugung kommt, daß es sich um einen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen handelt. Die von der Opposition vorgeschlagene Umstellung des Stufenverfahrens, wonach die mündliche Anhörung die Regel und die Entscheidung nach Aktenlage die Ausnahme zu sein hat, geht weit über die von uns inzwischen akzeptierte Klarstellung in der Begrün-
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Hölscherdung hinaus und stellt eine substantielle Veränderung des Anerkennungsverfahrens dar. Wir haben— Herr Dr. Kraske, ich bitte Sie, dies nachzulesen— bei der Einbringung des Entwurfs die Begründung in dem von Ihnen mit Recht beanstandeten Punkt geändert.Meine Damen und Herren, ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß es ja die Vertreter der Opposition waren, die der interfraktionellen Arbeitsgruppe gleich zu Beginn der Arbeiten vorgeschlagen haben, für die Gestaltung des neuen Anerkennungsverfahrens den Vorschlag des katholischen Arbeitskreises „Entwicklung und Frieden" vorgelegt von Herrn Bischof Tenhumberg, zur Verhandlungsgrundlage zu machen. Leider hat sich die Opposition an ihren eigenen Vorschlag in keiner Weise gehalten: Weder hat sie letztlich eine echte Zweistufigkeit der Verfahren akzeptiert, also zunächst den Versuch der Entscheidung nach Aktenlage und die mündliche Anhörung nur dann, wenn noch Zweifel bestehen, noch hat sie den Vorschlag des Bischofs Tenhumberg übernommen, dem Antragsteller das Fehlen der Glaubwürdigkeit nachzuweisen. Dies ist uns auch aus kirchlichen Kreisen in den letzten Tagen mit Recht vorgehalten worden.Jetzt schlägt die Opposition auch noch eine Verlängerung des Zivildienstes von 16 auf 18 Monate vor. Dies bedeutet eine drastische Verschärfung des geltenden Rechts. Wo aber steht eigentlich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts, daß wir das geltende Recht verschärfen, daß wir das geltende Recht ändern sollen?
Waren wir nicht gemeinsam mit dem Ziel angetreten, die unerträgliche Situation für die Kriegsdienstverweigerer einerseits und für die sozialen Einrichtungen andererseits, die keine Zivildienstleistenden in ausreichender Zahl mehr bekommen, zu verbessern?Alle Betroffenen müssen eigentlich den Gesetzentwurf der Opposition als den Versuch ansehen, Kriegsdienstverweigerer für die Wahrnehmung eines Grundrechtes zu bestrafen. Wo steht eigentlich noch der sachliche Zusammenhang zwischen der zeitlichen Belastung wehrdienstleistender Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr und einer Zivildienstdauer von 18 Monaten? Das Bundesverteidigungsministerium hat doch der interfraktionellen Arbeitsgruppe mit Schreiben vom 24. April 1979 mitgeteilt, daß die durchschnittliche Wehrdienstdauer bei 15 Monaten Grundwehrdienst plus Wehrübungen cirka 16 Monate beträgt. Der Bundesminister der Verteidigung teilt mit Schreiben vom 11. Juni den Fraktionsvorsitzenden unter anderem mit, daß von den zur Zeit in Wehrüberwachung stehenden 2,4 Millionen Reservisten bislang nur 25 % Pflichtwehrübungen unterschiedlicher Dauer geleistet haben. Ich will, um das zu wiederholen, aus dem Brief des Bundesministers der Verteidigung zitieren: 1 bis 30 Tage 74 % — bei 25 % Anteil an der Gesamtzahl der 2,4 Millionen Reservisten —, 31 bis 60 Tage 16,5 %, 61 bis 90 Tage 4,4 % und über 90 Tage 4,2 %. Wenn Sie jetzt 18 Monate vorschlagen, dann nehmen Sie die 4,4 % aus den 25 % -vom Hundert gerechnet — zum Maßstab. Ich habe keinen Taschenrechner dabei, ich kann das jetzt nicht herunterrechnen. Im Grunde genommen nehmen Sie hier eine zusätzliche Dienstzeit als Bewertungsgrundlage, die nur auf einen Bruchteil derjenigen überhaupt praktisch zukommt, die zu Wehrübungen verpflichtet sind. Rein rechnerisch ergibt sich — hier zitiere ich wieder den Bundesminister der Verteidigung — für alle Reservisten ein Mittel von 7 Wehrübungstagen, für Mannschaften der Reserve 3 1/2 Wehrübungstage. So der Bundesminister der Verteidigung. Sie wollen drei Monate daraufpakken. Ich muß in aller Offenheit sagen: sogar mit unseren 16 Monaten liegen wir über der durchschnittlichen zeitlichen Belastung, die auf wehrdienstleistende Wehrpflichtige zukommen kann.Auch wenn ich die Angehörigen der Alarmreserve noch in die Berechnung der durchschnittlichen zeitlichen Belastung durch Übungen einbeziehe, komme ich unter eine Wehrdienstzeit von 16 Monate. Der Herr Verteidigungsminister mag einen anderen Beweis antreten. Dann bin ich gern bereit, meine Wertungen zu korrigieren. Ich darf an dieser Stelle aber auch sagen, daß dies nicht nur meine persönliche Meinung ist, sondern daß diese Auffassung auch von den Verteidigungspolitikern der FDP-Fraktion geteilt wird, insbesondere von dem Kollegen Möllemann, der mich ausdrücklich gebeten hat, dies hier zu bestätigen; er kann wegen privater Verpflichtungen leider an der Debatte nicht teilnehmen.Der Hinweis auf die bei der Bundeswehr von vielen Wehrpflichtigen zu leistenden Überstunden trifft nicht, weil man ja wohl nicht die Fehlentwicklungen bei der Bundeswehr auf den Zivildienst übertragen kann und weil es ohnehin absurd wäre, Überstunden auf der Grundlage des Acht-Stunden-Tags auf die Gesamtdienstzeit anzurechnen. Im übrigen hat der Herr Bundesminister der Verteidigung heute morgen in der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten in aller Deutlichkeit und in sehr konkreter Weise Vorschläge gemacht, Ankündigungen gebracht, wie diese Fehlentwicklungen zu beseitigen sind.Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn diese Rechnung stimmt, daß ich das Leisten von Überstunden mit zur Formel für die Berechnung der Gesamtdienstzeit machen muß, dann — ich darf es vielleicht einmal etwas scherzhaft sagen — bin ich nicht sieben Jahre im Bundestag, von der Arbeitszeit auf den Acht-Stunden-Tag heruntergerechnet, sondern dann bin ich 12 bis 14 Jahre im Bundestag. Nur wird mir dies bei der Altersversorgung leider nicht angerechnet.
Diese der CDU von der CSU abgepreßten neuen Forderungen machen deutlich — ich muß es wiederholen —, daß die bayerische Schwesterpartei zum Zweck ihrer Konfrontationsstrategie jede einvernehmliche Regelung zwischen den Fraktionen offensichtlich verhindern will.Allerdings vergißt die Christlich-Soziale Union hierbei wohl, daß sie damit nicht nur ein gespann-
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Hölschertes Verhältnis zu einem wichtigen Teil unserer Verfassung deutlich macht, sondern — und das sollte Christlich-Soziale nun doch berühren — daß sie mitverantwortlich gemacht wird, wenn in Zukunft viele Kranke, Behinderte und andere Hilfsbedürftige nicht mehr die ihnen zustehende Pflege haben werden, weil wir einfach zu wenige Kriegsdienstverweigerer haben und weil es nach altem, geltendem Recht praktisch unmöglich sein wird,
so viele anerkannte Kriegsdienstverweigerer zu produzieren, wie zur Deckung des notwendigen Bedarfs sozialer Einrichtungen erforderlich sind. Wenn der Herr Kollege Jahn hier die Zahl 41 000 in den Raum stellt, die auch mir neu war, kann sich jeder anhand der Zivildienstleistenden ausrechnen, welch großer Mangel an anerkannten Kriegsdienstverweigerern besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir alle — das wird der geborene Sozialminister sicher bestätigen — bekommen eine Flut von Briefen von sozialen Einrichtungen, in denen wir flehentlich gebeten werden: Bringt uns doch mehr Zivildienstleistende, damit die Rettungsstation weiterlaufen kann, damit die Sozialstation funktioniert, damit im Krankenhaus der Dienst aufrechterhalten werden kann! Die Prüfungsausschüsse, die jetzt noch dem Bundesverteidigungsminister zugeordnet sind, sind nicht in der Lage, die Verfahren so zügig durchzuführen, daß eine nennenswert größere Zahl anerkannter Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung steht.Obwohl die FDP nach wie vor den Verzicht auf die Überprüfung von Gewissensentscheidungen für notwendig hält, werden wir uns für eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs der interfraktionellen Arbeitsgruppe einsetzen. Zweifellos haben wir einige Verbesserungen erreicht. Nachdem der Kollege Jahn in aller Ausführlichkeit und auch der Kollege Dr. Kraske jedenfalls für die Bereiche, die in den beiden Entwürfen deckungsgleich sind, das Nötige gesagt haben, will ich mich auf die wesentlichen Punkte beschränken: Die Anerkennungsverfahren werden vereinfacht und beschleunigt. Die Entscheidung nach Aktenlage wird möglich. Zuständig sind nicht mehr die Wehrbehörden, sondern die Landesinnenminister. Die Beisitzer müssen eine bessere Qualifikation besitzen. Kein Kriegsdienstverweigerer muß zur Bundeswehr, solange sein Anerkennungsverfahren nicht abgeschlossen ist. Der Zivildienst erhält erstmals einen modernen Verwaltungsunterbau als Bundesauftragsverwaltung der Länder. Um die Einheitlichkeit der Verwaltung und beim Prüfungsverfahren sicherzustellen, erläßt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Verwaltungsvorschriften im Einvernehmen mit dem Bundesrat.Es wird eine ausreichende Zahl an Zivildienstplätzen geschaffen, die im Grund genommen heute schon da sind. Dabei muß sichergestellt werden — auch dies muß ich an dieser Stelle nochmals anführen —, daß zunächst der Bedarf im sozialen Bereich erfüllt wird. Selbstverständlich müssen wir auch über den sozialen Bereich hinaus Einsatzplätze schaffen. Aber wir müssen bei den parlamentarischen Beratungen die entsprechenden Regelungen des Gesetzentwurfs noch einmal darauf überprüfen, ob sichergestellt ist, daß primär die Erfüllung des Bedarfs im sozialen Bereich gewährleistet ist und die jetzt vorliegenden Gesetzesformulierungen hier keine Schranken aufbauen.Weiter ist zu erwähnen, daß zu Beginn des Zivildienstes ein mindestens vierwöchiger Einführungsdienst stattfindet, der den Zivildienstleistenden nicht nur Informationen über ihre Rechte und Pflichten geben, sondern sie auch besser auf den eigentlichen Dienst vorbereiten soll.Es trifft allerdings zu, daß der Gesetzentwurf bereits vor seiner Einbringung unter anderem von den karitativen und sozialen Verbänden heftig kritisiert wurde. Aber ich denke, hier ist wie Kollege Jahn schon mit Recht sagte — einiges überinterpretiert worden. Es geht keineswegs darum — lassen Sie mich dies hier einmal feststellen —, generell die Heimschlaferlaubnis abzubauen, und es geht auch nicht darum, die Einverständniserklärung eines Trägers für die Übernahme eines Zivildienstpflichtigen zu verbieten. Es ist doch selbstverständlich, daß nicht jeder Kriegsdienstverweigerer für bestimmte pflegerische Tätigkeiten geeignet ist, daß hier also ein Einvernehmen mit dem Träger vorliegen muß. Genauso selbstverständlich ist wohl auch, daß einer Sozialstation z. B. nicht zugemutet werden kann, eine eigene Unterkunft zu bauen oder nur Zivildienstleistende aus Gemeinschaftsunterkünften zu beschäftigen.Solche Interpretationen läßt der Gesetzentwurf auch gar nicht zu. Er sieht vielmehr rein funktionale Regelungen vor. Dort, wo die Art der Beschäftigung und die Funktion des Trägers Heimschlaferlaubnis und Einverständniserklärung von der Art des Dienstes her notwendig machen, werden diese auch weiter so praktiziert werden müssen. Allerdings besteht auch kein Rechtsanspruch darauf, den Zivildienst von zu Hause aus ableisten zu können. Es müssen auch die Zivildienstpflichtigen untergebracht werden, die niemand so ohne weiteres haben will. Ihnen kann man es ja wohl nicht zumuten, nur weil sie niemand haben will, nunmehr kaserniert zu werden, denn dies haben sie selbst nicht zu vertreten. Ich muß z. B. einem großen Krankenhaus — lassen Sie mich das als Beispiel anführen — zumuten können, wenigstens einen Teil der dort zahlreich beschäftigten Zivildienstleistenden auch ohne Einverständniserklärung zu übernehmen. Ich denke, daß wir dies verlangen können. Vielleicht sollten wir uns aber bei den parlamentarischen Beratungen in diesem Punkt noch einmal um eine Klarstellung bemühen, damit es nicht bei der Anwendung des Gesetzes hinterher zu Schwierigkeiten kommt.Zusammenfassend möchte ich sagen: Ich bedaure, daß nach dem Verhalten der Opposition kein großer Anlaß besteht, auf einen glücklichen Abschluß
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Hölscherdes Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes zu hoffen. Wir stehen zwar zu den in der interfraktionellen Arbeitsgruppe gefundenen Kompromissen, haben hiermit aber auch das Äußerste an Zugeständnissen gemacht.Wenn die CDU/CSU-Opposition letztlich nicht zu dem von ihren Beauftragten mit ausgehandelten Entwurf steht, fühlen wir uns auch nicht mehr an unsere Zusagen gebunden. Es muß dann im Augenblick bei dem geltenden Recht bleiben und wir müssen politisch bessere Zeiten abwarten. Jedenfalls kann niemand von uns erwarten, daß wir das Diktat der CSU oder von Teilen der CSU — um es ganz differenziert zu bringen — auf uns nehmen und auch noch das ohnehin unzulängliche geltende Recht zu verschärfen. Ihr Gesetzentwurf läuft in der heutigen Fassung darauf hinaus. Die Verantwortung hierfür liegt nicht bei uns, sondern allein bei der Opposition. Wir haben das Mögliche an Zugeständnissen geliefert. Ich appelliere daher an die CDU/CSU, konstruktiv an der Verabschiedung des Entwurfs der interfraktionellen Arbeitsgruppe mitzuarbeiten. Wenn die Opposition es aber anders haben will, kann sie es haben. Es bleibt dann beim geltenden Recht, und wir lassen die Wähler entscheiden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die pathetischen Worte des Abgeordneten Jahn können nicht verbergen, daß dieses Parlament in der Frage der Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnung vor einem Trümmerhaufen steht. Es geht, Herr Kollege Jahn, nicht um die Frage von Freiheit oder Mißtrauen, denn Sie können bei der CDU/CSU, die ganz entscheidend an der Gestaltung des Grundgesetzes mitgewirkt hat und die über zwanzig Jahre in verantwortlicher Position eine freiheitliche Staats- und Rechtsordnung auf- und ausgebaut hat, davon ausgehen, daß wir wissen, was Freiheit in diesem Land bedeutet.
Die Ansatzpunkte sind doch ganz anders. Wir befinden uns in dieser Situation, weil die Bundesregierung und mit ihr die Koalitionsfraktionen zweimal versucht haben, das sogenannte Postkartenverfahren einzuführen. In der letzten Wahlperiode hatten Sie einen ersten Versuch gemacht; damals hat der Bundespräsident die Ausfertigung des Gesetzes verweigert. Sie haben dann in dieser Wahlperiode einen erneuten Versuch gemacht. Hier war es notwendig, das Bundesverfassungsgericht gegen diese Art von Gesetzen anzurufen.
Konsequenz dieses sogenannten Postkartenverfahrens war es, daß die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in einem ungeahnten Maße angestiegen ist.
Ich will Ihnen das nur noch einmal an Hand der Entwicklung einiger Zahlen über die Jahre hinweg vor Augen halten: 1960 hatten wir 5 400 Kriegsdienstverweigerer, 1970 19 300, 1975 32 500, im ersten Halbjahr 1977, als das Gesetz, das vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde, verabschiedet wurde, hatten wir 26 100 — allein in einem Halbjahr —, und im November 1977 hatten wir in einem einzigen Monat 9 200 Kriegsdienstverweigerer. Dies hat das Bundesverfassungsgericht dazu veranlaßt, im Dezember 1977 eine einstweilige Verfügung zu erlassen.
