Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages haben sich in unserem Lande schreckliche Dinge ereignet, derer wir gedenken wollen, ehe wir unsere politische Arbeit wieder aufnehmen.Am 30. Juni 1977 wurde Jürgen Ponto, der Sprecher des Vorstandes der Dresdner Bank, das Opfer eines besonders feigen Mordanschlages; Jürgen Ponto, ein in Deutschland und außerhalb Deutschlands hoch angesehener Repräsentant der deutschen Wirtschaft, ein Mann, der seine sozialen Pflichten ernst nahm, ein aktiver Teilnehmer an dem kulturellen Leben unseres Landes. Die deutsche Offentlichkeit hat von ihm in einer Trauerfeier in der Paulskirche in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten Abschied genommen.Wenige Wochen später, am 5. September 1977, fanden Polizeihauptmeister Reinhold Brändle, 41 Jahre alt, Polizeimeister Helmut Ulmer, 24 Jahre alt, Polizeimeister Roland Pieler, 20 Jahre alt, und der Fahrer Heinz Marcisz, 41 Jahre alt, den Tod von Mörderhand bei dem bisher brutalsten Terroranschlag, der sich in der Bundesrepublik Deutschland ereignet hat. Sie starben in Ausübung ihrer Pflicht. Ihr Tod wird allen, die auf gefährdetem Posten stehen, verpflichtendes Vermächtnis sein, sich mit allen Kräften für unser Gemeinwesen und unseren Staat einzusetzen.Hanns Martin Schleyer, der Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, einer der kraftvollen Repräsentanten der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Kriege, ein Mann, von dem man bisher sagte, daß er wohl Gegner, aber keine Feinde habe, wurde entführt und befindet sich noch in der Hand der Gewalttäter.Der Deutsche Bundestag gedenkt der Verstorbenen in Ehrerbietung und Trauer. Ihre Namen und ihre Leistungen wollen wir für die Nachwelt festhalten, indem wir ihrer von dieser Stelle aus gedenken.Das Schicksal von Hanns Martin Schleyer ist noch ungewiß. Wir alle teilen mit seinen Angehörigen die tiefe Besorgnis um sein Leben und wünschen, daß ihm seine oft bewiesene innere Kraft auch in diesen schwersten Stunden nicht verlassen möge.Den Angehörigen, den Witwen, den Eltern, den Geschwistern der Ermordeten gilt unser ganzes Mitgefühl.Die Mordanschläge richten sich nicht in erster Linie gegen die unmittelbaren Opfer. Sie richten sich gegen unsere freiheitliche Ordnung im ganzen, ja, sie richten sich gegen jede menschliche Ordnung überhaupt. Sie richten sich damit gegen jeden einzelnen von uns. Wir haben es nicht mit irregeleiteten Idealisten, sondern mit kaltblütigen, skrupellosen, zum Äußersten entschlossenen Verbrechern zu tun, und zwar mit einer ziemlich großen Zahl von ihnen.Kammergerichtspräsident von Drenkmann, Andreas von Mirbach und Heinz Hillegard in der deutschen Botschaft in Stockholm, Generalbundesanwalt Buback und mit ihm Georg Wurster und Wolfgang Göbel und jetzt die Anschläge während der beiden letzten Monaten sind die Markierungen ihrer blutigen Spur.In dieser schweren Stunde sind wir aufgerufen, den freien deutschen Staat zu schützen, den die Generation von 1949 geschaffen hat in redlicher Gesinnung und von dem Willen beseelt, den inneren und äußeren Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für unser Land zu verwirklichen. Wir sind aufgerufen, diesen unseren Staat mit allen nach unserer Verfassung möglichen Mitteln zu schützen. Wir haben nicht viel Zeit.Sie haben sich im Gedenken an die Opfer von Ihren Sitzen erhoben. Ich bitte Sie, Jürgen Pontos, Reinhold Brändles, Helmut Ulmers, Roland Pielers und Heinz Marcisz' eine Minute schweigend zu gedenken und Hanns Martin Schleyer in Ihre Fürbitte einzubeziehen. —Ich danke Ihnen.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich dem Haus einige Mitteilungen zu machen.Als Nachfolger für den am 8. Juli 1977 durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Gölter hat der Abgeordnete Gerster am 13. Juli 1977 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag er-
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2988 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Präsident Carstensworben. Ich begrüße den uns bekannten Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführten Vorlagen:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOBeratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOBeratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß , Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO— Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.Für den aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ausscheidenden Abgeordneten Lemp hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Dr. Enders, der bisher stellvertretendes Mitglied war, als ordentliches Mitglied vorgeschlagen. Als stellvertretendes Mitglied wird an Stelle von Abgeordneten Dr. Enders der Abgeordnete Mattick vorgeschlagen. — Ich sehe und höre auch dagegen keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus damit einverstanden ist.Die vorgeschlagenen Mitglieder — Abgeordneter Dr. Enders als ordentliches Mitglied, Abgeordneter Mattick als stellvertretendes Mitglied — sind damit gewählt.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 24. Juni 1977 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 oder 3 GG nicht gestellt:Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Gesetz zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der VersammlungGesetz zu dem Abkommen vom 27. Februar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über Soziale SicherheitGesetz zu dem Abkommen vom 28. Juni 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über Leistungen für ArbeitsloseGesetz zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit und dem Ergänzungsabkommen vom 17. Dezember 1975Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 8. Juli 1976 zu dem Abkommen vom 29. Juni 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien über SozialversicherungNeuntes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
Gesetz über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter WohngebäudeZu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat Entschließungen gefaßt, die als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt sind.In seiner Sitzung am 24. Juni 1977 hat der Bundesrat ferner beschlossen, demGesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes und demVierten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzesnicht zuzustimmen. Seine Schreiben sind als Drucksachen 8/691 und 8/692 verteilt.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 15. Juli 1977 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zur Änderung der BundesärzteordnungGesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1977
Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, des Bundeskindergeldgesetzes, des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze
Gesetz zu den Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr und über Straßenverkehrszeichen, zu den Europäischen Zusatzübereinkommen vom 1. Mai 1971 zu diesen Übereinkommen sowie zum Protokoll vom 1. März 1973 über StraßenmarkierungenGesetz zu der Erklärung vom 23. Juli 1975 über den vorläufigen Beitritt Kolumbiens zum Allgemeinen Zoll- und HandelsabkommenGesetz zu dem Abkommen vom 5. Juli 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von KapitalanlagenGesetz zu dem Abkommen vom 11. Mai 1975 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Staat Israel andererseitsViertes Gesetz zur Änderung des Zweiten WohngeldgesetzesGesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher VorschriftenZu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat eine Stellungnahme beschlossen, die als Anlage 4 diesem Protokoll beigefügt ist.In der Sitzung am 15. Juli 1977 hat der Bundesrat ferner beschlossen, hinsichtlich des Sechsten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/762 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 24. August 1977 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1976 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt.Ein Exemplar dieses Geschäftsberichts liegt im Archiv zur Einsicht aus.Gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 8. April 1959 hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Schreiben vom 3. August 1977 den Deutschen Bundestag über die Beschäftigung Schwerbehinderter bei den Bundesdienststellen unterrichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/807 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 30. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mahne, Wuttke, Curdt, Paterna, Stahl Müller (Schweinfurt), Ollesch, Hoffie und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Paketdienst der Deutschen Bundespost (Drucksache 8/585) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/715 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 3. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Berger, Regenspuger, Volmer, Spranger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/717 verteilt.Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 6. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Francke , Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Luster, Dr. Möller, Link und der Fraktion der CDU/CSU betr. Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau vom 23. März 1976 hier: Wohnbesitzbrief (Drucksache 8/649) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/731 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 4. Juli 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen, dem Bundesminister der Verteidigung, dem Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und dem Bundemminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Friedmann, Spilker, Dr. Hennig, Dr. Schäuble, Milz, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Möller, Dr. Langguth, Dr. Laufs, Nordlohne, Erhard , Frau Pieser, Dr. Stercken, Rühe, Daweke, Ey, Dreyer, Susset, Dr. Hüsch, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Regelungen- des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Drucksache 8/609) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/732 verteilt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 2989
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 5. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard , Kunz (Berlin) , Dr. Lenz (Bergstraße) , Frau Dr. Riede Oeffingen, Dr. Eyrich, Frau Berger (Berlin), Dr. Wittmann (München), Dr. Arnold, Dr. Hennig, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Bötsch, Wimmer (Mönchengladbach), Biechele, Dr. Laufs, Gerlach (Obernau), Burger, Broll, Dr. Miltner, Frau Geier, Spranger und Genossen betr. Schadenersatz bei Verletzung oder Tötung des mitarbeitenden Ehegatten nach dem Ersten Eherechtsreformgesetz (Drucksache 8/650) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/743 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 12. Juli 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klein , Frau Dr. Walz, Benz, Dr. von Geldern, Klein (München), Dr. Kreile, Pfeifer, Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Stercken, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fachzeitschriften und Fachpresse (Drucksache 8/694) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/755 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 12. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Benedix, Pfeifer, Dr. Gölter, Daweke, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Rose, Dr. Fuchs, Frau Krone-Appuhn, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Müller, Rühe, Dr. Pfennig, Dr. Hornhues, Schmidt und der Fraktion der CDU/CSU betr. Förderung des Politischen Arbeitskreises Schule (Drucksache 8/684) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/756 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 15. Juli 1977 die Kleine Anfage der Abgeodneten Dr. Langguth, Spranger, Regenspurger, Dr. Eyrich, Dr. Laufs, Broll, Berger, Volmer, Dr. Miltner, Schwarz, Gerlach und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vereinigte Deutsche Studentenschaften (VDS) (Drucksache 8/681) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/760 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 15. Juli 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Auswärtigen, dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sick, Breidbach, Dreyer, Ey, Dr. Narjes, Dr. Biedenkopf, Dr. Müller-Hermann, Baron von Wrangel, Stutzer, Eymer , Dr. Müller, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Möller und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Auswirkungen der verkehrswirtschaftlichen Konkurrenz der Staaten des RGW (Comecon) auf die Verkehrswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 8/594) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/761 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 14. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup, Bayha, Dr. Ritz, Kiechle, Susset, Schröder , Sauter (Epfendorf), Schmitz (Baesweiler), Dr. Kunz (Weiden), Horstmeier, Dr. von Geldern, Klinker, Dr. Biedenkopf, Kroll-Schlüter, Dr. Friedmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Agrarbericht 1977 (Drucksache 8/718) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/769 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 21. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hasinger, Breidbach, Link, Frau Karwatzki, Dr. Hubrig, Pieroth, Dr. Hüsch, Dr. Hoffacker, Dr. Arnold, Dr. Hammans, Dr. Friedmann, Dr. Lauffs, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Kolb, Petersen, Müller , Dr. Hennig, Conrad (Riegelsberg), Frau Hoffmann (Hoya) und Genossen betr. Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel (Drucksache 8/745) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/777 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit Schreiben vom 21. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hüsch, Dr. Todenhöfer, Dr. Hoffacker, Werner, Dr. Köhler , Höffkes, Josten, Frau Pieser, Klein (München), Frau Fischer, Luster, Amrehn, Dr. Mertes (Gerolstein), Frau Berger (Berlin), Dr. Gradl, Dr. Pfennig, Dr. Kunz (Weiden), Kittelmann, Wohlrabe, Picard, Frau Dr. Wilms, Hauser (Krefeld), Petersen, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Sprung und der Fraktion der CDU/CSU betr. Durchsetzung der Berlin-Klausel im Kapitalhilfeabkommen mit Entwicklungsländern (Drucksache 8/695) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/779 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 22. Juli 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Karwatzki, Bühler , Dr. George, Dr. Blüm, Pohlmann, Köster, Burger, Dr. Hammans, Lampersbach, Frau Schleicher, Dr. Becker (Frankfurt), Frau Dr. Wilms, Prangenberg, Dr. Hoffacker, Dr. van Aerssen, Hasinger, Dr. Hüsch, Frau Pack, Schmidt (Wuppertal), Frau Fischer, Volmer, Braun, Wissmann, Kolb, Höpfinger, Sauer (Salzgitter), Weiskirch (Olpe), Frau Pieser, Link, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Abbau des Sozialtarifs für Fahrten erholungsbedürftiger Kinder mit der Deutschen Bundesbahn (Drucksache 8/728) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/783 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 26. Juli 1977 die KleineAnfrage der Abgeordneten Dr. Schulte , Dr. Jobst, Dreyer, Straßmeir, Tillmann, Sick, Frau Hoffmann (Hoya), Milz, Feinendegen, Dr. Waffenschmidt, Weber (Heidelberg) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Leistungsauftrag der Bundesregierung an die Deutsche Bundesbahn (Drucksache 8/757) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/788 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 26. Juli 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Daweke, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Frau Benedix, Dr. Rose, Frau Krone-Appuhn, Rühe, Dr. Pfennig, Dr. Müller, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Fuchs, Dr. Hornhues, Schmidt und der Fraktion der CDU/CSU betr. Zehntes Schuljahr (Drucksache 8/750) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/791 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 10. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Ritz, Kiechle, Dr. Dollinger, Susset, Schröder , Bayha, Dr. Jenninger, Röhner, Schmitz (Baesweiler), Klinker, Dr. von Geldern, Dr. Meyer zu Bentrup, Schartz (Trier), Sauter (Epfendorf), Frau Dr. Riede (Oeffingen), Rainer, Dr. Kunz (Weiden), Ey, Dr. Früh, Horstmeier, Niegel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Agrarstrukturpolitik der Bundesregierung (Drucksache 8/784) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/817 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 9. August 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kroll-Schlüter, Frau Geier, Burger, Frau Karwatzki, Köster, Schleicher, Braun, Dr. Reimers, Dr. Rose, Dr. Hammans, Hasinger, Geisenhofer, Niegel, Dr. George, Dr. Hüsch, Frau Dr. Neumeister, Dr. Hoffacker, Höpfinger, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Kinderunfälle in der Bundesrepublik Deutschland beantwortet. Sein Schreiben ist als •Drucksache 8/818 verteilt.Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 10. August 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dürr, Dr. Emmerlich, Heyenn, Egert, Hauck, Fiebig, Frau Eilers , Kleinert, Engelhard, Frau Funcke, Schmidt (Kempten) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Änderung des § 53 der Strafprozeßordnung — Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen (Drucksache 8/782) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/820 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 11. August 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stahl , Amling, Grunenberg, Mahne, Scheffler, Stockleben, Dr.-Ing. Laermann, Hoffie, Frau Schuchardt, Zywietz und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Energiespeicherung (Drucksache 8/772) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/826 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 16. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Köhler , Dr. Kreile, Dr. Müller, Daweke, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Frau Benedix, Dr. Sprung, Dr. Rose, Frau Krone-Appuhn, Rühe, Dr. Hubrig, Dr. Hornhues, Schmidt (Wuppertal), Dr. Gölter, Dr. Fuchs, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Wirtschaftliche Situation der künstlerischen Berufe (Drucksache 8/787) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/834 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 16. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Dr. Häfele, Haase und der Fraktion der CDU/CSU betr. „Fahrplan" für den Bundeshaushaltsplan 1978 (Drucksache 8/790) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/837 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 25. August 1977 im Einvernehmen mit den Bundesministern des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft und für Arbeit und Sozialordnung die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Daweke, Rühe, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Frau Benedix, Dr. Hornhues, Frau Krone-Appuhn, Dr. Pfennig, Dr. Müller, Schmidt und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Berufsaussichten junger Hochschulabsolventen (Drucksache 8/770) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/860 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 31. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Breidbach, Ey, Dr. Narjes, Dr. Müller-Hermann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Anteil der Energieträger am Endenergieverbrauch beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/869 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 26. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Reimers, Burger, Frau Dr. Neumeister, Dr. Hammans, Dr. Becker , Würzbach, Geisenhofer, Dr. Hüsch, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Geier, Frau Karwatzki, Hoffacker, Höpfinger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Säuglings- und Müttersterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 8/802) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/874 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. September 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Dr. Häfele, Haase und der Fraktion der CDU/CSU betr. Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
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2990 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Präsident Carstens25. Mai 1977 beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/877 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 5. September 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Dr. Häfele, Franke, Schwarz, Spranger, Berger, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Folgerungen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Dienstbezüge kinderreicher Beamten, Richter und Soldaten beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/878 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 2. September 1977 — zugleich für den für die Verschuldung der Entwicklungsländer aus öffentlichen Mitteln federführenden Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit — die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Sprung, Dr. Häfele und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verschuldung der Entwicklungsländer und der Staaten des Ostblocks bei den westlichen Industrieländern (Drucksache 8/789) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/875 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom26. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Breidbach, Dr. von Bismarck, Ey, Dr. Narjes, Dr. Müller-Hermann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Unterrichtung des Parlaments über Untersuchungen zu den Weltenergievorräten und den Weltenergiemärkten beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/862 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 29. August 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Dr. Häfele, Haase , Franke und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzielle Auswirkungen der verschlechterten Arbeitsmarkt- und Konjunkturentwicklung beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/864 verteilt.Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Dr. Kraske, Dr. Marx, Ernsti, Weiskirch , Frau Tübler, de Terra, Würzbach, Löher, Biehle, Stahlberg, Dr. Jaeger, Handlos, Gierenstein, Damm, Werner, Dr. Möller und der Fraktion der CDU/CSUVerteidigungspolitik— Drucksachen 8/195, 8/464 —b) Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP Sicherheitspolitik— Drucksachen 8/224, 8/464 —Wünscht einer der Fragesteller das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur ein Blick in die Zeitungen, auch das Gespräch mit dem Bürger draußen zeigt: Fragen der Verteidigung sind wieder aktuell. Das ist gut so. Allzulange hat man bei uns hier und andernorts den Frieden für selbstverständlich und die Freiheit für gesichert genommen und nicht mehr darüber nachgedacht, daß beide — Frieden und Freiheit — nicht selbstverständlich sind, sondern daß sie die Frucht harter, ja härtester Anstrengungen sind und bleiben werden.
Auch die strategische Diskussion ist wieder in Gang gekommen. Ich glaube, hier ist keiner, der das bedauert. Wir alle sind froh darüber. Closes Buch „In 48 Stunden am Rhein" hat bei vielen draußen die bange Frage ausgelöst, ob unsere Verteidigungsanstrengungen vergebens seien, das Geld für die Bundeswehr also zum Fenster hinausgeworfen sei. Die jüngsten Indiskretionen aus Amerika haben viele aufgeschreckt und Zweifel geweckt, wie es um die Verläßlichkeit der Vorneverteidigung stehe und ob es wirklich eine 30-Milliarden-Dollar-Lücke gebe. Die Arbeiten von Weizsäcker, Afheldt und Löser haben Zweifel an der Tauglichkeit unserer Verteidigungsstruktur wachgerufen, und viele fragen: Wirkt eigentlich die Abschreckung noch?Schließlich haben die Diskussionen um die Neutronenwaffe uns allen schlaglichtartig wieder einmal vor Augen geführt, was dieser abgegriffene und häufig gedankenlos gebrauchte Begriff „Gleichgewicht des Schreckens" wirklich und eigentlich meint.Viele, meine Damen und Herren, beginnen, aufs neue zu begreifen, daß es bei alledem, was uns in den aktuellen Fragen der Tagespolitik quält und beschäftigt, die wirkliche Schicksalsfrage der Menschheit schlechthin ist, ob es gelingt, die verheerende Zerstörungskraft der Atomkraft zu bändigen und die Menschheit vor Krieg, d. h. vor gegenseitiger Vernichtung zu schützen. Das ist immer noch die Hauptaufgabe, der wir uns stellen müssen, auch in diesem Parlament.
Es ist ein bißchen schade, Herr Leber, daß Sie und Ihr Haus durch eine nahezu vollständige Enthaltsamkeit in dieser Diskussion „glänzen". Schade deswegen, weil Sie — das haben wir gestern im Ausschuß erlebt — hervorragende Argumente und auch hervorragende Mitarbeiter haben und auch selber in der Lage wären, eine solche Diskussion zu führen. Wir dürfen das Feld nicht denen überlassen, die Zweifel wecken. Wir müssen bestätigen, und zwar nicht nur mit den Formulierungen, daß der Bürger ruhig schlafen könne, sondern mit klarer, differenzierter, eingehender Argumentation.
Die CDU/CSU hat die Große Anfrage eingebracht, um Antwort auf drängende verteidigungspolitische und strategische Fragen der Allianz zu erhalten. Gerade aber in entscheidenden Punkten bleibt uns die Regierung eine klare und befriedigende Antwort schuldig. Es ist häufig so, daß wir die klareren — nicht die geheimeren — Antworten im Verteidigungsausschuß erfahren. Das muß doch nicht so sein. Unser Volk ist reif dafür, die Wahrheit zu erfahren. Wir haben nichts zu verstecken, weil wir den Frieden wollen und nur den Frieden wollen und alle unsere Überlegungen darum kreisen, wie dieser Frieden sicher gemacht werden kann.
Ich will mich in der Begründung unserer GroßenAnfrage mit vier Fragen im einzelnen beschäftigen:Die erste Frage: Taugt unsere Strategie noch?Die zweite Frage: Reichen die Verteidigungsanstrengungen der NATO und der Bundesrepublik Deutschland zur Ausfüllung dieser Strategie aus?Die dritte Frage: Was muß geschehen, um Schwächen zu beseitigen und unsere Lage zu verbessern?Schließlich die vierte Frage: Wie muß die Politik des Westens gegenüber dem Warschauer Pakt insgesamt aussehen, um einen dauerhaften friedlichen Ausgleich zu erzielen und gleichzeitig unsere Beziehungen freier und menschlicher zu gestalten?Zur ersten Frage: Taugt unsere Strategie noch? Wir alle erleben, wie die Strategie der „flexible
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 2991
Dr. Wörnerresponse" oder der „flexiblen Reaktion", wie man es, glaube ich, am besten übersetzt, am Pranger steht. Viele kritisieren diese Strategie, halten sie für falsch, für überholt, für unwirksam und bestreiten die Tragfähigkeit aller drei Pfeiler: des konventionellen Pfeilers, des taktisch-nuklearen Pfeilers, des strategisch-nuklearen Pfeilers.Nun haben wir klare Maßstäbe, um die Tauglichkeit einer Strategie zu prüfen und zu beantworten. Diese Maßstäbe sind die Hauptaufgaben, die jeder Strategie in unserer Lage gestellt sind, nämlich erstens die Frage „Was taugt sie zur Kriegsverhinderung und Friedenssicherung?" und zweitens die Frage — für den Fall, daß dies scheitern sollte —„Was taugt sie für eine erfolgversprechende Verteidigung?".Ich sage für meine Fraktion, für die Fraktion der CDU/CSU: An beiden Maßstäben gemessen ist die gegenwärtige Strategie der Allianz nicht nur besser als alle anderen Alternativen; sie ist unter den gegenwärtigen Gegebenheiten die einzig glaubwürdige und tragfähige Strategie für Abschreckung und Verteidigung.
Die erste und wichtigste aller strategischen Überlegungen ist es heute — ich sagte das bereits —, den Krieg zu verhindern. Seit die unvorstellbare Zerstörungskraft des Atoms die Menschheit in den Stand gesetzt hat, sich selbst auszurotten, ist die Kriegsverhinderung geradezu der kategorische Imperativ aller sicherheitspolitischen Überlegungen aller Kräfte in diesem Hause geworden.
Nur, meine Damen und Herren, und ich sage das nach draußen wie zu Teilen in diesem Hause: Die unselige Zerstörungskraft des Atoms schafft man nicht mit idealistischen Beteuerungen und schon gar nicht mit gefühlsmäßigen Protesten aus der Welt.Lassen Sie mich hier einmal folgende Überlegung anstellen. Selbst wenn es gelänge, die Atomwaffen völlig abzuschaffen, schützte das die Menschen nicht mit Sicherheit vor einem Atomkrieg. Würde nicht sofort nach Kriegsausbruch jeder der beteiligten Staaten die Produktion dieser Waffe wieder in Auftrag geben — denn die Kenntnisse zur Produktion sind ja nicht mehr aus den Köpfen der Menschen zu lösen —? Würde dann nicht derjenige, der sie zuerst hat, sie auch werfen?Aus dieser bitteren Erkenntnis hat schon Jaspers die Schlußfolgerung gezogen und in dem Buch „Mit der Bombe leben" niedergelegt, das auch heute noch lesenswert ist. Die Schlußfolgerung daraus für diejenigen — das sind wir alle —, die sich bemühen, auch den Nuklearkrieg — nicht nur den Nuklearkrieg — zu verhindern, kann dann nur heißen: Wer den Krieg verhindern will, muß einen möglichen Angreifer mit unkalkulierbaren Risiken konfrontieren. Das heißt, wer einen Angreifer abschrecken will, der muß ihm deutlich machen, daß er katastrophale, d. h. unverhältnismäßige Opfer und Kosten für Ziele aufbringen muß, die dies nicht wert sind.Genau dies leistet die gegenwärtige Strategie der flexible response. In ihr sind die konventionelle, die taktisch-nukleare und die strategisch-nukleare Komponente so verknüpft, daß sie wechselseitig ihren Abschreckungswert vergrößern.Ich sage jetzt ganz offen auch folgendes. Natürlich hat auch diese Strategie ihre Mängel, denn auch diese unsere Strategie kommt an zwei Grundgegebenheiten unserer strategischen sicherheitspolitischen Lage nicht vorbei, die wir leider nicht aus der Welt schaffen können. — Im übrigen: An diesen beiden Tatsachen wird klar, daß Europa endgültig seine Weltmachtrolle verspielt hat und daß Europa, wenn überhaupt, dann nur als politische Handlungs- und Schicksalsgemeinschaft einen Teil seines Einflusses und seiner Bedeutung zurückgewinnen könnte. — Diese beiden Grundgegebenheiten, an denen viele in unserem Volk und viele auch in der Politik laufend vorbeigehen, sind:Erstens. Europa ist außerstande, die militärische Macht der UdSSR allein auf sich gestellt zu balancieren, und bleibt daher vom nuklearen Schutz einer außereuropäischen Macht, nämlich der Vereinigten Staaten von Amerika, auf Dauer abhängig, und dies in einer Zeit, in der die nukleare Parität der Supermächte den Einsatz nuklearer Waffen mit einem Existenzrisiko auch für den — und gerade für den — versieht, der sie einsetzt. Das ist eines der beiden Dilemmas, vor denen wir stehen.Die zweite Grundgegebenheit: Europa ist offensichtlich weder fähig noch willens, die konventionelle Unterlegenheit gegenüber dem Warschauer Pakt auszugleichen, und bleibt daher auf Androhung des Ersteinsatzes nuklearer Waffen angewiesen. Das ist unser anderes Dilemma, und dafür gibt es keine Patentlösung. Damit hängt es zusammen, daß wir bis jetzt keine wirklich perfekte Lösung für unser Sicherheitsproblem gefunden haben und uns letztlich mit zweitbesten Lösungen zufriedengeben müssen. Ich sage das gerade auch einmal in einer Debatte des Deutschen Bundestages.Natürlich wäre es besser — das wäre im Grunde genommen sogar die logische Konsequenz —, nach der strategischen Parität der Großmächte nun auch noch auf konventioneller Ebene die Parität herzustellen und damit jedem Angriff des Warschauer Pakts schon mit konventionellen Mitteln die Aussicht auf Erfolg nehmen zu können. Aber was würde das bedeuten? Mindestens — ich sage: mindestens — 15 präsente Divisionen mehr, mindestens ebensoviele Reservedivisionen, Tausende von Panzern mehr, Tausende von Panzerabwehrwaffen mehr. Das würde letztlich eine Aufstockung unserer Verteidigungsetats in der gesamten westlichen Welt um nahezu ein Drittel bedeuten. Es ist doch einfach unrealistisch, anzunehmen, daß das zu schaffen wäre. Das heißt, wer als Alternative eine reine konventionelle Option anbietet, der geht an der Wirklichkeit vorbei. Das ist keine Alternative zur Strategie der flexible response.
Genauso unrealistisch — auch das muß klar gesagt werden — ist die Vorstellung, zur massiven
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2992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Dr. WörnerVergeltung zurückkehren zu können, bei der die konventionellen Truppen lediglich die Funktion eines Stolperdrahtes hätten. Wer dies will — es gibt manche im politischen Lager, die das ausgesprochen oder unausgesprochen wollen —, der muß wissen, daß er sich fortlaufend vor die Alternative stellen läßt: Kapitulation oder Selbstmord. Selbst wenn Europa eine eigene strategisch-nukleare Komponente hätte, wäre eine solche Strategie barer Unfug. Lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen.Bleiben die Vorschläge zur Raumverteidigung der Afheldt, Weizsäcker und anderer mehr. Schon der gedankliche Ansatz dieser Raumverteidigung vermag nicht zu überzeugen. Auch wenn man alle größeren militärischen Ziele beseitigte und in Tausende von Techno-Kommandos aufsplitterte, wäre damit keineswegs sichergestellt, daß der Gegner keine Atomwaffen einsetzte. Im Gegenteil: da sein Risiko ja verschwindend gering wäre, würde der Anreiz wachsen, gerade auf zivile Ziele — und sei es zu demonstrativen Zwecken und um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen — Atomwaffen einzusetzen. Schon aus diesem Grund kommen diese Ideen als eine Lösung unserer strategischen Probleme nicht in Frage.
Der Journalist Weinstein hat nicht zu Unrecht einmal im Zusammenhang mit der Raumverteidigung vom „Planspiel mit dem Selbstmord" gesprochen.
Denn diese Vorstellungen verstoßen gegen einen klassischen strategischen Grundsatz, nämlich den, daß gerade in der Verteidigung die Konzentration der Kräfte und nicht die Zersplitterung den Erfolg sichert. Außerdem: wer von Raumverteidigung spricht — wir haben doch keinen Raum preiszugeben! In den ersten 100 km von der Zonengrenze lebt fast ein Drittel unserer Bevölkerung, liegt fast ein Drittel unserer Industrielandschaft.
So sehr man anerkennen muß, daß es Wissenschaftler gibt, die sich um Strategie und um Alternativkonzepte bemühen, so sehr muß man sagen: dieses operative Konzept bewirkt nicht Abschreckung, sondern dieses operative Konzept wäre, wenn es verwirklicht würde, die Einladung an den Warschauer Pakt, es einmal zu versuchen.Nun ist die flexible response kein starres Konzept. Wir müssen dieses Konzept weiterentwickeln. Wir müssen es anpassen an die Waffenentwicklung, müssen es anpassen an die gewandelte strategische Lage.Nachdem die Amerikaner im strategisch-nuklearen Bereich die nötige Flexibilität hergestellt haben — das war ja das große Verdienst von Schlesinger —, haben wir nach Auffassung der CDU/ CSU im Augenblick zur Verbesserung dieser Strategie der flexible response zwei Hauptaufgaben. Die eine: Wir müssen das taktisch-nukleare Potential modernisieren und eine höhere Flexibilität auch hier sicherstellen. Die zweite Aufgabe: Wir müssen die konventionelle Kampfkraft des Bündnisses stärken; denn nicht die flexible response als Gedankengebäude, als strategische Grundkonzeption ist falsch, ihre Schwäche liegt darin, daß vor allem die Europäer nicht das Notwendige tun, um diese Strategie mit der nötigen Substanz auszustatten.
Der konventionelle Pfeiler ist zu schwach und zu kurz, so daß die sogenannte Triade schief und wacklig steht.Und sehen Sie: Bei all denen, die sich neue Doktrinen und Strategien überlegen und sehr schnell bei der Hand sind, sie uns zu verkaufen, werde ich einen Verdacht nicht los, und an deren Adresse gerichtet, möchte ich sagen: Auch die eleganteste Doktrin kann keinen Ersatz bilden für die nötigen Verteidigungsanstrengungen.
Nun zur Modernisierung der taktisch-nuklearen Waffen. Die taktisch-nuklearen Waffen bilden ein unverzichtbares Kernstück unserer Abschreckung und unserer Verteidigungslandschaft. Sie sind es — nicht allein, aber wesentlich mit —, die die Eskalation und damit die Unkalkulierbarkeit des Risikos für den Gegner glaubwürdig machen. Viele haben sich das — das zeigt die ganze Diskussion um die Neutronenwaffe — nicht vor Augen geführt. Wenn es uns gelungen ist, nach dem Zweiten Weltkrieg den Ausbruch eines Krieges hier in Europa zu verhindern, dann verdanken wir das nicht zuletzt der Tatsache, daß der Warschauer Pakt weiß, daß er dann, wenn er in Europa angreift, das Risiko eines nuklearen Krieges eingeht. Diese Überlegung hat ihn bis heute davon abgehalten anzugreifen und wird ihn, so meine ich, wenn wir das glaubwürdig halten, auch in Zukunft davon abhalten, hier in Mitteleuropa einen Krieg zu suchen. Darum, meine Damen und Herren, kommt der nuklearen Entscheidungsfähigkeit eine so große Bedeutung zu.Ich sage das in Gegenwart des Bundesaußenministers — allerdings weniger in seiner Eigenschaft als Bundesaußenminister als in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der FDP. Der Vorschlag der FDP in ihrem sicherheitspolitischen Konzept, den Einsatz taktisch-nuklearer Waffen an ein Vetorecht der Bundesrepublik Deutschland zu binden, muß die rechtzeitige nukleare Reaktionsfähigkeit der Allianz entscheidend beeinträchtigen. Denn wenn wir diese Forderung stellen, stellen die Belgier und die Holländer und andere mehr sie mit dem gleichen Recht wie wir auch. Dann aber, Herr Genscher, ist es mit der Abschreckungswirkung, dem Kernstück der Kriegsverhinderung, nicht weit her. Darum können wir nur hoffen, daß dieser Teil Ihres Programms, in dem wir sonst sehr viele Punkte entdecken, die geradezu auffallende Ähnlichkeit mit Forderungen der CDU/CSU haben, möglichst schnell unter dem Vermerk „Profilneurose" abgelegt wird. Sie, Herr Genscher, der Sie doch immer im Bündnis auftreten und genau wissen, was das zur Folge hat, müssen als Parteivorsitzender dafür sorgen, daß das herauskommt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 2993
Dr. WörnerEbenso klar muß es sein, daß eine Abkoppelung der taktisch-nuklearen Waffen von der strategischnuklearen Ebene für uns Europäer absolut inakzeptabel wäre. Die Vorstellung eines auf Westeuropa oder die Bundesrepublik Deutschland begrenzten nuklearen Schlagabtauschs bis zum bitteren Ende ist für uns unannehmbar.
Wir greifen niemanden an. Wir bedrohen niemanden. Für uns ist auch die Vorstellung eines Präventivkrieges völlig ausgeschlossen. Wir wollen den Frieden. Alle unsere Anstrengungen richten sich darauf, den Krieg zu verhindern. Aber ich sage darum — gerade darum; ich hoffe, ich sage das für alle Seiten des Hauses —: Wer uns angreift, darf sich nicht in der Illusion wiegen können, daß er einen Krieg unter Begrenzung auf unser Territorium und unter Aussparung seines eigenen Territoriums anzetteln könnte.
Der Westen hält sich Nuklearwaffen nicht, um einen Krieg zu führen, sondern um ihn zu verhindern. Je differenzierter und flexibler sein Waffenspektrum is, desto eher kann er hoffen, den Warschauer Pakt von einem Angriff abzuschrecken, um den Frieden zu sichern.In diesen Zusammenhang gehört die Diskussion um die Neutronenwaffe, über die von Herrn Bahr — ich habe ihn hier vorhin noch gesehen; jetzt sehe ich ihn leider nicht mehr; es wäre ganz gut, wenn er nicht nur darüber reden, sondern sich auch im Parlament stellen und zuhören würde, wenn über diese Fragen gesprochen wird —
und anderen so viel Verwirrendes und Unzutreffendes gesagt wurde. Es ist schon ein beschämendes Zeichen für die Handlungsunfähigkeit der Regierung, des Bundeskanzlers und des Verteidigungsministers, daß sie dieser Flut falscher Darstellungen gerade aus ihren Reihen nicht sofort und energisch entgegengetreten sind.
Meine Damen und Herren, es ist schon schlimm genug, daß auf dem Gebiet der Steuerpolitik, der Konjunkturpolitik, der Wirtschaftspolitik, auf dem Gebiet der Energiepolitik, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit inzwischen nicht mehr der Bundeskanzler, sondern die Linken die Richtlinien der Politik bestimmen.
Es wäre geradezu katastrophal, meine Damen und Herren, wenn nun auch auf dem Gebiet der äußeren Sicherheit nicht mehr der Bundesverteidigungsminister, der Bundeskanzler und die Regierung, sondern Herr Bahr und andere — aus diesen oder jenenGründen — das Sagen in der Bundesrepublik Deutschland hätten.
Zunächst einmal muß man einfach wissen: Die Neutronenwaffe, verglichen mit dem jetzt vorhandenen taktisch-nuklearen Potential, mindert eben nicht nur Schäden an Gebäuden, sondern vor allen Dingen auch an Menschen. Sie ist eine Waffe, die der im Bündnis seit jeher geforderten Schadensbegrenzung gerade für die Zivilbevölkerung entspricht. Nicht daß Herr Bahr moralische Kategorien angewandt hat, werfen wir ihm vor, sondern daß er falsche Kategorien an der falschen Stelle angewandt hat. Die einzig legitime Frage ist doch die: Tragen diese Waffen dazu bei, einen Kriegsausbruch zu verhindern, den Krieg unmöglicher zu machen oder nicht? Das ist die moralische Frage!
Und da teilen wir die Auffassung der Bundesregierung, so wie sie uns gestern vorgetragen wurde und wie sie hoffentlich der Bundesverteidigungsminister gleich wieder vortragen wird. Wir teilen Ihre Meinung! Gerade weil diese Waffe die Begleitschäden für die Zivilbevölkerung mindert, wären ihr Einsatz glaubwürdiger, das Risiko für den Warschauer Pakt höher und damit die Abschreckung und die Kriegsverhinderung wirksamer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk?
Die mir für meine Ausführungen zur Verfügung stehende Zeit wird — ich sehe es jetzt schon — kaum ausreichen. Deswegen bitte ich um Vergebung, daß ich Ihre Zwischenfrage nicht zulassen möchte. Sonst täte ich es gern. Sie kennen mich ja hinreichend.Die weltweite Kampagne, meine Damen und Herren, mit der Moskau die Offentlichkeit gegen die Neutronenwaffe zu mobilisieren versucht,
spricht doch Bände. Es soll sich doch niemand täuschen: Diese Kampagne zielt auf die psychologische Entwaffnung unserer Bevölkerung, auf die Verteidigungsbereitschaft schlechthin. Hätte sie Erfolg, die nächste Kampagne stünde uns sofort ins Haus. Deswegen sollte sich jeder überlegen, ob er einer solchen Kampagne Munition liefert, meine Damen und Herren.
Im übrigen ist das doch der Gipfel der Heuchelei: Moskau konstruiert ununterbrochen und gerade in letzter Zeit viel furchtbarere Waffen, etwa die SSX-20,
die auf Mitteleuropa gerichtet ist. Deswegen wäre es viel besser, sich über Moskau und seine Rüstungspolitik aufzuregen als die angebliche Perversität des Denkens im Westen anzuprangern, die doch nur dem
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2994 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Dr. WörnerZweck dient, den Krieg zu verhindern und den Frieden wirklich sicherer zu machen, meine Damen und Herren.
Die ernsten Argumente und ernsten Überlegungen, die man hier anstellen kann und muß — Herr Kollege Horn, da denke ich an Ihren gestrigen Beitrag, und ich denke an andere Beiträge im Verteidigungsausschuß —, will ich nicht vom Tisch wischen; darauf will ich eingehen.Das erste Argument: Manche befürchten, daß dadurch die Schwelle zwischen atomaren und konventionellen Waffen verwischt würde, und das heißt, daß man leichter in einen Atomkrieg geraten könnte. Dagegen spricht eindeutig, daß sich der amerikanische Präsident diese Entscheidung genauso vorbehalten wird wie die Entscheidung über den Einsatz anderer Nuklearwaffen. Denn das sind nukleare Waffen; es sind keine verlängerten konventionellen Waffen, und sie dürfen es nicht werden. Das heißt, die Schwelle wandert nicht nach unten, und niemand wird daran denken, solche Waffen leichtfertig und vorschnell einzusetzen.Das zweite Argument ist, man treibe damit möglicherweise die Rüstungsspirale weiter, man gefährde die Abrüstungsverhandlungen. Das heißt die Dinge auf den Kopf stellen. Solange die UdSSR den Rüstungswettlauf antreibt, ständig neue — auch nukleare — Waffen einführt und gleichzeitig ihr konventionelles Übergewicht noch verstärkt, solange gibt es nur eine Chance, sie davon abzubringen, nämlich ihr zu zeigen, daß der Westen auf Grund seiner technologischen Überlegenheit nicht nur mithalten könnte, sondern dabei auch nicht den kürzeren ziehen würde. Hier liegt die Hoffnung, sie zur Einkehr und zur Umkehr zu bewegen.
Ich sage allerdings ein anderes ebenso klar und, wie ich hoffe, einverständlich: Es wäre ein verhängnisvoller Trugschluß, zu glauben, die Nuklearwaffen könnten konventionelle Anstrengungen ersetzen. Die starke Abhängigkeit der NATO von der Drohung mit frühzeitigem Kernwaffeneinsatz bleibt problematisch, vor allen Dingen auch in einem Krisenfall und im Blick auf unsere eigene Bevölkerung.Damit bin ich bei der Frage, ob unsere Verteidigungsanstrengungen ausreichen. Ich will gleich sagen, sie reichen nicht aus. Und das kommt eben in Ihrer Antwort nicht zum Ausdruck, Herr Leber. Das hätten Sie hineinschreiben müssen, denn Sie werden mit der Forderung der Amerikaner, die Sie ja selbst unterschrieben haben,
3 % real mehr aufzubringen, konfrontiert werden; das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Amerikaner sind dazu bereit; Carter hat das deutlich gemacht. Sie verstärken die konventionelle Verteidigung, sie schicken zwei Brigaden. Carter kündigt diese Steigerungen an. Er nimmt den Beschluß ernst, der im Mai gefaßt wurde. Aber geben wir uns keiner Illusion hin: Dann, wenn die Europäer dem nicht nachkommen, wenn sie nicht das tun, was nötig istund was versprochen ist, werden diejenigen in den Vereinigten Staaten wieder Einfluß gewinnen, die den Abzug amerikanischer Truppen und die Reduzierung des amerikanischen Engagements in Europa befürworten.
Sie wissen, daß diese Anstrengungen nicht ausreichen. Die Sowjetunion hat, während sie von Entspannung redete, ihr konventionelles Potential auffallend verstärkt. Nur zwei Zahlen: Erstens hat die NATO nur ein Drittel der Panzerabwehrwaffen, wie die Sowjetunion Panzer hat, unsere eigenen Panzer eingerechnet. — Herr Leber, das ist eine Zahl, die gestern im Ausschuß von Ihren Herren vorgetragen wurde; da dürfen Sie nicht den Kopf schütteln, sondern sollten es vielleicht vorher nachlesen.Zweitens ist die Sowjetunion selbst an Panzerabwehrwaffen überlegen. Dazu kommen ihre Fähigkeiten zur chemischen Kriegführung; dazu kommt ihre wachsende Seemacht, mit der sich die Sowjetunion, wie ich behaupte, ein Instrument für eine weltweite, für eine globale politische Interventionsstrategie geschaffen hat. Haig spricht nicht umsonst davon, daß die NATO vor einer noch nie dagewesenen Herausforderung stehe. Und deswegen muß man hier einmal deutlich vor unserem Volk sagen: Wenn die Staaten der freien Welt nicht die Kraft aufbringen, die für sie ungünstige Tendenz der letzten Jahre zu stoppen, droht ihnen der Verlust der Freiheit, und es wächst die Kriegsgefahr, statt daß sie vermindert wird. Deswegen sage ich noch einmal: Für uns kommt die Aufgabe deutschen Territoriums nicht in Frage. Der Schutz unseres ganzen Staatsgebiets ist für uns eine absolut unabdingbare Voraussetzung unserer Mitgliedschaft in der Atlantischen Allianz.Wir kennen aber alle diese Schwächen, und wir wissen, daß, wenn wir den Trend der letzten Jahre — d. h. auch die in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten drei Jahren rückläufigen Verteidigungsaufwendungen — fortsetzen, eines Tages General Close recht haben wird, der im Augenblick noch nicht recht hat. Dann werden Sie nicht mehr imstande sein, den Warschauer Pakt, sollte er angreifen, auch nur einigermaßen in Grenzen zu halten.In diesem Zusammenhang möchte ich noch etwas anderes sagen. Die Warnzeiten haben sich drastisch verkürzt. Dies ist aber in erster Linie ein Problem für die Politiker, denn die rechtzeitige Reaktion hängt von den Politikern ab. Gerade dann, wenn der Warschauer Pakt seinen Aufmarsch, wenn er ihn plant, etwa hinter Manövern verstecken sollte, wird die Frage an die Politiker sein, ob sie mutig und entschlossen genug sind, rechtzeitig die militärischen Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind. Deswegen müssen wir uns von einer Illusion befreien, meine Damen und Herren: Rechtzeitig ergriffene und richtig dosierte militärische Maßnahmen — das zeigen die Erfahrungen im Oktoberkrieg — eskalieren nicht, treiben die Spannungen nicht nach oben, sondern wirken eher spannungsvermindernd. Das heißt, als Politiker müssen wir uns und unser Volk daran gewöhnen, daß notfalls auch einmal vor-
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Dr. Wörnersorglich gehandelt wird, so daß klar wird, daß wir entschlossen und bereit sind, militärische Maßnahmen rechtzeitig zu ergreifen.Lassen Sie mich etwas im Blick auf die Amerikaner sagen. Wir sind dem amerikanischen Präsidenten dankbar, daß er klargemacht hat, daß ein Aufgeben deutschen Territoriums nicht in Frage kommt.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch etwas anderes sagen. Wir sind ebenso dankbar, in General Haig — das möchte ich in diesem Parlament einmal aussprechen — einen Oberbefehlshaber der NATO zu haben, der offensichtlich bestrebt ist und mit Fähigkeit, mit Weitblick und mit Tatkraft versucht, gerade die Reaktionsfähigkeit, die Verteidigungsbereitschaft und damit auch die Abschreckung in Mitteleuropa systematisch zu verbessern.
Die vier augenfälligsten Schwächen in unserem Verteidigungssystem, auf die ich nicht im einzelnen eingehen kann — dies werden für uns die Kollegen Kraske und Biehle tun —, sind die Schwächen unseres Mobilmachungssystems, die Schwächen im Bereitschaftsgrad unserer Streitkräfte, die nicht vorhandene Infrastruktur für rechtzeitig herbeizuschaffende Verstärkungen aus Übersee, das nicht ausreichend ausgeschöpfte Reservistenpotential und viertens schließlich die mangelnden Anstrengungen im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit und der Zivilverteidigung. Wir brauchen dringend das angekündigte Gesamtkonzept unserer Verteidigung.
Auch in der Bundeswehr ist bei weitem nicht alles so gut, wie der Herr Bundesverteidigungsminister es darzustellen beliebt. Darüber täuschen auch imposante Waffenschauen nicht hinweg. Ich nenne nur die unzulängliche Ausbildung insbesondere der jungen Unteroffeziere und die praxisferne und mangelnde taktisch-operative Ausbildung unserer jungen Offiziere gerade des Heeres. Dies ist eine ganz große Schwäche, die wir schnellstmöglich beseitigen müssen.
Zweitens möchte ich hier etwas wiederholen, was ich schon oft gesagt habe.
— Wissen Sie, Herr Möllemann, manchmal kann es gar nichts schaden, wenn man sich auch ein bißchen in der Bundeswehr auskennt und über sie die notwendige Sachkenntnis hat. Ich nenne die sich ständig verschlechternde Personallage. Herr Leber, Sie sind seit einem Jahr im Wort. Sie haben mit Ihrer Regierung diese sich verschlechternde Personallage auf dem Gewissen. Kommen Sie jetzt endlich mit Ihrer eigenen Gesetzesvorlage oder unterstützen Sie wenigstens die zügige Beratung unserer Gesetzesvorlage,
damit die Probleme endlich gelöst werden.Als viertes Problem, dessen Lösung unbedingt und schnell angegangen werden muß, nenne ich die Mängel in der Beschaffung und Bevorratung von Munition. Ich füge für unsere Fraktion in einem Satz hinzu: Dort, wo Sie höhere Ausgaben dafür brauchen, haben Sie unsere Unterstützung, die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.Meine Damen und Herren, ich habe mich bis jetzt nur mit dem militärischen Aspekt unserer Sicherheit befaßt. Nur darf man militärische Sicherheit nicht mehr alleine sehen, heute weniger denn je. Man darf sie nicht isoliert sehen, und man darf sie auch nicht mehr nur lokal oder gar regional sehen. Sicherheit ist heute nur im Gesamtkontext politischer, militärischer, sozialer Sicherheit zu wahren. Sicherheit kann man nur weltweit bewahren. Ganz sicher ist, daß beispielsweise Europa in Afrika ausmanöveriert werden könnte, ohne daß hier auch nur ein Schuß fiele. Daraus ziehen wir zwei Schlußfolgerungen, die ich hier einmal wiederholen möchte: Die Atlantische Allianz muß über ihren Charakter einer reinen Verteidigungsallianz hinauswachsen. Sie muß sich langfristig als Schicksalsgemeinschaft der freien Welt verstehen. Das heißt, sie muß den Versuch unternehmen, in den vitalen Fragen des Überlebens der freien Welt zu einer solidarischen, koordinierten Politik zu kommen.Zweitens. Die geographische Begrenzung der Allianz ist überholt. Das heißt nicht, daß die NATO weltweit intervenieren müßte, das heißt nicht, daß die Bundeswehr etwa in Afrika eingesetzt werden müßte. Wohl aber heißt das, daß die NATO als Ganzes nicht zulassen darf, daß ihre Versorgungswege und ihre strategisch bedeutsamen Gebiete durch Gewaltanwendung unter Kontrolle des Warschauer Pakts oder der UdSSR gebracht werden können.
Meine Damen und Herren, die ganze Allianz schuldet den Amerikanern mindestens praktische und moralische Solidarität, wenn sie sich dieser Aufgabe stellvertretend für die gesamte Allianz annehmen.
Wer wirklich Entspannung, Ausgleich und — ernsthaft — Abrüstung sucht, der muß vor allen Dingen die Überzeugung der Sowjets erschüttern, daß es sich lohne, auf Macht und Gewalt zu setzen. Er muß ihnen zeigen, daß sich der Westen einer solchen Auseinandersetzung auf politischem, auf wirtschaftlichem, auf geistigem Gebiet nicht entzieht, daß er dort stärker ist. Es gibt nicht den geringsten Grund, die UdSSR zu überschätzen. Ihre Schwächen werden immer deutlicher. Sie lassen sich auf die Dauer nicht allein mit militärischer Macht überspielen.
Meine Damen und Herren, solange sich der Westen allerdings das Konzept der Entspannung von der Sowjetunion diktieren läßt und das Spiel nach den Spielregeln der Sowjets spielt, kann und wird es nach unserer Überzeugung keine wirkliche Entspannung geben;
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Dr. Wörnerdenn diese Spielregeln sind allzu durchsichtig auf den imperialistischen Machtanspruch der Kommunisten zugeschnitten. Die Kommunisten zögern doch nicht einen Moment, bei uns im Westen, wo es geht, zu intervenieren, einzugreifen, sich einzumischen. Aber wenn wir uns im Westen um das Schicksal von ein paar in Irrenanstalten eingekerkerten Freiheitskämpfern kümmern, dann heißt es: Keine Intervention, keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten! Das einzige, was mich daran wundert, ist die Naivität mit der einige Politiker bei uns und im Ausland darauf hereinfallen, meine Damen und Herren.
Deswegen müssen wir mit einer Politik aufhören, die sich Schritt um Schritt der Macht beugt, in der Illusion, dadurch einen Wandel bewirken zu können.
Wir müssen mit einer Politik aufhören — und das gehört gerade in eine solche Debatte —, die die Aufrüstung der Sowjetunion durch Kredit und Lieferung von Technologien ohne Beschränkung unterstützt und damit den Selbstmord des Westens fördert.
Nun kommt ein amerikanischer Präsident, und dieser amerikanische Präsident bricht — fast hätte ich gesagt — mit einem Gesetz. Seither war es Übung geworden, daß der neue amerikanische Präsident von den Sowjets getestet wurde. Diesmal hat man den umgekehrten Eindruck. Dieser Mann geht hin und füllt den Begriff der Entspannung mit den beiden einzigen realen Inhalten, den Menschenrechten und einer wirklichen, ernstgemeinten Abrüstung. Aber anstatt ihm dafür zu danken und ihm den Rücken zu stärken, fallen ihm die kleingläubigen Hohepriester der gescheiterten Entspannungspolitik gleich reihenweise in den Rücken, meine Damen und Herren.
Der Grund: der Herr Breschnew ist offensichtlich verstimmt, was ja auch kein Wunder ist. Und schon melden sich diese neunmalklugen Anpasser im Westen in Scharen zu Wort, Carter produziere Angstgefühle, er überspanne den Bogen, er kehre zum Kalten Krieg zurück. Ich sage das leider in Abwesenheit des Bundeskanzlers, obwohl ich dafür — das muß ich ausdrücklich sagen, seit ich den Grund kenne — Verständnis habe — —
— Ja, das sage ich. Im Unterschied zu Ihnen, Herr Wehner, kenne ich die Regeln der Fairneß nicht nur, sondern kann sie auch beachten.
Auch der Herr Bundeskanzler hätte besser darangetan, dem Präsidenten der Vereinigten Staatenden Rücken zu stärken, anstatt ihn kleinlich vorder Dramatisierung der Menschenrechtsfrage zu warnen.
Ihre vorgebliche oder wirkliche Sorge, Carter gefährde mit seiner Politik die menschlichen Erleichterungen, ist unbegründet. Niemand wird diese Erleichterungen gering schätzen. Aber auch sie wurden nicht kostenlos gegeben, sondern vom Westen teuer bezahlt. Im übrigen: sie sind jederzeit widerrufbar, und sie wurden ja schon widerrufen, wenn es der Sowjetunion beliebte, Entspannung hin, Entspannung her.Meine Damen und Herren, darum gibt es langfristig nur eine Garantie für menschliche Erleichterungen, daß sich die Sowjetunion nämlich darüber im klaren wird, daß es ihr ureigenstes Interesse ist, mit einem starken und geschlossenen Westen auf eine Basis des Ausgleichs zu kommen, deren Grundlage eben mehr Freiheit und mehr menschliche Erleichterungen und mehr Menschenrechte sind. Es ist ein Unfug, zwischen Menschenrechten und menschlichen Erleichterungen eine künstliche Kluft schaffen zu wollen.
