Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer
Drucksache 7/1043 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Strauß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU verfolgt zwei Absichten. Einmal soll er mehr steuerliche Gerechtigkeit für breite Schichten unserer Bevölkerung schaffen; gleichzeitig soll er auch verhindern, daß durch die Besteuerung die Lohn- und Preisspirale noch weiter verschärft wird. Beide Zielsetzungen sollen durch diesen Gesetzentwurf gefördert werden.In der gegenwärtigen wirtschafts- und finanzpolitischen — oder allgemein: konjunkturpolitischen — Situation gibt es überhaupt kein Heilmittel mehr, dessen Anwendung alle genannten volkswirtschaftlichen Ziele — Wachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und ausgeglichene Zahlungsbilanz — gleichzeitig in optimaler Weise befriedigen würde.Die Fraktion der CDU/CSU war sich der Problematik dieser Vorschläge bei der langen Vorgeschichte sehr wohl bewußt. Die Urheber dieses Entwurfes, zu denen ich auch zähle, haben keine Kehrtwendung in ihren konjunkturpolitischen Überlegungen vollzogen. Sie wissen aber, daß die ungenügende Verfolgung früher wirksamer konjunkturpolitischer Maßnahmen nunmehr wesentliche Änderungen gegenüber dem verlangt, was noch vor einem Jahr angebracht und richtig gewesen wäre.
Ich komme darauf noch zu sprechen.
Die Bedenken, die man gegen diesen Gesetzentwurf erhoben hat und erheben kann — da ist auch viel, beinahe hätte ich gesagt: Reaktionäres aus sonst so progressivem Munde gesagt worden —,
sind in der Hauptsache doppelter Art. Einmal sind es konjunkturpolitische Bedenken. Schafft das nicht neue Kaufkraft? Bei oberflächlicher Betrachtung — ich sage ausdrücklich: bei oberflächlicher Betrachtung müßte man diese Frage mit Ja beantworten. Die zweite Frage betrifft die fiskalpolitische Auswirkung auf die öffentlichen Haushalte.Ich darf darauf in kurzen Zügen eingehen und zunächst an die letzten Bundesbankberichte, aber auch alle sonstigen einschlägigen Veröffentlichungen sachkundiger Seite, unter denen auch manche Fehlprognosen zu verzeichnen sind, erinnern. Z. B. hat das Wort von der Gewinnexplosion auf der Unternehmerseite, wie es im letzten Sachverständigengutachten für 1973 vorausgesagt war, und zwar unvermeidlicher- und berechtigterweise, Reaktionen auf der Seite der Arbeitnehmer und ihrer Verbände ausgelöst. Heute zeigt es sich, daß sowohl auf der Arbeitgeber- wie auf der Arbeitnehmerseite von Gewinnexplosion keine Rede sein kann.Es ist überhaupt schwierig, angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre und der in ihnen eingeschlagenen Politik eine konjunkturelle Analyse zu geben, die noch eine kurzfristige Prognose einschließen würde. Aber ich darf wenigstens aus dem neuesten Monatsbericht der Bundesbank vom September 1973 mit Genehmigung der Frau Präsidentin wörtlich zitieren. Es heißt dort wörtlich:Die anhaltenden Preissteigerungen und die dadurch bedingte langsame Aushöhlung der Realwerte vorangegangener Lohnverbesserungen haben das lohnpolitische Klima in der Bundesrepublik in jüngster Zeit verschlechtert . . .Die Sozialpartner stehen derzeit bei ihren Verhandlungen in doppelter Weise vor schwerer Verantwortung. Zum einen würde eine Verschärfung des Lohnanstiegs die Kostensituation der Unternehmer zusätzlich belasten und die Preisauftriebstendenzen verschärfen. Zum anderen aber ist in Rechnung zu stellen, daß die Margen für weitere Preissteigerungen angesichts der durch die Aufwertung der D-Mark zunehmenden Auslandskonkurrenz und einer möglichen Änderung des Investitionsklimas redu-
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Straußziert werden, so daß es nach einiger Zeit kostenbedingt zur Einschränkung der Produktion und der Beschäftigung kommen könnte.Es ist auch der Bundesbank nicht zu verübeln, daß sie hier im Eventualis spricht; denn angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, angesichts der Unsicherheit der konjunkturpolitischen Pfadfinder in unserem Lande — ich meine diejenigen, die die Hebel der Konjunkturpolitik zu bedienen hatten — kann man jeweils nur im Eventualis reden. Der Eventualis scheint überhaupt der Hauptfall unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik geworden zu sein.
Vor dein Hintergrund einer Konjunktur, die in ihrer Grundtendenz weiterhin aufwärts gerichtet ist und erst ein allmähliches Abklingen der konjunkturellen Spannungen in einigen Wirtschaftsbereichen, z. B. auf dem Baumarkt, erkennen läßt — Bundesbankbericht vom September 1973 —, kommt den nächsten Lohnrunden ohne jeden Zweifel eine entscheidende konjunktur- und wirtschaftspolitische Bedeutung zu. Wenn man die Investitionsplanungen der einzelnen Branchen für das Jahr 1974, soweit sie einem heute aus Geschäftsberichten und anderen Unterlagen zugänglich sind, überprüft, findet man ein sehr uneinheitliches Bild: Zurückhaltung in einigen Branchen, z. B. bei der soeben erwähnten Bauwirtschaft; aber bei der Chemie, gerade bei der Großchemie, kann in diesem Jahr in keiner Weise für das Jahr 1974 von einer zurückhaltenden Investitionsplanung die Rede sein, und zwar trotz sinkender Erträge, trotz der hohen Zinsen, weil hier andere Umstände schärfer durchgreifen als die Bremsen, die angesetzt worden sind. Darum ist ja alles in konjunkturpolitischen Analysen und Prognosen sehr, sehr vorsichtig und steht im Eventualis.Aber über eines dürfte es keinen Zweifel geben: Wenn die Lohnerhöhungen nicht in den Grenzen gehalten werden, die gesamtwirtschaftlich vertretbar sind — natürlich wird es, siehe Konzertierte Aktion, über den Begriff „gesamtwirtschaftlich vertretbar" je nach der Seite, auf der man sitzt, immer gewisse Meinungsverschiedenheiten geben; aber im allgemeinen stimmt es —, so würde dies zu neuen Anstößen für den Lohn-Preis-Automatismus, für die Lohn-Preis-Kettenreaktion führen. Denn für 14 Millionen Beschäftigte werden die Tarifverträge bis zum Frühjahr 1974 neu verhandelt, so daß die neu abgeschlossenen Verträge für das Gesamtjahr 1974 für rund drei Viertel des Jahres zu Buche schlagen. Bei den Verhandlungen über Lohnerhöhungen sehen sich die Gewerkschaften gezwungen, nicht nur die zu erwartenden Preissteigerungen, sondern auch die durch die Progression des Einkommen- bzw. Lohnsteuertarifs sich ergebenden Steuermehrbelastungen in die Lohnforderungen einzubeziehen. Die Lohnerhöhungen sollen und müssen nicht nur die Preissteigerungen, sondern auch die durch die Lohnerhöhungen bedingten Mehrbelastungen an Abgaben zugunsten der öffentlichen Hand — in der Hauptsache Steuern — ausgleichen.Diese Zielsetzung der Lohnpolitik haben führende Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, u. a.auch Herr Vetter und der Vorsitzende der IG Metall, Herr Loderer, immer wieder in der Öffentlichkeit betont. Wenn ich mich recht erinnere — ich habe die Protokolle nicht nachgelesen —, habe ich auch in mehreren Reden vor diesem Hohen Hause mehrmals auf diese Doppelwirkung hingewiesen, der heute gerade die Bezieher kleiner Einkommen ausgesetzt sind. Denn der heutige Lohn- und Einkommensteuertarif ist ja letztmalig für das Jahr 1965 geändert worden. Damals wurden niedrige Nominaleinkommen bei hoher Geldwertstabilität — bei einer Preissteigerung von im Durchschnitt 2 % für die zwanzig Jahre von 1949 bis 1969 — erzielt, Nominaleinkommen, die zu mindestens zwei Dritteln, wenn nicht zu 70 % in der Proportionalzone zu 19 % lagen.Die Nominaleinkommen sind erheblich gestiegen, ebenfalls die Geldentwertung. Heute beziehen Arbeitnehmer ein Nominaleinkommen, das, an den Preisverhältnissen des Jahres 1965 gemessen, traumhaft wäre. Aber leider trügen diese Zahlen, wie Sie wissen. Heute sind mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer mit ihrem steil ansteigenden Tarif in die Progressionszone gekommen. Das ist das Problem, um das es hier geht.Es geht — das darf ich auch gleich den sich manchmal doch der Sache sehr leicht machenden Kritikern dieses Entwurfs sagen — uns doch nicht darum, nunmehr eine Kehrtwendung zu vollziehen: früher zum Bremsen zu raten und heute zum Gasgeben zu mahnen, früher vor Kaufkraftschöpfung zu warnen und heute mehr Kaufkraft in die Welt zu setzen. Ganz Kundige — auch solche, die innerhalb des einschlägigen Ministeriums tätig sind — haben das Motiv natürlich erraten: Die Opposition will die Inflation verlängern. Und um die Inflation zu verlängern und darüber die Bundesregierung zu stürzen, hat sie diesen gefährlichen Gesetzentwurf eingebracht. — Ich nehme an, daß der, der solche Gedankengänge jüngst vertreten hat, die Nächte vorher Nick Knatterton gelesen hat. Dort sind nämlich einschlägige Motive für 50 Pf zu haben.
Ich habe für die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes volles Verständnis und habe das auch in diesem Hause und an dieser Stelle schon mehrmals gesagt. Damals ist mir, wie ich dem Protokoll jetzt entnommen habe, von seiten der SPD entgegengehalten worden: Warum sagen Sie das denn nicht vor den Unternehmern? Hätte ich den Zuruf damals gehört, hätte ich ihn gleich beantwortet. Ich beantworte ihn jetzt: Wenn Sie einmal in Ihrem guten Archiv nachblättern, finden Sie eine nicht sehr bedeutsame — das räume ich immer ein — Rede vor mir, die viel Staub aufgewirbelt hat, eine Rede, die ich vor zwei Jahren vor der Berliner Wirtschaft gehalten habe. Da habe ich genau dieselbe Thematik behandelt und erklärt: Die Gewerkschaften können nicht anders, als sowohl den Ausgleich des Geldwertverlustes wie die Steuerprogression in ihre Lohnforderungen einbeziehen; und dann ergeben sich Lohnforderungen von 10 %, wenn bei einer — damals — 6- bis 7 %igen Geld-
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Straußentwertung und einer etwa 3- bis 4%igen Mehrbelastung durch die Steuerprogression auch nur das Realeinkommen erhalten bleiben soll.Kaum war dieses über den Ticker gelaufen, erhielt ich ein Protesttelegramm von Gesamtmetall, also von der Arbeitgeberseite, ich sei der Arbeitgeberseite mit diesen Ausführungen in den Rücken gefallen, ich sollte diese Ausführungen doch zurücknehmen. Ich habe nichts anderes getan als die einfachen Tatsachen festzustellen, nämlich daß die Gewerkschaften nicht anders können, als wenigstens Geldentwertung und Steuermehrbelastung auszugleichen.Herr Vetter hat, wenn ich recht informiert bin, in seiner Freiburger Rede drei Kriterien genannt. Ein Kriterium war die Geldentwertung, das zweite war der Steueranstieg und das dritte der Produktivitätsanstieg. Nun ist der Produktivitätsanstieg immer ein schwierig zu berechnendes, von Branche zu Branche und auch innerhalb einer Branche von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedliches Phänomen. Aber es gibt einen Gesamtindikator, der allerdings nicht viel sagt; es ist ein Faktor von vielleicht 4 % im Jahr, er war auch schon einmal darunter und gelegentlich einmal darüber. Wenn dieser Indikator dazukäme, müßten die Lohnforderungen heute in einer Größenordnung von 15 % liegen. Und was 15 % Lohnforderungen bedeuten und wie sie sich dann auf der Kostenseite und damit unvermeidlicherweise auf der Preisseite auswirken, darüber brauchen wir nicht zu reden.Im übrigen möchte ich — wir sind ja hier in einem Parlament, in dem nicht nur über die Sache, sondern auch über politische Begleitumstände gesprochen wird — die Bundesregierung davor warnen, eine Doppelstrategie zu betreiben. Auf der einen Seite gibt sie in vom Steuerzahler finanzierten Anzeigen eine Darstellung der Ursachen der Inflation, bei der sich natürlich die Mitschuldigen selber sehr glimpflich behandeln.
Das ist zu verstehen, und es ist im Gesamttext, darf ich sagen, auch noch einigermaßen verständlich bis verzeihlich. Wenn man aber auf der anderen Seite das liest, was vorbereitet wird, nämlich eine große Kampagne gegen eine bestimmte soziologische Schicht, die ich beileibe nicht glorifizieren oder in Engel der Nächstenliebe umwandeln möchte, die jedoch wie jede soziologische Schicht ihre volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Funktion hat und unentbehrlich ist, nämlich die Schicht der Unternehmer, und wenn man versucht, die Schuld der Amtlichen zu leugnen und von den Schultern der Amtlichen auf diejenigen abzuwälzen, die eigentlich die Preise gestalten, um damit eine politische Kampagne zu entfachen, dann warne ich vor dieser, wie sie der langjährige SPD-Propagandist Steinbuch nennen würde, psychosozialen Vergiftung unserer gesellschaftspolitischen Landschaft.
Nicht, daß die Unternehmer nicht Kostenerhöhungen auf die Preise abwälzen würden. Das ist selbstverständlich. Wo sie es können, tun sie es. Darum muß der Wettbewerb abgebaut werden. Aber aller Wettbewerb nützt nichts, wenn die unvermeidlichen Kostensteigerungen nicht im notwendigen Maße auf die Preise abgewälzt werden, so daß nicht genügend Erträge übrigbleiben. In diesem Fall tritt nämlich eine andere Kettenreaktion ein.Im übrigen sollte der Staat einmal angeben, wie hoch der Anteil der administrierten Preise, der Steuererhöhungen und der gebundenen Erzeugnisse, z. B. auch auf dem Agrarmarkt, an den Gesamtpreiserhöhungen ist.
Ich hoffe nicht, daß man jetzt versucht, das den Bauern in die Schuhe zu schieben. Aber wir wissen ja, wie diese Dinge gelaufen sind. Jedenfalls haben die administrierten Preise, die Gebührenerhöhungen bei Bahn und Post, die heutigen Gebührenerhöhungen in den Großstädten, angefangen bei der Müllabfuhr, der Elektrizitätsversorgung, bis zu den Verkehrsbetrieben usw., ein atemberaubendes Tempo angenommen. Unternehmer ist Unternehmer. Nicht, daß ich dafür wäre — ich bin nicht für den Nulltarif —, die Kostenerhöhungen nunmehr auf den Steuerzahler abzuwälzen. Aber was der öffentlichen Hand als Unternehmer recht ist, das muß dem privaten Unternehmer billig sein, nämlich kostendeckende Preise und Erträge für das notwendige Maß an Investitionen zu erzielen. Wenn hier auf zwei Etagen operiert wird, auf der Etage „vornehm" auf sachlich und auf der Etage „Demagogie" auf Verwischung der Schuldspuren, wobei man mit dem anklagend erhobenen Finger auf andere zeigt,
dann möchte ich vor einer solchen Behandlung der Problematik warnen. Im übrigen empfehle ich, für diesen Fall das Wort des Herrn Bundespräsidenten heranzuziehen, nämlich daß derjenige, der mit erhobenem Finger auf andere zeigt, drei Finger gegen sich selber richtet.
Das würde jedenfalls bei diesem Beispiel zutreffen.
Finanzminister Schmidt hat es sich in der Vergangenheit etwas leicht gemacht. Das kommt vielleicht von der Schnelligkeit seiner Denkweise und der damit verbundenen Leichtigkeit der Ausdrucksweise, wobei das Tempo des zweiten manchmal noch die Geschwindigkeit des ersten übertrifft.
Ich denke an die Zeit, ais er noch das Wort „Stabilität" als ein Modewort abtat. Er versuchte noch vor einem Jahr, die Inflation gewissermaßen als Mittel zur Sicherstellung der Vollbeschäftigung darzustellen.
Das war die Hänsel-Gretel-Rechnung, 5 % Inflation seien leichter zu ertragen als 5 % Arbeitslosigkeit, so als ob das die Alternative wäre. Man kann die Prozentsätze nämlich steigern, und sie sind auch gestiegen. Sie sind deshalb gestiegen, weil die politisch
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Straußverantwortlich oder nicht verantwortlich Handelnden von dieser Mentalität ausgegangen sind.
Ich weiß, Herr Kollege Schmidt wird sich seiner Haut zu wehren. wissen. Ich darf etwas ironisch sagen, Herr Kollege Schmidt: ich weiß auch, daß Sie schon kurz nach der Geburt alles gewußt haben
und daß der weitere Lebensweg für Sie die Erhaltung Ihres Bildungsstandards war.
Und möglicherweise haben Sie dabei ein Minus mitbekommen, weil Sie bei Ihrem letzten Amtsvorgänger, bei Herrn Schiller, gehört haben und vielleicht noch geprüft worden sind.
Aber das war humorvoll gemeint, Herr Kollege Schmidt.Aber nun hat der Kollege Schmidt etwas erklärt. Niemand soll einem Denkprozeß und einem Lernprozeß im Wege stehen, niemand soll entwicklungsfähige Personen etwa als bereits in ihrer Entwicklung abgeschlossen betrachten, und das möchte ich auch nicht tun.
Darum erkenne ich dankbar an, daß der Kollege Schmidt in der „Neuen Rhein-Zeitung" — den vollständigen Text möchte ich dem Hause ersparen — erklärt hat, eine durchschnittliche Lohnerhöhung um 15 % im Jahre 1974 würde zu schwerem Schaden in der Beschäftigungslage führen.Ich möchte hier auch vor einem warnen, damit wir uns einig sind über die Gleichbehandlung menschlicher Schicksale durch die eine oder die andere Partei. Es ist gar nicht so schön, wenn man von bedauerlichen Zusammenbrüchen hört, in die auch merkwürdige Namen verwickelt sind, die wiederum von sehr potenten Banken finanziert worden sind. Ich meine Nordrhein-Westfalen, wenn ich das so nebenbei sagen darf. Nun, damals haben Sie noch einen kürzeren Draht zu dem betreffenden Herrn gehabt. Er ist ja erst später aus der Partei ausgeschlossen worden. Ich meine Herrn Kun mit dem größten Bauskandal. Aber ich hätte das jetzt nicht gesagt, wenn Sie nicht „Bayern" gerufen hätten. Die Formel „Vilshofen" ist sogar für Sie allmählich zu primitiv.
Aber wenn man dann aus bundesministerlichem Munde hört, hier handle es sich um Wildwuchs, der beschnitten werde, so mag das für unseriös finanzierende Bauträger stimmen. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber wenn es dann heißt, ein paar Pleiten könnten nicht schaden, dann möchte ich nicht wissen, welchen Höllenlärm, welchen Spektakel Sie früher gemacht hätten, wenn ein Bundesminister der CDU/CSU gesagt hätte: ach, so ein paar Pleiten sind an sich gar nicht so schlecht, und den Wildwuchssoll man ruhig einmal abschneiden. Da möchte ich nicht wissen, welch besorgtes Lied hier gesungen worden wäre auf die Not des kleinen Mannes, auf diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und sich einen neuen suchen müssen. So unterschiedlich sehen sich die Dinge manchmal an. Das ist ganz merkwürdig, wie doch die Milieutheorie zu stimmen scheint: Beim Sprung von der Oppositions- zu den Regierungsbänken werden menschliche Schicksale auf einmal in statistischen Zahlen eingefangen, und dann gelten sie bei weitem nicht mehr so ernsthaft, wie sie früher gegolten haben.
Aber noch etwas dazu: An den Baulöwen haben Sie dabei sicher nicht gedacht. Der war damals zwar bei der richtigen Partei, aber bei der falschen Schicht, nämlich bei der der Unternehmer.
An die haben Sie nicht gedacht. Aber denken Sie doch auch einmal an die Arbeiter und die Angestellten, an den, der gar nicht dafür kann, ob sein Chef seriös oder unseriös finanziert, und für den Diskont- und Zinssätze Dinge sind, mit denen er selber nichts zu tun hat und für die er nicht verantwortlich ist. Aber denken Sie vor allen Dingen auch — und darum hoffe ich, daß solche Töne nicht mehr kommen oder nicht mehr in dieser Weise zu hören sein werden an die vielen kleinen Zulieferanten,
Handwerker und kleine Industrielle, die zum Teil noch Kredit aufgenommen haben, um den Auftrag abzuwickeln, und die auf einmal von ihrem Auftragnehmer erfahren, daß er Pleite gemacht hat, und dann ihrerseits in die größte Bedrängnis geraten.
Ich habe allein als Abgeordneter eine ganze Reihe solcher Fälle auf den Tisch bekommen. Man ist da beinahe hilflos, denn es gibt weder öffentliche Mittel — die kann man dafür nicht mobilisieren; das verstehe ich völlig —, noch kann man hier etwa bei den Banken etwas unternehmen.Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Lohndruck mildern. Gerade um bei künftigen Lohnverhandlungen der Forderung nach Ausgleich der progressiven Steuermehrbelastung entgegenzuwirken, schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor, im Rahmen des Einkommensteuergesetzes steuerliche Sofortmaßnahmen zu ergreifen.Die vorgesehene Steuerentlastung — Sie kennen ja den Gesetzentwurf — bedeutet eine durchschnittliche Erhöhung der Nettolöhne um 2 bis 3 % und der Bruttolöhne um sogar 3 bis 4 %. Sollte die Bundesregierung behaupten, das Sofortprogramm werde die Tarifverhandlungen nicht beeinflussen, dann unterstellt sie damit beiden Sozialpartnern ein verantwortungsloses oder ein nicht verantwortungsbewußtes Handeln. Das Signal ist ja schon einmal hier gegeben worden und ist auch von seiten des DGB und einzelner Gewerkschaften gegeben worden. Gerade hier setzen wir an, und zwar nicht in der Absicht, damit mehr Kaufkraft zu schaffen,
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Straußsondern in der Absicht — dies liegt offen zutage, und man kann es ruhig auch einmal deutlich aussprechen — , lieber dem Arbeitnehmer das Individualeinkommen — ein Mehr von seinem Nominaleinkommen — zu erhalten, und damit mäßigend auf die Lohnverhandlungen einzuwirken, aber auch in der Absicht, dem Staate, der ja heute durch die Inflationsfinanzierung einen großen Teil seiner Politik bestreitet, die Möglichkeit zu nehmen, es dem Steuerbürger mit der einen Hand durch eine scharfe Steuerprogression wegzunehmen, um es dann wiederum mit der anderen Hand dem Bürger als dem sozusagen sozial Betreuten in Form von sozialen Zuwendungen zugute kommen zu lassen.Ich habe dieser Tage in der Zeitung gelesen, daß die SPD vorschlägt: „Hand weg von diesem Steuergesetz!", wegen der Kaufkraft usw., aber dafür fordert sie eine Erhöhung des Wohngeldes, also eine Änderung der Einkommensgrenzen für die Gewährung des Wohngeldes. Das ist genau die Politik, die ich meine: Einerseits viel wegnehmen und andererseits dann einen Teil dessen, was man weggenommen hat, geben. Das ist nicht die richtige Politik.
Wir halten es für richtiger, einen höheren Anteil am Nominaleinkommen dem Steuerbürger als Realeinkommen zu belassen, statt von der einen in die andere Tasche umzuverteilen, wobei zum Schluß dann für eine etwas großspurig ausgegebene Politik manche Millionen, um nicht zu sagen Milliarden, auf der Strecke bleiben.Wir beabsichtigen eine andere Wirkung, nämlich auch einen gewissen heilsamen Druck zu einer sparsamen Haushaltswirtschaft und damit zu einer stabilitätsgerechteren Ausgabenpolitik auszuüben.
— Kommen Sie mir ja nicht mit den Erhöhungsraten der Länderhaushalte. Erstens gibt es hier bei den Ländern keinen oder nur uninteressante Unterschiede zwischen der einen oder anderen Regierung. Zweitens sollte man endlich wirklich einmal zugeben, daß derjenige, der bei der Finanzpolitik das Signal gibt — und das ist der Bund —, derjenige, der durch Inflationspolitik die Kosten gerade der öffentlichen Hand in die Höhe treibt — Personalkosten und Investitionen —, daß derjenige, der große Programme unter dem Stichwort „Reform" mit vielen lobpreisenden Ankündigungen in die Welt setzt, die Finanzierung dann den Ländern und Gemeinden überläßt und damit erheblich zu der Belastung, aber auch zu gewissen ruinösen Erscheinungen in Gemeindehaushalten und zu schweren Spannungen in Länderhaushalten beigetragen hat.
Seit Jahren ist die öffentliche Hand Nutznießer einer Steuerschwemme, die sich aus der progressiven Gestaltung des Einkommensteuertarifs ergibt. Seit Jahren ist der Steuerzahler mit einer Einkommen- oder Lohnsteuer belastet, die nicht nur von realen, sondern auch von nominalen Lohnzuwächsen erhoben wird. Steigen die Löhne um 10 %, kassiert das Finanzamt 18 % mehr Lohnsteuer. DasLohnsteueraufkommen wird sich von 1970 bis 1974 doppelt so stark erhöhen wie die Summe der Löhne und Gehälter. Die Tabellen, die hierzu in letzter Zeit erarbeitet worden sind, sprechen eine eindeutige Sprache. Ich nehme an, daß im weiteren Verlauf der Aussprache einer meiner Kollegen auf diese Tabellen noch eingehen wird. Man liest z. B., daß bei einem Nominalbruttoeinkommen von 1 600 DM bei einer 12%igen Steigerung auf 1 792 DM ein Realeinkommenszuwachs von 1,5 % in den jeweiligen Preisen bleibt, und davon ist noch die Geldentwertung abzuziehen. Man sieht, wie der Verfügungsspielraum, den der einzelne über sein Arbeitseinkommen hat, immer geringer wird. Ein leitender Angestellter, der vor zehn Jahren 25 000 DM verdiente, hatte damals einen Verfügungsspielraum über 84 % seines Einkommens, also 21 400 DM. Derselbe hat heute, wenn man alle Lohn- und Gehaltserhöhungen in der Zwischenzeit einrechnet, ein Nominaleinkommen von über 56 000 DM, aber ein Realeinkommen von 29 000 DM = 52 %, das heißt nur ein Plus von 40 %. Von diesen 40 % Zuwachs des Realeinkommens muß er noch die gesamten Geldentwertungen der letzten zehn Jahre, besonders verschärft der Jahre 1970, 1971, 1972, 1973, abziehen. Man kann doch nicht leugnen, daß dieses Problem besteht. .
Die inflationären Steuermehreinnahmen des Jahres 1974 will der Staat in vollem Umfange wieder ausgeben, wie der neue Finanzplan der Bundesregierung für die Jahre bis 1977 ausweist. Sie werden nicht im Sinne einer antizyklischen Fiskalpolitik stillgelegt, wie es das IFO-Institut empfiehlt. Das IFO-Institut hat in seiner bemerkenswerten Studie vor einigen Tagen auf diesen außerordentlichen Anstieg der heimlichen Steuererhöhungen hingewiesen und hat sie addiert. In den Jahren 1973 bis 1977 betragen sie 88 Milliarden DM. Sie wissen, daß der Anteil der Lohnsteuer vor zehn Jahren noch bei etwa 7 % lag, heute bei 12 bis 13 % liegt und in absehbarer Zeit, bis zum Jahre 1975, auf 15 % ansteigen wird und daß damit die gesamte Steuerlastquote auf mehr als 25 °/o ansteigen wird.Der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen und damit der Entzug inflationärer Finanzquellen würde die öffentlichen Hände auch zu einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik anhalten. Die heimlichen Steuererhöhungen, die der öffentlichen Hand eine bisher einmalige Steuereinnahmeschwemme gebracht haben und damit eine immer expansivere Gestaltung der öffentlichen Haushalte ermöglichten, sollen durch die vorgeschlagenen Steuersenkungen im Umfang von 8 Milliarden DM herabgesetzt werden. Ich bin mir aber darüber im klaren, daß ein Teil der 8 Milliarden DM dann durch Kreditaufnahme ersetzt werden muß und ersetzt werden wird. Aber die Doppelwirkung — einerseits mäßigender Einfluß auf Lohn- und Gehaltsverhandlungen, andererseits Druck auf die öffentlichen Haushalte zur sparsamsten Bewirtschaftung ihrer Mittel, Entzug der inflationären Finanzquellen — ist in der Situation nach den vielen Versäumnissen, Fehlern und Pfuschmaßnahmen der letzten vier Jahre leider
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Straußetwas, was früher falsch gewesen wäre, heute aber das einzige noch aussichtbietende Mittel ist, einem weiteren Anstieg, einem weiteren Anhalten der Lohn-Preis-Spirale wenigstens eine gewisse Bremskraft entgegenzusetzen.
Ich gebe mich hier gar keinen allzu großen Erwartungen hin.Die Steuermehreinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden des nächsten Jahres sind im Februar 1973 um 14 Milliarden DM niedriger geschätzt worden als im August 1973. Es ist ein für normale Finanzpolitiker — fast hätte ich gesagt: konventionelle oder konservative — unvorstellbarer Vorgang, daß innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten die Steuermehreinnahmen um 14 Milliarden DM höher gesetzt werden müssen. Und wenn man von der August-Schätzung auf die nächste Schätzung übergeht, dann bin ich fest überzeugt, daß sich auch die August-Schätzung wieder um einen ähnlichen Betrag als falsch erweisen wird. Wie lange will man denn das fortsetzen? Im übrigen: Wozu so viel Aufregung?
— Sie dürfen nicht zu früh schreien. Es ist immer dieselbe Methode: Wenn man die Bibel als klassisches Zeugnis für -die Atheisten heranzieht und die Stellen zitiert, wo es heißt: „Es gibt keinen Gott", da lachen sie alle. Anschließend: „... spricht der Narr", dann ist der Gesamttext wieder hergestellt.
Sie wollen doch dasselbe für das Jahr 1975 machen.
Was wir hier vorschlagen, ist zwar nicht die Steuerreform, ist aber eine steuerliche Entlastung, die einen richtigen Schritt auf dem Wege der Steuerreform bedeutet; sie liegt in der richtigen Richtung.
Gleichzeitig ist sie ein Stück steuerpolitischen Inflationslastenausgleichs für die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen.
Diese außerordentlichen Steuermehreinnahmen, wie ich sie soeben geschildert habe, rechtfertigen es auch fiskalpolitisch, die heimlichen Steuererhöhungen wenigstens zu einem Teil rückgängig zu machen.Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist zu erwarten, daß die öffentlichen Hände, vor allen Dingen die Länder und die 16 000 Gemeinden, auf eine Verkürzung ihrer Einnahmezuwächse wenigstens zu einem Teil durch Ausgabekürzungen reagieren werden. Daraus ergibt sich als Folge des Inflationsentlastungsgesetzes oder Inflationslastenausgleichsgesetzes eine zusätzliche Nachfrageminderung und damit ein zusätzlicher konjunkturpolitischer Ausgleich für die Steuererleichterungen. Vor allem zusammen mit dem zu erwartenden Ausgleich im Rahmen der Tarifabschlüsse kann durchaus damit ge-rechnet werden, daß unser Programm, die Nachfrage nicht zusätzlich anheizen, sondern daß dies zu einer Entlastung und zu einer Minderung der Nachfrage führen wird, d. h. mehr Wirksamkeit erbringen wird als die Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung, von deren Bremseffekt Sie angesichts der jüngsten Zahlen gar nicht mehr allzuviel erwarten sollten; denn gebremst wird zum Teil in Bereichen, wo das Bremsen schon problematisch geworden ist, und anderswo, wo es notwendig wäre, spürt man von Bremswirkung gar nichts mehr.Wenn man dann noch — die Vorgeschichte ist bekannt, ich brauche nicht darauf einzugehen — auf der Frankfurter Automobilausstellung — ich darf das Wort Automobil trotz allem noch in den Mund nehmen —
die Preise von Mittelklassewagen deutscher Produktion mit den Preisen ausländischer Luxuswagen amerikanischer Herkunft verglichen hat, der kennt ja beinahe auf diesem Gebiete die Welt nicht mehr wieder. Wenn die USA nicht Fahrzeugtypen entwickelt hätten, die angesichts der Steuer, des Treibstoffverbrauchs und der Parkraumnot in den Städten dem europäischen Konsumentengeschmack in keiner Weise entsprechen, gäbe es heute bereits bei einer Branche, die für die Vollbeschäftigung von nicht zu übersehender Bedeutung ist, einen unübersehbaren Einbruch mit Folgen, die man lange nicht mehr auffangen könnte. Darüber wird man sich aber an anderer Stelle noch einmal unterhalten müssen.
Dieses Programm wirkt eher kostenberuhigend und preisdämpfend als entgegengesetzt.Ich darf den Herren von der Regierungskoalition noch einmal den dringenden Wunsch entgegenhalten, der Opposition nicht zu sagen, sie setze sich mit ihren Vorschlägen in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten vor einigen Monaten. Hätte man, was ich von dieser Stelle und an anderen Stellen unzählige Male gesagt habe, rechtzeitig mit einer erheblichen Freigrenze einen Konjunkturzuschlag erhoben
— mit . einer erheblichen Freigrenze, Herr Ehrenberg, und rückzahlbar, und wir haben uns auch für die Verzinslichkeit ausgesprochen, so schwierig und so problematisch das ist —, dann wären diese hohen Nominallohnsteigerungen in den letzten vier Jahren nicht erfolgt, das Realeinkommen hätte sich aber trotzdem im schlechtesten Falle gleich — aber nicht einmal das stimmt — und fast zweifelsohne günstiger entwickelt, als es sich leider angesichts der bestehenden Tatsachen entwickelt hat.Darum darf ich Ihnen auch einmal sagen, gerade weil Sie „ach" sagen: Man soll in der Offentlichkeit nicht einfach die Unwahrheit mit der Behauptung verbreiten, die Opposition hätte sozusagen mit einer totalen Rasur alle Einkommensschichten mit einem Konjunkturzuschlag erfaßt und damit eine Belastung gerade für die breiten Massen hervorgerufen, die ihnen nur durch den Edelmut und die Mildtätig-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3031
Straußkeit der Bundesregierung erspart geblieben sei. Wir haben niemals einen Konjunkturzuschlag für alle Einkommensschichten verlangt, wir haben niemals von einem Konjunkturzuschlag gesprochen, der à fond perdu, der nicht rückzahlbar gegeben werden soll.Ich habe mehrmals gesagt, es ist Sache der Bundesregierung, das anzugreifen, und nicht Sache der Opposition, daß unser Stabilitätsgesetz nicht immer nur Gegenstand lobpreisender Festreden bei Verbänden und akademischen Seminaren sein soll und in Wirklichkeit der Anwendung entzogen wird, außer auf Nebenkriegsschauplätzen. Wenn man es aus politisch-psychologischen Gründen nicht anwenden kann, soll man es ändern. Sie haben doch die Mehrheit dafür nunmehr vier Jahre gehabt. Dann soll man das Stabilitätsgesetz eben anwendbar machen. Wir wissen doch, warum es nicht anwendbar ist.
Ich selbst habe bei der ersten Beratung des Steueränderungsgesetzes 1973 an dieser Stelle immer nur von einem rückzahlbaren verzinslichen Konjunkturzuschlag mit hoher Freigrenze gesprochen, mit der Zielsetzung, das Stabilitätsgesetz in seinem wichtigsten Punkte überhaupt erst einmal praktikabel zu machen. Ich habe vor allem immer wieder — der Herr Bundesfinanzminister wird sich bei seinem guten Gedächtnis daran erinnern die Notwendigkeit einer hohen Freigrenze betont. Auch bei der zweiten und dritten Lesung des Steueränderungsgesetzes 1973 hat die Opposition erklärt, daß sie in keiner Weise daran denke, bei den unteren Einkommensbeziehern, die von einer doppelten Wirkung erfaßt werden, Geldentwertung und Steuerprogression, einen Konjunkturzuschlag erheben zu wollen. Wir haben im Gegenteil zusätzliche Maßnahmen vorgeschlagen, wonach eine Abschöpfung von Kaufkraft im Bereich der Masseneinkommen zusätzlich auf freiwilliger Basis erfolgen sollte. Ich erspare mir hier die Einzelheiten, sie sind bekannt.Die Regierungskoalition hat alle diese Vorschläge abgelehnt. Die Folge dieser Politik war eine weitere Verschlechterung des Lohnklimas, so die Bundesbank in ihrem Bericht, und eine Verhärtung der lohnpolitischen Auseinandersetzungen, denen wir nun durch diese Vorschläge begegnen wollen. Wir wollen die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bei den kommenden Lohnrunden, die noch drei Viertel des nächsten Jahres umfassen und 14 Millionen Arbeitnehmer betreffen, durch diesen Vorschlag stärken, statt ihnen — ich möchte nicht einmal von einer Ausrede sprechen, denn es ist keine Ausrede — den Zwang aufzuerlegen, unter dem Hinweis auf Inflation, Steuerprogression und möglicherweise noch Produktivitätsanstieg über Lohnvorstellungen zu verhandeln, die zweistellige Zuwachsraten mit einer doch jeden Zweifel ausschließenden Kostenmehrbelastung bedeuteten, die ihrerseits entweder in die Preise geht oder durch erzwungenen Verzicht auf Investitionen andere Nachteile für morgen sozusagen automatischin das Haus einlädt; etwas Drittes gibt es ja leider nicht.Zum Schluß darf ich aber auch noch sagen, daß mehr steuerliche Gerechtigkeit auch ein — wenn ich das Wort gebrauchen darf — gesellschaftspolitisches Anliegen ist; denn gerade der kleine Steuerzahler wird am härtesten von der Progression des Einkommensteuertarifs betroffen. Er ist es, der in der Hauptsache — durch die Erhöhung der Lohnsteuereinnahmen — die Zeche zu bezahlen hat.Früher war die Umsatzsteuer mit Abstand die ertragreichste Einzelsteuer. Heute hat die Lohnsteuer diese Rolle übernommen, weil immer mehr Arbeitnehmer in der Lohnsteuerpflicht aus der Proportionalzone in die Progressionsstufe hineingewachsen sind. 1965 erbrachte die Lohnsteuer 16,7 Milliarden DM. Die Umsatzsteuer — einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer — erbrachte damals 24,2 Milliarden DM, also fast das Eineinhalbfache. Im Jahre 1971 erreichte die Lohnsteuer das Aufkommen aus der Umsatzsteuer. Für 1974 wird die Umsatzsteuer — einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, aber ohne die Investitionssteuer, die eine Stabilitätssondermaßnahme ist — nach amtlichen Schätzungen 56,4 Milliarden DM erbringen, die Lohnsteuer aber 74 Milliarden DM. Was das IFO-Institut prognostiziert, ist so ungeheuerlich, daß ich mich beinahe immer gescheut habe, diese Zahl auszusprechen; denn danach würde die Lohnsteuer bereits im Jahre 1975 bei den vom IFO-Institut gewählten Voraussetzungen 110 Milliarden DM erbringen. Damit ist der Lohnsteuerzahler zum Dukatenesel der angeblichen Reformpolitik dieser Regierung geworden.
Kollege Schmidt hat in Nairobi vor einigen Tagen erklärt — und für diese Erklärung muß man ihn loben; aber dasselbe Wort, früher im Bundestag ausgesprochen, hätte hier manchen Disput erspart —: Inflation ist eine gefährliche ansteckende Krankheit in unserer Gesellschaft, die die bestmögliche Verwendung der Produktivkräfte beeinträchtigt und zu einer Vermögensverschiebung von den wirtschaftlich Schwächeren auf die wirtschaftlich Stärkeren führt.
Ich darf Sie damit in den Klub der Oppositionsredner herzlich aufnehmen; ich handle hier zwar in Geschäftsführung ohne Auftrag, aber bin mir der Zustimmung der ganzen Fraktion der CDU/CSU sicher.
Offensichtlich ist bei Herrn Schmidt ein wohltuender Lernprozeß im Gange, wenn ich an frühere Äußerungen denke, die aus dem gleichen Munde gekommen sind.
Für das Zusammenwirken von Inflation und Steuerprogression nenne ich nur einmal ein Beispiel: Ein alleinverdienender Familienvater mit zwei Kindern, der Arbeiter in der Industrie ist und durchschnittliche Bezüge erhält, muß wegen der
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Straußhohen Abgabe für Sozialversicherung und Steuern im Monat mit einem Arbeitseinkommen vorliebnehmen, das 25 DM mehr als das beträgt, was er bei gleichem Status als Arbeitsunfähiger an Sozialhilfe bekommen würde;
dazu kommen dann allerdings Wohngeld, wenn es von ihm nach seinem Einkommen bezogen werden kann, und Kindergeld. Aber aus seinem Arbeitseinkommen erhält er nur 25 DM mehr. Er muß also über 1600 DM verdienen, um bei gleichem Familienstand dasselbe zu bekommen, was ein arbeitsunfähiger Familienvater mit zwei Kindern erhält. Die Schlußfolgerung daraus ist natürlich nicht, die Sozialhilfe zu senken, aber die Schlußfolgerung ist, dem einzelnen durch eine Annahme unserer Steuervorschläge mehr von seinem Arbeitseinkommen zu belassen.
Es gibt noch weitere Beispiele, die sehr, sehr eindrucksvoll sind.Im übrigen sollte sich der Herr Bundesfinanzminister auch einmal die Statistik der Entwicklung der Sozialhilfefälle und der Sozialhilfeleistungen vorlegen lassen. Diese Statistik ist ungeheuer lehrreich, denn sie zeigt, daß mit dem scharfen Anstieg der Inflation und der Steuerprogression in diesen Bereichen die Sozialhilfefälle in außergewöhnlichem Maße zugenommen haben, d. h. daß mehr und mehr Menschen von der Möglichkeit der Sozialhilfe Gebrauch machen, ja, Gebrauch machen müssen, ohne mit ihr Mißbrauch zu treiben. Allein das — ich habe die Zahlen leider nicht rechtzeitig bekommen können — ist ein sehr eindrucksvolles Argument dafür, daß hier etwas faul ist, daß hier schnellstens Änderungen erforderlich sind.Im DGB-Nachrichtendienst vom 21. September heißt es:Bei allem Verständnis dafür, daß eine gute und ausgewogene Steuerreform für 1974 nicht bewältigt werden kann, erwartet der DGB allerdings, wie mehrfach gefordert, auch kurzfristig eine Reduzierung der wachsenden Lohnsteuerbelastung.Wie stellt sich die Bundesregierung zu diesem Anliegen des Deutschen Gewerkschaftsbundes? Hierüber würden wir gern einmal eine hieb- und stichfeste Auskunft bekommen. Will die Bundesregierung den Steuerzahler tatsächlich bis zum 1. Januar 1975 vertrösten? Wer soll uns, so muß ich beinahe schon sagen, den kindlichen Glauben schenken, daß im Jahre 1975 wirklich das kommt, was man im Jahre 1973 verspricht? Sehen wir uns die Entwicklung doch einmal an: Eckwerte Frühjahr 1971, Eckwerte Herbst 1971, 1972 Funkpause. Nachdem die Fraktion der CDU/CSU am 31. Juli dieses Jahres in ihrer Feriensitzung Steuersenkungen gefordert und Maßnahmen angekündigt hat, wurde der Herr Bundeskanzler, der ja auch ein feines Gespür für kritische Entwicklungen oder für populäre Möglichkeiten hat, die in der Luft liegen, hellhörig. Er kam aus dem Urlaub zurück und verkündete: Steuersenkungen ab 1974. Wenn Ihr Bundeskanzler nunmehr von Helmut Schmidt zurückgepfiffen worden ist, so ist das seine Sache. Er hat es schon gut gemeint. Möchten hätte er schon wollen, aber dürfen hat er sich bei dieser ganzen Geschichte am Schluß nicht getraut.
Wir haben unsere Maßnahmen damals am 31. Juli angekündigt. Der Bundeskanzler hat dies aufgegriffen und hat zum 1. Januar 1974 Maßnahmen in Aussicht gestellt.Bei dem großen Respekt, den die Regierungskoalition vor der Bedeutung und vor der, so möchte man manchmal meinen, Unfehlbarkeit dieses Mannes haben soll, sollten Sie eigentlich beim 1. Januar 1974 bleiben und uns unterstützen. Dann wären wir in einer wichtigen Frage ausnahmsweise einmal einig. Daß Sie den Termin auf den 1. Januar 1975 hinausgeschoben haben und auch noch die Körperschaftsteuerreform zum gleichen Termin ins Auge fassen — das waren koalitionsinterne Wirkungszusammenhänge oder Kettenreaktionen —, ist doch nur die Folge der Tatsache, daß Sie unter dem Druck der Ankündigung unserer gesetzgeberischen Initiative für das Jahr 1975 etwas in Aussicht stellen wollten, um den Druck psychologisch loszuwerden.
Aber wer sagt denn, daß im Jahre 1974 nicht neue Umstände eintreten, neue Erkenntnisse gewonnen werden, die — mit entsprechender propagandistischer Phraseologie in die Öffentlichkeit gesetzt — das Inkrafttreten zum 1. Januar 1975 aus diesem oder jenem Grunde dann eben doch nicht möglich machen oder nicht ratsam erscheinen lassen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit von 45 Minuten ist abgelaufen.
Unser Gesetzentwurf ist so einfach und kann bei gutem Willen so schnell verabschiedet werden, daß die Wirkung einer Beruhigung an der Lohnfront, die Wirkung eines Druckes hinsichtlich Sparsamkeit bei den öffentlichen Haushalten ohne jeden Zweifel schnellstens erreicht werden kann. Dies wird durch die Erhöhung der Freigrenze, durch die Gewährung einer höheren steuerfreien Weihnachtszulage und dann noch durch eine Verdreifachung der Werbungskostenpauschale für die Sparer erreicht, die ja in der Hauptsache die Betrogenen des ganzen inflationären Zuges geworden sind. Wenn Sie das machen, beweisen Sie, daß Sie eine moderne konjunkturpolitische Einstellung haben, daß Sie die heute noch gegebenen Möglichkeiten begreifen und daß Sie es uns ersparen, im nächsten Jahr sagen zu müssen: Hätten wir es doch zum 1. Januar 1974 getan! Dann hätte es mehr Sinn gehabt als am 1. Januar 1975. Wie an andere Versprechungen so glauben wir auch an die Inkraftsetzung zu diesem Termin ohnehin nur sehr bedingt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer Herrn Strauß kennt, hat gespürt, welche Schwierigkeiten er hier heute mit seiner Vorstellung hatte. Denn es ist ja nicht glaubhaft, daß ein konservativer oder konventioneller Finanzpolitiker — so hat er sich hier selbst bezeichnet — noch nie etwas von antizyklischer Steuerpolitik gehört hätte.
Als ehemaliger Volkswirtschaftsstudent und ehemaliger Finanzminister, Herr Strauß, wissen Sie sicherlich,
daß antizyklische Steuerpolitik bedeutet, daß man im Boom die Steuern erhöhen und nicht ermäßigen muß, wie Sie es heute hier vorschlagen.
Daß die ökonomische Einsicht der Opposition größer ist, als hier heute deutlich wurde, ergibt sich auch daraus, daß Sie noch vor wenigen Monaten einen allgemeinen Konjunkturzuschlag gefordert haben, einmal mit Freibetrag und einmal ohne Freibetrag, einmal rückzahlbar und einmal nicht rückzahlbar, einmal verzinslich und einmal nicht verzinslich.
— Ich sage die Wahrheit. Lesen Sie doch einmal nach, was Herr Schäfer, Herr Stoltenberg, Herr Strauß und Herr Häfele im vergangenen Sommer alles gesagt haben! Aus jedem Mund hörten wir einen anderen Vorschlag. Nun, auf diese Widersprüchlichkeiten der Opposition kann sich jeder seinen eigenen Reim machen,
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Auf diese Widersprüchlichkeiten der Opposition kann sich jeder seinen Reim machen. Das konjunkturpolitische Abc des Herrn Strauß lautet etwa so: In Monaten ohne r, also von Mai bis August, wird gesagt, daß ein Konjunkturzuschlag erhoben werden soll, in Monaten mit r, d. h. ab September, wird eine Steuerermäßigung versprochen. Das ist Ihr konjunkturpolitisches Abc.
Dabei verstehe ich sehr wohl, meine Herren von der Opposition, daß man unter taktischen Gesichtspunkten Anlaß hat, heutzutage massive Steuerermäßigungen vorzuschlagen und zu versprechen. Denneben jetzt — die Zahlen des Monats September liegen vor — zeigen sich die ersten deutlichen Erfolge der Stabilitätspolitik der Bundesregierung. Nachdem die Steigerungsrate des Lebenshaltungskostenindexes im Juni — darüber haben Sie sich so sehr aufgeregt — noch 7,9 % betragen hatte, ist sie im Juli und im August schon deutlich zurückgegangen. Wir haben für September bereits eine Zahl von 6,4 % und sind damit zu einer deutlichen Minderung der Preissteigerungsrate gelangt. Die Bundesrepublik gehört damit wiederum zu den westlichen Industriestaaten mit der niedrigsten Preissteigerungsrate. Das muß, wenn wir hier über die wirtschaftspolitische Situation diskutieren, auch einmal gesehen werden.
Die Erfolge der Bundesrepublik sind dann besonders deutlich, wenn wir sehen, wie gerade im zweiten Halbjahr in den anderen Staaten die Preiserhöhungsrate massiv größer geworden ist als im ersten Halbjahr.Bei dieser Gelegenheit muß man auch den immer wieder vorgetragenen tendenziösen Berechnungsbeispielen entgegentreten, in denen behauptet wird, daß den Arbeitnehmern in diesem Jahr kein realer Einkommenszuwachs verschafft werden könne. Bei diesen Berechnungen wird fälschlicherweise immer von einer Preissteigerungsrate von 8 % ausgegangen. In Wirklichkeit werden wir für das gesamte Jahr unter 7 % landen.Dann wird eine Einkommenssteigerung von 8,5 % dagegengerechnet, was ebenfalls falsch ist. Wir werden in diesem Jahr Einkommenssteigerungen von 12 bis 13 % haben. Das ergibt immerhin reale Einkommenszuwächse von 2, 3, vielleicht sogar von einigen Zehnteln Prozent mehr bis zum Ende dieses Jahres
Auch dies ist ein Erfolg der Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung; denn damit sah es zu Beginn dieses Jahres ganz anders aus.
Zu Beginn dieses Jahres — ich erinnere an das Sachverständigengutachten — wurde auch eine massive Gewinnexplosion vorhergesagt. Alle verteilungspolitischen Auswirkungen und die sich dadurch ergebenden sozialen Konflikte waren für jedermann klar. Auch deswegen war unser Konjunkturprogramm im Sommer dieses Jahres mit der massiven Besteuerung im Unternehmensbereich richtig. Von der Stabilitätsabgabe bis hin zur Investitionssteuer wurde die Disparität in der Einkommensentwicklung weitgehend vermieden. Wir kommen heute zu der Erkenntnis, daß die Bruttoeinkommen aus Arbeitnehmertätigkeit wahrscheinlich ebenso oder vielleicht sogar geringfügig stärker steigen werden als die Einkommen aus Unternehmertätigkeit; auch das, meine Damen und Herren, ist ein großer Erfolg der Konjunkturpolitik dieser Regierung.Durch den Gesetzentwurf, der hier von Herrn Strauß begründet wurde, verspielt die Opposition, meine ich, die letzten Reste — falls sie überhaupt
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Offergeldnoch vorhanden waren — ihrer innenpolitischen Glaubwürdigkeit. Wie will man denn dem Bürger draußen klarmachen, daß gleichzeitig einerseits noch Stabilitätszuschlag und Investitionssteuer erhoben werden und andererseits massive steuerliche Entlastungen gewährt werden sollen?
Das ist doch das Prinzip, Herr Strauß, gleichzeitig auf das Bremspedal und auf das Gaspedal zu treten. Nicht nur im Straßenverkehr, auch in der Konjunkturpolitik kann das nur schlecht ausgehen. Das ist ja geradezu schizophren.
Das kann selbst Herr Strauß mit seiner Dialektik dem Mann auf der Straße nicht klarmachen.
Sie selbst, Herr Strauß, zahlen wahrscheinlich einerseits Stabilitätsabgabe, und auf der anderen Seite wollen Sie sich durch dieses Steuerpaket steuerliche Erleichterungen verschaffen. Wo bleibt denn da die konjunkturpolitische Vernunft?
Alle Sachverständigen, auch das IFO-Institut, das Herr Strauß hier so genüßlich zitiert hat — wenn man schon zitiert, dann sollte man auch dazusagen, daß das IFO-Institut vor Steuererleichterungen gewarnt hat —, die Bundesbank, die Sozialpartner in der Konzertierten Aktion, sie alle empfehlen ein striktes Weiterführen der Stabilitätspolitik. Das Argument, Herr Strauß, daß Steuererleichterungen die Tarifverhandlungen beeinflussen würden, werden Sie doch selber nicht ganz ernst nehmen. Auch da kann man sich auf den Hinweis auf die Äußerungen der Sozialpartner bei der Konzertierten Aktion beschränken.Wenn der ökonomische und konjunkturpolitische Sachverstand bei der Opposition nicht ganz abhanden gekommen ist — und das will ich nicht annehmen —, dann weiß die Opposition allerdings, daß dieser Gesetzentwurf der massive Versuch ist, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung zu unterlaufen.
Dies ist kein Inflationsentlastungsgesetz, Herr Strauß, sondern das ist ein Inflationsförderungsgesetz, was Sie uns hier vorlegen.
Dann noch einige Anmerkungen zur Finanzierungsseite der öffentlichen Haushalte; auch hierüber haben Sie sich verbreitet, Herr Strauß. Was Sie hier in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs schreiben, das ist nun das Abstruseste, was man sich vorstellen kann. Sie schreiben einmal, daß die Steuermehreinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden im nächsten Jahr nach der Neuschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung im August 1973 gegenüber der vom Februar — auch das haben Sie wiederholt, das stimmt auch — 14 Milliarden DM betragen. Davon wollen Sie nach Ihrer Rechnung 8 Milliarden DM — in Wirklichkeit bringt Ihr Gesetzentwurf einen Ausfall von über 9,6 Milliarden DM; auch das ist bezeichnend — einsetzen, um — mit Ihrer Formulierung — „die heimlichen Steuererhöhungen wenigstens zu einem Teil rückgängig zu machen". Zum anderen sagen Sie, daß der Staat — das sind ja wohl auch die CDU/CSU-regierten Länder — „die inflationären Steuereinnahmen des Jahres 1974 . . . in vollem Umfang wieder ausgeben , wie der neue Finanzplan der Bundesregierung für die Jahre bis 1977 ausweist".Dazu sind einige ganz nüchterne Tatsachenfeststellungen notwendig.Erstens hat die Bundesregierung am 5. September dieses Jahres den Ausgaberahmen des Bundeshaushaltes 1974 auf 134,4 Milliarden DM festgelegt und hat zu seiner Finanzierung die Steuereinnahmen des Bundes auf Grund der August-Schätzungen — darauf kommt es an — veranschlagt. Der Ausgabenzuwachs des Bundeshaushalts — bei aller Fragwürdigkeit dieser Größe im Hinblick auf die konjunkturpolitischen Auswirkungen des Haushalts — bewegt sich mit 10,5 % im Gleichschritt mit der Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 1974 und trägt somit stabilitätspolitischen Erfordernissen durchaus Rechnung.Zweitens. Die Einnahmenseite des Bundeshaushalts 1974 enthält zudem eine minimale Nettokreditaufnahme von nur 2,3 Milliarden DM. Sie liegt somit noch unter dem Ansatz des Jahres 1973.Drittens. Falls im Verlaufe des Etatjahres 1974 über die Auguststeuerschätzungen hinaus höhere Steuern eingehen, wird der Bund diese nicht zusätzlich verausgaben, wie Herr Strauß unterstellt, sondern er wird sie stabilitätsgerecht bei der Bundesbank festlegen. Auch dazu hat sich die Bundesregierung verpflichtet. Die Bundesregierung hat außerdem, wie die Opposition auch wissen sollte den Entwurf einer Schuldendeckelverordnung für 1974 ausgearbeitet, den sie mit den Bundesländern im Finanzplanungsrat abstimmen wird.Das sind die Tatsachen für den Bund; d. h. von einer Wiederausgabe inflationärer Steuermehreinnahmen kann für diesen Teil der öffentlichen Haushalte überhaupt keine Rede sein.Nun muß man aber in diesem Zusammenhang einige Fragen an die Opposition richten. Man muß die Opposition fragen, was sie eigentlich mit dem Bundeshaushalt 1974 machen will, wenn nun plötzlich über 4 Milliarden DM für den Bundeshaushalt an Einnahmen fehlen. Der Begründung zu diesem „Inflationsförderungsgesetz" kann man ja nur entnehmen, daß Ihnen die Mehrausgaben des Bundeshaushaltes zuviel sind. Davon muß man doch konkret ableiten, daß Ihnen etwa die 3,6 Milliarden DM Mehrausgaben für die Träger der sozialen Rentenversicherung zuviel sind. Daraus muß man auch konkret ableiten, daß Ihnen die Mehrausgaben von 1,1 Milliarden DM zur Verbesserung der Kriegs-
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Offergeldopferversorgung zuviel sind. Davon muß man etwa ableiten, daß Ihnen die 400 Millionen DM Mehrausgaben für besondere agrarpolitische Maßnahmen auch zuviel sind.
— Ja, Herr Althammer, „alte Masche" : Bei Ihnen ist es eine alte Masche, ständig Minderausgaben zu fordern, dann aber in jedem konkreten Fall Mehrausgaben zu verlangen. Das ist in der Tat eine alte Masche.
Ich habe drei Bereiche genannt: Sozialversicherungsträger, Kriegsopferversorgung, Agrarpolitik. Das sind drei Bereiche, in denen Sie der Bundesregierung bislang immer zu große Sparsamkeit vorgeworfen haben. Da sehen wir massive Mehrausgaben für das nächste Jahr vor. Offenbar sind Sie jetzt anderer Ansicht: Sie wollen sparsamer sein als die Bundesregierung. Wir nehmen diesen erneuten Sinneswandel mit Interesse zur Kenntnis, wahrscheinlich auch die davon Betroffenen.Was die öffentlichen Haushalte anbetrifft, muß man die Opposition weiter fragen, wie sie denn nun zu den Erklärungen des von der CSU regierten Landes Bayern und wie sie zu den Erklärungen der noch CDU-regierten Länder Saarland, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg stehen, die ihre jetzigen Steuereinnahmen für nicht ausreichend halten. Herr Filbinger, Herr Stoltenberg — verlangen unisono eine Erhöhung um 5 % des Umsatzsteueranteils der Bundesländer, sprich in Klartext: für das nächste Jahr 3 Milliarden DM mehr für die Bundesländer. Und Sie muten mit Ihrem Gesetzentwurf dem Bund Mindereinnahmen von 4,1 Milliarden DM, den Ländern — Ihren Bundesländern, die sich ja in ach so argen Finanznöten befinden — Mindereinnahmen von 4,1 Milliarden DM und den Gemeinden nochmals Mindereinnahmen von 1,4 Milliarden DM zu.Wie soll denn das alles auf einen Nenner gebracht werden? Hat sich denn Herr Strauß mit Herrn Goppel, mit Herrn Filbinger, mit Herrn Stoltenberg und Herrn Kohl über dieses sein konjunkturpolitisches Sofortprogramm — Wunderprogramm — einmal verständigt, oder rechnen denn diese Landesfürsten, die sich dazu überhaupt nicht äußern, schlicht damit, daß die Regierungskoalition aus ihrer Verantwortung heraus diese Gesetzentwürfe schon ablehnen werde?
An wen sollen wir uns halten, Herr Strauß, an Sie, die CDU/CSU in diesem Hause, oder an die CDU/CSU draußen im Lande? Beides miteinander, was hier im Haus und draußen im Lande gefordert wird, geht doch nicht. Was muten Sie denn den Gebietskörperschaften bei der Verwirklichung Ihres Gesetzentwurfes 1974 zu? Sollen sie sich stärker verschulden?Aber offenbar machen Sie es sich ja ganz leicht: Die CDU/CSU im Bund fordert, was ja immer sehr populär ist, Steuersenkungen, also verminderte Einnahmen, und zugleich höhere staatliche Leistungen, also höhere Ausgaben. Den Ländern und Gemeinden soll der Bund zur Finanzierung der Staatsaufgaben ebenfalls das Geld geben. Aber wo der Bund bleibt, wie wir die soziale Sicherheit, wie wir die innere Sicherheit, wie wir die äußere Sicherheit garantieren können, das wiederum ist der Opposition offenkundig egal.So primitiv, meine ich, geht es nicht. Das nimmt Ihnen draußen auch der kleine Mann, der — ich gestehe es wohl — oft Schwierigkeiten hat, das taktische Ränkespiel der Opposition zu durchschauen, nicht ab.
Dabei müssen wir natürlich von seiten der Regierungskoalition durchaus eingestehen, daß es nicht immer ganz einfach ist, im gegenwärtigen Zeitpunkt Steuerermäßigungen abzulehnen. Sicherlich verspüren auch wir darüber ein Unbehagen, daß gerade die Lohnsteuer so explosionsartig zunimmt; denn durch diese Lohnsteuer zahlen auch die Arbeitnehmer — das sehen wir sehr wohl — ihren Anteil zur Stabilität. Wir haben deswegen auch großes Verständnis für die immer wieder vorgetragenen Forderungen nach Steuersenkungen und Steuerreform. Aber wir wissen auch, daß es gerade und vor allem im Interesse der Arbeitnehmer liegt, daß wir etwas gegen die hohen Preissteigerungsraten tun. Daher werden wir von diesem Stabilitätsprogramm nicht ablassen, bevor wir nicht über dem Berg sind, und wir werden das süße Gift dieses Zehn-MilliardenSteuererleichterungspaketes nicht entgegennehmen.Aber ich meine, noch ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang wichtig. Auch wenn der Herr Strauß sich hier als ein steuerpolitisches Unschuldlamm in einen Schafspelz kleidet, wissen wir ganz genau, worum es ihm bei diesem Zehn-MilliardenPaket geht.
— Ein Lamm im Schafspelz, ja. In Wirklichkeit ist es ein Wolf im Schafspelz, das wissen auch Sie.Mit diesem Zehn-Milliarden-Paket geht uns die gesamte notwendige Manövriermasse für eine echte, strukturverändernde Steuerreform verloren. Mit diesen Vorwegmaßnahmen würde das bisherige Steuersystem festgeschrieben, das mit dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben" am besten gekennzeichnet ist. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur ein Inflationsförderungsgesetz
— Herr Strauß, das wissen Sie bei Ihrer Pfiffigkeit ganz genau —, dieser Gesetzentwurf ist auch ein Steuerreformyerhinderungsgesetz. Auch das müssen wir ganz klar sehen.
Wenn diese 10 Milliarden DM weg sind, haben wir nicht mehr die 4 bis 5 Milliarden DM Manövriermasse, die wir für einen sozialen Familienlastenausgleich benötigen. Wenn diese 10 Milliarden DM weg sind, haben wir auch nicht mehr die Mittel, die wir
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Offergeldim nächsten Jahr für eine gezielte Entlastung der unteren und mittleren Einkommen benötigen.Herr Strauß, Sie hätten die Energie, die Sie hier für das Roulett-Spiel der Opposition eingesetzt haben, besser verwenden sollen; denn es war ein Roulett-Spiel, bevor dieser Gesetzentwurf hier auf den Tisch kam. Das war ein Roulett-Spiel mit vielen Mitspielern: eine Höcherl-Kommission, das CDU-Präsidium, die CDU/CSU-Fraktion, aber auch Herr Filbinger und Herr Stoltenberg sind nicht zu vergessen. Das war ein Roulett-Spiel mit offenem Ausgang.
— Ich spreche jetzt nur von der Opposition; der Bundeskanzler gehört nicht zu Ihnen.
Das war ein Roulett-Spiel: ein Entlastungspaket kommt, ein Entlastungspaket kommt nicht, ein Entlastungspaket kommt früher, es kommt später, es kommt so, es kommt anders, es kommt — ja, es kommt nein, es kommt überhaupt nicht, es kommt doch. Zum Schluß gebiert dann der kreißende Berg diese wüste, häßliche Maus, die Sie uns hier präsentiert haben.
— Herr Strauß, vielleicht bleibt Ihnen diese Maus einmal im Halse stecken!
Herr Strauß, diese Ihre Energie hätten Sie besser darauf verwendet, uns hier einmal ein Steuerreformkonzept der Opposition zu bieten.
Seit Jahren wird uns angekündigt, daß ein Konzept kommt. Herr Breidbach, der sich jetzt so amüsiert, kann eines der Sozialausschüsse vorweisen — das wissen wir —, nur kann er es in seiner Fraktion eben nicht durchsetzen.
Jetzt geht es im Finanzausschuß hart auf hart.
