Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Zunächst ein Glückwunsch: Der Kollege Dr. Dahlgrün hat am 19. Mai seinen 60. Geburtstag gefeiert.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Präsident des Bundesversicherungsamtes hat am 16. Mai 1968 die Abrechnung über die Rentenzahlungen, Beitragserstattungen und Beitragszahlungen für die Krankenversicherung der Rentner in der Rentenversicherung der Arbeiter für das Kalenderjahr 1967 zur Kenntnis übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus. -Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über die Bedingungen für die Änderung des Wertes der Rechnungseinheit für die gemeinsame Agrarpolitik
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Durchführungsvorschriften zu der vorstehenden Verordnung- Drucksache V/2866 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — federführend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen Nr. 136/66/EWG, 120/67/EWG, 121/67/EWG, 122/67/EWG, 123/67/ EWG, 359/67/EWG und 1009/67/EWG zur Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen für Fette, Getreide, Schweinefleisch, Eier, Geflügelfleisch, Reis und Zucker— Drucksache V/2909 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai erfolgen wirdRichtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit bestimmtem zerlegtem frischem Fleisch— Drucksache V/2910 —an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Juni erfolgen wirdVerordnung des Rates über die Finanzierung der Ausgaben für Interventionen auf dem Binnenmarkt im Sektor Fette— Drucksache V/2911 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai erfolgen wird.Verordnung Nr. 542/68 des Rates vom 30. April 1968 zur Änderung der Verordnung Nr. 215/66/EWG hinsichtlich der Festsetzung des besonderen Preises frei Grenze für Milchpulver für FutterzweckeVerordnung Nr. 543/68 des Rates vom 1. Mai 1968 zur Änderung der Verordnung Nr. 841/67/EWG zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Apfelsinenan den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werdenVerordnung Nr. 518/68 des Rates vom 29. April 1968 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Blumenkohl für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 1968an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn für Ausschuß Bedenken gegen die Vorschläge erhoben werdenVerordnung des Rates zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1967/1968 vorhandenen Bestände an Weichweizen, Hartweizen und Maisan den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenZu der in der Fragestunde der 175. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Mai 1968 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Müller , Drucksache V/2904 Nr. 6 5), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Lauritzen vom 15. Mai 1968 eingegangen. Sie lautet:Nach den bis Ende vorigen Jahres geltenden gesetzlichen Bestimmungen wären alle verbliebenen „schwarzen Kreise" — mit Ausnahme von Berlin — am 1. Januar dieses Jahres „weiß" geworden. Durch ein besonderes Gesetz, das Schlußterminänderungsgesetz, ist dieser Termin für sieben Kreise, darunter auch München, um ein Jahr hinausgeschoben worden. Dieses Gesetz beruht auf einer Vorlage der Bundesregierung, die der Bundestag im Dezember vorigen Jahres verabschiedet hat.Die Ausnahmeregelung für die sieben Stadt- und Landkreise war von den zuständigen Landesregierungen beantragt worden. Bisher haben in dieser Frage noch keine Verhandlungen mit den Ländern stattgefunden.Zu den in der Fragestunde der 174. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. Mai 1968 gestellten Fragen des Abgeordneten Strohmayer, Drucksache V/2904 Nrn. 80 und 81 5), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 20. Mai 1968 eingegangen. Sie lautet:Das im Bundesgebiet vorhandene und unter treuhänderischer Verwaltung stehende sogenannte Westvermögen der ehemaligen Ostbanken wird nach den Unterlagen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen auf rund 100 Mio DM geschätzt. Hiervon entfallen rund 41 Mio DM auf Vermögen von Kredit-Instituten, die ihren letzten Sitz in einem Vertreibungsgebiet hatten.Die Abwicklung der Westvermögen soll durch ein Abwicklungsgesetz geregelt werden, das zur Zeit vom Bundeswirtschaftsministerium auf Referentenebene vorbereitet wird. Dabei ist — in Anlehnung an allgemeine handelsrechtliche Grundsätze — vorgesehen, daß zunächst die_ Ansprüche der Westgläubiger zu befriedigen sind. Hauptgläubiger der Institute aus den Vertreibungsgebieten ist der Lastenausgleichsfonds. Auf ihn sind nach § 5 des Währungsausgleichsgesetzes die Anprüche aus Sparguthaben übergegangen, die er entschädigt hat.Sofern nach Befriedigung der Gläubiger noch ein Vermögensüberschuß verbleibt, ist dieser grundsätzlich an die Anteilseigner des Kreditinstitutes auszuhändigen. Eine abweichende Regelung wird u. a. für die Fälle vorzusehen sein, in denen die Anzahl der Mitglieder einer Kreditgenossenschaft*) Siehe 175. Sitzung, Seite 9400 C*) Siehe 174. Sitzung, Seite 9384 C
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9510 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Vizepräsident Dr. Mommernicht bekannt ist und es eine unbillige Begünstigung der wenigen im Bundesgebiet ansässigen und sich meldenden Mitgliederbedeuten würde, wenn sie das gesamte Restvermögen erhalten.Das Wort zur Tagesordnung hat Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte auf die Tagesordnung zu setzen
als Punkt 3: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksachen V/1880, V/2930 —,
als Punkt 4: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2361, V/2934 —,
als Punkt 5: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs — Drucksachen V/2388, V/2933 —,
als Punkt 6: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes — Drucksachen V/2585, V/2946, V/2935 —,
als Punkt 7: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung — Drucksachen V/2362, V/2947, V/2932, zu V/2932 —,
als Punkt 8: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2387, V/2931 —,
als Punkt 9:
a) Dritte Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes — Drucksachen V/1879, V/2873, V/2917 —,
b) Zweite Beratung des von der FDP eingebráchten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall — Drucksachen V/2130, V/2873 —,
als Punkte 10, 11, 12, 13, 14 und 15 jeweils die dritte Lesung der Gesetze, deren Aufsetzung auf die Tagesordnung für die zweite Lesung ich soeben unter den Punkten 3 bis 8 vorgeschlagen habe.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU sind der Auffassung, daß diese Materien jetzt entscheidungsreif sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP widerspreche ich der Aufsetzung der soeben beantragten Punkte auf die Tagesordnung. Das Haus hat erst, ich kann fast sagen, vor wenigen Stunden die
Drucksachen über die Ausschußbeschlüsse — wichtigste Fragen! — erhalten. Wir werden heute im Laufe des Tages Änderungen des Strafrechts beschließen, die Bedeutung auch für einen Teil der Gesetzgebungsmaterien haben, die nach diesem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um Vorlagen, bei denen kein Abgeordneter sein Votum allein auf Grund der Expertenratschläge abgeben kann. Hier muß jedes Mitglied des Hohen Hauses seine Entscheidung für sich treffen und die Entscheidungsvoraussetzungen für sich prüfen.
Ich bitte Sie deshalb, allen Kollegen des Hohen Hauses, die nicht selbst schon seit langem in den Ausschüssen mit diesen Fragen befaßt sind, Gelegenheit zur gründlichen Überprüfung und Beratung zu geben. Ich bitte Sie auch, meine Damen und Herren, eine breite öffentliche Diskussion zwischen der zweiten und der dritten Lesung zu ermöglichen, weil wir alle ein Interesse daran haben, daß diese Beratung nach gründlicher Abklärung auch in der Öffentlichkeit stattfinden kann. Aus der Sache heraus ist für die gegebenen Vorlagen ein Zwang zur Behandlung in dieser Woche nicht gegeben.
Wir bitten Sie deshalb, mit uns dafür einzutreten, daß die zweiten und .die dritten Lesungen nach der Pfingstpause stattfinden können.
Meine Damen und Herren, wir stimmen ab über die Erweiterung der Tagesordnung nach den hier vorgebrachten Anträgen des Herrn Abgeordneten Rasner. Wer für die Erweiterung der Tagesordnung ist, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Die Erweiterung der Tagesordnung ist mit großer Mehrheit beschlossen.Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung, die in Ihren Mappen liegt, überholt. Es wird gleich eine neue, erweiterte Tagesordnung verteilt. Sie können sie von der alten durch die Zahl der Punkte unterscheiden, aber auch daran, daß oben unter den Sitzungsnummern jetzt steht: „nach den Beschlüssen des Deutschen Bundestages am 29. Mai 1968".Wir treten dann ein in dieFragestunde— Drucksachen V/2936, V/2949 —Zunächst rufe ich die Dringlichkeitsanfrage des Herrn Abgeordneten Biechele aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf:Ist die Bundesregierung bereit, den „SOS-Biafra-Aufruf" des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz vom 28. Mai 1968 aufzunehmen und die geplante Hilfsaktion für Biafra, die nur humanitären Zielen dient, zu unterstützen?
— Meine Damen und Herren, Ich bitte um Ruhe. Auch die Fragestunde muß in Ordnung abgewickelt werden. Meine Herren Kollegen, die Sie sich stehend im Saal befinden. Ich bitte Sie, nicht herum-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9511
Vizepräsident Dr. Mommerzustehen, sondern die Abwicklung der Fragestunde möglich zu machen. Wir haben in dieser Woche viel vor uns. Wenn wir die soeben beschlossene Tagesordnung fristgerecht erledigen wollen, ist einige Disziplin notwendig.Zur Beantwortung ist hier der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jahn. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet: ja.
Zu einer Zusatzfrage Herr Biechele.
Kann die Bundesregierung Hinweise über das Ausmaß der menschlichen Not in Biafra und über Art und Umfang der unbedingt notwendigen Hilfe geben, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz veranlaßt haben, diesen beschwörenden Hilferuf an die Welt zu richten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung weiß aus eigenen Informationen, daß der Hilferuf des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz wohlbegründet ist und einer sehr sorgfältigen und wohlwollenden Prüfung nicht nur bei uns bedarf.
Noch eine Frage, Herr Biechele.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, dazu beizutragen, daß die Grenze nach Biafra für Hilfesendungen von Lebensmitteln und Medikamenten, die für die Zivilbevölkerung bestimmt sind, geöffnet wird? Handelt es sich hier doch darum, daß man sich für das Menschenrecht schlechthin, für das Recht auf Leben einsetzt, und zwar für Menschen, die hilflos einer erbarmungslosen Vernichtungsaktion ausgeliefert sind!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß in der Frage des Zugangs nach Biafra zunächst einmal die Bemühungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz abgewartet werden sollten, das in dieser Frage sicherlich der geeignetste Sprecher für diese Bitte ist. Darüber hinaus kann aber aus Erfahrung gesagt werden, daß Möglichkeiten gefunden werden, die Hilfssendungen im notwendigen und möglichen Umfange unmittelbar nach Biafra gelangen zu lassen.
Keine Zusatzfrage. — Ich danke für die Beantwortung dieser Frage.
Wir kommen zur einzigen Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers, Frage 4 des Abgeordneten Weigl:
Trifft es zu, daß in diesem Jahr die bewährte Kreditaktion far die Zonenrandgebiete zur Förderung der Instandsetzung und Modernisierung von Wohngebäuden aus Mitteln des ERP-Sonderprogramms nicht mehr fortgeführt werden soll?
Ist er im Saal? — Er ist im Saal.
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Langer. Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß im ERP-Wirtschaftsplan 1968 keine Mittel für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen von Altwohngebäuden im Zonenrandgebiet veranschlagt wurden. Allerdings sind im Rahmen des Zweiten Konjunkturprogramms zinsverbilligte Kapitalmarktkredite von rund 250 Millionen DM für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an Altwohngebäuden in das Zonenrandgebiet geflossen. Nur deshalb hat die Bundesregierung davon abgesehen, zusätzlich zu diesen beträchtlichen Hilfen im Rechnungsjahr 1968 für diesen Zweck auch noch Mittel des ERP-Wirtschaftsplans einzusetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Weigl.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß trotz dieser Hilfe durch die Bundesregierung noch sehr viele Anträge von Althausbesitzern aus dem Zonenrandgebiet seit. Monaten unerledigt bei den zuständigen Stellen, z. B. bei der Landesbank für Haus- und Grundbesitz in München, liegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich weiß, daß noch nicht alle Anträge erledigt sind. Ich darf aber darauf hinweisen, daß neulich in einer Diskussion mit dem Haus- und Grundbesitzerverband hinsichtlich der soeben genannten 250 Millionen DM sowohl die Bearbeitung als auch das Abfließen als außerordentlich rasch bezeichnet worden sind.
Ich darf hier auch noch einmal sagen, daß wir im ERP-Plan in den letzten Jahren 10 Millionen DM angesetzt hatten, es sich hier aber um 250 Millionen DM gehandelt hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.Ich rufe die Fragen 1 und 2 des Herrn Abgeordneten Moersch aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf:Worin liegt nach Ansicht der Bundesregierung die „Manipulation in der Presse", deren Zunahme der stellvertretende Regierungssprecher Ahlers am 7. Mai 1968 in Frankfurt als eine Gefahr genannt hat?Wann ist der Punkt erreicht, an dem sich die Bundesregierung nach den Worten des stellvertretenden Regierungssprechers Conrad Ahlers gezwungen sieht, mit Propaganda zu antworten?Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Diehl hier. Bitte, Herr Staatssekretär!b51'Metadaten/Kopzeile:
2 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen gemeinsam beantworten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Herr Ahlers hat in der Tat am 7. Mai vor der Deutschen Journalisten-Union in Frankfurt und am 9. Mai auf der Jahrestagung des EMNID-
Instituts über Pressefragen gesprochen und hat dabei seine Ansichten geäußert.
Die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit, das Bundeskabinett, hat sich mit diesen Fragen noch nicht systematisch befaßt. Als Chef des Presse- und Informationsamts kann ich aber versuchen zu definieren, was unter „Manipulation in der Presse" zu verstehen ist. Es handelt sich meines Erachtens um Vorgänge, wo durch Weglassen oder durch falsche und verzerrte Wiedergabe von Tatbeständen oder Äußerungen eine Unterlage bewußt, nicht durch berufliche Nachlässigkeit, sondern durch bewußte Entscheidung, für eine kritische und polemische Wertung der Vorgänge geschaffen werden soll.
Dieser Versuch einer Definition deckt sich in etwa mit der des Deutschen Presserats, der in seiner Sitzung vom 8. Mai 1968 folgenden Text verabschiedet hat:
Diese Gefahr ist besonders dann gegeben, wenn Informationen unterdrückt, entstellt wiedergegeben oder einseitig ausgesucht werden, wenn falsche tendenziöse Überschriften Verwendung finden oder eine Agitationssprache gebraucht wird, die zu gefährlichen Kurzschlußreaktionen der Leser führen kann.
Was Ihre zweite Frage betrifft, so hat Herr Ahlers in seinen Äußerungen davon gesprochen, er könne sich vorstellen, daß in einigen Jahren die Bundesregierung gezwungen sei, zum Mittel der Propaganda zu greifen. Er hat gesagt:
Wir werden uns nach meiner Ansicht heute schon überlegen müssen, inwieweit wir als Gesellschaft dem demokratischen Staat das Mittel der Propaganda als Mittel der Selbstverteidigung gegen antidemokratische Bewegungen zubilligen wollen.
Ich selbst bin der Auffassung — ich darf wiederholen: er hat gesagt, es werde in einigen Jahren möglicherweise eine solche Situation entstehen —, daß die gegenwärtige Arbeit des Presse- und Informationsamtes von der Informationspflicht und nicht von dem Wunsch oder der Notwendigkeit nach Propaganda bestimmt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die hier von Ihnen zitierte Stellungnahme des Presserates sich exakt nicht auf die Zeitungen bezogen hat, die Herr Ahlers gemeint hatte, als er von Manipulationen sprach — ich denke an die
Frankfurter Rundschau und andere -, sondern daß diese Stellungnahme des Presserates ganz offensichtlich abgegeben wurde als Folge einer Untersuchung von Nachrichtenmanipulationen in der BildZeitung und in anderen Blättern des Hauses Springer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, daß die Diskussion um den Springer-Konzern den Presserat dazu gebracht hat, sich mit diesem Problem zu beschäftigen.. Dennoch geht die dort gegebene Definition meiner Ansicht nach über dieses spezielle Phänomen hinaus. Sie ist in der Tat eine sehr gute Beschreibung des Vorganges, von dem wir hier sprechen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie das Verhalten der Bundesregierung und ihres Informationsamtes bei der damaligen Einbringung der Regierungsvorlage zum Notstand nennen, wo ein Waschzettel anstatt des originalen Textes ausgegeben wurde, der mit dem Inhalt der tatsächlichen Gesetzesvorlage in wesentlichen Punkten nur wenig zu tun hatte? Halten Sie das nicht auch für eine Manipulation von oben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist so, daß die bewegte Geschichte der Texte zur Notstandsgesetzgebung es oft schwergemacht hat, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau darzustellen, was im Augenblick zur Verhandlung stand. Das ist übrigens bis vor kurzem ein Problem für die Information gewesen, bis die Texte vorlagen. Das Entscheidende, Herr Abgeordneter — ich darf das wiederholen —, ist die bewußte Absicht, einen Tatbestand verzerrt wiederzugeben, und zwar nicht aus Nachlässigkeit oder Unzulänglichkeit, sondern um eine Grundlage für eine kritische und polemische Wertung zu schaffen.
Dritte Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie zu der zweiten Frage fragen, ob Sie wirklich der Ansicht sind und ob es wirklich die Ansicht der Bundesregierung ist, daß es eine Möglichkeit gäbe, antidemokratischen Kräften mit Propaganda zu begegnen. Sind Sie nicht vielmehr der Ansicht, daß genau das der falsche Weg wäre,, daß sachliche Information und Diskussionsbereitschaft und demokratisches Verhalten der einzig mögliche Weg ist, um mit antidemokratischen Kräften fertig zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin der Meinung, daß es, wenn eine Klärung der gegenwärtig in der Diskussion befindlichen Gegenstände erfolgt ist, vermutlich niemals notwendig sein wird, zu dem Mittel einer sehr bestimmten publizistischen Auseinandersetzung — und das verstehe ich unter Propaganda — zu greifen,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9513
Staatssekretär Diehlsondern daß in der Tat mit sachlicher Information der Meinungsbildung in der Offentlichkeit am besten gedient ist. Aber Sie müssen — auch nach der Äußerung von Herrn Ahlers — es so verstehen, daß das in seinen Gedanken als eine Abwehrmaßnahme konzipiert worden ist, wenn nämlich nicht das berufliche Ethos und die eigene Einsicht innerhalb einer bestimmten Sparte des Journalismus dazu führt, daß die Manipulation der Nachrichtengebung entweder stark zurückgeht oder — noch besser — völlig aufgegeben wird.
Noch eine Frage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Ansicht, daß dem Ansehen des Presse- und Informationsamtes durch Vorträge der hier zitierten Art seines stellvertretenden Leiters nicht gedient worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin im Gegenteil der Meinung, daß Herr Ahlers ein gutes Beispiel dafür ist, daß der Dienst im Staate die Persönlichkeit nicht abschleift.
Wenn ich selbst etwas hinzufügen darf, weil in der Tat das Wort „Propaganda" bei dem einen oder anderen Anstoß erregt: Ich gebrauche es in dem ursprünglichen Unschuldsgehalt des Wortes, wie er auch im kirchlichen Sprachgebrauch in „propaganda fide" noch zu erkennen ist.
Eine Zusatzfrage hierzu? — Bitte! Herr Abgeordneter Mertes!
Herr Staatssekretär, welche Garantien können Sie uns dafür bieten, daß Kritik an Maßnahmen einer Regierung nicht bereits mit dem von Ihnen hier gebrauchten Begriff „antidemokratische Bewegungen" gleichgestellt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Begriff „antidemokratische Bewegung" ist leicht zu definieren. Ich würde darunter Gruppen fassen, die sich erklärtermaßen zum Ziel gesetzt haben, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und in der Bundesrepublik die Verfassung, die dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung Gestalt gibt, anzugreifen oder umzustürzen.
Wir kommen zur Frage 11 des Herrn Abgeordneten Mertes.
Welche außenpolitische Wirkung hat sich die Bundesregierung von der Erklärung ihres Sprechers in der Pressekonferenz am 22. Mai 1968 erholst, sie habe Informationen über eine geplante Truppenverlegung in Stärke von 10 000 bis 12 000 Soldaten des Warschauer Pakts in die CSSR?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf auf Ihre Frage antworten, daß die Mitteilung, die ich auf der Pressekonferenz am 22. Mai 1968 gemacht habe, zunächst eine Mitteilung in der Routine-Berichterstattung über die Inhalte der Kabinettsitzung war, die jedesmal nach einer Sitzung des Bundeskabinetts über wesentliche, für die Öffentlichkeit von Belang seiende Gegenstände in der Kabinettsberatung gemacht wird. Es war also nicht in erster Linie die Erwartung einer außenpolitischen Wirkung, sondern die Erfüllung der Informationspflicht gegenüber der deutschen Öffentlichkeit. Wenn eine außenpolitische Wirkung eingetreten ist, dann ist es eine, die erwünscht war. Die Bundesregierung begrüßt in der Tat das klärende Dementi der tschechoslowakischen Regierung.
Eine Zusatzfrage, Herr Mertes.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob die Bekanntgabe dieser angeblichen Truppenbewegungen durch Sie auf Weisung des Herrn Bundeskanzlers oder des Herrn Bundesaußenministers erfolgt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in allen diesen Fällen, wo es sich darum handelt, daß der Sprecher der Bundesregierung oder der Chef des Presse- und Informationsamts seine Arbeit tut, können Sie davon ausgehen, daß er selbst die ihm übertragene Verantwortung voll in Anspruch nimmt. Ich habe den Vorzug, die Entscheidung, das mitzuteilen, selbst getroffen zu haben.
Noch eine Frage, Herr Mertes.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung — deren Meinung mich interessiert, nicht Ihre persönliche in diesem Fall — auch heute noch der Ansicht, daß in diesem besonderen Fall die Mittel der sogenannten Geheimdiplomatie nicht besser gewesen wären als die öffentliche Bekanntgabe, wie sie durch Sie erfolgt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich sagte schon eben, daß die Bundesregierung das klärende Dementi begrüßt. Das heißt, die Wirkung, die eingetreten ist, ist eine, die von der Bundesregierung selbst in ihrer Gesamtheit und auch vom zuständigen Auswärtigen Amt begrüßt wird.Aber ich möchte auf Ihre Anmerkung „Geheimdiplomatie" eingehen. Es handelt sich hier um einen Vorgang, der für die Bundesrepublik und auch für die Bevölkerung der Bundesrepublik von besonderer Bedeutung ist. In einem Moment, wo wir selber eine Politik des Gewaltverzichts und des beiderseitigen Truppenabbaus auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung propagieren, ist es für die Sicherheit der Bundesrepublik und auch der Allianz von Bedeutung, ob Pläne der Art, wie sie in
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9514 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Staatssekretär Diehlder Mitteilung beschrieben wurden, existieren oder nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der von Ihnen hier dargestellten Art, Informationen zu erhärten oder nicht zu erhärten, nämlich auf dem Umweg über die Öffentlichkeit, schließen, daß unsere Nachrichtendienste nicht ganz den Anforderungen entsprechen? Sonst hätten Sie ja wohl nicht zu diesem Umweg greifen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf voraussetzen, daß Sie die Mitteilung, so wie sie gemacht wurde, kennen. Sie werden sich erinnern, daß in der Presse Berichte dieser Art schon etwa eine Woche, bevor sich das Kabinett damit befaßte, wiedergegeben worden waren. Aber es ist natürlich für eine Regierung für die Beurteilung der eigenen Entscheidungen in einer so wichtigen Frage nicht ausreichend, daß eine bestimmte Sache in der Zeitung gestanden hat. Infolgedessen war das Entscheidende in der Kabinettsitzung die Mitteilung, daß diese in der Presse erschienenen Berichte nach unserer eigenen Berichterstattung — und Sie brauchen da nicht besonders an die Nachrichtendienste zu denken — einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit haben.
Noch eine Frage, Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, ich darf unterstellen, daß Sie mit „Nachrichtendiensten" nicht dpa gemeint haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Sonst würde ich von der „Nachrichtenagentur" gesprochen haben.
Sie haben Ihre zweite Zusatzfrage gestellt.
— Ich glaube nicht, daß man das so deuten kann. Der Herr Staatssekretär ist zwar bereit, aber wir haben unsere Geschäftsordnung, Herr Moersch, und danach hat jeder höchstens — höchstens! — zwei Zusatzfragen. Es tut mir leid, in dieser Woche muß ich darauf bestehen, daß wir die Geschäftsordnung streng anwenden.
Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist hier der Parlamentarische Staatssekretär Köppler.
Ich rufe zunächst die Fragen 12, 13 und 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei einer vom Verband der Wissenschaftler an Forschungsinstituten im Jahre 1967 bei 2568 Wissenschaftlern durchgeführten Umfrage sich ergab, daß von 930 Wissenschaftlern aus der Großforschung und vergleichbarer Forschung nur zwei in den Genuß von vorweggenommenen Steigerungsbeträgen gekommen sind und daß diese zwei die Vergünstigungen bereits am 31. Dezember 1965, d. h. vor den entsprechenden Beschlüssen des Kabinettsausschusses für wissenschaftliche Forschung, erhalten haben, daß nur vier der 930 befragten Wissenschaftler besondere, über dem BAT liegende Verträge besitzen, daß also der Beschluß des Kabinettsausschusses nur auf dem Panier steht?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Kernforschung 67 von 361 Leistungszulagen nach SR 2 0 bei Höhergruppierung infolge Veränderung der Tätigkeitsmerkmale gestrichen wurden?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Teil der Wissenschaftler an Forschungsanstalten wegen Stellenmangels noch unterhalb der für die Merkmale ihrer Tätigkeit vorgesehenen Tarifgruppe eingestuft ist, daß also nicht einmal die Möglichkeiten und Verpflichtungen des BAT voll ,ausgeschöpft sind, daß sich die Anstalten in einem arbeitsrechtlich bedenklichen Zustand befinden?
Können die Fragen im Zusammenhang beantwortet werden? - Ja. Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich will die Fragen im Zusammenhang beantworten, aber zunächst die erste Frage. Bei der von Ihnen erwähnten Umfrage des Verbandes der Wissenschaftler an Forschungsinstituten, Herr Kollege, handelt es sich wohl um die Erhebung, die der Verband im Februar 1967 mit dem Stichtag 1. Januar 1967 durchgeführt hat. Zu diesem Zeitpunkt konnten sich die Beschlüsse des Wissenschaftskabinetts vom 26. Juni und 7. November 1966 sowie vom 14. März 1967 noch nicht ausgewirkt haben. Insoweit darf ich auf den gemeinsamen Bericht der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung und des Innern an den Deutschen Bundestag vom 26. Oktober 1967 verweisen. Inzwischen haben die Forschungseinrichtungen von den ihnen durch die Beschlüsse des Wissenschaftskabinetts eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Genauere Erhebungen hierüber sind im Hinblick darauf eingeleitet, daß die Bundesregierung nach einem vom Hohen Hause noch zu bestätigenden Beschluß des Innenausschusses vom 28. März 1968 dem Bundestag bis 31. Januar 1969 erneut über die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer an Forschungseinrichtungen berichten soll. Erst diese Erhebungen werden eine einwandfreie Beurteilung der Auswirkungen und der Beschlüsse des Wissenschaftskabinetts ermöglichen. Bisher vorliegende Teilergebnisse zeigen, daß sowohl die Großforschungseinrichtungen als auch die übrigen Forschungseinrichtungen im Rahmen ihrer personalwirtschaftlichen Bedürfnisse unterschiedlich — zum Teil weitgehend — die Möglichkeiten zur Gewährung von Zulagen genutzt haben. Zu dem in der Frage enthaltenen Hinweis, „nur vier der 930 befragten Wissenschaftler" besäßen „über dem BAT liegende Verträge", ist zu bemerken, daß z. B. im Jahre 1967 in den Kernforschungseinrichtungen im Gesamtdurchschnitt rund 10 v. H. der Stellen außer- und übertarifliche Stellen waren.Ich darf nun gleich die nächste Frage beantworten, Herr Präsident. In den Kernforschungseinrichtungen, an denen der Bund beteiligt ist, erhalten von 4570 wissenschaftlichen und technischen Angestellten zur Zeit etwa 1920 wissenschaftliche und technische
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9515
Parlamentarischer Staatssekretär KöpplerKräfte Zulagen nach der SR 2 0 BAT. Von den 1585 wissenschaftlichen Kräften wird die Zulage 780 Wissenschaftlern gewährt. Die Zulagen schaffen die Möglichkeit, im Einzelfall die Vergütung den individuellen Erfordernissen, z. B. der Leistung, anzupassen. Diesem Grundgedanken entspricht es, daß z. B. auch bei Höhergruppierungen von der Weitergewährung der Zulagen ganz oder teilweise abgesehen werden kann. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß der Angestellte auch in der höheren Vergütungsgruppe die Zulage wieder erhält, sobald es die Umstände rechtfertigen. In zahlreichen Fällen trifft dies zu.Schließlich zu Ihrer letzten Frage, Herr Kollege Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß in den vom Bund getragenen Forschungseinrichtungen Wissenschaftler nicht tarifgerecht eingruppiert sind. Die Eingruppierung von Wissenschaftlern wird von den Forschungseinrichtungen nach den für ihren Bereich anzuwendenden Tarifverträgen vorgenommen.
Eine Zusatzfrage.
Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, wenn ich Ihnen die entsprechenden Unterlagen zum Fragenkomplex 3 zuleite, diesen Fragen besonders nachzugehen?
Selbstverständlich, Herr Kollege.
Ich rufe die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Leukert auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Professor Abendroth unter frenetischem Beifall der Notstandsgegner bei der Kundgebung in Bonn am 11. Mai 1968 — nach einem Bericht in der „Süddeutschen Zeitung" — wörtlich erklärt haben soll: „Mit der Macht der illegalen Demokratie werden wir eines Tages die einzige Sprache sprechen, die Faschisten verstehen: nämlich die der physischen Gewalt, wenn sie anders nicht lernt."?
Was hat die Bundesregierung bzw. die hessische Staatsregierung gegen Professor Abendroth unternommen, um solche staatsfeindliche Äußerungen, die zu staats- und verfassungsfeindlichen Handlungen auffordern, zu unterbinden?
Herr Präsident, ich würde die Fragen gern zusammen beantworten, wenn der Herr Kollege einverstanden ist.
Der Herr Kollege ist einverstanden. Ich rufe auch Frage 17 des Abgeordneten Leukert auf:
Ist Professor Abendroth bei dieser seiner anscheinend staatsfeindlichen Gesinnung überhaupt geeignet, an einer Universität in der Bundesrepublik Deutschland Vorlesungen zu halten?
Nach meinen Erkundigungen ist eine solche oder sinngemäße Äußerung am 11. Mai seitens des Professors Abendroth weder auf der Kundgebung selbst noch auf dem vom SDS veranstalteten anschließenden Teach-in gefallen. Mir liegt eine Meldung der „Frankfurter Rundschau" vom 16. Mai 1968 vor, wonach Herr Professor Abendroth auch bestritten hat, die ihm zur Last gelegte Äußerung getan zu haben.
Damit, Herr Kollege, dürfte sich die Beantwortung der Fragen 16 und 17 erübrigen, soweit diese Fragen überhaupt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung fallen.
Eine Zusatzfrage, Herr Leukert.
Herr Staatssekretär, kennen Sie die Äußerungen oder die angeblichen Äußerungen Professor Abendroths, die in der FAZ vom 15. Mai 1968 in einem Leserbrief wiedergegeben worden sind, wonach Professor Abendroth nach einem Vortrag des Vorsitzenden der Deutschen Studentenschaft Herrn Ehmann — der selber den Regierenden Bürgermeister von Berlin, der gleichzeitig auch Präsident des Bundesrates ist, öffentlich als „Schreibtischmörder" bezeichnet haben soll — in der gleichen Veranstaltung, die auf dem Boden der Universität stattfand, dazu aufgerufen habe, „an der Aktion gegen Notstandsgesetze, den Springer-Konzern und ehemalige Nationalsozialisten, die heute als Bundeskanzler amtieren, aktiv teilzunehmen"? Was gedenkt die Bundesregierung im Benehmen oder nach Prüfung mit der hessischen Staatsregierung hier zu unternehmen?
Herr Kollege, die Äußerungen des Professors Abendroth zu aktuellen und grundsätzlichen politischen Fragen sind außerordentlich zahlreich. Die von Ihnen soeben zitierte Äußerung ist mir in ihrem Wortlaut und in ihrem authentischen Gehalt nicht bekannt. Ich bin aber gern bereit, nachzuprüfen, ob solche Äußerungen gefallen sind. Wenn sie gefallen sind, können sie von der Bundesregierung nur außerordentlich bedauert werden.
Noch eine Frage, Herr Leukert.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß seriöse Berichterstatter wie z. B. der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung" in Bonn oder, wie hier, eine Stellungnahme aus der „Oberhessischen Presse" vom 16. 4. mindestens glaubwürdiger sind als die sehr dialektisch gefärbten formulierten Widerrufe des Herrn Professors Abendroth?
Herr Kollege, ich will die Seriosität und Glaubwürdigkeit der von Ihnen genannten Korrespondenten keineswegs in Zweifel ziehen; aber ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß die Berichte, die mir vorliegen, sowohl über den Verlauf der Kundgebung am 11. Mai als auch über den Verlauf des Teach-in, die Herrn Abendroth in den Mund gelegten Äußerungen nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Rollmann.
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9516 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung eine Reihe von Äußerungen von Professoren an deutschen Universitäten und Hochschulen auch unter dem Gesichtspunkt geprüft, daß die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung entbindet, wie es im Grundgesetz heißt?
Herr Abgeordneter, dazu hat sich die Bundesregierung bereits in der Sitzung dieses Hohen Hauses am 7. Mai geäußert, insbesondere in diesem Zusammenhang auch zu Herrn Professor Abendroth.
Eine Zusatzfrage, Herr Matthöfer.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß der standhafte Widerstand, den Herr Professor Abendroth gegen das nazistische und auch gegen das stalinistische Unrechtsregime geleistet hat, ein Hinweis auf die Integrität seiner demokratischen Grundhaltung sein könnte?
Das ist ganz zweifellos, Herr Kollege Matthöfer, ein Hinweis auf eine demokratische Gesinnung. Aber ich würde sagen, es ist ein widerlegbarer Hinweis, wenn Äußerungen des Inhalts getan werden sollten — ich habe vorhin betont, ,daß mir bisher keine authentischen Berichte über solche Äußerungen vorliegen —, wie er hier zitiert worden ist.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Sind Ihnen Fälle bekannt, Herr Staatssekretär, in denen auch in soliden und seriösen Zeitungen über Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung falsch berichtet wurde?
Das kommt auch bei bestem Willen der beteiligten Journalisten wohl regelmäßig vor.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wuermeling.
Herr Staatssekretär, in bezug auf Fälle, in denen sich solche staatsfeindlichen Äußerungen nachweisen lassen, frage ich: Welche Konsequenzen ist die Bundesregierung aus der Tatsache zu ziehen gewillt, daß nach Art. 18 des Grundgesetzes derjenige das Grundrecht der Lehrfreiheit verwirkt, der die Lehrfreiheit zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht? Ist die Bundesregierung bereit, wenn sich solche Tatbestände als richtig erweisen sollten, auf die zuständige Landesregierung einzuwirken, bei ihr vorstellig zu werden, damit der entsprechende Antrag auf Feststellung der Verwirkung dieses Grundrechts beim Bundesverfassungsgericht gestellt wird?
Die Bundesregierung fühlt sich selbstverständlich an den Auftrag der Verfassung gebunden und betrachtet es als ihre Pflicht, dann, wenn die Voraussetzungen, die die Verfassung vorsieht, gegeben sind, die nötigen Schritte entweder selbst einzuleiten oder im Benehmen mit den zuständigen Landesregierungen zu veranlassen.
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung nicht für richtiger, wenn sich die Abgeordneten mit politischen Äußerungen Andersdenkender draußen im Lande auseinandersetzen, anstatt in diesem Hause eine Art Gesinnungsschnüffelei zu treiben?
Herr Abgeordneter, es fällt mir schwer, das, was Sie gesagt haben, als eine Frage an die Bundesregierung aufzufassen. Ich möchte deshalb auch auf eine Antwort verzichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wienand.
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung nicht überfordert, wenn sie vor diesem Hohen Hause praktisch in die Rolle eines Gerichts gedrängt wird?
Die Bundesregierung hat nicht die Rolle eines Gerichts zu übernehmen; aber ich möchte nicht auch nur dem Anschein nach den Mitgliedern dieses Hohen Hauses in irgendeiner Weise das Recht streitig machen, die Meinung der Bundesregierung zu bestimmten politischen Vorgängen hier in der Fragestunde zu erfragen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wienand.
Habe ich Sie und damit die Bundesregierung richtig verstanden, daß Sie das zu einem willkommenen Anlaß nehmen, um die Meinung der Bundesregierung klarzulegen, und nicht, um Zensuren zu erteilen?
Genau richtig, Herr Kollege!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9517
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bühler.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, das Ergebnis Ihrer Nachforschungen in diesem Falle dem ganzen Bundestag mitzuteilen, damit sich angesichts der Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit, zu denen wir immer gezwungen werden, jeder ein objektives Bild machen kann?
Dazu bin ich gern bereit, Herr Kollege!
Ich rufe dann die Frage 18 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Welche Konsequenzen beabsichtigt die Bundesregierung aus den Feststellungen des Bundesinnenministeriums hinsichtlich der Ausbildung der deutschen Verwaltungsbeamten im höheren Dienst zu ziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege, wie folgt beantworten:
1. Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, daß künftig bei der Ausbildung der Juristen, die den Universitäten und den Ländern obliegt, die Belange der Verwaltung stärker berücksichtigt werden. Die nächste Innenministerkonferenz wird eine entsprechende Entschließung zur Beteiligung der Innenminister bei der Neuordnung des juristischen Studiums beraten.
2. Die Bundesregierung befaßt sich mit dem Aufbau eines Fortbildungssystems, um den bereits im Beruf stehenden Verwaltungsbeamten aller Fachrichtungen ständig die neuesten Erkenntnisse und Methoden zu vermitteln, die für das Handeln in einer modernen Verwaltung erforderlich sind. Neben der Fortführung der Lehrgänge für internationale Aufgaben sollen Fortbildungsveranstaltungen für Nachwuchsbeamte als .berufsbegleitende Unterrichtung und für Führungskräfte durchgeführt werden. Zur organisatorischen Vereinfachung und Kostenersparnis wird an die Errichtung einer zentralen Fortbildungsstätte gedacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß also aus klaren Erkenntnissen auch klare Konsequenzen gezogen werden sollen?
Jawohl.
Ich rufe die Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Welche Meinung vertritt die Bundesregierung bezüglich der Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre 2
Wird die Bundesregierung eine Vorlage zur Änderung des Wahlalters dem Parlament unterbreiten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Bundesminister des Innern hält die Frage einer Herabsetzung des Wahlalters, wie er bereits an anderer Stelle erklärt hat, an und für sich für erwägenswert. Bei der Entscheidung ist allerdings zu beachten, daß die Frage der Herabsetzung des Wahlalters nicht isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr sind dabei die Auswirkungen auf andere rechtlich relevante Altersgrenzen zu bedenken. Dies gilt vor allem für die Volljährigkeit, die Ehemündigkeit, die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Heranwachsenden, also der 18- bis 21jährigen, und den besonderen strafrechtlichen Schutz Minderjähriger. Diese Altersgrenzen müssen im Zusammenhang gesehen werden. Wenn der Staat den Jugendlichen mit dem Stimmzettel weitgehende politische Entscheidungsmöglichkeiten einräumt, kann er sie wohl nicht gleichzeitig als Minderjährige vor unbedachten Abzahlungsgeschäften schützen oder sie gar von der vollen strafrechtlichen Verantwortlichkeit ausnehmen und dem Jugendstrafrecht unterstellen.
Angesichts dieser weitreichenden Problematik werden Sie Verständnis dafür haben, daß sich die Bundesregierung eine endgültige Meinung noch nicht gebildet hat. Die Frage, ob sie einen Gesetzentwurf zur Änderung des in Art. 38 des Grundgesetzes verfassungskräftig festgelegten Wahlalters einbringen sollte, hat sich ihr daher noch nicht gestellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Josten.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß gerade bei jungen Menschen, die bei uns mit 18 Jahren wehrpflichtig werden, der Wunsch besteht, mit dem gleichen Alter auch wählen zu dürfen?
Herr Abgeordneter, ich bin nicht der Auffassung, daß hier eine zwingende Konsequenz gezogen werden sollte. Aber ich bin in der Tat der Meinung, daß die Tatsache, daß die Wehrpflicht mit dem 18. Jahr beginnt, ein wichtiges Argument bei der Prüfung der Frage der eventuellen Festsetzung des aktiven Wahlrechts auf 18 Jahre bedeutet.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung hier noch keine feste Meinung hat, darf ich Sie bitten, zu prüfen, ob sie bei ihren Überlegungen nicht auch den Gesichtspunkt der Unruhen unter der Jugend mit sehen sollte, und zwar insofern, als viele junge Menschen heute ja auch zeitiger Verantwortung in unserem jungen Staat übernehmen wollen.