Das, meine Damen und Herren, sind doch die Fakten, von denen man ausgehen muß.Diese Situation hat dazu geführt, daß bei den Betroffenen der Eindruck entstanden ist, daß derjenige, der sich für den Zivildienst entscheidet, eine Chance habe, überhaupt freizukommen. Am Schluß mußten sogar die nicht voll Tauglichen einberufen werden.Die CDU/CSU hat sich deshalb gezwungen gesehen, das Bundesverfassungsgericht wegen dieses Gesetzes anzurufen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ausführlichen Urteil vom 13. April 1978 festgestellt, daß dieses von der Bundesregierung eingebrachte und von den Mehrheitsfraktionen dieses Hauses beschlossene Gesetz gegen die Wehrgerechtigkeit verstößt und deshalb verfassungswidrig und nichtig ist. Das war der Ausgangspunkt.Es wird immer ein trauriges Kapitel bleiben, daß der damalige Bundesverteidigungsminister dieser Art von neuem Verfahren seine Zustimmung gegeben hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Kraske hat die entscheidenden Punkte des Gesetzentwurfs, den die CDU/CSU eingebracht hat, hier schon dargestellt. Ich möchte noch einmal ganz kurz auf einige Punkte eingehen.Zunächst einmal zu der Frage der Gewissensentscheidung, wie sie glaubhaft gemacht werden kann, wie sie manifestiert werden kann. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht ganz deutlich seine Meinung zum Ausdruck gebracht. Es ist einfach so, daß wir davon ausgehen müssen, daß diese Gewissensentscheidung auch dokumentiert werden muß. Wohin das andere führt, haben wir bei dem sogenannten Postkartenverfahren in zwei Anläufen erlebt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zweite Punkt ist die Zeitdauer des Ersatzdienstes. Herr Kollege Hölscher, man kann hier nicht lediglich ein Rechenexempel aufmachen, etwa mit Hilfe eines Taschenrechners. Sie sollten wirklich auf das hören, was das Verteidigungsministerium zu diesem Punkt zu sagen hat. Es wäre sehr erfreulich, wenn das Bundesverteidigungsministerium bzw. der Bundesvertei-
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Dr. Althammerdigungsminister selbst das bestätigen würden, was in der letzten Kommissionsbesprechung ausdrücklich festgehalten worden ist. Es geht hier nicht um ein reines Zahlenwerk, sondern, genau wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, hat auch das Bundesverteidigungsministerium erklärt, daß die Gesamtbelastung der Dienste in Vergleich zu setzen ist. Nur so ist die Frage der Wehrgerechtigkeit zu beantworten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird, ja.
Herr Kollege Althammer, würden Sie bestätigen, daß die 18 Monate, wie immer man rechnet, in jedem Falle einen längeren Dienst bedeuten würden, als ihn der Wehrdienstpflichtige abzuleisten hat?
Herr Kollege, ich darf dann noch einmal wiederholen, was ich eben gesagt habe: Man darf hier nicht bloß ein Rechenexempel aufmachen, sondern man muß die Gesamtbelastung sehen.
Wenn Sie nur dazunehmen, daß es für jeden Wehrdienstpflichtigen nach Ablauf seiner Dienstzeit noch eine Verfügungsbereitschaft von einem Vierteljahr gibt, dan sehen Sie schon, daß hier nicht ein bloßes Rechenexempel durchgeführt werden kann. Wenn Sie es nicht glauben, fragen Sie doch den Minister Ihrer Koalition! Der wird Ihnen klarmachen — und das steht übrigens auch in dieser Stellungnahme des Verteidigungsministeriums drin —, daß noch ganz andere Punkte mit zu berücksichtigen sind.
Der Kollege Jahn hat davon gesprochen, daß hier etwa eine Bestrafung des Kriegsdienstverweigerers gewollt sei. Dazu muß ich eine Frage stellen. Bei Ihrem Alternativentwurf wollten Sie ohne Verfahren 18 Monate vorschlagen. Soll auch das eine Bestrafung sein? Ich glaube, Sie können die Dinge nicht so einseitig darstellen.
Ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einige andere wichtige Punkte ganz kurz hier anschneiden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Liegt es wohl daran, Herr Kollege Althammer, daß Sie erst in den letzten Tagen im Auftrag der Landesgruppe der CSU angefangen haben, sich mit der Materie etwas näher zu beschäftigen, daß Ihnen noch nicht klargeworden ist, daß unsere 18 Monate auf einer ganz anderen Voraussetzung, einer ganz anderen Konzeption des Gesetzes beruhten als Ihre?
Herr Kollege Jahn, das ist durchaus klar. Ich möchte noch eines hinzufügen: Sie müssen schon davon ausgehen, daß die Fraktion der CDU/CSU entscheidet und nicht irgendein Vorbereitungsgremium, so verdienstvoll und intensiv dessen Arbeit ist. Die Fraktion der CDU/CSU hat entschieden; sie hat von Anfang an bis jetzt ihre Grundforderung von 18 Monaten aufrechterhalten. Von dieser Grundforderung ist die Fraktion der CDU/CSU nie abgewichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich muß jetzt um Entschuldigung bitten. Ich habe nur zehn Minuten zur Verfügung und habe noch einige wichtige Punkte darzustellen.
Ich möchte hier einige wichtige Punkte darstellen, die noch im Verfahren zu behandeln sein werden. Es stellt sich zum einen die Frage, ob es wirklich notwendig ist, hier mit diesen §§ 1 bis 9 des Kriegsdienstverweigerungs- und Neuordnungsgesetzes wieder ein Sondergesetz zu erlassen, ob es nicht sehr viel zweckmäßiger wäre, diese Regelung wie bisher in das Wehrpflichtgesetz einzuordnen. Wir alle reden und klagen darüber, daß die Gesetzesflut immer weiter ansteigt und der Bürger sich bei der Vielzahl der Gesetze gar nicht mehr auskennt. Wir könnten auch hier einen Beitrag zur Entbürokratisierung leisten.
Ein sehr wichtiger Punkt ist folgender: Es wird in den Beratungen noch darüber zu reden sein, wie der Punkt, den der Gesetzentwurf der CDU/CSU schon beinhaltet, noch ausgeformt werden kann, nämlich daß im neuen Anerkennungsverfahren auch das öffentliche Interesse zur Geltung kommt. Es darf nicht so sein, daß nur der Antragsteller als Belasteter die Möglichkeit hat, eine Entscheidung, die er nicht akzeptiert, anzufechten, sondern es muß auch dem öffentlichen Bereich möglich sein, wenn er davon ausgeht, daß im Einzelfall eine Fehlentscheidung gefällt wurde, im öffentlichen Interesse eine Korrektur herbeizuführen. Ich glaube, man sollte im weiteren Verfahren diesen Punkt noch weiter ausbauen.Der nächste Punkt ist schon angedeutet worden: Die Bundesländer sind nicht mit einer Zuständigkeit für das Anerkennungsverfahren einverstanden. Wir werden darauf Rücksicht nehmen müssen, daß die Bundesländer ihre Entscheidung ebenfalls einbringen können, weil eine Zustimmungsbedürftigkeit vorliegt.
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Dr. AlthammerHeute haben wir eine ganze Reihe von Verteidigungsproblemen miteinander diskutiert. Eines muß uns klar sein: Moderne Bewaffnung allein, gewaltige Ausgaben für die Verteidigung nützen nichts, wenn der Wille zur Verteidigung bei der Bevölkerung nicht vorhanden ist.
Wer die Einstellung eines großen Kreises unserer Jugend heute beobachtet und sieht, muß mit Sorge erfüllt sein. Es darf einfach nicht dahin kommen, daß derjenige, der seinen Wehrdienst ableistet, sich am Schluß als der Dumme fühlt, sondern wir müssen erreichen, daß die Wehrgerechtigkeit auch in der Weise hergestellt wird, daß derjenige, der seine Bürgerpflicht erfüllt, nicht Nachteile beruflicher und sonstiger Art gegenüber demjenigen hat, der seine Gewissensgründe vorträgt.Wir hoffen, daß wir eine faire und gute Lösung bekommen werden.
— Aber es ist wichtig, daß hierbei die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts beachtet werden. Es ist ganz besonders wichtig, daß wir uns immer darüber im klaren sind, daß es nicht nur um die Herstellung der Wehrgerechtigkeit geht, sondern noch viel mehr um die notwendige Erhaltung der Freiheit unseres Volkes und der Sicherheit unseres Landes.
Das Wort hat Abgeordnete Frau Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, wie sehr das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 1978 zum Wehrpflicht- und zum Zivildienstgesetz die politische Landschaft verändert hat. Das sieht man deutlich an dem Ergebnis der interfraktionellen Arbeitsgruppe, das uns heute in zwei weitgehend übereinstimmenden Gesetzentwürfen von Opposition und Koalition in erster Lesung vorliegt. Kollege Kraske, der sich innerhalb der CDU! CSU-Fraktion ohne Zweifel am intensivsten mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, hat bereits den Prozeß der Meinungsbildung dargestellt und sich ausgiebig mit den beiden Dissenspunkten befaßt, die übrigblieben und leider verhinderten, daß ein interfraktioneller Entwurf zustande kam.Es fällt offensichtlich vielen im Lande schwer, nicht nur Teilen der Koalition, sich auf die Konsequenzen aus dem Urteil einzustellen. Das sieht man auch an der gemeinsamen Erklärung der Arbeitsgemeinschaften für Kriegsdienstverweigerer der evangelischen und der katholischen Kirche, die das Ergebnis der Arbeitsgruppe kritisieren, weil sich die Reform nicht an den Grundsätzen von Menschenrecht und Friedensdienst orientiere, wie sie sagen. Die Organisationen attackieren vor allem die Rahmenbedingungen, die durch das BVG gesetzt wurden und die angeblich eine sinnvolle Ausgestaltung des Zivildienstes verhindern. Mir scheint ein grundsätzliches Wort der Klärung gegen ein weitverbreitetes Mißverständnis im Hinblick auf den Begriff Friedensdienst notwendig zu sein.Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht auf Seite 56 folgendes:Veröffentlichungen aus dem Bereich der Kriegsdienstverweigererverbände ist zu entnehmen, daß Kriegsdienstverweigerung als nachdrückliche und bewußte politische Entscheidung gegen die Bundeswehr und für einen innergesellschaftlichen Friedensdienst verstanden und dem Wehrdienst der Zivildienst als der wirkliche Friedensdienst gegenübergestellt wird.Für die katholische Kirche hat die gemeinsame Synode der deutschen Bistümer im Synodenbeschluß „Der Beitrag der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland zu Entwicklung und Frieden" in diesem Punkt eine Klarstellung gebracht. Damit ist inhaltlich die alte Formel, die Friedenssicherung sei Aufgabe der Soldaten, die Friedensförderung Aufgabe der Zivildienstleistenden, modifiziert worden. Der Kriegsdienstverweigerer ist nicht von der Pflicht freigesprochen, sagt die Kirche, einen Krieg zu verhindern, wie der Soldat zu einem Dienst am positiven Frieden gehalten ist.Für die evangelische Kirche hat der Rat der EKD in einer Erklärung folgendes gesagt:Die einen sind bereit, zur Sicherung des Friedens Wehrdienst in einer Armee zu leisten. Die anderen verweigern den Kriegsdienst aus Gewissensgründen, und machen Gebrauch von der Möglichkeit, die für alle geltende Wehrdienstpflicht in einem besonderen zivilen Dienst zu leisten.Unter der Last dieser Gegensätze hat eine langjährige Diskussion in der evangelischen Kirche zu einer Überzeugung geführt, daß für beide Entscheidungen, Friedensdienst entweder mit oder ohne Waffe zu leisten, gute Gründe angeführt werden können. Ich meine, meine Damen und Herren, diese Standpunkte müssen wieder ins öffentliche Bewußtsein gerückt werden. Eigentlich ist es kein Wunder, wenn heute aus kirchlichen Kriegsdienstverweigererorganisationen solche Stimmen laut werden. Daß es nach jahrelangen einseitigen politischen Diskussionen um das Verfassungsverständnis des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht und des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen jenen schwerfällt, wieder zu den Normen unseres Grundgesetzes zurückzukehren, die teilweise selbst Nutznießer einer verfehlten Reform waren, kann man zur Not verstehen.Ich habe in diesen Tagen noch einmal die Debattenbeiträge aus den Jahren 1974, 1975, 1976 und 1977 nachgelesen, vor allem die der Kollegen aus der Koalition. Was da — nicht zuletzt teilweise aus sehr vordergründigen parteipolitischen und wahltaktischen Motiven — proklamiert wurde, ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte dieses Parlaments.
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Frau VerhülsdonkDabei ist die politische Agitation gegen das neue Gesetz schon wieder in vollem Gang. So schrieb am 17. Mai 1979 das SPD-Blatt „Vorwärts", Verfasser Horst Heinemann, zu dem interfraktionellen Arbeitsergebnis unter der Überschrift „Grundrecht mit Zusatz", Untertitel „Kosmetik am Gewissenstest für Kriegsdienstverweigerer" folgenden Satz: „Ein weiteres Grundrecht wird eingeschränkt werden." Dann heißt es im Text weiter, solange auf welche Weise auch immer Gewissen geprüft werde, sei das eine gesetzliche Fortschreibung der Willkür. Heinemann zitiert dann den Juso-Bundesvorsitzenden Gerhard Schröder, der in bezug auf das neue Gesetzesvorhaben gar von einem politischen Betrug sprach. „Wie immer man es nennt, was sich in Bonn abzeichnet, ist ein Sieg der C-Parteien", lamentiert der Verfasser des Artikels.Meine Damen und Herren, auf solchem Hintergrund ist es nicht leicht, dieses Kapitel der Gesetzgebung neu zu schreiben. So ist es keineswegs so, daß das Verhandlungsergebnis ausschließlich die Handschrift der CDU/CSU trägt. Es ist bereits ein Kompromiß, der sich in manchen Punkten noch beratungsbedürftig ist. Ich meine aber, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich sage das nicht ohne Respekt vor dem politischen Realismus jener Kollegen aus den Koalitionsparteien, die der interfraktionellen Verhandlungskommission angehörten. Sie hatten, wie man weiß und an mancherlei öffentlichen Verlautbarungen aus den eigenen Reihen ablesen konnte, in ihren Fraktionen durchaus nicht immer einen leichten Stand und mußten sich sicherlich auch der Mitwirkung des Sachverstandes der Bundesregierung bedienen, um am Ende diesem Kompromiß eine Zustimmung zu verschaffen.Die Bundesregierung hat sich bereits weitgehend auf die anstehenden Änderungen im Bereich des Zivildienstes eingestellt, wie durch eine Absichtserklärung, die Herr Staatssekretär Strehlke abgegeben hat, erkennbar ist, wo er in einem Katalog von geplanten Verwaltungsmaßnahmen ankündigt, was die Bundesregierung zu tun gedenkt. Ich könnte jetzt diesen Text zitieren, will aber statt dessen lieber auf die wichtigsten Änderungen eingehen.Nach Meinung der Verfassungsrichter kann die Ersatzdienstpflicht gegenwärtig nicht als eine im Verhältnis zur Wehrdienstpflicht auch nur einigermaßen aktuelle und gleichbelastende Pflicht angesehen werden. Im Gegenteil, sie ist nach den gegebenen Verhältnissen nicht nur keine lästige, sondern in weitem Umfange nicht einmal eine reale Alternative. So steht es da zu lesen. Sie müsse aber zu einer echten Alternative ausgebaut werden. Diese Zielsetzung steht eindeutig im Vordergrund der Neuregelung. Bei aller prinzipiellen Andersartigkeit des Zivildienstes muß dieser allen Zivildienstleistenden eine vergleichbare Belastung zumuten, wie sie den Wehrdienstleistenden auferlegt wird. Das bedeutet, daß manche bisherige Beschäftigungsstelle einem solchen Anspruch nicht genügt. Deshalb ist es richtig, wenn die Beschäftigungsstellen in Zukunft den Behörden Einblick in die Gesamttätigkeit der Zivildienstleistenden geben müssen und wenn nur bestimmte Dienstplätze anerkannt werden. Die Beschäftigungsstellen sollen künftig Zilvildienstpflichtige ohne Zustimmung zur Person beschäftigen, sofern die Beschäftigung nicht wegen ihrer Eigenart besondere Anforderungen an die Person stellt, die über die allgemeinen Voraussetzungen hinausgehen. Zu dieser Bestimmung wie sicher auch zu einigen anderen müssen meines Erachtens insbesondere die kirchlichen Trägerverbände gehört werden, deren Meinung wir ernstlich prüfen wollen. Die Beschäftigungsstellen werden weiterhin überwiegend im sozialen Bereich angesiedelt sein: 30 000. Hinzu kommen Tätigkeiten im Zivilschutz und als neue Bereiche Aufgaben im Umwelt- und Naturschutz sowie in der Landschaftspflege. Vorgesehen sind 10 000 Plätze.In dieser Ausweitung der Tätigkeitsbereiche sehen nun manche Kritiker eine ungerechtfertigte Schikane, einen Versuch, den Zivildienst bewußt unattraktiv zu gestalten und sozusagen Hilfsbataillone im Stile des Reichsarbeitsdienstes zu rekrutieren. Meine Damen und Herren, es kann doch aber kein Zweifel daran bestehen, daß Umwelt-, Landschafts- und Naturschutz in hohem Maße dem Gemeinwohl dienen, also legitime Aufgaben für den Zivildienst darstellen. Bisher konnten diese zunehmend drängender werdenden Probleme nicht hinreichend angepackt werden, nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen. Wer solche Arbeiten als nicht zumutbar für Zivildienstleistende ablehnt, muß sich fragen lassen, wieso dann dem Soldaten sein harter Einsatz und der Dienst in Wind und Wetter ohne weiteres auferlegt werden kann.Kritik gibt es auch an der Absicht, die Verwaltungsaufgaben weithin auf die Länder zu verlagern, denen übrigens erhebliche Kostenlasten aufgebürdet werden. Sicher müssen diese Verwaltungsregelungen in den Beratungen sorgfältig geprüft werden, wie hier schon einige Kollegen gesagt haben. Der bereits öffentlich geäußerte Verdacht, in München könnten hinsichtlich des Zivildienstes andere Maßstäbe als in Hamburg angelegt werden, dürfte allerdings dadurch entkräftet sein, daß die Bundesregierung für den Zivildienst allgemeine Verwaltungsvorschriften erläßt und ihre Anwendung überwacht.Es wird in Zukunft auch eine völlig neue Kostenregelung geben. Danach sorgen die Beschäftigungsstellen auf ihre Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung; sie tragen zudem die ihnen entstehenden Verwaltungskosten. Die Besoldung der Zivildienstleistenden, die wie bei den Soldaten nach gestaffelten Soldgruppen erfolgt, wird in Zukunft vom Bund erstattet.In diesem Zusammenhang kann man nur hoffen, daß in Zukunft die Besoldungsregelung nicht — wie häufig in der Vergangenheit — von den Beschäftigungsstellen unterlaufen wird. Grundsätzlich gleiche Besoldung für Wehr- und Zivildienstleistende: auch das wäre ein wichtiger Beitrag zur Wehrgerechtigkeit.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
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Jawohl, Herr Präsident. — Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes wird zugleich eine 100%ige Heranziehung aller anerkannten Zivildienstleistenden beginnen. Bekanntlich gab es im Bundesgebiet bisher ein gegenläufiges Gefälle; im Norden war die Zahl der Antragsteller größer, im Süden die Zahl der verfügbaren Zivildienstplätze. Deshalb soll ein überregionaler Ausgleich durchgeführt werden. Jedes Bundesland muß so viele Dienstpflichtige einberufen, wie dem Verhältnis von Einwohnern und Dienstpflichtigen im ganzen Bundesgebiet entspricht. So, wie der Soldat einen Grundausbildungsdienst ableisten muß, wird es künftig auch für die Zivildienstleistenden einen vierwöchigen Einführungsdienst geben; dazu haben Kollegen ja schon das Nötige gesagt.