Das gilt auch — das sei meine letzte Bemerkung — für den Erfolg der Rüstungskontrollverhandlungen, sei es in Wien oder in Genf. Die Sowjetunion wird sich erst dann zur Anerkennung und Fixierung der Parität auf allen Stufen bereitfinden, wenn sie die Hoffnung aufgegeben hat, den Westen überflügeln zu können. Darum hat Carter mit seinen Entscheidungen zu Cruise Missiles, zur Neutronenwaffe und zum B 1-Bomber völlig zu Recht deutlich gemacht, daß die UdSSR, d. h., daß die Sowjetunion die Wahl hat zwischen ernstgemeinten Abrüstungsvereinbarungen und einer neuen Stufe des Rüstungswettlaufs, den nicht nur durchzuhalten, sondern zu gewinnen Carter entschlossen ist.In dieser Erkenntnis liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Politik des Westens gegenüber der Sowjetunion. Wir brauchen Mut zur besonnenen Stärke und die Entschlossenheit, sie einzusetzen — ich wiederhole, damit keine Mißverständnisse aufkommen nicht etwa um die Sowjetunion in die Knie zu zwingen, nicht etwa zu einem neuen Versuch des „roll-back", nicht etwa um der Sowjetunion unser Gesellschaftsystem aufzuzwingen, sondern um einen dauerhaften Ausgleich, einen dauerhaften Frieden auf der Basis des Rechts und der Menschenwürde mit möglichst freiem Austausch zustande zu bringen. Die Sowjetunion muß begreifen: Sie hat die Wahl zwischen Zusammenarbeit und Auseinandersetzung, zwischen Koexistenz und Konfrontation. Wir sind zur Zusammenarbeit aufrichtig bereit, wir wollen nichts sehnlicher als das. Aber wir scheuen auch das andere nicht, weil wir wissen, daß der Westen die besseren Trümpfe in der Hand hat: Freiheit und Menschenrechte sind stärker als alles andere!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1978 2997
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn des Februars 1977 hatte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, der Kollege Herbert Wehner, eine Große Anfrage meiner Fraktion angekündigt. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir sie eingebracht. Die Antwort der Bundesregierung liegt unserer heutigen Debatte zugrunde. Ich finde, sie ist ein Dokument großer Sachlichkeit, großer Nüchternheit. Uns Sozialdemokraten ging und geht es vor allem darum, ganz sachlich den gegenwärtigen Zustand der beiden Machtblöcke NATO und Warschauer Pakt, die sich mit der bisher größten Militärmaschinerie auf deutschem Boden gegenüberstehen, hier vor der deutschen Offentlichkeit zu erörtern, nachdem tatsächlich, wie Sie, Herr Dr. Wörner, gesagt haben, die Fragen der äußeren Sicherheit wieder stärker in der öffentlichen Diskussion sind.Wir wollten von der Bundesregierung einen echten Kräftevergleich dargestellt bekommen, damit die Schwarzweißmalerei endlich ein Ende hat, die mit großer Vehemenz überall betrieben wurde. Der Kräftevergleich allein genügt uns nicht. Mit unserer Anfrage wollten wir auch erfahren, welche Konsequenzen aus diesen Ergebnissen des Kräftevergleichs zu ziehen sind, d. h. welche Entwicklungsmöglichkeiten die Bundesregierung für die Verteidigungs- und Entspannungspolitik zwischen NATO und Warschauer Pakt sieht. Sie können sich alle daran erinnern, daß wir vor einigen Monaten eine öffentliche Debatte über die militärischen Fähigkeiten der beiden Blöcke und ihrer Führungsmächte hatten, die sich vor allem um die Frage drehte, ob . ein potentieller Gegner tatsächlich in 48 Stunden am Rhein sein könnte.In eine solche Diskussion, die nicht immer sehr seriös geführt wurde, gehörte unserer Meinung nach eine offizielle Darstellung der Bundesregierung, die durch die Antwort auf die beiden Großen Anfragen von Koalition und Opposition gegeben ist.Die Antwort der Bundesregierung macht zum wiederholten Male deutlich, daß die sozialliberale Regierung mit ihrer Sicherheitspolitik, die unsere Zustimmung findet, drei Ziele verfolgt: erstens, den Frieden zu wahren, zweitens, die Unversehrtheit dieses Landes zu gewährleisten und drittens, die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Bedrohung von außen zu schützen. Dies& Ziele sind auch die sicherheitspolitischen Ziele meiner Fraktion, und wir stimmen mit der Regierung darin überein, daß diese Ziele nur im Bündnis zu erreichen sind. Darüber hinaus geht es uns darum, ein System der Sicherheit und Stabilität in Europa zu schaffen, in dem militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich werden.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Lage der NATO in bezug auf ihre politischen Absichten und militärischen Fähigkeiten machen, wie sie sich heute darstellen und wohl auch für die Zukunft zu erwarten sind. Sie können sich vielleicht noch erinnern, meine Damen und Herren von der Opposition, welchen Zustand die NATO im politischen Sinn vor etwa zehn Jahren hatte, und vergleichen, wie es heute aussieht. Dieser Vergleich ergibt, daß nicht zuletzt auch mit deutscher Hilfe im ideellen und materiellen Sinn etwa die Staaten Portugal und Griechenland in das demokratische Bündnis zurückgefunden haben. Es scheint sich abzuzeichnen, daß der türkisch-griechische Konflikt inzwischen so weit beruhigt ist, daß griechische Verbände sich wieder auf dem Wege in die militärische Integration befinden.Es ist sicher kein Kunststück, Herr Dr. Wörner, hier und da im Bündnis, im eigenen Land ein Haar in der Suppe zu finden; aber jeder deutsche Politiker, der zu Fragen des Bündnisses Stellungnahmen abgibt, sollte eine Tatsache in seine Überlegung einbeziehen, die zwar zum Grundwissen über die NATO gehört, aber immer wieder vergessen wird: Die NATO ist ein Bündnis souveräner Staaten, und nie wird ein NATO-Partner irgend etwas tun oder lassen, nur weil sich bei uns irgend jemand, z. B. ein Oppositionspolitiker, etwas breitbeinig hinstellt. Anders wäre es, wenn es etwas gäbe, das dem Bündnis zustände und das wir ihm nicht gegeben hätten. Nur, Herr Dr. Wörner, Sie werden in dieser Hinsicht kaum etwas finden, was Sie dieser Regierung ankreiden können.Sie, Herr Dr. Wörner, haben zwar in der Debatte über den Haushalt 1977 am 23. Juni gesagt, daß es mit den Verteidigungsausgaben sehr düster aussehe; aber bis heute reiten Sie Ihr Steckenpferd Verteidigungsausgaben ohne jede Alternative. Sie wissen sehr genau, daß es sachlich bedingte Schwankungen im Bereich der investiven Ausgaben gibt und daß der Bereich der Personalausgaben der Bundeswehr mit einem Anteil am Plafond von rund 45 % aus den Betrachtungen über die Steigerung der Kosten für Waffensysteme auszuklammern ist.Sie haben in der schon angesprochenen Haushaltsdebatte auch auf die Londoner NATO-Konferenz vom Mai 1977 hingewiesen. Ich kann Sie nur bitten, die 10. Finanzplanung der Bundesregierung sachlich zu beurteilen; dann werden Sie nämlich feststellen, daß die Londoner Zusage des Bundeskanzlers dort bereits niedergeschrieben ist. Nicht für den gesamten Haushalt — was gar nicht möglich ist; denn Tarifabschlüsse sollten nicht präjudiziert werden —, wohl aber für den Bereich der militärischen Beschaffung. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in Zukunft dazu beitrügen, eine sachliche Betrachtungsweise der Verteidigungsausgaben und Steigerungsraten vorzunehmen. Alles andere müssen wir als parteipolitische Argumentation zurückweisen.Und wenn wir Deutschen uns erlauben, über die Leistungen unserer Bündnispartner zu reden, dann sollte auch das wenigstens sachlich richtig sein. Wer sich ein Bild über die Verteidigungsausgaben der NATO und die jeweils festzustellenden realen Steigerungsraten in vergleichbaren Preisen über den Zeitraum von 1960 bis 1975 machen will, Herr Dr. Wörner, dem muß man empfehlen, einmal die „Military Balance" des Londoner Instituts für strategische Studien aufzuschlagen. Sie finden dort auf der Seite 82 eine Fülle von Argumenten. Daraus wird ersichtlich, daß außer den USA, Portugal, Norwegen und Italien alle übrigen NATO-Partner in den Jah-
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Neumannren 1970 bis 1975 eine höhere reale Steigerungsrate hatten als in der Periode von 1960 bis 1970. Auch der schon als „klassisch" anmutende Hinweis, daß die Sowjetunion 13 % ihres Bruttosozialprodukts für Verteidigung aufwendet und die NATO nur 4 oder 5 %, trägt nicht zur Versachlichung der Diskussion bei. Hier kann man nur noch mit einem drastischen Vergleich versuchen, die Rechenkünstler auf die Einfältigkeit dieses Vergleichs hinzuweisen: Es ist einleuchend, daß jemand, der 3 % aus einer 10-LiterFlasche trinkt, betrunken sein kann, während ein anderer, der 13 % aus einer halben Literflasche trinkt, erst richtig Durst bekommt.Wenn über die NATO gesprochen wird, ist ein ernster Hinweis auf die quantitativen Disparitäten zwischen NATO und Warschauer Pakt wohl angebracht. Das ist aber allein kein Schlüssel zu einem sachlichen Urteil über die Lage unserer Sicherheit im Bündnis. Untersucht man z. B. die Waffensysteme von Ost und West auf ihre qualitativen Unterschiede, so ist festzustellen, daß manche Waffensysteme des Warschauer Paktes um eine Generation hinter den westlichen Systemen liegen. Wenn man diese Frage untersucht, wird auch deutlich, daß die Sowjetunion die hohen Quantitäten, über die sie jetzt verfügt, nicht mehr im gleichen Umfang ersetzen kann. Denn höhere Qualität, die unerläßlich wird, kostet ihren Preis. Es wird sich auch hier auswirken, was im Sinn der Standardisierung für den Osten zwar vorteilhaft ist, aber in Bezug auf die Ablösegeschwindigkeit bei der Modernisierung im Warschauer Pakt äußerste Probleme aufwerfen wird, nämlich die Monopolistenrolle der UdSSR in der Rüstung des Warschauer Pakts. Zu einem Katalog der Schwächen der Waffen des Warschauer Pakts darf ich das Studium eines Artikels von Les Aspin empfehlen, der im jüngsten NATO-Brief abgedruckt ist.Ein weiteres Kapitel sind die Vorwarnzeiten. Nach dem Erscheinen des Buchs des belgischen Generals, der hier heute schon genannt wurde und der damals behauptete, die Russen könnten in 48 Stunden am Rhein sein, hatten Sie, Herr Dr. Wörner, nichts Eiligeres zu tun, als zu behaupten, daß die Befürchtungen der Opposition bestätigt seien. Sie haben sich heute hier hingestellt und gesagt: Dieser General hat noch nicht recht.
— Sie haben heute gesagt, das, was Herr Close in seinem Buch zum Ausdruck gebracht hat, treffe noch nicht zu.Bundeskanzler Helmut Schmidt hat zu dieser Art von Diskussion über sensible Bereiche unserer Politik bei der NATO-Ratstagung in London die nach meiner Meinung nach einzig richtige Antwort gegeben. Er hat gesagt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Dabei können wir es uns psychologisch und politisch nicht leisten und nicht ertragen, daß 60 Millionen Deutsche im Herzen Europas die ganze Zeit hören müssen, daß ihre psychologischen, ihre finanziellen, ihre geistigen Anstrengungen und Opfer einfach umsonst sind. Dies ist lächerlich; es ist destruktiv.Der belgische General ist in seinem Buch damals davon ausgegangen, daß die NATO ohne eine einzige Minute militärischer Vorwarnzeit angegriffen werden könnte und erst nach zwei Stunden aus dem Bett finden würde. Ich gebe zu, Herr Dr. Wörner: Auch hohe Repräsentanten des westlichen Bündnisses haben — Sie haben darauf hingewiesen — von Zeit zu Zeit von einer laufenden Verkürzung der Vorwarnzeit gesprochen. Das ist korrekt. Deshalb ist es erfreulich, daß der NATO-Oberbefehlshaber, General Haig, am letzten Wochenende einer Zeitung etwas anderes gesagt hat. Würde das stimmen, was in dieser Zeitung gestanden hat, dann könnten wir uns allerdings heute hinstellen und etwas behaupten, was ebenfalls nicht zutreffen würde. Denn da war von 8 bis 14 Tagen. Vorwarnzeit die Rede. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses haben gestern gehört, was Haig tatsächlich gesagt haben soll und was nicht in der Zeitung stand. Eines scheint mir deutlich geworden zu sein: Die 48-Stunden-These sollte vom Tisch sein. Sie haben vorhin selber etwas dazu gesagt.In der Sommerpause haben wir zwei öffentliche Diskussionen erlebt: erstens eine über die VorneVerteidigung und zweitens eine über die Neutronenwaffe. Gestern hat der Verteidigungsausschuß zum erstenmal eine umfassende Unterrichtung über die Neutronenwaffe erhalten. Was während der Ausschußsitzung über den Ticker einer Agentur lief, war falsch, nämlich daß die Fraktionen des Bundestags einer Beschaffung dieser Neutronenwaffe zustimmen würden. Das stand gestern überhaupt nicht zur Diskussion. Da wir Sozialdemokraten dieses Thema sehr ernst nehmen, wird sich mein Kollege Conrad Ahlers dieses Themas in dieser Debatte besonders annehmen; er wird, Herr Dr. Wörner, sicher auch auf Egon Bahrs Auffassungen zu sprechen kommen.Was die Frage der Vorne-Verteidigung angeht, so hat inzwischen der Präsident der Vereinigten Staaten sehr deutlich gemacht, was offizielle amerikanische Politik ist. Nachdem wir das wissen, sollten wir nicht in den Fehler früherer Jahre verfallen, jede Woche von den Amerikanern hören zu wollen, daß sie immer noch zu ihrer Sicherheitspolitik stehen, die auch für uns Sicherheit bedeutet.Sie, Herr Dr. Wörner, sollten nicht verschweigen, daß für Präsident Carter die Menschenrechts-Frage ein Teil seiner Entspannungspolitik ist, die er durch Rüstungsabkommen erreichen will.Niemand kann die Tatsache ändern, daß wir uns in der unmittelbaren Nachbarschaft der militärischen Supermacht Sowjetunion befinden. Angesichts der angehäuften Waffenarsenale und der Folgen einer konventionellen oder gar nuklearen militärischen Auseinandersetzung, die mit der Zerstörung dessen, was man verteidigen will, enden wür-
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Neumannde, gilt für uns vor allem die Suche nach politischer Sicherheit. Die politische Sicherheit gewinnt man nicht dadurch, Herr Dr. Wörner, daß man den Zuständigkeitsbereich der NATO über den Wendekreis des Krebses hinaus ausdehnt und Moskau in der Dritten Welt militärisch gegenübertritt, wie Sie es laut NRZ vom 7. Mai 1977 gefordert haben. Ich wäre Ihnen, Herr Dr. Wörner, sehr dankbar, wenn Sie diesem Haus folgenden Satz vom 7. Mai 1977 erläutern würden. Im Zusammenhang mit dieser Ausdehnung haben Sie dort gesagt:Eine isolierte militärische Intervention der Bundesrepublik wäre dabei das Ungeschickteste, was sich denken ließe.Um eine Erläuterung des nächsten Satzes würde ich Sie wirklich herzlich bitten:Aber bei einer multinationalen NATO-Aktion sollte ein Schiff der Bundesmarine dabei sein.Ich habe mich gefragt: Was könnte in Ihren Augen eine solche NATO-Aktion sein?Wir Sozialdemokraten lehnen solche aufgeblasenen Abenteuerposen ab, weil sie in keiner Weise zu unserer Sicherheit beitragen.
Unsere Außenpolitik sollte vielmehr der Sowjetunion noch deutlicher machen, daß die Länder der Dritten Welt nicht Militär-, sondern Entwicklungshilfe benötigen.
— Aber sicherlich!Für ebenso gefährlich halte ich es, Herr Kollege Dr. Wörner, was Sie der Nachrichtenagentur „Neues China" gegenüber als Ihr Rezept für unsere Außen- und Sicherheitspolitik empfohlen haben. Was Sie da verkündet haben, ist wieder einmal nichts mehr als Verbalismus. Da heißt es:Manfred Wörner, der auch der verteidigungspolitische Sprecher der Parlamentsfraktion von CDU/CSU ist, vertritt die Auffassung, der Westen sollte die sowjetische Herausforderung annehmen und auf allen Gebieten zur Offensiveübergeben, anstatt defensiv zu sein, um der sowjetischen Expansion Einhalt zu gebieten.Nachdem Sie den Chinesen gegenüber die Sowjetunion als schrecklichen Imperialisten geschildert haben, kommt dann der militärpolitische Purzelbaum. Dort heißt es dann weiter:Wörner hob zugleich hervor, man solle die sowjetische Stärke nicht überschätzen. Die Sowjetunion sei im Grunde sehr schwach.Wenn die Sowjetunion schwach ist, was wir Sozialdemokraten nicht behaupten, was soll dann Ihr Wortgeklingel über mehr Rüstung bei uns?Ihr Kollege Strauß hat zur Bundeswehr etwas ganz anderes gesagt, als Sie es hier in Ihren heutigen Ausführungen dargestellt haben. Sie müssen sich endlich einmal entscheiden, was nun eigentlich stimmt.Die Antwort der Bundesregierung auf unsere beiden Großen Anfragen könnte die Basis für eine gemeinsame Sicherheitspolitik in diesem Hause sein. Aber mit dem, was' Sie zur Zeit verkünden, können Sie keine gemeinsame Basis für eine Sicherheitspolitik erwarten. Wir wollen keine Offensivpolitik gegenüber der UdSSR und dem Osten, sondern eine Verständigung über Maßnahmen, die zur Verringerung der Lasten führen, die heute alle Völker, ob in der NATO oder im Warschauer Pakt, durch hohe Verteidigungsausgaben zu tragen haben und die weiter steigen werden, wenn es uns nicht gelingt, die Rüstungsspirale zu verlangsamen; vom Stoppen will ich noch gar nicht reden.Die Politik, die Sie zur Zeit empfehlen, ist Konfrontationspolitik mit der ihr innewohnenden Gefahr, das bisher erreichte gegenseitige Vertrauen, und sei es in Ihren Augen auch noch so gering, wieder zu beseitigen.
Wenn jemand in Konkurrenz zur Sowjetunion treten will, dann könnten es in diesem Bereich wohl nur die USA sein; und die senden zur Zeit auf einer ganz anderen Welle. Wir sollten Supermachtsträumen entsagen. Sie wurden in diesem Jahrhundert zweimal geträumt. Das Ergebnis brauche ich hier nicht darzustellen. Beschränken wir uns auf die Rolle, die wir heute haben, und tragen wir dazu bei, daß in Mitteleuropa die Furcht vor einer militärischen Auseinandersetzung abgebaut werden den kann!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In der Antwort der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen heißt es — ich zitiere —:Ein Vergleich aller Potentiale ergibt, daß die Nordatlantische Allianz insgesamt über eine Verteidigungskraft verfügt, die nicht hinter den Möglichkeiten des Warschauer Pakts zurücksteht.Ich halte dies für die wesentlichste Aussage, die viele andere Feststellungen aus der Antwort der Bundesregierung resümiert. Ich halte es für besonders erfreulich, daß diese Aussage erst vor wenigen Tagen von dem unabhängigen und weithin anerkannten Londoner Internationalen Institut für strategische Studien bestätigt wurde. Das Institut kommt zu dem Ergebnis, daß im ganzen das Kräfteverhältnis zwischen den Machtblöcken so erscheint, daß eine militärische Aggression unattraktiv ist. Dies bedeutet, daß die Bürger unseres Landes weiterhin in Frieden und Freiheit leben können. Wie jedermann weiß, ist das keine Selbstverständlichkeit — gerade auch vor dem Hintergrund der schnellen sowjetischen Aufrüstung —, sondern eine von uns durch Leistungen bewirkte Sicherheit.
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MöllemannDiese Sicherheit haben wir ganz wesentlich auch den Leistungen der Angehörigen unserer Bundeswehr zu verdanken sowie den verteidigungspolitischen und entspannungspolitischen Anstrengungen unserer Bundesregierung, vor allem ihrer Minister Genscher und Leber. Auch Sie, Herr Kollege Wörner, scheinen dies so zu sehen; denn Sie haben in 90 % Ihrer Rede den Prinzipien unserer Verteidigungspolitik hier zugestimmt. Ich frage mich allerdings nach Ihrer Rede, weshalb Sie dann dem Budget für eben diese Politik nicht zustimmen konnten. Herr Kollege Kraske wird es sicherlich besonders schwer haben, in seinem nächsten Beitrag dies zu erläutern.
Wenn wir, wie Sie behauptet haben, finanziell zu wenig für unsere Politik getan haben, dann frage ich mich allerdings, wo Ihre finanziellen Mehrforderungen bei der Beratung des Bundeshaushalts 1977 geblieben sind.Die Bundeswehr, meine Damen und Herren, ist diszipliniert, sie ist hervorragend ausgebildet und besser ausgerüstet als je zuvor.
Unsere Bundeswehr ist zum Stützpfeiler der Verteidigung in Mitteleuropa geworden.Herr Kollege Wörner, Sie meinen, ich würde mich so wenig auskennen. Ich fliege zwar nicht so oft mit dem Flugzeug über die Bundeswehr weg; ich habe meine Wehrübung dafür i n der Bundeswehr gemacht.
Niemand, der sich auch nur einigermaßen von Vorurteilen freigehalten hat, wird bestreiten können, daß die Bundeswehr Stützpfeiler des Bündnisses ist. Wer uns das nicht glaubt, Herr Kollege Dr. Wörner und meine übrigen geschätzten Kollegen von der Union, kann ja einmal unsere Alliierten fragen und deren Lagebeurteilung heranziehen.
— Ich will, Herr Kollege Dr. Wörner, die Sache für die interessierten Zuhörer vereinfachen und Ihre Frage wiederholen, ob ich nicht die Meinung von seriösen Experten beurteilen könnte, die mir unter vier Augen etwas ganz anderes sagten. Wissen Sie, die Methode kann ich hier nicht akzeptieren. Ich muß schon das veröffentlichte Meinungsbild aller Experten zur Kenntnis nehmen.
Wenn die Ihnen unter vier Augen etwas anderes sagen, als sie publizieren, dann sprechen Sie mit eigenartigen Experten!Auch in der Entspannungspolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir Fortschritte erzielt, die wesentlich mit auf die konstruktiven Beiträge der Bundesregierung zurückzuführen sind. Die Entspannungspolitik hat in der Tat — wie es in der heute zu behandelnden Antwort heißt — „dazu beigetragen, die politische Lage in Europa zu stabilisieren". Trotz aller Schwierigkeiten, die nicht zu leugnen sind und die nicht nur durch die sowjetische Aufrüstung verursacht wurden, sind die Koalitionsparteien und die von ihnen getragene Regierung nie versucht gewesen, Verteidigung und Entspannung als notwendige, einander ergänzende Einheit der Strategie des Friedens aus dem Blick zu verlieren. Ohne Frieden aber ist in der gegebenen politischen Weltlage und beim Stand der heutigen Waffentechnik ein Überleben nicht möglich. Diese Erkenntnis sollte jeder beachten, der Kritik an der Entspannungspolitik übt.
Man kann Kritik an falschen Methoden der Entspannungspolitik üben; das ist sicherlich Ihr Recht und auch Ihre Pflicht. Übt man aber undifferenzierte Kritik an der Entspannungspolitik schlechthin, so dient man, finde ich, dem Frieden überhaupt nicht.Herr Kollege Wörner, was Sie vorhin hier vorgetragen haben, war in der Tat der offenbar bei Ihnen nicht zu überwindende Tenor — ich zitiere —: Entspannung vollzieht sich nach den Spielregeln der Kommunisten, eine Politik, die sich Schritt um Schritt der Macht beugt; und was Sie sonst noch an Diffamierung uns gegenüber immer wieder vertreten.Dies ist nicht unsere Entspannungspolitik. Unsere Entspannungspolitik hat konkret bisher dazu geführt, daß die Menschen, für die wir hier ab und zu ja wohl auch noch Politik machen, Verbesserungen erfahren haben. Darauf kommt es uns an.
Die Antwort der Bundesregierung stellt — darauf habe ich hinzuweisen versucht — in Übereinstimmung mit der Studie des Internationalen Londoner Instituts fest, daß ein Angriff auf uns weiterhin unattraktiv ist. Wenn die so bleiben soll, dürfen wir nicht die Augen verschließen vor den Mängeln, vor den noch nicht gelösten oder noch nicht in Angriff genommenen Aufgaben in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in der Strategiediskussion und in der Bundeswehr selbst.Diese Mängel haben uns, die Freien Demokraten, dazu veranlaßt, schon zu Beginn der Legislaturperiode eine kritische Bestandsaufnahme im Bereich der Sicherheitspolitik vorzunehmen und uns zu fragen, wieweit es denn nun wirklich her ist mit der Fähigkeit des Bündnisses zur angemessenen Antwort, wieweit die herrschende Strategie und ihre materielle Ausfüllung wirklich in der Lage ist, unser Land zu verteidigen, ohne daß zerstört wird, was eigentlich verteidigt werden soll.Wir haben uns aber auch gefragt, wieweit denn der Bürger willens und bereit sei, Recht und Freiheit der Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen.
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MöllemannWir sind im Zusammenhang damit der Frage nachgegangen, ob die Unterrichtung der Soldaten auf dem Gebiet der politischen Bildung so angelegt ist, daß er seinen Auftrag versteht, und ob der tägliche Dienst, ob Fürsorge und Betreuung, auch für die Familienangehörigen der Soldaten, so gestaltet sind, daß der Soldat diesen sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat, den er verteidigen soll, auch als solchen im Dienst erlebt.Wir verstehen eigentlich auch heute noch nicht die Art und Weise, wie unserer Überlegungen dann behandelt werden. Herr Kollege Wörner, Sie haben gesagt, im Grunde komme Ihnen so vieles bekannt vor. Das ist die einfachste Methode, zu sagen: Ätsch, ich bin schon vorher dagewesen.
Ich finde, Sie sollten, wenn Sie Punkte positiv ansehen, ruhig einmal sagen, daß Sie sie so bewerten und weshalb das so ist, und nicht mit einem etwas lässigen Schlenker in eine bestimmte Ecke zu rücken versuchen.
— Ja, 90 % seiner Ausführungen zur Regierungspolitik waren in der Tat so lobend, daß wir uns keinen besseren Förderer vorstellen könnten. Aber als er sich mit den Positionen der FDP beschäftigt hat — und dafür spreche ich nun mal hier, nicht für die Regierung —, fand ich die Behandlung unserer Auffassung nicht angemessen.Heute beschäftigen sich öffentliche und veröffentlichte Meinungen sehr eingehend mit den Problemen der Sicherheitspolitik und der Bundeswehr. Das gibt unserer Initiative nachträglich und nachdrücklich, wie ich finde, recht. Wir geben aber ohne Umschweife zu, daß wir besonders auf dem Gebiet der Strategie nicht über die Exploration von Alternativen hinausgekommen sind, daß wir dabei sind, über Ergänzungen und Modifizierungen nachzudenken. Dies ist ein sehr schwieriger Prozeß, fern von aller Polemik, gerade weil wir alle Beiträge vorurteilsfrei prüfen wollen, die Denkanstöße liefern und uns bei dem Bemühen um die Abstellung von Mängeln helfen können.Wir halten dies für eine bessere Methode als die Polemik, die hier vorgetragen worden ist, und für eine Methode, die auch der Bedeutung der Probleme von Frieden und Sicherheit in unserem Lande durchaus angemessen ist. Wir wünschen uns, daß unsere diesbezüglichen Versuche respektiert werden und daß vorläufige Ergebnisse dieses Denkprozesses nicht immer wieder als endgültig hingestellt werden.Zurück zur Anfrage! Namens der FDP-Fraktion begrüße ich das erneute Bekenntnis der Bundesregierung zum Atlantischen Bündnis als der Grundlage unserer Sicherheit und zu den USA als unverzichtbaren Partner, wenn es um die Sicherheit Europas geht. Herr Kollege Dr. Wörner, es fördert diese Kooperation zwischen uns und den Vereinigten Staaten sicherlich manches nicht, aber ganz sicherlich auch nicht, wenn Sie hier versuchen, künstliche Gegensätze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA zu konstruieren zu einem Zeitpunkt, da nach dem letzten Treffen beide Regierungen nachdrücklich die hervorragende Kooperation unterstrichen haben.Wir werden in unserer Außenpolitik alles tun, um einzelnen Bündnispartnern bei der Überwindung von ökonomischen oder politischen Problemen zu helfen und somit das gesamte Bündnis zu stützen. In diesem Zusammenhang möchte ich anfügen, daß wir Spanien ermuntern möchten, nicht nur Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch der NATO zu werden. Die beiderseitige Solidarität sollte den Sicherheitsbereich voll einschließen. Spaniens Beitritt zur NATO würde Europa und das Bündnis stärken. Wir unterstreichen die Feststellung, daß die Freiheit Amerikas in Europa verteidigt wird. Von daher begrüßen wir das Bekenntnis von Präsident Carter zur grenznahen Verteidigung.Wie die Bundesregierung so sieht auch meine Fraktion, daß die Sicherheit nicht ausschließlich durch Verteidigungs- und Entspannungspolitik erreicht werden kann. Wir sehen, daß Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik ein Ganzes bilden. Wir sagen hinzu: wir unterstreichen den Zusammenhang zwischen der Verteidigungswürdigkeit, also der inneren Qualität, und der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft einer Gesellschaft. Diese Erkenntnis ist und bleibt der entscheidende Ausgangspunkt bei der Arbeit an unserem sicherheitspolitischen Programm. Deshalb setzen wir uns ein für einen weltweiten Abbau möglicher Konfliktursachen und -auslöser, seien sie wirtschaftlicher, sozialer, militärischer oder politischer Natur.Dies bestimmt auch unsere Haltung gegenüber den Problemen des südlichen Afrika, wo wir einen friedlichen Wandel zu einer gerechten, menschenwürdigen Ordnung unterstützen und somit helfen wollen, Blutvergießen zu vermeiden. Dies ist der beste Weg, ein Hineingleiten Südafrikas in die Einflußsphäre des Kommunismus zu verhindern. Der falsche Weg ist der, den Ihr Kollege Todenhöfer beschreitet: sich hinzustellen und zu sagen: Für alle anderen Länder ja, aber für Südafrika soll niemals das Prinzip „One man one vote, also die politische Gleichberechtigung gelten. Damit fördern Sie, ob Sie es wollen oder nicht, Radikalisierungstendenzen.Ich möchte einige Bemerkungen zu dem machen, was hier zum Thema Strategiediskussion gesagt worden ist. Wir begrüßen es, daß — man könnte sagen: endlich — eine Diskussion über diese Fragen in Gang gekommen ist. Für diese Bewertung gibt es mindestens zwei Gründe: Erstens kann sich hierdurch sicherheitspolitisches Engagement in der Offentlichkeit verstärken und sicherheitspolitisches Bewußtsein in der Bevölkerung herausbilden und differenzierter werden. Zweitens erhält ein bislang etwas vernachlässigter Aspekt unserer Sicherheit überhaupt ein stärkeres Fundament. Uns Freien Demokraten geht es — ich betone dies — sehr wohl um Ziel und Inhalt dieser unsere Existenz betreffenden Diskussion.
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MöllemannWovon ist dabei auszugehen? — Als die frühere Bündnisstrategie der massiven Vergeltung trotz erheblicher amerikanischer nuklearer Überlegenheit geändert wurde, geschah dies um der Glaubwürdigkeit der Abschreckung willen. Es war nämlich unglaubhaft geworden, daß gewissermaßen beim ersten Grenzstreit gleich der nukleare Hammer eingesetzt werden würde, was das Stellen der Existenzfrage zum frühest denkbaren Zeitpunkt bedeutet und alle sonstigen Möglichkeiten der Konfliktregelung überflüssig gemacht hätte. Also folgte auf die massive retaliation die abgestufte Reaktion. Inzwischen hat sich die Lage weiter verändert. Aus der nuklearen Überlegenheit der USA ist ein nukleares Patt der Supermächte geworden, das nur noch in sehr spezifischen Bereichen unterschiedliche, sich letztlich aber aufhebende Bewertungen gestattet. Darüber hinaus haben sich die Arsenale der Verteidigungspakte so gefüllt, daß komplette Stufenleitern der Eskalation auf beiden Seiten verfügbar sind. Infolgedessen sind die Interessen der Supermächte so gelagert, daß sie kategorisch gezwungen sind, jedem direkten Konflikt auszuweichen, um die Eskalationsautomatik nicht auszulösen. Weiter hat dies zur Folge, daß die Supermächte eigene Konflikte auf Stellvertreter an der Peripherie überzuwälzen versuchen. Und umgekehrt: Wenn sich irgendwo auf der Welt Konflikte zuspitzen, suchen sich die Beteiligten ihre Supermacht und ordnen sich damit regelmäßig in die große politische Konfliktlage ein.Eine weitere Konsequenz ist, daß die Bundesrepublik Deutschland mit allen materiellen und psychologischen Folgen davon Kenntnis nehmen muß, daß Vorne-Verteidigung sich, wenn das Grundgesetz Gültigkeit und wenn dieser Begriff Sinn behalten soll, auf unserem Territorium abspielen müßte. Daher lehnen wir die Dregger-WeinsteinKonzeption der Vorwärtsverteidigung ab. — Herr Kollege Wörner, auch Sie hätten zu diesbezüglichen Ausführungen Ihres Kollegen Dregger hier etwas sagen können, als Sie die Verfechter anderer Strategien etwas pauschal angegriffen haben.
— Das Mikrophon steht vor Ihnen; wenn Sie das bitte benutzen würden.In letzter Konsequenz werden die europäischen Bündnispartner für mangelhafte Erfüllung ihrer konventionellen Bündnis- und Verteidigungsverpflichtungen nicht die USA nuklear — und das bedeutet existentiell — haftbar machen können. Zwischen einer amerikanischen politischen Tendenz, die nukleare Schwelle deutlich anzuheben, um nicht vorzeitig nuklear engagiert zu werden, und einer militärstrategischen Tendenz, den Übergang in den nuklearen Sektor der Eskalation zu vereinfachen, glaubhafter oder logischer zu machen, bestehen ebenfalls Widersprüche.Alle diese nur schlaglichtartig angedeuteten Tatbestände und Tendenzen sind in den letzten 15 Jahren starken Wandlungen unterzogen gewesen. Die aus ihnen abgeleiteten Lagebeurteilungen und Entscheidungen sind daher notwendigerweise zu überprüfen und in mancher Hinsicht — das erscheint in diesém Stadium der Diskussion bereits wahrscheinlich — zu modifizieren. Es hilft dabei wirklich nichts, Herr Kollege Dr. Wörner, wenn man jeden, der in dieser Richtung auch nur nachdenkt, gleich in eine bestimmte, sozusagen die Sicherheit gefährdende Ecke zu drängen versucht.
Die Diskussion in unserem eigenen Lager hat dabei zu ersten Erkenntnissen und Ergebnissen geführt. Erstens. Das Bündnis ist und bleibt das Fundament unserer äußeren Sicherheit. Jedes Nörgeln daran ist schädlich. Jede Kritik — auch eigene Kritik — muß auf Stärkung des Bündnisses, nicht auf Schwächung oder Auflösung zielen.
Zweitens. Die Bundesrepublik sollte mehr — und vor allem qualifizierter als bisher — ihren sicherheitspolitischen und militärstrategischen Eigenbeitrag ins Bündnis einbringen. Das gilt konzeptionell wie personell. Dabei geht es keinesfalls um ein Mehr an nationaler Eigenbrötelei und Rechthaberei, wohl aber um die Darstellung der Bündnisaufgaben aus unserer Sicht unter Verdeutlichung unserer spezifischen Interessen, soweit sie bündnisfähig sind.Drittens. Hierher gehört auch unsere Forderung, ein nukleares Vetorecht für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu konzipieren, das gewissermaßen als Schlußstein die Konsultationsverfahren im Bündnis bzw. bilateral politisch absichert.Herr Kollege Wörner, Sie haben vorhin diese Frage hier an uns gerichtet. Ich unterstreiche noch einmal diese Position. Nur, damit hier kein Mißverständnis aufkommt, zweierlei: Dies mag eine prozedurale Erschwernis im Entscheidungsprozeß sein. Aber ich kenne auch keine vitalere Frage für uns als die, in einem militärischen Konfliktfall die Grundsatzentscheidung mittreffen zu können, ob auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Atomwaffen eingesetzt werden. Ich spreche nicht davon, daß nach dieser Grundsatzentscheidung sozusagen auch noch die jeweilige Punktentscheidung über Regierungsmechanismen geklärt werden müßte. Über diese Frage der Grundsatzentscheidung lasse ich nicht mit mir handeln. Über andere Fragen zu diskutieren bin ich gern bereit.
— Im Gegensatz zur Ihrer Partei, Herr Kollege Dr. Wörner, sind Aussagen, die ein Vertreter der FDP hier macht, Aussagen der FDP, d. h. natürlich auch des Vorsitzenden der FDP.
Viertens. Unsere bisherige Diskussion lehrt auch, daß die gültige „Vorne-Verteidigung" durch Elemente einer den gesamten Raum unseres Landes ab-
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Möllemanndeckenden Verteidigung ergänzt werden sollte. Ich sage ausdrücklich: ergänzt werden sollte. Von manchen Seiten ist uns nämlich unterstellt worden, wir forderten eine Ablösung der bisher gültigen Strategie der „Vorneverteidigung" durch die sogenannte „Raumverteidigung". Dies ist unzutreffend.Wir Freien Demokraten plädieren indessen für eine Anpassung bestimmter Elemente unserer Verteidigungsstrategie an inzwischen eingetretene historische Entwicklungen und Veränderungen. Dabei gehen wir mit Sorgfalt, Augenmaß und der Bereitschaft, Kritik entgegenzunehmen an diese Diskussion heran.Vieles von dem, was hier zur Strategie gesagt worden ist und was wir auch bei uns selbst überlegt haben, kann allerdings ganz anders aussehen, wenn es zum Bau der Neutronenwaffe und zu deren Einführung in das Arsenal der Waffen kommt, die für die Verteidigung Europas vorgesehen sind. Dabei muß von vornherein klar sein: Die Entscheidung zum Bau der Neutronenwaffe ist eine rein nationale Entscheidung des US-Präsidenten. Die Entscheidung über eine mögliche Aufnahme der Waffe in die Bewaffnung der NATO liegt aber — das ist sehr wesentlich — auch bei den Verbündeten. Beide Entscheidungen stehen also in Beziehung zueinander. Eine Entscheidung zum Bau der Waffe würde sicherlich wesentlich im Blick darauf getroffen, ob sie Waffe der NATO in Europa werden soll. Präsident Carter steht jetzt also vor seiner Entscheidung über Produktion oder Nichtproduktion der Waffe — und zwar zu Recht — in enger Konsultation mit den Bündnispartnern, nicht bilateral, sondern notwendigerweise mit allen Partnern in der NATO. Er hat sich noch nicht entschieden. Sie werden auch von uns hier heute keine definitiven Stellungnahmen in Sachen Neutronenwaffe erwarten können. Ich will aber auf die wesentlichen Aspekte eingehen und meine Beurteilung hier erläutern.Zum ersten: Auch die Neutronenwaffe ist eine Nuklearwaffe. Bei ihrem Einsatz im Verteidigungsfall muß der Wille der Bundesregierung ausschlaggebend sein. Zum zweiten: Weil die Neutronenwaffe eine Nuklearwaffe ist, ist sie zunächst politische Waffe. Sie muß also zuerst unter den nur theoretisch voneinander zu trennenden Aspekten von Abschrekkung und Entspannung gesehen werden. Die Glaubwürdigkeit unserer Abschreckung ist in jüngster Zeit häufig in Frage gestellt worden. Grund dafür ist die Annahme, daß der Westen nicht fähig sein könnte, sich rein konventionell zu verteidigen, und deswegen gezwungen sei, auf die herkömmlichen Nuklearwaffen zurückzugreifen. Die Wirkung dieser Waffen kann aber so stark sein, daß sie möglicherweise zerstören, was eigentlich verteidigt werden soll. Damit wäre dann in der Tat die Verteidigung — und mit ihr die Abschreckung — widersinnig und unglaubwürdig.Das Charakteristische der Neutronenwaffe ist, daß ihre Flächenwirkung auf einen Bruchteil der Flächenwirkung herkömmlicher Nuklearwaffen reduziert ist. Damit kann sie gezielt auf die Angriffsspitzen eines Aggressors eingesetzt werden — bei gleichzeitiger weitgehender Schonung der Zivilbevölkerung; und dies ist ein sehr entscheidender Aspekt. Die Neutronenwaffe könnte also die konventionelle Schwäche der NATO ausgleichen, ohne zu zerstören, was sie verteidigen soll. Ihr Einsatz wäre — in diesem extremen Fall — wirkungsvoll und gegenüber der eigenen Bevölkerung verantwortbar. Die Verteidigung — und mit ihr die Abschreckung — wäre erheblich glaubwürdiger; die Verhältnisse in Mitteleuropa wären stabiler. Das heißt also, die Neutronenwaffe wäre in besonderem Maße geeignet — könnte in besonderem Maße geeignet sein —, den Zustand, den wir erhalten wollen — den Frieden —, zu stabilisieren.Offensichtlich sieht die Sowjetunion die Möglichkeiten der Neutronenwaffe ähnlich. Nur so ist ihre heftige Propaganda gegen dieses System zu erklären. Statt ihre Propaganda zu intensivieren, sollte sich die UdSSR besser darüber klarwerden, daß es zweckmäßigere und friedensdienlichere Mittel gibt, auf den Entscheidungsprozeß zur Neutronenwaffe einzuwirken. So könnte vor allem die Entscheidung der UdSSR, sich bei MBFR mit uns auf das Prinzip der Parität zu einigen, das Interesse des Westens an Bau und Einführung dieser Waffe wesentlich verringern.Mit dem hier Dargelegten sind vor allem die eher positiven Möglichkeiten der Neutronenwaffe aufgezeigt. Mir ist klar, daß sich aus ihnen viele Fragen ergeben, in denen die Meinungen sehr geteilt sind. Und, Herr Kollege Dr. Wörner, auch hier noch einmal zu einem unredlichen Teil Ihrer Rede: Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als seien die Kritiker nur in einer Partei. Aber diese Diskussion geht doch durch alle Parteien! Ich habe sehr aufmerksam das Interview mit Ihrem hochgeschätzten Kollegen Dr. Leisler Kiep gelesen, der sich selbst auch sehr kritisch geäußert hat. Warum kann man sich denn nicht hierher stellen und sagen, daß man aus ernsten Sorgen dieses System kritisch durchleuchten kann und daß dies nicht immer gleich mit irgendwelchen obskuren Motiven zu tun haben muß?
— Also, Herr Kollege Dr. Wörner, ich bin sehr dafür, daß wir die Solidarität mit den Türken pflegen. Von daher kann man sie ruhig aufbauen. Darauf einschlagen tun wir hier nicht.
— Sie sagen, das war ein Kalauer. Nun, ich versuche, mich Ihrem Niveau ein bißchen anzugleichen.
Es wird gefragt, ob Bau und Einführung der Waffe im Westen noch Sinn hätten, wenn auch der Osten sie einführe. Hier meinen also die einen, damit paralysierten sich die Waffen in ihrer Bedeutung. Andere sind der Auffassung, daß der Westen — im Gegensatz zu heute — dann um so mehr über eine
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3004 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Möllemannwirkungsvolle Verteidigungswaffe verfügen müsse, deren Einsatz glaubwürdig sei.Auch in der Frage, ob die Neutronenwaffe die Grenze zwischen atomarer und konventioneller Verteidigung verwischen und so die Eskalation beschleunigen könnte, sind die Meinungen geteilt. Während diese Möglichkeit von manchen — auch gestern im Verteidigungsausschuß — bejaht wird, meint man andererseits — und dies scheint mir schlüssiger zu sein , daß bei Vorhandensein der Neutronenwaffe ein Einsatz der herkömmlichen Atomwaffen insgesamt und auch der Neutronenwaffe durch deren pure Existenz unwahrscheinlicher werde.In diesem Falle wird jedoch eine gewisse Gefahr des „decoupling" — des Entkoppelns — gesehen. Das heißt, eine mögliche Fähigkeit des Einsatzes von Neutronenwaffen könnte den USA Gelegenheit geben, sich in der atomaren Auseinandersetzung insofern zu schonen, als sie die Auseinandersetzung auf die beiden untersten Stufen der Triade und auf den Bereich Mitteleuropas, vor allem auf den der Bundesrepublik, beschränkt. Vor solchen Vorstellungen in der amerikanischen Diskussion müssen wir natürlich nachdrücklich warnen. Ich glaube allerdings nicht, daß sie bei den Verantwortlichen in der amerikanischen Politik gehegt werden.Gewarnt werden muß auch vor den Ideen, die in einer eventuellen Einführung der Neutronenwaffe die Chance zu einem weiteren Abbau konventioneller Kampfkraft sehen wollen. Das Gegenteil ist derzeit nötig!Nun zu einem letzten und wesentlichsten Argument gegen die Waffe: Auch militärische Fachleute weisen darauf hin, daß eine Gefahr der Neutronenbombe darin bestehen könnte, daß sie wegen der räumlichen Begrenztheit ihrer Wirkung die Kriegsführung wieder möglich machen oder erscheinen lassen könnte. Nicht weniger aber leuchtet, finde ich, das Gegenargument ein, wonach die Neutronenbombe eben wegen dieser begrenzten Wirkung erst verantwortbar eingesetzt werden könnte und damit Verteidigung und Abschreckung wieder glaubwürdiger gemacht werden könnten und somit der Frieden stabilisiert würde.Als Fazit möchte ich zu unserer Position an dieser Stelle sagen, daß der Entscheidungsprozeß in meiner Fraktion noch nicht abgeschlossen ist, daß wir ihn in der gebotenen Nüchternheit zu Ende führen wollen, daß wir aber von einer tendenziell positiven Bewertung ausgehen.Nach diesen kurzen Überlegungen zur Strategie und zu Bündnisfragen möchte ich mich zwei Punkte aus dem nationalen Sicherheitsbereich zuwenden. Zunächst möchte ich einige Anmerkungen zur Beschaffungspolitik machen. Bei der Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsmaterial ist es der Bundesregierung im großen und ganzen gelungen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Es ist schon imposant — und vielleicht sogar erschreckend —, die Liste der in den letzten Jahren entwickelten und beschafften Systeme für die Bundeswehr durchzuarbeiten. Hierbei sind nicht nur die technisch hochwertigen Systeme wie der verbesserte Kampfpanzer „Leopard", der Flakpanzer „Gepard", die Feldhaubitze 70 oder das Mehrzweckkampfflugzeug MRCA zu nennen, sondern auch die vielen kleinen Maßnahmen, die zur Kampfwertsteigerung vorhandener Systeme, Projekte und Geräte geführt haben. Und doch muß man sich fragen, ob diese Rüstungsanstrengungen bei den vorhandenen Mitteln so weitergeführt werden können. Zur Zeit glauben wir noch immer, daß wir mit einer immer höheren Qualität die Quantität des Gegners ausgleichen können, um somit das Gleichgewicht zu erhalten.Von der Regierung wird nun in mehreren Passagen der Antwort deutlich gemacht, daß die Steigerung der Qualität aller Waffensysteme des Warschauer Paktes ebenfalls ständig fortgesetzt und dabei die Gesamtzahl der Systeme nicht verändert wird. Hier kann eine Gefahr auf uns zukommen, der man nach meiner Ansicht schon heute entgegentreten muß. Wir müssen verhüten, daß die technologische Führung des Westens auf irgendeinem Gebiet verlorengeht.Überdies sind Bemühungen der Regierung, die Entwicklung und Beschaffung von Wehrmaterial durch Zusammenarbeit im Bündnis zu verbessern und dadurch für alle Bündnispartner wirtschaftlicher zu gestalten, ohne Einschränkung zu begrüßen. Sie müssen noch verstärkt werden. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind nämlich noch nicht ausreichend. Wenn vielleicht hier und da falschverstandene wirtschaftliche Interessen einzelner Länder eine gemeinsame Arbeit noch erschweren, so ist zumindest festzulegen, daß alle Mengenverbrauchsgüter, Munition sowie Betriebsstoffe vereinheitlicht werden.Deshalb ist die Standardisierung zunächst verstärkt auf die Aufgabe zu konzentrieren, wichtige Systeme, Projekte und Geräte miteinander verträglich und miteinander einsetzbar zu machen. Auf diesem Feld entscheidet sich, ob sich der Westen mit der Verteidigungspolitik finanziell übernimmt oder nicht. Hier sollte auch die europäische Solidarität einsetzen. Wir treten dafür ein, daß das zu schaffende gemeinsame Europa als politische Union auch die Verteidigungspolitik in seine Kompetenz übernimmt. Mit Kooperation und Standardisierung bei der Waffenproduktion wäre hier schon ein guter Anfang gemacht.Unter der Überschrift „Bundeswehr" werden in der Antwort der Bundesregierung einige wesentliche Fragen der Inneren Führung behandelt. Das erscheint uns zweckmäßig, weil bei aller Bedeutung von Sicherheitspolitik, von Strategie, von Ausrüstung und Bewaffnung der Mensch, der einzelne Soldat auch bei der Bundeswehr im Mittelpunkt stehen muß. Dies muß man hier unterstreichen, weil lange Beobachtungen zeigen, daß der Grundsatz, nach dem der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse, in der Bundeswehr manchmal verloren zu gehen droht.Ich glaube, daß die Bundesregierung stärkeres Interesse auf die Belange der Inneren Führung richten muß. Wir haben auf die Mängel in den Bereichen der Menschenführung, der politischen Bildung wie auch der Fürsorge und Betreuung schon vor längerer
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MöllemannZeit hingewiesen und mit konkreten Vorschlägen Abhilfe gefordert. Zunächst wurde uns entgegengehalten, die Befürchtungen und die Kritik seien gegenstandslos. Nun aber geben uns die Ergebnisse verschiedener, von der Bundeswehr selbst initiierter Bestandsaufnahmen nur allzu recht.Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung nun bemerkenswerte Schritte zur Verbesserung vor allem der politischen Bildung in der Bundeswehr unternommen hat. Wir begrüßen die Aussage der Bundesregierung, daß erstens die Neuordnung der Bildung und Ausbildung in den Streitkräften, zweitens das Pädagogikstudium der Offiziere an den Hochschulen der Bundeswehr und drittens schließlich die verbesserte Ausbildung der Unteroffiziere an den Fachschulen des Heeres für Erziehung besonders einer zeitgemäßen Menschenführung zugute kommen sollen.Wir Liberalen bestehen jedoch insbesondere bei der Ausbildung der Offiziere an den Hochschulen der Bundeswehr auf Ausbau und Durchführung des Anleitstudiums, das zur Zeit — wenn überhaupt — nur zu einem Bruchteil betrieben wird. Hier wird eine Chance der politischen Bildung in der Bundeswehr sträflich vernachlässigt.Da ich gerade bei dem Thema „Hochschulen der Bundeswehr" bin: Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung nunmehr bereit ist, darüber nachzudenken, ob diese Hochschulen der Bundeswehr auch für zivile Studenten geöffnet werden könnten. Dieser Prozeß des Nachdenkens sollte allmählich abgeschlossen werden, und diese guten, hochqualifizierten Einrichtungen sollten sehr bald den zivilen Studenten zur Verfügung gestellt werden.Wir erwarten eine Weiterentwicklung des Lernzielkatalogs Innere Führung mit den Ausbildungsteilgebieten zeitgemäße Menschenführung, politische Bildung, soldatische Ordnung und Wehrrecht, Betreuung und Fürsorge, Völkerrecht und am Völkerrecht orientierte Ausbildung. Für die dort formulierten Lernziele sollen methodische und didaktische Hilfen von der Schule für Innere Führung in Koblenz ausgearbeitet werden.Wir erwarten, daß diese Schule für Innere Führung alle notwendigen quantitativen und vor allem qualitativen Hilfen erhält, um ihren neuen Auftrag erfüllen zu können. Darüber hinaus braucht sie diese, um an der Erarbeitung der derzeit überprüften neuen Konzeption mitwirken zu können.Wir wissen, daß die Absicht besteht, an der Schule für Innere Führung keine Einzellehrgänge mehr durchzuführen. Statt dessen sollen Modellehrgänge für die Vorgesetzten aller Dienstgrade entwickelt und durchgeführt werden. Wir halten diese Überlegung für organisatorisch zweckmäßig. Wir meinen aber auch, daß sie sich nur dann im Sinne der Inneren Führung auswirken kann, wenn die Vorgesetzten aller Dienstgrade Innere Führung als wirkliche Notwendigkeit begriffen haben und das Bekenntnis zu ihr mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis.Solange Innere Führung nicht von der weit überwiegenden Mehrzahl aller Soldaten als Existenzprinzip unserer Bundeswehr begriffen wird, sollte dieAusbildung der Vorgesetzten aller Ebenen, aber auch der Vertrauensleute, an den Einrichtungen der Bundeswehr stattfinden, an denen das Prinzip der Inneren Führung wirklich begriffen worden ist.Insofern bleiben wir vorläufig bei unserer Forderung, daß Kommandeure und Einheitsführer sowie Vertrauensleute eine obligatorische Ausbildung an der Schule für Innere Führung zu absolvieren haben. Darüber hinaus fordern wir heute noch einmal, daß der Soldat nicht nur Mittel zum Zweck sein darf. Er muß mitdenkender und mithandelnder Partner sein. Jeder Soldat ist — unabhängig von seinem Dienstgrad — gleichermaßen wichtig für die Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr.Von daher setzen wir uns — und hier gibt es einen Unterschied zu der Auffassung der Bundesregierung — für eine Erweiterung der Rechte der Vertrauensleute ein. Wir wollen für den Vertrauensmann zum ersten ein Mitspracherecht bei Personalangelegenheiten, zum zweiten ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung des Dienstplanes, und zum dritten wollen wir die Einführung der Zugsprecher, vor allem bei großen Einheiten und abgesetzten Teileinheiten. Wir fordern erneut eine Verbesserung des Führungsstils — —
— Ich habe den Zuruf nicht verstanden.