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9518 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Herr Abgeordneter, es ist zweifellos richtig, daß ein starkes politisches Engagement der jungen Generation, verbunden auch mit politischen Kenntnissen, die Voraussetzung für politische Entscheidungen sind, ein weiterer Hinweis dafür sein könnte, eine Änderung des Art. 38 im Sinne einer Herabsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Rollmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß wissenschaftlich nachgewiesen worden ist, daß zwischen der politischen Reife der 21- bis 25jährigen und der politischen Reife der 18- bis 21jährigen kein wesentlicher Unterschied besteht?
Untersuchungen dieser Art sind der Bundesregierung bekannt. Was Sie ansprechen, Herr Abgeordneter, ist die allgemeine Problematik einer Altersgrenze, die hier berührt wird.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Rollmann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß die Wandlung der Altersstruktur der Bevölkerung in dem Sinne, daß die Zahl der Wähler im Alter von mehr als 65 Jahren ständig zunimmt, ein sehr starkes konservatives Element in die deutsche Politik hineinbringt und des Ausgleichs durch die Einführung des Wahlrechts auch für 18- bis 21jährige lin Interesse einer Dynamisierung der Politik in unserem Lande bedarf?
Die von Ihnen angesprochenen Probleme der Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik sind der Bundesregierung wohlbekannt. Zu den von Ihnen damit verbundenen politischen Wertungen möchte ich mich nicht äußern.
Eine Zusatzfrage, Herr Ollesch!
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung sich bei dem Prozeß der Meinungsbildung über die Herabsetzung des Wahlalters nicht daran erinnern, daß das Wahlalter in der Vergangenheit nicht immer mit den übrigen Altersgrenzen übereingestimmt hat, beispielsweise mit der Volljährigkeitsgrenze?
Das spielt eine wichtige Rolle. Inzwischen liegen der Bundesregierung auch rechtsvergleichende und rechtshistorische Unterlagen zu diesem Fragenkomplex vor, die bei einer späteren Meinungsbildung der Bundesregierung zu dieser Frage als Material dienen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, wäre es denkbar, daß, nachdem in einzelnen Ländern offensichtlich entsprechende Anträge vorbereitet werden, ein unterschiedliches Wahlrecht in Bund und Ländern praktiziert würde?
Herr Kollege, Sie sprechen wahrscheinlich die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses in Berlin zu dieser Frage an.
Sie sind der Bundesregierung bekannt und sind Gegenstand der Prüfung innerhalb des Bereiches der Landesregierung wie auch der Bundesregierung. Wir sind uns darin einig, daß unterschiedliche Regelungen in Bund und Ländern in dieser Frage vermieden werden sollten.
Noch eine Frage.
Nur zur Korrektur, Herr Staatssekretär: Sind Ihnen entsprechende Bemühungen aus Rheinland-Pfalz bekannt? Es handelt sich nämlich bei meiner Frage nicht um Berlin, sondern um Rheinland-Pfalz.
Sie sind mir im Augenblick nicht bekannt, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, läßt sich von Ihnen ein ungefährer Zeitpunkt nennen, wann die von Ihnen wiederholt angedeuteten Untersuchungen und Überlegungen der Bundesregierung in dieser Frage zu einem Ergebnis führen werden?
Dazu bin ich heute noch nicht in der Lage. Ich habe bereits in der Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Josten dargelegt, daß der Bundesminister des Innern die Änderung des Art. 38 für erwägenswert hält, daß aber die Meinungsbildung in der Bundesregierung erst am Anfang der Entwicklung und noch keineswegs abgeschlossen ist. Ich kann Ihnen heute keine zeitliche Prognose für den Abschluß dieser Überlegungen geben.
Noch eine Frage, Herr Dr. Klepsch.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9519
Herr Staatssekretär, darf ich aus dieser Antwort schließen, daß es sehr zweifelhaft sein dürfte, ob im Laufe dieser Legislaturperiode noch mit einer entsprechenden Vorlage zu rechnen ist?
Es ist zumindest nicht mit Sicherheit damit zu rechnen, daß diesem Hohen Hause von der Bundesregierung eine solche Vorlage vorgelegt wird.
Zusatzfrage, Herr Moersch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, für den Fall, daß sich die Bundesregierung nicht zu einer Vorlage entschließt, das Wahlalter auf 18 Jahre herabzusetzen: Wollen Sie dann eventuell doch der Logik des Kollegen Rollmann folgen und das Wahlalter nach oben begrenzen, als Ausgleich wegen der Bevölkerungsstruktur, die Herr Rollmann soeben angeführt hat.
Herr Kollege, diese Gedanken hat die Bundesregierung bis jetzt noch nicht aufgegriffen.
Zusatzfrage, Frau Funcke.
Sie können keine Termine angeben. Darf man denn wenigstens erwarten, daß die Bundesregierung mit einer gewissen Intensität an die Prüfung der Frage herangeht?
Sie können damit rechnen, Frau Kollegin, daß die Bundesregierung Fragen von solcher Bedeutung auch mit der nötigen Intensität behandelt. Wenn entsprechende Wünsche aus diesem Hohen Hause vorliegen sollten, wird das die ohnehin vorhandene Intensität bei der Arbeit der Bundesregierung natürlich noch verstärken.
Zusatzfrage, Herr Westphal.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß in die Prüfung dieser Frage der Herabsetzung des aktiven Wahlalters mit mindestens der gleichen, wenn nicht sogar größerer Berechtigung die Frage einbezogen werden müßte, das passive Wahlalter um einige Jahre herabzusetzen, um ein paar jüngere Kollegen in dieses Haus zu bekommen?
Die Überlegungen und Erwägungen der Bundesregierung beziehen auch diesen Fragenkomplex ein.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Hudak auf:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen der griechische Exilpolitiker Andreas Papandreou unter den griechischen Gastarbeitern in der Bundesrepublik Deutschland eine Werbung für den Eintritt in seine „Befreiungsbrigade" eingeleitet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß Herr Papandreou eine panhellenistische Befreiungsbewegung gegründet hat, die es als ihr Ziel bezeichnet, für die Wiederherstellung der freiheitlichen Ordnung und Demokratie in Griechenland einzutreten. Es liegen mir allerdings keine Hinweise vor, die auf irgendwelche geplanten Gewaltmaßnahmen schließen ließen. Über Werbungen für einen Eintritt in eine Befreiungsbrigade ist mir ebenfalls nichts bekannt.
Die Bundesregierung und die zuständigen Behörden der Länder beobachten selbstverständlich alle derartigen politischen Bestrebungen unter den hier lebenden Ausländern sorgfältig.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hudak.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Zentrale der Befreiungsbrigade Papandreous ihren Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland hat und darum vielleicht eine besondere Gefahr für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Griechenland darstellen kann?
Ich sagte Ihnen bereits, Herr Abgeordneter, daß wir die Unternehmungen der hier in Deutschland lebenden Ausländer außerordentlich sorgfältig prüfen, insbesondere auch deshalb, weil sie möglicherweise zu einer Belastung der außerpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik führen könnten.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in ihre sorgfältige Prüfung auch folgenden Tatbestand einbezogen, den ich dem „Kölner Stadtanzeiger" vom 14. Mai entnehme, in dem es heißt:
Schlägergruppen, die vom Militärregime in Athen über die griechische Botschaft in der Bundesrepublik gesteuert werden, versuchen nach Mitteilung der IG Metall des rheinisch-bergischen Kreises die gewerkschaftlich organisierten Griechen im Raum Köln, Porz und Brühl zu terrorisieren.
Ich kann diese Frage mit Ja beantworten, Herr Kollege Moersch. Ich hatte schon dem Kollegen Hudak geantwortet, daß alle
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9520 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Köpplerdiese Bewegungen und Vorgänge von der Bundesregierung sorgfältig beobachtet werden. Das bezieht sich nicht nur auf die „Panhellenistische Freiheitsbewegung" des Herrn Papandreou.
Noch eine Frage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, was hat die Prüfung der Bundesregierung bezüglich dieser sehr gravierenden Nachricht im „Kölner Stadtanzeiger" bisher ergeben?
Die Prüfungen sind noch im Gange. Ein Ergebnis kann ich Ihnen zur Stunde noch nicht vortragen.
Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatigkeit des „Veibandes der Polen Eintracht in Deutschland", Zgoda, hinsichtlich dei von der offiziellen polnischen Presseagentur PAP am 7. Mai 1968 mitgeteilten Resolution, nach der sich Zgoda mit den Erklärungen Gomulkas zu den Marz-Ereignissen in Polen solidarisch bekannte, westlichen Kreisen vorwarf, dein polnischen Volk antisemitische Tendenzen zu unterstellen, um damit Naziverbrechen abzuwaschen und angeblich „anti-polnische Aktionen der Zeitungen im Westen" angriff?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Der Bundesregierung ist der „Verband der Polen in Deutschland — Eintracht c. V." als eine kommunistisch orientierte Vereinigung deutscher Staatsangehöriger polnischer Abstammung bekannt. Der Verband der Polen ist bemüht, Beziehungen der Bürger polnischer Abstammung zu Polen zu pflegen und unter ihnen im Sinne der politischen Auffassungen der polnischen Regierung zu werben. Ein nennenswerter politischer Einfluß scheint von der Organisation allerdings nicht auszugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Marx?
Herr Staatssekretär, da ich in meiner Frage auf eine Meldung der Polnischen Agentur Press vom 7. Mai eingegangen bin, in der von Tätigkeiten dieser Vereinigung die Rede ist und in der ganz allgemein Zeitungen des Westens und auch Zeitungen der Bundesrepublik beschuldigt worden sind, sie würden dem polnischen Volk antizionistische Kampagnen unterstellen, darf ich fragen, ob die Bundesregierung irgendeine Möglichkeit sieht — vielleicht über das Presse- und Informationsamt —, einer solchen unsachgerechten und verleumderischen Tätigkeit entgegenzuwirken.
Selbstverständlich kann die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten unrichtige oder gar verleumderische Behauptungen, die irgendwo aufgestellt werden, korrigieren. Die Bundesregierung sieht allerdings keine Möglichkeit, gegen den hier genannten Verein vorzugehen, solange sich seine Tätigkeit im Rahmen der deutschen Gesetze bewegt. Es handelt sich, wie ich schon sagte, um einen Verein deutscher Staatsangehöriger, so daß also das Ausländerrecht insofern nicht anwendbar ist. Sie beobachtet jedoch vorsorglich in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Länder die Bestrebungen dieser Organisation.
Noch eine Frage, Herr Marx.
Herr Staatssekretär, indem ich noch einmal von meiner Seite klarstellen will, daß ich von der Bundesregierung kein Vorgehen, sondern eine Auseinandersetzung erbitte, möchte ich zugleich fragen, ob die Meldungen stimmen, daß diese Vereinigung, von der hier die Rede ist, von Warschau über die polnische Militärmission ihre entsprechenden Weisungen für ganz akzentuierte Aktionen erhält.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine enge Verbindung zwischen polnischen Regierungsstellen und der genannten Organisation besteht. Ob im Einzelfall Weisungen erteilt werden, kann ich im Augenblick nicht sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Czaja.
Sofern ich die Antwort richtig verstanden habe, handelt es sich um eine kommunistische oder halbkommunistische Organisation. Darf ich daher fragen, ob sie den Sicherheitsvorschriften, die nach dem Grundgesetz, aber auch nach internationalem Recht, in der Bundesrepublik gelten, entspricht und ob die Bundesregierung bereit ist, diese Fragen eingehend weiter über die zuständigen Behörden zu prüfen, nachdem insbesondere auch als deutsche Spätaussiedler eingeschleuste Funktionäre hier in führende Aktionspositionen gebracht werden.
Herr Kollege, ich kann nur noch einmal wiederholen, daß diese und ähnliche Organisationen von der Bundesregierung und den Landesregierungen außerordentlich sorgfältig beobachtet werden. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen, daß sie als Vereinigungen deutscher Staatsbürger deutschem Verfassungs- und Vereinsrecht unterliegen.
Noch eine Frage, Herr Czaja.
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß die Organisation seit neuestem auch nichtdeutsche Staatsangehörige aufnimmt: darf ich fragen, ob die Bundesregierung bemüht sein
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9521
Dr. Czajawird, in einer großzügigen und verstärkten Form die Erwachsenen- und die Jugendbildung, den muttersprachlichen Zusatzunterricht, die Heimat- und Kulturpflege und auch die Entschädigungsbelange demokratischer nichtdeutscher Volksgruppen-Organisationen, auch polnischer VolksgruppenOrganisationen, die in einem sehr vorbildlichen Ringen gegen die kommunistische Unterwanderung stehen, zu unterstützen?
Dazu ist die Bundesregierung sehr gern bereit. Ich werde Ihren Hinweis, Herr Kollege, gern aufnehmen, um die Intensität der Bemühungen in dieser Richtung, wenn möglich, noch zu fördern.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, nachzuprüfen, ob die vom Kollegen Marx zitierte Fragestellung, nämlich daß dieser Verband Weisungen von der Militärmission erhalte, zutrifft?
Die Bundesregierung ist zu dieser Prüfung gern bereit.
Noch eine Frage, Herr Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch bereit, nachzuprüfen, ob dieser Verband Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln erhält?
Uns sind finanzielle Förderungen dieses Verbandes aus öffentlichen nichtdeutschen Mitteln bekannt.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zu den Fragen 22 bis 24 des Herrn Abgeordneten Ertl. Können . sie zusammen beantwortet werden, Herr Kollege Ertl? — Jawohl. Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich möchte zumindest die Fragen 22 und 24 zusammen beantworten, Herr Präsident.
Dann rufe ich die Fragen 22 und 24 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in einer entsprechenden Gesetzesvorlage die ersatzlose Streichung des § 77 des Bewertungsgesetzes zu beantragen?
Welche Änderungen sieht die Novelle vor, die das Bundesfinanzministerium in Kürze zum Bewertungsgesetz vorlegen will?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Das Ziel ,der Hauptfeststellung der Einheitswerte auf den 1. Januar 1964, zu richtig abgestuften und einigermaßen zutreffenden Einheitswerten und damit zu einer gerechteren Besteuerung zu gelangen, läßt sich nicht ohne eine Vorschrift über die Mindestbewertung erreichen. Ohne eine solche Vorschrift müßte befürchtet werden, daß gegen ,die Gesamtheit der im Bewertungsgesetz 1965 enthaltenen Vorschriften zur Ermittlung der Einheitswerte des Grundvermögens dieselben verfassungsmäßigen Bedenken erhöben werden, die schon gegen die Weitergeltung der Einheitswerte der Hauptfeststellung 1935 erhoben wurden und Gegenstand einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht sind. Die Mindestbewertung war schon geltendes Recht nach dem frühreren Reichsbewertungsgesetz. Die Bundesregierung kann eine ersatzlose Streichung des § 77 des Bewertungsgesetzes nicht vorschlagen, Herr Kollege Ertl. Es erscheint aber rechtlich vertretbar, die Vorschrift über die Mindestbewertung in § 77 so weit zu mildern, daß ein großer Teil der bebauten Grundstücke nicht mehr darunter fällt und der Besteuerung der Mehrzahl der übrigen bebauten Grundstücke ein Einheitswert zugrunde gelegt wird, der wesentlich näher bei dem sich im Ertragswertverfahren ergebenden Einheitswert liegt. Einzelheiten stehen noch nicht fest. Es ist daran gedacht, als Mindestwert nach § 77 des Bewertungsgesetzes 1965 nur einen bestimmten Hundertsatz des Wertes des Grundstücks in unbebautem Zustand anzusetzen. Würden z. B. 70 % des Wertes des Grundstücks in unbebautem Zustand als Mindestwert zugrunde gelegt, so würden alle Grundstücke aus der Mindestbewertung ausscheiden und im Ertragswertverfahren bewertet werden, bei denen der Mindestwert bis zu 142,8 % des sich im Ertragswertverfahren ergebenden Wertes ausmacht. Eine Durchrechnung — und das ist wohl auch das, was Sie wissen wollten — der 78 812 Mindestwertfälle — das sind 15,23 v. H. der 517 303 bewerteten bebauten Grundstücke — in Bayern hat ergeben, daß bei Ansatz von 70 v. H. des Mindestwerts der größte Teil der bebauten Grundstücke aus der Mindestbewertung ausscheiden würde. Für die verbleibenden Fälle muß nach dem Ergebnis der Durchrechnung angenommen werden, daß der mit 70 v. H. angesetzte Mindestwert dem Verkehrswert entspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Ertl.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß nach allen Meldungen, die vorliegen, gerade auch die Handhabung des § 77 länderweise offensichtlich sehr unterschiedlich war, und beabsichtigt sie, bei der vorgesehenen Novellierung für eine gleichmäßige Behandlung zu sorgen?
Wenn das so ist, Herr Kollege Ertl, dann wird die Bundesregierung selbstverständlich dafür Sorge tragen, daß nach Möglichkeit eine einheitliche Behandlung erfolgt.
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9522 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ertl.
Herr Staatssekretär, für wann ist mit der Vorlage konkreter Entwürfe im Sinne der jetzt von Ihnen gemachten Vorschläge zu rechnen? Ich frage das, damit die in der Bevölkerung bestehende Unruhe baldmöglichst beseitigt wird.
Wir werden uns bemühen, Herr Kollege Ertl, das so schnell wie möglich zu tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Frage der Grundsteuerbelastung erst dann entschieden werden kann, wenn der Bundestag ein Gesetz über die Höhe der Meßzahlen auf Grund der neuen Einheitswerte beschlossen hat?
Das ist mir bekannt, Herr Kollege Ott, und dazu wollte ich bei der Beantwortung der Frage 23 des Herrn Kollegen Ertl etwas sagen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Strohmayr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der bayerische Finanzminister Dr. Pöhner nach Presseveröffentlichungen erklärt hat, alle bis jetzt erfolgten und herausgegangenen Einheitswertbescheide seien zur Zeit storniert?
Diese Meldung ist mir bekannt, Herr Kollege Strohmayr.
Eine weitere Frage.
Strohmayr Herr Staatssekretär, erkennen Sie dann diese Nachrichten bzw. diese Angaben des Herrn bayerischen Finanzministers an?
Ich würde so sagen, Herr Kollege Strohmayr: Nachdem das Bundesfinanzministerium dabei ist, eine Regelung zu treffen, die diese deutlich in Erscheinung getretenen Auswirkungen abmildert, ist es natürlich richtig, wenn zunächst einmal eingehalten wird.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Ertl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die vom Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 erhobene Forderung zu erfüllen, daß das Gesetz nicht zu einer automatischen Erhöhung des Gesamtsteueraufkommens führen darf, also alles zu tun, um eine Erhöhung der Grund- und Vermögensteuer zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hat sich stets zu den vom Deutschen Bundestag in seiner Entschließung vom 25. Juni 1965 niedergelegten Grundsätzen bekannt, nach denen die Neubewertung des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1964 nicht dazu führen soll, das Gesamtaufkommen aus der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer automatisch, d. h. im gleichen Verhältnis wie die neuen Einheitswerte, zu erhöhen. Hier interessiert wohl besonders — jedenfalls habe ich die Frage des Herrn Kollegen Ertl so aufgefaßt —, inwieweit bei der Grundsteuer die Einführung der neuen Einheitswerte durch Beibehaltung der bisherigen Meßzahlen und Hebesätze etwa zu einer automatischen Erhöhung der Grundsteuer selbst führen würde. Würden die bisherigen Meßzahlen und Hebesätze der Grundsteuer auch nach Einführung der neuen Einheitswerte weiter angewendet, so würde sich die Grundsteuerbelastung in nicht wenigen Fällen zumindest mehr als verdoppeln. Eine derart hohe zusätzliche Belastung des Grundbesitzes hält die Bundesregierung nicht für vertretbar.
Im Interesse des wirtschaftlichen Wachstums und der Sicherung der erreichten Lebensverhältnisse ist eine Verbesserung der Investitionskraft der Gemeinden erforderlich. Mit Rücksicht darauf hält es die Bundesregierung jedoch nicht mehr für möglich, bei der Einführung der zeitgemäßen Einheitswerte als Besteuerungsgrundlage für die Grundsteuer grundsätzlich auf eine Erhöhung des Gesamtvolumens dieser Steuer zu verzichten, wie es im Jahre 1965 noch in Art. 3 Abs. 2 des Bewertungsänderungsgesetzes im Sinne einer sogenannten Steuerneutralität vorgesehen worden ist. Bevor die neuen Einheitswerte erstmalig der Grundsteuer zugrunde gelegt werden, sollen die Grundsteuermeßzahlen und die Hebesätze deshalb so geregelt werden, daß sich insgesamt eine maßvolle Erhöhung des Steueraufkommens ergibt. Das Ausmaß der Erhöhung kann auch erst festgelegt werden, wenn die Ergebnisse der Vorerhebung vorliegen. Der Zeitpunkt, in dem so etwas geschehen könnte, kann nach unseren Schätzungen frühestens im Jahre 1972 liegen. Sie wissen auch, daß die Grundsteuer A von diesen Erhöhungen voraussichtlich im wesentlichen ausgeschlossen sein soll.
Zu einer Zusatzfrage Herr Ertl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung also eine Änderung des Art. 3 des Bewertungsänderungsgesetzes vorschlagen?
Das wird nach meinen Ausführungen, Herr Kollege Ertl, wahrscheinlich der Fall sein.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9523
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Ertl.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Beratungen im Bundestag deshalb so flüssig und so weitgehend einstimmig abgelaufen sind, weil mit dem Ergebnis fest die Zusage verbunden war, die neue Einheitsbewertung nicht zur Steuererhöhung zu benutzen? Damit wird eine wesentliche Zusage und Voraussage nicht eingehalten. Ich möchte beinahe sagen, das widerspricht etwas dem Prinzip von Treu und Glauben.
Ich müßte dann auch feststellen, daß im Jahre 1965 andere Verhältnisse gegeben waren, als sie heute bestehen.
Die 60 Minuten der Fragestunde sind abgelaufen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksachen V/102, V/898 —
Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksache V/2860 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Arndt
Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus Abgeordneter Dr. Müller-Emmert Abgeordneter Schlee
Wir stimmen gleich auf der Grundlage des Schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Drucksache V/2860 ab. Ich frage die Damen und Herren Berichterstatter, ob sie das Wort wünschen. — Das ist nicht der Fall.
Damit treten wir in die Beratung der Einzelbestimmungen des Gesetzentwurfs ein. Ist das richtig, das wir paragraphenweise abstimmen müssen? — Dann rufe ich Art. 1 auf. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich jetzt zu § 80 Stellung nehme, so tue ich es nicht als Berichterstatterin für Art. 1, sondern als Abgeordnete der Freien Demokratischen Partei.
Ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, daß diese Bestimmungen weder in der Regierungsvorlage noch in dem Initiativentwurf der sozialdemokratischen Fraktion enthalten waren. Dieser erste Titel mit der Überschrift „Friedensverrat" ist vom Sonderausschuß erst im Laufe der Beratungen aufgenommen worden. Dieser Vorgang hat seinen Grund in Art. 26 des Grundgesetzes. Dort heißt es:
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
Es handelt sich bei Art. 26 also um einen Auftrag an das Parlament, eine entsprechende Strafbestimmung zu schaffen.
Ansätze, diesen Verfassungsauftrag zu erfüllen, wurden bereits im Jahre 1950 gemacht, sowohl von der Bundesregierung wie auch von der Sozialdemokratischen Partei. Sie hatten aber wegen der Schwierigkeit mit der Materie bisher noch zu keinem Erfolg geführt. Es waren jetzt die Professoren, die den Alternativ-Entwurf ausgearbeitet hatten, die sich auch dieser Frage annahmen und in ihren Vorschlägen noch einmal mit aller Eindringlichkeit — wie Sie sehen, mit Erfolg beim Sonderausschuß — darauf hinwiesen, daß jetzt keine Reform des Staatsschutzrechts erfolgen könne, ohne daß auch wenigstens einigermaßen den Forderungen des Art. 26 Grundgesetz Rechnung getragen werde.
Der Sonderausschuß schlägt Ihnen nun vor, in § 80 eine Bestimmung aufzunehmen, daß bestraft wird, wer einen Angriffskrieg — Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes —, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Wenn Sie dies mit der Formulierung in Art. 26 Abs. 1, die ich Ihnen vorhin vorgelesen habe, vergleichen, werden Sie feststellen, daß das, was jetzt strafbar sein soll, nicht im vollen Umfange dem Auftrag des Art. 26 Abs. 1 entspricht. Es wird nämlich nur der Angriffskrieg unter Strafe gestellt, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, während es im Art. 26 Abs. 1 allgemein heißt: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, ...", also nicht nur „Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland", sondern „Angriffskrieg" überhaupt.
Warum der Sonderausschuß dem nicht im vollen Umfange Rechnung getragen hat, ersehen Sie aus der eingehenden schriftlichen Begründung, die vorliegt. Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß schon allein die Frage, was ein Angriffskrieg ist, außerordentlich schwer zu beantworten ist. Es besteht bei den Vereinten Nationen eine besondere Kommission, die aber bisher auch noch nicht endgültig hat klären können — insbesondere in Zweifelsfällen —, was als Angriffskrieg zu verstehen ist. Der Sonderausschuß hat es deswegen bewußt bei der Formulierung „Angriffskrieg" belassen.
Ich bin der Meinung, daß gerade wir als Deutsche auf Grund unserer Vergangenheit unbedingt dem Art. 26 des Grundgesetzes Rechnung tragen sollen, sei es zunächst auch nur in der eingeschränkten Form der §§ 80 und 81.
Frau Kollegin, einen Augenblick bitte.
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9524 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Vizepräsident Dr. MommerDie Unruhe im Saal ist zu groß, und Sie machen es unserer Frau Kollegin Diemer-Nicolaus zu schwer. Ich. bitte, sich hinzusetzen und Ruhe zu halten.Bitte, Frau Kollegin!
Wir als Freie Demokraten werden diesen §§ 80 und 81 trotzdem zustimmen. „Trotzdem" sage ich, weil dem Art. 26 Abs. 1 nicht in vollem Umfang Rechnung getragen ist.
Ich möchte jetzt schon bei dieser Bestimmung sagen, daß die ganze Reform für uns unter einem gewissen Vorbehalt steht. Wir haben uns bemüht, das politische Strafrecht zum Schutz des Staates auf das unbedingt Notwendige einzuschränken. Sollte sich aber zeigen, daß das, was wir jetzt vorgeschlagen haben, nicht ausreicht, um den Vorstellungen der Freien Demokraten vom Schutz des Staates auf der einen Seite und der Freiheit des Bürgers in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat andererseits Rechnung zu tragen, so werden wir gegebenenfalls erneut Reformen vorschlagen. Gerade soweit es diese §§ 80 und 81 betrifft, ist die weitere Entwicklung abzuwarten. Ich finde, daß wir uns jetzt erst einmal zu dieser Lösung entschlossen haben, ist ein gutes Beginnen.
Zur Ordnung der Debatte ist es zweckmäßig, nicht nur die Artikel einzeln, sondern auch die Paragraphen einzeln aufzurufen.
Dies waren also Ausführungen zu § 80. Ich frage, ob dazu noch das Wort gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer § 80 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Danke! Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der § 80 — Friedensverrat — ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 80 a auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer § 80 a zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 81 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer § 81 zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 82 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 83 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 83 a auf. — Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 84 auf. Hier liegt au! Umdruck 483 *) unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Wird der Antrag begründet? — Frau Dr. Diemer-Nicolaus, zur Begründung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird wahrscheinlich — so nehme ich an — nachher in der dritten Lesung bei den Stellungnahmen der Fraktionen eingehend zu der grundlegenden Umgestaltung des Dritten Titels und den Änderungen gegenüber der bisherigen Regelung im Strafgesetzbuch und auch gegenüber der Regierungsvorlage gesprochen werden. Der Sonderausschuß hat den Dritten Titel „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates" ganz anders aufgebaut. Er hat hier reine Organisationsdelikte geschaffen. Die Damen und Herren Kollegen, die nicht Juristen sind, bitte ich, es mir zu verzeihen, daß ich hier der Einfachheit halber einen solchen technischen Ausdruck gebrauche. Zunächst einmal hat also das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob eine Partei, weil sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht entsprechend achtet, zu verbieten ist oder ob es sich um Ersatzorganisationen einer schon verbotenen Partei handelt. Bei sonstigen Vereinigungen müssen rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vorliegen, durch die eine derartige Vereinigung verboten ist. Verstöße gegen ein derartiges Verbot sind strafbar.
Der § 84 befaßt sich nun mit derartigen Verstößen gegen ein rechtskräftiges Verbotsurteil. Durch seinen Abs. 1 sollen die wesentlichen Akteure, nämlich die Rädelsführer oder Hintermänner, getroffen werden. Im Abs. 2 ist dann auf die Mitglieder einer Partei abgehoben. Hier ergibt sich die Frage, wieweit diese Mitglieder sich strafbar machen, wenn sie sich weiter betätigen.
Der Sonderausschuß — sowohl die Mitglieder der Regierungsparteien wie der Opposition — war sich darüber einig, daß eine einfache Mitgliedschaft — die Zahlung von Beiträgen — nicht genügt, sondern daß es sich um eine aktive Betätigung handeln muß. Wie Sie aus dem Schriftlichen Bericht weiter ersehen, muß diese Betätigung dazu führen, daß trotz des Verbots einer Partei der organisatorische Zusammenhalt aufrechterhalten bleibt.
Wir Freien Demokraten möchten nun, daß es nicht nur heißt „unterstützt", sondern daß es eine „erhebliche" Unterstützung sein muß. Wir sind uns vollkommen klar darüber, daß die Gefährdung für unseren freiheitlich-demokratischen Staat in erster Linie von den Rädelsführern und Hintermännern ausgeht, die in Abs. 1 genannt sind, dagegen nicht von den einfachen Mitgliedern. Es entspricht auch der Tendenz, daß man die tatsächlichen Akteure, die gefährlichen Leute fassen will und daß man von einer zu weitgehenden Bestrafung bis weit hinunter wegkommen will. Das sollte man in Abs. 2 mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, indem man nicht nur sagt: „unterstützt", sondern nur denjenigen be-
*) Siehe Anlage 2
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Frau Dr. Diemer-Nicolaus
straft, der erheblich unterstützt und damit den organisatorischen Zusammenhalt wesentlich aufrechterhält.
Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Das Wort hierzu hat der Herr Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die beiden Fraktionen der CDU/CSU und der SPD beantragen, diesen Antrag auf Umdruck 483 Ziffer 1 abzulehnen.
Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat sich sehr eingehend damit befaßt, ob nach diesem § 84 Abs. 2 schon derjenige strafbar sein sollte, der den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Partei unterstützt, oder nur derjenige, der ihn erheblich unterstützt. Mit dem Wort „erheblich" — das war unsere Überzeugung — ist nichts gewonnen. Es ist viel zu unbestimmt. Es ist selbstverständlich, daß eine Unterstützung nur dann strafbar sein kann, wenn sie überhaupt einige Wirkung erzielt. Wenn wir das Wort „unterstützt" noch durch das Wort „erheblich" ergänzen, werden wir nur erreichen, daß die Rechtsprechung der Gerichte weiter auseinandergeht.
Ich darf Sie auch an den Art. 103 unseres Grundgesetzes erinnern. Art. 103 verlangt möglichst genaue Tatbestände in unserem Strafrecht zum Schutz aller, die sich gegen den Vorwurf der Strafbarkeit zu verteidigen haben. Daher bitte ich, diesen ganz vagen Begriff „erheblich" nicht in § 84 aufzunehmen. Er müßte sonst auch an einer Reihe anderer Stellen aufgenommen werden, z. B. auch in § 85 Abs. 2.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege, von Frau Dr. Diemer-Nicolaus?
Bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege Schlee, können Sie sich daran erinnern, daß gerade auch ich mich im Sonderausschuß bemüht habe, dazu beizutragen, daß man zu so konkreten Formulierungen wie möglich kommt? Aber ist Ihnen nicht gerade auch als Richter bekannt, daß man nicht ganz ohne entsprechende Adjektive auskommt? Wenn man hier nicht „erheblich" hineinschreibt, besteht doch die Gefahr, daß schon jedes Unterstützen bestraft wird, was wir im Sonderausschuß gerade nicht wollten.
Frau Kollegin, ich weiß sehr wohl, daß auch Sie sich mit uns allen im Sonderausschuß bemüht haben, möglichst genau formulierte Tatbestände zu schaffen. Sie werden sich aber auch daran erinnern, daß gerade ich mich im Sonderausschuß sehr entschieden gegen die Einführung des Wortes „erheblich" ausgesprochen habe, weil ich aus meiner richterlichen Erfahrung weiß, wie unsicher die Arbeit mit solchen ganz allgemein gehaltenen Begriffen ist.
Ich bitte noch einmal, diesen Änderungsantrag abzulehnen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 384 Ziffer 1. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! Danke. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über § 84 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
§ 85. Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! —Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 86 auf. Zu Abs. 3 dieses Paragraphen liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 483 Ziffer 2*) vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Mischnick das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 483 Ziffer 2 befaßt sich mit den Fragen der Einfuhr von Zeitschriften und Zeitungen aus dem anderen Teil Deutschlands. Der Text der Ziffer 2 stimmt überein mit dem Text in Art. 8 der Vorlage, nur mit dem Unterschied, daß hier keine Befristung ausgesprochen wird.Wir stellen den Antrag deshalb, weil wir meinen, daß die Lösung, die in Art. 8 der Vorlage gefunden worden ist, eine solche Zeitungseinfuhr auf sechs Monate zu befristen, einen Kompromiß darstellt, der der Sache nicht dienlich ist. Bei den Diskussionen, die wir nicht nur im Gesamtdeutschen Ausschuß, .sondern, wie mir mitgeteilt worden ist, auch im Rechtsausschuß bzw. im Unterausschuß geführt haben, war uns selbstverständlich klar, daß es das Ziel und der allgemeine Wunsch dieses Hohen Hauses sein soll, eine Gegenseitigkeit, einen Austausch zu erreichen. Auf der anderen Seite ist von Anfang an allen Kollegen klar gewesen, daß die Aufnahme einer Befristung in das Gesetz noch lange nicht Herrn Ulbricht veranlaßt, innerhalb dieser sechs Monate die Gegenseitigkeit wirklich durchzuführen.Es kommt ein Zweites hinzu. Wenn wir jetzt festlegen, daß die Zeitungseinfuhr auf sechs Monate befristet möglich ist und daß dann ein Bericht der Regierung vorgelegt werden soll, stehen wir im Februar/März nächsten Jahres praktisch vor der gleichen Entscheidung, die heute zu fällen ist, nämlich festzustellen, ob wir bereit sind, den Grundgesetzartikel über die Informationsfreiheit aus politischen Gründen in bezug auf Zeitungen und Zeitschriften aus dem anderen Teil Deutschlands dann wieder einzuschränken, oder ob wir die jetzt für sechs Monate zu schaffende Möglichkeit um weitere sechs Monate verlängern oder ob wir sie auf Dauer bei.*) Siehe Anlage 2
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9526 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Mischnickbehalten wollen. Was hier vorgesehen ist, ist also nur ein Hinausschieben einer Grundsatzentscheidung.Meine Damen und Herren, Sie können es mir nicht übelnehmen, wenn ich hier feststelle, daß wir den Eindruck haben, dieser Vorschlag, eine auf sechs Monate befristete Zeitungseinfuhr zuzulassen, stellt einen Kompromiß innerhalb der Koalition dar, der nicht zu den guten Kompromissen zählt, die in einer Demokratie notwendig sind. Im Gegenteil, ich halte ihn für einen sehr schlechten Kompromiß.Im Gesamtdeutschen Ausschuß war an sich Übereinstimmung — ich glaube, nur ein oder zwei Kollegen waren anderer Meinung —, daß wir eine unbefristete Einfuhr gesetzlich ermöglichen sollten. Das schließt nicht aus, daß wir als Gesetzgeber, wenn wir meinen, der Zeitpunkt sei gekommen, durch Gesetz eine Einschränkung vornehmen. Damals wurde dem entgegengehalten, es sei sehr schwierig, dann jeweils den Gesetzgeber zu bemühen. Wenn ich aber eine Befristung von sechs Monaten hineinschreibe, bemühe ich den Gesetzgeber genauso — nämlich um diesen Zeitraum zu verlängern, wenn wir dieser Meinung sind —, wie wenn wir unserem Vorschlag gefolgt wären, die Einfuhr unbefristet zuzulassen und das Gesetz nur dann im negativen Sinne zu ändern, wenn wir glauben, daß die Erfahrungen schlecht gewesen sind.Ein dritter Gesichtspunkt: In dem Augenblick, wo wir eine solche Befristung festlegen, muß befürchtet werden, daß die Möglichkeit, die wir schaffen wollen, nämlich innerhalb der Bundesrepublik regelmäßig in der DDR erscheinende Zeitungen und Zeitschriften zu beziehen, kaum entsteht. Wir müssen auch überlegen, wie die andere Seite hier reagiert. Man wird sagen, für einen Zeitraum von sechs Monaten sich zu bemühen, hier einen Vertrieb einzurichten, lohne sich kaum, wenn man damit rechnen müsse, daß die Möglichkeit nach sechs Monaten wieder gekappt werde; das Ganze sei also nur eine Schein-Einfuhrmöglichkeit. Das braucht uns in der speziellen Frage — zumindest kann man so denken — nicht sehr zu stören. Aber bedenken wir doch die psychologischen Auswirkungen einer solchen befristeten Einfuhr nicht nur auf diejenigen, die das zulassen oder die nun die Initiative ergreifen müssen, sondern auch auf die Länder des Warschauer Paktes und die Entwicklung, die wir dort beobachten können, daß nämlich eine gewisse Entfernung von früheren stalinistischen Ideen erfolgt. Diese Entwicklung kann von uns positiv unterstützt werden, wenn wir darauf hinweisen, daß wir bereit sind, auch aus dem anderen Teil Deutschlands jede Publikation, die regelmäßig erscheint, die nicht nur Propagandazwecken dient, in die Bundesrepublik hineinzulassen. Wir haben damit ein zusätzliches Argument, den eigenen Zeitungsaustausch mit den anderen Ländern des Warschauer Paktes zu intensivieren und damit selbstverständlich auch Gelegenheit für unsere Landsleute aus Mitteldeutschland zu schaffen, in diesen Ländern des Warschauer Paktes auch unsere Zeitungen zu lesen. Wir erschweren diese Möglichkeiten, wenn wir hier eine Befristung hineinsetzen, die von vornherein als eine Art politisches Damoklesschwert — „Hier wird doch wieder zugemacht!" — betrachtet werden muß.Wir sind überzeugt, daß die Bestimmung über die Ermöglichung der Zeitungseinfuhr nicht nur partielle Bedeutung im Rahmen dieses Gesetzes hat, sondern für unsere gesamte Deutschlandpolitik von entscheidender Bedeutung ist. Wir meinen deshalb — nachdem doch bei den Beratungen im zuständigen, wenn ich so sagen darf, politischen Ausschuß, dem Gesamtdeutschen Ausschuß, die große Mehrheit dem von uns vorgeschlagenen Gedanken gefolgt ist —, daß es gut wäre, diese Frage innerhalb der Koalition noch einmal zu überdenken und unseren Vorschlag, die Einfuhr unbefristet zuzulassen, zu folgen.Da es ein Punkt von politischer Tragweite ist, der über den Rahmen mancher anderer Punkte hinausgeht, beantrage ich namens der Fraktion der Freien Demokraten namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Mischnick und zu dem Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zu § 86 Abs. 3 darf ich einige Bemerkungen machen. Herr Kollege Mischnick, die von uns vorgeschlagene Lösung der Frage „Zeitungsaustausch" — ich will sie einmal kurz so bezeichnen, obwohl es nicht ganz genau das trifft, worum .es geht — ist kein Kompromiß, sondern eine Entscheidung. Sie wissen — wir haben im Ausschuß lange darüber diskutiert —, wir haben uns zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Die eine Möglichkeit ist, den Standpunkt einzunehmen: „Wir geben den Zeitungen und Zeitschriften aus Mitteldeutschland freien Weg in die Bundesrepublik und tragen damit dem Grundsatz der Informationsfreiheit, der in unserem Grundgesetz festgelegt ist und auf den wir stolz sind, uneingeschränkt Rechnung." Das war die Überlegung, die von Ihrer Seite vertreten wurde. Dem steht die andere Auffassung gegenüber, daß man im Verhältnis zu Mitteldeutschland noch einige zusätzliche Dinge zu beachten hat, nämlich insbesondere dies: daß es ja auch ein Problem der Informationsfreiheit für unsere mitteldeutschen Landsleute gibt und daß also in diesem Zusammenhang zu überlegen ist, ob wir die Frage des Zeitungsaustausches nicht so anpacken können, daß die Gegenseite, nämlich Ostberlin, dazu gebracht wird, ihrerseits zu öffnen und westdeutsche Zeitungen, Zeitungen der Bundesrepublik in den anderen Teil Deutschlands hinüberzulassen.Ich nehme an, daß wir uns darüber einig sind, daß im Bundesgebiet niemand, der wirklich den ernsten Willen hat, sich über die Vorgänge in Mitteldeutschland, sich auch über die Auffassungen der Machthaber Ostberlins zu informieren, gehindert ist, das zu tun. Unsere Zeitungen in der Bundesrepublik tun sehr viel, um auch im Wortlaut die Meinungen und Verlautbarungen der anderen Seite bekanntzu-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9527
Dr. Gradlgeben. Ich erinnere daran: Als der Streit um den Redneraustausch war, haben unsere Zeitungen die Ansichten der Gegenseite in vollem Wortlaut zur Kenntnis gegeben. Als der Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und Herrn Stoph war, haben unsere Zeitungen mehr oder minder die Antworten von Herrn Stoph in vollem Wortlaut zur Kenntnis gegeben. Wo das nicht geschehen ist, das war auf der anderen Seite.