Wir würden gern einmal wissen, was Sie in der Steuerreform wollen. Wollen Sie das mitmachen, was wir vorgeschlagen haben, oder wollen Sie das nicht mitmachen? Meine Prognose ist ganz klar: Wir sind der Auffassung — dieser Gesetzentwurf veranlaßt und bestärkt uns in dieser Auffassung —, daß Sie diese soziale, strukturverändernde Steuerreform so, wie sie die Bundesregierung vorschlägt, blockieren wollen.
Wir halten diese Steuerreform für eine zentrale innenpolitische Aufgabe dieser Legislaturperiode, und gerade auch aus diesem Grunde werden wir uns nicht darauf einlassen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, der diese Steuerreform blockieren wird.Auch wir sind der Auffassung — ich darf es wiederholen —, daß wir Steuererleichterungen gerade für mittlere und untere Einkommensbezieher dringend nötig haben; wir müssen sie allerdings dann gewähren, wenn es konjunkturpolitisch vertretbar ist. Es ist jetzt schon mit Sicherheit abzusehen, daß das Datum 1. 1. 1975 geeigneter sein wird als das Datum 1. 1. 1974, wie es die Opposition vorschlägt..Meine Damen und Herren, aus konjunkturpolitischen, aus finanzpolitischen und aus steuerpolitischen Gründen ist dieser Gesetzentwurf der Opposition unverantwortlich. Er kann nicht ernsthaft diskutiert werden. Wir werden ihn daher ablehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Strauß, Sie sind das wird Ihnen niemandbestreiten ein Mann, der mit Überzeugungskraft seine Ansichten vortragen kann. Nachdem ich Ihnen heute morgen hier zugehört habe, frage ich mich aber, ob Sie eigentlich den konjunkturpolitischen Teil Ihres Vortrags selber glauben.
Ich nehme aber an, Herr Strauß, daß Sie die zitierten populären Möglichkeiten in Ihre Überzeugung aufgenommen haben. Daß aber das, was Ihre Fraktion hier vorschlägt, konjunkturpolitisch verantwortbar und ernsthaft vertretbar sei, ist, so scheint mir, auch in Ihrem eigenen Kopf Zweifeln ausgesetzt.Herr Strauß, Sie haben sich darüber beklagt, daß konjunkturpolitisch im Eventualis gesprochen werde. Aber es ist richtig: wer Konjunkturpolitik und Prognose betreibt, wird immer im Konjunktiv sprechen müssen und sich der Mängel, die in jeder Voraussage liegen, bewußt bleiben müssen. Mit dem Absolutheitsanspruch, mit dem Sie in anderen Fragen aufwarten können, Herr Strauß, geht es hier nicht, weil sich die Fehler der Aussage kurzfristig herausstellen. Das, was Sie sonst so absolut und laut vortragen, findet seine Konsequenz sehr häufig erst nach Jahren, und dann spekuliert man auf Vergeßlichkeit. Ich glaube, daß konjunkturpolitische Diagnosen und das Bemühen darum letztlich dazu führen sollten, sich mit einiger Bescheidenheit mit diesen Problemen auseinanderzusetzen. Wer diese Bescheidenheit verliert, Herr Kollege Strauß, dem geht es so wie demjenigen, für dessen Rückkehr Sie sich vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU sogar an den lieben Gott wenden zu müssen meinten. Wenn ich es recht sehe, ist der Betreffende auf dein Stellenmarkt lieferbar; ich glaube, Sie können ihn bekommen.
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Dr. Graf Lambsdorff— Das Manuskript Ihrer Rede liegt hier vor mir. „Manchmal bäte ich den lieben Gott, daß er uns Karl Schiller wieder senden möchte", haben Sie wörtlich ausgeführt.
Meine Damen und Herren, für meine Fraktion habe ich klar und deutlich zu erklären, daß dieser Gesetzentwurf der Opposition nach unserer Auffassung in Form und Inhalt unseriös ist, daß er in der Begründung noch unseriöser ist und daß der Name des Entwurfs das Unseriöseste an dem ganzen Unternehmen ist.
Der Entwurf ist nach Form und Inhalt unseriös, weil er technisch zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nicht durchführbar — Herr Kollege Offergeld hat darauf hingewiesen — und weil er stabilitätspolitisch unverantwortlich ist. Ich brauche nicht an all das zu erinnern, was hier von der CDU/CSU zur Stabilitätsabgabe und ihrer konjunkturpolitischen Bedeutung vorgetragen worden ist. Herr Strauß, es geht konjunkturpolitisch überhaupt nicht um die Frage, ob Stillegung und Verzinsung ja oder nein, sondern nur um die Frage, ob Sie Kaufkraft freisetzen oder Kaufkraft binden. Dies ist der einzig entscheidende Gesichtspunkt. Alles andere sind Ablenkungsmanöver.
— Herr Müller-Hermann, wenn das Geld beim Bürger zum Konsum freigegeben wird, ist es selbstverständlich stabilitätsgefährdender, als wenn es auf den Sperrkonten der Bundesbank liegt.
Meine Damen und Herren, die Stabilitätsabgabe hat ihren Hauptzweck, auch in bezug auf die Konstruktion, die seinerzeit von der Regierung vorgeschlagen und von Ihnen kritisiert und bekämpft worden ist, erfüllt. Sie hat dafür gesorgt — Herr Offergeld hat es schon gesagt —, daß die Gewinnexplosion nicht stattgefunden hat. Was diese Gewinnexplosion angesichts des ohnehin heißen Herbstes der Tarifrunde in diesem Lande konjunkturpolitisch bedeutet hätte, kann sich jeder von Ihnen unschwer ausmalen. Man mußte die Zahlen aus dem Sondergutachten des Sachverständigenrates in den Griff bekommen, die Schere mußte geschlossen werden. Dies ist uns, wie Sie aus der letzten Konzertierten Aktion und den dabei veröffentlichten Zahlen wissen, in einem Umfang gelungen, den ich —Herr Strauß, hier haben mich seinerzeit selber Zweifel beschlichen — im Frühjahr kaum erwartet hätte. Das war eine außergewöhnlich erfolgreiche Aktion.Warum, Herr Kollege Strauß und meine Damen und Herren von der Opposition, haben wir eigentlich damals neben anderen Maßnahmen die Stabilitätsabgabe gezielt auf die Investitionstätigkeit und eben nicht auf den Konsumenten beschlossen? Doch deswegen, weil es in diesem Lande, ausgenommen bei einigen höherwertigen Gebrauchs- und Verbrauchsgütern, einen Konsumentenboom nicht gegeben hat. Es gibt ihn auch zur Zeit nicht. Sehen Sie sich bitte einmal die Umsatzentwicklung beim deutschen Einzelhandel, vor allem aber bei den Kaufhäusern und beim Versandhandel, an. Dort gibt es keine explosionsartige Entwicklung.
— Herr Kollege Strauß, ich bin noch nicht ganz am Ende. Sie wissen aber — oder wir wissen es jedenfalls aus Erfahrung —, daß sich auslaufende Hochkonjunkturen bisher darin widerspiegelten, daß sich am Schluß ein Konsumentenboom anschloß. Dies ist in den Zyklen, die hinter uns liegen, der Fall gewesen. Es ist zu fragen, ob uns das auch dieses Mal wieder passieren kann. Ich bin nicht ganz sicher. Aber ich würde es für verderblich halten, wenn der wünschenswerte Tatbestand, daß das vielleicht diesmal nicht eintritt, künstlich dadurch hervorgerufen würde, daß mit einem Gesetz, wie Sie es vorschlagen, ein Anreiz dafür gegeben wird.Die Begründung Ihres Entwurfs, meine Damen und Herren, ist noch unseriöser als Form und Inhalt. Die Behauptung, daß der Staat die Mehreinnahmen ausgegeben habe oder ausgeben würde, hat Herr Offergeld bereits widerlegt. Daß der Bund in diesem Jahr 610 Millionen DM Steuereinnahmen stillgelegt hat, ist bekannt. Völlig neben der Sache liegt insbesondere die auf Seite 2 der Begründung Ihres Gesetzentwurfs angeführte Behauptung, daß die Steuerentlastung einen dämpfenden Einfluß auf die Tarifverhandlungen haben werde. Wie, meine Damen und Herren von der Opposition, können Sie eine solche Argumentation aufrechterhalten, nachdem als Ergebnis der Konzertierten Aktion von Gewerkschaftsseite klar gesagt worden ist: Das kann zwar das Klima erleichtern, aber es kann keine materiellen Auswirkungen haben?Herr Kollege Strauß, Sie pflegen im Zweifel die „Süddeutsche Zeitung" zu lesen und werden den Aufsatz gerade über diese Frage in der vergangenen Woche zur Kenntnis genommen haben. Darin hieß es u. a., daß ein solcher Entwurf gerechtfertigt sein könnte, wenn dadurch Tarifverhandlungen maßgeblich dämpfend beeinflußt werden könnten. Aber das ist erklärtermaßen eben nicht der Fall. Deswegen verstehe ich nicht, wie eine solche Begründung noch heute und an dieser Stelle aufrechterhalten werden kann.Schließlich noch ein Wort zum Namen. Dies soll ein „Inflationsentlastungsgesetz" sein? Herr Offergeld hat es beim richtigen Namen genannt. Ich hatte mir das Stichwort „Inflationsbegünstigungsgesetz" aufgeschrieben; aber ich bin mit „Inflationsförderungsgesetz" ebenfalls einverstanden. Das ist es in der Tat. Wenn wir die Inflation bekämpfen und in den Griff bekommen wollen, können wir es nicht dadurch versuchen, daß wir die Dosis Gift, die die Inflation ohnehin bedeutet, noch durch eine Über-
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Dr. Graf Lambsdorffdosis verstärken, sondern dann müssen wir — und das hat diese Regierung getan — mit Gegengiften ansetzen.
Wir wissen und bestreiten nicht, daß uns die inflationäre Entwicklung veranlaßt, auf der steuerlichen Seite Erleichterungen zu schaffen. Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dies kann und darf nur in einem Augenblick geschehen, in dem das stabilitäts- und konjunkturpolitisch verantwortet werden kann. Deswegen haben wir uns entschlossen, unter Vorziehen der ursprünglichen Pläne das Datum des 1. Januar 1975 für das Inkraftsetzen dieser Maßnahmen zu wählen.
— Herr Häfele, ich bin sicher, daß wir diesen Gesetzentwurf durchführen werden — jawohl!
— Herr Kollege Breidbach, wenn Sie es nicht verstanden haben, muß es nicht unbedingt am Redner liegen.
Meine Damen und Herren, Inflationsbekämpfung sieht anders aus. Sie sind es gewesen, die uns immer vorgehalten haben, wir würden uns diesem Thema nicht mit der notwendigen Energie widmen.Sie kommen jetzt mit Anträgen, die ein die Inflation bekämpfendes Programm zerstören würden — und das in einem Augenblick, meine Damen und Herren, in dem wir aus den jüngsten Zahlen endlich den ersten Rücklauf im Preisindex ersehen. Er betrug für den vorigen Monat 6,5 %. Ich bin der letzte, der einen Monat überbewerten wollte; aber immerhin glaube ich doch, man kann sich darüber freuen, daß die Preisentwicklung nicht in der anderen Richtung weitergegangen ist.Der Einwand, die saisonalen Entwicklungen hätten in den vergangenen Monaten eine überragende Rolle gespielt, liegt meines Erachtens neben der Sache; denn in den Vergleichsmonaten der Vorjahre waren die saisonalen Einflüsse etwa der Agrarpreise im wesentlichen genau die gleichen. Im Gegenteil: Jeder von Ihnen hat uns gesagt, die Erhöhung der Mineralölsteuer werde sich in böser Weise im Preisindex ab 1. 7. 1973 auswirken. Aber dies ist nicht eingetreten. Natürlich ist die Erhöhung der Mineralölsteuer im Index enthalten; wer wollte das bestreiten! Daß sie sich nicht in einer Erhöhung des Index auswirkte, ist ein Anzeichen dafür, daß wir mit unseren Maßnahmen den richtigen Weg gegangen sind.Meine Damen und Herren, ich möchte mich gern noch einem anderen Thema der Auseinandersetzung zwischen Regierungskoalition und Opposition zuwenden: der grundsätzlichen Form der wirtschafts- und konjunkturpolitischen Debatte. Herr Strauß, ich habe mit Interesse und Vergnügen zur Kenntnis genommen, daß Sie die Aufgabe des wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinators Ihrer Fraktion übernommen haben. Ich sage „mit Vergnügen" deswegen, weil ich weiß, daß Sie dieses Thema sachverständig behandeln, und weil ich zugebe, daß ich von dem Hinweis auf ein Semester Volkswirtschaft in Innsbruck überhaupt nichts halte. Das kann ich schon deswegen nicht, weil ich kein Semester Volkswirtschaft — auch nicht in Innsbruck — hinter mir habe.
Wir beide können allenfalls die Frage stellen, ob man dieses Thema besser auf der Basis der Juristerei oder der Altphilologie bestreitet. Aber es hat Zeit, bis sich das herausstellen wird.
Ich weiß nur nicht ganz genau, meine Damen und Herren, wie das eigentlich in dem Wechselspiel mit den Sprechern der Opposition aussieht. Ich hoffe, wir werden weiterhin das Vergnügen haben, dieses Thema mit Herrn Müller-Hermann und Herrn Höcherl hier diskutieren zu können. Ich weiß nicht, ob auch der Kollege Narjes daran beteiligt sein wird.Herr Kollege Strauß, die Frage lautet: Wollen Sie dieses Geschäft hier in Bonn betreiben? Denn wir müssen in der Tat — wir haben das damals auch mit Bedauern festgestellt — kritisieren, daß Sie z. B. bei der dritten Lesung des Bundeshaushaltes nicht hier, sondern in Südafrika geweilt haben. Wir kritisieren das vor allem deswegen, weil Sie im Anschluß daran in der Sommerpause Äußerungen zur Konjunktur- und Wirtschaftspolitik der Regierung gemacht haben, die es lohnen, einige Worte darüber zu verlieren.Sie haben vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU kurz und bündig davon gesprochen, in Bonn werde „konjunkturpolitische Kurpfuscherei und Quacksalberei" betrieben. Dies zur gleichen Zeit, meine Damen und Herren, als im gesamten westlichen Ausland von einer eher überzogenen Stabilitätspolitik der Bundesregierung geschrieben und gesprochen wurde. So konnten Sie in der Zeitung „Business Week" lesen, man habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß ein auf Wachstum ausgerichtetes Land die Investitionen besteuere. Sie konnten zur gleichen Zeit aus französischen Quellen hören, daß man von einer „brutalen Stabilitätspolitik" in Deutschland sprach. Sie finden in dem jährlichen Deutschlandgespräch beim Internationalen Währungsfonds wörtlich die Stellungnahme, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Politik zur Inflationsbekämpfung erfolgreich sei und dafür internationale Anerkennung verdiene.Diese Konjunkturpolitik müssen wir ungeschmälert fortsetzen. Wir sind noch längst nicht so weit, daß wir uns vor dem sogenannten overkill zu fürchten hätten. Meine Fraktion und ich sind befriedigt darüber, daß die Konzertierte Aktion, wie Herr Offergeld zutreffend angeführt hat, ergeben hat, daß wir bei dieser Politik bleiben wollen, unbeschadet der Erschwernisse und Belastungen, die sie für den einen oder anderen, für die eine oder andere Gruppe in diesem Lande mit sich bringt.Ich brauche nicht zu versichern, daß wir kein Beschäftigungsrisiko eingehen wollen. Ich kann aber dem Herrn Bundesfinanzminister zustimmen, der erst
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Dr. Graf Lambsdorffvor wenigen Tagen gesagt hat, daß es darum gar nicht gehe, sondern daß es allenfalls darum gehe, ein gewisses Maß an Überbeschäftigung in den Griff zu bekommen.Für uns gilt nach wie vor, was Sie heute einem Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen" aus den Vereinigten Staaten entnehmen können: Es ist nicht die Rezession, die wir in erster Linie zu fürchten haben. Es ist nach wie vor in erster Linie die Inflation, mit der wir es zu tun haben. Wir wissen auch — das muß man natürlich bei einer solchen Politik sehen —, daß die Durchhaltung solch einer strikten Konjunktur- und Antiinflationspolitik in einigen Bereichen zu strukturell nachteiligen Folgen führen kann. Das ist unvermeidlich und bedauerlich. Manchmal fragt man sich, ob das Kochbuchrezept der modernen Volkswirtschaften „mal wieder Gas geben, mal wieder bremsen" wirklich der Weisheit letzter Schluß ist. Aber wir wissen nichts Besseres als diese Politik, die die Nationalökonomen in den Vereinigten Staaten das große V nennen, um damit sichtbar zu machen, wie man von oben herunterfährt, um dann wieder nach oben hinaufzukommen.Die Regierung muß sehr sorgfältig im Auge behalten, wie sich die konjunkturelle Entwicklung abzeichnet. Ein zu tiefes Hinabgleiten hat nämlich erfahrungsgemäß die Folge, daß anschließend in einem Maße Gas gegeben wird, daß die Schäden, die man beseitigen und bekämpfen wollte, sehr bald zurückkehren. Die Gegen-Übersteuerung, wenn ich das einmal so nennen darf, ist eine Gefahr, die jeder Politik dieser Art, gleichgültig, wer sie in welchem Lande betreibt, innewohnt. Darauf sollte man aufpassen.Herr Strauß, Sie haben den Bericht der Bundesbank vom September dieses Jahres zitiert. Ich darf ganz offen sagen: Ich habe etwas Zweifel, ob die kurze und bündige Eingangsfeststellung, die Konjunktur in der Bundesrepublik Deutschland entwickele sich weiter auf hohem Stand, noch so uneingeschränkt richtig ist. Diese Zweifel erwachsen im wesentlichen aus den Kurven und den Abläufen, die sich in diesen Kurven niederschlagen. Auf Seite 2 des Bundesbankberichtes gehen eigentlich nur noch zwei Kurven nach oben, nämlich die Zunahme der offenen Stellen und die Zunahme des Preisanstiegs. Vergessen wir bei alle dem nicht — ich bin sicher, daß die Bundesregierung dies nicht tut —, daß die statistischen Unterlagen, aus denen wir unsere Schlüsse zu ziehen haben, mindestens zwei bis drei Monate alt sind und neuere nur auf ganz wenigen Zahlen beruhen. Die letzteren sind außerdem deswegen ungenau, weil sie aus einer meist im Umfang kleinen Erhebung stammen.Herr Kollege Strauß, Sie haben sich im Sommer zu der 5,5 %igen Aufwertung geäußert. Wenn ich das recht verfolgt habe, so war das die einzige negative Stimme, die ich zu dieser Maßnahme gehört habe. Die 5,5 %ige Aufwertung im Block ist allgemein als notwendig und richtig anerkannt worden. Ich habe gesucht, ob es Bundesgenossen für Sie gäbe, die diese Aufwertung so in Grund und Boden verdammt hätten, wie Sie das getan haben.
— Ich glaube sogar, Herr Kollege Strauß, ich habe es dabei.
Ich darf das mit der Genehmigung der Frau Präsidentin tun. — Herr Kollege Strauß im ZDF.Wir haben nunmehr glücklich in fünf Monaten drei Währungskrisen und zwei Stabilitätsprogramme. Trotzdem ist die Währungsunruhe größer denn je, und die Inflation ist stärker geworden als dies im Laufe der letzten Monate und Jahre gewesen ist. Die Bundesregierung darf einfach nicht mehr von Währungskrise zu Währungskrise taumeln, d. h. jedesmal, wenn sie eine Atempause durch Aufwertung, durch Freigabe der Wechselkurse oder durch Abwertung anderer Währungen erreicht hat, dann sich als Sieger erklären und von da an zur Ruhe übergehen. Wir müssen jetzt endlich ein nationales Stabilitätsprogramm aufstellen, das nicht nur Augenauswischerei ist.
Herr Strauß, das ist dasselbe wie Kurpfuscherei und Quacksalberei, und das paßt natürlich hervorragend zu Ihrem heutigen Antrag. Deswegen sage ich Ihnen auch, ich kann überhaupt nicht annehmen, daß sie ihre Gründe selber glauben.
Dazu gehört auch,
— jetzt kommt der letzte Satz —daß die Bundesrepublik nicht mehr das Hochzinsland bleibt, das ein idealer Anziehungspunkt für Auslandsgeld ist.
— Verehrter Herr Kollege Strauß, mit Herrn Hankel habe ich noch in der vorigen Woche zusammengesessen. Soll ich den Artikel — aber der ist zu lang —, den ich auch hier bei mir habe, vorlesen?
Hier geht es doch, Herr Strauß, zunächst einmal um die Frage: Hochzinsland und Auslandsgeld. Früher haben Sie die Abschottung kritisiert.
— Ja.
— Nein, Herr Kollege Strauß, ich lese nicht immer den „Bayernkurier" ; darauf komme ich nachher noch zu sprechen.
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Dr. Graf Lambsdorff— Gut. — Nur die Frage der Abschottung, meine Damen und Herren, hat es doch möglich gemacht, daß wir überhaupt eine nationale Stabilitätspolitik betreiben konnten.
— 1969 waren Sie, wenn ich mich richtig erinnere, gegen die Aufwertung.
Herr Kollege Strauß, die Zinsentwicklung in diesem Lande hat doch gezeigt — und dies ist ein entscheidendes Ergebnis unserer Stabilitätspolitik über die Grenzen hinweg gewesen , daß das Ausland sich dieser Politik im Grundsatz anzuschließen imstande sah. Ich will gar nicht sagen, daß es dazu gezwungen war, um das hier nicht überheblich vorzubringen. Aber wir haben ein Beispiel geliefert — dies hat auch der Internationale Währungsfonds erkannt —, das dies möglich machte. Das ist die ganz zweifellos, wenn ich es auf die Personen beziehen soll, ein Verdienst der beiden Vertreter der Regierung, die zur Zeit auf der Regierungsbank sitzen. Wir haben in den Vereinigten Staaten und Frankreich Zinssätze, die diese Länder früher nie für möglich gehalten hätten. Es kann niemand bestreiten, daß dies wesentlich durch das positive Beispiel beeinflußt worden ist, das wir mit unserer Stabilitätspolitik gegeben haben, obwohl sie draußen für zu hart gehalten und im gleichen Grade auch nicht mitgemacht wird.Ich will, meine Damen und Herren, den letzten Teil abkürzen. Aber, Herr Kollege Strauß, dennoch: Sie sagten, ich lese die falsche Zeitung; Sie haben recht in diesem Falle. Ich muß gestehen, ich habe mit einigem Schrecken das gelesen, was Sie im „Bayernkurier" in der Sommerpause geschrieben haben.
— Ich erhole mich schnell von meinem Schrecken, Herr Strauß. — Unter der Überschrift: „Die letzten Dinge werden schlimmer sein" haben Sie dort einen Artikel geschrieben. Ich wußte erst nicht, ob das etwas mit den Zeugen Jehovas zu tun habe.
Dann aber habe ich mich gefragt, ob das eigentlich eine Sprache ist, die angemessen ist; aber das müssen Sie selber beurteilen.Einige Zitate, die die Konjunkturpolitik und die Grundsätze der Wirtschaftspolitik betreffen — ich will das hier heute abkürzen, meine Damen und Herren —, möchte ich uns daraus mit Genehmigung der Frau Präsidentin auszugsweise noch zu Gemüte führen. Sie schreiben da:So wuchsen die Unterstellungen, nahmen die Züge bewußter Verdrehung an, und in dem Maße mußte — um der deutschen Freiheit willen — auch meine Aufgabe an Bedeutung zunehmen, unserem Volke gegenüber noch die Wahrheit zu sagen, in dem Maße stärker, je mehr diese Wahrheit zum Verstummen gebracht werden soll.Diese Unterstellungen, Herr Strauß, daß wir nicht mehr die Wahrheit sagen,
diese Unterstellungen, daß wir Verdrehungen nach draußen bringen und vor der Öffentlichkeit nicht mehr klar und offen unsere Politik diskutieren wollten, ziehen sich durch Ihren ganzen Artikel.
Dies allerdings macht es außerordentlich schwierig, in ein Zwiegespräch mit Ihnen einzutreten.
Wenn man dazu noch in einem solchen Aufsatz — ich habe das gar nicht als erster gefunden, Sie können das z. B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen — immer wieder die Betonung findet, nicht etwa die CDU/CSU, nicht etwa die CSU, sondern: Ich, Franz Josef Strauß, habe recht gehabt, ich habe gemahnt, ich mußte es tun — —
— Herr Kollege Strauß, Sie haben Ihren eigenen Artikel nicht mehr recht im Kopfe, — wenn Sie ihn selbst geschrieben haben, und ich glaube, der ist von. Ihnen geschrieben.
— Sie meinen, Sie haben einmal — —
— So haben Sie einmal in diesem Artikel sehr häufig geschrieben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, hier muß man auch zur Aufklärung der Position meiner Fraktion und meiner Freunde beitragen. Einer der Gründe für das Zerwürfnis früherer Bündnisse— einer! — war nach unserer Auffassung — und ich bekenne offen, daß das für mich, als ich noch gar nicht im Hause war, sehr früh ein Anlaß war, diesen Weg, den die FDP gegangen ist, gutzuheißen —, daß wir mehr und mehr das Gefühl hatten, daß sich die CDU/CSU mit diesem Staat gleichsetzte und ihn für sich mit Beschlag belege. Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob sich das gebessert hat, aber ich sehe aus solchen Äußerungen, Herr Strauß, aus solchen Darlegungen, daß Sie persönlich das immer noch tun. Dies allerdings, um es zu wiederholen, erschwert jedes Zwiegespräch, das über Tagesereignisse, selbst über konjunkturpolitische Tagesereignisse, hinausgehen könnte.Meine Damen und Herren, wenn es um Probleme der Koalition geht — und es gibt natürlich Probleme der Koalition, das ist selbstverständlich, auch auf diesem Gebiet; wir müssen zu Kompromissen finden; wir haben auch beim Stabilitätspaket zu
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Dr. Graf LambsdorffKompromissen gefunden, das wissen wir doch sehrgenau —, dann bedeutet Ihre Haltung für dieKoalition eine Hilfe: sie klebt, leimt und kittet alles.Dieser Gesetzentwurf ist in keiner Weise eine problematische Herausforderung für die Koalition. Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei, daß wir auf der Basis einer Politik, die wir im Frühjahr dieses Jahres mit Schwierigkeiten und nach ernsthaften Überlegungen entwickelt haben, die sich als erfolgreich erwiesen hat, man kann heute schon sagen: nicht nur in ihren Ansätzen als erfolgreich erwiesen hat, fortfahren können, und deswegen lehnt meine Fraktion den Gesetzesantrag der CDU /CSUFraktion ab.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf den sehr defensiven Anfang der Begründung des Sprechers der CDU; CSU für diesen erstaunlichen Gesetzentwurf zurückkommen. Einer der ersten Sätze des Herrn Abgeordneten Strauß war, es werde ja, oberflächlich urteilend, den Verfassern dieses Gesetzentwurfes vorgeworfen, daß sie mit ihm das Gegenteil von dem täten, was sie in Sachen Konjunkturzuschlag vor vier oder fünf Monaten selbst verlangt hätten. Dann hat der Sprecher der CDU/CSU gesagt: Ich habe mich immer für einen verzinslichen und rückzahlbaren Konjunkturzuschlag bei hoher Freigrenze eingesetzt. — Das mag so sein. Ich habe inzwischen nachsehen lassen, damit ich nicht aus dem Handgelenk etwas Falsches sage, wofür sich zu jenem Zeitpunkt die verschiedenen Sprecher der CDU/CSU hier im Bundestag, im Bundesrat und in den Landtagen eingesetzt haben — eine überaus vielfältige Palette von Stellungnahmen. Ich will Ihnen nicht Herrn Häfele zitieren, auch nicht Herrn Müller-Hermann und auch nicht Herrn Pieroth, sondern wegen des parteioffiziellen Ranges, den er hat, will ich dann wenigstens den neuen Generalsekretär der CDU — noch ein Professor Ihrer Partei —
zitieren. Er hat damals im „Union-Dienst" Ihrer Partei geschrieben, was die Regierung bisher getan habe, sei unbefriedigend, die Stabilitätsabgabe bringe keine volkswirtschaftlich wirksame Abschöpfung von Kaufkraft; wörtlich:Der größte Teil des Kaufkraftüberhanges der privaten Haushalte wird nicht erfaßt.Und er zieht daraus den Schluß: Nicht nur wenige Gutverdienende, wie wir es im Konjunkturzuschlagsgesetz vorgeschlagen und dann auch beschlossen haben, nicht nur wenige, sondern gefälligst mehr müßten den Gürtel enger schnallen.Die CDU/CSU hat heute vor 41/2 Monaten die Politik „Konjunkturzuschlag für möglichst alle" vertreten, wenn auch Herr Strauß als Person diesenZuschlag verzinslich und rückzahlbar haben wollte. Da haben sich noch ein paar andere angeschlossen; andere haben dem widersprochen.Heute, vier Monate später, soll erstens nicht mehr gelten, daß alle Lohnempfänger einen Konjunkturzuschlag aufgebrummt kriegen; nein, sie sollen darüber hinaus möglichst schnell möglichst viel mehr an Kaufkraft in die Hand bekommen.Was hat sich nun eigentlich in diesen vier Monaten geändert, daß sich Ihr Urteil so ändern mußte? Sicherlich hat sich die Lage — die volkswirtschaftliche und die internationale Konjunkturlage — so entwickelt, daß wir sie heute etwas deutlicher beurteilen können als damals. Auf der anderen Seite hat sich — jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland — ein von Ihnen und wahrscheinlich auch von manchen von uns so schnell nicht für möglich gehaltener Rückgang der Steigerung der Lebenshaltungskosten, die im Juni noch 7,9 % betrug, auf heuer, im September, 6,5 % gezeigt, und zwar als Ergebnis einer wohldosierten - wie man heute so sagt — Stabilitätspolitik. Ich hätte lieber „Antiinflationspolitik" gesagt, aber ich will den Wortlaut, den das Stabilitätsgesetz uns gibt, hier nicht diskreditieren.Und in diesem Augenblick, wo wir drauf und dran sind, alle übrigen Staaten Westeuropas hinsichtlich der „Inflationsraten", wie Sie sich auszudrücken beliebt haben, zu unterbieten — schauen Sie sich einmal die Raten in anderen Ländern an —, macht sich die Opposition anheischig, einen Kaufkraftstoß in der Größenordnung von 9 bis 10 Milliarden DM zu veranstalten, d. h. eine um mehr als 1 % höhere Beanspruchung des realen Bruttosozialprodukts.Das ist sehr schwer verständlich. Graf Lambsdorff — oder war es Herr Kollege Offergeld? — hat schon darauf hingewiesen, daß sich ja auch der Kollege, der heute morgen für die CDU/CSU gesprochen hat, früher für antizyklische Finanzpolitik einsetzte. Herr Kollege, Finanzpolitik im engeren Sinne, Haushaltspolitik, besteht aus einer Ausgabenseite und einer Einnahmenseite.
Im Weltboom oder in einem deutschen Boom würde man die Ausgaben zu bremsen und die Einnahmen zu steigern haben. Das ist antizyklisch. In einer Abflachungs- oder gar in einer rezessiven Phase würde man umgekehrt die Einnahmen, d. h. die Steuern, zu senken haben, und man würde versuchen, die Ausgaben zu steigern. Das letztere haben Sie übrigens in Gemeinsamkeit mit dem vorhin erwähnten anderen Professor 1967 mit großem Erfolg selbst vollbracht. Das heißt, damals war Ihnen die Einsicht in die Notwendigkeit antizyklischer Fiskalpolitik durchaus zugänglich. Sie ist Ihnen auch heute durchaus zugänglich; sie hatten ja bei der ganzen Rede kein sehr gutes Gewissen.
Ich darf darauf hinweisen, daß — entsprechend der in aller Welt anerkannten und mindestens seit Keynes auch theoretisch eindeutig begründeten These von der antizyklischen Fiskalpolitik — die Bundeskasse in den 12 Monaten des Jahres 1973
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Bundesminister Schmidtwesentlich höhere Einnahmen erzielt hat und noch erzielen wird, als sie Ausgaben auf die Märkte fließen läßt. Wenn Sie die Kassenpositionen des Bundes anschauen, stellen Sie fest, daß sich in diesem Jahr ein in die Milliarden gehender Überschuß ergibt. Das ist genau das, was notwendig ist. Es ist das Gegenteil eines in die Milliarden gehenden Defizites des Bundes, mit dem Sie die Konjunktur und die inflatorischen Trends nur noch mehr anheizen würden.
Es gab einen Punkt in der Rede des Kollegen Strauß, in dem ich ganz seiner Meinung bin. Sie haben erwähnt, daß sich die SachverständigenAussage vom April, wir stünden vor einer Gewinnexplosion, als falsch herausgestellt habe. Ich bin dankbar für diese Feststellung. Ich habe schon damals erklärt, daß es mir unverständlich sei, wie so etwas mit wissenschaftlicher Autorität in einem Sachverständigengutachten öffentlich prognostiziert werden konnte. Es war sicherlich insofern wissenschaftlich einwandfrei, als die Herren Sachverständigen eben unter der Voraussetzung geschrieben haben, daß sich sonst nichts ändere. Das macht eben den Unterschied zwischen Sachverstand und Politik deutlich. Denn die Politik war längst dabei, die Rahmenbedingungen wesentlich zu verändern. Sie hatte sich im März vom amerikanischen Dollar abgehängt. Das war, wie Graf Lambsdorff mit Recht sagte, die entscheidende Voraussetzung dafür, überhaupt eine Antiinflationspolitik mit Aussicht auf Erfolg zu beginnen. Nachdem das gelungen war, war die Politik dabei, das, was später den Namen „Stabilitätsprogramm" bekommen hat, vorzubereiten.Die Gewinnexplosion hat deshalb nicht stattgefunden, und es ist gut, daß auch die Regierung dies gegenüber der öffentlichen Meinung sagt, weil jenes Sachverständigengutachten seinerzeit einige falsche Vorstellungen erzeugt hat, die noch nicht wieder völlig verschwunden sind.Herr Kollege Strauß, Sie haben sodann aber etwas gesagt, angesichts dessen ich Sie auf einen Mangel an innerer Kohärenz aufmerksam machen muß. Sie haben die Bundesbank mehrfach zitiert und haben gemeint, sie für sich in Anspruch nehmen zu können. Es wird Ihnen gewiß nicht verborgen geblieben sein, daß die Bundesbank in Gestalt ihres Präsidenten am 20. September einen besorgten Brief an die Bundesregierung geschrieben hat, in dem sie dringend davor warnt, auf die Gesetzentwürfe der Opposition einzugehen, weil sie in der gegenwärtigen Konjunkturphase genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was die Bundesregierung und die Bundesbank ihrerseits bezwecken. Man darf sich die Zitate nicht so heraussuchen, wie sie passen!Sie haben über administrierte Preise gesprochen. Es gibt unter den administrierten Preisen vielleicht zwei Gruppen, die man besonders herausheben sollte. Das eine sind Preise für staatliche oder öffentliche Dienstleistungen. Das Paradebeispiel sind die von dem Kollegen Strauß erwähnten öffentlichen Versorgungsbetriebe der Kommunen. Ich könnte als Beispiel auch sagen: Eisenbahn und Post. Bei Dienstleistungsbetrieben in aller Welt ist es, weil sie eben besonders personalintensiv sein müssen, so — —
— Sicherlich gibt es das in der Wirtschaft auch. Ich sage ja: Dienstleistungsbetriebe.
— Ich habe ja nicht allein von staatlichen Dienstleistungsbetrieben, sondern von Dienstleistungsbetrieben überhaupt gesprochen. Bei Dienstleistungsbetrieben muß es in aller Welt so sein, daß sich allgemeine Lohnkostensteigerungen, die dort viel stärker zu Buch schlagen, stärker in einem allgemeinen Kostenniveauanstieg niederschlagen. Bei anderen Produktionsbetrieben ist das nicht in diesem Maße der Fall.
— Lieber Herr Kollege, dies ist allen Leuten geläufig, ob mit oder ohne Innsbruck.
Das wissen Arbeitgeber, und das wissen Gewerkschafter. Denn es ist eben so.Nun kann man fragen, ob der Kollege Strauß mit seinen Bemerkungen hat bezwecken wollen, daß wir zusätzlich zu der sehr schwer defizitären Situation der Eisenbahn auch noch die Post und die Verkehrsunternehmen der Kommunen, die Elektrizitätsunternehmen und die Gas- und Wasserversorgung in eine ähnlich defizitäre Lage bringen sollten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das seine wirkliche Meinung ist.
Ich kann mich sogar gut daran erinnern, daß dieser Regierung bei anderer Gelegenheit von, wie ich glaube, demselben Redner, von demselben Pult sprechend, die defizitäre Situation bei der Eisenbahn vorgeworfen wurde. Eins von beiden kann nur richtig sein.
Ich schimpfe doch gar nicht. Ich bin so ruhig wieHerr Strauß, nicht wahr, Herr Müller-Hermann.
Eins von beiden kann nur richtig sein. Nun kann man nicht alle Defizite in dieser Konjunkturphase auf den Konsumenten der Dienstleistungen abwälzen wollen. Das geschieht bei der Bahn sowieso seit vielen Jahren nicht mehr. Das geschah auch nicht, als Sie Finanzminister waren. Das kann nur bei einem Teil, nicht bei allen übrigen Dienstleistungsbetrieben gehen. Infolgedessen sehe ich nicht so recht, was gegen diese Gruppe der administrierten Preise zu sagen ist.Die andere Hauptgruppe der administrierten Preise — da wollen wir ganz offen sein — liegt in
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Bundesminister Schmidtden Preisen der Landwirtschaft. Ich wäre wirklich begierig, dazu eine kritische Durchleuchtung aus dem Munde des Redners der CSU zu hören, insbesondere im Hinblick nicht nur auf die Bundesrepublik, sondern auch auf den Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen auf diesem Gebiet fallen, auf Brüssel. Das wäre wirklich eine interessante Rede.Sie haben sich ja heute Mühe gegeben, wenngleich als Geschäftsführer ohne Auftrag, wie Sie sagten, als der Advokat der Interessen der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften, des DGB und der IG Metall aufzutreten.
Es wäre interessant, zu sehen, wie Sie in bezug auf diesen enormen Block administrierter Preise auf dem Felde der Landwirtschaft, die beim Lebenshaltungskostenindex — —
— Schönen Dank für die Einladung; ich werde ihr nicht folgen, Herr Kollege.
Es kann doch wohl nicht bestritten werden, daß Herr Kollege Strauß den Eindruck zu erwecken versuchte, als ob ihm nichts mehr am Herzen läge, als der wohlbegründeten gewerkschaftlichen Forderung im Deutschen Bundestag endlich zum Durchbruch zu verhelfen.
Sie haben ein anderes Mal an eine Wahlkampfaussage von mir über die 5 % erinnert. Ich habe mich im Deutschen Bundestag schon einmal dazu bekannt. Ich bin gern bereit, das noch viele Male zu wiederholen. Ich weiß, daß das seinerzeit viele Leute sehr geärgert hat. Aber hier muß ich es mit dem ersten Deutschen Bundeskanzler halten, der sagte: Lernen Sie doch von meinen Methoden! — das war nämlich wirksam. Es ist in der Sache, Herr Strauß, ein Werturteil, das in der damaligen Aussage zum Ausdruck kommt und das ich wirklich ernst nehmen muß. Ich will es in andere Worte fassen: Um den Preis einer verbreiteten Arbeitslosigkeit darf man den Preisanstieg nicht auf Null zu bringen versuchen.
Daß die CDU/CSU, wenn sie zum Schaden des deutschen Volkes im letzten Herbst an die Regierung gewählt worden wäre, dies so versucht haben würde, haben wir schon einmal 1966 erlebt.
Nun will ich aber nicht holzschnittartig sprechen und darauf aufmerksam machen, daß wir es nach meiner festen Überzeugung, die auch von Herrn Friderichs und der übrigen Bundesregierung geteilt wird, gegenwärtig nicht nur mit Vollbeschäftigung, sonder deutlich mit Überbeschäftigung zu tun haben.Infolgedessen ist in der gegenwärtigen Lage eine Konjunkturpolitik, die zwar die Preise herunterbringt, wie wir nach drei Monaten doch schon deutlich anerkennen dürfen, aber auf der anderen Seite auch eine Dämpfung der Beschäftigung zur Folge haben wird, wie jedermann bitte verstehen muß, eine zu verantwortende Politik; denn die Vollbeschäftigung wird sie nicht gefährden. Wohl wird ein Teil der Überbeschäftigung abgebaut werden. Es ist aber auch volkswirtschaftlich nicht lange zu vertreten — ich rede gar nicht von dem innenpolitischen Aspekt —, daß wir 21/2 Millionen ausländische Arbeitskräfte beschäftigen, damit Exportüberschüsse in Höhe von 28 Milliarden DM erwirtschaftet werden. Das ist nicht zu vertreten.Herr Kollege Strauß hat an einer wahrscheinlich zu Recht zitierten Bemerkung von mir Anstoß genommen, es könnte doch nicht schaden, wenn ab und zu auch mal ein paar Konkurse vorkämen. Ich bekenne mich zu der Bemerkung. Ich habe sie im Laufe meiner 20jährigen Arbeit in diesem deutschen Parlament mehrfach gemacht, Herr Strauß. Wenn sich das Risiko einer unsoliden Finanzierung nicht auch im Erfolg der Pleite niederschlägt, dann nützt Ihr ganzes Gerede über Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr.
Hier haben wir es geradezu mit einem Kennzeichendafür zu tun, ob Marktwirtschaft herrscht oder nicht.
— Wir machen ja nicht pleite, ihr habt pleite gemacht. Das dauert nun schon vier Jahre, und es wird noch einmal drei Jahre und noch einmal vier Jahre dauern, Herr Strauß.
Wenn in einer Marktwirtschaft niemand mehr verlieren kann, weil der Staat oder die Bundesbank immer genug Geld schafft, um noch einmal und noch einmal zu überbrücken, dann ist das keine Marktwirtschaft, sondern dann hat man staatliche Sofagarantien gegeben.Die Regierung hat es, glaube ich, nötig, in dieser Debatte ein bißchen sorgfältiger auf die Erfolge hinzuweisen, die die Antiinflationspolitik in der Bundesrepublik nach der Abkoppelung vom Dollar in diesem Frühjahr zu anderen hatte. Der Sprecher der CSU hat sich heute morgen Mühe gegeben, so zu tun, als ob es sich um eine autonome, von der deutschen Bundesregierung zu verantwortende inflationäre Entwicklung in Deutschland handelte. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Ich habe hier im Augenblick nur die Juli-Ziffern für die übrigen Länder. Im Juli hatten wir den Anstieg des Lebenshaltungskostenindex herunter auf 7,2 %; inzwischen, wie Sie wissen, auf 6,5 %. In Japan war er im Juli auf 12 %, in Italien auf über 11 %, in Irland auf 10 %, in England auf 9,5 %, in Dänemark auf 8,8 %, in Holland auf 7,5 %, in Amerika auf inzwischen 7,5 %, in Frankreich auf 7,4 %. Es gab ein einziges Land von Bedeutung in Europa, in unserer Nachbarschaft, dessen Lebenshaltungs-
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3044 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Bundesminister Schmidtkostenindex im Sommer im Anstieg noch niedriger lag als unserer, das war Belgien. Gegen Jahresende wird sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zeigen, daß wir alle europäischen Länder unterboten haben. Vielleicht wird Belgien, vielleicht wird Osterreich auf einer gleich niedrigen Stufe mit uns stehen.Nun glauben Sie, wenn Sie unter sich die Dinge beraten, sicherlich nicht, daß sich das größte Handelsland der Welt — das sind wir inzwischen geworden, und das mit einer relativ kleinen Volkswirtschaft, verglichen mit der japanischen oder der amerikanischen Volkswirtschaft — von den Weltkonjunkturen, von der Weltinflation, von den Entwicklungen auf den Weltmärkten völlig isolieren könnte. Das Maß dessen, was wir erreichen konnten, sind wir dabei, tatsächlich zu erreichen. Graf Lambsdorff hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, daß die deutsche Bundesregierung von anderen, ihr verbündeten Regierungen und ihr in der EWG verbundenen Regierungen wegen ihrer scharfen antiinflationären Politik kritisiert worden ist. Ich muß es mir hier versagen, die Regierungen zu nennen, die sich bei der deutschen Bundesregierung beschwert haben. Ich kann aber mit einer gewissen Genugtuung sagen, daß wir im Laufe der letzten Monate, der letzten sechs Wochen eine Reihe von Regierungen haben überzeugen können, wie Sie aus dem schließlich doch zustande gebrachten Anstieg der Zinsniveaus in den Vereinigten Staaten, in England und in Frankreich ablesen können. Alle diese Staaten haben sich dem Einfluß der deutschen Stabilitätspolitik öffnen müssen. Auf diese Weise haben wir tatsächlich einen Einfluß erzielen können, der in diesem Ausmaß am Anfang vielleicht gar nicht hat vorhergesehen werden können.Ich möchte für die Regierung auch auf ein anderes Gebiet noch mit ein paar sachlichen Daten zu sprechen kommen. In der mündlichen Begründung dieses Gesetzentwurfs hat es geheißen, daß es darauf ankomme, dafür zu sorgen, daß die Arbeitnehmer von ihren Lohnsteigerungen auch etwas behielten. Darauf kommt es wirklich an. Das ist wirklich richtig. Nur wurde der Eindruck erweckt, als ob die Arbeitnehmer von ihrem Lohnanstieg gar nichts hätten; und das ist nun falsch. Ich sehe voraus, daß der Lebenshaltungskostenanstieg über das ganze Jahr 1973, für alle 12 Monate zusammen, bei 7 %, vielleicht knapp 7 % liegen wird, und ich muß Ihnen sagen, daß die Lohnsteigerungen eben nicht 8,5 % betragen haben, wie manche meinen, sondern allein im ersten Halbjahr 1973 effektiv 11,5 %. Inzwischen sind wir im September über 12 %. Um Ihnen eine Durchschnittszahl zu geben: Ich rechne damit, daß die Nettorealeinkommen, also nach Abzug der Lohnsteuer und nach Abzug der Sozialabgaben, im Durchschnitt für alle Arbeitnehmer für den Gesamtzeitraum des Jahres 1973 einen Zuwachs von 3 % oder etwas mehr ausweisen werden. Sie werden das im Dezember nachprüfen können, Herr Kollege Höcherl.Dann möchte ich auch noch einmal diese komische Rechnung unter die Lupe nehmen, die der Kollege aufgemacht hat hinsichtlich der Lohnsteuer. Herr Kollege Strauß, das Durchschnittseinkommen einesArbeitnehmers, verheiratet, mit zwei Kindern, ist in der Bundesrepublik Deutschland im Monat 1 600 DM. Darauf zahlen diese Arbeitnehmer im Durchschnitt 9 % Lohnsteuer und nicht die 18 %, von denen Sie geredet haben.
— Ich habe es sehr wohl verstanden.Im übrigen, Herr Kollege, ist es ja so, daß Sie damit rechnen müssen, können, dürfen, daß sich diese Entwicklung auch im nächsten Jahre fortsetzen wird. Ich gebe zu, daß die durchschnittliche Belastung des Arbeitnehmereinkommens mit Lohnsteuer, die im ganzen Jahr 1973 bei 9 % liegt, im Jahre 1972 nur bei 8,2 % gelegen hat. Ich gebe zu, daß sie in 1974 noch etwas höher liegen wird. Das liegt im System unserer Steuern. Das liegt auch ein bißchen in der Idee des Systems: Wer mehr verdient, soll ja auch mehr Steuern zahlen.
Aber ich sage noch einmal: ein Anstieg der Lohnsteuer-Belastung des Lohn-Einkommens von 8,2 auf 9 % und eine Nettorealeinkommenssteigerung von 3 % oder etwas mehr.Nun haben Sie gemeint, wenn wir aber jetzt Ihnen folgten und eine drastische Steuersenkung machten, würde das — wie haben Sie gesagt? — zur Beruhigung der Lohnfront führen. Ihnen ist schon erwidert worden, daß in der Konzertierten Aktion vorige Woche ganz klar erklärt worden ist, daß das nicht eintreten könne.
Im übrigen haben beide Seiten in der Sitzung unter Herrn Friderichs Vorsitz — darüber wird er sicher selber noch sprechen wollen — die Regierung dringend davor gewarnt, das zu tun, was Herr Strauß vorgeschlagen hat, nämlich den Fuß von den Bremsen zu nehmen.Herr Kollege Lambsdorff — mit dem ich voll übereinstimme; ebenso wie auch mit Herrn Offergeld — hat in dem Zusammenhang warnend gesagt, die Regierung sollte bedenken, daß man sich in bezug auf die Aussagekraft von Kurven auch täuschen könne, weil sie immer erst etwas später auf den Tisch kämen, als die Daten einträten, die ihnen zugrunde liegen. Das war eine sehr vorsichtig formulierte Warnung an die Bundesregierung, sich darüber klar zu sein, daß man nicht übersteuern dürfe. Herr Kollege Lambsdorff hat im gleichen Atemzug auch davon gesprochen, daß er im Augenblick keine Gefahr eines „Overkill" erkennen könne. Ich bin dankbar für diese sehr abgewogene Darstellung, die aber immerhin aufmerksam macht auf ein Problem, das wir seit Beginn dieses Stabilitätsprogramms im Blick fixiert hatten und das nun langsam näher an uns herankommen wird.Ich will aber in dem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß wir eine weite Skala von
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Bundesminister SchmidtInstrumenten zur Verfügung haben, um dann, wenn die Kurven uns das angezeigt sein lassen sollten, schrittweise mit der Bremswirkung zurückzugehen. Das heißt aber noch nicht, daß wir das tun müssen, was die CDU/CSU vorschlägt, nämlich Geld zu schöpfen; das ist nämlich wohl ziemlich das letzte in der ganzen Skala.Das erste könnte sein, die Konjunkturzuschläge für die Höherverdienenden und für die Körperschaften früher aufhören zu lassen, als es im Gesetz vorgesehen ist. Das nächste könnte sein, die Investitionssteuer früher auslaufen zu lassen oder sie zu halbieren. Man könnte auch § 7 b wieder in Kraft setzen, wenngleich ich das nicht gerade am Anfang tun möchte; denn es handelt sich um den frei finanzierten und nicht um den sozialen Wohnungsbau.Die Bundesbank könnte auch schrittweise die kreditpolitischen Restriktionen lockern. Wir könnten schrittweise die Ausgabenbeschränkungen der öffentlichen Haushalte lockern. Wir werden, weil wir voraussehen, daß sich die Weltkonjunktur — und auch die deutsche — im Lauf des Jahres 1974 abflacht, eine Steuerreform zum 1. Januar 1975 in Kraft treten lassen, die den volkswirtschaftlichen Erfolg einer Steuererleichterung hat. Das ist in dem Zeitpunkt dann auch konjunkturell angemessen. Falls die Erleichterung dann konjunkturell zu groß werden sollte, haben wir uns vorbehalten, den alten Eckwert einer Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt dann doch noch durchzuführen.Wir könnten dann schließlich sogar, wenn alle Stränge reißen, nach dieser Steuersenkung am Ende des nächsten Jahres sogar an die Milliardenrücklagen herangehen, die wir inzwischen bei der Deutschen Bundesbank gebildet haben. Allein in diesem Jahr, von Anfang des Jahres bis jetzt, Anfang Oktober, hat die Bundesregierung rund 3 Milliarden DM zusätzlich Konjunkturausgleichsrücklagen und andere Rücklagen bei der Bundesbank stillgelegt. Das wird noch sehr viel mehr werden, wenn die I-Steuer nun wirklich fließen wird. Das heißt, wir könnten aus den stillgelegten Rücklagen die Konjunktur stützen, wenn das wirklich notwendig werden sollte.Ich sage das alles nur, weil ich weiß, daß der FDP-Sprecher durch seine zarte Andeutung immerhin zum Ausdruck gebracht hat, daß es in der öffentlichen Meinung Sorgen in dieser Richtung gibt, und weil ich weiß, daß es notwendig ist, daraufhin die Instrumente und Möglichkeiten vorzuzeigen, die wir bereit haben. Daß ihr Einsatz nicht jetzt geschehen wird, daß man nicht jetzt einen Kaufkraftstoß von 8 oder 91/2 Milliarden DM erzeugen darf, darüber kann es, so glaube ich, keinen Zweifel geben. Das kann erst nach der vorhersehbaren Abkühlung des Weltbooms kommen.Lassen Sie mich dazu ein ernstes Wort sagen. Wir haben zum erstenmal einen synchron oder parallel verlaufenden Boom in der ganzen westlichen Welt erlebt, wobei die westliche Welt in diesem Zusammenhang bis nach Japan und Südamerika reicht. Das sind sehr parallele Entwicklungen, sicherlich mit einigen Differenzierungen. Das heißt aber auch, daß eine gewisse Besorgnis bestehen muß, daß esanschließend eine sehr parallel oder synchron verlaufende Abflachungs- und Abstiegsbewegung gibt. Wir sind uns dessen durchaus bewußt. Wir sind uns auch dessen bewußt, daß wir durch die Aufwertung der D-Mark, die heute zum erstenmal vom Sprecher der CSU nicht mehr kritisiert wurde, für jenen Zeitraum der Abflachung des industriellen Weltbooms natürlich eine gewisse Gefährdung in der Richtung in Kauf genommen haben, daß die Exporte und die Beschäftigung der deutschen Industrie in Gefahr geraten können, überproportional gegenüber der Abflachung der Industrieaufträge oder der Industrieexporte der übrigen Industriestaaten sich abzuflachen, wenn etwa — auch hier bin ich ganz deutlich — im Laufe des Winters oder des Frühjahrs die Kostensteigerungen der deutschen Exportindustrien wesentlich stärker ausfallen sollten als die Kostensteigerungen in den Wettbewerbsländern und in den Konkurrenzindustrien. Das muß man sehr deutlich erkennen, ohne daß ich mich damit zum Warner, Mahner oder Maßhalteapostel machen will.Kollege Strauß hat bezweifelt, daß die Steuerreform zum 1. Januar 1975 tatsächlich in Kraft treten würde. Ich kann seine Zweifel hier nicht widerlegen, aber ich bin ganz sicher, daß sie am 31. Dezember 1974 widerlegt sein werden. Es ist Ihnen ein kleiner Fehler unterlaufen: Sie haben gemeint, wir würden auch die Körperschaftssteuerreform zu diesem Termin angekündigt haben. Das haben wir nicht getan, Herr Kollege!
— Eben hat er es kritisiert, und jetzt kritisieren Sie das Gegenteil; da kann man die Einigkeit, die Harmonie oder die Vielfalt der Meinungen der Opposition erkennen!
— Ich will zum Schluß kommen.Herr Kollege Strauß, Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine sozial gerechte Steuerreform und eine Erhöhung des Kindergeldes zum späteren Zeitpunkt verhindern würde und zum jetzigen Zeitpunkt nicht stabilitäts-, sondern inflationsfördernd ist.
Sie haben in bezug auf die Regierungskoalition ein Wort gesprochen, das ich mir aufgeschrieben habe — ich glaube, es war eine Neuschöpfung: psychosoziale Vergiftung. Ich will es Ihnen nicht zurückgeben, aber Sie verdienen es, Herr Kollege Strauß!
Die Bundesregierung stimmt mit den Sprechern beider Fraktionen, mit Herrn Offergeld und Graf Lambsdorff überein, daß dieses Gesetz aus gutem Grund eindeutig und vollständig abgelehnt werden muß.
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3046 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele. Für ihn ist eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die inflationäre Entwicklung der letzten Jahre hat uns auf dem Gebiete des Steuerwesens immer drängender mit dem Problem der inflations- und progressionsbedingten heimlichen Steuererhöhungen konfrontiert. Ich hab nicht den Eindruck, daß die Sprecher der beiden Koalitionsfraktionen — einschließlich Bundesminister Schmidt diesem drängenden sozialen Problem gegenüber heute die richtige Einstellung geoffenbart haben.
Ganz jung ist jetzt die Einlassung, daß wegen der erfreulichen Entwicklung des Lebenshaltungskostenindex im Grunde eigentlich schon ein großer Erfolg bei der Antiinfiationspolitik zu verzeichnen sei und wir getrost in die Zukunft blicken könnten. Wie ist die Wirklichkeit? Hier handelt es sich mit Sicherheit nur um eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht, denn wir alle wissen, daß die längerfristigen Indikatoren, etwa die Industriepreisentwicklung und vor allem die schwierigen vor uns stehenden Lohn- und Tarifverhandlungen, die Ausblicke nicht so erfreulich machen, wie es die Regierung heute hier darzustellen versucht hat.
— Unser Versuch besteht darin, nachdem die Entwicklung in den letzten Jahren so unerfreulich gelaufen ist, wenigstens Teile — es geht nur um Teile— der Inflationsschäden wieder zu beseitigen.
Denn gerade die kleinen und mittleren Einkommen sind von der Progression stärker erfaßt als die höheren Einkommen.Ich kann das beweisen. Die Progression macht. zwischen 8000 DM und 30 000 DM Einkommen bei Ledigen 22 Punkte Anstieg aus, aber zwischen 30 000 und 110 000 DM nur 12 Punkte. Gerade in dem unteren Bereich bis 30 000 DM ist also eine unvergleichlich stärkere Progressionswirkung festzustellen als in dem oberen.Immer mehr Menschen in unserem Lande werden von einer dreifachen Zange erfaßt: der steigenden Geldentwertung, der wachsenden Steuerprogression und der zunehmenden Sozialversicherungsbeiträge.
— Herr Ehrenberg, ich würde Ihnen gern eine Frage beantworten, wenn Sie Ihren Kollegen Offergeld endlich einmal dazu brächten, daß auch er Fragen beantwortet. Ich habe das bisher immer getan. Herr Offergeld lehnt Zwischenfragen immer ab, obwohl er hier Unwahrheiten verkündet. Wenn man ihndann stellen will, sagt er: Ich lasse keine Frage zu. Da haben Sie leider Pech gehabt.
Herr Minister Schmidt ist offensichtlich wieder gegangen. Das ist so ein bißchen sein Stil: er hält hier seine Rede, die ihm irgend jemand macht, und dann verschwindet er. — Die Durchschnittszahlen, die Herr Minister Schmidt bezüglich der Realeinkünfte zitiert hat, die in diesem Jahr noch ansteigen,
möchte ich im Augenblick einmal bestreiten. Wir wollen einmal abwarten, wie das am Schluß ausschauen wird.
— Minister Schmidt ist — das kann ich feststellen — nicht im Saal. Er sitzt auch nicht bei der Fraktion.
— Ich finde das auch erstaunlich. Vielleicht kann die Fraktion einmal dafür sorgen, daß ihr Minister hier ein bißchen mehr Courtoisie übt.
Herr Wirtschaftsminister, vielleicht hören Sie einmal zu; Sie sind ja aufmerksam.Diese Durchschnittszahlen besagen natürlich — das wissen wir alle — nichts für viele sehr gravierende einzelne Fälle. Es ist einfach nicht zu bestreiten, daß es Fälle, und zwar sehr viele Fälle, gibt, in denen wegen der inflationären Entwicklung in diesem Jahre kaum eine Steigerung der Realeinkommen stattfindet.Das Lohnsteueraufkommen ist von 1969 bis 1972 fast doppelt so stark gestiegen wie die Summe der Löhne und Gehälter. Heute ist die Lohnsteuer — und das bei einer Regierung, die sich so gern „sozial" nennt — zur größten, zur aufkommenstärksten Steuer geworden, sie ist buchstäblich zum „Goldesel" — in meiner alemanischen Heimat würde man das noch etwas plastischer sagen — dieser Bundesregierung geworden. Steigen die Bruttolöhne um 10 %, steigt das Lohnsteueraufkommen um mindestens 18 %. Noch 1970, meine Damen und Herren, war nur ein Drittel aller Einkommen- und Lohnsteuerzahler in der Progressionsstufe, zahlte also mehr als 19 % Steuer. 1973, nur drei Jahre später, waren dies schon zwei Drittel, und 1974 werden voraussichtlich schon 85 % der Einkommen- und Lohnsteuerzahler in der Progressionsstufe sein, also sowohl absolut als auch verhältnismäßig immer mehr von der Steuer erfaßt werden.Nun wäre das an sich eine erfreuliche Entwicklung, wenn das echte Realeinkommen wären, die besteuert werden. In Wirklichkeit werden aber großenteils eben nur Scheineinkommen, inflationäre Einkommen, besteuert. Dadurch wird der Leistungsanreiz für viele immer geringer, eben weil das Bruttoeinkommen und das Nettoeinkommen immer mehr auseinanderklaffen. Die Beispiele, die der Herr Kollege Strauß hier angeführt hat, wonach Leute, die
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Dr. Häfelein Arbeit stehen und die sogar durchschnittliche Einkünfte haben, teilweise nicht mehr viel mehr als etwa ein Sozialhilfeempfänger „verdienen", zeigen, wie drängend dieses Problem geworden ist.Wenn man den allgemeinen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer in Höhe von 1 680 DM, der 1958 eingeführt worden ist, auf die heutigen Preise hochrechnete, müßte er sich mindestens auf 2 500 DM belaufen. Die unterbliebene Anpassung der Sonderausgabenhöchstsätze bringt heute schon ein Mehraufkommen von 2 Milliarden DM. Ganz besonders gravierend ist in vielen Fällen, daß Sozialversicherungsbeiträge, die ja zwangsweise abzuführen sind, über die der Arbeitnehmer gar nicht verfügen kann — er kriegt sie gar nicht erst in. die Hand —, durch die Sonderausgabenhöchstbeträge teilweise nicht mehr gedeckt sind. Es sind also effektiv Beträge zu versteuern, obwohl sie von den Arbeitnehmern gar nicht bezogen werden.Meine Damen und Herren, niemand, der sich mit diesem Problem beschäftigt, kann bestreiten, daß ein Sofortprogramm unabweisbar dringlich ist. Das ist eine alte Forderung der CDU/CSU, die wir seit dem Frühjahr dieses Jahres verstärkt erhoben haben und die schließlich am 31. Juli zu dem Fraktionsbeschluß geführt hat, daß ein Sofortprogramm schon am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten müsse.In der Koalition gab es dann in der Sommerpause Verwirrung wegen unseres Fraktionsbeschlusses. Es kam zu einem Hin und Her. Der Bundeskanzler, von dieser Diskussion offensichtlich beeindruckt, erklärte unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub — er hat hier laut gedacht —, auch er sei der Meinung, daß eine Steuerentlastung dringend erforderlich sei, und zwar vor der Steuerreform. Aber dann ist er offensichtlich von seinem Minister Schmidt zurückgepfiffen worden. Trotzdem hat der Herr Bundeskanzler am 18. August in einem Interview, in dem er einräumte, daß Fehler gemacht worden seien, sehr nett gesagt: „Wir werden das Thema des überproportionalen Wachstums der Lohnsteuer nicht noch einmal zwei Jahre vor uns herschieben können." Er sagte: „nicht noch einmal", nachzulesen im Bulletin vom 21. August.Am 12. September schließlich glaubte die Bundesregierung das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben: 1. Januar 1975 vorgezogene Steuerreform lind zugleich gelöst das nicht mehr aufschiebbare Problem der heimlichen Steuererhöhungen. Meine Damen und Herren, dies ist nicht das Ei des Kolumbus, denn es handelt sich hierbei nicht um die „Große" Steuerreform, wie sie schon vor Jahren angekündigt worden ist, was man schon allein daran sieht, daß die Bundesregierung inzwischen davon Abstand genommen hat, die Körperschaftsteuerreform zum gleichen Zeitpunkt wie die übrige Steuerreform in Kraft zu setzen. Das Wort von der „Großen" Steuerreform darf man nicht mehr in den Mund nehmen, wenn man redlich bleiben will.Zum zweiten kommt dieses Programm als Sofortprogramm eben zu spät, weil man nicht bis 1975 warten kann. Bis 1975 wird noch viel Wasser denRhein hinunterlaufen. Niemand kann heute sagen, welche finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen 1975 notwendig werden könnten. Angesichts der wirtschaftlich ziemlich verfahrenen Lage und der ungewissen Entwicklung wäre es verfehlt, auf die neuen Versprechungen der Bundesregierung Türme zu bauen. Es steht zu befürchten, daß die inflationäre Entwicklung das neueste Zahlenwerk der Bundesregierung für eine Steueranpassung 1975 ebenso überrollt, wie die Inflation in den letzten Jahren allen Berechnungen den Boden entzogen hat, etwa den Berechnungen der sogenannten ersten und zweiten Eckwerte.Obwohl die Entwicklung historisch so verlaufen ist, hat der Bundesgeschäftsführer der SPD, Herr Kollege Börner, am 21. September 1973 in einem Aufsatz in der „Welt der Arbeit" folgende Geschichtslegende in die Welt gesetzt:Zwei Tage nach den Regierungsbeschlüssen zur Steuerreform verlautete, daß die CDU/CSU nun auch Vorschläge zur Steuerentlastung ausarbeite.Und weiter:Es ist das alte Spiel: Nachdem Sozialdemokraten auf die Notwendigkeit einer Reform hingewiesen und Vorschläge gemacht haben, hinkt die CDU/CSU hinterher und versucht, mit propagandistischen Schaueffekten auf sich aufmerksam zu machen.Meine Damen und Herren, angesichts unseres Fraktionsbeschlusses vom 31. Juli, angesichts unserer seit Frühjahr dieses Jahres verstärkt erhobenen Forderungen in dieser Richtung ist das schon ein starkes Stück. Der Sinn eines solchen Aufsatzes soll sein, den Genossen draußen im Lande diese Geschichtslegende aufzubinden.