Ich möchte zum Schluß kommen und folgendes sagen. Man kann nur hoffen, daß die Beratungen des Gesetzes zügig verlaufen. Vor allem möchte ich die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände bitten, sich an den Beratungen zu beteiligen und ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen einzubringen. Meine Fraktion erklärt sich bereit, sachgerecht an der Beratung mitzuwirken, damit die noch umstrittenen Fragen fairen und gerechten Lösungen zugeführt werden. So kann man hoffen, daß damit ein Schlußstrich unter immer mißlicher gewordene Entwicklungen im Zivildienst gezogen werden kann, die manchen jungen Menschen geradezu dazu verführt haben, es mit dem bequemeren Weg zu versuchen. Es spricht vieles dafür, daß angesichts eines solchermaßen neu ausgestalteten Zivildienstes zumindest keine Drückeberger mehr ins Anerkennungsverfahren gehen. Das wird diesen Verfahren sicherlich nicht nur der Zahl nach, sondern auch klimatisch sehr zugute kommen und erheblichen Einfluß auf ihre Gestaltung und auf die Ergebnisse haben. Ohne Zweifel wird dieses Gesetz das Ansehen des Zivildienstes deutlich verbessern.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die beiden Vorlagen auf den Drucksachen 8/3019 und 8/3020 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Innenausschuß und den Verteidigungsausschuß — mitberatend — sowie an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung — überwiesen werden sollen. Ist das Haus mit diesen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen damit zu Punkt 5 der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, nach der Ihnen. vorliegenden Tagesordnung sind die zweite und die dritte Beratung des Nachtragshaushaltsgesetzes 1979 vorgesehen. Gemäß § 77 Abs. 1 in Verbindung mit § 94 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ist für diese Vorlage jedoch nur eine Beratung erforderlich. Ich rufe daher auf:
Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1979
— Drucksachen 8/2900, 8/3017 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 8/3018 — Berichterstatter:
Abgeordnete Ewen, Glos, Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein, Esters, Gärtner
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase .
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Beratung des Haushalts 1979, zu dem wir heute einen ersten Nachtrag verabschieden — der zweite soll ja schon in der Schublade sein —,
ist sichtbar geworden, daß sich die wirtschaftliche Ausgangslage in unserem Lande erheblich geändert hat. Es läßt sich nicht leugnen, das Gespenst der Inflation geht wieder um, kaum daß das Wachstum richtig Tritt gefaßt hat.
Von Monat zu Monat ziehen die Preise stärker an. Die 4 %, bei denen es laut Herrn Abgeordneten Willy Brandt ernst wird, scheinen schon jetzt erreicht zu sein. Im Mai sind die Preise für die Lebenshaltung im Bundesgebiet gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat um 3,7 % gestiegen, im Juni nach dem Teilergebnis für Nordrhein-Westfalen um 4,1 %. Die Erzeugerpreise der Industrie, die erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung auf die Verbraucherpreise durchschlagen, haben die 4 %-Schwelle schon seit April überschritten. Im Juli kommt eine zusätzliche Teuerung durch Ihre Mehrwertsteuererhöhung dazu.Besonders besorgniserregend ist das stark zunehmende Tempo der Preissteigerungen. Rechnet man die durch die Jahreszeit bedingten Sondereinflüsse heraus, so belief sich die Inflationsrate gegenüber dem jeweiligen Vormonat von Januar bis April dieses Jahres im Durchschnitt auf etwa 0,5 %. Das entspricht einer Jahresrate — das sollten wir uns gut merken — von 6 %. Ich bin mir der Problematik einer solchen Hochrechnung, wie sie in den Vereinigten Staaten üblich ist, bewußt.
— Lieber Herr Wehner, Sie wollen uns doch wohldas Recht nicht absprechen, auf Gefahren hinzu-
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Haase
weisen! Nein, das können Sie nicht, Herr Wehner.
Wenn in diesem Lande etwas schief läuft, dann wird das von uns kritisiert, auch wenn Sie an die Decke gehen, verehrter Herr.
— Natürlich gehen Sie an die Decke. Nehmen Sie Librium; das beruhigt, Herr Wehner.
— Wo sehen Sie, daß ich meine Hände in der Tasche habe? Herr Wehner, mit mir können Sie doch nicht so verfahren, lieber Herr, mit mir doch nicht.
— Nein, nein, Herr Wehner. Die Zeit ist zu kurz bemessen. Ich muß mich hier auf die sachlichen Überlegungen konzentrieren.
— Wenn ich Zeit dazu kriege, können wir hier den Disput führen, Verehrtester. Sie wollen uns doch nicht verbieten, über die neuen Inflationsgefahren zu reden, die Sie heraufbeschwören, u. a. auch mit Ihrer Mehrwertsteuererhöhung!
— Hören Sie mal, gehen Sie mal in Ihre Strategiekommission. Meinen Sie, bei Ihnen wäre alles in Ordnung? Seit wann grüßen Sie denn Ihren Nachbarn wieder, Herr Wehner, seit wann denn?
— Na, wer im Glashaus sitzt, sollte doch nicht mit Steinen schmeißen; nicht wahr, Herr Wehner.
— Meine Damen und Herren, wir nehmen für uns das Recht in Anspruch, Alarm zu schlagen;
es ist höchste Zeit. Die verantwortlichen Stellen in diesem Lande dürfen nicht erneut warten, bis die Inflation wieder mit voller Brutalität zuschlägt
und bis schließlich der Bundesbank — das haben wir doch gehabt, Herr Wehner; denken Sie doch nur mal nach; es ist noch gar nicht so lange her — wieder kein anderer Ausweg bleibt, als durch eine knallharte Geldpolitik mit den Folgen exotischer Zinssätze die Konjunktur abzuwürgen. Denken Sie doch nur mal drei Jahre zurück.Die Inflation verringert die Arbeitslosigkeit nicht; im Gegenteil, sie ist eine ihrer Hauptursachen. Diese richtige Aussage hat der Herr Kanzler beim Londoner Gipfel am 8. Mai 1977 unterschrieben — wie man hört, sogar initiiert — und beim Bonner Gipfel vor einem Jahr bestätigt. Aber was nützen solche Erklärungen, wenn daraus in der praktischen Politik nicht rechtzeitig die Folgerungen gezogen werden?Die Bundesregierung darf auf keinen Fall wieder die Gefahren dadurch verharmlosen, daß sie auf noch höhere Preissteigerungen in ausländischen Staaten hinweist und erklärt, der Hauptteil der Preissteigerungen komme vom Ausland. Das war ja so eine beliebte Schutzbehauptung. Ich kann mir schon vorstellen, wann Sie dieses Thema wieder aufwärmen. Sicher liegt manches am Ölpreis, aber seine Wirkung auf das gesamte Preisniveau darf auch nicht überschätzt werden.
Die Mineralölprodukte machen, lieber Herr Löffler, 3 % des Warenkorbes aus.Wir haben — wenn Sie einmal die Entwicklung an Ihrem geistigen Auge vorüberziehen lassen — im vergangenen Jahr im Grunde genommen Stabilität importiert. Es ist eine Verdrehung des Sachverhalts, wenn vor diesem Hintergrund die Hauptursache für die jetzigen Preissteigerungen wieder im Ausland gesucht wird. Die Preissteigerungen machen sich jetzt nur in stärkerem Maße bemerkbar, weil sich die außergewöhnliche Preissenkung bei den Einfuhren, wie wir sie im vergangenen Jahr verzeichnet haben, nicht wiederholt. Erst seit April — das bitte ich zu beachten — gehen auch die Importpreise wieder steiler nach oben.Im übrigen: welche Ursache auch immer die Inflation hat, keine Ursache befreit die Regierung von der Verpflichtung zu handeln. Die Regierung aber sieht tatenlos zu, statt gegenzuhalten. Schlimmer noch: Sie schüttet 01 in das Feuer der Inflation. Nichts anderes ist doch die jetzt in Kraft tretende Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1979, nichts anderes ist auch die nach diesem Nachtragshaushalt aufrechterhaltene Schuldenwirtschaft.Der Schuldenzuwachs des Bundes zur Haushaltsfinanzierung ist seit 1975 in jedem Jahr eineinhalbbis zweimal so groß wie bis 1969 in 20 Jahren zusammen.
Die private Ersparnis als Quelle für die Finanzierung der Kreditwünsche von Staat und Wirtschaft wird mittlerweile zu knapp einem Drittel nur vom Bund in Anspruch genommen: von jeden gesparten 100 DM etwa 30 DM. 1969 erwirtschaftete der Bund noch einen Überschuß, trug also zur Geldkapitalbildung bei. 1970 bis 1973 beschränkte er die Neuverschuldung immerhin noch auf .jeweils 2 bis 5 % der privaten Ersparnis, was allerdings damals zuviel war und zu der massiven Zinsverteuerung in den Jahren ab 1970 beitrug.Nun, in diesem Jahr werden es wieder 30 % sein, etwa genausoviel wie im Rezessionsjahr 1975. Was 1975 konjunkturpolitisch vertretbar gewesen sein mag, ist heute angesichts des gestiegenen
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Haase
Fremdmittelbedarfs der Wirtschaft in höchstem Maße konjunkturwidrig. Wir wissen doch alle, daß der zinsunempfindliche Staat beim Wettlauf um die Mittel am Kapitalmarkt die in viel stärkerem Maße zinsempfindlichen Privaten vertreibt und damit neue Investitionen verhindert, die ja in der Zeit der Hochkonjunktur gemacht werden sollen, eine Entwicklung, in der die Kapitalkosten der privaten Investitionen umfangreicher steigen als die zu erzielenden Renditen.Die Gefahren für Konjunktur und Preise erfordern, daß die Regierung jetzt endlich die Konsolidierung der zerrütteten Bundesfinanzen nicht nur erneut für die Zukunft verspricht, sondern entschlossen anpackt. Aber dazu fehlen ihr Bereitschaft und Mut.
— Herr Kollege Löffler, Sie und auch Herr Hoppe haben es ja als Experten Ihrer Fraktionen öffentlich als unvertretbar bezeichnet — ich glaube, Sie bestreiten das gar nicht —, weiterhin einen Schuldenzuwachs von 30 Milliarden DM in Kauf zu nehmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Herr Präsident, ich habe noch fünf Minuten. Das rote Lämpchen leuchtet gleich auf.
Herr Westphal, daß 30 Milliarden DM zuviel sind, wird doch auch von Ihnen nicht bestritten. Aber bitte.
Ich wollte nur einmal rasch fragen, ob Sie mir bestätigen könnten, daß der Nachtragshaushalt, über den wir jetzt sprechen und zu entscheiden haben, keinen einzigen Pfennig Neuverschuldung bedeutet.
Lieber Herr Westphal, darum geht es doch gar nicht.
— Darum geht es auch gar nicht. Wir müssen die Gelegenheit der Einbringung des Nachtragshaushalts dazu benutzen, um hier auf die aktuelle Situation des Landes im Bereich Haushalt, Wirtschaft, Schulden und Inflation einzugehen.
Das würden Sie auch machen, Herr Westphal. Lief unsere Diskussion im Haushaltsausschuß nicht letztlich auch auf diese Punkte hinaus? Erinnern Sie sich, welch zutreffende Formulierung der Kollege Hoppe benutzt hat? Hat er Sie nicht alle nachdenklich gestimmt, und ist es nicht an der Zeit, daß wir das auch hier im Plenum aussprechen?Nun möchte ich auf diesen Nachtrag zu sprechen kommen. Wir haben versucht, wenigstens eine bescheidene Kürzung des Kreditbetrags zu erreichen. Die Koalition lehnte im Ausschuß unseren Antrag ab, bei den Zuschüssen für Nürnberg weitere 250 Millionen DM und bei den Darlehen für Nürnberg 450 Millionen DM zu streichen, die nach heutigem Wissensstand nicht gebraucht werden. Wir würden damit ein Zeichen setzen. Wir haben uns ellenlang darüber unterhalten. Es wurde lediglich erreicht, daß insgesamt 500 Millionen DM qualifiziert gesperrt sind, also nicht ohne Zustimmung des Ausschusses augegeben werden dürfen. Die Regierung hat aber in ihrem Grundsatzbeschluß vom Mai beschlossen, die weitgehend inflationsbedingten Steuermehreinnahmen gegenüber den Schätzansätzen des Haushaltes nicht in voller Höhe zur Verringerung des Schuldenzuwachses zu verwenden, sondern die Gesamtausgaben 1979 im zweiten Nachtragshaushalt sogar noch um eine Milliarde DM per Saldo zu erhöhen.Die Konsolidierung wird nun für das nächste Jahr, wie auch in der Vergangenheit geschehen, angekündigt. Was die Regierung dazu am 28. Mai beschlossen hat, ist noch keine Konsolidierung; das müssen wir sehen. Auch im nächsten Jahr wird der Schuldenberg des Bundes um 28 Milliarden DM gewaltig weiter ansteigen. Diese 28 Milliarden DM sind nur geringfügig weniger als der Betrag in diesem Jahr. Selbst diese geringfügige Verringerung des Schuldenzuwachses gegenüber diesem Jahr wird nur erreicht, weil die Regierung vorher in diesem Jahr eine Milliarde DM darauflegt. Außerdem zieht sie auch 1980 wieder unter Bruch früherer Erklärungen die erhöhten Telefongebühren in Milliardenhöhe zur Finanzierung ihrer Ausgaben heran.Ich wundere mich nicht darüber, daß die Regierung diese Entscheidung gefällt hat; denn die Bundesregierung ist offensichtlich in der Finanzpolitik leider zu Lasten unseres Landes nicht in der Lage, richtige Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Ich wundere mich mehr darüber, daß der Bundesbankpräsident, der bei den Grundsatzbeschlüssen des Kabinetts anwesend war, nicht sofort lautstarken Protest erhoben hat. In der Öffentlichkeit entstand sogar der Eindruck, er habe zugestimmt. Dieser Eindruck wird allerdings im jüngsten Monatsbericht der Bundesbank korrigiert: „Bei der Kreditnachfrage des Staates bedarf es der bewußten Verminderung des Defizits der öffentlichen Haushalte. Für den Kapitalmarkt und die Finanzierung der Investitionen der privaten Wirtschaft, die nun kräftig in Gang gekommen sind und damit auch Aussicht auf Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze eröffnen, wäre es eine große Hilfe, wenn sich die Defizite der öffentlichen Haushalte noch mehr eindämmen ließen." Das ist sehr, sehr vorsichtig und zurückhaltend formuliert. Früher kamen drastischere Formulierungen aus Frankfurt am Main.
Ich zitiere:Der Zentralbankrat beobachtet mit Sorge die beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden festzustellende Tendenz zu einer fortgesetzten, zum Teil beträchtlichen Steigerung der Ausgaben. Der Kreditbedarf der öffentlichen Hand
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droht daher in einem Ausmaß zu wachsen, das über die Ergiebigkeit des Kapitalmarktes hinausgeht. Eine solche Entwicklung würde mit den konjunkturellen Notwendigkeiten nicht in Einklang zu bringen sein.Diese konjunkturelle Lagebeschreibung entspricht weitgehend der heutigen Lage. Im Juni-Bericht der Bundesbank heißt es, daß sich die Grenzen für das weitere Wachstum bei den Arbeitskräften abzeichnen. Herr Emminger sprach kürzlich von zunehmenden Produktionsengpässen und sagte: Wir nähern uns der De-facto-Vollbeschäftigung rapide. Allerdings stammt die soeben zitierte Resolution des Zentralbankrates nicht aus dem letzten Monatsbericht der Bundesbank, sondern aus dem Bericht vom November 1959. Anlaß für diesen dramatischen Appell war die Zunahme der Kreditmarktverschuldung der gesamten öffentlichen Hand, Bahn und Post eingeschlossen, um viereinhalb Milliarden DM im Jahre 1959. Heute regt sich über eine derartige Zahl niemand mehr auf, nicht einmal mehr die Bundesbank.