Hier besteht weiß Gott die Möglichkeit, sich über die Denkweise und über die Vorgänge auf der anderen Seite zu informieren.Wenn nun also abzuwägen ist, ob hier eine Regelung durchgeführt werden soll, die den Grundsatz der Informationsfreiheit unseres Grundgesetzes auch in bezug auf mitteldeutsche Zeitungen und Zeitschriften gewissermaßen total vollzieht, oder ob versucht werden soll, durch unser Verhalten einen Einfluß auf die Gegenseite auszuüben, um sie dazu zu bringen, daß auch sie für die Menschen in ihrem Machtbereich mehr Informationsfreiheit eben durch Zulassung westdeutscher Zeitungen gibt, dann sind wir der Meinung, daß dem letzten Gesichtspunkt die stärkere Bedeutung zukommt, und deshalb haben wir dies vorgeschlagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus?
Herr Kollege, darf ich davon ausgehen, daß auch Ihnen bekannt ist, daß heute noch sehr zahlreiche Beschlagnahmen an der Zonengrenze erfolgen und daß bisher die Handhabung in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik weithin unterschiedlich ist, daß z. B. in Hamburg schon heute eine größtmögliche Freiheit besteht, derartige Zeitungen und Zeitschriften zu beziehen, ohne daß das bisher die geringste Gegenwirkung in der DDR gehabt hat, und wollen Sie wirklich auf die Dauer unser eigenes freiheitlich-demokratisches Verhalten von dem abhängig machen, was Herr Ulbricht für seinen autoritären Staat für richtig hält?
Verehrte Kollegin, ich wäre wirklich stolz, wenn es mir gelungen wäre oder noch gelänge, Sie davon zu überzeugen, daß es hier nicht um unser freiheitliches Verhalten geht, sondern daß es sich hier um eine hochpolitische innerdeutsche Auseinandersetzung mit dem SED- Regime handelt.
Natürlich ist mir bekannt, daß es heute alle möglichen Beschlagnahmen gibt. Das ist nun einmal die Folge davon, daß wir es für zweckmäßig halten, nicht unbeschränkt die Zeitungen und Zeitschriften aus Mitteldeutschland hereinzulassen, solange nichtauch von der anderen Seite das Prinzip der Gegenseitigkeit realisiert wird. Im übrigen sieht diese Regelung ja zwei Dinge vor: erstens, daß jedenfalls für eine gewisse Zeit die Freigabe vollzogen wird, und zweitens, daß man sich in der Bundesrepublik einheitlich verhält.Ich darf aber noch eine Bemerkung hinzufügen, Frau Kollegin. Was wir hier tun, ist eine Vorleistung. Wenn dieses Gesetz so durchgeht, wir wir es vorhaben, lassen wir in der Tat für die nächste Zeit, und zwar für eine gar nicht so kurze Zeit, nicht nur für sechs Monate, sondern, wenn ich die Zeit bis zum Inkrafttreten mitrechne, etwa ein Dreivierteljahr, bis zum 31. März nächsten Jahres, mitteldeutsche Zeitungen und Zeitschriften zu — ohne Gegenleistung! Hier wird das Tor aufgemacht. Bei uns kann dann jedermann an Zeitungen und Zeitschriften aus Mitteldeutschland beziehen, was er will. Und nun werden wir ja sehen, was wir mit dieser Vorleistung bewirken. Dies ist doch der Versuch eines politisch-moralischen Drucks auf die Leute in Ostberlin, des politisch-moralischen Drucks des guten Beispiels, indem wir nämlich zeigen: bitte, wir sind bereit, eure Zeitungen hier zuzulassen; ob das weiterhin geschieht, hängt ausschließlich von euch ab.Herr Kollege Mischnick, die Wirkung in den osteuropäischen Ländern erzielen wir doch wohl auch jetzt dadurch, daß wir, natürlich befristet, die Zeitungen aus Mitteldeutschland zulassen. Das ist doch ein bemerkenswerter Vorgang, daß wir vom Prinzip der Gegenseitigkeit zu unseren Lasten und zugunsten der anderen Seite ablassen! Und Sie würden uns in dieser Sache helfen, wenn Sie nun nicht immer die Standpunkte der Gegenseite so leidenschaftlich verträten, sondern hier in dieser Sache einmal mitzögen.
Was ist nun, wenn wir so verfahren, wie wir das jetzt vorhaben, die Situation für Ostberlin? Die Situation für Ostberlin ist folgende. Die Möglichkeit, Zeitungen der Kommunisten, der SED, hier herüberzubringen, ist eröffnet, und zwar zunächst bis zum 31. März. Wie können die drüben darauf reagieren? — Die eine Möglichkeit ist, sie können sagen: wir ziehen mit und machen bei uns auf. Ich will hier nicht darüber rätselraten, ob das eintreten wird oder nicht; das mögen die Herrschaften in Ostberlin entscheiden. Tun sie es nicht — das ist die andere Alternative —, dann beweisen sie damit, daß sie sich nicht zutrauen, der Bevölkerung in ihrem eigenen Machtbereich die Zeitungen und Zeitschriften aus der Bundesrepublik zukommen zu lassen. Und das bedeutet, sie trauen sich nicht zu, die offene publizistisch-politische Auseinandersetzung mit der Bevölkerung ihres eigenen Machtbereichs über unsere Argumentationen zu führen. So also stellt sich die Alternative dar, vor die die andere Seite gestellt wird. Wenn sie sich das nicht zutraut, wenn sie meint, unserer Vorleistung nicht entsprechen zu können, dann ist das, glaube ich, eine keineswegs schöne Visitenkarte, die sie wiederum für die Stabilität und die innere Sicherheit ihres Systems abgibt.
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9528 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. GradlDies, Herr Kollege Mischnick, sind die eigentlichen Beweggründe, die uns veranlaßt haben, § 86 Abs. 3 so zu fassen, wie er jetzt in der Vorlage steht. Meine Freunde werden Ihren Änderungsantrag ablehnen, und ich bitte auch das Hohe Haus, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD darf ich auch zu dem Antrag Umdruck 483 Ziffern 2 und 7, die ja zusammengehören, Stellung nehmen. Die SPD-Fraktion bittet ebenfalls, die Anträge der FDP-Fraktion abzulehnen.
Zur Begründung darf in der gebotenen Kürze folgendes vorgetragen werden. Das Ziel in dieser Frage muß fraglos sein, daß in der gebotenen kurzen Frist ein nach allen Seiten freier und zeitlich unbefristeter Zeitungsaustausch eingeführt wird. Dies ist auf jeden Fall im Grundsatz die Auffassung der Fraktion der SPD. Nun war es aber in den Ausschußberatungen so, daß eine solche schon jetzt freie und zeitlich unbefristete Lösung auf Grund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse nicht durchzusetzen war.
Es mußte mit unserem Koalitionspartner in dieser Frage eingehend gesprochen werden. Wir haben uns in dieser Frage zu einem Kompromiß durchgerungen, den wir auch verteidigen werden, weil alle Vorstellungen, wie wir sie eigentlich durchsetzen wollten, eben nicht zu verwirklichen waren.
Besonders ist noch darauf hinzuweisen, daß zu Art. 8 des Gesetzes ein Entschließungsantrag vorgesehen ist, in dem die Bundesregierung ersucht wird, sechs Monate nach Inkrafttreten des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes über die Erfahrungen zu berichten, die mit der Regelung nach Art. 8 dieses Gesetzes gemacht worden sind.
Herr Kollege Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Diemer-Nicolaus?
Bitte sehr, Frau Kollegin!
Herr Kollege Müller-Emmert, würden Sie mir darin zustimmen, daß es eine wesentlich bessere Lösung ist, wenn man diese ganzen Fragen gleich in § 86 des Strafgesetzbuches bei den allgemeinen Vorschriften regelt, als daß man jetzt praktisch doch wieder ein Sondergesetz macht — was wir ja sonst nicht wollen —, allerdings in einer etwas kaschierten Form, in einem besonderen Art. 8? Sondergesetze wirken sich doch auch politisch immer sehr ungünstig aus.
Frau Kollegin, das ist eine Frage der Systematik. Wenn sich die beiden Koalitionsfraktionen zu Beginn des nächsten
Jahres dazu entschließen, einen freien und zeitlich unbefristeten Zeitungsaustausch in Gesetzesform durchzusetzen, wird dies auf jeden Fall erfolgen, ganz gleich, ob man es jetzt so oder anders macht.
Ich darf also in diesem Punkt zum Abschluß darauf hinweisen, daß durch diesen Entschließungsantrag, den ich eben erläutert habe, dafür Sorge getragen ist, daß das Hohe Haus sich zu Beginn des nächsten Jahres noch einmal eingehend mit den mit einem freien und zeitlich unbefristeten Zeitungsaustausch zusammenhängenden Problemen befassen wird, wobei es — das darf ich jetzt schon sagen — das Ziel der Fraktion der SPD sein wird, in dieser Richtung zu einer unbefristeten Regelung zu kommen.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß schließlich und letztlich nicht alle nach Meinung der jeweiligen Fraktionen wichtigen Punkte durchgesetzt werden konnten. Man hat sich — das räume ich ein — nach langem, hartem und zähem Ringen zu dieser Kompromißlösung entschlossen, die es jetzt auch zu verteidigen gilt.
Das Wort hat nochmals der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Bemerkungen zu dem, was der Kollege Gradl sagte. Herr Kollege Gradl, es ist unbestritten, daß in manchen, manchmal sogar in vielen Zeitungen der Bundesrepublik manches über das, was in Mitteldeutschland geschieht, zu lesen ist. Aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied, ob ich eine dort erscheinende Zeitung ungehindert hier lesen kann oder ob ich über eine Vermittlungsstelle lese, was drüben geschieht, ganz gleich, ob ich das billige oder nicht billige. Jeder, der drüben auf Besuch war, muß, wenn er zurückkommt, gewärtig sein, daß die mitgebrachte Zeitung beschlagnahmt wird, weil die Einfuhr gesetzlich verboten ist. Sie müssen mir doch zugeben, daß das für ein Land, das mit Recht Wert darauf legt, ein Grundgesetz zu haben, das die Grundrechte in besonders hervorragender Weise sichert, ein Zustand ist, der nicht angemessen ist. Das kann nicht in unserem Sinne sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Gradl?
Bitte, Herr Dr. Gradl!
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen nicht bekannt, daß der einzelne, der von seinem Besuch aus Mitteldeutschland zurückkommt, in keiner Weise zu befürchten hat, daß ihm eine oder mehrere mitteldeutsche Zeitungen, die er bei sich trägt, beschlagnahmt werden und daß sich diese behördliche Aktivität nur gegen Massenverbringungen richtet?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9529
Lieber Kollege Gradl, ich habe nicht alle Briefe hier, die wir dazu schon bekommen haben, in denen man sich darüber aufregt, daß es doch geschieht.
Es ist eben nicht. so, wie Sie sagen, Kollege Gradl, daß das nicht geschehe. Ich habe nicht behauptet, daß jede einzelne Zeitung weggenommen worden ist, aber es gibt leider immer wieder Fälle, eine Vielzahl von Fällen, in denen das geschehen ist. Das halten wir für schlecht.
Nun sagen Sie, das sei hier nicht einfach eine Frage des Zeitungsaustauschs, eine rechtliche Frage, sondern eine hochpolitische Auseinandersetzung; so haben Sie es genannt. Selbstverständlich ist das eine hochpolitische Auseinandersetzung. Gerade aus diesen Gründen kommen wir zu dem Antrag, den wir gestellt haben, und zu einer anderen Meinung, als Sie sie hier vorgetragen haben. Herr Kollege Gradl, es ist doch unbezweifelbar, wenn man sich zu der Meinung bekennt — und das ist mehrfach hier geschehen —, wir brauchten keine Sorge vor diesen Zeitungen zu haben — und darüber sind wir uns alle einig —, dann steht das Argument „Wir wollen nur eine befristete Einfuhr gestatten, weil wir damit vielleicht eine positive Reaktion der anderen Seite erreichen können", doch auf sehr, sehr schwachen Füßen. Denn wir alle beurteilen ja die Chance der Gegenseitigkeit als außerordentlich gering. Das ist kein Geheimnis. Das ist mehrfach öffentlich gesagt worden. Deshalb muß man doch zu dem Ergebnis kommen, daß — zumindest bei Ihren Freunden, Herr Kollege Gradl — die Bereitschaft, überhaupt eine Einfuhr zu ermöglichen, leider sehr gering ist. Man neigt offensichtlich der Meinung zu, es sei besser, überhaupt keine Einfuhr zuzulassen, und nur weil man einen Kompromiß finden wollte, hat man sich dann auf eine Befristung geeinigt. Gut, man kann den Standpunkt — „Grundsätzlich keine Einfuhr, wenn keine Gegenseitigkeit erfolgt" — vertreten. Ich halte diesen Standpunkt für falsch. Wir halten ihn für falsch. Aber wenn Sie der Meinung sind „Nur bei Gegenseitigkeit", wäre es sauber, das hier ganz klar zu sagen: eine andere Lösung wollen wir nicht. Mit der Befristung, mit dem Hinweis auf den 31. März 1969, werden die Dinge doch nur verschoben.
Herr Kollege Dr. Gradl, Sie haben wieder davon gesprochen, wenn die andere Seite die Gegenseitigkeit nicht zulasse, dann beweise sie, daß sie sich die Auseinandersetzung nicht zutraue. — Absolut einer Meinung. Das ist auch heute schon der Fall. Das ist auch unsere Meinung, daß man nicht den Mut hat, unsere Zeitungen nach drüben hineinzulassen. Warum wollen wir . dann nicht durch unser vorbildliches Verhalten auf diesem Wege alle Voraussetzungen dafür schaffen, daß wenigstens unsere Landsleute an anderer Stelle die Zeitungen aus der Bundesrepublik lesen können? Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir uns nicht durch das Verhalten anderer vorschreiben lassen sollten, ob und wie wir die im Grundgesetz garantierte Informationsfreiheit eingeschränkt wissen wollen. Wir sind der Meinung, daß wir stark genug sind, hier eine positive Entscheidung im Sinne unseres Antrages treffen zu können.
Herr Kollege Müller-Emmert, ich muß Ihnen ganz offen sagen: das, was Sie hier zur Begründung Ihrer Ablehnung unseres Antrages gesagt haben, hat mich doch ein bißchen betrübt. Das heißt doch schlicht: Wir sind zwar voll Ihrer Meinung, aber aus Koalitionsräson sehen wir uns nicht in der Lage, einer richtigen Vorlage, einem richtigen Antrag zuzustimmen, obwohl im Ausschuß die Mehrheit dafür vorhanden war. Nicht nur SPD und FDP, sondern auch ein großer Teil der CDU-Kollegen waren im Gesamtdeutschen Ausschuß bereit, für den Antrag zu stimmen, der damals nicht von uns gestellt wurde, sondern als ein gemeinsamer Vorschlag zur Abstimmung gebracht werden sollte. Herr Kollege MüllerEmmert, wenn Sie grundsätzlich davon ausgehen, daß Dinge, die zwar eine Mehrheit hier finden können, dann nicht gemacht werden dürfen, wenn es Ihr Koalitionspartner nicht für richtig hält, so ist das natürlich eine Unterwerfung unter eine Koalitionsdisziplin, die wir Freien Demokraten nicht für richtig halten. Um der Sache willen bedauern wir Ihre Entscheidung.
Meine Damen und Herren, über Ziffer 2 des Umdruckes 483 soll auf Antrag der FDP-Fraktion eine namentliche Abstimmung stattfinden. Darf ich fragen, ob der Antrag unterstützt wird? — Das sind nicht die nötigen 50 Stimmen.Wir kommen zur einfachen Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Wer ihm zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Das ist schwierig zu entscheiden. Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer für den Antrag ist, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Eine klare Entscheidung ist nicht möglich. Wir müssen auszählen.Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 137 Mitglieder des Hauses, mit Nein 289; keine Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über § 86 in der Ausschußfassung. Wer § 86 zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 86 ist in der Ausschußfassung mit großer Mehrheit angenommen.Zu den §§ 86 a bis 88 liegen keine Änderungsanträge vor. Ich frage, ob zu einem dieser Paragraphen das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Dann können wir über diese Paragraphen zusammen abstimmen. Wer den §§ 86 a bis 88 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.Ich rufe § 89 auf. Hierzu liegt auf Umdruck 483 unter Ziffer 3 *) ein Streichungsantrag vor. Das Wort zur Begründung hat Frau Dr. Diemer-Nicolaus.*) Siehe Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
9530 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Wie Sie aus unserem Antrag ersehen, beantragen wir, den vorgesehenen § 89 nicht in das Achte Strafrechtsänderungsgesetz aufzunehmen. Wenn Sie den Text dieser Vorschrift isoliert lesen:
Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutze der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, . . .
werden Sie vielleicht sagen, auf eine solche Bestimmung könne man doch nicht verzichten. Sie hätten aber nur dann recht, wenn es nicht andere Strafbestimmungen gäbe. Wir hatten schon bisher eine nahezu gleiche Bestimmung in unserem Strafgesetzbuch, die sich allerdings nicht nur auf Angehörige der Bundeswehr bezog, sondern auf Angehörige aller Behörden.
Es ist festzustellen, daß irgendein kriminalpolitisches Bedürfnis, eine derartige Bestimmung aufrechtzuerhalten, nicht besteht. In den Jahren von 1957 bis 1964, also während nicht weniger als sieben Jahren, sind wegen staatsgefährdender Zersetzung nach § 91 des Strafgesetzbuches — das ist also die weitere Fassung gegenüber dem jetzigen § 89 — insgesamt nur in neun Fällen Verurteilungen erfolgt. Darunter war überhaupt nur ein einziger, bei dem es sich um einen Angehörigen der Bundeswehr handelte!
Das zeigt also, daß die übrigen Strafbestimmungen völlig ausreichen, um den notwendigen Schutz tatsächlich zu gewährleisten.
Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurde uns im Ausschuß vorgetragen, wir brauchten diese Bestimmung, sie sei nämlich für die Bundeswehr die Grundlage für die Verpflichtung zur Ablieferung der in großen Massen in das Bundesgebiet — insbesondere an Bundeswehrangehörige adressierten — eingeschleusten zersetzenden Propagandaschriften. So steht es hier auch wörtlich in der Begründung.
Nun bin ich der Meinung: Derartigen Forderungen kann ohne weiteres Rechnung getragen werden. Eine derartige Ablieferungspflicht besteht einmal auf Grund des § 86, der soeben beschlossen worden ist, zum anderen aber auch deshalb, weil die Bundeswehr natürlich ihr ganz besonderes Disziplinarrecht hat. Schon auf Grund ihres Disziplinarrechts kann die Bundeswehr ohne weiteres verfügen, daß die Bundeswehrangehörigen verpflichtet werden, derartige Massenpropagandamittel, die an sie gelangen, abzuliefern. Die Absicht, eine Handhabe zu bieten, um gegebenenfalls etwas beschlagnahmen zu können, dessen Ablieferung man auch in anderer Weise verlangen kann, rechtfertigt nicht die Aufrechterhaltung einer derartigen, besonderen Strafbestimmung, zumal wenn nicht bestraft wird, weil in der Bundesrepublik keine entsprechenden Fälle vorliegen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf folgendes aufmerksam machen. Wir als Freie Demokraten, die wir in der Opposition sind, haben uns mit unseren Anträgen zur zweiten Lesung sehr zurückgehalten. Ich darf darauf hinweisen, daß die Professoren, die den Alternativ-Entwurf erarbeiteten, in einem weit größeren Umfang Bestimmungen, die auch jetzt noch in unserem Ausschußentwurf vorhanden sind, für überflüssig erklärt haben. Wir haben uns deshalb zurückgehalten, weil wir der Meinung sind, es sollte jetzt einmal die Rechtsprechung abgewartet werden, aus der man dann später vielleicht weitere Folgerungen ziehen muß.
Die Tatsache, daß so angesehene Professoren, die mit ihren Vorschlägen ganz wesentlich zur Reform des Staatsschutzrechts beigetragen haben, aus kriminalpolitischen oder aus anderen Gründen wesentlich mehr Bestimmungen nicht mehr für notwendig erachten, sollte Sie, meine Damen und Herren von den beiden Parteien der Regierungskoalition, doch vielleicht dazu bewegen, unserem bescheidenen Antrag auf Streichung des § 89 als einer kriminalpolitisch wirklich nicht notwendigen Bestimmung zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Dr. Diemer-Nicolaus hat eine breite Erörterung, die im Ausschuß stattgefunden hat, noch einmal aufgenommen. Das ist ihr gutes Recht, und ich sage nicht von vornherein, was sie den Koalitionsparteien in den Mund legt: Darauf kann man doch nicht verzichten. Wir haben im Ausschuß ganz freimütig über die Möglichkeit gesprochen, auf diesen alten Zersetzungsparagraphen, den früheren § 91, zu verzichten. Aber bei aller Geneigtheit zu diesem Verzicht: es sind praktische Argumente vor allem aus dem Kreis der Bundeswehr gewesen, die uns davon abgehalten haben. Frau Dr. Diemer-Nicolaus sagt zu jenen Argumenten aus der Bundeswehr, damit könne man doch fertigwerden. Denn zugegeben, der Schwerpunkt — wie Sie es eben vorgetragen haben — dieser Vorschrift, wie sie sich im Entwurf in § 89 darstellt, liegt in der Tat auf der Schriftenerfassung, und kein Disziplinarrecht und kein Erlaßrecht würde die Bundeswehr berechtigen — in welchem. Umfang und mit welcher Abgrenzung denn? —, Schriften zu verbieten, Ablieferungspflichten einzuführen oder gar objektive Erfassungsmöglichkeiten zu begründen.wir haben eingesehen, daß dieses wichtige Anliegen jedenfalls in diesem perfekten Rechtsstaat, der Bundesrepublik Deutschland, nicht ohne eine solche Vorschrift erfüllt werden könnte. Es ist unser Wille gewesen, die Umsetzung auf personelles Strafrecht so einzuschränken, wie es nur möglich ist. Wir haben also den Tatbestand auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane beschränkt und haben den Überhang weggestrichen; wir haben beschränkt auf planmäßige Einwirkung, wir haben beschränkt auf die Absicht, die pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu un-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9531
Dr. h. c. Güdetergraben. Wir haben in dieser Tendenz, die personelle Verfolgungsmöglichkeit einzuschränken, alles getan, was man tun kann. Wir sind zu der ehrlichen Überzeugung gekommen, daß es objektiv notwendig ist, an einer solchen Vorschrift festzuhalten. Deswegen bitte ich, den Antrag der FDP abzulehnen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Übung dieses Hauses gemäß wird über einen Streichungsantrag in der Form abgestimmt, daß der Paragraph selber zur Abstimmung gestellt wird. Wer also den Paragraphen streichen will, muß gegen ihn stimmen. Wer dem § 89 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit. Der § 89 ist angenommen, der Streichungsantrag ist erledigt.
Ich rufe den § 90 auf. Dazu liegt auf Umdruck 483 unter Ziffer 4 *) ein Änderungsantrag der FDP vor. Wird das Wort gewünscht? — Frau Dr. DiemerNicolaus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie unserem Antrag entnehmen können, sind wir dafür, daß der Tatbestand, der im § 90 behandelt wird, strafbar bleibt. Im Abs. 3 dieses Paragraphen geht es um das Maß der Strafe. Es heißt hier:
Die Strafe ist Gefängnis nicht unter sechs Monaten, wenn die Tat eine Verleumdung ist...
Das ist durchaus richtig. Eine Verleumdung bedeutet, wider besseres Wissen eine Unwahrheit sagen. Das ist ein qualifizierter Fall. Hier ist eine Mindeststrafe von sechs Monaten durchaus angemessen. Wir beantragen, daß die nun folgenden Worte „oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt" gestrichen werden. Warum beantragen wir das?
Sie kennen die Kritik, die gegen das jetzt gültige politische Strafrecht mit Recht erhoben worden ist. Bei dieser Kritik wurde vielfach gesagt, daß es sich in mancher Hinsicht um ein Gesinnungsstrafrecht handle. Wir Freie Demokraten sind natürlich dagegen, daß Gesinnungen bestraft werden. Es müssen vielmehr ganz konkrete Tatbestände da sein. Im vorliegenden Fall wird bei der Festlegung einer Mindestbestrafung auf eine Absicht abgestellt. Wir sind der Meinung, daß bei § 90 auf eine derartige Absichtsqualifizierung verzichtet werden sollte. Der Strafrahmen, der vorhanden ist, gibt dem Richter die Möglichkeit, im einzelnen Fall den Täter je nach seiner persönlichen Haltung und seiner Persönlichkeit mit der seiner Tat angemessenen Strafe zu belegen. Wenn der Richter feststellt, daß eine derartige Gesinnung vorhanden ist, die sich auch entsprechend konkret ausgewirkt hat, wird er bestimmt nicht bei der Mindeststrafe blei-
*) Siehe Anlage 2
ben, sondern er wird eine der konkreten Tat angemessene Strafe finden.
Ich bitte daher, das unglückselige Absichtsmoment, das wir sonst im Sonderausschuß mit viel Erfolg beseitigt haben, auch in dieser Strafbestimmung zu beseitigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme ganz kurz zu diesem Änderungsantrag Stellung. Über die Gründe, die Frau Dr. Diemer-Nicolaus vorgetragen hat, kann man durchaus streiten. Man muß die Frage, die hier aufgeworfen ist, in einen Gesamtzusammenhang stellen. Nicht allein diese Stelle hat eine solche Fassung, sondern noch einige andere. Mein entscheidendes Argument: in das System des Ganzen fügt sich dieser Streichungsantrag nicht ein. Man könnte die Streichung nicht isoliert an dieser Stelle vornehmen, sonst würde sich ein auffällig minderer Schutz des Bundespräsidenten ergeben. Wenn Sie unter diesem Gesichtspunkt den Entwurf ansehen, werden Sie sehen, daß die Anpassung an die Zeit sowieso schon Vorschriften zum Schutze des Bundespräsidenten gestrichen oder kleiner geschrieben hat. Man sollte es nicht an dieser Stelle noch einmal tun. Ich bitte, den Antrag der FDP abzulehnen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 483 Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Ich komme damit zu § 90 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. -
Angenommen.
Wir kommen nunmehr zu § 90 a und dem Antrag Umdruck 483 Ziffer 51. Das Wort zur Begründung des Antrags hat Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der in Frage stehende § 90 a enthält in Abs. 1 folgendes:
Wer öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Tonträgern, Abbildungen oder Darstellungen
1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht oder2. die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft,wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Dann heißt es in Abs. 2:*) Siehe Anlage 2
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9532 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. Rutschke
Ebenso wird bestraft, wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ein von einer Behörde öffentlich angebrachtes Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht oder beschimpfenden Unfug daran verübt. Der Versuch ist strafbar.
Die Strafdrohung ist, wie gesagt, Gefängnis bis zu drei Jahren.Meine Damen und Herren, daß die Symbole der Bundesrepublik Deutschland einen qualifizierten Schutz genießen sollen wird nicht in Frage gestellt. Das liegt in dem System, in den Symbolen selbst. Aber ich glaube, daß wir den Kreis nicht zu weit spannen sollten und daß wir die Schilder, die bei einzelnen Behörden draußen an der Haustür sind, nicht unter denselben Schutz stellen sollten wie z. B. die Flagge der Bundesrepublik Deutschland. Wer so weit geht, .daß er diese Hoheitszeichen, wie sie genannt werden, unter einen qualifizierten Schutz stellt, obwohl sie durch die Bestimmungen gegen Sachbeschädigung oder groben Unfug im Strafgesetzbuch ohnehin geschützt sind, der unterliegt meinem Empfinden nach immer noch den Vorstellungen der Zeit des autoritären Denkens. Wenn also jemand, der in so eine geheiligte Halle hineinkommt, vor der draußen ein Hoheitszeichen angebracht ist, z. B. der staatlichen Müllabfuhr, innerlich schon einen Diener machen muß, weil dort ein Hoheitszeichen ist, das auch qualifiziert geschützt ist, ist das nach meinem Empfinden wirklich noch ein Relikt aus alter Zeit, aus autoritärer Zeit. Wir sollten wenigstens dort, wo man das entbehren kann, diese Strafdrohung bis zu drei Jahren Gefängnis abbauen.
Das ist auch der Antrag, den wir gestellt haben, den Satz „oder ein von einer Behörde öffentlich angebrachtes Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder" zu streichen. Hier langen die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über groben Unfug oder über Sachbeschädigung durchaus aus. Ich glaube auch nicht, daß mit dieser Streichung den heiligen Hallen eines Vermessungsamtes, oder wie gesagt, des staatlichen Müllabfuhramtes irgendwie Abbruch getan wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem § 90 a Abs. 2, der geändert werden soll, handelt es sich um die Übernahme bereits bestehenden Rechts aus § 96 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs.
— Es ist sicher eine sehr alte Vorschrift, Herr Kollege Rutschke. Ich möchte aber meinen, daß Ihr Antrag nicht ganz konsequent ist, wenn Sie den Schutz einer öffentlich gezeigten Flagge weiterhin
aufrechterhalten wollen, aber den Schutz eines Hoheitszeichens beseitigen wollen. Denn nach meiner Meinung besitzt ein Hoheitszeichen der Bundesrepublik oder eines Landes mindestens den gleichen Wert wie eine öffentlich gezeigte Flagge.
Meine Damen und Herren, es ist natürlich so, daß alle Symbole nur Stoff sind. Aber seit eh und je haben die Menschen Symbole aus Stoff dazu verwendet, Begriffe und Werte religiösen, sittlichen oder nationalen Inhalts sichtbar darzustellen. Ich meine, gerade in diesen Tagen und Wochen sollten wir immer besonders daran denken, daß wir einen durch das Grundgesetz und durch die Verfassungen unserer Länder geordneten Staat haben, der gerade in diesem Parlament und in den Parlamenten der Länder seine lebendigste Darstellung findet und der über allen Parteien und über allen Verbänden, über dem ganzen Volke steht. Dieser Staat findet seinen Ausdruck durch das Hoheitszeichen des Bundes und der Länder. Es wäre auch durchaus unangebracht, dem Hoheitszeichen der Bundesrepublik und der Länder keinen Schutz angedeihen zu lassen, hingegen nach § 104 des Strafgesetzbuchs diesen Schutz den Hoheitszeichen fremder Staaten in unserem Gebiet angedeihen zu lassen.
Herr Abgeordneter Schlee, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rutschke? — Herr Abgeordneter Dr. Rutschke!
Herr Kollege Schlee, würden Sie mir zustimmen, daß doch gewisse Unterschiede bestehen zwischen einem religiösen Symbol und dem Schild am staatlichen Vermessungsamt in Rottweil oder irgendwo anders?
Ohne Zweifel, Herr Kollege Dr. Rutschke, bestehen da Unterschiede. Aber dieser Unterschied hat mit der Frage, die wir hier zu entscheiden haben, nichts zu tun. Wir haben es hier nur mit der Frage zu tun, ob wir das Symbol der Hoheit unserer Bundesrepublik oder auch eines Landes schützen wollen. Wer dieses Symbol angreift, sei es auch nur das Schild an einem behördlichen Gebäude, der will ja nicht den Stoff beschädigen, sondern der will den Staat angreifen, den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, der darin zum Ausdruck kommen soll.
Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Moersch? — Bitte sehr!
Herr Kollege Schlee, glauben Sie nicht, daß man dem demokratischen Staat — und von dem ist ja wohl hier die Rede — unter Umständen einen schlechten Dienst erweist, wenn man ihn in eine religiöse Sphäre rückt, wie Sie es eben tun wollten, und ihn damit der Lächerlichkeit preisgibt?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9533
Herr Kollege Moersch, ich verstehe Ihre Frage absolut nicht. Ich habe in keiner Weise den demokratischen Staat mit religiösen Symbolen in Verbindung gebracht. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß die Menschen seit eh und je Symbole verwenden, um Werte und Begriffe religiöser, sittlicher, nationaler und anderer Art zum sichtbaren Ausdruck zu bringen. Mehr habe ich nicht gesagt.
Ich will schließen, meine Damen und Herren. Es ist eine politische Entscheidung. Ich glaube, in keinem unserer Nachbarländer, weder. in den Vereinigten Staaten noch in Großbritannien noch auch in Frankreich und, ich glaube, auch nicht bei unseren östlichen Nachbarn, wäre es zweifelhaft, ob man das Zeichen der Hoheit des Staates schützen soll. Es sollte daher auch bei uns solchen Zeichen der Schutz zugute kommen.
Ich bitte im Namen der beiden Fraktionen der SPD und der CDU/CSU, den Antrag der FDP abzulehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An und für sich handelt es sich bei dieser Sache um eine im Gesamtrahmen des politischen Strafrechts gesehen nicht besonders wesentliche Frage. Die anderen Fragen, die heute bisher nicht in Einzelheiten diskutiert worden sind, sind von ganz anderem Gehalt. Aber trotzdem muß ich doch noch auf die Entgegnung von Herrn Kollegen Schlee ganz kurz antworten, ohne diese Sache ausweiten zu wollen. Herr Kollege Schlee, Sie hätten mit Ihren Ausführungen, mit denen Sie sich gegen unseren Antrag gewendet haben, vielleicht dann recht, wenn wir beantragt hätten, den gesamten § 90 a zu streichen. Das wollen wir ja gar nicht, sondern wir erkennen durchaus an, daß auch Zeichen eines Staates einen gewissen Symbolwert haben und geschützt werden sollen. Es geht uns nur darum: Denken Sie bitte daran, daß jeder Notar natürlich sein Notariatsschild mit dem Hoheitsabzeichen hat, daß an jeder Behörde, an jedem Amt — und Sie wissen doch, wie außerordentlich viele Verwaltungsstellen wir haben — ein entsprechendes Schild angebracht ist. Unter diesen Umständen ist es, gerade wenn ich die Bedeutung der anderen Symbole achten will, wirklich nicht angebracht, daß ich das alles in einen Topf werfe, sondern da ist es richtig, daß man diese Zeichen aus der Qualifikation ausscheidet. Und wenn Sie darauf hinweisen, daß die Hoheitszeichen anderer Länder geschützt bleiben: Ja, wo sind die denn? Sie sind an den Botschaften, an den Konsulaten und nicht an einer Unzahl von Verwaltungsstellen. Unsere Hoheitszeichen aber haben nicht den starken Symbolwert, und da genügt die einfache Bestimmung über Sachbeschädigung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Dr. Arndt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zu meinem Bedauern sagen, Frau Diemer-Nicolaus, Ihr Antrag ist an den Haaren herbeigezogen.
Symbolwert haben die Zeichen des Staates — des Bundes, der Länder und der Gemeinden —, Symbolwert hat der Schimmel von Niedersachsen überall, wo er angebracht wird, auch wenn es an der Tür eines Notars ist. Ich fasse mich kurz. Wir tagen hier im Zeichen der schwarz-rot-goldenen Fahne. Ich gehöre leider noch zu der Generation, die erlebt hat, wie die staatlichen Zeichen verunglimpft wurden. „Schwarz-rot-Mostrich", „schwarz-rot-gelb", „schwarz-rot-Eidotter" war noch das geringste an solchen Verunglimpfungen. So hat es damals angefangen, und so fängt es heute wieder an,
und wir haben zu zeigen, daß wir die Zeichen unseres Staates nicht von irgend jemand in den Dreck ziehen lassen wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Sehr verehrter Herr Kollege Arndt, ich möchte Ihnen nur kurz erwidern. Sie haben an dem Problem, das ich hier aufgezeigt habe, wirklich haarscharf vorbeigeredet. Wir haben in keiner Weise dem Schutz der Symbole unseres Staates unsere Zustimmung versagen wollen. Uns geht es darum, daß man bei der Inflation der sogenannten Hoheitszeichen, die an allen möglichen Behördenstellen sind, nicht gerade den Schutz entwertet, den wir für die Symbole unseres Staates haben wollen. Deshalb sind wir der Meinung, daß wir angesichts dieser Inflation eine Grenze ziehen sollen. Nur so ist unser Antrag zu verstehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe ein gewisses Verständnis für die Gedankengänge der FDP. Ich glaube aber, der Weg, den die FDP vorschlägt, ist der falsche Weg. Es ist richtig, es sollte keine Inflation an solchen Hoheitszeichen eintreten. Aber dann dürfen wir nicht jetzt im Wege des Strafrechts dafür sorgen, sondern dann müssen wir in unserer Verwaltung dafür sorgen, daß diese Zeichen nicht überall angebracht werden, wo sie nicht am Platze sind.
Mit anderen Worten: dort müssen wir einsetzen, nicht hier. Die Strafbestimmung, wie sie im Rechtsausschuß beschlossen wurde, halte ich für richtig. Aber darüber hinaus obliegt es uns im Bund, obliegt es uns in den Ländern und auch in den Kommunen, dafür zu sorgen, daß nicht Mißbrauch getrieben wird
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9534 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Niederaltdadurch, daß diese Hoheitszeichen zu häufig angebracht werden.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 483 Ziffer 5. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich komme nunmehr zu § 90 a in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Angenommen!
Ich rufe nunmehr auf die §§ 90 b, — 91, — 92, —92 a, — 92 b, — 93, — 94, — 95, — 96, — 97 und 97 a. — Änderungsanträge sind nicht gestellt. — Bitte, Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt kommt wirklich wieder etwas sehr Politisches; und zwar ist das der § 96. Wir haben keinen Änderungsantrag gestellt; aber ich möchte doch auf die Problematik dieses Paragraphen hinweisen und bitten, über Abs. 1 und Abs. 2 getrennt abstimmen zu lassen.
Es wird gegen diesen § 96 mit Recht eingewendet, daß er eine Vorbereitungshandlung zu einem selbständigen Straftatbestand ausgestaltet.
Dem Abs. 1: „Wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, um es zu verraten . . ., wird wegen landesverräterischer Ausspähung mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft." werden wir zustimmen. Sehr problematisch aber ist Abs. 2: „Wer sich ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, verschafft, um es zu offenbaren . . ., wird wegen Auskundschaftung von Staatsgeheimnissen ... bestraft.", allerdings dann nur mit Gefängnis. Dieser Ausspähungstatbestand, so wie er auch im Regierungsentwurf enthalten war, erregt bei mir große Sorge, weil damit gegebenenfalls folgendes verbunden werden. kann. Sehen Sie, wir haben die Informations- und Pressefreiheit. Es gehört nun einmal zur Aufgabe der Presse, daß sie sich so viel Material, wie es nur möglich ist, verschafft. Sie soll das natürlich auf legale Art und Weise tun, das möchte ich ausdrücklich sagen. Aber es ist nachher eine andere Sache, daß sie immer Hintergrundmaterial hat, das überhaupt nicht weiter verwendet wird. Es kann sein, daß sie dabei auch einmal an ein derartiges Staatsgeheimnis kommt — jetzt bei der Eingrenzung des Begriffs „Staatsgeheimnis" besteht diese Gefahr natürlich weniger als früher —, und da kommt es nachher, wenn sie es nicht offenbart hat, darauf an: hatte sie die Absicht, es zu offenbaren? In der Begründung wird mit Recht darauf hingewiesen, daß dies, wenn es zu einem Verfahren kommt, nachgewiesen werden muß; wenn es nicht nachgewiesen werden kann, dann heißt es: „In dubio pro reo", das heißt, es darf nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen. Es ist abzuwarten, wie die Rechtsprechung in dieser Hinsicht sein wird.
Wir werden uns deshalb bei Abs. 2 der Stimme enthalten. Ich habe es aber für notwendig erachtet, auf die Gefahren, die mit dieser Bestimmung gegebenenfalls verbunden sein könnten, hinzuweisen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich muß nun die Abstimmung trennen.
Wir stimmen zuerst über die §§ 90 b, 91, 92, 92 a, 92 b, 93, 94 und 95 ab. Wer diesen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu § 96. Hier hat die Frau Abgeordnete die Teilung der Abstimmung verlangt. Über dieses Verlangen entscheidet nach § 53 der Geschäftsordnung der Bundestag. Werden Bedenken gegen eine getrennte Abstimmung über Abs. 1 und Abs. 2 laut? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse über § 96 Abs. 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Angenommen.
Ich rufe § 96 Abs. 2 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen rechts ohne Gegenstimmen angenommen.
Dann rufe ich §§ 97 und 97 a zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen.