Unser Sofortprogramm ist bewußt ganz einfach gehalten, weil es machbar sein muß, damit es noch zum 1. Januar 1974 in Kraft treten kann.
Wir haben bewußt auf weitere dringende Maßnahmen verzichtet: etwa die Anhebung auch anderer Freibeträge, z. B. der für Behinderte — ein echtes Problem — oder auch die Anhebung der Stufen und Freibeträge bei der Gewerbesteuer, obwohl die Bundesregierung im Grunde hier im Wort ist. Denn der damalige Finanzminister Möller hatte uns damals durch sein Versprechen, die Anhebung trete schon am 1. Januar 1974 in Kraft, veranlaßt unseren Antrag Schulhoff zurückzustellen. Verschiedene andere Freibeträge haben wir ebenfalls bewußt zurückgestellt.Nun, es sagen vor allem die Vertreter der SPD — das war die ursprüngliche Einlassung —, es gehe um ein Volumen von 18 bis 20 Milliarden DM. Entweder haben. sie sämtliche Alternativdenkmodelle — die wir natürlich hatten; das ist ganz klar — offensichtlich addiert, oder sie haben sich irgendeinen Bären aufbinden lassen.
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Dr. HäfeleEs sind auch nicht 9,6 Milliarden DM — wie HerrOffergeld und Herrn Minister Schmidt behauptet haben —, sondern es handelt sich kassenmäßig in dem ersten Jahr 1974 um ein Volumen von präzis 8 Milliarden DM. Natürlich — das wissen wir alle; das ist bei jeder steuerrechtlichen Maßnahme so —wird es in den folgenden Jahren etwas ansteigen.
— Im Jahre 1973 sind es wegen des Weihnachtsfreibetrags 600 Millionen DM. Die Zahlen sind völlig korrekt. Dagegen sind die Angaben, die Herr Minister Schmidt und Herr Offergeld gemacht haben— 9,6 Milliarden für 1974 — falsch.Des weiteren war die Einlassung — ein Programm von uns muß einfach in eine gewisses Schema bei Ihnen hineinpassen : Die Höherverdienenden würden mehr entlastet, und die Niedrigerverdienenden würden schwächer entlastet. — Sogar Regierungssprecher Grünewald — obwohl er doch sonst vom Steuerrecht etwas versteht — hat sich diesen Bären aufbinden lassen. Entweder hat er nicht gewußt, daß sich der Grundfreibetrag anders auswirkt, oder er hat offensichtlich aus Propagandagründen einer falschen Schalmei gelauscht.Nein, die Wirklichkeit ist so, daß die Schwächerverdienenden — bei der Anhebung des Grundfreibetrages werden alle gleichmäßig entlastet — relativ mehr entlastet werden, weil es sich bei ihnen stärker auswirkt. Das ist ja die beabsichtigte Wirkung der Anhebung des Grundfreibetrages.Meine Damen und Herren, Sie können im Grunde nicht bestreiten, daß ein Sofortprogramm zur wenigstens teilweisen Wiederherstellung der steuerlichen Gerechtigkeit dringend und überfällig ist. Aber der Kern Ihrer Einwände geht in die Richtung, das sei stabilitätswidrig; denn es werde zusätzliche Kaufkraft geschaffen. — Das ist ein ernstes Argument, mit dem man sich selbstverständlich auseinandersetzen muß.Was ist dazu zu sagen? Die Regierung hat trotz aller Warnungen von uns und von anderen die Inflation jahrelang laufenlassen. Sie hat wiederholte Angebote der Opposition, gemeinsam Maßnahmen zur Wiederherstellung der Stabilität zu tragen, nicht aufgegriffen. Jetzt — nach vielen Versäumnissen der Regierung — müssen wenigstens Teile der steuerlichen Inflationsschäden gemildert werden. Mit anderen Worten: Wenn schon nicht rechtzeitig— und das hat die Regierung versäumt — die erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden, um die Inflation wirklich zu bekämpfen, ist es jetzt die Pflicht, die Folgen dieser Fehler wenigstens teilweise etwas zu lindern.Herr Minister Schmidt, ich möchte Ihnen empfehlen, daß Sie jetzt zuhören. Ich finde es ein starkes Stück, daß Sie aus den Finanzausschußsitzungen und aus den Plenarsitzungen vom Mai dieses Jahres nicht korrekt zitieren. Ich habe den Ausschußbericht hier. Es ist völlig klar gewesen, wir haben das Stabilitätsprogramm der Regierung kritisiert, und dazu stehen wir: Es war nicht ausreichend. Das Problem ist, daß in den letzten Jahren nicht genügend Kaufkraft abgeschöpft worden ist. Das habensämtliche Sachverständige im Ausschuß damals völlig bestätigt, etwa die Bundesbank — Herr Schlesinger — und auch Professor Kloten. Deswegen haben wir vorgeschlagen, auf freiwilliger Basis eine Stabilitätsprämie von 500 DM für ein freiwilliges Sparen zu gewähren. In dem Bericht heißt es dann — hören Sie es genau! —:Für den Fall der Übernahme der vorgeschlagenen Maßnahmen hat die Opposition — unter vorläufiger Hintanstellung des Problems der inflationsbedingten Steuererhöhungen — einen Verzicht auf ausgabenerhöhende oder einnahmenmindernde Gesetzesinitiativen auch ihrerseits zugesagt.Völlig korrekt! Sie haben unser Angebot, auf dieser freiwilligen Basis und mit Rückzahlung zusätzlich etwas für mehr Stabilität zu tun, abgelehnt. Wir haben damals sogar auf anständige Weise angekündigt, daß das andere so drängend sei, daß man im Grunde nicht mehr länger warten könne. Sie können uns heute deshalb beim besten Willen keinen Vorwurf machen. Sie sollten es unterlassen, Herr Minister Schmidt, in die Welt zu setzen, daß wir damals den Konjunkturzuschlag gefordert hätten, so wie es im Stabilitätsgesetz steht. Im Protokoll ist bekundet, was wir mit diesen freiwilligen Maßnahmen gefordert haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ministers Schmidt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, darf ich Sie kollegialerweise bitten, zur Kenntnis zu nehmen, ad. 1, daß mir wirklich nicht am Herzen gelegen hat, Sie oder andere falsch zu zitieren; ad 2, daß ich nicht aus Protokollen des Finanzausschusses, sondern aus einem Aufsatz des Herrn Professors Biedenkopf im „Uniondienst" zitiert habe.
Herr Minister Schmidt, das steht überhaupt nicht im Gegensatz zu dem, was ich gesagt habe. Das bestätigt genau, was eines der Versäumnisse der letzten Jahre gewesen ist, daß Sie nichts unternommen haben. Jetzt wundern Sie sich über die Folgen Ihrer mangelhaften Stabilitätspolitik und machen uns Vorhaltungen, wenn wir wenigstens die Folgen dieser Fehler teilweise etwas lindern wollen.
Sie polemisieren immer mit dem Konjunkturzuschlag. Die Mineralölsteuererhöhung um 5,6 Pfennig ist doch für weite Kreise nichts anderes als die Erhebung eines Konjunkturzuschlages. Sie ist aber wesentlich unsozialer als der Konjunkturzuschlag, weil sie nämlich alle in gleichem Maße trifft und damit persönliche Verhältnisse — wie beim Konjunkturzuschlag nicht berücksichtigt werden können.
Die Regierung hat offensichtlich zweierlei Maßstäbe. Was sie tut, ist stabilitätsgerecht, was die Op-
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Dr. Häfeleposition beantragt, ist stabilitätswidrig. Wenn richtig wäre, was Sie immer als stabilitätswidrig hinstellen, hätten Sie in den letzten Jahren überhaupt keine, auch nicht die dringlichsten sozialpolitischen Reformen irgendwie verwirklichen dürfen. Den Stabilitätskonflikt haben wir schon seit Jahren in diesem Hause. Die Beispiele sind leicht anzuführen.In diesen Tagen etwa hat die Bundesregierung für den öffentlichen Dienst das 13. Monatsgehalt bewilligt. Wir erkennen durchaus die Triftigkeit und Richtigkeit dieser sozialpolitischen Maßnahme. Für die öffentliche Hand bedeutet sie eine Mehrausgabe von über 3 Milliarden DM in einem Monat, und zwar im Weihnachtsmonat, wo sowieso schon ein großer Kaufkraftstoß besteht. Uns werfen Sie vor, wenn wir wenigstens 42 bis 50 DM Steuererleichterung für den durchschnittlichen Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst gewähren wollen. Sie werfen im öffentlichen Dienst mit dem 13. Monatsgehalt 3 Milliarden DM aus. So geht es nicht, meine Damen und Herren, daß das, was Sie machen, stabilitätsgemäß ist, und das, was wir machen, stabilitätswidrig ist.
Die Hauptmaßnahme, die wir vorsehen, nämlich die Anhebung des Grundfreibetrags, ist zudem auf 12 Monate des nächsten Jahres verteilt, wirkt also mit Sicherheit nicht so verheerend, wie die genannte Ausgabe im Dezember wirkt.Denken Sie an die jüngste Gesetzesinitiative, die Sie in diesen Tagen zur Erhöhung der Mietobergrenzen und Einkommensgrenzen beschlossen haben. Dies ist ein dringendes sozialpolitisches Anliegen. Da aber gilt für Sie nicht das Argument, das sei stabilitätswidrig. Ich wende mich nicht dagegen, die dringenden und drängenden Maßnahmen gegen die Folgen der Inflation zu treffen, sondern ich wende mich gegen die doppelte Moral, daß wir stabilitätswidrig handeln, wenn wir etwas an Inflationsschäden beseitigen wollen, Sie aber stabilitätsgemäß handeln, wenn Sie etwas tun.Im übrigen, meine Damen und Herren, ist es sehr fraglich, ob der Zeitpunkt 1. Januar 1975, an dem die dritten Eckwerte in Kraft gesetzt werden sollen, unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten günstiger ist als heute; das kann heute noch niemand sagen.Was die von uns vorgeschlagene Erhöhung des Werbungskosten-Pauschbetrages für Sparer angeht, so ist dagegen mit Sicherheit kein stabilitätspolitisches Bedenken vorhanden, im Gegenteil: es soll dadurch ein zusätzlicher Anreiz zum Sparen, gerade für die „kleinen" Sparer, geschaffen werden. Das gilt erst recht für die Verdoppelung der Veranlagungsgrenze; das ist eine dringende Vereinfachungsmaßnahme für die Finanzämter.Im übrigen — das kann man nicht deutlich genug betonen; das ist der Kern dessen, um was es geht — ist unser Sofortprogramm durchaus stabilitätsgemäß, und zwar aus folgenden Gründen.Erstens ist jede Steuer — oder wir wollen einmal sagen: fast jede Steuer — ein Kostenfaktor, zumal zu Zeiten steigender Kosten. Sie wird also in der Regel auf die Preise überwälzt, mit der Folge, daß Steuersenkungen einen beruhigenden Einfluß auf die Preisbewegung ausüben.
Inzwischen ist es längst erkannt — Graf Lambsdorff hat das vorhin bestätigt —, daß wir im Augenblick weniger eine Nachfrageinflation haben, sondern mehr in die Phase der sogenannten Kosteninflation eingetreten sind.Herr Fredersdorf, der Chef der Gewerkschaft der Steuerbeamten, hat in der Zeitschrift „Metall" am 2. dieses Monats folgendes gesagt, was genau in diese Richtung geht:
— Beeinflussen Sie bitte Ihren Obman dahin gehend, daß er künftig hier die gleichen Spielregeln einhält, wie wir es immer tun; dann bin ich bereit, das auch zu tun.
Ich habe, meine Damen und Herren, damit lediglich die Erkenntnis wiedergegeben, daß die Schulbuchweisheit nur scheinbar ist und nicht stimmt. Solange eine Inflationstendenz nicht durchgreifend gebrochen ist, wirkt jede Steuererhöhung ihrerseits inflationär; das ist die Erfahrung. Genau das gleiche gilt eben auch für die heimlichen Steuererhöhungen.Ein zweiter Grund, warum unser Programm durchaus stabilitätsgemäß, ja, sogar stabilitätsfördernd ist: Wir haben in letzter Zeit in Deutschland „wilde" Streiks erlebt, und wir stehen vor schweren Lohn- und Gehaltsauseinandersetzungen.
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3050 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr!
Herr Kollege Häfele, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß alles das, was Sie soeben aus steuerpolitischen Überlegungen heraus gesagt haben, unserem Entschluß per 1. Januar 1975 zugrunde liegt, daß es aber nichts mit der konjunkturpolitischen Debatte zu tun hat, die wie hier miteinander führen, und daß alles das, was Sie soeben bei Punkt 1 Ihrer Argumentation gesagt haben, im Grunde doch dagegen spricht, einen neuen Kaufkraftschub durch Freisetzung von Kaufkraft zu veranstalten.
Herr Graf Lambsdorff, ich habe den Eindruck, daß Sie dem nicht genau zugehört haben, was ich vorhin zu dem Jahre 1975 gesagt habe. Sie waren in ein Gespräch mit meinem Kollegen Strauß vertieft; das werfe ich Ihnen nicht vor.
Ich glaube, daß ich Ihnen zu dem Jahre 1975 ganz klar gesagt habe, daß man mit dem Sofortprogramm solange nicht warten kann, weil das nicht länger aufschiebbar geworden ist. Jetzt versuche ich nachzuweisen, daß es eben auch preisberuhigend wirken kann, wenn man in Zeiten steigender Kosten von der steuerlichen Seite her eine dämpfende Wirkung erzielen kann.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp ?
Ich habe vorhin zur SPD gesagt, sie solle ihren Obmann endlich dazu bringen, daß er hier nicht Unwahrheiten sagt und dann, wenn er gestellt wird, nicht hier das Fragerecht beschneidet. Sobald er das macht, bin ich bereit, es bei Ihnen so zu machen, wie ich es bisher immer getan habe.
Ich habe davon gesprochen, daß wir die „wilden" Streiks erlebt haben und daß wir vor schweren Lohn- und Gehaltstarifauseinandersetzungen stehen. Niemand sollte dieses Problem,. vor dem wir alle in Deutschland stehen, verniedlichen. Unser Vorschlag würde zu einer durchschnittlichen Erhöhung der Nettolöhne um 2 bis 3 % führen. Die Aussicht, daß allein durch diese Steuersenkung 2 bis 3 % mehr „unter dem berühmten Strich" zu erhalten sind, könnte und das wollen wir ja erreichen — einen günstigen Einfluß auf diese schwierigen Auseinandersetzungen in den nächsten Wochen und Monaten ausüben.
Meine Damen und Herren, ich finde es etwas merkwürdig, wenn Vertreter der Opposition in diesem Hohen Hause nicht einmal mehr Äußerungen aus dem Lager des DGB zitieren dürfen. Lesen Sie die Freiburger Rede des Chefs des DGB, Herrn Vetter, wo er ganz klar angekündigt hat, daß bei den kommenden Lohn- und Tarifauseinandersetzungen nicht bloß die Preissteigerungen, nicht bloß der Produktivitätszuwachs zu berücksichtigen sind, sondern immer mehr auch die Progressionswirkung dieser unsozialen, dieser heimlichen Steuererhöhungen. Genau das wollen wir erreichen, und da können Sie uns doch keinen Vorwurf machen.
Wenn das erreicht würde — wir können die Tarifpartner nur auffordern, dieses Angebot aufzunehmen, mehr können wir als Gesetzgeber nicht tun —, dann wäre in der Tat eine Runde für mehr Stabilität und den sozialen Frieden gewonnen. Es steht in den nächsten Monaten viel auf dem Spiel. Der Verteilungskampf nimmt immer mehr klassenkämpferische Züge an. Die Radikalisierung — wir haben es erlebt — schreitet auch hier fort, und alles ist sozusagen ein „g'mäht's Wiesle" für die Systemüberwinder.Ein dritter Grund, warum unser Programm stabilitätsfördernd ist: Es ist dringend erforderlich, die öffentliche Hand angesichts der zwar inflationären, aber stürmisch sprudelnden Steuerquellen davor zu bewahren, in ihrer Ausgabenpolitik allzusehr „in die vollen" zu gehen. Der Staat hat von der Einnahmeseite einen Druck zum Sparen dringend notwendig. Das ist eben auch ein Beitrag zu mehr Stabilität. Wenn die Bundesregierung sagt, daß sie dieses Jahr 600 Millionen DM zusätzlich stillgelegt habe, so ist das eben nur ein Teil der inflationsbedingten Mehreinnahmen. Ingesamt sind die Schätzungen der Steuereinnahmen vom August um 14 Milliarden DM höher als die vom Februar. Wenn Sie jetzt sagen, 600 Millionen DM hätten Sie zusätzlich stillgelegt, dann ist das nur ein kleiner Tropfen auf einen heißen Stein. Wir geben von den 15 Milliarden — —
— Herr Schmidt, es freut mich sehr, daß Sie sich getroffen fühlen. Offensichtlich ist die Sache doch nicht so ganz unproblematisch, wie Sie sie hier darzustellen versucht haben.Meine Damen und Herren, wir geben von diesen rund 15 Milliarden DM inflationsbedingten Steuermehreinnahmen die Hälfte wieder zurück an den Bürger. Wir verlangen ja gar nicht, daß die gesamten 15 Milliarden DM zurückgehen. Es ist einfach ein falsches Dogma, zu behaupten, daß der Staat sein Geld stabilitätsgerechter ausgibt, das Geld, das er dem Bürger genommen hat, als der Bürger selbst, der wenigstens teilweise sparen kann.
Lesen Sie in diesem Zusammenhang die hochinteressanten Ausführungen von Professor Hankel gerade vor einigen Tagen, wo er in dieser Richtung Empfehlungen ausgesprochen hat. Wenn Sie behaupten, unser Gesetzentwurf sei ein „Inflations-
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Dr. Häfeleförderungsgesetzentwurf", behaupten Sie, daß der Bürger schlechter mit dem Geld umgeht als die öffentliche Hand. Das ist die Kernauseinandersetzung, vor der wir in den nächsten Jahren in Deutschland stehen. Das ist die sozialistische Grundüberzeugung, die Sie haben, die wir aber nicht teilen.
Meine Damen und Herren, nun zu dem Argument, durch unseren Vorschlag würde die Steuerreform verhindert. Das klingt so schön, aber was ist es in Wirklichkeit? Was steht denn in den dritten Eckwerten drin? Da soll der Arbeitnehmerfreibetrag von 240 auf 600 DM erhöht werden. Das würde einen Ausfall von 1,42 Milliarden DM mit sich bringen. Wir schlagen als Sofortprogramm eine Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages vor. Natürlich muß man das dann in der Steuerreform mit dem Arbeitnehmerfreibetrag koppeln, addieren oder wie auch immer. Daß wir darauf zurückkommen, ist selbstverständlich. Unser Vorschlag beinhaltet auf jeden Fall weniger an Ausgaben, als Sie in Ihren eigenen dritten Eckwerten auf diesem Felde vorschlagen, nämlich 600 Millionen in diesem Jahr und 1,1 Milliarden DM im nächsten Jahr und 1,42 Milliarden DM nach Ihren eigenen Angaben im Jahre 1975; bei uns eben ein Jahr vorher. Daß das eine Verhinderung der für den 1. Januar 1975 vorgesehenen Steuerreform bedeuten soll, ist mir unerfindlich. Es ist in Wirklichkeit gerade umgekehrt. Nur auf dem Boden inflationsbereinigten Steuerrechts ist eine echte aufkommensneutrale Steuerreform möglich, die Sie ja rhetorisch immer anstreben. Es ist nicht zulässig, eine Vermischung vorzunehmen, was Sie mit Ihren dritten Eckwerten wollen, nämlich von Inflationslastenausgleich und einer sogenannten Steuerreform, sondern man muß hier sauber trennen und sagen, was eigentlich gewollt ist.Wenn Sie sagen, daß durch solche steuerlichen Vorwegmaßnahmen die Steuerreform verhindert würde, dann müssen Sie an Ihre eigene Brust klopfen. Was haben Sie denn in den letzten Monaten und Jahren getan? Sie haben die Mineralölsteuer erhöht, Sie haben verschiedene andere Steuererhöhungen vorgenommen, Sie haben die Schuldzinsen für nicht mehr abzugsfähig erklärt. Das sind lauter Positionen, die in den ersten und in den zweiten Eckwerten enthalten waren und als Verfügungsmasse für die eigentliche Steuerreform gebraucht würden; sie haben Sie vorweg vervespert, darum sind sie für die Steuerreform nicht mehr vorhanden.
Wenn also eine Steuerreform durch etwas gefährdet worden ist, dann durch diese gesetzgeberischen Vorwegmaßnahmen in Gestalt von Steuererhöhungen, durch die sich — vor allem durch die Mineralölsteuer — Milliardeneinnahmen ergeben.Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Ich kann die Regierungskoalition nur auffordern, die Sache etwas ernster zu nehmen als so, wie sie hier heute den Eindruck erweckt hat. So salopp, Herr Minister Schmidt, wie Sie gelegentlich wichtige Probleme einfach wegwischen wollen,
— das mag im Augenblick ganz günstig sein — werden Sie dieses Problem im Laufe des Jahres 1974 nicht loswerden.
Meine Damen und Herren, unser Antiinflations- oder Inflationsentlastungsprogramm will einen Teil der Schäden beseitigen. Es ist dringend; man kann nicht länger warten. Zugleich bietet es, wie ich ausgeführt habe, die Chance zu mehr Stabilität. Wenn Sie es nicht übernehmen wollen, wenn Sie mit Ihrer Formel meinen, das nächste Jahr einfach bestehen zu können, dann — das meine ich ernst — laufen Sie wirklich Gefahr, 1974 von einer Inflation und von sozialen Spannungen überrollt zu werden, die wir uns vielleicht heute noch gar nicht vorstellen können.
Es könnte im Laufe des Jahres 1974 in der Steuerdiskussion dann vollends das Problem hochkommen, ob man überhaupt in Deutschland noch davon ausgehen kann, daß Mark gleich Mark ist. Dann wird es nicht mehr darum gehen, ob man im nächsten Jahr für den 1. Januar 1975 dritte oder vierte Eckwerte verabschiedet, denn dann wird die Steuerreform die sein, daß man nicht mehr davon ausgehen kann, daß Mark gleich Mark ist. Dann brauchen wir Inflationsgleitklauseln, und damit haben wir die Inflation als Institution, was wir alle nicht wollen. Deswegen: Machen Sie mit!
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Position eines wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinators der CDU/CSU-Fraktion rechtfertigt es wohl, bevor hier die notwendigen Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Häfele gemacht werden, noch einmal auf einige der Ausführungen des Kollegen Strauß und auch auf eine Vielzahl von Motiven, die hinter diesem Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion liegen, einzugehen.Herr Kollege Strauß, Sie haben anläßlich der Automobilmesse in Frankfurt und angesichts der unterschiedlichen Modelle und ihrer Preise hier gesagt, da verstünde man die Welt nicht mehr. Ich glaube, objektive Beobachter der Szenerie in der Bundesrepublik werden die Welt nicht mehr verstehen, wenn sie Franz Josef Strauß hier jetzt in der Rolle des Anwalts ja, fast könnte man sagen, des Chefberaters — des DGB sehen werden.
Lassen Sie mich ein Beispiel für die Merkwürdigkeit dieser Szenerie bringen.
— Nein, wer am 1. Oktober 1972, Herr KollegeKatzer — nachzulesen in den Protokollen der Katho-
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3052 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Ehrenberglischen Akademie in Bayern —, dem Deutschen Gewerkschaftsbund Totalitätsanspruch und Absolutheitsanspruch vorgeworfen und ihn letzten Endes als Transmissionsriemen der SPD bezeichnet hat, wie es der Kollege Strauß damals zu tun pflegte, der macht sich heute nicht sehr glaubwürdig, wenn er volles Verständnis für die Forderungen des DGB bekundet und wenn er sich hier als Anwalt der durch den Deutschen Gewerkschaftsbund vertretenen Arbeitnehmer aufspielt, und dies eben, obwohl er ein Jahr vorher nicht bereit war, für alle Arbeitnehmer diesem Deutschen Gewerkschaftsbund den Vertretungsanspruch zuzuerkennen.
Das gibt ein sehr, sehr wenig glaubwürdiges Bild. Ich glaube, die Gewerkschaften werden gut daran tun — und sie werden es sicher auch tun —, sich vor dieser Unterstützung von der falschen Seite sehr in acht zu nehmen.
— Es geht um die Sache.
— Zur Sache gehört auch, Herr Kollege Katzer, sich ein wenig die Motive anzusehen, die zu Ihrem Gesetzentwurf geführt haben.
— Herr Katzer, wenn Ihr Gewissen gegenüber den Gewerkschaften immer so gut ist wie meines, haben Sie einen guten Schlaf. Ich habe ihn.
Im Zusammenhang mit Ihren Motiven, die zu diesem Entwurf geführt haben, möchte ich hier ein Zitat anführen, das, glaube ich, sehr deutlich macht, worum es Ihnen geht. Am 27. September 1973 hat der französische Staatspräsident in einer Pressekonferenz unter anderem folgendes gesagt — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Wir haben einen Inflationsrhythmus erreicht, der beängstigend ist für uns und auch im Vergleich zu anderen. Deutschland hat in diesem Bereich bessere Ergebnisse als wir erzielt. Aber von Deutschland abgesehen, können wir von den anderen Ländern nicht sehr viel lernen.Meine Damen und Herren von der Opposition, daß dieser Zustand Ihnen unangenehm ist, daß diese Erfolge der Stabilitätspolitik der Bundesregierung Ihnen unangenehm sind, kann man verstehen.Sie legen nun ein sogenanntes Inflations-Entlastungsgesetz vor, das aber, wenn es jemals Gesetz würde — dies wird es auf Grund der vernünftigen Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause allerdings nicht werden —, in Wirklichkeit nichts anderes als ein Inflations-Akzelerationsgesetz wäre, weil es zur Beschleunigung der Preisbewegungen beitrüge.
Da der wirtschaftspolitische Sachverstand in Ihrer Fraktion ja nicht völlig fehlt — selbst wenn man aus den Äußerungen, die jetzt gefallen sind, schließen müßte, daß er fehlt —, werden Sie sehr genau wissen, worum es sich bei einer Akzeleration handelt. Sie können diesen Entwurf vielleicht als publizitätswirksames Störmanöver ansehen, aber doch wohl nicht ernst gemeint haben.
— Darauf komme ich auch noch. Auf die unsaubere Zitierweise des Kollegen Häfele werde ich noch eingehen.
— Herr Katzer, kümmern Sie sich doch nicht um die Gruppen der SPD, oder wollen Sie diese — wie den Gewerkschaftsbund — auch mit vertreten?
— Herr Katzer, wenn Sie eine Frage stellen wollen,so stehen Sie bitte auf und tun Sie das. Im Gegensatz zu dem Kollegen Häfele beantworte ich Fragen.
Der Kollege Franz Josef Strauß hat am 6. September dieses Jahres im „Deutschland Union-Dienst" der CDU unter der Überschrift „Unsozial, unsolide und konjunkturwidrig" zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung Stellung genommen. Er hat der Bundesregierung dabei unter anderem vorgeworfen, daß dieser Entwurf konjunkturwidrig sei. Außerdem hat er die zu geringe Reduzierung der Nettokreditaufnahme bemängelt. Jetzt begründet Franz Josef Strauß hier aber einen Gesetzentwurf, der eine Reduzierung der Einnahmen des Bundeshaushalts für 1974 um 4 Milliarden DM beinhaltet. Wenige Wochen vorher waren 2,3 Milliarden DM Nettokreditaufnahme zu viel.Herr Kollege Strauß, ich hätte das Geheimnis gern einmal gelüftet, wieso Anfang September 2,3 Milliarden DM zu viel waren, wenige Wochen später aber 6 Milliarden DM vernünftig und von Ihnen beabsichtigt sind. Oder wollen Sie die Ausgaben des Jahres 1974 um diese 4 Milliarden DM kürzen? Bisher gibt es von Ihrer Fraktion — wir werden noch in dieser Woche in diesem Hause darüber zu beraten haben — nur Anträge, die Haus-
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Dr. Ehrenberghaltsmehrausgaben beinhalten, z. B., wie aus der Ihnen vorliegenden Drucksache 7/1020 hervorgeht, 379,9 Millionen DM für 1973 und 390,6 Millionen DM für 1974 als Mehrleistungen für die Kriegsopferversorgung. Das ist ein Problem, dessen Lösung dringend in Angriff genommen werden muß. Aber wie wollen Sie diese Anträge — 4 Milliarden DM Steuerentlastung auf der einen Seite, Haushaltsmehrbelastungen auf der anderen Seite bei gleichzeitiger Kritik an der geringfügigen Kreditaufnahme von 2,3 Milliarden DM für 1974 — miteinander in Einklang bringen? Das wird nur dem gelingen, der das Kunststück versucht, was Herr Häfele gemacht hat,
wenn auch nicht überzeugend: hier darzulegen, daß Steuersenkungen preisberuhigend wirken sollen.Herr Kollege Häfele, Sie haben auch die Kehrtwendung bestritten, genau wie es Herr Franz Josef Strauß getan hat. Ich darf aus dem Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion Ihre Ausführungen, Herr Kollege Häfele, vom 16. Mai dieses Jahres zitieren. Herr Häfele schrieb damals — ich zitiere wörtlich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Das von der Regierung vorgelegte Programmist nicht ausgewogen und nicht ausreichend.
Die öffentlichen Ausgaben werden kaum gekürzt, außenwirtschaftlich sind Blößen in Sicht, und im Bereich der Verbrauchsnachfrage wird zu wenig Kaufkraft abgeschöpft.
Wir fordern die Regierung auf, diese Lücken zu schließen.
Sie werfen der Regierung vor, es werde zu wenig abgeschöpft, und wollen gleichzeitig 4 Milliarden DM auf Bundesseite, insgesamt mehr als 8 Milliarden DM im Hinblick auf alle öffentlichen Haushalte
den privaten Haushalten Kaufkraft zukommen laslen. Anders kann Ihr Antrag doch auch mit noch so vielen akrobatischen Kunststücken nicht verstanden werden.
— Herr Kollege Häfele, das war ein sauberes Zitat. Sie dagegen befleißigen sich, wenn Sie den Herrn Bundeskanzler zitieren, einer sehr wenig sauberen Zitierweise. Ihr Vorwurf, der Bundeskanzler sei in seinem Versprechen durch die jetzige Vorlage desavouiert worden, stimmt schlicht nicht. Bundeskanzler Brandt hat in jenem von Ihnen zitierten Interview nichts anderes getan,
als von einem Vorziehen der Steuerreform, undzwar in ihren Grundlagen, so wie sie um der sozialen Gerechtigkeit willen notwendig sind, zu sprechen.
Von dem ursprünglichen Termin 1. Januar 1976 wird dieser wichtigste Teil der Steuerreform auf den 1. Januar 1975 vorgezogen.
— Lesen Sie es nach, wenn Sie wollen, Herr Kollege Häfele. Daß die Vorziehung um ein Jahr im Finanzausschuß noch Schwierigkeiten genug bereiten wird, meine Herren von der Opposition, das werden Sie ja wohl selber, soweit Sie im Finanzausschuß sind, erfahren können.Aber, ich glaube, es lohnt nicht, hier noch weiter auf Einzelheiten der Wirkung Ihres Vorschlags einzugehen. Alles, was Sie vorgeschlagen haben, spricht der sozialen Gerechtigkeit Hohn.
Daß das Verhältnis der Begünstigung beim Weihnachtsfreibetrag ungefähr bei 60 : 20 liegt, brauche ich zumindest den Fachleuten unter Ihnen nicht zu sagen.Viel wichtiger ist, festzustellen, daß Sie hier versuchen, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung durch kurzfristig sicher publizitätswirksame Vorschläge zu torpedieren. Aber Sie dürfen sich darauf verlassen, daß dieses Infiations-Akzeleratorgesetz niemals ein Gesetz bleiben, sondern dahin gelangen wird, wohin es gehört, nämlich zur Makulatur. Mit solchen Störmanövern, wie sie hier von Ihnen betrieben worden sind, werden Sie die Stabilitätspolitik nicht aufhalten und auch die notwendige Steuerreform nicht verhindern können.Worum es Ihnen bei Ihrem Vorschlag neben dem Störmanöver geht,
läßt sich sehr exakt aus dem herauslesen und -hören, was Franz Josef Strauß, Ihr wirtschafts- und finanzpolitischer Koordinator hier einleitend gesagt hat, als er so bitter den geschwundenen Verfügungsspielraum der leitenden Angestellten beklagte. Diesen Verfügungsspielraum zu erweitern mag ein erklärtes Ziel Ihrer Partei sein. Wir sind der Meinung, der Verfügungsspielraum der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen muß vorrangig erweitert werden und nicht der der leitenden Angestellten, der Bezieher von sehr viel größeren Einkommen.
— Ich lehne Ihr Gesetz ab, weil es den Verfügungsspielraum für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen verringern würde, wenn man Ihren Vorschlägen folgte. Vielleicht kennen Sie die Auswirkungen Ihres Gesetzentwurfs nicht gut genug; sonst würden Sie wohl diesen Zwischenruf eben nicht gemacht haben.
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3054 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Ehrenberg— Ich glaube nicht, daß dieser Gesetzentwurf die Verlängerung einer Redezeit wert ist.
Ich darf mit einem ausdrücklichen Dank an den Bundesfinanzminister schließen, der hier sehr eindrucksvoll auf das zur Verfügung stehende Instrumentarium für die Beeinflussung der Konjunkturbewegungen hingewiesen hat. Ich halte es für sehr notwendig, deutlich zu machen, daß sich ein 1966 bei der Konjunkturpolitik nicht wiederholen wird. Ich halte es auch für sehr dankenswert, daß hier bei den Ausführungen des Bundesfinanzministers nachdrücklich davon ausgegangen wurde, daß dieses konjunkturpolitische Instrumentarium sehr differenziert und sehr dosiert angewendet werden wird, daß es nicht irgendwann zu einem geheimnisvollen Zeitpunkt ein Umschwenken in der Konjunkturpolitik geben wird, wo die Gefahr des „Zu-früh" oder des „Zu-spät'' immer naheliegt, sondern daß durch differenzierte und behutsam dosierte Anwendung der Maßnahmen für einen gleitenden Übergang von der überhitzten zu einer wohltemperierten Konjunkturlage — und zu keiner anderen — gesorgt werden wird. Ihre Störmanöver, meine Damen und Herren von der Opposition, werden die Erfolge dieser Stabilitätspolitik nicht in Frage stellen können. Sie werden mit diesen Störmanövern genausowenig Erfolg haben, wie es Ihnen im Sommer 1972 gelungen ist, eine vernünftige Regelung der flexiblen Altersgrenze zu hintertreiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist weder Herrn Strauß noch Herrn Häfele gelungen, unsere Vorurteile und unsere berechtigten — —
— Na ja, wir werden bei Ihrer Art, Politik zu machen, skeptisch. Wir haben sie im Finanzausschuß lange genug erlebt. — Auf jeden Fall ist es Ihnen nicht gelungen, die Etikette, die wir dem Gesetz hier immer wieder anhängen mußten, nämlich: Förderung der Inflation, zu verändern und aus dem Gesetz ein Gesetz zur Beseitigung der Inflation zu machen, wie Sie dies im Titel vorgeben.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sagen, Sie wollten die Inflation beseitigen. Dazu wäre es notwendig, Vorschläge zu machen, die entweder das im Inland zur Verteilung anstehende Gütervolumen vergrößern oder die kaufkräftige Nachfrage im Inland abschöpfen. Nichts von beidem ist in Ihrem Gesetzentwurf zu entdecken. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der — nach Ihren Zahlen gerechnet 8,6 Milliarden DM, nach unseren 9,65 Milliarden DM — mehr kaufkräftige Nachfrage schafft. Die konjunkturpolitischen Wirkungen wurden von meinem Fraktionskollegen Graf Lambsdorff und von den Koalitionskollegen Offergeld, Minister Schmidt und Ehrenberg sehr intensiv hier dargelegt.Ich möchte eigentlich nur noch zu der verteilungspolitischen Problematik, die immer wieder anklang, einige kurze Ausführungen machen. Wir befinden uns in einer Situation, wo wir eine sehr gereizte Stimmung der gesellschaftlichen Gruppen konstatieren können.
Vor diesem Hintergrund, der auch in der Debatte im Mai zum Stabilitätsprogramm schon vorherrschte, hat die Bundesregierung ein Stabilitätsprogramm vorgelegt, das geeignet ist, das Gerangel um die Anteile am Sozialprodukt zu vermindern und zu vernünftigen Lösungen zu kommen.Sie alle wissen, daß die Prognose des Sachverständigenrates noch so aussah, daß Lohnsteigerungen in der Größenordnung von 10 % Gewinnsteigerungen von 20 % gegenüberstehen sollten.Wir haben ein Stabilitätsgesetz durchgebracht, das dazu führt, daß diese Entwicklung gleichgewichtiger verläuft. Da liegt der Irrtum von Herrn Strauß, wenn er sagt, die Prognose sei falsch gewesen. Die Prognose des Sachverständigenrates war richtig, aber wir haben die Maßnahmen ergriffen, damit jene Prognose nicht eintreten konnte und eine gleichgewichtige Entwicklung der Quoten stattfand.Mit unserer Gesetzgebung haben wir gezielt die Gewinne und Investitionen getroffen. Sie von der CDU/CSU haben uns genau das angelastet, daß wir hier nämlich einseitige Gesetze erließen, die die Unternehmerseite belasteten. Daß das Stabilitätsprogramm richtig liegt, zeigt die Tatsache, daß sich die Lohnquote nicht zugunsten der Unternehmer, sondern geringfügig zugunsten der Arbeitnehmer entwickelt hat.Vor dem Hintergrund dieses sehr diffizilen Gleichgewichts, vor dem wir stehen, das ungeheuer schwierig auszutarieren ist und das Sie permanent falsch interpretieren, haben wir jetzt den Mut, Ihre Forderung, die draußen wirklich sehr populär ist, abzulehnen, um dem Streit um die Quoten nicht neuen Auftrieb zu geben. Uns liegt sehr viel daran, daß dieses Haus den geschlossenen Willen zeigt, die Konjunktur antizyklisch und nicht prozyklisch zu beeinflussen. Uns liegt sehr viel daran, Ruhe an der Lohn- und Preisfront herzustellen. Der Antrag der CDU/CSU ist geeignet, Turbulenzen in diesem Bereich zu erzeugen.
Was Herr Carstens in Berlin verkündet und was Herr Leicht hier interpretierte mit den Worten „Heimliche Steuererhöhungen — sozialer Skandal" — —
— Wenn das ein sozialer Skandal wäre, dann müßten Sie nachweisen, daß Sie mit dem Gesetzentwurf sozialere Lösungen erreichen könnten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3055
Dr. VohrerIch empfinde es als ein Armutszeugnis, wenn gerade ein Haushaltsexperte hier einen Gesetzentwurf propagiert, wo doch der Haushaltsausschuß der Ort ist, Stabilitätspolitik zu beweisen. Denn die Kaufkraft können Sie im Prinzip nur dadurch verringern, daß Sie im Haushaltsausschuß Anträge stellen mit dem Ziel, die Mehreinnahmen im Steuerbereich stillzulegen. Ich hielte es für sehr sinnvoll, als Haushaltsexperte diesen Ort zu wählen.Wir haben in dem Tarifsystem unserer Steuergesetzgebung nämlich einen sehr wirkungsvollen Mechanismus zur automatischen Konjunktur-Gegensteuerung, d. h. wir haben eine ausgesprochene Inflationsbremse in dem progressiven Tarifverlauf; immer unter der Prämisse, daß auch die Bereitschaft gezeigt wird, solche Steuergelder stillzulegen. Wenn Sie diesen Mechanismus in einer Phase konjunktureller Überhitzung außer Kraft setzen, zeigen Sie, daß Sie nicht den Willen haben, gesellschaftliche Konflikte auszugleichen, sondern sie anzuheizen.Wenn es um die Frage der Stillegung von Steuergeldern geht, fallen mir immer zwei Namen ein: erstens Herr Strauß, der wohl aus eigener Erfahrung als Finanzminister nicht viel Vertrauen hat, daß Regierung und Parlament Steuergelder stillzulegen vermögen. Sonst wäre es nicht möglich, daß er hier die Ansicht vertritt, die Konsumenten seien eher bereit, ein Mehr an Lohn als Sparbetrag zurückzulegen und nicht zu kaufkräftiger Nachfrage werden zu lassen. Wenn die Not so groß ist, wie Sie uns glauben machen, werden die gesamten Mehreinnahmen auch zu kaufkräftiger Nachfrage führen; denn es ist ganz selbstverständlich, daß nur dann in großem Maße gespart wird, wenn es sich um hohe Einkommen handelt. All die von Ihnen immer wieder vorgeschobenen Empfänger von kleinen Einkommen werden also überhaupt nicht in der Lage sein, sich hier stabilitätspolitisch in ihrem Sinne zu verhalten.Der zweite Name, der einem im Zusammenhang mit der Stillegung einfällt, ist der Name Erhard. Herr Erhard möchte, um ganz sicher zu gehen, die Gelder verbrennen oder in den Reißwolf werfen. Auch seine Erfahrungen aus eigener Regierungszeit scheinen nicht allzu positiv. Wir sind mit unserem konjunkturpolitischen Instrumentarium heute weiter. Ich glaube, daß Sie es immer wieder bemerkt haben, daß diese Regierung alle möglichen Mittel ergreift, um das Geldvolumen nur in dem Maße ansteigen zu lassen, wie dies Produktivitätssteigerungen zulassen. Wenn das Geldvolumen im beschriebenen Maße steigt, geht kein inflationärer Effekt davon aus.Aber nachdem in extenso dargelegt wurde, daß sowohl konjunkturelle wie auch verteilungspolitische Wirkungen es angeraten erscheinen lassen, Ihren Entwurf abzulehnen, möchte ich doch noch auf einige Details der Ausgestaltung Ihres Vorschlags eingehen.Sie wollen den Grundfreibetrag von gegenwärtig 1 680 DM auf 3 000 DM anheben. Damit wird aber im Gegensatz zu den Vorschlägen der Regierung das Hauptproblem der gegenwärtigen Besteuerung, nämlich das Hineinwachsen breiter unterer Einkommensschichten in die Einkommensprogression, nicht beseitigt. Da dieser erhöhte Grundfreibetrag nach den Vorstellungen der CDU/CSU einfach nur dem geltenden Tarif aufgepfropft wird, unterliegen weiterhin Bezieher eines steuerpflichtigen Einkommens von mehr als 8 000 DM bei Ledigen und 16 000 DM bei Verheirateten der von Ihnen so kritisierten Progression. Bei den Regierungsvorschlägen beginnt die Progression erst bei 16 000 DM für Ledige und bei 32 000 DM für Verheiratete. Insofern können wir nachweisen, daß unsere Tarifgestaltung eher den Zielsetzungen gerecht wird, die Sie hier vortäuschen.Es wurde hier überhaupt noch nicht genügend hervorgehoben, daß jene Erhöhung des Freibetrages wiederum die Bezieher hoher Einkommen ungleich stärker bevorzugt als die Empfänger kleiner Einkommen. Wir kommen darauf natürlich auch noch zurück, wenn wir nun den Weihnachtsfreibetrag diskutieren, den ich als gezieltes Geschenk für Bezieher hoher Einkommen verstehe. Während derjenige, der mit einem niedrigen Einkommen dem unteren Einheitssteuersatz von 19 % unterliegt, nur 38 DM Steuern spart, beträgt die Steuerersparnis aus dem gleichen Weihnachtsfreibetrag, den Sie vorschlagen, für die Bezieher höchster Einkommen fast 110 DM.
— Es ist gut, wenn Sie dieses Problem sehen. Immerhin weist das ein bißchen darauf hin, wo sich Ihre Klientel wirklich befindet. Auf jeden Fall sehen wir in dieser Maßnahme, die allein schon zum Jahresende 1973 600 Millionen DM Kaufkraft in den Geldkreislauf pumpt, eine Möglichkeit, das Weihnachtsgeschäft zu beleben, aber keine wirksame Hilfe für die Arbeitnehmer.Wenn hier Alternativen diskutiert werden — Herr Strauß hat das angedeutet —, erscheint mir in der Tat eine Anhebung des Wohngeldes vernünftiger; denn wir werden noch einige Zeit nicht von der Hochzinspolitik wegkommen, und wir sehen ganz deutlich, daß diese Hochzinspolitik gerade im Wohnungsbau zu einer wesentlichen Steigerung der Mieten beiträgt. Das ist ein Tatbestand, den wir nicht gern in Kauf nehmen, der aber bei der Zweischneidigkeit der Zinspolitik nicht zu umgehen ist.Wir halten es deshalb für vernünftig, wenn das Wohngeld angehoben und vielleicht auch der Kreis der Bezieher erweitert wird. Dann treffen wir nämlich genau die Gruppe, die die niedrigsten Einkommen hat und für die soziale Hilfe am dringlichsten ist. Wenn hier die Fraktion der CDU/CSU einen DGB-Vorschlag übernimmt, müssen wir zugeben, daß wir natürlich auch sehr gern populäre Maßnahmen draußen mit vertreten würden. Wir haben aber den Mut, für unpopuläre Maßnahmen geradezustehen. Wir werden aber auch außerhalb dieses Hauses darauf hinweisen, wer in diesem Parlament die Stabalitätsapostel sind und wer nicht.Die Fraktion der FDP sieht in der Flickschusterei des vorliegenden Gesetzentwurfs den Beweis völ-3056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973Dr. Vohrerliger Unfähigkeit der Opposition, zu einer geschlossenen und in sich widerspruchsfreien Steuerkonzeption in konstruktiver Weise beizutragen. Man hangelt sich einmal mehr von Ast zu Ast.
Die Opposition unterliegt jedoch einem Irrglauben, wenn sie meint, daß sie sich weiterhin mit dem Image des Stabilitätsgaranten draußen dem Wähler stellen kann.Der Oppositionsentwurf ist kein Gesetz zur Beseitigung von Inflationsschäden, sondern ein untauglicher Versuch zum Angriff auf diese SPD/FDPRegierung. Denn steigende Lebenshaltungskosten — ich denke, daß die inflationäre Wirkung des Oppositionsantrages in der Größenordnung von 1 bis 2 % liegen wird — fördern in diesem Lande Radikalität und Unzufriedenheit. Aber die CDU/CSU hat nie nach der Höhe des Preises gefragt, wieder an die Macht zu kommen. Hier war sie immer großzügig.Im übrigen empfinde ich den Entwurf als den Versuch einer Einschmeichlung bei den Arbeitnehmern und als ein Anheizen der Preissteigerung. Vielleicht ist es für Sie schwierig, Argumente zu finden gegen die ersten stabilitätspolitischen Erfolge der Bundesregierung, nämlich gegen die Tatsache, daß wir jetzt die Preistendenzwende erreicht haben und sinkende Indexzahlen präsentieren können — von 7,9 im Juni auf 6,4 im September —, ganz im Gegensatz zum internationalen Trend.Die Mitglieder der FDP-Fraktion und ebenso sicherlich die Kollegen der SPD werden mit missionarischem Eifer durchs Land ziehen, um die Rollen in diesem Hohen Hause zu klären, um aufzuzeigen, wer sich in diesem Parlament für Stabilität einsetzt und wer nicht. Die FDP wird Ihren Entwurf, der nicht dazu geeignet ist, diesem Lande mehr Stabilität zu bringen, ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vertreter der Koalition hatten heute vormittag eine schlechte Sache zu vertreten. Entsprechend schlecht waren auch die Argumente.
Herr Kollege Ehrenberg, natürlich nach einer groß angelegten Polemik, ziellos in die Gegend geschossen, jetzt nicht mehr im Saal,
hat Motivforschung betrieben, warum wir wohl diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Meine Damen und Herren, wir haben ihn vorgelegt, weil durch die inflationäre Entwicklung die unteren und mittleren Einkommen durch die Steuerlast sehr hart getroffen werden und weil wir für diese Bevölkerungsgruppen einen steuerlichen Ausgleich haben wollen. Das ist unser Motiv und gar nichts anderes.
Ich finde es sehr bezeichnend, wenn der Sprecher der FDP, Graf Lambsdorff, sagt, daß unser Gesetzentwurf vom Inhalt her unseriös sei. Also sind die steuerliche Entlastung und der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen, die inflationsbedingt sind, unseriös? Ich glaube, der deutsche Steuerzahler wird das gebührend zur Kenntnis nehmen.
Damit will ich es mit der Polemik eigentlich schon bewenden lassen. Ich will noch einmal auf zwei Gesichtspunkte kurz eingehen, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben.
Aus der Begründung der Ablehnung unseres Entwurfs wird deutlich: FDP und SPD brauchen für die große Steuerreform eine Manövriermasse.
Sie will heute nach dem Motto handeln: zuerst den Bürger zur Kasse bitten, dann etwas zurückgeben und dieses Zurückgeben als große soziale Tat feiern. Das ist Ihr Motiv.
Das Zweite ist der konjunkturpolitische Aspekt unseres Gesetzentwurfs. Es wird gesagt: Da wird neue Kaufkraft geschaffen. — Es wird keine neue Kaufkraft geschaffen; es wird Kaufkraft verlagert von der öffentlichen Hand auf die Hand von Privaten. Kein Sprecher der Koalition hat bisher glaubwürdig dargestellt, daß es so nicht ist. Es handelt sich eben nur um eine Verlagerung von Kaufkraft.
Meine Damen und Herren, Sie gehen — das übersehen Sie vollständig — bei der globalen Dämpfung der Konjunktur immer nur auf das Ziel los, die Nachfrage einzuengen. Ich glaube, daß es genauso wichtig ist, den Kostendruck in der deutschen Wirtschaft zu senken.
Denn wenn Sie den Weg gehen, nur die Nachfrage und nicht zugleich auch den Kostendruck zu dämpfen, kommen wir leicht in eine Situation der Stagflation, in der wir wegen der steigenden Kosten weiterhin auch steigende Preise haben, wobei das Produktionspotential aber nicht mehr vollständig ausgelastet ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Der Kollege Häfele hat vorhin gesagt, warum er eine Zwischenfrage nicht zulasse. Ich erkläre mich mit ihm solidarisch. Man kann solche Dinge durchaus in der einem zur Verfügung stehenden Zeit richtigstellen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3057
VogtSie haben inzwischen zwei Stunden Zeit gehabt, solche Richtigstellungen vorzunehmen. Sie tun es aber nicht.
Der Kollege Offergeld hat gesagt, unser Gesetzentwurf hätte keine Wirkung auf die Tarifvertragsparteien. In einem „Spiegel"-Gespräch hat er allerdings etwas anderes vertreten, als er heute sagt. Herr Minister Friderichs hat hier das gleiche wiederholt. Dazu kann ich natürlich nur sagen, Herr Minister: Wenn Sie von vornherein, nachdem wir unseren Antrag angekündigt hatten, gesagt haben, die Gewerkschaften würden darauf nicht reagieren, dann wundere ich mich natürlich nicht darüber, daß von den Gewerkschaften dieses Echo kommt.
Wenn Sie sich nicht der Mühe unterziehen, dieses Angebot auch in die Konzertierte Aktion einzubringen,
denn verwundert es mich nicht, daß die Tarifpartner darauf negativ reagieren.
Meine Damen und Herren, in unserem Konzept hat auch der Weihnachtsfreibetrag wir schlagen eine Verdreifachung vor — seinen Stellenwert. Ich darf auch hier eine kleine Korrektur anbringen, Herr Ehrenberg. Vielleicht hatte der Bundeskanzler, als er aus dem Urlaub aus Norwegen zurückkam, etwas Abstand gewonnen und sich einmal die Lage in diesem Lande ein wenig angesehen. Er kam nämlich mit der richtigen Erkenntnis zurück, daß eine Steuersenkung baldigst durchgeführt werden müsse.
-- Baldigst, vor der Steuerreform! Erst nachdem ihn der Finanzminister wahrscheinlich etwas in die Zange genommen hat, ist er wieder weich geworden, wie wir es in verschiedenen anderen Fällen auch erlebt haben.
Im übrigen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt wirklich einmal die Kollegen vom DGB auf allen Seiten dieses Hauses, die hier im Saal sind, fragen: Glauben Sie denn, der deutsche Arbeitnehmer nimmt die Vergünstigung, die er aus einer Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages bekommt, nur deshalb nicht an, weil Herr Strauß sie fordert?
— Das glauben Sie doch nicht im Ernst.Der DGB fordert — ich will die einzelnen Stellungnahmen hier nicht im Detail verlesen — sofortige steuerliche Entlastungen. Er fordert insbesondere eine Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages. Die Sprecher der Koalition haben zu Recht darauf hingewiesen, daß sich der Weihnachtsfreibetrag je nach Einkommenshöhe unterschiedlich auswirke. Nur, meine Damen und Herren, wir machen ja hier keine Steuerreform, sondern wir fordern eine steuerliche Entlastung.
Wir wollen die inflationsbedingten heimlichen Lohnsteuererhöhungen beseitigen. Wir wünschen ein Programm für ein Jahr. Ich glaube, daß der DGB seine Vorstellungen und seine Forderung gerade auch unter diesem Gesichtspunkt erhoben hat. Herr Kollege Ehrenberg, wenn Sie unseren Vorschlag als unsozial abqualifizieren, dann ist eben auch der Vorschlag des DGB unsozial. Dann ist der DGB nach Ihrer Vorstellung eben ein reaktionäres Gebilde. Er wird sich dafür bei Ihnen entsprechend bedanken.
Vielleicht haben Sie doch noch einige Beziehungen zum Deutschen Gewerkschaftsbund.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist es natürlich interessant, wie der SPD-Pressedienst auf diesen Vorschlag des DGB reagiert hat. Dort heißt es nämlich:Auf dem Steuerparteitag der SPD hatte Einigkeit darüber geherrscht, daß der Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt erhöht werden muß und daß es wichtiger ist, Schulen und Krankenhäuser zu bauen, mehr Gelder in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren und neue Erholungsgebiete zu schaffen, als einen — und das muß aus aktuellem Anlaß gesagt werden — noch größeren Weihnachtsbraten auf den Festtisch aufzutragen oder noch wertvollere Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen zu haben.
So reagiert die SPD auf diesen Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ich glaube, wenn es so weitergeht, wird der Deutsche Gewerkschaftsbund sehen, daß auf Ihrer Seite des Hauses nicht die Interessenvertretung seiner Mitglieder sitzt.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Bevor ich mich im Detail zu einigen Fragen äußere, möchte ich etwas Grundsätzliches zu diesem Gesetzentwurf sagen.Herr Strauß, ich glaube, daß Sie mit der Einbringung des Entwurfs und mit Ihrer heutigen Begründung eigentlich mehr das Problem der Glaubwürdigkeit Ihrer Politik als Detailfragen dieses Gesetzentwurfs angesprochen haben. Ich fühle mich zu dieser Aussage deswegen berechtigt, Herr Strauß, weil ich noch nie bei Vorlage eines Gesetzentwurfes, den die3058 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973Bundesminister Dr. FriderichsOpposition in diesem Hohen Haus eingebracht hat, so viele Anrufe und Ansprachen von Mitgliedern Ihrer Partei gehabt habe wie diesmal, und zwar von ernst zu nehmenden Mitgliedern Ihrer Partei, die sich davon distanziert haben.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Katzer, daß ich dieses in Zweifel gezogen habe. Ich lasse mich in dieser Hinsicht gerne belehren.
Vielleicht darf ich es so formulieren: und zwar von Mitgliedern, denen ich jedenfalls den Sachverstand zur Beurteilung ökonomischer Zusammenhänge nicht abspreche — so hatte ich es gemeint —, übrigens aus ganz unterschiedlichen Lagern, z. B. aus dem Lager, dem Sie vielleicht bis jetzt näherstanden. Ich meine die Unternehmer. Heute sieht das ja etwas anders aus: als ob auch andere Gruppen von Ihnen mehr entdeckt worden seien.Aber ich sage Ihnen ganz deutlich, aus diesen Kreisen wurde ich — noch heute morgen — bedrängt: Bleibt doch um Gottes willen hart; macht doch diese Opportunitätshascherei nicht mit; sie ist wirtschaftspolitisch falsch! Wir können uns gern auch über die Betreffenden unterhalten. Sie sind zum Teil sehr ranghoch.Die Rede von Herrn Häfele hat mich in makabrer Weise an den Herbst 1972 erinnert. Deswegen will ich in der Sache nicht darauf eingehen.Herr Strauß, vielleicht haben Sie selbst die Glaubwürdigkeit Ihrer Ausführungen am besten charakterisiert, indem Sie bei Nennung des Namens des Bankpräsidenten Hankel gesagt haben, er sei der währungspolitische Berater des Bundeswirtschaftsministers.
— Nein, nein, Sie haben gesagt, er sei der währungspolitische Berater des Bundeswirtschaftsministers.
— Nein, das haben Sie nicht gesagt; das können Sie gerne nachschauen.Ich wollte Ihnen nur bestätigen, daß dieser Bundeswirtschaftsminister — der andere ist ja, jedenfalls seit Herbst 1972, näher bei Ihnen — mit Herrn Hankel seit seiner Amtseinführung noch nicht gesprochen hat. Dies möchte ich hier feststellen.
— Herr Wagner, glauben Sie wirklich, daß Sie mit diesen Kamellen noch etwas erreichen können? Ich glaube es nicht. Ich bin auch anderer Meinung in der Sache.Zur Sache. Der Gesetzentwurf bringt eine Steuerentlastung — wir wollen uns nicht streiten; ich nehme Ihren Betrag — von meinetwegen 8 Milliarden DM. Es ist wohl unbestritten, daß diese 8 Milliarden DM verfügbares Einkommen werden; einfach ausgedrückt: Kaufkraft. Wir können nun lange streiten, ob sie gespart werden oder nicht.Ich finde es ein bißchen einfach gesagt, diese Beträge würden — wenn man sie dem Staat beließe, also Ihren Gesetzentwurf ablehne — mit Sicherheit ausgegeben. Ich fand, daß Herr Strauß hier deutlicher war. Er hat nämlich gesagt, auch ihm sei klar, daß bei einer Entlastung um 8 Milliarden DM— das bedeutet Mindereinnahmen um 8 Milliarden DM — mindestens für den Haushalt 1974 — so habe ich Sie verstanden — eine zusätzliche Kreditaufnahme gegenüber der geplanten erforderlich sei. Das bedeutet aber doch nichts anderes als die Tatsache, daß diese zusätzlichen 8 Milliarden DM in den Kreislauf gehen. Ich will jetzt gar nicht prüfen, wo sie hingehen.
— Ich sage gleich noch etwas dazu, Herr Dr. Strauß. Dieser Betrag ist also im Kreislauf. Wir müssen doch über die bisher geplante Kreditaufnahme hinausgehen, die jetzt in Höhe von 2 Milliarden DM bis 2,5 Milliarden DM vorgesehen ist. Das ist doch ökonomisch eine Art von deficit spending. Ich erinnere mich an die Zeiten, wo Plisch und Plum auf der Regierungsbank saßen und diese Wortprägungen eine Rolle gespielt haben.Die Bundesregierung hat eine Begrenzung der Steigerung des Haushaltsplans auf 10,5 % durchgesetzt, Herr Dr. Strauß, ohne daß sie — ich sage das ganz klar in Anwesenheit des Herrn Finanzministers — von der Einnahmenseite her zu dieser. Begrenzung gezwungen gewesen wäre. Sie waren selbst Finanzminister. Sie wissen, wie schwierig es ist, auch berechtigte Ausgabenwünsche von Ressortkollegen abzuwehren, wenn Sie nicht einmal das Argument der leeren Kassen in der Hand haben. Das ist der Unterschied zwischen dem Bundeshaushalt und den Länderhaushalten.
— Ich will Ihnen gleich sagen, wo Sie helfen wollen. Sie behaupten, Sie wollten helfen. Dann hätten Sie beispielsweise diesem Ihren Gesetzentwurf einen klaren Deckungsvorschlag beifügen müssen. Dann hätten Sie sich äußern müssen, ob die Ansprüche der Länder, 5 % mehr Anteil an der Mehrwertsteuer zu erhalten, eigentlich in dieses Programm passen. Dann hätten Sie sagen müssen, ob es richtig ist, daß Mitglieder Ihrer Partei und Fraktion sagen können, es sei falsch, daß die Finanzierung des Energieprogramms zum Teil durch den Verbraucher geschehen müsse, das solle über den Haushalt geschehen. Ich frage Sie: Wo paßt denn das alles noch? Sie können doch beim besten Willen nicht Mindereinnahmen von 8 Milliarden DM fordern, wenn die Summe der Mitglieder Ihrer Fraktion in demselben Augenblick permanent Mehrausgaben — siehe dieses Beispiel! — verlangt.
Ich habe hohen Respekt vor der Einsichtsfähigkeit Ihrer Führungsspitzen, da Sie nun wenigstens
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3059
Bundesminister Dr. FriderichsKoordinatoren bestellt haben. Wir haben daher die Chance, darauf hoffen zu dürfen, daß die Summe der Äußerungen nicht mehr ausschließlich widersprüchlich, sondern wenigstens teilweise in der Finalität gleichgerichtet ist. Darauf mögen wir warten.
— Ich will Ihnen zu dem Nachziehen etwas sagen. Ich gehe auf den Streit, den Sie aufzubrechen versuchen, nämlich auf das, was der Bundeskanzler gesagt haben soll, überhaupt nicht ein. Sie wissen, daß Sie mich damit sowieso nicht aus meiner Art herauslocken können.
Ich sage Ihnen eines ganz klar Ich unterstelle einmal, die Äußerungen von Herrn Häfele — —
— Herr Katzer, lassen Sie mich doch ruhig einmal ausreden. Vielleicht ist das sogar zu ertragen.
Ich unterstelle also, die Äußerungen von Herrn Häfele wären richtig gewesen, und der Bundeskanzler hätte das gesagt. Ist es denn nun wirklich ein Drama, wenn auf Grund einer Beratung mit dem Finanz- und Wirtschaftsminister unter Umständen ein Ergebnis herauskäme, das ökonomisch richtig ist? Ich weiß nicht, was Sie eigentlich wollen. Ich muß wirklich fragen, was Sie damit wollen.
Hätte der Bundeskanzler, den Sie zuletzt gestellt haben, mehr auf ökonomische Ratgeber gehört, wäre uns allen — uns allen! — einiges erspart geblieben. Das muß ich Ihnen allerdings sagen.
Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen, Herr Wagner. Die Politik, die 1969 mit der Verhinderung der Aufwertung im richtigen Zeitpunkt betrieben wurde, hat uns in einen Boom hineingebracht, der verhinderbar war. Das wissen Sie auch viel zu gut.
— Sehr gut.Ein Wort zur Stillegung! Ich sage Ihnen hier nur Zahlen. Ich äußere mich nicht zur Stabilitätsabgabe und zur Investitionssteuer. Sie wird stillgelegt. Darüber gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Meinungsverschiedenheiten gibt es, ob darüber hinaus freiwillig Gelder stillgelegt werden. Die Stabilitätsanleihe ist stillgelegt, das ist selbstverständlich. Das ist wieder ein Beweis, daß Sie vielleicht manchmal doch etwas zurückhaltender sein sollten, wenn Sie der Regierung unterstellen, sie tue nicht das, was sie ankündige.Als ich vor kurzem hier stand — nach dem Kollegen Schmidt —, und es um die Frage ging, ob wirdie Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer in diesem Jahr stillegen würden, da haben Sie Zweifel angemeldet. Wir dagegen haben gesagt: Selbstverständlich werden wir in diesem Jahr 700 Millionen DM zusätzlich zur Stabilitätsabgabe und zur Investitionssteuer stillegen. Im Augenblick beträgt die Stillegungssumme laut Ausweis der Deutschen Bundesbank 610 Millionen DM vom Bund; die erwartete Mehreinnahme aus dieser Steuer beläuft sich 1973 auf rd. 700 Millionen DM. Auch diese Ihre wiederum betätigte Verdächtigung wird also spätestens am 31. Dezember nachweisbar unrichtig sein.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch eine weitere Zahl anführen. Während der Bund 610 Millionen DM stillgelegt hat, hat die Summe der Länder 20 Millionen DM stillgelegt.
Diese 20 Millionen DM kommen von einem einzigen Land — ich nenne es, weil es als einziges einen sichtbaren Beitrag geleistet hat —: vom Freistaat Hamburg. Nichts von den stabilitätsbewußten Ministerpräsidenten, die da durch die Gegenden in Schleswig-Holstein laufen und ökonomische Erklärungen abgeben, nichts von einem Beitrag, obwohl sie selbst wissen, wie die Mehreinnahmen auch dort gestiegen sind.Herr Dr. Strauß hat das IFO-Institut zitiert. Ich bin immer sehr froh, wenn das zitiert wird, weil ich eine ganze Menge von den Prognosen und Analysen dieses Instituts halte. Aber Sie hätten, Herr Dr. Strauß, aus demselben Schnelldienst, aus dem Sie zitiert haben — das ist der vom 19. September 1973 —, auch die Seite zitieren sollen, auf der das Fazit steht. Mit Erlaubnis des Herr Präsidenten möchte ich zwei Sätze zitieren. Das Fazit beruht nämlich in einem Absatz, der zusammengezogen ist und wie folgt lautet:Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die notwendigen Lohnsteuersenkungen in Form von Freibetragserhöhungen aus konjunkturellen Gründen abzulehnen. Man sollte mit zusätzlicher Kaufkraft nicht noch die Konsumentennachfrage stärken.Das ist der Schnelldienst, den Sie zum Beweis der Richtigkeit Ihres Antrags zitiert haben. So kann man doch nicht mit einem Parlament und so sollte man auch nicht — das kann man zwar — mit einer Regierung umgehen, Herr Dr. Strauß.