In diesem Jahr geht es bei Bund, Ländern und Gemeinden zusammen um 50 Milliarden DM, um rund das Zwölffache des damaligen Betrages. Das ist selbst dann eine gewaltige Steigerung, wenn man berücksichtigt, daß das Bruttosozialprodukt inzwischen gestiegen ist, allerdings bei weitem nicht so stark. Gemessen am heutigen Schuldenzuwachs, müßte die Bundesbank heute viel schwereres Geschütz auffahren als damals. Damals lag die Preissteigerungsrate nicht bei 4 %, sondern bei 1 %.Die Opposition erklärt sich eindeutig: Zwar stimmt sie den im Nachtrag vorgesehenen Einzelmaßnahmen unter Zurückstellung gewisser Bedenken zu, auch wenn sie in Einzelpunkten, beispielsweise bei der Existenzgründung, andere Vorstellungen hat, aber den Nachtrag als Teilstück des unsolide und inflationär finanzierten Gesamthaushalts 1979, als Teilstück einer im ganzen stabilitätswidrigen und leichtfertigen Schuldenwirtschaft lehnen wir ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so gegangen ist: Das war die Rede aus dem Jahre. 1973. Nur, die war damals, Herr Haase — wo sitzen Sie denn? —, auch schon falsch. Die haben Sie aus dem Archiv heraussuchen lassen. Sie müssen einmal Ihre Mitarbeiter auswechseln, damit das ein bißchen besser läuft.Die Haasesche Pseudodramatik, die hier losgelassen worden ist, beeindruckt uns überhaupt nicht.
Ich weiß nicht, was Sie sich dabei gedacht haben,aber Sie haben kein Wort zu diesem Nachtragshaushalt gesagt. Wir machen hier wichtige Programme — im Haushaltsausschuß haben Sie denen auch zugestimmt — die für Sie hier im Plenum überhaupt keine Rolle spielen,
die an Ihnen vorbeigehen.Sehen Sie, das ist immer so eine eigenartige Verhaltensweise: Wenn wir im Haushaltsausschuß zusammensitzen und lange darüber nachdenken, wie man denn auf welche Weise gemeinsam Ziele durchzusetzen versuchen kann, dann geht das zwar ganz gut, aber hinterher ist das alles nicht gewesen. Wir haben z. B. die Nettokreditaufnahme im ordentlichen Haushalt gesenkt. Wir haben sie mit diesem Nachtragshaushalt mit keinem Pfennig erhöht. Sie ist auf dem Niveau geblieben, das sie bei der Verabschiedung des Haushalts 1979 hatte. Ich frage mich wirklich, wofür denn diese Rede sein soll.
— Ich weiß, Sie haben der Presse auch einen Zettel in die Kästen gelegt, aber es wird kein Wort davon gedruck. Ihre Reizworte wie Inflation, Arbeitslosigkeit, Defizite — immer gegenseitig ausgetauscht — druckt kein Mensch mehr. Verlassen Sie sich darauf; ich kenne etwas davon. Deshalb, so finde ich, sollten wir uns auf den Haushalt, den Nachtragshaushalt konzentrieren und darlegen, worum es hierbei geht.Es geht um drei Programme, die verabschiedet werden müssen und von denen wir glauben, daß sie in Gang gesetzt werden müssen, damit sie in diesem Jahr noch greifen.Erstens geht es um ein Arbeitsmarktprogramm, dessen besondere Bedeutung darin liegt, in Arbeitsamtsbezirken mit mehr als 6 % Arbeitslosigkeit die Anpassung an die allgemeine Konjunktur nicht zu verlieren, d. h. dort nachzuhelfen, wo die Arbeitslosenquote besonders hoch ist. Das ist der neuere Effekt an diesem Arbeitsmarktprogramm. Er soll und wird dadurch erreicht werden, daß die Kolleginnen und Kollegen, die in einem solchen Bezirk noch im Betrieb sind, wegen Umstrukturierungsmaßnahmen nicht entlassen, sondern im Betrieb umgeschult werden. Das ist eine neue Variante dieser Politik, die wir sehr begrüßen und von der wir glauben, daß sie vernünftig ist.Darüber hinaus wollen wir mit diesem Programm schlecht vermittelbare, auch schlecht ausgebildete Arbeitnehmer eingliedern. Dies ist — im Verhältnis zur Zahlung des Arbeitslosengeldes — für den einzelnen besser und für die Allgemeinheit billiger. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, der auch von der Opposition mindestens gewürdigt werden muß.Es ist falsch, so zu tun, als stünden wir nach der Absenkung der Arbeitslosenquote um 150 000 Arbeitslose sozusagen kurz vor der Vollbeschäftigung. Das ist falsch. Ich finde es gut — und wir begrüßen es ausdrücklich —, daß der Arbeitsminister diesen Vorschlag gemacht hat. Dabei geht es um die Bereiche, in denen es jetzt im wesentlichen darauf ankommt, dafür zu sorgen, die Leute wieder
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Grobeckerin den Betrieb zu bekommen bzw. sie möglichst gar nicht aus dem Betrieb herauszulassen.Beim zweiten Punkt geht es um ein Kapitalhilfeprogramm für die Gründung von Handwerksbetrieben. Damit wird die Lage in diesem wichtigen Sektor unserer Wirtschaft stabilisiert. Dieser positive Trend — Herr Haase, das ist im Gegensatz zu dem, was Sie hier gemalt haben, der positive Trend — zeigt: wir haben 10 000 mehr Neueröffnungen von kleinen Betrieben als Schließungen im letzten Jahr gehabt. Dieser positive Trend wird unterstützt. Wir halten diesen Teil des Programms für außerordentlich wichtig. Wir sehen darin eine wichtige Komponente im Mittelstandsbereich und halten es für notwendig, daß das jetzt gemacht wird.Drittens geht es um ein Soforthilfeprogramm für unseren Wirtschafts- und Bündnispartner Türkei, das auf internationalen Abmachungen beruht und zu dem wir auch aus eigenem Interesse verpflichtet sind, insbesondere deshalb, weil wir das Nord-SüdGefälle haben und weil wir, was den NATO-Partner Türkei angeht, dafür sorgen müssen, daß das dort nicht aus dem Ruder geht. Verursacht ist übrigens die dortige Krise nicht von dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten, sondern von seinen Vorgängern, die Ihnen sehr nahestehen.Für die finanziellen Aufwendungen dieses Programmes ist Deckung im Haushalt gefunden worden, und zwar unstreitig gefunden worden. Dennoch vermittelt Herr Haase hier den Eindruck, als hätten wir die Schulden erhöht. Das ist nicht der Fall. Wir haben aus dem ursprünglich eingeplanten Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit 200 Millionen DM für dieses Jahr herausstreichen können, nicht etwa willkürlich, sondern weil die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt es zuläßt.
— Sie wollten mehr. Wir sind da vorsichtiger; wir warten ab. Auch der Finanzminister hat angekündigt, es werde einen zweiten Nachtragshaushalt geben. Wir gucken uns das genau an.Bei den 12 Millionen DM, die für das Eigenkapitalhilfeprogramm in diesem Jahr notwendig waren und sind, haben wir bei der Rohölreserve nach unserer Auffassung Luft gehabt und diese 12 Millionen DM aufbringen können.Offen sind also, finanzpolitisch gesehen — und da hätten Sie sich einhängen können, das wäre auch ein wichtiges Bekenntnis für die Entwicklungshilfepolitik gewesen —, die Verpflichtungsermächtigungen für die Türkei in Höhe von 380 Millionen DM, von denen wir glauben, weil sie erst später abfließen, daß sie in den Haushalten der kommenden Jahre untergebracht werden können.Bei dieser Sachlage müßte man eigentlich mit einer positiven Haltung der CSU /CDU — ich bitte auf die Reihenfolge zu achten — rechnen können.
Wer das jedoch geglaubt hat, der hat weit gefehlt.Das Verhalten der Opposition ist auch in diesemFall — das hat man eben an der dramatischen Rede des Herrn Haase nochmal gesehen — dubios wie eh und je. Den Einzelmaßnahmen stimmen Sie zu, weil Sie dort keinen Verlust haben wollen. Den Gesamtnachtrag lehnen Sie ab. Ich frage mich, wer daraus noch schlau werden soll.
Ich gehe davon aus, daß Politwissenschaftler in Scharen ihre Seminare füllen werden, um das Verhalten der Opposition untersuchen zu lassen.
Wir sehen entsprechenden Forschungsaufträgen in der Politwissenschaft mit Interesse entgegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Haase, zwei Vorbemerkungen möchte ich doch noch machen.Erstens. Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben, was heute hier im Plenum insgesamt abgelaufen ist. Wenn Sie die Thematik Zivilschutz /Gesamtverteidigung noch einmal vor Ihren Augen Revue passieren lassen und die Forderungen Ihrer übrigen Kollegen mit Ihrer Rede addieren, dann bleibt relativ wenig übrig.
Sie haben ja auch bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer mitgemacht und sie für notwendig gehalten. Heute kommen Sie jedoch auf die Idee, zu sagen, das sei kein Betrag mehr zur Konsolidierung des öffentlichen Haushalts. Man muß in Ihrer Fraktion nicht immer nur auf einen hören, der jetzt nicht mehr da ist. Die Ratschläge sind möglicherweise in aller Regel nicht hilfreich für Sie — aber vielleicht für uns. Halten Sie sich bitte nicht immer daran.Die Frage, wie wir unseren Haushalt konsolidieren können, haben wir nach meinem Eindruck richtig angepackt. Ich glaube, daß wir darüber noch in den nächsten Jahren gemeinsam zufrieden sein können.
— Aber, Herr Friedmann, das Thema läßt sich doch nicht durch Zwischenrufe erledigen. Wir müssen doch einmal genau hingucken. Der Kollege Grobecker hat Ihnen das doch vorgerechnet. Bei diesem Thema darf man doch nicht so mißtrauisch sein. Das sind ganz normale arabische Zahlen.
Da kann man einfach addieren und feststellen, daß es nicht so ist, wie Sie es darstellen.
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GärtnerVielleicht darf ich mir die Freiheit nehmen, über die Schwerpunkte dieses Nachtragsetats zu reden. Ich finde, dieser Etat hat es verdient. Es geht besonders um das Existenzgründungsprogramm, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Unterstützung für die Türkei.Das ist alles im Grund unbestritten. Eigentlich könnte, wie der Kollege Grobecker gesagt hat, die Union jetzt zustimmen. Man könnte natürlich fast versucht sein, jetzt eine Einzelabstimmung über die Programme herbeizuführen. Es wäre schon ein merkwürdiges Verfahren, wenn Sie einzelnen zustimmen und insgesamt ablehnen würden. Aber auch das kriegen Sie vielleicht noch hin.
Das Existenzgründungsprogramm ist nach meinem Eindruck gut angelegt. Es werden Anreize für zusätzliche Existenzgründungen geschaffen. Daher wird auch dieses Programm einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, daß es eine breitere Schicht leistungsfähiger kleinerer und mittlerer Unternehmen auch in Zukunft geben wird.Das Existenzgründungsprogramm kommt auch in einer Situation, wo nach Meldungen z. B. des Kreditgewerbes die Konkurse in der Bundesrepublik Deutschland abnehmen, was sich aus der Statistik ablesen läßt. Lieber Herr Kollege Haase, ich bitte Sie herzlich, auch darüber einmal zu reden, nicht nur immer über das, was Ihnen paßt, sondern darüber, wie die Wirklichkeit ist. In unserem Land ist die Zahl der Konkurse weit niedriger als in den vorigen Jahren. Sie würden natürlich, wenn Sie hier die umgekehrten Zahlen vortragen könnten, sagen, daran seien wir schuld, aber Sie würden wohl niemals zugeben, daß vielleicht der Hauch einer Möglichkeit besteht, daß wir an der positiven Entwicklung schuld sind. Es ist erfreulich, daß dieses Programm läuft. Ich glaube, daß wir mit der notwendigen Deckungsvorlage gemeinsam auch in Zukunft arbeiten können.Die Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik sind nach meinem Eindruck geeignet, in regionalen Problemgebieten die Schwächen auszugleichen, die durch eine anspringende Konjunktur nicht sofort behoben werden können. Diese flankierenden Maßnahmen ergänzen eine wirtschaftspolitische Konzeption der Bundesregierung, deren Erfolg nicht mehr prognostiziert zu werden braucht, sondern real eintritt. Insgesamt betrachtet hat sich in der Bundesrepublik Deutschland eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung eingestellt, die die ärgsten Kritiker verstummen läßt und einen Großteil der früheren Kritiker zu Aktivitäten oder jedenfalls zur Bewältigung innerparteilicher Machtkämpfe bringt. Auf einer sicheren wirtschaftlichen Grundlage lassen sich auch Kandidatenstreitereien mit gutem Gewissen führen.
Dennoch ist in diesem Zusammenhang ein Wort auch darüber zu verlieren, daß der Haushaltsausschuß bei der Beratung des Nachtragsetats die Bundesregierung und ihre Prognosen über die Entwicklung des Arbeitsmarkts sehr viel ernster genommen hat als die Bundesregierung ihre eigenen Prognosen. Denn bei der Bemessung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit hat der Haushaltsausschuß die Projektion der Bundesregierung auf ihre finanziellen Auswirkungen hin überprüft und festgestellt, daß die Entwicklung der Arbeitslosenzahl, die die Bundesregierung selber in ihrer Projektion der zentralen Eckdaten für die Haushaltsberatung 1980 und für die mittelfristige Finanzplanung bis 1983 festgesetzt hat, eine Korrektur der bisherigen Zuschußmasse erforderlich gemacht hat.
— Wir machen nur Dinge, Herr Prinz Botho zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, die den Arbeitsminister freuen.
-- Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, um mir nicht in dieser Frage wieder eine Korrektur von Ihnen gefallen lassen zu müssen.
Der Haushaltsausschuß hat sich auf eine Sperre der Ausgaben verständigt. Wir waren der Auffassung — und ich gehe davon aus, daß die Entwicklung in dem vor uns liegenden Zeitraum bis zum Jahresende uns recht geben wird —, daß die ursprünglich vorgesehenen Mittel nicht in voller Höhe notwendig sind. Aus diesem Grund hat der Haushaltsausschuß diese qualifizierte Sperre vorgenommen. Beim zweiten Nachtragshaushalt werden wir gemeinsam die Möglichkeit haben, eine entsprechende Absenkung der Nettokreditaufnahme möglich zu machen.Daher verstehe ich überhaupt nicht die Aufregung, die Sie, Herr Kollege Haase, hier produziert haben. Wir im Haushaltsausschuß sind gemeinsam dieser Auffassung gewesen. Herr Kollege Grobekker hat Ihnen für den Bereich der Mitarbeiter eine Empfehlung gegeben. Ich würde an Ihrer Stelle nochmals versuchen, auch bei der Fertigung einer eigenen Rede vielleicht ein bißchen sorgfältiger zu sein.Ich bin der Auffassung, daß wir mit dieser Maßnahme ein Signal der Bundesbank aufnehmen und daher auch bereit sein werden, bei der Beratung des zweiten Nachtragshaushalts entsprechend aktiv zu werden. Im übrigen ist es wohl auch nicht völlig falsch, wenn der Bundestag selber über einen nicht unansehnlichen Betrag einen sogenannten eigenen Vorbehalt setzt und der Bundesregierung zwar die Freiheit läßt, das, was sie für notwendig hält programmatisch zu formulieren, diese den Betrag dann aber eben nur im Einvernehmen mit dem Parlament realisieren kann. Das mag für den einen oder anderen ein Stück parlamentarisches Selbstbewußtsein sein, aber nach meinem Eindruck ist dies so schlecht nicht.
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GärtnerNichtsdestoweniger wird es auch bei den künftigen Beratungen darauf ankommen, die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen einer realistischen Erfolgskontrolle zu unterziehen. Es darf nicht sein, daß — ähnlich wie bei der Gemeinschaftsaufgabe — zwar immer von Erfolgskontrolle geredet, diese aber nie realisiert wird.Der dritte Schwerpunkt dieses Nachtragsetats ist die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 um 380 Millionen DM. Dieses ist Ausfluß der langen Verhandlungen, die dazu geführt haben, daß die OECD-Staaten einen Betrag von 900 Millionen US-Dollar als Soforthilfe für die Türkei zur Verfügung gestellt haben. Dies war eine Hilfsaktion, die unter Federführung des Bundeskanzlers koordiniert wurde und zu deren Gelingen der niedersächsische Finanzminister Walther Leisler Kiep, der Ihnen mit Sicherheit nähersteht als uns, einen hervorragenden persönlichen Beitrag geleistet hat. Von daher verstehe ich nicht, weshalb Sie diese Leistung des niedersächsischen Finanzministers auf die Art und Weise würdigen wollen, daß Sie diesen Gesetzentwurf nun auch noch ablehnen. In Ihrer Partei ist es mit dem Lob und dem Dank immer etwas schwierig; aber damit müssen Sie zu Rande kommen.