— Vorgesetzten abschaffen! Das ist die typische Reaktion, die dann kommt. Wir diskutieren hier über die Möglichkeit, wie man dem einzelnen das Erlebnis von Mitwirkung ermöglichen kann, und dann kommt der sachlich hervorragend qualifizierte Zuruf: Vorgesetzte abschaffen! Wissen Sie, wenn man auf diese Art und Weise mit Ihnen Sicherheitspolitik diskutieren soll, ergibt das natürlich keinen Sinn.
Wir fordern erneut eine Verbesserung des Führungsstils, vor allem die Rückkehr zu mehr Auftragstatik. Nur so können sich Entscheidungsfreude, Verantwortungsbereitschaft und geistige Mobilität stärker entfalten.Es fällt mir häufig schwer, zu verstehen — auch nach meinem eigenen Erleben in der Wehrübung —, daß sich Verantwortliche auf allen Führungsebenen der Bundeswehr gegen 'diese Vorschläge wehren. Besonders stark ist die Abneigung gegen Vorstellungen, die auf Erweiterung des Freiheits-, Verantwortungs- und Beteiligungsraumes des einzelnen hinauslaufen. Dies ist für mich um so verwunderlicher, als gerade Soldaten wissen und wissen müssen, daß eine technisierte Armee und das moderne Gefecht einen Soldaten verlangen, der auf sich selbst gestellt zu handeln vermag. Das aber setzt ein hohes Maß an Freiheit als tägliche Diensterfahrung voraus. Nicht die beste Technologie, die bessere Strategie oder Bewaffnung ist die Chance der
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MöllemannDemokratie, sondern die Freiheit und die Möglichkeit, den Soldaten damit zu motivieren. Daß dies alles noch nicht in vollem Umfange erkannt und anerkannt ist, zeugt von mangelndem Verständnis für manche Werte unserer Demokratie und ihrer Chancen.Freilich, alle Bemühungen auf dem Gebiet der Inneren Führung können nur Erfolg haben, wenn die Gesellschaft willens und fähig ist, das Ihre beizusteuern. Dies gilt in besonderem Maße für die politische Bildung. Neben dem Elternhaus hat vor allem die Schule den Auftrag, die jungen Menschen politisch zu bilden, sie kritik-, urteils- und entscheidungsfähig zu machen. Es ist weder für die Gesellschaft noch für die Bundeswehr gut, wenn diese Aufgabe den Streitkräften allein überlassen bleibt. Auch das Warum und das Wie der Landesverteidigung muß zuerst in der Schule behandelt werden. Wir fordern deshalb erneut, daß die Probleme von Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Grundlagen von Wehr- und Zivildienst, aber auch der Themenkreis der Friedens- und Konfliktforschung obligatorisch im Unterricht aller Schularten behandelt werden. Wenn man den jungen Männern die Pflicht aufbürdet, zu dienen, muß man ihnen auch das Recht auf Unterrichtung über Sinn und Zweck dieses Dienens einräumen und ein entsprechendes Informationsangebot unterbreiten.
Aber es geht nicht nur darum, daß dem Wehrpflichtigen aus seiner Pflicht zu dienen, auch ein Recht auf entsprechende Informationen erwächst. Es geht um mehr. Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt:Der Gesichtspunkt der Friedenssicherung muß bei der Beurteilung jeder Politik die erste Priorität haben.Das bedeutet auch eine wichtige Priorität für das Thema Friedenspolitik im Unterricht der Schulen. Solange wir dies nicht praktizieren und nicht erkennen, werden wir kaum zu dem Wandel des Bewußtseins in der Bevölkerung gelangen, der es allein uns Politikern erlaubt, eine konsequente Politik der Friedenssicherung und Friedensgestaltung zu betreiben, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf friedensgefährdende Vorurteile, Klischees, Nationalismen, Gruppen- und Klassenegoismen in den Völkern. Dies ist der eigentliche und tiefere Grund, aus dem politische Bildung innerhalb und außerhalb der Streitkräfte notwendig ist. In beiden Bereichen, in Schule und Bundeswehr wird noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen sein, bis dieses Ziel erreicht ist, einen in Fragen der Verteidigungs- und Entspannungspolitik informierten, urteils- und entscheidungsfähigen, aber auch handlungsfähigen und handlungsbereiten Bürger heranzubilden.Meine Damen und Herren, verehrte Kollegen, ich habe eben von der großen Bedeutung der Fürsorge und der Betreuung im Bereich der Inneren Führung gesprochen, ohne hier auf Einzelheiten einzugehen. Wir und Sie alle wissen, daß auf diesem Gebiete trotz aller Anstrengungen — und diese sind bedeutsam — der jetzigen Bundesregierung noch Mängel bestehen, die allerdings nicht nur etwa von dieser Bundesregierung zu verantworten sind. Ich erlaube mir hier als Stichworte nur in Erinnerung zu bringen den Beförderungs- und Verwendungsstau und die Frage, ob es nicht möglich ist, daß in unserer Bundeswehr die Versetzungshäufigkeit verringert, Freizeitausgleich gewährt und vor allen Dingen eine transparentere Personalpolitik betrieben werden kann. Wir meinen, daß die Fragen von Fürsorge und Betreuung nicht zurücktreten dürfen hinter den ganz ohne Zweifel auch wichtigen Problemen, die ich Ihnen dargelegt habe. Von daher wird sich mein Kollege Walther Ludewig in seinem Beitrag ganz auf diesen Bereich konzentrieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung. Ich habe in einem Aufsatz einer Tageszeitung die Feststellung gelesen, daß man innere und äußere Sicherheit nicht trennen kann. Ich teile diese Auffassung, weil ich glaube, daß sie beide von Leuten bedroht werden, die in ihrer intellektuellen Grundhaltung verwandt sind. Aber ich glaube, daß wir ebenso für uns die Verpflichtung haben — und ich habe ein bißchen Sorge, wenn ich die aufkommende Diskussion der letzten Tage beobachte —, mit uns gemäßen Mitteln zu reagieren; das heißt ganz besonders in diesem konkreten Fall der Bedrohung der inneren Sicherheit und darüber hinaus der äußeren Sicherheit: mit der notwendigen Solidarität und mit einem kühlen und klaren Kopf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drei Fraktionen des Deutschen Bundestages haben mit Großen Anfragen insgesamt 52 Fragen an die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hat sich bemüht, auf jede der gestellten Fragen gewissenhaft Antwort zu geben. Es kann daher nicht meine Aufgabe heute hier sein, diese schriftlichen Antworten zu wiederholen oder sie gar zu interpretieren. Die Fragen und Antworten decken das wesentliche Feld der Sicherheitspolitik auch ab.Seit die Bundesregierung ihre Antworten formuliert hat, sind in den Sommermonaten aber neue Fragen öffentlich aufgeworfen worden, die für die Presse und für die Medien sicher willkommener Stoff in den trockenen Monaten des Sommers gewesen sind; aber es sind Fragen, die wir uns auch stellen müssen. Wer das alles registriert hat, der hat herausfinden können, daß auf dem deutschen Markt mindestens fünf strategische Konzepte gehandelt worden sind, die sich allesamt damit befassen, wo, wie, wie lange, unter welchen Umständen, mit welchen Waffen Deutschland verteidigt werden kann. Hier hat sich wieder einmal in der Debatte der zurückliegenden Wochen herausgestellt, daß Sicherheits- und Verteidigungspolitik keine statische, sondern eine sehr dynamische Angelegenheit ist. Sie hat immer wieder neue Fragen aufgeworfen, auch wenn man
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Bundesminister Leberalle denkbaren Fragen gerade gestellt, so wie der Deutsche Bundestag das getan hat, alle denkbaren Fragen beantwortet hat, so wie die Regierung das versucht hat. Wer diese Diskussion mit etwas Abstand verfolgt hat, wer hingehört hat, was die Gemüter bewegt, wer gesehen hat, was Emotionen verursacht, der konnte leicht den Eindruck gewinnen, als sei der Krieg ein nicht zu verhinderndes Schicksal, das eines Tages doch unwiderrufbar über die Menschheit kommt.Diese hinter uns liegende öffentliche Auseinandersetzung war auf eine schiefe Ebene geraten. Unsere erste Aufgabe besteht nicht darin, uns innerlich darauf einzustellen, daß Krieg unabwendbar ist und daß er kommen wird. Die Aufgabe, die wir haben, ist unverrückbar und lautet unverändert: Wir haben alles zu tun, was in unseren Kräften ist, um das Unheil eines Krieges abzuwenden. Zuerst muß in uns immer die sorgende Frage bohren, ob wir auch alles, was möglich ist, ob wir alles, was eigentlich nötig ist, getan haben. Wenn wir glauben, wir hätten alles getan, müssen wir prüfen, ob es nicht doch Lücken und Mängel in unserer Logik gibt, ob wir jede erdenkliche Vorsorge getroffen haben, um zu verhindern, daß das Schlimme über uns kommt. Diese Aufgabe der Verhinderung des Krieges muß unsere ganze Kraft herausfordern. Wer diesen Gedanken vernachlässigt, gerät so auf die schiefe Ebene, wie die Debatte im Sommer auf die schiefe Ebene geraten ist.Krieg ist auch in unserer Zeit zu verhindern, wenn durch Krieg nichts gewonnen werden kann und wenn er unführbar bleibt. Damit ist die Aufgabe umschrieben. Ein Krieg zwischen industrialisierten Staaten, die sich, zu Blöcken formiert, hochgerüstet gegenüberstehen, ist nichts, was Menschen mit Verantwortung wollen können, was planende Vernunft durchkalkulieren kann, was sich überhaupt unter vernünftigen Menschen zu Ende denken läßt. Dabei ist doch wohl gar nicht zu bestreiten, daß jemand, der sich vornimmt, einen Angreifer vom Vorhaben eines Angriffs abzuschrecken, dann, wenn er das genügend kann, auch eher die Chance hat zu bestehen, wenn wider alle Vernunft doch ein Angriff auf ihn erfolgen würde. Mit dem, was ich als die Unmachbarkeit des Krieges bezeichne, meine ich jede Art von Krieg zwischen den Blöcken, und ich meine jeden Krieg, mit welcher Waffe auch immer.Der Zweck von Kriegswaffen ist es, zu zerstören, zu vernichten, zu töten. Dies gilt auch für das, was man Neutronenwaffe genannt hat. Diese Waffe ist ganz fraglos eine Kriegswaffe und eine inhumane Waffe. Man muß nur aufpassen, daß keine Mißverständnisse entstehen. Wenn man eine Waffe als inhuman bezeichnet, kann leicht der Eindruck entstehen, als ob es Waffen gäbe, die human wären oder vielleicht ein wenig humaner als diese.
In dem breiten Arsenal der Kriegswaffen, über die ich glaube einige Übersicht zu haben, ist nicht eine einzige, die ich den Mut hätte, als eine humane zu bezeichnen. Der Krieg als Ganzes ist inhuman, undjede Waffe, mit der er ausgetragen wird, ist gleichfalls inhuman.Unser Raster, mit dem wir in der Zeit, in der wir leben, zu prüfen haben, ist die Aufgabe, Krieg und Fiasko zu verhindern und von der Menschheit fernzuhalten. Dazu muß uns jedes brauchbare Mittel recht sein. Das ist zugleich der Maßstab für die Prüfung und Bewertung der Frage, ob Waffen, die es gibt und die es geben könnte, geeignet sind, durch ihre Existenz Krieg zu verhindern, weil der Schrekken, der von ihnen ausgeht, Krieg zum politischen Unsinn macht. Krieg ist auch in der Zukunft denkbar, wenn er ohne existentielles Risiko für einen Angreifer gewonnen werden kann. Wir haben dafür zu sorgen, daß Krieg in einer so bewaffneten Welt nicht zu gewinnen ist. Und weil er zum Unsinn wird, wird er unter vernünftigen Menschen dann wohl auch nicht geführt werden.Was haben wir für Alternativen dazu? Ich frage das mit dem Blick auf die Debatte in unserem Volk. Man kann, durch Gottesglauben gefestigt, von Ethik und Moral gefordert, so wie die Weltkirchenkonferenz 1975 es beschlossen hat, in einer Welt, die voll von Waffen ist, ohne Waffen leben wollen. Ich persönlich habe Respekt vor denen, die aus religiösen und moralischen Überzeugungen eine solche Auffassung vertreten. Ich wünschte mir aber, daß jemand, der so denkt, zugleich auch die Gefahren sieht, die sich ergeben würden, wenn es möglich wäre, nur einen Teil der Welt zu bewegen, in Waffenlosigkeit zu leben, während der andere Teil der Menschheit dieses Gebot nicht beachten würde, weil man auf ihn eben keinen Einfluß hat.
Dann wäre der waffenlose Teil der Menschheit derGewalt der Waffen des anderen ausgeliefert, und erwürde in der Gefahr leben, ihm untertan zu werden.
Man kann natürlich auch, ohne durch Gottesglauben abgestützt zu sein, im Vertrauen darauf, daß es schon gutgehen wird, also aus Bequemlichkeit oder aus Fahrlässigkeit oder weil das billiger ist, mit geringerer oder ganz ohne jede militärische Vorsorge leben wollen, wie das heißt: waffenlos einherwandeln, um Krieg zu verhindern. In beiden Fällen wären sehr viel Glaube, sehr viel Hoffnung und noch viel mehr Vertrauen in die Moral der anderen, die Waffen oder mehr Waffen hätten, die höher gerüstet sind als man selber, notwendig.Wir müssen von einer Welt ausgehen, die so ist, wie sie ist. Man darf sich in dieser Welt zu allem, was in ihr schwierig ist — weil es schon schwierig ist, sie einzuordnen, wie sie ist —, nicht obendrein auch noch gegenseitig falsche Dinge unterstellen. Man kann die einen nicht verteufeln, weil sie durch ausreichende militärische Vorsorge gegen erkannte und vorhandene militärische Gefahren Krieg verhindern wollen, und ihnen, weil dazu Waffen nötig sind, unterstellen, sie wollten, weil sie deswegen Waffen brauchten, in Wirklichkeit Krieg. Man kann
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Bundesminister Leberden anderen Teil nicht loben, weil er keine militärische Vorsorge zur Verhinderung eines Krieges treffen und keine Waffen haben will, um sich gegen militärische Bedrohung zu schützen, und deswegen für den Frieden sei. Das kann man genauso wenig, wie man jene, die aus Gewissengründen keine Waffen tragen können, als Personen verteufeln darf und wie man jene, die es für ihre Pflicht halten, an der militärischen Vorsorge teilzunehmen, deswegen besonders bewundern darf. Der eine folgt der Auflage seines Gewissens, so wie es ihm das Recht und seine verbriefte Freiheit erlauben; der andere befolgt die ihm aus seinem Gewissen eingegebenen Pflicht, so wie es das Gesetz ihm als Bürger befiehlt. Die Welt, in der wir leben, ist viel komplizierter, als daß wir sie auf einen kleinen Nenner bringen könnten und alles nur in Schwarz oder Weiß sehen dürften.Wir sind in der Verantwortung gegenüber unserem Volk, es gegen objektiv vorhandene Gefahren so zu schützen, daß aus ihnen nicht Krieg werden kann. Das mag unbequem sein; das mag, vordergründig betrachtet, sogar teuer sein. Aber es ist unsere Pflicht und am Ende wohl auch das Richtige.Militärische Konflikte werden mit Waffen ausgetragen. Sie werden aber nicht durch Waffen verursacht. Militärische Konflikte entstehen, weil Menschen sie aus politischen Gründen wollen
und weil Staaten sich in politischen Spannungen verlieren, auf deren Nährböden die Gefahr von Kriegen wächst. Es ist wohl gleichfalls richtig, daß die Gefahr für den Frieden auch immer dann wächst, wenn sich zu vorhandenen Spannungen Mißtrauen gegen die Haltbarkeit des Friedens gesellt. Dies gilt für alle Seiten.Wenn die Hoffnung auf Einsicht und Vernunft keine Aussicht hätte, dann hätte die Welt bei wachsenden Spannungen zwischen West und Ost keine Zukunft mehr, weil die Menschheit nicht hoffen könnte, daß ihr die irgendwann drohende Vernichtung erspart bleibt.
Wenn die Bemühungen um Entspannung zwischen Ost und West keine Chance hätten, dann müßten wir uns darauf einstellen, daß die Spannungen vermutlich wie nach einem Naturgesetz wachsen, und wir müßten mit einem Rüstungswettlauf rechnen, der die Kräfte der Völker auszehrt und mit der Gefahr verbunden ist, eines Tages zur militärischen Explosion zu treiben, ähnlich wie der Dampf in einem Topf schließlich seinen Ausgang findet. Einer solchen Entwicklung muß mit Politik begegnet werden.
Krieg unter hochgerüsteten und industrialisierten Staaten ist nicht Politik mit anderen Mitteln.
Krieg mit Mitteln, wie die industrialisierten Staaten sie heute besitzen, ist die tödliche Alternative zum Leben und zur Existenz der Menschheit.
Unsere Bemühungen zum weiteren Abbau der Spannungen bleiben daher notwendig, weil sie der Sicherung des Friedens dienen.
Man muß sich aber auch davor hüten, sich auf falsche Pferde zu setzen. Wer mit Entspannungspolitik die Absicht verbindet, das kommunistische System in den Ländern, mit denen wir verhandeln müssen, zu beseitigen, würde erleben, daß der Osten zur Sicherung dieses Systems die Jalousien herunterlassen würde und sich dahinter neue Mißhelligkeiten und neue Spannungen bilden würden. So wenig es unsere Sache ist, ,das politische System des Ostens zu stabilisieren, so kurzsichtig wäre unsere Politik, wenn Entspannungspolitik die Änderung der inneren Verfassung der Länder im Osten zum erklärten Ziel hätte.
Jede Seite muß selber im Innern mit den Folgen ihrer Politik nach außen fertig werden. Jede Seite ist frei, ihre Politik nach außen unabhängig zu bestimmen. Auch dies sollte klar sein. Es geht um die Minderung der Spannungen zwischen Staaten. Entspannung zwischen Gesellschaftsordnungen gibt es nicht. Wir sollten denen, die für Entspannung sind, nicht vorwerfen, daß sie nichts zur Entspannung in gesellschaftspolitischen Fragen sagen. Der ideologische Zwist bleibt, auch wenn Spannungen zwischen Staaten vermindert werden.
Europa erlebt im Herzen eines Kontinents seit Jahrzehnten die gefährlichste Ansammlung militärischer Kraft in der europäischen Geschichte überhaupt. Es gibt nichts Vergleichbares in der Geschichte der Menschheit, wo man eine derartige militärische Konfrontation schon einmal irgendwo vernommen hätte. Dies mag auch erklären, warum nirgendwo in der Welt so große Erwartungen an die Entspannungspolitik geknüpft sind und sich soviel Ungeduld einstellt, wenn Entspannungspolitik nicht schneller vorankommt und nicht auch im militärischen Aufwand und im Kräfteverhältnis zwischen Ost und West schon ihren Niederschlag findet.Die Bundesregierung hat durch ihre im Bündnis verankerte Außen- und Deutschlandpolitik in den letzten Jahren entscheidende Beiträge geleistet, um den Weg zu Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Rüstungsverminderung freizuschaufeln.Ich denke, meine Damen und Herren, heute ist klarer, als es vor fünf Jahren, wo wir darüber stritten, klar sein konnte, daß z. B. der deutsch-sowjetische Vertrag, der unter der Kanzlerschaft Willy Brandts abgeschlossen wurde, seinen hohen historischen Rang — heute schon unbestreitbar — hat.
Dieser Vorgang, 'den wir heute klarer einschätzen können als damals, war u. a. Ausdruck der politischen Erkenntnis, daß im Zeitalter der Atomwaffen und Raketen, im Zeitalter der schnellen Verbände, hoher Fluktuation und Flexibilität und bei begrenztem Raum in Europa Verzicht auf Gewalt nichts anderes ist als Gewinn an Vernunft durch Verzicht auf Selbstmord.
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Bundesminister LeberEs ist wohl ebenso gewiß, daß ohne diesen vorher vereinbarten Gewaltverzicht die in Gang gekommenen Wiener MBFR-Verhandlungen gar nicht erst begonnen worden wären, weil es dafür keine Ausgangsbasis gegeben hätte. Mit dem Blick nach vorn füge ich hinzu, daß ohne Wiener Verhandlungsergebnisse diesem mit der Sowjetunion vor ein paar Jahren vereinbarten Gewaltverzicht etwas Wesentliches vorenthalten würde, was ihm folgen muß, um diese Politik nach vorn zu tragen und ihr auch in die Zukunft hinein Atem zu geben. Eines geht nicht ohne das andere, eines muß dem anderen folgen, wenn es Sinn haben soll.Die Sowjetunion hat mit den Vereinigten Staaten von Amerika ein erstes Abkommen zur Begrenzung der strategischen Waffen und danach 1973 ein Abkommen zur Verhinderung von Nuklearkriegen geschlossen. Das hat sie so gewollt. Es lag im Interesse der Sowjetunion, die Überlegenheit der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet abzubauen. Die USA sind diesen Weg mitgegangen. Beide haben sich darauf verständigt.Es wäre logisch und sehr konsequent, wenn nun ein Abkommen vorgeschlagen würde und eine Lösung gefunden würde, mit der eine gleiche Parität wie bei den nuklearen Waffen auch bei den Waffen im konventionellen Bereich zustande käme. Das ist der Punkt, um 'den es uns geht. Damit würde die Unsicherheit aus der Frage zerstreut, ob wir von den auf der östlichen Seite angesammelten Panzermassen überrascht werden könnten, und die Gefahr eines konventionellen Krieges würde abgetragen. Eine solche Verständigung würde Vertrauen bilden.Was eigentlich könnte die Sowjetunion daran hindern, den von Herrn Breschnew wiederholt ausgesprochenen Verzicht auf Angriffsabsichten durch einen Verhandlungsvorschlag in Wien mit Hand und Fuß auszustatten?
Was man nicht will, meine Damen und Herren, braucht man auch nicht zu können. Wenn man aber etwas kann, was man nicht will, dann schafft man bei dem anderen, der das sieht, Zweifel. Im Westen entstehen deswegen Zweifel und Besorgnis, weil die Sowjetunion, wie wir wissen, etwas kann, was sie politisch wenn ich ihre Erklärungen nehme — eigentlich nicht will. Wer nicht angreifen will, sollte das auch nicht können wollen. Wir wollen niemand angreifen, wir wollen niemand angreifen können, und wir verzichten deshalb darauf, es zu können.
Dies, meine Damen und Herren, füge ich hinzu, damit keine Mißverständnisse ausgelöst werden. Nicht fähig sein zum Angriff, zur Offensive auf den anderen, das ist nicht Schwäche, das ist nicht Einbißchen-weniger-stark-Sein, sondern das ist eine andere Art von Stärke. Man kann mit ihr nicht angreifen, aber mit dieser spezifischen Art von Stärke, die man sich zugelegt hat, ist man fähig, jeden Angriff mit erkannter Bedrohung abzuwehren. Darum geht es uns.Es kommt dabei auf folgendes an. Dem fortgesetzten Anwachsen des militärischen Gegeneinander in Europa muß Einhalt geboten werden. Durch entsprechende vertrauensbildende Maßnahmen muß die Anwendung militärischer Gewalt erschwert und soviel neues Vertrauen gewonnen werden, daß Reduzierungen auf ein tieferes Niveau der Kräfte und auf ein zu gewinnendes Gleichgewicht durch Parität möglich werden.Wenn der Osten will, daß seine Entspannungsbereitschaft ernst genommen wird — und wir wollen sie ernst nehmen und sie ernst nehmen können —, dann muß der Osten vermeiden, daß durch steigende Panzer- und Flugzeugzahlen ein Klima des Mißtrauens geschaffen wird, das denen in der Welt Wasser auf ihre Mühlen leitet, die keine Entspannung wollen.
Es hat manchmal den Anschein, als ob die Führung der Sowjetunion die politischen Wirkungen ihrer Rüstungssteigerungen, die uns doch nicht verborgen sind, falsch einschätzt.
Es hat manchmal den Anschein, daß sie nicht richtig einschätzt, was sie mit ihrer Rüstungsvermehrung im Westen anrichtet, die auch nach dem Beginn der Verhandlungen über eine Verminderung der Rüstung in Wien nicht nur unverändert fortgeführt wurde, sondern mit Nachdruck weitergeführt wurde.
Es ist nötig, das so deutlich zu sagen, nicht weil wir anklagen und zurück wollen in den Kalten Krieg, sondern weil wir den Abbau von Mißtrauen und den Abbau von Spannungen wollen, weil wir wissen, daß das nicht mit Illusionen und mit einer Verharmlosung der Lage, sondern nur mit dem Fuß auf dem festen Boden vorhandener Realitäten möglich ist.
Kein sachkundiger Politiker in Ost und West wird von den Verhandlungen in Wien einen schnellen Erfolg erwarten können. Auf der östlichen Seite darf zugleich auch niemand damit rechnen können, daß es möglich ist, daß der Westen während der Verhandlungen in Wien mit seiner eigenen Verteidigungskraft nachläßt, während im Osten inzwischen das eigene militärische Potential so gestärkt wird, daß es schließlich eine Ausgewogenheit der Kräfte nicht mehr gibt, sondern eine Überlegenheit des Ostens zustande kommt. Dies müssen wir sehen.Gelegentlich der NATO-Konferenzen im Mai haben wir gemeinsam festgestellt, daß wir gegenwärtig keine Veranlassung haben, an der Wahrung der Balance der Kräfte zwischen Ost und West im ganzen zu zweifeln. Diese Auffassung wird in der Allianz von niemandem, der ernst zu nehmen ist, ernsthaft bestritten. Wir sind aber auch übereinstimmend der Auffassung, daß die Tendenz, die im Osten erkennbar ist, gefährlich werden kann, wenn die Entwicklung über eine längere Frist so weitertriebe. Deshalb müssen die Schwächen in
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Bundesminister Leberder konventionellen Verteidigung des Westens, die bei einigen Alliierten eingetreten sind, behoben werden, damit die Allianz auch künftig ihre zentrale Aufgabe der Sicherung des Friedens erfüllen kann.Die Vereinigten Staaten haben seit dem Treffen in London mehrfach deutlich gemacht und unterstrichen, daß Amerika Europa zugewandt ist, daß das Kernstück der amerikanischen Außenpolitik die Solidarität mit Westeuropa ist, daß sie unverändert zur Strategie des Bündnisses und zum Prinzip der Vorne-Verteidigung stehen. Dieses, meine Damen und Herren, ist ein Kernstück der uns obliegenden Verantwortung. Hier geht es nicht um deutsche Grashalme, die irgendwo verteidigt werden, sondern hier geht es um die Substanz unseres Landes.
Diese Fragen sind für uns nicht Ausfluß taktischer oder hypothetischer Überlegungen; sie reichen an unsere Existenz, und sie sind deshalb Geschäftsgrundlage für unsere Teilhabe an der atlantischen Allianz. Dies muß man auch in Amerika wissen.
Es ist gut für das Bündnis und gut für unsere gemeinsame Sicherheit, daß zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und uns ein enger Kontakt besteht, ein gutes Vertrauensverhältnis und auch Einvernehmen in allen Grundfragen, die unsere Sicherheit berühren und die uns angehen.Statt eigener Betrachtungen möchte ich dem Deutschen Bundestag den Inhalt eines Briefes mitteilen, den mir der amerikanische Verteidigungsminister in Kenntnis der öffentlichen Diskussion in unserem Lande vor ein paar Tagen geschrieben hat. Ich zitiere:Wegen der letzthin in der Presse angestellten Spekulationen über die amerikanische Politik in Fragen der Verteidigung Westeuropas hielt ich es für zweckmäßig, Ihnen persönlich unsere grundsätzliche Verpflichtung in dieser Angelegenheit erneut auszusprechen. Wie Sie wissen, sind von Angehörigen unserer Regierung, angefangen von Präsident Carter, zahlreiche Erklärungen abgegeben worden, in denen unsere volle Verpflichtung gegenüber der NATO und ihrer Strategie der Vorne-Verteidigung und der flexiblen Reaktion bekräftigt worden ist. Wir teilen mit Ihnen und unseren anderen Verbündeten auch die fundamentalen Annahmen, auf denen die Bemühungen der Allianz auf dem Gebiet der langfristigen Verteidigungsinitiativen beruhen. Vor allem aber legen unsere Anstrengungen einschließlich der umfangreichen Stationierungen von US-Streitkräften in Europa beredt Zeugnis ab von dem Ausmaß der amerikanischen Entschlossenheit.Unsere Regierung hat ihre Gesamtüberprüfung der Verteidigungsstrategie beendet. Sie können rückhaltlos Ihrer festen Überzeugung Ausdruck geben, daß die Vereinigten Staaten zu Ihnen und den anderen NATO-Partnern stehen in unserem Engagement für die lückenloseVerteidigung der politischen Integrität und des gesamten Territoriums der Allianz.Ich werde Sie in vollem Umfang unterstützen, falls irgend jemand diese Überzeugung in Frage stellen sollte. Ich begrüße diese Gelegenheit, die feste und grundsätzliche Verpflichtung der Vereinigten Staaten gegenüber allen unseren NATO-Partnern zu wiederholen.
Dies ist nahtlos identisch mit der Botschaft, die der Präsident der Vereinigten Staaten am 27. August, also auch vor nur kurzer Zeit, an die Vereinigten Atlantischen Gesellschaften gerichtet hat. Diese Botschaft ist in Teilen in der Presse veröffentlicht, aber ich möchte sie gern zu Protokoll des Deutschen Parlaments nehmen und sie deshalb hier verlesen, weil sie auch nicht ganz veröffentlicht worden ist. Ich zitiere die Botschaft des Präsidenten:Ich möchte ferner noch einmal wiederholen, daß die Vereinigten Staaten der NATO-Strategie der Vorne-Verteidigung und der flexiblen Antwort kategorisch verpflichtet bleiben. Dies ist meine feste Überzeugung, und dies wird die Politik der Vereinigten Staaten bleiben, solange ich Präsident bin. Da dies auch die feste Überzeugung des Kongresses und des amerikanischen Volkes ist, besteht überhaupt kein Zweifel, daß auch meine Amtsnachfolger diese Verpflichtung aufrechterhalten werden.Wir sind weiterhin der Überzeugung, daß diese Strategie — glaubwürdig gehalten durch zeitgemäße Streitkräfteverbesserungen — die territoriale Integrität aller Bündnismitglieder bewahren kann. Die Verpflichtung meines Landes für die Verteidigung Westeuropas ist das Kernstück unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Die Sicherheit der Nordatlantischen Gemeinschaft bleibt weiterhin von lebenswichtiger Bedeutung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten selbst.
Dies sind klare und eindeutige Aussagen und Festlegungen unseres Hauptverbündeten, Ausführungen, die nach den verwirrenden Strategiedebatten des Sommers wohl keinen Zweifel lassen, wo Amerika steht und wie Amerika zu uns steht.Deshalb ist die Bundesregierung besonders dankbar für diese Klarheit. Wir wissen alle, so deutlich war das nicht immer. Wir alle sollten uns daher, weil das so klar ist, auch davor hüten, durch eigene Gedankenspielereien und öffentliche Äußerungen strategische Konzepte in die Welt zu setzen, wie sie in den Sommermonaten in öffentlichen Diskussionen auf dem deutschen Markt abgehandelt worden sind.
Das verwirrt unsere Bündnispartner. Das kann Zweifel schaffen, wo keine Zweifel gut sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3011
Bundesminister LeberAber auch der europäische Teil der Allianz muß bereit sein, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Für die gültige Strategie müssen die richtigen Mittel bereitgestellt und ausreichende Mittel eingebracht bleiben und sein, damit der richtigen Strategie nicht die Grundlage entzogen wird.
Neue Schuhe sind kein gutes Mittel gegen Muskelschwund. So geht es auch mit Strategien. An diesen Erfordernissen orientieren sich auch unsere eigenen Entscheidungen über Inhalt und Struktur der Bundeswehr. Mit dem, was wir tun, wollen wir vor Überraschungen sicherer sein können. Wir wollen durch die Nutzung der Warnzeit in Krisensituationen soviel Abwehrkraft gewinnen können, wie es zur Stärkung der Abschreckungsfähigkeit in Krisenzeiten geboten ist. Dies auch — dies ist wichtig —, damit wir nicht wie Sklaven der atomaren Technologie dastehen und nicht fürchten müssen, daß schon Stunden nach einem wider alle Vernunft auf uns erfolgten Angriff nach Atomwaffen gerufen werden muß. Auch deshalb ist das wichtig.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Bundeswehr machen. Ich habe dem zugehört — es ist wohl wichtig, daß man das tut —, was vom Sprecher der Opposition bis jetzt zur Bundeswehr gesagt worden ist. Ich habe drei Punkte festgehalten. Er hat sich mit der Personallage, mit der Ausbildung der Unteroffiziere und mit der Ausstattung mit Munition befaßt. Ich widerspreche Ihnen da nicht. Das sind Probleme, die wir haben, aber es sind Probleme, mit denen wir fertig werden können. Das eine kann man mit Geld lösen, das andere mit Mühe. Wenn niemals eine Situation eintritt, bei der mehr an der eigenen Armee zu kritisieren ist, als ich eben gehört habe, dann ist sie auch in der Zukunft immer gut, meine Damen und Herren!
In den Zusammenhang, der sich mit den Aufgaben, die im Vordergrund stehen, nämlich mit der Verhinderung des Krieges, verbindet, gehört auch das, was unter dem Begriff „Neutronenwaffe" in die öffentliche Debatte geflossen ist. Dazu möchte ich für die Bundesregierung ein paar Bemerkungen machen, die ihr heute dazu möglich sind. Diese Waffe ist eine typische Nuklearwaffe mit allem, was für Nuklearwaffen typisch ist. Das ist eine sehr wichtige Feststellung. In jeder Nuklearwaffe sind auch Neutronen am Prozeß der Kernspaltung oder am Prozeß der Fusion, in dem Druck, Hitze und Strahlen erzeugt werden, beteiligt. An dieser Tatsache ändert sich auch dadurch nichts, daß die Wirkungskomponenten dieser Kernwaffe, eben Kernstrahlen, Druck und Hitze, in einem anderen Verhältnis zueinander stehen als bei anderen, schon vorhandenen sogenannten schmutzigen Atomwaffen. Der neue Name aus Amerika hat hier Verwirrung gestiftet.Die Bundesregierung stellt deswegen fest: Diese Nuklearwaffe, die den Namen „Neutronenwaffe" erhalten hat, ändert nichts daran, daß der erste Einsatz von Nuklearwaffen einen grundlegenden Wandel im Charakter des Krieges herbeiführt, daß eine Entscheidung über ihren Einsatz eine politische Entscheidung bleiben muß, daß die Grenze zwischen konventionellen und nuklearen Waffen nicht verwischt werden darf und nicht verwischt wird, daß diese Waffe kein Ersatz für eventuell fehlende konventionelle Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses gegen konventionelle Offensivkraft eines Angreifers sein kann, weil Kernwaffen ganz allgemein nicht Ersatz für angemessene konventionelle Streitkräfte sein dürfen. Die Bundesregierung stellt weiter fest, daß die Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen in den Händen des Präsidenten der Vereinigten Staaten liegt, daß der Präsident der Vereinigten Staaten eine Entscheidung zum Einsatz von Nuklearwaffen unter den aktuellen Bedingungen eines erfolgten Angriffs auf den Westen unter Wahrung der Interessen der betroffenen Bündnispartner nach gehöriger und ausreichender Konsultation treffen wird und daß die Vorne-Verteidigung, das heißt die grenznahe Abwehr durch die Kräfte des Westens, ein Eckpfeiler der Allianzstrategie bleibt. Die Neutronenwaffe ist daraufhin zu prüfen, ob ,sie als zusätzliches Mittel der Abschreckungsstrategie, also als ein Mittel zur Verhinderung eines Krieges, für das Bündnis von Wert ist.Ich möchte dazu noch besonders festhalten: Die Vertreter der Vereinigten Staaten haben uns kontinuierlich von allen Anfängen an — ich kann das jetzt, fünfeinhalb Jahre in meinem Amt, übersehen — in allen Phasen über den Stand ihrer Arbeiten an dieser Entwicklung im Bündnisrahmen und auch bilateral informiert und auf dem laufenden gehalten. Neu ist auch für mich der im Juni erstmals bekanntgewordene Name „Neutronenwaffe". An der Fortentwicklung der Nuklearwaffen wird vermutlich nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern vermutlich ebensosehr auch in der Sowjetunion fortwährend gearbeitet. Ich frage mich persönlich: Was wäre wohl geschehen, wenn dieser technischen Weiterentwicklung in den Vereinigten Staaten nicht ein besonderer Name gegeben worden wäre? Dieser neue Name vor allem hat zu der Vermutung geführt, es handele sich um etwas völlig Neuartiges. Dies, meine Damen und Herren, dann noch in der Hitze des Sommers durch eine Indiskretion aus einem Haushaltstitel in Amerika nach Europa transferiert, mußte Europa verwirren. Sommermonate sind in Europa Monate von Stoffarmut für Journalisten. Das wissen wir alle. Wenn der Stoff geliefert wird, findet die Debatte statt. Dies mag in den Vereinigten Staaten, die von der Überraschung der deutschen Offentlichkeit etwas beeindruckt sind, auch erklären, wie das hier zustande gekommen ist.Niemand, meine Damen und Herren, kann dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Last seiner Entscheidung abnehmen, vor der er jetzt steht. Wir haben dabei keinen Zweifel, daß das ganze Thema hinsichtlich aller Fragen, die sich in diesem Stadium und auch später stellen werden, von den Vereinigten Staaten mit ihren Partnern im Bündnis intensiv behandelt wird und damit auch die besonderen Interessen, die sich aus der Lage der Bundesrepublik Deutschland ergeben, vom Bündnis, von allen Bünd-
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3012 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Bundesminister Lebernispartnern sorgsam abgewogen werden. Solche Gespräche über die Fragen, die jetzt anstehen, sind bereits eingeleitet. Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der Sache und ihrer eigenen Verantwortung mit ihren vielen Aspekten voll bewußt. Sie hofft auf Verständnis, wenn sie wegen der Eigenart der Sache gegenwärtig keine weiteren Einzelheiten, die auch Gut und Interessen befreundeter Nationen berühren, zum Gegenstand öffentlicher Erklärungen machen kann.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und möchte zusammenfassen: Die Allianz ist funktionsfähig. Ihre Kräfte reichen im ganzen aus, um die Aufgaben zu erfüllen, die sich uns gegenwärtig stellen. Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur gemeinsamen Sicherheit des Westens ist ausreichend. Er wird auch von der Allianz im ganzen für angemessen und ausreichend erklärt. Die Strategie des Bündnisses ist tragfähig, sie ist glaubwürdig. Sie bleibt es, wenn sie auch in der Zukunft von allen Partnern angemessen mit Substanz ausgefüllt wird. Zum ersten Mal in der Geschichte der Atlantischen Allianz gehören dem Bündnis nur demokratisch regierte Länder an. Dies, meine Damen und Herren, ist kein geringer Faktor für den Zusammenhalt und für die Einschätzung der Kräfte eines Bündnisses, dessen Aufgabe zuerst auf die Bewahrung der Freiheit gerichtet ist.
Ausreichende militärische Vorsorge und die Wahrung der Balance der Kräfte sind auch in der Zukunft nötig. Sie sind zugleich auch ein wesentliches Element als Voraussetzung für den weiteren Abbau der Spannungen zwischen Ost und West. Mit Schwachen und mit Schwächlingen verhandelt man nicht.Die Zukunft wird zeigen, ob das Kernprinzip der bisherigen Entspannungspolitik, ob der politische Gewaltverzicht auch durch den Abbau militärischer Gewalt seine Fortsetzung und Bestätigung finden kann. Das heißt konkret: Im Zeichen nuklearer Parität zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sollte es möglich sein, auch für den konventionellen Bereich des Kräfteverhältnisses in Europa das Prinzip der Parität gelten zu lassen. Wohl noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Chance zu einer Begrenzung der Rüstung und die Gefahr eines neuen Wettlaufs in der Rüstung so nahe beieinander gelegen wie gegenwärtig.
Die vor uns liegende Phase wird zeigen, welchen Weg die Mächte dieser Welt zu gehen bemüht und entschlossen sind. Wir wollen von uns aus einen Weg des friedlichen Miteinander gehen und uns redlich mühen, unseren eigenen gehörigen Beitrag dazu zu leisten, ,daß er für alle gangbar sein wird.Wenn die Chancen, die sich uns heute bieten, versäumt würden, könnte neue Gefahr ihren Lauf nehmen, und ich fürchte, dann wäre viel mehr zunichte gemacht und viel mehr vertan als nur die Aussicht auf eine Begrenzung der Rüstung.Deshalb, meine Damen und Herren, muß auf gesichertem Boden und frei von Illusionen unsere ganze politische Kraft, unser ganzer Einfallsreichtum darauf gerichtet sein, Fehlschläge zu vermeiden und der Sicherung unserer Freiheit hinein in eine hoffentlich weite Zukunft eine gute Gasse zu bauen. — Ich danke Ihnen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kraske.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesverteidigungsminister hat soeben eine Erklärung abgegeben, die in weiten Passagen er wird das gespürt haben — unsere Zustimmung finden konnte und gefunden hat. Es gibt niemanden bei uns, der das etwa bedauern würde, weil hier Felder möglicher Kontroversen, möglicher Polemik ausgeräumt wären.
Der Kollege Möllemann hat in seinem Beitrag fast ein bißchen vorwurfsvoll über die Rede des Kollegen Wörner gesagt, zu 90 °/o habe sie ja mit der Verteidigungspolitik der Koalition übereingestimmt. Herr Möllemann, ich will nicht untersuchen, ob es 70, 80 oder 90 °/o waren und ich will vor allem nicht untersuchen — denn ich weiß es —, ob diese 70 oder 80 oder 90°/o nicht womöglich gerade die Teile der Koalitionspolitik waren, wo sie und die Bundesregierung gottlob die Tradition der Verteidigungspolitik, der Bündnispolitik fortsetzt, die wir in den 50er Jahren gegen weite Widerstände begründet haben.
Aber, Herr Kollege Möllemann, auf die Gefahr hin, daß ich Sie nicht ganz richtig verstanden habe, würde ich mich gern mit Ihnen darüber verständigen, daß es doch eigentlich gerade im Bereich der Verteidigungspolitik eine positive Feststellung und nicht eine kritische Feststellung sein sollte, daß es eben noch Bereiche gibt, in denen wir übereinstimmen. Und die Fragen, um die es hier geht, sind nun wirklich im buchstäblichen Sinne des Wortes so todernst, daß wir alle gar nicht genug tun können, uns zu bemühen, dieses Feld eher zu erweitern als einzuschränken.
Herr Abgeordneter Kraske, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Aber gern!
Herr Kollege Dr. Kraske, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich es auch als positiv empfunden habe, daß der Kollege Wörner mit weiten Teilen der von uns betriebenen Politik einverstanden ist,
daß ich mich nur darüber gewundert habe, daß er —und ich weiß, daß das gegen Ihren Willen war —
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Möllemanntrotzdem nicht den Haushalt, der diese Politik finanziert, akzeptieren konnte?
Lieber Herr Möllemann, um dieses Thema damit gleich, wie ich hoffe, ausräumen zu können, will ich Ihnen folgendes sagen. Der Kollege Wörner und ich selber — wie manche anderen Kollegen — haben ihre Meinung und ihre Überzeugung in dieser Frage im Verteidigungsausschuß zum Ausdruck gebracht, aber Endabstimmungen über Haushalte in dieser Fraktion, in diesem Parlament sind nun wirklich nicht Gewissens-, sondern taktische und strategische Fragen der Politik einer Fraktion. Wir alle — in dieser Hinsicht besteht überhaupt kein Unterschied zwischen Ihnen und uns und den Sozialdemokraten — können unsere Fraktionen nur dann operationsfähig in diesem Hause machen, wenn wir bereit sind, uns in einer solchen Frage auch loyal der Mehrheitsentscheidung unterzuordnen und anzuschließen. Unsere Fraktion hat in dieser Frage seinerzeit mit einer überwiegenden Mehrheit eine Entscheidung getroffen, die ich respektiere und die dann auch hier im Plenum für uns verbindlich gewesen ist. Ich glaube, daß wir jetzt aber auf Punkte zu sprechen kommen, die heute weniger wichtig sind als andere, die hier zur Debatte stehen.Ich habe von den Feldern der Übereinstimmung gesprochen. Ich muß dann aber natürlich auch hinzufügen, Herr Bundesverteidigungsminister, daß man sich bei Ihrer Rede in weiten Passagen fragen mußte — ich sage das ohne alle Polemik —, ob die Partei, für die Sie sprechen, die gleiche Partei ist, für die in den letzten Wochen und Monaten Ihr Bundesgeschäftsführer Bahr zu diesen Themen gesprochen hat.
Sosehr ich mich über den geschlossenen und lebhaften Beifall Ihrer Fraktion zu Ihrer Rede wiederum gefreut habe, muß ich doch die Frage stellen, ob wir denn — das wird sich dann ja in den nächsten Wochen und Monaten zeigen — auch draußen im Lande, wenn wir in schwierigen Situationen die gemeinsamen Punkte dieser Politik durchzukämpfen haben, auf die Unterstützung Ihrer Freunde so rechnen können, wie Sie es hier formuliert haben.
Ich komme jetzt noch einmal für einen Augenblick auf das Thema ,der Neutronenwaffen zurück. Herr Kollege Möllemann, ,die Auseinandersetzung über die Neutronenwaffen ist natürlich legitim, und sie soll ganz gewiß nicht diskreditiert werden. Wir werfen dem Kollegen Bahr ja nicht vor, daß er Zweifel angemeldet hat, ob dies die richtige Entscheidung sei. Sie haben recht: Diese Zweifel sind tatsächlich in allen Fraktionen angemeldet worden. Der Vorwurf gegen den Kollegen Bahr, der ja nicht irgend jemand, sondern Bundesgeschäftsführer einer großen Partei ist, ist der, daß er mit einem Dilettantismus ohnegleichen und ohne jede Notwendigkeit — er hätte sich schließlich beliebige Informationen beschaffen können — in die Öffentlichkeit gegangen Ist. Wir kritisieren wiederum nicht, daß er moralische Kategorien angewendet hat. Wir kritisieren aber, daß er zunächst alle Tatsachen auf den Kopf gestellt hat, um dann seine moralischen Kategorien idaran anzulegen, und dies auch noch mit der ihm eigenen Überheblichkeit, als sei es für uns, für alle übrigen keine moralische Frage, wenn es hier um die Entscheidung über die Einführung neuer Waffen geht.
Meine Damen und Herren, was immer der Kollege Bahr in der dritten Runde nun noch vorhat — in ,der zweiten Runde hat er ja souverän alle Einwendungen vom Tisch gewischt und sich im „Vorwärts" wiederum zu seinen verqueren und gefährlichen Thesen bekannt — und was immer er selber nun noch tun wird, für eines trägt er leider die volle schwere Verantwortung, nämlich dafür, daß diese Debatte, die auf eine zu Recht sensibilisierte Offentlichkeit trifft, die zu Recht zu leidenschaftlichen Diskussionen draußen im Lande führen wird, 'durch ihn vom ersten Augenblick an in einer unverantwortlichen Weise mit billigen Klischees befrachtet worden ist, die heute nur dazu dienen, den Kommunisten in ihrer Kampagne ein gläubiges Publikum zuzuführen.
Verehrter Herr Minister, ich finde — ehrlich gesagt —, 'daß Ihr Satz, die Sommermonate seien nun einmal eine Zeit der Stoffarmut, nicht ausreicht.
Gerade weil wir das wissen, gerade deswegen, weil sich falsche Thesen in gefährlicher Weise festsetzen können, hätte es zuallererst in Ihrer Verantwortung gelegen, diesem Ihrem Bundesgeschäftsführer vom ersten Tage an in die Parade zu fahren und die Dinge wenigstens sachlich richtigzurücken — wenn Sie schon keinen politischen Streit mit ihm anfangen wollten.
Nachdem das zu unserem Bedauern nicht geschehen ist, kann ich nur wiederholen, was 'ich gestern im Verteidigungsausschuß gesagt habe. Ich richte den dringenden Appell an Sie, an die Bundesregierung und auch an Ihre Partei, diese Auseinandersetzung nun vor der Öffentlichkeit so zu führen, daß die Überzeugung, die uns in dieser Frage -- wie wir gestern im Ausschuß und heute im Plenum wieder festgestellt haben — verbindet, klar wird.Herr Bundesverteidigungsminister, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu Ihrer Rede machen, bevor ich zwei eigene Themenbereiche darstelle. 'Es geht um eine Passage in Ihren Bemerkungen zur Entspannungspolitik. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie gesagt, im Rahmen der Entspannungspolitik könne es nicht darum gehen, das innere System eines Landes zu ändern. Man kann darüber reden. Aber Sie sagen das in Richtung auf die kommunistischen Systeme. Wenn ich mich recht erinnere, hat es Ihr Parteivorsitzender, Willy Brandt, vor wenigen Wochen in ähnlicher Form 'in der gleichen Richtung gesagt. Fast am gleichen Tage ist dieser selbe Parteivorsitzende jedoch zu einer Sitzung der 'Sozialistischen Internationale aufgebrochen, deren einziges Thema die Änderung des inne-
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Dr. Kraskeren Systems in Chile war. Wir sind in der Ablehnung undemokratischer Verhältnisse und der Unterdrückung von Menschenrechten, wo immer das geschieht, einig. So ist es auch in diesem Falle. Nur, was heißt es eigentlich, in dieser Weise mit zweierlei Maß zu messen und das auch noch in einer Situation zu tun, in der es unsere östlichen „Partner" in der von Ihnen gerühmten Entspannungspolitik Tag für Tag als ihr Ziel proklamieren, die innere Ordnung bei uns und in der gesamten freien Welt zu ändern?
Meine Damen und Herren, dies ist es eben, was ich mit meinem Freund Manfred Wörner unter „Sich die Spielregeln von der anderen Seite vorschreiben lassen" verstehe. Dies ist es eben, was ich als geistige und politische Defensive verstehe, der wir eine geistige und politische — um das auch für den Kollegen Wörner noch einmal ganz deutlich zu sagen, Herr Kollege Neumann — Offensive entgegenzustellen haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zu einer Frage kommen, die sich unmittelbar auf die Große Anfrage bezieht und auf die der Kollege Neumann mit einer kurzen Bemerkung eingegangen ist. Es geht um die Entwicklung unserer Verteidigungshaushalte. Bei allen positiven Bemerkungen, die der Kollege Neumann gemacht hat, läßt sich nicht leugnen — und auch er wird das nicht tun können —, daß die Volumina unserer Verteidigungshaushalte seit drei Jahren nur noch nominal gestiegen sind, d. h., daß sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Preissteigerungsraten real immer weiter abgesunken sind. Die Antwort der Bundesregierung selbst, die Sie nachlesen können und die ich Ihnen deswegen nicht zu zitieren brauche, sagt Ihnen, daß der Verteidigungshaushalt 1977 in Höhe von 32,65 Milliarden DM um 760 Millionen DM gegenüber dem Haushalt 1976 gestiegen ist. Aus diesen Zahlen können Sie mit dem simpelsten Taschenrechner feststellen, daß dies eine Steigerungsrate von nur 2,38 °/o ist. Darin sind noch 300 Millionen DM Transferleistungen an die USA eingerechnet, bei denen die Fachleute sehr im Zweifel sind, ob sie eingerechnet werden können. Es bliebe ohne diese 300 Millionen DM eine Steigerungsrate von 1,4 % bei einer Inflationsrate von nicht etwa entsprechend dem Warenkorb 4 %, sondern von mindestens 5 % bei den hier in Frage stehenden Rüstungsaufwendungen.Wenn Sie, Herr Kollege Neumann, auch im Blick auf die Zukunft gesagt haben, ein regelmäßiges Wachstum könne natürlich nicht für den gesamten Haushalt, nicht für den gesamten Personal- und Verwaltungsbereich gelten, aber es gelte eben für den entscheidenden Rüstungsbereich, dann möchte ich Sie bitten, in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Wehrtechnik" nachzulesen, wie ein Regierungsdirektor aus der Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums, der doch sicher ein von uns beiden anerkannter Fachmann auf diesem Felde ist, ausrechnet, nachweist, beweist, daß wir zwischen 1973 und 1976 allein im Bereich der Rüstung bereits einen realen Rückgang, eine Schrumpfung von 4,3 % hatten.
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Ich will diese Kontroverse hier und heute nicht erneut aufnehmen. Im Gegenteil, ich möchte den Versuch machen, aus einer Entscheidung, die wir nach wie vor verurteilen und die wir immer ganz unterschiedlich beurteilt haben, eine Konsequenz abzuleiten, die uns nun wirklich vor gemeinsame Pflichten stellt.Wenn Sie in der Koalition und vor allem der Bundesverteidigungsminister ständig betont haben, auch unter den neuen, veränderten gesetzlichen Bestimmungen gebe es keine Wahlfreiheit, so mag das Ihre Meinung sein. Der Wirklichkeit entspricht es nicht. Das neue Gesetz ist, seit es in der Diskussion steht, von den unmittelbar Betroffenen, den jungen Wehrpflichtigen, als die Ermächtigung verstanden worden, zwischen Wehrdienst und Zivildienst frei zu wählen und sich aus eigenem willkürlichem Ermessen für oder gegen den Wehrdienst zu entscheiden. Die Praxis in der kurzen Zeit, seit das Gesetz in Kraft ist, bestätigt das, ebenso die Zahlen.Um so größer und entscheidender ist die Verantwortung, die damit auf unsere Gesellschaft im ganzen, aber insbesondere auf unser Erziehungswesen, auf unsere Schulen zukommt, die ja immerhin öffentliche Veranstaltungen des gleichen Gemeinwesens sind, das für seine Verteidigung annähernd 35 Milliarden DM im Jahr aufwendet. Was diese unsere Schulen bisher dazu getan haben, junge Männer auf die ihnen abverlangte Entscheidung vorzubereiten, ist überwiegend unzulänglich, auf weite Strecken kläglich und in zahlreichen Einzelfällen ausgesprochen kontraproduktiv.