— Nein, die IFO-Zahlen bestreite ich nicht.Das einzig scheinbar richtige Argument Ihres Antrags — mit dein will ich mich gerne auseinandersetzen —, ist die Behauptung — die auch in der Begründung enthalten ist —, dadurch entstünden bei der breiten Masse der Arbeitnehmer reale Nettomehreinkommen und dadurch käme es bei den be-
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3060 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Friderichsvorstehenden, sicher schwierigen Tarifvertragsverhandlungen zu niedrigeren Tariflohnabschlüssen.
— Ich sage doch, das einzig scheinbar richtige Argument; darauf will ich eingehen, Herr Katzer.
Die Rüge, die der Herr Abgeordnete Vogt mir erteilt hat, habe ich zur Kenntnis genommen. Nur: Das, was er gerügt hat, habe ich alles getan. Ich habe nämlich nicht nur in der Konzertierten Aktion, in der bekanntlich Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Sachverständige, Banken usw. vertreten sind, diese Frage auf den Tisch gelegt. Nein, nein, ich habe mehr getan! Ich bin zu vertraulichem Gespräch zu der Bundesvorstands-Sitzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach Freiburg gefahren, und ich bin — zusammen mit meinen engsten Mitarbeitern — zu der Sitzung des tarifpolitischen Ausschusses des Deutschen Gewerksschaftsbundes gefahren — alles vor der Konzertierten Aktion, ohne großes Aufheben, weil man auf zweierlei Weise Politik machen kann. Dann erst bin ich in die Konzertierte Aktion gegangen, und zwar nicht, Herr Vogt, mit der Tendenz: Das ist so — leider können Sie es nicht nachlesen, weil es über die Konzertierte Aktion kein Protokoll gibt; aber fragen Sie bitte die Teilnehmer —, sondern mit der Fragestellung — denn wir haben uns doch selbst mit diesen Fragen befaßt —, ob es richtig ist, zu diesem Zeitpunkt zu entlasten; denn daß wir entlasten wollen, haben Sie doch selbst gesehen.
— Wenn ich den Satz zu Ende geführt habe, können Sie sofort eine Zwischenfrage stellen. — Ich bin also in die Konzertierte Aktion mit der Fragestellung gegangen, ob bei einer Entlastung dieser oder ähnlicher Art mit Tarifabschlüssen zu rechnen sei, die einen zusätzlichen Beitrag zur Rückgewinnung von mehr Stabilität darstellen würden. Dies war die gestellte Frage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, selbstverständlich.
Herr Minister, ist es richtig, daß Sie sofort nach Bekanntwerden unserer Initiative, d. h. also Ende Juli dieses Jahres, gesagt haben, daß eine solche Initiative nicht in die konjunkturpolitische Landschaft passe, ist es also richtig, daß Sie Ihre negative Stellungnahme schon abgegeben hatten, bevor Sie in die Gespräche gegangen sind, von denen Sie gerade berichtet haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich mich erinnere, ist es richtig, daß ich gesagt habe, daß die Initiative, und zwar unmittelbar nach deren Bekanntwerden, nicht in die konjunkturpolitische Landschaft passe. Dies ist meine Meinung gewesen und ist es heute noch. Es ist nicht richtig, daß ich mich vorher zu der Frage geäußert hätte, ob sie möglicherweise unabhängig von der Kaufkraftschaffung einen Einfluß auf die nominalen Abschlüsse der Tarifrunde des kommenden Herbstes hätte.
Ich darf fortfahren. In der Konzertierten Aktion bestand Übereinstimmung zwischen allen daran Beteiligten — ich betone: allen , daß dieser von Ihnen in der Begründung erwartete Effekt nicht eintreten werde. Denn ich gebe Ihnen zu, wenn dieser Effekt mit absoluter Sicherheit einträte, müßte man sehr lange darüber diskutieren, welche volkswirtschaftlichen Wirkungen das hätte. Ich brauche hier aber nichts mehr dazu zu sagen, denn er tritt nicht ein.
Ein Wort zu diesem ständigen Gerede über die armen Lohnsteuerzahler und die wahnsinnig steigende Lohnsteuer, die jetzt sogar die Mehrwertsteuer überholt habe. Meine Damen und Herren, vergessen Sie doch bitte nicht, Sie sagen Lohnsteuer und sagen nicht dazu, daß 85 % der Menschen in diesem Lande Lohnsteuer zahlen, auch der, der gerade redet, und zwar versteuert er sein Einkommen voll, weil er diesem Hohen Hause nicht angehört, wie Sie wissen.
— Am Ende, aber zunächst einmal gebe ich meine Lohnsteuerkarte dort ab, wo ich beschäftigt bin, damit Sie das genau wissen. — Was soll das denn alles? Sie suggerieren, als ob nur die kleinen armen Leute Lohnsteuer zahlten, und geben nicht zu, daß in Wahrheit 85 % der Menschen in diesem Lande davon betroffen sind.
Lassen Sie mich nun unter Bezugnahme auf diese Frage „Ausfluß auf Tarifpolitik" noch etwas sagen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn einer hier anheizt und den verantwortungsbewußten Führern unserer Gewerkschaften das Leben erschwert, dann doch. Sie, wenn Sie durch die Gegend laufen und erzählen, da wäre ja überhaupt kein realer Zuwachs mehr drin, und da müßte man mal etwas dran tun.
Sie werden sich noch sehr überlegen müssen, ob es richtig ist, wenn Sie diesen verantwortungsbewußten Kräften das Geschäft erschweren, um es Gruppen zu erleichtern, von denen ich nach wie vor der Überzeugung bin, daß Sie sie auch nicht mögen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Minister, meinten Sie mit Ihrer letzten Äußerung über die Tatsachenaussagen der Opposition, daß zukünftig die Opposition über diese Tatsachen, daß nämlich ein Zuwachs des Realeinkommens nicht mehr vorhanden ist, öffentlich sprechen soll?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3061
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin der Meinung, sie sollte die Wahrheit sagen, und ich werde mir gleich erlauben, Ihnen diese zu sagen.
— Keine Aufregung.
— Ich bedanke mich, Herr Dr. Strauß, für die Belehrung.
— Nein, ich meine, wir sollten uns wirklich darüber einig sein, daß hier niemand mein Schulbube ist. Ich bin von Hause aus auch kein Philologe und habe daher furchtbar wenig pädagogische Talente, weil ich etwas anderes gelernt habe. Ich will das aber nicht ausdiskutieren.Da Sie mich gerade ansprechen, will ich auf Sie eingehen. Sie haben doch permanent behauptet, daß Aufwertungen usw. Quatsch seien, die brächten doch gar nichts.
— Sollte es die Unwahrheit sein — Lüge heißt ja, bewußt die Unwahrheit sagen; dies habe ich nicht getan —, nehme ich es zurück, bringe aber die Zahlen trotzdem. Nehmen wir es so hin, weil es draußen diskutiert wird.Es wird behauptet, daß die Maßnahmen der Bundesregierung — insbesondere auch die Aufwertungen, die für die deutsche Wirtschaft nicht ganz einfach zu verkraften waren — überhaupt nichts gebracht hätten, denn die Einfuhrpreise stiegen ja stärker als die Inlandspreise.Ich möchte die Zahlen nennen. Die Zahlen zeigen, daß die Einfuhrpreise — nicht berechnet als Kontraktpreise, sondern als Durchschnittswerte — sich in der Bundesrepublik Deutschland im zweiten Vierteljahr 1973 — im Vergleich zum zweiten Vierteljahr 1972 — um 4,5 % erhöht haben. In Großbritannien: plus 27,2 %. In den USA: plus 16,8 %. In Japan: plus 4,8 %. — Das heißt, auch diese Behauptungen, das helfe alles gar nichts, sind nicht richtig.Erlauben Sie mir bitte, daß ich zum Schluß auf die Frage eingehe, die Herr Breidbach gestellt hat, 'ob man nämlich über reale Zuwachsraten reden dürfe oder nicht. Nun, reden darf man über alles. Man sollte nur den Versuch machen, das zu sagen. Und ich will versuchen, Ihnen was stimmt zu sagen.Der für 1973 erwartete reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts um etwa 6 % entspricht einer Steigerung um rund 50 Milliarden DM. Davon werden in diesem Jahr allein 11 Milliarden DM durch den im Vergleich zum Vorjahr ungewöhnlich gestiegenen realen Ausfuhrüberschuß von Waren undDienstleistungen verbraucht. Wenn man von den 50 Milliarden DM Sozialproduktsteigerung — ich erkläre das bewußt so, damit wir uns vielleicht einmal auf sachliche Fragen einigen können — diese 11 Milliarden, die ins Ausland fließen, abzieht, stehen für die Verwendung im Inland noch 39 Milliarden DM zur Verfügung. Das sind 4,5 % mehr als im Vorjahr. Mit anderen Worten, während in diesem Jahr von unserer Volkswirtschaft real um 6 % mehr produziert wird, kann im Inland nur 4,5 % mehr zur Verfügung stehen. Das ist zunächst einmal eine Größe, von der wir vielleicht ausgehen sollten.Wie wird nun dieser reale Zuwachs von 39 Milliarden DM im einzelnen verwendet? 13 Milliarden dürften nach unseren Berechnungen auf die von Unternehmen und Staat getätigten Investitionen sowie auf den Wohnungsbau entfallen. Das heißt, Investitionen, Wohnungsbau und staatliche Investitionen plus 6 %. Um etwa 5 bis 6 Milliarden DM wird wahrscheinlich der reale Staatsverbrauch zunehmen: plus 4 %. Die privaten Haushalte schließlich dürften real 20 bis 21 Milliarden DM mehr verbrauchen: plus 4,5 %.Damit — das gebe ich zu — ist noch wenig gesagt über die Verteilung der realen gesamtwirtschaftlichen Einkommensteigerung auf Personengruppen bzw. Staat. Eine Aussage darüber ist auch nur sehr begrenzt möglich. Am ehesten läßt sich noch etwas über den realen Zuwachs des privaten Verbrauchs sagen; insbesondere läßt er sich am ehesten bestimlten Einkommensarten zuweisen.Hinter der realen Zunahme der privaten Verbrauchsausgaben von 20 bis 21 Milliarden DM gleich 4,5 % steht eine Zunahme des Realwerts der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte um nur etwa 17 Milliarden gleich 4 %, da die Sparquote in diesem Jahr geringer ausfällt als im Vorjahr. Diese 17 Milliarden DM realer Einkommenszuwachs der privaten Haushalte ergeben sich u. a. aus: 6 Milliarden DM oder 3 % Wachstum der Reallohneinkommen; 5,5 Milliarden DM oder 6 % Zunahme der Realeinkommen im Renten- und Sozialleistungsbereich; 5,5 Milliarden DM oder rund 4,5 % Erhöhung der entnommenen Gewinne und Vermögenseinkommen.Diese letzte Position — Gewinne und Vermögenseinkommen — mit hinreichender Sicherheit aufzuteilen bin ich nicht in der Lage. Aber aus Vermögenseinkommen dürfte jedenfalls ein Teil auch denjenigen zufließen, die ansonsten in der Gruppe „Reallohneinkommen" geführt werden.Das bedeutet, daß die pauschale Aussage, die der Kollege Schmidt vorhin gemacht hat, hier durch ein Zahlenwerk untermauert wird. Und ich glaube, es wäre gut, wenn wir alle bereit wären, auch draußen zu sagen, daß die These von der nicht vorhandenen realen Steigerung der Lohneinkommen ein Märchen ist. Ich gebe zu, daß sich die Steigerung je nach Familienstand und Einkommenshöhe unterschiedlich gestaltet.
Wir haben das an Beispielen durchgerechnet. Beieinem Ledigen mit einem Monatseinkommen von
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3062 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Friderichs1 700 DM ergibt sich nach meiner Tabelle eine Reallohnsteigerung von 1,8 %. Wenn der Durchschnitt bei 3 % liegt, muß nota bene die Steigerungsrate zum Teil darunter, zum Teil darüber liegen.Meine Damen und Herren, ich habe mit diesem Beitrag den Versuch gemacht, einmal zu zeigen, wie sich auch die Opposition in wichtigen gesamtwirtschaftlichen Fragen als glaubwürdig erweisen könnte. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir täten alle gut daran, wenn wir ausgerechnet wirtschaftspolitische Debatten in dieser Phase nicht dazu benutzten, uns nahezu ausschließlich an Opportunitätsgrundsätzen, die in der Politik eine große Rolle spielen, auszurichten. Ich weiß, daß Steuersenkungen leichter zu vertreten sind als Steuererhöhungen. Wenn aber die Senkung zu einem bestimmten Zeitpunkt ökonomisch falsch ist, muß man den Mut haben, dies draußen zu sagen.
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weiter erteile, möchte ich zur Geschäftslage folgendes sagen. Es liegen zur Zeit noch fünf Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungpunkt vor. Ich werde die Sitzung genau um 13 Uhr unterbrechen müssen, und zwar aus zwei Gründen, erstens, da der Ältestenrat tagt, zweitens, da die Mittagspause ohnehin kurz genug ist. Wir werden dann also in der Rednerliste — abgesehen von einer Wortmeldung, die gleich jetzt erledigt wird — um 15 Uhr fortfahren und daran anschließend Punkt 5 der Tagesordnung — Änderung vermögensteuerrechtlicher Vorschriften — und erst danach den ursprünglich für 15 Uhr vorgesehenen Tagesordnungspunkt — Große Anfrage betr. Städtebau und Städtebaupolitik — aufrufen.Nunmehr hat der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Herr Gaddum, das Wort.Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Länder sind in der Debatte verschiedentlich apostrophiert worden. Lassen Sie mich aus der Sicht eines der angesprochenen Länder nur zu vier Punkten etwas sagen.Nach meinem Dafürhalten ist die Situation der Steuerverwaltung in den Ländern in dieser Diskussion bisher zu kurz gekommen. Es ist sicherlich Aufgabe eines Landesfinanzministers, denjenigen, die hier Bedenken haben, einem solchen Vorschlag zu folgen, diese Situation doch noch einmal sehr nachdrücklich vor Augen zu führen. Ich will dies jetzt nicht mit Zahlen tun. Die steigende Arbeitsbelastung der Finanzämter, zu der es nicht zuletzt durch die heimlichen Steuererhöhungen, durch das Hineinwachsen in die Progression kommt, bedeutet de facto ein Mehr an Ungerechtigkeit in unserem Steuersystem und unserer Steuerverwaltung. Diese Ungerechtigkeit kann auch nicht allein durch gesetzliche Regelungen ausgeräumt werden.Ein Zweites. Wir prüfen zur Zeit — auch das bitte ich zu sehen —, ob wir in einzelnen Bereichen nicht tatsächlich so weit sind, daß die Verfassungsmäßig-keit unseres Steuerrechts zumindest in Frage gestellt werden muß. Die Diskussion über die Zinsen wird bereits geführt. Sie kann wahrscheinlich in gleicher Weise hinsichtlich der Wahrung der Sozialstaatsklausel, unter der auch unser Steuerrecht zu sehen ist, geführt werden.Ein weiterer Punkt. Meine Damen und Herren, das konjunkturpolitische Argument sehen wir durchaus, und wir würdigen es auch. Aber wo steht denn eigentlich geschrieben, daß die Abschöpfung von Kaufkraft nur in einer bestimmten Form erfolgen könnte? Wo steht eigentlich geschrieben, daß, wenn es unbedingt für nötig gehalten wird, Kaufkraft abzuschöpfen, dies zur Zeit nur in ganz bestimmten Bereichen erfolgen kann? Eben wurde gerade gesagt, daß ein sehr großer Teil der Einkommensempfänger Lohnsteuerzahler seien. Dies stimmt. Aber das Mehraufkommen, das durch die Inflation bei den Finanzämtern angekommen ist, kommt ja nicht von den oberen Gruppen her, sondern von den Gruppen, die aus dem Proportionaltarif in den Progressionstarif hineinwachsen, und das sind ja nun nicht die Reichen.
Wenn es tatsächlich so ist, daß unser Steuerrecht in wesentlichen Bereichen — dies ist im Grunde genommen doch unstreitig — nicht mehr dem entspricht, was es sein sollte, wenn es nicht mehr den Gesichtspunkten, unter denen es konzipiert wurde, d. h. den Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit, entspricht, halte ich es nicht für angängig, daß das .konjunkturpolitische Argument ausreichend ist, dies vom Tisch zu wischen. Wir müssen selbstverständlich auch die konjunkturpolitischen Momente wahren und berücksichtigen und, wenn es notwendig ist, auch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen treffen. Das Land Rheinland-Pfalz hat Sie, wenn es darauf ankam, unterstützt. Aber, meine Damen und Herren, das darf nicht dazu führen, unser Recht da, wo es in den Zweifel der Verfassungsmäßigkeit oder der Verfassungswidrigkeit gerät, deshalb nicht korrigieren zu wollen.
Lassen Sie mich zu einem Dritten etwas sagen. Es ist die Frage gestellt worden, wie denn die Länder hinsichtlich der Mehrwertsteuer reagieren wollten. Bei der Auseinandersetzung über die Mehrwertsteuer — darauf darf ich hinweisen — wollen wir nicht etwas vom Bund, sondern hier geht es um die vom Verfassungsgeber gewollte Aufteilung der Steuerquellen zwischen Bund und Ländern. Das sind zwei gleichberechtigte Verhandlungspartner. Diese Steuerverteilung ist eine langfristige Entwicklung, bei der wir meinen, daß auf beiden Seiten die inflationsbedingten Einnahmen aus dem Spiel bleiben sollten. So wird auch seitens der Länder durchaus argumentiert. Ich bin der Meinung, daß es nicht angängig ist, bei diesem Rechenspiel die inflationsbedingten Steuereinnahmen sozusagen immer ins Kalkül zu ziehen. Wir geben damit etwas aus, was — darüber sind wir uns ja wohl weitgehend einig — de facto nicht durch Kaufkraft gedeckt wird, sondern nur noch Papiergeld ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3063
Landesminister GaddumLassen Sie mich zum Vierten noch etwas hinsichtlich des Verhaltens der Länder bei der Bildung einer Rücklage sagen. Es ist richtig, daß bisher das Land Hamburg eine entsprechende Rücklage gebildet hat. Allerdings kann ich Ihnen die den Bundeswirtschaftsminister sicherlich erfreuende Mitteilung machen, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz in diesen Tagen den Beschluß gefaßt hat, der Bundesbank ebenfalls 50 Millionen DM als Rücklage zu überweisen.
— Herr Kollege. Friderichs, hier liegt aber ein wesentlicher Unterschied vor. Sie haben zur Begründung mit Recht gesagt, daß damit die Bundesregierung die Absicht verwirkliche, das Mineralölsteueraufkommen nicht auszugeben, sondern stillzulegen. Wir haben keine Mineralölsteuer bekommen. Wir legen das inflationär bedingte Mehraufkommen der Einkommensteuer echt still. Wir tun also genau das, was wir hier für konsequent halten, während die Bundesregierung, wenn ich Sie recht verstanden habe, bisher praktisch das stillegt, was sie sich vorher durch einen Gesetzgebungsakt zusätzlich besorgt hat.
Herr Landesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bundesministers Schmidt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Gaddum, würden Sie einräumen, daß diese rühmenswerte Tat, die auch ich eben mit Freude aus Ihrem Munde vernommen habe, von Ihnen dadurch kompensiert werden soll, daß Sie per 1. Januar einen um 7 Punkte erhöhten Anteil an der Mehrwertsteuer beanspruchen und dies dem Bund wegnehmen wollen?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Nein, das kann ich Ihnen leider nicht konzedieren; denn diese Stillegung des Steuermehraufkommens ist eine Abwicklung des Jahres 1973, und im Jahre 1974 stellen wir einen Haushalt in etwa im Rahmen der Zuwachsrate auf, die auch dem Bund vorschwebt, und verplanen in dieser Höhe nicht die strittigen Umsatzsteueranteile.
Gestatten Sie eine weiteres Zwischenfrage des Bundesministers Schmidt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, würden Sie dann wenigstens so lieb sein, uns zu sagen, in welcher Höhe Sie einen Mehrwertsteueranteil in Ihren Haushalt einplanen, ohne daß Sie ihn nach dem Gesetz schon besitzen?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Kollege Schmidt, wir arbeiten da beide auf gleicher Wellenlänge; denn Ihr Rechtsanspruch bei der Einplanung in den Haushalt ist nicht intensiver und nicht mehr begründet als der gleiche Rechtsanspruch der Länder.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Minister, würden Sie freundlicherweise davon Kenntnis nehmen, daß in den stillgelegten Beträgen auch des Bundes die Mineralölsteuererhöhung, die zwar zum 1. Juli wirksam geworden ist, aber noch nicht in die Kassen geflossen ist, nicht enthalten sein kann?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Kollege Graf Lambsdorff, ich habe mich eben auf das gestützt, was Herr Friderichs gesagt hat, der gerade den Zusammenhang zwischen Kraftfahrzeugsteuer und Stillegung hergestellt hat. Das gab mir natürlich Veranlassung, zu sagen, daß wir uns, gemessen daran, zweifellos konjunkturgerechter verhalten, weil wir etwas stillegen, was wir in dieser Form nicht bekommen haben. Sie wissen, daß wir uns gerade auch aus diesem Grund gegen die Kraftfahrzeugsteuererhöhung gewandt haben. Wenn das jetzt stillgelegt wird, bestätigt das de facto unsere Bedenken.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Ja.
Herr Minister, in welcher Höhe haben Sie denn die Mindereinnahmen in Ihren Haushalt 1974 eingestellt, die in Verfolg dieses Gesetzentwurfs auftreten würden?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Kollege, das Land Rheinland-Pfalz hat bereits bei verschiedener Gelegenheit darauf hingewiesen, daß wir beide, sowohl der Bund als auch die Länder, uns in der Ausgabenstellung entsprechend beschränken müssen. Die hier anwesenden Kollegen, etwa Herr Kollege Schmidt, wissen, daß wir uns im Finanzplanungsrat in gleicher Weise verhalten haben und auch bereit sind, uns in der Ausgabengestaltung entsprechend zurückzuhalten. Nur muß ich sagen: Dies ist keine Einbahnstraße. Sie wissen, wie hoch der Anteil der Mischfinanzierung ist. Wir können nicht unsererseits die Mittel nicht einstellen, solange der Bund die entsprechenden Mittel einsetzt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Ja.
Herr Minister, würden Sie die Freundlichkeit haben, gemeinsam mit den Kollegen, die hier zugerufen haben, entgegen der Zusage werde die Mineralölsteuer nicht still-
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3064 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Graf Lambsdorffgelegt, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Aufkommen aus der Mineralölsteuer natürlich stillgelegt wird, daß man aber logischerweise erst etwas stilllegen kann, was man auch bekommen hat? Dieses Aufkommen ist noch nicht in die Kassen des Bundes geflossen.Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Kollege Graf Lambsdorff, hier liegt ein Mißverständnis vor. Ich habe nicht behauptet, daß das nicht stillgelegt wird, sondern ich habe Herrn Kollegen Friderichs zitiert, der darauf hingewiesen hat, daß beabsichtigt ist, dieses Geld stillzulegen, und ich habe begrüßt, daß dies so ist. Ich habe nur gesagt: Wir tun ein übriges; denn wir haben gar keine Mineralölsteuer im Lande bekommen und legen aus dem Mehraufkommen an Einkommen- und Lohnsteuer still. Daß beim Bund eine Stillegung über die zu erwartende Mehreinnahme aus der Mineralölsteuer hinaus erfolgt, habe ich bisher noch nicht gehört.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis zur Fragestunde um 14 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/1044 —
Wir kommen zuerst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 38 des Abgeorneten Dr. Hauser auf:
Woraus leiten die Zollbehörden die Berechtigung her, die besonderen Ausbeutesätze bei Kernobst in so drastischer Weise zu erhöhen, wie dies am 1. Oktober 1973 geschehen ist, ohne das diesjährige Ernteergebnis abzuwarten, obwohl § 122 Abs. 3 der Brennereiordnung vorschreibt, daß nur dann der regelmäßige Ausbeutesatz angemessen zu erhöhen ist, wenn Stoffe „mit anerkannt besonders hohem Zuckergehalt geerntet" worden sind?
Herr Staatssekretär Hermsdorf!
Herr Abgeordneter Hauser, die von Ihnen zitierte Bestimmung des § 122 Abs. 3 der Brennereiordnung betrifft nur die Erhöhung eines regelmäßigen — ich wiederhole: regelmäßigen — Ausbeutesatzes. Diese Erhöhung ist als temporäre Maßnahme in der Tat nur möglich, wenn feststeht, daß Früchte mit besonders hohem Zuckergehalt geerntet worden sind. Sie kann also nur auf das letzte Ernteergebnis gestützt werden.
Hier aber geht es, wie Sie selbst zutreffend feststellen, um die Erhöhung besonderer Ausbeutesätze, für die die genannte Voraussetzung des § 122 Abs. 3 der Brennereiordnung nicht gilt. Diese Erhöhung ist vielmehr auf Grund der §§ 124 und 125 der Brennereiordnung von den Hauptzollämtern auf Empfehlung der Oberfinanzdirektionen Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium ausgesprochen worden.
Sie beruht auf einer großen und repräsentativen Anzahl von Ausbeutungsermittlungen; insgesamt wurden in den genannten Bezirken in den letzten Jahren 3078 Probebrände durchgeführt. Hierbei wurden die bisher geltenden besonderen Ausbeutesätze durchschnittlich um etwa 2 Liter übertroffen. Die durchschnittliche Ausbeute betrug 5,17 Liter Weingeist.
Bei dieser Sachlage kann die nunmehr vorgenommene Erhöhung des besonderen Ausbeutesatzes von 3 auf 3,8 Liter Weingeist je 100 Liter Kernobstmaterial als äußerst maßvoll bezeichnet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, rechtfertigen es Probebrände aus drei Jahren tatsächlich — das hörte ich aus Ihrem Hause —, einfach über die Vorschrift des § 122 der Brennereiordnung hinwegzugehen, und sind solche früheren Probebrände, die einen Überbrand von mehr als 20 % festgestellt haben wollen, selbst für den durch Ihr Haus eingeschalteten Bundesrechnungshof höchstens nur als ein Indiz dafür anzusehen, daß das Kernobst bei der diesjährigen Ernte einen ähnlichen Satz erbringt, keineswegs aber eine stichhaltige Grundlage für Ihre vorweggenommene Maßnahme sind?
Ich habe ausdrücklich betont, Herr Abgeordneter, daß hier nicht § 122 Abs. 3, sondern die §§ 124 und 125 der Brennereiordnung in Frage kommen. Diese Bestimmungen erlauben die Heraufsetzung nach den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauser.
Herr Staatssekretär, weshalb ist bei Festsetzung dieser neuen Ausbeutesätze einfach die bis dahin stets eingehaltene frühere Zusage der Regierung unbeachtet geblieben, die Vorschrift über eine Erhöhung der Ausbeutesätze wirklich stets wohlwollend zu handhaben — das ist etwa in dem einschlägigen Kommentar von Hoppe-Heinricht nachzulesen —, und meinen Sie nicht, daß die drastische Erhöhung der Ausbeutesätze von 3 auf 3,8 Liter Weingeist je 100 Liter, wie das etwa im Bezirk der Oberfinanzdirektion Freiburg passiert ist, praktisch eine Kürzung der Jahreserzeugungsgrenze bei unseren Kleinbrennern um 25 % zur Folge hat, was ja beim besten Willen nicht mehr als wohlwollend bezeichnet werden kann?
Die Erhöhung ist als absolut wohlwollend zu bezeichnen Wir haben in 3078 Versuchen eine durchschnittliche Menge von 5,17 Liter
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3065
Parl. Staatssekretär HermsdorfWeingeist pro 100 Liter Obst festgestellt. Wenn wir bisher 3 Liter als Grundlage gehabt haben und jetzt auf 3,8 abheben, ist das doch ein Entgegenkommen der Regierung, wenn es in Wirklichkeit 5,17 Liter Weingeist sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäuble.
Herr Staatssekretär, hat bisher nicht die Verwertung großer Obstmengen über dem Brennkessel eine Intervention in der EWG unnötig gemacht, und besteht nicht jetzt die Gefahr, daß die dadurch bedingte starke Position unseres Landwirtschaftsministers in der EWG geschwächt wird?
Nein, diese Gefahr sehe ich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß ein längerer Zeitraum als nur zwei Jahre gewählt werden müßte, um zu einer abschließenden Beurteilung des Ausbeutesatzes zu kommen?
Wir haben wiederholt Beanstandungen des Bundesrechnungshofes wegen des niedrigen Satzes gehabt. Wenn hier 3078 Brennversuche durchgeführt worden sind, denen die unterschiedlichsten Brennereiarten und auch die unterschiedlichsten Obstsorten zugrunde lagen, dann halte ich das für eine feste, unangreifbare Grundlage für diese Entscheidung.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Ist es mit dem Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 unseres Grundgesetzes vereinbar, die nach § 124 der Brennereiordnung zuerkannte steuerfreie Überausbeute bei ablieferungsfähigem Branntwein mit 20 % aus einem besonders festgesetzten Ausbeutesatz zu errechnen, sofern für die in Frage stehenden Obststoffe nicht ein sogenannter regelmäßiger Ausbeutesatz in der Brennereiordnung festgelegt ist, dagegen bei Früchten, bei denen zwar ein regelmäßiger Ausbeutesatz besteht, aber ein erhöhter besonderer Ausbeutesatz angewandt wird, nur eine Überausbeute aus dein geringeren regelmäßigen Ausbeutesatz zugrunde gelegt werden darf?
Bei ablieferungsfähigem Branntwein, für den ein regelmäßiger Ausbeutesatz besteht, ist nach § 124 Abs. 1 der Brennereiordnung Bemessungsgrundlage für die 20 %ige steuerfreie Überausbeute stets dieser regelmäßige Ausbeutesatz, selbst wenn später ein besonderer Ausbeutesatz festgesetzt wird. Besteht hingegen kein regelmäßiger Ausbeutesatz, so kann in diesem anders gearteten Fall der Berechnung der steuerfreien Überausbeute zwangsläufig nur von einem festgesetzten besonderen Ausbeutesatz ausgegangen werden. Darin sehe ich keinen Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz. Bei allen Erhöhungen ist im letzten Fall der Berechnung der Überausbeute in verfassungskonformer Auslegung dieser erste festgesetzte besondere Ausbeutesatz zugrunde zu legen,
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir zu, daß das von mir in der Frage aufgeworfene Problem gerade bei Festsetzung besonderer Ausbeutesätze eine recht beträchtliche Rolle spielt, und ist diese Frage nicht deshalb für die Betroffenen von außerordentlicher Bedeutung? Ich bitte Ihr Haus, hier gerade die Frage der Verfassungsmäßigkeit noch einmal mit Nachdruck zu prüfen.
Das Finanzministerium hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Regelung verfassungskonform ist. Ich will aber unsere Juristen gern noch einmal auf diese Frage ansetzen und Ihnen dann das Ergebnis schriftlich mitteilen.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Wurden für Kontrollbrände, die zur Ermittlung besonders festzusetzender Ausbentesätze für Kernobst in der jüngst vergangenen Zeit gedient haben, nicht bevorzugt, ja fast ausschließlich gut eingerichtete Brennereien herangezogen, die häufig in Betrieb sind und ursprünglich für den Frischmarkt bestimmte, aber nicht abgesetzte hochwertige Obstmengen über den Brennkessel verwerten mußten, statt auch Brennereien heranzuziehen, die minderwertigeres Abfallobst verarbeiten und deshalb auch nur ein viel geringeres Ausbeuteergebnis erzielen konnten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter Schäuble, um bei der Ermittlung der in den Abfindungsbrennereien erzielten tatsächlichen Ausbeuten zu einem zutreffenden und aussagefähigen Ergebnis zu gelangen, werden in einer möglichst großen, repräsentativen Anzahl von Brennereien Probebrände unter amtlicher Aufsicht vorgenommen.Brennereien mit älterer Einrichtung und wenig rationeller Arbeitsweise werden dabei ebenso in die Aktion einbezogen wie modern eingerichtete, rationell arbeitende Brennereien. Das Schwergewicht der Probebrände liegt jedoch bei Brennereien mit mittlerer Einrichtung und mittleren Betriebsergebnissen. Es trifft also keineswegs zu, daß gut eingerichtete Brennereien bevorzugt oder gar fast ausschließlich für Kontrollbrände herangezogen wurden. Es ist auch nicht richtig, daß minderwertiges Abfallobst bei der Ermittlung der Ausbeutesätze unberücksichtigt geblieben ist; auch hinsichtlich der Obstqualität ist ein repräsentativer Querschnitt zugrunde gelegt worden.In den letzten drei Betriebsjahren wurden insgesamt 3 078 Probebrände bei der Verarbeitung von Kernobst oder Kernobstmost vorgenommen. Die dabei erzielte durchschnittliche Ausbeute betrug 5,17 Liter Weingeist je 100 Liter Obstmaterial. Angesichts
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3066 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär Hermsdorfdieses Ergebnisses kann die nunmehr vorgenommene Erhöhung des besonderen Ausbeutesatzes von 3 auf 3,8 Liter Weingeist je 100 Liter Kernobstmaterial nur als äußerst maßvoll bezeichnet werden. Mit der Erhöhung wird auch der Auffassung des Bundesrechnungshofes Rechnung getragen, der den zu niedrigen Ausbeutesatz für Kernobst beanstandet hatte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäuble.
Herr Staatssekretär, können Sie uns Zahlen nennen, die Sie zu dem von Ihnen angegebenen repräsentativen Querschnitt führen?
Ich kann Ihnen nur die Zahlen nennen, die ich hier genannt habe. Im übrigen ist die Materie so kompliziert, daß ich, wenn Sie Einzelzahlen wissen wollen, noch einmal nachfragen und Ihnen schriftlich antworten müßte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wo überall Probebrände veranlaßt worden sind und welche Ergebnisse diese Probebrände gerade im südbadischen Gebiet erbracht haben?
Ich kann Ihnen nur die Gesamtzahl sagen. Ich kann Ihnen hier nicht sagen, wo die Probebrände durchgeführt wurden. Dies würde lange Rückfragen notwendig machen und könnte auch nicht von heute auf morgen beantwortet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser .
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß sich die Aufsichtsbeamten, wie oft beklagt wird, bei Kontrollbränden sehr reichlich Zeit nehmen und so lange Abtriebe durchführen, bis die Alkoholrestanzeige im Liter nur 2 bis 3 Volumenprozent beträgt, während sich die Brennereibesitzer wegen der viel kürzer genehmigten Brennzeit diesen Luxus nicht leisten können und zumindest schon bei 6 bis 7 Volumenprozent abbrechen, weshalb sie schließlich auch zu einem viel geringeren Ergebnis kommen müssen?
Ich kann Ihnen das nicht so bestätigen, wie Sie das hier behaupten. Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß unser Zoll als außerordentlich korrekt gilt, und ich bin sicher, daß sich die Beamten auch hier korrekt verhalten haben.
Ich hoffe nur, daß es sich bei dem Abtrieb nicht um Abtreibung handelt.
Herr Abgeordneter Sauter!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es, um zu einem objektiven Bild bei der Beurteilung der Ausbeutesätze zu kommen, notwendig ist, nicht, wie das immer geschieht, Proben nur von oben und unten zu nehmen, sondern das ganze Vorratsgefäß abzubrennen, um zu einer endgültigen Beurteilung des Ausbeutesatzes zu kommen?
Ich bin dieser Auffassung. Ich bin aber auch der Meinung, daß nach dieser Methode vorgegangen worden ist.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich habe den Eindruck, daß die Abgeordneten dieses Hauses, die nicht aus Südbaden stammen, Gelegenheit hatten, viel zu lernen.
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen Egon Bahr, Bundesminister für besondere Aufgaben beim Bundeskanzler, vor der Evangelischen Akademie Tutzing im Sommer d. J. erklärt habe, er sei froh bzw. er begrüße, daß es im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Tagesaufenthalten in zonengrenznahen Kreisen der DDR „keinen Massenansturm" westdeutscher Bürger gegeben habe und daß, falls dieser Verkehr auch in Zukunft gering bleiben sollte, dies die Antwort der Bevölkerung auf die deutsche Frage sei?
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Böhm, Bundesminister Bahr hat während einer Diskussion an der Evangelischen Akademie Tutzing auf entsprechende Fragen sinngemäß etwa folgendes geantwortet: Die deutsche Frage werde letzten Endes von den Menschen, ihrem Bedarf und ihrem Willen entschieden. Er sei froh, daß der grenznahe Verkehr ganz vorsichtig angelaufen sei und daß es keinen Massenansturm gegeben habe. Wenn dieser Verkehr sich eingelaufen habe und dann immer mehr zunehme, sei das das beste, was uns passieren könne. Sollte sich aber auf die Dauer zeigen, daß es gar keinen Bedarf für Tagesbesuche gebe oder dieser Bedarf ziemlich klein bleibe, dann sei auch dies eine von den Menschen gegebene Antwort auf die deutsche Frage.
Ich darf hinzufügen, daß nach letzten Meldungen der Wunsch des Ministers, nicht aber seine Befürchtung eingetreten ist; denn wir konnten z. B. zur Kenntnis nehmen, daß ddp gestern eine starke Zunahme im kleinen Grenzverkehr gemeldet hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3067
Herr Staatssekretär, halten Sie die von dem heutigen Sonderminister Bahr ausgehandelten Bedingungen für den innerdeutschen Grenzverkehr für geeignet, einen Massenansturm auszulösen, oder sehen Sie nicht vielmehr in dem bürokratischen Antragsverfahren und anderen Schwierigkeiten den Grund dafür, daß dieser Verkehr so schleppend anläuft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Böhm, wir haben ja einen Vorläufer dieser Regelung. Ich habe die gleiche Frage gehört, als es um die Regelung der Möglichkeiten für die Westberliner ging. Auch da war zunächst die Vermutung geltend gemacht worden, daß das Verfahren zu bürokratisch sei. Sie kennen die Zahlen der vielen Millionen Besuche, die stattgefunden haben. Ich bin sicher, daß derjenige, der von den Möglichkeiten Gebrauch machen will, sich nicht von den Verfahrensvorschriften abhalten lassen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, gibt es aber hier nicht einen Unterschied, weswegen man eigentlich den grenznahen Verkehr in einer geteilten Stadt und entlang der Zonengrenze in einer Länge von über 1 300 km nicht vergleichen dürfte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Hupka, der Vergleich bezog sich nicht auf die Frage der Örtlichkeit, sondern auf die Vermutung, daß Formalien die Menschen daran hindern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die bis jetzt geschaffenen Möglichkeiten für den zonennahen Grenzverkehr bereits für ein optimales Endergebnis, oder ist sie bemüht, weitere Erleichterungen und mehr Übergangsmöglichkeiten zu schaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, hier kann ich auf die dem Hause vielfältig vorgetragenen Grundlinien der Politik verweisen, in denen dies als Beginn, als erster Schritt auf dem Wege, das Leben der Menschen in beiden Staaten normaler zu gestalten, und nicht etwa als eine, wie Sie meinen, Endlösung dargestellt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, wenn ich von dem von Ihnen vorgetragenen Text der Erklärung des Herrn Bundesministers Bahr ausgehe, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß nicht bloß im Verhalten eines geographisch relativ
eng begrenzten Bevölkerungsteils eine Antwort auf die deutsche Frage gesehen werden darf, sondern daß eine Antwort auf die deutsche Frage in den letzten Jahren kontinuierlich alle diejenigen gegeben haben, die unter Einsatz ihres Lebens die Grenze zwischen den beiden Teilen Deutschlands überwunden haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese beiden Dinge gehören nicht zusammen. Denn es ist ein Unterschied, ob der Zusammenhalt der Familien durch einen Tagesbesuch ermöglicht wird oder ob man über die Frage diskutiert, daß sich jemand ständig aus der DDR entfernt. Ich glaube nicht, daß hier die Basis der Diskussion vergleichbar ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, gibt es für Sie eine Möglichkeit, uns den Widerspruch zu erklären, der erstens in dieser Feststellung des Herrn Kollegen Bahr und zweitens in der vor der Bundestagswahl gegebenen und vielfältig gedruckten propagandistischen Darstellung liegt, über 61/2 Millionen Deutsche könnten jetzt den von West nach Ost verlaufenden Kleinen Grenzverkehr benutzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Marx, erstens sehe ich hier keinen Widerspruch. Zweitens wissen Sie, daß die angegebene Ziffer tatsächlich den in Frage kommenden Personenkreis umfaßt. Nachdem der Kleine Grenzverkehr angelaufen ist, können wir immer größere Zahlen registrieren. Dies ist eine positive Entwicklung, die wir begrüßen sollten.
Keine Zusatzfrage.
Mir wird soeben mitgeteilt, daß die Fragen 122 bis 127 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind.
Wir kommen zur Frage 128 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Seit wann und aus welchem Grund lautet die amtliche Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland BRD, wie sie in einer Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 15. September 1973 ihren Niederschlag gefunden hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die amtliche Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland lautet — ich setze das jetzt in Anführungsstriche — „Bundesrepublik Deutschland". Die Buchstaben BRD stellen eine korrekte Kurzbezeichnung dar. Es handelt sich bei dieser Kurzbezeichnung jedoch ebensowenig um die amtliche Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland, wie es sich etwa bei der Abkürzung UN oder USA um die amtliche Bezeichnung der Vereinten Nationen oder der Vereinigten Staaten von Amerika handelt.Mit der gelegentlichen Verwendung einer korrekten Kurzbezeichnung für die Bundesrepublik
Metadaten/Kopzeile:
3068 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Staatssekretär Freiherr von WechmarDeutschland werden weder politische Absichten verfolgt, noch bedeutet dies einen rechtlichen Qualitätsunterschied zur amtlichen Bezeichnung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ist es nicht auffallend, daß die von Ihnen mehrmals genannte korrekte Kurzbezeichnung erst eingeführt worden ist, nachdem sie von den Behörden und den Politikern in der DDR angewandt worden war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich vermute, es ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in Pressemitteilungen des BPA — ich füge die richtige Bezeichnung „Presse- und Informationsamt der Bundesregierung" gleich hinzu — schon seit einiger Zeit, ja, seit einigen Jahren, eine solche Kurzbezeichnung verwendet wird. Dies ist allerdings nicht die Regel. Ich darf hinzufügen, daß ich am 13. November vorigen Jahres in einer internen Dienstanweisung für mein Haus das BPA angewiesen habe, daß sich die Mitarbeiter der vollen amtlichen Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" bedienen sollen und daß ich die von Ihnen erwähnte Pressemitteilung zum Anlaß genommen habe, die Mitarbeiter meines Hauses auf diese Weisung noch einmal aufmerksam zu machen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, könnte ich annehmen, daß die Koordination zwischen Ihnen und Herrn Bundesminister Bahr insoweit herzustellen wäre, daß auch Herr Bundesminister Bahr nach Zusammenkünften mit Herrn Kohl grundsätzlich nur noch den Ausdruck „Bundesrepublik Deutschland" verwendet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie wissen gewiß, daß ich keine Weisungen an den Bundesminister Bahr erteilen kann.
Ich werde selbstversändlich bemüht sein, in Zukunft Kurzbezeichnungen zu unterlassen und volle Bezeichnungen zu wählen.
Im übrigen, verehrter Herr Abgeordneter: In dem von Bundesminister Bahr ausgehandelten Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ist die Kurzformel BRD auch ausdrücklich als „Bundesrepublik Deutschland" bezeichnet.
Vizepräsident 'Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage, (1 Herr Abgeordneter Böhm .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Organe der DDR ganz bewußt eine politische Zielsetzung damit verbinden, wenn sie immer wieder in ihren Verlautbarungen von BRD und DDR sprechen, und sind Sie bereit, dem entgegenzutreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dies ist mir bekannt, aber die Benutzung einer korrekten Kurzbezeichnung heißt nicht, daß ich eine politische Interpretation eines anderen Landes übernehme.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bestätigen, daß es keine Wunschäußerung der Verhandlungspartner aus der Deutschen Demokratischen Republik gibt, diese Bezeichnungen in gemeinsamen Verlautbarungen zu verwenden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3069
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3070 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3071
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3072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3073
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3074 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3075
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3076 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3077
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das muß man den Leuten nachsehen, Herr Offergeld. Sie sind nicht ausreichend informiert und
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3078 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Höcherlhaben zuwenig Sachkenntnis. Wir sind da großzügig, wir verzeihen Ihnen den Mangel. Aber es sind nicht 18 Milliarden DM, sondern es sind zunächst 8 Milliarden DM. Ich meine, das sollte hier einmal klargestellt werden.Nun ist behauptet worden, wir hätten diese Steuervorlage nach Ihren neuen Eckwerten erfunden. Zur historischen Wahrheit darf ich vielleicht folgendes sagen. Wir haben am 31. Juli in der Fraktion einen Beschluß gefaßt, und dieser Beschluß hat bei ihnen eine unerhörte Reaktion ausgelöst. Sie kamen nämlich auf den Trichter, Ihre Steuerreform, dritte und verschlechterte Auflage, auf das Jahr 1975 vorzuverlegen. Wie Sie das machen wollen, werden wir ja sehen. Sie haben sich natürlich gar keine Gedanken gemacht, welche haushaltsmäßigen, welche finanzplanungsmäßigen Auswirkungen diese Vorverlegung hat. Sie erinnern sich doch alle an dieses schöne Märchen: Es war einmal, daß eine große Jahrhundertreform in Gang gesetzt werden sollte. Der Name und der Geist von Erzberger wurden zitiert. Wir warten immer noch darauf. Das ist nun, wie gesagt, die dritte Auflage. Ein Finanzminister und ein Schatzkanzler wurden dabei verbraucht. Jetzt haben wir neue Eckwerte. Nun will ich Ihnen einmal sagen, was ein sehr guter Freund von Ihnen dazu gesagt hat. Das war Herr Fredersdorf, mit dem Sie ja politisch verwandt sind.
Herr Abgeordneter Höcherl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Graf!
Herr Kollege, darf ich Ihrem Monitum, daß wir etwa den Namen Erzberger vergessen hätten, entnehmen, daß Sie den Ideen und Anregungen Erzbergers als Vertreter der CSU aufgeschlossen gegenüberstehen?
Ja, absolut; auch wenn sie von Ihnen als Plagiat verwendet werden.
Herr Fredersdorf, ein Ihnen sehr gut bekannter Mann, sagt zu den neuen Eckwerten in einem ganz neuen Aufsatz folgendes: Sozial grob, sozial unmöglich, beispiellos inflationsfördernd, Flickschusterei. Wir wagen gar nicht, solche Ausdrücke in den Mund zu nehmen, weil wir wissen, wie empfindlich die Regierung und die Regierungsparteien sind.
Deswegen brachte ich hier dieses Zitat; ich übernehme das nicht.
— Reicht das noch nicht? Mir würde das reichen!
Aber jetzt zum Ernst der Sache. Unsere Vorlage hat vier Bestandteile, und ich meine, über diese vier Bestandteile könnten wir so, wie sich das gehört, in unserer Verantwortung gemeinsam reden. Was
haben Sie eigentlich dagegen, daß wir die Veranlagungsgrenze anheben, um den überlasteten Finanzämtern endlich einmal nur einen bescheidenen — mehr kann das nicht sein — Entlastungsbeitrag zu geben? Warum sollte das nicht geschehen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Höcherl, haben Sie davon Kenntnis genommen, daß der von Ihnen vorhin als Kronzeuge zitierte Herr Fredersdorf vor wenigen Tagen im Fernsehen erklärt hat, daß diese Anhebung auf eine höhere Veranlagungsgrenze überhaupt keine entlastende Wirkung für die Finanzverwaltung habe?
Graf, ich habe seine bösen Worte über Ihre Vorlage nicht übernommen und übernehme auch das nicht, was er in diesem Zusammenhang behauptet hat.
Aber ich darf Sie fragen: welchen sachlichen Einwand gibt es gegen diesen Versuch? Vielleicht bringt er gar nicht so viel, aber es ist immerhin ein Ansatz für die Steuervereinfachung.
Der zweite Teil beinhaltet die Frage der steuerlichen Zinsbegünstigung. Das ist keine Erfindung von uns, die irgendwie mutwillig gemacht worden wäre, sondern Sie wissen ganz genau, daß im Bundesfinanzhof und wahrscheinlich auch im Bundesverfassungsgericht ernsthafte Überlegungen bestehen, die unter Umständen das Nominalwertprinzip, auf dem wir stehen, in Gefahr bringen. Um das zu unterlaufen, um hier eine Ordnung zu bringen, haben wir diesen Vorschlag gemacht: Weihnachtsfreibetrag mal drei.
Uns ist nicht unbekannt geblieben, daß Sie sich, Herr Wehner, in Ihrer Fraktion fünf Stunden über diese Vorlage unterhalten haben. Wenn Ihre Fraktion, die maßgebende Regierungsfraktion, fünf Stunden darauf verwendet, habe ich den Eindruck, es müßte eine wichtige Sache sein.
Herr Abgeordneter Höcherl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Sehr verehrter Herr Kollege Höcherl, wie werden Sie das Kunststück fertigbringen, die insgesamt fünf Stunden dauernde Sitzung, von der andere Ihrer Kollegen gesagt haben, die meisten Stunden gingen um Wehner, jetzt plötzlich dahin gehend zu vereinnahmen, daß es angeblich um diese Vorlage gegangen sei?
Herr Wehner, ich will Ihnen eine offene Antwort geben. Ich habe gestern mit großem Interesse festgestellt, daß es Ihnen möglich ist, als Fraktionsvorsitzender von Moskau und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3079
HöcherlLeningrad aus einen Außenminister und einen Bundeskanzler zu manipulieren.
Deswegen hat auch Ihre Fraktion wenig Chancen, sich mit Ihnen über persönliche Dinge zu unterhalten.Es ist ein ehrliches Anliegen: Wir haben beim Bundesfinanzhof, beim Bundesverfassungsgericht und auch beim Bundesarbeitsgericht Klagen laufen wegen Betriebsrenten, die uns Sorgen machen, ob das Nominalwertprinzip, ein ganz wesentliches Währungs- und Wirtschaftsprinzip, in Gefahr ist.Der vierte Bestandteil ist die Anhebung des Grundfreibetrags. Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen. Sie haben sich selber das Etikett einer sozialliberalen Regierung angesteckt. Kein Mensch hat Ihnen das verliehen; das haben Sie sich selber verliehen. Fünfzehn Jahre lang gibt es diesen Freibetrag. Was sich allein in den letzten vier Jahren in der Kaufkraft und in der Währung ereignet hat, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; das spüren unsere Burger. Wenn wir einen solch anspruchsvollen Titel für uns in Anspruch genommen hätten, hätten wir in diesen vier Jahren, in denen Sie eine große Steuerreform machen wollten, diese Freibeträge unabhängig vor allem anderen angepaßt. Das gehört, möchte ich sagen, zum steuerpolitischen und steuerrechtlichen Anstand, weil 1 680 DM kein Betrag sind, der in unsere Landschaft paßt.Sie haben sich darüber hinaus sehr viel mit dem konjunkturpolitischen Einwand beschäftigt. Er ist durchaus zu überlegen, und Sie dürfen davon ausgehen, daß wir Verantwortungsbewußtsein genug haben, uns auch diese Frage zu überlegen, ob man jetzt, in dieser Situation, 8 Milliarden DM — nicht auf einmal; das sind 700 Millionen DM pro Monat — in den Kreislauf schicken darf. Das ist eine ernste Frage, und Ihre Einwendungen sind deswegen ernsthaft zu prüfen.Jetzt darf ich Ihnen aber folgendes sagen. Über die Gewerkschaften dürfen wir nicht sprechen, wie das ja heute zum Vorschein gekommen ist. Sie sind eifersüchtig wie auf eine Geliebte, wenn wir, die CDU/CSU, von Gewerkschaften sprechen.
Aber ich habe es ja ganz besonders leicht; Sie haben mich ja einmal als „Trojanisches Pferd" bezeichnet, Herr Wehner.
— Nein, bei der Gewerkschaftsveranstaltung. Ich bin Gewerkschaftsmitglied, und ich bin es ganz bewußt.
— Das haben Sie gesagt, Herr Wehner.Jetzt einmal ein ernstes Wort. Wir stehen vor ernsten Lohnverhandlungen. Sie haben diese Lohnverhandlungen mit Ihrem 13. Monatsgehalt was praktisch 11 % bedeutet — nicht erleichtert. Wirhaben eine Lohnsumme von insgesamt 450 Milliarden DM. Stellen Sie sich einmal 12 oder 13 % vor! Das sind Zahlen, die als Mindestzahlen genannt werden; wir haben noch viel höhere Zahlen gehört. Das sind dann konjunkturpolitisch 60 bis 70 Milliarden DM, die Ende des Jahres oder im Frühjahr 1974 in den Kreislauf kommen. Das ist für Ihre Konjunktur-und Stabilitätspolitik eine ganz ernste Sache. — Bitte schön!
Herr Abgeordneter Wittmann!
Herr Höcherl, ist Ihnen bekannt, daß Ihre Rechnung mit den 11 % falsch sein muß, da ja zwei Drittel bereits gezahlt werden, so daß es sich nur um eine Erhöhung um 131/3 %, und zwar geteilt durch zwölf, handelt? Dann kann man solche Rechnungen nicht aufstellen, weil sie nicht wahr sind.
Herr Kollege, Sie sprechen von Wahrheit und Nichtwahrheit. Auch Pilatus hatte schon einige Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Ich würde sagen, Sie sollten Ihre Anfrage noch einmal überdenken.
Ein ernstes Gespräch ist trotz aller Verhärtungen da oder dort immer noch möglich. Wir sagen: Wir wissen nicht, ob die Gewerkschaften diesen Ruf aufnehmen. Auf jeden Fall hat Herr Vetter erklärt, er möchte beim Weihnachtsfreibetrag und anderen steuerlichen Fragen eine Geste des Bundes haben. Die Gewerkschaften haben uns über zwanzig Jahre und mehr hinweg ein soziales Klima verschafft, das sich im Weltvergleich sehr gut sehen lassen kann. Jetzt sollten wir doch aus dieser Freiburger Rede den Gewerkschaften ein Angebot machen, weil nämlich 2 %, dort gespart, viel mehr sind, als hier überhaupt zur Debatte steht.Sie meinen, Sie hätten ein besonderes Verhältnis zu den Gewerkschaften. Dazu möchte ich sagen: die Gewerkschaften sind eine Institution, die der breiten Öffentlichkeit, auch der CDU/CSU, genauso am Herzen liegt wie Ihnen, obwohl Sie aus Ihren Beziehungen immer ein Spezialverhältnis ableiten wollen. Was in den letzten 20 Jahren wirklich geleistet worden ist ich denke an die Schaffung sicherer Arbeitsplätze und an eine großartige soziale Ausstattung —, haben wir geleistet. Aber ich will nicht in die Vergangenheit zurückgehen, sondern möchte Sie fragen: Wäre es nicht interessant, den Ruf aus Freiburg aufzunehmen? Es war unsere Überlegung, im Widerstreit mit konjunkturpolitischen und anderen Überlegungen zu sagen: Jawohl, der Gesetzgeber, vertreten durch alle Parteien, ist bereit, hier eine Geste zu machen. Vielleicht hilft Ihnen das in der für Sie nicht einfachen Situation, bei den Lohnverhandlungen eine gewisse Grenze zu setzen. Das war, wie gesagt, unsere Überlegung.
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3080 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
HöcherlDeswegen darf ich mit einem echten und ehrlichen Appell an Sie schließen: Helfen Sie uns hierbei! Der Bundeskanzler wollte es; aber er wurde zurückgepfiffen. Man muß sich immer wieder fragen: wo bleibt die Richtlinienkompetenz, wer hat in diesem Kabinett überhaupt etwas zu sagen? Aber immerhin hat ihn sein guter Instinkt auf den richtigen Weg geführt. Schmidt hat jedoch seine Erlaubnis verweigert; so war es doch. Kehren Sie zu diesem Weg zurück! Nehmen Sie unseren Appell auf! Wir wissen sehr wohl, was Konjunkturpolitik ist. Ich meine, in der kommenden Tarifrunde, in der 70 % neue Tarifverträge für 14 Millionen Arbeitnehmer abgeschlossen werden, liegt eine Chance. Wir sollten sie wahrnehmen. Wenn sie nicht wahrgenommen wird und wenn die Antwort nicht so ausfällt, wie wir es erwarten, können wir immerhin sagen: wir haben einen Finger gereicht, wir haben einen Anfang gemacht.Das wäre meine Bitte an Sie, sehr mächtige Herren von den Regierungsparteien.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die konjunkturelle Lage ist bekannt. Die Chancen und Gefährdungen mögen von verschiedenen Beobachtern in Nuancen unterschiedlich beurteilt werden. Unbestreitbar ist, daß konjunkturwirksame Maßnahmen und Weichenstellungen äußerster Behutsamkeit bedürfen, daß nichts zur Unzeit geschehen darf, daß wir, konkret, vor allem derzeit nichts tun dürfen, was wie ein Signal verstanden werden könnte, das Ende der Restriktionspolitik sei bereits gekommen. Wer in dem labilen Gemenge all der Wechselwirkungen, die unsere konjunkturelle Lage bestimmen, mit Milliardenstößen herumfuhrwerken wollte, wäre sicher schlecht beraten. Die Pinzette und nicht die Brechstange ist gefordert.Bekannt sind auch die finanzpolitischen Gegebenheiten, die Aufgaben, die an die öffentlichen Haushalte gestellt sind; bekannt sind die Bedingungen, unter denen die Haushaltsgestaltung für 1974 steht. Die von der Bundesregierung für den Haushalt 1974 genannten Grunddaten lassen eine kunstvolle — manche werden sagen: allzu kunstvolle — Balance zwischen dem konjunkturpolitisch Nötigen und dem reformpolitisch Möglichen erkennen, ein Balanceakt, dem sicher manche mit einiger Beklommenheit zusehen. Im Grunde ist es unseres Entwicklungsstandes unwürdig, wenn die Verzahnung der Verstetigungs- und der Strukturpolitik einfach deshalb noch immer nicht zureichend gelingen kann, weil wir nur über ein viel zu global wirkendes Steuerungsinstrumentarium verfügen. Ich meine, dies werden wir im Laufe der Zeit ändern müssen. Die konjunkturpolitischen wie die haushaltspolitischen Ausgangsdaten und Entwicklungsmöglichkeiten sind jedenfalls bekannt; sie liegen zutage.Wer nun vor diesem Hintergrund einen Gesetzentwurf vorlegt, der den öffentlichen Händen imJahre 1974 einen Einnahmeausfall von etwa 10 Milliarden DM bescheren würde
- Herr Häfele, wir haben in diesem Hause immer von Sollzahlen geredet; wenn wir von Kassenzahlen reden, mögen Sie recht haben; aber es ist gute Übung, hier von Sollzahlen zu reden —, der kann dies nur tun, wenn er der festen Zuversicht ist, damit nicht beim Wort genommen zu werden.
Zu Ihren Gunsten, meine Damen und Herren von der Opposition, nehme ich an, daß Sie die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs fest programmiert haben.
Die Gewißheit, daß wir ihn ablehnen werden, ist sozusagen die Geschäftsgrundlage dieses Antrags.
Wer immer Verantwortung für die Preisentwicklung und die Solidität der Staatsfinanzen trägt, wird zu keiner anderen Wertung dieses Ihres Gesetzentwurfs kommen können.Sie motivieren Ihren Gesetzentwurf einerseits konjunktur- und andererseits verteilungspolitisch. Ich werde auf beide Aspekte eingehen. Wie es aber das gute Recht der Opposition ist, das meines Erachtens ausschlaggebende parteitaktische Motiv dieses Gesetzentwurfs zu verstecken, so ist es unsere Pflicht, dieses Motiv ans Licht des Tages zu holen, was nicht schwerfällt. Um eine der Argumentation Ihres Gesetzentwurfs angemessen schräge Metapher zu gebrauchen: Es gibt da bei der Opposition so etwas wie einen augenzwinkernden Zwischenton, der bei uns, bei der Koalition, etwa wie folgt ankommt: Ihr werdet dies pflichtgemäß ablehnen, und wir, die Opposition, werden von dieser Ablehnung bei den uns zugänglichen Wählerschichten politisch wieder ein Weilchen leben können. — Dies ist das parteitaktische Motiv. Und in der Tat, was die Ablehnung anlangt, werden wir Sie nicht enttäuschen dürfen.Was nun die konjunkturpolitische Begründung des Antrags betrifft, so wird mit einigem Großmut eingeräumt, daß es nicht darum gehen kann, zusätzliche Kaufkraft in Milliardenhöhe in Bewegung zu setzen. Vielmehr wird geltend gemacht, steuerliche Entlastungen würden die verteilungspolitischen Spannungen mindern können. Dies, meine Damen und Herren, ist ein ehrenwertes und bedenkenswertes Argument, das sich allerdings, wenn es von der Opposition kommt, seltsam ausnimmt und stark entwertet ist. Wären wir nämlich der Opposition gefolgt und hätten wir im Mai einen weit heruntergezogenen Konjunkturzuschlag eingeführt, so würde die von der Opposition jetzt geforderte Entspannungsoffensive noch nicht einmal ausreichen, die durch den Konjunkturzuschlag zusätzlich geschaffene Spannung ein wenig abzubauen.Sie selbst, meine Damen und Herren von der Opposition, dürften heute früh das Gefühl gehabt haben, daß Sie sich sehr gewundener Gedanken-
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gänge bedienen müssen, um bei kaum veränderter Konjunkturlage innerhalb von drei oder vier Monaten hier einen Meinungswandel plausibel machen zu können, der vom weit heruntergezogenen Konjunkturzuschlag weg- und zu allgemeinen Steuersenkungen hinführt. Dies war ein bißchen schwierig; es war eine schwierige Operation. Man hat das jedem Ihrer Redner angemerkt. Ihre konjunkturpolitischen Wetterfrösche haben zwar offensichtlich kein zureichendes Gespür für Konjunktur, sie sind aber den unseren zweifellos an turnerischer Behendigkeit und Emsigkeit überlegen.
Die entscheidende Frage ist aber nun, woher die Opposition die Manövriermasse nehmen will, wer belastet werden soll, damit steuerliche Entlastungen in dieser Größenordnung möglich werden. Und da ist man mit der Antwort schnell zur Hand: der Staat. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir, die Sozialdemokraten, haben eine Bundestagswahl wesentlich — ganz wesentlich — gerade bei den Arbeitnehmern mit dem Argument gewonnen, daß die Lebenserfüllung jedes einzelnen auch von der Verbesserung und Verbreiterung des Angebots an öffentlichen Einrichtungen und Diensten abhängt. Es sind in erster Linie die Arbeitnehmer, die auf die zügige Fortsetzung der Reformpolitik angewiesen sind.Das vorliegende Steuerkonzept der Opposition würde aus den öffentlichen Haushalten jeden Impuls zur Reform austreiben und würde wahrscheinlich sogar mit der Zurücknahme eingeleiteter Maßnahmen bezahlt werden müssen. Und in Klammern möchte ich anmerken: Es würde die Opposition keineswegs daran hindern, weiterhin je nach Opportunität Milliardenbeträge zu fordern. Ich kann auch nicht annehmen, daß die Opposition die Regierung wegen der zwangsläufig entstehenden Haushaltslücken auf den Kapitalmarkt verweisen würde.Bei alledem übersehen wir nicht, daß sich die Struktur des Steueraufkommens trotz der die hohen Einkommen treffenden Maßnahmen des Stabilitätsprogramms zu Lasten der Arbeitnehmer• verschoben hat. Wir werden für sie, die Arbeitnehmer, eine Steuerreform durchsetzen, die ihnen nachhaltig hilft. Ich komme darauf noch kurz zurück.Wenn ich sagte, daß dieser Gesetzentwurf in erster Linie parteitaktisch motiviert ist — im Klartext: die Ablehnung intendiert , so kann ich mich dabei wohl auch auf die Herren Filbinger, Stoltenberg und auf alle anderen Repräsentanten der Länder beziehen, die ja allesam mehr Geld wollen. Was dieses Gesetz vollends für die Gemeindefinanzen bedeutete, sollten sich auch Mitglieder von CDU-Gemeinderatsfraktionen ausmalen können. Von 1,5 Milliarden DM Steuerausfall würde die finanzielle Lage unserer Städte und Gemeinden, denke ich, nicht besser werden.Soweit nun freilich in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf abgestellt wird, die Steuerschätzungen würden ja doch von den tatsächlichen Steuereinnahmen wieder überrollt werden — mir scheintda für 1974 Vorsicht am Platze zu sein —, so wäredem entgegenzuhalten, daß dann die Minderung der Nettokreditaufnahmen der öffentlichen Hände oder die Stillegung dieser Mittel bei der Bundesbank stabilitätspolitisch sicher seriöser wäre als eine solche Aufrechnungsoperation.Mehr als zweifelhaft und in bestimmter Hinsicht gefährlich scheint mir auch die Saldierung von Tarif- und Steuerpolitik zu sein, die diesem Programm zugrunde liegt. Sie wissen, was die Tarifautonomie für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bedeutet. Derartige Aufrechnungsspiele tun ihr nicht gut, tun ihr gerade in der gegenwärtigen Situation nicht gut.