— Im Verhältnis zu Ihnen bestimmt. Das gebe ich zu.Ich möchte darauf hinweisen, daß es sich hier um eine Hilfe handelt, die uns nicht nur unter eigennützigen außen- oder sicherheitspolitischen Gesichtspunkten notwendig erscheint. Es geht für die Bundesrepublik Deutschland nicht nur darum, einen sogenannten Nord-Süd-Dialog zu führen, der im Grunde genommen an der Ecke, der wir relativ nahe liegen, aufhört. Es ist vielmehr auch notwendig, an den Rändern eines wohlsituierten Europas die Probleme zu lösen, die der Lösung bedürfen. Hier kann und darf sich die Bundesrepublik Deutschland einer Hilfe nicht verschließen. Hier darf aber auch nicht verschwiegen werden, daß das Land, dem wir helfen wollen, von sich aus ebenfalls genügend Anstrengungen unternehmen muß, damit eine Hilfe, die hier in der Bundesrepublik Deutschland sehr viel Geld kostet, dort auch sinnvoll angewandt wird. Ein Land darf sich Inflationsraten bis zu 40 und 50 % nicht leisten. Solche Probleme müssen im eigenen Land und können nicht von Freunden im Ausland gelöst werden.Die Stichworte in dieser Debatte zum zweiten Nachtragshaushalt — Haushaltsplan 1980 und Einzelplan 23 — werden uns in der nahen Zukunft noch stärker beschäftigen. Ich gehe davon aus, daß die zukünftigen Beratungen über die Höhe der deutschen Entwicklungshilfe zu einem angemessenen deutschen Beitrag zur Lösung auch der Probleme im Nord-Süd-Dialog führen werden. Nur dann bleibt man nach meinem Eindruck glaubhaft, wenn man die Probleme, die sich aus der Ölpreisentwicklung ergeben, auch in den Griff zu bekommen versucht. Wer von Ölkrieg oder Verteilungskrieg in diesem Zusammenhang spricht, muß sich selbst dazu bereit erklären, die notwendigen Maßnahmen öffentlicher Entwicklungshilfe zu fördern, damit die Länder der Dritten Welt in die Lage versetzt werden, die vor ihnen liegenden Schwierigkeiten auch selbst zu überwinden. Die Konfliktlage, die sich aus der Ölpreisentwicklung ergeben kann, kann zwar nicht vollends abgebaut, meines Erachtens aber gemildert werden, wenn gerade die Bundesrepublik Deuschland einen erhöhten und engagierten Beitrag leistet, um die Entwicklung in den unterentwickelten Ländern dieser Welt zu verbessern. Von daher bin ich sehr optimistisch, daß von all denjenigen, die das Szenario so kriegerisch beschrieben haben, auch die notwendigen Konsequenzen bei den zukünftigen Haushaltsberatungen gezogen werden.Die Vorlage des zweiten Nachtragshaushalts wird der Regierung sehr viel leichterfallen, denn sie hat dort auch auf der Einnahmenseite einiges an Positivem zu verbuchen. Ich gehe davon aus, daß die entsprechende Absenkung der Nettokreditaufnahme zügig voranschreiten wird und die Konsolidierungsphase im Haushalt 1980 auch manifest wird. Herr Kollege Haase und Herr Kollege Riedl, Sie werden wahrscheinlich überrascht werden. Wir werden uns ja noch einmal treffen und sehen, was passiert. Ich glaube, wir werden am Ende recht behalten. Keiner wird in diesem Hause einer Hau-ruck-Konsolidierung das Wort reden, Ich bin aber sicher, daß wir im Haushalt 1980 entsprechende Signale finden werden. Einstimmung und Auftakt für die künftigen Haushaltsberatungen sind durch die Sperre im Einzelplan 11 bereits gegeben. Ich hoffe, daß wir auf dieser Wellenlänge auch die künftigen Beratungen sehr freundschaftlich und für die Sache sehr dienlich gemeinsam zu einem Abschluß führen werden.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesregierung dankt den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und dem Vorsitzenden dieses Ausschusses für die zügige Behandlung des vorliegenden Nachtragshaushalts.Die Bundesregierung und das Parlament machen erneut die Erfahrung, daß das etwas schwerfällige Vehikel einer Haushaltsberatung doch leicht und schnell bewegt werden kann. Damit wird es möglich sein, die beiden Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in besonderen Problemregionen und zur Förderung von Gründungen unternehmerischer Existenzen noch vor der Sommerpause anlaufen zu lassen. Darüber sollten wir uns eigentlich alle freuen.
Nun hat Herr Kollege Haase — wie schon mehrfach betont — nicht vom Nachtragshaushalt, sondern von anderen Dingen gesprochen.
Ich bedaure sehr, daß er gewissermaßen genußvollvon der Tatsache gesprochen hat, daß wir es in der
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Parl. Staatssekretär HaehserBundesrepublik Deutschland mit einer etwas schneller gewordenen Aufwärtsentwicklung der Preissteigerungsrate zu tun haben.
Dieses Genußvolle, das ich herausgehört habe
— und nicht ich allein —, ist ganz gewiß auf die Meinung zurückzuführen, die Herr Haase hat, wonach das, was der Regierung schadet, der Opposition etwa Nutzen bringen könne.
Meine Damen und Herren, bei der Preissteigerungsrate ist es aber so, daß das, was der Regierung schadet, unserem ganzen Volk schadet.
Deswegen bitten wir um Bundesgenossenschaft bei der Abwehr dieser Preissteigerung und nicht darum, daß gewissermaßen händereibend zugesehen wird, wie die Regierung mit diesen Dingen fertig wird.
Herr Haase hat dann davon gesprochen, daß mit der Mehrwertsteuererhöhung sozusagen Öl ins Feuer der Preisentwicklung gegossen werde. Herr Kollege Haase, Sie und andere haben die Erfahrung gemacht, daß die Mehrwertsteuererhöhung, die wir hinter uns haben, nicht verhinderte, daß wir im gleichen Jahr, in dem diese Mehrwertsteuererhöhung wirksam wurde, die niedrigste Preissteigerungsrate in den letzten zehn Jahren hatten.
Ich verneine also die Zwangsläufigkeit des Zusammenhangs von Mehrwertsteuererhöhung und Erhöhung der Preissteigerungsrate. Ich bitte Sie, einen solchen Zusammenhang nicht mit Selbstverständlichkeit vor diesem Hause darzutun.
Ich will Herrn Haase ein Drittes sagen.
Das, was Sie in Richtung Bundesbank und Bundesbankpräsident gesagt haben, würde anderswo sozusagen als Nötigung empfunden.
— Sie wissen doch, daß Sie mich nicht aus der Ruhe bringen.Ich kann hier nur sagen: Der Bundesbankpräsident hat an den Beratungen des Bundeskabinetts teilgenommen. Er hat das Bundeskabinett gebeten, bei seinen Überlegungen für den Haushalt 1980 eine niedrigere Kreditaufnahme vorzusehen. Er hat aber dasBundeskabinett nicht überzeugen müssen; denn das genau war auch die Meinung der Bundesregierung.
Freuen Sie sich also, daß Bundesbank und Bundesregierung einer Meinung sind, und beklagen Sie das nicht! Achten Sie im übrigen die Autonomie der Deutschen Bundesbank so, wie es auch die Bundesregierung tut.
Meine Damen und Herren, zurück zu den beiden Programmen: Sie sind als Ergänzung zu den bereits bestehenden staatlichen Förderungsinstituten gedacht und sollen die Möglichkeit der staatlichen Unterstützung in einer Weise abrunden und ergänzen, die der gegenwärtigen Wirtschaftssituation angepaßt ist, aber auch der Finanzlage des Bundes Rechnung trägt.Die Wirtschafts- und Konjunkturdaten gerade der letzten Zeit sind erfreulich. Nicht nur die Auftrags- und Produktionszahlen zeigen eine steigende Tendenz, sondern vor allem ist deutlich sichtbar ein Rückgang der Zahlen bei der Arbeitslosigkeit eingetreten.Dennoch gibt es bestimmte Gebiete mit Problemen. Das sind Regionen, die an der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung nicht in dem gewünschten Umfang Anteil hatten. Hier muß der Staat im Zusammenwirken mit der Wirtschaft auf diese Regionen abgestimmte Programme entwickeln und unterstützen. Diesem Ziel dient das arbeitsmarktpolitische Programm. Mit ihm soll in diesen Regionen der weiteren Arbeitslosigkeit vorgebeugt und die Wiedereingliederung Arbeitsloser erleichert werden.Mit dem Existenzgründungsprogramm setzt die Bundesregierung ihre wettbewerbs- und marktwirtschaftlich orientierte Politik fort, indem sie Anreize für neue, zukunftsreiche unternehmerische Initiativen gibt. Unternehmerische Initiativen sind gegenwärtig aber noch oft durch eine zu schmale Eigenkapitalbasis gehemmt, die den Zugang zu Bankkrediten erschwert. Hier bedarf es einer ergänzenden Hilfe. Dies geschieht durch persönliche Darlehen bis zu 100 000 DM mit einer Laufzeit von 20 Jahren, davon 10 Jahre tilgungsfrei. Diese Wirkung ist hier durch die überflüssige Polemik des Kollegen Haase fast überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen; deswegen sage ich das.Das Besondere dieser Darlehen liegt darin, daß sie Eigenkapitalfunktion haben, d. h., vom Existenzgründer nicht abgesichert zu werden brauchen. Im Konkursfall haften diese Beträge unbeschränkt.Nun ist mehrfach vom zweiten Nachtragshaushalt dieses Jahres gesprochen worden. Ich will hier bestätigen, daß die Bundesregierung vorhat, im Herbst einen solchen zweiten Nachtragshaushalt vorzulegen. Dabei werden zu berücksichtigen sein eine Aufstockung der Kokskohleförderbeihilfe, eine Kapitalaufstockung bei einem großen Unternehmen, an dem der Bund beteiligt ist, und es wird für die Erfüllung einer Reihe unabweisbarer internationaler Verpflichtungen nötig sein, Barmittel bereitzustel-
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Parl. Staatssekretär Haehserlen, die wir jetzt per Verpflichtungsermächtigung angekündigt haben.
Die Bundesregierung möchte nur diese erheblichen finanziellen Auswirkungen in den Nachtragshaushalt aufnehmen. An eine Aktualisierung aller Ausgabenansätze des Haushalts ist dabei nicht gedacht.
Auf der Einnahmenseite wird im zweiten Nachtrag das Ergebnis der Steuerschätzung mit der Verbesserung für 1979 zu berücksichtigen sein. Ich sage Ihnen hier voraus, daß in der deutschen Öffentlichkeit das ganz deutlich spürbar wird, was die Opposition zur Zeit noch ignoriert, daß nämlich der Weg der Konsolidierung unserer Staatsfinanzen in Gang gekommen ist.
Diesem Weg mußte allerdings ein Aufschwung unserer Wirtschaft vorausgehen, für den wir die hohe Neuverschuldung des Bundes in Kauf genommen haben, im Interesse des Abbaus der Arbeitslosigkeit und im Interesse der Menschen, die in der Wirtschaft auf der einen und auf der anderen Seite tätig sind.Wenn Sie, Herr Kollege Haase, für Ihre kleine Gruppe hier im Parlament, wie sie sich heute abend darstellt — —
— Herr Kollege Riedl, mit seiner ganzen Rede hat Herr Kollege Haase bewiesen, daß er nicht rechnen kann; fügen Sie mit Ihren Zwischenbemerkungen nicht noch einen weiteren Beweis an. Gucken Sie sich einmal die beiden Seiten an!Wenn die Opposition hier erklärt, sie lehne den Nachtragshaushalt ab, dann bedauert die Bundesregierung dies, kann es aber nicht ändern. Sie tun das in der Auffassung: Die ganze Richtung stimmt nicht. Wir sagen Ihnen: Sie stimmt. Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe auf die Nachträge zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1979 — Einzelpläne 01, 09, 11 und 23 — in der Ausschußfassung sowie den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1979 — Nachtragshaushaltsgesetz 1979 —, und zwar die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Ich bitte diejenigen, die dem zuzustimmen wünschen, sich zu erheben! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen.
Der Nachtragshaushalt 1979 ist damit in dieser Fassung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes für die Haushaltsjahre 1975 und 1976 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
— Drucksachen 8/373, 8/1164, 8/2124, 8/2962 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Simonis
Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Metz. Wir sind in einer Kurzdebatte. Ich bitte, sich an die 10 Minuten zu halten oder auch kürzer zu sprechen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die öffentliche Hand wirtschaftet für Rechnung der Bürger, und sie wirtschaftet mit dem Geld der Bürger. Sie hat daher auch Rechnung zu legen. Der Bundesrechnungshof prüft diese Rechnung, indem er Schwerpunkte setzt und seine Prüfungen auf Stichproben beschränkt. Wenn seine Bemerkungen zur Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes für die Haushaltsjahre 1975 und 1976 dennoch die stattliche Zahl von über 530 Beanstandungen enthalten,
so mag man daraus sehen, wie wichtig und wie unverzichtbar diese Prüfungstätigkeit ist. 530 Beanstandungen bedeuten ja nichts anderes als ebenso viele Einzelfälle mangelhafter Bewirtschaftung der Steuergelder unserer Bürger,
mangelhafte Bewirtschaftung, für die die Bundesregierung die politische Verantwortung trägt.
Das Entlastungsverfahren gewährleistet eine parlamentarische Diskussion über die Haushalts- und Wirtschaftsführung, und der Bundesregierung sollte die Entlastung für die Haushaltsjahre 1975 und 1976 nicht erteilt werden, ohne daß zuvor kritisch auf einige Sachverhalte aus der Haushaltsführung dieser beiden Jahre eingegangen wird.Der Inhalt der Bemerkungen des Rechnungshofs macht jeweils zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen Schlagzeilen; also im vorliegenden Fall im Mai bzw. im November 1977 und im September 1978. Dabei wird nicht in der zurückhaltenden Sprache des Rechnungshofs, sondern wesentlich deutlicher gesagt, worum es geht, nämlich um Geld, das wehtut, um Verschwendung als Begleiterscheinung übergroßer Verwaltungen. Wer die Bemerkungen liest, erhält einen tiefen Einblick in die bunte Viel-
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Metzfait und die bisweilen geradezu schöpferische Energie und Phantasie der Exekutive im Umgang mit fremdem Geld.
Nicht ohne Grund hat der damalige Präsident des Bundesrechnungshofs, Dr. Schäfer, bei der Vorlage der Bemerkungen für das Jahr 1975 schärfere Sanktionen gegen die Verschwendung von Steuergeldern, wie etwa Regreßforderungen und disziplinarische Maßnahmen gegen die Verantwortlichen verlangt. Dem sollten wir uns anschließen. Aus der Fülle des dargebotenen Materials möchte ich zwei Sachkomplexe herausgreifen und kurz kommentieren.Einmal geht es um die über- bzw. außerplanmäßigen Ausgaben zu Lasten der Haushaltsjahre 1975 und 1976. Nach Artikel 112 GG dürfen solche Ausgaben nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. Mai 1977 hinsichtlich des Notbewilligungsrechts des Bundesfinanzministers klare Grenzen gezogen. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinen Prüfungserinnerungen wiederholt darauf hingewiesen, daß Haushaltsüberschreitungen verringert werden könnten, wenn vor Verabschiedung des Haushaltsplans sich abzeichnende Entwicklungen mit finanzieller Auswirkung rechtzeitig berücksichtigt und in den Haushaltsplan eingestellt würden. Der Bundesrechnungshof stellt zu Recht fest, daß solche Ausgaben eben nicht unvorhergesehen sind. Für das Haushaltsjahr 1975 wurden rund 645 Millionen DM über- und außerplanmäßige Ausgaben geleistet, obwohl die Bundesregierung am 22. Oktober des Jahres 1975 noch einen Nachtragshaushalt eingebracht hatte. Nach Feststellung des Bundesrechnungshofes war der überwiegende Teil dieser Ausgaben nicht unvorhergesehen. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung waren also offensichtlich nicht erfüllt.Das gleiche gilt für das Haushaltsjahr 1976, für das die über- und außerplanmäßigen Ausgaben sogar gut 1,2 Milliarden DM betrugen. Das heißt, in beiden hier zur Debatte stehenden Jahren wurden zusammen über 1,9 Milliarden DM am Parlament vorbeigeleitet.
Meine Damen und Herren, zu einem anderen Punkt. Ich möchte hier das bundeseigene Unternehmen DIAG, also die Deutsche Industrieanlagen GmbH in Berlin, ansprechen. Unter der Überschrift „Fehlentwicklung eines Bundesunternehmens infolge unzureichender Einflußnahme des Bundes" beginnt der Bundesrechnungshof seine Bemerkungen zu diesem Punkt mit dem Satz:Der Bund ist mit Mehrheit— das ist übrigens eine sehr große Mehrheit —an einem Unternehmen beteiligt, bei dem in den letzten Jahren Verluste von mehreren hundert Millionen DM entstanden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist ein trauriges Kapitel, dessen Ende bis auf den heutigen Tag nicht in Sicht ist. Wir haben heute nur über die Jahre 1975 und 1976 zu befinden. Ich darf Ihnen aber in dem Zusammenhang die Debatte vom Donnerstag vergangener Woche in die Erinnerung zurückrufen, als es um den ERP-Wirtschaftsplan 1979 ging, und damit die Tatsache, daß die Verluste des Unternehmens mittlerweile bei fast 1,2 Milliarden DM liegen.Der Rechnungsprüfungsausschuß hat die Bundesregierung gebeten, wegen der verschwendeten Steuergelder die Haftungsfrage wirklich ernsthaft zu prüfen.
Es gilt natürlich, was der Kollege Dr. Warnke in der vorigen Woche für meine Fraktion erklärt hat, daß die Union nämlich unverzüglich in diesem Punkt Rechenschaft von der Bundesregierung fordert.
Meine Damen und Herren, der gesamte Ausschuß erwartet, daß der zuständige Bundesminister seiner Verantwortung gegenüber dem Unternehmen, gegenüber den Beschäftigten der DIAG und gegenüber dem Steuerzahler nachkommt und seine Einflußmöglichkeiten weitaus stärker als in der Vergangenheit wahrnimmt, gerade auch im Interesse der Berliner Arbeitsplätze.Mein besonderer Dank gilt zum Schluß dem Rechnungshof und seinen Mitarbeitern für ihre wirklich hervorragende Zuarbeit.