Ich rufe § 97 b auf und dazu den Antrag Umdruck 483 Ziffer 6 *). Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe an und für sich ein etwas schlechtes Gewissen,
wenn ich ein so schwieriges juristisches Problem wie das des Irrtums über ein illegales Staatsgeheimnis in der zweiten Lesung im Plenum behandeln soll. Es fällt schon dem Juristen schwer, sich immer wieder neu zu vergegenwärtigen, was hinter diesen Problemen steckt. Erst recht gilt das natürlich für die Nichtjuristen. Das ist gar kein Vorwurf. Ich habe durchaus Verständnis, wenn das Thema da etwas zu einem Buch mit sieben Siegeln wird.Worum handelt es sich hier? Es handelt sich darum, daß nach einem zuerst nicht erfolgreichen Vorstoß der FDP im Sonderausschuß nachher Gott sei Dank dann doch das Problem des illegalen Staatsgeheimnisses geregelt worden ist. Ich hätte es für*) Siehe Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9535
Frau Dr. Diemer-Nicolauseinen großen Mangel erachtet, wenn in dieser Reform das Problem des illegalen Staatsgeheimnisses nicht ausdrücklich geregelt worden wäre.Worum geht es beim illegalen Staatsgeheimnis? — Es geht um die Frage, ob, wenn die Exekutive etwas Illegales, etwas Verfassungswidriges getan hat, die Bekanntgabe, die Veröffentlichung eines derartigen illegalen Vorganges möglich sein soll. Diese Regelung ist jetzt erfolgt.Wenn wir den Schutz unseres Staates ernst nehmen wollen, taucht jetzt natürlich die schwierige Frage auf: Wie schützen wir den Staat davor, daß jemand ein Staatsgeheimnis öffentlich bekanntmacht und nachher sagt: Ich habe mich geirrt, ich habe das für ein illegales Staatsgeheimnis gehalten. Tatsächlich war es aber ein echtes Staatsgeheimnis. Das wäre also der sogenannte Irrtum über das illegale Staatsgeheimnis.Nun gibt es nicht nur bei einem Staatsgeheimnis derartige Irrtümer, sondern es gibt natürlich auch die Rechtsprechung zu anderen Irrtümern. Es kann sich jemand über ein sogenanntes Tatbestandsmerkmal irren. Das ist z. B. der Fall, wenn jemand eine fremde Sache wegnimmt, die er für seine eigene hält. Ein ganz simples Beispiel ist die Verwechslung von Mänteln im Restaurant. Zu diesen schwierigen Irrtumsfragen gibt es eine sehr eingehende Rechtsprechung, und in § 97 b Abs. 1 ist auf diese Rechtsprechung abgehoben. Ich darf hier aus der Begründung zitieren. Es heißt dort: — Bitte schön!
Frau Abgeordnete, Sie brauchen Ihren Satz nicht zu unterbrechen. Aber wenn Sie die Zwischenfrage beantworten wollen, bitte sehr!
Frau Kollegin Diemer, würden Sie vielleicht den Begriff des illegalen Staatsgeheimnisses erklären, weil hier anscheinend keine völlige Klarheit besteht, was ein illegales Staatsgeheimnis ist.
Ich führe einmal einen ganz konkreten Fall an, der den Bundestag schon beschäftigt hat: der berühmte Fall Pätsch. Wir werden uns heute ja mit dem Telefonabhören usw. noch befassen. Im Fall Pätsch ging es darum: War das Abhören, das damals erfolgte, legal oder illegal? Pätsch hatte es in eine Zeitung gebracht, und es erfolgte ein Gerichtsverfahren, und es erfolgte nachher auch ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Das ist das konkrete Beispiel, aber es ist nur eines der Beispiele. Ein illegales Staatsgeheimnis kann natürlich auch in anderer Weise möglich sein.Die Rechtsprechung sagt hier folgendes — darauf wird auch in der Begründung abgehoben —: Der Betreffende muß, bevor er eine derartige Tatsache, die gegebenenfalls ein Staatsgeheimnis ist, öffentlich bekanntmacht, besonders sorgfältig prüfen, ob tatsächlich eine Illegalität vorliegt. Es wird ihm zugemutet — ich zitiere aus dem Schriftlichen Bericht —,mögliche Erkundigungen einzuzuziehen undeine eingehende Prüfung vorzunehmen, ob dervon ihm vermutete Verstoß tatsächlich vorliegt.Auch sonst, bei der allgemeinen Irrtumsregelung, muß mit Anspannung aller Sorgfaltspflicht zuerst einmal geprüft werden, ob tatsächlich ein Irrtum vorliegt. Bei dem Staatsgeheimnis muß ich sagen: Je schwerer der Verdacht ist, daß ein illegales Staatsgeheimnis vorliegt, um so sorgfältiger muß natürlich die Prüfung erfolgen. Wenn der Täter dies bekanntmacht, nimmt ter das Risiko in Kauf, daß er bestraft wird, wenn .er nicht genügend sorgfältig geprüft hat und sich herausstellt, daß das, was er für illegal gehalten hat, tatsächlich nicht illegal war und dadurch ein Staatsgeheimnis preisgegeben wurde. Das ist der Fall dies § 97 b Abs. 1 Nr. 1. Das heißt: Handelt der Täter in der irrigen Annahme, das Staatsgeheimnis sei illegal — ich sage das jetzt mit meinen Worten —, so wird er, wenn ihm dieser Irrtum vorzuwerfen ist, nach den bezeichneten Vorschriften bestraft. Damit sind wir vollkommen einverstanden. Ich betone nochmals: Wir sind der Auffassung, daß der Betreffende bei der Überprüfung eine außerordentlich hohe Sorgfaltspflicht hat.Dann kommen aber die Nummern 2 und 3. Nach Nr. 2 soll der Täter auch bestraft werden, wenner nicht in der Absicht handelt, dem vermeintlichen Verstoß entgegenzuwirken ...Darin ist wieder dieser unglückliche Begriff „Absicht" enthalten. Das bereitet auch im Strafverfahren Schwierigkeiten. Der Täter muß sich hier gegebenenfalls in einer Art und Weise exkulpieren, die nicht verlangt werden kann. Ich bin der Meinung, daß es wirklich unseren Staatsschutzbedürfnissen genügend Rechnung trägt, wenn in Hinsicht auf die bestehende Rechtsprechung über den strafrechtlichen Irrtum nur die Nr. 1 erhalten bleibt.Unter Nr. 3 heißt es dann:die Tat nach den Umständen kein angemessenes Mittel zu diesem Zweck ist,Herr Kollege Schlee, Sie haben vorhin gesagt, daß wir uns doch davor hüten sollten, die Tatbestände nicht konkret genug zu fassen; das würde zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten führen. Eigentlich muß ich dann erwarten, daß Sie mir zustimmen, daß diese Nr. 3 mit der Abwägung, die dort vorgenommen wird, zu noch erheblich größeren Auslegungsschwierigkeiten für die Richter führen kann, zu notwendigen Abwägungen, bei denen gegebenenfalls, weil es sich ja um politische Sachverhalte handelt, auch der Richter überfordert ist. Deswegen sind wir dafür, daß die Nummern 2 und 3 gestrichen werden.Weiter haben wir beantragt, daß auch der letzte Satz in Abs. 1 wegfällt, nämlich die Erläuterung zu Nr. 3:Die Tat ist in der Regel kein angemessenes Mittel, wenn der Täter nicht zuvor ein Mitglied des Bundestages um Abhilfe angerufen hat.
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9536 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Frau Dr. Diemer-NicolausMeine Damen und Herren, damit feiert die Regierungsvorlage, die wir insofern abgelehnt haben, wieder selige Urständ. Ich darf daran erinnern, daß darin diese Regelung vorgesehen war.Außerdem wird hier einer Stelle der Begründung des Paetsch-Urteils des Bundesgerichtshofs Rechnung getragen, der ich aus praktischer Erfahrung nicht zustimmen konnte. Ich habe mich gewundert, welche — wie soll ich mich ausdrücken —hohe Meinung der Bundesgerichtshof von uns Abgeordneten im Bundestag und von unseren Möglichkeiten hat, gegebenenfalls auch Dinge, die an uns herangetragen werden, intensiv nachzuprüfen. Erstens einmal wären wir einfach oft überfordert, zunächst einmal zu klären, ob das Vorbringen richtig oder nicht richtig ist, und nachher noch dem so nachzugehen, wie es erforderlich ist. Man kann das von den Bundestagsabgeordneten nicht prinziell verlangen. Damit möchte ich nicht ausdrücken, daß wir als Bundestagsabgeordnete uns nicht verpflichtet fühlen, wenn Fälle an uns herangetragen werden, auch von unserer Seite aus mit der genügenden Sorgfalt ihnen nachzugehen und Mißstände nachzuprüfen. Aber ich kenne auch Fälle, in denen sich doch die Praxis unserer Möglichkeiten sehr von den theoretischen Möglichkeiten unterscheidet. Ich brauche insofern nur an die Schwierigkeiten des Paetsch-Falles zu erinnern.Wir als Freie Demokraten sind deshalb der Auffassung, daß man weder den Betreffenden — mit dem Erfordernis, sich zuerst an den Bundestagsabgeordneten zu wenden — noch die Gerichte — indem man entsprechend der Nr. 3 die Mittel-ZweckAbwägung vornehmen läßt — überfordern sollte. Wenn Sie es bei der Nr. 1 und bei der Rechtsprechung belassen, können Sie sicher sein, daß auch in dem Falle, in dem ein Staatsgeheimnis in der irrigen Annahme preisgegeben wird, daß es illegal ist, der Schutz des Staates trotzdem genügend gewährleistet ist.Ich bitte Sie um Entschuldigung, daß ich ein so juristisches Problem hier behandeln mußte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.Dr. Arndt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Antrag der Freien Demokraten abzulehnen. Der Antrag beschäftigt sich mit einer der schwierigsten Materien, mit den Problemen des Landesverrats. Landesverrat ist eine der abscheulichsten Taten. Darum reicht hier die Strafdrohung auch bis zu lebenslangem Zuchthaus, also der Höchststrafe, die es bei uns überhaupt gibt.Aber zugleich ist es ein hochpolitisches Problem, was denn nun als Landesverrat strafrechtlich verfolgt werden kann und darf. Insofern ist die Geschichte der Landesverratsvorschrift eine Leidensgeschichte. Denn es sind insbesondere in der Weimarer Zeit zahlreiche Bestrafungen wegen Landesverrats erfolgt, die wir nicht gutheißen können, wo nach unserer Überzeugung ein Landesverrat überhaupt nicht vorgelegen hat.
— Oder im Gegenteil, es waren durchaus patriotische Taten, wie im Falle Ossietzky.Wir haben uns deshalb besondere Mühe gegeben, den Tatbestand des Landesverrats stark einzugrenzen und zu präzisieren. Dazu ist es erforderlich, zunächst einmal zu umschreiben, was ein Staatsgeheimnis ist. Dazu sagt § 93 im ersten Absatz:Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.Darin sind zwei Dinge neu, nämlich einmal, daß diese Tatsachen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein dürfen — also die Geheimniswirklichkeit Voraussetzung für die Verratsfähigkeit ist —, und zweitens, daß der schwere Nachteil eintreten oder als Gefahr erscheinen muß für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.Das sind zwei neue Eingrenzungen, die nur deshalb möglich waren, weil wir auf der anderen Seite eine neue Spionagevorschrift geschaffen haben, die sehr weit geht und die die Spionage, namentlich die Geheimdiensttätigkeit, sehr streng unter Strafe stellt. Das ist ein Gleichgewicht, wie wir überhaupt über vieles im Ausschuß unter der Leitung des verehrten Herrn Kollegen Güde — dem ich hierfür meinen Dank abstatten will — nicht so streitig abgestimmt haben. Vielmehr haben wir uns so lange auseinandergesetzt, bis wir gesagt haben: das haben wir jetzt gemeinsam, und das tragen wir auch gemeinsam. Da kann man doch nicht einzelne Stücke herausbrechen und etwa hier nicht Rücksicht nehmen auf das Gleichgewicht zwischen stark eingeschränktem Landesverratstatbestand und stark ausgeweitetem Spionage- und Nachrichtendiensttatbestand.Man kann hier aber auch nicht ohne Rücksicht auf das operieren, was das berühmte „illegale Staatsgeheimnis" ist. Ich will Ihnen, Herr Rutschke, die Frage gern beantworten. Ein illegales Staatsgeheimnis ist etwas, was es nicht gibt; denn es ist ein Widerspruch in sich. Wo schwere Illegalität vorliegt, d. h. wo ein schweres Unrecht geschieht, gibt es eben kein Geheimhaltungsbedürfnis und kein Geheimhaltungserfordernis. Wir sind der erste Staat der Welt, der das, allerdings aus traurigen Erfahrungen, im Strafgesetzbuch ausdrücklich festgestellt hat. Nach langem Ringen haben wir dafür in § 93 Abs. 2 die Formulierung gefunden — ich sage es jetzt nicht wörtlich, sondern etwas verdeutlicht —: Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse. Dann steht dort noch: Tatsachen, die unter 'Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse.
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Dr. Arndt
Das ist eine ungeheure Neuerung. Ich möchte sagen: es geht von hier aus eine neue Ara im Staatsschutzrecht aus, gerade in dieser Vorschrift. Wenn wir aber nun einmal diesen kühnen Schritt getan und gesagt haben: das, was gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und was gegen Rüstungsbeschränkungen, die völkerrechtlich von uns übernommen sind, verstößt, sind keine Staatsgeheimnisse — das heißt auf gut deutsch: darüber kann jeder reden, schreiben, publizieren, soviel er will; denn das sind keine Staatsgeheimnisse —, dann müssen wir allerdings auch die Konsequenzen ziehen und es ausschließen, daß sich jemand so leichthin auf angeblichen Irrtum beruft und sich mit Irrtum entschuldigen will. Darum haben wir bei diesem Tatbestand Landesverrat die Irrtumsvorschriften soviel strenger gefaßt.Ich bitte jetzt eins zu bedenken: Ist die Annahme des Täters richtig, daß das Geheimnis illegal ist, dann ist es kein Staatsgeheimnis, und niemand kann ihm etwas wollen. Nur dann, wenn der Täter irrig annimmt, irgendeine Tatsache sei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet oder sei mit völkerrechtlich vereinbarten, gültigen Rüstungsbeschränkungen nicht vereinbar, taucht ja das Problem auf: Wie behandle ich den Irrtum? Und da ist die Sache äußerst brisant; denn es handelt sich ja nicht um einen Pappenstiel, sondern um Tatsachen, die geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Da muß ich dann sagen: Lieber Freund, wenn du dich auf Irrtum berufen willst, mußt du auch dartun, daß du alles getan hast, um Irrtum zu vermeiden, besonders in einer so schwierigen Frage wie der, ob etwas gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt oder nicht. Darum haben wir hier gesagt, daß er so wie ein Täter bestraft wird, wenn ihm dieser Irrtum, den er vorschützt, vorzuwerfen ist und wenn er nicht die Absicht gehabt hat, dem vermeintlichen Verstoß gegen die Verfassung entgegenzuwirken. Da ist das Wort „Absicht" durchaus angebracht, vor allem wenn die Tat nach den Umständen kein angemessenes Mittel zu diesem Zweck ist.Nun haben wir diesen Mann nicht etwa zu irgendeiner Behörde geschickt, sondern wir haben ihm gesagt: Du mußt doch unter 500 Bundestagsabgeordneten einen deines Vertrauens haben, zu dem du gehen kannst, und wenn du diesen Weg nicht gehst, dann ist die Sache mit deinem Irrtum sehr fragwürdig und dann kannst du dich nicht darauf berufen. Ich glaube, das ist das mindeste an Sicherung, was wir — bei unserer sehr weitgehenden Anerkennung der Illegalität — vorsehen mußten.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie einem Laien auf diesem Gebiet, der mit den Ausschußberatungen nicht vertraut ist, der aber als Journalist eventuell in solche Konflikte kommen kann, doch noch die eine oder andere Frage hierzu.
Herr Kollege Dr. Arndt, Sie haben die Anrufung eines Abgeordneten hier ausdrücklich vertreten. Mit unserem Änderungsantrag verlangen wir die Streichung dieser Bestimmung. Zunächst einmal ergibt sich die Frage, ob es denn mit der Unabhängigkeit der Presse und ihrer Verantwortung vereinbar ist, das Berufsrisiko, das sich aus ihrer Aufgabenstellung ergibt und das ja, wie wir aus der Erfahrung wissen, unter Umständen gar nicht so gering ist, auf dem Weg über Bundestagsabgeordnete abzumildern. Sie haben diese Frage soeben bejaht. Ich könnte mir vorstellen, daß es Fälle gibt, wo das ein Hindernis für den Journalisten darstellt, wo er berechtigte Hemmungen hat, gewissermaßen noch einen anderen in eine solche Sache hineinzuziehen.
Vielleicht wäre die Sache leichter — aber ich rede hier ganz laienhaft —, wenn wir ein ausgebautes Petitionsrecht mit mehr Untersuchungsmöglichkeiten von unserer Seite hätten. Aber diese Möglichkeiten haben wir eben nicht.
Noch eine Anmerkung aus meinen Erfahrungen in Untersuchungsausschüssen. Herr Kollege Dr. Arndt, ich habe sehr oft das Gefühl, daß zwischen Staatsgeheimnis und Regierungsgeheimnis nicht unterschieden wird und daß auch in den Köpfen dieser Unterschied nicht gemacht wird. Wir haben hier den Fall, daß die Beschaffung eines Kampfwagens nicht geheim gewesen ist und auch nie für geheim erklärt wurde — das gilt auch für die dazu gehörenden Einzelheiten —, daß aber die Akten, die zu diesem Fall gehören, zu Verschlußsachen erklärt worden sind, d. h. daß ganz offensichtlich die Regierung das Bedürfnis hatte, etwas zu einem Geheimnis zu machen, was vom Staat her gesehen absolut kein Geheimnis gewesen ist.
Ich meine, diese Hilfskonstruktion mit dem Abgeordneten sei eine Sache, die beim Gericht selbst abgewogen werden kann — das ist ja da und dort in solchen Fällen auch geschehen —, die aber nicht unbedingt in das Gesetz selbst hineingehört. Ich glaube, man kann hier der Selbstverantwortung der Journalisten durchaus den nötigen Spielraum lassen. Sie werden sich auf Gerichtsurteile berufen können, und ein entsprechendes Urteil liegt hier vor.
Ich würde es also nicht für systematisch halten, wenn diese Bestimmung im Gesetz bliebe. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich von meinen sachkundigen Kollegen habe überzeugen lassen, daß wir den genannten Änderungsantrag stellen sollten. Hier liegt eine Frage der Abwägung eines Risikos vor, die wir anders entscheiden könnten, als das in der Ausschußvorlage vorgesehen ist.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Abgeordneter Dr. Arndt!Dr. Arndt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der wirklich großen
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9538 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. ArndtBedeutung dieses Problems will ich die Fragen des Herrn Kollegen Moersch gern beantworten.Sie haben leider darin recht, Herr Kollege Moersch, daß bei uns bisher zwischen Regierungsgeheimnis und Staatsgeheimnis nicht hinreichend unterschieden wird. Die Geheimhalterei geht sogar so weit, daß der Bundestag die Ausschußprotokolle mit Ausnahme derer des Rechtsausschusses für geheim erklärt hat, wie ich kürzlich in der Bibliothek festgestellt habe. Dabei sollten doch die Protokolle eigentlich dazu da sein, der Offentlichkeit darüber Auskunft zu geben, was im Ausschuß geschehen ist. Die Ausschüsse sind zwar nicht zugänglich und in dem Sinne nicht öffentlich; aber sie sind mit Ausnahme einiger bestimmter Ausschüsse nicht vertraulich, es sei denn, daß etwas anderes extra beschlossen wird. Deshalb kann der Inhalt dieser Protokolle gar kein Geheimnis sein.Aber wir haben uns gerade bemüht, diesen Unterschied zwischen Regierungsgeheimnis und Staatsgeheimnis klarzustellen. Staatsgeheimnis ist nur etwas, was vor einer fremden Macht geheim gehalten werden muß, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Präziser läßt sich der Begriff des Staatsgeheimnisses nicht umreißen.Nach meiner subjektiven Auffassung ist Staatsgeheimnis das Unverfügbare, das, worüber niemand verfügen kann, ohne dem Staat schwersten Schaden zuzufügen, und das ist niemandem erlaubt. An einem praktischen Beispiel gesagt: Was der Oppositionsführer nicht öffentlich sagen darf, darf auch der Bundeskanzler nicht öffentlich sagen; denn andernfalls gäbe es eine Imparität zwischen Mehrheit und Minderheit, die in einer Demokratie nicht statthaft ist. Wir sollten also in Zukunft sehr viel strengere Maßstäbe an Hand dieses Gesetzes anlegen.Nun haben Sie gemeint, Herr Kollege Moersch, man hätte vielleicht das Petitionsrecht ausbauen können. Es ist im Streit, ob das Petitionsrecht auch dem einzelnen Abgeordneten gegenüber gilt oder ob sich der Petent an den Bundestag im ganzen wenden muß. Ich glaube, er kann sich auch an den einzelnen Abgeordneten wenden. Das ist gewissermaßen ein Ausbau des Petitionsrechts. Der betreffende Petent — und gerade wenn es ein Journalist ist — wendet sich an einen Abgeordneten seines Vertrauens, der ihm entweder von sich aus Auskunft geben kann oder sich an die zuständige höchste Stelle unter den Bundesministerien wenden wird. Die Wege werden ihm ja dadurch geöffnet.Ich glaube, daß hier — auch gerade zum Schutz der Presse — nichts Praktikableres gefunden werden konnte. Ich darf für den ganzen Ausschuß, aber auch für mich persönlich sagen, daß wir uns immer wieder bemüht haben, hier die Presse von den untragbaren Risiken zu befreien, die sie gegenwärtig im Landes-verratsrecht hat. Das war gerade unser Bestreben, und zwar durchaus einheitlich. Wir hoffen, hier eine gute Lösung gefunden zu haben.Ich bitte Sie doch sehr, daß Sie von Ihrem Antrag absehen; denn es ist auch für den Journalisten eine bedeutungsvolle Erleichterung, daß er zum Abgeordneten gehen und sagen kann: „Mir ist das und das mitgeteilt worden. Das halte ich für einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder für einen Verstoß gegen völkerrechtlich gültig von uns abgeschlossene rüstungsbeschränkende Verträge. Ich möchte das in meiner Zeitschrift oder Zeitung bringen. Wie steht es damit?"— Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, bitte!
Herr Kollege Arndt, stimmen Sie mit mir insofern überein, daß, wenn Nr. 1 bestehenbleibt, diese Möglichkeit selbstverständlich immer offenbleibt? Aber hier ist der Zwang, es zu müssen. Den möchten wir nicht haben.
Dr. Arndt (SPD) : Gerade den Zwang halte ich für heilsam, zumal der Betreffende sich damit auch in einem etwaigen Verfahren gegenüber dem Gericht legitimieren kann, daß er den Abgeordneten aufgesucht hat. Sonst kommt es so, daß er vor dem Richter einiges klarlegen muß. Der Richter fragt dann: „Was haben Sie denn eigentlich getan?" Dann erzählt der Betreffende, daß er bei dem ihm befreundeten Rechtsanwalt Kunz war und noch Herrn Schulz besucht hat und ähnliches mehr. Dann sagt der Richter: „Das ist alles nichts." Wir müßten eine Instanz klarstellen, und zwar keine behördliche. Ich würde mich entscheidend dagegen wehren, daß der Bürger zu einer Behörde gehen und dort etwas offenbaren muß. Da hat er leider nicht viel zu erwarten. Ich sage das einmal etwas skeptisch. Aber eine Instanz muß gesichert sein, und das ist doch die Instanz „Volksvertreter". Welche sollte es sonst sein? — Herr Kollege Güde!
Wollen Sie nicht, Herr Kollege Dr. Arndt, sowohl Herrn Moersch wie Frau Diemer-Nicolaus antworten, daß es hier keinen absoluten Zwang gibt? Es heißt nicht, daß in jedem Fall der Abgeordnete angegangen werden muß, sondern nur, daß in der Regel die Tat kein angemessenes Mittel ist, wenn er nicht zuvor ein Mitglied des Bundestages um Abhilfe angerufen hat. Man muß sagen: Die letzte Verantwortung bleibt z. B. bei dem Journalisten.
Es darf nur eine Frage gestellt werden!
Dr. Arndt (SPD) : Ich danke Herrn Kollegen Güde, daß er meine Ausführungen ergänzt hat; ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Das beantwortet auch die Fragen der Freien Demokraten, und es ist gut, daß wir das hier im Plenum noch einmal alles genauestens zu Protokoll festgehalten haben.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten Umdruck 483 Ziffer 6. Wer diesem Antrag zu-
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Vizepräsident Dr. Jaegerzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.Ich komme nunmehr zu § 97 b in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf die §§ 98, 99, 100, 100 a, 101, 101 a. Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr den gesamten Art. 1 in der Fassung, die das Haus soeben beschlossen hat, auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr auf Art. 2 —, Art. 3 —, Art. 4 —, Art. 5 —, Art. 6 —, Art. 7 —. Wird das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Art. 8 auf. Der Streichungsantrag der Fraktion der FDP *) dazu ist erledigt, nachdem die Ziffer 2 des Änderungsantrages der FDP abgelehnt worden ist. Wir haben nur noch über Art. 8 in der Ausschußfassung abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit beschlossen.Ich rufe auf Art. 9 —, Art. 10 —, Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ohne Gegenstimmen so beschlossen.Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Beratung geschlossen. Ich komme zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es lebhaft, daß die Reform des politischen Strafrechts zum Abschluß kommt; jahrelang ist sie gefordert worden. Die Bundesregierung dankt allen, die sich um diese Reform bemüht haben, insbesondere dem Ausschuß des Bundestages für die Reform des Strafrechts. Dieser Ausschuß hat mit diesem Stück, über das wir heute hier verhandeln, ein Beispiel aus der ihm obliegenden Arbeit an der Reform im ganzen geliefert. Wir wünschen, daß der Ausschuß weiterhin in derselben Harmonie zusammenarbeitet und in der Gründlichkeit des Durchdenkens aller Probleme seine Arbeit an der Reform des Strafrechtes fortsetzen kann.*) Siehe Anlage 2Meine Damen und Herren, sosehr es ein Zufall ist, daß wir heute hier die Reform des politischen Strafrechts abschließen und uns gleichzeitig heute und, morgen mit dem Abschluß der Notstandsregelung befassen werden, so sollte doch beachtet werden, daß gerade diese Reform des politischen Strafrechtes geeignet ist, zur Widerlegung der Verdächtigungen beizutragen, mit denen die Notstandsregelung von etlichen ihrer Gegner verfolgt wird.
Wenn die Notstandsregelung wirklich darauf abzielte, unsere freiheitliche Ordnung auszuhöhlen oder gar umzustürzen, so läge es wohl nahe, das politische Strafrecht zumindest nicht zu liberalisieren. Indem wir es aber liberalisieren und indem wir es jetzt tun, dokumentieren wir, daß es auch bei der Notstandsregelung um die Bewahrung der freiheitlichen Ordnung in Notzeiten geht.
Ich halte das für einen beachtlichen Gesichtspunkt und möchte ihn deshalb unterstrichen haben.Noch eine letzte Bemerkung. Wir haben im Februar hier im Parlament auch über Fragen des politischen Strafrechts und der damit zusammenhängenden Fragen der Prozeßordnung gesprochen, insbesondere darüber, wann es denn nun in den politischen Strafrechtsprozessen zu der Zweiinstanzlichkeit aller Verfahren kommen werde. Ich war im Februar dieses Jahres , als diese Frage sonderlich von den Freien Demokraten aufgeworfen wurde, noch nicht in der Lage, darüber eine präzise Auskunft zu geben. Mittlerweile hat sich aber die Konferenz der Landesjustizminister und der Justizsenatoren am 9. Mai in Würzburg noch einmal mit dieser Thematik befaßt. Ich freue mich, mitteilen zu können — es ist natürlich schon längst durch die Presse gegangen -, daß wir da zu einem Einvernehmen in der Weise gekommen sind, daß alle politischen Strafsachen künftig erstinstanzlich bei einem Oberlandesgericht anheben werden und daß der Bundesgerichtshof auf die Revisionsüberprüfung solcher Urteile reduziert 'wird. Soweit, so gut; hier war eigentlich schon immer eine Einmütigkeit da.Die Schwierigkeit lag aber darin, die zentrale Ermittlungs- und Anklagebefugnis des Generalbundesanwalts in den politischen Strafsachen zu erhalten. Nunmehr sind die Landesjustizminister und Justizsenatoren damit einverstanden, daß die zentrale Ermittlungsbefugnis des Generalbundesanwalts in allen politischen Strafsachen erhalten bleibt und daß er gegebenenfalls vor den Oberlandesgerichten eine Anklage selber vertreten kann. Das ist ein wichtiger Fortschritt in der Bemühung um die Herbeiführung der Zweiinstanzlichkeit in allen politischen Strafsachen.Übrig bleibt noch eine letzte Abklärung zu dem Stichwort Gnadenrecht. Ich bin der Hoffnung und der Überzeugung, daß auch sie gelingen wird.Ich möchte mit dem Abschluß der materiellen Reform im politischen Strafrecht, die wir jetzt vollziehen, die Mitteilung verbinden, daß das Bundesjustizministerium in Kürze den Gesetzentwurf für die
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9540 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Bundesminister Dr. Dr. HeinemannDurchführung der Zweiinstanzlichkeit in allen politischen Strafsachen vorlegen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir sowohl für meine Fraktion wie für mich selber als dem Vorsitzenden des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform einige abschließende Bemerkungen.Ich möchte zuerst das unterstreichen, was Herr Minister Dr. Heinemann soeben gesagt hat. Es gibt keinen sachlichen Zusammenhang der Strafrechtsreform mit der Notstandsverfassung. Dieses zeitliche Zusammentreffen ist zufällig und sagt nichts über die Sache aus. Im Gegenteil! Ebenso wie Herr Dr. Heinemann muß auch ich sagen: jene, die uns, den Bundestag, die Bundesregierung, das Establishment oder wie sie es sonst nennen, verdächtigen, mit der Notstandsverfassung Kriegsrecht im Frieden zu schaffen, mögen zur Kenntnis nehmen, daß hier der Versuch gemacht worden ist — und zwar einmütig von diesem Hause —, ein Stück Friedensrecht zu schaffen, völlig normales Friedensrecht, das aus der Epoche des Kalten Krieges abstreichen will, was an diesem Recht noch mehr als Friedensrecht war. Friedensrecht, Normalrecht soll es sein; denn so hat der Auftrag dieses Hauses gelautet, als wir nach der ersten Lesung uns an die Arbeit begaben.Ich habe damals schon gesagt und habe es gelegentlich in der Öffentlichkeit wiederholt: es gibt drei Richtpunkte für unsere Arbeit an dieser Reform. Der eine Richtpunkt war die stärkere Anpassung an das Grundgesetz, und zwar nicht nur in der Tatbestandsbestimmtheit, wie sie im Laufe der Debatte heute morgen an einigen Beispielen erläutert werden konnte, zuletzt sehr eindrucksvoll von. dem Herrn Kollegen Dr. Arndt. Nicht nur diese Tatbestimmtheit lag uns am Herzen, sondern wir wollten vielmehr auch ernst machen mit der Freiheit der geistigen Auseinandersetzung im politischen Raum und wollten Hemmungen, die auf diesem Feld bestanden, ausschalten. Ein zweites Ziel war die Anpassung an die gesamtdeutsche Auseinandersetzung. Es sollten Hindernisse im Verhältnis zwischen den Deutschen hüben und drüben beseitigt werden, Hindernisse auf dem Wege zu dem Ziel der Wiedervereinigung. Es gab einen dritten Punkt der Anpassung: das ,Bild relativer politischer Entspannung im Verhältnis von West und Ost.Unter allen. drei Gesichtspunkten hieß und heißt die Folgerung: Einschränkung des politischen Strafrechts. Jawohl, ein klares Ziel: Einschränkung. Ich glaube, wir haben diesem Ziel redlich gedient. Wir haben versucht, einzuschränken, was entbehrlich war. Insofern haben wir in der Tat nur eine Entwicklung legalisiert und zu einem geordneten Abschluß gebracht, die sich seit Jahren im Feld der politischen Strafjustiz vollzogen hat. Wer einmal in die statistischen Darstellungen geschaut hat — und es gibt aus dem Jahre 1967 eine sehr gründliche wissenschaftliche Dartellung von Professor Lüttger in der Monatsschrift für Deutsches Recht —, wer sich einmal damit befaßt hat, kann und muß feststellen, daß entgegen allen Legenden die Anwendung politischen Strafrechts seit 1961 perpetuierlich abgenommen hat bis auf etwa ein Viertel im Jahre 1967.Ein interessanter Gegenstand soziologischer Justizbetrachtung ist die Frage, wieso es dazu kam. Ich sage nur ganz kurz: ein guter Teil ist auf die innere Unsicherheit im Begreifen und Anwenden der umstrittenen Vorschriften zurückzuführen. Was hier im Achten Strafrechtsänderungsgesetz vollzogen wird, ist der Versuch, zu ordnen und zu festigen, was geordnet und festgehalten werden muß, um der Praxis eine Grundlage zu geben, auf der sie mit größerer Sicherheit das politische Strafrecht anwenden kann; in welchem Umfang, darauf komme ich nachher noch zurück. Insofern vollzieht dieses Gesetz eine Entwicklung, die sich seit Jahren abgezeichnet hat, und führt sie zu einem geordneten Ende.Der Herr Bundeskanzler hat kürzlich für diesen Vorgang das Stichwort „Entrümpelung des politischen Strafrechts" gebraucht. Das ist für einen ganzen Teil ein richtiges Stichwort, Entrümpelung nämlich von entbehrlich gewordenen, kaum mehr angewendeten Vorschriften. Wir haben dieser Tendenz zur Entrümpelung und über sie hinaus zur bewußten Einschränkung Rechnung getragen, indem wir an vielen Stellen die Strafbarkeitsschwelle fühlbar angehoben haben. Wir haben in der Formulierung der Tatbestände zu erreichen versucht, daß kleinere, unbedeutendere Bereiche straflos bleiben können und daß nur die gewichtigen Dinge verfolgt werden.Wir haben unser Auge bewußt auf die Gefahr des Gesinnungsstrafrechts gerichtet. Gesinnungsstrafrecht ist seit dem 19. Jahrhundert der Alpdruck aller liberalen Staaten, zu denen auch wir Gott sei Dank zählen. Das Gesinnungsstrafrecht ist der Punkt, vor dem sich — mit Recht — eine liberale Demokratie fürchten muß. Wenn man wissen will, wie ein Gesinnungsstrafrecht etwa lauten kann, um einen Gegenstand des Vergleichs mit unserem eigenen Recht zu haben, dem von gestern und erst recht dem von heute, muß man beispielsweise in das sowjetische Strafgesetzbuch sehen und den § 70 des sowjetischen Strafgesetzbuchs lesen. Das ist die Bestimmung, auf Grund deren Sinjawski und Daniel bestraft worden sind, der eine zu sieben Jahren, der andere zu fünf Jahren. Wie heißt diese Bestimmung?Agitation oder Propaganda mit dem Ziel der Unterminierung oder Schwächung der Sowjetmacht oder das Begehen einzelner besonders gefährlicher Staatsverbrechen, das Verbreiten von Insinuationen mit dem gleichen Ziel, die die sowjetische staatliche und öffentliche Ordnung verleumden, sowie das mit dem gleichen Ziel durchgeführte Herstellen, Bewahren oder Verbreiten von Literatur des gleichen Inhalts.Freiheitsentzug bis zu sieben Jahren ist unter diesem Paragraphen angedroht und Arbeitslager bis zur Dauer von fünf Jahren.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9541
Dr. h. c. GüdeUm nur eine kurze Zitatstelle aus der Rede der öffentlichen Anklägerin im Prozeß gegen Sinjawski und Daniel zu bringen:Das Ziel und das Vorhandensein antisowjetischer Absicht zu beweisen bedarf einer genauen und gewissenhaften Untersuchung. Lenin lehrte, daß über reale Absichten und Gefühle aus Handlungen geschlossen werden muß. Der Inhalt der Artikel von Terz und Aschap- das sind die beiden Pseudonyme —zeugt von Feindseligkeit gegen die Ordnung der Partei und des Staates.Dann sagt sie:Zu welchem Zynismus und moralischen Verfall muß man gelangen, um den Kommunismus, unser leuchtendes Ziel, auf diese Weise darzustellen! Lächerlichmachung, Schmähung aller progressiven Ideen, auch von Campanella, Fourier und Owen, alles Gute wird gestrichen.Man sieht, es werden Heilige des Kommunismus aus dem 16., aus dem 17. und aus dem 18. Jahrhundert zitiert. Man sieht, was hier bestraft wird: der Abfall von der Orthodoxie. Ein pseudo-religiöses Sektentum wird bestraft. Das ist Gesinnungsstrafrecht, meine Damen und Herren. Nie hat jemand bei uns wegen vergleichbarer Taten Strafen auf sich nehmen müssen, und niemand wird wegen vergleichbarer Taten nach diesem bereinigten und reformierten Recht Strafen auf sich nehmen müssen, sondern — das muß einmal ganz klar gesagt werden gegenüber all den Verleumdern der eigenen Ordnung — bei uns wird bewußt gesehen, was Gesinnungsstrafrecht ist, und Gesinnungsstrafrecht wird bewußt vermieden.Nun ein Argument aus der Debatte des Morgens. Frau Diemer-Nicolaus hat 'uns gesagt, das Abstellen an einigen Stellen des Entwurfs auf die Absicht oder den Vorsatz des Täters, sich wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen, sei ,ein Subjektivismus im Strafrecht. Seien wir uns klar darüber: diese Bestimmung hat den Zweck, die Strafbarkeitsschwelle zu heben, den kleinen Mann, den Zufallsschimpfer auf jeden Fall von der Bestrafung auszunehmen. Man möge doch einmal sehen, daß hier der Versuch gemacht ist, ein soziologisches Beschreibungs- und Unterscheidungsmerkmal zu geben, ein Merkmal, das zwar in diese subjektive Form gekleidet ist, das aber in Wirklichkeit — ich sage es noch einmal — mit dem soziologischen Blick den Einzeltäter von dem organisierten Täter zu scheiden versucht: ein soziologisches Begriffs- und Unterscheidungsmerkmal.Zur Frage des Einzeltäters und des Organisationsdelikts: Wir haben planmäßig, ganz konsequent das Recht der Organisationsdelikte unter den Gesichtspunkt des vorangegangenen Verbots oder der vorangegangenen Feststellung gestellt, daß es sich um eine Ersatzorganisation handle. Wir haben es bewußt so gehalten aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und aus dem zweiten Gesichtspunkt, dieJustiz von dem ersten Zugriff im politischen Feld zu entlasten.In diesem Zusammenhang etwas, was auch heute morgen schon anklang. Meine Damen und Herren, wir haben unsere Beratungen auf ein breites Feld von Anhörung gestellt, von Anhörung von Sachverständigen, Professoren, Praktikern, so wie es einem Ausschuß auf einem so schwierigen Gebiet zusteht und zukommt. Ich darf an dieser Stelle meinen Dank sagen an alle jene, die uns von draußen her unterstützt haben, an die Wissenschaft, an die Alternativ-Professoren. Wir haben durch die ganze Beratung hindurch durchaus regen Kontakt mit den Alternativ-Professoren gepflogen und sind dankbar für vielerlei Anregungen, die wir gern aufgenommen haben, soweit sie uns einen Fortschritt zu bedeuten schienen.Einen Dank sage ich, indem ich dem Herrn Kollegen Dr. Arndt den Dank zurückgebe, an alle Ausschußmitglieder. Das Arbeitsklima, das Beratungsklima dieses Ausschusses war in der Tat vollkommen offen. Es war ein offener Austrag der Argumente, nie mit fertigen Resultaten begonnen, so daß man mit Dank an alle, in jeder Fraktion, wirklich das Rechte tut.Dank auch an die Herren des Bundesjustizministeriums! Das Wort „Ministerialbürokratie" hat ja leicht einen negativen Unterklang. Ich sage an dieser Stelle einen herzlichen und aufrichtigen Dank für die, ich sage einmal, ganz kameradschaftliche Unterstützung, die das Haus des Bundesjustizministeriums uns bei der Arbeit allezeit geleistet hat,
einen Dank, der öfters gerade an dieses Haus ausgesprochen werden sollte — ich bedanke mich für den Beifall —, weil in der Tat, wir wissen das alle, dieses Haus uns ganz besonders bereitwillig in unseren Intentionen unterstützt.Nun zurück zu den Alternativ-Professoren, überhaupt auf das Feld der Wissenschaft. Sie wissen, meine Damen und Herren, wir sind einer Anregung der Wissenschaftler nicht gefolgt. Die Wissenschaftler haben nämlich eine ganz neue verfassungrechtliche Konzeption vorgetragen, die hieß: Es darf nicht wegen, sagen wir, staatsfeindlicher Agitation verfolgt werden, wer nicht nach Art. 18 des Grundgesetzes abgemeiert ist. Eine völlig neue verfassungsrechtliche Konzeption, die drei Viertel oder vier Fünftel der Straftätigkeit auf dem Gebiet der politischen Justiz ausschalten würde, bis die Täter abgemeiert sind. Das ist zwar ein Denkmodell, aber nur ein Modell in einem gedachten Raum und nicht im Raume dieses wirklichen Staates. Dazu bräuchte es ein ganz anderes Gefüge zwischen Exekutive, Legislative und der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit. Jeder, der die Verhältnisse auch nur von außen kennt, weiß, daß es dazu ein völlig anderes, nämlich vielfach vergrößertes und in seinem ganzen Charakter verändertes Bundesverfassungsgericht bräuchte. Auf dieses Denkmodell haben wir uns allerdings nicht einlassen können, weil wir aus der ganzen politischen Strafjustiz ein hölzernes Eisen gemacht hätten, wenn wir uns darauf eingelassen hätten.