Dabei ist die in der Begründung des Entwurfs mit 3 % bis 4 % bezifferte Entlastungswirkung bei den Bruttolöhnen eine sehr globale, für die Tarifpolitik viel zu undifferenzierte Größe, weil infolge der Progressionswirkung auch Einkommen von Leuten in diese Zahl eingehen, denen die Gewerkschaft nicht unbedingt ihre Fürsorge angedeihen lassen muß.Bei alledem ist mir durchaus klar, daß es außer negativen auch positive Signalwirkungen geben kann. Nur werden wir, die Regierung und die Koalition, da nicht mit der Gießkanne über Land gehen und gar noch nach dem Motto, daß einmal mehr dem gegeben werden soll, der hat. Wir werden gezielt helfen. Von den Absichten der Koalition zur Verbesserung des Wohngeldes werden Sie gehört haben.Überhaupt, meine Damen und Herren von der Opposition, leidet die Glaubwürdigkeit der verteilungspolitischen Motivation Ihres Entwurfs darunter, daß alles, was Sie wollen, den wieder stärker begünstigen würde, der ohnehin mehr hat als die vielen anderen.
Sie wissen, daß wir, die Koalition, von dem ungerechten Prinzip des Abzugs der Freibeträge vom Einkommen wegkommen wollen.
1m Abzug der Freibeträge von der Steuerschuld zum Eingangssteuersatz sehen wir ein Kernstück der Reform.
Bitte!
Herr Kollege Rapp, ist Ihnen entgangen, daß wir mit dem Vorschlag eine völlige Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen beantragen? Ich bin wirklich erstaunt.
Was Sie sagen, bezieht sich auf den Grundfreibetrag, aber nicht auf alles andere, was darinsteckt. Auf diese Weise würden Sie das bestehende ungerechte Steuersystem jedenfalls insoweit festschreiben. Es geht Ihnen darum,
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das Steuerabzugsprinzip abzublocken. Es geht Ihnen auch darum, die Finanzmasse wegzuschaufeln, die wir benötigen, um beispielsweise ein weiteres Kernstück unserer Steuerreform verwirklichen zu können, nämlich einen gerechteren Familienlastenausgleich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Herr Kollege Rapp, geben Sie zu, daß es sich bei diesem Gesetz um ein Übergangsgesetz handelt, welches nur bis zum Inkrafttreten der Steuerreform gilt, und daß Ihre ganzen Ausführungen hinsichtlich der Steuerreform deswegen in den Wind gesprochen worden sind?
Nein, das kann ich nicht zugeben. Sie wissen sehr genau, daß, wenn wir das hier machen, dann schon von der Masse her nicht mehr genügend Dispositionsraum für unser Steuerreformprogramm — Stichwort Familienlastenausgleich — vorhanden ist.
Nein, ich möchte jetzt nicht mehr antworten. Ich
bin für Parität. Mir ist heute früh zweimal die Antwort auf eine Frage verweigert worden.
Ja, schön. Ich habe zweimal geantwortet, und von jetzt an Parität!
Bleibt noch, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr parteitaktisches Kalkül offenzulegen. Grundsätzlich gehen Sie — ich sagte es — davon aus, daß Ihr Gesetzentwurf nicht läuft. Ich glaube allerdings nicht, daß sich von der Agitationswirkung, die Sie sich davon versprechen, politisch allzu komfortabel leben läßt. Für den Eventualfall aber hätten Sie wohl die folgenden Strategien in der Schublade. Entweder stopft die Regierung die Lükken mit Krediten. Dann könnten Sie sagen, sie heizt die Inflation an. Oder sie drosselt die öffentlichen Haushalte. Dann könnten Sie sagen, sie macht keine Reformen. Ihre Kalküle liegen ein bißchen zu offen zutage, als daß die Rechnungen aufgehen könnten.
Und nun kann man uns fragen, was denn wir zu bieten hätten. Zweierlei:
Erstens. Regierung und Koalition haben sich verpflichtet, zum 1. Januar 1975 eine Reform der Einkommen- und Lohnsteuer in Kraft zu setzen, die sozial- und verteilungspolitisch wirksam und fiskalpolitisch abgesichert ist: Wir werden uns diese Reform nicht abschwatzen, nicht kaputtmachen, nicht zerfleddern lassen, und die Menschen draußen werden sie sich auch nicht vermiesen lassen. Die Mitarbeit der Opposition im Finanzausschuß wir hatten uns diesbezüglich bisher nicht zu beklagen — wird ein Indiz dafür sein, wie es die Opposition mit den Interessen des „kleinen Mannes" und mit der Erfüllung der Aufgaben des demokratischen und sozialen Rechtsstaates wirklich hält.
Zweitens. Wir werden in der Stabilitätspolitik fortfahren, darin ermutigt von den autonomen Gruppen, den wissenschaftlichen Instituten und der Bundesbank, die Sie, meine Damen und Herren, bei dieser Ihrer Vorlage, um es einmal vorsichtig zu sagen, gewiß nicht zu Rate gezogen haben. Die Preissteigerungsrate konnte auf 6,5 % in Baden-Württemberg sogar auf 5,5 % zurückgeführt werden — ein besseres Ergebnis, als wir alle zu hoffen wagten, ein im internationalen Bezugsrahmen beinahe schon wieder zu gutes Ergebnis.
Stabilitätspolitik ist Arbeitnehmerpolitik; danach handeln wir. Die Einkommen der Arbeitnehmer werden in diesem Jahr real und netto um 2 % bis 3 % steigen. Dies und die sichere Aussicht auf eine soziale und zugleich solide Steuerreform sind Tatsachen, von denen wir politisch besser und solider werden leben können als Sie mit einem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Opposition, von dem ich nochmals behaupte, daß er nur in einem sehr vertrackten Sinn ernst gemeint gewesen sein kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit vielen Jahren, nämlich seit dem Jahre 1961, haben sich dieses Hohe Haus und die verschiedenen Bundesregierungen bemüht, der Bevölkerung einen Anreiz für ein verstärktes Sparen zu geben. Die vielfachen gesetzlichen Vorschriften über die Sparförderung hatten auch einen ausgezeichneten Erfolg. Die Spareinlagen stiegen beständig und erheblich bis zum Mai 1973, also bis in dieses Jahr hinein. Dann allerdings kam die große Wende. Die immer schneller trabende Inflation mußte die Sparer verwirren und kritisch werden lassen. Die stetig stärker werdenden inflatorischen Tendenzen führten in der Tat zu einem Betrug am fleißigen Sparer,
denn die Rate der Geldentwertung stieg rasant und stetig höher als die der Sparzinsen.Die Inflation kostet die Sparer, besonders die „kleinen" Sparer, heute im Jahre über 30 Milliarden DM Verlust.
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Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Sparer machen heute und jeden Tag ein Verlustgeschäft. Kein Wunder also, wenn die Sparer — sehr zum Mißvergnügen der Deutschen Bundesbank — schneller als man anzunehmen geneigt war, entsprechend reagierten. Und das sieht — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich aus den Berichten der Deutschen Bundesbank zitieren — so aus; es heißt im Monatsbericht vom Juni:Eine Besserung der zur Zeit recht schwachen Sparentwicklung wäre jedenfalls stabilitätspolitisch sehr erwünscht.Das ist etwas, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, das Sie besonders aufmerksam registrieren sollten. Es heißt in diesem Bericht weiter:Die Spareinlagen privater und öffentlicher Haushalte sowie der Unternehmungen sind von Januar bis April nur um rund zwei Milliarden DM gestiegen.Das war knapp ein Viertel des Zugangs in der gleichen Zeit des Vorjahres, als dieser Zugang immerhin noch 8,7 Milliarden DM betrug.Die Spareinlagen von privaten Haushaltungen, auf die gut 90 % aller Spareinlagen entfallen, sind im ersten Jahresdrittel — nach dem Bericht der Deutschen Bundesbank — nur noch um 2,3 Milliarden DM — gegenüber 7,8 Milliarden DM in der Jahreszeit zuvor — gewachsen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vohrer?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege, von welcher Art von Spareinlagen reden Sie denn hier? Sie sind sich doch sicher auch dessen bewußt, daß wir heute Sparformen haben, die einen realen Zinssatz von 3 % erbringen — ein Zinssatz, der zu Zeiten Ihrer Regierungen nicht immer realisierbar war.
Herr Vohrer, Sie haben vorhin am Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, daß Sie es schwer hätten, sich von Vorurteilen gegenüber unserem Gesetzentwurf zu lösen. Das offenbart sich jetzt auch wieder. Es erübrigt sich deshalb, darauf einzugehen.
Die Bundesbank hat im Juli dieses Jahres folgendes erklärt:
Erstmals hat im Monat Mai die Bundesbank feststellen müssen, daß der Bestand an Spareinlagen insgesamt um genau 599 Millionen DM zurückgegangen ist.
Das ist in der Tat ein sehr alarmierendes Zeichen: nicht nur keine Zunahme mehr, sondern ein Rückgang der Spareinlagen erstmals seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland.
Im August meldet die Bundesbank einen weiteren Rückgang der Spareinlagen um 1,298 Milliarden DM, bei Privatpersonen — bitte, Herr Vohrer, bedenken Sie das allein ein Rückgang von 1,121 Milliarden DM und im September ein weiterer Rückgang der Spareinlagen um 1,625 Milliarden DM, bei den privaten Spareinlagen allein um 1,447 Milliarden DM. Das ist ein alarmierendes Zeichen, und dennoch schaut diese Bundesregierung einem solchen Vorgang tatenlos zu.
Deshalb schlägt die CDU/CSU-Fraktion im Rahmen ihres steuerlichen Sofortprogramms vor, den Werbungskostenpauschbetrag zu erhöhen, und zwar auf das Dreifache des bisherigen Betrages, auf 450 DM für Ledige und 900 DM für Verheiratete, und zwar für Zinserträge und sonstige Einnahmen aus Geldeinlagen.
Die Bundesregierung hat in ihren Beschlüssen zur Steuerreform vom 12. September 1973 vorgeschlagen, den Freibetrag für Sparer von 150 DM für Ledige und 300 DM für Verheiratete auf 300 DM für Ledige und 600 DM für Verheiratete zu erhöhen. Dafür will sie aber die derzeitige Werbungskostenpauschale für Einkünfte aus Kapitalvermögen von 150 DM für Ledige und 300 DM für Verheiratete auf 100 DM für Ledige und 200 DM für Verheiratete ermäßigen. Ich muß sagen, ich halte diesen Vorschlag für ausgesprochen kleinkariert und auch deswegen für schlecht, weil er außerdem nicht der verfassungsmäßigen Lage entspricht. — Bitte, Graf Lambsdorff.
Herr Kollege Eilers, haben Sie nicht aus Versehen Ihr Manuskript für die erste Lesung der Einkommensteuerreform mitgebracht?
Graf Lambsdorff, ich meine, daß alles das, was hier gegenwärtig zur Erörterung steht, keineswegs im Zusammenhang damit steht, und ich bin der Überzeugung, bei dem, was hier auch von unseren Freunden aus der Fraktion der CDU/CSU gesagt wurde, sollten Sie bedenken, daß es sich um ein vorübergehendes Gesetz handelt, bis wir zur endgültigen Steuerreform kommen, von der Sie bisher zwar ständig predigen, aber bisher keine Anstalten machen, diese Dinge durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte fortfahren. Ich hatte gesagt, daß Ihr Vorschlag mir nach meiner Auffassung kleinkariert erscheint und außerdem keineswegs der verfassungsmäßigen Lage entspricht. Warum? Weil beim Bundesfinanzhof eine Fülle von Rechtsbeschwerden vorliegt, die sich gegen die Besteuerung von Zinsen aus Sparguthaben wendet, übrigens Zinsen, die noch nicht einmal ausreichen, die Geldentwertung des Sparvermögens auszugleichen. Der 8. Senat des Bundesfinanzhofs — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren, damit Sie mich nicht nachher eines Fehlers zeihen — hat den Herrn Bundesfinanzminister, der leider nicht selbst da ist, dessen Staatssekretär das aber hoffentlich gebührend zur Kenntnis nehmen wird, aufgefordert, zu den Rechtsbe-
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Eilers
schwerden Stellung zu nehmen. In diesem Schreiben des Bundesfinanzhofs, das die Aufforderung zur Stellungnahme enthält, heißt es wörtlich:
Der Senat sieht sich bei Zugrundelegung des Nominalwertprinzips, von dem der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung ausgeht, erneut vor die Frage gestellt, ob die Einkommensbesteuerung der Kapitaleinkünfte noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist, was von gewichtigen Stimmen in der Literatur verneint oder doch erheblich bezweifelt wird.
In seinem Schreiben führt der Finanzhof dann weiter aus:
Für die Entscheidung der Frage könnte von Bedeutung sein, ob die Bundesregierung entgegen den bisherigen Verlautbarungen beabsichtigt, den anhaltenden und zunehmenden Preissteigerungen durch eine Änderung der einkommensteuerlichen Freibeträge oder Tarifbestimmungen Rechnung zu tragen.
Wenn das nicht ein alarmierendes Zeichen für den Herrn Bundesfinanzminister und für die gesamte Bundesregierung sein kann, dann frage ich mich: was muß eigentlich noch passieren, damit endlich bei Ihnen etwas passiert?
Wie stellt sich die Bundesregierung zu dieser Anfrage des Bundesfinanzhofes? Glaubt sie wirklich, daß der Verschiebebahnhof bis 1975 dafür ausreicht? Herr Kollege Ehrenberg, Sie sprachen davon, daß dieser Gesetzentwurf der CDU/CSUFraktion nicht mehr wert sei als Makulatur. Glauben Sie, daß Sie auch gegenüber diesen Einwendungen des Bundesfinanzhofes von Makulatur sprechen können?
Ich glaube, Sie werden gezwungen sein, diese Anregungen der CDU/CSU-Fraktion ernst zu nehmen und entsprechend. zu handeln.
Ich bin der Meinung, wir sollten gemeinsam alles tun, um der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland das Vertrauen in eine angemessene und sichere Rendite bei ihren Spareinlagen zurückzugeben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Eilers, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bundesregierung zu den Anfragen des Bundesfinanzhofs längst Stellung genomen hat, daß darüber in der deutschen Presse berichtet worden ist und daß sie zum Ausdruck gebracht hat, daß sie am Nominalwertprinzip insbesondere im Hinblick auf die Änderungspläne zur Steuerreform festhalten wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Graf Lambsdorff, sehr schön, daß Sie das sagen! Ich kann nur eines hier feststellen: daß die Bundesregierung, die hier heute morgen durch den Herrn Bundesfinanzminister vertreten war und jetzt noch durch den Herrn Bundeswirtschaftsminister vertreten ist, keineswegs zu diesen Fragen Stellung genommen hat. Ich kann erwarten — wenn in diesem Hohen Hause dazu Fragen aufgeworfen werden —, daß man sich nicht auf Veröffentlichungen in der Presse bezieht, sondern daß die Bundesregierung endlich bereit ist, hier dazu Stellung zu nehmen.
Ich warte auf diese Stellungnahme.
Aus allen diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, der CDU/CSU-Gesetzesvorlage zuzustimmen. Die Koalitionsparteien könnten durch ihre Zustimmung beweisen, daß es ihnen wirklich ernst ist mit einer sozial gerechteren Steuergesetzgebung, als sie sie gegenwärtig offenbar zu vertreten bereit sind.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte ist für uns und, ich hoffe, auch für die Öffentlichkeit ein Lehrstück über die Frage, wie klug oder zumindest wie seriös die Ratschläge der Opposition in diesem Hause sind.
Für mich war es ja ganz selbstverständlich, daß wir uns, sowie Ihre Vorlage hier erschien, an die letzte große Konjunkturdebatte vom 23. Mai erinnern würden. Aber an Ihrer Stelle, Herr Häfele, hätte ich hier nicht so sehr darauf aufmerksam gemacht. Denn das Protokoll dieser Debatte ist für uns eine Fundgrube für Zitate. Ich beginne damit, daß damals bei dieser Debatte Ihr Sprecher, Herr Dr. Narjes, hier ausgerufen hat, daß wir uns alle - wörtlich — „im Herbst bei hoffentlich nur achteinhalb Prozent, wenn nicht mehr, hier wiederfinden". Sehen Sie mal, jetzt finden wir uns bei sechseinhalb Prozent, und um mindestens zwei Prozent haben wir doch beim Konjunkturprogramm mehr Erfolg gehabt, als Sie uns damals vorausgesagt haben.
Meine These ist, daß dieser Erfolg, mit dem wir noch nicht ganz zufrieden sind, der aber immerhin doch schon nennenswert ist, Ihnen nunmehr den Spielraum verschafft hat, der Ihnen nach Ihrer Auffassung — erlaubt, in das andere Extrem zu verfallen und jetzt plötzlich wieder in Milliardenhöhe Steuererleichterungen zu verlangen, — ausgerechnet solche, die nachher auf den Verbrauchermarkt gehen, der uns von dem Kollegen Sprung in der damaligen Debatte ganz besonders in dem Sinne ans Herz gelegt worden ist, daß wir darauf achten sollten, daß gerade hier mehr Dämpfung erfolge.
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Frau HuberHerr Pieroth hat damals auch die Alternative mit dem Sparprogramm erläutert. Sie haben sich heute morgen beklagt, daß wir nur immer darauf abgehoben haben, wir hätten nicht für alle den Konjunkturzuschlag verlangt. Sie haben richtigerweise im Finanzausschuß auch erklärt, daß Sie einen Vorschlag machen: für die unteren Einkommensgruppen ein Sparprogramm. Sehen Sie mal an: diese Leute sollten nun durch Konsumverzicht viereinhalb Milliarden DM zusätzlich noch zur Dämpfung der Konjunktur beitragen!
Sind das nicht dieselben Leute, von denen Sie jetzt sagen, sie könnten überhaupt keinen Konsumverzicht üben, sie müßten dringend Steuererleichterungen haben?
Hätten Sie uns damals angekündigt, daß Sie in vier Monaten ein solches Kurzprogramm, wie ich es einmal nennen möchte, vorlegen würden, so hätte uns dieser Sparvorschlag doch nur ein müdes Lächeln abgenötigt. Was an Steuergeldern für den Markt freigesetzt wird, ist doch mehr als das, was Sie dem Sparer damals als Beitrag zur Dämpfung der Konjunktur aufnötigen wollten. Das Ergebnis ist nicht bloß null, sondern weniger als null.Daß die Rückzahlung und Verzinsung des Konjunkturzuschlags für Gutverdienende ausgerechnet große Einflüsse auf die Tarifgestaltung hätte, glauben Sie sicherlich selber nicht. Aus dem Lager der Gewerkschaften habe ich jedenfalls ganz andere Stimmen gehört. Herr Narjes hat am 23. Mai wörtlich angemerkt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Wie im übrigen eine zusammenhängende Steuerreform aussehen soll, wenn in jeder Aufschwungphase unkoordiniert und ohne großen Zusammenhang an der Steuerschraube gedreht wird, bleibt ebenfalls eine offene Frage.Wenn wir Steuermaßnahmen zur Konjunkturdämpfung wollen, sagen Sie: das Steuerreformprogramm darf vorher nicht kaputtgemacht werden. Sie mißbilligen dann diese Maßnahmen. Wenn Sie ein in der Wirkung umfangreiches, wenn auch in den Punkten kurzes Programm vorlegen, sagen Sie: Das ist neutral, das macht überhaupt nichts, das macht die Steuerreform überhaupt nicht kaputt. — Aber wir haben ja ohnedies mit Vorschlägen Ihrerseits gerechnet, die unsere Steuerreform kaputtmachen. Das überrascht uns natürlich nicht.
Das Konzept, das Sie hier verfolgen, ist klar: Dämpfen wir, so dämpfen wir nicht genug. Stellt sich trotzdem ein Erfolg ein, so wird ein Vorschlag unterbreitet, der sowohl die Preise als auch die Steuerreform in Gefahr bringt. Im Interesse der Arbeitnehmer, vor die Sie sich stellen wollen, möchte ich hier abschließend sagen: Es ist ein Glück, daß wir die Verantwortung tragen.
Als letzter Redner hat der Abgeordnete Dr. Wagner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Widerstand, der von den Koalitionsfraktionen gegen unseren Gesetzentwurf geleistet wird, hat für mich etwas Verbissenes.
Mir scheint, daß es neben den Einwänden, die hierso gebracht worden sind und unter denen sich
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natürlich auch gewichtige befinden, über die man sprechen muß, einen gibt, der hier nicht genannt worden ist, aber im Hintergrund eine Rolle spielt. Dieser eine Einwand ist nämlich der, daß die Vorschläge von der CDU/CSU stammen.
Es ist wohl vor allem der Urheber, der Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, stört und der Sie in diese wilde Wortwahl hineintreibt: „unseriös", „prozyklisch", „inflationsfördernd", mündend dann in die erregte Versicherung der verehrten Frau Kollegin Huber, wie gut es doch sei, daß diese Koalition die Wacht am Rhein hält; und sie fragte, wohin es denn wohl kommen würde, wenn die CDU/CSU ihr verantwortungsloses Spiel betreiben könnte. Ich glaube, wir haben mit solchen Argumenten in dieser Debatte nichts gewonnen.Ich will kurz auf zwei Punkte eingehen. Erstens ist von mehreren Rednern behauptet worden, was wir vorgeschlagen hätten — Grundfreibetrag —, sei technisch nicht mehr machbar und müsse schon aus dem Grund abgelehnt werden. Dieses Argument stimmt nicht. Es ist möglich, diesen Gesetzentwurf, auch was die Erhöhung des Grundfreibetrages von 1680 auf 3000 DM angeht, noch rechtzeitig durchzubringen, so daß seine Anwendung ab 1. Januar 1974 gesichert ist. Dies kann einmal über einen Neudruck der Lohnsteuertabellen geschehen. Hierzu wäre erforderlich, daß Anfang November die neuen Lohnsteuertabellen in Druck gegeben werden. Wenn der politische Wille bestünde, der bei Ihnen offenbar nicht besteht, wäre es möglich, den Gesetzentwurf bis dahin beraten zu haben und die Vorarbeiten geleistet zu haben. Zum anderen könnte, wenn dies nicht möglich wäre, von der Übergangslösung Gebrauch gemacht werden, die wir in Art. 2 unseres Gesetzentwurfs vorschlagen. Dabei handelt es sich um einen einfach zu praktizierenden, vom Arbeitgeber vorzunehmenden Abzug von der Steuerschuld in Monats- oder Wochenbeträgen. Technisch steht hier nichts im Wege. Die Behauptung, unser Gesetzentwurf sei nicht mehr durchführbar, kann nur — um mich der Worte des gegenwärtig nicht anwesenden Herrn Bundesfinanzministers zu bedienen — als grober Unfug bezeichnet werden.Der zweite Punkt, der eine entscheidende Rolle gespielt hat, mit dem sich insbesondere auch der Bundeswirtschaftsminister beschäftigt hat, ist der Gesichtspunkt der Vereinbarkeit dieses Gesetzentwurfs mit der konjunkturellen Lage. Ich halte diesen Gesichtspunkt in der Tat für entscheidend. Denn gegen die soziale Berechtigung, sogar gegen die soziale Notwendigkeit dieses Gesetzentwurfs haben Sie im Grunde genommen nichts sagen können und können Sie auch jetzt nichts sagen. Was wir hier vorschlagen, ist unter sozial- und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten zwingend, und zwar jetzt, nicht erst in mehr als einem Jahr.Die Frage ist: Wird damit, wie Sie behaupten, die Inflation gefördert oder begünstigt oder akzeleriert oder was der Behauptungen mehr waren? Hier kommt es entscheidend auf einen einzigen Punkt an: Besteht die begründete Aussicht, daß bei Annahme der Erhöhung des Grundfreibetrags hiervon eine nennenswerte Wirkung auf die Tarifverhandlungen ausgeht? Wenn dies so wäre, besteht kein Zweifel daran, daß das konjunkturpolitisch eine ausgezeichnete Auswirkung wäre.Die Konjunkturpolitik und die Konjunkturlage des nächsten Jahres werden entscheidend von dem bestimmt, was in den Tarifverhandlungen der nächsten Wochen und Monate entschieden wird. Da fallen die Entscheidungen. Wenn dort die Zahlen herauskommen, von denen man hört, dann ist Ihre Prognose, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit 6 % Preissteigerung für das nächste .Jahr von vornherein ein Phantom. Das muß man wissen, und das wissen auch Sie.Es ist eindeutig, daß eine Ermäßigung der Tariferhöhungen um nur etwa 2 bis 3 % in volkswirtschaftlicher Hinsicht eine Kostenermäßigung in der Größenordnung zwischen 10 und 15 Milliarden DM ergeben würde, wenn man eine Bruttolohn- und -gehaltsumme von etwa 500 Milliarden DM zugrunde legt. Das heißt, daß auf der Kostenseite erheblich mehr eingespart werden könnte, als das Steuervolumen unseres Entwurfs ausmacht. Das ist gerade zu diesem Zeitpunkt entscheidend; denn auch die Bundesregierung hat in ihren Kommentaren zur Konzertierten Aktion erklärt, daß wir offenbar dabei sind, nach und nach aus der Situation einer Nachfrageinflation in die Situation einer Kosteninflation überzugehen, mit allen schwerwiegenden Folgen, die dies für Preise und vielleicht auch für die Beschäftigungslage haben kann.Der Bundeswirtschaftsminister hat dies, wie mir scheint, im Grunde genommen auch nicht bestritten. Er hat nur erklärt, es bestehe keine Aussicht, daß die Tarifvertragsparteien ein solches Entgegenkommen des Steuergesetzgebers honorieren würden. Nun haben wir — das muß ich sagen — dazu auch ganz andere Äußerungen von führenden Gewerkschaftlern in den Zeitungen lesen können. Ferner muß ich sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister: Eine Bundesregierung, die in einer solchen Situation den Tarifpartnern nur Fragen vorlegt, wie dies wohl werden und wirken würde, wird ihrer Verantwortung eben nicht gerecht. Hier war es nicht Aufgabe der Regierung zu fragen, wie wohl reagiert würde auf eine bestimmte Maßnahme, sondern diese Maßnahme anzukündigen und daran die Forderung zu knüpfen, daß ihr entsprochen wird. Ich halte dies absolut für möglich.
In welcher Situation ist die Bundesregierung als Partner der Konzertierten Aktion? Sie ist doch in der Lage, daß sie sich, was diese Tarifbeschlüsse angeht, auf gutes Zureden, auf Maßhalteappelle, auf den Versuch des Gesundbetens konzentrieren muß. Sie hat nichts in der Hand. Es ist vorauszusehen und es ist sicher, daß diese Maßhalteappelle in der gegenwärtigen Lage keine Wirkung haben werden. Die Gewerkschaften werden und ich muß sagen: sie müssen — in der Lage, in der sie sind und in der die Arbeitnehmer sind, ihre Lohnforderungen erhöhen. Es gibt nur den Weg, ihnen ein Angebot zu
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machen, mit dein trotz geringerer Bruttolohnerhöhungen Nettolohnerhöhungen gesichert werden können, die gleichgewichtig sind. Dieses Angebot liegt mit unserem Gesetzentwurf vor.Ein Beispiel: Bei einem Einkommen von 1 700 DM hat ein verheirateter Steuerzahler mit zwei Kindern, wenn unser Gesetzentwurf verwirklicht werden kann, bei einer Lohnerhöhung um 10 % genau denselben Nettovorteil wie ohne Verwirklichung unseres Gesetzentwurfs bei einer Lohnerhöhung um 14 %. Und da will der Herr Bundeswirtschaftsminister uns sagen, daß mit diesem Angebot in Tarifverhandlungen auf keinen Fall Eindruck gemacht werden könnte. Wenn dies so wäre, Herr Bundeswirtschaftsminister, wäre dies die offizielle Konkurserklärung für die Konzertierte Aktion. Denn was soll man dort reden, wenn nicht einmal mit einem Angebot, wie wir es hier bringen, eine Wirkung erzielt werden kann.Ich bin also der Auffassung, daß unser Gesetzentwurf in die gegenwärtige konjunkturpolitische Landschaft genau hineinpaßt. Dieser Gesetzentwurf — wenn Sie ihn unvoreingenommen prüfen, ohne Rücksicht darauf, daß er von uns kommt — ist nicht nur ein notwendiger Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit, er ist auch ein Beitrag zu mehr Stabilität.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Debatte und schlage Ihnen
vor, den Antrag an den Finanzausschuß — federführend —, an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96
der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Gemäß interfraktioneller Vereinbarung rufe ich Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksache 7/1036 — Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 6. Juli 1973 zu dem Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes, das der Bundestag am 14. Juni 1973 verabschiedet hat, wegen mehrerer Punkte den Vermittlungsausschuß angerufen.Der Vermittlungsausschuß hat sich am 21. September mit dem Anrufungsbegehren des Bundesrates befaßt. Über das Ergebnis seiner Beratung, das Ihnen in der Drucksache 7/1036 vorliegt, ist folgendes zu berichten.Dem Bundesrat ging es einmal darum, in der neuen Vorschrift des § 14 a über Zusatzleistungen in Härtefällen die Ermächtigung zum Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung einzuschränken, soweit dort auch Leistungen für den Lebensunterhalt des Auszubildenden erwähnt sind. Der Bundesrat wünschte, daß dieser Teil aus der Ermächtigung gestrichen wird. Dahinter stand das Bedenken, daß andernfalls die Ämter für Ausbildungsförderung zu Sozialämtern besonderer Art für Auszubildende würden, was höchst unzweckmäßig wäre.Andererseits schlug der Bundesrat eine Präzisierung und Ergänzung der Verordnungsermächtigung vor. Der Vermittlungsausschuß ist in diesen Punkten dem Bundesrat gefolgt. Die entsprechenden Änderungsvorschläge finden Sie in der Drucksache 7/1036 unter den Ziffern 1 und 2.Bei dem Vorschlag unter Ziffer 3 der Drucksache 7/1036 handelt es sich lediglich um die Beseitigung eines Redaktionsversehens.Der wichtigste Punkt des Anrufungsbegehrens betrifft die Ausbildungsförderung für Schüler von Berufsfachschulen. Der Bundestag hatte hierzu entsprechend der Regierungsvorlage beschlossen, diese Schüler künftig unabhängig von ihrer individuellen Vorbildung in die Ausbildungsförderung einzubeziehen, und zwar von Klasse 11 an, wobei diese Regelung am 1. August 1974 in Kraft treten sollte. Der Bundesrat schlug demgegenüber vor, die Ausbildungsförderung der Berufsfachschüler bereits von Klasse 10 an zu gewähren. Dies sollte ab 1. August 1974 geschehen, während die Förderung ab Klasse 11 auf den 1. August 1973 vorgezogen werden sollte.Der Vermittlungsausschuß sah sich nach eingehender Erörterung nicht in der Lage, diesem Petitum des Bundesrats zu folgen. Dafür waren nicht nur finanzielle Erwägungen maßgebend, sondern vor allem auch bildungspolitische Überlegungen. Das an sich erstrebenswerte Ziel, den Berufsfachschülern alsbald nach dem Abgang von der Hauptschule die Ausbildungsförderung zukommen zu lassen, würde zu einer Aufspaltung der Förderung in der Klasse 10 führen. Berufsfachschüler würden bereits ab dieser Klasse gefördert, Schüler von Realschulen und Gymnasien dagegen nicht. Das widerspräche dem Prinzip, die Stufen der Schuljahre gleichmäßig in die Förderung einzubeziehen.Ginge man anders vor, so entstünde nach Auffassung der Mehrheit des Vermittlungsausschusses die Gefahr, daß wegen der bevorzugten Förderung in der Berufsfachschule Schüler vom Besuch der Realschulen und der Gymnasien aus finanziellen Erwägungen abgehalten würden oder aber es käme der Ruf, alsbald auch bei diesen Schulen bereits die Klasse 10 in die Förderung einzubeziehen. Dies würde aber, besonders wenn man die sonst noch notwendig werdenden Verbesserungen des Gesetzes mit ins Auge faßt, zu unübersehbaren finanziellen Konsequenzen für Bund und Länder führen.
Der Vermittlungsausschuß ist dem Petitum des Bundesrats aber insofern entgegengekommen, als er
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Dürrdie Förderung ab Klasse 11 vom 1. August auf den 1. Januar 1974 vorgezogen hat.Gemäß § 10 Abs. 3 Satz I seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über diese Änderungen gemeinsam abgestimmt wird.
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Berichterstatter.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der dritten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes gab ich nach der Ablehnung aller Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion der Hoffnung Ausdruck, daß das letzte gesetzgeberische Wort noch nicht gesprochen sei, da mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses gerechnet werden könne. Diese Hoffnung hat nicht getäuscht. Allerdings ist das Gesetz in der jetzt vorliegenden, vom Vermittlungsausschuß beantragten Form nicht befriedigend,
wie dies bei Kompromissen auf einer untersten Ebene häufig der Fall ist. Immerhin ist zuzugeben, daß in einem Punkt eine notwendige Verdeutlichung und in einem weiteren eine sachliche Verbesserung erfolgt, so daß für die CDU/CSU-Fraktion trotz der Bedenken eine Zustimmung möglich ist.Es ist richtig und dient einer verfassungskonformen und transparenten Gestaltung des Gesetzes, daß in Art. 1 eine nach dem Grundgesetz erforderliche Bestimmung über das Ausmaß und die Zielrichtung der vorgesehenen Verwaltungsvorschriften eingefügt wird. Aber es bleibt dabei die sehr bittere und betrübliche Erkenntnis, daß der mit der Härteregelung in § 14 eigentlich angestrebte Zweck, daß der Schüler und der Student bei der Ausbildungsförderung es nur mit dem Förderungsamt zu tun haben, nicht erreichbar ist; denn es besteht die außerordentlich alarmierende Tatsache, daß ein Teil der Förderungsberechtigten wegen der Unzulänglichkeit des Förderungsrahmens in zunehmendem Maße — wir haben das heute bei der Debatte sehr deutlich gehört; das ist eine Folge der gerade Studenten und Schüler besonders hart treffenden enormen Steigerungen der Lebenshaltungskosten in den letzten beiden Jahren — einen Anspruch auf Aufstockung aus Mitteln der Sozialhilfe haben.
Dies ist ein bestürzendes soziales Phänomen, das man in einer Erklärung, wie ich glaube, auf jeden Fall festhalten muß; denn damit ist auch sicher die Axt an die soziale Symmetrie gelegt.
Nun zum Antrag, die elfte Klasse der Berufsfachschulen ohne Voraussetzung der mittleren Reife ab 1. 8. 1973 in die Förderung einzubeziehen. Der Bundesrat hat die gleiche Regelung auch mit den Stimmen der SPD-Länder erhoben. Im Vermittlungsausschuß wurde der Termin für diese Gruppe auf den 1. 1. 74 festgelegt. Damit ist nach der Auffassung der CDU /CSU-Fraktion ein Teil unserer Forderungen erfüllt worden. Wenn allerdings der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in einer Erklärung vom 21. September von der Einbeziehung der bisher unerträglich benachteiligten Berufsfachschüler spricht, dann hat er zwar recht, aber dieses Wort kann nur aus einem schlechten Gewissen gesprochen sein und nur als eine späte Reue gewertet werden.
Ich stelle für die CDU/CSU-Fraktion fest, daß diese Forderung von uns bereits 1971 erhoben worden ist, weil sie eine unumgängliche Voraussetzung für die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung darstellt. Damals fehlte allerdings bei der SPD/FDP-Regierung und -Koalition entweder diese Einsicht oder der Wille zum Handeln.Wir von der CDU/CSU-Fraktion bedauern es, daß ein weiterer grundlegender Antrag auch in der Vermittlungsausschußvorlage nicht enthalten ist, nämlich die Einbeziehung der zehnten Klasse der Berufsfachschule in die Förderung. Dabei haben die Berufsfachschulen bei der Ausbildung für kaufmännische, gewerbliche, hauswirtschaftliche, soziale und sozialpädagogische Berufe eine große und zunehmende Bedeutung, wie der Bundesrat mit Recht feststellt. Hier wäre in besonderem Maße eine Förderung von Schülern aus einkommenschwachen Schichten möglich, die ohne diese Förderung kaum oder nur schwer den Zugang zu einer weiterführenden Bildungseinrichtung finden. Deswegen bedauern wir, daß diese Lösung nicht gefunden worden ist. So bleibt nach der Auffassung der CDU/CSU-Fraktion die harmonische, strukturgerechte und sozial vertretbare Ausgestaltung der Ausbildungsförderung nach wie vor eine unerfüllte Aufgabe dieser Bundesregierung.Abschließend darf ich in dieser Stellungnahme die Bundesregierung noch einmal daran erinnern, daß die CDU/CSU-Fraktion während des Gesetzgebungsverfahrens gefordert hat, die Festlegung der Bedarfssätze, der Freibeträge, der Höchst- und Vomhundertsätze müsse unbedingt möglichst bald erfolgen. Leider wurde der Antrag, dies wenigstens bis zum 15. Oktober zu tun, von der Koalition damals abgelehnt.
Ich hoffe nur, daß dies möglichst bald geschieht. Trotz aller beruhigenden Erklärungen muß ich feststellen, daß sich der Verdacht verstärkt, daß doch der Winter kommt, bevor dieser nach § 35 des Gesetzes erforderliche Bericht erfolgt. In diesem Ge-
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Dr. Fuchssetz heißt es: „Diese Sätze sind alle zwei Jahre zu prüfen und gegebenenfalls durch Gesetz neu festzulegen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist im Rahmen dieser Erklärung notwendig, auf diese gesetzliche Bestimmung noch einmal hinzuweisen. Abschließend fordere ich noch einmal, daß dem entsprochen wird, weil erst damit ein wesentlicher Teil dieses Gesetzes seiner Erfüllung zugeführt werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Bildungspolitiker haben selten die Möglichkeit, vor einem so vollen Hause zu sprechen. Ich darf Sie um Verständnis bitten, wenn ich Sie bitte, mit ihren Äußerungen vielleicht etwas zurückhaltender zu sein, als Sie es bei dem Kollegen Fuchs waren. Es macht wenig Spaß, hier als einer von 200 zu reden, die gleichzeitig sprechen. Entschuldigen Sie, daß ich das als Neuling hier so sage.
Für die Fraktion der Freien Demokraten darf ich folgende Erklärung zu diesem Tagesordnungspunkt abgeben.
Wir stimmen dem vorliegenden Antrag des Vermittlungsausschusses zum Thema Bundesausbildungsförderungsgesetz und Arbeitsförderungsgesetz zu. Durch die in dem Antrag enthaltenen Änderungen erfährt das am 14. Juni 1973 beschlossene Gesetz verbessernde Korrekturen, die wiederum zu einer verstärkten finanziellen Leistung dieser Bundesregierung für die in der Ausbildung befindlichen jungen Menschen führen.
Wir haben bereits, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in der vorhin erwähnten dritten Lesung dargelegt, warum wir die von Ihnen zusätzlich angeregte Einbeziehung der Schüler der Klasse 10 der Berufsfachschulen in den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht vornehmen wollen. Ich erneuere den Hinweis darauf, daß eine solche Maßnahme unseres Erachtens a) anspruchsberechtigte Schüler der Berufsfachschulen gegenüber von ihrer sozialen Situation her ebenso anspruchsberechtigten Schülern z. B. von Realschulen und Gymnasien in ungerechtfertigter Weise besserstellen würde, daß sich eine solche Maßnahme b) infolgedessen möglicherweise in einem von uns nicht gewünschten Steuerungsmechanismus dahin entwickeln würde, daß sozial schwächere Familien ihre für den Bereich der Realschulen und Gymnasien qualifizierten Kinder dort nicht hinschicken würden, und daß diese Maßnahme c) derzeit den Bundeshaushalt ebenso wie die Länderhaushalte zu stark belasten würde, und zwar auch im Verhältnis zu anderen aus finanz- und stabilitätspolitischen Überlegungen heraus zurückgestellten Maßnahmen, z. B. auf dem Sektor der Sozialpolitik.
Ich darf an dieser Stelle die Auffassung meiner Fraktion bekräftigen, daß Struktur und Volumen der von dieser Bundesregierung geleisteten Ausbildungsförderung im Vergleich zu der früheren Ausbildungsförderung, die durch den Begriff „Honnefer Modell" gekennzeichnet war, so viele Verbesserungen aufweisen, daß die diesbezügliche Kritik der Opposition unangemessen erscheint. Unabhängig davon sind wir aber bereit, die Hinweise u. a. des Deutschen Studentenwerkes und des Verbandes Deutscher Studentenschaften auf eine dringend notwendige Anhebung der Bedarfssätze und Freigrenzen in unsere Überlegungen einzubeziehen, wenn wir im Verlauf dieses Herbstes den von der Bundesregierung vorzulegenden Bericht über die soziale Lage der in der Ausbildung Befindlichen zu diskutieren und daraus unsere Konsequenzen zu ziehen haben. Ich denke, es bedarf, wie ich schon einmal gesagt habe, nicht der Gabe der Prophetie, um die Vermutung zu äußern, daß wir eine solche Anhebung als notwendig erkennen werden.
Dies sage ich allerdings insofern ungeschützt, als ein exakter Bericht noch nicht vorliegt und unsere Fraktion ihn deshalb auch nicht in seinen Konsequenzen diskutieren konnte.
Ich darf Sie abschließend bitten, dem Antrag des Vermittlungsausschusses Ihre Zustimmung zu . geben.
Herr Abgeordneter Dr. Meinecke!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion erkläre ich, daß der Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes uns als ein vernünftiger Ausgleich der unterschiedlichen Auffassungen des Bundesrates und des Bundestages zu sein scheint. Wir sind uns bei dieser Verbesserung des Ausbildungsförderungsgesetzes darüber im klaren, daß die Konstruktion des Gesetzes selbst einen nicht leichtzunehmenden Konfliktstoff enthält. Dieser liegt darin, daß im Abschnitt I des Gesetzes der Kreis der Empfangsberechtigten relativ weitgefaßt beschrieben wird, jedoch in § 68 wieder eingeengt wird, und zwar mit der Maßgabe, daß er bei der Verwirklichung des Gesetzes schrittweise zu erweitern ist. Der zweite Konflikt liegt darin, daß von der Offentlichkeit und von den Betroffenen selbst bei jeder Gesetzesnovellierung erwartet wird, daß erstens der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert und zweitens die finanziellen Ausbildungsförderungshilfen erhöht werden. Diese beiden Konflikte sehen wir.Da der zweite Schritt einer Novellierung von der Regierung bereits eingeleitet worden ist, begrüßen
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Dr. Meinecke
wir die heutige Vorlage. Wir betrachten sie als realistisch und vernünftig und empfehlen dem Haus ihre Annahme.
Wird weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz)
Drucksache 7/1037 — Berichterstatter: Senator Dr. Heinsen
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Senator Dr. Heinsen.
Dr. Heinsen, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Meine Damen und Herren, ich darf um so mehr um Aufmerksamkeit für den Berichterstatter bitten, als er aus dem Bundesrat kommt, also unser Gast ist.
Dr. Heinsen, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg: Der Bundesrat hat am 15. Juni dieses Jahres den Vermittlungsausschuß angerufen. Dieser hat über dieses Gesetz am 20. Juni beraten, seine Beratungen aber ausgesetzt und zunächst die Bundesregierung gebeten, ihm bis zum September ihre Vorstellungen über ein Gesamtkonzept zur Besoldungsneuregelung vorzulegen. Dies hat die Bundesregierung wunschgemäß mit einem Schreiben vom 7. September getan. Am 21. September hat dann der Vermittlungsausschuß seine Beratungen beendet und Ihnen den Vorschlag vorgelegt, über den ich Ihnen heute berichten darf.Die ersten drei Anrufungsbegehren des Bundesrates bezogen sich auf Besoldungsverbesserungen für den gehobenen technischen Dienst. Der Bundesrat war der Auffassung, daß die Besoldungssystematik für diese Beamten aus verschiedenen Gründen besonders unbefriedigend ist, vor allem aber deswegen, weil ein Tarifvertrag vom 15. Juni 1972 erhebliche Verbesserungen für die technischen Angestellten, aber eben nicht für die Beamten gebracht hat.Der Vermittlungsausschuß hat sich dieser Grundauffassung des Bundesrates mit großer Mehrheit angeschlossen und alle drei Vorschläge des Bundesrates im Prinzip als berechtigt angesehen. Der Ausschuß mußte sich allerdings mit der Problematik auseinandersetzen, daß eine einfache Aufnahme der Vorschläge des Bundesrates auf der anderen Seite neue Verzerrungen und Berufungen anderer Beamtengruppen, die dann erst recht benachteiligt wären, hervorrufen würde.Diese Erwägungen haben dann bei den drei von mir genannten Punkten im Ergebnis zur Wahl unterschiedlicher Wege zu dem an sich für richtig befundenen Ziel geführt.Erstens. Die vom Bundesrat zunächst gewünschte Anhebung der Eingangsstufe für den gehobenen technischen Dienst von A 9 nach A 10 hat der Vermittlungsausschuß aufgenommen. Entscheidend dabei war, daß auch die Bundesregierung eine entsprechende Anhebung zum gleichen Termin wie nach dem Vorschlag des Bundesrates — nämlich zum 1. Januar 1974, notfalls rückwirkend — im Entwurf eines Zweiten Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetzes angekündigt hat, allerdings nicht, wie hier in diesem Gesetz, beschränkt auf Techniker, sondern für alle Beamten des gehobenen Dienstes mit Fachhochschul- oder vergleichbarer Ausbildung, also z. B. auch für Steuerbeamte.Mit Rücksicht auf diese Geschäftsgrundlage, daß auch die anderen vergleichbaren Beamtengruppen im Ergebnis zum gleichen Zeitpunkt in den Genuß der Anhebung der Eingangsstufe nach A 10 kommen, die von der Bundesregierung als erster Schritt einer endgültigen Neuregelung des gehobenen Dienstes in Bund und Ländern betrachtet wird, glaubte der Vermittlungsausschuß diese nur gesetzestechnische Vorleistung verantworten zu können.Zweitens. Obwohl der Vermittlungsausschuß auch den zweiten Vorschlag des Bundesrates, den Stellenschlüssel für die gehobenen technischen Beamten zu verbessern, für gerechtfertigt und notwendig hielt, sah er sich doch gehindert, ihn in der vorn Bundesrat empfohlenen Form zu verwirklichen. Die Bundesregierung hat nämlich den Ausschuß davon überzeugt, daß insoweit eine isolierte Regelung für den gehobenen technischen Dienst zu schweren Unzuträglichkeiten in den anderen Laufbahnen führen würde, und sie hat andererseits erklärt, sie beabsichtige selbst, in Kürze eine entsprechende Regelung unter Berücksichtigung des mittleren und des höheren Dienstes durch Rechtsverordnung zu treffen. Auf diese Erklärung hin sah der Ausschuß von der Aufnahme des Bundesratsbegehrens ab.Drittens. Den dritten Vorschlag des Bundesrates in diesem Zusammenhang — die Gleichstellung der gehobenen technischen Beamten mit Anstellungsprüfungen alter Art mit denjenigen mit Ingenieurausbildung oder mit der neuen Aufstiegsprüfung —
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Senator Dr. Heinsenhat dagegen der Vermittlungsausschuß als gerechtfertigt zugestimmt.Viertens. Von den beiden nächsten Anrufungsgründen hat der Vermittlungsausschuß die beantragte Streichung der im Gesetzentwurf enthaltenen Harmonisierungsvorschrift für kommunale Wahlbeamte abgelehnt, weil er mit Bundesregierung und Bundestag der Auffassung war, daß eine solche Harmonisierung zweckmäßig und notwendig ist. Dagegen schlägt der Vermittlungsausschuß entsprechend dem Wunsch des Bundesrates vor, die staatlichen Landräte in den Ländern Rheinland-Pfalz und im Saarland den übrigen Landräten im Bundesgebiet, die Wahlbeamte sind, gleichzustellen, also etwa nach dem Grundsatz gleiche Arbeit, gleicher Lohn.
Fünftens. Den letzten Vorschlag des Bundesrates, die Anhebung der Erhöhungszuschläge für Versorgungsempfänger vom 1. 7. 1973 auf den 1. 1. 1973 vorzuziehen, mußte der Ausschuß aus finanziellen Gründen leider ablehnen.Meine Damen und Herren, der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Bundestag über seine Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Ich darf namens des Vermittlungsausschusses bitten, diesen Vermittlungsvorschlägen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort hat der Abgeordnete Wagner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei der Verabschiedung des Zweiten Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes am 2. Mai dieses Jahres von dieser Stelle aus klar zum Ausdruck gebracht, daß sie dieses Gesetz für ungenügend hält. Diese Auffassung vertrat offenbar auch der Bundesrat, nachdem er dem Gesetz die endgültige Zustimmung versagte und den Vermittlungsausschuß anrief. Er verlangte eine Ergänzung in drei Punkten, und zwar die Verbesserung des Stellenkegels der technischen Beamten des gehobenen 'Dienstes, die Streichung der Ermächtigungsvorschrift, wonach die Bundesregierung die Besoldung der kommunalen Wahlbeamten regeln sollte. Schließlich beantragte er das Inkraftsetzen der erhöhten Stellenplananpassungszuschläge für Ruhestandsbeamte und Versorgungsempfänger zum 1. Januar 1973. Der erste und der dritte Punkt entsprachen gleichlautenden Anträgen der CDU/CSUFraktion, die in den Ausschußberatungen gestellt worden waren.Die uns heute vorliegenden Vorschläge des Vermittlungsausschusses haben ganz eindeutig den Charakter eines Kompromisses. So hat der Vermittlungsausschuß zwar die höhere Einstufung der Fachhochschulabsolventen von A 9 nach A 10 aufgegriffen, diese jedoch ausschließlich auf den technischen öffentlichen Dienst beschränkt. Ich begrüße diese Entscheidung zwar als einen allerersten, wenn auch völlig ungenügenden Schritt zur Neuordnungder Strukturprobleme des öffentlichen Dienstes gegen jahrelangen hinhaltenden Widerstand der Bundesregierung. Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion wäre jedoch nur eine starke Verbesserung des Stellenkegels eine gerechte Lösung gewesen.
Wir haben seinerzeit vorgeschlagen, einen Stellenkegel zu beschließen, der in A 11 50 %, in A 12 30 % und in A 13 20 % der Dienstposten ausweist.Meine Damen und Herren, ich bedaure bei diesem ersten Schritt weiter in besonderem Maße, daß sich die vorgesehene Regelung nur auf die neu in den Beruf eintretenden Beamten erstreckt, anstatt die vielen schon im Beruf stehenden mit einzuschließen. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Absolventen der in verschiedenen Bundesländern bereits bestehenden Fachhochschulen für Verwaltung und Rechtspflege, und genauso unberücksichtigt blieben diejenigen Landesbeamten, wie z. B. Steuerbeamten, deren Laufbahnausbildung bundesrechtlich geregelt ist. Ich sehe hierin eine große Ungleichbehandlung, die neue Unzufriedenheiten und neue Ungerechtigkeiten schafft.
Diese Regelung kann nach Meinung der Fraktion der CDU/CSU nicht aufrechterhalten bleiben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, spätestens mit dem Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz wirksam Abhilfe zu schaffen und so dem im öffentlichen Dienstrecht verankerten Grundsatz der funktionsbezogenen Zuordnung und Bewertung gleicher und vergleichbarer Kriterien zur Geltung zu verhelfen. Wäre dies nicht zu erwarten, meine Damen und Herren, dann bliebe nicht nur ein parlamentarisches Flickwerk erhalten, sondern dann müßte man, so meine ich, zwangsläufig mit einem Anwachsen der Unruhe im öffentlichen Dienst und mit breiter Abneigung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, rechnen.Eine solche Entwicklung, meine Damen und Herren, kann nicht im Interesse unseres Staates und nicht im Interesse seiner Bürger liegen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, mit dem vorerwähnten Gesetz endgültige Abhilfe zu schaffen.Wir bedauern bei dem heutigen Antrag des Vermittlungsausschusses auch, daß es bei den Beratungen nicht gelungen ist, die geringfügigen Verbesserungen der Stellenplananpassungszuschläge für Ruhestandsbeamte und Versorgungsempfänger bereits zum 1. Januar 1973 in Kraft treten zu lassen. Gerade dieser Personenkreis hätte angesichts der Preisentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Lande eine positive Entscheidung erwarten können.Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Antrag des Vermittlungsausschusses zu, auch wenn das Zweite Besoldungserhöhungsgesetz damit Stückwerk bleibt. Wir wiederholen unsere dringliche Forderung an die Bundesregierung, mit dem Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz endlich eine gerechte laufbahn- und besoldungsrechtliche Neuordnung der Strukturprobleme
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Wagner
des öffentlichen Dienstes zu schaffen. In dieser Erwartung sagen wir ja zu dem vorliegenden Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei kurze Bemerkungen für die SPD-Fraktion. Bemerkung eins, Herr Kollege Wagner, als direkte Erwiderung auf Ihren Beitrag.
Als wir dieses Besoldungserhöhungsgesetz im Innenausschuß berieten, stellte die Opposition zu diesem Gesetz Anderungsanträge in einer Gesamthöhe von exakt 1 000 513 700 DM.
— Zu diesem Erhöhungsgesetz. — In der Beratung
wurden Sie in der eigenen Fraktion fußkrank; nicht
ein einziger Antrag wurde im Parlament wiederholt.
Ich bitte Sie dringend, dieses Spiel nicht fortzusetzen. Sie laden großkalibrige Kanonen mit Luftballons. Das knallt zwar ganz schön in der Presse,
aber jeder stellt hinterher fest, daß man so nicht einen einzigen Treffer erzielt.
Herr Abgeordneter, es gibt bei einer Erklärung keine Zwischenfragen.
Bemerkung zwei. Wir stimmen dem Kompromiß des Vermittlungsausschusses zu. Da er mit der Konzeption des Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetzes verbunden ist, muß man das gemeinsam sehen; es ist also eine Durchgangsstation zu besseren Ufern, wenn Sie so wollen.
Bemerkung drei. Hier im Hause möchten wir darauf hinweisen - auch alle Verbände, die es angeht, möchten wir darauf aufmerksam machen —, daß beim Hearing uneingeschränkt gesagt worden ist: strukturelle Verbesserungen müssen auf lineare Erhöhungen angerechnet werden. Wenn man lineare Schornsteine in Größenordnungen von 14 % forderungsmäßig in die Landschaft setzt, muß man sich in strukturellen Verbesserungen notwendigerweise bescheiden.
Meine Damen und Herren, zuerst hat sich die eine Seite des Hauses
über eine Erklärung der anderen Seite aufgeregt, dann die andere Seite des Hauses über eine Erklärung der einen Seite. Es ist für mich nicht möglich, Erklärungen inhaltlich zu beurteilen. Da die Geschäftsordnung eine Definition nicht vorsieht, kann ich dazu nur sagen, daß eine Erklärung eine Rede ist, die höchstens 15 Minuten dauert und zu der es keine Zwischenfrage gibt. Eine andere Definition habe ich bisher nicht gefunden.
Das Wort — wiederum zu einer Erklärung — hat nunmehr der Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint in diesem Hause Brauch zu sein, daß bei Fragen der Besoldung der Beamten eine Übereinstimmung herrscht, wie sie sonst nicht üblich ist. Von manchen wird aber diese Tätigkeit, hier solchen Gesetzen zuzustimmen, doch als eine Art von lästiger Pflicht empfunden, denn das Unbehagen eines jeden, der hier steht und abstimmen muß, bleibt, das Unbehagen nämlich, in diesen Fragen zwischen Skylla und Charybdis zu stehen, einerseits der wachsenden Kritik des Bürgers, sprich: Steuerzahlers, an den wachsenden Personalkosten der öffentlichen Verwaltung und auf der anderen Seite dem immer heftigeren Drängen der Bediensteten der öffentlichen Verwaltung. Dieses Unbehagen wird nicht zuletzt dadurch gefördert, daß außerhalb dieses Hauses das sehr bestimmte Gefühl herrscht, daß hier eine große Zahl von Beamten im Hause sehr bemüht sei, sich selbst mit allen anderen Kollegen zu segnen.Meine Damen und Herren, ich spreche das deshalb an, weil, wie ich glaube, nach allen Beratungen, die wir im Innenausschuß und auch im Hause insgesamt gehabt haben, deutlich gesagt werden muß, daß es vielleicht gerade die Beamten in diesem Hause waren, die den Versuch gemacht haben, die Unzahl der Forderungen, die täglich auf uns einprasselt, in ein Maß zu bringen, das mit Sicherheit fast alle Wünsche offenläßt, das es aber allein gestattet, nicht nur noch Personalkosten zu zahlen.Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es eigentlich damit sein Bewenden haben kann, daß man hier erklärt, was auch meine Aufgabe für meine Fraktion ist, daß man diesem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmt. Ich meine, daß man einmal ganz deutlich machen muß, wie groß dieses Unbehagen ist, und dies auch gerade denjenigen sagen muß, die uns täglich mit Telegrammen, Fernschreiben und Briefen bedenken. Es besteht mit Sicherheit Einigkeit darüber, daß auch außerhalb des öffentlichen Dienstes fast alle Dienstleistungen teurer werden. Da die öffentliche Verwaltung ein Dienstleistungsbetrieb größten Umfanges ist, kann sie davon nicht ausgenommen werden. Wir werden uns auch darüber klar sein müssen, daß vieles, was früher als sozusagen unproduktive Ausgabe angesehen worden ist, nämlich die Personalkosten, heute eigentlich als im höchsten Grade produktiv angesehen werden muß, wenn Sie die Krankenschwester ebenso sehen wie denjenigen, der beispielsweise eine Baugenehmigung unterschreibt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3093
GroßWenn wir uns darüber klar sind, daß mit allen Dienstleistungen auch die Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung teurer werden, stellt sich die Frage, ob wir damit in der Lage sind, alle jene Ansprüche zu befriedigen, die auf uns zukommen. Wir sehen uns zunehmend den Ansprüchen von Spezialistengruppen gegenüber, die gar nicht mehr in der Lage sind — das soll keine Kritik sein —, ihre Leistungen an anderen Leistungen in der öffentlichen Verwaltung zu messen. Mit einer immer stärkeren Spezialisierung wird das zunehmen mit der Folge, daß das, was wir im Bereich der Fluglotsen gesehen haben, auch anderswo zunimmt, nämlich diese Nicht-mehr-Möglichkeit des Vergleichens. Gegenüber jenen, die glauben, berechtigte Ansprüche zu äußern, muß gesagt werden: Es ist nun einmal die Aufgabe des Parlaments, einen Ausgleich herbeizuführen, nicht weil wir diesen Gruppen etwas nicht gönnten, sondern weil wir alle sehen und den Ausgleich herbeiführen müssen. Täten wir das nicht, sägten wir die Aste ab, auf denen alle Bediensteten der öffentlichen Verwaltung sitzen.Ich meine, daß wir die Gefahren sehen müssen, die auch aus dem entstehen, was auf uns zukommt: aus den mit höheren Ausbildungsqualifikationen steigenden Personalkosten. Hier muß noch einmal deutlicher gesagt werden, daß daraus auch der Zwang zu einer größeren Rationalisierung folgt.Ich möchte aber nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß mit diesem Gesetz eine Beamtenkategorie besonders honoriert wird, die sich anders als manche in den letzten Monaten trotz Zähneknirschens korrekt verhalten und nicht gestreikt hat, obwohl sie manchmal durchaus geglaubt haben mag, sie sei in einer ähnlichen Situation. Ich sage das deswegen, weil manchmal der Verdacht aufkommen könnte, daß diejenigen, die nur laut genug und nur stark und drastisch genug etwas fordern, von diesem Hause auch dafür honoriert werden. Das kann und soll nicht unsere Absicht sein.
Mit diesen Bemerkungen sollte insbesondere darauf hingewiesen werden, daß wir sehr wohl die Interessen des belasteten Steuerzahlers, aber auch die berechtigten Wünsche der Bediensteten _der öffentlichen Verwaltung sehen, die nicht alleiniges Opfer einer Stabilitätspolitik werden dürfen. Ich meine, daß wir alle der Meinung sind ich kann das jedenfalls für die FDP-Fraktion sagen —, daß sie nicht schlechtergestellt werden können als vergleichbare Tätigkeiten außerhalb der öffentlichen Verwaltung.Wir stimmen dieser Vorlage zu.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Die Abstimmung ist wiederum gemeinsam vorzunehmen. Wer dem Entwurf des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vermögensteuerrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 7/1003 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Wird der Gesetzentwurf begründet? — Das ist nicht der Fall. Zur Aussprache hat der Abgeordnete Halfmeier das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine außergewöhnliche Vorgeschichte. Darum muß ich zunächst ein paar Worte darauf verwenden.
Am 6. Juni dieses Jahres hatte der Vermittlungsausschuß den uns heute vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen und dem Bundestag empfohlen, das Gesetz so zu verabschieden. Das geschah, obgleich der Gesetzentwurf uns, dem Deutschen Bundestag, noch gar nicht vorlag und auch noch nirgendwo beraten worden war. Damals hat der Kollege Professor Zeitel mit Recht auf dieses merkwürdige und beispiellose Verfahren hingewiesen. Als dann Kollege Dr. Häfele im Finanzausschuß diesen Gesetzentwurf als Änderungsantrag der CDU/CSU zum Zweiten Steuerreformgesetz einbrachte, hat der Finanzausschuß dann allerdings mit Mehrheit eine Beratung abgelehnt, um solchen Usancen, die in unserem Gesetzgebungsverfahren unbekannt sind, von allem Anfang an zu wehren.
Heute liegt nun dieser Gesetzentwurf als Bundesratsentwurf vor. In der Begründung dazu werden zwei Gründe besonders hervorgehoben, die zu dem Entwurf geführt haben. Zum einen wird auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen, die Einheitswerte 1935 auch im Jahre 1974 weiterhin für die Vermögensteuer anzuwenden. Diese Bedenken, meine Damen und Herren, sind schwerwiegend, und wir teilen sie auch. Zum anderen wird in der Begründung darauf hingewiesen, daß die gleichzeitige Geltung von zwei verschiedenen Einheitswerten, nämlich denen von 1935 für die Vermögensteuer und denen von 1964 für die Grund- und Erbschaftsteuer, eine vermeidbare Belastung der Steuerzahler und insbesondere auch der Finanzämter bedeutet. Auch diese Auffassung ist richtig und gewichtig und wird von uns geteilt. Wir haben deshalb volles Verständnis dafür, daß sich die Länder darüber Gedanken gemacht haben und mit diesem Gesetzentwurf einen Lösungsvorschlag unterbreiten. Wir glauben allerdings, daß wir für die Lösung dieser Probleme einen noch besseren Weg gefunden haben.
Der Finanzausschuß hat gestern mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen, unmittelbar nach dem kurz bevorstehenden Abschluß der Beratungen des Erbschaftsteuergesetzes mit der Beratung des Vermögensteuergesetzes zu beginnen und diese so rechtzeitig abzuschließen, daß das neue Vermögensteuergesetz noch zum 1. Januar 1974 in Kraft gesetzt wird. Für das Jahr 1974 werden wir eine einfache Übergangsregelung in das Gesetz hin-
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Halfmeier
einschreiben, durch die bis zum Inkrafttreten der übrigen Steuerreformgesetze am 1. Januar 1975 die Aufkommensneutralität gewährleistet ist. Dies ist zweifellos eine bessere Lösung als jene, die dieser uns vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, weil nämlich die Finanzämter dann nicht zweimal, und zwar am 1. Januar 1974 und zum 1. Januar 1975, je eine Hauptveranlagung nach zwei verschiedenen Gesetzen durchführen müssen, sondern nur einmal zum 1. Januar 1974, und zwar nach dem neuen Vermögensteuergesetz. Auch der Steuerzahler wird es begrüßen, wenn er schon bald das endgültige Vermögensteuergesetz kennt und sich darauf einstellen kann.
Meine Damen und Herren, es liegt natürlich auf der Hand, daß die Ländervertretung einen solchen Vorschlag nicht machen konnte, weil das Vermögensteuergesetz eben im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages und nicht im Finanzausschuß des Bundesrates gemacht werden muß. Ich glaube aber, daß wir dem Anliegen der Länder so in einer Weise gerecht werden, wie sie es selbst nicht erhoffen konnten. Ich gebe auch zu, daß selbst wir im Finanzausschuß vor Wochen noch nicht daran geglaubt hätten, daß uns dies möglich wäre. Das ist aber möglich geworden, und zwar dadurch, daß alle Fraktionen — ich betone: alle Fraktionen — im Finanzausschuß den Willen bekundet haben, die Arbeit im Ausschuß zu straffen und noch effektiver zu gestalten. Dies wurde auch bereits bei der Beratung des Erbschaftsteuergesetzes mit Erfolg praktiziert. Dadurch sind wir überhaupt erst in die Lage versetzt worden, den gestrigen Beschluß zur Vermögensteuer zu fassen.