Meine Damen und Herren, ich verhehle auch nicht meine Genugtuung darüber, daß die Kontrollfunktion des Rechnungsprüfungsausschusses von allen Mitgliedern dieses Ausschusses gleichermaßen wahrgenommen wird und nicht nur vorrangig von denen der augenblicklichen Opposition.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Haase, ich dachte, Ihr Engagement wäre durch fast nichts mehr zu übertreffen, Ihren Mut zur Attacke, Ihr Einsteigen, Ihre Erregung über Zahlen. Nur einmal im Jahr bekommen Sie Konkurrenz, nämlich dann, wenn sich der öffentliche Pressewald der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes annimmt. Was wir nachher in einer Art Trauerarbeit in stundenlangen Sitzungen mit Hilfe der Mitarbeiter des Ausschusses und der Mitglieder des Bundesrechnungshofes herausarbeiten, findet dann nur noch geringes Interesse. Das ist eigentlich bedauerlich, aber so geht es nun einmal, wenn man sich so aufregt. Vielleicht sollten Sie sich das für die nächste Rede merken. Regen Sie sich gleich gar nicht erst auf, es lohnt sich nicht.Es hat natürlich zum Teil daran gelegen, daß das, was wir aus den Bemerkungen herausgearbeitet ha-
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Frau Simonisben, nicht so richtig aufgenommen wurde, weil zwischen der Kontrolle und dem, was wir bearbeitet haben, meistens zehn Jahre gelegen haben. Wer interessiert sich noch nach zehn Jahren dafür, was Beamte, die in der Zwischenzeit pensioniert, versetzt oder sogar befördert worden sind, für Fehler gemacht haben?
— Das letztere ist häufiger der Fall und besonders ärgerlich.In der Zwischenzeit ist es uns aber gelungen, diese Spanne auf zwei Jahre zu drücken, so daß für die Ressorts der „Mißstand" eintritt, daß sie nicht mehr wie früher sagen können: „Das war ich gar nicht, das war der Kollege XYZ" oder „das weiß ich nicht". Es ist insoweit ein Beweisnotstand eingetreten, als sie selbst sagen müssen, was sie gemacht haben. Das mag, wie ich glaube, auch einen Einfluß darauf haben, daß wir in den Sitzungen des Rechnungsprüfungsausschusses so lange sitzen müssen; denn wer gibt schon gerne selbst zu, einen Fehler gemacht zú haben!Für die Parlamentarier ist die Situation auch insoweit erfreulicher, als wir jetzt nicht mehr nur zur Kenntnis nehmen und danach die Bemerkung „ohne weitere Konsequenzen" machen, weil eben Herr XY nicht mehr da ist, sondern für die laufenden Haushaltsjahre durchaus Konsequenzen ziehen können. Dies ist manchmal sehr viel wirksamer als das nachträgliche Durchkauen, warum Herr X 10 000 Putzlumpen statt 1 000 bestellt oder Herr Y eine Genehmigung zum Bau gegeben hat, obgleich die letzte Unterschrift noch nicht auf der langen Liste derjenigen stand, die unterschreiben mußten.Es geht hier nicht darum, daß man generell Mißtrauen gegen Beamte oder andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes artikulieren will. Ich glaube, es geht im wesentlichen darum, daß man zunächst feststellt, daß die Mehrheit der Beamten ihre Pflicht tut, daß es aber offensichtlich zu Fehlern kommt. Die scheinen manchmal am System zu liegen, manchmal liegen sie am einzelnen Beamten. Manchmal liegen sie aber auch an uns Parlamentariern. Wir hatten gerade in diesem Jahr einen Fall zu „begraben", wo wir alle, glaube ich, allzumal gesündigt haben, die Parlamentarier wohl noch schlimmer als die ganze Verwaltung zusammengenommen.
— Das liegt nicht an der großen Zahl. In dem einen Fall, an den wir beide jetzt denken, war es eindeutig unsere Schuld, daß es überhaupt dazu gekommen ist.Ein Problem, vor dem wir Parlamentarier normalerweise stehen, ist, daß wir als einzelne wegen der Komplexität und der Schwierigkeit der Materie dem geballten Sachverstand eines Ministeriums mit 800 oder manchmal mehr Mitarbeitern außer einem hilflosen Schulterzucken überhaupt nichts entgegenzusetzen haben. Gerade aus diesem Grunde ist dieKontrolle, die uns die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ja überhaupt erst ermöglicht, besonders wichtig und besonders notwendig, und sie sollte ernst genommen werden und nicht nur zu einem kurzen Blätterrauschen in der Presse führen.Durch die zeitnahe Prüfung, wie wir sie jetzt haben, kommen aber sowohl der Bundesrechnungshof als auch die Parlamentarier in eine Klemme. Es ergibt sich nämlich die Schwierigkeit, daß Bemerkungen des Bundesrechnungshofes als Waffe in noch laufenden politischen Auseinandersetzungen von der einen oder der anderen Seite gebraucht oder mißbraucht und daher als politische Stellungnahmen interpretiert werden könnten.Normalerweise ist sich der Bundesrechnungshof dieser Gefahr durchaus bewußt und hält sich zurück. Wir haben allerdings diesmal bei den Beratungen die Grenze einige Male ziemlich klar ziehen müsen, um deutlich zu machen, daß wir nicht den mit Ärmelschonern bewaffneten und mit Furcht vor dem Bundesrechnungshof im Nacken dasitzenden Beamten haben wollen, der lieber gar nichts mehr tut, ehe er einmal einen Fehler macht, sondern daß es uns darum geht, daß die Mittel, die die Ressorts für bestimmte Aufgaben bekommen, sachgerecht, vernünftig und vor allem nach den Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung eingesetzt werden.Obgleich wir für Anregungen und Verbesserungsvorschläge des Bundesrechnungshofes immer dankbar sind, mußten wir also einige Bemerkungen des Bundesrechnungshofes — übrigens gemeinschaftlich mit der Opposition, also einstimmig — zurückweisen. Darauf werden wir auch in Zukunft achten, und zwar aus folgenden Gründen.Erstens. Die politische Bewertung der Regierungstätigkeit obliegt nicht dem Bundesrechnungshof, sondern den Parlamentariern, auch wenn es uns vielleicht nicht immer gelingt, eine vernünftige politische Bewertung zu treffen.
Zweitens wollen wir, wie gesagt, nicht den mit Ärmelschoneren bewaffneten, unbeweglichen Beamten, sondern einen mit dem Mut zum Risiko, der hinterher zu dem, was er gemacht hat, steht.Drittens wollen wir ja der Regierung helfen. Wir wollen ihr ja keine Steine in den Weg legen.
Und wenn die Regierung sozusagen immer erst einmal auf den Bundesrechnungshof starrt, statt zu handeln, ist es, wenn sie sich dann wieder am Schopfe gepackt hat und mutig geworden ist, manchmal zu spät.Diese Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen notwendiger politischer Kontrolle und hemmender politischer Wertung kann von Bundesrechnungshof und Parlament eigentlich nur dann geleistet werden, wenn man vertrauensvoll zusammenarbeitet, und ich hoffe, der Bundesrechnungshof hat unsere Zurückweisungen nicht als Zurechtweisungen empfunden, sondern sie so hingenommen, wie eben auch mancher Beamte das hat hinnehmen müssen,
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Frau Simoniswas wir ihm gesagt haben, oder wie auch wir uns einiges selber haben ins Stammbuch schreiben müssen.Zu dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit gehört allerdings — und das möchte ich jetzt in drei Bemerkungen kritisch anführen —, daß die Landesrechnungshöfe dem Bundesrechnungshof stärker als bisher Hilfestellung leisten. Es geht nicht an, daß, wie letztes Jahr in der Zeitung gestanden hat, ein Landesrechnungshof seine Mithilfe verweigert und sogar Hausverbot für die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes erteilt. Das hilft natürlich überhaupt gar nicht weiter.Dazu gehört natürlich auch — dies ist ein wichtiger Punkt —, daß die Länderbehörden, die im Auftrage des Bundes die Einhaltung baurechtlicher Richtlinien zu beobachten haben, nicht nach dem Moto „Erst werden die Projekte des Landes durchgeführt, und das, was an Zeit dann noch übrigbleibt, widmen wir dem Bund" verfahren, so daß der Bund, wenn er die Mittel ausgeben will — und wer es mit Haushältern zu tun hat, weiß: wenn man Mittel nicht ausgibt, werden sie nächstes Jahr gestrichen, also ist Eile geboten, um das Geld noch wegzubekommen, bevor das Jahr zu Ende ist —, sozusagen gezwungermaßen in die Situation versetzt wird, daß man sich nicht mehr ganz an das hält, was die Bauunterlage vorschreibt. Dies führt dann zu Bemerkungen und zu einem Hin und Her, wer nun eigentlich schuld sei. Ich kann nur an die zuständigen Oberfinanzdirektionen bzw. Bauaufsichtsbehörden appellieren, hier ein bißchen kooperativer zu sein, als es in der Vergangenheit manchmal der Fall war.Die dritte Frage — diese möchte ich an den Bundesrechnungshof stellen, und sie müßte auch von dort einmal geklärt werden — ist, ob es wirklich — ein Beispiel wurde ja vom Kollegen Metz genannt — immer ausreicht, daß in jedem Fall nur eine einzige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft damit beauftragt wird, das Testat über die Unbedenklichkeit der Bezuschussung oder Finanzierung bestimmter Aufgaben zu erteilen. Ich will nicht sagen, daß diese Aufgabe mit Absicht nicht voll wahrgenommen wird, sondern bin der Meinung, daß es manchmal tatsächlich zu schwierig ist, bestimmte Anlagengeschäfte, vor allem dann, wenn sie im Ausland stattfinden, so zu bewerten, daß sie uns nicht hinterher viel Geld kosten, wie es ja in dem einen Falle gewesen ist, den Sie geschildert haben.
— Bei bundeseigenen Unternehmen. Bei nicht bundeseigenen Unternehmen muß man sehen, daß man mit den Hausbanken zurechtkommt oder ob es irgendwie anders zu machen ist. Wir haben bei den Diskussionen im Rechnungsprüfungsausschuß festgestellt, daß, obgleich Testate, über die Unbedenklichkeit vorgelegen haben, es hinterher eben doch nicht ganz so unbedenklich gewesen ist.Trotz aller Bemerkungen glaube ich, daß wir als Ergebnis unserer Trauerarbeit im Rechnungsprüfungsausschuß
— ach, es war nicht ganz so traurig im großen und ganzen; wir haben uns sogar teilweise amüsiert, muß ich zugeben — Sie bitten dürfen, dem Antrag des Haushaltsausschusses zuzustimmen, nämlich der Regierung für die Haushaltsjahre 1975, 1976 gemäß Art. 114 des Grundgesetzes Entlastung zu erteilen. Dies gilt insbesondere auch für die Sondervermögen Bundesbahn und Bundespost. Außerdem bitten wir Sie, eine Berichtigung aus dem Haushaltsjahr 1974 zur Kenntnis zu nehmen. Dies steht in der Ziffer 3 des Antrags.Zum Schluß darf ich Sie namens meiner Fraktion bitten, eine Entschließung mit drei Punkten anzunehmen, nämlich daß die Bundesregierung ersucht wird, bei der Aufstellung und der Ausführung der Bundeshaushaltspläne nicht nur Reue zu zeigen, sondern dem, was wir ihr gesagt haben, auch Rechnung zu tragen. Außerdem wird der Bundesminister der Finanzen ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß den Feststellungen des Haushaltsausschusses in Zukunft auch insoweit entsprochen wird, als wenigstens die haushaltsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden; dies ist eine Aufgabe, die wir dem Finanzminister aufbürden müssen. Schließlich muß mehr als in der Vergangenheit geprüft werden, ob nicht strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Konsequenzen gegenüber einzelnen Beamten, einzelnen „schwarzen Schafen" gezogen werden müssen, was dann aber bitte nicht vier Jahre dauern darf, bis die Pensionsgrenze erreicht ist und dem Herrn nichts mehr passieren kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
— Das ist zwar richtig, Herr Kollege Haase; aber wenn bei uns einer da ist, reicht das immer noch mehr aus, als wenn bei Ihnen zwei da sind.
Ich will ganz kurz nur noch einige Anmerkungen machen. Es ist im Rechnungsprüfungsausschuß jetzt nicht mehr so, daß wir in alten, vergilbten Vorgängen herumstochern und uns mühsam an die Prüfung begeben, wer da wohl in irgendeiner Form mit oder ohne Ärmelschoner irgendeinen Vorgang schlechterdings in den Teich gesetzt hat. Ich glaube, daß die Arbeit, die wir geleistet haben, uns alle gemeinsam so ein bißchen zufrieden machen kann. Von daher mögen es einem die Kollegen, die nicht im Rechnungsprüfungsausschuß sind, nachsehen, daß man auch dann noch zu einem Thema wenigstens kurz spricht, wenn es einige andere vielleicht schon zu irgendeiner anderen Gelegenheit hinzieht.Ich wollte noch einige kurze Bemerkungen zu einigen Punkten machen, die in der öffentlichen Diskussion im Augenblick eine Rolle spielen, z. B. zu der Frage, ob die Instrumente ausreichen, ob man das
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13074 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
GärtnerDisziplinarrecht verändern oder was man sonst machen sollte.Zu dem Gedanken, neue Strafrechtstatbestände einzuführen, neue Kriminalisierungen jetzt auch auf dieser Ebene zu schaffen, möchte ich sagen, daß das nach meinem Eindruck relativ wenig bringt. Der Versuch, sich über das Strafrecht, wie es so schön heißt, gesundzustoßen und zu einem Ergebnis zu kommen, bringt nach meinem Eindruck nichts. Das wird allenfalls einige Leute in Oberseminaren von Universitäten dazu bringen, Papier zu beschreiben; aber das Problem wird nach meinem Eindruck damit nicht gelöst. Man muß sich einmal vor Augen führen, daß die Strafrechtsvorschriften in totalitären Staaten sehr viel schärfer sind.
— Das „Kopf ab" ist eine Methode, von der man gelegentlich vermuten könnte, sie könnte bei Ihnen zur Lösung von innerparteilichen Streitigkeiten herhalten.
— Bitte, lassen wir das vielleicht. Über dieses Thema werden wir noch einmal in aller Breite diskutieren können. Ich habe mir sagen lassen, Sie haben sich die Sommerpause für Ihre Sitzungen reserviert. Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück und viel Erfolg.
— Das ist völlig richtig. Herr Metz, ich hätte Ihnen im Augenblick soviel Weisheit nicht zugetraut.Es hört sich . natürlich immer sehr gut an — und am Stammtisch kann man selbstverständlich eine ganze Menge in Bewegung bringen —, wenn man sagt, bei demjenigen, der diesen Betrag so oder so verwendet oder jenes falsch gemacht hat, müßte man doch einmal
— Das ist richtig. Die Größe und Ausstattung der Gegenstände, die wir im Ausschuß zu behandeln hatten, waren etwas umfangreicher. Das gebe ich auch zu. Nur darf man sich nicht der falschen Hoffnung hingeben, daß allein über die Verschärfung von Straftatbeständen das Problem gelöst werde. Deshalb meine ich, daß wir sehr viel nüchterner an die Sache herangehen sollten.Wichtiger als die Frage des Regresses ist nach meinem Eindruck, daß man auch bei der normalen Arbeit, selbst wenn es um kleine Projekte geht, in sehr viel stärkerem Maße das Kosten-Nutzen-Denken in der Verwaltung propagiert, damit wir in Zukunft schon bei kleinen Projekten nicht mehr die sogenannte Fehlleitung öffentlicher Mittel zu beklagen haben. Das gilt natürlich genauso bei großen Projekten. Gerade insoweit fragt man sich trotz Kosten-Nutzen-Analysen mehr als einmal, wenn man sich die Landschaft besieht: Was machen da eigentlich die Brücken ohne Autobahn?
— Auch das sind Tatbestände, die trotz Kosten-Nutzen-Analysen immer noch vorkommen. Aber das wird in Zukunft hoffentlich weniger werden. Die Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß haben die Verwaltung, wie ich finde, in dieser Frage problembewußter gemacht. Ich hoffe auch, daß beispielsweise das Instrument der Dienstaufsicht in den einzelnen Ministerien in Zukunft in sehr viel stärkerem Maße eingesetzt wird. Das wird vielleicht dazu beitragen, daß wir die Vorlage des Bundesrechnungshofes dann nur noch in ganz dünnem Format zur Kenntnis zu nehmen brauchen und nicht mehr vor dem Problem stehen, uns durch 500 — oder wie viele auch immer — Bemerkungen durchfressen zu müssen.