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9542 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. h. c. GüdeMeine Damen und Herren! Ich und wir alle im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform schauen mit einer gewissen Befriedigung auf dieses Werk zurück, obwohl wir uns klar sind, daß manche meiner eigenen Freunde und noch mehr manche draußen sagen: Wieso kommt ihr eigentlich dazu, das Strafrecht ausgerechnet in dieser Zeit zu mildern, müßtet ihr nicht das Strafrecht verschärfen oder wenigstens verschärft anwenden? Nein, meine Damen und Herren! Ich bin ein alter Justizjurist und mache mir in diesen Tagen meine Gedanken, welche 'Rolle das Strafrecht überhaupt auf diesem Felde spielt. Jedenfalls, wenn die Ereignisse den Charakter von Naturerscheinungen angenommen haben, dann ist das Strafrecht kein geeignetes Mittel mehr, um solche Naturerscheinungen zu bändigen. Wir sind vielmehr mit Recht bei unserem Konzept geblieben, das Strafrecht zu zivilisieren, zu humanisieren. Denn ich bin der Meinung, es kommt nicht sosehr an auf das Schlagen mit dem politischen Strafrecht, vielleicht überhaupt nicht mit dem Strafrecht im ganzen, sondern in einem maßvollen, humanen, zivilisierten Strafrecht stellt sich der Staat selber dar als humaner Wert und humaner Staat, und jene zivilisierende und humanisierende Wirkung ist das Höchste, was das Strafrecht sich selbst davon versprechen kann. Ob uns die Reform in diesem Sinne ganz geglückt ist, das wird die Geschichte des Strafrechts erweisen. Ewig ist auch diese Regelung nicht. Wir haben versucht, unser Bestes zu tun, und ich bitte Sie, unseren Entwurf anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser geltendes politisches Strafrecht beruht großenteils noch auf dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951. Es wurde während der Korea-Krise geschaffen, also zu einer Zeit des Kalten Krieges, die man fürwahr beim besten Willen nicht als normal bezeichnen kann. Entsprechend wurde dieses politische Strafrecht. Es zeichnet sich zur Zeit noch vielfach aus durch überängstlichen Perfektionismus, durch Vielstraferei und durch zu hohe Strafandrohungen, kurz, durch all das, was man als Hypertrophie des Strafrechts zu bezeichnen pflegt.Hinzu kommt, daß manche Tatbestände zu unbestimmt und nicht so gefaßt sind, wie es einem rechtsstaatlichen Strafrecht entspricht, und daß damit zugleich die Garantiefunktion des objektiven Tatbestandes oft ausgehöhlt ist, indem manche wertneutrale Handlungen an die Grenze der Strafbarkeit kommen, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. Weiter kommt hinzu, daß durch diese unbestimmten Tatbestände, wie sie im derzeit geltenden Recht noch anzutreffen sind, oftmals einer extensiven Auslegung durch die Gerichte Tür und Tor geöffnet ist.Die Folge dieses Rechtszustandes war, daß durchaus nützliche und wünschenswerte Kontakte zwischen der Bevölkerung des geteilten Deutschlands bisher behindert worden sind. Der Bezug von manchmal sehr wichtigen politischen Dokumenten und Zeitschriften von drüben wurde mindestens in die Nähe von strafbaren Handlungen gerückt, selbst wenn dieser Bezug eigentlich nur zur Information oder zu wissenschaftlichen Zwecken geschah. Viele Strafbestimmungen haben uns darüber hinaus äußerst unangenehme Diskussionen über die Strafbarkeit beispielsweise von Kontakten zwischen west- und mitteldeutschen Sportverbänden gebracht und uns schließlich einige äußerst peinliche Zwischenfälle beschert im Zusammenhang mit Verhaftungen und Strafverfahren gegen Funktionäre aus dem anderen Teil Deutschlands, die in der Bundesrepublik zu Besuch weilten oder sich sonstwie hier aufhielten.Diese Beispiele, meine Damen und Herren, zeigen eindrucksvoll, wie notwendig eine Reform auf diesem Gebiet ist. Diese Reform ist so dringend, daß es nicht mehr vertretbar war, sie im Rahmen der Gesamtreform des deutschen Strafrechts, mit der wir zur Zeit im Strafrechtsausschuß beschäftigt sind, zu erledigen. Das hätte nämlich zur Folge gehabt, daß sich diese Reform mindestens um weitere zwei bis drei Jahre verzögert hätte. Die allgemeine Meinung derer, die mit der Strafrechtsreform befaßt sind, war die, daß man die Reform des politischen Strafrechts vorziehen sollte, wie es nunmehr auch nach dem Willen aller drei Fraktionen geschehen ist.Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darf für sich in Anspruch nehmen, die Reform des Strafrechts insgesamt, speziell aber auch die Reform des politischen Strafrechts, schon sehr lange gefordert zu haben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat angesichts der vielfach kritisierten Mängel des geltenden politischen Strafrechts und der Einwände gegen die Rechtsprechung in Staatsschutzsachen nicht nur diese ihre Forderung nach einer Reform erhoben, sondern sie hat darüber hinaus bereits in der vierten Sitzungsperiode des Bundestages einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Im Gegensatz zur damaligen Bundesregierung begnügte sich unsere Fraktion nicht damit — wie es damals geschah —, eine bloße Aufhebung des Strafverfolgungszwangs vorzuschlagen. Vielmehr hat die SPD-Bundestagsfraktion nach intensiven Vorarbeiten aus der Zeit ab 1963, nach Vorarbeiten, an denen Experten aus Wissenschaft und Praxis mitgearbeitet hatten, zum Ende der vierten Sitzungsperiode eine auf Änderung und Einschränkung der materiellen Strafvorschriften selbst abzielende Reformarbeit vorgelegt, die im Juni 1965 der Öffentlichkeit übergeben, anschließend von der SPD-Bundestagsfraktion nochmals überarbeitet und dann in der fünften Sitzungsperiode des Bundestages dem Hohen Hause im Dezember 1965 mit einer eingehenden Begründung vorgelegt wurde.Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß es für eine Oppositionspartei, die wir damals waren, sehr schwierig ist, ohne Unterstützung der Fachleute der Ministerien einen Gesetzentwurf dieser Art zu formulieren, der äußerst schwierige und komplexe politische und strafrechtliche Probleme zum Inhalt hat. Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese
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Dr. Müller-EmmertMühe nicht gescheut. Wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß sich unsere Arbeit gelohnt hat, da unser Entwurf gewissermaßen die Initialzündung dafür war, daß es in dieser Sitzungsperiode zu einer Reform des politischen Strafrechts gekommen ist.Wohl hat die damalige Bundesregierung nachträglich, neun Monate später, nämlich im September 1966, ebenfalls einen Entwurf zur Reform des politischen Strafrechts vorgelegt, dieser Entwurf war aber, wie die Beratungen im Strafrechtsausschuß des Bundestages klar ergeben haben, in vielfacher Hinsicht überholt und hielt den Beratungsergebnissen nicht stand.Es ist noch darauf hinzuweisen — Herr Kollege Güde hat dies schon getan —, daß der Strafrechtsausschuß sich darüber hinaus noch mit einer dritten Konzeption einer politischen Strafrechtsreform zu beschäftigen hatte, nämlich mit der Reformarbeit, die 16 Professoren als Alternativ-Entwurf im Laufe des Jahres 1967 der deutschen Offentlichkeit vorgelegt haben, eine Konzeption, die fraglos in vielfacher Hinsicht sehr fruchtbare Ergebnisse beinhaltete, die teilweise Neuland betrat und die auch — das darf man offen einräumen — unsere Arbeit im Strafrechtsausschuß in mancher Hinsicht günstig und positiv beeinflußte.Der Strafrechtsausschuß hat sich im Rahmen seiner sehr gründlichen, fast über zwei Jahre sich hindehnenden Beratungen auch der Mühe unterzogen, Experten aus allen Gebieten des Strafrechts, sowohl Professoren und Wissenschaftler als auch Praktiker, anzuhören. Insgesamt hat der Strafrechtsausschuß 37 Sachverständige gehört. Er hat aus der Vielzahl der vorgetragenen Meinungen und aus den drei Konzeptionen, die dem Strafrechtsausschuß vorlagen, einmal dem SPD-Entwurf, zum zweiten dem Regierungsentwurf und zum dritten dem Entwurf der Alternativ-Professoren, diejenigen Gedanken herausgezogen, die seiner Meinung nach notwendigerweise in ein neues politisches Strafrecht aufzunehmen waren. Es kann also in diesem Zusammenhang abschließend gesagt werden, daß die Vorlage, wie sie in zweiter Lesung die Billigung des Hauses gefunden hat, eine Zusammenfassung der besten Gedanken der drei Reformkonzeptionen beinhaltet, wobei — auch das muß gesagt werden — manchmal auch der Weg des Kompromisses gegangen werden mußte — wir räumen dies freimütig ein —, weil keine der drei Bundestagsfraktionen über die absolute Mehrheit in diesem Hause verfügt. Das bedeutet zwangsläufig, daß manchmal in schwierigen Fragen Kompromißentscheidungen notwendig waren, die für den einen Partner etwas hart und schwierig waren, für den anderen in anderen Punkten selbstverständlich ebenfalls, die aber letztlich heute von uns — ich meine damit die Koalitionsfraktionen — in jeder Weise durchgehalten wurden.Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich im Anschluß an das und vielleicht in Ergänzung dessen, was Herr Kollege Güde gesagt hat, noch ganz kurz einige wichtige Punkte streife, die meines Erachtens im Rahmen dieser Debatte deshalb angeführt werden müssen, weil sie im Laufe dieser Diskussion noch nicht plastisch genug an die Offentlichkeit getreten sind und weil unsere Bürger sicher das Recht haben, zu erfahren, welches nun eigentlich die wichtigsten Neuerungen des politischen Strafrechts sind.Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Strafrechtsausschuß zwei neue Vorschriften in Form der §§ 80 und 80 a beschlossen hat, die zukünftig die Vorbereitung und die Aufstachelung zu einem Angriffskrieg unter Strafe stellen, wobei bezüglich der Strafandrohung mit Hochverrat, Völkermord und Mord gleichgezogen wurde. Das bedeutet, daß zukünftig derjenige, der die Gefahr eines Angriffskrieges für die Bundesrepublik heraufbeschwört, damit rechnen muß, daß er unter Umständen in eine lebenslange Zuchthausstrafe genommen wird. Darüber hinaus wurden auch die Tatbestände des Hochverrats modernisiert, präzisiert und eingeengt. Ich glaube, hierzu sind weitere Ausführungen nicht notwendig.Schließlich wurde das besonders wichtige Gebiet der bisherigen „Staatsgefährdung", das sich künftig „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates" nennt, in — das darf ich wohl sagen — erheblicher Weise durchforstet. Es wurden Neuerungen erzielt, auf die wir alle besonders stolz sein können.Von besonderer Bedeutung ist die neue Vorschrift über den Anwendungsbereich der spezielen Tatbestände der Organisationsdelikte. Diese neue Vorschrift über den Anwendungsbereich schränkt den räumlichen Geltungsbereich der wichtigsten Staatsgefährdungstatbestände, nämlich der Organisationsdelikte und der sogenannten vorbereitenden Sabotage, auf Tathandlungen innerhalb der Bundesrepublik ein. Diese Strafbestimmungen können also nur dann von den Gerichten angewendet werden, wenn der Beschuldigte eine entsprechende spezielle Tätigkeit im Bereich der Bundesrepublik ausgeübt hat. Hat er eine Tätigkeit außerhalb des Bereichs der Bundesrepublik ausgeübt, ist dies strafrechtlich für uns nicht relevant; insoweit ist in unserem Bereich keine strafbare Handlung begangen worden. Diese Einschränkung — auch das muß offen gesagt werden — ist bei nüchterner Betrachtungsweise deshalb geboten, weil von den Bewohnern des anderen Teils Deutschlands die Beachtung des Grundgesetzes und seiner Ausführungsgesetze in ihrem Heimatgebiet im anderen Teil Deutschlands, wo unser Grundgesetz keine Geltung hat, nicht verlangt werden kann.Diese neue Regelung fördert fraglos den Gedankenaustausch zwischen den Deutschen in Ost und West. Der Besuch von Arbeiterkonferenzen und ähnlichen Veranstaltungen im anderen Teil Deutschlands wird künftig strafrechtlich nicht verfolgt. Ebenso werden Sportfunktionäre aus Mitteldeutschland wegen ihrer dort ausgeübten politischen Tätigkeit bei uns strafrechtlich nicht belangt, wenn sie in die Bundesrepublik einreisen.Eine weitere wichtige Änderung im Bereich der Organisationsdelikte ist die, daß alle diese Organisationsdelikte auf das Feststellungsprinzip umgestellt sind. Das bedeutet, daß eine Bestrafung wegen Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammen-
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Dr. Müller-Emmerthalts einer verbotenen Partei oder Vereinigung oder einer ihrer Ersatzorganisationen erst dann möglich ist, wenn vorher durch das Bundesverfassungsgericht oder das zuständige Verwaltungsgericht endgültig festgestellt worden ist, daß es sich um eine verfassungswidrige und verbotene Partei oder Ersatzorganisation handelt. Der Strafrichter braucht daher nicht mehr wie bisher darüber zu befinden, ob eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei oder Vereinigung vorliegt. Diese Feststellung hat den Gerichten — das wissen wir alle aus unserer Praxis — bisher immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Sie hat auch sehr oft zu fragwürdigen Entscheidungen geführt.Für unsere innerdeutschen Beziehungen ist auch eine Streichung bzw. Einschränkung der vielfach kritisierten Vorschriften der §§ 92, 100 d Abs. 2 und 100 e des Strafgesetzbuches über den Nachrichtendienst und die Beziehungsaufnahme von Gewicht. Diese Bestimmungen haben bisher die innerdeutschen Beziehungen oft gestört. Die Kritik hat sich sowohl an einer zu weiten Fassung als auch an einer zu weitgehenden Handhabung dieser Vorschriften entzündet. Als strafbar wurde beispielsweise schon das Sammeln von Adressen für Einladungen zu mitteldeutschen Veranstaltungen oder die Sammlung von Informationen von FDGB-Vertretern über die Preise von Winterkartoffeln oder über die Höhe des Weihnachtsgeldes in der Bundesrepublik erfaßt. Solche und ähnliche Handlungen werden zukünftig nur noch bestraft, wenn sie darauf gerichtet sind, Staatsgeheimnisse für eine fremde Macht zu erhalten und ihr mitzuteilen, oder wenn eine geheimdienstliche Tätigkeit für eine fremde Macht dadurch ausgeübt wurde. Durch die letztgenannte Vorschrift über die geheimdienstliche Tätigkeit ist der vielfach geforderte zentrale Spionagetatbestand geschaffen worden. Dieser neue zentrale Spionagetatbestand geht nicht von losen Beziehungen, von losen Kontakten, sondern von einer echt durchgeführten Spionagetätigkeit aus. Viele bisher strafbare Fälle scheiden dadurch aus, Fälle, von denen Sportler, Wissenschaftler, Journalisten und Geschäftsleute betroffen waren, auch dann, wenn sie ohne Verratsvorsatz mit mitteldeutschen Stellen in Berührung gekommen waren.In diesem Bereich der Delikte zum Schutze unseres demokratischen Rechtsstaates ist auch speziell die Vorschrift des § 93 zu behandeln, die nunmehr als § 86 umgewandelt wurde und die ein Propagandaverbotsdelikt durch verfassungsfeindliche Schriften beinhaltet. Auch hier wurde auf das Feststellungsprinzip abgestellt. Künftig bezieht sich diese Vorschrift nur noch auf Propagandamittel unanfechtbar verbotener Parteien oder Vereinigungen, auf das für Zwecke einer 'derartigen Organisation von außen eingeschleuste Propagandamaterial und auf Propagandamittel, mit denen Bestrebungen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen fortgesetzt werden sollen.Der Begriff „Propagandamittel" wurde nach der von uns gefundenen Legaldefinition auf Schriften beschränkt, deren Inhalt sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Handlungen, die im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen vorgenommen werden, sind demnach nicht mehr strafbar. Die Auseinandersetzungen um diese Vorschrift haben wir auch heute in Form der Debatte über den Zeitungsaustausch erlebt. Ich darf in diesem Zusammenhang immerhin die Feststellung treffen, daß es der SPD-Bundestagsfraktion zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion gelungen ist, hier einen ersten guten Schritt in die Zukunft zu machen und immerhin einen freien Zeitungsaustausch bis zum 31. März 1969 zu ermöglichen. Wir sind uns darüber im klaren, daß diese Regelung noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Andererseits muß aber eingeräumt werden, daß sie ein 'mutiger Schritt nach vorn ist, und es muß immerhin die FDP gefragt werden, warum sie es nicht zum Zeitpunkt ihrer Koalitionstätigkeit fertiggebracht hat, auch schon diesen neuen mutigen Schritt zusammen mit ihrem damaligen Partner zu gehen.Es ist noch einiges ganz kurz zu den Landesverratsvorschriften zu sagen. Insoweit haben Herr Kollege Arndt und Herr Kollege Güde schon einiges ausgeführt. Wichtig ist die Feststellung, daß der Begriff Staatsgeheimnis im Bereich der Landesverratsvorschriften erheblich eingeschränkt worden ist. Der Schutzbereich der Geheimnisse umfaßt jetzt nur noch Belange der äußeren Sicherheit; er ist also im wesentlichen auf den militärischen Bereich beschränkt worden. Diplomatische und andere Geheimnisse, die nicht im Interesse der äußeren Sicherheit geheimgehalten werden müssen, werden nicht mehr erfaßt. Sie sind allenfalls Regierungs- oder Amtsgeheimnisse, die allerdings auch strafrechtlich geschützt sind, nämlich einmal durch die Vorschriften über den zentralen Spionagetatbestand und zum anderen gegen unbefugte Weitergabe oder Veröffentlichung durch die Vorschriften über den Geheimnis- und Vertrauensbruch gemäß § 353 b und c des Strafgesetzbuchs.Weiter muß darauf hingewiesen werden — eine Feststellung, die bisher noch nicht getroffen worden ist —, daß durch unsere neu gefundene Definition künftig die Anwendung der mit Recht scharf kritisierten Mosaiktheorie ausgeschlossen ist, die bisher Zusammenstellungen eines Gesamtbildes aus offenem Material als Staatsgeheimnis behandelte und dadurch die Arbeit der Publizistik erheblich erschwerte.Durch eine Differenzierung der Tatbestände des Landesverrats und des Offenbarens von Staatsgeheimnissen wird nunmehr auch automatisch die Problematik des publizistischen Landesverrats gelöst. Wenn ein Journalist zukünftig im Rahmen seiner auf Informierung der Öffentlichkeit gerichteten Arbeit geheime Tatsachen bekanntgibt, wird dies nicht mehr mit dem gemeinen Landesverrat gleichgesetzt. Vielmehr wird ein solcher Journalist, wenn er sich strafbar gemacht hat, wegen „Offenbarens von Staatsgeheimnissen" bestraft.Über das sogenannte illegale Staatsgeheimnis ist schon sehr viel gesagt worden. Ich darf in diesem Zusammenhang nur noch anführen, daß das Risiko der Illegalität derjenige trägt, der die Illegalität be-
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Dr. Müller-Emmerthauptet. Behauptet er etwas Falsches, muß er sich gemäß der Auffangvorschrift des § 97 b — wie wir meinen mit Recht — gefallen lassen, auch entsprechend verurteilt zu werden.Ich darf schließlich noch ein Wort zur Lockerung des Verfolgungszwanges sagen. Hierüber wurde, obwohl meines Erachtens auch dieser Teil unserer Vorlage von großer Bedeutung ist, nur wenig, genau gesagt: überhaupt nichts gesagt. Die SPD-Fraktion hat sich zunächst sehr dagegen gewehrt, daß die Probleme des Staatsschutzrechts auf dem Umweg über eine Ausweitung des Opportunitätsprinzips gelöst werden sollten. Die SPD-Fraktion hat von Anfang an die Auffassung vertreten, das Primäre müsse eine Einschränkung des materiellen Staatsschutzrechtes sein, und eine Lockerung des Verfolgungszwanges könne nur daneben — auf der Grundlage eines auf das vernünftige Maß reduzierten politischen Strafrechts — zu einer brauchbaren Lösung beitragen. Dieser Weg wurde vom Strafrechtsausschuß gegangen, so daß insoweit auch die SPD-Fraktion diesen neuen Vorschriften ihre Zustimmung gegeben hat.Zum Abschluß darf ich von meiner Seite aus ebenfalls dem Herrn Bundesjustizminister und allen seinen Mitarbeitern im Justizministerium recht herzlichen Dank dafür sagen, daß die Arbeit des Strafrechtsausschusses durch wesentliche Mitarbeit, durch ständige Bereitschaft der Herren des Justizministeriums, wenn auch oftmals sehr schwierige Probleme zu lösen waren, einem guten Ende zugeführt werden konnte. Ich darf darüber hinaus besonders auch — dies ist schon geschehen — das gute Arbeitsklima unseres Strafrechtsausschusses unter Vorsitz des Herrn Kollegen Dr. Güde loben. Wir haben uns in vielen einzelnen Punkten oftmals nach langen, langen heißen Debatten zusammengerauft und können heute, wie ich meine, stolz auf das von uns gemeinsam erzielte Ergebnis sein.
Dabei darf ich auch noch einen Dank den Assistenten des Strafrechtsausschusses sagen, die in diesem Zusammenhang meines Erachtens ganz besonders genannt werden müssen, weil auch sie uns in unermüdlicher Kleinarbeit immer hilfreich zur Hand waren.Meine Damen und Herren, Strafverfahren in Staatsschutzsachen sind glücklicherweise im Vergleich etwa zu Vermögens- oder Verkehrsstrafsachen verhältnismäßig selten. Trotzdem handelt es sich beim politischen Strafrecht um ein besonders wichtiges Teilgebiet unseres Strafrechts. Nicht umsonst ist die Ausgestaltung des politischen Strafrechts ein Kriterium dafür, ob ein Staat eine Demokratie oder eine Diktatur ist. Im politischen Strafrecht zeigt sich, wieviel Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein ein Staat besitzt und welches Maß an Freiheit er seinen Bürgern auch dann noch zugesteht, wenn Staatsinteressen bedroht zu sein scheinen. Man kann nicht behaupten, daß unser bisheriges, jetzt außer Kraft tretendes Staatsschutzrecht unbedingt ein Ruhmesblatt für unsere Demokratie gewesen sei. Das jetzt verabschiedete politischeStrafrecht trägt zugegebenermaßen in manchen Punkten den Stempel des Kompromisses. Aber man kann jetzt mit großem Recht von diesem neuen politischen Strafrecht sagen, daß es einem Staat angemessen ist, der ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist und in dem deshalb auch und gerade die Duldsamkeit gegenüber dem Andersdenkenden noch etwas gilt.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der dritten Beratung des Entwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes fort. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich jetzt als dritte in der dritten Lesung zu dem politischen Strafrecht spreche, habe ich es insofern einfacher, als über die wesentlichen Fortschritte und den wesentlichen Inhalt unserer Ausschußvorlage Herr Kollege Müller-Emmert sehr eingehend unterrichtet hat. Ich habe mich gefreut, daß auf diese Art und Weise noch einmal die wesentlichen Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage klargestellt worden sind. Mancher mag vielleicht heute gedacht haben: Warum ist die FDP als Oppositionspartei so zurückhaltend, was sind das für bescheidene Änderungsanträge, die da gestellt worden sind, wo bleibt hier eigentlich die Opposition? Nun, meine Damen und Herren, wir machen nicht Opposition um der Opposition willen, sondern wir machen nur da Opposition, wo wir sachlichen Grund haben, wo wir eine grundlegend andere Auffassung haben als die beiden Parteien von der Regierungskoalition.Für die dritte Lesung interessiert Sie natürlich auch das andere: Wie stellt sich die FDP zu diesem Gesetz? Wird sie dem Gesetz ihre Zustimmung geben oder nicht? Indirekt haben Sie ja die Antwort schon durch unsere Zurückhaltung bei den Änderungsanträgen bekommen. Ich darf Ihnen aber noch folgendes sagen. Wir haben unsere ganz klaren und eindeutigen Auffassungen und Forderungen für ein politisches Strafrecht hier im Bundestag dargelegt. Wir haben sie vor allen Dingen auch in der ersten Lesung zu den Gesetzen dargelegt und haben damals unsere grundsätzlichen Forderungen aufgestellt. Wenn wir prüfen, ob wir nachher einem Gesetz die Zustimmung geben sollen, kommt es für uns natürlich darauf an, inwieweit es möglich gewesen ist, diese Forderungen zu verwirklichen.Unsere erste Forderung war, daß aus den Gründen, die schon von meinem Vorredner dargelegt wurden, eine Konkretisierung der Straftatbestände erfolgen sollte, weil die jetzigen viel zu weit gefaßt sind und Strafverfolgungen in einem viel zu
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Frau Dr. Diemer-Nicolausumfassenden Ausmaße erfolgt sind. Vor allen Dingen haben die unbestimmten Formulierungen, die aus der Zeit des Kalten Krieges, aus der Zeit nach der Korea-Krise 1951 in das jetzt noch gerade gültige Gesetz eingegangen sind, zu vielzuviel Verfahren geführt.Als Quintessenz der Beratungen im Sonderausschuß darf ich feststellen, daß es im Laufe der sehr zahlreichen Beratungen weitgehend gelungen ist, der Forderung des Art. 103, nämlich der Bestimmtheit der Straftatbestände, Rechnung zu tragen.Eine weitere Forderung war, daß der Begriff des Staatsgeheimnisses eine wesentliche Einschränkung erfahren sollte. Herr Kollege Arndt, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie heute morgen — allerdings in Ablehnung unseres Antrages — in den grundsätzlichen Ausführungen klar herausgestellt haben, daß jetzt eine derartige Eingrenzung erfolgt ist, daß es auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik ankommt, daß es sich um echte Staatsgeheimnisse — keine Regierungs-, keine Amtsgeheimnisse — handeln muß. Damit wird auch erreicht, daß es schon durch diese engere Fassung des Begriffs des Staatsgeheimnisses nicht mehr zu soviel Verfahren kommen kann. Auch dieser unserer Forderung wurde Rechnung getragen. Ich begrüße es sehr, daß es bei der vom Sonderausschuß beschlossenen Fassung geblieben und heute keine Ausdehnung mehr erfolgt ist.Im Zusammenhang mit dem Begriff des Staatsgeheimnisses war von uns Freien Demokraten in Übereinstimmung mit der Sozialdemokratischen Partei gefordert worden, daß in einem Reformgesetz auch eine ausdrückliche Regelung für das illegale Staatsgeheimnis erfolgen müsse. Auch das ist erfolgt. Weiterhin haben wir gefordert, daß das unglückselige Mosaikgeheimnis verschwindet. Auch das ist geschehen. Ferner haben wir gefordert, daß bei den Tätern unterschieden werden müsse zwischen dem eigentlichen Landesverräter, Spion, Agenten und dem Journalisten, der in Verdacht steht, einen publizistischen Landesverrat begangen zu haben. Ich freue mich, daß der Sonderausschuß insofern weitgehend von der ursprünglichen Vorlage abgewichen ist und hier eine ganz klare differenzierende Regelung getroffen hat.Auch im Hinblick auf die Beziehungstatbestände ist es gelungen, einen echten Schritt vorwärts zu tun; das ist auch politisch gut. Die Beziehungen zwischen Deutschen hier und Deutschen in der DDR können nun nicht mehr durch unglückselige Strafbestimmungen beeinträchtigt werden. Herr Kollege Müller-Emmert hat die Einzelheiten hierzu schon vorgetragen. Ich stimme damit in vollem Umfang überein.Ein absoluter Fortschritt ist auch, daß wir jetzt zu den Organisationsdelikten gekommen sind.Heute morgen wurde schon darauf hingewiesen, wie weitgehend sich das Gesetz, das wir heute verabschieden wollen, von den entsprechenden Bestimmungen in der DDR unterscheidet. Mit Recht wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Grundsätze, die wir bei diesem Gesetz anwenden, die Grundsätze eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates sind. Das ist ein ganz erheblicher Unterschied zu der Art, wie man in einem autoritären System die Staatsschutzdelikte sieht und verfolgt. Herr Kollege Dr. Güde hat das ausgeführt. Das zeigt, daß wir hier auf dem richtigen Wege sind.Ich habe allerdings wenig Verständnis dafür, daß auch heute wieder in dem besonderen Fall des Zeitungsaustauschs als Begründung für die Ablehnung unserer Vorstellungen angeführt wurde, daß das auch in der DDR so gehandhabt werde. Ich bitte Sie, doch einmal folgendes zu bedenken: Bei allen unseren Vorstellungen, bei allen unseren Forderungen sollten wir uns unabhängig davon machen, wie in der DDR in dieser Hinsicht gehandelt wird. Das gilt ganz besonders auch bezüglich des Zeitungsaustauschs.
Es liegt ein absoluter Bruch in Ihrer Argumentation, wenn Sie auf der einen Seite darauf hinweisen, daß unsere Vorstellungen über Gesetz und Recht anders sind und sich gerade von denen in autoritären Systemen unterscheiden müssen und sollen, und auf der anderen Seite bei dieser speziellen und politisch so wichtigen Frage nicht in dem gleichen Geiste handeln.Nun, wir sind überstimmt worden. Wir werden uns jetzt damit abfinden. Aber der Bericht muß erstattet werden. Ich hoffe sehr, daß der Entschließungsantrag nachher einmütig im ganzen Hause angenommen wird. Dann wird die Zeit kommen, daß wir erneut über den Zeitungsaustausch sprechen. Sie können sicher sein, wir als Freie Demokraten halten das für eine derart wichtige Frage, daß wir unsere Forderungen erneut vorbringen werden, sobald der Bericht vorliegt.Es ist ein weiterer absoluter Fortschritt, daß das Territorialprinzip zur Anwendung gelangt, daß sich also der Anwendungsbereich auf die Bundesrepublik beschränkt und sich damit viele spektakuläre Vorgänge der Vergangenheit nicht mehr ereignen können. Allerdings waren wir als Freie Demokraten der Auffassung, auch schon in der letzten Legislaturperiode, daß die Teilung Deutschlands und die sich daraus ergebenden tatsächlichen Verhältnisse dazu führen müssen, daß wir das Legalitätsprinzip bei diesem politischen Strafrecht leider nicht in vollem Umfang aufrechterhalten können. Auch insofern hat die SPD jetzt zugestimmt. Es bleibt leider gar nichts anderes übrig. Trotzdem wollen wir selbstverständlich auch dabei rechtsstaatlich verfahren. Daß wir dies als eine Ausnahmeregelung betrachten, die durch die politischen Verhältnisse bedingt ist, ist klar. Grundsätzlich gilt natürlich auch für uns das Legalitätsprinzip. Wo es durchbrochen wird, durchbrochen werden muß auf Grund bestimmter Umstände, die in Zukunft wieder einmal vorhanden sein können, wird natürlich die jeweilige Regierung auch insofern die politische Verantwortung tragen müssen.Noch eine andere Frage finde ich nicht befriedigend geregelt. Es ist heute bei der zweiten Lesung nicht über die Änderung von Art. 7 des Vierten
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Frau Dr. Diemer-NicolausStrafrechtsänderungsgesetzes gesprochen worden. Es handelt sich dabei um die Anwendung von Strafvorschriften zum Schutz der Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes. Ich habe es außerordentlich bedauert, daß es nicht möglich gewesen ist, auch hier einen Schritt weiterzukommen. Nachher im Anschluß und morgen wird viel von den Vorbehaltsrechten der Alliierten und ihrer Ablösung gesprochen werden. Dazu gehört eigentlich auch, daß dieser Art. 7 eine Änderung erfährt. Zur Zeit ist es so, daß viele unserer Strafbestimmungen auf die alliierten Truppen und ihre Angehörigen keine Anwendung finden. Das ist bei uns noch anders als in anderen Ländern. Es sollte doch auch insofern erreicht werden, daß nicht unterschiedliche Verhältnisse innerhalb der NATO-Verbündeten bestehen, je nachdem, ob NATO-Truppen nun in Frankreich, in den Niederlanden oder in Deutschland stehen. Ich hoffe, daß die Diskussion, die im Auswärtigen Ausschuß jetzt wenigstens begonnen hat, eine Fortsetzung findet. Daß es jetzt noch nicht gelungen ist, auch auf diesem strafrechtlichen Gebiet die Ablösung von Vorbehaltsrechten zu erreichen, bedaure ich.Auch folgendes kann im Augenblick natürlich nicht befriedigen. Es handelt sich um die in Anbetracht der Schwere der Delikte teilweise natürlich außerordentlich harten Strafbestimmungen. Es sind Strafbestimmungen, die ich im Augenblick nur deshalb akzeptieren kann, weil die Reform des Allgemeinen Teils unseres Strafgesetzbuchs und damit des Strafensvstems noch beraten wird und weil das politische Strafrecht jetzt in das noch gültige Strafrecht mit seinem Strafensystem eingeordnet werden muß. Das betrifft nicht nur die Höhe der Strafen und die Art der Strafen — es sind auch noch Zuchthausstrafen, sogar lebenslänglich Zuchthaus, darin —, sondern es betrifft vor allem auch die Tatsache, daß wir — nolens volens, muß ich sagen — zustimmen müssen, daß Ehrenstrafen aufrechterhalten bleiben. Von diesen Problemen, gerade den Problemen der Ehrenstrafen, hoffe ich, daß sie bei der Reform des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs eine zufriedenstellendere Lösung erfahren, als es im Augenblick noch der Fall ist.In diesem Zusammenhang möchte ich auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Güde hat in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß die Verfasser des Alternativ-Entwurfs, soweit es sich um Einzeltäter handelt, eine grundsätzlich andere Konzeption haben, als sie in dieser Ausschußvorlage enthalten ist. Sie gehen von Art. 18 des Grundgesetzes aus, in dem steht, daß jemand die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, und andere Grundrechte gegebenenfalls verwirkt, wenn er sie zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht; die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Ich kann es mir nicht ganz so leicht machen. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob wir mit dieser Reform jetzt eine vollkommen richtige Lösung gefunden haben. Am Ausschuß habe ich mich allerdings auch dafür ausgesprochen, diesen Vorschlägen der „Alternativ-Professoren" nicht zu folgen, weil ich mir im Augenblick schwer vorstellen kann, wie das praktikabel sein sollte. Um ein derartiges Urteil zu fällen, müßte ja das Bundesverfassungsgericht bei Einzeltätern ganz eingehende Ermittlungen anstellen. Hinzu kommt, daß wir bisher mit der Anwendung des Art. 18 keine Erfahrungen besitzen. Gerade wenn ich an bestimmte politische Verhältnisse denke, frage ich mich, ob es manchmal nicht vielleicht eher, als eine Partei zu verbieten, angebracht wäre, nur gegen den einen oder anderen, von dem man weiß — das müßte man vorher wissen —, daß er tatsächlich gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung Grundrechte mißbraucht, ein derartiges Verfahren einzuleiten und durchzuführen. Hier fehlt jegliche praktische Erfahrung. Solange diese Überlegungen, die auch in der Wissenschaft erst noch im Werden sind, noch nicht vollkommen ausdiskutiert sind und in vollem Umfang überblickt werden können, hielte ich es für das richtige, zunächst nicht eine so weitgehende Lücke, muß ich in dem Fall sagen, in den Strafbestimmungen zu lassen.Aus meinen bisherigen Ausführungen konnten Sie schon entnehmen, wie weitgehend die Forderungen, die wir Freien Demokraten in der ersten Lesung aufgestellt hatten, in diesem Entwurf erfüllt sind.Wir hatten weiterhin gefordert, daß gleichzeitig mit der Reform des materiellen Strafrechts auch eine Reform des Verfahrensrechts erfolge. Insofern war es erfreulich, daß der Herr Bundesjustizminister heute noch konkreter und klarer als seinerzeit bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage über die Reform des Verfahrensrechts zum Ausdruck brachte, daß es in dieser Legislaturperiode noch gelingen kann — meine Damen und Herren, eine Mahnung an uns alle: auch unbedingt gelingen sollte —, entsprechend den Forderungen, die wir für ein faires Verfahren gestellt haben, eine zweite Instanz zu schaffen. Wir haben außerdem, wie Sie wissen, gefordert, daß auch das Problem der indirekten Zeugen, der V-Leute, und auch der Sachverständigen gelöst wird.Die SPD hat in den Ausschußberatungen darauf hingewiesen, daß es die Sonderkammern, die sogenannten 74-a-Kammern, eigentlich nicht mehr länger geben sollte. Aus dem Entschließungsantrag ersehen Sie, daß auch dieses Problem aufgegriffen werden soll; ich hoffe, daß es noch in dieser Legislaturperiode gelöst werden wird. Ich halte in der Tat die Zeit für gekommen, mit diesen Sonderkammern — die in anderen Ländern nicht bestehen — Schluß zu machen. Es wird der Rechtsprechung nur dienlich sein, wenn auch in politischen Verfahren die sonst übliche allgemeine Zuständigkeit wie in den anderen Verfahren vorhanden ist. Nun, dieser Wunsch, daß auch das Verfahren gleich mit reformiert werde, ist uns nicht erfüllt worden. Aber die Zusicherungen, die wir insofern erhalten haben, lassen uns Freien Demokraten doch die Möglichkeit, in der Endabstimmung diesem so wichtigen Gesetz unsere Zustimmung 2u geben.Ich möchte zum Abschluß auf folgendes hinweisen. Die Aufgabe des Staatsschutzrechts ist wahrscheinlich schwieriger, als es die Aufgaben auf anderen Rechtsgebieten sind. Nirgendwo zeigt sich so wie gerade beim Staatsschutzrecht und bei den
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Frau Dr. Diemer-Nicolauspolitischen Strafverfahren der enge Zusammenhang mit den jeweiligen politischen Verhältnissen. Der tatsächliche politische Zustand gerade auch in außenpolitischen Fragen wird gegebenenfalls seine Ausstrahlung in der Rechtsprechung haben. Darauf führe ich es auch zurück, daß — worauf Sie, glaube ich, Herr Güde, hingewiesen haben — .die Zahl der politischen Strafverfahren seit 1961 außerordentlich stark rückläufig ist. Wie dringend notwendig die Reform ist, zeigt die Tatsache, daß zwei Gerichte jetzt Verfahren überhaupt ausgesetzt haben mit der Begründung, sie müßten sonst gegebenenfalls nach einer Bestimmung verurteilen, die in dieser Form nicht aufrechterhalten bleiben werde. Deswegen ist es notwendig, daß jetzt für alle, für die Gerichte und auch für den Bürger, Klarheit darüber geschaffen wird, was strafbar ist. Natürlich muß unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Feinde von innen und von außen absolut geschützt werden. Andererseits aber darf der Freiheitsraum, der unserem Bürger in unserem freiheitlichen Rechtsstaat mit seinen Grundrechten gegeben ist, nicht mehr als unbedingt notwendig beeinträchtigt werden. Das hat sich insbesondere immer dann gezeigt, wenn es um die Frage ging, wie die Presse- und Informationsfreiheit gehandhabt werden kann, ohne daß der Betreffende in die Gefahr kommt, daß ein Strafverfahren gegen ihn durchgeführt wird.Es hat sich des weiteren gezeigt, daß das jetzt gültige politische Strafrecht auch außenpolitischen Bestrebungen zur Entspannung, zur Entkrampfung entgegengestanden hat.Auf eines allerdings möchte ich aufmerksam machen. Auch die besten Paragraphen, so sorgfältig wir versucht haben, sie zu gestalten, können nicht dazu führen, daß die echte politische Auseinandersetzung unterbleibt. Wir werden gegebenenfalls die Verhältnisse nicht nur mit Paragraphen meistern können; wir werden sie nur meistern können, wenn wir auch die Diskussion mit denen, die außerhalb des Parlaments sind, nicht scheuen, sondern sie zu überzeugen versuchen, andererseits aber am Schutz unseres Staates einschließlich seiner Symbole absolut festhalten.Ich bin der Meinung, daß unsere Bundesrepublik nicht Weimar ist und daß die Gefährdung, die damals in Weimar vorhanden war, heute nicht besteht, auch nicht, soweit es sich um politische Strafverfahren handelt. Das darf uns aber nicht abhalten, immer daran zu denken, daß unser freiheitlichdemokratischer Staat auch auf der Toleranz gegenüber einem politischen Gegner aufgebaut ist. Ich glaube, die Arbeit in dem Sonderausschuß, die so war, daß heute auch die Opposition den Beschlüssen zustimmen kann, zeigt, daß eine gegenseitige Toleranz — auch wenn wahrscheinlich nachher bei der Beratung der Notstandsgesetzgebung die Diskussionen hart sein werden — auch in diesem Hause vorhanden ist. Die Freien Demokraten werden deshalb diesem Gesetz ihre Zustimmung geben. Wir hoffen nur, daß auch die Rechtsprechung nachher die Bestimmungen des Gesetzes in der restriktiven Weise anwendet, wie wir sie beabsichtigt haben. Wir müssen uns allerdings eines vorbehalten: Sollte sich, wenn das Gesetz jetzt seine Bewährungsprobe bestehen muß, zeigen, daß nicht alles richtig geregelt wurde, so sollten wir auch den Mut haben, zuzugestehen, daß es uns trotz besten Willens nicht möglich gewesen ist, das beste Gesetz zu machen, das wir machen wollten, und dann sollten wir uns nicht scheuen, weitere Verbesserungen vorzunehmen. Wir sollten auch Gedankengänge, die von den „Alternativ-Professoren" in so fruchtbarer Weise in die Diskussion geworfen worden sind, weiter verfolgen.Ich darf zum Abschluß auch als Vertreterin der Opposition dem Justizministerium danken, weil gerade auch die Herren vom Justizministerium unsere Arbeit vorbildlich unterstützt haben. Ich darf aber auch denen, die nicht hier im Parlament sind, besonders auch den Professoren des Alternativentwurfs, dafür danken, daß sie ohne politisches Mandat durch soviel intensive Arbeit, durch eine Fülle von neuen Gedankengängen dazu beigetragen haben, daß jetzt ein Reformentwurf vorliegt, der unseren liberalen Auffassungen in ganz wesentlichem Umfange entspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt .Dr. Arndt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende der dritten Lesung der Reform des politischen Strafrechts bitte ich, mir einige Bemerkungen zu gestatten, für die nur ich ganz allein die Verantwortung trage.Ein Wort habe ich in der Aussprache vermißt, das Wort Amnestie. Wir stehen doch am Ende einer Gesetzgebung, die in der Vergangenheit ein Übermaß an Straftatbeständen aufgerichtet hat, und unter der zeitweise diese Vorschriften auch im Übermaß gehandhabt worden sind, so daß wir doch befürchten müssen, daß Strafen im Übermaß verhängt worden sind. Wenn dem so ist, würde die Gerechtigkeit erfordern, daß hier durch eine gezielte Amnestie das Recht wiederhergestellt wird. Ich kann nicht übersehen, wie es liegt; aber diese Vermutung drängt sich doch auf. Ich habe daher an den Herrn Bundesminister der Justiz die ausdrückliche herzliche Bitte, in seinem Amte prüfen zu lassen, ob nicht nach Beendigung der übermäßigen Strafgesetzgebung im politischen Bereich eine Amnestie zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit erforderlich ist.