Die CDU/CSU hat sich an diesem Beschluß leider nicht beteiligt und statt dessen die Beratung ihres Änderungsantrages vom 6. Juni dieses Jahres beantragt. Ich muß sagen, meine Damen und Herren, daß mir das ziemlich unverständlich ist. Ich muß gestehen, daß mir das etwas verständlicher geworden ist, als Herr Dr. Häfele heute morgen bei der Beratung des Gesetzes, das so oft ein Inflationsförderungsgesetz genannt wurde, in einem Zwischenruf das Argument kundtat, auf dem die CDU/ CSU ihre Steuerpolitik aufbauen möchte. Sie zieht einfach in Zweifel, daß diese Steuerreform, insbesondere die Reform des Einkommensteuergesetzes, am 1. Januar 1975 in Kraft gesetzt wird. Sie glaubt, das Schicksal der Steuerreform sei ungewiß. Allerdings, lange Zeit war es ungewiß. In all den 50er und 60er Jahren war dieses Schicksal sehr ungewiß, als nämlich zu Beginn einer jeden Legislaturperiode der damalige CDU-Bundeskanzler eine Steuerreform ankündigte, aus der nie etwas geworden ist. Wie ich gestehen muß, wäre das Schicksal dieser Steuerreform auch ungewiß, wenn wir uns darauf verließen, Vorschläge und Beiträge dazu aus den Reihen der Opposition zu bekommen. Aber das tun wir nicht. Darum ist das Schicksal dieser Steuerreform so gewiß, wie es gewiß ist, meine Damen und Herren, daß Ihr heute morgen vorgelegter Steuerreformverhinderungsgesetzentwurf – denn das ist es ja in Wirklichkeit — nicht Gesetz werden wird.
Ich will aber gar nicht erst versuchen, hier noch lange nach Motiven zu suchen, sondern. will für den
Fall, daß es noch andere geben sollte, meine Damen und Herren von der CDU, nur eines sagen: Es ist ein unmögliches Unterfangen, heute aus dem Schnee von gestern Honig zu saugen. Trotzdem, meine Damen und Herren von der CDU, hoffe ich, daß Sie im Ausschuß zusammen mit uns dazu beitragen werden, das Vermögensteuergesetz so rechtzeitig zu verabschieden, daß es zum 1. Januar 1974 in Kraft treten kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der CDU/CSU folgendes erklären.Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Antrag des Bundesrats zu, durch ein aufkommensneutrales Vorschaltgesetz zur Vermögensteuerreform die neuen Einheitswerte ab 1. Januar 1974 auch für die Vermögensteuer zugrunde zu legen. Der Antrag ist deckungsgleich mit dem Antrag der CDU/CSU im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages vom 5. Juni dieses Jahres.Es ist schon immer das Anliegen der CDU/CSU gewesen, die neuen Einheitswerte von 1964 ab 1974 für alle einheitswertabhängigen Steuern in Kraft treten zu lassen. Eine isolierte Verabschiedung des Grundsteuergesetzes ohne die anderen einheitswertabhängigen Steuern ist ungerecht und für die Finanzverwaltung untragbar. Jederzeit kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungswidrigkeit des geltenden Vermögen-und Erbschaftsteuerrechts feststellen. Es darf nicht ab 1974 praktisch dreierlei Einheitswerte geben, für die Grundsteuer die von 1964, für die Vermögensteuer jene von 1935 und für die Erbschaftsteuer womöglich die von 1964 mit einem Zuschlag von 40 %.Um den Zusammenhang mit der Steuerreform insgesamt zu wahren, ist es auch richtig, das Vorschaltgesetz bezüglich der Vermögensteuer aufkommensneutral zu gestalten. Sonst bekämen wir Steuermehreinnahmen von 1,9 Milliarden DM, welche als Verfügungsmasse bei der Steuerreform dann nicht mehr dienen könnten.Leider, meine Damen und Herren, ist die Regierungskoalition in den letzten Monaten auf dieses berechtigte Anliegen der Opposition nicht eingegangen. Schon bei der ersten Lesung des Zweiten Steuerreformgesetzes am 22. Februar 1973 haben wir ein solches Vorschaltgesetz gefordert. Im Finanzausschuß lehnte die Koalition den entsprechenden Antrag der CDU/CSU am 14. März 1973 ab. Bei der zweiten und dritten Beratung des Zweiten Steuerreformgesetzes am 11. Mai 1973 haben wir nochmals auf dieses dringende Anliegen hingewiesen. Am 6. Juni 1973 haben wir im Finanzausschuß den entsprechenden förmlichen Antrag gestellt. Die Verwaltung muß sehr rasch in den Stand gesetzt werden, die Änderungen bis 1. Januar 1974 vorzubereiten. Dies bestätigten eindrucksvoll am 19. Sep-
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Dr. Häfeletember 1973 in der Finanzausschußsitzung des Deutschen Bundestages Herr Senator Heinsen von Hamburg und weitere Vertreter der Länderfinanzverwaltungen aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen.Leider haben die Koalitionsfraktionen am 3. Oktober 1973, also gestern, im Finanzausschuß unseren Antrag abgelehnt, das Vorschaltgesetz mit Vorrang zu beraten. Vielmehr haben die Fraktionen der SPD und FDP zu erkennen gegeben, daß sie zwar eine Übergangslösung für ein Jahr wünschen, aber auch noch 1973, noch in diesem Jahr, die Vermögensteuerreform mit einem Mehraufkommen von 1,9 Milliarden DM ab 1. Januar 1975 verabschieden wollen.Dazu kann die Opposition die Hand nicht reichen. Die Vermögensteuerreform steht in echtem Zusammenhang mit der Reform der Einkommensteuer. Dies zeigt sich z. B. an der Frage der Abzugsfähigkeit der Vermögen- von der Einkommensteuer. Niemand kann im übrigen 1973 wissen, welche finanzpolitischen Maßnahmen und Gesetze für 1975 notwendig werden könnten, vielleicht auch aus konjunkturpolitischen Gründen. Das Schicksal der sogenannten Steuerreform ist ungewiß. Wir müssen ,den Zusammenhang zwischen Vermögen- und Einkommensteuerreform verbindlich gewahrt haben. Eine Vorwegentscheidung über 1,9 Milliarden DM Steuermehreinnahmen wird von der CDU/CSU im Interesse der Steuerreform insgesamt abgelehnt. Wo ist denn die FDP — diese Frage muß man stellen —, die diesen Zusammenhang auch immer haben wollte?Die CDU/CSU hofft, daß die Regierungsfraktionen dem Anliegen des Bundesrates im Finanzausschuß doch noch zustimmen, wenn auch leider mit kaum zu verantwortender Verzögerung und nach langem Hin und Her innerhalb der Koalition. Die Länderfinanzverwaltungen sollten diese Klarheit längst haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zywietz:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Inhalt und Hintergrund der Vorlage ausreichend dargelegt wurden, kann gleich einleitend festgestellt werden: Die FDP lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung vermögensteuerrechtlicher Vorschriften, kurz auch „Vorschaltgesetz" genannt — dem sich die CDU/CSU-Fraktion angeschlossen hat —, ab und begrüßt demgegenüber, daß die Reform der Vermögen- steuer zum 1.Januar 1974 erfolgen kann. Das entspricht Vorstellungen, für die sich die FDP beständig eingesetzt hat. Die FDP-Fraktion hat sich von Anbeginn dieser Legislaturperiode für ein flottes und zielstrebiges Arbeitstempo bei der Beratung der einzelnen Steuergesetze des Steuerreformpaketes eingesetzt, um die Steuerreform in dieser Legislaturperiode über die Bühne zu bringen. Daran gibt es kein Deuteln, dabei wird es bleiben. Der Versuch, daran Zweifel zu verbreiten, muß scheitern. Wir werden uns weder irritieren noch zu einem „go slow" verleiten lassen, obwohl ich gern ein-räume, daß Sie von der Opposition uns auf der Grundlage reichhaltiger Erfahrung auf diesem Gebiet kompetent beraten könnten.
Wenn ich mich recht erinnere, war es doch die CDU, die 1957 eine große Steuerreform angekündigt hat, aber doch wohl relativ wenig hat folgen lassen. 1969 ist eine Steuerreformkommission eingesetzt worden, und in der Tat ist zwischenzeitlich allerdings die Mehrwertsteuer reformiert worden. Ein solches Vorgehen, ein solches Arbeitstempo wollen wir von der FDP nicht.
Es kann hier und heute vielmehr festgestellt werden, daß in gemeinsamer Koalitionsarbeit bisher gut vorzeigbare Ergebnisse erreicht werden konnten. Die Reform der Grundsteuer ist zügig erfolgt; die Beratung der Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer befindet sich im Finanzausschuß kurz vor dem Abschluß.Angesichts der gegenwärtigen beurteilungsfähigen Fakten gibt es, wie wir meinen, keine Veranlassung, einem Lösungsvorschlag wie dem vorgelegten Vorschaltgesetz zu folgen. Der Versuch, vom Pfad der Tugend, nämlich einer zügigen Beratung des Steuerreformpaketes abzulenken, schimmert da allzu deutlich durch. Unverzüglich und auch gleich gründlich an die Gesetzesreform heranzugehen halten wir für besser und auch für durchführbar.Die FDP ist stets für eine Steuerreformberatung Einzelgesetz nach Einzelgesetz eingetreten und hat dabei auch wiederholt nachdrücklich auf den Zusammenhang zwischen Vermögensteuer- und Einkommensteuerreform hingewiesen, der uns heute nach Vorliegen der neuen Eckwerte, Herr Dr. Häfele, auch inhaltlich hergestellt zu sein scheint. Wir haben damit nicht zuviel versprochen, sondern nur das, was jetzt auch eingehalten werden kann.Es hat ganz gewiß Vorteile — darum begrüßen wir das sehr —, daß durch das Vorziehen der Einkommensteuerreform von 1976 auf den 1. Januar 1975 bei entsprechendem Arbeitseinsatz auch eine vorgezogene Vermögensteuerreform zum 1. Januar 1974 möglich wird. Damit werden zwar nicht neueste, aber neuere Einheitswerte von 1964 ab 1. Januar 1974 einheitlich auf die Grundsteuer, die Erbschaftsteuer und auch die Vermögensteuer angewendet und Bedenken hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit — ein beachtliches Motiv der Bundesratsvorlage —, wie wir meinen, ausgeräumt.Wir halten es darum für richtiger, die Vermögensteuerreform unverzüglich zu beraten und zu verabschieden. Dabei wird im Jahre 1974 die Aufkommensneutralität innerhalb der einheitswertabhängigen Steuern durch eine Minderung des Vermögensteuertarifs sowie Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer wie bisher sichergestellt. Bei Inkrafttreten der Einkommensteuerreform zum 1. Januar 1975 ist der Vermögensteuertarif auf der Grundlage der Eckwerte zu überprüfen,
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Zywietzda für die gesamte Steuerreform bekanntlich Aufkommensneutralität vorgesehen ist.Im Fazit sind wir gegen Verzögerungen, gegen Doppelarbeit in Form von zwei Hauptveranlagungen im Jahre 1974 und im Jahre 1975, die das Vorschaltgesetz, wie es beabsichtigt ist, verursachen würde. Ein Vorschaltgesetz mit dem Ziel einer gleichmäßigen Anwendung der Einheitswerte, steuerneutral über eine Anhebung der Freibeträge und Senkung der Tarife, kann auch als „Eilmaßnahme" weder verfahrensmäßig noch inhaltlich zufriedenstellen.Das Vermögensteuerreformgesetz zum 1. Januar des kommenden Jahres ist der richtige Weg. Ihn sollten wir gehen und den Koalitionsentwurf im Ausschuß und in diesem Hause möglichst bald beraten.
Als Mitglied des Bundesrates gebe ich Herrn Senator Heinsen, Freie und Hansestadt Hamburg, das Wort.
Dr. Heinsen, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da Herr Kollege Häfele die Freundlichkeit hatte, mich zu zitieren, darf ich als Vertreter Hamburgs, das die Initiative im Bundesrat ergriffen hat, nur ganz kurz sagen, daß wir — ich kann in diesem Fall, weil ich mit den anderen
nicht gesprochen habe, nicht für den ganzen Bundesrat sprechen —, die Initianten, den Beschluß der Koalitionsfraktionen ausdrücklich begrüßen.
Uns kam es entscheidend darauf an, daß die Einheit des Zeitpunkts für die Anwendung der neuen Einheitswerte gesichert ist.
Alles andere war für uns Beiwerk und zweitrangig. Der Weg des Vorschaltsgesetzes war der einzige Weg, den wir von uns aus beschreiten konnten.
Wir wagten gar nicht zu hoffen, daß so eine vernünftige und günstige Lösung möglich sei. Daß sie jetzt möglich ist, begrüßen wir. Wir jedenfalls vertrauen dem Wort der Koalitionsfraktionen, daß der 1. Januar 1974 als Tag des Inkrafttretens der neuen Einheitswerte eingehalten werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Zeitel.
Ich möchte mir nur wenige Bemerkungen erlauben, weil die Debatte und die Stellungnahmen den Sachverhalt nicht so wiedergeben, wie er sich tatsächlich entwickelt hat. Ich danke Herrn Halfmeier dafür, daß er in seiner Ausführung deutlich gemacht hat, daß im Grunde bis zur Stunde kein Anlaß besteht, zu bezweifeln, daß wir die Verhandlungen über die Steuerreform von unserer Seite zügig und zum überwiegenden Teil
einstimmig vorangetrieben haben. Das sollte zunächst klargestellt werden.
Ich bedaure sehr, Herr Zywietz, daß Sie in Ihrer Stellungnahme hier den Eindruck erwecken wollten, als handele es sich hier um ein Manöver der Verzögerung. Ihre gesamte Stellungnahme ging am Kern des Problems vorbei.
Das Vorschaltgesetz hätte heute vom Tisch sein können, wenn wir es verabschiedet hätten, und wir wären in der Beratung schon einen Schritt weiter.
Dies ist der Sachverhalt, und daran ändert das, was Sie gesagt haben, überhaupt nichts.
Wir sind am Ende der Aussprache in der ersten Beratung. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Statistiken des Personenverkehrs und der Kraftfahrzeugfahrleistungen 1974
— Drucksache 7/1005 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort wird zur Einbringung nicht gewünscht, auch zur Aussprache nicht.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr — federführend —, an den Innenausschuß sowie Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Breidbach, Dr. Blüm, van Delden, Vogt, Dr. Schulze-Vorberg, Kroll-Schlüter, Link, Pfeffermann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes
— Drucksache 7/874 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Herr Abgeordneter Breidbach hat das Wort zur Begründung der Vorlage.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf namens meiner Kollegen den Entwurf eines Gesetzes zur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3097
BreidbachÄnderung des Aktiengesetzes auf Drucksache 7/874 begründen. In der von uns vorgeschlagenen Fassung des § 113 des Aktiengesetzes ist vorgesehen, daß die Tantiemen für die Mitglieder von Aufsichtsräten auf 8000 DM, die der stellvertretenden Vorsitzenden auf 12 000 DM und die der Vorsitzenden auf 14 000 DM begrenzt werden. Für diese Begrenzung darf ich in Kürze folgende Gründe anführen. Wir werden sicher bei der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfes ausreichend Zeit zur Verfügung haben, um die Problematik tiefer zu diskutieren.Erstens. Die Höhe der Aufsichtsratsbezüge hat in einer Vielzahl von Unternehmungen Größenordnungen angenommen, die nach unserer Auffassung unvertretbar sind. Die Öffentlichkeit ist in weiten Bereichen über Art, Höhe und Unterschiedlichkeit der Aufsichtsratstantiemen beunruhigt. Es ist nicht einzusehen, daß Räte einer vergleichsweise unbedeutenden Maschinenfabrik etwa 100 000 DM pro Jahr für ihren Rat erhalten, während andere Räte in Großunternehmungen sich mit kleineren Summen von 12 000 DM oder 15 000 DM begnügen müssen. Die vergleichsweise geringe Vergütung für die Beratung so großer Unternehmen wie Bundesbahn oder Bundespost möchte ich hierbei gar nicht näher ins Spiel bringen.Als Begründung für die Zahlungen dieser außergewöhnlich hohen Tantiemen wird immer wieder angeführt, man brauche für die Beratungen in Aufsichtsräten qualifizierte Mitglieder, und wer qualifizierte Mitglieder im Aufsichtsrat haben wolle, müsse auch entsprechend hohe Vergütungen zahlen. Diese Begründung ist nicht haltbar. Ich kenne höchst qualifizierte Räte, die für 12 000 DM im Jahr raten, und weniger qualifizierte Räte, die erst für 100 000 DM bereit sind, ein Rätchen zu erteilen.Wer glaubt, Aufsichtsratsmitglieder raten nur und nur richtig, wenn sie 80 000 DM oder 100 000 DM pro Jahr erhalten, unterschätzt oder verneint das Verantwortungsbewußtsein der heute schon in vielen Unternehmungen tätigen Aufsichtsräte. Sehr viele von ihnen geben schon heute, wenn sie entsprechend hohe Vergütungen erhalten, freiwillig große Teile ihrer Tantiemen ab. Stiftungen oder karitative Vereinigungen — dahin fließen dann die Gelder — können aber nicht über Aufsichtsratstantiemen finanziert werden. Dies scheint mir nicht der Sinn der Aufsichtsratstantieme zu sein.Es wird ein weiterer Einwand erhoben, nämlich der, daß Tantiemen gezahlt werden müßten für die Haftung, die Aufsichtsräte in ihrer Funktion übernehmen. Ich habe, meine sehr verehrten Damen und Herren, immer nur haftende Vorstände erlebt, eigentlich noch nie einen haftenden Aufsichtsrat, der nach einer Fehlentscheidung an die Luft gesetzt wurde. Über die Frage der Haftung der Aufsichtsräte werden wir sicher noch im Rahmen der Diskussion über die Ausweitung der Mitbestimmung einiges sagen müssen.Aufsichtsratsbezüge müssen und dürfen nur Einkommen für reale und abfragbare Leistung sein. Daß Leistung bei Räten schon schwer meßbar ist und darum auch die Höhe der Tantiemen, ist den Initiatoren dieses Gesetzentwurfs klar. Ebenso istklar, daß ein gewisser Wildwuchs beseitigt werden muß. Um diesen Wildwuchs geht es ausschließlich. Die Beseitigung von Wildwuchs in der marktwirtschaftlichen Ordnung dient der Erhaltung dieser Ordnung.Ich gebe zu, daß natürlich ordnungspolitische Bedenken gegen die gesetzliche Festlegung von Einkommen erhoben werden können. Wir sind gern bereit, uns im Ausschuß für Wirtschaft oder auch im Rechtsausschuß mit diesen ordnungspolitischen Bedenken auseinanderzusetzen.Wir gehen davon aus, daß der Entwurf in diesem Hause wohlwollend beraten wird und auch eine breite Mehrheit findet. Wir gehen deshalb davon aus, weil die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Jahre 1969 bei Einbringung eines ähnlichen Entwurfs durch ihren damaligen Sprecher, den Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt folgendes gesagt hat:Der Mißbrauch muß weg, und ich möchte hören, wer von Ihnen 80 000 DM Jahrestantieme verteidigen möchte und mit welchem Argument. Darauf bin ich gespannt, meine sehr verehrten Damen und Herren.Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle Beifall der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.Es gibt ein neueres Zitat von Bundesfinanzminister Schmidt vom 28. Juni dieses Jahres, in dem es heißt ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:Ich bin schon seit fünf Jahren der Meinung, daß das ungeheure Ausmaß einiger Aufsichtsratstantiemen in einigen deutschen Aktiengesellschaften nicht geduldet werden sollte. Deswegen hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit meiner persönlichen Unterschrift — ich war damals Fraktionsvorsitzender — Ende 1968 schon einmal einen Gesetzentwurf eingebracht im Deutschen Bundestag in Richtung auf Abänderung des Aktiengesetzes ...Aus diesen Stellungnahmen, auch aus dem Bereich der Koalitionsfraktionen, können wir die Hoffnung entnehmen, daß im weiteren Verlauf der Beratung aus diesem Gruppenantrag eine interfraktionelle Aktion wird; denn was würden sonst die Stellungnahmen der Sozialdemokraten der vergangenen Monate, aber auch des Jahres 1969, für einen Sinn haben, wenn sie heute, auf anderen Bänken sitzend, von alledem nichts mehr wissen wollten? Ich lade Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren in diesem Hause, ein, die Beratungen dieses Entwurfs zu unterstützen und zu einem positiven Ende zu führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Farthmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zu diesem Entwurf für die SPD-Fraktion zunächst einige Be-
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Dr. Farthmannmerkurigen über die politische Methode: Zunächst kann man ja wohl, ohne den Verfassern Unrecht zu tun, sagen, daß dieser Entwurf weitgehend mit dem Kopierstift gemacht worden ist. Er ist wörtlich abgeschrieben worden
von dem SPD-Entwurf vom 16. Dezember 1968. In große geistige Unkosten haben sich die Verfasser dieses Entwurfs nicht gestürzt.
— Das sage ich ja auch nicht. Warten Sie doch einmal ab, was ich zur Sache sage! Das einzige, was die Verfasser selber geschrieben haben, ist die Begründung, und diese ist sprachlich — das darf ichhier vielleicht auch einmal sagen — entsetzlich mißlungen. Es gibt eine alte Philologenweisheit: Die Sprache verbessern heißt den Gedanken verbessern. Wenn man diesen Maßstab an die Begründung dieses Entwurfs anlegt, stellt man fest, daß die gedankliche Klarheit bei den Verfassern noch nicht sehr weit fortgeschritten sein kann.
- Das kann ich Ihnen genau sagen. Lesen Sie nureinmal den herrlichen Satz, der mit den Worten beginnt: „Zudem kommt, daß Satzungsbeschlüsse wie alle Beschlüsse ..." Haben Sie schon einmal gehört, daß die Formulierung „zudem kommt" —„zudem" in einem Wort geschrieben — sprachlich möglich ist?
Dann lassen Sie sich von einem Studienrat beraten.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist der Opposition zu empfehlen, auch in anderen Fragen mit dem Kopierstift zu arbeiten. Das erleichtert die Arbeit und die politischen Beratungen hier in diesem Hause.
— Natürlich, ich sage nur: wenn Sie das immer machten, wäre das gar nicht schlecht. Wenn Sie nämlich — damit komme ich zur Sache — unseren Mitbestimmungsentwurf von damals ebenfalls abgeschrieben hätten,
sähe die Sache ganz anders aus.
Noch eine zweite Bemerkung zur Methode des Entwurfs. Man ist hierbei nach der Fabel vom Igel und vom Hasen vorgegangen. Eine Gruppe der CDU stellt sich hin und macht einen unter sozialpolitischen Gesichtspunkten sehr fortschrittlichen Entwurf. Daraufhin sagt ein anderer Teil der Fraktion: Damit haben wir nichts zu tun. Der Wirtschaftssprecher der CDU, Herr Narjes, hat im „Spiegel" bereits gesagt — ich zitiere wörtlich —: „Das ist der Wunsch einer Kollegengruppe; in der Fraktion hat dieser Antrag keine Chance." Diese politischen Äußerungen verwendet man dann auf Unternehmerversammlungen. Man verfährt also nach dem alten Motto, wie Sie es schon oft getan haben: Herr Katzer und seine Truppe auf der einen Seite vertreten diese Auffassung, Vertreter, die der Wirtschaft nahestehen, sagen das Gegenteil.
— Nun lassen Sie mich doch mal ausreden, Herr van. Delden!
— Machen Sie doch nicht solche unqualifizierten Zwischenrufe! — Hier handelt es sich nämlich um einen politisch sehr interessanten Gesichtspunkt. Auf Unternehmerversammlungen stellen Sie sich hin und sagen: Ein solcher Entwurf ist Quatsch; den machen ein paar Außenseiter, und deshalb hat er keine Chance. Auf Arbeitnehmerversammlungen machen Sie jedoch Reklame damit.
Meine Damen und Herren, ich sage hier ganz deutlich: eine solche Methode nach der Fabel vom Igel und vom Hasen kann ich politisch nicht als seriös bezeichnen.
Zur Sache möchte ich sagen, Kollege Breidbach, daß wir für den Inhalt dieses Entwurfs große Sympathien haben, daß wir nach wie vor zu unserem Entwurf aus dem Jahre 1968 stehen und daß wir diesen Gedanken nachdrücklich unterstützen, allerdings — das bitte ich zu beachten; das gilt besonders für Sie Herr Schulze-Vorberg — im Zusammenhang mit der Mitbestimmung. Ich weiß nicht, ob Sie jetzt auch noch nicken werden. Wir sind nämlich der Meinung, daß eine seriöse und glaubwürdige Mitbestimmungsregelung nur gefunden werden kann,
wenn man sie mit einer vernünftigen Begrenzung der Aufsichtsratsvergütungen verbindet. Das muß aber in diese Problematik eingebettet werden.Eine vorweggenommene isolierte Lösung kann unter vielen Gesichtspunkten nur als bedenklich bezeichnet werden. Denken Sie bitte daran, daß Sie hier nur die Aufsichtsratsvergütungen bei den Aktiengesellschaften erfaßt haben. Es gibt die Umgehungsmöglichkeit mit Beiräten. Ohne Mitbestimmung können Sie daran nichts ändern. Es gibt ferner die Möglichkeit, Beraterverträge zu vereinbaren. Ohne das ein mitbestimmter Aufsichtsrat darauf achtet und solche Vereinbarungen verhindert, ist die gesetzliche Begrenzung der Vergütung reine Augenwischerei.Was sagen Sie weiterhin zu den unterschiedlichen Regelungen bei den verschiedenen Gesellschaftsformen? Es ist doch wohl schlechthin abwegig anzunehmen, daß die Arbeit in Aktiengesellschaften grundsätzlich geringer bewertet werden müßte als
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Dr. Farthmanndie Arbeit in einer GmbH, in Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und in sonstigen Unternehmen anderer Rechtsformen.
- Nein, er war — Herr Schulze-Vorberg, begreifen Sie das doch endlich — in die Mitbestimmung eingebunden. Er galt für die mitbestimmten Unternehmen, und er diente der Glaubwürdigkeit der Mitbestimmung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten van Delden?
Ja, selbstverständlich!
Herr Kollege Farthmann, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß mit diesem Gesetz die gesamte Vergütungswirtschaft für Räte, und zwar im öffentlichen Dienst, im halböffentlichen Dienst und in allen Gesellschaften, einmal unter die Lupe genommen werden sollte?
Herr van Delden, deswegen bejahen wir dieses Prinzip ja durchaus. Wir sehen bloß nicht ein und können es auch aus sachlichen Gründen nicht als richtig ansehen, daß das jetzt isoliert durchgezogen werden soll. Ich wehre mich ja nicht gegen das Prinzip, sondern ich bin dafür — das werden Sie gleich noch hören , daß wir den Entwurf sehr ausführlich beraten. Nur kann man das nicht isoliert tun, ohne die übrigen Tatbestände, die ich gerade anführen wollte, mit zu beraten. Dazu gehört erstens die Umgehungsmöglichkeit mit Beiräten und mit Beraterverträgen. Die zweite Unausgewogenheit ist die Begrenzung auf die Aktiengesellschaft, die Tatsache, daß die anderen Gesellschaftsformen völlig außer Betracht gelassen werden, wobei Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen, daß es in der Bundesrepublik ungefähr 2200 Aktiengesellschaften und über 100 000 GmbH's gibt. Da sehen Sie die Größenordnung.
Der dritte Punkt ist — Herr van Delden, das sollten wir sehr eingehend prüfen das Verhältnis zu den Vorstandsbezügen. Ich glaube, man muß sehr, sehr vorsichtig damit sein, bei den Aufsichtsräten zu reduzieren was wir für richtig halten — und die Vorstandsbezüge, die im Grunde das noch größere Ärgernis sind, in den gleichen Gesellschaften unangetastet zu lassen. Auch das müssen wir in die Beratungen mit einbeziehen. Ich wehre mich also gar nicht gegen den Grundsatz. Ich bin nur gegen die isolierte Betrachtungsweise und will zur fruchtbaren Beratung in den Ausschüssen — hoffentlich nehmen Sie es auf darum bitten, daß diese Gesichtspunkte mit einbezogen werden.
Weil wir dieses Problem so ernst nehmen, meine Damen und Herren, ist es auch bereits Gegenstand der Beratungen der vom Bundesjustizminister einberufenen Unternehmensrechtskommission, die die
gesamten Auswirkungen einer neuen Unternehmensverfassung auf alle Unternehmensformen zu prüfen hat.
Ich komme deswegen zu dem Ergebnis, daß der vorgelegte Gesetzentwurf sehr gründlich beraten werden muß, um die aufgezeigten Widersprüche zu beseitigen. Und, meine Damen und Herren — das lassen Sie mich auch in aller Deutlichkeit sagen —, allein die Tatsache, daß es vielleicht zu unterschiedlichen Auffassungen über diesen Gesetzentwurf in den Koalitionsfraktionen kommen könnte das ist ja wohl, wenn ich das richtig sehe, der gesetzgeberische Hauptzweck der CDU-Kollegen —, ist jedenfalls für uns kein Grund, einer isolierten und vorgezogenen Regelung zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sind, offen gestanden, etwas davon überrascht worden, daß es zu diesem Thema heute eine Debatte gibt. Aber ich denke doch, daß ich in kurzen Ausführungen und sehr aus dem Stegreif einige Gedanken zu dem beitragen kann, was Herr Farthmann und Herr Breidbach hier als sehr sorgfältige Prüfung und sehr gründliches Beratungsverfahren in Aussicht gestellt haben; insofern kann ich beiden Kollegen zustimmen.Zunächst einmal, Herr Kollege Farthmann: Auch ich halte es für richtig, daß enge Zusammenhänge zwischen den Überlegungen zur Mitbestimmung und der Frage der Aufsichtsratsvergütungen bestehen. Auf der anderen Seite kann man sich dann auch fragen — dann nämlich, wenn Sie davon ausgehen, daß in mitbestimmten Aufsichtsräten Mißbräuche und Umgehungstatbestände verhindert werden —, ob nicht eine Regelung der Mitbestimmung ohnehin dafür sorgen wird, daß auch Mißbräuche bei der Festsetzung der Aufsichtsratsvergütung an sich beseitigt werden,
Mißbräuche nämlich in dem Sinne, daß die Vorschrift des Aktiengesetzes, nach der eine solche Vergütung angemessen sein soll — und das steht im Aktiengesetz
nicht mehr befolgt wird. Wo diese Vorschrift aber nicht befolgt wird, kann man schon heute — so scheint mir jedenfalls auf der Grundlage des Aktienrechts und unter Einschaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit ich gebe allerdings zu, daß das nicht geschieht, daß das bisher nicht üblich ist; — Mißbräuche abstellen.Mißbräuche sind im übrigen nach unserer Erfahrung — oder, genauer gesagt, nach statistischen Unterlagen, die gerade in den letzten Tagen veröffentlicht worden sind nicht an der Tagesordnung.
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3100 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Graf LambsdorffDie Durchschnittszahlen sehen, so meinen wir, verträglich aus. Allerdings gibt es in der Tat — keine Frage, Herr Farthmann und Herr Breidbach und auch Herr van Delden Mißbräuche, es gibt Fälle, die auch nach unserer Meinung gekappt und beschnitten werden sollten. Allerdings werden wir es vorziehen — und vielleicht hilft Ihre dann segensreiche Initiative dazu —, wenn ein solches Beschneiden und Kappen auf freiwilliger Grundlage erfolgen könnten und erfolgten.
Und ich wäre sehr dankbar, wenn diejenigen, an die sich ein solcher Appell richtet, ihn auch hörten, ohne daß wir sie hier nun etwa namentlich und listenmäßig aufführen müßten. Die Liste würde im übrigen, jedenfalls was die Gesellschaften anlangt, nicht sehr lang werden.Man muß doch wohl, meine Damen und Herren, sorgfältig beraten, ob man für eine beratende Tätigkeit einen Preis festlegen kann, ob das eigentlich — ich bitte um Nachsicht, auch wenn Herr Lahnstein solche Ausdrücke zu rügen pflegt — ordnungspolitisch in die Landschaft paßt. Man muß weiter fragen, ob man auch für andere Bereiche, etwa für den Rat eines Arztes, etwa für freischaffende Berufe, ja für Künstler, auch für den Rat eines Anwalts in Zukunft noch eine Honorarvereinbarung auf freiwilliger Basis, nicht auf der Basis der gesetzlich festgelegten Vergütungen, erlauben kann oder ob man auch hier Tätigkeitsvergütungen vorschreiben soll. Dies gilt natürlich auch für Vorstandsbezüge, wo es ebenfalls nach meiner Ansicht auch das sei unbestritten — Beträge und Verhältnisse gibt, bei denen ich mich freuen würde, wenn vielleicht nicht die Betroffenen, aber diejenigen, die darüber zu entscheiden haben, für Besserung sorgen würden.Herr van Delden!
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es doch etwas anderes ist, wenn wir die von Ihnen genannten Anwälte und Ärzte „reglementieren", als wenn wir das bei den Aufsichtsratsbezügen und meinetwegen auch bei den Vorstandsbezügen tun, weil diese Gremien fremdes Geld verwalten, das einer Menge von Eigentümern gehört, die, wie sie selber wissen, durch das Depotstimmrecht kaum zum Zuge kommen?
Nein, Herr van Delden. Erstens ist es nach meiner Meinung kein grundsätzlicher Unterschied, für welche beratende Tätigkeit Sie Vergütungen vorschreiben. Zweitens habe ich Sie doch mit Ihrem Gesetzesantrag nicht so verstanden, daß Sie dort, wo z. B. 100 % der Aktien oder der GmbH-Anteile einem Gesellschafter gehören, nichts dagegen hätten, wenn Phantasieaufsichtsratsvergütungen festgesetzt würden. Sie wollen doch wohl keinen Unterschied zwischen den Fällen machen, wo, wie Sie sagen, über fremdes Geld,
und denen, wo über eigenes Geld verfügt wird. Ich will das im einzelnen auch gar nicht vertiefen, sondern nur darauf hinweisen, daß es in der Tat richtig ist, Herr Farthmann, daß dieser Gesetzentwurf in sich keineswegs ausgewogen ist, keineswegs die Tatbestände erfaßt, die seine .Autoren erfassen möchten.
— Meinen Sie, Herr van Delden, daß Kopie und Mangel an Originalität mit Vollständigkeit gleichzusetzen sind? Das ist selten der Fall. Sie hätten sich etwas mehr einfallen lassen können, insbesondere da Sie doch die Similevorlage hatten.
Wie gesagt, offen für eine Diskussion! Wenn man ein Gesetz macht, muß es aber auch ein Gesetz werden, das in sich ausgewogen ist. Dann muß auch die Frage überlegt werden, ob man nach Größenordnungen unterscheiden muß, ob man nach Verantwortungsgrad unterscheiden muß, wie man den zu definieren hat, wie man zukünftige Entwicklungen, nicht etwa Inflationsindizes, aber zukünftige Größenordnungsentwicklungen in den Griff bekommen kann. Alles das ist natürlich nicht gar so einfach, wie es in den wenigen Zeilen des Gesetzentwurfs und — für diesen Hinweis bin ich Herrn Professor Farthmann ganz besonders dankbar — in der in sprachlicher Hinsicht betrüblichen Begründung dieses Gesetzentwurfes vorzufinden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breidbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich wenige Bemerkungen zu dem mache, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Graf Lambsdorff, Sie haben gesagt, daß dieser Gesetzentwurf vielleicht eine Initialzündung sein könnte, um auf freiwilliger Basis die Auswüchse zu beseitigen. Nun, ich nehme an, das ist die Harmoniegläubigkeit eines liberalen Politikers. Bereits seit 1968 steht ein solcher Gesetzentwurf als Damoklesschwert über den Aufsichtsräten, die bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gemerkt haben, daß es unter Umständen mit der Begrenzung der Aufsichtsratstantiemen einmal ernst werden könnte. Wer sich in diesen vier Jahren von 1968 bis heute nicht darauf besonnen hat, der besinnt sich auch nicht auf Grund eines Appells des Deutschen Bundestages zu einer maßvolleren Gestaltung seiner Tantiemen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Lambsdorff?
Gerne.
Herr Kollege Breidbach, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir gestern im Wirtschaftsausschuß einen Fall beraten und verabschiedet haben, der zu einer Lö-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3101
Dr. Graf Lambsdorffsung auf freiwilliger Grundlage mit den Betroffenen geführt hat und bei dem der erste Gesetzentwurf, der eine solche freiwillige Lösung nicht vorgesehen hatte, exakt aus dem Jahre 1968 stammte?
Herr Professor Graf Lambsdorff
— ja, ich muß mich an den anderen ProfessorenTitel noch ein bißchen gewöhnen —, man kann, glaube ich, zwei unterschiedliche Materien — darum handelt es sich in dieser Frage — schlicht und einfach nicht vergleichen.
Herr Kollege Professor Farthmann, ich habe Ihre Einlassungen zu unserem Gesetzentwurf als etwas seltsam empfunden.
Zunächst einmal stellen Sie fest, daß dieser Gesetzentwurf wörtlich abgeschrieben ist. Ich muß Ihnen sagen, wir haben ihn wörtlich abgeschrieben, weil er juristisch eine so gute Fassung brachte, daß von uns kein Mensch mehr Wert darauf gelegt hat, unter Umständen noch kompliziertere Formulierungen zu finden, nur weil wir eine andere Formulierung haben wollten. Dies dient doch schließlich der Ökonomie unserer gleichen Arbeitsweise.
Wir hatten natürlich auch ein zweites Motiv. Wir haben geglaubt, daß wir uns, wenn wir Ihre juristisch einwandfreien Formulierungen nehmen, nicht mehr über Rechtsprobleme oder über Rechtsformulierungen zu streiten brauchen,
sondern vielleicht nur noch über die Höhe der Summen, die wir in diesem Zusammenhang eingesetzt haben, so daß ein weiteres Problem beseitigt worden wäre.
Das Problematischste, Herr Kollege Professor Farthmann, an Ihren Einlassungen war, so meine ich, daß Sie, nachdem Sie uns zunächst den Vorwurf gemacht haben, wir hätten wörtlich abgeschrieben, anschließend von Unausgewogenheit, von Nichtberücksichtigung von einer ganzen Menge von Problemen usw. gesprochen haben. Ich kann dazu nur sagen: Wenn Sie im Gegensatz zu 1968 in Ihren Formulierungskünsten und in Ihren Auffassungen zu dem Problem schlauer geworden sind, haben wir ausreichend Möglichkeit, die Unausgewogenheit in diesem Entwurf — das kann ich auch Herrn Graf Lambsdorff sagen — im Ausschuß zu beseitigen. Uns geht es um die Sache, nämlich um die Beseitigung des Wildwuchses. In einer solchen Sache sollte man nicht in der ersten Lesung an diesen Kleinigkeiten Detailkritik üben.
Im übrigen geht es nicht nur uns um die Sache. Mit Genehmigung des Präsidenten, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich eine Pressemeldung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu diesem Problem zitieren, hinter die wir uns alle voll stellen sollten. In der Pressemeldung vom 29. Juni dieses Jahres heißt es:
Der DGB begrüßt, daß jetzt endlich auch von CDU-Abgeordneten die Initiative ergriffen worden ist, die von den Gewerkschaften seit langem geforderte gesetzliche Begrenzung der Aufsichtsratsbezüge zu verwirklichen.
Der gewerkschaftliche Vorschlag sieht dabei eine Obergrenze von jährlich 6 000 DM vor. Der DGB erwartet, daß nunmehr alle Bundestagsfraktionen dem entsprechenden Gesetzentwurf zustimmen.
Lassen Sie uns in dieser ersten Lesung nicht über das eine oder andere Detail streiten, sondern gemeinsam an die Arbeit gehen und dieses allseits anerkannte Problem in eine Richtung hineinbringen, die uns ordnungspolitisch im letzten glaubwürdig in Fragen der Marktwirtschaft macht.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen; Ich schließe die Aussprache, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß zu überweisen. Es ist ferner die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß beantragt. Ich will zunächst einmal feststellen, ob hinsichtlich der Überweisung an den federführenden Ausschuß Meinungsverschiedenheiten bestehen. — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen. Bestehen Bedenken gegen die Überweisung zur Mitberatung an cien Wirtschaftsausschuß? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr entsprechend unseren interfraktionellen Vereinbarungen zur Abwicklung der heutigen Tagesordnung Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage des Abgeordneten Dr. Schneider und der Fraktion der CDU/CSU betr. Städtebau und Städtebaupolitik
— Drucksachen 7/881, 7/962 —
Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schneider. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.
— Herr Kollege, so hat es mir mein Herr Vorgänger hier hinterlassen.
— Herr Kollege, über den Verfall parlamentarischer Sitten nachzudenken haben wir hier öfter Gelegenheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bodenrechts könnte man durchaus ein Kapitel über den Verfall der Sitten anfügen, freilich in einem anderen Sinne, als es der Herr
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3102 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. SchneiderKollege Schulte gemeint hat. Denn in der Tat hat der Deutsche Bundestag in naher Zukunft schwerwiegende und weitreichende bodenrechtliche Gesetze zu beschließen. Dabei denke ich keineswegs nur an die Novelle zum Bundesbaugesetz, ich denke nicht nur an die steuerrechtlichen Beziehungen, Veränderungen, die hier in Rede stehen, keineswegs nur an die Fortentwicklung des Bodenrechts in weiten Bereichen des sozialen Miet- und Wohnrechts, ich denke an die Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau und an die breite Streuung von Eigentum insgesamt.Die Aufgabe des Gesetzgebers wird jedoch nur dann in sich ausgewogen und sachgerecht erfüllt werden können, wenn klare Wertvorstellungen allseits darüber hergestellt sind, welchen Rang der Eigentumsordnung in unserer Verfassungswirklichkeit beigemessen werden muß. Die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion verfolgt den Zweck, darüber zwischen den Fraktionen, zwischen Parlament und Regierung Klarheit zu gewinnen. Unstreitig ist wohl die Erkenntnis: Wohnungsbau und Städtebau haben einen hohen sozialen Stellenwert, sie bedürfen der politischen Ortsbestimmung.Freilich darf die Eigentumsfrage keineswegs nur vermögensrechtlich, nur besitzbürgerlich oder nur eigentumsideologisch betrachtet werden. Die Partner der eigentumspolitsichen Diskussion in unserem Lande sind alle Gruppen, alle Schichten, alle gesellschaftlichen, alle soziologischen Kreise; die Gewerkschaften sind gleichermaßen angesprochen wie die Land- und Forstwirte, die Mieter wie die Vermieter, die Bodeneigentümer wie die Pächter, die Kirchen wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen in unserem Lande. Die Eigentumsfrage — auch darüber dürfte kein grundsätzlicher Streit herrschen — ist eine grundsätzliche Verfassungsfrage, die sich überall dort und dann stellt, wo im Namen des Fortschritts und einer neuen Gesellschaft der Fortbestand unserer Eigentumsordnung in Frage gestellt wird.Meine Damen und Herren, wir führen heute keine Debatte über die Novellierung des Bundesbaugesetzes, über spezifische Detailfragen eines neuen Bodenrechts, wir führen eine politische, eine Grundsatzdebatte. Denn der Gesetzgeber kann keine städtebaulichen Modellnormen erlassen; Städtebau als schöpferischer Prozeß von geschichtlicher Dimension entzieht sich der kodifikatorischen Normierung. Hier und heute geht es um Rahmenbedingungen. Die Fortentwicklung des Bodenrechts und der Eigentumsordnung ist eine zentrale Führungsfrage. Sie fällt deshalb gewiß nicht nur in den Ressortbereich eines Fachministers, sondern auch in den Kompetenzbereich des Bundeskanzlers. Hier ist die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers angesprochen.Hier haben wir zu beobachten, daß der Herr Bundeskanzler — und seine Funktion als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands kann in diesem Zusammenhang nicht abgetrennt werden — die bodenpolitische, die eigentumspolitische Debatte ausufern, nach extrem links ausufern läßt. Unter seinem Parteivorsitz — das ist unbestrittenund unbestreitbar — werden in einem Dreistufenprogramm der SPD Modelle entwickelt, die unsere demokratische Verfassungswirklichkeit, soweit sie die Eigentumsordnung anlangt, volksdemokratischen Modellen anpassen will.
Reform des Bodenrechts — und das ist eine sehrwichtige Feststellung — setzt ein gemeinsamesEigentumsverständnis voraus.
Die Parteien des Deutschen Bundestages hatten bisher ein gemeinsames Eigentumsverständnis. Die Bundesregierung hat dieses gemeinsame Eigentumsverständnis mit der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion in Frage gestellt, und zwar deshalb — ich werde später noch darauf eingehen —, weil die Bundesregierung auf die exakte Frage, ob es nach der Novellierung des Bundesbaugesetzes, also nach der Kodifizierung eines sozialen Bodenrechts, nach der Verwirklichung der Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 noch notwendig ist, unsere Eigentumsordnung grundlegend zu verändern, damit die Probleme, die dem Städtebau heute und morgen gestellt werden, auch sachgerecht bewältigt werden können, keine exakte Antwort gegeben hat.Wir müssen fragen — das ist die entscheidende Frage —, welche Antwort wir auf die Fehlentwicklung auf dem Bodenmarkt, im Städtebau, im Wohnungsbau, in der Raumordnung und Landesentwicklung, in der Stadt- und der Gemeindeplanung geben müssen. Dabei wird es keine Patentlösungen geben, auch keinen ideologischen Universalschlüssel. Auch kann mit dem Begriff „Lebensqualität" allein kein Fortschritt erzielt werden. Denn die Erkenntnis, daß Lebensstandard nicht gleich Lebensqualität ist, ist eine sehr alte Erkenntnis. Im Weltbild einer christlich orientierten Weltbetrachtung und Partei hat es diese Gleichung „Lebensstandard ist gleich Lebensqualität" noch niemals gegeben. Es wäre auch falsch und sehr verfehlt und verhängnisvoll und äußerst gefährlich, wollte man die bodenpolitische Debatte nur unter einem gesellschaftspolitischen Vorzeichen führen. Der Satz etwa, daß der gesellschaftliche Mechanismus schier ungehemmt der Bodenspekulation Vorschub leiste, ist in dieser apodiktischen Fassung unrichtig. Er kann niemals bewiesen werden. Lebensqualität — darüber will ich mich nicht näher auslassen — ist sicherlich mehr als Lebensstandard.
Wer sich zu den Grundsätzen einer christlichen Weltordnung bekennt,
der kennt auch das Wort aus der Bibel: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein."
— Ich bin gern bereit, Ihnen noch einige mehr zubringen. Wenn ich Ihnen meine Bibelkenntnisse inanderer Weise zur Verfügung stellen darf, darf ich
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3103
Dr. Schneiderzitieren, daß der Weise schweigt, bis es Zeit ist, zu reden. und die Rolle an ihn kommt.
Heute geht es darum — das ist der Sinn derheutigen Aussprache —, ob es in diesem Hause, was das Verständnis der Eigentumsordnung angeht, noch eine gemeinsame politische Plattform geben kann. Zwar hat der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 18. Januar festgestellt: „Der Schutz des Eigentums, aber auch die Beachtung seiner Sozialbindung sind bei dieser Bundesregierung in guten Händen." Meine Damen und Herren, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es ein Bundeskanzler für notwendig befunden, einen solchen Satz in die Regierungserklärung hineinzuschreiben! Warum? Weil landauf, landab die Zahl derer wächst, die sich ernsthafte Sorgen um den Fortbestand unserer Eigentumsordnung, um den Fortbestand des Privateigentums machen.
Auch wächst die Zahl derer, die in der Beseitigung des Privateigentums einen sozialen, einen gesellschaftlichen und einen politischen Fortschritt sehen. Diejenigen, die sich Sorgen machen, haben dafür gute Gründe. Denn solche Modelle setzt nicht irgendein wildgewordener Linksideologe vielleicht da und dort in die Welt. Das regierungs-, das parteiamtliche Fachgremium bei den Sozialdemokraten hat immerhin am 20. Juli 1972 ein Bodenreformmodell vorgestellt,
in dem ein bodenpolitisches Langzeitprogramm angekündigt wird. In diesem Programm steht unter anderem der Satz, das Privateigentum dürfe nicht mehr theoretisch unbeschränkt und nur einzelnen Bindungen und Pflichten unterworfen sein; es dürfe vielmehr schon von der Konzeption her nur die Befugnisse und Rechte umfassen, die nicht in Widerspruch zur Sozialpflichtigkeit stehen.
— So steht es im Grundgesetz nicht. Mit diesemSatz stellen die Bodenrechtsreformer der SPD unsere Eigentumsordnung auf den Kopf.
Sie heben die Eigentumsordnung nach Art. 14 des Grundgesetzes aus den Angeln.
Sicher, nicht alles, was in einer parteiamtlichen Drucksache zu lesen steht, ist letzte Autorität. Aber zu den Autoren dieses Reformmodells gehören die Bundesminister Jahn, Lauritzen und auch der Herr Städtebauminister Dr. Vogel.
Die Opposition hat der Bundesregierung deshalb eine gute und gewiß auch faire Gelegenheit geboten, ihr Grundverständnis von Eigentum und Eigentumsordnung exakt darzulegen. Sie gab ihr eine Chance, Farbe zu bekennen. Wir wollten sie beim Wort nehmen. Die Bundesregierung aber schweigt, ich möchte sogar sagen, die Bundesregierung verschweigt. Weil die Bundesregierung glaubt, sie brauche der Opposition auf die gleiche Frage keine Antwort zu geben, auf die sie im 6. Bundestag unter anderen Vorzeichen jeweils exakt geantwortet hat, ist die Opposition gezwungen, auf andere Erkenntnisquellen zurückzugreifen. Im Städtebaubericht 1970 der Bundesregierung steht immer noch der Satz, der bei weiteren Anfragen wiederholte Male als die Auffassung der Bundesregierung ohne Abstriche bestätigt wurde ich zitiere —:Um auftretende Mißverhältnisse zwischen der gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Bodens auszugleichen, bedarf es keineswegs einer Veränderung der gegenwärtigen Eigentumsordnung. Es genügt vielmehr eine Ausschöpfung des verfassungsrechtlichen Gestaltungsrahmens des Art. 14 des Grundgesetzes.Diesen Boden hat die Bundesregierung jetzt verlasen.
Warum hat die Bundesregierung diese Einlassung nicht wiederholt? Ich glaube, es gibt zwei Gründe dafür. Zum einem liegt eine Bundestagswahl hinter uns, und zum anderen hat im April dieses Jahres der SPD-Parteitag in Hannover stattgefunden.
Wer die Parteitagsprotokolle liest, wer die Parteitagsbeschlüsse zur Kenntnis nimmt, weiß, daß der nächste SPD-Parteitag
sich mit einem Bodenreformmodell zu befassen hat, mit dem das Nutzungs- und Verfügungseigentum zur Grundlage der künftigen Eigentumsordnung in unserem Lande gemacht werden soll.
— Herr Waltemathe, da Sie in so freundlicher Weise einen Zwischenruf machen, möchte ich Ihnen sagen: Ich glaube, Sie sind es sogar gewesen, der in Hannover unter Bezugnahme auf ein Vorschlagspapier aus Bremen wörtlich gesagt hat: Das Volleigentum an Grund und Boden ist langfristig generell abzuschaffen. Sie meinten dort auch, daß der Parteitag genau diese Tendenz aussprechen müsse. Der Vorsitzende der Jungsozialisten, Herr Wolfgang Roth, ließ keinen Zweifel daran, daß er in der Aufspaltung des Eigentums in ein Verfügungs- und Nutzungseigentum eine Kommunalisierung sehe, wie sie der Jungsozialistenkongreß vom April 1971 in Mannheim formuliert habe.Ein enger Mitarbeiter des Herrn Städtebauministers, der sich besonders durch die ideologische Begründung dieser neuen Eigentumsordnung hervor-
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3104 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Schneidertut, sagte vor dem Juristentag in einer etwas merkwürdigen Diktion: Ich habe mich zeit meines Lebens gefragt, warum sterbliche Menschen ein ewiges Nutzungsrecht brauchen. Wohlgemerkt, dieser Herr aus dem Städtebauministerium, der zum engen Mitarbeiterstab des Herrn Ministers gehört, spricht schon gar nicht mehr vom ewigen Eigentum wie der Herr Minister selbst, sondern dem ist schon ein ewiges Nutzungsrecht zu viel. Dieser Herr hätte zumindest wissen müssen, daß das Bodenrecht der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen und der DDR im Gegensatz zu seinen Vorstellungen ein ewiges Nutzungsrecht kennt. Im polnischen Bodenrecht ist sogar der Terminus technicus „ewiges Nutzungsrecht" als Legaldefinition in dem einschlägigen Gesetz enthalten. Aber diesem Herrn geht sogar ein ewiges Nutzungsrecht zu weit. Er sprach von „sterblichen Menschen". Ich muß sagen, ich fühle mich fast an Nietzsches Zarathustra erinnert
— nein, das steht im Zarathustra —, der •gesagt hat,daß falsche Werte und Wahnvorstellungen die schlimmsten Ungeheuer für Sterbliche seien. Bei jenem Herrn ist es das ewige Nutzungsrecht.Das neue Eigentumsverständnis ist auch ein Thema, dem sich der Herr Städtebauminister bei seinen vielen Reden mehr und mehr zuwendet. Freilich, Herr Minister, haben Sie sich noch im Februar dieses Jahres gegen ein ewiges Eigentum ausgesprochen, werden Ihre Formulierungen zu diesem Thema in jüngster Zeit das gebe ich zu — etwas zurückhaltender. Jetzt sprechen Sie davon, daß es sich bei dem Nutzungseigentum lediglich uni eine andere, neue Rechtsform, eine andere Eigentumsform handle.Wer das so liest, gewinnt den Eindruck, daß es neben dem Volleigentum, dem Teileigentum, dem Miteigentum und neben anderen Realrechten am Eigentum noch eine weitere, neue Form geben soll. Wenn das so wäre, müßte ich fragen: Warum genügt denn dann nicht das Erbbaurecht?
— Ich darf es Ihnen gleich sagen. Das Erbbaurecht hat sich hervorragend bewährt.
Das Nutzungseigentum soll deshalb eingeführt werden so heißt es wiederum in dem SPD-Papier —, weil man eben mit einer Ausschöpfung des Art. 14 GG offensichtlich nicht zu Rande kommt; denn da heißt es, zwischen den Ritzen der Gesetze und Maßnahmen wachse das Eigentum jedoch sofort wieder in den sozialwidrigen Bereich hinein. Deshalb müsse man in Zonen raschen Wandels, in Kernbereichen mit hoher Investitionsintensität, in Entwicklungsgebieten von Ballungszonen oder in stadtnahen Erholungsflächen das Eigentum als Verfügungseigentum den Gemeinden übertragen und Nutzungsrechte daran verteilen, und zwar durch Beschlüsse der kommunalen Vertretungskörperschaften. Wesentlich und ausschlaggebend an diesen Vorstellungen ist doch die Tatsache, daß es sich bei den sogenannten Problemgebieten um die Flächen handelt, denen für unser gesamtes wirtschaftliches, soziales und gesellschaftliches Leben eine fast ausschließliche Bedeutung zukommt.Meine Damen und Herren, hier wird gesagt, man wolle nur in den drei eben genannten Problemgebieten das Nutzungseigentum einführen und wolle man unsere Eigentumsordnung aufspalten. Auf dem SPD-Parteitag in Hannover ich komme noch einmal darauf zurück, weil er, was bodenpolitische Erkenntnisse in Ihrem Sinne betrifft, sehr fündig ist —
sagte auch der Herr Minister, daß das Nutzungseigentum zunächst einmal in Problemgebieten eingeführt werden soll. „Zunächst einmal" heißt: Der Bereich, auf den sich das Verfügungs- und Nutzungseigentum erstrecken soll, wird dann noch erweitert. Die Richtung geht also dorthin, was Sie, Herr Waltemathe, gesagt haben, daß man generell den ganzen Grund und Boden sozialisieren sollte.
— Das muß ich aus den Worten „zunächst einmal" schließen. — Dann darf ich sagen, daß auch der SPD-Unterbezirk Frankfurt in den Mai-Papieren davon ausgeht, daß das gesamte Stadtgebiet auf die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften übertragen wird.Nun ist auch darauf darf ich eingehen — imSPD-Modell davon die Rede, daß im Normalfall eigengenutzte Eigenheime und Eigentumswohnungen sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen von der Vergesellschaftung nicht betroffen werden sollen. Ich halte diese Einschränkung für einen taktischen Vorbehalt; denn niemand hat erklärt, was der „Normalfall" ist. Würden wir so verfahren, hätten wir eine gespaltene Eigentumsordnung. Damit wäre zwangsweise eine Entwicklung eingeleitet, durch die sich die ganze bodenpolitische Problematik auf andere Bereiche außerhalb dieser Problemgebiete verlagern würde, und eines Tages würde eine gespaltene Eigentumsordnung zwangsläufig dazu führen, daß sie nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit für das gesamte Bundesgebiet eingeführt wird.Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister hat im Zusammenhang damit, als er sein bodenpolitisches Programm näher begründete, auch davon gesprochen, daß man nicht mehr sagen könne, Sozialismus sei gleich Sozialisierung, das sei einmal ideologisches Gedankengut der SPD gewesen. Das Godesberger Programm habe diese Gleichung aufgehoben; Sozialismus bedeute heute nicht mehr Sozialisierung. Er hat festgestellt, wann man sozialisieren müsse, sei eine Frage der Erfahrung.Ich darf feststellen, daß ein Vergleich mit anderen Ländern uns Antwort auf die Frage geben kann, wann die Erfahrung eine Sozialisierung, eine Kommunalisierung von Grund und Boden nahelegt. In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage steht:Insgesamt kann festgestellt werden, daß derStädtebau in den westlichen Staatengruppenden Vergleich mit den Lösungen der anderen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3105
Dr. SchneiderStaatengruppen nicht zu scheuen braucht, ja, deutliches Übergewicht besitzt. Der in der Bundesrepublik Deutschland eingeschlagene städtebauliche Weg ist daher richtig; er sollte weiter begangen werden. Er ist vor allem geeignet, den Städtebau in einer Weise fortzuentwickeln, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird.Wenn also der Städtebau in den Staaten mit einer privatrechtlichen Eigentumsordnung dem Städtebau in den Staaten mit einer sozialistischen Eigentumsordnung überlegen ist, dann frage ich: Weshalb brauchen wir eine andere Eigentumsordnung? Weshalb brauchen wir eine andere Sozialordnung? Weshalb brauchen wir ein Nutzungsrecht? Weshalb brauchen wir ein Verfügungseigentum?
Die Bundesrepublik Deutschland wurde unter dem Vorzeichen einer privatrechtlichen Eigentumsordnung wiederaufgebaut. Unter dem Vorzeichen einer privatrechtlichen Eigentumsordnung wurde die Marktwirtschaft zum bestimmenden Prinzip unserer Wirtschaftsordnung. Und was ist in dieser Zeit geleistet worden, gerade auf dem Gebiet des Wohnungsbaus! Von 1949 bis 1972 sind über 12,8 Millionen Wohnungen gebaut worden, darunter 5,8 Millionen Sozialwohnungen. Insgesamt 22 Millionen Wohnungen stehen 23 Millionen Haushaltungen gegenüber. Der Herr Minister hat einmal in einer Rede einen Vergleich zu anderen Staaten gezogen und mußte zugeben, daß unser Wohnungsbau eine großartige Leistung ist, eine Leistung, die nur unter unseren freiheitlichen witrschaftlichen Voraussetzungen möglich war
und im Rahmen unserer privatrechtlichen Eigentumsordnung.
Die Formel „eigentumsrechtliche Lösung" im SPD-Papier enthüllt sich bei näherer Untersuchung als ein verbaler Kunstgriff, als eine wortstrategische Finte. Diese Formel ist doch nur — gestatten Sie den Ausdruck — eine dialektische Raffinesse. Es wird von einer eigentumsrechtlichen Lösung gesprochen, wo doch viel sachbezogener und ehrlicher — Ihre Zwischenrufe beweisen mir das — von einer enteignungsrechtlichen Lösung gesprochen werden müßte.
Man gebraucht den Begriff „Eigentum" im Zusammenhang mit einem Nutzungsrecht an Eigentum. Man spricht von Nutzungseigentum, wo es nur ein Nutzungsrecht an fremdem Eigentum ist. Ich muß sagen: gekonnte, wortstrategisch eine erstklassige Leistung. Die großen Wortstrategen der Weltgeschichte hätten es nicht besser gekonnt. Ich erinnere mich, daß in „Il Principe" von Macchiavelli, ein Renaissancemensch, der Satz steht, daß man einen Schatten der alten Einrichtungen beibehalten müsse, damit die Staatsordnung dem Volke unveränderterscheint, auch wenn sie völlig verändert werden soll. Denn die Mehrzahl der Menschen lasse sich mit dem Schein so gut abspeisen wie mit der Wirklichkeit. Deswegen Nutzungseigentum und nicht Nutzungsrecht!Manches Mal — das ist geboten bei einer Grundsatzdebatte — halte ich es für erforderlich, einmal nach den geistigen Wurzeln einer solchen Wertvorstellung im Eigentumsrecht zu suchen. Da muß ich zurückgehen auf Karl Marx. Karl Marx ist sicherlich ein großer Autor, und jeder, der im Zusammenhang mit der Eigentumsordnung zu grundsätzlichen Punkten das Wort nimmt, sollte diesen Mann gelesen haben.Karl Marx hat sich in vielen Punkten geirrt; das wissen Sie auch. Aber an keinem Punkt hat er sich mehr geirrt als in dem Punkt privateigentumsrechtlicher Wertung. Er hat beispielsweise gemeint, als er die bürgerliche Gesellschaft definiert hat: „In ihr erwerben die, die arbeiten, nichts, und die erwerben, arbeiten nicht."
— Dazu darf ich Ihnen sagen: Einer aus den Reihen der Jungsozialisten, der Bundesvorsitzende, hat das Kommunistische Manifest von Marx sehr sorgfältig studiert.
Denn nur, wenn er das getan hat, war er in der Lage, in einer renommierten Monats-Zeitschrift, genannt „Playboy", im April dieses Jahres folgenden Satz von sich zu geben.
— Den lese ich auch.
Lieber Kollege Batz, hätte ich ihn nicht gelesen, wäre ich ja auf diese Sätze, die ich jetzt mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zu zitieren mir gestatte, nicht gestoßen.Herr Wolfgang Roth hat folgendes geschrieben:
Man kann ja eigentlich nur etwas wegnehmen, was jemandem gehört. Nun weigere ich mich anzuerkennen, daß derjenige, der den hohen Kapitalbesitz hat und der andere für sich arbeiten läßt, in einem politischen und sozialen Sinne tatsächlich Eigentümer ist. Insofern nimmt man diesen Leuten eigentlich nichts weg. Man stellt nur gerechte Verhältnisse her.
Dieser Satz spricht Bände. Er könnte von Karl Marx stammen,
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3106 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Schneiderund er paßt nahtlos in die Ideologie des Kommunistischen Manifestes.
— Werter Herr Kollege Dürr, ich stelle nur fest, daß der Autor dieses Satzes ein hoher Funktionär innerhalb der SPD ist. Er ist der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, er sitzt im Parteivorstand, und er spricht für sehr viele in Ihrer Partei. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundesvorsitzende der CDU in gleicher Weise Geduld und Langmut üben würde, wenn es dem Vorsitzenden der Jungen Union einfiele — was nur ein theoretischer Gedanke ist und praktisch unmöglich wäre —, in ähnlicher Weise
von der Grundlinie der Partei abzuweichen, wie Wolfgang Roth das getan hat. Oder — das ist die ernste Frage in dieser Stunde — ist er gar nicht abgewichen?
Ich will deshalb auf die grundsätzlichen Dinge eingehen, weil die Frage unserer Eigentumsordnung zum Grundverständnis unserer Demokratie gehört. Der Kampf um ein lehenfreies Privateigentum ist identisch mit dem Kampf um die Mündigkeit des Bürgers, um die Herstellung demokratischer Rechte, um die Einführung von Grundrechten in unserem Staat.
Es ist bezeichnend, daß die erste Reichsverfassung, die mit demokratischem Öl gesalbt war, die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849, in mehreren Punkten das Privateigentum verfassungsrechtlich erstmals konstituiert, das Lehensrecht abschafft. Das geschah zum gleichen Zeitpunkt, zu dem der Kampf um mehr Demokratie und Liberalismus in unserem Lande erfolgreich war und als die persönliche Freiheit, die Brieffreiheit, die Wohnungsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und auch die Eigentumsfreiheit eingeführt wurden. Am Anfang der Demokratie stand das Privateigentum— daran kann gar kein Zweifel bestehen —, und am Ende der Demokratie, am Anfang der Diktatur steht die Beseitigung des Privateigentums.
Auch dafür gibt es sehr, sehr eindrucksvolle Beispiele aus der Geschichte.