Nun weiß ich natürlich, daß unser föderalistisches System dem Bund nur sehr begrenzte Zuständigkeiten im Bildungsbereich gibt, daß also weder der Bundesverteidigungsminister noch die Bundesregierung im ganzen daran ohne weiteres etwas ändern können. Aber immerhin handelt es sich ja doch um die gleichen politischen Kräfte, die hier Verteidigungspolitik und in den Ländern Bildungs- und Schulpolitik verantworten; und die Vorsitzenden der Parteien, denen die Kultusminister der Länder zugehören, sind alle Mitglied dieses Bundestages. Da ist es, Herr Bundesminister, nach meinem Eindruck — der Herr Kollege Möllemann ist auf dieses Thema schon eingegangen — doch ein bißchen arg wenig, wenn sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine ausdrückliche Frage, was denn geschehen solle, um die Behandlung von Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der Friedens- und Konfliktforschung in die Curricula aller Schulen aufzunehmen, auf die blasse Feststellung beschränkt, der Bundesminister der Verteidigung sei mit der Konferenz der Kultusminister in Kontakt, damit dieses Thema zu gegebener Zeit behandelt würde. Wenn die Bundesregierung in einer so wichtigen Frage so wenig Interesse signalisiert, kann sie sich wirklich nicht wundern, wenn die Reaktion in den Ländern darauf nicht gerade stürmisch ist.
Damit wir uns alle ganz richtig verstehen, meine Damen und Herren: Niemand von uns will, daß in unseren Schulen Wehrpropaganda betrieben, daß unsere Jugend militärfromm gemacht, daß sie mit vaterländischen Phrasen zugedeckt wird, wie dies — sattsam bekannt — in der Form der „Wehrpatriotischen Erziehung" oder der „Sozialistischen Wehrerziehung" in der DDR und den anderen Warschauer-Pakt-Staaten bis zum Überdruß betrieben wird.Aber wenn alle drei Fraktionen dieses Hauses, die doch immerhin mehr als 97 % unserer Wähler repräsentieren, seit Jahren der Überzeugung sind, aus guten, wenn auch bitteren Gründen sei ein angemessener militärischer Beitrag im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses zur Erhaltung des Friedens und unserer Freiheit unerläßlich, dann sollte sich diese Überzeugung doch auch in unseren Schulen und unseren Schulbüchern niederschlagen.
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Dr. KraskeMeine Damen und Herren, ich will die Parallelen, die sich hier zu den bitteren Ereignissen dieser Tage und ihrer Vorgeschichte aufdrängen, nicht entfalten. Aber jeder mag mit daran denken.Was sind wir eigentlich für ein Staat, der Schulbücher ausdrücklich zuläßt, ja, in den meisten Fällen auch noch bezahlt, die seine eigene Politik, und zwar dort, wo Regierung und Opposition seit mehr als 15 Jahren im Grundsatz übereinstimmen, nicht nur nicht darstellen, erläutern, begründen, sondern ausdrücklich konterkarieren und planmäßig, absichtsvoll untergraben!
Was sind wir eigentlich für ein Staat, der Schulbücher für Hauptschüler zuläßt, in denen buchstäblich kein einziger Satz über die Bedrohung dieses Landes und seine Verteidigungswürdigkeit steht, die Schüler zum Thema Wehrdienst und Landesverteidigung aber eine Geschichte wie die folgende vorgesetzt bekommen! Wolf-Dietrich Schnurre „Ein Kenner":Nachdem der Metzgergehilfe sich zum Wehrminister heraufgeboxt hatte,— damit sind wohl Sie gemeint, Herr Minister —lag ihm vor allem daran, seine Buchten mit Kälbern zu füllen. Da er deren Störrigkeit kannte, beschloß er, sie an ihren wundesten Punkten zu packen: bei ihren Minderwertigkeitskomplexen und ihrer mangelnden Intelligenz. „Nichts", hieß es daher auf den Plakaten, die er überall anbringen ließ, „ist ehrenwerter, als im Schlachthaus zu sterben, nichts verantwortungsvoller, als Dienst in meiner Herde zu tun". Und alle, alle Kälber kamen.Deutsche Schulbuchwirklichkeit des Jahres 1977!
Was sind wir eigentlich für ein Staat, der Lehrbücher — ich habe ein solches an einem Bonner Gymnasium selber in die Hand bekommen — für zehn- und elfjährige Sextaner und Quintaner zuläßt, in denen seitenlang in der sattsam bekannten linken Einseitigkeit über den Vietnamkrieg berichtet wird, aber über die Überlegenheit der freiheitlichen Ordnung dieses Landes gegenüber allen kommunistischen Systemen kein einziges Wort zu lesen ist,
in denen unsere amerikanischen Verbündeten, von denen und von deren Bedeutung hier heute oft genug die Rede war, so ,dargestellt werden, als sei Entwicklungshilfe für sie Ausbeutung, Neokolonialismus und Dollarimperialismus, aber kein Wort darüber gesagt wird, daß der gesamte kommunistische Ostblock nur ein Fünftel der Mittel für Entwicklungshilfe bereitstellt, die allein ,die Bundesrepublik Deutschland ausgibt, gleichzeitig aber die Sowjetunion dem Volumen nach der größte Waffenexporteur der Welt ist!
Herr Abgeordneter Dr. Kraske, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Kraske, ich teile Ihre Kritik in einigen Punkten aus eigener Erfahrung, da ich selber vor meiner Tätigkeit hier als Lehrer unterrichtet habe und mich auch nicht mit allen Aspekten aller Artikel oder Aufsätze identifizieren kann. Aber ich möchte Sie bitten, hier auch klarzustellen, wenn Sie von „uns" sprechen — —
— Sind Sie bereit, hier auch klarzustellen, wenn Sie davon sprechen, daß „wir" auf diesem Gebiet Versäumnisse auszugleichen haben, daß dies Versäumnisse sind, die allen drei Parteien in allen Bundesländern angelastet werden müssen, wie Ihnen an Hand von Schulbüchern aus allen Bundesländern belegt werden kann?
Herr Kollege Kraske, einen Augenblick. Meine Damen und Herren, vielleicht ist es Ihnen entgangen: Dem Herrn Kollegen Möllemann war es gelungen, rechtzeitig das Fragezeichen einzubauen.
Herr Kollege Möllemann, ich weiß nicht, ob diese Frage sehr klug war. Ich habe Ihnen bisher mit keinem Wort Anlaß gegeben, diese Darstellung als eine Polemik in irgendeiner Richtung zu nehmen.
Ich könnte das sehr wohl, wenn ich anfinge, einmal zu unterscheiden, was Jusos und Judos auch in dieser Richtung tun und was etwa die Junge Union tut.
Ich könnte das sehr wohl, wenn ich die Frage der unterschiedlichen Schulbuchwirklichkeit im einzelnen darstellte. Ich wollte darauf verzichten, und ich werde auch weiterhin darauf verzichten, weil ich eben gerade klarmachen möchte, daß es hier um ein Anliegen von uns allen geht und daß wir hier alle eine Verpflichtung haben.
Herr Abgeordneter Kraske, der Abgeordnete Schmude wollte noch eine Frage an Sie richten.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben die Möglichkeit.
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3018 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Herr Kollege Kraske, könnten Sie vielleicht so gut sein, zur Klärung des Sachverhalts nach den eindrucksvollen Beispielen, die Sie zitiert haben, hier auch zu sagen, in die Verantwortlichkeit welches Landes diese Beispiele fallen
und was Ihre Parteifreunde in diesem Lande mit welchem Ergebnis getan haben, um diesen Dingen nachzugehen?
Herr Kollege Schmude, ich habe nun gerade dem Kollegen Möllemann klarzumachen versucht, warum mir an dieser Unterscheidung nichts liegt,
und ich möchte dabei auch bleiben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn man weite Bereiche unserer politischen Lesebuchkultur mit der Wirklichkeit vergleicht und wenn man daran denkt, daß aus diesen Lesebüchern, Schulbüchern Kinder und junge Menschen ihr Weltbild gewinnen sollen,
wenn man bedenkt, daß diese Vorbereitung in Zukunft wichtiger denn je für die Frage sein wird, ob wir junge Menschen davon überzeugen können, daß sie in der Bundeswehr einen sinnvollen und lebensnotwendigen Dienst für unser Land leisten, dann denkt man manchmal mit Schaudern an das Bild vom Zug der Lemminge, die sich aus lauter Lebensüberdruß selbst willentlich und wissentlich ins Verderben stürzen.
Ist das wirklich unser Schicksal? Steht die Selbstaufgabe, die sich hier symbolisiert, wirklich unausweichlich vor uns? Wer die Reden in diesem Hause hört, auch die an diesem Tage, muß zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Aber wenn das so ist, wenn wir darin übereinstimmen, daß es wahrhaftig lohnt, dieses Land zu verteidigen, dann sollten wir bei allen noch so tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten unseren Willen und unsere Kräfte zusammenschließen, um unseren Kindern so früh wie nur möglich einen lebendigen Eindruck davon zu vermitteln, daß unsere politische Ordnung zwar wie alles Menschenwerk unvollkommen ist, aber daß dies der freieste und der gerechteste Staat ist, den sich die Deutschen je geschaffen haben, und daß es sich wahrhaftig lohnt, ja, daß es eine Ehrenpflicht ist, für seine Sicherung und für seine Verteidigung mit der Tat einzutreten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ahlers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt gewiß schwer, sich angesichts der Sorgen um unsere innere Sicherheit mit den Fragen der äußeren Sicherheit zu befassen. Aber beides ist sicher auf die Dauer voneinander nicht zu trennen und auch gleich wichtig. Deshalb lohnt es sich meiner Ansicht nach trotz allem, hier und heute darüber zu beraten, was wir zu Fragen der äußeren Sicherheit zu sagen haben.Ich meine, die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen zur Verteidigungspolitik ist ein nüchternes und schon deshalb zufriedenstellendes Dokument. Es schildert ohne Übertreibung die Leistungen der Exekutive, also die des Ministers, der Soldaten und der Beamten, Leistungen, für die wir gewiß alle zu danken haben.
Es legt in eindrucksvoller Weise die großen Anstrengungen der sozialliberalen Koalition zur Abwehr unserer äußeren Gefahren dar und widerlegt damit 'die auch heute wieder erkennbar gewordene Dauerkritik der Opposition an unserer Verteidigungspolitik. Man braucht dabei gar nicht so weit auszuholen, wie Herr Kollege Wörner es hier gemacht 'hat. Ich sehe ihn im Moment nicht.
— Ich weiß, daß mir das immer nachgesagt wird, aber es ist nicht immer der Fall, daß ich nach rechts gucke. Herr Wörner, auch Sie fahren demnächst nach China, woher ich gerade komme. Ich möchte Sie an die Worte des nun zurückgeholten stellvertretenden Vorsitzenden Teng Hsiao-ping erinnern. Er hat einmal gesagt: „Weniger Worte" ; aber er hat hinzugefügt: „Mehr Arbeit" — eine Aufforderung, die wir beide sicher nicht brauchen.
Das Dokument, von dem hier die Rede ist, nämlich die Antwort auf die Große Anfrage, verkleinert nicht das Ausmaß der Bedrohung unserer Sicherheit und vergrößert nicht die bislang allzu geringen Fortschritte, die wir auf dem Feld der Rüstungsbegrenzung gemacht haben. Es enthält eine erfreulich selbstkritische Distanz zu Änderungsvorhaben innerhalb der Bundeswehr, etwa zur Reform der Heeresstruktur oder zur Schaffung eines zentralen Unterstützungsbereiches, zu Bildung und Ausbildung — Vorhaben, die zum Teil wenigstens meines Erachtens mit zu vielen Vorschußlorbeeren bedacht worden sind. Aber die Bundeswehr — das möchte ich auch dem KollegenKraske sagen und mich damit über die Schulbuchdiskussion etwas erheben — ist ganz gewiß besser als der Ruf, den die Opposition ihr hier auch anhängen wollte.
Diese Antwort der Bundesregierung kann — ich hoffe sehr, daß das der Fall sein wird — dem Versuch 'dienen, wieder zu etwas mehr Gemeinsamkeit und auch zu mehr Sachlichkeit in der Verteidigungspolitik zu kommen. Beides wäre wünschenswert, denn solche Gemeinsamkeit könnte den staatsbür-
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Ahlersgerlichen Sinn der in der Truppe und den Verteidigungswillen in der Bevölkerung stärken und so vielleicht auch dazu beitragen, der unverkennbaren Parteiverdrossenheit in unserer Bevölkerung entgegenzuwirken, die sich sehr oft an dem übertriebenen Parteienstreit auch in diesem Hause stößt. Auf seiten der Sozialdemokraten ist der Wille zu einer solchen Gemeinsamkeit vorhanden.
— Man kann nie für alle sprechen; auch Sie, Herr Wörner, können nicht für alle Ihre Kollegen sprechen. Auch auf Ihrer Seite bin ich mir trotz Ihrer sachlichen Führung des Verteidigungsausschusses nicht immer sicher. Man kann auch nicht — das bleibt keinem unserer Redner erspart, jedenfalls nicht den Rednern der Koalition — einfach an der absonderlichen Tatsache vorübergehen, daß die CDU-Fraktion den letzten Verteidigungshaushalt abgelehnt hat.
Dieser Vorgang steht nämlich nun wirklich trotz all Ihrer Rechtfertigungsversuche in einem eklatanten Widerspruch zu den Verteidigungsbekenntnissen, die die Opposition immer wieder abgelegt hat. Wenigstens hat mein alter Kollege aus den Zeiten der Dienststelle Blank, Konrad Kraske, in seiner bekannt aufrechten und aufrichtigen Art ja hier die erforderlichen Konsequenzen gezogen.
Doch Taktik hin und her, Konrad Kraske: dieser Vorgang ist um so irritierender, als die Opposition jahrelang durch die Lande und durch die Kasernen gezogen ist und mit der Feststellung unter den Soldaten Stimmung zu machen suchte, daß einmal einige wenige meiner Kollegen ebenfalls den Verteidigungshaushalt abgelehnt hatten — aus Gründen übrigens, die aus dem Selbstverständnis dieser Kollegen heraus sehr viel glaubwürdiger waren als die Begründung, die Sie Ihrem Nein geben konnten.
Gemeinsamkeit — darauf muß man in diesem Zusammenhang wegen vieler Versuche, die wir seit 1969 etwa unter der Parole „gemeinsame Bestandsaufnahme" erlebt haben, hinweisen — darf nicht zu dem Zweck mißbraucht werden, ständig zu versuchen, die Regierungspolitik zu bremsen. Die Regierung wird auch in Verteidigungsfragen in Zukunft von Zeit zu Zeit nicht darum herumkommen, sich nach ausführlicher Beratung über Einwände der Opposition hinwegzusetzen. Die Regierung muß handeln, denn sonst kommen wir nicht weiter — nicht zuletzt wegen der rein antisowjetischen Ausrichtung, die viele Ihrer Kollegen in der Oppositionsfraktion immer noch ihrer Politik zugrunde legen.Mehr Gemeinsamkeit ist sicher auch deshalb anzuraten, weil wir nach wie vor in einer gefährdeten Welt leben. Wir machen uns darüber überhaupt keine Illusionen. Der Friede ist zwar sicherer geworden — dank unserer Politik —, aber er ist noch lange nicht sicher genug.
— Nein, es fällt mir bei meinem Lebensalter ohnehin schwer, noch rot im Gesicht zu werden.
Es sind in Mitteleuropa zahlreiche Ursachen für Konflikte denkbar, die es in Mitleidenschaft ziehen können. Rasche Verschlechterungen der Lage sind nicht ausgeschlossen, sei es durch einen politischen Machtwechsel in anderen Ländern, sei es durch politische Umstürze, sei es durch ökonomische Krisen oder durch das fortdauernde Hegemoniestreben der Weltmächte und den anhaltenden erbitterten Wettkampf der Systeme.In diesem Zusammenhang müssen wir voller Besorgnis Verschiebungen im militärischen Kräfteverhältnis betrachten, die für das Atlantische Bündnis ungüstig sind. Der Kollege Möllemann hat darauf hingewiesen, daß das Londoner strategische Institut in seiner neuesten Ausgabe zu der Schlußfolgerung kommt, daß die Gesamtbilanz eine militärische Aggression immer noch unattraktiv macht. Jedoch, Herr Möllemann, fügt das Institut im Satz danach hinzu, daß der Trend gegen den Westen läuft. Wir wissen genug über die militärischen Möglichkeiten des Warschauer Paktes, wir kennen seine Überlegenheit im Bereich der Panzerverbände, um von der Notwendigkeit überzeugt zu sein, daß wir zu unserem Schutz auch weiterhin eine konventionell starke, kampfkräftige Bundeswehr, ein funktionierendes Atlantisches Bündnis und eine enge Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten brauchen. Diese Kenntnisse haben aber auch bei uns die Erkenntnis verstärkt, daß nur erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen unsere Sicherheit nachhaltig verbessern können und sie nicht verschlechtern werden.
— Da sind wir einer Meinung, Herr Mertes.Wer sich um ein realistisches Bild der Lage bemüht, muß sich aber auch immer wieder einmal in die Lage des Gegenüber versetzen. Er muß erwägen, ob die Militärpolitik des Warschauer Paktes nicht auch defensive Konzepte enthält, die ihr vielleicht zugrunde liegen, ob nicht in Moskau, in Warschau und in Ost-Berlin ähnliche Sorgen hinsichtlich der politischen Absichten und der militärischen Möglichkeiten des Westens vorhanden sind wie bei uns hinsichtlich derer des Ostens. Der Zweite Weltkrieg, die jahrelange atomare Überlegenheit der Vereinigten Staaten, die traumatischen Ereignisse des 17. Juni 1953, in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei, aber auch in Vietnam sind dort ganz gewiß so wenig vergessen wie bei uns. Könnte es nicht sein, daß das, was wir der Sowjetunion jetzt als Drang nach strategischer Überlegenheit unterstellen müssen, Ausdruck eines — wenn auch übertriebenen — Sicherheitsdenkens ist, das die eigene Sicherheit nur in der Form
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Ahlersder Unterlegenheit der anderen Seite zu begreifen vermag? Müßten wir dann nicht deshalb unsere Bemühungen noch weiter verstärken, ein politisches Klima zu schaffen, welches der anderen Seite eine Verminderung ihrer militärischen Rüstung erleichtert?
Denn auch dieses Klima, dieses schlechte Klima, scheint eine Quelle des gegenseitigen Rüstungswettlaufes zu sein.Dieses duale Konzept, so möchte ich es einmal nennen, der offensiven Verteidigungspolitik der Sowjetunion, verbunden mit dem, was Admiral Poser jüngst ganz einleuchtend die „sowjetische Strategie vorsichtiger Risikobereitschaft" genannt hat, bietet Moskau auf jeden Fall den Vorteil, nicht nur den eigenen Machtbereich fest in der Hand zu behalten, sondern militärische Stärke auch politisch einsetzen zu können. Wir müssen deshalb auch dafür gewappnet bleiben, politischen Pressionen widerstehen zu können.
Das vorher Gesagte macht deutlich, daß ein Ergebnis der MBFR-Verhandlungen, um die wir uns ja alle gemeinsam bemühen, ein Ergebnis, welches den in der Antwort der Bundesregierung skizzierten Prinzipien, also ungefährer Gleichstand der Landstreitkräfte und Verminderung der Disparität bei den Kampfpanzern, entspricht, das Maß unserer Sicherheit wesentlich erhöhen würde. Es würde den Rüstungsdruck erleichtern, es würde Beruhigung schaffen, es würde positive Rückwirkungen auf das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander und generell auf das Verhältnis zwischen Ost und West haben können. Deshalb hat dieses Ziel hohe Priorität. Doch müssen wir uns darüber klar sein, daß auch danach noch eine verteidigungsfähige Bundeswehr notwendig sein wird, daß die zu vereinbarenden Höchststärken angesichts der labilen Zustände in einigen Ländern unserer Bündnispartner zugleich auch unsere Mindeststärken werden sein müssen. Anderenfalls würden wir gegenüber dem gewaltigen Mobilisierungspotential des Warschauer Paktes und angesichts unserer ungünstigen geostrategischen Lage immer unterlegen bleiben.Ich meine, das Mißverhältnis in der Stärke darf nicht festgeschrieben werden, auch nicht einseitig. Denn von einem bestimmten Punkt an schlägt Mangel an Quantität in einen Mangel an Qualität um, wie man es sinnfällig bei den Truppenversuchen mit verkleinerten Panzerverbänden in der Bundeswehr gesehen hat. Auch eine stark verbesserte Panzerabwehr, wie sie jetzt bei uns aufgebaut wird, würde nicht helfen, wenn sie zahlenmäßig überrollt werden kann. Theoretische Modelle, die nur ein Netz von kleinen Verteidigungskommandos an die Stelle vernünftig organisierter und geführter Großverbände setzen wollen, nutzen gar nichts, wobei ich, Herr Möllemann, nicht ganz verstanden habe, inwieweit Sie mit diesem Konzept überein- oder nicht übereinstimmen.
Solche Kommandos würden von vornherein auf dem verlorenen Posten von Ernst Jünger stehen.
Wohin es nun führen würde, wenn man sich a priori auf regionale Unterlegenheit einließe, haben die Nachrichten gezeigt, die während der Sommerpause, also nach Ablieferung der Antwort der Bundesregierung, über neue strategische Erwägungen aus Washington nach Deutschland drangen. Die Zurücknahme der Abwehr auf eine Weser-Lech-Linie, wie sie in einem präsidentiellen Memorandum vorgeschlagen wurde, wäre dann nämlich nur logisch. Im übrigen ist uns, die wir uns schon länger mit Verteidigungspolitik beschäftigen, diese Linie ja seit langem vertraut. Sie stellte früher sogar einmal einen Fortschritt gegenüber der Verteidigung an der Rheinlinie dar, einen Fortschritt, der erst durch die Aufstellung deutscher Streitkräfte möglich wurde.
— Es ist alles relativ im Leben, Herr Mertes, nicht nur dies.
— Auch die Rede!Inzwischen ist klar, daß im Falle eines militärischen Konflikts die Verteidigung der Bundesrepublik mit starken Kräften vorwärts der Weser-Lech-Linie beginnen würde, und wir alle sind sicher für das dankbar, was der Verteidigungsminister hier hinsichtlich der Äußerungen seines amerikanischen Kollegen und auch des amerikanischen Präsidenten vorgetragen hat. Und man kann schließlich dem NATO-Oberbefehlshaber General Haig, mag er nun viel oder wenig reden, nur zustimmen, wenn er erklärt, daß keine Allianz lebensfähig wäre, die in ihrer Strategie von vornherein die Überlassung lebenswichtiger Territorien an den Gegner vorsähe. General Close, der hier auch schon genannt worden ist, hat mit seiner These unrecht und nicht nur noch nicht recht.
Gleichsam im Gegenzug zu solchen Überlegungen im Weißen Haus wurde von dem hier eben auch schon genannten Kollegen anderer Couleur in meinem Beruf, von Adalbert Weinstein nämlich, in der „FAZ" der Gedanke vorgetragen, man solle die Vorneverteidigung in „Vorwärtsverteidigung" umtaufen. Dahinter stecken sicherlich ganz interessante Erwägungen und er hat mit Recht, allerdings in dem Artikel an anderer Stelle, kritisiert — er wurde heute auch schon von Herrn Möllemann zitiert —, daß sich hier noch niemand dazu geäußert habe.Ich kann von dieser Ausdrucksänderung nur abraten, denn einmal würde dies zu erheblichen Mißverständnissen und Verdächtigungen in anderen Ländern — nicht nur in denen des Ostens — führen,
und außerdem ist, wie wir alle wissen, ein solcherAustausch der Begriffe auch überflüssig, denn es ist
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Ahlersohnehin vorgesehen, daß die alliierten Luftstreitkräfte im Falle des Falles nach vorwärts verteidigen und das Territorium des Angreifers nicht aussparen werden. Die Erstreckung solcher operativen Vorstellungen auf die Landstreitkräfte ist nicht eine Frage des Prinzips, sondern eine Frage der zur Verfügung stehenden Kräfte.Ergänzend möchte ich bemerken, daß für mich die von Präsident Carters Sicherheitsberater Brzezinski aufgezeigten Optionen, einen Angriff auf Westeuropa nicht nur mit Gegenmaßnahmen in Europa zu beantworten, eine vernünftige Erweiterung des horizontalen Abschreckungsspektrums bedeuten können.Aber — und nun komme ich zur Neutronenwaffe — auch eine vertikale Erweiterung des Abschreckungs- und Verteidigungsspektrums auf der untersten Stufe ist jetzt Gegenstand zahlreicher Erörterungen und sorgenvoller Überlegungen geworden. Es ist in dieser Debatte schon darüber gesprochen worden, daß ein neuer nuklearer Sprengkopf, der für Kurzstrekkenraketen und Rohrartillerie geeignet ist, in den Vereinigten Staaten bis zur Produktionsreife fortentwickelt wurde, daß Präsident Carter, wie wir wissen, in wenigen Wochen über die Produktion entscheiden will und daß die Absicht besteht, ihn für den Fall der Produktion dann auch für die Verteidigung Westeuropas vorzusehen. Der Verteidigungsausschuß ist gestern — dafür haben wir zu danken — ausführlich informiert worden. Er hat aber bisher — im Unterschied zu Meldungen, die wir gestern haben hören müssen — weder eine Entscheidung getroffen noch eine Empfehlung ausgesprochen. Dies kann auch erst dann geschehen, wenn die Regierungen — vor allen Dingen gilt dies für die Bundesregierung — ihr Wort gesprochen haben.
— Es steht so ähnlich darin. Es hat ja keinen Zweck, hier über Worte zu streiten. Ich wollte Sie nicht kritisieren, Herr Wörner. Ich habe Sie gestern im Fernsehen bewundert. Was Sie gesagt haben, war einigermaßen neutral.
Die Klarstellungen, die der Verteidigungsminister hier gegeben hat, sind deshalb sehr zu begrüßen. Wir können sicher sein, daß endgültige Beschlüsse über die Einführung dieses Sprengkopfes, über die für ihn vorgesehenen Einsatzrichtlinien, über seine Lagerung und Verwendung, vor allen Dingen aber über das Freigabeverfahren im Falle eines Konflikts erst nach gründlicher Erörterung im Bündnis und erst dann gefaßt werden, wenn die Bundesregierung den ihr zustehenden Anteil an den diesbezüglichen Beratungen genommen hat. In Anbetracht der Bedeutung dieser Sache für Deutschland — für ganz Deutschland, wie ich meine — gibt es einen klaren deutschen Mitbestimmungsanspruch.Ich habe im übrigen volles Verständnis für die moralische Entrüstung Egon Bahrs und auch vieler anderer über die ständige Fortentwicklung und Modernisierung der Massenvernichtungswaffen.
Man kann es sehr wohl eine „Perversion des Denkens" nennen, wenn die menschliche Erfindungsgabe immer neue Methoden zur Tötung von Menschen ersinnt. Es ist gut, wenn ethische Erwägungen in so beredter Weise ihren Ausdruck finden und deshalb in der Fachdiskussion nicht einfach übergangen werden können.
Diese Erwägungen haben ihre Wirkung in der deutschen Offentlichkeit naturgemäß nicht verfehlt, schon deshalb nicht, weil viele Bürger wegen der friedlichen Nutzung der Atomenergie ohnehin schon verängstigt sind.
— Eine Sekunde! Erst einmal ist Herr Mertes an der Reihe, der sich zu einer Zwischenfrage gemeldet hat. Im Moment spreche ich gerade noch mit Herrn Wörner. Herr Wörner, Sie hätten nach meiner Ansicht heute hier mit der gleichen Sachlichkeit über das Thema sprechen sollen, wie Sie es gestern im Verteidigungsausschuß getan haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Natürlich.
Herr Kollege Ahlers, teilen Sie nicht unsere Auffassung, wonach der Fehler des Kollegen Bahr darin besteht, daß er den Begriff des Moralischen in dieser Diskussion unzulässig eingeengt hat und zwar auf den Charakter einer einzelnen Waffe? Und stimmen Sie mit uns überein, daß die eigentliche moralische Kategorie in der Frage zum Ausdruck kommt, die der Kolleg Wörner gestellt hat: Erhöht diese Waffe die politische Wirkung des westlichen Abschreckungspotentials, mit anderen Worten: verstärkt sie die Möglichkeiten, einen Krieg zu verhindern?
Lieber Herr Mertes, ich habe hier noch einige Manuskriptseiten. Sie werden die Antwort auf diese Frage sofort bekommen.Eine behutsame deutsche Verteidigungspolitik muß auf diese Sentiments, auf diese Sorgen und Befürchtungen Rücksicht nehmen. Sie muß auch die Aufforderung des Präsidiums der katholischen Friedensbewegung „Pax Christi" ganz ernst nehmen — das gilt natürlich gerade für Sie auf dieser Seite des Hauses —,
daß man sich vornehmlich von politischen und moralischen Kategorien leiten und sich in dieser Sa-
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Ahlersche nicht von militärisch-technologischen Sachzwängen überrollen lassen solle.
— Aber einige andere.
Herr Mertes, nun kommt es: Solche moralischen Appelle können nur dann eine volle Wirksamkeit entfalten, wenn sie sich auf den Einsatz nuklearer Waffen insgesamt beziehen und auch die Fortentwicklung und die Vermehrung nuklearer Einsatzmittel im kommunistischen Machtbereich nicht aussparen. Einäugigkeit hilft uns nicht weiter.
So verfolgen wir alle zusammen mit großer Beunruhigung den Aufbau eines massiven Potentials von mobilen Mittelstreckenraketen im Osten, die vornehmlich auf Ziele in Westeuropa gerichtet sind. Unsere Sicherheit verlangt, daß ein abschreckendes Gegengewicht zu diesem Potential bereitgehalten wird.Was nun die Neutronenwaffe im einzelnen angeht, so muß man daran erinnern, daß es einen Komparativ des Schrecklichen nicht gibt. Gäbe es ihn nämlich, dann müßten wir ausgerechnet diese Waffe als weniger schrecklich einstufen als die zur Zeit verfügbaren nuklearen Gefechtsfeldsprengköpfe.
Um die gleiche militärische Wirkung wie mit einem Neutronensprengkopf zu erzielen, müßte heute ein Sprengkopf mit einem um das Siebenfache erhöhten Kilotonnenwert verschossen werden, würden wesentlich mehr Menschen sowohl durch Strahlung als auch durch die Kraft der Explosion getötet und wesentlich größere Zerstörungen angerichtet. Die neue Waffe, die eine verstärkte Strahlungskomponente, aber eine verminderte Druck- und Hitzewirkung hat, ist deshalb weder humaner noch unhumaner als die bisherigen Atomwaffen. Alle sind für uns gleich furchtbar.Die neue Waffe kompliziert gewiß die nach unserer, nach sozialdemokratischer Auffassung lebenswichtigen Verhandlungen über eine Verminderung und Begrenzung der nuklearen Rüstung und vielleicht sogar die Verhandlungen über MBFR.
Dies haben kürzlich die Teilnehmer der 27. Pugwash-Konferenz erwähnt, die Ende August in München getagt hat. Sie äußerten in einem Abschlußkommunique ernste Zweifel an der Behauptung an der Behauptung auch derjenigen, die gestern im Verteidigungsausschuß vorgetragen haben —, daß die Anwendung des Neutronensprengkopfes den Schaden für Menschen und Sachen herabsetzen würde. Vor allem aber haben sie darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine Waffe handele, die mehr auf die Durchführung eines Krieges und weniger auf die Erhaltung des Friedens gerichtet sei. Sie haben erklärt, daß der Unterschied zwischen konventionellen und nuklearen Waffen verringertund die Schwelle für die Anwendung nuklearer Waffen gesenkt werden könnten. Die Konferenz sprach sich deshalb ganz konsequent für ein Verbot der Einführung neuer Waffensysteme aus.Dies sind gewiß ernst zu nehmende Einwände. Man kann sie noch durch den Hinweis vermehren — und das ist in unserem Arbeitskreis geschehen —, daß allein das Vorhandensein von Neutronensprengköpfen die Gefahr einer vorbeugenden nuklearen Eskalation heraufbeschwören könnte, weil ein Angreifer im vorhinein solche Waffensysteme wegen der zunehmenden Bedrohung seiner Panzerverbände ausschalten müßte. Demgegenüber möchte ich allerdings feststellen, daß ein Angreifer, der überhaupt zu dem Mittel des Ersteinsatzes von Atomwaffen zu greifen bereit ist, dazu nicht erst durch Neutronensprengköpfe angeregt zu werden braucht, angesichts der Notwendigkeit der Lagerung solcher Sprengköpfe in einer überproportionalen Zahl auf deutschem Boden.Überhaupt gibt es gegen jedes dieser Argumente gegen die Neutronenbombe auch ein Gegenargument, welches für die Nutzung des neuen Kampfmittels ins Feld geführt werden kann. Es findet gegenwärtig gleichsam eine ständige Eskalation der Diskussion statt. Und dies ist gut. Denn es hat sich in den vergangenen 20 Jahren gezeigt, daß die intensive Beschäftigung mit den Fragen atomarer Waffenwirkungen, an der auch so berühmte Persönlichkeiten wie Kissinger, Schlesinger, Kahn und viele andere beteiligt waren, der Weltbevölkerung die atomare Bedrohung immer deutlicher vor Augen geführt und dadurch den Weg zu erfolgversprechenden Verhandlungen über eine Begrenzung der Zahl der strategischen Atomwaffen freigemacht hat. Es scheint, daß der menschliche Geist in der Lage ist, nicht nur zur Entwicklung dieser Waffen, sondern auch zur Beherrschung dieser Waffensysteme beizutragen. Ein entscheidender Gesichtspunkt dabei war immer — und ist es auch heute noch — die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Kräfte als der Grundlage eines stabilen Friedens oder Waffenstillstandes.Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit des Warschauer Paktes könnte sich die vergrößerte Abschreckungswirkung, die durch die Einführung der Neutronensprengköpfe erzielt wird, stabilisierend auswirken, zumal ein Rückgriff der Verteidigung auf die neue Waffe wegen einer Verminderung der sogenannten Begleitschäden glaubwürdiger sein könnte als die Drohung mit dem Einsatz der bisherigen „schmutzigen" Atomwaffen. In dem Maße, in dem sich das nicht kalkulierbare Risiko eines Angreifers erhöht, kann sich durchaus die Gefahr eines Angriffs vermindern. Eine Grenzverwischung zwischen konventioneller und nuklearer Kampfführung erscheint mir unwahrscheinlich angesichts der Tatsache, daß Beschaffenheit und Wirkung des neuen Sprengkopfes ihn eindeutig als Atomwaffe ausweisen. Es könnte aber sein, daß die neue Waffe eben wegen ihrer begrenzteren Wirkung leichter zur Anwendung verführt, wenn sich ein Verteidiger einem Angriff mit weit überlegenen Kräften gegenübersieht.
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AhlersDie neue Waffe zeigt uns also ein Doppelgesicht: Einerseits kann sie die Abschreckung verstärken und damit der Verhinderung eines Krieges dienen, andererseits beschleunigt sie möglicherweise den Einsatz nuklearer Waffen für den Fall, daß die Abschreckung versagt.Nun zum Schluß. Wir werden es nach meiner Ansicht — auch angesichts eines vermutlich starken aus Amerika kommenden Druckes — lernen müssen, auch mit der Neutronenwaffe zu leben, und sie in unser Verteidigungskonzept einbeziehen; denn in der gegenwärtigen unsicheren Lage reicht ein atomarer Pazifismus nicht aus. Wir müssen statt dessen darauf hinarbeiten, daß Konflikte schon im Vorfeld politisch bereinigt werden, bevor sie uns an den Rand des Abgrunds bringen, und wir müssen dafür sorgen, daß die Atomschwelle nicht niedriger, sondern höher gesetzt werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich hatte mir vorgenommen, auf einige Polemik der Opposition hier mit Polemik zu antworten. Ich verzichte darauf, weil ich meine, wir sollten demonstrativ die Gemeinsamkeiten mehr als den Streit pflegen, insbesondere heute.Auch ich darf im Namen meiner Fraktion für die Beantwortung der Großen Anfrage der Regierung danken. Nachdem nun zu weiten Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zum OstWest-Kräfteverhältnis, zur Strategie grundsätzliche und bemerkenswerte Aussagen gemacht worden sind, ebenso zur Bündnispolitik, zur Wehrstruktur, zur Bundeswehr selbst und insgesamt, kann man feststellen, daß seitens der Bundesregierung auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sehr vieles sehr viel transparenter gemacht worden ist.Als Neuling in diesem Hohen Haus und in seinem Verteidigungsausschuß habe ich, wißbegierig, neugierig, interessiert wie ich bin, einige Zeit darauf verwendet, mit Soldaten aller Dienstgrade und Waffengattungen an zahlreichen Standorten zu sprechen, mir ein Bild über den Soldaten der Bundeswehr aus erster Hand zu machen. Dieses waren meine eigenen punktuellen Bemühungen um mehr Transparenz. Erfreulich war dabei für mich, daß ich mit einer bemerkenswerten Offenheit eine ganze Reihe von Problemen aus dem menschlichen, persönlichen, sozialen Bereich aufgezeigt bekommen habe. Zu diesen gibt es noch einiges zu sagen. Sie sind in der Antwort auf die Große Anfrage nur gestreift worden. Ich denke besonders an das Thema Dienstzeitbelastung, an alle mit Versetzung und Umzug für Soldaten und Familien zusammenhängenden Fragen und nicht zuletzt an die Personalführung und an die Beförderungspraxis in der Bundeswehr. Es gibt hier Druckstellen. Darüber möchte ich sprechen.Wir Liberalen haben uns dazu verpflichtet, besonders auf die Möglichkeiten des einzelnen Bürgers zu achten, die er in unserem Rechtsstaat hat, und sie dort, wo es notwendig erscheint, abzusichern oder zu erweitern. Dies schließt den Soldaten, den sogenannten Bürger in Uniform, selbstverständlich ein. Die Bundesregierung sagt in ihrer Antwort in Drucksache 8/464 auf Seite 15:Moderne Waffensysteme, die allen Möglichkeiten eines Angreifers gewachsen sind, geben unseren Soldaten, die ihre Waffen beherrschen, das notwendige Selbstvertrauen. Dies allein genügt nicht. Hinzu kommen muß das Bewußtsein des Soldaten, daß er vernünftig geführt, als Mensch respektiert wird und als Bürger für Freiheit und Recht, für ein menschenwürdiges Dasein einsteht.Ich wiederhole und hebe hervor: „als Mensch respektiert". Darum geht es mir.Ich fange mit der Dienstzeitbelastung an. Es ist für mich und für Soldaten, die ich gesprochen habe, unverständlich, daß in einer Zeit, in der die Arbeitnehmervertretung die 38-Stunden-Woche anvisiert und die 40-Stunden-Woche bereits längst durchgesetzt ist, mancher Soldat teilweise 70, 80, ja, bis zu 100 Stunden pro Woche leisten muß, ohne daß hierfür ein Ausgleich erfolgt oder daß grundsätzliche Konsequenzen gezogen werden. Dazu kommt, daß gerade diejenigen, die diese hohen, überdurchschnittlichen Dienstzeitbelastungen tragen müssen, auch noch an abgelegenen Standorten mit teilweise unbefriedigenden Wohnverhältnissen leben. Es ist auch die Frage, ob das Festhalten an einem Versetzungsrhythmus von zwei bis drei Jahren, um befördern zu können, wirlich sinnvoll ist. Leidtragende dieser Maßnahmen sind immer die Familien, insbesondere die schulpflichtigen Kinder. Wir Liberale fordern deshalb eine beschleunigte Untersuchung dieses Problembereichs.Ich nenne einige weitere: erstens den schon angesprochenen Ausgleich der überdurchschnittlichen Dienstzeitbelastung, zweitens Begrenzung der soeben genannten Versetzungshäufigkeit — denn durch diese werden die Schulprobleme und die Eingliederungsschwierigkeiten für die Angehörigen der Soldaten verursacht — und drittens standortbezogene Verbesserung der Wohnungsfürsorge. Ich gehe näher auf die Wohnungsfürsorge ein. Es ist ein Unding, daß Soldaten und ihre Familien in Standorten auf den freien Wohnungsmarkt gehen, weil die vom Dienstherrn angebotenen Wohnungen nicht mehr dem entsprechen, was sich eine normale Bundesbürgerfamilie im Jahre 1977 als Wohnung, als Familienheim vorstellt.Hinzu kommen die Schulprobleme. Es ist wirklich erwägenswert — hiermit komme ich noch einmal auf die vorhin in anderem Zusammenhang genannten Bundesländer zu sprechen —, die Bundesländer um eine Annäherung der Schulsysteme nun aber dringend zu bitten; denn Tausende von Soldatenkindern werden um ihre Chancengleichheit gebracht, sie werden im Grunde für den Beruf ihres Vaters bestraft.
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3024 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
LudewigIch könnte mir vorstellen, daß die in der Antwort der Bundesregierung angekündigte „Bestandsaufnahme zur sozialen und wirtschaftlichen Situation des Soldaten", so wörtlich zitiert — damit komme ich zu einem neuen Punkt, zu dem ich alle soeben aufgezeigten Punkte zähle —, aus dem Stadium der Ankündigung in das Stadium der Fertigstellung und zur Vorlage kommt. Man kann den Soldaten nicht etwa Leistungen entziehen, die dem nicht uniformierten Bundesbürger völlig normal erscheinen. Ein Soldat, ein Offizier, sagte zu mir in diesen Tagen — das scheint ein bekannter Spruch zu sein —: Wir befinden uns nicht im 27. Kriegsjahr, sondern mitten im Frieden. Ich sage dazu: Unsere Armee hat den Auftrag, im Bündnis abzuschrecken, uns im Konfliktfall zu verteidigen. Dies kann jedoch nicht in der Form und unter den Umständen geschehen, unter denen 500 000 Menschen, nämlich die Soldaten, und außerdem ca. 1 Million Menschen, nämlich ihre Angehörigen, in einen gesellschaftlich schlechteren Stand abrutschen, während ein anderer Teil der Bevölkerung, für den die Soldaten einstehen, voll die Vorzüge unserer Gesellschaftsordnung genießt. Wir Freien Demokraten würden es deshalb begrüßen, wenn über die Aussagen in der Antwort auf die Große Anfrage hinaus seitens der Bundesregierung nunmehr mit Ernst und Eile an die Lösung dieser sozialen Probleme herangegangen würde.In diesem Zusammenhang freue ich mich, feststellen zu können, daß das Problem der Besoldung der Zeitsoldaten, insbesondere der Z 2-Soldaten, also derjenigen, die sich für zwei Jahre verpflichten, kurz vor einer befriedigenden Regelung steht.
— Ich erkläre es. — Nach der inzwischen erfolgten Zustimmung — im Durchlaufverfahren — durch die Bundesländer und nach dem Durchlaufen der parlamentarischen Instanzen — es hängt von uns ab, wie schnell oder wie langsam das geht — wird den Z 2-Soldaten vom ersten Monat ihrer Verpflichtung an das volle Gehalt gezahlt. Ich meine, damit wird in Kürze ein sehr drängendes und bei der Truppe sehr eindringlich diskutiertes Problem gelöst sein.
Nun zur Personalführung und zur Beförderungspraxis in der Bundeswehr. Wir Liberalen — das brauche ich Ihnen nicht zu sagen — sind immer für höchstmögliche Transparenz der Administration — auf deutsch: der Verwaltung — und ihrer Maßnahmen. Das gilt im Sinne des vorher Gesagten natürlich auch für die Bundeswehr. Ich habe mir sagen lassen, daß es außerhalb der Bundeswehr durchaus Leute gibt, z. B. in der Industrie, die das Beurteilungswesen und auch die Eröffnung der Beurteilung durch den Vorgesetzten mit Neid betrachten. Sie hätten das möglicherweise auch gerne so. Trotzdem greift die Frustration in der Truppe um sich, weil die Soldaten nicht wissen, wie sie bei Beförderungen berücksichtigt werden, d. h., der Soldat möchte wissen, wie er unter Jahrgangsgleichen nach dem Absolvieren wichtiger Prüfungen und Lehrgänge in der Beurteilung liegt und wer z. B. noch vor ihm befördert wird. Es gibt da ein Beispiel aus der Vergangenheit. Das wäre das Prinzip der veröffentlichten Wertungslisten; früher nannte man das Ranglisten. Sicherlich würde dadurch auch ein Teil übersteigerter Fortkommensvorstellungen auf ein normales Maß reduziert.Die Gaußsche Normalverteilung — das ist eine Aussage über die Verteilung der Leistung einer Gruppe auf eine mathematische Strecke, graphisch aufgetragen — gilt sicher auch bei der Bundeswehr. Gefälligkeitsbeurteilungen erleichtern aber die Lage nicht, sondern sie erschweren sie und sie verschieben die Werte auf dieser Gaußschen Leistungskurve. Die Fraktion der Freien Demokraten erwartet konkrete Vorschläge aus dem Verteidigungsbereich.Ich möchte dann, wie eingangs erwähnt, auch ein Wort zum Beförderungsstau oder, wenn Sie so wollen, zum Verwendungsstau sagen.Es befriedigt mich und die, die es angeht, einfach nicht, wenn in der Beantwortung der Anfrage Lösungsmöglichkeiten für die 80er und 90er Jahre anvisiert werden.
Es geht um den Stau in der Bundeswehr jetzt, hier und heute. Eine gewisse Mißstimmung, die dadurch aufkommt, muß hier und jetzt abgebaut werden. Das sollten wir alle erkennen.Es gibt auch eine ganze Reihe von Ansätzen dazu. Aus Gesprächen mit dem Bundeswehrverband weiß ich, daß man dort bemerkenswerte Vorschläge ausgearbeitet hat, z. B. eine vorzeitige Zurruhesetzung im Bereich der Berufssoldaten — selbstverständlich mit Zustimmung der Betroffenen — oder die Umwandlung des Dienstverhältnisses von Berufssoldaten zu Zeitsoldaten. In diesem Zusammenhang lehnen wir es ab, den Beförderungsstau durch eine erneute Planstellenanhebung aufzulösen.Man kann den Status des Soldaten z. B. auch nicht mit dem eines Beamten vergleichen. Ebensowenig wie man sich von einem 60jährigen Polizeibeamten, der etwa noch im Außendienst ist, vor Kriminellen überzeugend schützen lassen kann, ebensowenig wollen wir, daß 50jährige Chefs von Einsatzkompanien sind. Hier muß der Vorgesetzte — das ist klar — hundertprozentig fit sein, er muß Vorbild sein können im Innen- und Außendienst, beim Marsch, beim Sport, bei jedem Einsatz. Aus diesem Grunde müssen wir junge Einheitsführer haben. Wir müssen mit allen Mitteln eine Überalterung dieser Positionen verhindern. Hier muß eine Regelung gefunden werden — und warum nicht im Gespräch mit Sachverständigen, sachverständigen Interessenvertretern des öffentlichen Dienstes, z. B. auch mit dem Bundeswehrverband und in Anlehnung an Regelungen in anderen NATO-Ländern —, die dieses Problem löst. Die Bundesregierung sollte hier Schrittmacher sein. Eile scheint mir auch hier geboten.Damit ist meine Aufzählung fertig.Wer nach den Gründen fragt, aus denen es dazu gekommen ist, daß sich diese Probleme vor uns
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Ludewigaufbauen, der soll nicht die Regierung Schmidt/Genscher fragen, sondern mit den Fragen weit in der Vergangenheit ansetzen.
— Nein, Herr Wörner! — Wie auf vielen anderen Gebieten — das muß ich sagen dürfen — müssen die sozialliberale Koalition und die heute Betroffenen etwas auslöffeln, was in der Aufbauzeit der Bundeswehr eingebrockt und uns hinterlassen worden ist — nicht mit Absicht; Absicht schließe ich aus.Damals sind teilweise auf der Basis von Umfangszahlen einer Bundeswehr mit Acht-Stunden-Tag oder vielleicht auch Neun-Stunden-Tag viele Verpflichtungen eingegangen worden, die wegen der 'daraus entstehenden Konsequenzen heute nur noch auf den Knochen des einzelnen betroffenen Soldaten durchführbar sind und zu 'den beträchtlichen Dienstzeitüberlastungen geführt haben, von denen ich vorhin sprach. Ich nenne als Beispiele das Personal der Luftverteidigung, in den Radarstellungen, in den Raketenstellungen von Heer und Luftwaffe, das fliegende Personal und das eingeschiffte Personal.Weiß denn die Offentlichkeit überhaupt — das dürfte unser aller Anliegen sein —, daß zu jeder Stunde rund um die Uhr ein Drittel aller Soldaten der Bundeswehr in voller Bereitschaft ist?Wir wollen, daß die Armee ein attraktiver Arbeitgeber und ein attraktiver Arbeitsplatz ist. Sie ist Bildungs- und Ausbildungsplatz, der die Wehrpflichtigen, insbesondere die Zeit- und die Berufssoldaten, zufriedenstellen muß. Wir müssen uns mit diesen Problemen aus dem persönlichen und dem sozialen Bereich beschäftigen, der überall abgedeckt wird. Denn es darf nicht sein, daß unsere Soldaten wie selbstverständlich nur auf Grund ihres Berufs von bestimmten Vorzügen unseres sozialen Rechtsstaats ausgenommen bleiben.Die Fraktion der Freien Demokraten erwartet daher über die angekündigten Regierungsmaßnahmen hinaus in absehbarer Zukunft konkrete Vorschläge und Lösungsmöglichkeiten im Personal- und Sozialbereich. Darum bitten wir das Verteidigungsministerium; darum bitten wir die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren! Für die heutige Fragestunde liegen noch 14 Fragen vor, so daß ich nach den bisherigen Erfahrungen davon ausgehen kann, daß wir damit nicht die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ausschöpfen werden. Ich schlage Ihnen daher im Einvernehmen mit den Fraktionen vor, daß wir unmittelbar nach dem Abschluß der Fragestunde die Debatte wieder aufnehmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Ende der Fragestunde wird über die Hausabrufanlage bekanntgegeben.
Die Sitzung ist bis 14.15 Uhr unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/871 —
Aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts liegen die beiden Fragen 59 und 60 vor. Die Fragesteller, die Abgeordneten Dr. Waigel und Spranger, bitten um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Bezüglich der Fragen des Abgeordneten Dr. Kunz , 63 und 64 des Abgeordneten Röhner sind die Fragesteller mit schriftlicher Beantwortung einverstanden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 29. August 1977 berichtet, deutsche Diplomaten Geheimgespräche mit palästinensischen Terrororganisationen führen läßt und der Bundesminister zu vertraulichen Gesprächen mit arabischen Politikern als Dolmetscher in der Bundesrepublik Deutschland lebende Palästina-Araber hinzuzieht, und wie beurteilt dies die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die Führer der Palästinenser mit Geiselnahmen, Flugzeugentführungen und Mord ihre politischen Ziele verfolgen?
Bitte schön.
Herr Präsident, die Frage des Herrn Abgeordneten Kunz beantworte ich wie folgt.Zum ersten Teil. Es trifft zu, daß Angehörige der Deutschen Botschaften in einigen Staaten des Nahen Ostens auf der Arbeitsebene seit Jahren gelegentlich Kontakte auch mit Mitgliedern der örtlichen Büros der Palästina-Befreiungsorganisation unterhalten haben. Es trifft nicht zu, daß es sich dabei um Geheimgespräche handelt.Wie das Auswärtige Amt hierzu wiederholt erklärt hat, liegen solche Kontakte, wie sie übrigens auch von Botschaften befreundeter Staaten unterhalten werden, im deutschen Interesse. Es gehört zu den Aufgaben unserer Auslandsvertretungen im Nahen Osten, sich über alle Aspekte des arabischisraelischen Konflikts und der Libanon-Krise, in der ja auch Interessen deutscher Staatsangehöriger betroffen waren, zu informieren.Außerdem, Herr Abgeordneter, benutzt die Bundesregierung die Arbeitskontakte mit Vertretern der PLO auch dazu, den Palästinensern eine unmißverständliche Hinnahme des Staates Israel nahezulegen. Sie geht dabei davon aus, daß dem Recht Israels, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben, der gleiche Rang zukommt wie dem Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, also auf effektiven Ausdruck seiner nationalen Identität einschließlich der Notwendigkeit eines Heimatlandes.Zu dem zweiten Teil Ihrer Anfrage stelle ich fest: Es trifft zu, daß sich der Bundesminister des Aus-
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3026 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherwärtigen bei Gesprächen 1975 in Saudi-Arabien und Ägypten und 1977 in Syrien eines palästinensischen Arabers als eines Dolmetschers bedient hat. Es handelt sich hier um einen in Jaffa geborenen jordanischen Staatsangehörigen, der seit 1961 in der Bundesrepublik lebt, hier studierte und promovierte und mit einer Schweizerin verheiratet ist. Er wurde anläßlich seiner Einstellung in den Sprachendienst des Auswärtigen Amts im Jahr 1972 sicherheitsmäßig überprüft. Weder damals noch in der Zwischenzeit ergaben sich Anhaltspunkte, die gegen eine Tätigkeit für das Auswärtige Amt sprächen. Vielmehr ist positiv zu werten, daß in einer Zeit zunehmenden Vordringens der arabischen Sprache in den politischen Beziehungen zur arabischen Welt ein Fachmann mit ausgezeichneten Qualifikationen gewonnen werden konnte.Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, einen geeigneten Bewerber allein auf Grund seiner Abstammung von Dolmetscheraufgaben auszuschließen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, einen Unterschied zwischen den Palästina-Flüchtlingen und den Palästina-Terroristen zu machen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das tut die Bundesregierung selbstverständlich; denn sie verurteilt Terror und Gewalt, wo immer und von wem auch immer sie ausgeübt werden mögen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Kunz.
Besteht, Frau Staatsminister, seitens der Bundesregierung ein Interesse, hier klar zum Ausdruck zu bringen, daß sie nicht im Hinblick auf Gewalt und Terror mit diesen Leuten verhandelt und Verbindungen pflegt, sondern dies aus rein humanitären Gründen tut?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wie ich in meiner ausführlichen Beantwortung Ihrer Anfrage dargelegt habe, verhandelt die Bundesregierung nicht unter Druck, sondern ist im Zuge der Gespräche bemüht, die Gesichtspunkte wahrzunehmen, die ich in der Beantwortung ausführlich dargelegt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, ist Ihre Antwort an den Kollegen Kunz so zu verstehen, daß diese Gespräche mit Vertretern der PLO rein zufällig waren, oder haben sie im Auftrag der Bundesregierung stattgefunden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Diese Gespräche, Herr Abgeordneter, werden in der Weise als Arbeitskontakte geführt, wie ich es vorhin dargestellt habe, und sie sind auch genauso zu verstehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, ist es üblich, daß sich der Bundesminister für vertrauliche Gespräche der Dolmetschertätigkeit eines nichtdeutschen Staatsangehörigen bedient?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, ob Sie eben die Darlegungen nicht mitgehört haben, die ich gegeben habe, und die Begründung, weshalb das Auswärtige Amt keine Veranlassung sieht, einen qualifizierten, überprüften, bewährten Bewerber wegen seiner Abstammung zu benachteiligen.