Aber wie schwierig das Verfahren schon im eigenen Bereich ist, sieht man ja am Beispiel des Hochhauses, das der Lange Eugen genannt wird. Offenbar haben damals einige Leute schlicht und einfach die Lektüre von Feuerschutzvorschriften versäumt, so daß das dadurch entstandene Problem heute mit sehr viel Mühe und Not durch Errichtung der Feutreppe erledigt werden muß. Da hat sich obendrein ganz offensichtlich auch noch ein schwieriges Problem in Sachen Kunst am Bau aufgetan. Aber auch an diesem Beispiel sieht man, daß das Entstehen von Problemen eigentlich durch ganz einfache Maßnahmen Verhindert werden kann.Ich bin der Meinung, wir haben eigentlich genug Gesetze und sonstige Vorschriften. Sie sollten zunächst angewendet werden. Dann wird man nach meinem Eindruck sehr viel weiter kommen.Es gibt die Überlegung, den Rechnungsprüfungsausschuß zu einem selbständigen Ausschuß aufzuwerten und damit nicht zuletzt eine gewisse öffentliche Reputation seiner Mitglieder zu erreichen. Ich muß sagen, ich habe mich nie unter Wert gefühlt, wenn ich im Rechnungsprüfungsausschuß als Unterausschuß des Haushaltsausschusses saß. Aber wenn es Leute gibt, denen es in irgendeiner Form eine bestimmte Befriedigung verschafft, wenn der Rechnungsprüfungsausschuß als eigenständiger Ausschuß firmiert, wäre ich selbstverständlich dafür. Ich bin nicht sicher, ob das der Problemlage, die wir dort zu beraten haben, unbedingt dienlich ist. Aber auch diesen Vorschlag sollte man vorurteilsfrei prüfen.Die Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß hat sehr viel Spaß gemacht. Sie hat sich auch, wie ich finde, gelohnt. Im übrigen hoffe ich, daß sich die Arbeit auch insoweit gelohnt hat, als die nächste Vorlage des Rechnungsprüfungsausschusses an das Plenum des Deutschen Bundestages noch dünner und die Verwaltung noch weiser werden wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Ich nehme an, daß wir über die Punkte 1 bis 4 dieser Empfehlung gemeinsam abstimmen können. — Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 8/2962 zuzustimmen
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Vizepräsident Frau Rengerwünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1979hier: Einzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung— Drucksachen 8/2511, 8/2791 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Dübber, HoppeWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2791, den Entschließungsantrag der CDU/ CSU auf Drucksache 8/2511 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der EuropäischenGemeinschaften über die künftige Methodeder Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts— Drucksachen 8/2695, 8/2795 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Abend wird nach meinem Eindruck sicherlich noch einen einvernehmlichen Ausgang nehmen; denn auch bei dieser letzten Vorlage, über die heute debattiert wird, gibt es keine Streitereien.Dem Hohen Hause liegt eine Entschließung zur Finanzierung des EG-Haushaltes vor. Der Anlaß für diese Entschließung sind zwei Mitteilungen der EG- Kommission. Die eine betrifft die Haushaltsprobleme der Gemeinschaft und die andere die künftige Methode der Finanzierung der Gemeinschaftshaushalte. In diesem zweiten Papier spricht sich die Kommission der EG in Brüssel für eine Erweiterung des Finanzrahmens ab 1982 aus. Dieser Finanzrahmen besteht heute aus Zöllen und Agrarabschöpfungen sowie aus Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, und zwar bis zu einem Prozentpunkt der Bemessungsgrundlage.Die Kommission schlägt nun vor — das sollten wir wohl bedenken —, diese Einnahmen dadurch zu verbessern, daß wir die Mehrwertsteuer von 1 % auf 2 % der Bemessungsgrundlage erhöhen. Sie nennt zwar auch noch andere Finanzierungsquellen, aber das geschieht mehr theoretisch. Sie befürwortet darüber hinaus die Einführung eines allgemeinen, zusätzlichen Kontrollmechanismus, um bereits auf der Einnahmeseite — das ist völlig neu — durch Entlastung der schwächeren Länder einen Umverteilungseffekt herbeizuführen. Nach dem bisherigen Verlauf der Orientierungsdebatte scheint man sich nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in den übrigen EG-Ländern darin einig zu sein, diese Überlegungen abzulehnen. Die Außen- und Finanzminister der EG-Länder meinen dies. Die Bundesregierung und auch der Bundesrat haben Bedenken, aber auch bei uns im Haushaltsausschuß ist man dieser Meinung. Alle Kollegen im Haushaltsausschuß meinten jedoch, daß es wichtig sei, diese Problematik einmal vor dem Plenum des Deutschen Bundestages zu diskutieren, weil in diesem Gesamtpaket der Kommission erhebliche finanzielle Anforderungen verborgen sind, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde.Worum geht es nun in der Entschließung, die dem Plenum vorliegt? Es geht uns vor allem darum, politisch deutlich zu machen, daß die zu einer Erweiterung des Finanzierungsspielraums erforderlichen Finanzmittel nicht beliebig vermehrbar sind. Der Steuerbelastung des einzelnen Bürgers in den Mitgliedstaaten sind Grenzen gesetzt. Mehr oder weniger sind diese Grenzen in allen Mitgliedsstaaten erreicht. Für die Bundesrepublik verweise ich nur auf die Ergebnisse der letzten Steuerschätzung, die uns für die 80er Jahre schon wieder steigende Steuerlastquoten anzeigen. Ich erinnere an die in den nächsten Tagen in Kraft tretende Erhöhung der Mehrwertsteuer. Schon spricht man wieder von der Entlastung der heimlichen Steuererhöhungen, die inflationsbedingt sind. Kurzum: Wir sollten uns alle darin einig sein — das sind wir auch —, daß die weitere Entwicklung der EG nicht zu weiteren Steuerbelastungen der Bürger in den einzelnen Mitgliedsstaaten führen darf.Der zweite wichtige Aspekt ist, daß der Bundeshaushalt einen solchen Einnahmeverzicht nicht verkraften kann. Um diesen Bundeshaushalt ist es ohnehin schlecht genug bestellt.
— Zwei Nachtragshaushalte — Herr Kollege Grobecker, das wissen Sie als Berichterstatter des Einzelplans 08 besonders gut — allein in diesem Haushaltsjahr müßten eigentlich ausreichen. Einen haben wir soeben verabschiedet, der andere steht vor der Tür.
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13076 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Carstens
— Wir haben ihn mit verabschiedet; aber das Ganze ist gegen unsere Stimmen verabschiedet worden.
Die Vorstellungen und Planungen zum Haushalt 1980 zeigen, daß die notwendige Aufgabe der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nach wie vor ungelöst ist. Ein Einnahmeverzicht zugunsten der EG würde diese Schwierigkeiten bei der Konsolidierung weiter erhöhen. Wir ,sehen daher diese Entschließung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entschließung zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vom April vergangenen Jahres. Das ist einvernehmlich gegangen, und das sollten wir bei all dem bedenken, was wir hier finanzpolitisch zu entscheiden haben.
Einige wenige Zahlen, die uns bei der Beratung im Haushaltsausschuß vorgelegen haben, möchte ich hier einmal nennen, um das gesamte finanzwirtschaftliche Ausmaß dieser Kommissionsempfehlung zu verdeutlichen. Beim gegenwärtigen Höchstsatz von i °/o ergibt sich für die an die Gemeinschaft abzuführenden deutschen Anteile aus heutiger Sicht eine Obergrenze, die von 7,6 Milliarden DM in diesem Jahr auf mehr als 10 Milliarden DM im Jahre 1983 anwächst. Bei einer unterstellten Erhöhung des abzuführenden Anteils auf 2 % der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage von 1982 an, würde die Obergrenze 1983 schon 20 Milliarden DM betragen. Das macht also im Vergleich zu dem jetzigen 1 %igen Anteil eine Differenz von 10 Milliarden DM allein für das Jahr 1983 aus. Das würde sich weiterhin steigern.
Wächst der EG-Haushalt bis 1983 im Durchschnitt um 20 % — das ist eine Annahme, eine Schätzung nach vorn —, dann muß der Bund 1983 16,2 Milliarden DM Mehrwertsteuermittel an die EG abführen. Damit wären dann die 2 Prozentpunkte Mehrwertsteuer bereits mit 1,62 ausgeschöpft. Es wäre die Zeit abzusehen, daß auch diese 2 % nicht mehr ausreichen.
— Herr Kollege Bangemann, ich kann Ihnen nur sagen, daß die Schätzungen hinsichtlich der Erhöhung des EG-Haushalts — d. h., das sind schon keine Schätzungen mehr, sondern konkretere Annahmen — für das Jahr 1980 von 17 % sprechen. Mich würde gar nicht wundern, wenn das noch mehr werden würde, was der Kollege Simpfendörfer sicher gleich darlegen wird. — Bei einem 10 %igen Zuwachs aber — Herr Kollege Bangemann, es ist doch eine Schätzung, eine Annahme — hätte der Bund 1983 rund 9,6 Milliarden DM abzuführen, wodurch die derzeitige 1 %-Grenze noch eingehalten würde. Das zu wissen ist wichtig.Für mich als Haushaltspolitiker kommt es hier nun darauf an, festzustellen, daß die Mittel noch für lange Zeit ausreichen würden, wenn der EG-Haushalt nicht um mehr als 10 % wachsen würde. Neuere Zahlen — die uns in den letzten Tagen bekannt geworden sind — besagen, daß die Zuwachsmöglichkeiten allerdings nur noch 7 % betragen sollen. Auch dabei würde die europäische Integration — bei unveränderter Fortdauer dieses Einnahmesystems — keinesfalls angehalten werden. Bei zielgerichteter und sparsamer Haushaltsführung ist der Gemeinschaftshaushalt durchaus im Rahmen der vorhandenen Finanzierungsmittel auszugleichen. Die Integration braucht dadurch keinen Schaden zu nehmen. Im Gegenteil, sie wird in dem Maße gewinnen, wie es der Gemeinschaft gelingt, ihre Ausgaben nach ihren Einnahmen auszurichten und nicht umgekehrt.Man muß im Rückblick auf die Entwicklung der letzten Jahre auch sehr bezweifeln, daß allein das Zurverfügungstellen von Milliardenbeträgen die Integration vorantreibt. Das scheint mir in den letzten Jahren nicht bewiesen zu sein. Es ist nicht eine Frage der Quantität, sondern der Qualität. Wir wissen, daß man mit 2 °/o, 3 °/o vom Bruttosozialprodukt sehr wohl ein hohes Maß an Umverteilung bewirken kann. Es ist politisch viel einfacher, einen größeren Haushalt zu beschließen. Aber ob er dadurch effizienter wird, ist damit noch lange nicht bewiesen.Für die Umverteilung, für den Ressourcentransfer und damit auch für die Integration kommt es immer darauf an, welche Fortschritte im materiellen Bereich der einzelnen Politiken erreicht werden. Es wäre meines Erachtens daher auch unter finanz- und integrationspolitischen Gesichtspunkten sehr bedenklich, vom Grundsatz der sachbezogenen Ausgabenpolitik abzurücken und dazu überzugehen, wie das ja vorgeschlagen wird, auch die Einnahmeseite des EG-Haushalts als Umverteilungsinstrument zu benutzen. Die Gemeinschaft müßte allmählich zu einer Clearingstelle für Finanztransfer entarten. Das wollen wir nicht, auf gar keinen Fall.Vorsorglich haben wir in die Entschließung mit eingebaut, daß es zu grundlegenden Veränderungen kommen kann. Das wäre z. B. bei dem Beitritt neuer Staaten der Fall. Aber auch das muß nicht zwangsläufig zu sofortigen größeren Ausgaben führen, weil Ausgaben erst nach und nach in den nächsten Jahren anfallen würden.Abschließend darf ich folgendes sagen. Diese Entschließung soll und kann keinen Affront gegen aas erste direkt gewählte Europäische Parlament darstellen. Das neugewählte Parlament wird schon seinen Weg finden und mehr Rechte für sich fordern. Dies gründet wohl in seiner Legitimation durch die Direktwahl. Das Parlament würde jedoch seine Integrationsfunktion gründlich verkennen, wenn es unter „mehr Rechte" ausschließlich „mehr Etatbewilligungsrechte" verstünde, wenn es den Weg höherer Belastungen der Bürger ginge. Es wäre gut beraten, bei dem derzeitigen Integrationsstand und bei dem geltenden Einnahmesystem seine Kraft und seinen Einfluß darauf zu richten, die Sachfragen der Politiken zunächst weiter voranzutreiben. Sein bester Einstand wäre wohl, einen befriedigenden Ausgleich zwischen dem finanziell Möglichen und dem integrationspolitisch Wünschbaren herbeizuführen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13077
Carstens
Manches müßte geschehen, auch in Einzelbereichen.
Vieles kann durch die Konzentration der vorhandenen Mittel, Herr Kollege Bangemann, auf gemeinschaftsspezifische Aufgaben erreicht werden. Wir sehen das doch bei jeder Beratung in dem Unterausschuß zu Fragen der EG, daß man sich eben nicht bemüht, nur gemeinschaftsspezifische Dinge bearbeiten zu wollen. Das ist das Wesentliche.Deswegen möchte ich zum Abschluß zum Ausdruck bringen: Diese Entschließung richtet sich gegen niemanden. Sie will vielmehr ein Appell an alle sein, die in und für Europa Verantwortung tragen. Es dürfte daher auch diesem Hohen Hause leichtfallen, hier eine breite Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Simpfendörfer.
Frau Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Gegenstand unserer jetzigen spätabendlichen Aussprache, die Mitteilung der Kommission und unsere Beschlußempfehlung dazu, ist es wert, heute und in den nächsten Jahren noch ein paar Gedanken darauf zu verwenden. Insoweit meine ich, unsere heutige Diskussion ist die erste Runde noch vieler folgender Diskussionen zu diesem zweifellos nicht einfachen Thema.
Für mich sind es zwei Fragen, die in erster Linie geprüft werden müssen. Die erste Frage: Ist eine Ausweitung des Finanzrahmens der Gemeinschaft überhaupt notwendig? Die zweite Frage: Welche Folgen hätte eine solche Ausweitung für den Bundeshaushalt und unsere eigene Finanzsituation?
Die dreijährige Vorausschau der EG-Kommission geht für das Jahr 1980 davon aus, daß bei voller Ausschöpfung des Satzes von 1 % der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage 17,2 Milliarden ERE zur Verfügung stünden. Dabei ist eine Europäische Rechnungseinheit zur Zeit mit 2,50 DM zu rechnen. Der Haushaltsvorentwurf der Kommission für das Jahr 1980 ging von 15 Milliarden ERE aus. Das bedeutet, im Jahr 1980 bestünde noch ein Spielraum von 2,2 Milliarden ERE, also noch ein Polster. Dieser Spielraum wurde nun durch die Agrarpreisbeschlüsse der vergangenen Woche um 1,1 Milliarden Rechnungseinheiten eingeengt. Das heißt, das korrigierte Volumen des Vorentwurfs 1980 ist auf 16,1 Milliarden ERE gestiegen. Wenn nicht Ministerrat und Parlament an diesem Ansatz entschiedene Abstriche machen wollen, müssen wir davon ausgehen, daß wir es auch im Jahr 1980 mit einer Zuwachsrate von 17 % zu tun haben werden.
In dem Zusammenhang will ich nicht verhehlen, daß wir die Enttäuschung der Kommission über das Ergebnis der Beschlüsse des Agrarrats teilen.
Nach einer Neuberechnung des Bundesministers der Finanzen, der nun davon ausgeht, daß Jahr für Jahr der EG-Kommission auf Grund des geltenden Rechts 1,1 Milliarden Rechnungseinheiten aus der
Mehrwertsteuer mehr zur Verfügung stehen, erreichen wir das kritische Jahr im Jahr 1983 dann, wenn Jahr für Jahr 8,5 % mehr Ausgaben beschlossen werden. Nur bei einer Reduzierung der Steigerungsrate im EG-Haushalt auf 7 % ist es möglich, auf absehbare Zeit im derzeitigen Finanzrahmen zu bleiben. Im Vergleich dazu muß ich sagen, daß der langjährige Durchschnitt der vergangenen Jahre 20 % Zuwachs pro Jahr ausgemacht hat.
Eine vorläufige Antwort auf meine Frage, ob eine Ausweitung des Finanzrahmens der Gemeinschaft notwendig ist, hätte also Ja zu lauten, wenn ich hinzufügte: Wenn alles so weitergehen soll wie seither.
Wenn wir aber sagen, daß auch bei der EG das gelten muß, was bei uns als nationalen Parlamentariern grundsätzlich gilt, nämlich daß die Höhe der Ausgaben sich in erster Linie nach den vorher- sehbaren Einnahmen zu richten hat und daß zusätzliche Ausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden müssen, dann gilt dies natürlich in der gleichen Weise auch für die EG.
Die Agrarmarktausgaben müssen unter Kontrolle gebracht werden. Wenn die Ausgaben auf diesem Gebiet so wie in der Vergangenheit weiter wachsen, wird das ganze System unfinanzierbar und geht die einkommenssichernde Wirkung der Marktordnungen für unsere Landwirte verloren.
Insbesondere muß nach der Meinung des Ausschusses versucht werden, die Ausgabenzuwächse im Bereich der Agrarmarktordnungen im Rahmen der Zuwachsraten bei den eigenen Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften zu halten.
Wenn diese Zuwachsraten nur noch bei 7 % liegen, müssen eben die Zuwachsraten bei den Ausgaben auf dem Agrarsektor ebenfalls im Bereich von 7 % gehalten werden.
Eine vorsichtige Preispolitik reicht dazu nicht. Obwohl der Ministerrat in diesem Jahr eine vorsichtige Preispolitik betrieben hat, sind wir zusammen mit dem Kollegen Ritz darüber enttäuscht, daß es an der grundlegenden Reform im Bereich Milch fehlt. Deshalb meinen wir, daß die Reformunfähigkeit des Ministerrats die eigentliche Ursache des wachsenden finanziellen Engpasses in der EG ist.
Spekulationen, der Deutsche Bundestag werde schon nachgeben, wenn es notwendig sei, halte ich für eine falsche Einschätzung der Lage. Ich meine, eine Erhöhung des Finanzrahmens der EG ist nicht nötig, wenn die Agrarpolitik an Haupt und Gliedern reformiert wird.
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13078 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
SimpfendörferMeine zweite Frage, nämlich welche Bedeutung eine Ausweitung des Finanzrahmens auf die Finanzpolitik des Bundes hätte, wurde von dem Kollegen Carstens schon behandelt. Ich brauche nur kurz hinzuzufügen: Es handelt sich darum, entweder eine Ausgabeneinschränkung im Bundeshaushalt oder eine Erhöhung der Steuerbelastung für unsere Bürger hinzunehmen oder ein weiteres Anwachsen der Verschuldung — statt den beabsichtigten Abbau der Neuverschuldung durchzuführen.Wir haben im Interesse von Wirtschaftswachstum und Verminderung der Arbeitslosigkeit eine hohe Verschuldung hingenommen. Wir haben damit Erfolg gehabt: Das Wirtschaftswachstum ist positiv und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Deswegen ist es das Gebot der Stunde, die Verschuldung zu verringern. Dazu stände es im Widerspruch, wenn wir erheblich höhere Beträge an die EG abführen müßten. Wir haben derzeit schon eine Belastung von 5 % des Gesamtvolumens des Bundeshaushalts. Das ist ein beträchtlicher Umfang. Damit haben wir 82,6 % des sogenannten Nettotransfers im Jahr 1977 getragen; den Rest hat Frankreich aufgebracht.Wir wollen nicht die Zahlmeister Europas sein. Wir wollen auch nicht die Schulmeister Europas sein; ganz gewiß nicht. Wir haben aber ein Interesse, darauf hinzuweisen, daß die Belastbarkeit des Bundeshaushalts begrenzt ist und daß eine Erhöhung des Finanzrahmens der EG um so schwieriger erscheint, je weniger wir von der Bereitschaft des Ministerrats überzeugt sind, in der Agrarfinanzierung tatsächlich auch neue Wege zu gehen. 74 % der Ausgaben im Haushalt 1980 werden nach wie vor für den Agrarbereich aufgewandt werden müssen.