— Verehrte Kollegen Immer und Waltemathe, ich darf Ihnen zwei Beispiele bringen, wenn Sie mich so herausfordern.Zu den ersten Gesetzen der kommunistischen Revolution 1917 gehört das „Dekret über den Boden" vom 8. November 1917. Mit diesem Dekret istder gesamte Grund und Boden der Sowjetunion verstaatlicht worden; er ist bis auf den heutigen Tag noch verstaatlicht. — Ein anderes Beispiel: Am 28. Februar 1933, vier Wochen nach Machtergreifung Adolf Hitlers, erging die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat durch den Reichspräsidenten, und es wurden sieben Artikel aufgehoben. Jetzt bitte ich Sie, einmal den Sinnzusammenhang, die historische Wirkung und die rechtliche Einheit dieser Verordnung im Zusammenhang mit unserer heutigen Debatte zu sehen. Welche Artikel wurden aufgehoben? Die Persönliche Freiheit wurde aufgehoben, die Wohnungsfreiheit wurde aufgehoben, die Brieffreiheit wurde aufgehoben, die Meinungsfreiheit wurde aufgehoben, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, die Gewerkschaften, und als siebte Grundfreiheit wurde der Art. 153 aufgehoben, der dem Art. 14 des Grundgesetzes entspricht.
— Ich darf Ihnen sagen: Es ist eine historische Wahrheit, daß am Anfang die Auflösung des Artikels zum Schutze des Eigentums steht und daß die Eigentumsfreiheit, der Schutz des Privateigentums mit der demokratischen Struktur der Gesellschaft unseres Landes außerordentlich viel zu tun hat.
— Ich darf Ihnen nur sagen, daß das eine geschichtliche Wahrheit ist.
Ich habe nur zwei geschichtliche Beispiele dafür geboten, wie sehr am Anfang der politischen Mündigkeit des Bürgers in unserem Lande die verfassungsrechtliche Garantie der Eigentumsfreiheit stand,
wie sehr die Einführung des Privateigentums mit der Einführung der demokratischen Grundrechte verbunden war und daß am Ende dieser Freiheiten auch das Ende des Privateigentums gekommen war. Das und nichts anderes habe ich hier behauptet.
— Ich möchte hier keine historische Untersuchung machen.
Ich bin auch nicht der Meinung, daß ich mich zu diesem Punkte nicht konkret genug ausgedrückt hätte.Ich bitte nur folgendes zur Kenntnis nehmen zu wollen. Ich behaupte keineswegs, daß extreme Äußerungen die Auffassungen der Sozialdemokratischen Partei in toto seien. Ich erlebe tagtäglich den Kampf des Herrn Städtebauministers, den er gegen äußerst linke Mitglieder seiner Partei oder der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3107
Dr. SchneiderJungsozialisten mit mehr oder weniger Glück zu führen hat. Herr Minister, ich darf in diesem Zusammenhang auf Ihre Hamburger Rede vorn 20. September 1973 verweisen. Ich darf dazu sagen, daß vieles, was in dieser Rede steht, auch von mir stammen könnte, wenn ich auch nicht der Meinung bin, daß man nur als Sozialdemokrat und nur aus dem Verständnis des demokratischen Sozialismus für soziale Gerechtigkeit, für gesellschaftlichen Fortschritt und für mehr Lebensqualität kämpfen könne. Ich kann an den Satz im Godesberger Programm nicht glauben, der da lautet:Sozialismus wird nur durch Demokratie verwirklicht, Demokratie nur durch Sozialismus erfüllt.Dieser Satz gäbe Anlaß zu vielen grundsätzlichen Erörterungen.Man macht uns, die wir uns für unsere privatrechtliche Eigentumsordnung im Sinne des Art. 14 GG einsetzen, den Vorwurf, wir seien konservativ. Nun, ich muß Ihnen ehrlich sagen:
Im wahren Sinne des Wortes ist konservativ die einzige Geisteshaltung, die auf die Dauer den Fortschritt gewährleistet.
Ich darf Ihnen sagen: Sogar Max Horkheimer, der sicher nicht von der konservativen Seite kommt, hat erst vor kurzem noch — es war eine seiner letzten Äußerungen — gesagt:. . ., so wie der wahre Revolutionär dem wahren Konservativen verwandter ist als dem sogenannten Kommunisten heute.Wer ist konservativ? — Konservativ ist derjenige, der etwas aus der Geschichte gelernt hat; konservativ ist der, dem Lebenserfahrung etwas bedeutet; konservativ ist der vielleicht, der als junger Mensch glaubt, daß der ältere Mensch mehr Erfahrung hat und daß man auf ihn gelegentlich auch hören darf; konservativ ist der, der nicht glaubt, daß alles Neue bereits besser ist. Hier erinnere ich mich an ein Wort von Grillparzer, der einmal in bezug auf die Schwarmgeister seiner Zeit gesagt hat:Bessere! Bessere nur zu! Auch selbst das Gute verbessere! Alles sei besser, und nichts sei am Ende mehr gut!In dem Sinne bin ich ein Konservativer und ein Garant des Fortschritts zugleich.
Meine Damen und Herren, bei der Frage, die gelautet hat, ob die Bundesregierung der Auffassung sei, daß es auch nach der Novellierung des Bundesbaugesetzes einer grundsätzlichen Neuordnung unserer Eigentumsstruktur bedürfe, ging es ausschließlich darum, ob die Bundesregierung, die zweite Regierung Brandt/Scheel in ihrer Gesamtheit, noch diegleiche Auffassung für richtig hält, die die erste Regierung Brandt/Scheel im 6. Bundestag mehrfach für richtig gehalten hat, daß es nämlich nur darauf ankomme, den Gestaltungsrahmen des Art. 14 GG voll auszuschöpfen. Die Bundesregierung hat auf diese präzise Frage keine Antwort mehr gegeben.
— Sie hat keine Antwort gegeben. Die Bundesregierung hat wörtlich erklärt:Die Einführung eines Nutzungseigentums ist inin der Regierungserklärung nicht vorgesehen.Das ist keine Antwort auf unsere Frage; das haben wir gelesen, das haben wir gehört.Die Bundesregierung verfolgt jedoch die seit längerer Zeit hierüber laufende fachliche und politische Diskussion.Die Sozialdemokraten haben diese Diskussion selbst vom Zaun gebrochen. — Und dann wörtlich:Sie sieht keinen Anlaß, zu dieser Diskussion im gegenwärtigen Zeitpunkt Stellung zu nehmen.Meine Damen und Herren, das ist doch die entscheidende Frage. Wenn die Bundesregierung heute erklärt: es bleibt bei der Stellungnahme im Städtebaubericht 1970, dann ist die eigentumspolitische Gemeinsamkeit zwischen den Fraktionen in diesem Hause hergestellt. Es ist Sinn dieser Großen Anfrage, und es ist Sinn dieser heutigen Debatte, daß wir uns bei allem Streit über Details oder Nuancen bei der Gesetzgebung im Einzelfall über den Grundsatz klar sind, daß wir im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts an unserer privatrechtlichen Eigentumsordnung festhalten wollen.Unsere Zweifel sind berechtigt. Die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung heute noch das. gleiche wolle wie im 6. Bundestag, ist auch deshalb gerechtfertigt, weil Sie, Herr Bundesminister Vogel, in einem Aufsatz in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" unmißverständlich den Satz geschrieben haben, das Nutzungseigentum könne mittels eines einfachen Gesetzes auf der Grundlage des Art. 15 eingeführt werden. Hier wird zum erstenmal in der bodenrechtlichen, bodenpolitischen Diskussion der Art. 15 als eine Grundnorm angesprochen, mittels derer man das Bodenrecht weiterentwickeln will.Nun haben Sie gesagt, Herr Waltemathe, das stehe auch in der Verfassung. Richtig! In Art. 15 steht der Satz, daß Bodenschätze, Produktionsmittel sowie Grund und Boden vergesellschaft werden können. Sie wissen aber, daß dies kein Freibrief für eine totale Vergesellschaftung ist;
denn immer noch gibt es Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf. Wer allerdings den Weg des Art. 15 beschreitet, der nimmt Abschied von unserer bisherigen privatrechtlich orientierten Eigentumsordnung, der nimmt gleichzeitig
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3108 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. SchneiderAbschied von unserer bisherigen Wirtschaftsordnung,
der sagt zugleich der freien sozialen Marktwirtschaft Lebewohl. Das sind die Konsequenzen.
— Die Verfassung schreibt uns die freie soziale Marktwirtschaft nicht zwingend vor; sie läßt auch ein anderes Wirtschafts- und Sozialsystem zu.
Nur waren sich bisher alle Parteien in dieser Frage einig. Ich kenne sehr renommierte Sozialdemokraten, die einmal heilige Eide auf die soziale Marktwirtschaft geschworen haben. Es gab ein gemeinsames Verständnis dafür. Wenn Sie jedoch den Weg des Art. 15 beschreiten wollen, dann nehmen Sie Abschied von dem, was bisher gemeinsames Gut war.
— Hier wird gesagt: „kein Geld, um zu zahlen". Dazu darf ich sagen, daß in dem SPD-Papier und in einem Artikel von Herrn Minister Vogel folgender interessanter Gedanke steht: Die Überführung von Privateigentum in Verfügungseigentum soll abgegolten werden; es soll also eine Entschädigung dafür geben. Auch Art. 15 sieht eine Sozialisierung nur im Wege einer Entschädigung nach Maßgabe von Art. 14 vor.
In diesem Artikel wird jedoch vorgeschlagen, der Nutzungsberechtigte, der Inhaber des sogenannten Nutzungseigentums, sollte dann ein Nutzungsentgelt zahlen. Das könnte man deshalb leicht machen, weil man die Nutzungsentschädigung gegen das Nutzungsentgelt aufrechnen könnte. Auf diese Weise könnte das Ganze langfristig gesehen recht billig werden. Ich glaube, daß dieser Gedanke nicht ganz ernstgemeint ist, denn der Art. 15 steht auch unter der Entschädigungspflicht des Art. 14.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Fraktion der CDU/CSU, die Parteien CDU und CSU sind bereit und entschlossen, mit der Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums im Rahmen des Art. 14 Ernst zu machen.
Im übrigen darf ich Ihnen sagen, daß das keine neue Erkenntnis ist.
Diejenigen, die ein bißchen mit dem vertraut sind, was über das bodenrechtliche Thema in diesem Hause schon gesprochen worden ist, wissen,
daß bereits am 1. September 1950 vom damaligen Minister Wildermuth ein Regierungsentwurf vorgelegt worden ist, der alle diese Modelle — Bodenwertausgleich, Erweiterung des Vorkaufsrechts und viele andere Instrumente eines modernen Bodenrechts — enthielt. Was in der vorliegenden Novelle der Bundesregierung steht, ist nichts Originäres.
Im Oktober 1955 gab es sogar einen gemeinsamen Antrag auf Erlaß eines Bundesbaugesetzes. 127 Abgeordnete haben unter Führung von Paul Lücke diesen Antrag interfraktionell eingebracht.
— Die Sache kam nicht zustande, unter anderem auch deshalb, weil erst die Finanzreform des Jahres 1969 die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Konstituierung eines Planungswertausgleichs im Bundesbaugesetz geschaffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es überhaupt an der verfassungsrechtlichen Voraussetzung gefehlt.Ich habe mir sehr genau die Protokolle der zweiten und der dritten Lesung zum Bundesbaugesetz vom 18. und 20. Mai 1960 durchgelesen. Da werden Sie finden, daß man dies zwar moniert hat, daß die Sozialdemokraten es aber unterlassen haben, diesen Verfassungsänderungsantrag überhaupt erst zu stellen. Erst durch die Große Koalition, ,die bekanntlich einen Kanzler der CDU hatte,
sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Neuordnung des Bodenrechts in dem Sinne geschaffen worden, über den wir uns im Grundsatz einig sind.Meine Damen und Herren, wir von CDU und CSU sind bereit, mit Ihnen gemeinsam die anstehenden Gesetze zur Fortentwicklung des Bodenrechts zu verabschieden. Wir sind dazu aber nur unter einer Bedingung bereit: daß die privatrechtliche Eigentumsordnung auf der Grundlage des Art. 14 des Grundgesetzes
den Rahmen bildet. Wir sind nicht bereit, den sozialistischen Weg in den bodenpolitischen Irrtum mitzumachen.
Damit ist die Große Anfrage begründet. Das Wort zur Beantwortung hat für die Bundesregierung der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herr Dr. Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schneider, wir haben schon gelegentlich im kommunalpolitischen Bereich die Klingen gekreuzt. Ich habe Ihrer heutigen Rede mit großer Spannung ent-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3109
Bundesminister Dr. Vogelgegengesehen und hatte eigentlich erhofft und erwartet, daß Sie zu den brennenden Fragen der Stadtentwicklung konstruktive und detaillierte Beiträge leisten würden.
Die Fragen, die Sie gestellt haben, Herr Kollege Dr. Schneider, ließen das erwarten. Es waren sachliche Fragen, an die sich tatsächlich eine tiefschürfende und auch die gemeinsame Basis auslotende Diskussion hätte anschließen können.Aber was wir erlebt haben, Herr Kollege Dr. Schneider, war trotz der vielen Zitate und der unterschiedlichen Belegstellen und der unterschiedlichen Publikationsorgane, die Sie herangezogen haben, im Grunde eine Gespensterbeschwörung,
und zwar eine Beschwörung, Herr Kollege Dr. Schneider, des Gespensts der Enteignung, der Sozialisierung, dem Sie einen neuen Mantel umgehängt haben, weil die alten Kleidungsstücke ein bißchen löchrig geworden sind. Dieser neue Mantel heißt Nutzungseigentum.Ich habe mir überlegt: Warum tut das ein Mann mit dieser kommunalpolitischen Erfahrung? Ich glaube, es gibt dafür zwei Erklärungen.Die erste Erklärung: Sie wollten einfach eine Entlastungsoffensive, eine Entlastungsaktion starten. Sie wollten damit verdecken, daß Sie in weiten bodenrechtlichen Bereichen, die heute aktuell sind, die Konzeption der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien übernommen haben.
ich beziehe mich dabei auf die Beschlüsse des Parteitags Ihrer Partei am letzten Wochenende.
Sie haben jetzt sogar — als Bayer bin ich stolzdarauf — die CDU kurzfristig überholt. Sie haben bereits Beschlüsse des Parteitags, die CDU hat erst ein Bodenrechtspapier. Ich hoffe, daß die CDU diesen kleinen Vorsprung ausgleicht, indem sie auch die Bodenwertzuwachssteuer wie das in ihremPapier steht mit übernimmt. Daß Sie, Herr Kollege Schneider, zur Bodenwertzuwachssteuer geschwiegen haben, gibt mir die Hoffnung, daß die CDU diesen Schritt tut.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Minister, gestatten Sie die Empfehlung, den steuerpolitischen
Thesenteil des Bodenrechtspapiers der CSU nachzulesen. Da steht in einem schönen deutschen Indikativ der Satz: „Die CSU lehnt die Bodenwertzuwachssteuer ab."
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Deswegen, Herr Kollege Schneider, habe ich der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die CDU trotz dieser Mahnung aus München an ihrer Vorlage festhält.
Es gibt ja, Herr Kollege Schneider, erfreulicherweise in steigendem Umfang Fälle, in denen sich die CDU selbständig macht und das beschließt, was sie für richtig hält. Das gibt es.
Ich bin dankbar, daß Sie diesen Vorgängen solche Aufmerksamkeit schenken.Ich nenne die Stichworte: Planungswertausgleich, preislimitierendes Vorkaufsrecht, Reform des Entschädigungsrechts. Herr Kollege Dr. Schneider, meine Damen und Herren von der Opposition: Das sind doch alles Maßnahmen, die Sie vor wenigen Jahren erbittert bekämpft und mit ähnlichen Argumenten abgelehnt haben, wie Sie sie heute in anderem Zusammenhang vorgetragen haben.
Nicht, weil ich irgendeiner theoretischen Lehre folge, sondern unter dem Eindruck der Münchener Erfahrungen, der Erfahrungen einer Großstadt mit besonderen Herausforderungen, habe ich schon in der ersten Hälfte der 60er Jahre den Planungswertausgleich, das preislimitierende Vorkaufsrecht und all diese Dinge in München gefordert. Da beschuldigte mich ein ebenfalls in München erscheinendes Wochenblatt, dem ich aber im Gegensatz zum „Playboy" nicht das Adjektiv „renommiert" zugestehen würde,
daß ich mir damit Gedankengut und Sprache der SED zu eigen machen würde.
Dennoch, Herr Kollege Schneider, ich habe für die Entlastungsaktion, die Sie vorgetragen haben, politisch kollegiales Verständnis. Sie stehen ja selber unter schlimmem Verdacht. Bei der Beratung des Bodenrechtspapiers auf Ihrem Parteitag hat der sehr geschätzte Kollege Niegel
zu Ihnen auf das Podium an Ihre Adresse hinaufgerufen: „Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir das Vokabular der Linken einschließlich des Herrn Vogel übernehmen und das Eigentum an Grund und Boden verteufeln."
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3110 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Bundesminister Dr. VogelHerr Kollege Schneider, ich verstehe, daß man sich da natürlich ein bißchen sichern muß. Dennochdas meine ich jetzt ganz im Ernst — empfinde ich Genugtuung über die Beschlüsse, die Sie gefaßt haben. - Das ist sicher ein Fortschritt. Sie haben aus der Bibel zitiert. Ich erinnere hier an das Weinberg-Gleichnis und verweise darauf, daß über die, die in der elften Stunde gekommen sind, die gleiche Freude herrscht wie über die, die schon in der ersten Stunde da waren.
Nur die Zeitunterschiede!
— Herr Kollege, sie bekommen den gleichen Lohn. Daraus ist das Institut der Gnade abgeleitet. Daß Ihnen die Gnade zuteil werde, dagegen besteht überhaupt gar kein Einwand.
Eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Erhard.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß es in der Bibel, wo von demjenigen die Rede ist, über den die Freude herrscht, etwa heißt, daß derjenige, der als Sünder in den Himmel komme, im Himmel mehr Freude auslöse als 99 Gerechte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich wollte höflich sein und habe deswegen das Weinberg-Gleichnis so interpretiert. Sie meinen das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der zurückkehrt. Mir steht nicht an, die Opposition als verlorenen Sohn zu bezeichnen.
Herr Kollege Dr. Schneider, das ist für mich die erste Erklärung, warum Sie so argumentiert haben, wie Sie argumentiert haben. Aber ich glaube, es gibt noch eine zweite Erklärung, die im Grunde weniger erfreulich ist. Diese zweite Erklärung ist, daß Sie hier in der Tat den Versuch unternommen haben, eine neue Verteufelungskampagne in Gang zu setzen. Wenn Sie von volksdemokratischen Verhältnissen sprechen, wenn Sie auf die Oktoberrevolution hinweisen, wenn Sie in diesem Zusammenhang von der Hitlerschen Notverordnung reden, dann kann das nur den Sinn haben, die Angst von Millionen Kleineigentümern zu mobilisieren;
ich will nicht unterstellen: zum Schutz wenigerGroßer, um deren materieller Interessen es geht.Aber eines werden Sie auf jeden Fall bewirken: daßdurch das Schüren dieser Angst die Lösung dringender gesellschaftspolitischer Probleme nicht leichter,sondern schwieriger, zeitraubender und härter wird.
Bei dieser Bemühung, Herr Kollege, kann Ihnen die Bundesregierung leider nicht behilflich sein. Es gibt keine Erklärung dieser Bundesregierung zur Frage des Nutzungseigentums; auch gibt es weder eine Zustimmung noch eine Ermunterung seitens der Bundesregierung. Die Bundesregierung sieht, daß darüber eine ernsthafte Diskussion geführt wird, an der sich Verbände, die Kirchen, Sachverständige und die politischen Parteien beteiligen. Die Bundesregierung — das erkläre ich im Namen dieser Bundesregierung — verfolgt diese Diskussion mit Interesse. Sie lehnt es aber ab, den Ergebnissen dieser Diskussion im gegenwärtigen Zeitpunkt vorzugreifen und voreilige und vorschnelle Äußerungen zu tun.
Warum sträuben Sie sich eigentlich, Herr Kollege Dr. Schneider, sich in differenzierender Weise an dieser Diskussion zu beteiligen. Die Diskussionsbeteiligung von Ihnen kommt ja doch! Es ist doch bei allen großen gesellschaftspolitischen Fragen bisher so gewesen, daß das Thema — von den fortschrittlichen Kräften angerissen — zunächst auf wütenden Widerstand stieß. Nach fünf Jahren haben Sie an der Debatte teilgenommen, und nach zehn Jahren kam dann auch Ihre Zustimmung. Vereinfachend könnte man sagen, Herr Kollege: Daß Sie jetzt der ersten Stufe der Bodenrechtsreform zustimmen, ist fast ein Indiz dafür, daß die zweite Stufe bereits notwendig geworden ist. So könnte man argumentieren.
Im übrigen: Ist denn eine weitere Eigentumsform, eine weitere dinglich-rechtliche Beziehung zwischen Menschen und dem Grund und Boden von vornherein etwas Schlechtes? Hat denn nicht das neue Erbbaurecht, das es doch eigentlich erst seit 1919, seit der Notverordnung, gibt — das alte Erbbaurecht war ja nicht praktikabel —, die Palette erweitert?!
Und wenn Sie außer bei Grillparzer einmal im Protokoll über die Beratungen nachlesen, die dieser Verordnung vorausgingen, dann werden Sie finden, daß die damaligen konservativen Kräfte mit ganz ähnlichen Argumenten der Ausweitung des Erbbaurechts entgegengetreten sind.Und wie ist es denn mit der Reichsheimstätte? Ist denn die Reichsheimstätte, die als einziges konkretes Ergebnis der Damaschke'schen Bemühungen im Jahre 1920 für die demobilisierten und heimkehrenden Soldaten geschaffen wurde, nicht der Prototyp des Nutzungseigentums?! Ist dann nicht klar, daß das Nutzungseigentum mehr ist als das Erbbaurecht und viel näher als dieses beim Volleigentum steht.
Nehmen Sie doch teil an dieser Diskussion! Lassen Sie sich doch auch ein bißchen davon beeindrucken,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3111
Bundesminister Dr. Vogeldaß eine Institution, die weiß Gott ein großes Stück Lebens- und Welterfahrung hat — eine 2000 Jahre alte Institution, die auch im Umgang mit Grund und Boden erfahren ist, nämlich die Katholische Kirche —, Grund und Boden grundsätzlich nicht zu Volleigentum veräußert, sondern nur im Erbbaurecht ausgibt — aus durchaus diskutablen Gründen.
Sehen Sie nach Holland und nach Schweden, Herr Kollege Schneider, um zwei unterschiedliche Länder zu nennen. Lassen Sie uns doch aus diesen Erfahrungen lernen.Im übrigen, Herr Kollege Schneider: Sollten wir nicht miteinander vor allen Dingen den Unterschied herausarbeiten — Sie haben es an einer Stelle angedeutet, und das ermutigt mich — zwischen dem eigengenutzten Eigentum und dem fremdgenutzten Eigentum? Der verfassungsrechtliche Schutz ist bei beiden gleich, aber die Sozialpflichtigkeit reicht meiner Ansicht nach beim fremdgenutzten Eigentum ein bißchen weiter. Das eigengenutzte Eigentum empfängt seine tiefste Rechtfertigung daraus, daß es zur freien Entfaltung der Persönlichkeit — und das ist für uns der höchste Wert dieser Verfassung — unerläßlich ist. Wenn da keine Eigentumsbeziehung vorhanden ist, nur ein aufhebbares Recht öffentlich- oder privatrechtlicher Natur, dann ist der Raum für die freie Entfaltung eingeengt. Das fremdgenutzte Eigentum ist aber immer in der Gefahr, zu einem Instrument zu werden, das auch Herrschaft über andere Menschen bedeuten kann, und hier muß die Sozialpflichtigkeit voll zum Tragen kommen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jahn?
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für mehr als bedenklich, den Inhalt dessen, was Sie mit Nutzungseigentum umschreiben, als Eigentumsform zu bezeichnen, weil dieses Modell doch die gesamte Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Dritten Teil sprengt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, dem könnte ich nicht zustimmen. Wenn wir uns auf die Terminologie einigen, daß das Erbbaurecht unter diesen Begriff fällt, dann fällt das Nutzungseigentum sicher noch deutlicher darunter.Ich möchte diesen Teil abschließen, indem ich einWort zu der Grundproblematik der Eigentumsordnung sage. Ich sage das mit den Worten eines sicher ganz unverfänglichen Zeugen und greife damit Ihren Gedanken auf, daß diese Verständigung über den Sinn und die Bedeutung der Eigentumsordnung sicherlich Ausgangspunkt aller weiteren Reformüberlegungen sein muß. Tch zitiere aus der wirklich lesenswerten Denkschrift der beiden Kirchen, wobei die Zusammensetzung der Verfasser, die Sie hinten finden, zeigt, daß das tatsächlich eine überparteiliche oder eine allparteiliche Veröffentlichung ist.Sie finden da die beiden folgenden bedenkenswerten Zitate, die ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, verlesen darf:18. Eigentum kann keinen Letztwert haben, kann kein Selbstzweck sein. Wird das Eigentum zu einem Selbstzweck, dann ist es zu dem geworden, was im Neuen Testament Mammon heißt.Und ein zweites:Keine erdachte oder realisierte Bodenordnung kann ohne kritische Prüfung Anspruch auf prinzipielle Gültigkeit haben. Mit jeder verbindet sich Macht von Menschen über Menschen, jede muß sich von den Kriterien der Distanz, der Relativität und Teilhabe in Frage stellen lassen.Diesen Prozeß wollen wir unter den heutigen Verhältnissen vollziehen. Wir wollen die Eigentumsordnung nicht sprengen und über den Haufen werfen, sondern sie im Sinne einer sinnvollen Weiterentwicklung unter diese drei Kriterien stellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum geht es denn wirklich? Es geht darum, daß wir uns in unseren Städten und Verdichtungsgebieten Herausforderungen gegenübersehen, die keiner von uns vor 10 oder 15 Jahren in dieser Form für möglich gehalten hat, Herausforderungen, auf die wir antworten müssen. Das freie Spiel der Kräfte, das ökonomische Prinzip allein wird auf diese Herausforderungen genauso wenig Antworten geben können wie ein zentrales Befehls- und Verwaltungssystem. Beide absoluten Antworten sind untauglich.
— In dem Fall sind auch wir einig, Herr Kollege, sind auch wir vollständig einig.
Ich bin sehr sicher, Herr Kollege: wenn wir die Dinge aus der Polemik herausnähmen und wenn wir ihnen auf den Grund gingen, dann würde diese meine Antwort, wie ich sie eben gegeben habe, eine Zustimmung von, ich behaupte, 90 bis 95 % unseres Volkes finden, eine ganz breite Zustimmung.
Wir haben doch jetzt erst gelernt, daß Stadtentwicklung kein Naturereignis ist, das wie Hagelschlag oder Unwetter über uns hereinbricht, sondern das Ergebnis einer Summe von menschlichen Handlungen, auf die man Einfluß nehmen und die man korrigieren kann. Meine Damen und Herren, Sie waren doch zum Teil schon in Tokio, in Los Angeles oder in New York, Sie waren auch in Städten, die nach dem zentralen System leben. Wir sehen doch, wohin diese Dinge führen. Wir sehen doch, daß in diesen Städten ein System, ein Mechanismus der Selbstzerstörung am Werk ist. Den gilt es zu korrigieren. Dafür brauchen wir neue Maßstäbe. Hier muß der Begriff der Lebensqualität, der noch ganz in den Anfängen steckt, weiterentwickelt und mit Inhalt gefüllt werden.
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3112 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Bundesminister Dr. VogelEin Teil dieser Antwort ist ein besseres Bodenrecht. Ich glaube, jeder, der Verantwortung in dieser Bundesrepublik trägt, ist aufgerufen, in seiner Rolle an dieser Reform des Bodenrechts mitzuwirken. Jeder ist auch aufgerufen, dafür zu sorgen, daß diese Lebens- und Elementarfragen unseres Volkes und der Menschheit auf der Tagesordnung der Politik an eine höhere Rangstelle kommen, als die, an der sie sich heute befinden.
Die Zeiten, in denen diese Fragen Punkt 19 der Tagesordnung sein können, werden rasch zu Ende gehen, weil die Menschen draußen uns so bedrängen werden, daß es zumindest Punkt 4 wird und nicht mehr Punkt 19.
Ich möchte meinem Beitrag einen versöhnlichen Abschluß geben. Sie haben Dichter zitiert, ich zitiere zum Schluß einen Praktiker. Der Praktiker hat gesagt:De bodenreformerischen Fragen sind nach meiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit. Es nützt Ihnen alles nichts, was Sie sonst machen, mit Schulwesen, mit Kultur — mit den Worten wird ja solch furchtbarer Mißbrauch getrieben —, die ganze Volkskunst, Volksbildung, alles das nützt Ihnen nichts, wenn Sie nicht das Übel der bodenreformerischen Fragen an der Wurzel fassen. Denn das sind Fragen höchster Sittlichkeit.So Konrad Adenauer in Köln im Jahre 1920.
— Das hätte aus meinem Mund anmaßend geklungen. Aber herzlichen Dank. — Ich würde sagen: Halten wir lieber alle bei einer sachgerechten Lösung in dieser Frage zusammen!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schneider hat 45 Minuten gebraucht, um seine brennende Sorge um den Bestand des Privateigentums hier vorzutragen. Ihre Fraktion teilt diese brennende Sorge sicher nicht in diesem Maße. Wir teilen sie auf keinen Fall, weil wir Ihre Vorwürfe, Ihre Unterstellungen für unberechtigt halten. Ich will es deshalb wesentlich kürzer machen.Sie haben in Ihrem Diskussionsbeitrag nur Ihr altes Verfahren auf einer neuen Ebene wiederholt. Sie haben ja jahrelang die Diskussion über das Bodenrecht diskriminiert, denunziert als Verstoß, als Sakrileg gegen die heiligsten Güter der Nation, als ersten Schritt zum Kommunismus, und heute war es nicht wesentlich anders.
Ihre Kampagne zielte dahin, die kleinen Haus- und Grundbesitzer zu verängstigen und sie vor den Karren der Großgrundbesitzer zu spannen. Das war doch Ihre Politik über mehr als 20 Jahre und ist sie noch heute: die behauptete Interessenidentität zwischen dem Baron von Finck und dem Facharbeiter Fink, der ein kleines Reihenhaus hat, so als sei das Eigentum der beiden gleicher Qualität, habe gleiche Funktion und auch gleiches Recht.Insoweit hat es die Identität unserer Auffassungen zum Eigentum, Herr Dr. Schneider, doch wohl nie gegeben. Denn die Sozialdemokratie war immer der Auffassung, daß Eigentum nach seiner Funktion für den einzelnen zu bewerten ist. Wir haben in dem, was wir an Gesetzen hier eingebracht und im letzten Bundestag auch verabschiedet haben, dahin gewirkt, die Privilegien der Wenigen zugunsten der Rechte der Vielen zu beschneiden. Sie haben immer so getan, als sei das Eigentum der Großen dasselbe wie das Eigentum der Kleinen.Die Wähler haben begriffen, daß Ihre Angstmacherei keinen Sinn hat. Sie haben Ihnen im November die Antwort gegeben. Jeder Wähler hat sich ja auch überlegt: Die Sozialdemokraten müßten verrückt sein, würden sie das tun, was Sie uns dauernd unterstellen, nämlich die große Zahl der Kleineigentümer enteignen. Es gibt nämlich über 6 Millionen Kleineigentümer. Ein Drittel unserer Familien, in Baden-Württemberg noch viel mehr, wohnt auf eigenem Grund und Boden. Und wir sollten solche Narren sein, denen das wegzunehmen und uns bei der nächsten Bundestagswahl hier aus diesem Hause herauszukatapultieren? So dumm sind die Wähler nicht. Das haben sie begriffen. Deswegen haben sie Ihnen damals im November die richtige Antwort gegeben.Nun legen Sie Vorschläge zum Bundesbaugesetz vor, die denen der Koalitionsparteien weithin entsprechen. Für uns ist das kein Anlaß zum Spott. Anders als in der Schule ist in der Politik das Abschreiben erlaubt. Aber wir wollen doch festhalten, daß dieses Ihr Verhalten dem bewährten konservativen Grundprinzip entspricht, die Dinge erst einmal treiben zu lassen, die Privilegien der wenigen, die Gemeinschaft auszuplündern, so lange zu erhalten, bis die Karre im Dreck ist, so lange, bis der Problemdruck hier für jeden sichtbar ist und Sie gar nicht mehr anders können, als nachzugeben. Vorausschauende politische Planung, darüber nachzudenken, was in zehn oder fünfzehn Jahren sein könnte, unsere Zukunft zu sichern, das war nie Ihre Sache. Jetzt ist die Öffentlichkeit hellwach. Sie erwartet jetzt, daß hier gehandelt wird, daß das Städtebauförderungsgesetz — wir hatten ja viel Ärger mit Ihnen, bis wir dieses Gesetz durch hatten — in einem neuen Bundesbaugesetz fortgeführt wird. Wir werden im Gang der Gesetzgebung prüfen, inwieweit Ihre Erklärungen nur Deklamationen sind bzw. inwieweit Sie es ernst meinen.Diese Reform des Planungs- und Steuerrechts im 7. Deutschen Bundestag wird sicher den Problemdruck mildern. Die leistungslosen Gewinne werden der Gemeinschaft für ihre Aufgaben zugeführt. Wir hoffen, daß die Bodenpreisentwicklung verstetigt
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3113
Conradiwird, daß die Gemeinden zusätzliche Instrumente bekommen und daß wir alle dabei neue Erfahrungen machen können. Sicher werden wir damit dem Auftrag des Grundgesetzes, Inhalt und Schranken des Eigentums so zu bestimmen, daß sein Gebrauch zugleich dem Nutzen der Allgemeinheit dient, ein wenig näherkommen.Aber die Frage — Sie haben dazu Minister Vogel zitiert ist doch, ob nicht durch die Ritzen des gesetzlichen Deckels, den wir auf das Eigentum drauflegen, wie in den vergangenen Jahren immer wieder die sozialwidrige Nutzung emporquillt. Wir machen uns darüber Gedanken, weil wir eben nicht nur bis 1976, sondern längerfristig denken.Die Frage, die Sie hier stellen, wird sich in einigen Jahren sicher beantworten, nämlich ob nach Reform des Planungs- und Steuerrechts die städtebaulichen Aufgaben der Zukunft nur durch Veränderung der Eigentumsverhältnisse lösbar sind. Herr Dr. Schneider, diese Frage kann die Bundesregierung nicht beantworten, auch die Sozialdemokraten nicht. Das wird sich nämlich erst zeigen. Wir sind ja keine Wahrsager, die voraussagen, was 1980 sein wird. Wir tun jetzt das Notwendige und Vernünftige, aber wir wollen doch für mögliche spätere Entwicklungen gerüstet sein und wollen in unserer Partei und mit den Bürgern diskutieren, welche weiteren Schritte zur Sicherung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums unter Wahrung der Verfassung notwendig sein können.
Eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schneider.
Herr Kollege Conradi, nachdem der Herr Bundesminister Vogel die Frage, die ich gestellt hatte, nicht beantwortet hat, wiederhole ich sie an Sie. Besteht ein Unterschied zwischen der Aussage, die die Bundesregierung im 6. Bundestag gemacht hat, daß es nur einer Ausschöpfung des Gestaltungsrahmens des Art. 14 bedürfe, um die Aufgaben im Städtebau zu verwirklichen, und der Aussage, auf die die von mir gestellte Frage abzielte? Sind beide Fragen nicht identisch, wobei in einem Fall eine exakte Beantwortung erfolgte, im anderen Fall nicht?
Die Antwort will ich Ihnen gern geben. Die städtebaulichen Aufgaben der Zukunft werden unter allen Umständen gemäß unserer Verfassung lösbar sein. Darüber gibt es in diesem Haus keinen Zweifel. Die Frage, ob wir nach der Reform des Planungs- und Steuerrechts über das, was jetzt hier in diesem Hause als Mögliches und Realisierbares beschlossen wird, hinaus noch weitere Maßnahmen ergreifen müssen, ist eine Frage der Notwendigkeiten. Darüber kann man jetzt nichts sagen. Es mag sein, daß Sie recht haben. Es mag sein, daß ein neues Bundesbaugesetz und ein verbessertes Steuerrecht in unseren Städten die Übel heilen. Wir haben da Zweifel. Aber da können wir doch in aller Ruhe warten. Es wird sich zeigen, wie es läuft.
Für den Fall, daß sich unsere Zweifel dann als zutreffend erweisen. d. h. daß unsere Maßnahmen
allein nicht genügen, haben wir ein Diskussionsmodell vorgelegt, das neue Eigentumsformen anbietet, das das ökonomische Prinzip nicht ausschaltet, sondern so eingrenzt, daß die Gesellschaft dadurch nicht geschädigt wird. Wir haben dieses Modell der Aufteilung in Verfügungs- und Nutzungseigentum vor der Bundestagswahl vorgelegt und dann auf dem Parteitag beschlossen, und zwar nicht beschlossen als „das machen wir", sondern als „wir wollen darüber weiter diskutieren". Es wird Jahre brauchen, bis wir da zu einem endgültigen Beschluß kommen, d. h. wir wollten in die öffentliche Diskussion einen Gedanken einführen. Sie fragen die Bundesregierung, was sie davon hält. Die Bundesregierung zensiert nicht die Sozialdemokratische Partei.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Herr Kollege Conradi, Sie sagten vorhin, Sie könnten nicht sagen, welche Entwicklung auf diesem Gebiet nach Abschluß des Planungs- und Steuerrechts kommen wird. Sie haben uns vorhin vorgeworfen, daß wir die Entwicklung nicht erkannt hätten und ihr nachliefen. Ist da in Ihrer Aussage nicht ein Widerspruch?
Herr Niegel, ich habe in den letzten Tagen gelesen, was seitens Ihrer Fraktion 1960 nach Schaffung des Bundesbaugesetzes gesagt worden ist. Da wurden Hoffnungen vorgetragen wie: jetzt sei die Misere beseitigt, jetzt sei eine soziale Planung möglich, und unsere Städte würden. gesunden. Was ist denn in den 13 Jahren passiert? Sie haben sich schauerlich geirrt und viele von uns wohl auch.
Sie wissen auch, warum.
Heute stehen wir vor der Aufgabe, das Bundesbaugesetz zu verbessern und das Steuerrecht, welches jahrzehntelang einigen wenigen — Ihren Klienten — unwahrscheinliche Gewinne zugeschoben hat, zu ändern. Wir nehmen an, das wird die Verhältnisse wesentlich verbessern. Ich würde aber keineswegs behaupten, daß das allein zureicht. Es wird sich ja herausstellen. Für den Fall, daß es nicht zureicht, haben wir ein Modell vorgelegt, das nun durchdacht, durchdiskutiert und durchgerechnet werden muß, bis daraus ein politisches Programm wird. Zu Recht hat Bundesminister Vogel hier gesagt: Sie sind selbstverständlich aufgefordert, an dieser Diskussion mitzuwirken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
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3114 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Herr Kollege Conradi, da Sie sagten: „Ihre Klienten", darf ich daran erinnern, daß einige große Baulandskandale gerade in SPD- regierten Ländern und Städten vorgekommen sind und daß dann gerade auch Leute beteiligt waren, die SPD-Mitglieder sind.
Wenn ich von der CSU käme, würde ich über Baulandskandale nicht reden.
Selbstverständlich gibt es auch bei uns nicht nur „Heilige". Bloß ist in unseren Fällen durchgegriffen worden, auch von der Partei, während man bei Ihnen doch gelegentlich den Eindruck hat, daß so ein kleiner Baulandskandal zu den „niederen politischen Weihen" gehört.
Aber Ihre Reaktion auf unsere Vorschläge läßt uns wenig Hoffnung, daß Sie zu dieser Diskussion etwas beitragen werden; denn Sie haben heute hier wieder den alten Butzemann aufgewärmt, der aus der DDR und der Sowjetunion kommen soll, der schon im November versagt hat. Ich meine das alte Schreckgespenst, daß dem kleinen Mann hier etwas genommen werden solle.
Eigentlich hatte ich von Ihnen eine positive Reaktion auf unsere Vorschläge erwartet. Denn sie entsprechen ja sehr alten christlichen Vorstellungen, nicht denen der Sowjetunion. Sie müssen eben die richtigen Quellen nachschlagen, Herr Dr. Schneider. Es heißt doch, daß die Güter dieser Erde, vor allem der unvermehrbare Boden, allen gehören sollen, daß sie den Menschen nur als Lehen gegeben sind. Gerade die Bibel kannte kein ewiges Nutzungsrecht
— heute ist von der Bibel soviel die Rede , sondern sie kannte das befristete Nutzungsrecht.
- Das Halljahr, das Jubeljahr. Hier sitzen Theologen, die Sie gern aufklären; mich haben sie aufgeklärt.
- Nein, nein!
Wir wissen uns da einig mit den beiden Kirchen, die in ihrem Memorandum zum Baubodenrecht aus dem Liebesgebot das Recht aller auf Teilhabe am Boden begründet haben. Ich meine, daß darüber hinaus das Memorandum der Kirchen einen ganz wesentlichen Punkt erkannt hat, der unserem Vorschlag entspricht, weil wir im Unterschied zu Ihnen nach Arten und Funktion des Eigentums differenzieren. Wir werfen eben nicht den Herrn von Finck und den Bauern Fink in einen Topf. Die Kirchen haben dazu gesagt ich zitiere —:
Je weniger die Art des Eigentums auf persönliche Arbeit und Leistung zurückgeht, je mehr die — für den einzelnen — freiheitsverbürgende Funktion zurückgeht und je stärker die Nutzung den Freiheitsbereich anderer einengt und Belange der Allgemeinheit beeinträchtigt, um so mehr Spielraum läßt die Verfassung dem Ge-
setzgeber für die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums.
Diese differenzierte Vorstellung, daß Eigentum in dem Maße schützenswert ist, in dem es erarbeitet ist, daß es in dem Maße schützenswert ist, in dem es einen persönlichen Freiheitsbereich garantiert und nicht das Recht zur Spekulation, daß in das Eigen-turn in dem Maße eingegriffen werden kann, in dem es andere in ihrer Freiheit beeinträchtigt, ist für uns ein Grundkriterium der weiteren Diskussion.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jahn? — Bitte!
Herr Kollege Conradi, wenn Sie schon das Kirchenpapier zitieren, habe ich die Frage an Sie: Haben Sie in dem Kirchenpapier an irgendeiner Stelle lesen können, daß sich die Kirchen für eine Aufspaltung des Eigentums in ein sogenanntes Verfügungseigentum und in ein Nutzungseigentum ausgesprochen haben?
Sicher nicht. Aber zu Recht hat der Bundesminister darauf hingewiesen, daß eine der großen bodenbesitzenden Institutionen, die über 2000 Jahre Boden gesammelt hat, sich bei der Vergabe des Bodens ausschließlich des Instituts des Erbbaurechts bedient.
— Deswegen nennen wir es auch nicht Eigentum. Wir wollen nämlich den, der das Nutzungseigentum bekommt, besserstellen als den Erbbauberechtigten. Das müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Dann würde nämlich Ihre Diskussion in sich zerfallen.
Herr Kollege Conradi, ich spüre, daß Sie die zweite Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jahn auch gestatten. Oder irre ich mich?
- Bitte!
Herr Kollege Conradi, da Sie das Nutzungseigentum ansprechen, habe ich die Frage an Sie, ob Sie das Modell des Nutzungseigentums als einen Fall der entschädigungslosen Sozialbindung oder der entschädigungspflichtigen Enteignung ansehen.
Herr Kollege, ich möchte meine Gedanken fortführen. Ich empfehle Ihnen, lesen Sie, was meine Partei dazu beschlossen hat.
Man muß doch erwarten können, daß Sie sich die Mühe machen, zur Kenntnis zu nehmen, was die andere Partei, die größere Partei in diesem Hause, beschlossen hat.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3115
ConradiLassen Sie mich etwas zur Funktion des Eigentums sagen. Das 19. Jahrhundert hat den heutigen Eigentumsbegriff geschaffen und mit dem Eigentumsrecht dem einzelnen Bürger einen persönlichen und vermögensrechtlichen Freiheitsraum gegenüber der Obrigkeit erkämpft. Das war ein emanzipatorischer Vorgang, und die Liberalen sind zu Recht noch heute stolz darauf. Nur ist diese Obrigkeit des 19. Jahrhunderts inzwischen tot, und der emanzipatorische Eigentumsbegriff ist oft genug — zu oft — pervertiert worden. Die Sozialpflichtigkeit blieb gegenüber dem Profit auf der Strecke und der alte Satz „Eigentum macht frei" bedeutete nur allzu häufig die Unfreiheit der Nichteigentümer.
„Hast du was, dann bist du was"; dieser grauenvolle Satz — er ist einmal als soziale Zote bezeichnet worden — war ein Satz, der unter einer Regierung Mode wurde, die ein „C" im Namen hatte. Dieser Satz vergiftete unsere sozialen Beziehungen, weil er den Wert des Menschen nach dem, was er hat, einschätzt.
Wir wollen von dieser Eigentumsauffassung weg. Wir wollen von der freiheitsverbürgenden Funktion des Eigentums für den einzelnen, von der nach persönlichen Absichten und Wertungen gestaltbaren Sphäre nichts wegnehmen.
Aber wir werden die soziale Nutzung des Eigentums durchsetzen, auch wenn das auf Kosten einiger weniger geht, die zweifellos Ihnen näher stehen als uns. Freiheit — das scheint mir wichtig — wird eben nicht, wie Sie sagen, allein durch Eigentum gewährleistet;
sicher auch. Aber Griechenland, Portugal und andere Länder beweisen, daß privates Eigentum eben nicht mehr Freiheit gewährleistet, sondern daß Freiheit und Sicherheit zunehmend durch Gesetze gewährleistet werden, durch gemeinsame Vorsorge, durch das dichter werdende Netz solidarischer Hilfe.
— Über die „Neue Heimat" in Baden-Württemberg brauchen wir doch nicht zu reden. Die wird dort von dem Fraktionsvorsitzenden Ihrer Partei geleitet. Machen Sie mir da doch keine Vorwürfe! Sagen Sie das doch in Stuttgart, Herr Dr. Stark!
Der Mensch wird durch die zunehmende Sozialisation nicht ärmer, sondern reicher. Er wird durch das zunehmende Geflecht der sozialen Beziehungen nicht ärmer, sondern reicher. So hat Johannes XXIII. in „Mater et Magistra" gesagt.
Ihre Partei verwendet für diesen Vorgang das Schimpfwort des Kollektivismus.In dem Maß, in dem neben das Gebot der Rechtsstaatlichkeit das Gebot der Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes gleichwertig und gleichberechtigt tritt, wird auch die Diskussion um neue Eigentumsformen an Schärfe verlieren. Zu Recht haben die Kirchen die Relativität, die zeitliche und gesellschaftliche Bedingtheit und Veränderbarkeit der Eigentumsinhalte und -schranken betont. Sie setzen ja hier das BGB mit dem Grundgesetz gleich. Das Grundgesetz aber erlaubt viele Ausprägungen des Eigentums.
Die Diskussion über das Nutzungs- und Verfügungseigentum, Herr Dr. Schneider, müssen Sie nicht mit dieser Regierung führen; denn davon steht nichts in der Regierungserklärung, und die Frage steht auch jetzt gar nicht zur Entscheidung. Die müssen Sie mit den Sozialdemokraten führen.
Wenn Sie sie ernsthaft führen wollen, dann fahren Sie Ihre komischen Butzemänner, die letztes Mal nichts geholfen haben, auf die Müllkippe, besser: zur Giftmüllvernichtung. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber ohne Unterstellungen, ohne Diffamierungen an jedem Ort und zu jeder Zeit zu diskutieren.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, einige Worte an Ihre Adresse. Über Verdächtigungen, die Sie ausgesprochen haben, fühle ich mich erhaben.
Ich glaube, daß ich dafür den Beweis auch durch meine Tätigkeit in diesem Hohen Hause antreten kann.Es hat Ihnen niemand unterstellt, Herr Kollege Conradi, daß Sie die Masse der kleinen Eigentümer irgendwie enteignen wollten.
Das wäre eine politische Dummheit, die ich Ihnennicht zutraue; soviel Respekt habe ich vor Ihnen.
Aber ich habe Angst davor, daß Sie keine kleinen Eigentümer mehr schaffen. Davor habe ich wirklich Angst.
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3116 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
MickSie sagen, daß dem Menschen nach christlichem Verständnis auch der Boden nur als Lehen gegeben ist. Verehrter Herr Kollege Conradi, nach christlichem Verständnis ist dem Menschen alles zu Lehen gegeben, was diese Erde hergibt. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Da nimmt keiner einen Krümel Erde oder sonst etwas mit, was er sich noch nutzbar machen könnte. Das tröstet nicht darüber hinweg — um auch das zu sagen —, daß es auf dieser buckligen Welt manchmal sehr ungerecht zugeht. Aber Sie sollten sich nicht einbilden, als hätten Sie allein das Recht, den Besitz letzter Wahrheit gepachtet, während auf der anderen Seite des Hauses der verkörperte böse Wille sitzt. Das nenne ich — na, ich erspare mir das Wort, weil ich keine Schärfe in die Debatte bringen will.Nun, Herr Minister, zu Ihnen. Wir hatten in der vergangenen Legislaturperiode im Ausschuß von Zeit zu Zeit immer so etwas wie die Münchener Stunde. Daran waren die Kollegen Schmidt und Geisenhofer beteiligt, und das war dann sehr ergötzlich.Ich hatte heute am Anfang Ihrer Rede zunächst die Befürchtung, als ob sie den bayerischen Wahlkampf eröffnet hätten. Der Ton war danach. Ich bin befriedigt, daß Sie nachher eine andere Tonart gefunden haben. Aber Herr Minister, uns zu unterstellen, daß wir hier Entlastungsoffensiven starten müßten, ist nach meiner Meinung fehl am Platz, und ich glaube Ihnen auch beweisen zu können, daß wir das weiß Gott nicht nötig haben.Wenn Sie sagen: Eigentum ist kein Selbstzweck, dann stimme ich Ihnen zu. Man kann Freiheit erwerben, indem man Eigentum hat; man kann auch frei sein, wenn man kein Eigentum hat, vielleicht noch freier. Ich gestehe Ihnen aber gerne, daß ich lieber auf der Basis von Eigentum frei bin als auf der Basis von Nichteigentum; denn so gottbegnadet bin ich leider nicht, daß ich auf alles dieser Welt verzichten kann, um dann wirklich frei zu sein. Das sind wohl Ausnahmeerscheinungen, etwa ein Franziscus von Assisi, der so begnadet war.Ich bin außerordentlich dankbar, daß Sie einmal die Manager dieses Hauses angegriffen haben, weil sie diese Debatten immer zu Zeiten ansetzen, zu denen die Öffentlichkeit abwesend ist und zu denen nur noch ein Dutzend Mitglieder dieses Hauses versammelt sind. Ich glaube, daß wir dagegen einmal gemeinsam Front machen sollten, weil wir sonst der Sache, der wir uns hier verschrieben haben, einen schlechten Dienst erweisen.Nun lassen Sie mich einige Ausführungen zu der Beantwortung unserer Großen Anfrage machen, wobei wir uns alle darüber klar sind, daß dieses Thema auszuschöpfen oder auch nur annähernd auszuschöpfen vergebliches Bemühen wäre; man kann nur einige Punkte setzen.Herr Minister, Sie wissen wahrscheinlich selbst, daß in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage vieles Fragment geblieben ist, daß vieles ungesichert geblieben ist, weil nicht beweisbar oder noch nicht beweisbar, weil neue Tatbestände neue Erfahrungen voraussetzen usw. Sie geben dann auch zu, daß Sievieles in Untersuchung gegeben haben, daß das Ergebnis dieser Untersuchungen noch nicht vorliegt. Das ist legitim, und der ist zu achten, der in Offenheit zugibt, daß er etwas noch nicht weiß. Das ist besser, als wenn einer so tut, als wüßte er alles, und dann ungeschützt in die Weltgeschichte hineinredet und damit Fehlentwicklungen begünstigt, die später zu bezahlen sind.Herr Minister, ich möchte nur, daß Untersuchungen, die angestellt werden, objektiv, unbeschönigt und unfrisiert zugänglich gemacht werden können, ohne Rücksicht darauf, wer vor der Untersuchung in dieser oder jener Frage recht gehabt hat; denn wir sind alle darauf gewiesen, von Rechtstatbeständen auszugehen. Ich habe in der Beantwortung dieser Großen Anfrage manchmal den Eindruck, daß man zwar sehr genau weiß, was man will, daß man es aber nicht immer oder nur verschleiert sagt, weil man Rücksichten zu nehmen hat, unter denen Ihre Partei in der Koalition in den letzten Wochen und Monaten zunehmend leidet. Ich gestehe für meine Person offen, daß ich unter unserem damaligen Koalitionspartner auch sehr oft gelitten habe.Eines sollten wir hier nun einmal in aller Bescheidenheit herausstellen. Wir tun oft so, als wenn wir neugeborene Kinder wären, als wenn wir — ich sage ausdrücklich: wir , die Generation, die hier an der Arbeit ist, noch nichts geleistet hätten, als wenn wir totale Versager wären, weil alles schlecht ist, was ist. Mit keinem Wort ist heute davon geredet worden — auch nicht von Ihnen, Herr Conradi; das hätte ich aus Respekt vor den Leuten erwartet, die vor Ihnen hier an der Arbeit waren —, daß hier große Leistungen vollbracht worden sind, die sich weiß Gott sehen lassen können
und auf die — das gestehe ich zu — niemand ein Monopol hat. Aber ich wehre mich dagegen, daß alles schlechtgemacht wird, nur um nachzuweisen, daß man selber recht hat und selber alles besser machen würde.
ich meine, wir hätten Veranlassung, uns gegen die Besserwisser und Bessermacher zu wenden, die man so in Fernsehveranstaltungen trifft. Wenn ich etwa eine Sendung wie „Der geförderte Skandal" — gemeint ist der soziale Wohnungsbau — im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens über mich ergehen lassen muß, dann kann ich nur sagen: Was sind denn das für Leute? Denen geht es doch nicht um Kritik, denen geht es doch nicht um die Schaffung besserer Erkenntnisse, die wir uns hier zunutze machen können, denen geht es doch um etwas ganz anderes, wahrscheinlich darum, durch Mies-machen alles Bestehenden etwas zu setzen, was wir hier in Gemeinsamkeit wahrscheinlich nicht wollen.
Da wird in jede Mülltonne hineingeleuchtet, da wird in jede Straßenecke hineingeleuchtet, es wird aber nicht gezeigt, wie Millionen Menschen aufs neue Heimat gefunden haben, ein Heim gefunden haben, wieder Wurzeln gefaßt haben nach all der Wurzel-
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Micklosigkeit des Jahres 1945 und vorher, die unsere Generation weiß Gott leidvoll erlebt hat.
Wenn sich unsere Generation einmal politisch geirrt haben sollte, dann haben wir weiß Gott gebüßt. Ich war 19 Jahre alt, als die Nazis durch das Brandenburger Tor marschierten. Ich habe den Eindruck, daß hier Leute am Werke sind, die etwas ganz anderes wollen, als sie in den Sendungen der Rundfunkanstalten — ich könnte weitere zitieren — von sich geben.Ich arbeite lange genug in diesem Hohen Hause mit, um auf die Leistung, die wir vollbracht haben — bei aller Gegensätzlichkeit — stolz zu sein.Nun wissen wir alle, meine Damen und Herren, daß Wohnungsbau, daß Städtebau ein langwierig Ding ist, ein Ding, das nicht von heute auf morgen wird, daß sich das, was heute gedacht wird, erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt vollzieht. Ich stelle die Behauptung auf: Je weiter entfernt es sich vom ersten Gedanken vollzieht, desto besser wird es. Wir haben leider nicht die Zeit gehabt, vom ersten Gedanken bis zum ersten Spatenstich alles reif werden zu lassen, was reifen mußte.Nun gebe ich Ihnen eine Retourkutsche, verehrter Herr Minister. Ich meine, Sie sollten nicht der Floskel erliegen: daß wir eine Entlastungsoffensive Bodenrecht führen. Sehen Sie, ich könnte Ihnen das zurückgeben, etwa so: Sie führen die Entlastungsoffensive Bodenrecht, um das Bodenrecht für alles verantwortlich zu machen, was heute noch nicht in Ordnung ist. Ich unterstelle Ihnen das nicht. Wenn ich Ihnen das unterstellte, würde ich Sie gleichzeitig als unredlich bezeichnen, und dieses Recht nehme ich mir nicht heraus.Wenn ich soeben die Aufbauleistungen schilderte, so auch deshalb, um daran klarzumachen, daß das Recht, das wir hatten, doch nicht so schlecht gewesen sein kann, daß wir doch mit diesem Recht eine gigantische Leistung vollbracht haben.Auf Grund dieser Bemerkung möchte ich aber jetzt — wiederum aus Gründen der Redlichkeit — nicht in eine Ecke gestellt werden und gesagt bekommen: Der Abgeordnete Mick spricht sich gegen jede Änderung des Bodenrechts aus, denn er hat gesagt: wir haben mit dem geltenden Recht eine große, eine gigantische Leistung vollbracht. Dies wäre auch unredlich, mir etwas Derartiges zu unterstellen.Es wird auch etwas einfach dahergeredet von der Bodenspekulation usw., als wenn alles daher käme, von den. paar Großeigentümern, das seien die Halunken, die Volksverderber usw., und denen müsse man ans Fell.Meine Damen und. Herren, ich habe etwas gegen solche Floskeln. In anderen Bereichen sind es dann morgen die Metzger, die zu hohe Fleischpreise berechnen, und übermorgen andere Berufsgruppen, denen man ans Fell geht. Dagegen habe ich etwas. Die Frage ist, wie lange die Maßnahmen dieser Bundesregierung insbesondere auf dem Baumarkt, die ich für notwendig gehalten habe, noch durchgehaltenwerden müssen, um unliebsame Dinge zu verhindern. Es hat sich herausgestellt, daß in manchen Fällen Boden in einem erheblichen Umfang gehortet worden ist. Es hat sich ferner herausgestellt, daß ein Großteil der Spekulanten den Grund und Boden nicht mehr veräußern, sondern bebauen wollte, um dann auch von den Preissteigerungen auf dem Bausektor zu profitieren. Das waren nicht nur private und nicht nur gemeinnützige Bauherren. Verehrter Herr Minister, ich erinnere mich aus meiner kommunalpolitischen Zeit an manches Geschäft — wahrscheinlich kennen Sie das auch aus München , wo sich der Generalliegenschaftsdirektor die Hände gerieben hat, weil er sehr günstig an etwas gekommen ist, was vorher einem anderen gehörte. Das ist doch die Praxis.Mir scheint, daß in den Meldungen über Spekulationen mit Grund und Boden ein bißchen übertrieben worden ist. Die größten Schwierigkeiten sind doch nicht dadurch entstanden, daß jemand etwas nur zu einem hohen Preis hergeben, daß er auf einen hohen Preis spekulieren will, sondern dadurch, daß er seinen Grund und Boden nicht, um keinen Preis, hergeben will. Der Grund dafür, daß z. B. die Adenauer-Brücke noch nicht an das Verkehrsnetz angeschlossen werden konnte, liegt doch nicht darin, daß sich die Grundstückseigentümer gedrängt hätten, ihre Grundstücke loszuwerden, sondern sie wollen sie eben nicht loswerden. Ich erinnere die Kollegen, die schon länger im Ausschuß tätig sind, an die vielen Zuschriften etwa aus Eltville, aus Rüdesheim, wo es um die Trasse einer neuen Umgehungsstraße geht. Die einen wollen aus Gründen, die durchaus verständlich sind, nicht, daß sie durch ihre Weinberge führt, und die anderen sagen: Wir müssen wieder zum Rhein, wenn wir in einem Kurort leben wollen; deshalb muß die Straße vom Rhein weg. Das alles sind Gründe, die mit Spekulation usw. nichts zu tun haben.Ich will das Problem nicht verniedlichen.
Verehrter Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich weiß gar nicht, wieviel Zeit für mich beantragt worden ist.
Die normale Zeit beträgt 15 Minuten. Der Ältestenrat hat heute mittig noch einmal ausdrücklich auf die Einhaltung der normalen Redezeit gedrängt und gesagt, daß gemäß der Geschäftsordnung nur für einen Redner eine verlängerte Redezeit beantragt werden kann. Darf ich Sie bitten, langsam zum Abschluß zu kommen. Ich nehme an, Sie haben davon nichts gewußt.
Ich darf Ihnen nicht widersprechen, Herr Präsident.
Aber das scheint mir ein Geschäft der Manager dieses Hauses zu sein, welches ich als nicht in Ordnung befindlich ansehe und um das man sich in den Fraktionen einmal kümmern sollte. Sonst wird nämlich jede Aussprache hier zur Farce.
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MickMeine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß mich dem Monitum des Herrn Präsidenten beugen. Lassen Sie mich deshalb meine letzten Sätze hier noch zum Vortrag bringen.Ich wollte noch einiges zum Städtebau sagen. Wir haben alle darunter gelitten, daß unsere Städte nicht wachsen konnten, sondern daß sie auf Grund von Bedürfnissen gebaut werden mußten, die förmlich auf uns zustürzten. Ich denke z. B. an die Vertriebenen, die Binnenwanderung usw. Ich glaube, wir sollten uns alle miteinander Mühe geben, daß Städte wieder natürlicher wachsen können, als das in den Jahren nach dem Kriege der Fall war.Und dann, meine Damen und Herren, ist Städtebau keine abstrakte Kunst, sondern die Kunst, Natürliches zu erkennen — rechtzeitig zu erkennen —, um es dann umzusetzen in all die Bereiche, auf die der Mensch angewiesen ist, wenn er leben, wenn er, meine Damen und Herren, als Mensch leben will.
Meine Damen und Herren, ich darf nur darauf aufmerksam machen, daß das Plenum des Deutschen Bundestages die Annahme der Geschäftsordnung beschlossen hat, und diese Geschäftsordnung sieht in § 39 die Begrenzung der Redezeit auf 15 Minuten vor. Es ist nicht das eigenmächtige Präsidium oder der amtierende Präsident oder der Ältestenrat, sondern der Deutsche Bundestag selbst, der sich diese Geschäftsordnung gegeben hat, die vorsieht, daß für einen Redner eine längere Redezeit beantragt werden kann.
Das ist jetzt für den nächsten Redner, Herrn Abgeordneten Engelhard, geschehen. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 20 Minuten beantragt. Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat die Diskussion um das Nutzungseigentum zum Anlaß genommen, diese Große Anfrage einzubringen, und sie hat eine ganze Anzahl von Fragen aufgesetzt. Ich sage „aufgesetzt", Herr Kollege Schneider, nicht deshalb, weil es sich etwa um unwichtige Fragen handeln würde. Es handelt sich um durchaus wichtige Fragen, deren Diskussion hier tatsächlich mehr Raum beanspruchen sollte. Aber diese Fragen wären für Sie und Ihre politischen Freunde sicherlich nicht der Anlaß gewesen, die Große Anfrage einzubringen. Es war eben einzig und allein das Nutzungseigentum, angereichert durch einige Randfragen.
Nun, Herr Kollege Dr. Schneider, ich möchte diese Anfrage ausdrücklich begrüßen, und ich will Ihnen auch sagen, warum: Weil hier der Bundesregierung Gelegenheit gegeben worden ist, höchst offiziell — ex cathedra sozusagen — zu einer Frage Stellung zu nehmen, und ich halte das für wichtig.
— Wenn Ihnen der Ausdruck „ex cathedra" nicht gefällt, sage ich das ist dann sicherlich schlechtes Latein — „ex rostro" odor so etwas, aber das ist dann sicher fast schon wieder Kirchenlatein.
— Nun, lassen wir's.Ich halte es für wichtig, daß das hier durch den Herrn Bundesminister klargestellt worden ist, weil ich mich an den letzten Wahlkampf erinnere — und auch heute waren wieder derartige Anklänge deutlich —, wo man durch die Lande geeilt ist und den Leuten erzählt hat, daß nicht dieser oder jener, sondern ausdrücklich diese Bundesregierung der sozialliberalen Koalition darangehe, Eigentum an Grund und Boden zu enteignen, daß sie heute mit dem beginne und morgen mit jenem fortfahren werde.Deswegen möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß hier klargestellt worden ist, daß innerhalb dieser Regierung für solche Maßnahmen kein Boden und kein Interesse vorhanden ist, sondern eine ganz klare Ablehnung besteht.Das allerdings schließt nicht aus, daß gedacht werden kann.