Wollen Sie auf die Zwischenbemerkung noch antworten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein, Herr Präsident.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, daß entsprechend der in Köln vom 6. September 1977 auf zwei Monate angelegten „Tage der polnischen Wissenschaft und Kultur" mit 40 Veranstaltungen eine gleichartige Veranstaltungskette über deutsche Wissenschaft und Kultur in einer polnischen Großstadt durchgeführt werden kann?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Anfrage des Herrn Kollegen Hupka beantworte ich wie folgt. Die Bundesregierung beabsichtigt, Ende 1978 in Warschau Theater- und Filmtage einschließlich eines Rahmenprogramms zu veranstalten. Die polnische Regierung hat prinzipiell ihre Unterstützung zugesagt.
Die Bundesregierung hat alle Initiativen deutscher Städte gefördert, im Rahmen von Gegenveranstaltungen deutsche Kulturtage oder Kulturwochen zu veranstalten, wie z. B. die sehr erfolgreichen Hamburger Kulturtage in Danzig im Mai 1977. Die Bundesregierung ist auch weiterhin bereit, Kulturtage und Kulturwochen deutscher Städte in Polen zu unterstützen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, bei der Kölner Veranstaltungsreihe handelt es sich um 40 Veranstaltungen innerhalb von zwei Monaten. Plant die Bundesregierung jetzt vice versa eine ähnliche Kette von Veranstaltungen? Irgendeine Filmwoche Ende 1978 kann damit ja wohl nicht verglichen werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3027
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich werde Ihnen gern zur gegebenen Zeit, wenn die vorgesehene Gestaltung der Warschauer deutschen Kulturwoche feststeht, im einzelnen sagen, um wieviel Veranstaltungen und um welche Dauer dieser Woche es sich dann handeln wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, ist es nicht erstaunlich, daß nach Abschluß des deutschpolnischen Kulturabkommens im Sommer vorigen Jahres zwar eine Fülle von polnischen Kulturveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland zu registrieren war, aber kaum eine Veranstaltung in der gleichen Weise, von gleicher Dauer und gleicher Größe des Ortes in der Volksrepublik Polen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter Hupka, die Bundesregierung ist besonders darum bemüht, alle Kulturveranstaltungen, die im Zuge des deutsch-polnischen Vertrages durchgeführt werden, auf Gegenseitigkeit anzulegen. In diesem Sinne werden wir uns nachdrücklich darum bemühen, daß sich hier ein Gleichgewicht der Veranstaltungszahlen einstellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade in jüngster Zeit im Zuge der Wahrnehmung von Patenschaften zwischen deutschen Gemeinden und im polnischen Bereich liegenden Gemeinden diese von polnischer Seite als unerwünscht abschlägig beschieden wurden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dies ist mir im Augenblick nicht bekannt. Ich werde aber gerne Ihrer Frage nachgehen und Ihnen hier noch eine Nachricht zukommen lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, werden bei der Veranstaltung der Warschauer Kulturwochen auch die Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, die dort leben, einbezogen, nachdem dies für Regionalkulturen bei einem bilateralen Kulturaustausch in der Schlußakte der KSZE-Konferenz ausdrücklich vorgesehen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen Ihre Frage im Augenblick nicht beantworten, da die Kulturtage in Vorbereitung sind. Ich werde das aber zur gegebenen Zeit gerne nachholen.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Broll auf:
Stimmt es, daß die Bundesregierung über diplomatische Vertretungen des Nahen Ostens ständige Kontakte zu palästinensischen Befreiungsorganisationen unterhält?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Anfrage des Herrn Abgeordneten Broll umfaßt den gleichen Sachverhalt wie die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Kunz. Ich möchte sie deshalb nur ganz kurz zusammenfassend beantworten.
Es trifft zu, daß Angehörige unserer Botschaften in einigen arabischen Staaten auf der Arbeitsebene seit längerem gelegentlich Kontakte zu Mitgliedern der örtlichen Büros der Palästina-Befreiungsorganisation unterhalten, wie ich das vorhin ausführlich dargestellt habe. Sie dienen den beschriebenen Zielen und entsprechen dem Verhalten uns befreundeter Staaten in dieser Region.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß von der PLO Terroraktionen und Terrorbanden in unserem Lande unterstützt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wie ich vorhin sagte, weiß die Bundesregierung sehr wohl zu unterscheiden zwischen den Terrorakten und Gewaltaktionen bestimmter arabischer Gruppen, die wir mit aller Entschiedenheit verurteilen, und Informationsgesprächen auf Arbeitsebene mit Vertretern der PLO.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatsminister, glauben Sie nicht, daß durch Kontakte dieser Art, wie Sie sie beschrieben haben, die Aktivitäten eben dieser Gruppen im terroristischen Bereich durchaus unterstützt werden, und zwar im psychologischen Sinne?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung bemüht sich bei jeder dieser Gelegenheiten, darauf hinzuweisen, daß die Anerkennung der einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen die Voraussetzung dafür sind, daß bezüglich der Probleme im Nahen Osten Lösungsmöglichkeiten erreicht werden können, und sie macht bei diesen Gelegenheiten auch deutlich, wie nachdrücklich sie Gewaltmaßnahmen und Terror verurteilt.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Broll auf:Stimmt es, daß der Bundesminister des Auswärtigen sich bei Verhandlungen im Vorderen Orient eines palästinensischen Arabers als Dolmetscher bedient hat?Ist sie bei der Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten Kunz mitbeantwortet worden?
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3028 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ja.
Wünschen Sie zu der nicht behandelten Frage 68 jetzt noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, würden Sie dann ganz klar präzisieren, ob es sich bei diesem Dolmetscher, nach dem in Frage 68 gefragt ist, um einen deutschen Staatsangehörigen, der auf das Grundgesetz vereidigt ist, handelt, oder wie sonst seine Treuepflicht bei so wichtigen diplomatischen Besprechungen sichergestellt wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Dolmetscher hat, wie ich bereits gesagt habe, die jordanische Staatsangehörigkeit. Er ist selbstverständlich als Angehöriger des Sprachendienstes auf das Grundgesetz verpflichtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Frau Staatsminister, handelt es sich bei dem jordanischen Staatsbürger um einen Beamten, um einen Angestellten oder um einen Vertragsangestellten auf Zeit?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter Kunz, ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich werde es aber umgehend nachholen.
Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatsminister, glauben Sie nicht, daß die Gesprächspartner unseres Außenministers allein schon durch die Anwesenheit eines Palästinensers als Dolmetscher in ihrer Offenheit erheblich eingeschränkt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich glaube das nicht, Herr Abgeordneter.
Der Abgeordnete Jäger bittet, daß seine Frage 69 schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß der Führer der offensichtlich kommunistisch beherrschten südwestafrikanischen Befreiungsorganisation Swapo, Tjongarero, die Erklärung abgegeben habe, humanitäre Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland ermögliche es der Swapo, mehr Waffen zu kaufen, und in welcher Höhe sind bejahendenfalls seitens der Bundesrepublik Deutschland Mittel der Befreiungsorganisation Tjongareros zugeflossen?
Bitte schön.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Frage des Abgeordneten Engelsberger beantworte ich wie folgt.
Zu der in der Frage erwähnten Pressemeldung, die auf einer Presseunterrichtung des Bundestagsabgeordneten Dr. Todenhöfer über sein Gespräch mit Herrn Tjongarero in Windhuk beruht und zuerst in der „Welt" vom 24. August 1977 veröffentlicht wurde, hat Herr Tjongarero in einer Gegendarstellung Stellung genommen. In dieser Gegendarstellung weist er darauf hin, daß er seinem Gesprächspartner ausdrücklich gesagt habe — ich zitiere —:
Humanitäre Hilfe ist lediglich komplementär, und wir können so viele Waffen kaufen, als wir wollen, ohne dafür Mittel zu benutzen, die für humanitäre Hilfe bestimmt sind.
Herr Abgeordneter, falls mit der Formulierung „seitens der Bundesrepublik Deutschland" die Frage gemeint ist, ob der Swapo Mittel der Bundesregierung zugeflossen sind, so ist diese Frage zu verneinen. Die Swapo hat von der Bundesregierung keinerlei Mittel und — abgesehen von Brillengestellen im Jahre 1975 im Wert von 2 500 DM — auch keine humanitäre Hilfe erhalten. In dem von der Presse unvollständig zitierten Gespräch hat Herr Tjongarero hierauf auch hingewiesen mit der Feststellung, die humanitäre Hilfe an die Swapo stamme aus nichtamtlichen Quellen. In der bereits erwähnten späteren Gegendarstellung hat Herr Tjongarero dies nochmals bekräftigt und mit dem Hinweis präzisiert, daß die der Swapo zugeflossene deutsche humanitäre Hilfe aus Mitteln der deutschen Kirchen stamme.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Nachdem der Kollege Todenhöfer angekündigt hat, er werde in der von Ihnen angesprochenen Frage Beweise erbringen,
möchte ich die Frage an Sie richten, welchen afrikanischen Freiheitsbewegungen die Bundesregierung dann Unterstützung gewährt hat, nachdem Frau Bundesminister Schlei in einem Fernsehinterview erklärt hat, die Bundesregierung unterstütze afrikanische Freiheitsbewegungen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat — wie bereits gesagt — an keine afrikanische Organisation direkte humanitäre Hilfe geleistet. Wenn Hilfe geleistet wird, dann über internationale Organisationen. Ich bin gern bereit, Ihnen schriftlich mitzuteilen, über welche Organisationen und Einrichtungen dies erfolgt ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, muß nicht, nachdem der frühere Entwicklungsminister Egon Bahr erklärt hat, es bestehe kein Grund, kommunistische Befreiungsbewegungen in Afrika nicht zu unterstützen, davon ausgegangen werden, daß direkt oder indirekt kommunistische Terroristen
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3029
Engelsbergervon der Bundesregierung doch unterstützt worden sind?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wie ich bereits ausgeführt habe, trifft dies nicht zu. Es gibt keine Zuschüsse und keine Zuwendungen, keine offiziellen Zuwendungen, seitens der Bundesregierung an irgendwelche Befreiungsorganisationen in Afrika.Vizepräsident Stücklen Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Erler.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung der Meinung, daß das Volk von Namibia das Recht hat, sich von der Fremdherrschaft der Südafrikaner zu befreien, oder ist sie der gleichen Meinung wie die CDU, daß jeder, der sich dafür einsetzt, ein Kommunist ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung ist der Meinung, daß im südlichen Afrika imallgemeinen und in Namibia im besonderen alles getan werden muß, um Blutvergießen zu verhindern und ein friedliches Nebeneinander der weißen und der schwarzen Bevölkerung zu garantieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Frau Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Tatsache, daß ein Mitglied dieses Hauses von der diplomatischen Vertretung eines schwarzafrikanischen Landes der Lüge überführt wird, dazu geeignet ist, 'der Bundesrepublik schweren Schaden zuzufügen und eine Außenpolitik mit Perspektiven in Afrika zumindest schwer zu beeinträchtigen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hansen, ich möchte diesen ganzen Sachverhalt nicht einer Würdigung hier in der Fragestunde unterziehen. Dies wird bei geeigneter Gelegenheit geschehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz.
Frau Staatsminister, nachdem Sie in Ihrer vorausgegangenen Antwort an den Kollegen Engelsberger festgestellt haben, daß es keine offiziellen Zuwendungen an afrikanische Befreiungsorganisationen gebe, so ist davon auszugehen, daß die Bundesregierung inoffizielle Zuwendungen, wenn ich es richtig verstanden habe, indirekt, z. B. über internationale Organisationen gewährt hat. Ich frage Sie deshalb: Hat sich die Bundesregierung vergewissert, daß diese Mittel und Zuwendungen, auch wenn sie sie indirekt gewährt hat, nicht an Organisationen gehen, die Gewalt und Terror ausüben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das hat die 'Bundesregierung getan; sie wird es auch in Zukunft tun. Alle Mittel, auch VN-Organisationen gewährte Unterstützungsbeiträge für Flüchtlinge, für Erziehungs- und Ausbildungszwecke, sind mit deutlichen Auflagen versehen. Die Bundesregierung kontrolliert durch ihre Vertretungen, ob diese Auflagen auch erfüllt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Frau Staatsminister, kann man nach Ihren Ausführungen, daß die Bundesregierung keine Freiheitsbewegung unterstützt, davon ausgehen, daß Sie damit gesagt haben, daß sich Frau Schlei im Fernsehen entweder mißverständlich ausgedrückt hat oder nicht ganz informiert war?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe von Zuwendungen, direkten offiziellen Zuwendungen der Bundesregierung an Befreiungsbewegungen gesprochen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Focke.
Frau Staatsminister, halten Sie es für gerechtfertigt, Befreiungsbewegungen und Terrorismus gleichzusetzen, wie es der Kollege Engelsberger von der CDU/CSU soeben getan hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein, Frau Kollegin, dies halte ich für sehr unberechtigt. Ich halte es vielmehr für dringend notwendig, daß sich die Afrika-Politik der Bundesregierung um die Verhinderung von Blutvergießen, um den Abbau zusätzlicher Spannungen bemüht und zu diesem Ziele die geeigneten außenpolitischen Maßnahmen ergreift.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Frau Staatsminister, sind Sie in der Lage, Frau Kollegin Erler dahin gehend aufzuklären, daß es in Südwestafrika außer der Swapo auch andere Bestrebungen gibt,
damit Südwestafrika/ Namibia frei wird?
— Südwestafrika!Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich würde Sie bitten, die Kollegin in einer Ihnen geeignet erscheinenden Form zu 'informieren.
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3030 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Die gegenseitige Information und Kommunikation kann außerhalb der Tagesordnung und der Fragestunde viel intensiver durchgeführt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Frau Staatsminister, können Sie mich darüber unterrichten, ob es in der Vergangenheit seitens der Abgeordneten der Opposition auch so zahlreiche besorgte Anfragen über Zahlungen aus der Bundesrepublik Deutschland an Länder gegeben hat, in denen die jeweilige Regierungsmacht .Gewalt und Terror ausübt, wie etwa in Chile? Ich kritisiere nicht in jedem Falle Zahlungen an solche Länder, nur möchte ich gern wissen, ob da auch so zahlreiche, besorgte Anfragen gekommen sind.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Solange ich hier im Hohen Hause die Ehre habe, die Fragestunde zu bestreiten, Herr Abgeordneter, kann ich mich an derartige besorgte Anfragen nicht erinnern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster.
Frau Staatsminister, darf ich an die Frage von Frau Dr. Focke folgende Frage anschließen: Halten Sie es für möglich — und ist dies der Bundesregierung bekannt? —, daß Terroristen in Afrika zwar unter dem Mantel der Befreiungsbewegungen antreten, in Wirklichkeit aber ganz andere Ziele, nämlich die — auch gewaltsame — Einführung eines kommunistischen Systems, verfolgen, also weniger die Befreiung der Bevölkerung bezwecken, als vielmehr die Unterjochung der Bevölkerung unter ein kommunistisches System?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Eben das, Herr Abgeordneter, möchte die Bundesregierung verhindern helfen. Wir möchten ein zweites Angola und Moçambique im südlichen Afrika nicht erleben,
und deshalb ist es erforderlich, mit allen Kräften, die hierzu einen Beitrag leisten können und müssen, auch Kontakte zu pflegen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Corterier.
Aber, Frau Staatsminister, finden Sie es nicht erschreckend, festzustellen, daß es der Opposition offenbar nur darum geht, die Befreiungsbewegungen in Afrika zu diffamieren, und daß sie kein Wort über die diktatorischen und unmenschlichen Regime, die es in Südafrika und Rhodesien gibt, zu verlieren bereit ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde es mit Ihnen bedauern, wenn es so wäre.
Damit ist diese Frage abgeschlossen. Ich rufe Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Hat die Bundesregierung Informationen, daß in Kolumbien jährlich auf mehreren Tausend Hektar Marihuana angebaut wird, das von dort per Flugzeug in die USA exportiert wird, und wenn ja, hält es die Bundesregierung für wahrscheinlich, daß dies in einer derartigen Größenordnung ohne Duldung staatlicher Stellen geschehen kann, und welche Folgerungen zieht sie daraus?
Bitte schön.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig möchte ich wie folgt beantworten: Der kolumbianische Justizminister César Gómez Estrada teilte kürzlich vor der Presse mit, daß in Kolumbien — wie auch in anderen Ländern, die sich klimatisch dafür eignen — in erheblichem Umfang illegal Marihuana angebaut werde. Ein Großteil dieses Rauschgifts dürfte für den Schmuggel in die USA bestimmt sein.
Laut Mitteilung des kolumbianischen Justizministers bekämpft die kolumbianische Regierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Herstellung und Handel mit Rauschgift. Die kolumbianische Regierung hat darüber hinaus neue gesetzliche Maßnahmen zur verschärften Bekämpfung der Rauschmittelproduktion angekündigt.
Da Produktion und Verbreitung von Rauschgift bereits durch die kolumbianische Regierung mit Nachdruck bekämpft werden, erübrigt sich eine Einwirkung der Bundesregierung in diesem Sinne, ganz abgesehen davon, daß Kolumbien — wie die Bundesrepublik Deutschland auch — Vertragspartei des weltweiten Einheits-Übereinkommens über Suchtstoffe in der Fassung des Protokolls vom 25. März 1972 ist. Die Kontrolle der Einhaltung des EinheitsÜbereinkommens über Suchtstoffe obliegt zwei internationalen Organisationen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Frau Staatsminister, glauben Sie wirklich, daß sich ein solches Einwirken erübrigt, wenn es doch bekannt und in Kolumbien ein offenes Geheimnis ist, daß dort auf Tausenden von Hektar ein solcher Anbau erfolgt, und meinen Sie nicht auch, daß eine Regierung dies unschwer verhindern könnte?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nach den Berichten, die mir vorliegen, Herr Abgeordneter, scheint die kolumbianische Regierung offenbar nicht imstande zu sein, diesen verbotenen Anbau zu verhindern.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3031
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Halten Sie es nicht für möglich, daß man z. B. den Export in großem Stil mit Frachtflugzeugen in die Vereinigten Staaten durch eine Kontrolle des Luftraums, die ja dort erfolgt, ohne weiteres verhindern könnte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, die Bundesregierung ist nicht imstande, eine derartige Maßnahme durchzuführen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 72 des Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf die kolumbianische Regierung einzuwirken, damit sie in Zukunft die Produktion und Verbreitung von Rauschgift mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln verhindert?
— Sie ist damit erledigt? Es war eine Zusammenfassung nicht beantragt worden, und daher rufe ich sie auf. — Sie verzichten also auf eine mit einem Wort ergänzende Beantwortung? Es gibt auch keine Zusatzfragen? — Damit ist Frage 72 erledigt.
Ich rufe Frage 73 des Abgeordneten Hansen auf:
Was hat den Bundesminister des Auswärtigen veranlaßt, am 30. April 1977 dem Vorsitzenden des Deutsch-Chilenischen Bundes auf eine Einladung zur 125-Jahrfeier der deutschen Einwanderung in Chile zu antworten, daß dieses Datum die Bundesrepublik und Chile in „besonderer Weise" verbindet, und anzukündigen, daß Botschafter Strätling die „aufrichtigsten Wünsche der Bundesrepublik Deutschland für eine weitere glückliche Zukunft der Deutsch-Chilenen und ihrer neuen Heimat Chile" überbringen werde?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Hansen beantworte ich wie folgt. — Entschuldigung, Herr Präsident, ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, daß es sich um die Fragen 73 und 74 handelt.
Sie möchten also gern beide Fragen zusammengefaßt haben? — Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich Frage 74 des Abgeordneten Hansen auf:
Hält die Bundesregierung derartige Formulierungen in bezug auf das Regime in Chile für vertretbar?
Bitte schön.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, in Chile haben seit 125 Jahren viele Deutsche eine neue Heimat gefunden, darunter übrigens auch eine nicht geringe Zahl politisch und rassisch Verfolgter in der Zeit des Dritten Reiches. Deutsche Einwanderer haben einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau Chiles geleistet. Sie sind in ihrer neuen Heimat Staatsbürger geworden und dort hockangesehen. Über Generationen haben sie aber auch ihre Anhänglichkeit und Verbindungen zu Deutschland bewahrt. Sie sind wesentliches Element der traditionell engen Beziehungen unserer beiden Völker. Auf diese enge Bindung der Deutsch-Chilenen zu ihrer neuen Heimat und auf die verbindende Kraft, die sich daraus für das Verhältnis der beiden Völker ergibt, sollte mit dem Glückwunsch des Bundesministers an den privaten Deutsch-Chilenischen Bund aufmerksam gemacht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Frau Staatsminister, ist es richtig, daß das Auswärtige Amt gewillt ist, eine Delegation von ca. 130 Personen dorthin zu schicken und daß dafür bereits zwei Flugzeuge bereitgestellt sind, und mit welchen anderen Mitteln wollen Sie ein derartiges Programm einschließlich Rahmenprogramm noch finanzieren?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe davon bisher nichts gehört. Sicher dürfte aber sein, daß ein solches Unternehmen nicht von uns finanziert wird.
Trifft es dann auch nicht zu, Frau Staatsminister — —
Einen Moment! Herr Abgeordneter, Sie möchten eine weitere Zusatzfrage stellen?
Ja. Ich möchte — wenn ich Ihnen das jetzt schon sagen darf — im ganzen vier Zusatzfragen stellen.
Sie dürfen vier Zusatzfragen stellen. Bitte schön!
Frau Staatsminister, trifft es zu, daß nicht zuletzt auf eine starke Anregung der Opposition dieses Haus hin aus dem gleichen Anlaß eine Parlamentarierdelegation nach Chile gesandt werden soll und daß dafür ebenfalls Mittel bereitgestellt worden sind oder noch bereitgestellt werden sollen, und halten Sie es für richtig, daß eine Parlamentarierdelegation in ein Land fährt, in dem es Parlamentarier nur im Exil oder im Gefängnis gibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, es ist Angelegenheit des Bundestages und nicht Sache der Bundesregierung, zu entscheiden, wohin Parlamentarierdelegationen geschickt werden.
Herr Abgeordneter, eine weitere Zusatzfrage.
Meine dritte Zusatzfrage: Halten Sie es dennoch für gerechtfertigt — bei aller Diffe-
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3032 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Hansenrenzierung, die Sie in der ersten Antwort vorgenommen haben —, daß sich die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt — sei es auch nur durch dieses Grußschreiben des Bundesaußenministers — an dieser Veranstaltung beteiligt, obwohl es den Veranstaltern ihrer eigenen Aussage nach darum geht, das Chile-Bild — und das heißt doch dann wohl auch: das Bild der Junta-Regierung in Chile — im Ausland zu verbessern?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, wir müssen wirklich zwischen unserer politischen Einschätzung der derzeitigen Regierung in Chile und dem Jubiläum einer privaten Organisation, die den deutsch-chilenischen Beziehungen dienen soll, unterscheiden. Ich bin der Meinung, daß in diesem Sinne das Glückwunschschreiben des Bundesministers des Auswärtigen durchaus angebracht war, weil dort und wo auch immer ehemalige Deutsche in der Welt leben, die sich der Heimat ihrer Vorväter erinnern, die Verbindungen gepflegt werden sollten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Frau Staatsminister, zum Schluß möchte ich Sie fragen, ob Sie — jetzt komme ich auf das Schreiben des Bundesaußenministers zurück — der Meinung sind, daß die jetzigen Bürger Chiles dort glücklich leben? Diese Frage stellt sich, da der Außenminister ja gesagt hat, er wünsche eine wertere glückliche Zukunft in diesem Land.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß der Herr Bundesminister etwas anderes als die persönlichen guten Wünsche für das Schicksal der ehemaligen Deutschen in Chile gemeint haben kann.
Ich halte das, ehrlich gesagt, sogar für einen wichtigen Wunsch.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann .
Frau Staatsminister, Sie haben vorhin auf den privaten Charakter dieser Reise abgehoben. Ist Ihnen bekannt, daß der Empfang auf dem Flughafen in Chile von der Junta organisiert worden ist, und ist Ihnen bekannt, daß die entsprechenden Pressekontakte ebenfalls über die Junta gelaufen sind?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist mir nicht bekannt. Aber ich werde Ihrer Frage gern nachgehen und sie schriftlich beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Ich bitte alle, die eine Zusatzfrage stellen wollen, I ans Mikrophon zu gehen. Dann werden sie sofort notiert und kommen an die Reihe.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, dem Kollegen Hansen und seinen Freunden eine ausführliche Begründung über die Art der Glückwünsche an die chilenische Regierung zu geben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich glaube, der Herr Kollege Hansen hat aus der Antwort, die ich namens der Bundesregierung erteilt habe, verstanden, worum es dem Bundesminister des Auswärtigen gegangen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.
Frau Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob der SPD-Abgeordnete Hansen auch Bedenken gegen ein Glückwunschtelegramm aus Anlaß des Jubiläums der Oktoberrevolution in der UdSSR geäußert hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, mir ist dies nicht bekannt. Das steht auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Anfrage. Ich glaube, wir sollten es mit der Geschäftsordnung des Bundestages halten und nur im unmittelbaren Bereich der ursprünglichen Frage Zusatzfragen stellen.
Frau Staatsminister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht auf jede Frage zu antworten brauchen.
Frau Abgeordnete Erler.
Frau Staatsminister, trifft es zu, daß Sie selber vorhaben, zusammen mit dem Botschafter Strätling an dieser Jubelfeier teilzunehmen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Kollegin, ich bin überrascht. Ich habe bisher vom Herrn Minister in keiner Weise einen solchen Auftrag erhalten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß es eine Unterlassung gewesen wäre, wenn der Herr Bundesaußenminister kein Grußwort aus Anlaß des 125jährigen Bestehens der Deutsch-Chilenen geschickt hätte?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3033
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich möchte das nicht werten. Der Herr Bundesminister hat den Glückwunsch geschickt, weil er das für notwendig erachtet hat.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm .
Böhm (CDU/CSU) Frau Staatsminister, würden Sie und die Bundesregierung es nicht begrüßen, wenn eine möglichst starke Repräsentanz aus der Bundesrepublik Deutschland aus Anlaß dieser Feierlichkeiten den Deutschen in Chile ihre Verbundenheit unter Beweis stellte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Wir begrüßen alle privaten Kontakte, die bei solchen Gelegenheiten geknüpft oder fortgesetzt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Corterier.
Frau Staatsminister, trifft es nicht zu, daß alle demokratischen Parteien in Chile — einschließlich der Christ-Demokraten —, die unterdrückt sind, davon abgeraten haben, daß sich die Bundesrepublik an diesem Jubiläum beteiligt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bedaure sehr: Ich kann Ihnen auf diese Frage keine offizielle Antwort geben, weil ich das nicht überprüft habe.
Damit ist die Behandlung dieser Frage abgeschlossen.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Czaja auf :
Warum vertrat der Bundeskanzler nach dem Anhang zum Nachrichtenspiegel I vom 13. Juli 1977 in der Menschenrechtsfrage vor der Presse in Ottawa den Standpunkt, daß sich die Interessen der Bundesrepublik Deutschland von denen Präsident Carters in der Menschenrechtsfrage nur in der Art unterscheiden, „moralische Grundsätze in die Tat umzusetzen", obwohl die Bundesrepublik Deutschland in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen wie viele andere Staaten, darunter sämtliche Ostblockstaaten, nicht die Beachtung moralischer Grundsätze, sondern vielmehr die Erfüllung von klaren Rechtsverpflichtungen einerseits auf sich genommen hat, andererseits dies auch von ihren Vertragspartnern verlangen kann?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja wie folgt. Die Achtung und Wahrung der Menschenrechte ist für die Bundesregierung nicht nur eine moralische, sondern auch eine Rechtspflicht, die sich im nationalen Bereich in erster Linie aus dem Grundgesetz und im internationalen Bereich aus den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen ergibt. Sie ist darüber hinaus auch eine Verpflichtung, die sich aus den moralischen Grundsätzen des Grundgesetzes ergibt, die die Politik jeder Bundesregierung seit 1949 bestimmt haben. Der Einsatz für die Menschenrechte ist demgemäß für diese Bundesregierung und für jede Bundesregierung nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, ich habe mit Genugtuung diese Ergänzung der Ausführungen des Bundeskanzlers, der nur von den moralischen Grundsätzen sprach, über die Rechtsverpflichtung gehört und frage Sie in dem Zusammenhang, ob dies bedeutet, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem Vertragsrecht berechtigt und verpflichtet ist, die Beachtung der konkret aufgeführten individuellen Rechte für Personen auf Grund der Menschenrechtspakte auch von anderen Staaten ebenso einzufordern wie die Unterlassung von Verletzungen solcher Rechte, unbeschadet der Vorschriften des Art. 41 des Menschenrechtspaktes.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, erlauben Sie mir, daß ich zu dieser Zusatzfrage etwas ausführlicher antworte.
Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist im Art. 41 ein besonderes Verfahren vorgesehen, nach dem die Vertragsstaaten des Paktes Verletzungen durch einen anderen Vertragsstaat rügen können. Diese Regelung gilt jedoch nur unter denjenigen Staaten, die sich in einer besonderen Erklärung diesem Verfahren freiwillig unterworfen haben. Das haben neben der Bundesrepublik Deutschland bisher nur vier nordische Staaten und Großbritannien getan, nicht jedoch die Ostblockstaaten.
Sofern sich ein Staat dem Verfahren nach Art. 41 nicht unterworfen hat oder ein derartiges Staatenbeschwerdeverfahren vertraglich nicht vorgesehen ist wie im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, kann die Bundesregierung nicht in gleicher Weise gegen den vertragsbrüchigen Staat vorgehen. Nach Ansicht der Bundesregierung könnte sie in diesem Fall nur von denjenigen Rechten Gebrauch machen, die sich aus den allgemeinen Regeln des Völkervertragsrechts ergeben. Danach kann die Bundesregierung einen Vertragsstaat auf die Verletzung des Vertrages hinweisen und ihn auffordern, künftig seine vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Hierbei muß die Bundesregierung jedoch stets den auch im Völkerrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird die Bundesregierung wie bisher alle ihre politischen Möglichkeiten einsetzen, um die Verwirklichung von Menschenrechten zu ermöglichen. Sie wird sich dabei wie in der Vergangenheit in erster Linie von den Interessen der betroffenen Menschen bestimmen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Darf ich aus dieser sehr bedeutsamen Antwort — insbesondere dem letzten Teil — folgern, daß die Bundesregierung bereit ist, unter Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßig-
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3034 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Dr. Czajakeit der Mittel bei schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte auch gegenüber Deutschen, wie Sie eben ausführten, die Unterlassung vom Verursacher mit zulässigen Mitteln des internationalen Rechts, und zwar allen zulässigen Mitteln, einzufordern?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, sie hat das bisher so getan und wird das auch in Zukunft so tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatsminister, verstehe ich die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers in Kanada richtig, daß er damit sagen wollte, daß die Verpflichtung aus den Menschenrechtspakten eben nicht erzwingbar ist und daß es deshalb besser ist, auf andere Weise zu versuchen, Menschenrechte in den betroffenen Gebieten durchzusetzen, als dauernd mit den Menschenrechtspakten in der Hand herumzulaufen und damit nichts zu erreichen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich stimme Ihrer Interpretation der Ausführungen des Bundeskanzlers in Ottawa zu.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich rufe Frage 76 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den derzeitigen Stand der Aussiedlung der Deutschen auf Grund des humanitären Briefwechsels mit der Tschechoslowakei und die bisherigen Erfahrungen bezüglich der politischen und rechtlichen Wirksamkeit der im Briefwechsel mit der Tschechoslowakei geübten Methode, zwei einseitige Erklärungen miteinander zu verknüpfen statt Leistungsverpflichtungen?
Bitte schön.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Frage des Abgeordneten Czaja beantworte ich wie folgt:
Vom 1. Januar 1974 bis zum 31. August 1977 sind insgesamt 2 201 Deutsche aus der CSSR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Auf der Grundlage der gegenwärtigen Abwicklung kann damit gerechnet werden, daß die dem DRK vorliegenden aktuellen Ausreisewünsche in einem überschaubaren Zeitraum gelöst werden können.
Die Lösung des im Verhältnis zur Tschechoslowakei bestehenden zahlenmäßig begrenzten Ausreiseproblems ist auf der Basis des humanitären Briefwechsels bisher zwar schleppend, aber im ganzen reibungslos verlaufen. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch, daß die Zusammenarbeit der beiden Rotkreuzgesellschaften wieder in Gang gesetzt werden konnte. Der humanitäre Briefwechsel hat sich als Instrument zur Lösung der noch bestehenden Ausreisewünsche von Deutschen aus der Tschechoslowakei bewährt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, nachdem Sie die schleppende Abwicklung zugegeben haben, frage ich Sie, ob Sie darin eine Verbesserung sehen, daß in den von Ihnen angeführten etwa drei Jahren über 2 000 Menschen kamen, während allein im Jahre 1970 vor dem Briefwechsel in einem Jahr 4 207, im Jahre 1968 11 854, im Jahre 1967 11 628 Deutsche aus der Tschechoslowakei kamen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich möchte mich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen, sondern ich möchte darauf abheben, daß es in absehbarer Zeit gelingen wird, dieses Problem, wie wir hoffen, zur Zufriedenheit der Ausreisewilligen zu lösen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, woher nehmen Sie Ihre Hoffnung, nachdem im Jahre 1974, mit dem Sie in Ihrer Aufstellung begonnen haben, von der Bundesregierung 20 000 unerledigte Ausreiseanträge angegeben worden sind, von denen bisher 2 000 Antragsteller, also 10 %, hier eingetroffen sind? Sind Sie der Auffassung, daß durch den Briefwechsel mit der Tschechoslowakei völkerrechtliche Leistungsverpflichtungen der Tschechoslowakei entstanden sind und diese schnellstens von der Tschechoslowakei erfüllt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich nehme diese Hoffnung aus der vom Deutschen Roten Kreuz in jüngster Vergangenheit vorgenommenen Aktualisierung der Zahlen. Wir möchten dem Roten Kreuz aber nicht vorgreifen und diese Zahlen deshalb noch nicht bekanntgeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, da Sie sich auf die Zahlen des Deutschen Roten Kreuzes berufen, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, daß bei Abschluß des Prager Vertrages die Zahl der Ausreisewilligen um 13 000 höher war, als sie nunmehr registriert ist? Dabei ist zu berücksichtigen, daß 6 000 gesagt haben, sie könnten den Antrag nicht erneuern, und weitere 6 000 überhaupt keine Auskunft gegeben haben.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, nach meinen Informationen beruhten die zunächst genannten Zahlen noch nicht auf wirklichen Anträgen und verbindlichen Wünschen auch von Angehörigen hier aus der Bundesrepublik.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich schließe die Fragestunde.Wir setzen die Beratungen zu Punkt 2 der Tagesordnung fort: Große Anfragen zur Verteidigungspolitik und zur Sicherheitspolitik. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biehle.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3035
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Kollegen Dr. Wörner und Dr. Kraske heute vormittag die Probleme der Strategie und der Bündnispolitik, aber auch der Verteidigungsausgaben und der Bildung angesprochen haben, lassen Sie mich nun den Komplex der Bundeswehr abhandeln. Sicher sind dies, Herr Minister, nicht nur die drei Probleme, auf die Sie glaubten, das Thema reduzieren zu sollen, nämlich Personallage, Unteroffiziersausbildung und Munitionsprobleme.Zunächst einige Vorbemerkungen. Tarnen und Täuschen gegenüber dem Gegner sind Fertigkeiten, die jeder Soldat in der Grundausbildung lernen muß. Sie helfen ihm, im Ernstfall zu überleben. Tarnen und Täuschen ist aber als Mittel der Bundesregierung im Umgang mit diesem Parlament und der Öffentlichkeit, milde ausgedrückt, sicherlich keine feine demokratische Art.
Die Antwort, die wir von der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhalten haben, fällt mit Sicherheit unter die Rubrik: Tarnen und Täuschen, wenn ich die große Linie der Bündnispolitik, der Strategie und Teile des Problems des Kräfteverhältnisses ausklammere, wobei ich hoffe, daß Herr Minister Leber nach dem, was er heute hier wieder gesagt hat, nicht wie in der Vergangenheit in den JusoJargon seiner Münchener Rede zum sicherheitspolitischen Kongreß der SPD zurückfällt. Ich habe von Täuschen und Tarnen gesprochen, da ich meine, daß es Ihnen — allerdings nur für den vordergründig verhafteten Betrachter — gelungen ist, einen Türken zu bauen.Sie zeichnen in Ihrer Antwort zwar ein Bild von der wachsenden Bedrohung der freien Welt durch die gewaltigen Rüstungsanstrengungen des Warschauer Paktes. Auch legen Sie ein Bekenntnis zur Landesverteidigung, zur Bundeswehr, zur NATO und zur NATO-Strategie der flexible response ab. Wenn man das so liest, möchte man meinen, daß bei uns hinsichtlich der Landesverteidigung alles in bester Ordnung ist. Es wird einem das Bild einer Regierung suggeriert, die die Gefahren für unser Land und unsere Ordnung klar erkennt, die alles tut, um die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag erfüllen zu können, und deren Verhältnis zur bewaffneten Macht von Verständnis und von Vertrauen geprägt ist.
Leider ist die Wahrheit eine andere.
Sucht man in Ihrer Antwort nach praktischen Konsequenzen, die aus der gegebenen militärischen Bedrohung zu ziehen wären, findet man nichts außer Soldaten und ihre Bereitschaft zur Verteidigung. Auch seit Beginn dieser Legislaturperiode warten wir erneut und vergeblich auf eine Aussage, wie sich diese Bundesregierung die langfristigeSicherung des militärischen Gleichgewichtes vorstellt.
Und nicht nur wir warten. Die deutsche Öffentlichkeit wartet, aber auch unsere Verbündeten warten darauf.
Allein das amerikanische Gedankenspiel, die Vorneverteidigung mit einem Rückzug zur WeserLech-Linie zu beginnen, sollte uns eigentlich geschockt haben. Eine Bundesregierung, die ihre Pflicht ernst nimmt, müßte uns sagen, was sie von sich aus gegen die rapide ansteigende konventionelle Bedrohung des Ostens zu tun gedenkt. Wir in der Bundesrepublik sind doch diejenigen, die auf dem Präsentierteller sitzen, um deren Sicherheit es zuallererst geht.Die Verteidigungsminister der NATO haben sich im Verteidigungsplanungsausschuß darauf verständigt, daß es — ich zitiere wörtlich — notwendig ist, daß alle Bündnispartner weitere Maßnahmen treffen, wenn das Bündnis die nachteiligen Tendenzen im Verhältnis der konventionellen Kräfte zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt umkehren soll. Wir fragen daher: In welchem Zeitraum hält denn die Bundesregierung eine solche Umkehrung für möglich? Welche Maßnahmen im Sinne des Kommuniqués hat die Bundesregierung bisher getroffen und auf welchen Gebieten? Welche weiteren Maßnahmen beabsichtigt sie zu treffen? Die Bundesregierung hielt es leider nicht für nötig, auf diese Fragen in der Antwort auf unsere Anfrage einzugehen.Die einzige schlüssige Erklärung, die es für diese Unterlassung gibt, ist die, daß sich die Bundesregierung in einer Lage befindet, in der sie befürchten muß, mit ihrer Antwort entweder die Bündnispartner zu enttäuschen oder die Sowjetunion zu verärgern. In der Tat, sie befindet sich in einer solchen Lage. Sie hat sich durch eine illusionistische Ostpolitik, die sie euphorisch auch Entspannungspolitik nennt, selbst in diese Lage hineinmanövriert. Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, daß die Bundesregierung diese Politik auch aus innenpolitischen Gründen kaum noch korrigieren kann. Nicht, weil sie daran durch die parlamentarische Opposition gehindert wäre. Im Gegenteil, unsere Unterstützung wäre ihr gewiß, und die Maßnahmen, die wir im Verteidigungsausschuß im Zusammenhang mit den Beschaffungsvorhaben beschlossen haben, haben das in der Vergangenheit in aller Deutlichkeit bewiesen.
Die Linke, die diese Dinge hemmt, stellt nicht nur sicher, daß die Verteidigungspolitik dieser Bundesregierung halbherzig bleibt, sie tut auch alles, um die Bundeswehr zu diskreditieren und zu verunsichern, den Wehrwillen unserer Bevölkerung in Frage zu stellen und damit einer möglichen Landesverteidigung auch von innen heraus den Boden zu entziehen.
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3036 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
BiehleAuch für die Zusammenarbeit mit Kommunisten ist sich diese Art von Demokraten bei ihren wehrund militärfeindlichen Bemühungen nicht zu schade. Dafür ein Beispiel, das erst kürzlich bekanntgeworden ist. Ein Herr Dr. Reimund Seidelmann, seines Zeichens Dozent für internationale Politik an der Universität Gießen und Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, betätigt sich als Autor in einer von der Zeitschrift „Konkret" mit herausgegebenen Hetzbroschüre gegen die Bundeswehr mit dem Titel: „Bundeswehr im Zwielicht", in der der „Konkret" -Herausgeber die Frage aufwirft: „Was tun?" Sie wird dann folgendermaßen beantwortet.Das Wichtigste, auch das Schwierigste: Als Jungsozialist, als Jungdemokrat, als Junggewerkschaftler, als Spartakist in die Bundeswehr, nicht als Wehrpflichtiger, sondern als Freiwilliger, als Unteroffiziers- oder Offiziersanwärter! Wir wollen Abrüstung. Wir wollen eine äußere und innere Ordnung, die den Beruf des legitimierten Töters überflüssig macht. Doch nur eine demokratische Armee läßt sich abbauen. Jede andere putscht — die Bundeswehr auch.Diese unerhörte Unterstellung, die Bundeswehr sei undemokratisch und wolle putschen, ist eine Brunnenvergiftung übelster Art.
Ich möchte für die CDU/CSU verbindlich festhalten, daß die Bundeswehr, die gegen Ihren Willen, meine Damen und Herren von der SPD, in den 50er Jahren geschaffen worden ist, eine demokratische Armee ist, die unser volles Vertrauen hat und unseren Dank verdient.
Herr Abgeordneter Biehle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Ja.
Herr Kollege Biehle, ich habe nur eine Informationsfrage: Ist dies von Herrn Dr. Seidelmann selber geschrieben worden? Oder wollten Sie hier zum Ausdruck bringen, Herr Dr. Seidelmann schreibe in jenem seltsamen Buch oder Heft und ein anderer Verfasser oder der Herausgeber habe über die Bundeswehr diese von Ihnen gemachte Aussage geschrieben? Das möchte ich zur Klärung wissen. Ich sage Ihnen ganz klar: Ich distanziere mich in gleicher Weise wie Sie von diesen Inhalten. Aber ich möchte Klarheit haben, um wen es sich bei dem Verfasser handelt.
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß er Mitautor dieser Schrift ist, die sich gegen die Bundeswehr wendet.
Aber wenn Sie es so genau wissen wollen: Er betätigt sich als Autor auch in der „Neuen Gesellschaft", deren Herausgeber und Mitredakteure ja hier sitzen,
wo er sich gegen die Abschreckungspolitik dieses unseres Landes gewandt hat. Auch das ist für die Tendenz Ihrer Partei bezeichnend.
Wer den demokratischen Geist der Bundeswehr bezweifelt, wer die Bundeswehr — auch das möchte ich noch einmal deutlich herausstellen — in fatalem Gleichgang mit Moskau und Ost-Berlin als Hort putschwilliger Faschisten verleumdet und diese Hetze unterstützt, der beeinträchtigt auf die Dauer auch die militärische Qualität unserer Streitkräfte.Im Interesse unserer Sicherheit, im Interesse des Rechts und der Freiheit unseres Volkes, im Interesse des Fortschritts und der Fortexistenz unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung sind wir für eine starke und demokratische Bundeswehr.Darum muß es auch endlich mit Willkürmaßnahmen gegen verdiente Generale ein Ende haben. Wir haben uns ja gestern im Verteidigungsausschuß auch bei diesem Problem zumindest mit einer personellen Frage auseinanderzusetzen gehabt. Dazu kann gesagt werden, daß nun mit einer zwar nicht zufriedenstellenden, aber immerhin ersten Entschuldigung gegenüber General Wagemann ein gewisser Rückzug auf Raten des Herrn Ministers begonnen hat. Mit meiner Äußerung, daß dies ein Ende haben muß, meine ich, daß nur so Vertrauen zwischen der Armee und der politischen Führung besteht, das notwendig ist, um Einsatzbereitschaft zu gewährleisten.Darum darf auch keinesfalls eine derart abwegige Diskussion über die militärische Tradition in die Bundeswehr hineingetragen werden, wie sie laut der „Frankfurter Rundschau" von der SPD gefordert wurde. Die Kernsätze dieser Forderung der mittelrheinischen SPD lauteten: Traditionswürdig sind nur Werte, die in Bezug zum demokratischen Staat stehen; die Tradition für die Bundeswehr beginnt im wesentlichen mit dem Aufbau der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg.Zwar gibt es, wie der Kollege Dr. Wörner in einer Debatte in diesem Jahr schon gesagt hat, auch eine traditionsbildende Kraft der Zeitspanne von mehr als 20 Jahren, in der die Bundeswehr den Frieden und die Freiheit in unserem Land sicherte und auf die wir daher stolz sein können. Aber für den inneren Kitt dieser Bundeswehr, den eine Armee braucht, um im Ernstfall durch dick und dünn gehen zu können, ist das einfach zu wenig. Die Tradition, die erforderlich ist, um eine Armee fest an das zu binden, was sie entschlossen verteidigen soll, muß auch in die Geschichte von Land und Volk tief hineingehen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3037
BiehleIch glaube, daß die deutsche Geschichte trotz der zwei verlorenen Weltkriege reich genug an Ereignissen und Personen ist, die uns eine überzeugende Pflege militärischer Tradition nicht nur erlauben, sondern auch zur Pflicht machen.
Es ist einfach nicht wahr, daß nur solche Werte traditionswürdig sind, die zum demokratischen Staat in einem Bezug stehen. Das ist so wenig wahr wie die Behauptung mancher Linker, daß nur jener die richtige demokratische Einstellung habe, der alle Lebensbereiche demokratisieren wolle. Es gibt eine Reihe wichtiger, so meine ich, über alle Zeiten hinweg verbindlicher Werte, die völlig außerhalb und unabhängig von Demokratie existieren und verpflichten. Dies sind die Familie, das Hab und Gut, das junge Menschen auch von Eltern übernehmen oder das man sich und seinen Nachkommen selbst geschaffen hat, die Heimat, die Kultur, das Volk, dem man angehört, und das, was wir mit einem so schönen und leider ganz zu Unrecht so sehr in Mißkredit gekommenen Wort Vaterland nennen. Dies alles ist, für sich gesehen, in höchstem Maße verteidigungswürdig. Damit ist jede militärische Tüchtigkeit, die diesen Werten im Laufe unserer Geschichte gewidmet war, auch für unsere heutige, ausdrücklich auf den freiheitlich-demokratischen Staat verpflichtete Armee traditionswürdig.Wenn wir uns eine starke Bundeswehr bewahren wollen, müssen wir uns auch gegen die seit Jahren ständig zunehmende Wühlarbeit linksradikaler Organisationen in unseren Streitkräften wehren. Erst in der vorigen Woche veröffentlichte die Zeitung „Die Welt" beunruhigende Zahlen. Über 2 500 Zersetzungsaktionen gab es allein im letzten Jahr. Der MAD sprach von einem Höchststand linksextremistischer Aktivitäten seit Aufstellung der Bundeswehr. Staatssekretär Dr. von Bülow hat gestern im Plenum in der Fragestunde ausdrücklich bestätigt, was hier zu lesen war.Daß die Bundeswehr in dieser Weise zum Tummelplatz für Verfassungsfeinde werden konnte, ist eindeutig die Schuld derer, die seit den 60er Jahren den Linksradikalismus in gefährlicher Weise verharmlosten und ihn sogar im eigenen Lager groß werden ließen. Damit haben diese die entscheidenden Weichen dafür gestellt, daß Gedankengut, das auf Zersetzung des demokratischen Staates und seiner Institutionen gerichtet ist, gleichsam hoffähig werden konnte.Wir in der CDU/CSU, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben rechtzeitig vor dieser Gleichgültigkeit gewarnt und darauf hingewiesen, daß unsere Demokratie nach den leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit eine streitbare zu sein habe und daher den Anfängen wehren müsse. Wir wurden der Intoleranz und der Panikmache bezichtigt, genauso wie bei der Entwicklung der Terroristenszene, die in diesen Tagen den Staat und uns alle hart getroffen hat.Die von meinem Kollegen Dr. Zimmermann mit initiierte Kleine Anfrage vom 14. Mai 1974, ob es denn zutreffe, daß sich in der Bundeswehr zunehmend von Kommunisten gesteuerte rote Zellen bildeten, verneinte die Bundesregierung seinerzeit. Als ein Jahr später das Anwachsen der kommunistischen Wühl- und Zersetzungsarbeit nicht mehr zu leugnen war, erklärte ein Sprecher des Bundesministeriums ausweislich der „Frankfurter Rundschau", daß man dies für überhaupt keine gefährliche Entwicklung halte. Heute sprechen die Tatsachen anders. Es wäre dringend erforderlich, daß die Bundesregierung auch dieser besorgniserregenden Entwicklung Einhalt geböte.Ein weiterer Punkt, der wegen seiner Aktualität auch gleich abgehakt werden soll, ist der der Wehrdienstverweigerung. Die Bundesregierung sagt dazu in der Antwort auf die Große Anfrage — ich zitiere —:Die allgemeine Wehrpflicht ist keine Streitfrage. Sie ist im Grundgesetz verankert und wird von einer Mehrheit im Volk bejaht.Dann folgt der Zusatz:Der heranwachsenden Jugend wird immer stärker bewußt, daß die Streitkräfte den Frieden bewahren und daß dafür persönliche Opfer gebracht werden müssen.Ich will nicht noch einmal in die Auseinandersetzung um die Kriegsdienstverweigerung eingreifen oder diese neu aufgreifen. Eines zeichnet sich jedoch bereits jetzt ab, nämlich die Tatsache, an der Sie nicht vorbeigehen können, daß die Antwort der Regierung durch jüngste Fakten bereits total widerlegt ist. Herr Staatssekretär Dr. von Bülow mußte gestern in der Fragestunde des Deutschen Bundestages bekennen, daß die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung vom Juli 1977 mit 2 681 auf den nächstfolgenden Monat, August 1977, bereits um über 180 % auf 7 617 Anträge angestiegen ist.
Das ist eine gefährliche Tendenz der Wehrdienstverweigerung, die leider unsere damals geäußerten Befürchtungen weit übertrifft.Damit taucht auch die Frage nach mehr Wehrgerechtigkeit erneut und verstärkt auf. Auch hier blieb die Bundesregierung die Antwort in ihrer Stellungnahme zur Großen Anfrage schuldig. Unsere Alternativen — es muß immer wieder gesagt werden, daß sie auf dem Tisch lagen — wurden bei den Beratungen im Bundestag leider abgelehnt. Für diese durch die Koalition eingeleitete Entwicklung müssen wir jede Verantwortung ablehnen. Dennoch lassen wir keinen Versuch aus, die Interessen der Bundeswehr und damit die Sicherheit unseres Landes zu wahren.Dabei müssen wir entschlossen auch die Schwächen in unserem militärischen Abwehrsystem beseitigen, die wir von der CDU/CSU seit Jahren anprangern und die in krassem Gegensatz zum schönfärberischen Optimismus des Bundesverteidigungsministers stehen.
Lassen Sie mich drei der augenfälligsten Schwächen unseres Verteidigungssystems aufgreifen.
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3038 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lambinus?
Herr Kollege Biehle, können Sie mir erklären, wie es sich miteinander vereinbart, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes wiederholt beklagt haben, daß Ihnen für die verantwortungsvolle Tätigkeit des Roten Kreuzes nicht genug Zivildienstleistende zur Verfügung stehen, daß Sie auf der anderen Seite hier beklagen, daß die Zahl derer, die den Zivildienst wählen wollen, ansteigt?
Das ist, Herr Kollege Lambinus, sehr einfach aus der Tatsache heraus zu erklären, daß man in zunehmendem Maße feststellen muß, daß Anträge auf Wehrdienstverweigerung gestellt werden, viele aber nicht einberufen werden, zu Hause beruflich tätig sind oder auch gammeln und damit auf keiner Seite — weder im Ersatzdienst noch in der Bundeswehr — Dienst leisten.
Lassen Sie mich fortfahren. Ich habe gesagt, daß ich drei der augenfälligsten Schwächen des Verteidigungssystems aufzeigen möchte. Da ist zunächst einmal die Schwäche des Mobilmachungssystems und des Bereitschaftsgrades unserer Streitkräfte. Wir brauchen dringend ein gestrafftes Alarmverfahren. Die MOB-Verfahren, die Einberufung und die Verfügungsbereitschaft müssen häufiger geübt werden. Aufklärungs- und Führungssysteme müssen verbessert werden. Sperrmöglichkeiten müssen besser genutzt werden. Wir müssen die Bevorratung und die Lagerung der Vorräte verbessern. Ziel muß es sein, unsere Verbände in die Lage zu versetzen, rasch und reibungslos ihre vorwärtigen Verteidigungsstellungen zu beziehen.
Zweitens. Die Infrastruktur für rechtzeitig herbeizuschaffende Verstärkungen aus Übersee ist noch nicht vorhanden. Hier muß rasch gehandelt werden.Drittens. Wir müssen unser Reservistenpotential besser nutzen. Dies gilt besonders für die Einsatzbereitschaft der freiwilligen Reservisten, die draußen in den Reservistenverbänden mit viel Idealismus tätig sind. Sie müssen in die territoriale Verteidigung eingebaut werden, indem sie beispielsweise Sicherungsaufgaben übernehmen. Außerdem müssen wir ernsthaft über zusätzliche Reserveverbände nachdenken.Zu diesem Komplex gehört auch die Zivilverteidigung. Nicht zu Unrecht haben wir nach der Beurteilung des Sachstands in der Gesamtverteidigung und im Zivilschutz gefragt, weil militärische Verteidigungsanstrengungen nur dann glaubwürdig im Sinne einer Abschreckung wirken, wenn ernsthafte Bemühungen um die zivile Verteidigung hinzukommen.