Dies ist aus der Entwicklung der Vergangenheit heraus zweifellos der kritische Punkt.
— Lieber Kollege Gallus, wenn Sie meinen, ein guter Europäer sei nur, wer beliebige Finanzanforderungen erfüllt und Wechsel auf die Zukunft unterschreibt, müssen wir uns, wie ich meine, noch einmal über unser gemeinsames Europaverständnis unterhalten.
Ich komme deswegen zu folgendem Schluß: Der Bundeshaushalt verträgt die Belastung nicht, die eine Erhöhung des Finanzierungsspielraums der EG zur Folge hätte.Der EG-Haushalt darf keine Geldverteilungsstelle werden. Es muß eine Politik finanziert werden, die auf Strukturverbesserung und -angleichung gerichtet ist.Wir wollen keine progressive oder regressive Ausgestaltung der Beiträge auf der Einnahmenseite.Wir sind bereit, dann über eine Verbesserung der EG-Finanzen zu diskutieren, wenn wesentliche Veränderungen der gegenwärtigen Lage eintreten. Dabei denken wir an den Beitritt von Griechenland, Spanien und Portugal. Solange die finanziellen Auswirkungen des Beitritts noch nicht wesentlich sind, bleiben wir dabei: Die Ausweitung des Finanzspielraums der Gemeinschaft ist weder notwendig noch für den Bundeshaushalt zumutbar. In diesem Sinne bitte ich Sie, der Beschlußempfehlung auf Drucksache 8/2795 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß man einige kritische Bemerkungen zu dieser Empfehlung des Haushaltsausschusses machen muß, damit die Dinge nicht in ein Fahrwasser geraten, das weder europapolitisch noch von den Sachproblemen her angemessen und gut ist.Was die europapolitische Seite angeht, so ist zunächst einmal folgendes zu sagen. Die Funktionen des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften decken sich mit den Funktionen der Haushalte der Mitgliedsländer. Das ist aber nur teilweise der Fall. Sie haben in weiten Bereichen ganz andere Funktionen. Es wäre deswegen völlig falsch, Grundsätze, die für den eigenen Haushalt gelten, ohne Prüfung auf den Haushalt der Europäischen Gemeinschaften anzuwenden. Allerdings wäre ich durchaus dafür, daß man wenigstens die Prinzipien, die man für den eigenen Haushalt in Anspruch nimmt, auch für den europäischen Haushalt gelten läßt. Wenn ich hier z. B. lese:Auch für die Europäischen Gemeinschaften sollte gelten, daß sich die Höhe der Ausgaben in erster Linie nach der voraussehbaren Höhe der „eigenen Einnahmen" richten muß.,so kann ich mich eines leichten Lächelns nicht erwehren, wenn ich vorhin von dem Herrn Staatssekretär hören mußte, daß wir in den vergangenen Jahren beim eigenen Haushalt des Bundes aus wohlerwogenen Gründen nicht nach diesem Grundsatz gehandelt haben. Es ist doch völlig unsinnig, den Europäischen Gemeinschaften einen Haushaltsgrundsatz vorschreiben zu wollen, der in einer bestimmten konjunkturellen Situation falsch werden kann. Wir haben hier doch alle — Sie von der SPD und wir von der FDP, zum Teil gegen den Widerstand der Opposition, aber auch mit der geheimen Zustimmung der Opposition — gesagt — —
— Wenn der Haushalt der Europäischen Gemeinschaften keine konjunkturellen Wirkungen hat, verstehe ich überhaupt nichts mehr von Haushalten.
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Dr. BangemannDieser Grundsatz, den Sie hier festschreiben, gilt nicht einmal in jedem Fall für den Bundeshaushalt. Er kann auch nicht — eben weil er falsch ist — für den Haushalt der Europäischen Gemeinschaften gelten. Dies ist zum ersten zu sagen.Zweitens. Es ist völlig falsch, anzunehmen, daß ein Wechselverhältnis zwischen dem europäischen Haushalt und dem nationalen Haushalt in dem Sinne besteht, daß eine Ausgabenerhöhung des europäischen Haushaltes in jedem Fall zu einer Einnahmenminderung oder aber zu einer erhöhten Schuldenaufnahme im nationalen Haushalt führen' müsse. Denn es gibt zwischen dem europäischen Haushalt und den nationalen Haushalten eine Korrelation. Wenn man nationale Aufgaben auf die europäische Ebene überträgt, dann fehlen die dafür notwendigen Ausgaben im nationalen Haushalt, tauchen aber im europäischen Haushalt auf. Das beste Beispiel ist die erwähnte Agrarpolitik. Warum sind denn 75 % des Volumens des europäischen Haushalts für agrarpolitische Maßnahmen vorgesehen? Das ist doch der Fall, weil wir quasi keine nationale Agrarpolitik mehr haben.
— Nein. Ich darf diesen Gedankengang zu Ende führen, und dann können Sie eine Zwischenfrage stellen.Das Beispiel zeigt ganz deutlich, daß das, was Sie behauptet haben, falsch ist. Sie behaupten, daß ein Anstieg der Ausgaben im europäischen Haushalt nur über eine Vergrößerung der Steuerbelastung möglich sei. Nein, das kann sehr wohl dadurch geschehen, daß bestimmte Ausgabenblöcke aus den nationalen Haushalten auf den europäischen Haushalt übertragen werden, so, wie es in der Agrarpolitik der Fall ist.
Herr Abgeordneter Löffler, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Lieber Herr Kollege Bangemann, würden Sie einmal so freundlich sein, den Einzelplan 10 des Bundeshaushalts anzugucken, um sich davon zu überzeugen, welche Summen wir für nationale Agrarpolitik ausgeben?
Herr Kollege, das war eine völlig unnötige Zwischenfrage. Ich habe „quasi" gesagt. Ich weiß ganz genau, daß wir einen Teil der Agrarsozialpolitik selbstverständlich noch über den Bundeshaushalt finanzieren, aber den großen Block der Agrarmarktordnungsausgaben nicht mehr, viele Strukturmaßnahmen nicht mehr. Sie brauchen mir das nicht zu sagen. Ich bin stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments und als solcher und Mitglied dieses Hauses lese ich beide Haushalte und verstehe beide haushaltspolitischen Erwägungen. Ich wünschte mir, daß aus den Reden der Kollegen vor mir etwas mehr Verständnis für die besondere Funktion des europäischen Haushalts hervorgegangen wäre. Deswegen mache ich diese Bemerkungen.
Also hören Sie mal, das ist natürlich besonders lustig. Ihr Sprecher stellt sich hier hin und verlangt für Ihre Fraktion, daß wir das unterstützen, wird vom Sprecher der SPD darin zitiert, daß die Agrarausgaben gekürzt werden müßten, und im Europäischen Parlament — da sitzt Klinker — kämpfen Sie immer für Preiserhöhungen, die weit über das hinausgehen, was Sie hier beklagen. Also irgendwo muß das doch zusammenpassen.
Sie können hier national nicht etwas ganz anderes machen als Sie europäisch machen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
— Ich bin nur für Ehrlichkeit auf beiden Seiten. Ich bin dafür, daß man im Europäischen Parlament dasselbe sagt, was man hier im Bundestag sagt.
Es gibt Aufgaben, die man wirklich besser auf europäischer Ebene lösen kann. Ein Beispiel dafür sind die Entwicklungsausgaben. Das Abkommen von Lomé, das gerade verhandelt wird, ist ein Beispiel dafür, daß man Entwicklungspolitik auf europäischer Ebene effizienter, übrigens auch kostensparender machen kann, als man das national machen könnte.
Das heißt also: Auch diese Ausgaben müßten zu einer entsprechenden Verminderung der nationalen Ausgaben führen und brauchen deswegen gar nicht kostenerhöhend zu wirken.
— Übrigens ist die Bundesregierung, die Sie, Herr Simpfendörfer, wenn ich mich nicht ganz falsch erinnere, mittragen, in einer Erklärung dafür eingetreten, daß wir die Ausgaben für das Abkommen Lomé II in den Haushalt der Europäischen Gemeinschaften einstellen. Erinnere ich mich da falsch?
Stützen Sie diese Bundesregierung noch?
— Na, das finde ich aber sehr schön. Da bin ich direkt beruhigt.Wenn wir das täten, erreichten wir bereits im Jahre 1980 die Schallmauer, die Sie hier aufgezeigt haben; denn nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen werden wir innerhalb von fünf Jahren rund gerechnet 13 Milliarden DM dafür aufzubringen haben. Schon mit einem normalen Anstieg von 6 %, den Sie uns freundlicherweise — wenn ich
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Dr. Bangemanndas richtig verstanden habe — zugestanden haben, werden Sie diese Schallmauer überschreiten.
Wir kommen also gar nicht darum herum — es sei denn, Sie wollten diese Bundesregierung stürzen —, eine neue Einnahmequelle für den europäischen Haushalt vorzusehen.
Herr Kollege Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Simpfendörfer?
Bitte.
Lieber Herr Kollege Bangemann, sind Sie sich dessen bewußt, daß, wenn die Eingliederung des Entwicklungsfonds in den Haushalt erfolgt, dies unbeschadet jener Grenze des Finanzierungsspielraums erfolgen soll?
Nein, das ist nicht der Fall.
— Nein. Lesen Sie die Mitteilung der Bundesregierung. In den Verhandlungen hat das eine große Rolle gespielt. Ich beklage ja, daß wir uns über die grundlegenden Fakten deswegen nicht einigen können, weil wir offenbar voneinander zuwenig wissen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, eine ganz kurze Bemerkung zur Frage der Verklammerung zwischen den Arbeiten dieses Hauses und des Europäischen Parlaments machen. Ich darf die hier anwesenden Kollegen dringend ersuchen, daß wir uns wirklich die Köpfe darüber zerbrechen, wie wir das schaffen. Sonst erleben wir noch mehrere solcher Debatten wie die heute. Die fördern weder die nationale Politik noch die europäische Integration.
Lassen Sie mich zur letzten Funktion des Haushalts kommen, die wichtig ist: Das ist der Ausgleich des regionalen Ungleichgewichts. Ihr Parteivorsitzender, Herr Simpfendörfer, hat hier und in allen Wahlveranstaltungen, die er bestritten hat — dasselbe gilt für die Kollegen, soweit ich sie kennengelernt habe, die für Ihre Partei aufgetreten sind —, immer wieder gesagt: Wir müssen das regionale Ungleichgewicht in Europa beheben; das ist unsere wichtigste Aufgabe als sozialdemokratische und sozialistische Fraktion.
Jetzt sagen Sie hier, ein Haushalt in Höhe von 34 Milliarden DM für 1979 — wie hoch er für 1980 sein wird, können Sie noch gar nicht sagen — sei völlig ausreichend, um ein Ungleichgewicht auszugleichen. Lesen Sie doch einmal den Mac-DougallBericht, der festgestellt hat, daß ein wesentlich höherer Anteil der öffentlichen Mittel dazu notwendig sei. Das sagen Sie hier als Sozialdemokraten. Das kann ich überhaupt nicht mehr verstehen.
Lassen Sie noch eine Zusatzfrage zu?
Bitte sehr.
Herr Kollege Bangemann, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Entschließung doch ganz bewußt von wesentlichen Veränderungen für die Zukunft spricht und daß dafür auch wesentliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden können.
Herr Carstens, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß sich die regionalen Ungleichgewichte seit 1958, seit die Europäische Gemeinschaft besteht, von Jahr zu Jahr verschärft haben und daß das nicht eine Frage des Beitritts von Griechenland, Portugal und Spanien ist, sondern der bestehenden Mitgliedsländer wie Sizilien, Schottland usw.
Meine Fraktion wird dieser Beschlußempfehlung mit einer großen Reserve zustimmen, und zwar mit der Reserve, die ich hier zum Ausdruck gebracht habe. Ich bitte Sie, das ernst zu nehmen, was daraus gelernt werden kann, nämlich daß wir mehr voneinander wissen müssen, daß wir die Arbeit verzahnen müssen, weil wir sonst in Zukunft aneinander vorbeireden werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2795 unter den Nrn. 1 bis 3 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und mehreren Enthaltungen bei der FDP und der CSU angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1978 — Einzelplan 20 Drucksache 8/2913 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage an den Haushaltsausschuß vor. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung des Ältestensrats soll die heutige Tagesordnung um die Beratungspunkte ergänzt werden, die in der vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt sind:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13081
Vizepräsident Frau Renger1. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPVorlage eines Berichts des Petitionsausschusses
2. Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 8/3021)zu Punkt 20 TO3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll über die Änderung des Artikels 14 Abs. 3 des Europäischen Obereinkommens vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (Drucksache 8/3001)Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Festlegung von Maßnahmen für die Durchführung der Richtlinie 77 /489 /EWG über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von GeldernWird gegen diese Zusatzpunkte Einspruch erhoben? — Das ist nicht der Fall.Außerdem liegt Ihnen eine Liste .von Vorlagen Stand: 25. Juni 1979 — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:1. Bericht betr. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich -von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum Soltau-Lüneburg vom 3. August 1959 (Druck sache 8/2973)zuständig: Innenausschuß Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschuß2. Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1978 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (Drucksache 8/2980)zuständig: Ausschuß für Wirtschaft— Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch, dann ist das so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 12 der Tagesordnung — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften — abgesetzt werden. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bunderegierung Zweiter Bericht des Auswärtigen Amts über den Stand der Reform des Auswärtigen Dienstes— Drucksachen 8/1400, 8/2934 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schmitt-Vockenhausen Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2934 unter Nr. 1 vom Zweiten Bericht des Auswärtigen Amtes über den Stand der Reform des Auswärtigen Dienstes auf Drucksache 8/1400 Kenntnis zu nehmen. — Das Haus hat davon Kenntnis genommen.Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/2934 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPVorlage eines Berichts des Petitionsausschusses— Drucksache 8/3009 —Das Wort wird nicht gewünscht.Es wird beantragt, daß der Petitionsausschuß dem Plenum einen Schriftlichen Bericht über seine Arbeit in der ersten Hälfte der 8. Wahlperiode vorlegt, und zwar abweichend von § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung. Für die Annahme dieses Antrags ist nach § 127 unserer Geschäftsordnung eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestages erforderlich.Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20:a) Beratung der Sammelübersicht 49 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/2974 —b) Beratung der Sammelübersicht 50 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/2984 — mit dem Zusatzpunkt 2 auf:Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/3021 —Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung der Übersicht 11 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/2991 —Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2991 von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten
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13082 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979
Vizepräsident Frau RengerDrucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das einstimmig so angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages— Drucksache 8/2999 —Berichterstatter: Abgeordneter Spitzmüller Das Wort wird auch hier nicht gewünscht.Wer der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜbereinkommen 145 über die Kontinuität der Beschäftigung von SeeleutenÜbereinkommen 146 über den bezahlten Jahresurlaub der SeeleuteEmpfehlung 153 betreffend den Schutz junger SeeleuteEmpfehlung 154 betreffend die Kontinuität der Beschäftigung von Seeleuten— Drucksachen 8/2634, 8/2983 —Berichterstatter: Abgeordneter Sieler Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2983 von der Unterrichtung durch die Bundesregierung Kenntnis zu nehmen. — Das ist damit erfolgt.Es folgt Tagesordnungspunkt 24:Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Zweiundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 8/2851, 8/2972 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes Das Wort wird nicht gewünscht.Es handelt sich um einen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, von dem das Haus nur Kenntnis zu nehmen hat. — Das ist hiermit erfolgt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 bis 28 auf:25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über die vorübergehende Verwendung— Drucksachen 8/2923, 8/2970 —Berichterstatter: Abgeordneter Sander26. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein sowie der Verordnung (EWG) Nr. 817/70 zur Festlegung besonderer Vorschriften für Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete— Drucksachen 8/2636 Nr. 15, 8/2976 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Fischer27. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1111/77 zur Einführung gemeinsamer Vorschriften für Isoglukose— Drucksachen 8/2717 Nr. 9, 8/2990 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritz28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Agenzien bei der Arbeit— Drucksachen 8/2952, 8/2988 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Es handelt sich um Beschlußempfehlungen der Ausschüsse zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften. Das Wort wird nicht gewünscht.Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß wir über diese Punkte gemeinsam abstimmen? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/2970, 8/2976, 8/2990 und 8/2988. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
— Das wird ins Protokoll aufgenommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1979 13083
Vizepräsident Frau RengerIch rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll über die Änderung des Artikels 14 Abs. 3 des Europäischen Übereinkommens vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße
— Drucksache 8/3001 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenDas Wort wird hierzu nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vor. — Kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung:Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Festlegung von Maßnahmen für die Durchführung der Richtlinie 77 /489 /EWG über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport— Drucksachen 8/2583 Nr. 10, 8/2994 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von GeldernDas Wort hierzu wird nicht gewünscht. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2994, den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zur Kenntnis zu nehmen. — Dieses ist damit erfolgt.Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung für Donnerstag, den 28. Juni 1979, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.