Diese Bitte möchte ich hiermit aussprechen.Wir können aber doch, meine Damen und Herren, wenn wir hier über politisches Strafrecht verhandeln — oder ich möchte sagen: mir geht es so —, nicht daran vorbeigehen, daß sich auch in der Gegenwart täglich politische Straftaten ereignen, die uns doch mit Recht beunruhigen. Ich habe hier auch an den Herrn Bundesminister der Justiz die Bitte, im Kreise der Bundesregierung zu überlegen, ob nicht eine ähnliche Haltung, wie sie die Regierung Pompidou in Frankreich eingenommen hat, auch bei uns am Platze ist. Sicherlich, wir alle wissen, daß unver-
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Dr. Arndt
antwortliche Ausschreitungen vorgekommen sind; daran gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir wissen auch, wodurch sie ausgelöst wurden. Wenn ein junger Mensch nach der Erschießung des Studenten Ohnesorg oder nach dem so überaus verwerflichen und gräßlichen Attentat auf Dutschke nicht in Leidenschaft gerät, wenn er da nicht überschäumt, ja, ist er denn dann ein junger Mensch, oder ist er dann nicht ein Fisch? Das müssen wir doch sehen. Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung und an den Herrn Bundesjustizminister, auch das zu prüfen.Denn, meine Damen und Herren, zum Schluß dies: Wir sollten die Stunde nicht versäumen, in der es geboten ist, daß wir allen, die mit uns eins sind in der Achtung vor dem Recht, in der Sehnsucht nach einer gerechteren Sozialordnung und in der Liebe zur Freiheit unsere Hand entgegenstrecken.
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten dem Kollegen Dr. Arndt dankbar sein, daß er am Schluß dieser Debatte noch ein Thema zur Diskussion gestellt hat, das jetzt wirklich dringend der Regelung bedarf. Wir haben im Anschluß an die allgemeinen Beratungen zum Strafrechtsänderungsgesetz bei uns in der Fraktion diese Frage erörtert, und es war uns klar und evident, daß, wenn jetzt eine Entschärfung des Strafrechts — ich will es einmal so ausdrücken — erfolgt, mindestens auch die Fälle geregelt werden müssen, die nach neuem Strafrecht nicht bestraft würden, aber nach altem Strafrecht bestraft sind. Das scheint uns einfach eine logische Konsequenz dessen zu sein, was heute hier beschlossen werden soll. Die Dinge sind bei uns im Rahmen der gesamten Beratungen, die wir in diesen Tagen zu führen hatten, verständlicherweise — am Rande angeklungen, wäre zuwenig gesagt — nur im Grundsätzlichen erörtert worden. Die Einzelheiten bedürfen einer weitgehenden Überlegung. Aber grundsätzlich, Herr Kollege Dr. Arndt, können Sie bei Ihren Bestrebungen, jetzt überhaupt zu einer Amnestie — in welchem Umfang auch immer — zu kommen, auf unsere Unterstützung rechnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den von den Herren Kollegen Arndt und Busse gegebenen Anregungen darf ich sagen, daß ich die entsprechenden Schritte im Justizministerium schon aus eigener Initiative eingeleitet habe, indem wir prüfen, ob und wie etwa eine Amnestie auszusprechen oder abzugrenzen sei. Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen und haben erst recht noch nicht innerhalb der Bundesregierung stattfinden können.
Ein Faktum kann aber jetzt schon mitgeteilt werden: es befindet sich niemand in Haft aus dem jetzt zu Ende gegangenen politischen Srafrecht; kein einziger sitzt ein.
Allerdings sind Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des alten Strafrechts in Gang gekommen. Es ist ganz selbstverständlich, daß, soweit daraus überhaupt eine Anklage erwächst, die jeweilige Verurteilung nur nach neuem Strafrecht erfolgen wird.
Und was die Krawalltaten — wenn ich sie einmal pauschal so nennen darf — anbelangt, so laufen — das wissen Sie alle — natürlich mehrere hundert Ermittlungsverfahren in den verschiedenen Bundesländern. Es ist bisher aber nicht möglich, durchzublicken, wie diese im einzelnen liegen und wie sie abzugrenzen sind. Ich sage also abschließend: das Thema ist im Bundesjustizministerium in Arbeit, und es wird voraussichtlich auch die Bundesregierung beschäftigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Arndt hat seinen Beitrag geleistet als Kollege Dr. Arndt, nicht namens der SPD, nicht namens seiner Fraktion. Auch ich spreche jetzt nur für mich selbst, denn meine Fraktion hat sich mit diesem Thema noch nicht befaßt. Ich spreche also nur als Mitglied dieses Hauses und als Jurist.Die Anregung wird jeder Jurist mit Interesse aufnehmen. Das ist ein Thema, mit dem man sich zweifellos beschäftigen muß. Das Beispiel Frankreichs zeigt, daß man sich nach solchen Tagen damit beschäftigen muß. Die Frage ist, wie. Das werden wir beraten müssen. Es ist sehr dankenswert zu wissen, daß, wie der Herr Bundesjustizminister gesagt hat, aus dem Feld der politischen Justiz derzeit überhaupt niemand einsitzt.Weiter: Die Krawalltaten, wie sie der Herr Bundesjustizminister soeben genannt hat, sind durchweg Delikte des gemeinen Rechts, also nicht des politischen Strafrechts,
so daß das Feld sehr wohl unter diesem Gesichtspunkt geprüft werden muß.Drittens, meine Damen und Herren, ich sage zu Ihnen und zu dem Herrn Bundesjustizminister, wenn das geprüft werden muß, dann bitte schnell. Es gibt nichts Schlechteres auf dem Feld der Justiz als Wochen oder gar Monate der Überlegung, ob Amnestie oder nicht. Das lähmt die Justiz in sich und ist wie eine versteckte Aufforderung, die Zeit noch bis zu dem Punkt zu nützen, wo man wieder oder nicht mehr bestraft wird.
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9550 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. h. c. GüdeAlso eine Mahnung an uns alle, meine Damen und Herren, wir wollen dieses Thema in unseren Fraktionen so schnell wie möglich behandeln und unsere Stellung dazu beziehen, wobei ich noch einmal sage: nicht ohne Sympathie für Ihren Vorschlag, Herr Kollege Dr. Arndt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Meine Aussage, daß sich niemand nach dem alten politischen Strafrecht in Haft befindet, bezieht sich und beschränkt sich auf das Kapitel „Staatsgefährdung" oder auf das Kapitel, das wir jetzt „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats" nennen. Wegen Landesverrats sitzen einige ein.
Zur Begründung der Entschließungsanträge des Sonderausschusses hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darf ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf die Entschließungsanträge lenken, die auf Seite 36 des Berichts abgedruckt sind. Es geht hier um drei Punkte. Einmal wird die Bundesregierung ersucht, sechs Monate nach Inkrafttreten des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes über die Erfahrungen mit dem Zeitungsaustausch zu berichten. Ich glaube, hierzu sind weitere Begründungen nicht notwendig. Im Rahmen der Aussprache wurde dieser Punkt schon eingehend behandelt.
Zum zweiten geht es um den Punkt der Einführung der zweiten Instanz für Staatsschutzsachen. Insoweit bittet der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, zu beschließen, daß der Bundesjustizminister beschleunigt eine entsprechende Gesetzesvorlage im Plenum einbringt, die gewährleistet, daß noch innerhalb dieser Sitzungsperiode ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wird.
Der Herr Bundesjustizminister konnte uns erfreulicherweise heute schon im Laufe der Beratungen mitteilen, daß er am 9. Mai 1968 mit den Justizministern der Länder zu einer Einigung gekommen ist und daß er einen entsprechenden Gesetzentwurf so rechtzeitig vorlegen wird, daß er noch in dieser Sitzungsperiode verabschiedet wird. Gleichwohl ist es zweckmäßig, auch hierüber eine besondere Entschließung zu fassen.
Der dritte Punkt, der noch offen ist, betrifft die sogenannten Staatsschutzkammern des § 74 a GVG. Im Rahmen der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform war der Wunsch vorgetragen worden, daß insoweit der § 74 a ersatzlos gestrichen wird, daß alle politischen Strafsachen in die normale Strafgerichtszuständigkeit fallen und daß keine sogenannten zentralen Staatsschutzkammern errichtet bleiben. Dieser Antrag wurde aber zurückgestellt, weil sich klar ergeben hatte, daß die Bundesländer eine solche Regelung noch nicht wünschen, daß sie ihr noch ablehnend gegenüberstehen, so daß kaum die zeitliche Möglichkeit bestanden hätte, im Laufe dieser Sitzungsperiode zusammen mit der Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes zu einer positiven Lösung zu kommen.
Um das Gesamtwerk der Novelle — so wie sie Ihnen heute vorliegt — nicht zu gefährden, wurde darum gebeten, daß die Bundesregierung sich beschleunigt mit den Ländern, mit den zuständigen Landesjustizministern, in Verbindung setze, um auch diese Frage einer baldigen Lösung zuzuführen. Das ist auch in dem Entschließungsantrag auf Seite 36 unter Ziffer 2 angeführt.
Ich darf abschließend namens der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD darum bitten, daß die beiden von mir begründeten Entschließungsanträge angenommen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Entwurf eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes in der nun vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe bitte. —
Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen etwa 10 Stimmen ist das Gesetz in der dritten Beratung angenommen.
Wir müssen nun noch über die Entschließungsanträge abstimmen, die der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert soeben begründet hat. Wer diesen Entschließungsanträgen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließungsanträge sind einstimmig angenommen.
Ich rufe nun Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10)
— Drucksache V/1880 —
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache V/2930 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Reischl
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf das Wort. Wir treten in die Einzelberatung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren Kollegen! In kurzen Zeitabständen spreche ich heute zum drittenmal zu dem gleichen Komplex, nämlich dem,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9551
Busse
mit dem sich der jetzt zur Erörterung stehende Gesetzentwurf zur Beschränkung des Art. 10, also zur Einschränkung des Post- und Telefongeheimnisses, befaßt. Ich habe mich gefragt, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, heute zum drittenmal hier das Wort zu ergreifen und zu Ihnen zu sprechen, nachdem zweimal die Appelle, die ich namens meiner Fraktion an dieses Haus gerichtet hatte, verhallt sind, ohne nachhaltige Folgen zu haben. Ich verkenne dabei auch nicht, daß es heute noch aussichtsloser erscheint, zu Ihnen zu sprechen, da die Entwicklung der allerletzten Tage es dem Hause sicher noch schwerer machen wird, einem Anliegen Rechnung zu tragen, das wir haben.Wenn ich es trotz der klaren Erkenntnis dieser Situation heute zum dritten und wohl nicht zum letzten Male versuche, an dieses Haus zu appellieren, so tue ich es einmal aus dem persönlichen Grunde, daß ich mir nicht eines Tages den Vorwurf machen möchte, ich hätte diese letzte Chance vergeblich vorübergehen lassen. Ich tue es aber auch aus einem allgemeinen Grunde: ich glaube, daß wir bei diesem Gesetz eine Problematik anschneiden, die weit über den aktuellen Anlaß hinausreicht und die — was ich nicht hoffe, was aber bei allen solchen ersten Schritten zu befürchten ist — nachhaltige Folgen haben kann, die dann freilich bis an die Grundfesten unserer rechtsstaatlichen Ordnung heranführen.
Ehe ich das, was ich zuletzt gesagt habe, im einzelnen noch einmal begründe, möchte ich zwei Fragen stellen, die auf Grund des vorliegenden Berichts zu stellen mir notwendig erscheint.In § 7 wird geregelt, wer die Verantwortung für das Abhören trägt, wenn es einmal durchgeführt ist. Dazu heißt es im Bericht, daß die antragsberechtigte Stelle die Verantwortung zu tragen hat und daß dies auch gilt — nun kommt das Entscheidende —, „wenn im Einzelfall die technische Durchführung im Wege der Amtshilfe einmal im Bereich eines anderen Dienstes erfolgen sollte". Ich weiß nicht, ob das lediglich eine unbestimmte Ausdrucksweise ist. Uns liegt aber daran — ganz egal, ob dieses Gesetz, wie wir es möchten, abgelehnt wird oder ob es akzeptiert wird —, daß hier völlig klargestellt wird, daß das Wort „Dienst" sich in diesem Zusammenhang nur auf die antragsberechtigten Dienste beziehen kann, die in § 4 des Gesetzes genannt sind; denn eine weitergehende Auslegung — das brauche ich dem Kundigen wohl nicht näher zu erläutern — würde tatsächlich Gefahren mit sich bringen, die wir kaum verantworten können.
Der zweite Punkt. Wir verkennen nicht, daß in den Ausschußberatungen, insbesondere in denen des Innenausschusses, wo diese Beschlüsse gefaßt worden sind, eine gewisse Verbesserung des heißumstrittenen § 3 'in Art. 1 erfolgt ist. Er regelt das, was man früher die „globale Abhörmöglichkeit" genannt hat. Aber die Ausdrucksweise, die jetzt in § 3 ihren Niederschlag gefunden hat, wonach nunmehr unter gewissen Voraussetzungen gewisse „Post- und Fernmeldeverkehrsbeziehungen" abgehört werden können, ist nach wie vor unklar. Ich glaube, daß gerade in diesem Punkt Klarheit notwendig ist. Ich habe die Frage bereits im Rechtsausschuß aufgeworfen. Damals ist mir lediglich gesagt worden, das sei ein feststehender Begriff, und er sei für jeden, der lesen könne und die deutsche Sprache verstehe, klar. Ich möchte nicht die einzelnen Mitglieder dieses Hauses fragen, was sie sich unter „Post- und Fernmeldeverkehrsbeziehungen" vorstellen, aber daß dieser Begriff eindeutig Klarheit enthalte, das wird man, glaube ich, mit dem besten Willen nicht sagen können, und ich wäre sehr dankbar, wenn wenigstens im Laufe dieser Debatte hier klargestellt würde, was man sich darunter vorgestellt hat, damit nicht hinterher aus dem Gesetz Schlüsse gezogen werden können, die selbst diejenigen nicht wollen, die diese Formulierung gewählt haben.Aber nun zu dem dritten und meines Erachtens entscheidenden Punkt. Bekanntlich müssen Gesetze, die eine Einschränkung von Grundrechten zur Folge haben, diese Einschränkung und die Grundrechte selbst bezeichnen. Dem trägt das vorgelegte Gesetz in einem gewissen Umfang Rechnung, indem es in Art. 4 § 10 Abs. 1 heißt:Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses wird durch dieses Gesetz eingeschränkt.Ich hatte im Rechtsausschuß im Interesse der Koalitionsparteien die Anregung gegeben, sich hier nicht auf die Zitierung des Art. 10 zu beschränken, sondern den Art. 10 Abs. 4 mit anzuführen. Diese Anregung hat der Rechtsausschuß abgelehnt, und als Begründung hierfür finde ich nunmehr in dem Bericht etwas, was freilich schockierend wirkt. Es heißt dort:Der Ausschuß hat den Antrag der Minderheit geprüft, ob es notwendig sei, zusätzlich auch Artikel 19 Abs. 4 GG zu benennen. Nach eingehender Erörterung ist er indessen zu der Auffassung gelangt, daß dies nicht erforderlich ist. Durch § 9 Abs. 5 dieses Gesetzes wird Artikel 19 Abs. 4 GG nicht eingeschränkt, sondern nur der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen. Da Artikel 19 Abs. 4 GG jedoch den ordentlichen Rechtsweg nur subsidiär garantiert, hier aber eine Zuständigkeit begründet wird, braucht Artikel 19 nicht erwähnt zu werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sind wir tatsächlich bei einem Problem angelangt, das für unsere Einstellung zu dem gesamten Gesetz von entscheidender Bedeutung ist. Ich darf zum besseren Verständnis Art. 19 Abs. 4 im Wortlaut zitieren, und zwar zunächst nur den ersten Satz; er lautet:Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.Das ist keine subsidiäre Bestimmung eines Rechtsweges, sondern es handelt sich eindeutig um einGrundrecht, das dem Bürger gewährt wird und ihn
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Busse
schützen soll für die Fälle, wo entgegen dem bestehenden Recht in seine Rechte eingegriffen wird.
Das hat mit Subsidiarität des Rechtsweges und ähnlichen Fragen überhaupt nichts zu tun. Ja, es ist ein Grundrecht, das weit über den Katalog der Einzelgrundrechte hinausgeht; denn dieses Grundrecht dient dem Schutz aller Grundrechte, die die Verfassung enthält. Erst kürzlich haben wir im Rahmen der Beratungen der gesamten Notstandsgesetzgebung zusammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, einen Gesetzentwurf eingebracht, der diesen Schutz der Grundrechte vertiefen soll. Das bedeutet eine weitere Intensivierung des hier in Art. 19 Abs. 4 gewährten Grundrechts des Bürgers.Was sagt nun das vorgelegte Gesetz zu dem in Art. 19 Abs. 4 festgelegten Recht des Bürgers? Es sagt in § 9 Abs. 5:Im übrigen ist gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen und ihren Vollzug der Rechtsweg nicht zulässig.In diesem Gesetz steht also positiv und ausdrücklich das Gegenteil von dem, was das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 zwingend vorschreibt.Ich darf weiter auf folgendes hinweisen. Auf den Art. 19 Abs. 4 folgt im Grundgesetz der Art. 20, der die rechtsstaatliche Grundordnung der Bundesrepublik begründet. In diesem Art. 20, den das Grundgesetz für so wichtig hält, daß es ihn für unabänderlich erklärt, ist klar und deutlich gesagt, daß die rechtsprechende Gewalt und die vollziehende Gewalt an das Gesetz und Recht gebunden sind. Diese Bestimmung des Art. 20 bedingt, daß .da, wo in Rechte des Bürgers eingegriffen wird, judikable Gesetze geschaffen werden, Gesetze, die dem Rechtsspruch zugänglich sind und bei denen der Richter entscheiden kann, was Recht ist und was nicht Recht ist. Gesetze, die dieser Voraussetzung ermangeln, sind rechtsstaatswidrige Gesetze und stehen mit dem Grundgedanken unserer Verfassung in einem unlösbaren Widerspruch. Es ist lediglich die Spezifizierung des in Art. 20 als nicht abänderbar bezeichneten Grundsatzes, wenn in Art. 19. Abs. 4 dem Bürger das Recht gegeben wird, die Gerichte wegen Rechtsverletzungen anzurufen.Das alles hat mit dem, was hier im Gesetz steht, nun wahrlich nichts mehr zu tun. Denn eines wird wohl niemand in diesem Hause behaupten können: daß die Ersatzorgane, die hier aus dem Hause und daneben zur Kontrolle und Überprüfung der Maßnahmen besonders gewählt und bestellt werden, daß diese Institutionen Gerichte im Sinne unserer Verfassung sind. Ich glaube, das kann man ehrlich nicht behaupten. Fünf Abgeordnete oder wer immer dieses Hauses mögen noch so bestrebt sein, objektiv zu sein usw., sie bleiben Mitglieder dieses Hauses, ihre Entscheidungen sind keine richterlichen, sondern politische Entscheidungen. Damit wird der Grundsatz des Art. 19 Abs. 4 für diese Angelegenheiten tatsächlich restlos durchbrochen.Wenn ich Ihnen das hier mit einem solchen Nachdruck noch einmal vor Augen halte, so tue ich es einmal, weil ich mich in dieser Auslegung, die ich hier gewählt habe, in Übereinstimmung mit der gesamten Judikatur und Literatur befinde. Was hier in der Begründung steht, ist damit nicht in Einklang zu bringen.Ich tue es auch aus einem anderen Grunde. In den Debatten der vergangenen Tage wurde immer wieder - manchmal in einer überhaupt nicht mehr mißzuverstehenden Weise — der Verdacht ausgesprochen, als ob wir in diesem Fall, einmal ganz vorsichtig ausgedrückt, Opposition um der Opposition willen trieben, und zwar Oppositionskräften zuliebe, die Ziele verfolgen, wie sie keine der Parteien dieses Hauses auch nur annähernd bejahen oder unterstützen könnte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dem, was ich vorgetragen habe, mögen Sie es für richtig oder für falsch halten, wollen Sie aber eines erkennen: Was uns bei all unseren Bemühungen hier in ganz besonderer Weise immer wieder beschäftigt hat, ist nicht die Frage, wie wir unsere bestehende grundgesetzliche Ordnung ändern können, sondern der Wunsch, diese grundgesetzliche Ordnung, die wir und unsere Freunde .in früheren Jahren erarbeitet haben und für die wir eingestanden sind, in einem Maße zu erhalten, wie es selbst in bitteren Zeiten nur eben ermöglicht werden kann.
Ich hoffe, daß dieser deutliche Ausspruch zur Folge hat, daß das anerkannt wird. Ich bitte Sie inständigst: Überprüfen Sie alle Anträge, alle Vorlagen, die wir gemacht haben, und untersuchen Sie sie unter diesem Gesichtspunkt! Sie werden das bestätigt finden, was ich eben gesagt habe.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Weiteres. Nicht alle, die an diesen Dingen interessiert sind, leidenschaftlich interessiert sind, sitzen in diesem Hause. Wenn aus der gleichen Grundeinstellung heraus auch außerhalb dieses Hauses Anregungen, Anträge, Beschwerden und wie man es immer nennen will, vorgetragen werden, so sollten wir ihnen dann ein offenes Ohr leihen, wenn sie aus der gleichen Grundhaltung der Bejahung und Erhaltung unserer Verfassung heraus geboren sind.
Ich könnte aus der Fülle der Zuschriften usw. hier manches vorlesen. Ich beschränke mich auf ein Zitat, dessen Gewicht für jeden erheblich und behutsam sein soll. Es handelt sich um ein Telegramm des Professors Dr. Günter Dürig, und der Herr Präsident gestattet sicher, daß ich die wenigen Worte daraus, die hier von Bedeutung sind, vorlese:Als ausdrücklicher Befürworter einer Notstandsgesetzgebung für den Verteidigungs- und Spannungsfall, als Befürworter einer solchen Gesetzgebung, bitte ich dringend, bei Art. 10 Abs. 2 den Rechtsweg nicht auszuschließen. Das denaturiert die richterliche Gewalt, vor allem des Bundesverfassungsgerichts, ohne überzeugende Gründe.
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Busse
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, andere Professoren, darunter allein sieben Professoren der juristischen Fakultät der Universität Frankfurt, haben diesen Appell ebenso leidenschaftlich ausgesprochen wie ich hier. Sie alle stehen außerhalb jedes Verdachtes, irgendwie gegen unsere Staatsordnung zu sein. Nein, sie alle wollen den Schutz dieser Staatsordnung, wie wir ihn wollen.
Mißachten Sie diesen Appell nicht!Diese Ordnung wird durch dieses Gesetz in einem entscheidenden Punkt geändert. Man mag sagen, hier sei es nicht so gefährlich. Ich halte es auch hier für gefährlich. Es ist der erste Schritt, der auf diesem Wege gegangen wird. Ich weiß nicht, wer sich später darauf berufen und sagen könnte: Das habt ihr schon einmal getan.Wir haben lange überlegt, ob wir hier wie bei der Notstandsgesetzgebung einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen sollten, ob wir Änderungsanträge stellen sollten oder wie wir uns verhalten sollten. Wir haben in den früheren Erörterungen klar erklärt, daß wir einer Regelung, wie sie jetzt im zweiten Absatz vorgesehen ist, nämlich der Strafprozessualen Regelung, zustimmen können, daß wir sie in ihrer Grundkonzeption und in ihrer Anlage für richtig halten. Wir haben weiter erklärt, daß wir bereit sind, nicht nur der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Richter, sondern auch den anderen Sicherheitsdiensten die Abhörmöglichkeit zu verschaffen. Aber der entscheidende Punkt für uns ist, daß alle diese Maßnahmen unterschiedslos unter richterlicher Kontrolle stehen müssen und daß sie, sobald es der Untersuchungszweck erlaubt, dem Betroffenen, demjenigen, in dessen Rechte man eingegriffen hat, mitgeteilt werden müssen. Das sind unabdingbare Dinge für uns.Das würde eine völlige Umstrukturierung des jetzt vorliegenden Gesetzes bedeuten. Dem kann nur Rechnung getragen werden, wenn das Gesetz in der Fassung, in der es jetzt vorliegt, abgelehnt wird. Wir werden dieses Gesetz ablehnen. Wenn wider alles Erwarten — ich rechne nicht damit; aber ich wollte diese Dinge noch einmal ansprechen — das Haus dieser Anregung folgen würde, dann würden wir zu einer Lösung kommen, zu der wir alle ja sagen könnten. Zu dieser Lösung können wir nicht ja sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es werden sicher noch andere Redner zu den rechtspolitischen Fragen Stellung nehmen, die der Herr Kollege Busse hier angeschnitten hat. Ich möchte nur die zwei Fragen zu den Ausschußberatungen beantworten, die der Herr Kollege Busse hier gestellt hat. Er bezog sich zunächst darauf, daß im Bericht gesagt wird, in Abs. 1 des § 7 würden die Worte „unter Verantwortung der antragsberechtigten Stelle" aufgenommen, um klarzustellen, daß die Verantwortung jeweils die in § 4 aufgeführte Dienststelle habe. Er sagt, im Bericht heiße es aber weiter, das gelte auch dann, wenn die Durchführung einmal bei einer anderen Stelle liege. Dieser Komplex ist im Ausschuß sehr eingehend erörtert worden, Herr Kollege Busse.
Ich gebe ein Beispiel. Der Bundesnachrichtendienst wird normalerweise in der Bundesrepublik nicht tätig. Es kann aber sein, daß sich in seinem eigenen Bereich eine Situation ergibt, die Maßnahmen nach diesem Gesetz erfordert, und daß diese Maßnahmen dann eventuell von Stellen durchgeführt werden, die in der Zuständigkeit des Bundesministers des Innern bzw. der Länderinnenminister liegen. Das ist eine ganz einfache und rechtsstaatlich klare Sache, wenn man nicht dazu kommen will, daß einer Stelle eine Superzuständigkeit gegeben würde, indem diese weit über das hinaus, was zu ihrer Zuständigkeit gehört, tätig werden müßte. Das will niemand in diesem Hause. Das ist sehr sorgfältig abgewogen worden, und daher wurde in § 7 diese Ergänzung vorgenommen.
Die zweite Frage, Herr Kollege Busse, ist im Ausschuß ebenfalls eingehend erörtert worden. Der Innenausschuß hat die Neufassung dem Rechtsausschuß vorgeschlagen. Es handelt sich hier um eine erhebliche Einschränkung gegenüber der Regierungsvorlage. Um diese Einschränkungen zu konkretisieren, haben wir das hier gemacht. Das ist auch in Übereinstimmung mit den Fernmeldeverträgen und anderem, was da eine Rolle spielt, getan worden. Die Ausschußbeschlüsse sind eindeutig, und der Bericht legt das noch einmal klar. Ich glaube, daß ich Ihre Fragen damit klar beantwortet habe.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte gern den von Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen angekündigten Rednern zunächst Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen, aber offensichtlich besteht nicht das Bedürfnis, hier zu sprechen.Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Ihre Antwort, was mit den anderen Diensten gemeint ist, kann uns noch nicht zufriedenstellen. Wir wünschen, das hier klargestellt wird, daß es sich bei den anderen Diensten nur um solche handelt, die im Gesetz selbst genannt sind, nicht etwa um ausländische Dienste oder im Gesetz nicht genannte dunkle Dienste. Das erscheint uns als besonders wichtig, weil wir klarstellen möchten, daß in Zukunft auf deutschem Boden nur Dienste tätig sein können, die hier in dem Gesetz genannt sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren, mein Kollege Busse hat hier noch einmal die grundsätzliche Problematik dieses Gesetzes zur Ausführung des Art. 10 dargelegt. Ich glaube, in der Tat wird bei keiner der Einzelbestimmungen der Notstandsgesetzgebung die Gesamtproblematik so deutlich
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Genscherwie hier. Hier ist auf der einen Seite das berechtigte Sicherheitsinteresse auch des demokratischen Rechtsstaates zu wahren, auf der anderen Seite sind aber auch die Grundrechte des Bürgers zu wahren, und schließlich wird bei diesem Gesetz die Problematik der Ablösung der Vorbehaltsrechte der drei Alliierten besonders deutlich.Herr Busse hat dargelegt, daß wir in Zukunft sehr unterschiedliche Sachverhalte der Überwachung des Telefon- und Briefverkehrs haben werden. Im Grunde sind es drei große Komplexe. Einmal besteht die Möglichkeit zur Überwachung, wenn schon ein bestimmter Tatverdacht vorhanden ist, d. h. wenn bestimmte Umstände jemanden verdächtig im Sinne bestimmter strafrechtlicher Bestimmungen erscheinen lassen. Für diesen Fall, in dem also ein beachtlicher Verdacht in bezug auf einen Bürger vorhanden ist, sind eine Reihe rechtsstaatlicher Garantien vorgesehen: erstens eine richterliche Anordnung, zweitens die Möglichkeit der Mitteilung an den Betroffenen, wenn es der Untersuchungszweck zuläßt, oder umgekehrt, wenn er nicht mehr gefährdet wird, und drittens ist der Rechtsweg nicht ausgeschlossen.Neben diesem Sachverhalt ist aber ein weiterer Überwachungskomplex vorhanden, bei dem der Verdacht gegen denjenigen, der überwacht wird, dessen Telefonleitungen z. B. abgehört werden, bei weitem nicht so konkret ist, bei dem also nicht ein bestimmter Verdacht da ist, sondern bei dem — um mit dem Gesetz zu sprechen — nur tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sind. In diesem Falle sollen alle diese rechtsstaatlichen Garantien entfallen. Das entbehrt aller Logik der Gesetzgebung;
denn die Gefahr des Mißbrauchs einer solchen Regelung ist dann besonders groß, wenn die konkreten Anforderungen an die Tatbestandsfeststellungen besonders gering sind. Gerade hier also müßten jene rechtsstaatlichen Sicherungen eingebaut werden, die Sie demjenigen zubilligen wollen, bei dem schon ein beachtlicher Tatverdacht vorliegt, ja, den man im Sinne des Gesetzes sogar schon als Beschuldigten eines solchen Delikts bezeichnen kann.Es muß hier auch noch erwähnt werden: Die Frage, ob nur der Beschuldigte selbst überwacht wird oder ob noch Dritte überwacht werden können, ist in dem Falle des stärkeren Verdachts abschließend geregelt. Dort kann nur der Beschuldigte selbst überwacht werden, oder aber solche Dritte, die in einem ganz bestimmten engen Verhältnis zu ihm stehen, während eine solche Einschränkung bei dem lockeren Verdacht, bei nur tatsächlichen Anhaltspunkten nicht gegeben ist. Auch hier sehen wir die erhebliche Möglichkeit einer exzessiven Handhabung dieser Bestimmung, die keine rechtsstaatliche Garantie gewährt.Bei der zweiten Lesung der Verfassungsänderung, nämlich der Änderung des Art. 10, ist nun eingewandt worden, man könne hier den Richter nicht einschalten, weil in diesem vorgelagerten Feld — die Begründung des Gesetzentwurfs spricht davon, daß man hier die Überwachungsmaßnahme weit in das Vorfeld der Straftat vorverlegen müsse; also eine ganz beachtliche Gefahr für die Grundrechte des einzelnen — in einem solchen Fall der Richter überfordert sei. Hier sei die Entscheidung über die Anordnung einer Überwachungsmaßnahme eine politische Entscheidung. Meine Damen und Herren, das ist keine politische Entscheidung, und es darf keine politische Entscheidung werden.
Deshalb sind wir gegen diese Regelung. Hier ist allenfalls eine Ermessensentscheidung möglich, und dieses Ermessen muß nachprüfbar sein. Ich frage Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition: warum wollen Sie demjenigen, gegen den kein starker Verdacht vorliegt, bei dem nur Anhaltspunkte vorliegen, rechtsstaatliche Garantien verweigern, die Sie demjenigen zubilligen, bei dem ganz konkrete Verdachtsmomente vorliegen?
Das ist der wirkliche Widerspruch in diesem Gesetz. Deshalb vermögen wir einer solchen Regelung nicht zuzustimmen.Ein dritter Komplex ist die globale Überwachungsmöglichkeit. Der Entwurf sieht vor, daß bestimmte Fernmeldebeziehungen überwacht werden können. Was heißt das, bestimmte Fernmeldebeziehungen? Heißt das etwa: der Fernmeldeverkehr eines bestimmten Bürgers mit einem bestimmten anderen, mit einem bestimmten Land, oder heißt das: der gesamte Post- und Fernmeldeverkehr einer bestimmten Region der Bundesrepublik mit einem bestimmten Land? Hier fehlt einfach die hinreichende Bestimmtheit eines so einschneidenden Gesetzes. Ich möchte bitten, daß die Bundesregierung von sich aus noch einmal darlegt, welche Vorstellungen sie mit dieser von ihr gewünschten Regelung verbindet.Meine Damen und Herren, dieses Ausführungsgesetz zu Art. 10 bringt aber auch eine Erweiterung der Sachverhalte gegenüber der von Ihnen beabsichtigten Änderung des Art. 10. Die Änderung des Art. 10 des Grundgesetzes, die Verfassungsbestimmung, die Sie neu einfügen wollen, soll die freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes schützen. In diesem Schutzinteresse sind sich alle Fraktionen dieses Hauses völlig einig. Aber nun wird in diesem Ausführungsgesetz, bei dem über die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen entschieden wird, ein neuer Begriff eingefügt. Hier heißt es nämlich bei den Schutzobjekten: „einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten . des Nordatlantikvertrags oder der im Land Berlin anwesenden Truppen einer der Drei Mächte".Meine Damen und Herren, das Ja der Freien Demokratischen Partei zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Schutz des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Bundeslandes ist völlig zweifelsfrei. Aber wir können nicht anerkennen, daß Grundrechtsbeeinträchtigungen auch dort möglich sein müssen, wo es nicht mehr um dieses deutsche Schutzinteresse geht, sondern wo es um alliiertes Schutzinteresse geht.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9555
GenscherDieses alliierte Schutzinteresse vermögen wir nur dort mit den Bestimmungen dieses Gesetzes zu decken, wo es deckungsgleich mit unserem deutschen Schutzinteresse ist. Es darf hier keine von uns anerkannte Interessendiskrepanz zwischen einem deutschen und einem nichtdeutschen, alliierten Schutzinteresse auf deutschem Boden geben.
Meine verehrten Damen und Herren, es kann ja auch der Fall eintreten, daß diese Interessendiskrepanz nicht nur zwischen den deutschen Schutzinteressen und den Interessen der Alliierten in ihrer Gesamtheit besteht, sondern ein solcher Interessenwiderstreit kann auch zwischen den Alliierten auf deutschem Boden entstehen. Was wollen Sie denn tun, wenn morgen in Frankreich eine andere Regierung, z. B. eine Volksfrontregierung, ein Verlangen nach diesem Gesetz stellt? Wie wollen Sie dann den Konflikt, diese Interessendiskrepanz auf deutschem Boden lösen?
Nein, meine Damen und Herren, hier kann unsere Zustimmung nicht gegeben werden.Hier hinein wirken auch die Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Vorbehaltsrechten zu stellen haben. In der Verbalnote der Bundesregierung heißt es, daß wirksame Maßnahmen ergriffen werden müssen. In der Verbalnote der Bundesregierung heißt es, ein Verwaltungsabkommen soll geschlossen werden. Ich frage die Bundesregierung, was ist beabsichtigt? Wollen Sie, wozu wir ja sagen, den normalen Nachrichtenaustausch zwischen Verbündeten vornehmen — das ist ohnehin durch die bestehenden vertraglichen Abmachungen längst sichergestellt —, oder wollen Sie in Zukunft auf der Grundlage der Zusagen in dieser Verbalnote auch konkrete von den Alliierten verlangte Überwachungsmaßnahmen auf deutschem Boden durchführen? Wollen Sie also etwa einem Verlangen der Alliierten in Zukunft Rechnung tragen, wonach ein bestimmter Bürger unseres Landes überwacht werden soll, weil irgendeine alliierte Dienststelle der Meinung ist, die Interessen ihrer Truppen seien verletzt? Meine Damen und Herren, dazu sagen wir entschieden nein; denn das wären die Vorbehaltsrechte in neuer Form. Nur derjenige, der die Maßnahme durchführt, wäre ein anderer, was aber für den Betroffenen gleichbleibt. Ich glaube, daß hier eine ganz eindeutige Klärung des Standpunktes erfolgen muß.Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Ablösung der Vorbehaltsrechte eine weitere Frage! Der Herr Staatssekretär des Bundespresse- und Informationsamtes hat in einer — so Agenturmeldungen — Erläuterung der Verbalnote erklärt: Durch die jetzt beabsichtigte Gesetzgebung erlöschen die Vorbehaltsrechte. Aber, so hat er hinzugefügt, wenn später beabsichtigt sei, diese Gesetzgebung einmal zu ändern, müßten normale Regierungsverhandlungen stattfinden.Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause, ob er zu dieser Gesetzgebung ja oder nein sagt, wird auf den törichten Einfall kommen, man könne jetzt diese Gesetze verabschieden, und in acht Tagen, wenn die Vorbehaltsrechte erloschen sind, könne man sie wieder aufheben oder verändern. Aber wenn diese Zusage, es müßten normale Regierungsverhandlungen stattfinden, bevor irgendwann einmal in Zukunft deutsches Recht in diesem Bereich geändert werden kann, wirklich gegeben werden soll, würde das eine unerträgliche Bindung der Gesetzgebung in unserem Land an ausländischen Willen darstellen, der wir unsere Zustimmung nicht geben können.
Ich kann die schwierige Position der Bundesregierung in dieser Frage verstehen. Als Vertreter der Opposition, die wie die Regierungsparteien diese Vorbehaltsrechte endgültig und ohne Restbestände durch eine deutsche Notstandsgesetzgebung ablösen will, möchte ich auch an die Alliierten appellieren, dieser frei gewählten deutschen Regierung nicht etwa z. B. in diesem Fall unzumutbare Bedingungen für eine künftige deutsche Gesetzgebung zu stellen. Über das, was in Deutschland in Zukunft Rechtens sein soll, entscheidet allein dieses frei gewählte Parlament, frei von Auflagen und frei von Verpflichtungen gegenüber irgend jemandem.
— Herr Kollege Hirsch, Sie sagen „völlig richtig". Das sage ich nun mit besonderem Ernst und mit besonderer Eindeutigkeit nicht nur an die Adresse der westlichen Alliierten, mit denen im Augenblick verhandelt wird, sondern ich sage es mit noch größerer Eindeutigkeit auch an die Adresse der Sowjetunion, die in diesen Tagen den Versuch unternimmt, diese rechtsstaatliche und demokratische Diskussion in Deutschland durch eine Einmischung in innerdeutsche Verhältnisse zu beeinflussen.