Der Bevölkerung in den Städten und Dörfern muß bei einer eventuellen Auseinandersetzung das Überleben garantiert werden. Obwohl die NATO ein Verhältnis von 1 : 20 zwischen zivilen und militärischen Verteidigungsausgaben empfiehlt, ist es bei uns zur Zeit auf das unglaubliche Verhältnis von 1 : 60 gesunken.Es genügt nicht, wenn zwar regelmäßig die Sirenen heulen, aber mangels Schutzräumen die Bevölkerung auf der Straße steht. Nur für 3 % der Bevölkerung gibt es bei uns Schutzräume. In anderen europäischen Staaten sind es 45 bis 75 %.Es reicht nicht aus, wenn zwar gut ausgebildet wird, aber die Einsatzgeräte und Fahrzeuge, nach zwei Jahrzehnten jetzt wegen Altersschwäche schrottreif, ausgesondert werden müssen. Ersatz folgt nicht.Es genügt nicht, wenn Hilfskrankenhäuser vorbereitet und Reserveschwestern ausgebildet werden, im Ernstfall aber kein Personal zur Verfügung steht, weil unter anderem das seit Jahren geforderte Gesundheitssicherstellungsgesetz fehlt. Gerade die diesjährige NATO-Übung Wintex 77 hat vielfältige Mängel im Bereich der Zivilverteidigung aufgezeigt.Die nationale Nahrungsmittelreserve für einen Krisen- und Verteidigungsfall soll für mindestens 30 Tage ausreichen. Nach jüngsten Angaben des Präsidenten des Bundesamtes für Zivilschutz sind wir hier aber leider nahezu auf dem Nullpunkt angelangt. Die Mittel zur Aufstockung sollen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies ist in unserer Situation verantwortungslos. Ich meine, daß dieser Zustand umgehend korrigiert werden muß.
Die seit langer Zeit geforderte Lösung der Zivilverteidigung soll wieder einmal auf die „tote Weiche" der Staatssekretärsebene abgeschoben werden, wie es nach einer der letzten Kabinettssitzungen verlautete, obwohl man weiß, daß in der Sowjetunion und im Warschauer-Pakt-Bereich die Zivilverteidigung auch finanziell einen hohen Stellenwert hat.Lassen Sie mich auch ein Wort zur Wehrstruktur sagen — einer Wehrstruktur, mit der die Bundesregierung einst unter dem Gesichtspunkt angetreten war, daß dadurch unter anderem Mittel eingespart werden können, und zwar zugunsten von notwendigen Investitionen. Die im Juli 1976 eingeleiteten Erprobungen von fünf Modellbrigaden sind noch nicht abgeschlossen; dennoch lobt der Minister bereits. Sobald Ereignisse vorliegen und daraus Folgerungen gezogen werden können, fordern wir eine Diskussion im Fachausschuß, weil sich schon heute viele Probleme abzeichnen. Wir sind nicht gegen streitkräftegemeinsame Lösungen, was jedoch nicht heißt, daß alles in einen Topf geworfen wird. Hier muß gerade im Hinblick unter anderem auf manche Kommandoebene und logistische Fragen sehr präzise über Details gesprochen werden, auch über die Absichten von Konzentrationen durch den Herrn Generalinspekteur. Konzentrationen sind nicht immer der Stein des Weisen. Dies mag ein lapidares
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3039
BiehleBeispiel auf der unteren Ebene verdeutlichen. Bei diesen Modelleinheiten wurden die Waffenkammern der Kompanien zu Bataillonswaffenkammern zusammengelegt. Ergebnis: Die Ausgabe der Waffen an die über 600 Soldaten des Bataillons hat genau 15 Stunden gedauert. Man kann sich vorstellen, wie dies im Ernstfall aussieht.Die neue Heeresstruktur läßt noch keine Kampfkraftverstärkung erkennen. Eine Personaleinsparung ist ebenso wie die Frage einer finanziellen Einsparung völlig ungeklärt. Es scheint zwingend notwendig, die Modellvorhaben zum geeigneten Zeitpunkt einer kritischen Prüfung zu unterziehen und ungeschminkte Erfahrungsberichte von allen Ebenen zu erhalten. Vorgänge, wie sie sich z. B. bei den Beratungen der Reduzierung der Grundwehrdienstzeit von 18 auf 15 Monate mit Schönwetterdarstellungen ereignet haben, dürfen sich einfach nicht wiederholen.
Im übrigen sollten wir dafür sorgen, daß die Bundeswehr nicht zu Tode reformiert wird, sondern einmal zur Ruhe kommt, um den gestellten Auftrag auf allen Ebenen erfüllen zu können.
Ein Wort zu den Waffensystemen, zur Ausrüstung. Was die Ausrüstung der Bundeswehr angeht, so weisen Sie in der Antwort auf die Große Anfrage auf die vorgesehenen Modernisierungen hin. Die neue Waffengeneration halte jedem internationalen Vergleich stand. Leider verschweigen Sie die Tatsache, daß die Zuführung zur Truppe zeitlich verspätet erfolgt, verglichen insbesondere mit der fast vollzogenen Umrüstung, z. B. mit dem Panzer T 72 und den Kampfflugzeugen der dritten Generation im Gesamtbereich des Warschauer Paktes. Die Auslieferung von Fahrzeugen wurde nicht nur verzögert, sondern ist in manchen Fällen sogar ganz unterblieben, so z. B. die Zulieferung der ursprünglich vorgesehenen Lkws , von denen z. B. 1976 überhaupt keiner ausgeliefert wurde. Gepanzerte Kraftfahrzeuge und Radkraftfahrzeuge sind zu 40 % bis zu 15 Jahre alt.Ich frage Sie auch: Trifft es zu, daß neue Waffen im Ernstfall nur ganz kurz eingesetzt werden können, weil es für sie noch keine Munition gibt bzw. nur wenige Probeschüsse angesichts des Mangels an Munition vorhanden sind? Dies würde doch zu einer Entwicklung führen, die den gesamten konventionellen Einsatz fragwürdig gestaltete. Mit den jetzigen Haushaltsansätzen, Herr Minister, ist jedoch die Bevorratung von Munition einfach nicht zu verbessern. Was gedenkt das Ministerium deshalb in dieser entscheidenden Frage zu tun?Lassen Sie mich auch das umfassende Problem der Personalstruktur und der Personallage in einigen Punkten einmal aufschlüsseln, um hier im Parlament, aber auch gegenüber der Offentlichkeit die Tatsachen aufzuführen. Wenn man nämlich von Bundeswehr spricht, sollte man nicht nur von deren Waffen und deren Technik, sondern auch von den Soldaten und deren Sorgen reden — dies um so mehr, als diese Punkte entscheidend sind für dieMotivierung der Soldaten und für ihr Zusammengehörigkeitsgefühl im Ernstfall.Ich habe eingangs schon gesagt, daß die Probleme nicht nur bei der Personallage und bei der Unteroffiziersausbildung liegen. Sie haben gesagt, wenn es nicht mehr zu kritisieren gebe, sei die Bundeswehr immer gut. Weiterhin haben Sie gesagt, die vorhandenen Probleme ließen sich mit Geld und mit Mühe lösen. Leider müssen wir feststellen, daß es von Ihrem Hause weder Geld noch Mühe gab, daß diese Probleme seit Jahren auf dem Tisch liegen und bis heute leider nicht gelöst wurden.
Da kommt einem die Anfrage an Radio Eriwan in den Sinn: „Wie beurteilen Sie den Zustand der heutigen Bundeswehr?" — Antwort: „Großartig — im Vergleich zum übernächsten Jahr."Der Kollege Ludewig hat in seinen Ausführungen gesagt, wir sollten Gemeinsamkeiten pflegen statt Streit. Da kann ich nur sagen: Lassen Sie uns ans Werk gehen und im Ausschuß unsere Initiativen abhandeln und beschließen, da andere Initiativen, insbesondere von Ihrer Seite, fehlen! Soldaten und Öffentlichkeit werden dafür sicherlich dankbar sein, wenn es hier um die Lösung von Problemen der Bundeswehr geht.In der Antwort heißt es, daß heute nicht von einem besorgniserregenden Beförderungsstau gesprochen werden könne.
Damit, so meine ich, ist die Täuschung vollkommen. Sie erläutern weiter — ich zitiere —:Der Bundesminister der Verteidigung hat dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages Berichte über die Beförderungssituation bei Hauptleuten und Unteroffizieren vorgelegt. Lösungsmöglichkeiten für die 80er und 90er Jahre,— da kann ich mit dem Kollegen Ludewig nur sagen: heute müssen diese Probleme gelöst werden, nicht erst in den 80er und 90er Jahren —
wenn außer dem Verwendungsstau dann auch ein Beförderungsstau abgebaut werden muß, wurden am 16. März 1977 im Ausschuß angesprochen.Da kann ich nur sagen: Sie sollten einmal persönlich die Stimmung in der Truppe erkunden.Es ist eine Tatsache, daß nun Hauptleute mit einem Durchschnittsalter zum Major befördert werden, mit dem sie 1973 bereits Oberstleutnant geworden wären. Im Jahre 1980 wird — dies sind Angaben Ihres Ministeriums — ein Hauptmann im Durchschnitt nach einer Offiziersdienstzeit von 14 Jahren und 9 Monaten zum Major befördert werden können. Im Jahre 1984 müssen es bereits 17 Jahre sein, ehe befördert werden kann. Das gilt in gleicher Weise für die Unteroffiziere. Wir müssen feststellen, daß 1976 z. B. die Beförderung vom Oberfeldwebel zum Hauptfeldwebel eine Dienstzeit von 13 Jahren voraussetzt.
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3040 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
BiehleUnd 1984 müssen bereits 161/2 Jahre vergangen sein, ehe man zum Hauptfeldwebel befördert werden kann.
Das Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 hat mit dem in der Truppe so bezeichneten „Sozialistenjahr" oder „Leber-Jahr" eine weitere Verschlechterung gebracht. Vergleichen Sie einmal auch mit den höheren Beamten in den Behörden und Dienststellen draußen; Sie werden hinsichtlich der Beförderungszeiten oft Unterschiede von 10 und noch mehr Jahren feststellen. — Auch jetzt, in der Antwort, fehlt leider jeglicher Lösungsvorschlag.Es trifft im übrigen auch nicht zu, daß am 16. März 1977 im Verteidigungsausschuß Lösungsmöglichkeiten besprochen wurden. Wir haben sie — das ist richtig — seit Jahren gefordert. Tatsache ist auch, daß das Ministerium am 16. März 1977 berichtet hat, im Ministerium sei zu diesem Problem eine Arbeitsgruppe gebildet worden und Ende März 1977 solle das Ergebnis dem Minister vorgetragen werden. Staatssekretär Fingerhut sicherte dem Ausschuß eine Vorlage zur Lösung unmittelbar nach der Sommerpause zu. Am 9. August 1977 hat nun Herr Staatssekretär Dr. von Bülow dem Ausschuß mitgeteilt, daß man noch weitere Aspekte prüfen müsse und die Ausschußvorlage im September wieder möglich sei. Es wurde eine weitere angemessene Frist erbeten. Dies alles vor dem Hintergrund, daß Sie, Herr Minister Leber, bereits im April 1976, also vor 17 Monaten, dem Bundeskanzler Ihre Sorgen über die zunehmende Verschlechterung der Personalstruktur nach Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes — wir hatten ja sehr eindeutig vor dieser Entwicklung und ihre negativen Auswirkungen gewarnt — vorgetragen hatten und im Mai 1976 im Kabinett lediglich beschlossen wurde, weiter zu beobachten. Dies bedeutete allerdings, erneut nichts zu tun, was ja auch Ende 1976 bestätigt wurde. Denn damals, so berichteten die Teilnehmer resigniert, habe der Kanzler sogar die Diskussion über das Thema in der Kabinettssitzung untersagt.Dies ist die Wahrheit, Herr Minister Leber. Alle Schönfärbereien führen doch daran nicht vorbei. Wie lange, frage ich Sie, wollen Sie diesen Umstand den Offizieren und Unteroffizieren noch zumuten? Glauben Sie, daß Sie angesichts dieser miserablen Aussichten hinsichtlich des beruflichen Werdegangs weitere junge, strebsame Menschen für den Beruf der Soldaten gewinnen können?
Dies ist aber leider kein Einzelfall. Sie könnten in Ihrem Ministerium eine qualifizierte Tüncheabteilung aufstellen, weil auch in anderen Bereichen die wahren Zustände immer wieder in den buntesten Farben übertüncht werden.
Aber damit wollte ich weder ein eigenes Referat noch eine weitere eigene Teilstreitkraft angeregt haben, schon gar nicht angesichts der Zentralitätsbestrebungen Ihres Generalinspekteurs oder auch Ihres Staatssekretärs.Das zweite große Problem im personellen Bereich ist wohl das Fehl von 35 000 Zeitsoldaten. Allerdings ist auch dies nicht neu. Hier ist die Entwicklung ebenfalls die katastrophale Folge des Haushaltsstrukturgesetzes von 1975. Sie, Herr Minister, haben diese negativen Folgen damals bestritten. Unsere Warnungen wurden abgetan.
Schon am 18. Februar 1976 stellte meine Fraktion im Verteidigungsausschuß den Antrag, die Besoldung für Zeitsoldaten wieder mit dem ersten Tag ihrer Verpflichtung an Stelle des geringen Wehrsoldes beginnen zu lassen und für Zeitsoldaten die Prämie für zweijährige Dienstverpflichtung wieder einzuführen.
Selbst das Ministerium gibt heute offen zu, daß nach Verabschiedung des Haushaltsstrukturgesetzes diese finanziellen Streichungen maßgeblich zum Fehl an Zeitsoldaten beigetragen haben. Auf Wunsch des Ministers, der erst noch Erfahrungen sammeln wollte, wurde die Entscheidung über die Alternative der Opposition bis Ende März 1976 zurückgestellt. Leider kam es dann aber erst am 23. Juni 1976 im Ausschuß zu der Entscheidung mit der Aufforderung an den Minister, tätig zu werden. Da zehn Monate später wieder nichts geschehen war, beschloß der Verteidigungsausschuß angesichts der beängstigenden Personallage bei Zeitsoldaten am 22. April 1977 erneut, die Bundesregierung aufzufordern, die Besoldungsfrage für Zeitsoldaten zu regeln. Nach weiteren fünf Monaten liegt bis heute immer noch kein Gesetzentwurf vor. Ihre Ankündigung besagt lediglich, daß eine Wiedereinführung vorgesehen sei, daß dies aber auf zwei Jahre begrenzt werden müsse. Trotz 35 000 Fehlstellen an Zeitsoldaten ist in 21 Monaten nichts geschehen, obwohl über die ganze Zeit hinweg die Alternativen und Gesetzesvorschläge der Opposition auf dem Tisch gelegen haben und allein 1976 das Fehl um 14 000 Zeitsoldaten angewachsen ist. Aber das ist ja Praxis dieser Bundesregierung, nämlich Alternativen der Opposition niederzuschmettern, selbst Ankündigungen zu verbreiten, um dann untätig zu bleiben und die Sache im Sande verlaufen zu lassen.
Dies gilt auch für die Neuregelung der Zulagen, ob für Piloten, ob für Marinetaucher oder auch für die anderen Bereiche. Dies gilt ebenso für die Anhebung des Wehrsoldes, die angesichts der Dynamisierung in anderen Gehalts- und Lohnbereichen längst fällig geworden ist. Diese Methoden der Untätigkeit erleben wir in Wirtschaftsfragen, bei der Steuer, beim Energieproblem und bei vielen anderen Belangen unserer Politik.Wir erwarten im sozialen Bereich Lösungen für die Soldaten, denn wir teilen die Auffassung, daß hier sehr viel zu geschehen hat, wie das der Kollege Ludewig vorgetragen hat. Nur meinen wir, daß wir eigentlich die falsche Adresse sind. Dies müßten Sie der Bundesregierung sagen;
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Biehledies können Sie initiieren, und Sie können unserenvorliegenden Anträgen zustimmen. Dann ist diessehr schnell im Interesse unserer Soldaten geregelt.
Gleiches gilt für die Wohnungsfürsorge, für Versetzungszeiträume, für die Dienstzeitbelastung und für all die Fragen, die ich eingangs schon angesprochen habe.Auch durch die Verkürzung der Wehrpflicht und durch die Verkürzung der Ausbildung gibt es eine Reihe von Problemen. Sowohl bei den Wehrpflichtigen als auch bei den Unteroffizieren zeigt sich, daß die Ausbildungszeit zu kurz ist und damit auch die Qualifikation oft bedenklich wird. Wenn Sie einen jungen Unteroffizier zu kurz ausbilden und ihn dann mit mangelnder Qualifikation vor die Truppe stellen, kann man sich ausdenken, welche Auswirkungen dies auch auf die künftige Ausbildung und auf die Qualität der Truppe hat. Sicher gibt dies auch keinen Anreiz für junge Menschen, in diese Bundeswehr hineinzugehen, wenn sie sehen, daß hier die Dinge personell nicht zum Besten bestellt sind.Wenn der Kollege Mölleman dargestellt hat, daß die Ausbildung in unserer Bundeswehr besser denn je sei, kann man nur sagen: Er ist bisher an den Kasernen vorbeigegangen.
Er müßte in die Kasernen hineingehen und mit den Soldaten einmal darüber reden, wie die echte Situation ist. Ich meine, daß er viel zu viel über Probleme spricht, die gar keine sind, daß er aber die echten Probleme ausklammert,
wie dies heute wiederum festzustellen war.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie nur der Korrektheit halber zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht nur an Kasernen vorbeigehe — was sich manchmal allerdings nicht vermeiden läßt —, sondern auch meine Wehrübungen bei den Panzergrenadieren jetzt in der Sommerpause 14 Tage gemacht habe
und darüber hinaus im letzten halben Jahr ca. 30 bis 40 Truppenbesuche absolviert habe? Nur der Korrektheit halber!
Ja, es fragt sich nur, mit wem Sie dann geredet haben, denn sonst könnten Sie nicht so an den Dingen vorbeireden, wie Sie das hier in der Tat getan haben. Man kann sich dann als Politiker betätigen, man kann sich aber wie Sie auch als politischer Conferencier betätigen. Ich meine, hier ist ein großer Unterschied.
Im übrigen lassen Sie mich, Herr Kollege Möllemann, weil Sie gerade gefragt haben, noch einmal kurz auf die Fragen nach den linken Lehrbüchern und nach den Schriften zurückkommen, die vorhin auch durch den Kollegen Kraske angesprochen worden sind; auch der Kollege Schmude hat ja dazu einige Fragen gestellt. Ich kann nur mit dem Kollegen Haase sagen, daß dies eine Sache ist, bei der wir mit Güterwagen von Material antreten können, das hier mit Diskriminierungen gerade gegenüber der Bundeswehr produziert wird, und zwar nicht nur in den Schulen mit ihren Lehrbüchern, von denen Sie gesprochen haben, sondern auch in den Jugendorganisationen Ihrer Parteien, der Partei zur Linken und der zur Rechten in diesem Hause.
Dies sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen! In zahlreichen Schriften wird gegen die Bundeswehr polemisiert. Man sagt, wir brauchen keine Bundeswehr. Schauen Sie einmal die Schrift Ihrer Jungdemokraten an, wo es heißt: 25 Jahre NATO sind genug; oder: Wir brauchen die Bundeswehr nicht, die Abschreckungspolitik muß weg, der Rüstungsetat muß nach unten gedrückt werden. — Dies deckt sich doch nicht mit dem, was hier in Schaufensterreden gesagt worden ist, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich noch schnell ein Wort zum sicherlich nicht unbedeutenden Sanitätsdienst und zum Gesundheitswesen sagen. Das Fehl an Ärzten sowie die Überalterung an Transportmitteln und Mängeln in der Ausrüstung machen nicht nur den gesamten Sanitätsdienst fragwürdig. In der Zwischenzeit wurde das neue Sanitätsmodell im Raum Schleswig-Holstein erprobt. Der Minister wäre gut beraten, wenn er dem Verteidigungsausschuß rasch über den abgeschlossenen Versuch berichten würde. Jedenfalls bedarf das Sanitätswesen einer Blutauffrischung in jeglicher Hinsicht, damit die notwendigen Verbesserungen rasch herbeigeführt werden.Dabei ist auch die Frage zu klären, warum nach dem Abschluß des Studiums bzw. nach der Approbation die jungen Mediziner nicht rasch genug zum Wehrdienst einberufen werden. Die Kreiswehrersatzämter beklagen, ,daß den Einberufungsbefehlen oftmals nur his zu 50 % Folge geleistet wird. Angesichts des Ärztemangels in der Bundeswehr ist dies einfach untragbar. Auch hier bitten wir um rasche Klärung.Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Ihre Anwort auf unsere Große Anfrage ist völlig unzulänglich. Sie verschweigen genau das, worauf es für die Bundeswehr, für die Soldaten und für die Sicherheit am meisten angekommen wäre, nämlich was Sie hinsichtlich der täglich wachsenden Bedrohung für unsere Sicherheit in Zukunft zu tun gedenken.
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3042 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
BiehleDer Verdacht, daß Sie die Dinge treiben lassen, treiben lassen wollen oder treiben lassen müssen, ist angesichts der gegebenen Umstände übergroß. Unser Vertrauen in Ihre Verteidigungspolitik ist getrübt. Dazu haben neben einer Außenpolitik der gefährlichen Öffnung nach Osten interne Vorgänge wie die Generalsaffären und die faktische Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ganz wesentlich beigetragen.Um so größer ist unser Vertrauen in die Soldaten der Bundeswehr, denen wir ebenso wie den vielen Zivilbediensteten und sonstigen Mitarbeitern für ihren aufopfernden Dienst für die Bevölkerung Dank und Anerkennung zollen.
Für uns alle aber sollte der Spruch eines amerikanischen Präsidenten immer Leitschnur sein, der da sagte: Die Frage ist nicht, ob wir es uns leisten können, die für unsere Verteidigung notwendige Stärke aufrechtzuerhalten; die Frage ist vielmehr, ob wir es uns leisten können, sie nicht aufrechtzuerhalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pawelczyk.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, auch die CDU wird mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß dieser Beitrag CSU-gemäß war. Wir haben heute vormittag eine sehr sachliche Debatte miteinander geführt. Dieser sachliche Boden ist verlassen worden. Ich meine, wir sollten Anschluß an die Ausführungen des Vormittags suchen.
Die eine oder andere Bemerkung an die CSU will ich mir aber nicht verkneifen, obwohl ich auf das meiste hier nicht eingehen will.
— Ja, ich will das gleich auf bayrisch bringen. Ich kann zwar kein Bayrisch
— das ist richtig; ein Glück! —, aber eines will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Biehle, da ich schon aufgefordert bin, eine Bemerkung in dieser Richtung zu machen: Mir wurde von einem Kollegen mitgeteilt, daß in Bayern solche, die sich in dieser Weise äußern, „Wadlbeißer" oder so ähnlich genannt werden.
Damit sind meine Bayrischkenntnisse so ziemlich erschöpft.
— Geht das alles auf Kosten meiner Redezeit, wenn ich hier nicht weiterreden kann?Kehren wir zu der ernsten Behandlung der Themen des Vormittags zurück! Herr Kollege Biehle, statt froh zu sein, daß wir in der Person des Herrn Leber einen Verteidigungsminister haben, durch den die Bundeswehr im nationalen Bereich und international eine hohe Anerkennung erfahren hat, stellen Sie sich hierher und zweifeln seine Glaubwürdigkeit an.
Sie bezogen sich auf die Rede, die Herr Leber hier gehalten hat. Wenn. Sie dieser Rede zugehört hätten, könnten Sie vielleicht abschätzen, was damit zugleich in Zweifel gezogen wird. Das sollten Sie nun wirklich nicht tun.Herr Kollege Wörner, ich meine, Sie sollten — zumal wir uns in der Beurteilung bestimmter Punkte nicht unterschieden haben — folgendes nicht tun. Sie sollten nicht einerseits die Einschätzung mit uns teilen, daß wir ausreichende Vorwarnzeiten haben, andererseits aber die politische Entschlußkraft der Bundesregierung anzweifeln, sie auszunutzen. Das ist doch ein In-Zweifel-Ziehen unserer Sicherheit, obwohl die objektiven Faktoren für unsere Sicherheit zur Zeit vorhanden sind. Damit tun wir uns alle keinen Gefallen. Sie sollten die Diskussion nicht so führen. Sie zerreden damit ein Stück unserer Sicherheit.Ich denke, daß wir hier heute vormittag in manchen Punkten übereingestimmt haben. In zwei Bereichen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das gilt erstens für die Konsequenz, die aus der derzeitigen Sicherheitslage zu ziehen sind, und zweitens für die Bewertung der weiteren Entwicklung und die Konsequenzen, die wir außenpolitisch und sicherheitspolitisch zu ziehen haben.Ich möchte in meinem Beitrag einige Bemerkungen zur Sicherheits- und Entspannungspolitik sowie deren Zusammenhang machen und auch einige Hinweise für die Weiterführung geben.Der Verteidigungsminister Leber hat völlig recht, wenn er sagt:Wohl noch nie seit dem Ende des zweiten Weltkrieges lagen die Chancen zu einer Rüstungsbegrenzung und die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs so nahe beieinander.Meine Damen und Herren, verspielen wir nicht die Chance, die Wir in dieser geschichtlichen Situation haben!Die Regierungserklärung stellt fest, daß die Nordatlantische Allianz insgesamt über eine Verteidigungskraft verfügt, die nicht hinter den Möglichkeiten des Warschauer Paktes zurücksteht. Das hat die Ausgangslage für die weiteren politischen Entscheidungen zu sein. Das bedeutet doch, daß ein globales Gleichgewicht zwischen den Bündnissen vorhanden ist. Unsere derzeitigen Bemühungen müssen sich darauf konzentrieren, dieses Gleichgewicht möglichst auf ein niedrigeres Niveau herunterzudrücken. Das geht nur mit den Instrumenten der Außenpolitik. Die militärische Sicherheit in Europa ist durch dieses globale Gleichgewicht zur Zeit gewährleistet.
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PawelczykLetztens gibt es insgesamt eine westliche Überlegenheit durch die Überlegenheit in allen anderen Bereichen, in der Wirtschaftspolitik und der innenpolitischen Situation.Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es keinen Anlaß gibt, unserer Bevölkerung Angst einzureden. Meine Damen und Herren, wer bei dieser Sicherheitslage den Weg geht, der leistet einen Beitrag dazu, daß wir die Chance, zu einem vernünftigen Rüstungskontrollabkommen zu kommen, verspielen und statt dessen den anderen Weg einschlagen, nämlich vorschnell die Entscheidung zu weiterer Aufrüstung treffen. Das wiederum hätte Konsequenzen für das außenpolitische Klima für mindestens ein Jahrzehnt.
In Wirklichkeit geht es jetzt um nichts anderes, als diesen Tendenzen internationaler Klimaverschlechterung entgegenzuwirken.Ich will mich auf den Herrn Bundeskanzler beziehen, der gerade zu diesem Punkte klar Stellung bezogen hat.
Er hat sich unter Zustimmung unserer NATO-Partner für Rüstungskontrollverhandlungen ausgesprochen und die theoretische Möglichkeit, durch einseitige Aufrüstung der NATO zu einem Gleichgewicht, zur Parität zu kommen, mit folgender Begründung abgelehnt:Dann würde allerdings die andere Seite nachziehen, dann wiederum der Westen. Und damit hätten wir jene Rüstungsspirale, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen.Ich denke, es ist unser gemeinsames Bemühen, diese Entwicklung zu verhindern. Ich hätte eigentlich vom Kollegen Wörner erwartet, daß er aus seiner Beurteilung der Lage dazu die notwendigen Konsequenzen gezogen und sie uns hier auch angekündigt hätte.Wir unterschätzen die militärischen Fähigkeiten und Anstrengungen des Warschauer Paktes nicht. Das haben Sie heute vormittag hier mehrfach gehört. Wir beweisen es auch durch die Entscheidungen, die wir seit 1969 für unsere Bundeswehr treffen. Aber wir sehen auch, daß in der ersten Hälfte der 70er Jahre Entwicklungen im Warschauer Pakt stattgefunden haben, die die Entspannungspolitik gefährden und die NATO zwingen könnten, mit verteidigungspolitischen Maßnahmen zu reagieren. Der Zuwachs an Offensivkapazität des Warschauer Paktes hat zu Recht in der NATO die Frage aufgeworfen, wie die Reaktionsfähigkeit verbessert werden kann.Andererseits muß der Tatbestand politisch gewertet werden, der sich aus der Großen Anfrage auch ergibt. Ich zitiere:Die Verstärkung der Landstreitkräfte des Warschauer Paktes in Mitteleuropa ist im Weißbuch 1975/76 ... dargestellt. Seither liegen keine Erkenntnisse vor, daß sich diese Zunahme weiter fortgesetzt hat.Ergibt sich daraus nicht, daß der Warschauer Pakt seit 1974/75 seine Landstreitkräfte in Mitteleuropa zahlenmäßig nicht weiter verstärkt hat? Das könnte Basis für eine Fortsetzung der Entspannungspolitik mit dem Ziel konkreter Ergebnisse sein. Es bleibt aber für uns zu prüfen, ob die Tatsache, daß der Warschauer Pakt seine Landstreitkräfte seitdem nicht zahlenmäßig verstärkt hat, als Signal kooperativen Verhaltens zu werten ist oder ob es sich lediglich darum handelt, bei gleicher Stärke qualitativ wesentliche Verbesserungen vorzunehmen. Statt einseitige Aufrüstung zu fordern, sollten wir uns die Mühe machen, hier genau auszuloten. Aufgabe der Politik ist es, vor weittragenden Entscheidungen zu prüfen.Die Entwicklung der Modernisierung des Geräts nehmen ja im übrigen aus gegebenem Anlaß auch wir vor. Durch diese Entwicklung der beiderseitigen Verstärkung wachsen Instabilitäten. Durch verstärkte Rüstungsaufwendungen werden wir lediglich verminderte Sicherheit zu höheren Kosten erreichen können.
— Sie können gleich Ihre Zweifel äußern, aber dann bitte auch mit Argumenten belegen.Ein Mehr an Sicherheit ist nur erreichbar durch eine Politik der kooperativen Rüstungssteuerung. Hier liegt ein Bereich, der für unsere Bemühungen um Sicherheit genauso wichtig ist. Eigene Verteidigungskraft bedeutet Sicherheit heute, und ich denke, niemand bezweifelt, daß heute Sicherheit für uns alle vorhanden ist. Wir werden darauf achten, daß wir sie behalten. Entspannung und Kooperation müssen für die Zukunft die Sicherheit auf niedrigerem Niveau gewährleisten. Das sind die Probleme, an denen wir zu arbeiten haben. Dies liegt als Angebot auf dem Tisch: die Verhandlungen in Wien, MBFR, die SALT-Verhandlungen in Genf und die KSZE- Verhandlungen in Belgrad.Die sicherheitspolitische Diskussion ist zu einseitig an einer unbegrenzten Risikobereitschaft des potentiellen Gegners orientiert. Der Warschauer Pakt hat aber bisher unter Beweis gestellt, daß er im militärischen Bereich nur ein kalkulierbares Risiko eingeht, das einen Mißerfolg und eine direkte Konfrontation mit den USA, d. h. die nukleare Eskalation ausschließt. Das bedeutet, die Sowjetunion bezieht nicht die von der NATO geäußerten Zweifel über die Abkopplung der Nuklearkomponente, ein zu lange dauerndes Freigabeverfahren der Nuklearwaffen, die Möglichkeit, innerhalb der zur Verfügung stehenden Vorwarnzeit die konventionellen Kräfte in die Bereitschaftsräume zu verlagern, in ihr Risikokalkül ein.Hüten wir uns davor, den Warschauer Pakt zu unterschätzen. Im Augenblick besteht aber eher die Gefahr, daß wir den Warschauer Pakt überschätzen, entweder aus Unkenntnis oder um leichter bestimmte politische Ziele durchsetzen zu können. Ständig vorgenommene und sehr unterschiedlich ausfallende Bewertungen schaden dem Verhandlungsklima, geben der Politik den Anstrich der Unglaubwürdigkeit und
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3044 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Pawelczykhelfen nur den Gegnern der Friedenssicherungspolitik.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß es eine Extremfallstrategie nicht gibt. Man kann sich nicht gegen alle theoretisch denkbaren Aggressionsformen vorbereiten. Ich wehre mich gegen diejenigen, die das eigene Sicherheitsproblem in nicht lösbarer Form definieren, indem sie eine Vorbereitung für jeden Eventualfall fordern. Damit schaffen sie sich die Möglichkeit zu jeglicher Kritik und überfordern auch jede Strategie. Ich meine damit niemanden der bisherigen Redner.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Mertes?
Nein, ich glaube, wir sind uns schon einig. Ich meine damit diejenigen, die glauben, sie müßten die Diskussion über eine neue Strategie anfangen. Sie ist nicht nötig, sondern wir müssen die bisherige Strategie ausfüllen; denn sie ist in ihrer Anlage und ihrer Perspektive gut.Die jetzige NATO-Strategie und jede andere Strategie kann nur den Auftrag erfüllen, Aggressionen abzuschrecken und abzuwehren, die mit begrenzter Risikobereitschaft unternommen werden. Das heißt, man muß bei seinen Planungen davon ausgehen, daß der potentielle Gegner seine politischen Probleme nicht irrational, sondern rational durchdekliniert.
Gegen Wahnsinnstaten gibt es keine Strategie.Wir müssen auch aufpassen, daß wir die äußere Sicherheit nicht zu eng definieren. Wenn sie nur auf die militärischen Fähigkeiten des Warschauer Paktes bezogen wird, geschieht es. Über die Sicherheit unserer Region entscheidet nicht nur das Verhältnis der Militärpotentiale zueinander, sondern es müssen hineingerechnet werden: die wirtschaftliche Lage, die innenpolitische Lage in den verschiedenen Staaten, die soziale Situation usw. Es muß also das Kosten-Nutzen-Kalkül für den, der eine Aggression unternehmen will, berücksichtigt werden. Wenn wir das tun, kommen wir zu dem Ergebnis, daß wir in Sicherheit leben und deshalb mit außenpolitischen Instrumenten versuchen müssen, die Lage weiter zu sichern und auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren.Die Sowjetunion und der Warschauer Pakt besitzen nur im militärischen Bereich Parität zu den USA und zu der NATO. Wie sollten uns einmal überlegen, in welcher schwierigen Paritätssituation sich damit die zweite Großmacht dieser Welt befindet und welche Konsequenzen sich daraus für sie ergeben.Herr Marx, der Vorsitzende Ihres Arbeitskreises 1 — Außenpolitik—, schreibt:Die Schwierigkeiten für die Herrschenden im Kreml wachsen. Das Ansehen der Sowjetunion und das Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Politik nehmen ab, ja sogar die gewaltige sowjetische Militärmaschine wird heute weniger gefürchtet als früher.Dies ist eine nüchterne Lageburteilung, aus der die Opposition leider bisher die Konsequenzen für eine Friedenssicherungspolitik nicht gezogen hat. Uns allen muß klar sein, daß der Versuch, außenpolitisch Druck auszuüben, nicht Nachgiebigkeit, sondern lediglich Gegendruck erzeugt. Die negativen Ergebnisse würden sich vor allem auf die Menschen in Deutschland auswirken. Wir sollten alle in Erinnerung behalten, daß sich in keiner anderen Region dieser Welt so viele Soldaten und Waffen wie in Deutschland, auf deutschem Boden, befinden und daß sich eine Abkühlung des außenpolitischen Klimas vor allem und zuerst auf uns, auf die Deutschen, nachteilig auswirkt. Deswegen sind auch wir diejenigen und müssen diejenigen sein, die eine Anregerfunktion für die Fortsetzung der Friedenssicherungspolitik haben.
Es kommt darauf an, sie so zu gestalten, daß militärische Macht aus Eigeninteresse nicht für die Politik eingesetzt wird und daß die Fähigkeit, sie für die Durchsetzung politischer Ziele einzusetzen, abnimmt. Wir Sozialdemokraten vertreten eine Rüstungskontrollpolitik, die darauf ausgerichtet ist, durch politische Stabilisierungsschritte, durch militärische Bewegungsbeschränkungen und durch Truppenreduzierungen die Rüstungslage in Europa zu stabilisieren, um dadurch unsere äußere Sicherheit zu erhöhen. Es kommt darauf an, das Prinzip Gewaltverzicht auch im militärischen Bereich zur Auswirkung zu bringen.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu MBFR machen. In der Anfangsphase der MBFR-Überlegungen lag das Hauptaugenmerk nicht auf der Reduktion von Truppen, sondern darauf, durch begleitende Maßnahmen, wie z. B. zu vereinbarende Prinzipien zur Regelung von Sicherheitsproblemen und Beschränkung der militärischen Dispositionsmöglichkeiten, die politische Atmosphäre zu verbessern. Erst Ende 1972, Anfang 1973 verschob sich die MBFR-Zielsetzung zugunsten konkreter Reduktionen, maßgeblich auch durch das innenpolitische Interesse der Vereinigten Staaten bedingt, wofür ich Verständnis habe. Die begleitenden Maßnahmen blieben aber Bestandteil der im Sommer 1973 in Wien vereinbarten Richtlinien für die Konferenz über gegenseitige Reduzierung der Truppen und Rüstungen und begleitende Maßnahmen in Mitteleuropa. Das ist die offizielle Konferenzbezeichnung. Da ist ausdrücklich von begleitenden Maßnahmen die Rede. Ich betone das jetzt noch einmal, weil Sie aufmerken, Herr Kollege Mertes.
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Pawelczyk— Das finde ich sehr gut. Ich fasse das als Kompliment auf!
Das ist die offizielle Konferenzbezeichnung. Sie stimmen mir zu.Im Laufe der seit Herbst 1973 stattfindenden MBFR-Gespräche hat sich der Verhandlungsgegenstand aber immer mehr auf militärische Probleme, nämlich die Truppenreduzierung, verengt. Auch Detailprobleme wurden leider auf beiden Seiten zu Prestigefragen. Militärisch vertrauensbildende Maßnahmen wurden zwar in die Schlußakte der KSZE mit aufgenommen und in Helsinki vereinbart, sie sind bislang aber nicht in die MBFR-Verhandlungen eingebracht. Ein zeitliches Junktim — erst SALT II, dann MBFR — war Verhandlungsfortschritten und konkreten Überlegungen für das Fortschreiten der Verhandlungen in Wien lange Zeit auch nicht immer unbedingt hilfreich.Die politische, aber auch die rüstungstechnologisch-militärische Entwicklung ist seit 1973 weitergegangen. Auch die Opposition kritisiert die waffentechnische Entwicklung im Warschauer Pakt. Sie stellt diese Entwicklung als zentrale Gefahr hin; das ist in Ordnung, da gibt es zwischen uns keine unterschiedlichen Auffassungen. Aber ich frage mich: Wo sind die politischen Konsequenzen, die Sie daraus ziehen? Die Waffenentwicklungen der letzten Jahre haben die latente Instabilität der militärischen Situation in Mitteleuropa und damit die Notwendigkeit zu Rüstungskontrollabkommen vergrößert. Es kommt jetzt entscheidend darauf an, das weitere Aufrüsten zu stoppen. Das ist die Aufgabe Nummer eins.Für einen Durchbruch bei MBFR bedarf es einer politischen Initiative, die die Wiener Verhandlungen wieder in den Gesamtrahmen der gesamten Rüstungskontroll- und Entspannungspolitik einordnet.
Das ist möglich auf der Grundlage der im Sommer 1973 von beiden Seiten beschlossenen Verhandlungsrichtlinien und auf der Grundlage der NATO- Position. Überlegungen, wie sie auch von der Opposition geäußert wurden, bei MBFR eine Denkpause einzulegen, bergen die große Gefahr in sich, die Verhandlungen überhaupt zum Scheitern zu bringen. Ich bin strikt gegen eine Denkpause bei MBFR.
Ich bin für die zügige Fortsetzung dieser Verhandlungen.Wir haben anzusetzen bei den MBFR-Essentials der NATO. Das sind Parität und Kollektivität. Beide Punkte können nicht zum Verhandlungsgegenstand werden. Darüber hinaus muß aber jede Möglichkeit geprüft werden, die geeignet erscheint, Instabilitäten in ,der Rüstungslage zwischen West und Ost zu beseitigen. Dazu gehören auch kleine Reduktionsschritte. An die Opposition gerichtet möchte ich noch einmal sagen: Unterlassen Sie es bitte — weil dadurch nämlich von Ihnen Zweifel an der Übereinstimmung der NATO-Position geweckt werden —, symbolische Schritte als Vorschlag zu einem einseitigen Vorgehen unsererseits zu definieren. Symbolische Schritte sind kleine Reduzierungsquoten, und kleine Reduzierungsquoten sollte man verabreden, wenn die Möglichkeit zu großen in einer bestimmten politischen Situation nicht besteht. Darum geht es dabei.
Ich bin für die Verabredung kleiner Reduzierschritte, wenn erstens in einem ersten Abkommen ein großer Reduzierschritt nicht erreichbar ist, zweitens dadurch der Rüstungswettlauf, und sei es in Teilbereichen, gestoppt werden kann und drittens diese Schritte kollektiv vereinbart werden und dem Ziel der Parität nicht entgegenstehen.Ebenso wichtig, wie durch Reduktion und damit durch die Festschreibung neuer Höchstzahlen den Rüstungswettlauf zu stoppen, ist es, durch begleitende Maßnahmen die Lage zu stabilisieren. Als denkbar und im gesamtpolitischen Zusammenhang sinnvoll wäre es zu prüfen, ob die militärisch vertrauensbildenden Maßnahmen wie Manöverankündigungen und Einladungen zu Manöverbeobachtungen bei MBFR vertraglich festgeschrieben werden sollten. Eine Ausweitung dieser Maßnahmen, vor allem die konkrete Einbeziehung der Anmeldung größerer Truppenbewegungen, wie es der westliche Vorschlag für die KSZE-Folgekonferenz in Belgrad ist, ist eine Überlegung, die einbezogen gehört. Eine vertragliche Selbstbindung dieser vertrauenbildenden Maßnahmen für den MBFR-Rahmen — bei KSZE sind sie nicht vertraglich festgelegt — würde weder die Sicherheit des Ostens noch die Sicherheit des Westens verletzen, aber einen wesentlichen Schritt zu mehr Transparenz darstellen und dadurch Instabilitäten verringern, die auf falschen oder ungesicherten Verhaltenserwartungen und Einschätzungen der jeweils anderen Seite beruhen.Ein weiterer Schritt, die Rüstungskontrollverhandlungen in einen Gesamtzusammenhang zu stellen, ist von Bundeskanzler Schmidt und Präsident Carter im Juli in Washington getan worden. Beide sind übereingekommen, wenigstens bei MBFR in Wien einen deutlich fühlbaren Fortschritt zu erzielen, wenn die Gespräche über Begrenzung strategischer Nuklearwaffen in Washington und Moskau, also SALT II, weiterhin sehr zähflüssig vorangehen. Der 'amerikanische Präsident und der deutsche Bundeskanzler haben damit einen Schritt getan, der der logischen Vorgehensweise entspricht, nämlich zur Zeit lösbare Probleme zu lösen und die Abrüstungsverhandlungen nicht an einen prestigebedingten Fahrplan zu binden.Bisher wurde meines Erachtens nicht genügend gewürdigt, daß damit Fragen der Friedensstabilisierung in Mitteleuropa einen noch höheren Rang eingeräumt bekommen haben und zweitens Carter damit der erste amerikanische Präsident ist, der MBFR zu einem ganz zentralen politischen ThemaPawelczykauch für die Politik der Vereinigten Staaten gemacht hat.Ein weiterer Bereich der Politik, der sicherheitspolitisch stärker genutzt werden könnte, ist z. B. eine Ost-West-Wirtschaftskooperation. Es wäre denkbar, aus einem Eigeninteresse beider Seiten einen Sachzusammenhang zwischen wirtschaftlicher und militärischer Stabilität herzustellen. Wir sind der Auffassung: SALT, MBFR und KSZE bilden einen Zusammenhang. Jede dieser drei Konferenzen ist für den Entspannungsprozeß wichtig. Aber jede ist thematisch so begrenzt, daß sie für sich allein einen vollen Erfolg nicht bringen kann; sie gehören in diesen Zusammenhang.Wir sehen auf der Basis dieser jetzt vorhandenen Sicherheitslage keine andere und keine verantwortbarere Alternative, als diese Politik fortzusetzen und ständig zu prüfen, wie wir Ansätze für Verhandlungen mit der anderen Seite finden können mit dem Ziel, den Frieden zu stabilisieren. Ich denke, wir haben allen Anlaß, unserer Bundesregierung dankbar zu sein, vor allem unserem Verteidigungsminister Leber, daß er und die Bundesregierung, gestützt durch die Koalition, für die NATO Kräfte zur Verfügung gestellt haben, die in einer voll präsenten Bundeswehr mit einem hohen Einsatzwert bestehen, und die uns damit die Möglichkeit geben zu versuchen, bei KSZE, bei MBFR und bei SALT die Vereinbarungen zustande zu bekommen, die uns endlich ermöglichen, die Sicherheit weiter zu stabilisieren und auf ein niedrigeres Niveau zu drücken.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mertes .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Pawelczyk haben etwas sehr Beunruhigendes an sich. Denn sie stimmen in ihrer Substanz nicht mit dem überein, was die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der Opposition und der Koalition besagt.
Zunächst einmal, Herr Kollege, eine wichtige Richtigstellung: Sie haben ein Zitat entstellend verkürzt. Sie haben vorgetragen:
Seither liegen keine Erkenntnisse vor, daß sich diese Zunahme
— es handelt sich um die Offensivkräfte des Ostens —
weiter fortgesetzt hat.
Aber Sie haben unterlassen, den anschließenden Satz zu zitieren:
Die Steigerung der Kampfkraft der östlichen
Landstreitkräfte durch bessere Qualität der
Waffensysteme geht jedoch unvermindert fort.
Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt, der im Zusammenhang mit der Abrüstungsdiskussion und der Diskussion über MBFR immer gesehen werden muß, ist die Tatsache, daß die sowjetische Seite aus Gründen, die Herr Kollege Ahlers meines Erachtens — zu einem Teil jedenfalls — richtig dargestellt hat, eine andere Vorstellung von dem hat, was militärische Macht zu sein hat und was Sicherheit bedeutet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Entschuldigen Sie, daß ich auf eine vorhergehende Passage zurückkomme; ich habe vorher nicht das Wort bekommen. Sind Sie bereit, zuzugeben, daß ich im Laufe meiner Ausführungen davon gesprochen habe, daß der Warschauer Pakt die qualitative konventionelle Aufrüstung fortsetzt und uns gezwungen hat, ein Gleiches zu tun?
Ich bin dazu gern bereit; denn ich habe Ihnen genau zugehört. Nur haben Sie bei einer ganz bestimmten zielgerichteten Gedankenführung einen Fortsetzungssatz nicht wiedergegeben — wahrscheinlich nicht ohne Absicht, Herr Kollege Pawelczyk —, der für unsere Debatte wesentlich ist. Das Problem ist, daß die Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle in ihrem Kern nicht technisch-militärischer Natur sind, sondern Fragen der außenpolitischen Verwertung militärischer Macht. Hier sieht eben die sowjetische Seite aus Motiven, über die man sprechen muß, entscheidende Dinge anders, als wir sie sehen.Ich möchte hier aus dem schon öfter genannten Buch von Admiral Poser zitieren. Es handelt sich um ein Zitat des DDR-Admirals Verner aus dem Jahre 1972, also dem Jahr des Inkrafttretens des deutsch-sowjetischen Vertrages, das gleichen Rang einnimmt wie die hier öfters erwähnten Äußerungen des DDR-Verteidigungsministers Hoffmann aus dem Jahr 1976 über die Rolle der Streitkräfte im sozialistischen Staat. Er sagt — natürlich in Übereinstimmung mit der sowjetischen Militärdoktrin —:Der politische Inhalt der Gefechtsbereitschaft unserer Land-, Luft und Seestreitkräfte sowie der Grenztruppen besteht darin, zur allseitigen Überlegenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft beizutragen und damit den Gegner zu weiteren Zugeständnissen für eine europäische Friedensordnung zu zwingen.Wir wissen, was die SED-Führung und die Sowjetunion unter europäischer Friedensordnung letzten Endes verstehen. Das heißt für die Truppenabbauverhandlungen in Wien: die sowjetische Seite hat niemals den Paritätsbegriff übernommen, den der Westen den MBFR-Verhandlungen zugrunde legt. Wo der Westen Parität will, will die sowjetische Seite Überlegenheit; oder aber sie sagt das Gleiche, indem sie das Vorhandensein der Parität im Reduzierungsraum neuerdings behauptet. Auch mit dieser „fiktiven Parität" will sie die faktische Überlegenheit vertraglich festschreiben.Meine verehrten Kollegen, ich finde, wir müssen die Sowjetunion in dem, was sie über die Strategie und die politische Zielsetzung ihrer Militärmacht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977 3047
Dr. Mertes
sagt, außerordentlich ernst nehmen. Die sowjetische Politik ist eine disziplinierte, eine sehr rationale, also insofern eine durchaus erkennbare und berechenbare Politik. Was sie so gefährlich macht, ist, daß sie in aller Offenheit von der Vorstellung ausgeht: es muß gemäß historischem Gesetz zum Endsieg des Sozialismus kommen; und zwar möglichst unter Bedingungen des Nicht-Kernwaffen-Krieges. Für sie ist militärische Macht nicht nur Instrument der Verteidigung, sondern auch der Einschüchterung, des Drucks, der Drohung oder gar der Erpressung.Herr Kollege Ahlers hat recht, wenn er daran erinnert, daß Moskau seit langem aus einem sehr starken Defensivkomplex heraus lebt und politisch agiert. Das gilt übrigens nicht nur für die Sowjetunion gegenüber der Bundesrepublik Deutschland von heute, sondern das gilt schon seit Jahrhunderten für Rußland gegenüber dem Westen überhaupt. Das gilt seitens der Russen gegenüber den Polen, das galt nach den Napoleonischen Kriegen gegenüber Frankreich. Es ist ein ganz tiefsitzendes defensives Motiv.Nur, Herr Kollege Ahlers: Die Konsequenz, die die sowjetische Führung wie früher die russische Staatsführung aus dieser defensiven Motivation heraus zog, war eine offensive Politik, eine Bemühung, den potentiellen polnischen, deutschen oder französischen Gegner möglichst unter die eigene politische Kontrolle zu bekommen. Defensive Motivation — offensive Konsequenzen! Und auf die Konsequenzen kommt es an.Diese offensiven Folgen werden heute um so gefährlicher, als alle Lehrbücher der Militärpolitik der Sowjetunion und der DDR zeigen, daß sich zur klassischen Defensiv-Motivation der russischen Politik die Überzeugung hinzugesellt hat, die „objektive Notwendigkeit des historischen Sieges des Sozialismus" müsse auch mit Hilfe militärischer Macht politisch-offensiv gefördert werden.Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat heute gesagt, der ideologische Zwist werde weitergehen. Aber meine Damen und Herren, der ideologische Zwist ist kein theoretischer Streit in Zeitschriften, sondern zu ihm gehört nach sowjetischer Vorstellung auch der dynamische Durchsetzungswille gegenüber dem, was die kommunistischen Staatsführungen des Warschauer Pakts als den „dem Untergang geweihten kapitalistischen Westen" bezeichnen. Wir dürfen diesen Aspekt, diesen nun in der Tat irrationalen Siegeswillen der Sowjetunion, als eines der Fundamente der sowjetischen Außenpolitik nie übersehen. Die Abrüstungs- wie die Aufrüstungsplanungen der Sowjetunion sind immer diesen außenpolitischen Gesamtvorstellungen nationaler, imperialer und ideologischer Art untergeordnet. Daher gilt, wie ich glaube, zu Recht — und ich vergewaltige die Wirklichkeit nicht, wenn ich dies sage —: Die westlichen Vorstellungen von Parität, von Ost-West-Stabilität, vom Gleichgewicht der Kräfte haben die Sowjetunion und ihre Verbündeten niemals akzeptiert. Sie haben der Parität bei den MBFR-Verhandlungen den Willen zur Fixierung der Überlegenheit entgegengesetzt, und zwar mit dem Ziel der Unterschrift des Westens. Sie haben in ihren eigenen Reihen, gerade auch gegenüber ihren eigenen Soldaten, der konkreten Vorstellung der Stabilisierung, des Ost-West-Verhältnisses, wie der Westen sie in verschiedenen Varianten entwickelt hat, immer wieder die „Notwendigkeit der Durchsetzung des Sieges des Sozialismus" entgegengesetzt, und sie haben expressis verbis den Begriff des Gleichgewichts der Kräfte aus diesen ideologischen Gründen verurteilt; sie haben ihm die These von der „notwendigen progressiven Veränderung des Kräfteverhältnisses im Sinne des Sieges des Sozialismus" entgegengesetzt.All dies ist ja nicht Theorie. Es ist konkreteste Maxime, die wir im Hinblick auf SALT und MBFR und andere Ost-West-Verhandlungen sehr, sehr ernst nehmen müssen. Das, was uns die Bundesregierung auf unsere Fragen zu MBFR geantwortet hat, ist die Position des Bündnisses und findet unsere Zustimmung.Aber wenn der Kollege Pawelczyk in diesem Zusammenhang hier von der „Anregerfunktion" der Bundesrepublik Deutschland spricht, so habe ich Sorgen; denn wir alle können beobachten, daß die Sowjetunion seit einigen Jahren den Versuch macht, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des westlichen Bündnisses nicht nur zu einem „Anreger", sondern zu jemanden zu machen, der allianzintern auf bestimmte Veränderungen drängen soll — vor allen Dingen in Wien —, die objektiv im sowjetischen Interesse liegen.Herr Kollege Wehner, Ihre diversen Äußerungen vom Frühjahr dieses Jahres, wonach die Bundesregierung ja nun schließlich ein Gewicht im westlichen Bündnis habe und in einer ganz bestimmten Richtung innerhalb des westlichen Bündnisses wir- ken solle, haben wir uns angesichts des Gewichtes Ihrer Persönlichkeit und damit des Gewichtes Ihrer Aussage hinter die Ohren geschrieben. Seien Sie gewiß, daß diese Opposition mit Argusaugen darüber wachen wird, daß sich die vom Herrn Kollegen Pawelczyk so genannte „Anregerfunktion" nicht zu einer Funktion der Schwächung der westlichen Position in Wien auswirkt.