Und ich halte es durchaus für nützlich, wenn man sich etwa im Rahmen einer Sachverständigenkommission überlegt, ob in einem freiwilligen Angebot unserer Rechtsordnung auch neue Eigentumsformen angeboten werden sollen. Ich meine ein freiwilliges Angebot, so wie das Erbbaurecht zum Eigentum hinzugekommen ist und wie wir, wie erwähnt wurde, im Wohnungseigentumsgesetz seinerzeit ein zeitnahes und entsprechendes Angebot an unsere Bürger gemacht haben.Aber wir lehnen die Überleitung unserer derzeitigen Eigentumsordnung in ein Ober- und Untereigentum, das rechtsverbindlichen Charakter hat, ab. Dafür ist in der Regierungserklärung kein Raum. Die Frage konnte auch lapidar beantwortet werden, Herr Dr. Schneider. Sie sagten, dazu sei nichts Genügendes erklärt worden. In der Beantwortung der Großen Anfrage ist ausgeführt worden, daß die Einführung eines Nutzungseigentums in der Regierungserklärung nicht vorgesehen sei. Diese Regierungserklärung bestimmt die Arbeit der Bundesregierung während ihrer Dauer, und das werden — dessen können Sie sicher sein — vier Jahre sein. Dann wird es eine neue Regierungserklärung geben, über die man heute sicherlich keine Erklärungen abgeben kann.Ich will auf künftigen öffentlichen Diskussionen oder Wahlveranstaltungen jedenfalls nicht mehr hören, daß sich diese Bundesregierung anschicke, im Wege des Nutzungseigentums die bisherige Eigentumsordnung zu unterlaufen. Für Derartiges ist unter der Regierung der sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel kein Raum. Das ist hier erschöpfend und — wie ich hoffe abschließend klargestellt worden.Nun sind wir natürlich nicht so taub, die Diskussion draußen nicht zu hören. Wir sind auch nicht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973 3119
Engelhardso blind, nicht zu sehen, was sich draußen an systemüberwindenden Ideologien und Dogmen tummeln mag. Ich bin Ihnen deswegen, auch für meine politischen Freunde, durchaus für die Große Anfrage dankbar, weil sie Gelegenheit bietet, in diesem Hause einige Worte zu diesem Thema zu sagen. Wir sollten uns hier nicht nur als eine Gesetzesmaschinerie verstehen, sondern durchaus auch als ein Forum, in dem politisch relevante Ideen diskutiert werden, auch wenn sie in diesem Hause keine politische Heimat haben, insbesondere — das bitte ich sehr genau zu trennen — wenn sie in der Bundesregierung keine politische Heimat haben.Immer wird so frisch, fröhlich, frei darauf verwiesen, das Nutzungseigentum sei nichts Neues, es sei gute deutsche Rechtstradition in Form des Lehensrechtes. Hier stellt sich doch die Frage, wofür dann Generationen um Generationen unseres Volkes in der Neuzeit gekämpft haben, von den Bauernkriegen angefangen über die Französische Revolution
bis hin zu den Verfassungskämpfen und den sozialen Kämpfen im letzten Jahrhundert bis in unser Jahrhundert hinein, um jetzt den Absolutismus der Fürsten durch die Allmacht der Behörden zu ersetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi? — Bitte!
Herr Kollege, sehen Sie einen Unterschied zwischen der Obrigkeit, die damals über dem Lehen stand und gegen die sich Bauern und andere aufgelehnt haben, und der heutigen Obrigkeit in Form eines demokratischen Rechtsstaates?
Ich bin Ihnen für die Frage dankbar. Ich wollte nämlich im nächsten Satz die Frage stellen: Ist denn da kein Unterschied zu den Behörden vorhanden, die demokratisch legitimiert sind und, wie gesagt wird, auch demokratisch kontrolliert werden? Natürlich mag hier ein ganz wesentlicher Qualitätsunterschied liegen.
Wir müssen aber die Dinge vom Ergebnis her sehen. Es ist wohl keine unbillige Vereinfachung, wenn ich behaupte, daß einem demokratischen Rigorismus im Mißtrauen gegen jede Privatinitiative auf der anderen Seite bei den Verfechtern eines— ich sage ausdrücklich — dogmatischen Nutzungseigentums eine Naivität gegenüber dem Wirken der öffentlichen Hand gegenübersteht. Und diese öffentliche Hand ist eben — das muß man erkennen— doch etwas ganz anderes als die bloße Summierung gutwilliger Stimmbürger; sie entfaltet ihre Eigengesetzlichkeit. Man muß mit Praxisblindheit geschlagen sein, wenn man nicht erkennt, welche Verteilungsprobleme hier entstehen können. Ich sage das ausdrücklich, weil Herr Bundesminister Dr. Vogel hier meines Erachtens sehr richtige und sehr gute Dinge auch zu den Möglichkeiten des Angebots eines Nutzungseigentums gesagt hat; auf freiwilliger Basis durchaus erwägenswert.
Deswegen sage ich: eines dogmatischen Ober- und Untereigentums. Das sind doch die Ideen, mit denen man sich auseinanderzusetzen hat, wenn man draußen im Lande politisch diskutiert. Deswegen muß hier für meine politischen Freunde ganz klar gesagt werden — ich wiederhole es —: daß mit Praxisblindheit derjenige geschlagen ist, der die Verteilungsprobleme in diesem Zusammenhang nicht erkennt.Es ist auch gar nicht beruhigend, zu wissen und zu hören, daß es ja darum gehe, die Kontrolle zu verstärken. Diese Kontrolle wird nicht kommen, solange wir nicht einen neuen Menschen haben,
der noch nicht existiert. Ich wende mich dagegen, hier dogmatisch an einem Punkt anzufangen, die Dinge aufzuhängen, die nicht machbar sind wo man ganz klar erkennen muß, daß der Bürger und auch der politische Repräsentant nicht über ihre Arbeitskraft hinaus in der Lage sind, hier eine wirksame Kontrolle auszuführen. Ich glaube, das muß einmal klargestellt werden, wenngleich das mit der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun hat, Herr Kollege Dr. Schneider. Überhaupt nichts! Das sei klargestellt. Aber draußen im Lande gibt es die Ideen, und deswegen sollten wir uns auch hier durchaus einmal darüber unterhalten.Nun heißt das, wenn man sich auf den Boden dieser Eigentumsordnung stellt, ja nicht, daß man weiterhin auch dem Mißbrauch privaten Eigentums zuzusehen habe; daraus braucht man auch gar keinen Fetisch zu machen. Denn dieses Eigentum ich stimme Ihnen zu — ist ja nicht das Maß aller Dinge. Auch ist das Eigentum nach unserem Verständnis nicht die Voraussetzung der Freiheit, sondern nur eine ganz wesentliche Möglichkeit für den, der will, größere Unabhängigkeit für sich zu verwirklichen.
Deswegen glauben wir, daß nicht nur das Bodeneigentum mit übrigem Eigentum endlich steuerrechtlich gleichgestellt werden muß, sondern wir glauben darüber hinaus, daß wegen der besonderen Qualität von Grund und Boden das Eigentum an Boden ganz hart an die Kandarre der Sozialpflichtigkeit unserer Verfassung zu nehmen ist.
Das wird zunächst einmal mit Eingriffen geschehen, die nach Möglichkeit systemimmanent sein sollten, etwa mit den Mitteln des Steuerrechts.Wir werden darüber hinaus durch raumordnerische Maßnahmen dafür sorgen müssen, daß die weitere Entwicklung verzahnt, und nicht ziellos verläuft. Wir werden den Gemeinden die Gelegenheit geben müssen — das kommt alles in der Beantwortung der Großen Anfrage zum Ausdruck , differenziertere Bauleitplanung zu treiben, was gleichzeitig den Zwang einschließt, auch tatsächlich so zu verfahren, bis hinein in die Stockwerksebene eines einzelnen Gebäudes, wo es notwendig ist.
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3120 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
EngelhardDamit setzen wir Leitlinien und geben Vorgaben — da mag man sich jetzt von vielen unterscheidenfür private Inititiativen. Denn wenn es um die Vergabe etwa der Nutzung für ein Einzelobjekt geht, dann werden wir auf diese private Initiative in der Regel nicht verzichten können. Ich weiß, diese Entscheidungen sind natürlich nicht immer gut, sie sind ausgesprochen ermessensfehlerhaft, sie sind sogar häufig ausgesprochen zu mißbilligen und werden es auch unter einem neuen Bodenrecht sein. Nur vielleicht eine Überlegung dazu: Die Fülle der kleineren Einzelentscheidungen teilt Macht auf. Wir müßten keine Liberalen sein — und es ist ja darüber hinaus heute ganz allgemein etwas, was uns in allen Parteien gemeinsam sein sollte —, um nicht zu erkennen, daß Gewaltenteilung das beste Mittel ist, um Machtmißbrauch zumindest einzuschränken.
Ich habe mit einiger Freude die Vorteile unseres Städtebaus gegenüber dem Städtebau sozialistischer Systeme mit der Bemerkung gekennzeichnet gefunden, daß hier an Farbigkeit und Vielfalt der Lösungen Vorzüge bestünden. In einer Zeit, wo allen Systemen so viel Negatives im Städtebau gemeinsam ist, sollten wir gerade das nicht übersehen. Wir stehen doch in allen Staaten vor der Frage, über ganz kurze Zeiträume hinweg Hunderttausende von Menschen, ich sage einmal: behausen zu müssen. Es werden Städte aus dem Boden gestampft, die nach soundso viel Jahren in ganz kurzen Zeiträumen altern werden, die ganze Stadt. Noch bevor die Kommunikation und der nachbarliche Kontakt hergestellt sind und bevor die neue Stadt in geschichtliche Bindungen eingewachsen ist, wird sie bereits, weil gleichzeitig erstellt, zu altern beginnen und renovierungsbedürftig werden. Wir haben in allen Systemen, ob in München, ob, wie ich gelesen habe, in Moskau, das Problem der Entleerung unserer Innenstädte und der Entmischung der Funktionen. Wenn wir in den Urteilen übereinstimmen, daß es darauf ankommt und daß das als ein feststellbarer Vorteil bei uns zu sehen ist, nämlich die Farbigkeit und Vielfalt, dann ist das schon immerhin etwas; denn es sollte nicht so weit kommen, daß die Probleme der Verkehrsbewältigung, einer überflüssigen Mobilität, sich einfach eines Tages bei uns dadurch erledigen, daß niemand mehr Lust hat, an einen anderen Ort zu reisen, weil sich ihm überall das gleiche Bild darbietet und sich die Städte in ihrem Bild optisch auswechselbar dem Beschauer darstellen. Deswegen muß in diesem Zusammenhang das Konzept der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt werden, nun mit öffentlichen Mitteln allmählich daranzugehen, Altbauten zu modernisieren, um unsere Städte im Kern zu erhalten.Und noch eine Bemerkung: Es ist nicht nur ein Hauch von Nostalgie und nicht nur das Bestreben, bei der günstigeren Miete zu bleiben, wenn viele an ihrem alten Wohnquartier festhalten. Es ist uns einfach noch nicht gelungen, im Städtebau das zu schaffen, was die Menschen auch als Stadt empfinden. Ich weiß genau, daß bei fast allen Diskussionen — und da beginnt auch eine Problematik —, wenn man auf diese Dinge zu sprechen kommt, die Ohren zufallen: Wir brauchen ein neues Bodenrecht, wir brauchen ein neues Planungsrecht. Aber wir brauchen einiges mehr. Wer nur glaubt, die Frage über die Lösung des Problems der Spekulationsgewinne oder ähnliches regeln zu können, der wird letztlich versagen. Wir brauchen darüber hinaus ein Bild der neuen Stadt von morgen, die geeignet ist, wie in der historischen Vergangenheit ein Zentrum für die kulturellen und zivilisatorischen Bestrebungen der Menschen zu sein, die in dieser Stadt leben, und für die Menschen ein Mittelpunkt zu sein, die außerhalb dieser Stadt leben. Das in einer Städtebaudebatte nicht zu sagen, erschiene mir als ein Fehler. Denn wir haben es hier zwar mit Fragen zu tun, die nur mit ungeheuren Mitteln bewältigt werden können, aber der Einsatz dieser Mittel muß gesteuert sein von Überlegungen, die über die vordergründige Tagesdiskussion hinausgehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwedler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im Mai der Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Vermögens- und Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau vorgelegt wurde, sprach nach der Begründung durch den Bundesminister Dr. Vogel zu dem Regierungsentwurf zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau der Herr Kollege Mick. Er hat uns eine große Debatte zum Herbst angekündigt. Er hat erwartet, daß endlich vor allem Wohnungspolitik gemacht und nicht nur darüber geredet wird.Bei dieser großangelegten Anfrage der CDU/CSU betreffend Städtebau und Städtebaupolitik mit, ich glaube, 19 Einzelfragen, die in sich auch Gewicht hatten, habe ich angenommen, daß in der Begründung der Kollege Dr. Schneider nicht nur 45 Minuten lang Ausführungen über seine Vorstellungen vom Eigentumsbegriff und vor allen Dingen über den Diskussionsstand innerhalb der Sozialdemokratischen Partei machen und seine Sorge und seine Furcht vor einem eventuell kommenden Nutzungseigentum hier zum Ausdruck bringen würde. Ich selbst bin der Meinung, Herr Dr. Schneider, daß eine Aufspaltung des Eigentums Herr Dr. Vogel sagte es schon , wie wir sie auch beim Erbbaurecht haben — nicht in dieser Art, aber eine Aufspaltung haben wir ja da ebenso wie bei den Reichsheimstätten —, nicht allein schon Sozialisierung und Vergesellschaftung heißt. Immerhin haben Sie aus dieser Diskussion die klare Antwort von der Regierung bekommen: nein, das Nutzungseigentum kommt nicht. Wie sollte es auch kommen, selbst bei der Novelle zum Bundesbaugesetz? Selbst mein Freund Peter Conradi hat gesagt: Es wird wohl noch Jahre dauern, bis wir uns zu einem realisierbaren, zu einem praktikablen Vorgehen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei verständigen werden. Ich habe die Hoffnung, daß, wie es auch Dr. Vogel gesagt hat, es möglich sein wird, bei der Beratung der Novelle zum Bundesbaugesetz doch noch eine Ein-
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Schwedlermütigkeit herzustellen und uns auf einen Planungswertausgleich zu einigen.Herr Kollege Mick, Sie sprachen von den großen Leistungen, die seit 1945 beim Wiederaufbau in unserem Vaterland erbracht worden sind. Ich muß sagen: Bundesrepublik Deutschland und Berlin; unser Vaterland ist größer.
Ich glaube nicht, daß Kollege Conradi auch nur in Gedanken dieser Wiederaufbauleistung den Respekt etwa versagen würde oder gar versagen wollte in dem, was er vorgetragen hat. Es ist übrigens eine Leistung aller Bürger, eine Gemeinschaftsleistung von Bund, Ländern und Gemeinden gewesen. Aber man darf ja wohl auch nicht vergessen, Herr Kollege Mick, daß wir 1945, als wir anfingen, improvisiert haben, daß wir leider viel Trümmer vorfanden und daß wir die Grundstücke erst einmal abräumen mußten, um wieder bauen zu können. Als wir mit dem Wiederaufbau begannen, war die Frage des Grund und Bodens eine ganz andere als heute. Auch die Gesellschaft hat sich inzwischen weiterentwickelt. Ich brauche hier nicht auszuführen, daß vor allem die Probleme unserer Städte u. a. durch die Entwicklung des Verkehrs, Fragen des Umweltschutzes, die heute ganz anders betrachtet werden müssen, durch die Energieversorgung usw. riesengroß geworden sind, daß sie viel größer als in den 50er Jahren sind. Der Kollege Engelhard ist darauf auch schon eingegangen. Nicht umsonst hat der Deutsche Städtetag vor Jahren den Notruf ausgestoßen: Rettet unsere Städte jetzt!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mick?
Bitte schön!
Herr Kollege Schwedler, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Probleme anders, aber nicht größer geworden sind?
In dieser Hinsicht kann ich mit Ihnen leider nicht einer Meinung sein. Herr Kollege Mick, Sie wissen ja, daß ich über 20 Jahre in einer Baubehörde einer großen Stadt an leitender Stelle tätig war. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen Erkenntnis nur sagen: Die Probleme sind größer geworden. In den 50er Jahren war von der Problematik, die heute entstanden ist — nehmen Sie doch nur die Verkehrsentwicklung —, noch nichts zu spüren. Wir konnten auch nicht vorhersehen, daß die Problematik sich in diesem Maße entwickeln würde. Einige Städte haben besser wiederaufgebaut als andere — das wissen Sie auch, Herr Kollege Mick —, aber selbst die fortschrittlichsten haben dieses Tempo der Entwicklung nicht vorhersehen können.Ich freue mich, daß auch der Kollege Engelhard hier gesagt hat — ich sage es jetzt verkürzt, denn ich will nicht wiederholen —: Wir müssen versuchen, eine humane Stadt zu finden, in der das Wort „Stadtluft macht frei" wieder gültig ist. Ich weiß, wie schwierig es wegen des Problems von Grund und Boden ist, in den Städten und den Ballungsgebieten Stadtentwicklungspläne und Bebauungspläne aufzustellen, die realisierbar sind. Sie mögen recht haben, Herr Kollege Mick, daß in dörflichen Gebieten Spekulationen nicht die Regel, sondern Ausnahmen sind. In den großen Städten sind Spekulationen oder Spekulationsversuche leider an der Tagesordnung.Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Schneider hat eingangs seiner Ausführungen in den Sätzen, die nicht dem Problem des Eigentumsbegriffes galten, auch die großen Leistungen des Wiederaufbaus herausgestellt. Er meinte dann aber doch, die Eigentumsbildung, die Vermögensbildung im Wohnungsbau seien in den letzten Jahren zurückgegangen. Lassen Sie mich dazu noch einige Bemerkungen machen. In dem Gutachten von Professor Duvensack findet sich eine Tabelle, aus der hervorgeht, daß 1961 bei einem Wohnungsbestand von 16,8 Millionen in der Bundesrepublik private Haushalte 12 864 000 oder 76,5 % aller Wohnungen besaßen. Ich freue mich, sagen zu können, daß sich die Entwicklung bis 1966 kaum verändert hat. Im Jahre 1966 gab es 19 Millionen Wohnungen. 76 % davon gehörten privaten Haushalten. Von den über 21 Millionen Wohnungen, die es 1971 gab, gehörten 16 Millionen privaten Haushalten. Der Anteil der öffentlichen Hand betrug 3,9 °/o; fünf Jahre früher lag er bei 4,1 %. Auf die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen entfielen 1966 13,7 % und 1971 13,8 %. Der Anteil der sonstigen privatwirtschaftlichen Unternehmen und privaten Wohnungsunternehmen zusammen betrug 6,3 %. Wenn wir diesen Anteil den privaten Haushalten zurechnen, betrug das private Eigentum an Wohnungen und Wohngebäuden 1971 mehr als 80 %. Es ist nicht Absicht der Bundesregierung, hier eine Änderung vorzunehmen. Herr Dr. Vogel hat neulich mit Blick auf den sozialen Wohnungsbau ausdrücklich davon gesprochen, daß wir uns die Manövriermasse der 4,5 Millionen Mietwohnungen erhalten müssen, um gerade zu versuchen, die alten Menschen, von denen mehr als 65 "/o, wie wir wissen, Wohngeldbezieher sind, die Kinderreichen und die ausländischen Arbeitnehmer versorgen zu können, und um zu versuchen, auch durch steigende Modernisierung und durch eine Verbesserung und Veränderung des Regionalprogramms Wohnungen aus dem sozialen Wohnungsbestand frei zu machen, indem wir Menschen und Haushalte, die in solchen Wohnungen sind, in die Wohnungen des Regionalprogramms setzen, das übrigens auch einen hohen Anteil von Eigentum hat.Überhaupt ist der Anteil von Eigenheimen und Eigentumswohnungen im sozialen Wohnungsbau prozentual und absolut gestiegen. Das betrifft insbesondere die Eigentumsmaßnahmen — ich sagte es schon — im zweiten Förderungsweg, die für die Einkommen bis zu 40 % über den Einkommensgrenzen des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gelten. 1968 umfaßten die Eigentumsmaßnahmen 46,5 %, 1972 sogar 49,2 %; das waren mehr als 27 000 Wohnungen.
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SchwedlerDabei ist zu beachten, daß sich die Maßnahmen zur Förderung der Eigentumsbildung nicht auf die Bereitstellung direkter Hilfen zur Wohnungsbaufinanzierung beschränken, sondern in erheblichem Umfang auch indirekte Subventionen durch vielfältige steuer- und prämienrechtliche Vergünstigungen einbeziehen.In den fünf Jahren von 1968 bis 1972 sind über die unmittelbare Förderung insgesamt 276 000 Eigenheime und Eigentumswohnungen im sozialen Wohnungsbau erstellt worden. Allein der Gesamtaufwand für Wohnungsbauprämien und Zusatzprämien für Personen mit geringem Einkommen ist auf insgesamt fast 8,6 Milliarden DM angestiegen. Sie wissen, daß dazu noch die steuerlichen Vergünstigungen treten. Die Steuerausfälle auf Grund der Geltendmachung von Bausparleistungen als Sonderausgaben nach § 10 des Einkommensteuergesetzes werden für 1971 allein auf 960 Millionen DM geschätzt.Der Gesetzentwurf zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau will im Rahmen der künftigen Wohnungsbauförderung zusätzlich sicherstellen, daß auch im Hinblick auf die Eigenkapitalbildung weniger leistungsfähige Familien, namentlich kinderreiche Familien und junge Ehepaare, zu einer Wohnung kommen, an der sie eine rechtliche oder wirtschaftliche Eigentümerposition begründen und sich damit sicheren Wohnbesitz schaffen können.Bei der ersten Beratung des Entwurfs im Mai haben Sie, Herr Kollege Mick, den Verdacht geäußert, daß hier Normen gesetzt werden sollen, die unter dem echten Eigentum liegen. Mein Kollege Krockert hat damals diesen Verdacht zurückgewiesen. Auch im Hearing des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau am 19. September ist ja von fast allen wohnungswirtschaftlichen Verbänden bestätigt worden, daß die Bildung echten Eigentums natürlich weiterhin Mittelpunkt der Vermögensbildung im Wohnungsbau, speziell im sozialen Wohnungsbau, bleiben sollte, daß aber daneben auch das neue Rechtsinstitut der Wohnbesitzwohnung in der Zukunft eine wichtige Funktion gerade für die Familien übernehmen kann, die kein echtes Eigentum bilden können oder erwerben wollen.Ich bin auch der Meinung, daß sich die Vermögensbildung im Wohnungsbau nicht ausschließlich in den bewährten traditionellen Rechtsformen vollziehen mull, sondern daß darüber hinaus andere Rechtsformen gesucht und nutzbar gemacht werden sollten. Jeder neuen, konstruktiven Idee, die zu einer verstärkten Vermögensbildung im Wohnungsbau führt, sollte eine Chance zur Verwirklichung gegeben werden.Außerdem soll diese neue Rechtsform ja niemandem aufgezwungen werden. Sie wird sich gegenüber den bereits bestehenden, bewährten Wohnungsarten durchsetzen müssen. Letztlich wird der Markt entscheiden, ob sie angenommen wird oder nicht. Wir wollen eine breite Palette an Möglichkeiten zur Vermögensbildung, vor allem im sozialen Wohnungsbau. Prioritäten stehen für uns fest: Einzeleigentum, insbesondere Eigentumswohnungen, Mietkaufwohnungen, Wohnbesitz, Genossenschaftswohnungen, aber auch Zertifikate und Immobilienfondsanteile gehören dazu. Über das „überwiegend" des Einzeleigentums in der Regierungsvorlage werden wir uns sicherlich im 15. Ausschuß noch unterhalten müssen, insbesondere nach den gravierenden Einwendungen des Bundesrats. Letztlich muß sich am Bedarf entscheiden, wieviel Eigentumswohnungen und wieviel Mietwohnungen gefördert werden. Das sieht in den Stadtstaaten anders aus als in den Flächenstaaten, und in den Flächenstaaten wiederum ist es regional sehr unterschiedlich. Ich hoffe, daß wir auch hier zu einem gemeinsamen Nenner kommen, daß das Einzeleigentum an erster Stelle nach dem Bedarf gefördert wird.
Das Wort hat Herr Dr. .Jahn .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Bundesminister Vogel, dafür danken, daß Sie zu Recht vor diesem Hohen Hause moniert haben, daß eine so wichtige Debatte zu dieser Stunde stattfinden muß.Die Frage, die sich uns stellt, ist: Wie nimmt meine Fraktion zu der Beantwortung der Anfrage Stellung? Die Bundesregierung behauptet, sie sei nach wie vor darum bemüht, entsprechend der Zielsetzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes die Eigentumsbildung für breite Schichten des Volkes mit der Förderung des Wohnungsbaus zu verbinden. So ist es in der Beantwortung der Anfrage formuliert.Ich stelle fest: Die gleiche Bundesregierung, die sich heute auf die Zielsetzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes beruft, hat bereits im Mai 1973 eine Novellierung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes beschlossen und hier im Deutschen Bundestag eingebracht, wonach genau dieselbe Zielsetzung, nämlich das Eigentum breit zu streuen, ersatzlos gestrichen wird. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. In § 1 des geltenden Zweiten Wohnungsbaugesetzes heißt es:Die Förderung des Wohnungsbaues hat das Ziel, die Wohnungsnot ... zu beseitigen und zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum ... mit dem Grund und Boden zu verbinden.Der uns jetzt im Ausschuß vorliegende Gesetzentwurf lautet:Die Förderung des Wohnungsbaus hat das Ziel, den Wohnungsmangel zu beseitigen, um . . . usw.Hier ist die Zielsetzung verengt, wenn ich auch zugeben muß, daß hinterher für die breite Streuung des Eigentums ein Modell angeboten wird und auch gesagt wird, daß überwiegend privates Eigentum geschaffen werden soll. Das ändert aber nichts daran, daß in der Zielsetzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes eines der wichtigen Ziele, die wir jetzt ha-
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Dr. Jahn
ben, ersatzlos wegfallen soll. Das ist nicht eine verbale Kritik; das ist insofern ein wichtiger Punkt, als es nämlich unsere Politik ist, auch dann, wenn der Wohnungsmangel einmal beseitigt ist, den Wohnungsbau im Interesse einer breiten Streuung des Eigentums weiter zu fördern. Nach dem Regierungsentwurf ist das Ziel der Wohnbauförderung erreicht, wenn der Wohnungsmangel beseitigt ist.Angesichts dieses Tatbestandes wäre ich Ihnen, Herr Minister, für die Beantwortung der Frage dankbar: Warum soll § 1 Abs. 2 Satz 1, auf den es allein ankommt, geändert werden? Wenn Ihr Bekenntnis zur breiten Streuung privaten Eigentums auch künftig glaubhaft bleiben soll, dann rühren Sie doch bitte nicht an der Zielsetzung, die im geltenden Recht verankert ist.Die Bundesregierung stellt weiter die Behauptung auf, die Verpflichtung, Eigentum für weite Kreise der Bevölkerung zu bilden, könne außer durch die Vergabe von Einzeleigentum, Parzelleneigentum, auch durch die Begründung von Dauer-wohnrechten und Dauernutzungsrechten erfüllt werden. Bei allen unterschiedlichen Standpunkten sollte doch in den Begriffen, die wir verwenden, Klarheit herrschen. Ich darf doch feststellen, daß so viel Gemeinsamkeit in diesem Hohen Hause sein muß, daß ein Dauernutzungsrecht und ein Dauerwohnrecht nicht Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches darstellen. Darüber sollte bei uns doch Klarheit bestehen.Sie wollen neue Wege der Sicherung des Wohnens gehen; so steht es in der Beantwortung der Großen Anfrage. Ich bin der Meinung, es gibt keinen sichereren Weg als den der breiten Streuung privaten Eigentums. Denn Privateigentum ermöglicht die Verteilung der Verfügungsgewalt. Privateigentum sorgt für einen Machtpluralismus. Gemeineigentum dagegen bedeutet eine Machtkonzentration in den Händen einiger mit der Gefahr des Mißbrauchs dieser Macht, die Sie ja heute selbst kritisiert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Entwicklung neuer Eigentumsformen für die Vergabe von Grundstücken der öffentlichen Hand an Private". Auf deutsch buchstabiert heißt das -- und das haben Sie ja selbst auch schon zugegeben — Entwicklung eines sogenannten Nutzungseigentums.
Deshalb ist die Frage: Warum bekommen wir, wenn das in Ihrem Hause entwickelt werden soll, keine Antwort über den Stand der Beratungen? Soll die Katze etwa erst aus dein Sack gelassen werden, wenn hierfür die absolute Mehrheit vorhanden ist, weil der Koalitionspartner nicht mitmacht? Diese Frage muß man sich stellen.
Herr Kollege Schwedler, Sie haben sodann gesagt, man sollte dieses Modell doch ruhig einführen,
weil man offenlassen könne, ob der Markt das Modell des Nutzungseigentums annehme.
— Entschuldigung, Wohnbesitz. — Die Frage, ob der Wohnbesitz vom Markt angenommen wird, ist sicherlich eine Frage, über die man diskutieren kann. Aber es bleibt doch die Frage, ob der Markt nicht manipuliert werden kann insofern, als man gerade für dieses Institut besondere Förderungspräferenzen schafft. Diese Frage müssen wir in diesem Rahmen doch stellen.
— So etwas nennt man Politik. Aber dann sollten wir, Herr Kollege, auch offen darüber sprechen.
Herr Kollege Conradi, Sie haben dann gesagt, Sie wollten ja keinem sein Eigenheim wegnehmen. Das steht in Ihrem Programm; das gebe ich offen zu.
Aber die Frage bleibt: Was wollen Sie künftig geben?
Wenn ich z. B. an den Parteitagsbeschluß Ihrer Partei von 1973 in Hannover denke, wo Sie ein Verkaufsverbot von öffentlichem Boden an Private beschlossen haben, bleibt doch die Frage, ob dieser Beschluß einer breiten Streuung des Eigentums dienlich ist. Ich bin der Meinung, daß dieser Beschluß im Grunde ein Angriff auf das private Eigentum zugunsten eines kollektiven Fonds ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Jahn, bestreiten Sie, daß die Vergabe von Erbbaurechten, wie sie eine große Institution wie die katholische Kirche seit vielen Jahrhunderten betreibt, keine Eigentumsbildung ermöglicht?
Ich habe bestimmt nichts gegen eine Vergabe von Erbbaurechten.
Nur sind wir in der CDU/CSU der Meinung, daß wir für eine breitere Streuung echten privaten Eigentums im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches eintreten müssen. Wir sind dafür, daß die Bürger noch mehr bekommen als ein Erbbaurecht. Und gerade die sozial Schwachen sollen eben durch besondere Präferenzen in diesen Genuß kommen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Mick?
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Bitte schön!
Herr Kollege Jahn, sind Sie der Meinung, daß die Vergabe von nur Erbbaurechten durch die katholische Kirche zur Alleinseligmachung gehört?
Herr Mick, Sie legen mir die Antwort in den Mund. Ich glaube, ich brauche darauf nicht näher einzugehen.Herr Kollege Schwedler hat dann ausgeführt — da stimme ich ihm zu —, daß die Städtebaupolitik in dieser Debatte nicht ganz zum Tragen gekommen ist. Ich bin der Meinung, daß wir darauf eingehen müssen.Ich möchte der Bundesregierung insofern beipflichten, als sie sich in bezug auf die künftige Verteilung der Städtebauförderungsmittel zu dem punktaxialen System der Entwicklungsachsen und Entwicklungsschwerpunkte bekennt. Dieses technokratisch erstellte System von Entwicklungsachsen und Entwicklungsschwerpunkten, das die Bundesregierung übernehmen will, hat sicherlich seine Bedeutung, zumal es dem Gießkannenprinzip eine Absage erteilt. Aber Qualität des Lebens allein durch Technokratie zu erreichen, ist ein Irrweg. Qualität des Lebens muß gleichzeitig die individuellen Wohnwünsche der Bürger weitgehend berücksichtigen, wenn der Bürger das Ganze als Qualität des Lebens erfahren soll. Die Untersuchungen haben ergeben, daß der Bürger nicht nur in der Verdichtung leben will.Gestatten Sie mir an dieser Stelle, ein Beispiel zu nennen: Als die CDU in Nordrhein-Westfalen die Regierung stellte, wurden die Mittel des sozialen Wohnungsbaus nach sozialer Dringlichkeit verteilt. Diese Zeiten sind vorbei. Seit Sozialdemokraten in Düsseldorf regieren, ist nunmehr die Standortförderung Trumpf. Nichts gegen dieses Prinzip, wohl aber gegen das Ausmaß, in dem dieses Prinzip verwirklicht wird!
Wenn Wohnbauförderungsmittel zu 80 % in die Verdichtung und nur zu 20 % in den ländlichen Raum fließen, dann ist meines Erachtens der Bogen überspannt oder — um mit einem Wort von Ihnen, Herr Wehner, zu sprechen — dann haben Sozialdemokraten „überzogen"
Deshalb sollten Sie Entlastungen zu der Verdichtung schaffen; es wäre ein guter Beitrag, wenn wir darüber gelegentlich sprechen könnten. Wohnbauförderungspolitik ist zur Zeit nicht am Bedarf orientiert. Wir haben mehr Anträge für Eigentumsmaßnahmen vorliegen, als bewilligt werden können. Der Bedarf an Eigentumsmaßnahmen ist größer. Er wird durch die Standortförderung in dem Ausmaß, wie sie zur Zeit praktiziert wird, unterlaufen.Nun verstehe ich — da bin ich ehrlich — die Vorliebe Ihrer Partei für die Verdichtung; denn Wahlanalysen sprechen hier eine deutlichere Sprache, als ich sie kundtun kann.
— Das hören Sie nicht gern, Herr Immer; ich weiß es. Aber die Qualität des Lebens besteht nicht allein in einer Quantität der Verdichtung.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Redezeit noch einige Punkte zur Städtebaupolitik sagen. Erstens. Oberstes Prinzip sollte sein: Verantwortliche Städtebaupolitik hat den Bedürfnissen der Bürger Rechnung zu tragen.
— Das ist nicht neu; Sie brauchen nur unser Programm zu lesen,
dann wäre Ihnen das längst geläufig.
Zweitens. Verantwortliche Städtebaupolitik setzt voraus, daß im Zuge der Reform des Baubodenrechts den Gemeinden mehr Rechte beim Planungsverfahren und beim Planungsvollzug gegeben werden. Dem stimmen wir zu.
— Hierüber besteht Einigkeit, das können Sie bei uns nachlesen.Drittens. Verantwortliche Städtebaupolitik hat darüber hinaus den Erkenntnissen von Raumordnung und Landesplanung Rechnung zu tragen. Das geben auch wir zu.
Aber das darf nicht in dem Ausmaß geschehen, wie Sie das mit dem Verhältnis Verdichtung zum ländlichen Raum bei dem erwähnten Beispiel der Verteilung der Wohnbauförderungsmittel betreiben. Hier sind wir der Meinung: im Prinzip ja, im Ausmaß der Anwendung des Prinzips nein.
Viertens. Verantwortliche Städtebaupolitik muß der Einsicht Rechnung tragen — ich glaube, darüber besteht im gesamten Hause Einigkeit —, daß dem Geltungsbereich des ökonomischen Prinzips Grenzen gesetzt sind.
Zugegeben! Wir müssen uns aber auch hier über das Ausmaß unterhalten. Sie werden aus diesen Ausführungen entnehmen, daß wir in vielen Dingen im Prinzip d'accord sind; wir müssen uns nur über das Ausmaß der Anwendung der genannten Prinzipien unterhalten.
Ich sage dies alles bewußt deshalb, damit ich Ihnen auch die Auffassung unserer Fraktion unterbreiten kann, daß wir in diesen Grundsätzen mit
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Dr. Jahn
Ihnen in einem Boot sitzen. Aber wenn ich das sage, so erlauben Sie mir gleichzeitig den Hinweis, daß dieses gesamte Instrumentarium auch ausreicht, um die bodenrechtlichen Fragen, über die Sie heute hier sprechen, wirksam zu lösen. Wir sind der Meinung — darin unterscheiden wir uns , daß verantwortliche Städtebaupolitik eben nicht an den Grundlagen der geltenden Eigentumsordnung rütteln muß, um die dringenden Fragen des Bodenrechts und der Städtebaupolitik hinreichend beantworten und lösen zu können. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß gerade diese Fragen, die Sie, meine Damen und Herren, mit der Reform des Eigentums aufgreifen, im Grunde eine andere Motivation haben, als sie heute bei Ihnen hier zugegeben worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Staak?
Bitte schön, Herr Kollege Staak!
Herr Kollege Dr. Vogel, ist Ihnen bekannt, — —
— Herr Kollege Jahn! Sie sitzen da so im Blickfeld. Aber ich möchte wirklich Sie fragen.
Herr Kollege, es schmeichelt mir, daß Sie mich schon mit einem Minister, Herrn Kollegen Vogel, verwechseln. Aber dafür bin ich zu bescheiden. Wir hatten eine Abiturkarte, auf der stand:
Wenn einer, der mit Mühe kaum gestiegen ist auf einen Baum, glaubt, daß er ein Vogel wär,
so irrt sich der.
Ich wollte hier nicht nach Qualitäten fragen. Und zitierfreudig ist die CDU/ CSU heute. — Ist. Ihnen bekannt, daß alle drei Fraktionen im Ausschuß für Städtebau zum Städtebaubericht 1970 am 16. Dezember eine gemeinsame Ent- schließung verabschiedet haben, daß wir zu den Fragen, die Sie hier soeben aufgezählt haben — bis hin zum Verhältnis des Bundesraumordnungsprogramms und der Städtebaupolitik — in zehn Punkten Einigkeit erzielt haben, daß wir diese Fragen gemeinsam packen müssen, und darf ich davon ausgehen, daß Sie jetzt von dieser gemeinsamen Entschließung abgerückt sind?
Ich sehe keinen Grund, Herr Kollege, diesen Vorwurf entgegenzunehmen. Darüber, was wir in der Städtebaupolitik zu sagen haben, werden wir im Ausschuß noch langer beraten. Die Grundprinzipien habe ich hier soeben umrissen und habe hinzugefügt, daß wir, wenn dieses ganze Instrumentarium greifen soll, eben nicht darauf angewiesen sind, gleichzeitig eine Politik durchzuführen, die an unsere Eigentumsordnung und an die Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung rührt.
Meine Damen und Herren, die Geschäftslage ist folgende. Im Augenblick liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Danach sind aber ohne Debatte noch acht Tagesordnungspunkte zu erledigen. Meine Bitte ist, daß die Damen und Herren nachher auch noch diese acht Tagesordnungspunkte, die sehr schnell erledigt sein werden, abwarten. — Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Antwort auf die erste Frage der Großen Anfrage der CDU ganz eindeutig ausgefallen ist. Nur am Glauben fehlt es, und das steht einer christlichen Partei schlecht an.
Hier steht ganz eindeutig, Herr Dr. Schneider:
Die Einführung eines Nutzungseigentums ist in der Regierungserklärung nicht vorgesehen.
Das ist für die FDP-Fraktion, die diese Regierung mitträgt, der entscheidende Satz, und den dürfen Sie so nehmen, wie er da steht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Gallus?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen folgende Äußerung des derzeit zuständigen Ministers auf dem Parteitag im April 1973 bekannt. Ich darf diesen kleinen Satz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Wir haben in der Kommission drei Vorschläge erarbeitet: Novelle zum Bundesbaugesetz, Reform des Bewertungsrechts plus Bodenwertzuwachssteuer und außerdem Entwicklung des Institutes des Nutzungseigentums, damit wir dieses Nutzungseigentum zunächst einmal in Problemgebieten einführen und anwenden können.
Meinen Sie nicht, daß eine derartige Äußerung durchaus auch Zweifel an der Beantwortung der Großen Anfrage zumindest in den Bereich des Möglichen rückt?
Herr Kollege, ich habe an dieser Regierung in dem, was hier gesagt ist — in diesem Punkt, um den es hier geht —, keinen Zweifel. Jedes' Ressort hat durchaus für sich die Möglichkeiten, Beobachtungen anzustellen, Fallstudien zu erstellen. Das steht jedem frei. Entscheidend ist, was
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Gallusdiese Regierung hier mit den Koalitionsparteien, von denen sie getragen wird, durchführen kann. Das ist die entscheidende Frage, und deshalb sollten wir das, glaube ich, so hinnehmen.
Herr Dr. Schneider, nach dem, was Sie gesagt haben, muß ich aber zu der Erkenntnis kommen, daß Sie nach Ihrem CSU-Parteitag hier Ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollen.
Anders kann ich das nicht verstehen. Sie denken vielleicht an die Vergangenheit und daran, wie die Eigentumsdiskussion in den letzten zwei Jahren in diesem Hause und draußen geführt worden ist. Sie ist, gelinde ausgedrückt, mit sehr viel Scheinheiligkeit und Unwahrhaftigkeit geführt worden. Gewiß, wir freuen uns darüber, daß die Diskussion heute versachlicht ist. Wir Freien Demokraten freuen uns noch viel mehr darüber, daß wir in diesen Fragen nicht die Bibel zu zitieren brauchen, sondern daß wir in unseren Freiburger Thesen als erste einen Parteitagsbeschluß zum Eigentum, zur Neugestaltung des Bodenrechts herbeigeführt haben. Wenn ich das, was Sie in Ihrer Gesamtfraktion bis heute noch nicht vollendet haben, einmal nachlese und mit dem vergleiche ,was ich draußen höre, dann bin ich erfreut darüber, daß die Freiburger Thesen einiges dazu beigetragen haben, Sie auf den richtigen Weg zu bringen.
Hoffen wir, daß es uns vollends gelingt. Insofern sind wir sehr freizügig. Sie haben sogar die Möglichkeit, unsere Freiburger Thesen in jedem Buchladen als rororo-Bändchen zu kaufen; es ist sogar auf Grund der inzwischen größer gewordenen Auflage billiger geworden.
— Eine Ersatzbibel brauchen die Freien Demokraten und die Liberalen nicht; denn wir lassen dem, was in der Bibel steht, seinen Wert. Wir fühlen uns nicht genötigt, es zu politischen Zwecken zu mißbrauchen.
Herr Dr. Schneider, Sie haben in Ihren Ausführungen Geisterarmeen beschworen. Ich darf Sie daran erinnern, daß das, was heute von Sprechern aus Ihren Reihen in bezug auf entsprechende Beschlüsse Ihres bevorstehenden Parteitags zum besten gegeben wird, eine sehr breite Palette darstellt.
Wenn ich mir das vergegenwärtige, was die Hamburger CDU bereits vor drei, vier Jahren beschlossen hat, nämlich eine Kommunalisierung des Grundund Bodens, und das, was die Junge Union anstrebt, gelange ich zu der Auffassung, daß die CSU nicht nur, wie es ein Fernsehreporter gesagt hat, dabei ist, die CDU links zu überholen, sondern daß Ihre Fraktion insgesamt dabei ist, die SPD links zu überholen.
Ich meine, hier müssen Sie in Ihren eigenen Reihen einmal für Klarheit sorgen.Wir Freien Demokraten — das darf ich einmal offen sagen — sind nicht für die Abschaffung des Eigentums, sondern wir sind dafür, daß viele Menschen in den Genuß von Eigentum kommen.
Das sage ich für alle meine Kollegen. Was die grundsätzlichen Bestimmungen der Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes angeht, so muß man ehrlich zugeben, daß man damit alles in Richtung Vergesellschaftung von Grund und Boden machen kann.
Das heißt gleichzeitig, daß die Ausfüllung des Grundgesetzes vom Wollen der politischen Kräfte in diesen Fragen begrenzt werden muß. Das, was Sie in Ihrer geschichtlichen Rückschau zum besten gegeben haben, ist der beste Beweis dafür, daß überall dort Revolutionen ausgebrochen sind, wo sich das Eigentum in den Händen von nur wenigen befand.
— Ich will damit sagen, daß man einer Revolution vorbeugen kann, wenn man in vernünftiger Weise dafür sorgt, daß möglichst viele Menschen in den Genuß von Eigentum kommen. Das ist das Wollen der Freien Demokraten.
Wenn Sie aber die Geschichte bemühen, dann muß ich am Bauernkrieg anknüpfen. Das Eigentum hat viele Gesichter. Immerhin war es damals so, daß einige von denen, die dazu beigetragen haben, diese erste Revolution zu unterdrücken und in wenigen Wochen zehntausend Bauern totschlagen ließen, vom Kaiser dafür mit großen Lehen belohnt worden sind, die sie heute noch als Eigentum besitzen.
Ich nehme es gar niemandem übel, daß das so ist, weil nämlich der, der es besitzt, nichts dafür kann, daß es damals für diesen Zweck vergeben worden ist. Ich möchte damit nur sagen, daß man diese Diskussion sehr aufgeschlossen und nach allen Richtungen offen führen. muß.Auf jeden Fall steht eines fest. Die Dinge sind so, wie sie heute sind, nicht alle in Ordnung, und sie
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Gallusmüssen neu geordnet werden, und zwar nach den Vorstellungen der Freien Demokraten auf der Basis der These 1 im Kapitel „Eigentumsordnung" unseres Freiburger Programms, aus der ich Ihnen jetzt einmal vorlese:Freiheit braucht Eigentum. Eigentum schafft Freiheit. Es ist Mittel zum Zwecke der Wahrung und Mehrung menschlicher Freiheit, nicht Selbstzweck.
— Ja, gut, ich habe hier bereits festgestellt, daß ich mich darüber freue, daß Sie nun dabei sind, hier auf den richtigen Weg, nämlich auf die Basis unserer Vorstellungen zu gelangen.
Eines darf ich hier im Namen meiner Fraktion bekennen: daß wir alles dazu beitragen werden, daß die Novelle zum Bundesbaugesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
Ich sage das in dem Bewußtsein, daß die Diskussion in den Parteien natürlich sehr unterschiedlich geführt wird. Das ist das Recht jeder einzelnen Partei.
Ich glaube, das sollte man ebenfalls sagen.Ich bekenne mich z. B., um es ganz offen zu sagen, nicht zu der These, der Bauboden sei nicht vermehrbar. Sicher ist der Boden dieser Erde nicht vermehrbar, aber Bauboden ist vermehrbar. Und ich bin auch der Auffassung, daß wir alles in allem sehen müssen, nicht nur die Novelle des Bundesbaugesetzes, sondern auch das bereits verabschiedete Städtebauförderungsgesetz und die Möglichkeiten, die uns, insgesamt gesehen, in Zukunft gegeben sein werden, das Baugeschehen zu beeinflussen.Ein Weiteres hat, glaube ich, hier mein Kollege Engelhard bereits ausgeführt. Wir wollen in bezug auf Eigentum und Machtverteilung eines nicht: daß wir die absolute Obrigkeit der vergangenen Jahrhunderte durch die Vorstellung ersetzen: alle Macht den Gemeinden!
Ich bin selbst seit 15 Jahren Gemeinderat, und ich glaube, wir alle müssen dafür sorgen, daß auch hier die Macht begrenzt bleibt und die Rechte der Bürger gewahrt werden.
Denn ich warne — wenn das nicht geschehen sollte — davor, daß sich in vielen Gemeinden — diesen Ausdruck benutze ich von dieser Stelle aus nicht gern — in dieser Frage, ob gewollt oder ungewollt, eine große Vetterleswirtschaft breitmachen würde. Dies würde geschehen, wenn wir nicht diese Dingeentsprechend sauber absichern und die Macht im Gesetz entsprechend verteilen
und die Rechte des Bürgers dabei entsprechend wahren können.Ich möchte noch zu einem Wort Stellung nehmen, das hier in bezug auf das Nutzungseigentum gesagt worden ist. Auch hier, glaube ich, sollten wir uns davor hüten, die Dinge absolut zu nehmen.
Neue Formen des Eigentums werden kommen, denen wir uns nicht verschließen können. Sie müssen aber auf der Basis der Freiwilligkeit gefunden werden. Das scheint mir das Grundelement dafür zu sein, Gedanken in dieser Richtung anzustellen. In diesem Zusammenhang wird davon gesprochen, daß es keine Herrschaft über Menschen geben darf. Der Herr Minister hat heute diesen Satz zitiert. Wir müssen dabei bedenken, daß wir auch diese Vorstellung nicht absolut sehen und keinesfalls so auslegen dürfen, daß jeder Bürger lieber zum Gemeineigentum greift, als selbst dazu beizutragen, durch Konsumverzicht neues Eigentum zu bilden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Niegel : Herr Kollege Gallus, Sie sprechen von der Freiwilligkeit, wenn neue Eigentumsformen praktiziert werden sollen. Wie können Sie sich eine Freiwilligkeit vorstellen, wenn z. B. nach den Thesen oder den Beschlüssen des SPD-Parteitages Eigentum nicht an Private abgegeben werden darf, wenn die Gemeinde beschließt, daß sie das Nutzungseigentum einführt?
Ich kann die SPD als Partei nicht daran hindern, auf ihren Parteitagen etwas Derartiges zu beschließen.
Ich kann auch die Gemeinde, in der die SPD die Mehrheit hat, nicht daran hindern, etwas Derartiges zu beschließen. Die Frage ist, ob in diesem Hause eine Mehrheit zustande kommt, um die gesetzliche Grundlage zu schaffen, die die Handhabe dafür abgibt.
Das ist für mich, der ich Abgeordneter einer Regierungsfraktion bin, die entscheidende Frage.
— Herr Kollege, es ist immer gut, wenn man sich gegenseitig an Dinge erinnert, die anscheinend der Vergangenheit angehören. Heute abend müßten eigentlich mehr in diesem Saale sein. Es wäre ganz gut sich an die Diskussion über Eigentum vor dem Mißtrauensvotum, vor der Landtagswahl in Baden-
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GallusWürttemberg und vor der Bundestagswahl zu erinnern. Aber das alles wollen wir einmal beiseite lassen. Da würden nämlich Dinge hochkommen, bei denen sich manche angesichts der heute so sachlich geführten Diskussion eigentlich im Rückblick schämen müßten.Nun möchte ich ein Wort zu den Kirchen sagen. Wir müssen wohl alle für die Stellungnahme der Kirchen über die Neuordnung des Bodenrechts dankbar sein.
Ich meine, daß sie gute Grundlagen für die Diskussion abgegeben hat.
Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Kirchen mit Empfehlungen und entsprechenden Vorschlägen sehr wohl das Ihre zur Diskussion beitragen, genügt nicht. Besser wäre es, in bezug auf ihren eigenen Besitz entsprechend zu handeln, um selbst zu einer breiteren Streuung des Eigentums beizutragen.
— Das gilt für alle.
Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Für die Freien Demokraten ist die Tatsache entscheidend, daß die Vielfalt des Eigentums erhalten und weiterentwickelt wird und viele Bürger die Chance zum Erwerb von Eigentum bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister hat in seiner Antwort auf meine Ausführungen unter anderem kritisiert, daß ich im Zusammenhang mit den geschichtlichen Beispielen, 28. Februar 1933 und Oktoberrevolution in Rußland, falsche historische Bezüge hergestellt hätte. Aus dem Protokoll geht folgendes hervor.Ich habe darauf hingewiesen, daß die Verfassungsgeschichte unseres Landes beweist, daß der Kampf für die übrigen Grundrechte — ich habe sie alle aufgeführt — auch ein Kampf für das Privateigentum war. Dann habe ich gesagt:Dafür gibt es eindrucksvolle Beispiele aus der Geschichte.In dem Augenblick kamen der Zuruf des Kollegen Conradi: „Drittes Reich!" sowie weitere Zurufe von der SPD: „Portugal! Spanien!"Daraufhin habe ich — was ich gar nicht vorhatte — aus dem Ärmel heraus die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 und die sieben Grundrechte zitiert, die damals außer Kraft gesetzt worden sind. Als siebtes Grundrecht habe ich den Art. 153 genannt, der das gleiche besagt, wie Art. 14 unseres Grundgesetzes; das war der Punkt eins.Da mir hinsichtlich Spanien und Portugal ein historischer Vorgang gleichen Umfangs und gleichen Inhalts nicht bekannt war, habe ich das „Dekret über den Boden" zitiert und damit ein historisches Faktum angeführt.Daß in diesem Zusammenhang der Kollege Gansel die unparlamentarische Flegelei begangen hat
— ich kann es gar nicht anders ausdrücken —, mich deswegen einen Ehrabschneider zu nennen, weil ich in aller Sachlichkeit zwei historische Beispiele angeführt habe, mag Ihrem parlamentarischen Stil entsprechen; ich weise das entschieden zurück. Leider hat der Präsident diesen unparlamentarischen Zuruf nicht gehört.Gestatten Sie mir noch zwei andere Bemerkungen.Auch ich bin mit dem Verlauf der heutigen Debatte und mit der Teilnahme an ihr nicht zufrieden. Warum? Weil es mir in der Tat darum gegangen wäre, zu den eigentlichen Sachproblemen — Städtebau in den unterschiedlichsten Themenbereichen — mehr zu sagen, mehr zu diskutieren.
Wir wären auch dazu in der Lage gewesen, hätte die Bundesregierung die Fragen eins bis acht beantwortet, hätte sie insbesondere in der für uns wesentlichen Frage einer künftigen Entwicklung unserer Eigentumsordnung ja oder nein gesagt. Sie hat sich in der Antwort der Stimme enthalten, und auch alle Einlassungen zu diesem Punkt waren keine Antwort auf das, was ich gefragt habe.Was das Erbbaurecht angeht, so kann ich nur sagen: Es ist für unseren Zusammenhang völlig uninteressant, wer damals ja oder nein gesagt hat. Entscheidend ist nur, daß sich das Erbbaurecht als Rechtsinstitut bewährt hat und daß es von niemandem von uns in irgendeiner Weise in Frage gestellt worden ist.
Wichtig ist mir auch noch, daß sich das GEWOS-Gutachten vom April — GEWOS ist ein Institut, das sicherlich nicht im Dienste der CDU/CSU-Fraktion steht — zu zwei wesentlichen Punkten der heutigen Debatte geäußert hat, einmal dazu, ob es zu empfehlen wäre, die bodenpolitische Entwicklung unter dem Vorzeichen des Art. 15 voranzutreiben. Hier kam das Gutachten zu dem Ergebnis, daß die damit verbundenen Vorteile die damit verknüpften Nachteile wesentlich übertreffen.
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Dr. SchneiderIn dem Gutachten heißt es auch, daß der § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs einer modernen Fortentwicklung des Bodenrechts nicht im Wege steht. Das Gutachten bewegt sich also ganz und gar auf der Grundlage des Art. 14.Herr Kollege Gallus, Ihr Temperament — Sie haben die Bauern-Kriege zitiert und in einer burlesken Weise heitere, dörfliche Stimmung in den Bundestag gebracht; darüber haben sich alle gefreut. Warum sollen wir nicht auch einmal heiter lachen?! — erinnert mich nicht so sehr an einen Bauer der Bauern-Kriege, sondern vielmehr an Ihren württembergischen Landsmann, den Pfeifer von Niklashausen,
der vor 500 Jahren in der deutschen Geschichte ein wenig berühmt geworden ist. Ich muß Ihnen sagen: Uns auch nur mit einem Gedanken zu unterstellen, wir hätten ein nicht ganz keusches Verhältnis zum Privateigentum — das klang so heraus —, ist doch des Guten zu viel. Wenn Sie aber schon einen CDU- oder CSU-Mann damit in Verbindung bringen wollen, muß ich Sie an etwas erinnern. Mir fällt gerade ein, und ich glaube mich nicht zu täuschen, daß das frühere Mitglied dieses Hohen Hauses, der FDP-Abgeordnete Atzenroth, eine heftige Kontroverse mit dem damaligen Ressortminister Paul Lücke hatte, als es um die Verabschiedung des Bundesbaugesetzes ging. Er verwahrte sich nämlich gegen die vielen Einschränkungen der Eigentumsfreiheit im Bundesbaugesetz. Das war dem Herrn wesentlich zuviel, und er sagte im Zusammenhang mit dem Begriff „Gemeinwohl", einem Terminus aus Art. 14 des Grundgestzes, man solle ihm doch nicht mit diesem Begriff kommen, denn unter dem Begriff „Gemeinwohl" und „Volkswohl" habe man vor 170 Jahren die Guillotine in Bewegung gesetzt.Ich unterstelle Ihnen das gleiche nicht, aber wenn Sie mir mit historischen Zitaten kommen wollen, was einstmals der und jener gemacht hat, darf ich Ihnen sagen, die FDP — ich spreche jetzt von dieser Zeit — hat sicherlich nicht zur Vorhut des bodenpolitischen Fortschritts gehört.
Mir ging es darum, den politischen, sozialen, sittlichen und geschichtlichen Rang des Eigentums aufzuzeigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Bitte!
Herr Kollege Schneider, Wollen Sie bestreiten, daß die FDP als erste Partei einen Beschluß eines Parteitages zur Neuordnung des Bodenrechts und zum Eigentum herbeigeführt hat?
Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht mit Ja beantworten, ich kann es auch nicht bestätigen, weil mir aus anderen Parteien seit langer Zeit derartige Beschlüsse bekannt sind.
Ich darf Ihnen beispielsweise sagen, da gibt es in deutschen Landen eine ganz gut im Leben aufgewachsene Partei, die heißt Christlich-Soziale Union. Die hat im Jahre 1946 in Vorbereitung auf die Beratungen in der Verfassungsgebenden Landesversammlung in Bayern bodenrechtliche Beschlüsse gefaßt. Einer dieser Beschlüsse
— meine Herren von der SPD, hören Sie jetzt gut zu, weil das typisch Bayerisch ist, was ich jetzt sage — hat Eingang in die Bayerische Landesverfassung gefunden, und zwar in Art. 161 Abs. 2. Dort heißt es nämlich, daß Bodenwertsteigerungen, die nicht auf eigene Leistungen oder Kapitaleinsatz zurückgehen, abgeschöpft werden sollen. Dies stand in einem der ersten Beschlüsse, den die CSU überhaupt auf einem Parteitag gefaßt hat. Da Ihr Beschluß vom Oktober 1971 stammt — Freiburger Beschlüsse — und von 1946 bis 1971 25 Jahre vergangen sind, darf ich feststellen, daß die CSU der FDP schon damals um 25 Jahre voraus war.
Das Wort hat der Abgeordnete Henke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Angst, ich will hier nur einige wenige Bemerkungen machen.
Der Kollege Dr. Jahn meinte, hier mit juristischen Spitzfindigkeiten dartun zu müssen, daß die Sozialdemokraten die Eigentumsbildung begrenzen, einschränken wollen. Die Zahlen, die der Kollege Schwedler vorgetragen hat und die ihren Hintergrund in einem Gutachten von Professor Duvensack haben — wir können das Material zur Verfügung stellen — beweisen eindrucksvoll, daß das Gegenteil der Fall ist, daß in den letzten Jahren die Eigentumskurve völlig konstant geblieben ist.
Ich meine auch, Herr Kollege Dr. Jahn, daß man eine Diskussion um mögliche neue Eigentumsformen nicht damit abwehren kann, daß man sich auf die Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches beruft.
Wer das Bürgerliche Gesetzbuch antastet, tastet nicht die Grundfesten dieser Gesellschaft an. Es geht hier darum, daß wir den Sozialstaatauftrag des Grundgesetzes erfüllen wollen. Das hat mit dem BGB überhaupt nichts zu tun. Wenn das BGB diesem Auftrag im Wege steht, dann muß das BGB geändert werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jahn?
Herr Kollege, darf ich unterstellen, daß die Regierung, wenn sie eine Gesetzesänderung einbringt, auch eine Motivation hat und dieser Gesetzesänderung irgendeinen Sinn beifügt? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn
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3130 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973
Dr. Jahn
Sie mir eine Erklärung dafür geben könnten, warum hier von den bisherigen zwei Zielsetzungen nunmehr nur noch eine Zielsetzung übrigbleibt.
Ich glaube, die Überschrift dieses Gesetzes beantwortet Ihre Frage. Da geht es um den Wohnbesitzbrief und die verstärkte Eigentumsbildung. So heißt das Gesetz, und insoweit verstehe ich Ihre Frage nun wirklich nicht.
Sie haben weiter angesprochen, Herr Kollege Dr. Jahn, daß unter anderem auch im Hause des Herrn Dr. Vogel Überlegungen zum Nutzungseigentum angestellt werden. In der Tat stehen in einem Arbeitspapier solche Bemerkungen darin. Ich weiß nicht, was dieses Mißtrauen soll. Der Herr Minister hat Sie doch eingeladen, Sie von der Opposition, an dieser Diskussion teilzunehmen. Sie sind wirklich sehr herzlich eingeladen. Dann sind alle die Bedenken, die Sie hier angemeldet haben, wahrscheinlich von vornherein unbegründet und fallen unter den Tisch.
Ich will nicht über Raumordnung in NRW sprechen. Nur soviel noch: 1966 und 1973, dies ist ein grundlegender Wandel. Damals konnte man vielleicht noch von der Wohnungsnot sprechen. Heute haben wir eine Phase erreicht, dan kann man vielleicht noch vom Wohnungsmangel reden. Die Situation, daß wir mit der Gießkanne arbeiten müßten, ist Gott sei Dank vorbei. Heute können wir die Verteilung öffentlicher Mittel wirklich auch raumordnerischen Gesichtspunkten unterwerfen. Ich nehme an, daß wir da einer Meinung sind.
Nur noch zwei Sätze zum Kollegen Dr. Schneider! Herr Kollege Dr. Schneider, Sie meinten betonen zu müssen, der Kampf urns Privateigentum würde deshalb zu führen sein, um die Grundrechte zu schützen. Sie haben es etwas anders formuliert, aber im Grunde genommen haben Sie das sagen wollen. Aber ich will Ihnen sagen, Herr Dr. Schneider: die Grundrechte stehen hier und heute und für Sozialdemokraten überhaupt nicht zur Diskussion.
Ich weiß nicht, was solche Unterstellungen sollen. Belehrungen in dieser Richtung hat die Sozialdemokratische Partei nicht nötig. Es geht darum, daß wir den Eigentumsbegriff im Sinne der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes überprüfen und vielleicht nach den Vorstellungen eines doch gewiß nicht der SPD angehörenden oder ihr sehr nahestehenden Verfassungsrechtlers, Professor Leibholz, erfüllen, der auch gemeint hat: man muß in Grund und Boden nach neuen Eigentumsinhalten suchen. Ich meine, daß solche diffamierenden Gedankenverbindungen wirklich in einer solchen Diskussion nicht am Platze sind, Herr Kollege.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Henke, wollen Sie es in der Tat als eine diffamierende Gedankenverbindung bezeichnen, wenn ich darauf hinweise, daß der Eigentumsschutzartikel 14 im Grundgesetz im Grundrechtskatalog steht und daß unter den sieben Grundrechten, die aufgehoben wurden, auch der Art. 153, der Eigentumsartikel, war? Ist diese objektive Feststellung diffamierend?
Aber, Herr Dr. Schneider, da müssen Sie also den Art. 14 ganz zitieren und dann den Art. 15 und dann wollen wir uns um den Inhalt kümmern. Wenn Sie sagen, der Kampf um das Eigentum ist der Kampf um die Grundrechte, dann versteht doch jeder etwas völlig anderes darunter, als Sie das hier dargestellt haben.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen — damit wir diese Debatte vielleicht noch sinnvoll beenden können —.
ich wäre Ihnen sehr dankbar, liebe Kollegen von der CDU/CSU, unterstützen Sie uns in den nächsten Monaten bei den Beratungen der Novelle zum Bundesbaugesetz. Dies ist, so meine ich, aktive Politik im Sinne der Städtebaupolitik. Wenn Sie dazu bereit wären, würde wahrscheinlich in naher Zukunft eine Anfrage, wie sie von Ihnen gestellt worden ist, Herr Dr. Schneider, eine noch positivere Antwort finden können.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über die Große Anfrage der CDU/CSU über Städtebau und Städtebaupolitik.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften— Drucksache 7/271 a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1021 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
Drucksache 7/719 — Berichterstatter:Abgeordneter BergerAbgeordneter Wittmann (Erste Beratung 21. Sitzung)Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen in zweiter Beratung zur Abstimmung über Art. 1, 2, 2 a, 3, 4, 5, Einleitung und Über-
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Vizepräsident von Hasselschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Es ist so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Wir haben dann noch über Nr. 2 des Ausschußantrages abzustimmen. Wer Nr. 2 des Ausschußantrages zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesreisekosten- und Bundesumzugskostengesetzes— Drucksache 7/283 --a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1052 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/1038Berichterstatter: Abgeordneter BergerAbgeordneter Groß Abgeordneter Wittmann
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen in zweiter Lesung zur Abstimmung über die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung..Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf in der in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrages auf Seite 3 der Vorlage abzustimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. —Keine Gegenstimmen. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 13, 14 und 15 der Tagesordnung auf :13. Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1973hier: Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung —— Drucksachen 7/848, 7/1007 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. DübberBeratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1973hier: Einzelplan 12 — Bundesminister für Verkehr —- Drucksachen 7/834, 7/1015 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
15. Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU' CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1973hier: Einzelplan 11 — Geschäftsbereich desBundesministers für Arbeit und Sozialordnung -- Drucksachen 7/847, 7/1020 — Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerWird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer den Anträgen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 7/1007, 7/1015 und 7/1020 zustimmen will, gebe bitte sein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit Mehrheit bei einigen Gegenstimmen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16, 17 und 18 auf:16. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der nachträglichen Unterrichtung über ,die Veräußerung einer 1,9 ha großen Teilfläche der Kasernenanlage in Kassel an der Frankfurter Straße an das Land Hessen— Drucksachen 7/772, 7/1016 —Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker17. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung betr. Veräußerung des ehemaligen
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Vizepräsident von HasselSchießstandsgeländes Dornhalde in Stuttgart an die Stadt Stuttgart— Drucksachen 7/595, 7/1017 — Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker18. Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu der von der Bundesregierung vorgelegten Unterrichtung über die verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken— Drucksachen 7/282, 7/1018 — Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerWird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer den Anträgen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 7/1016, 7/1017 und 7/1018 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Oktober 1973, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.