Wer in Sachen Rechtsstaat Ratschläge erteilen will, muß sich vorher in diesen Fragen eine gewisse Autorität im eigenen Bereich verschafft haben.
Eine besonders gravierende Bestimmung, die im Rahmen dieser Gesetzgebung geändert werden soll, ist der Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Herr Kollege Busse hat hier schon darauf hingewiesen, daß es sich bei dieser Bestimmung um eine wirklich tragende Bestimmung des deutschen Rechts handelt. Diese tragende Bestimmung des deutschen Verfassungsrechts soll nämlich dem Bürger in jeder Phase einer möglichen Beeinträchtigung seiner Rechte den Rechtsweg garantieren. Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie: schließen Sie gerade in diesem Bereich einer möglichen erheblichen Beeinträchtigung der Rechte des Bürgers diesen Rechtsweg nicht aus! Dieser Art. 19 Abs. 4 ist eine überragende Bestimmung. Wer diese Bestimmung in diesem Zusammenhang verändert, wer ihn mit diesem Gesetz durchbrechen will, meine Damen und Herren — durch eine Änderung, wie ich mich richtig zu ver-
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9556 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Genscherstehen bitte —, der gibt unserer Verfassungspolitik eine neue Richtung.Der bekannte Kommentar von Maunz-Dürig sagt:Die Stellung des Art. 19 Abs. 4 im Grundgesetz ist überragend.Professor Dürig, der zu den Befürwortern einer deutschen Notstandsgesetzgebung gehört, hat uns gestern telegraphiert: „Als ausdrücklicher Befürworter" — ich sage es noch einmal: „Als ausdrücklicher Befürworter" — „einer Notstandsgesetzgebung für den Verteidigungs- und Spannungsfall bitte ich dringend, bei Art. 10 Abs. 2 den Rechtsweg nicht auszuschließen." Art. 19 Abs. 4 wird von anderen bedeutenden deutschen Verfassungsjuristen genauso bewertet. Jellinek sagt, es sei ein königlicher Artikel. Thoma sagt, er sei der Schlußstein im Gewölbe des Rechtsstaates.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich: sehen Sie Art. 19 Abs. 4 von daher und überprüfen Sie noch einmal die Entscheidung, die Sie treffen wollen. Nehmen Sie auch für den vorverlagerten Fall der Kontrolle jene rechtsstaatlichen Sicherungen auf, die Sie demjenigen zubilligen wollen, der, meine Damen und Herren, schon in einem hohen Maße verdächtig ist.Wir sollten bei allen diesen Gesetzen, die wir heute und morgen beraten, niemals übersehen, daß sie das Gesicht des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verändern werden. Wir sollten nicht übersehen, daß wir mit unseren Entscheidungen der deutschen Verfassungspolitik eine neue Richtung geben können. Diese Richtung sollte so freiheitlich wie möglich sein, auch im Bereich des Art. 10 und seines Ausführungsgesetzes. Nach unserer Meinung aber erfüllt das, was Sie hier wollen, nicht diesen Anspruch.
Vizepräsident 'Schoettle: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herr Jahn..
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die Herr Kollege Genscher bezüglich der Verbalnote und ihrer Interpretation aufgeworfen hat, beantworte ich wie folgt.Erstens. Herr Kollege Genscher, ich glaube, es ist eine sehr einengende und nicht unproblematische Interpretation, wenn Sie sagen, das alliierte Schutzinteresse muß in jedem Falle deckungsgleich mit deutschem Schutzinteresse sein. Es gilt unverändert — daran sind wir gebunden und wollen wir gebunden sein — das Zusatzabkommen, in dem es in Art. 3 ausdrücklich heißt — ich zitiere:
In Übereinstimmung mit den im Rahmen des Nordatlantikvertrages bestehenden Verpflichtungen der Parteien zu gegenseitiger Unterstützung arbeiten die deutschen Behörden und die Behörden der Truppen eng zusammen, um die
Durchführung des NATO-Truppenstatuts und dieses Abkommens sicherzustellen.
Die in Absatz 1 vorgesehene Zusammenarbeit erstreckt sich insbesondere
a) auf die Förderung und Wahrung der Sicherheit sowie den Schutz des Vermögens der Bundesrepublik, der Entsendestaaten und der Truppen, namentlich auf die Sammlung, den Austausch und den Schutz aller Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind.Man wird in der Regel davon ausgehen können, daß auf der Grundlage dieses Vertrages eine weitgehende oder vollständige — wie Sie es genannt haben — Deckungsgleichheit vorhanden ist. Ob man aber mit dem Begriff deckungsgleich wirklich alle möglichen und notwendigen Tatbestände umreißen kann, ist eine Frage, die mir sehr problematisch zu sein scheint und zu der ich nur bemerken kann: Ich würde davor warnen, mit solchen Begriffen in eine Interpretation hineinzukommen, die nicht hilft, dieses Problem zu bewältigen. Basis für den Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen, ist das, was ich soeben aus dem Art. 3 zitiert habe.Ihre zweite Frage: Ist es denkbar, daß die Alliierten im Einzelfall aus konkretem Anlaß eine Prüfung verlangen können? Das ist denkbar, ist aber nur möglich, indem ein entsprechendes Ersuchen an die deutschen Behörden gerichtet wird, und diese deutschen Behörden haben dann in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob, in welchem Umfange, nach welcher Maßgabe einer solchen Bitte entsprochen werden soll. Die deutschen Behörden werden dadurch von den Bindungen, die im Gesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes festgelegt worden sind, in keiner Weise befreit, sondern unterliegen diesen Bindungen und damit ihrer eigenen Verantwortung in vollem Umfange.
Die dritte Frage: ob wir frei seien, unsererseits die Bestimmungen zur Ergänzung des Grundgesetzes zu ändern. Ich glaube, hier sollte noch einmal folgendes deutlich gesagt werden: Ganz gleich, ob es in dieser Frage einen Notenaustausch gibt oder nicht, unabhängig von dem Austausch dieser Noten, unabhängig von dieser Verbalnote und ihrem Text im einzelnen, — schon nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages erlöschen die alliierten Vorbehalte in dem Augenblick, in dem es eine eigene deutsche Gesetzgebung gibt. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Das bedeutet praktisch, das, was hier ergänzend gesagt wird, hat in allen Punkten lediglich eine deklaratorische und ergänzende Bedeutung, kann aber an dem Inhalt, dem klaren Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 nichts ändern. Das bedeutet, wenn diese Voraussetzung von unserer Seite erfüllt ist, d. h. wenn eine entsprechende deutsche Gesetzgebung verabschiedet ist, dann sind wir für die Zukunft auch frei in der Gestaltung unseres eigenen Verfassungsrechts, ohne jeden Vorbehalt, den es mit dem Inkrafttreten eigenen deut-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9557
Parlamentarischer Staatssekretär Jahnschen Verfassungsrechts in dieser Frage nicht mehr gibt.
Wenn aus irgendwelchen Gründen auf der Seite der Alliierten das Bedürfnis bestehen sollte, auf Grund einer dann veränderten Situation neue Rechte für sich begründen zu wollen, dann müßten sie darüber mit der Bundesregierung in Verhandlungen eintreten und eine neue rechtsbegründende Vereinbarung treffen.
Solange das nicht erfolgt, wird durch den dann im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts geschaffenen Zustand überhaupt nichts geändert, wenn wir selber an dieser Ergänzung des Grundgesetzes uns notwendig erscheinende Änderungen vornehmen sollten, zu denen wir nach Ablösung in jeder Weise frei sind.
Da Herr Staatssekretär Jahn jetzt auf Fragen des Abgeordneten Genscher geantwortet hat, gebe ich Herrn Abgeordneten Genscher noch einmal das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind hier wirklich im Zentrum der Problematik der Ablösung der Vorbehaltsrechte. Herr Staatssekretär, Sie haben selbst eingräumt, daß Situationen denkbar sind, in denen es keine Dekkungsgleichheit der deutschen und der alliierten Sicherheitsinteressen gibt. Darüber kann man in einem Bündnis sprechen. Was wir aber zu beanstanden haben, ist, daß ein deutsches Gesetz nach innerstaatlichem deutschem Recht diese Sonderinteressen, die ja sogar in einem Gegensatz zu den deutschen Interessen stehen könnten, berücksichtigen will. Das weisen wir zurück.
Wir möchten Sie herzlich bitten, diese besondere Nennung der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten fremden Truppen noch einmal zu überprüfen. Aus gutem Grunde haben Sie bei der Grundgesetzänderung diesen Sondertatbestand nicht eingeführt. Warum tun Sie es hier bei dem einfachen Gesetz? Ich will dabei gar nicht die Frage prüfen, ob denn insoweit die von Ihnen beabsichtigte Grundgesetzänderung auch das einfache Gesetz noch deckt; das ist eine zusätzliche verfassungsrechtliche Frage, die Sie sich mit allem Ernst stellen lassen müssen.
Nun haben Sie auf das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut verwiesen. Herr Staatssekretär, daraus gibt es Verpflichtungen. Aber es gibt keine Bestimmung im NATO-Vertrag und in den Zusatzverträgen zur NATO, die irgendeinen Mitgliedstaat der NATO zur Setzung eines bestimmten innerstaatlichen Rechts verpflichtet, und das sollte also auch für Deutschland in Zukunft so bleiben. Deshalb können Sie so etwas aus dem Zusatzabkommen nicht herleiten.
Nun die Frage der Aufträge oder Anforderungen von Überwachungsmaßnahmen der Alliierten! Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Wenn die Alliierten ein Überwachungsverlangen in bezug auf einen bestimmten Bürger der Bundesrepublik stellen, dann werden wir noch einmal in eigener Verantwortung prüfen, ob denn diesem Überwachungsverlangen — also etwa Abhören des Telefons — stattgegeben werden kann. Ich frage Sie zunächst einmal: Wo ist eine entsprechende Regelung im NATO-Bereich sonst noch vorhanden? Ich glaube, nirgends außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Aber dieses Ermessen der deutschen Behörden, Herr Staatssekretär, ist ja gar nicht mehr so groß, weil Sie sich eben durch den Einschluß der Sicherheitsinteressen der Alliierten auch durch deutsches Recht verpflichten, solche Maßnahmen durchzuführen. Deshalb sind wir so entschieden gegen diese Bestimmung.
Ein Letztes! Sie haben die Verpflichtung der Bundesrepublik, dieses Recht nicht zu ändern, als deklaratorisch bezeichnet. Wir sollten der Fairneß halber, auch im Verhältnis zu den Verbündeten, eine solche Verpflichtung ganz klar interpretieren. Die Übernahme von Verpflichtungen kann nicht deklaratorisch sein. Entweder wir haben eine Verpflichtung begründet, dann ist sie konstitutiv, oder wir haben sie nicht begründet. Das Wort „deklaratorisch", meine Damen und Herren, paßt nicht hierher. Ich sage noch einmal: Nach Agenturmeldungen — ich habe es nicht gehört; ich sage es mit allem Vorbehalt, aber ich bitte die Regierung, hierzu eindeutig Stellung zu nehmen — soll der Staatssekretär des Presse- und Informationsamtes gesagt haben: Zwar erlöschen die Vorbehaltsrechte, aber wenn wir in Zukunft in diesem Bereich das deutsche Recht ändern wollen, dann müßten vorher Regierungsverhandlungen mit den Alliierten stattfinden. Meine Damen und Herren, genau das wollen wir nicht. Ich bitte Sie, das noch einmal ganz eindeutig in negativer Beziehung klarzustellen. Ich glaube, das wäre sehr wichtig für das Verständnis und die Klärung der Frage, ob die Vorbehaltsrechte in diesem Bereich wirklich voll abgelöst sind oder ob es doch noch Verpflichtungen gibt, die den Status der Bundesrepublik gegenüber dem Status anderer NATO- Staaten als einen minderen erscheinen lassen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Genscher, vor noch nicht einer Stunde haben Sie zusammen mit Ihrer Fraktion dem Achten Strafrechtsänderungsgesetz ausdrücklich zugestimmt. Da gibt es einen Art. 5, in dem der Art. 7 des Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes eine neue Fassung erhält, die die Überschrift trägt — ich beschränke mich jetzt darauf, diese zu nennen —: „Anwendung von Strafvorschriften zum Schutz der Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes". Es ist doch gar keine ungewöhnliche Sache und auch eine von Ihnen mit entschiedene und mit getragene Sache, daß wir im Rahmen unserer Rechtsordnung die aus den Verträgen
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9558 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Jahnresultierende und von uns übernommene Pflicht erfüllen, das, was im Bereiche unserer Möglichkeiten und Pflichten liegt, zum Schutze der Alliierten bei uns zu tun. Um dies und um nicht mehr geht es.Ich muß Sie in einem Punkte berichtigen. Ich habe an keiner Stelle davon gesprochen, daß die Übernahme von Pflichten durch die Bundesrepublik Deutschland irgendeine deklaratorische Bedeutung hat. Ich habe ausdrücklich gesagt: Der Notenwechsel, der jetzt im Hinblick auf die Feststellung des Erlöschens der alliierten Vorbehaltsrechte erfolgt ist, hat deklaratorische Bedeutung, weil sich konstitutiv aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 klar ergibt: Wird die Bedingung erfüllt, daß deutsches Verfassungsrecht diese Fragen löst, so erlöschen die Rechte der Alliierten. Gäbe es gar keinen Notenwechsel, würde sich daran überhaupt nichts ändern. Die alliierten Vorbehaltsrechte würde genauso erlöschen.
Nur auf diesen Sachverhalt bezieht sich die Feststellung: Der Notenwechsel hat eine rein deklaratorische, keine neuen Rechte begründende Bedeutung.Die Übernahme von Pflichten geschieht im Rahmen unserer vertraglichen Bindungen und im Rahmen der freien Entscheidung, über die ich hier eben bereits gesprochen habe. Sie hat unmittelbar mit diesem Schritt der Ablösung nichts zu tun.Nun aber zu Ihrer letzten Frage. Ich glaube, das, was Sie hinsichtlich der Bundespressekonferenz gesagt haben — ich räume ein, der Wortlaut dieses langen Wechselspiels ist vielleicht nicht in allen Punkten ganz klar zu interpretieren —, ist dort nicht so gesagt worden, wie Sie es in Ihre Frage gekleidet haben. Ich will deutlich und eindeutig feststellen: Wenn der deutsche Verfassungsgeber es nach dem Inkrafttreten der eigenen Notstandsverfassung zu irgendeinem späteren Zeitpunkt für notwendig hält, diese eigene Verfassung zu ändern, ist er darin frei und nicht von irgendwelchen Zustimmungen der Alliierten abhängig.Ist damit Ihre Frage — so möchte ich jetzt doch in aller Form zurückfragen —, Herr Kollege Genscher, hinreichend klar beantwortet?
— Die Notwendigkeit irgendwelcher Konsultationen ist damit ebenfalls ausgeschlossen.
Dabei will ich der Vollständigkeit halber sagen: ob irgend jemand aus politischen Gründen — nicht aus völkerrechtlichen, nicht aus verfassungsrechtlichen, sondern aus politischen Gründen — solche Konsultationen für notwendig hält, ist eine völlig andere Frage und in jedem Falle eine freie Entscheidung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen von Herrn Staatssekretär Jahn, Herr Kollege Genscher, ist klar: es kann sich dann nur um Besprechungen handeln, wie sie zwischen Verbündeten selbstverständlich sein sollten. Wenn man irgend etwas ändern will, unterhält man sich darüber. Ich möchte noch einmal sagen: die antragsberechtigten Stellen sind nur deutsche Stellen, die eindeutig in eigener Verantwortung auf Grund der deutschen Gesetzgebung zu handeln haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. ReischL
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf nun wieder zu dem Anfang der Aussprache zurückkehren, und zwar zu den Einwendungen, die der Herr Kollege Busse gegen das Gesetz vorgebracht hat, und zu den Einwendungen, auf die die FDP-Fraktion ihren Antrag stützt, das ganze Gesetz abzulehnen.Ich darf einleitend gleich eine Bemerkung machen: es erstaunt mich etwas, daß ein derartiger Antrag hier gestellt wird. Denn was soll denn eigentlich geschehen, wenn das ganze Gesetz abgelehnt wird?
- Ein neues? Wir brauchen zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte — ich glaube, das ist jetzt klargeworden — auch ein Ausführungsgesetz zu Art. 10. Dieses Ausführungsgesetz ist in der entscheidenden Note dauernd erwähnt. Es kann doch gar keinen Zweifel daran geben, daß ein derartiges Gesetz — und zwar zusammen mit der Verfassung — vorliegen muß.Ich will aber jetzt auf die einzelnen Einwände eingehen, um noch einmal klarzustellen, daß dieses Gesetz wirklich allen rechtsstaatlichen Voraussetzungen Rechnung trägt. Zunächst einmal ist polemisiert worden gegen die Tatbestände. Es ist gesagt worden, man gebe demjenigen, gegen den ein dringender Tatverdacht vorliege, einen besseren Rechtsweg als demjenigen, der überwacht wird in diesem Raum vor einem dringenden Tatverdacht, wo nämlich nur Anhaltspunkte für einen Verdacht vorliegen. Hier habe also der Betreffende, wenn er schon zufällig etwas erfährt, weniger Rechte.Hierzu darf ich zunächst einmal eines sagen, was ich schon in der zweiten Lesung der Grundgesetzänderung bei Art. 10 gesagt habe: zwischen den beiden Fällen des Art. 2 — § 100 a der Strafprozeßordnung — und des Art. 1 § 2 Abs. 1 des Gesetzes besteht ein ganz grundlegender Unterschied. Während nämlich nach der Bestimmung der Strafprozeßordnung ein dringender Verdacht vorliegt, ein Ermittlungsverfahren also eingeleitet ist — zunächst der Polizei, dann der Staatsanwaltschaft, aber doch schon unter Leitung von Justizbehörden; dadurch ist es schon verhältnismäßig einfach, einem bestimmten Mann einen Rechtsweg zu geben, falls er draufkommt, weil er schon der Verdächtige ist, der in das Verfahren verwickelt wird —, ist es doch bei § 2
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9559
Dr. ReischlAbs. 1 völlig anders: hier ist zwar auch Bezug genommen auf Straftatbestände — und wir haben großen Wert darauf gelegt, das wissen Sie selber, Herr Kollege Busse, aus dem Rechtsausschuß, daß es dabei bleibt, daß nur Straftatbestände genannt werden, damit der Tatbestand ganz klar umrissen wird —, aber es steht doch in diesem Fall, wenn eine Überwachung angeordnet wird, noch gar nicht fest, daß derjenige, gegen den diese Überwachung angeordnet wird, überhaupt schuldig im Sinne des Gesetzes werden wird.
Das ist also eine völlig andere Situation. Die Überwachung dient auch einem ganz anderen Zweck. Sie dient doch oft nur dem Zweck, dahinterzukommen, daß sich hier etwas gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zusammenbraut. Der Betreffende, der da vielleicht in diesem Rahmen irgendwann einmal überwacht wird, ist gar kein entscheidender Mann in dieser Sache, sondern er ist irgendwie am Rande daran beteiligt. In Wirklichkeit wird sich später ein Strafverfahren oder ein Zuschlagen der Ermittlungsbehörden gegen ganz andere Leute richten. Aber man käme ja nie dahinter, daß sich hier etwas zusammenbraut, wenn man diesen Weg nicht eröffnete. Deswegen legen wir zwar Wert darauf, daß es etwas sein muß, was sich da zusammenbraut, was später strafrechtlich gewürdigt werden muß — daher die Straftatbestände, damit der Tatbestand klar ist —; aber es ist unmöglich, hier demjenigen, der völlig am Rande von dieser Überwachung betroffen wird, irgendwie einen Rechtsweg zu geben wie nach der Strafprozeßordnung.
Denn in diese Lage kann er ja gar nicht kommen. Er wird möglicherweise überhaupt nie verfolgt werden. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man hier, wenn man nicht das Ganze unwirksam machen will, einen Rechtsweg nach der Strafprozeßordnung verlangen kann.
Hier fehlt es einfach am konkreten Tatbestand, den man verfolgen könnte.Aber jetzt will ich gerade auch auf die großen Angriffe eingehen, die immer dagegen unternommen werden. Es wird argumentiert, hier würde der Art. 19 des Grundgesetzes beschränkt. Ich darf jetzt doch einmal mit Genehmigung des Präsidenten den Art. 19 vorlesen. Dort heißt es in Abis. 4:Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.
— Irgendein Rechtsweg; nicht d e r Rechtsweg, sondern einer von vielen, die es nach unserem Grundgesetz gibt. —Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Genau den wollen wir hier ausschließen; denn derpaßt hier nicht. Infolgedessen ist neulich durch dieGrundgesetzänderung in zweiter Lesung noch ein Satz angefügt worden, der ausdrücklich auf die Neufassung des Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes Bezug nimmt. Dort aber steht wiederum, daß an die Stelle eines Rechtsweges im Sinne des Art. 19 Abs. 4 eine Nachprüfung durch parlamentarische Organe und Gremien treten kann. Genau diesen Weg haben wir geschaffen, und das hat einen guten politischen — —
— Das ist auch ein Rechtsweg.
— Wir haben andere Fälle auch.
Es ist ein Ersatzrechtsweg,
der durch das Grundgesetz zugelassen ist, und zwar ein Ersatzrechtsweg, der — und wenn Sie noch so brüllen, meine Herren und Damen von der FDP, Sie werden mich nicht überzeugen — sehr viel besser ist als der ordentliche Rechtsweg, den Sie verlangen.
Ich bin ja schließlich selber Richter und muß wissen, wie die Sache ist. Es ist so, daß die Gerichte in einem solchen Vorstadium einfach überfordert sind. Das kann man nur immer wiederholen.
Was sollen die Gerichte denn in dieser Frage verfolgen? Zunächst einmal steht fest, daß der Betreffende es überhaupt nicht mitgeteilt erhalten darf. Er kann es also überhaupt nur zufällig erfahren.
— Nein, es ist nicht problematisch, weil das Ganze Unsinn wäre, wenn man diese Mitteilungspflicht einführen würde.
— Wie wollen Sie denn den Staat schützen, wenn Sie es nicht auf diese Weise machen?
Die Garantie ist eben hintennach gegeben, und zwar die Garantie, daß der Betreffende, wenn er es erfährt, sich an das zuständige parlamentarische Gremium wenden kann. Dieses parlamentarische Gremium ist mit der Arbeit der Dienste, um die es hier geht, vertraut. Es überwacht nämlich ständig diese Dienste und kann infolgedessen hier in wesentlich besserer Weise Ordnung schaffen, als ein Gericht das könnte. Wir haben doch immer den ganzen Ärger in soundsoviel politischen Strafverfahren gehabt, nämlich daß man Zeugen vom Hörensagen vernehmen mußte, daß man geheime Zeugen vernommen hat, die nicht öffentlich auftreten durften. Das ist doch für den Rechtsstaat sehr viel erträglicher, als wenn ein parlamentarisches Gremium in einer Verhandlung nun den Tatbestand feststellt
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9560 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. Reischlund — jetzt komme ich nämlich auf das Wichtigste —, wenn es sich um Mißbräuche handelt, diese Mißbräuche hier von der Tribüne dieses Hauses in aller Öffentlichkeit rügen kann. Das ist doch gerade der entscheidende Punkt.
Das ist doch schon in solchen Fällen geschehen, und das scheint mir der wesentlich bessere Weg zu sein, wesentlich besser als ein Rechtsweg vor ein Gericht, wo das Gericht dann, weil es den Tatbestand gar nicht genau feststellen kann, weil es die Zeugen noch nicht einmal öffentlich vernehmen kann, in Wirklichkeit Mißstände eben nicht in einem öffentlichen Verfahren, wie es sein müßte, aufdecken kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Rutschke!
Herr Kollege Dr. Reischl, darf ich Sie fragen, ob dieses Gremium, das aus fünf Bundestagsabgeordneten bestehen soll, öffentlich tagen soll.
Dieses Gremium tagt an sich nicht öffentlich.
— Herr Rutschke, glauben Sie, daß ein Gericht, das eine solche Sache verhandeln müßte, das in öffentlicher Verhandlung tun würde?
Das würde es doch auch nicht! Da wäre die Sache noch viel schlimmer, weil man dann nämlich die Gerichte für etwas mißbrauchte, für das sie nicht da sind, nämlich zur Kontrolle rein politischer Entscheidungen: ob sich für die Bundesrepublik etwas zusammenbraut und ob der zuständige Minister, der hier auf der Regierungsbank sitzt und der uns allen miteinander verantwortlich ist, in diesem Falle richtig gehandelt hat oder nicht. Eine solche Frage ist durch das Parlament zu prüfen, und deswegen ist dieses parlamentarische Gremium eher dazu berufen, das nachzuprüfen, als es jedes Gericht wäre.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
Bitte!
Nachdem Sie dieses Gremium als Ersatzrechtsweg bezeichnet haben, darf ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen würden, daß nach ganz einhelliger Meinung „Rechtsweg" im Sinne dieser Verfassungsbestimmung nur der Rechtsweg zu den Gerichten sein kann, also die Anrufung der staatlichen Gerichte, nicht irgendwelcher Gremien.
Wir haben durch die Änderung des Grundgesetzes die Möglichkeit geschaffen, einen anderen Weg zu gehen. Diese Änderung wird ja nun morgen endgültig verabschiedet werden. Damit ist dieser Weg für jene Fälle offen.
Wir haben übrigens schon einen anderen Fall, wo so etwas vorgesehen ist; es paßt nicht ganz, aber fast: Wir haben die Wahlprüfung, die das Parlament selber vornimmt und wo es als letzte Möglichkeit nur die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gibt. Diese ist hier nicht ausgeschlossen, denn natürlich ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig, wenn z. B. dieses Gremium oder der zuständige Minister die Verfassung verletzen. Das ist eine ganz andere Frage, und diese Möglichkeit wird nicht ausgeschlossen. Ich verstehe also nicht, wieso hier der Rechtsweg ausgeschlossen sein soll.
Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Even?
Bitte!
Herr Kollege Reischl, darf ich Sie zur Klarstellung daran erinnern, daß. die von uns jetzt vorgesehene Lösung in vollem Einklang mit der Menschenrechtskonvention steht, in deren Art. 13 es heißt:
Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen.
Ist Ihnen klar, daß unter diesen Begriff einer nationalen Instanz nicht nur Gerichte, sondern auch parlamentarische Gremien fallen?
Ich darf auf diese Frage antworten, daß das im Rechtsausschuß eingehend geprüft worden ist und daß wir diesen Weg eben auch deshalb für möglich hielten, weil wir der Auffassung sind, daß die nationale Instanz natürlich auch eine parlamentarische Instanz sein kann. Eine solche parlamentarische Instanz ist — ich muß es noch einmal sagen — in solchen Fällen, wo .es sich um reine Exekutivmaßnahmen, und zwar hochpolitischen Charakters, handelt, weiß Gott berufener, den zuständigen Bundesminister zu überprüfen, der vom Bundeskanzler bestimmt wird und der dann zusammen mit dem Bundeskanzler diesem Hause verantwortlich ist. Diesen Minister kann doch ein parlamentarisches Gremium wesentlich besser überprüfen, als das ein Gericht könnte, dem ja gar nicht alle Fakten vorgelegt werden könnten und das nicht einmal in öffentlicher Verhandlung tagen könnte.Ich kann nur immer wieder sagen — aber wir wollen das nicht ewig wiederholen -: ich halte diesen Weg für rechtsstaatlich, ich halte ihn für einen weit besseren Rechtsschutz, als er gegeben wäre, wenn der Weg an ein Gericht möglich wäre, weil ein parlamentarisches Gremium mehr Einblick in die Dinge hat, den Betreffenden besser schützen kann und weil es — und das bitte ich auch für das
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9561
Dr. Reischlganze Volk einmal zu überlegen — die Tribüne dieses Hauses hat, um eventuelle Mißstände vor aller Öffentlichkeit aufzudecken. Das kann kein Richter, das kann nur ein Abgeordneter dieses Hauses.
Ich darf abschließend noch eine kurze Bemerkung zu Ihren Einwendungen gegen den § 3 machen. Er zeigt doch noch viel deutlicher, daß hier der ordentliche Rechtsweg überhaupt nicht möglich wäre. Wie aus dem Gesetz ganz klar hervorgeht, richtet sich eine solche Maßnahme überhaupt nicht gegen eine Person. Vielmehr sind die Personen, deren Briefe, deren Telefongespräche überwacht werden, eigentlich nur gewissermaßen ein Mittel zum Zweck. Man will daraus nämlich nachrichtendienstliche Erkenntnisse gewinnen. Alles, was man sonst daraus erfährt — außer diesen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen —, darf überhaupt nicht verwertet werden, weder für noch gegen den Betreffenden. Es ist sozusagen in dem Augenblick, in dem die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse gezogen sind, endgültig tot und darf nirgends mehr auftauchen.Unter diesen Umständen wäre eine gerichtliche Kontrolle, selbst wenn einer dahinterkommt, eine reine Farce. Ich wüßte nicht, wie ein Gericht diese Maßnahme überhaupt nachprüfen sollte. Der Richter stünde vor einer Frage, mit der er sich noch nie befaßt hat und mit der er sich auch gar nicht befassen kann.Hier zeigt sich doch viel klarer als bei § 2, daß eben für diese nicht ins Strafverfahren hineinpassenden Dinge eine Kontrolle, wie wir sie sonst haben, nicht möglich ist, sondern nur die politische Kontrolle, die gegebenenfalls an die Öffentlichkeit kommen kann.Im übrigen glaube ich, daß gerade § 3, gegen den sich Herr Busse in einigen Punkten gewandt hat, allen rechtsstaatlichen Erfordernissen Rechnung trägt, indem er sehr klar umreißt, was damit gemacht werden darf und was nicht. Klarer kann man die Dinge nämlich kaum mehr ausdrücken, als sie im Gesetzestext stehen. Das ist ja mit ein Grund, warum andere Länder oder, man könnte beinahe sagen, alle anderen Länder solche Dinge weder in die Verfassung noch in ein Gesetz schreiben, sondern einfach machen. Wir sind nun in der Lage, daß wir sie in die Verfassung schreiben müssen, und wir sind in der Lage, daß wir ein Gesetz machen müssen, weil wir sonst die Alliierten aus der Sache nicht herausbringen. Wenn wir damit also erreichen, den Deutschen allein diese Kontrolle zu übertragen, dann ist mir ein so rechtsstaatliches Gesetz weiß Gott lieber als eine Sache, die — machen wir uns doch nichts vor! — wirklich am Rande der Legalität gemacht werden müßte, wie es auch in anderen Ländern geschieht, ohne daß sich jemand darüber aufregt; das muß man nämlich auch sehen.
Diese Länder sind beileibe keine undemokratischen, sondern höchst demokratische Länder, denen eben der Schutz ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung so wichtig ist, daß sie das in Kauf nehmen.Da ist mir aber unser in den Rahmen dieser Grundordnung passendes Gesetz weiß Gott ein besserer und vernünftigerer Weg und mit dieser parlamentarischen Kontrolle ein saubererer Weg, als es jeder andere sein könnte.Deswegen darf ich namens der Koalitionsfraktionen bitten, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle können froh sein, daß durch die Fragen unseres Kollegen Genscher dem Herrn Staatssekretär Jahn die Möglichkeit gegeben wurde, eine enorm wichtige politische Frage vor diesem ganzen Hause klarzustellen. Wir freuen uns, daß diese Klarstellung in dem Sinne erfolgt ist, Herr Staatssekretär, wie Sie es hier erklärt haben.Ich bedauere freilich, Herr Staatssekretär, daß Sie unsere Haltung zu dem politischen Strafrecht, das heute morgen erwähnt wurde, in diesem Zusammenhang zitieren. Wir haben gestern in der Fraktion dieses Problem sehr eingehend erörtert und einen Beschluß gefaßt, wonach wir alle Bemühungen dahin einsetzen sollen, daß für die Mitglieder ausländischer Streitkräfte in Deutschland kein anderes Recht gilt als für die Deutschen auch.
Das konnten Sie nicht wissen. Darum erwähne ich es hier.Aber wir haben heute mehrfach ' erklärt, daß wir trotz mancher Bedenken, die wir vorgetragen haben, diesem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen. Uns deshalb jetzt zu sagen: „Da habt ihr ja auch zugestimmt, und hier wehrt ihr euch gegen mögliche Sonderrechte der Alliierten", ist, glaube ich, nicht die richtige Art, wie man solche Dinge behandeln sollte.Eine andere Frage, die ich gleichfalls für wesentlich halte — damit komme ich auch auf das, was Kollege Reischl eben gesagt hat —, ist bisher in keiner Weise beantwortet. Wir möchten auch eine klare Antwort darauf haben, was das Wort „Telefonverbindung" in § 3 des Gesetzes bedeutet. Wir wünschen eine Erklärung der Regierung, die wir als verbindlich hinnehmen können; denn was der Kollege Schmitt-Vockenhausen dazu gesagt hat, war doch wirklich gar nichts, was mit dem Worte Telefonverbindung zu tun hat. Ich glaube, es liegt im öffentlichen Interesse — es ist jetzt nicht nur unser Anliegen —, daß bei einem solchen Gesetz klargestellt sein muß, was mit einem solchen Wort konkret gemeint ist. Erst dann werden die Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit erfüllt. Ich hoffe, diese Antwort wird noch von der Regierungsbank erfolgen.Ich danke aber auch dem Kollegen Reischl für manche Ausführungen, die er heute hier gemacht hat und die uns mit aller wünschenswerten Deutlichkeit
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9562 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Busse
zeigten, daß das richtig ist, was wir gerade nicht wollen.
Herr Kollege Dr. Reischl, vielleicht bemühen Sie sich einmal und holen sich den Kommentar von Maunz-Dürig, wahrlich Leute, die mit der politischen Frage hier nichts zu tun haben. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einmal hier vor dem Hause wörtlich zitieren:Nach Art. 19 Satz 1 ist grundsätzlich der Rechtsweg (= Gerichtsweg) (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung ...) gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt eröffnet. In Satz 2 wird festgelegt, daß die ordentlichen Gerichte zuständig sind, sofern nicht eine andere Zuständigkeit gegeben ist. Hieraus folgt,— und jetzt kommt das Entscheidende —daß die andere ,Zuständigkeit' Vorrang vor demordentlichen Rechtsweg hat, wenn es sich bei deranderen Zuständigkeit um ein Gericht handelt.Das ist der springende Punkt, so sieht die Rechtsprechung, so sieht die Wissenschaft diesen Art. 19.
Ich glaube, in diesem Zusammenhang von einem Ersatzgericht oder ähnlichem zu sprechen, ist eine Diktion, die der Bedeutung dieser Einrichtung der deutschen Rechtsstaatlichkeit nicht gerecht wird. Es ist nicht einmal ein Ersatzgericht, es ist ein Gremium von Parlamentariern, die nicht nach Rechtsgrundsätzen, sondern nach politischen Grundsätzen — wie Sie selbst sagen — zu entscheiden haben und die nicht in der Lage sind, dieses Hohe Haus anzurufen, sondern die schön geheim für sich behalten müssen, was sie an wichtigen Staatsgeheimnissen gewahr geworden sind. Das ist die Situation. Das ist das Gericht, das Sie loben, das ist das Gericht, von dem Sie sagen, es sei der bessere Rechtsweg, der hier geschaffen wurde. Ich muß mich — und ich glaube, hier im Namen aller meiner Freunde zu sprechen — dagegen verwahren, daß die deutschen Gerichte hier in diesem Hause eine solche Note ausgestellt bekommen.
Vollends deutlich wird das, was hier geschieht, nun durch das, was ich letzthin noch ansprechen will. Damit will ich mich dann beschränken, aber auch das muß jetzt mit aller Deutlichkeit, nachdem Sie es so vorgetragen haben, gesagt werden. Ich stelle noch einmal völlig klar: Der Mann, gegen den begründeter Verdacht besteht, daß er schwerste Verbrechen zu begehen gewillt ist, genießt Rechtsschutz, der Bürger, gegen den vage am Horizont irgend etwas auftauchen könnte — wir wissen ja gar nicht mal was, weil es nicht faßbar ist —, genießt keinen Rechtsschutz. Hier ist uns das Interesse des Bürgers, der zunächst als unschuldig anzusehen ist, wichtiger als das Interesse dessen, gegen den bereits der begründete Verdacht staatsgefährdender Handlungen besteht. Diese Nuancierung werden Sie nicht aus der Welt schaffen können. Was dem einen recht ist, muß dem anderen doppelt billig sein.
Wie man es macht, darüber sind wir bereit mit uns reden zu lassen. Darum ist ein neues Gesetz erforderlich, weil sich dann eine Fülle von Problemen ergeben. Daß es aber nicht gemacht werden kann mit diesem „besseren Rechtsweg" durch Parlamentarier, meine Damen und Herren, das sollte eigentlich dem letzten klargeworden sein.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in diese Debatte nur kurz einschalten. Vieles von dem, was heute behandelt worden ist, ist ja anläßlich der zweiten Lesung bereits diskutiert worden. Ich möchte aber im Anschluß an das, was Herr Kollege Busse eben gesagt hat, noch ein paar Bemerkungen machen.
Herr Busse, zunächst einmal sind Sie wieder auf die Frage, die Sie mit Herrn Staatssekretär Jahn bereits erörtert haben, zurückgekommen, wie das mit Sonderrechten für die Alliierten ist. Lassen Sie mich dazu sagen, daß nach meiner Überzeugung der Umstand, daß es alliierte Truppen auf dem Gebiete der Bundesrepublik gibt, im Interesse der Bundesrepublik liegt.
Insofern deckt sich unser Interesse mit dem Interesse der Alliierten. Dies schließt natürlich — wie ich Ihnen einräumen will — einen Konflikt im Einzelfall nicht aus. Aber überragend ist doch wohl das Allgemeininteresse, das wir haben, durch die Anwesenheit der alliierten Truppen diese für uns wichtige Garantie zu haben. Dabei muß man natürlich auch respektieren, daß diese Truppen hier eigene Interessen haben, an die sie neben uns zu denken haben. Wir werden darauf auch Rücksicht zu nehmen haben. Das ist doch an sich selbstverständlich. — Frau Diemer-Nicolaus!
Eine Zwischenfrage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß alliierte Truppen, Truppen der NATO, wenn sie nicht in Deutschland, sondern, sagen wir, in Holland oder Belgien stationiert sind, dort in gleichem Umfange den Interessen des betreffenden Landes dienen, daß es dann aber nicht richtig ist, daß wir hier in Deutschland andere Beschränkungen hinsichtlich der Anwendung unserer Strafgesetze haben, als es in Holland oder Belgien der Fall ist?
Frau Kollegin, ich glaube, wir sollten die Frage aus der Sicht der Interessen unseres Landes entscheiden. Belgien, Holland und andere Länder, die Sie nennen mögen, haben nach eigenem Ermessen zu entscheiden, was sie für ihren Bereich für richtig halten.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9563
Bundesminister BendaFür uns möchte ich sagen, daß es mir in unserem Interesse zu liegen scheint, wenn wir davon ausgehen, daß sich das Allgemeininteresse — ich wiederhole: das Allgemeininteresse — der Alliierten mit unserem eigenen Interesse deckt. — Bitte sehr, Frau Dr. Diemer-Nicolaus!
Eine zweite Frage, Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Mini-. ster, ist es nicht auch eine eminent wichtige politische Frage, daß alle NATO-Partner in dem NATO-Bündnis gleichbehandelt werden und daß das auch für Deutschland gilt, das ja einen sehr erheblichen Beitrag für die NATO leistet?
Ich glaube nicht, Frau Kollegin, daß Sie begründet hier darlegen könnten, daß die Bundesrepublik im Rahmen der NATO irgendwie nicht gleichberechtigt wäre.
— Aber entschuldigen Sie, das ist doch keine Frage unserer Stellung innerhalb der NATO, sondern es sind eigene Regelungen, die wir in eigener Zuständigkeit treffen und — ich sage es erneut — im eigenen Interesse für richtig halten.
Ein zweiter Punkt. Herr Kollege Busse hat nach der Formulierung in § 3 gefragt. Nun zeigt sich bei dieser Gelegenheit wieder, daß Sie und Ihr Kollege Dorn leider das Gespräch im Bundeskanzleramt vorzeitig verlassen haben.
Über dieses Thema haben wir uns schon in der zweiten Lesung unterhalten. Dort ist zur Entwicklungsgeschichte der gegenüber der Regierungsvorlage geänderten Fassung manches gesagt worden. Ich bitte Sie, zu vergleichen — das ist ja in der Drucksache V/2930 nebeneinandergestellt —, wie die ursprüngliche Fassung aussah und wie die jetzige Fassung aussieht. Nur aus dem Gesamtzusammenhang ist erkennbar, was gemeint ist, wenn hier von „Post- und Fernmeldeverkehrsbeziehungen" die Rede ist.
— Darf ich das, Herr Genscher, eben mal darlegen. Sie können sich mit meinen Gedankengängen besser auseinandersetzen, wenn Sie sie gehört haben. Dazu stehe ich gern zur Verfügung. Ich bringe eben einmal diesen Gedanken zu Ende, und wenn Sie dann eine Frage haben, dann von mir aus sehr gern.