Herr Kollege Pawelczyk hat vom Begriff der Sicherheit gesprochen, und er hat zu Recht gesagt, daß Sicherheit nicht nur ein militärischer, sondern ein umfassender politischer Begriff ist. Aber bei der politisch konkreten Ausfüllung dieses Begriffes der Sicherheit stellen wir fest, daß die Sowjetunion auch hier wieder etwas ganz anderes meint als wir.Heute morgen hat der Bundesminister der Verteidigung den deutsch-sowjetischen Vertrag von 1970 erwähnt. Er hat ihn zu Recht als einen Gewaltverzichtsvertrag bezeichnet, dem nun endlich Taten bei der Minderung der Mittel der Androhung oder Anwendung von Gewalt folgen müßten. Aber, Herr Minister, Sie haben doch sicher auch in der Erinnerung, daß Außenminister Gromyko noch in der Ratifikationsdebatte im Obersten Sowjet im Frühjahr 1972 ausdrücklich gesagt hat — und dies ist bewußt im sowjetischen Machtbereich veröffentlicht worden —, daß der Gewaltverzicht für die Sowjetunion
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an diesem Vertrag nicht das Kernstück ist, daß dieser Vertrag nach sowjetischer Auslegung vielmehr ein Vertrag sei, der die außenpolitischen Ziele der Sowjetunion bestätige und begünstige. Und ausgerechnet seit der Ratifikation dieses Vertrages nimmt der Ausbau der sowjetischen Militärmacht in verstärktem Maße zu. Das sagt ja auch die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der Koalition und der Opposition ganz klar. Sie verdient, von einem Oppositionsabgeordneten festgehalten zu werden:Im Raum der Reduzierungen, über die in Wien verhandelt wird , hat die NATO seit Beginn der MBFR- Verhandlungen im Jahre 1973 die Zahl ihrer Soldaten und Kampfpanzer kaum verändert. In der gleichen Zeit hat der Warschauer Pakt hingegen seinen Personalbestand aufgestockt, die Zahl der Kampfpanzer erheblich erhöht und die Kampfkraft seiner Divisionen verstärkt. Dies, nachdem der Warschauer Pakt bereits vorher seit der ersten NATO-Initiaitive für MBFR, dem Signal für Reykjavik 1968, seine Mannschaftsstärken, vor allem aber seine Panzerzahlen drastisch vergrößert hatte. Die Disparitäten zwischen Warschauer Pakt und NATO im Raum der Reduzierungen betragen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand im Bündnis mehr als 150 000 Soldaten und mehr als 10 000 Kampfpanzer. Verschärft wird dieses Ungleichgewicht durch die geostrategische Benachteiligung der NATO, den Ausbau der sowjetischen Transportkapazitäten in der Luft wie mit der Eisenbahn und durch das wachsende maritime Potential der Sowjetunion, das die atlantischen Verbindungslinien gefährdet.Man könnte noch hinzufügen: die politischen Penetrationsversuche der Sowjetunion auf dem afrikanischen Kontinent stellen eine weitere Verschärfung der Lage dar.Deshalb, meine Damen und Herren, ist die These falsch, in Wien müsse endlich eine politische Verhandlung die Expertengespräche ablösen. Die beiden Kernforderungen der NATO, also Herstellung der Mannschaftsparität im Reduzierungsraum und Vereinbarung kollektiver Höchststärken in Ost und West, sind politische Positionen, die in der NATO auf höchster Führungsebene vereinbart wurden. Die westlichen und die östlichen Delegierten in Wien verhandeln seit 1973 ausschließlich auf Grund von politischen Weisungen ihrer Regierungen.Leider — ,das hat auch Ihre Rede wieder gezeigt, Herr Pawelczyk —erstreben maßgebende Sozialdemokraten in zentralen Fragen eine Alternative zur Haltung des Bündnisses, die nach Lage der Dinge nur der Wille zu größerem westlichem Nachgeben in der Sache sein kann. Wer dadurch objektiv begünstigt wird, ist doch offenkundig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Augenblick bitte, ich möchte den Gedanken zu Ende führen.
Und dies geschieht in einer der delikatesten Phasen der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen mit ihren Ungewißheiten und Unwägbarkeiten in Fragen von Abrüstung und Sicherheit. Man hat den deutlichen Eindruck, daß die Sowjetunion bestrebt ist, in dieser Phase der Ungewißheiten der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Atlantischen Allianz eine besondere Rolle in Fragen der Abrüstung und der Abschreckung zuzumessen, ja aufzudrängen.
Herr Kollege Mertes, geben nicht gerade Sie durch ständige Wiederholung dieser Behauptung der anderen Seite die Hoffnung, daß so etwas eintreten könnte? Beweise für Ihre Behauptung sind Sie bisher immer schuldig geblieben. Wenn Sie auch in Zukunft keine Beweise haben, unterlassen Sie das bitte, weil Sie sonst unsere Verhandlungsposition schwächen.
Herr Kollege Pawelczyk, die Antwort auf Ihre Frage ist sehr einfach. Ich brauche nur den Kollegen Wehner zu zitieren, der in der „Neuen Gesellschaft" vor wenigen Monaten die Bundesregierung regelrecht eingeheizt hat. Ich zitiere daher den Abgeordneten Wehner als Zeugen für die Richtigkeit meiner Aussage:Wenn jemand, so hätten die Verantwortlichen in der Bundesrepublik sowohl Grund als auch Befugnis, in den schwierigen Fragen des Bereichs Truppenverminderung und Rüstungsbegrenzung, die gleichmäßig und gleichzeitig geleistet werden müßten, auf konkrete Verhandlungen zu drängen. Natürlich ist das nicht im Alleingang zu machen, aber in der NATO haben wir ja immerhin eine Stimme, die sich Gehör schaffen kann.Im Klartext kann das doch nur heißen: Bonn soll versuchen, die Position des Westens in einer Richtung zu beeinflussen, die das 'Bündnis bis jetzt nicht mitträgt und nicht will. Das, was Sie, Herr Kollege Pawelczyk, über symbolische Truppenreduzierungen gesagt haben, hat mich in dieser Sorge erheblich bestärkt. Es ist im übrigen genau das Gegenteil von dem, was noch kürzlich der Bundesminister ides Auswärtigen in einem Zeitungsinterview gegen solche Reduzierungen gesagt hat.Die CDU/CSU bejaht mit Nachdruck das Ziel ausgewogener Rüstungskontrollverhandlungen zwischen Ost und West bei realistischer Wahrung der westlichen Maßstäbe für Entspannung und Sicherheit. Wenn wir über Entspannung und Sicherheit reden, meine verehrten Kollegen, muß immer wieder die Frage nach dem konkreten Inhalt der Begriffe gestellt werden, denn West und Ost füllen beide Begriffe mit verschiedenen, teilweise gegensätzlichen Inhalten.Die Entwicklung unserer Bildungspolitik hat im übrigen dazu geführt, daß wir für historische Argumente, wie sie der Kollege Ahlers heute vorgetragen hat, nur noch wenig Sinn haben. Man muß in
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der Tat die russische Geschichte kennen, um sie zu verstehen. Verständnis bedeutet hier natürlich nicht Einverständnis.Die CDU/CSU lehnt mit dem Bündnis die These einiger prominenter Sozialdemokraten ab, in Wien könne jetzt ein erstes MBFR-Abkommen verhandelt werden, wobei nicht der Umfang einer solchen ersten Reduzierung von primärer sicherheitspolitischer Bedeutung sei, sondern die Tatsache, daß überhaupt reduziert wird. So der Abgeordnete Pawelczyk. Nach unserer Auffassung ist genau das Gegenteil richtig. Es muß zunächst einmal politisch grundsätzlich geklärt werden, ob eine Ost-West-Einigung in der Zielfestlegung der Verhandlungen möglich ist. Nach dieser Einigung über die politische Substanz läßt sich über weitere Schritte Einigung erzielen. Der Aberglaube — und das ist ein regelrechter Aberglaube — einiger sozialdemokratischer Politiker, erste Reduzierungsschritte ohne vorherige Klärung der politischen Grundfragen könnten einen ausgewogenen Prozeß kooperativer Rüstungssteuerung einleiten, wird weder durch Erfahrung noch durch östliche Äußerungen belegt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?
Herr Kollege Mertes, ich habe heute wiederholt festgestellt, daß Parität und Kollektivität für uns 'Essentials sind. Wie kann unsere Position beschädigt werden, wenn eine kleine Reduzierungsquote akzeptiert würde, die an diese Essentials gebunden ist? Erstens erreichen wir, daß sie von der anderen Seite akzeptiert wären und zweitens schreiben wir dann eine niedrigere Höchststärke fest und leisten damit einen Beitrag gegen den weiteren Rüstungswettlauf. Ich weiß gar nicht, was man dagegen haben kann.
Das ist ein Widerspruch in sich selbst, Herr Kollege. Sie sagen einerseits zu Recht: zunächst muß die Grundsatzfrage der Parität — auch innerhalb der Datendiskussion — geklärt werden. Wir Sozialdemokraten halten uns prinzipiell an die Parität und an die Kollektivität. Dann aber sagen Sie gleichzeitig etwas, was in der Substanz dieser Ziele entgegengesetzt ist. Ich sehe Ihre abergläubischen Hoffnungen, doch verstehe ich nicht Ihre politische Unlogik. Ihre Unlogik in dieser Sache aber ist die eigentliche Politik, die Sie treiben.
Angesichts der ungeklärten sicherheitspolitischen Grundfragen hilft nur — wir verlangen keine Pause in Wien — zähes Weiterverhandeln, aber keine Abrüstungsillusion. Nur langer Atem — das sagt doch der Bundesminister der Verteidigung in MBFR selbst immer wieder, an wessen Adresse eigentlich? — und zielstrebige Zähigkeit bei den Wiener Verhandlungen erhöhen die Chance einer befriedigenden Reduzierungsvereinbarung, während selbstproduzierter Zeitdruck im Hinblick auf die bisher granitene Haltung des Ostens in allen Grundfragen den westlichen Interessen zuwiderläuft. Ich muß den Zeitdruck hier deshalb erwähnen, weil der Besuch Breschnews ins Haus steht und vieles darauf hinweist, daß der Generalsekretär der KPdSU von dieser Bundesregierung nicht nur eine Anreger-, sondern auch eine Veränderungsfunktion bei MBFR innerhalb des westlichen Bündnisses erwartet.
Nach sowjetischer Auffassung bedeuten militärische Entspannung und stabileres Verhältnis zunächst folgendes — das steht im Gegensatz zu dem, was es für uns bedeutet —: Das historisch gewachsene Übergewicht des Warschauer Paktes im Reduzierungsgebiet muß vom Westen legalisiert werden, so wie nach östlicher Auslegung die politische Herrschaft der Sowjetunion im gleichen Raum durch den Moskauer Vertrag und — ich wiederhole: nach falscher sowjetischer Auslegung — die KSZE-Schlußakte westliche Vollmacht im Sinne rechtlich-moralischer Ermächtigung erhielt. Das heißt: Parität der Reduzierungsschritte — nicht aber Parität im Verhandlungsergebnis — oder fiktive Parität. Das ist das klare und offenkundige Ziel der Sowjetunion.Die zweite sowjetische Zielthese ist: Die zu vereinbarenden Höchststärken müssen sich auf die künftigen nationalen Höchststärken, insbesondere der Bundeswehr, beziehen. Es soll aber nicht zu den vom Westen geforderten kollektiven Höchststärken der beiden Bündnisse kommen, die beiden Seiten die allianzinterne Handlungsfreiheit erhalten. Es ist gut, daß die Antwort der Bundesregierung hier eine ganz besonders klare Sprache gesprochen hat, die von der Unklarheit der Ausführungen des Kollegen Pawelczyk angenehm absticht.Moskau sieht den Wiener Schlüsselbegriff ,,unverminderte Sicherheit" also anders als der Westen. Dieser politische Gegensatz — ich sage noch einmal: politische Gegensatz — zum Standpunkt des Westens kann auf Dauer vieleicht einmal überwunden werden. Herr Kollege Ahlers, wir leiden nicht — wie Sie heute meinten — an Antisowjetismus, vielmehr nehmen wir nur die sowjetischen Kategorien sehr ernst. Nach sowjetischer Auffassung sind der Verteidigungsminister und auch Sie erz-antisowjetische Politiker. Trotz unserer Wachsamkeit, ja wegen unseres geschichtlichen Realismus glauben wir auch an die Möglichkeit von Vereinbarungen bei notwendiger Geduld. Ich unterstreiche die Worte „Möglichkeit" und „Geduld".Die CDU/CSU hält an den Positionen fest, die im Bündnis in politischer Verantwortung und fachkundiger Sorgfalt erarbeitet wurden:1. Im Gebiet der geplanten Reduzierungen muß es zur Herstellung der Parität im konventionellen Truppenbereich sowie zur Minderung der sowjetischen Panzerüberlegenheit kommen. Nur auf diese Weise wird der geographische Vorteil der UdSSR, nämlich die Nähe zum Reduzierungsraum im Vergleich zur zehnfachen Entfernung der USA von Mitteleuropa, wenigstens partiell ausgeglichen.2. MBFR-Verhandlungen müssen sich auf beiderseitige kollektive Höchststärken beziehen. Ein Ost-
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West-Vertrag über die Bundeswehr kommt in keiner Form und in keiner Vorstufe in Betracht.Rüstungssteuerung und Abrüstung sind zu wünschen und zähester Anstrengungen wert. Doch dürfen sie unsere Sicherheit gegenüber dem offensiven, politisch-historischen Siegeswillen der Sowjetunion nicht schwächen. Sicherheit und Unsicherheit sind Fragen des politischen Vertrauens oder Mißtrauens. Der Klärung der politischen Grundfragen gebührt daher weiterhin auch in Wien der Vorrang. Wer bei den Truppenreduzierungen an militärischen Symptomen herumdoktert — Herr Kollege Pawelczyk, das ist das, was ich Ihnen vorwerfe; Sie denken hier zu vordergründig-militärisch —, gefährdet den eigentlichen politischen Heilungsprozeß. Die CDU/CSU plädiert in Übereinstimmung mit den Ausführungen in den Antworten der Bundesregierung zu diesem Themenkreis weiterhin für Klarsicht, für Festigkeit, für Geduld, für ein Ernstnehmen des östlichen Partners und seiner Denkkategorien. Wir plädieren deshalb weiterhin mit Nachdruck dafür, daß diejenigen Interessenbereiche, die es möglicherweise auch auf dem Gebiet Kooperativer Rüstungssteuerung mit dem Osten gibt, erkannt, genutzt und ausgeweitet werden. Aber ich sage es noch einmal: in Geduld, in Klarsicht und in Festigkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Geßner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Rednern der Opposition heute sehr aufmerksam zugehört hat, so wird sehr schnell deutlich, daß eine Übereinstimmung bei allen bestand, nämlich die, ausschließlich von den Schwächen des Bündnisses zu sprechen, von Mängeln in der Bundeswehr zu reden und nichts darüber zu sagen, was an Positivem festgestellt werden kann.
— Das meinen Sie! Ich höre sehr wohl zu.
Sie sind sich über die Konsequenz dessen, was Sie ausführen, nicht im klaren. Das ist der Grund.
— Aber natürlich! Ich bin ganz sicher, daß ich auch dann zu dem gleichen Urteil komme, das ich soeben gefällt habe. Ich werde das auch im einzelnen noch ausführen. Sie kommen ganz bestimmt auf Ihre Kosten.
Wir haben heute von Ihnen meist Negatives über die Leistungsfähigkeit des Bündnisses gehört. Wir haben von Ihrer Seite überhaupt nicht den Versuch erlebt, einmal darzulegen, wie denn die Kräfteverhältnisse zwischen Ost und West sind. Was wir von Ihnen hörten, war eine Darstellung von Kräfteverhältnissen des Warschauer Paktes, ohne dabei zu berücksichtigen, zu welcher Leistungsfähigkeit die NATO in der Lage ist.
Ich komme daher zu dem Urteil, daß Ihre Politik nach wie vor mit der politischen Verkrampfung behaftet ist, für die Sie in der Zwischenzeit schon legendär geworden sind. Und ich füge hinzu: Wenn Ihre Politik verwirklicht werden würde, würde der Rüstungswettlauf in der Welt geradezu provoziert, und das wollen wir nicht.
Dabei ist gar nicht entscheidend, ob Sie das wollen, sondern entscheidend ist, zu welchen Konsequenzen Ihre Politik führt.
Ich finde, es ist eben doch bezeichnend gewesen, wie Sie hier heute die Debatte geführt haben. Das Dilemma der Opposition offenbart sich meiner Auffassung nach in dreifacher Hinsicht: Einmal befindet sie sich noch immer in der Tradition des deutschen Konservatismus, der stets eine bedenkliche Vorliebe dafür hatte, die Rüstungspolitik des Staates als Faktor der Sicherheit gewaltig zu überschätzen.
Der Kampf um internationale Begrenzung militärischer Machtmittel war daher auch nie ein ernsthaftes Thema konservativer Politik. Das wollen Sie doch wohl wenigstens nicht bestreiten!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Sofort! — In Ihren heutigen Reden haben Sie dies wieder bewiesen, und, meine Damen und Herren, ich habe gar keinen Zweifel daran, daß Sie das auch in der Zukunft weiter beweisen werden.
Ich beantworte die Zwischenfrage, wenn es nicht von der Redezeit abgeht.
Ja, es geht nicht ab.
Herr Kollege Geßner, ist Ihnen bekannt, daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bis 1914 immer diejenige gewesen ist, die vor den russischen Abrüstungsvorschlägen am stärksten gewarnt hat?
Aber da empfehle ich Ihnen, einmal ganz gründlich zu lesen, was in jenen Jahren auf vielen Parteitagen der Sozialdemokratischen Partei beschlossen worden ist. Ich will Ihnen einmal etwas sagen. —
In der Sicherung und Bewahrung des Friedens hat sich die deutsche Arbeiterbewegung von niemandem übertreffen lassen.
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Dr. GeßnerZum zweiten ist Ihre Verhaltensweise von einer grotesken Unversöhnlichkeit gegenüber der sozialliberalen Koalition gekennzeichnet. Mir scheint, der CDU/CSU fehlt die innere Kraft, sich auf eine Rolle konstruktiver Politik einzustellen.
Drittens glauben Sie, durch eine totale Opposition im Verteidigungsbereich — nunmehr auch im Verteidigungsbereich, muß man sagen — mithelfen zu können, die Koalition bei den nächsten Wahlen aus dem Sattel zu heben. Die erstmalige Ablehnung des Verteidigungshaushaltes ist dafür ein schlagender Beweis. Hier zeigt sich, meine Damen und Herren, auch, wer sich bei Ihnen durchgesetzt hat.Ich führe dies deswegen aus, weil ich es für notwendig halte, zu erklären, weswegen ein sachlicher Dialog mit Ihnen so außerordentlich schwer zu führen ist, und ich sage: zum Schaden der Sache und zum Schaden des Parlaments.Welche Widersprüche und Fragwürdigkeiten dabei geboren werden, offenbart beispielsweise, wie mir scheint, die Behauptung des Kollegen Wörner, aufgestellt in der Verteidigungsdebatte im Juni des vergangenen Jahres. Es sei einfach nicht richtig, wenn gesagt werde, das Gleichgewicht sei noch intakt. Und er fügt hinzu — ich zitiere wörtlich —:Wir haben hier eine bedrohliche Schwäche. Wenn sich diese Schwäche im Westen fortsetzt, riskieren wir eines Tages, daß die Sowjetunion die Nuklearschwelle unterläuft.Dies heißt doch wohl, daß der Kollege Wörner der Auffassung ist, auf der Waage der militärischen Stärke wiege das Gewicht des Warschauer Paktes insgesamt schwerer als das der NATO. Wenn man aber dieser Meinung ist, scheint es mir doch fragwürdig zu sein, im gleichen Atemzug zu behaupten — ich zitiere —,daß die gegenwärtige Verteidigungsstärke, das gegenwärtige Verteidigungsdispositiv der NATO auch nach unserer Auffassung— so Wörner —ausreicht, um den Warschauer Pakt abzuschrecken — ich sage:— so fügt er hinzu — gerade noch ausreicht — . . .
— Das will ich Ihnen gerade erklären. Ich frage mich, wieso der Abschreckungseffekt des Bündnisses noch ausreichen kann, wenn die Balance nicht mehr intakt ist. Wenn die Balance nicht mehr intakt gewesen wäre, was hätte denn dann, so frage ich Sie, überhaupt den Abschreckungseffekt ausmachen können? Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie uns das einmal erklären wollten.Ich würde von Herrn Wörner auch gern einmal wissen, wie weit sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Warschauer Paktes eigentlich verändern müßte, damit die abschreckende Wirkung der NATO aufgehoben werden würde.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, vermögen Sie einzusehen, daß ein Unterschied zwischen dem Gleichgewicht und einem, wie der Kollege Dr. Wörner sagte, gerade noch ausreichend großen Gegengewicht zu machen ist?
Wenn Sie so diskutieren, verstehe ich nicht Ihre fortgesetzte Furcht vor der Bedrohung aus dem Osten. Das ist nämlich die Konsequenz, zu der Sie kommen müßten. Sollte die Opposition als Ergebnis einer seriösen Analyse ihre Befürchtungen zu beweisen in der Lage sein, so würde dies nicht nur zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Sicherlich wäre es dann auch kein allzu großes Problem, zu einer Annäherung der Standpunkte, wenn nicht sogar zu einer Übereinstimmung in der Beurteilung der militärischen Situation zu gelangen. Dies würde Selbstbehauptungswille und Verantwortungsbewußtsein gebieten. Solange Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die östliche Seite als unbeugsamen, willensstarken militärischen Riesen und unser Verteidigungsbündnis sozusagen als unachtsamen, verweichlichten Halbwüchsigen betrachten, stellen Sie sich politisch selbst ins Abseits und wirken unseriös.Ich fürchte — wie stark auch immer das Verteidigungsbündnis sein mag —, die Union wird stets versuchen, seine Leistungsfähigkeit unter den Scheffel zu stellen, und zwar in der Absicht, damit die Verteidigungspolitik der Bundesregierung zu treffen. Aber nicht nur dies! Wider besseres Wissen versuchen Sie, die angebliche Schwäche des Bündnisses in ganz erheblichem Maße der Bundesregierung anzulasten. Wie könnte sich der Kollege Wörner sonst zu folgender Behauptung versteigen — ich zitiere —: „Sie geben fortwährend weniger für Verteidigung aus, nicht nur weniger, als wir es sagen und das Bündnis es sagt, sondern auch weniger, als Sie selber es wieder und wieder fordern." Seit wann eigentlich ist, um Herrn Wörner zu zitieren, das Gleichgewicht zwischen Ost und West nicht mehr intakt, so frage ich Sie.Wenn man die Sprecher der Opposition hört, hat man das Gefühl, als sei diese angebliche Veränderung in den letzten Jahren eingetreten. Es ist überhaupt keine Schwierigkeit, den Nachweis zu führen, daß die Sprecher der Unionsparteien die militärische Konstellation zwischen Ost und West seit eh und je in den düstersten Farben gezeichnet haben. Wenn die Prognosen der Opposition richtig gewesen wären, hätte die Katastrophe schon vor Jahren ausbrechen müssen. Mir will scheinen, daß die Opposition zur Unterschätzung unserer Verteidigungsfähigkeit ein ausgesprochen traumatisches Verhältnis hat. Gleichgültig, welche Schlußfolgerungen sie aus dem Verhältnis ihrer übertriebenen Befürchtungen einerseits und der bisherigen Friedensbewahrung andererseits zieht, immer läuft es
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Dr. Geßnerdarauf hinaus, daß der Friede in Europa bis zum heutigen Tag bewahrt werden konnte. Jedermann darf die Gewißheit haben, daß die sozialliberale Koalition dazu auch in Zukunft ihren angemessenen Beitrag leisten wird.Daß der Friede tatsächlich eine echte Chance hat, wird auch in der neuesten Studie des Internationalen Instituts für strategische Studien in London für die Jahre 1977 und 1978 belegt. Es ist bereits aus dieser Studie zitiert worden. Ich beschränke mich darauf, darauf zu verweisen, daß darin ausgeführt worden ist, daß eine militärische Aggression heute „unattraktiv" sei. Dies ist eine Gesamtbeurteilung, die sich mit der Antwort der Bundesregierung auf die beiden Anfragen deckt, in der es u. a. heißt, ein Vergleich der Potentiale von NATO und Warschauer Pakt ergebe, „daß die Nordatlantische Allianz insgesamt über eine Verteidigungskraft verfügt, die nicht hinter den Möglichkeiten des Warschauer Paktes zurücksteht". Dabei wird weder von den Verfassern der Studie noch von der Bundesregierung übersehen, daß die Sowjetunion ganz beachtliche Anstrengungen unternimmt, um die taktische und strategische Schlagkraft ihres Militärapparates zu erhöhen. Wir verkennen keineswegs, daß das konventionelle Militärpotential des Warschauer Paktes das der NATO übertrifft, wie es auch in der Antwort der Bundesregierung ausgeführt worden ist. Ich teile die Auffassung der Regierung, daß es bei weitem größer ist, als es zur Verteidigung notwendig wäre.Wenn die Sowjetunion und ihre Bündnispartner seit 1973 ihren Personalstand vergrößert, ihre Panzerstreitkraft wesentlich vermehrt und die Kampfkraft ihrer Divisionen verbessert haben, so geschah dies gewiß nicht deswegen, weil sie sich durch eine dramatische Aufrüstungsmaßnahme des Westens dazu hätte provoziert fühlen können. Ich komme auf diesen Punkt gleich noch einmal zurück. Es ist völlig klar, daß wir das Anwachsen dieser Streitkräfte nicht auf die leichte Schulter nehmen können.Zu einer objektiven Darstellung der Situation gehört aber auch die Einsicht — das ist es, meine Damen und Herren, was ich bei Ihnen vermißt habe —, daß beispielsweise die Verteidigungskonzeption der NATO über so viel Flexibilität verfügt, daß sie bei den konventionellen Streitkräften nicht auf die gleiche Zahl gleichartiger Waffensysteme angewiesen ist, ganz zu schweigen von der technologischen Überlegenheit, die das Bündnis zu Recht für sich in Anspruch nehmen darf.Auch sind wir weit davon entfernt zu übersehen, daß die Luftstreitkräfte der NATO, die an der Südflanke stationiert sind, denen des östlichen Militärpaktes erheblich unterlegen sind. Wir haben jedoch auch allen Grund, darauf zu verweisen, daß bei den Seestreitkräften die Anwesenheit der 6. amerikanischen Flotte das Atlantische Bündnis begünstigt. Wir wissen ebenfalls, daß an der Nordflanke bei den Land- und Luftstreitkräften Disparität zuungunsten der NATO besteht. Schließlich verschließen wir auch nicht die Augen vor der gewaltigen Zunahme der sowjetischen Seestreitkräfte. Die Anwesenheit dieser Flottenverbände auf allen Weltmeeren wäre im Falle eines Konfliktes eine gefährliche Bedrohung unserer Rohstoff- und Energieversorgung, wie in der Antwort der Bundesregierung ausgeführt.Die Sowjetführung weiß jedoch mit Sicherheit ganz genau — und Sie wissen das, glaube ich, auch —, daß die Allianz, in besonderem Maße die Vereinigten Staaten, diese Entwicklung nicht tatenlos hingenommen haben. Ich glaube den Fachleuten, die stets darauf verweisen, daß die Marinen der NATO, vor allem aber die US-Navy, nach wie vor Herr der Situation sind, nicht nur wegen ihrer militärischen Kraft, sondern auch wegen der geringen Zahl zuverlässiger Stützpunkte der Sowjetmarine außerhalb ihrer angestammten Häfen.Wenn wir uns von der Opposition nicht zur Panik verführen lassen, dann deshalb, weil wir bei unserer Analyse der Situation berücksichtigen, daß dem Leistungsvermögen des Warschauer Paktes stets das Leistungsvermögen des Nordatlantischen Bündnisses gegenübergestellt werden muß. Schließlich dürfen wir auch nicht außer acht lassen, daß das Ziel, jeden eventuellen Angreifer durch unsere militärischen Fähigkeiten und Kräfte abzuschrekken, uns immer wieder geradezu gezwungen hat, die Qualität unserer Verteidigung zu verbessern.Herr Kollege Wörner schien mir auf diesem Auge etwas blind gewesen zu sein, als er in einem Zeitungsinterview am 25. Juni erklärte, daß sich durch den steten Ausbau der Verbände des Warschauer Paktes — ich zitiere — die Vorwarnzeiten der NATO im Falle eines Überraschungsangriffes drastisch verringert hätten; ja, sie lägen heute weiter unter den seither angenommenen Zeiten. Wenn ich richtig gehört habe, hat er heute eine ähnliche Erklärung im Hause zum besten gegeben.Wie dramatisch falsch diese Fehleinschätzung ist, wurde dieser Tage durch ein Zeitungsinterview offenbar, das der Oberbefehlshaber der NATO, General Haig, gegeben hat. Darin erklärt er, die Warnzeit, die in Europa zur Reaktion auf einen Angriff des östlichen Paktsystems zur Verfügung steht, habe sich erheblich verlängert, wenn auch nachträglich erklärt worden ist, daß die angegebenen Zeiten den Tatsachen nicht entsprächen. Inzwischen wissen wir, daß er mit seinem Interview klarmachen wollte, daß die notwendigen Verstärkungskräfte aus Amerika innerhalb von drei Tagen herangeführt werden könnten. Die Streitkräfte des Warschauer Paktes seien nicht in der Lage, einen Angriff aus dem Stand heraus zu führen. Da allerdings innerhalb von drei Tagen kein Angriff entsprechend vorbereitet und geführt werden kann, gehen die übertriebenen Befürchtungen der Opposition weit an den Realitäten vorbei. Die Lage sei erheblich günstiger, als man noch am Ende des vergangenen Jahres angenommen habe, fügte der General hinzu. Der Warschauer Pakt könne die NATO nicht mehr überrumpeln.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich noch eine andere gewichtige Stimme zitieren. Der Inspekteur des Heeres, General-
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Dr. GeßnerLeutnant Hildebrandt, führte in einem Zeitungsinterview jüngst aus, das Wort „Überraschungsangriff" werde im Zusammenhang mit dem möglichen Angriff eines potentiellen Gegners auf einen NATO-Staat stark strapaziert. Man müsse sich von der Vorstellung befreien, daß irgendwann am Freitag noch tiefer Friede herrsche und Sonntagfrüh der Feind angreife. Deutlicher kann doch wohl nicht unterstrichen werden, daß zur Panik keine Veranlassung besteht. Es würde mich allerdings ganz gehörig wundern, wenn die Opposition bereit wäre, ihr monströses Bild von der militärischen Situation zu korrigieren. Keine noch so anerkannten militärischen Autoritäten werden sie davon abhalten können, den stumpfsinnigen Kurs ihrer destruktiven Politik fortzusetzen. Dazu ist sie weder willens noch fähig.
Ich habe soeben davon gesprochen, daß wir als Konsequenz unserer Verteidigungsbereitschaft die Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses in den vergangenen Jahren immer wieder zu verbessern gezwungen waren. Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit haben wir auch mit Interesse den Hinweis von General Haig vernommen, wonach sich der Bereitschaftsgrad des Bündnisses erhöht habe, die Panzerdepots wieder auf Sollstärke gebracht und Munitionslager wieder aufgefüllt worden seien. Und er sagt, schon dies allein würde den Warschauer Pakt zu verstärkten und damit erkennbaren Maßnahmen für den Fall zwingen, daß er eine militärische Aggression beabsichtige.Meine Damen und Herren, ich habe dies nicht nur ausgeführt, um nachzuweisen, daß die Forderungen und Schlußfolgerungen der Opposition in die Irre gehen müssen, weil die Prämissen ihres Denkens falsch sind. Mir kam es auch darauf an, darzulegen, aus welchen Gründen wir die Lage anders und damit realistischer beurteilen. Lassen Sie mich zu diesem Punkt zusammenfassend noch einmal sagen: Trotz einer ganzen Reihe beunruhigender Rüstungsmaßnahmen der Sowjetunion ergibt den Antworten der Bundesregierung zufolge ein Vergleich der Potentiale, daß die Nordatlantische Allianz insgesamt über eine Verteidigungskraft verfügt, die nicht hinter den Möglichkeiten des Warschauer Paktes zurückbleibt. Ich will nicht verschweigen, daß dennoch politische Unwägbarkeiten bestehen. Wie könnte es auch angesichts der Tatsache, daß sich zwei militärische Paktsysteme seit über 25 Jahren gegenüberstehen, anders sein? Doch gerade weil dies so ist, muß die Aufrechterhaltung der militärischen Balance durch eine zielstrebige beiderseitige und ausgewogene Politik der Entspannung ergänzt werden. In diesem Punkt hat die Opposition bis zum heutigen Tage bestätigt, daß von ihr keine konstruktiven Beiträge zu erwarten sind. Es ist beängstigend zu sehen, daß ihre Politik zum Thema Entspannung auch nicht die Spur einer Perspektive aufweist. Sicherheitspolitik ist für CDU und CSU längst zum Selbstzweck geworden. Die Risiken ihrer Politik sind daher gefährlich und kostspielig zugleich. Diese Politik fördert den Rüstungswettlauf und behindert die Entspannung. Ihre Verwirklichung brächte nicht mehr Sicherheit, sondern erhöhte die Unsicherheit.An dieser Stelle möchte ich einige Fragen an die östliche Seite richten, deren Beantwortung vielleicht dem Prozeß der Entspannung dienen könnte.
— Wie unsinnig Ihre Bemerkungen vorhin gewesen sind, können Sie daran erkennen, Herr Kollege Wörner,
daß wir durchaus bereit sind, beide Seiten darzustellen. Das ist genau das, was wir bei Ihnen immer vermissen. Es geht um folgendes Problem dabei. — Wir haben in der Bundesrepublik sehr aufmerksam die Rede des Ersten Sekretärs der KPdSU, Herrn Breschnew, studiert, die er in Tula gehalten hat. Das Bekenntnis, daß Konflikte immer nur politisch und nicht militärisch gelöst werden dürften, findet selbstverständlich unsere völlige Zustimmung.
— Moment, ich komme ja darauf! Seien Sie doch nicht so nervös.Meine erste Frage wird durch eine Passage herausgefordert, in der es folgendermaßen heißt — ich zitiere —:Unsinnig, aber völlig unbegründet sind Behauptungen, daß die Sowjetunion angeblich über das hinausgehe, was für die Verteidigung ausreicht, daß sie angeblich eine Rüstungsüberlegenheit mit dem Ziel anstrebe, einen ersten Schlag zu führen.Wenn es zutrifft, daß die Sowjetunion nicht danach strebt, die Rüstungsüberlegenheit herzustellen, ist es allerdings vollkommen unverständlich, warum DDR-Armeegeneral Hoffmann in der Zeitschrift „Einheit" folgendes schreibt — ich zitiere wörtlich —:Die im zähen Kräfteringen der Nachkriegsjahre hart erkämpfte militärische Überlegenheit der Sowjetunion und ihrer Verbündeten über die imperialistischen Hauptmächte war es, die den Frieden sicherer, die antiimperialistischen Kräfte selbstbewußter gemacht und den weltrevolutionären Prozeß vorangebracht hat.Zweifellos handelt es sich hier um zwei völlig entgegengesetzte Aussagen zum Thema Rüstungsüberlegenheit der Sowjetunion. Es liegt auf der Hand, daß diese Diskrepanz ebensowenig geeignet ist, in diesem Punkt Zweifel zu zerstreuen, wie ein anderer Sachverhalt, der mich zu einer weiteren Frage führt. Ich meine die vorwiegend offensive Ausrüstung der Warschauer Pakt-Streitkräfte. Zahlreichen offiziellen Darstellungen der östlichen Seite ist zu entnehmen, daß Führungsgrundsätze, Stärke, Aufbau sowie Ausbau ihrer Streitkräfte offensiven Charakter haben. Die gewaltige Panzerarmee macht dies exemplarisch deutlich. Warum, so frage ich, haben die Führer des Warschauer Paktes so ent-
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Dr. Geßnerschieden, obwohl doch ihre Streitkräfte ausschließlich der Verteidigung dienen sollen? Ich will damit keineswegs andeuten, die Sowjetunion wolle sich in ein militärisches Abenteuer stürzen. Wir gehen nach wie vor davon aus, daß der Wille zur Entspannung bei der Sowjetregierung vorhanden ist.
— Ich kann darauf leider nicht mehr eingehen; denn meine Redezeit ist zu Ende.Nun mag man zwar diesen Zwiespalt zwischen der Beschränkung auf Verteidigungsbereitschaft einerseits und offensiver Ausrüstung andererseits mit strategischen Erwägungen zu erklären versuchen, indem man etwa sagt, im Falle eines Angriffes der NATO — der jedoch absolut ausgeschlossen ist; — müßte der Gegner sofort offensiv bekämpft werden können. Beunruhigend ist eine derartige Erklärung für uns dennoch. Es bleibt die Tatsache bestehen, daß diese Streitmacht im Falle einer Sinnesänderung tatsächlich aggressiv benutzt werden könnte.Wir sind der felsenfesten Überzeugung, daß wir alle Kräfte zu mobilisieren haben, um dem Rüstungswettlauf Einhalt zu gebieten. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß die Konzepte, soweit sie überhaupt von seiten der Opposition vorhanden sind, dem Gegenteil dienen. Ich sage Ihnen: Wir werden zu keiner vernünftigen verteidigungspolitischen Debatte kommen, wenn sich die Opposition nicht bemüßigt, den Realitäten ins Auge zu sehen. Realismus ist eine wichtige Grundlage unserer Sicherheit. Schon aus diesem Grunde ist die Verteidigungspolitik bei uns in den besten Händen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den drei letzten sicherheitspolitischen Debatten, die wir hier in diesem Hause geführt haben, ist dies die vierte sicherheitspolitische Debatte im ersten Jahr der 8. Legislaturperiode. Es ist zu begrüßen, daß sich dieses Hohe Haus vermehrt mit sicherheitspolitischen Fragen beschäftigt. Nur wird bei dieser Debatte wieder einmal deutlich, in welche Richtung die Opposition argumentiert und in welche Stoßrichtung die Argumentation der Oppositionsfraktion geht. Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, kommt es doch nicht darauf an, in dieser Debatte gemeinsam der Verteidigungs- und Entspannungpolitik zu dienen und Gemeinsamkeiten mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen aufzuzeigen, sondern Ihnen kommt es darauf an, die in den letzten Debatten schon aufgeschütteten Gräben noch zu vertiefen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich gemeinsam mit den Freien Demokraten für eine verteidigungs- und sicherheitspolitische Diskussion die Aufgabe gestellt, christdemokratischen Blendungen auf dem Felde der Sicherheitspolitik durch Aufklärung entgegenzutreten und von ihr geschürte Angstgefühle durch sachliche und nüchterne Informationen abzubauen. Es besteht weder ein politischer noch ein militärischer Grund zum Mißtrauen oder einer Minderung in das Vertrauen unserer Allianz.
Denn es besteht kein Grund, das Vertrauen gegenüber unseren Verbündeten zu mindern, ebenso wie wir keinen Grund zu mangelndem Selbstvertrauen haben; denn auch wenn der Warschauer Pakt — das ist von meinen Kollegen nicht bestritten worden
— seine Rüstungsanstrengungen verstärkt hat, die Bundeswehr ist seit 1970 quantitativ und qualitativ stärker geworden.
— Das stimmt, Herr Dr. Wörner.
Die Bundeswehr ist keine Offensivstreitmacht. Wer das will, verstößt eindeutig gegen die Verfassung.
Sie ist auf Grund der Ausrüstung, Logistik und Infrastruktur sowie ihrer Einbindung in die Allianz gar nicht in der Lage, einen Angriff zu führen.
Wohl aber ist sie in der Lage, ihre Aufgabe, nämlich Kriegsverhinderung durch glaubwürdige Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft, im Bündnis gemeinsam mit den Verbündeten zu erfüllen. Wir haben dafür gesorgt, daß die Bundeswehr ihren politischen Auftrag, den Frieden zu bewahren, ge-
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Jungmannmeinsam mit den verbündeten Streitkräften besser erfüllen kann als je zuvor.
— Herr Biehle, ehe Sie Zwischenrufe machen, sollten Sie sich erst einmal informieren. Ich habe meinen Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet, ja vielleicht länger in der Bundeswehr gedient, als Sie für möglich halten.Gelegentlich passiert es selbst dem sonst so destruktiven Herrn Strauß, der ja leider bei dieser Debatte nicht anwesend ist, aber sich am letzten Sonntag exklusiv aus Kanada in „Bild am Sonntag" zur Verteidigungspolitik geäußert hat, das zuzugeben. Er sagte — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —: „Unser starker militärischer Beitrag gibt uns auch das Recht, Entscheidungen mitzutragen." Die Vielseitigkeit des Herrn Strauß zeigt sich daran, daß er die Bundeswehr noch vor zwei Jahren als „Operettenarmee" bezeichnet hat. Mit dem jüngeren Zitat bestätigt er, daß unser Verteidigungsbeitrag im Bündnis zumindest ausreichend ist, und widerspricht gleichzeitig den Forderungen der verteidigungspolitischen Sprecher der Union. Die Opposition muß sich daher fragen lassen, was denn nun eigentlich gilt: Sind die Leistungen der sozialliberalen Bundesregierung im Bereich der Verteidigungspolitik ausreichend oder nicht?
Herr Wörner sagt — das nicht erst seit heute, sondern schon seit 1971 —, daß sie gerade noch ausreichen. Wir sind der Auffassung: sie sind ausreichend. Noch nie wurde die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr von unseren Bündnispartnern mehr anerkannt und respektiert als heute. Bei einer Verteidigung des NATO-Mittelabschnitts würde die Bundeswehr die Hauptlast tragen. Unter den europäischen Alliierten ist sie dafür am besten gerüstet. Laut Generalsekretär Dr. Luns hat sie sich — unter Abzug des atomaren Potentials — zur drittgrößten militärischen Macht der Welt entwickelt. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß das nicht nur im Osten, sondern auch im Westen — freilich in unterschiedlicher Stärke und aus unterschiedlichen Gründen — auf Kritik stößt. Auch wir Deutschen selbst sollten in Anbetracht unserer Geschichte diese neue Rolle kritisch und zurückhaltend betrachten. Sie berechtigt nicht zu Stolz, sondern sie ist Bürde.Die Bundesrepublik leistet in diesem Bündnis den Verteidigungsbeitrag, der den wirtschaftlichen Möglichkeiten unseres Landes entspricht und der schließlich zu Recht auf die Finanzierbarkeit anderer wichtiger Staatsaufgaben, z. B. in der Sozial- und der Bildungspolitik, Rücksicht nimmt. Wir Deutschen können zwar stolz auf die Leistungsfähigkeit unseres Landes sein. Die Konsequenz, die sich daraus in der NATO für uns ergibt, tragen wir aber nicht mit dem überheblichen Stolz à la „Wir sind wieder wer", sondern in der Verantwortung vor unserer Geschichte und der daraus erwachsenden Verpflichtung, aktiv unseren Beitrag für eine friedliche Zukunft zu leisten.
Das Bündnis hat Kriterien entwickelt, die der Vergleichbarkeit des Beitrags der Mitgliedsländer zur gemeinsamen Verteidigung dienen sollen. 1969 lag die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Verteidigungsausgaben in absoluten Beträgen hinter den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien an vierter Stelle. Seit 1970, also seitdem Sozialdemokraten die Verantwortung in der Verteidigungspolitik tragen, leistet die Bundesrepublik nach den Vereinigten Staaten den zweithöchsten Beitrag.Über den angeblich desolaten Zustand des Atlantischen Bündnisses und der Bundeswehr ist in der letzten Zeit wieder einmal mehr gesagt und gemutmaßt worden, als der Sache und der sachlichen Diskussion guttut. Die NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa haben ihre Geräte modernisiert und durch Umstrukturierung der Verbände an Kampfkraft gewonnen. Sie sind in der Lage, auf Grund des Panzerabwehrpotentials ihre Aufgabe zu erfüllen.
Das Panzerabwehrpotential der Bundeswehr wird ill Zukunft noch erheblich verstärkt werden. Durch qualitative Überlegenheit kann dann der quantitative Vorsprung des Warschauer Pakts ausgeglichen werden.
Wir haben keinen Anlaß, was den Verteidigungsbeitrag der Bundeswehr angeht, unser Licht unter den Scheffel zu stellen.
Wir haben den Ausrüstungsstand der Bundeswehr nicht nur erhalten, sondern sogar erheblich verbessert.
— Den Ausrüstungsstand! Sie müssen zuhören!Die Bundeswehr hat einen sehr hohen Ausbildungsstand. Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Ausbildung in der Bundeswehr sind die Maßnahmen zur Ausbildung der Soldaten verbessert worden und werden in Zukunft noch erheblich ver- bessert werden.Wir können Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und den Einsatzwillen der Soldaten haben. Wir haben im Bereich der materiellen Ausstattung der Bundeswehr alles finanziell Machbare und Vertretbare getan, um unseren Soldaten das Rüstzeug an die Hand zu geben, das erforderlich ist, um gemeinsam mit unseren NATO-Partnern den Krieg zu verhindern und damit die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses aufrechtzuerhalten.
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JungmannHinzu kommt, daß die Entspannungsbemühungen der Bundesregierung fortgesetzt werden müssen. Für die Zukunft gilt: neben der Erhaltung und Verbesserung der Ausrüstung sind die Probleme der Soldaten im Bereich der Vorsorge und Fürsorge und im sozialen Bereich anzupacken und einer akzeptablen Lösung zuzuführen. Der Bundesminister der Verteidigung hat hierzu schon Ausführungen und Ankündigungen gemacht. Ich bin zuversichtlich, daß wir auf diesem Gebiet genauso wie auf dem Gebiet der Ausrüstung der Bundeswehr in den. nächsten Jahren ein Stück vorankommen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Damm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen Augenblick habe ich bei dem Kollegen Jungmann eben gedacht: Wir haben wirklich die Bundeswehr erst, seitdem es einen sozial-demokratischen Verteidigungsminister gibt.
— Nein, ich finde wirklich, meine Damen und Herren, daß wir auf dieser Ebene die Diskussion nicht weiterführen sollten.
Im übrigen wissen mindestens die Geschäftsführer, daß die CDU/CSU-Fraktion angeboten hatte, diese Diskussion möglicherweise um 17 Uhr zu beenden. Wir haben großes Verständnis dafür, daß es eine Art, sagen wir einmal, Jungfernrednerstau gibt.
So sind wir mit dieser Debatte also noch beschäftigt. Ich habe den Auftrag, für meine Fraktion noch ein paar Bemerkungen zu machen.
Ich möchte, um wirklich die Diskussion zu führen und zur Sache zu kommen, Schätzchen,
auf Herrn Geßner eingehen. Herr Dr. Geßner, dem Sinne nach und fast wörtlich haben Sie gesagt, kein General sei in der Lage, uns, der Opposition, unsere stumpfsinnige Obstruktionspolitik auf diesem Gebiet auszureden, weil wir alles besser wüßten, als es uns die Generäle selber darstellen könnten. Das war der Sinn Ihrer Worte.
— Ja, das haben Sie behauptet. Nun möchte ich Sie mit einigen Fakten, die ja nicht ich hier behaupte, sondern die in der Antwort der Bundesregierung auf unsere beiden Großen Anfragen stehen, die also von dieser Regierung uns, dem Parlament, als Material zur Überlegung genannt werden, nicht konfrontieren, sondern sie Ihnen noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, um Ihnen Gelegenheit zu geben —
wenn es überhaupt der Sinn von Debatten ist, daß man aufeinander hört —, sich wenigstens selber zu überlegen, daß eine Aussage, wie Sie sie gemacht haben, wirklich nicht dazu führen kann, daß wir hier überhaupt zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik kommen.
— Aber sicher wollen wir das; denn es ist unser Land wie Ihres, das hier verteidigt werden soll — um hier wirklich einmal ernst zu sprechen. Wir haben doch hoffentlich gemeinsam ein Interesse daran, das. zu ermöglichen. Darum kann ich nicht verstehen, warum Sie von vornherein bezweifeln, daß wir überhaupt gemeinsame Verteidigungspolitik machen wollen.
Ich nenne Ihnen vier Beispiele aus der Antwort der Bundesregierung. Das erste Beispiel:
Die Verstärkung der Landstreitkräfte des Warschauer Pakts in Mitteleuropa ist im Weißbuch 1975/76 im einzelnen dargestellt. Seither liegen keine Erkenntnisse vor, daß sich diese Zunahme weiter fortgesetzt hat. Die Steigerung der Kampfkraft der östlichen Landstreitkräfte durch bessere Qualität der Waffensysteme geht jedoch unvermindert fort.
Dann wird hier berichtet, daß wir auf der anderen Seite inzwischen 900 T 72 hätten.
Ein zweites Zitat. Es wird gesagt, in der gleichen Zeit — nämlich seit 1973, seit Beginn der MBFR-
Verhandlungen —, wo hier ausdrücklich festgestellt wird, daß wir unser Personal nicht verstärkt hätten, habe der Warschauer Pakt seinen Personalbestand aufgestockt, die Zahl der Kampfpanzer erheblich erhöht, die Kampfkraft seiner Divisionen verstärkt usw.
Ein drittes Beispiel.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geßner? — Bitte.
Herr Kollege Damm, können Sie sich nicht daran erinnern, daß ich in meiner Rede das Resümee dieser. Ausführungen zitiert habe?
Gut, dann kann ich aufhören, es weiter 'zu zitieren, und Sie nur fragen: Können Sie sich nicht daran erinnern, daß sich alle unsere Redner auf dieses, wie Sie es nennen, Resümee, nämlich auf diese Fakten bezogen haben und sich bemüht haben, daraus Konsequenzen zu ziehen,
von denen wir allerdings meinen, daß sie realistischer sind als die Konsequenzen, die Sie daraus etwa ziehen?
— Ich bin gern bereit, noch eine weitere Zwischenfrage zuzulassen.
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Ja, bitte schön.
Aber sind Sie nicht bereit, auch auf die Seiten der Anworten einzugehen, die deutlich machen, daß das westliche Bündnis tatsächlich über die notwendige Stärke der Abschreckung verfügt? Das ist es ja, was ich bei Ihnen immer vermisse. Sie zitieren nur das eine und lassen das andere außer acht. Das ist Ihre Schwäche.
Lieber Herr Kollege Dr. Geßner, ich komme nachher bei dem, was ich mir selber vorgenommen habe — jetzt rede ich für die Fraktion —, zu dem Komplex Entspannung und Abrüstung und werde dann Ihre Frage beantworten. Das ist vielleicht besser, als wenn wir den Dialog so fortsetzen.Ich möchte eigentlich gern noch etwas sagen — alles sehr kurz — zum Komplex der Haltung der USA, zur Entspannung und Abrüstung, zur Gefahr eines neuen Antiamerikanismus und zum Komplex Gewaltverzicht. Der Kollege Neumann hat heute vormittag von diesem Platz aus gesagt, es wäre nun wirklich nicht richtig, jede Woche neu die Amerikaner aufzufordern zu erklären, daß sie selbstverständlich die Sicherheit Europas und insbesondere der Bundesrepublik garantierten. Ich kann Ihnen sehr zustimmen, daß es dafür keinen Grund gibt, schon gar keinen, das jede Woche zu tun, Herr Neumann. Aber ich wundere mich, daß Sie das nun ausgerechnet nach der öffentlichen Diskussion des Sommers dieses Jahres in der Verteidigungsdebatte sagen.Ich habe ja wirklich einen hervorragenden Kronzeugen, nämlich Ihren eigenen Verteidigungsminister, der hier ja nicht zu Unrecht sowohl den amerikanischen Präsidenten als auch seinen Kollegen, den amerikanischen Verteidigungsminister, mit Aussagen zu der Frage zitierte: Kann sich Europa auf Amerika verlassen, oder ist das nicht möglich? — Da sage ich Ihnen: Wir sind mit dem Verteidigungsminister und mit anderen Kollegen, die hier heute gesprochen haben, der Meinung, wir Europäer können uns auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen; sie werden ihre Bündnispflichten gegenüber diesem Kontinent und gegenüber diesem Land erfüllen.Meine Damen und Herren, ich füge aber auch hinzu: Wir alle sollten uns bemühen, unsere Stimme gegenüber diesem Bündnispartner in manchen Fragen möglicherweise noch deutlicher als bisher gemeinsam zu Gehör zu bringen.Ich sage auch: Das alles ist nur möglich — nämlich sowohl, daß die Amerikaner ihre Pflicht erfüllen, als auch daß wir unsere Stimme in diesem Bündnis deutlich zu Gehör bringen —, wenn die Europäer, und das schließt die Deutschen ein, die Pflichten auch wirklich erfüllen, die sie im Bündnis übernommen haben.Ich komme zum zweiten Komplex, nämlich zum Thema Entspannung und Abrüstung. Der Kollege Möllemann hat heute morgen zu diesem Thema gesagt, die Entspannungspolitik habe dazu beigetragen, die politische Lage in Europa zu stabilisieren. Ich bezweifele das.
Ich will auch gleich sagen, warum. Ich will aber zunächst wörtlich einen Satz aus der Antwort der Bundesregierung zitieren: „Auf dem Felde zwischenstaatlicher Beziehungen mit dem Osten sollen Entspannungsbemühungen mehr Stabilität erreichen."Die Bundesregierung ist also, was ich richtig finde, sehr viel vorsichtiger in der Beurteilung der Auswirkung der Entspannungspolitik auf die erreichte oder eben nicht erreichte, sondern zu erreichende Stabilität, als es etwa in dem Debattenbeitrag von Herrn Möllemann anklang.Meine Damen und Herren, worin liegt denn der Widerspruch zwischen der Feststellung von Herrn Möllemann und den Tatsachen? Ich könnte auch fragen: Woran liegt es, daß wir alle miteinander ein verdammtes Unbehagen haben? Woran liegt es überhaupt, daß Themen wie die, über die wir heute diskutieren, einen ganzen Sommer lang soviel Aufmerksamkeit nicht nur in der deutschen Presse, sondern auch anderswo finden? Es liegt ja nicht nur daran, daß die Journalisten nicht wissen, worüber sie sonst schreiben sollen, wie der Verteidigungsminister in einem Nebensatz meinte.Es liegt doch daran, daß wir in den letzten Jahren folgendes erlebt haben. Da hat es Verträge gegeben, da hat es Entspannungspolitik gegeben — oder die Regierung hat gesagt: Das ist Entspannungspolitik—, da hat es z. B. einen sich beträchtlich ausweitenden Osthandel gegeben. Da hat es Besuche gegeben von Moskau nach Bonn und umgekehrt, teilweise mit Bruderkuß usw. Aber in all den Jahren erleben wir eine Aufrüstung eben genau dieser Sowjetunion, wie man sie sich eigentlich im Traum nicht vorgestellt hätte.
Das sind ja doch die Fakten. Darum meine ich, man muß als deutscher Parlamentarier wohl in der Lage sein, folgendem Satz zuzustimmen: Wirkliche Entspannungsergebnisse wird es erst dann festzustellen geben, wenn die Sowjetunion in der Lage ist, sich dazu durchzuringen, abzurüsten und Parität z. B. in Mitteleuropa herzustellen.
Das ist eben noch nicht der Fall. Darum sind wir allerdings mißtrauisch. Ich finde, der NATO-Grundsatz „Wachsamkeit" — das ist ja das gleiche wie Mißtrauen — „ist der Preis der Freiheit" ist doch ein vernünftiger Grundsatz. Sie stimmen ja diesem NATO-Motto auch zu. Warum sollten wir uns also nicht tatsächlich darauf einigen können, daß wir allen Grund zur Sorge haben? Ihr Verteidigungsminister hat einen Satz gesagt, den ich hier gerne einmal zitieren will, den ich sehr richtig finde. Herr Minister Leber, Sie haben gesagt, die sowjetische Führung mache manchmal den Eindruck, daß sie nicht
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Dammrichtig ermesse, was sie mit ihrer Rüstung im Westen anrichtet. Ich bin ganz Ihrer Meinung.Wenn es ihr wirklich auf Entspannung und auf weitreichende Früchte dieser Entspannung, z. B. im wirtschaftlichen Bereich, ankäme, dann müßte doch die sowjetische Führung auch einmal darüber nachdenken, daß ihre Aufrüstung uns und den Westen insgesamt ja doch wohl beunruhigen muß. Im übrigen ist es uns erschwert, z. B. wirtschaftliche Hilfe ihr und anderen Ostblockstaaten zu leisten, dann nämlich, wenn wir miteinander feststellen, daß es schwierig ist, das notwendige zusätzliche Geld zu finden, um dieser Aufrüstung wenigstens minimal etwas entgegenzuhalten. Da das da drüben ja alles keine dummen Leute sind, frage ich mich in der Tat mit Ihnen: Warum ermißt die Sowjetunion nicht, daß das 'bei uns solche und andere Auswirkungen hat? Sie wissen es auch nicht genau.Ich darf vielleicht eine persönliche Vermutung äußern, Herr Minister. Ich glaube, daß es der Sowjetunion wichtiger ist, sich ein militärisches Übergewicht zu verschaffen, als alle anderen politischen Ziele, die sie sonst auch noch anzustreben sich bemüht. Das ist mein Eindruck,
meine Befürchtung. Es ist ja wahrscheinlich auch nicht falsch, daß das die eigentlichen Überlegungen in Moskau sind. Ich glaube, daß ich für die Union sagen darf, daß wir uns erfolgreiche Entspannungspolitik ohne eine Verminderung des sowjetischen militärischen Drohpotentials nicht vorstellen können.
Darum wollen wir uns alle Mühe geben, etwas zum Erfolg zu führen, von dem der eine oder andere Kollege hier heute in der Debatte den Eindruck erweckt hat, als ob wir es gar nicht wollten, nämlich Abrüstung. Vielleicht darf ich in aller Bescheidenheit noch einmal darauf hinweisen, daß, wenngleich der Außenminister zu der Zeit von der SPD gestellt wurde, der Bundeskanzler von uns gestellt wurde, als die Bundesrepublik gemeinsam mit anderen Verbündeten in Reykjavik 'das sogenannte Signal von Reykjavik, den Vorschlag, MBFR-Verhandlungen einzugehen, setzte.Es ist eine gemeinsame Plattform. Wir haben gar keine Mühe, uns für MBFR auszusprechen. Herr Dr. Geßner, das ist eben bei Ihnen eine Vorstellung. Sie haben von dem Konservativismus geredet, der nichts anderes im Kopf habe, als möglichst viele Waffen zu haben. Bitte, Sie müssen es ja nicht gefühlsmäßig bejahen. Aber nehmen Sie einfach verstandesmäßig zur Kenntnis: Wir sind für Abrüstung.
— Ich meine, daß der Parlamentarismus davon lebt, daß man davon ausgeht, daß immer noch eine Chance besteht, mindestens rational etwas zu erreichen. Wenn das nicht mehr die Grundlage ist, können wir aufhören, hier überhaupt noch weiter zu reden. Also gehen Sie bitte davon aus: Wir wollen Abrüstung. Aber wir wollen Abrüstung so, wie die NATO sie seit Jahren will: unter Wahrung der Parität.Wir stellen fest, daß 'die Sowjetunion gar nicht willens ist, Parität herzustellen, so daß sie auch gar nicht beibehalten werden kann. Ich bin der Meinung, daß wir in Wien seit Jahren hingehalten werden. Ich finde, wir haben deshalb allen Grund, mit dem Außenminister und dem Verteidigungsminister in diesen Verhandlungen für langen Atem zu plädieren. Ich muß darauf verweisen, daß in diesen Zusammenhang in der Tat das gehört, was der Kollege Pawelczyk mit Recht in einen Bericht für die Nordatlantische Versammlung hineingeschrieben hat. Ich darf, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung einen Absatz zitieren:Die ungefähre Parität zwischen der NATO und ,dem Warschauer Pakt dürfte angesichts des sowjetischen Rüstungstempos nur noch bis in die 80er Jahre Bestand haben, wenn es im bisherigen Ausmaß fortgesetzt wird, ohne daß die NATO entsprechende rüstungspolitische Maßnahmen trifft.Er spricht natürlich von der globalen Parität, denn konventionell haben wir sie nun ja mit Sicherheit nicht.Deshalb muß jetzt diese Zeit intensiv genutzt werden,— dem könnte ich auch zustimmen —um zu einem Abkommen zu gelangen, das den weiteren Aufwuchs zunächst im MBFR-Reduzierungsraum unterbindet. Scheitert dieser Versuch,— das ist der entscheidende Satz —reicht die Zeit aus, Idaraus die nötigen verteidigungspolitischen Konsequenzen zu ziehen.Herr Pawelczyk ist dafür; er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, daß, wenn die MBFR-Verhandlungen nicht zu dem notwendigen Erfolg führen, der Westen gewissermaßen zulegen muß. So ähnlich hat der Verteidigungsminister das auch mehr als einmal öffentlich ausgedrückt. Herr Pawelczyk, ich erwähne das hier deshalb, weil ich deutlich machen will, daß ich meine Zweifel an Ihrer Gewißheit habe, daß die Zeit in jedem Fall reiche, um dann die notwendigen Schritte vorzunehmen.
Ich will es einmal ganz platt formulieren. Es ist eben nicht so, daß etwa fehlende Munition — wie Brötchen beim Bäcker — gekauft werden kann, sondern das ist doch ein Vorgang — da muß etwas geschehen —, über den wir im Ausschuß alle miteinander gesprochen haben. Wir Ausschußmitglieder wissen, daß wir im Herbst dieses Jahres — es wird gar nicht lange dauern, dann wird der Vorsitzende dieses Thema sicherlich auf die Tagesordnung setzen — über die Mängel in diesem Bereich reden müssen, weil ja auch das Ministerium das so sieht wie der Ausschuß — —
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Ich möchte nur zuerst den Satz zu Ende führen. Ich war noch mitten drin; da war ein Komma, Frau Präsidentin: ..., dann ist uns allen miteinander doch klar daß das eben einen Zeitraum von mehreren Jahren umfaßt. Das mögen Sie als einen zusätzlichen Beweis dafür sehen, wie skeptisch wir sind, daß das Richtige rechtzeitig zur Verfügung stehen wird. — Bitte!
Herr Kollege Damm, ich bin Ihnen dankbar für dieses Zitat. Sind Sie mit mir der Meinung, daß wir verantwortungsbewußt zum Wohle unseres Landes gerade über diesen so wichtigen Aspekt miteinander diskutieren können, wenn wir eben gerade diesen einen Punkt, den Sie herausgearbeitet haben, ebenso miteinander ausdiskutieren, wie Sie es jetzt eingeleitet haben? Es ist richtig: Hier gibt es eine unterschiedliche Auffassung über die Zeit, die wir noch haben, um mit außenpolitischen Mitteln zu versuchen, diesen Erfolg zu erreichen. Das ist genau richtig, und hierüber muß man doch verantwortungsbewußt miteinander streiten. Was mir in hohem Maße mißfällt: Nicht Sie, aber Kollegen von Ihnen tun so, als ob alle Kollegen, die diese Auffassung mit mir teilen, auf die andere Seite gehörten.
Herr Pawelczyk, ich stimme Ihnen zu: Das muß ausdiskutiert werden. Sie werden mir aber sicher zustimmen — ich will das MBFR-Thema im übrigen nicht weiter vertiefen —, daß parallel dazu auch diskutiert werden muß: Was müßte denn etwa geschehen, wenn das aus dem sachlichen Grund scheitert, daß das eben keine Entscheidungen sein können, deren Wirkung von einem Tag zum anderen eintreten wird, anders ausgedrückt: weil wir eine Menge Vorlauf brauchen werden, bis sich das auswirkt.
— Ja. Herr Pawelczyk, der Punkt, wo wir kritisch sind und bei dem ich das, was Herr Dr. Mertes schon mehrfach öffentlich gesagt hat, voll unterstütze, ist: Wir haben allen Grund, vorsichtig zu sein mit Vorschlägen, die sicher nicht in der Absicht, aber möglicherweise in ihrer Auswirkung die westliche Position schwächen könnten.
— Herr Pawelczyk, das ist auch richtig. Aber meinen Sie nicht, daß es, wo wir doch alle miteinander in dem Abrüstungsausschuß sind, dem Sie vorsitzen, z. B. richtiger wäre, dort solche Vorschläge mit den Vertretern der Regierung zu diskutierenund sie nicht partout öffentlich zu machen, weil eben die Öffentlichkeit natürlich Wirkung auch in Wien, in Moskau oder anderswo hat?
Ich möchte nun, was die Konsequenzen, die verteidigungspolitischen Konsequenzen angeht, die möglicherweise gezogen werden müssen, von denen ich aber befürchte, daß sie möglicherweise nicht rechtzeitig gezogen werden, doch sagen: Es gibt nach meiner Meinung einen Widerspruch zwischen einer Aussage in der Antwort der Regierung und einer Äußerung, Herr Minister Leber, die zu Anfang der Sommerpause von Ihnen gemacht worden sein muß. Sie befindet sich in einem langen Interview in der „FAZ", in einem. Interview mit Herrn Weinstein, von Ihnen in Anführungsstrichen wiedergegeben worden. Ich wäre ja froh, wenn Sie sagen würden: So habe ich das nicht gesagt. Nur, ausführlich ist über die Bedeutung der Abschreckung und über die Bedeutung der dreifachen Form der Abschreckung dessen, was die NATO Triade nennt, geredet worden. In diesem Interview findet sich folgender Satz — ich lese ihn ohne den Druckfehler vor, damit mir nicht gesagt wird, ich hätte das falsch zitiert; da steht „Tirade", aber gemeint ist „Triade"; aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hinaus will —:Die konventionelle Seite der Triade ist alsAbschreckungshaft glaubwürdig geworden.In der Antwort, die Sie selber gegeben haben, wird gesagt: Aber Abschreckung allein mit konventionellen Mitteln ist nicht möglich.Ich will das gar nicht zu einem Hauptthema machen, sondern ich will nur deutlich machen, daß solche Äußerungen, Herr Minister, natürlich zu Verwirrungen führen. Denn einerseits heißt es „Das hat Herr Leber gesagt", andererseits aber sagt er über 20 Seiten, wieviel Schwächen wir konventionell haben. Was ist denn nun richtig? Ihrem Nicken entnehme ich, daß Sie diesen Satz in der „FAZ" nicht aufrechterhalten, daß Sie also nicht davon ausgehen, wir hätten auf der Seite unseres Bündnisses eine konventionelle Streitkraft, die man als glaubwürdigen Abschreckungsteil konventioneller Art ansehen könnte. Das heißt also: Hier haben wir Schwächen. Mir kam es darauf an, das jedenfalls klargestellt zu sehen.Ich möchte noch, meine Damen und Herren, ein Wort zu einer, wie ich meine, fahrlässigen Untersuchung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dieser Antwort sagen. Die Fraktionen von SPD und FDP haben unter der Frage I Ziff. 7 folgendes gefragt:Könnte sich aufgrund waffentechnologischer oder politischer Entwicklungen die Notwendigkeit ergeben, unter den drei wichtigsten Elementen der geltenden NATO-Strategie ... neue Schwerpunkte zu setzen?Hier ist also nach waffentechnologischer Entwicklung gefragt worden. Ich hätte mir gewünscht —nun sind wir ja nach diesem Sommer alle miteinan-
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Dammder schlauer —, die Regierung hätte diese Frage der eigenen Koalitionsfraktionen zum Anlaß genommen, über das zu reden, über das jetzt alle Welt — vor allen Dingen Herr Bahr — redet, nämlich über die Neutronenwaffen. Das, wonach Ihre eigenen Frakionen gefragt haben, ist ja nun zweifelsohne ein Teil waffentechnologischer Entwicklung, der zu möglichen Konsequenzen, strategischer, politischer und sonstiger Art führen kann.In der ganzen Antwort findet sich jedoch weder das Wort „Neutronenwaffe" — Sie sagen, das liege daran, daß die plötzlich ein neues Wort dafür gefunden hätten — noch der Begriff „verstärkte Strahlung", auf englisch: enhanced radiation. Der ganze Bereich wird in der Antwort auf die Großen Anfragen nicht behandelt, obwohl 20 Seiten, auf denen Sie Ihre Sicherheitspolitik darstellen, eine ganze Menge sind. Ich finde, das ist eine fahrlässige Unterlassung. Angesichts der Tatsache, daß Herr Bahr bar jeder Kenntnis durch die Gegend gelaufen ist und Äußerungen getan hat, die auch von Ihnen nicht geteilt werden — Gott sei Dank! —, muß ich sagen: Hätte da vorher etwas drin gestanden, hätte ich jedenfalls die schwache Hoffnung gehabt, daß sich dieser Mann vielleicht daran orientiert hätte. Uns wäre vieles erspart geblieben.
— Ja, ohne Kenntnis hat er sich geäußert.
— Ich glaube, wir haben vorhin in den Äußerungen zur Sache „Neutronenwaffe" selbst deutlich gemacht, daß wir mit dem, was die Regierung dazu im Ausschuß und öffentlich zu sagen hatte, übereinstimmen. Sie können also nicht davon ausgehen, daß hier Unkenntnis zugrunde gelegen hat.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte nun zum Schluß kommen.
Ich wollte gern sagen, daß ich mit großem Interesse gelesen habe, daß Professor Carl-Friedrich von Weizsäcker am Rande der Pugwash-Konferenz dem Sinne nach davon gesprochen hat, ohne das Vorhandensein von Atomwaffen wäre der dritte Weltkrieg schon ausgebrochen. Ich glaube, daß der Grundsinn dieser Äußerung richtig ist. So entsetzlich es ist — das ist heute mehrfach gesagt worden —, daß diese Waffen notwendig sind, um den Krieg gar nicht ausbrechen zu lassen: Wir kommen nicht darum herum, uns diese Erkenntnis neu zu verschaffen, so wie es vor 20 Jahren nötig war, sich diese Erkenntnis hart zu erkämpfen. Aber wehe uns, wenn wir zu dieser neuerlichen Erkenntnis nur über eine neuerliche Anti-Atom-Kampagne kommen! Angesichts dessen, was sich heute auf dem Sektor der zivilen Kernkraft an Kampagnen, Demonstrationen und Gewalttätigkeiten abspielt, eröffnet sich hier für die, die diesen Staat gar nicht wollen, ein Feld,vor dem uns grauen muß, weil die Auseinandersetzungsmöglichkeiten hier noch viel größer sind, als ,sie auf den bisherigen Feldern schon sind.Darum wünsche ich mir, daß es, beginnend mit dem, was wir gestern im Verteidigungsausschuß zu diesem Thema gehört haben, über die heutige Sitzung hinweg, wirklich zu einer breiten Gemeinsamkeit in der Verantwortung und auch Argumentation hinsichtlich dieses neuen Teils im nuklearen Spektrum gegenüber der Bevölkerung kommt, damit die, die mit ihren Kampagnen ganz andere Ziele verfolgen, eben wirklich gar kein Feld für ihre Betätigung haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möhring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da sich die ungeheure Begeisterung für sicherheitspolitische Themen gelegentlich auch am mäßig gefüllten Plenarsaal ablesen läßt, möchte ich mich nur auf zwei Bemerkungen beschränken, und ich möchte in aller Kürze die Gelegenheit benutzen, die Ausführungen des Herrn Kollegen Biehle zu den Punkten „KDV" und „Wehrstruktur" nicht unwidersprochen zu lassen.Nachdem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrer Nichtigkeitsklage wieder einen Weg beschritten haben, der, wie ich meine, die Tür dafür weit aufmacht, daß ein Gericht zum Schiedsrichter über die Politik des deutschen Parlaments aufgerufen ist,
frage ich Sie: Wissen Sie eigentlich, was Sie mit diesem überstrapazierten Verfahren tun? Wissen Sie eigentlich, daß Sie damit einer Entwicklung Vorschub leisten, die zur Staatsverdrossenheit des Bürgers führen muß, weil damit ständig Zweifel in die Funktionsfähigkeit unseres demokratischen Mehrheitsparlamentarismus gesetzt werden?
Ich möchte zum Bereich „Kriegsdienstverweigerung" einiges Grundsätzliche sagen. Die SPD/FDP- Koalition kann bestimmt dem Gedanken nicht folgen, den der Bundeswehrverband in der Juli-Ausgabe seiner Zeitschrift beschreibt. Er sagt — ich zitiere mit Genehmigung —:Der Deutsche Bundeswehrverband bekräftigte noch einmal, daß es auch andere Wege gibt, die Unzulänglichkeiten des bisherigen Prüfungsverfahrens zu beseitigen, u. a. durch Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens.Der Verband hat anscheinend das Zentralproblem der untragbar gewordenen Prüfinhalte des bisherigen Verfahrens nicht erkannt und meint, Gewissensprobleme mit Organisationskosmetik ausräumen zu können. Verfahrensbeschleunigung wird auch angestrebt, aber nicht nur sie.
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MöhringEs geht auch nicht darum, wegen gegenwärtig problemloser gewordenen Bedarfsdeckungszahlen auf eine KDV-Prüfung zu verzichten. Obwohl Zahlen eine Rolle spielen, sind sie für unser politisches Wollen nicht das zentrale Thema. Es geht uns darum, eine gelegentlich bis zur Würdelosigkeit verkrampfte Prüfungspraxis des menschlichen Gewissens zu beseitigen; denn es hat sich erwiesen: Menschliches Gewissen ist unprüfbar. Versuchen Sie daher nicht, von dieser Kernfeststellung abzulenken und in opportunistische Überlegungen auszuweichen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Ich unterliege leider auch der Zeitbeschränkung, die Sie, von der Opposition, beantragt haben. Ich bitte daher, daß wir im Zeitplan bleiben.Auch die von Herrn Biehle angesprochene und von uns erwartete Bugwelle von Antragstellern, die allein durch die Verzögerungstaktik der Opposition im Gesetzgebungsverfahren entstanden ist, kann uns nicht von unserem Vertrauensvorschuß in das Verantwortungsbewußtsein unserer Jugend abbringen. Wir danken der Bundesregierung und besonders auch Minister Georg Leber, daß sie dies in ihrer Antwort noch einmal ausdrücklich betonen.Wenn Sie sich schon mit Zahlen beschäftigen möchten, Herr Kollege Biehle, so verwenden Sie bitte zur korrekten Trendermittlung nur Ganzjahresdurchschnittszahlen. Diese stehen erst Mitte 1978 zur Verfügung. Eine Art Blitzlichtaufnahme zeigt aber, daß zur Hektik, etwa zu einer Einstweiligen Anordnung überhaupt kein Anlaß besteht. Der Bedarfsdeckungsquotient von 1 : 2,72 des Einberufungstermins Oktober 1977 ist noch weitaus günstiger als die bereits sehr gute Wehrersatzlage des Vorjahres mit einem Quotienten von 1 : 1,95. Herr Biehle, Ihre Sonthofener Schocktherapie mit den ungeheuren Steigerungsraten von Juli und August ist, wie ich meine, ein einsamer Knallbonbon.
Abschließend diese Bemerkung zu diesem Thema: Sie können versichert sein, meine Damen und Herren, die allgemeine Wehrpflicht als die zur Zeit beste Wehrform wird von der SPD/FDP-Koalition nicht angetastet!Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen zur Wehrstruktur und zur Reservistenkonzeption. Da die Planungen für eine neue Bundeswehrstruktur erst im Herbst abgeschlossen sind, sollten wir allen Beteiligten noch die notwendige Zeit geben, das beste Ergebnis für unser Parlament vorlagereif zu machen. Dies gilt besonders für den geplanten zentralen Unterstützungsbereich, Modell 3, um den sich in der journalistischen Sauregurkenzeit dieser Sommerpause auch einige angeblich spektakuläre Auffassungsunterschiede rankten.Ein Detail der vorläufigen Feststellungen erscheint schon heute erfreulich, nämlich daß bei verkleinerten Einheiten der Kompaniechef endlich für seine originären Aufgaben von Erziehung, Ausbildung und Führung freigesetzt wird und die bürokratische Belastung auf die Bataillonsebene transferiert wird.Eine Neuordnung der Bundeswehrstruktur kann nicht nur präsente Verbände, sondern muß auch den Mob-gestellten Verteidigungsanteil der Streitkräfte erfassen, denn unterschiedliche Gliederung, Bewaffnung, Ausrüstung und taktische Führungsgrundsätze von NATO- und nationalen Territorialverbänden würden eine wirkungsvolle Verteidigung äußerst erschweren. Die geplanten sechs schweren Jägerregimenter in Verbindung mit den sechs Heimatschutzkommandos unter gleicher Gliederung sind daher ein überzeugender nationaler Verteidigungsbeitrag in der Hand unserer Bundesregierung, und sie verstärken den Abschreckungseffekt.Ich kann verstehen, daß ganz besonders der engagierte Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V. schnelle Entscheidungen über eine künftige sinnvolle Nutzung möglichst vieler Reservisten wünscht. Herr Kollege Biehle hat das Wort „Ausnutzung" benutzt. Ich glaube, das war ein Versprecher.Aber auch hier ist Geduld geboten. Voreiligkeit könnte schaden. Sicher ist es unbefriedigend, Wehrpflichtige mit relativ hohem Kostenaufwand auszubilden und sie dann wegen unterschiedlicher Verwendungsarten oft nur kurzfristig in der Alarmreserve zu belassen. Eine hochtechnisierte Armee fordert jedoch hohe Einzelausbildungsinvestitionen. Meine Damen und Herren, wenn wir dadurch den Frieden erhalten könnten, sollten wir diese Investitionen auch sehr begrüßen.Völlig falsch wäre es, dem geheimen Oppositionswunsch des „Jeder muß mal gedient haben" nachzugeben. Wer dies fordert, der soll uns nicht nur den Sinn oder Unsinn erklären, der soll uns auch sagen, wie er dies bezahlen will.Wenn unsere . Reservisten, deren Zahl bis Mitte der 80er Jahre auf 3,5 Millionen angewachsen sein wird, im Verteidigungsumfang keine Verwendung mehr finden können — wir benötigen nur 800 000 —, dann sollten sie aber in der Personalreserve ihr Engagement verstärkt zur Verfügung stellen können, um den Bürger, der diese Verteidigung mit seinem Ja zu tragen und zu bezahlen hat, sicherheitspolitisch zu informieren. Hier liegt ein dankbares, aber sicher auch schwieriges Betätigungsfeld. Für diese Reservisten, diese Mittler zwischen Truppe und Bürger, sollte dann der Begriff „Dienstliche Veranstaltungen" für zeitlich längere Anwendungen neu formuliert werden, damit ihre Truppenverbundenheit auch durch häufige Anwesenheit in der Truppe und selbstverständlich auch durch die Erlaubnis, häufiger Uniform zu tragen, erhalten bleibt.Erst dann, wenn über die neue Heeresstruktur entschieden und der territoriale Bereich harmonisiert ist, kann und muß die Reservistenkonzeption 1971 fortgeschrieben werden. Bis dahin ist das Parlament
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MöhringI allen Beteiligten für jede hilfreiche Anregung zur Sache dankbar.Das von Herrn Kollegen Biehle mit mehr schwarzen als weißen Farben gemalte Bild einer Bundeswehr, die es so in Wirklichkeit gar nicht gibt, ist dazu sicher kein besonders hilfreicher Beitrag gewesen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerstl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute wurde hier und damit in der Offentlichkeit der Eindruck vermittelt, daß es in der Bundeswehr drunter und drüber gehe und daß es vor allen Dingen in der Truppe in beängstigendem Ausmaß Unzufriedenheit gebe. Besucht man jedoch die Truppe, so werden sicher viele Wünsche vorgetragen, aber sowohl von den Truppenführern als auch von den Mannschaften wird übereinstimmend festgestellt, daß noch zu keiner Zeit seit Bestehen der Bundeswehr für die Ausrüstung, Bewaffnung, die Infrastruktur, die Bildung und die soziale Betreuung so viel getan wurde wie unter einem Verteidigungsminister Georg Leber.
In einer Zeit, die beileibe nicht frei war von Sorgen und unangenehmen Ereignissen, hat er beharrlich an der Verbesserung der Ausrüstung, Bewaffnung und Organisation gearbeitet und mit dem Ergebnis seiner Arbeit hohes nationales und internationales Ansehen gewonnen. Georg Leber hat erstmals die Forderung der NATO nach einer Stärke der Bundeswehr von 36 Brigaden mit 495 000 Mann ernstgenommen und den Weg zur Erfüllung dieser Forderung eingeschlagen. Es ist sein Verdienst, daß nach langen Jahren der Funkstille mit den Gewerkschaften das Gespräch aufgenommen und vertieft wurde und daß diese Bundeswehr in die Bevölkerung integriert ist wie nie zuvor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auf einige hier angesprochene Probleme zurückkommen. Da gibt es das Problem des Beförderungs- und Verwendungsstaus. Der Kollege Ludewig und der Kollege Biehle haben das Problem angesprochen. Ursache ist die unorganische Aufbauzeit der Bundeswehr. Die Geburtsjahrgänge 1925 bis 1934 sind erheblich unterpräsentiert, die Jahrgänge 1935 bis 1944 deutlich überbesetzt. Ich wiederhole noch einmal, was heute hier schon gesagt worden ist, daß diese Situation vorprogrammiert wurde zu einer Zeit, in der wir als Sozialdemokraten und Freie Demokraten nicht in der Verantwortung standen. Wir werden uns jedoch dem Problem stellen und eine Lösung anstreben, die dem Anliegen des betroffenen Personenkreises gerecht wird.
Ein anderes Kapitel ist die derzeitige Lage bei den Soldaten auf Zeit mit zweijähriger Verpflichtung. Die Bedeutung dieser Zeitsoldaten liegt nicht in der Abdeckung des Unterführerbedarfs in der zweijährigen Verpflichtungszeit, sondern darin, daß diese Soldaten Gelegenheit haben, sich selbst bezüglich einer Weiterverpflichtung zu prüfen, und die Bundeswehr ebenfalls prüfen kann, ob die Bewerber für eine Weiterverpflichtung geeignet sind. Der relativ hohe Anteil von Soldaten, die sich aus diesem Kreis dazu entschließen, auf längere Zeit den Soldatenrock zu tragen, ist hier von entscheidender Bedeutung.
Die Regierung hat bereits alle Vorbereitungen getroffen, um Einschränkungen des Haushaltsstrukturgesetzes wegen ihrer negativen Wirkungen wieder aufzuheben.
— Auch dazu werde ich noch ein paar Anmerkungen machen. Haben Sie aber bitte Verständnis, Sie wollten ja die Debatte bereits beenden.
— Bitte schön!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, ich freue mich, daß Sie hier auf Grund einer so hohen Informationsrate vortragen können. Sagen Sie doch bitte, wann, zu welchem Termin, unsere Z-2-Soldaten wieder mit ihren vollen Bezügen rechnen dürfen.
Wir werden diese Frage in sehr kurzer Zeit im Ausschuß behandeln.
— Dafür ist zunächst einmal die Regierung zuständig. Aber wir werden die Regierung in ihrem Bemühen unterstützen, daß das möglichst bald geschieht.
Die Gewährung der Bezüge vom ersten Dienstmonat ab und der neu zu schaffende Arbeitsplatzschutz für eine Verpflichtungszeit von zwei Jahren werden sicher eine Hilfe sein, um wieder mehr Z-2-Soldaten zu gewinnen. Sie haben heute hier vorgetragen, daß dieses Verfahren zu lange dauere, und die jetzige Frage schließt sich ja an. Ich meine, Sie sollten mit berücksichtigen, daß dieses Verfahren, daß dieses Vorhaben die Abstimmung mit den Ländern notwendig macht und daß über die Gewichtung der einzelnen Maßnahmen hinaus auch sehr unterschiedliche Meinungen bei der Truppe vorlagen.Je nach Waffengattung und Standort sind die Verhältnisse sehr unterschiedlich. Ich habe bei meinen Truppenbesuchen Standorte angetroffen, in denen
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Gerstl
der Bestand an Zeitsoldaten zu mehr als 100 % gedeckt war und auch langfristig gesichert werden kann.
Die Standortgebundenheit durch Familie und Besitz macht einen Ausgleich unter den Standorten außerordentlich schwer. Wir hätten heute ohne weiteres Möglichkeiten, genügend Zeitsoldaten zu gewinnen, wenn diese Mobilitätsprobleme nicht auch noch hier mit hineinspielen würden.Ich meine also, Maßnahmen bisheriger Art und Neuregelungen mußten sorgfältig untersucht und geprüft werden. Vielleicht spielen hier einige Monate nicht die große Rolle, wie Sie es darstellen. Hier besorgniserregende Zustände behaupten zu wollen, ist im Grunde verantwortungslos. Es hat in dieser Bundeswehr schon viel ungünstigere Personalverhältnisse gegeben. Die Verantwortung trugen damals andere. Damals hat aber niemand davon gesprochen, daß damit die Verteidigungsfähigkeit in Frage gestellt gewesen wäre.Ein weiteres Standardthema in der Tagespolitik ist das Zulagewesen. Viele Zulagen sind berechtigt, viele vom Grunde her und der Höhe nach fragwürdig. Sie stammen alle aus einer Zeit, in der wir nicht die Verantwortung trugen. Wir können so recht und schlecht mit ihnen leben. Doch wer meint, diese Zulagen, gleich welcher Art, könnten so angehoben werden, daß sie ein zweites, möglichst steuerfreies und ruhegehaltsfähiges Einkommen darstellen, sollte sich wieder ein klein wenig auf die Realitäten besinnen. Sicher gibt es unterschiedliche Gefährdungen und unterschiedliche Leistungsangebote, doch sie finden in einem hohen Maße schon in der Eingruppierung und Besoldung Berücksichtigung. Wir haben uns redlich bemüht, berechtigten Anliegen Rechnung zu tragen, müssen aber denen entschieden entgegentreten, die das Augenmaß verloren haben. Das schließt nicht aus, daß bei fortschreitenden Veränderungen im militärischen Bereich die Neueinführung von Zulagen geprüft wird. Diese Veränderungen sollten aber auch Anlaß sein, zu prüfen, ob nicht einige wegfallen müssen oder im Vergleich mit anderen eine andere Wertigkeit erhalten.Der Wehrsold ist zuletzt am 1. Januar 1974 erhöht worden. Eine Erhöhung um 1 DM täglich ist meines Erachtens im nächsten Haushalt unbedingt vorzusehen. Diese Frage berührt auch das Entlassungsgeld für Grundwehrdienstleistende.Lassen Sie mich zu dem letzten Kapital, das ich heute hier ansprechen will, kommen. Heute wurde von Herrn Biehle wieder ein Schwarzer Peter an die Wand gemalt,
als die Frage diskutiert wurde, ob diese Bundeswehr Gefahr läuft, von Elementen unterwandert zu werden, die diesen Staat zerstören oder die Wehrbereitschaft untergraben wollen. In weiten Landstrichen unseres Landes und in vielen Standorten spielt diese Frage überhaupt keine Rolle. Jedenfalls war bei meinen Besuchen in der Truppe von Problemen dieser Art nie die Rede. Wo aber davon gesprochen wird — das ist in Großstadtstandorten der Fall —, bewegen sich solche Aktivitäten in Grenzen, die jederzeit beherrschbar sind. Die junge Generation und die Verantwortlichen in der Truppe sind hellwach und haben bewiesen, daß sie Demokraten sind. Es ist an sich schon eine Beleidigung, sie zu verdächtigen, daß sie für solche Parolen anfällig sind.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle zu?
Bitte schön, Herr Biehle.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Zahlen und Angaben, die ich angeführt habe, gestern durch den Herrn Staatssekretär in der Fragestunde bestätigt worden sind und daß aus Ihren Ausführungen zu entnehmen ist, daß in bayerischen Garnisonen die Welt noch heil ist?
Herr Kollege Biehle, ich bestreite nicht die Angaben des Herrn Staatssekretärs, ich gehe nur gegen Ihre Wertung dieser Aussagen vor. Ich meine jedenfalls, daß es keinen Grund gibt, diese Frage hochzuspielen. Selbstverständlich ist es unsere Pflicht, hier die Entwicklung im Auge zu behalten.
Mein abschließendes Urteil über diese deutsche Bundeswehr kann ich folgendermaßen zusammenfassen. Entsprechend dem Grundgesetz nur auf die Verteidigung dieses Landes und seiner gesellschaftlichen Ordnung ausgebildet, ausgerüstet und ausgerichtet, ist sie eine demokratische Armee, in die wir Vertrauen setzen können. Sie erfüllt ihren Auftrag im Rahmen unseres Bündnisses in hervorragender Weise. Der zuständige Minister, unser Georg Leber, leistet hervorragende Arbeit, die anerkannt und über die Grenzen des Landes hinaus geachtet ist. Wenn es Probleme gibt, liegen sie im verständlichen menschlichen Bereich. Diese Probleme, die nie aufhören, haben aber auch immer bestanden. Sie möglichst in gerechter Weise zu lösen bleibt eine Daueraufgabe unseres politischen Handelns.
Die Opposition kann ich nur aufrufen, ihren Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten. In der ständigen Schwarzmalerei durch Übertreibungen und durch die Ablehnung des Haushaltes wird sie ihrem Auftrag nicht gerecht. Sie wird auch unglaubwürdig, solange sie nicht den Beweis erbringt, ein besseres Konzept zu haben. Die Strategie von Sonthofen — dessen bin ich mir sicher — wird nicht weiterhelfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann die Ungeduld von verschiedenen Kollegen wohl verstehen; aber
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3064 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
Olleschwir haben gerade 18 Uhr, und wir hatten ohnehindamit gerechnet, diese Debatte bis 19 Uhr zu führen.
Die Grundlage der Debatte sind zwei Große Anfragen über eines der wichtigsten Gebiete unserer Politik. Da muß man sich schon etwas Zeit nehmen, zumal wir eben noch in der Zeit sind. Und nach den acht Rednern des heutigen Nachmittags ein weiterer Redner der Freien Demokraten — das überzieht auch nicht unseren Anspruch auf gebührende Berücksichtigung. Das lassen Sie mich vorab feststellen.
— Oh nein, Herr Kollege Biehle, da irren Sie sich.
— Unsere Fraktion ist zwar in der Tat kleiner als Ihre, aber wir können fast alle unsere Kollegen bei jedwedem Thema einsetzen. Das ist der Unterschied.
— Nun, Herr Kollege Haase, meine sind wahrscheinlich nicht viel schlechter als Ihre. Damit will ich Ihre Beiträge nicht herabsetzen. Aber, Herr Kollege Haase, wir haben ja beide lange genug Erfahrung sammeln können,
und das subjektive Urteil, das man von sich selbst hat, ist nicht immer sehr stichhaltig.Ich will Ihnen die Antwort auf die Frage nach der Besoldung der Z-2-Soldaten geben. Die entsprechende Frage haben Sie ja dem Kollegen Gerstl gestellt. Wir werden die Besoldungserhöhung noch in diesem Jahre vornehmen, Herr Haase. Damit Sie hinsichtlich der Erklärung, die der Kollege Gerstl in dieser Richtung abgegeben hat, beruhigt sind, terminiere ich das also: noch in diesem Jahr.
Nachdem die Ministerpräsidenten der Länder zugestimmt haben, steht der Regierungsinitiative — Sie haben ja auch einen eigenen Antrag eingebracht — nichts mehr im Wege. Wir werden sehr schnell beraten können, da allgemein Einigkeit besteht.Nach Auffassung der Freien Demokraten gehört es zu den dringendsten Aufgaben der Verteidigungspolitik, die unverändert gültige NATO-Strategie der flexible response mit den militärischen Komponenten aufzufüllen, die in der Reaktion auf jede denkbare Form militärischer Aggression eine Flexibilität ermöglichen. Das erfordert nach Auffassung der Freien Demokraten, daß auch die Struktur der Bundeswehr, die beim Aufbau unserer Streitkräfte im Rahmen der früheren NATO-Strategie, der massiven Vergeltung, konzipiert worden ist, den neuen Notwendigkeiten angepaßt wird. Wir haben uns in der Vergangenheit über die neue Bundeswehrstruktur eingehende Gedanken gemacht. Nach gründlicherVorbereitung hat die FDP-Bundestagsfraktion Grundzüge ihrer Vorstellungen zur Erreichung dieses Ziels der Offentlichkeit vorgestellt. Das war gar nichts Spektakuläres, hat auch nichts mit der vom Bundesverteidigungsminister vorhin erwähnten stoffarmen Sommerzeit zu tun, sondern wir waren gegen Auslauf des ersten Halbjahres, vor der Sommerpause, so weit, unsere Vorstellungen vorzutragen. Das haben wir getan.Die von den Experten der Opposition aus diesem Anlaß geäußerten Vermutungen — ich beziehe mich z. B. auf den Abgeordneten der CSU, den Kollegen Franz Handlos, in den „CSU-Pressemitteilungen" Nr. 256 vom 7. Juni 1977 —, daß die Freien Demokraten die Verteidigungspolitik durch die Umstrukturierung stärker nationalisieren wollten, zeigen, daß die Zusammenhänge der Vorschläge und Anregungen offensichtlich nicht genau verstanden wurden oder daß man sie nicht genau verstehen wollte. Herr Kollege Handlos befürchtet nämlich, daß unsere Überlegungen zur Erhöhung der Kampfkraft der Bundeswehr offensichtlich unter Außerachtlassung der davon auf die Bündnispartner ausgehenden Rückwirkungen und ohne jede Beziehung zu den laufenden Abrüstungsverhandlungen in Mitteleuropa angestellt worden seien. Wir haben die Sorge nicht. Uns geht es darum, mit den vorhandenen Kräften und den vorhandenen finanziellen Mitteln eine höhere Effektivität der Bundeswehr zu erreichen. Das kann doch auch nur im Sinne der Opposition sein, die ja immer wieder befürchtet hat, wir brächten entweder Vorleistungen, um die Abrüstungsverhandlungen in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen, oder wir wollten die nachlassenden Verteidigungsanstrengungen unserer europäischen Bündnispartner nicht durch gesteigerte Verteidigungskampfkraft kompensieren. Sie hatten ja diese Sorge immer geäußert. Herr Handlos scheint anderer Meinung zu sein.Es läßt sich aber auch nicht bestreiten, daß auch ein Teil der sicherheitspolitischen Experten der SPD-Fraktion hinsichtlich der Rationalisierungsvorschläge der FDP im Bereich der militärischen Führung — hier: Veränderung der Spitzengliederung — Bedenken äußerte. Es wird befürchtet, wir wollten den Primat der Politik mit einer durchgehenden Kommandostruktur in Frage stellen. Das ist keinesfalls die Absicht. Es wären ja schwache Politiker, die sich durch eine Veränderung der Kommandostruktur das Heft aus der Hand nehmen ließen. Die von uns gewünschte veränderte Stellung des Generalinspekteurs kann den Primat der Politik niemals in Frage stellen.Ich will deshalb, um alle gegenteiligen Spekulationen und Vermutungen eindeutig zu beenden, im Auftrag meiner Freunde folgendes klarstellen: Nach Auffassung der Liberalen kann die Bundesrepublik Deutschland ihre lebenswichtigen Interessen nicht allein schützen und verteidigen. Diese Auffassung ist Allgemeingut in diesem Haus. Die Bundesrepublik Deutschland ist auf die Zugehörigkeit zu einem Bündnis freiheitlicher Staaten angewiesen. Die Bundesrepublik hat weiterhin zu den Verteidigungsanstrengungen dieses Bündnisses im Rahmen ihrer
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OlleschMöglichkeiten einen angemessenen Beitrag zu leisten. Dies gilt ebenso — wenngleich nach meiner Auffassung nicht überall durchgeführt — für alle übrigen Bündnispartner.Die Bundesrepublik kann von den übrigen Bündnispartnern eine Erhöhung ihrer militärischen Anstrengungen aber nur dann erwarten, wenn sie selber bereit ist, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Deshalb hat ein Teil der militärischen Forderungen der Freien Demokraten das zentrale Anliegen, die konventionelle Kampfkraft der Bundeswehr, unseres militärischen Beitrags zum Bündnis, durch eine neue Struktur wesentlich zu erhöhen. Diese Forderungen stimmen in vollem Umfang mit den jüngsten NATO-Beschlüssen über eine erforderliche Verstärkung der konventionellen Kampfkraft des Bündnisses überein, eine Verstärkung, wie sie bereits unsere amerikanischen Freunde auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland mit Nachdruck eingeleitet haben.Nach Auffassung der Freien Demokraten ist es zur Verstärkung der konventionellen Kampfkraft der Bundeswehr nunmehr erforderlich, die in den letzten Jahren entwickelten und verabschiedeten Grundprinzipien einer neuen Struktur der Bundeswehr, an denen wir aktiv mitgewirkt haben, aus der Planungs- und Erprobungsstufe heraus möglichst bald schrittweise in der Truppe zu realisieren.Wir begrüßen deshalb die auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP zu dieser Frage erteilte Antwort der Bundesregierung, daß die Planungen für die neue Struktur der Bundeswehr voraussichtlich im Herbst dieses Jahres abgeschlossen werden und Ende dieses Jahres über die neue Struktur der Bundeswehr entschieden wird, so daß die Umstellung auf die neue Struktur im nächsten Jahr schrittweise beginnen kann.Wir halten es für erforderlich, daß an diesem Zeitplan festgehalten wird. Es muß vermieden werden, daß Planungen und Erprobungen von Fachgremien und Experten endlos fortgesetzt werden, wie wir es auf anderen Gebieten oft feststellen können, nicht zuletzt um die eigenen derzeitigen Kompetenzen und gewachsenen Zuständigkeiten durch Entscheidungen nicht beeinträchtigen zu lassen. Wir haben deshalb nicht ohne Sorge verfolgt, daß angeblich ein traditionelles Kompetenzgerangel zwischen der Hardthöhe-Generalität die Realisierung bereits getroffener Grundentscheidungen gefährdet. Wir bieten deshalb dem Bundesminister der Verteidigung bei den ihm obliegenden Entscheidungen zur neuen Struktur unsere volle Unterstützung an.In Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung muß nach Auffassung der Freien Demokraten eine Verstärkung der Kampfkraft der Bundeswehr in erster Linie neben einer Verstärkung im Waffenbereich durch organisatorische Veränderungen und nicht durch eine Erweiterung des Personalumfangs der Streitkräfte angestrebt werden. Die Betriebsabläufe der Streitkräfte müssen rationalisiert, Finanzmittel wirtschaftlicher eingesetzt werden. Die Relation von Kampftruppe und personell besetztem Waffensystem einerseits zu Stäben und rückwärtigen Diensten anderseits muß wirksamer gestaltet werden. Das ist eine Forderung, die, glaube ich, die Unterstützung aller Soldaten findet.Wir begrüßen deshalb, daß die neue Kommandostruktur in den Streitkräften Einsparung an Stabs- und Versorgungspersonal zugunsten der Kampftruppe ermöglichen soll. Hinsichtlich unserer Anregung, auch die Zahl der Kommandoebenen zu verringern, sollten die entsprechenden Maßnahmen einiger Bündnispartner noch einmal voll ausgewertet werden, um dadurch nicht eine in der Antwort der Bundesregierung behauptete, von den Freien Demokraten bestrittene, geringere Flexibilität der Führung eintreten zu lassen. Nach Auffassung der FDP muß eine neue Kommandostruktur der Streitkräfte aber auch Konsequenzen für die Spitzengliederung haben. Auch im Bundesministerium der Verteidigung muß sowohl im militärischen wie auch im zivilen Bereich Doppelarbeit vermieden werden. Nichtministerielle Aufgaben sind aus ,dem Ministerium auszugliedern. Mit der Bundesregierung sind wir der Auffassung, daß eine Entscheidung über die Struktur des Bundesministeriums der Verteidigung zu treffen sein wird, wenn über die neue Truppen- und Kommandostruktur entschieden wird. Nach unserer Auffassung sind jedoch entsprechende Vorarbeiten auch auf diesem Sektor bereits jetzt parallel zu den anderen Untersuchungen geboten, um rechtzeitig nach den Strukturentscheidungen alternative Lösungsmöglichkeiten zu haben.Zur Zeit sind Struktur und Organisation der Bundeswehr auf weitgehende Unabhängigkeit der Teilstreitkräfte und deren selbständige Aufgabenerfüllung ausgerichtet. In allen Teilstreitkräften werden deshalb zahlreiche gleichartige Aufgaben parallel wahrgenommen. Diese parallele Wahrnehmung gleichartiger Aufgaben hat einen überhöhten Führungsaufwand, aber auch militärischen Aufwand zur Folge und verursacht dadurch Mehrkosten.Wir fordern deshalb bereits seit Jahren, daß bundeswehrgemeinsame Aufgaben zentral wahrzunehmen und die Aufträge der Teilstreitkräfte und ihre Organisation auf ihre spezifischen Fähigkeiten abzustellen sind. Wir haben deshalb die Grundsatzentscheidung der Bundesregierung im Jahre 1973 voll mitgetragen, daß gemeinsam durchzuführende Aufgaben der Streitkräfte zentral wahrzunehmen sind, wenn höhere Kampfkraft oder Leistung bei gleichen Kosten und gleiche Kampfkraft oder Leistung bei geringeren Kosten erzielt werden kann. Durch derartige neue Lösungen sollten also keine zusätzlichen Personalforderungen nach Umfang oder Stellenanhebungen entstehen. Vielmehr soll angestrebt werden, Stabspersonal für Truppentätigkeit freizusetzen. Hieraus folgt, daß für die FDP die Schaffung dieses zentralen Bereichs zur Erfüllung bundeswehrgemeinsamer Aufgaben der Kernpunkt einer neuen Struktur ist.Wir begrüßen deshalb, daß das vom Bundesminister der Verteidigung zur näheren Untersuchung ausgewählte Strukturmodell 3 einen zentralen Unterstützungsbereich vorsieht, in dem alle Unterstützungsaufgaben zusammengefaßt sind, die im Verteidigungsfall der nationalen Verantwortung obliegen.
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3066 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1977
OlleschVon daher, eben weil wir nur dieses wollen, ist die Kritik des Herrn Handlos gegenstandslos.Zu Recht werden nach unserer Auffassung in diesen zentralen Bereich neben dem umfassenden Gebiet der Logistik und der Infrastruktur auch der Fernmeldeweitverkehr, der militärische Nachrichtendienst, die fernmeldeelektronische Aufklärung sowie auch das Sanitäts- und Gesundheitswesen einbezogen. Die Freien Demokraten erwarten, daß in allen diesen Bereichen nunmehr auch tatsächlich entsprechende Konsequenzen gezogen werden, auch wenn damit die Teilstreitkräfte notwendigerweise gegenüber heute gewisse Einschränkungen hinnehmen müssen.Das bedeutet im einzelnen: Konsequente Zusammenfassung der Unterstützungsaufgaben der Streitkräfte in einem zentralen Bereich oberhalb der für den Kampf bestimmten Verbände; Abbau paralleler Führungsstrukturen der Teilstreitkräfte in diesem zentralen Bereich; Schaffen nur einer Führungsstruktur in diesem rückwärtigen Bereich, die befähigt ist, sowohl alle Unterstützungsaufgaben für die eigenen Streitkräfte wahrzunehmen als auch auf Forderung der NATO wirkungsvoll zu reagieren; Entlastung der für die unmittelbare Vorneverteidigung verantwortlichen Teilstreitkräfte von den rückwärtigen Aufgaben und damit Konzentration auf die Hauptaufgabe.Eine weitgehende Autarkie jeder Teilstreitkraft ist nach unserer Auffassung weder militärisch notwendig noch wirtschaftlich vertretbar. Es muß allerdings dafür Sorge getragen werden, daß sich der zentrale Bereich nicht zu einer quasi vierten Teilstreitkraft entwickelt und neben Reststrukturen und Organisationselementen in den Teilstreitkräften zusätzliche parallele Organisationselemente geschaffen werden.In unserer geographisch-strategischen Lage kommt den Landstreitkräften besondere Bedeutung zu. Nach Auffassung der Freien Demokraten ist es jedoch nicht ausreichend, die Verbände des Heeres nach Personalbestand und Ausrüstung umzuorganisieren. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, die konventionelle Kampfkraft der Streitkräfte durch zusätzliche Verbände im Feld- und Territorialheer, die bereits in einer Krisensituation einsatzfähig sind, organisatorisch auszubauen und mit einem ausreichenden Personalkader zu versehen. Hierdurch müssen sowohl das militärische Potential für die Vorneverteidigung als auch das Potential für eine ergänzende Raumverteidigung unseres Landes bereitgestellt werden.Nach dem Eindruck der Freien Demokraten wird bei den Überlegungen zum Heeresmodell 4 dem Begriff und der Bedeutung der Präsenz eine nicht mehr zeitgerechte und den Bedingungen unseres Landes nicht voll entsprechende Bedeutung beigemessen. Nach Auffassung der Freien Demokraten ist insbesondere bei den Strukturplanungen des Heeres erforderlich, eine neue Reservisten- sowie eine zeitgemäße flexible Mobilmachungskonzeption in die Planungen einzubeziehen. Die Reservistenkonzeption muß sicherstellen, daß die kostenintensive militärische Ausbildung der Wehrpflichtigen und auch der kurzfristigen Zeitsoldaten unmittelbar im Anschluß an die aktive Dienstzeit für eine Erhöhung der Kampfkraft der Bundeswehr genutzt wird. Hierzu sollte die neue Form der einjährigen Verfügungsbereitschaft voll ausgeschöpft werden. Angehörige der Verfügungsbereitschaft müssen Ausbildungsgerecht vor allem auch für gekaderte Kampfverbände neuer Art der Territorialverteidigung eingeplant werden. Hierzu muß die Ausbildung der Wehrpflichtigen und der Zeitsoldaten während der aktiven Dienstzeit zukünftig stärker auch auf diese Anschlußverwendung in den Streitkräften abgestellt werden, um Umschulungswehrübungen zu vermeiden.Die neue Bundeswehrstruktur muß nach Auffassung der Freien Demokraten durch eine erheblich verbesserte Zivilverteidigung ergänzt werden. Zur Abschreckung gehört auch der Überlebenswille der Bevölkerung. Deshalb sind die Überlebensmöglichkeit, die lebenswichtige Versorgung und die Rettung und Hilfe aus akuten Gefahren durch einen wirksamen Zivil- und Katastrophenschutz sicherzustellen. Die Zivilverteidigung muß neben der Aufrechterhaltung der Regierungsfunktion in allen Krisen und Bedrohungslagen auch die notwendige zivile Unterstützung der Truppe garantieren. Zivilverteidigung muß selbstverständilches Gebot für jede Verwaltung, jedes Wirtschaftsunternehmen, jeden Bürger werden. Zwischen militärischen und zivilen Stellen muß auch im Rahmen der neuen Bundeswehrstruktur auf ein Krisenmangement unseres Staates hingewirkt werden, um der gegenwärtigen und auch zukünftigen Bedrohung wirksam entgegentreten zu können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, soweit ich die Wortmeldungen übersehen kann, war das der Abschluß der heutigen Verteidigungsgebatte. Ich darf im Namen der Freien Demokraten dem Herrn Bundesverteidigungsminister und der Bundesregierung für die gegebenen Antworten, die uns im großen und ganzen zufriedenstellen, recht herzlich danken. Der Dank geht an alle Soldaten, Beamten und Angestellten, die im Rahmen der Bundeswehr und anderer Verbände für die Aufrechterhaltung unseres freiheitlichen Rechtsstaates gegenüber einer äußeren Bedrohung sich zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zur Aussprache nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu den Punkten 2 a und b.Ich rufe die Punkte 3 bis 8 der heutigen Tagesordnung auf:3. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung zusätzlicher Fragen der Ausbildungsplatzförderung— Drucksache 8/602 —Überweisungsvorsthlag des Ältestenrates:Aussthuß für Bildung und Wissenschaft FinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen— Drucksache 8/693 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds in der Fassung von 1976
— Drucksache 8/763 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 10. März 1976 zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen— Drucksache 8/764 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Inkrafttreten der Vorschriften über die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt— Drucksache 8/ 792 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs-und Finanzgerichtsbarkeit— Drucksache 8/842 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß InnenausschußFinanzausschußAußerdem rufe ich den ersten Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes— Drucksache 8/857 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODas Wort wird dazu nicht begehrt. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 9:Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"— Wirtschaftsjahr 1976 —— Drucksache 8/758 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Haushaltsausschuß
Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht begehrt. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch zu dem Überweisungsvorschlag. Die Überweisung ist beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 10 auf:Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 8/781 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates : Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht begehrt. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch zu dem Überweisungsvorschlag. Die Überweisung ist beschlossen.Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Beratungen.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Freitag, 9. September 1977, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.