Ich glaube nicht — ich meine das nach den vielen Diskussionen auch sagen zu können, die wir im Ausschuß insbesondere über diese Frage gehabt haben —, daß zwischen der Formulierung auf der linken Seite, d. h. der Formulierung des Regierungsentwurfs - „bestimmte Bereiche des Post- und Fernmeldeverkehrs" — und der Formulierung des
Rechtsausschusses — „Post- und Fernmeldeverkehrsbeziehungen" — ein sachlicher Unterschied besteht. Der Sinn dieser Geschichte ist — und deswegen ist es notwendig, den Gesamtzusammenhang dieser Vorschrift zu sehen —, daß durch die erste Fassung und, wie ich meine, durch diese Neuformulierung, über deren sprachliche Schönheit man sich übrigens durchaus streiten kann, zum Ausdruck gebracht wird, was im zweiten Teil des Abs. 1 steht: es geht um die Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte, nicht um die Überwachung von Personen, um irgendwelche Aktionen gegen bestimmte Personen, durchzuführen. Es geht um die Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte zu einem bestimmten Zweck. Dieser Zweck steht dann im nächsten Satz: nämlich um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.
Daß ausgeschlossen werden soll, daß das zum Nachteil von Personen verwendet wird, ergibt sich mit voller Eindeutigkeit aus dem nachfolgenden Abs. 2, in dem das ausdrücklich und detailliert gesagt worden ist. Das war jetzt die Darstellung. — Herr Genscher, wenn Sie jetzt eine Frage haben, bitte sehr.
Herr Bundesminister, nachdem Sie gerügt haben, daß die Kollegen Dorn und Busse eine Besprechung im Bundeskanzleramt vorzeitig verlassen und damit auf Informationen verzichtet haben, würden Sie mir bitte hier zugestehen, daß den Teilnehmern dieser Besprechung zur Auflage gemacht wurde, die Informationen, die sie dort erhalten, auch ihren Fraktionen nicht weiterzugeben?
Herr Genscher, erstens habe ich gar nichts gerügt. Ich habe auch gar nichts zu rügen. Ich habe das mit Bedauern noch einmal gesagt, und das Bedauern dauert um so mehr an, als Sie, obwohl Sie feierlich verkündet haben, daß und warum Ihre Kollegen nicht daran teilgenommen haben, dennoch hier Mitteilungen über den Inhalt dieser Besprechungen machen, von denen Sie eigentlich gar keine Kenntnis haben können.
Es war nämlich genau umgekehrt, Herr Genscher. Nachdem wir dieses Gespräch geführt hatten, kamen wir eigentlich alle, so wie wir da saßen, zu dem Ergebnis, daß man über den wesentlichen Inhalt ohne weiteres sprechen könne.
Das ist dann im Rechtsausschuß auch geschehen. Da haben Sie dann alles zur Kenntnis nehmen können. Wir sind heute eigentlich in der Lage, uns mit den Fragen, die dort eine Rolle gespielt haben, auseinanderzusetzen. Wären Sie dabei gewesen, dann hätte es diese für mein Empfinden ganz überflüssige Diskussion gar nicht geben können.
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Bundesminister Benda Das zu diesem Punkt.
Jetzt komme ich kurz noch einmal auf den eigentlichen Kern der Ausführungen der Kollegen von der FDP, vor allem des Herrn Busse.
Meine Damen und Herren, ich möchte keinen Augenblick lang behaupten, daß es eine einfache oder auch nur eine angenehme Sache sei, daß der Staat in einem bestimmten Umfang Telefone abhören muß, Briefe öffnen muß oder so etwas. Aber, meine Damen und Herren, seien wir doch wirklich nicht heuchlerisch! Tun wir doch nicht so, als ob sich dieses Problem nicht stelle oder als ob es sich durch eine Formulierung im Bereich des Art. 19 des Grundgesetzes — ich komme im einzelnen noch darauf — in irgendeiner Weise ausgleichen lasse!
Ich will jetzt keine großen rechtsvergleichenden Hinweise geben. Ich zitiere nur eine Zusammenfassung aus einem Aufsatz, die ein wirklich unverdächtiger Zeuge, Herr Professor Sax, in der Juristenzeitung 1964, Seite 41, nach einer detaillierten Übersicht über die Regelung in vergleichbaren Staaten vorgenommen hat. Ich zitiere also die Gesamtfeststellung von Herrn Professor Sax, die dahin geht:
Diese Praxis
— nämlich der Post- und Telefonüberwachung —
bildet bisher in kaum einem ausländischen Staat ein Problem, das zu verfassungsrechtlichen oder gar politischen Schwierigkeiten geführt hätte. Entweder wird das Telefonabhören von der Exekutive als eine undiskutierbare, feststehende Befugnis in Anspruch genommen, oder es ist durch Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zugelassen, oder es wird schließlich ohne eine solche Regelung als allgemein üblich und zulässig erachtet.
Das ist nicht mein Ideal, meine Damen und Herren, um das hier noch einmal zu sagen. Aber das ist die Situation. Und nun nennen Sie mir bitte einmal das Land, in dem das anders wäre! Ich wäre sehr interessiert, das zu hören.
Nun kommen Sie mir bitte nicht mit dem Hinweis, der auch in den öffentlichen Diskussionen dieser Tage so beliebt ist und der sich so leicht bringen läßt, weil er so unglaublich oberflächlich ist: daß das, was für andere Staaten gelte, für uns nicht gelte. Meine Damen und Herren, für unser Land gilt genauso wie für jedes andere Land in unserem Bereich, daß wir es mit der Tätigkeit von Geheimdiensten und Agenten in unserem Land zu tun haben. Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Wir unterscheiden uns von anderen Ländern auch insofern nicht. Auch bei uns — das wird für Sie doch wohl keine Überraschung sein — arbeiten diese Geheimdienste und Agenten nicht im Offenen, sondern unter Tarnung und Deckung. Nun würde ich gern einmal wissen: Wie soll eine Behörde wie z. B. das Bundesamt für Verfassungsschutz — ich sage es zum wiederholten Male, und ich glaube, man kann es nicht oft genug sagen: eine Behörde, deren pflichtgemäße Aufgabe der Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung gegen ihre Feinde ist — tätig sein, wenn sie im Offenen arbeitet und es mit einem Gegner zu tun hat, der aus der Dekkung gegen sie vorgeht? Das würde ich gern einmal wissen, wie das geht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fargen: Haben Sie eigentlich nicht gehört, daß wir der Telefonüberwachung durchaus zustimmen? Wir wollen bloß rechtsstaatliche Garantien haben, die gemäß unserer Verfassung eingehalten werden müssen.
Herr Kollege Rutschke und Herr Genscher, der im Zwischenruf gefragt hat, mit wem ich mich auseinandersetze: Mit Ihnen setze ich mich auseinander.
Haben Sie doch die Geduld, mir einmal zuzuhören, damit ich Ihnen meine Argumente geben kann! Dann kommen Sie, wenn Sie bessere Argumente haben, und reden Sie dagegen!
Ich würde jetzt gerne einmal hören, wie man den Rechtsweg gestalten soll. Ich stimme Ihnen, nebenbei gesagt, in einem Punkte zu. Ich glaube, Herr Genscher, Sie haben es gesagt. Die Änderung des Art. 10 setzt an die Stelle des Rechtswegs die Kontrolle durch ein parlamentarisches Gremium. Das ist kein Rechtsweg im juristischen Sinne. Das ist, wenn Sie wollen, ein Ersatzrechtsweg oder ein Rechtsweg-ersatz. Insofern würde ich dem, was Herr Reischl gesagt hat, wenn ich es vorhin richtig verstanden habe, nicht zustimmen. Aber ich würde gern einmal von Ihnen hören, wie das. praktisch eigentlich vorgehen soll. Wenn jemand zum Gericht geht, wenn Sie diesen Rechtsweg eröffnen, und sagt: Bei mir wird abgehört, dann soll also der Richter darüber entscheiden. Wie macht der Richter denn das? Derjenige, der abgehört wird, pflegt keine Beweise mitzubringen, die hat er nämlich nicht. Er teilt also mit, bei ihm knackt es in der Leitung. Das kennen wir alle schon.
Da fallen einem ja auch Anekdoten aus diesem Haus ein, wie das hier gelegentlich einmal gesagt worden ist. Aber mittlerweile hat sich ja in manchen Fällen herausgestellt, daß das kein hinreichender Beweis ist. Wie soll das vorgehen? Da kommt eine Klage auf Feststellung oder Unterlassung; so etwas würde es ja sein. Soll dann in der Gerichtsverhandlung, vielleicht in einer öffentlichen Verhandlung, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder der BND,
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Bundesminister Bendaoder wer immer zuständig ist, sein Material auspacken und mitteilen, wo man abhört und wo nicht? Ich würde ganz gern einmal von Ihnen wissen, wie man die Erfordernisse der Praktikabilität mit den Forderungen, die Sie hier stellen, in Einklang bringen soll.Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt erwähnen. Dann werde ich mit Vergnügen hören, wie Sie mir klarmachen können, wie man das macht. Was ist mit der Benachrichtigungspflicht, nach der Sie fragen, die Sie verlangen? Wissen Sie, was die Benachrichtigungspflicht für eine höchst praktische Folge haben würde? Wenn es einen Agenten gibt, der nicht ganz sicher ist, ob das, was er tut, überwacht wird oder nicht, dann bietet sich ihm, wenn Ihren Anträgen und Ihren Vorstellungen gefolgt wird, ein sehr einfacher Weg an. Er geht dann vor das zuständige Verwaltungsgericht mit der Behauptung, bei ihm werde abgehört und man habe es unerhörterweise versäumt, ihm darüber Nachricht zu geben. Dann wird derjenige, von dem das behauptet wird, veranlaßt werden, vor Gericht zu gehen und zu versichern: Nein, er hört nicht ab, und das womöglich zu beweisen. Das ist dann für den Agenten, der das macht, die amtliche Bescheinigung, mit einem Gerichtssiegel noch schön unterstempelt: Bei ihm ist alles in bester Ordnung. Er kann also sein Geschäft so, wie er es bisher betrieben hat, in Zukunft weiterführen.
Meine Damen und Herren, was sind das für, ich schwanke zwischen den Bezeichnungen. romantische und absurde Vorstellungen!
Ich halte genau das für richtig, was Herr Kollege Reischl hier und andere Kollegen schon bei früherer Gelegenheit gesagt haben. Für mein Empfinden gibt es im Interesse des Bürgers, der vor jeder unberechtigten Maßnahme geschützt werden soll, keine stärkere Garantie als ein Gremium von Mitgliedern dieses Hauses — wenn wir zu ihm nicht mehr das Vertrauen haben, dann frage ich, wer sonst es eigentlich haben soll —, die wir nach unserer eigenen Entscheidung einsetzen. Dann werden wir doch wohl Kollegen nehmen — ich hoffe jedenfalls, daß das Haus das tun wird —, bei denen Sie die Gewähr haben, daß sie dort nicht sitzen, um irgendwelche Stempel oder irgendwelche Erlasse zu drucken, sondern daß sie mit Gewissenhaftigkeit und mit kritischem Verstand an die Dinge herangehen und sich nicht scheuen, eine Maßnahme, die sie für unberechtigt halten, dann auch als solche zu bezeichnen. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und diesen Weg 'sollten wir gehen. Die Vorstellungen, die die FDP hier vertritt, sollten wir ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über diese wichtige Frage ist bisher, bis zur Wortmeldung des Herrn
Bundesministers des Innern, mit dem notwendigen Ernst und auf der notwendigen Ebene geführt worden. Ich kann Ihnen das nicht konzedieren, Herr Bundesminister.
Darf ich in Erinnerung bringen, Herr Bundesminister, daß ich vor wenigen Minuten von diesem Pult aus gesagt habe: „Ich glaube, in der Tat wird bei keiner der Einzelbestimmungen der Notstandsgesetzgebung die Gesamtproblematik so deutlich wie hier. Hier ist auf der einen Seite das berechtigte Sicherheitsinteresse auch des demokratischen Rechtsstaates zu wahren." Nach dieser für meine Fraktion von mir abgegebenen Erklärung, die auch von anderen Rednern meiner Fraktion wiederholt worden ist, ist es nicht angängig, in Zweifel zu stellen, ob wir etwa überhaupt auf diese Möglichkeiten einer Überwachung, einer Sicherung des Rechtsstaates verzichten wollen. Hier geht es darum, meine Damen und Herren, daß wir prüfen, ob ein Verfahren, das Sie vorschlagen, auch für den anderen Komplex der Telefon- und Briefüberwachung möglich ist. Die Regierungskoalition schlägt in der Vorlage einen § 101 Abs. 1 vor, der folgenden Wortlaut hat:
Von den getroffenen Maßregeln ... sind die Beteiligten zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks geschehen kann.
Das heißt, in dem Fall, in dem ein sehr bestimmter Verdacht vorhanden war, ist, sobald der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet wird, der Betreffende zu informieren, er hat die Möglichkeit des Rechtsweges, und vorher hat ein Richter angeordnet. Herr Bundesminister, wenn Sie das für richtig halten, ist es einfach nicht am Platze, daß Sie diejenigen ironisieren, die eine solche rechtsstaatliche Sicherung nicht nur für denjenigen haben wollen, gegen den ein konkreter Verdacht vorliegt, sondern auch für denjenigen, gegen den nicht einmal ein konkreter Verdacht, sondern nur Anhaltspunkte vorhanden sind. Ich glaube, das müssen Sie klar anerkennen. Wir sollten uns hier wirklich nicht gegenseitig etwas unterstellen, was einfach auch aus der Haltung der Freien Demokratischen Partei in allen diesen Fragen nicht gerechtfertigt ist.
Das, Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, ich bin Ihnen eine Antwort schuldig. Es besteht ein ganz wesentlicher praktischer Unterschied zwischen dem Strafverfahren nach den Regeln der Strafprozeßordnung, insbesondere § 101, auf den Sie soeben hingewiesen haben, und den Verfahren im Bereich des § 2 des Gesetzentwurfes, von dem wir hier reden. Das Strafverfahren muß nämlich innerhalb einer angemessenen, möglichst kurzen Frist zu Ende gebracht werden. Die Beobachtung eines Verdächtigen durch das Bundesamt für Verfassungs-
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Bundesminister BendaSchutz — nicht im Hinblick auf ein Strafverfahren, sondern im Hinblick auf Verfassungsschutzinteressen oder zum Zwecke des Verfassungsschutzes — ist eine Sache — dafür gibt es eine Reihe von praktischen Beispielen —, die sehr, sehr lange Zeit, unter Umständen Jahre dauern kann; es gibt eine Reihe von Fällen auch der jüngeren Zeit, in denen das Untersuchungsverfahren Jahre dauert. Und nun sagen Sie mir bitte nicht, man könne dann ja ruhig etwa hineinschreiben, die Mitteilung soll dann sein, wenn der Untersuchungszweck oder der Zweck der Angelegenheit nicht mehr gefährdet ist. Dann, fürchte ich, müßte ich meine Bezeichnung, an der Sie sich gestoßen haben, wiederholen. Was ist das für eine Sache, bei der man jemandem sagt: Na gut, wir schreiben das hinein, aber der Untersuchungszweck ist immer gefährdet, denn auch nach Monaten oder im Einzelfall nach Jahren kann es ja sein, daß eine solche Maßnahme nach § 2 noch notwendig ist. Dann würden wir in der Tat nicht nur das, was von Ihnen gewünscht wird, nicht erreichen, sondern wir würden dem Betroffenen dann auch noch Steine statt Brot geben; und darauf würde, fürchte ich, der Ausdruck, an dem Sie sich gestoßen haben, erst recht zutreffen.
Das Wort hat Herr Dr. Reischl. Als Berichterstatter?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will, nachdem der Herr Bundesinnenminister alle die Punkte, die vorhin behandelt worden sind, schon klargestellt hat, nicht noch einmal darauf eingehen. Aber gegen eine Unterstellung, die Herr Busse gemacht hat, will ich mich hier doch in aller Form verwahren. Herr Kollege Busse, Sie haben unterstellt, ich hätte den Gerichten eine schlechte Note ausgestellt. Das ausgerechnet mir zu unterstellen, ist an sich schon eine bemerkenswerte Sache; denn ich glaube kaum, daß ich als Richter von Beruf gegen die Gerichte und gegen meine eigenen Kollegen so leichtfertig etwas sagen würde. Aber Sie haben mir auch praktisch, das muß ich sagen, das Wort im Munde umgedreht. Denn ich habe nicht gesagt, ich hielte die Gerichte wegen ihrer Zusammensetzung usw. nicht für geeignet, sondern ich habe etwas gesagt, was der Bundesgerichtshof selber in der vorigen Legislaturperiode zu der damaligen Vorlage, die mit Ihren Ministern zusammen eingebracht worden ist, gesagt hat.
Damals sollte nämlich ein Senatspräsident des Bundesgerichtshofs darüber entscheiden, ob so etwas gerechtfertigt ist, und da hat der Bundesgerichtshof eindeutig gesagt, das wäre eine Überforderung der Gerichte. Sie werden doch wohl nicht behaupten wollen, daß der Bundesgerichtshof als das oberste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Gerichte schlecht machen wollte.
Er hat nur das ausgesprochen, was in diesem Falle richtig ist, daß nämlich die Gerichte überfordert wären, daß das Verfahren eine Farce wäre und daß infolgedessen nur dieser von der Verfassung in Zukunft zugelassene — das müssen Sie in diesem Zusammenhang auch immer sehen — Ersatzweg zu einem wirklich wirksamen Schutz des Bürgers führen kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ich bin nicht so, also bitte sehr!
Herr Kollege Reischl, würden Sie einem juristisch und richterlich Ungebildeten zur Verbesserung seines Allgemeinwissens vielleicht auch sagen, ob eine ähnliche Handhabung in anderen demokratischen europäischen Staaten in gleicher Art als Ersatz für ein Gericht möglich ist?
Herr Kollege Ertl, ich will es nicht noch einmal wiederholen; es ist hoffnungslos.
Ich habe doch vorhin mit aller Klarheit gesagt, daß kein anderer Staat gezwungen ist, für so etwas ein Gesetz zu machen und hier nun einen Weg zu suchen. Dort macht man es, und es gibt überhaupt keinen Weg dagegen. Bei uns wird man es in Zukunft auf Grund der Verfassung, auf Grund eines Gesetzes tun, und dieses Hohe Haus, zu dem wir selber doch weiß Gott Vertrauen haben sollten, wird die Kontrolle darüber ausüben. Das scheint mir in diesem Falle der richtige Weg zu sein. Diese fünf Abgeordneten können an das Hohe Haus gehen, sie werden es tun, wenn sie Mißstände aufdecken, und sie dürfen es auch tun. Hier wird mir der Herr Bundesinnenminister sicherlich recht geben. Das gehört in diesem Falle zur parlamentarischen Kontrolle, und dieser Weg ist besser und — und darauf kommt es an — im Rechtsschutz wirksamer für den Bürger als der Weg eines Gerichtsverfahrens, das nach der Lage der Dinge nur eine Farce sein könnte.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.Ich lasse zunächst über den Art. 1 abstimmen. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Enthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen ist der Art. 1 angenommen.Art. 2! — Wer ihm zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?— Bei Gegenstimmen und Enthaltungen ist der Art. 2 angenommen.Art. 3! — Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?— Art. 3 ist mit Mehrheit angenommen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9567
Vizepräsident ScheelArt. 4! — Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Art. 4 ist mit Mehrheit angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einleitung und Überschrift. Wer Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einleitung und Überschrift sind mit Mehrheit angenommen.Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes— Drucksache V/2361 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache V/2934 —Berichterstatter: Abgeordneter Klinker
Zu Art. 1 liegt ein Änderungsantrag* der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Bei diesem Änderungsantrag handelt es sich lediglich um eine redaktionelle Klarstellung, die erforderlich geworden ist, weil es unter den Rechtsgelehrten Zweifel gegeben hat, ob der vom Rechtsausschuß beschlossene Text wirklich dem entspricht, was gemeint war. Es geht darum, daß eine Beschränkung der Rechtsmittel naturgemäß auch vorgesehen sein muß gegen Maßnahmen, die sich aus Verordnungen ergeben, und nicht nur, wie es in der Drucksache steht, gegen Maßnahmen auf Grund von Gesetzen. Es wäre sehr merkwürdig, wenn dann aus den Verordnungen volle Rechtsmittel bestünden, auf Grund der Gesetze aber nur beschränkte Rechtsmittel. Es geht also nur um diese Klarstellung und um die Einfügung des in dem Umdruck unterstrichenen Satzes, der eigentlich eine Selbstverständlichkeit ausdrückt. Ich bitte um Zustimmung.
Zu dem Gesetzentwurf hat Herr Abgeordneter Busse das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Namens meiner Fraktion möchte ich zu Beginn dieser Beratungen eine Erklärung abgeben.
Die letzte Woche vor dieser Sitzung war sicher keine Woche, die als eine dem Parlament besonders dienliche und nützliche in die Geschichte dieses Hauses eingehen wird. Im Gegenteil! Ich glaube, ich bin mindestens mit sehr vielen Mitgliedern dieses Hauses einig darüber, daß die Prozedur bei der Behandlung und Beratung der jetzt anstehenden
*) Siehe Anlage 3
Gesetzentwürfe in den Ausschüssen eine solche gewesen ist, die nur mit großem Mißbehagen betrachtet werden kann. Diese Prozedur hat dazu geführt, daß eine wirklich gründliche und sachliche Beratung der Gesetze in den Ausschüssen nicht möglich war.
So ist z. B. im Rechtsausschuß in der telegrafisch einberufenen Eilsitzung in einer freien Woche bei allen Gesetzen lediglich die Frage beraten worden, wie diese Gesetze der Verfassungsänderung angepaßt werden könnten, wie sie in zweiter Lesung hier beschlosseen war. Alle anderen Fragen aber wurden bewußt ausgeschlossen. Das ist ein Beweis dafür, daß alles das, was zu erörtern notwendig war, nicht erörtert worden ist.
In anderen Ausschüssen ist es ganz einfach so gewesen, daß es in Anbetracht des Umstandes, daß die Sitzungen in eine sitzungsfreie Woche verlegt wurden, unsere Kollegen aber für diese sitzungsfreie Woche Dispositionen getroffen hatten, die nicht von heute auf morgen geändert werden konnten, unseren Mitgliedern einfach nicht möglich war, an den Sitzungen teilzunehmen. Diese Umstände haben dazu geführt, daß die erhebliche Problematik, die mit diesen Gesetzen verbunden ist, in unserer Fraktion nicht hinreichend hat behandelt werden können. Ich will hier nur das Problem der generellen Verfassungsmäßigkeit der Verfassungskonformität dieser Gesetze ansprechen. Ich darf daran erinnern, daß — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Herr Kollege Busse, Sie beklagen den Umstand, daß Sie in Ihrer Fraktion nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, die Materie noch einmal durchzudiskutieren. Erinnere ich mich richtig, daß Sie persönlich sich bereits vor drei Jahren entschlossen hatten, einer viel schärferen, wenn ich es einmal so sagen darf, Notstandsregelung zuzustimmen?
Sie erinnern sich nicht richtig, Herr Kollege
— entschuldigen Sie, darf ich zu Ende sprechen —, denn ich gehöre zu denen, die damals einer solchen Regelung nicht zugestimmt haben. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß beim Wirtschaftssicherstellungsgesetz seinerzeit namentliche Abstimmung stattgefunden hat und daß ich mit zu denen gehört habe, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen das Gesetz gestimmt haben. Es tut mir leid, aber so ist die Situation gewesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Even?
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9568 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Herr Kollege Busse, es ist Ihnen aber erinnerlich, daß die Mehrheit Ihrer FDP-Fraktion damals den Sicherstellungsgesetzen zugestimmt hat?
Ja, Herr Kollege, das ist richtig und das ist mir auch erinnerlich.
— Entschuldigen Sie, Herr Dr. Barzel, so einfach ist es nicht.
— Nein, so einfach ist es wirklich nicht. Ich spreche jetzt lediglich von der verfassungsrechtlichen Problematik. Ich sage jetzt bewußt nicht meine Meinung dazu. Es kommt mir darauf án, daß wir diese Frage in der Fraktion, nachdem es damals bereits erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab, in dieser kurzen Frist ganz einfach nicht genügend beraten und nicht genügend klären konnten, um zu einer einheitlichen Fraktionsmeinung zu kommen. Das ist die Situation, die ich darstellen wollte.
Das liegt daran, daß man auf einen Tag .vor einem Feiertrag einlädt, daß man die Ergebnisse dieser Sitzungen dann an einem Samstagmorgen per Eilboten nach Hause geschickt bekommt und dann am Montag und Dienstag bereits endgültig über so schwierige Fragen Entscheidungen in der Fraktion fällen soll. Das ist die Situation, die sich ergeben hat.
Bei anderen Dingen — das muß ich hinzufügen —, die jetzt zur Erörterung stehen, ist manches verständlich, auch die Eile, die Sie jetzt haben. Ich darf aber darauf hinweisen, daß für die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte die drei Sicherstellungsgesetze — das Ernährungssicherstellungsgesetz, das Wirtschaftssicherstellungsgesetz und das Verkehrssicherstellungsgesetz, die reine Ermächtigungsgesetze sind — überhaupt keine Rolle spielen. Das sind Dinge, die in aller Ruhe auch später beraten werden können, und der Sache würde damit nur gedient sein. Ich stelle daher den Antrag, diese drei Gesetze, auch das jetzt zur Erörterung stehende — damit dich nicht wieder den Vorwurf bekomme, zu häufig hier heraufzukommen, stelle ich diesen Antrag gleich für alle drei Gesetze —, in die Ausschüsse zurückzuverweisen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Busse gehört, diesen Gesetzentwurf in den Ausschuß zurückzuverweisen. — Wortmeldungen dazu? -Herr Dr. Wilhelmi, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich als Vorsitzender des Rechtsausschusses dagegen verwahren, daß diese Gesetze im Rechtsausschuß nicht ordnungsgemäß und nicht in aller Breite erörtert worden seien.
— In Anwesenheit des Herrn Busse, selbstverständlich! Wir haben diese Gesetze in aller Breite unter den Gesichtspunkten behandelt, unter denen wir sie als mitberatender Ausschuß zu beraten hatten. Wir hatten nicht die Federführung, sondern waren nur mitberatend. Wenn der Rechtsausschuß bei Gesetzen mitberatend ist, so hat er sie unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit und unter dem Gesichtspunkt der rechtspolitischen Angemessenheit zu prüfen. Beides ist geschehen. Wir haben bei fast allen Gesetzen kleine Änderungen vorgeschlagen und vorgenommen. Das zeigt, daß wir sie sehr sorgfältig behandelt haben. Wir standen auch keineswegs unter Zeitdruck, denn wir hatten noch die ganze Nacht vor uns. Wir sind schon abends um 19 Uhr fertig gewesen, also durchaus zu einer angemessenen Zeit.
Ich habe auch von Herrn Busse nicht die leiseste Beschwerde gehört,
daß wir zu schnell vorgegangen seien. Im Gegenteil, wir haben das Tempo, das wir im Rechtsausschuß gewöhnt sind, auch in diesem Fall angelegt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Wilhelmi?
Aber mit dem größten Vergnügen.
Ist Ihnen nicht mehr in Erinnerung, daß ich zu Anfang der Sitzung erklärt habe, es sei mir unmöglich, sachliche Beiträge in jener Sitzung zu bringen, weil ich keine Möglichkeit und Gelegenheit gefunden hätte, mich darauf vorzubereiten?
Ja, Herr Kollege, das ist mir in Erinnerung. Aber es ist mir auch in Erinnerung, daß Sie keine Beschwerde dagegen erhoben haben, daß wir die Sitzung durchgeführt haben. Auch über das Tempo der Sitzung haben Sie sich nicht beschwert. Ich glaube, man konnte sich auch nicht beschweren, denn wir haben alles sehr ordnungsgemäß und ruhig durchgeführt und haben über alle Bestimmungen einzeln abgestimmt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Staratzke?
Herr Kollege Wilhelmi, ist Ihnen bekannt, daß diese Gesetze auch noch in anderen Ausschüssen beraten worden sind? Und
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Dr. Staratzketrifft das, was Sie jetzt sagen, auch für die anderen Ausschüsse zu, z. B. für den Wirtschaftsausschuß?
Das kann ich nicht sagen. Darüber werden vielleicht die Kollegen, die diese Ausschüsse besucht haben, sprechen. Ich kann natürlich nur für den Rechtsausschuß sprechen, und auch nur deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet. Der Rechtsausschuß war der letzte in diesem Reigen, und ich möchte annehmen, wenn wir es geschafft haben, werden die anderen es auch geschafft haben. Denn es lag ja alles schon vor.
Ich bitte Sie also, den Antrag abzulehnen.
Eine weitere Zwischenfrage? — Nein. Der Herr Abgeordnete hat seine Ausführungen bereits beendet.
Wir stimmen über den Antrag ab, den Herr Kollege Busse gestellt hat, den Gesetzentwurf an den Ausschuß zurückzuverweisen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Darf ich fragen, ob weitere Wortmeldungen zu dieser Materie vorliegen. - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen dann über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 493 ab. Der Änderungsantrag ist begründet worden. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit angenommen.
Jetzt stimmen wir über den somit geänderten Art. 1 des Gesetzentwurfs ab. — Wer dem Art. 1 in der neuen Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Art. 2! Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Art. 3! Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 3 ist angenommen.
Einleitung und Überschrift! Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einleitung und Überschrift sind bei Gegenstimmen der FDP — —
— bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs
— Drucksache V/2388 — Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschusses
— Drucksache V/2933 —Berichterstatter: Abgeordneter Weiland
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 486*) und ein weiterer Änderungsantrag auf Umdruck 494 **) vor.
Wird der Antrag auf Umdruck 486 begründet? -
Zur Begründung Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verkehrsausschuß ist das Wort „insbesondere" gestrichen worden. Es ist aber der Zivilschutz und die Polizei als Bedarfsträger nicht ausdrücklich eingesetzt worden. Daher ist es richtiger, daß die frühere Fassung, die im übrigen — und das ist das Entscheidende — mit der des Wirtschafts- und des Ernährungssicherstellungsgesetzes übereinstimmt, wiederhergestellt wird, um auch diese Bereiche einzubeziehen. Wir bitten um Annahme des Antrags.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Änderungsantrag auf Umdruck 486 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der FDP ist der Antrag angenommen.
Wird zu dem Antrag Umdruck 494 das Wort gewünscht? — Zur Begründung hat das Wort der Herr Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es um das gleiche Problem wie vorhin, nämlich um die Einfügung der Möglichkeit, daß die Rechtsmittel auch bei Maßnahmen, die auf Rechtsverordnungen beruhen, eingeschränkt werden können. Es handelt sich also um das gleiche Problem, das ich vorhin schon vorgetragen habe.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Änderungsantrag auf Umdruck 494 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über Art. I des Gesetzes. Wer dem Art. I in der abgeänderten Form zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Art. II. Wer dem Art. II zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5
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9570 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Vizepräsident ScheelArt. III. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, ich möchte zu Punkt 3 der Tagesordnung noch eine Erläuterung geben, weil eine Unklarheit aufgekommen ist. Wir haben bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes über den Art. 3 in der Ausschußfassung abgestimmt. Der Antrag des Ausschusses sieht vor, daß der Art. 3 entfällt. Da wir die Ausschußfassung angenommen haben, entfällt dieser Artikel.
Wir kommen jetzt zu Punkt 6 der Tagesordnung:Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes— Drucksache V/2585 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/2946 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hofmann
b) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache V/2935 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Uns liegt dazu ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 487*) vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag auf Streichung des § 15 Abs. 1 Satz 2 ist das Ergebnis von Beratungen zwischen Innenausschuß und Haushaltsausschuß. Der Haushaltsausschuß hat zu verstehen gegeben, daß er dieser Bestimmung des letzten Satzes nicht zustimmen könne. Es ist aber zugesichert worden, daß das, was der Innenausschuß damit beabsichtigte, auf der Ebene der beteiligten Ministerien gesichert werden kann. Unter dieser Überlegung war der Innenausschuß bereit, den § 15 Abs. 1 Satz 2 zu streichen. Daraus ergibt sich der Antrag der CDU/CSU und der SPD, diesen Satz zu streichen.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Änderungsantrag Umdruck 487 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen
*) Siehe Anlage 6
möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das Wort hat Herr Kollege Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes ist, so wie es aus den Ausschüssen herausgekommen ist, eine Mixtur aus dem ursprünglichen Gedanken des Katastrophenschutzes und aus der Gesetzgebung, die wir schon im vorigen Bundestag behandelt haben, und zwar unter der Bezeichnung „Aufenthaltsregelungsgesetz" . Ich weiß nicht, warum man hier eine Verbindung mit diesem Gesetz unter dem Namen „Katastrophenschutz" gebracht hat.
Wir müssen uns in erster Linie darüber klar sein, daß dieses Gesetz der Regierung weitgehende Vollmachten gibt und sehr weitgehende Einschränkungen der Freizügigkeit des einzelnen, die ja in Art. 11 des Grundgesetzes garantiert ist, vorsieht. Es wäre erfreulicher gewesen, wenn die Vorstellungen, die der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes vorgelegt hat, berücksichtigt worden wären, denn diese Vorschläge sind von sehr sachkundiger Stelle gemacht worden. Aber leider sind sie nicht oder fast nicht berücksichtigt worden, was wir außerordentlich bedauern. — Bitte schön!
Herr Kollege Rutschke, wären Sie bereit, im einzelnen zu sagen, welche Vorschläge nicht berücksichtigt worden sind, damit wir Ihnen an Hand der Ausschußberatungen Auskunft geben können, warum das eine oder andere nicht berücksichtigt werden konnte?
Ja, ich werde auf diese Frage nachher zurückkommen.Der entscheidende Punkt dieses Gesetzes ist der § 13. Zum Verständnis dessen müssen wir uns klarmachen, was dieser § 13 aussagt; es heißt darin:Zum Schutze vor Gefahren und Schäden, die der Zivilbevölkerung durch Angriffswaffen drohen, oder für Zwecke der Verteidigung kann angeordnet werden, daß der gewöhnliche Aufenthaltsort nur mit Erlaubnis verlassen werden darf. Die Anordnung ist aufzuheben, wenn Bundestag und Bundesrat es verlangen.Bewohner bestimmter, besonders gefährdeter Gebiete können vorübergehend in anderen Gebieten untergebracht werden; die Anordnung hierzu darf nur nach Maßgabe des Art. 80 a des Grundgesetzes getroffen werden.Damit ist der Spannungs- oder der Verteidigungsfall gemeint.Die Grundrechte der Freiheit der Person ..., der Freizügigkeit ... und der Unverletzlichkeit der Wohnung ... werden nach Maßgabe dieser Vorschrift eingeschränkt.
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Dr. RutschkeDas ist also der Wortlaut des entscheidenden § 13 dieses Gesetzes.Zunächst einmal glaube ich, daß die Vorstellung, man könne die Bevölkerung insbesondere aus Ballungsgebieten evakuieren, angesichts unserer geographischen Gegebenheiten erheblichen Schwierigkeiten begegnet. Man hat z. B. seinerzeit den Gedanken geäußert, die Bevölkerung aus Ballungsräumen Nordrhein-Westfalens, insbesondere aus dem Ruhrgebiet, unter bestimmten Umständen in die Eifel oder in das Sauerland zu evakuieren. Tatsächlich wäre die Bevölkerung dort aber wahrscheinlich noch gefährdeter, da aus militärischen Gründen die Eifel besonderen Gefahren ausgesetzt sein kann. Offenbar geht man hier von Vorstellungen aus, die aus dem Kriegsbild von vor 1945 stammen, und will sie auf die heutige Zeit übertragen, obwohl doch die Bundesrepublik fast kein Hinterland mehr hat, so daß es nicht möglich ist, Bevölkerungsteile aus Städten oder aus Ballungsräumen in Sicherheit zu bringen.Auf der anderen Seite kann gemäß § 13 Abs. 1 angeordnet werden, daß Teile der Bevölkerung ihren Aufenthaltsort nicht verlassen dürfen. Ich frage mich: Was soll das eigentlich, die Bevölkerung zu zwingen, stationär zu bleiben, alle familiären Bindungen, die sie unter Umständen hat, abzuschneiden? — Gewiß, für eine bestimmte Zeit geht das. Aber wer weiß, wie lange es dauern wird und welche Friktionen dadurch eintreten können! Es ist doch sehr zweifelhaft, ob das zur Erfüllung des beabsichtigten Zwecks genügt. Ich bin der Meinung, daß die Verwaltung nicht nur eine unglaubliche Verwaltungsaufgabe, sondern auch eine unglaubliche Verantwortung auf sich nimmt, wenn sie anordnet, daß die Bevölkerung an ihrem Wohnsitz bleiben muß, oder wenn sie verlangt, daß die Bevölkerung aus bestimmten Gebieten, z. B. Ballungsgebieten — das werden eben Hunderttausende von Menschen sein —, woanders hin transportiert wird.Wir haben alle die Zeit des Krieges noch in Erinnerung. Wir wissen, daß damals Hunderttausende von Menschen in Trecks evakuiert wurden und in ein furchtbares Schicksal kamen, z. B. bei der Bombardierung Dresdens, wobei Hunderttausende aus diesen Trecks vernichtet worden sind, die in ihrem Heimatgebiet wahrscheinlich nicht so gefährdet gewesen wären.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Bitte schön!
Herr Kollege Rutschke, glauben Sie nicht, daß wir in der allgemeinen Beurteilung dieser Fragen übereinstimmen? Könnten Sie uns hier bessere Möglichkeiten vorschlagen? Dann wären wir natürlich gern bereit, das zu prüfen.
Ich bin gern bereit, Ihnen dazu etwas zu sagen, Herr Kollege Schmitt. Ich bin der Meinung, daß man es dem einzelnen überlassen sollte, was er tut. Man soll ihm Empfehlungen geben. Aber unter Umständen durch Polizeizwang Leute aus ihren Wohnungen herauszubringen, um sie zu schützen, scheint mir in der Situation, in der wir uns in der Bundesrepublik befinden, mehr als fragwürdig zu sein.
- Aber nach dem Gesetzentwurf, Herr Kollege Schmidt , ist es anders. Ich bin durchaus Ihrer Meinung, wenn Sie die Auffassung vertreten, daß Sie die Polizei nicht woanders hinbringen kann, wenn Sie es nicht wollen. Warum schreiben Sie es dann aber ins Gesetz hinein? Dann lassen wir es doch auf freiwilliger Basis! Wir werden natürlich die Bevölkerung warnen müssen, wenn man glaubt, daß eine Gefahr besteht. Aber wer weiß denn so genau, wo bei einer Gefährdung in einer Auseinandersetzung mit den schwersten Waffen, die auf beiden Seiten vorhanden sind, die Bevölkerung heutzutage noch wirklich geschützt werden kann? Wer weiß das so genau? Jagen wir die Bevölkerung nicht unter Umständen gerade in eine Gefährdung hinein?
Meine Damen und Herren, § 13 ist die Komprimierung des in der 4. Legislaturperiode vorgelegten Aufenthaltsregelungsgesetzes. Wenn man sich das Schicksal des Entwurfs des Aufenthaltsregelungsgesetzes betrachtet, sollte man eigentlich zu der Erkenntnis kommen, daß auch der Bundestag hier eine völlig andere Reaktion gezeigt hat. Der Bundestag hat seinerzeit diesen Gesetzentwurf nur in der ersten Beratung den Ausschüssen überwiesen. In den Ausschüssen wurde dann festgestellt, daß dieses Gesetz unpraktikabel ist. Man hat es gar nicht mehr weiter beraten. Dann ist es plötzlich in den sogenannten Schubladengesetzen wieder aufgetaucht. Es war in dem Verteidigungsbuch enthalten. Jetzt taucht es in komprimierter Form in § 13 dieses Gesetzentwurfs wieder auf.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen lehnen wir das gesamte Gesetz ab, weil wir meinen, daß diese Regelungen, wie sie insbesondere in § 13 vorgenommen worden sind, nicht dazu dienen, die Bevölkerung zu schützen. Aus den genannten Gründen glauben wir auch nicht, daß diese Zwangsregelung so, wie sie vorgesehen ist, verabschiedet werden kann.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Dr. Kempfler, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Rutschke hat das zur Beratung stehende Gesetz als eine Mixtur bezeichnet. Nun, Mixturen können sehr heilsam sein, namentlich wenn sie gedrängt alle Stoffe, die zur Heilung beitragen, enthalten. Ich glaube, dieses Gesetz hat in einem Wurf doch alle die Dinge in den Grundgedanken vereinigt, die wir
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9572 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. Kempflerseinerzeit im Jahre 1964/65 außerordentlich breit und mit großem Zeitaufwand beraten haben.Was nun speziell die Aufenthaltsregelung betrifft, so waren das ja auch die Grundgedanken des Gesetzentwurfs, der zwar nicht zur Verabschiedung gekommen ist, der uns aber immerhin auch mit Zustimmung der FDP-Minister damals als Vorschlag unterbreitet wurde. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß der Herr Kollege Miessner, der in der letzten Beratung anwesend war und zu § 13 einen sehr positiven Vorschlag gemacht hat, nämlich die Einschaltung von Bundesrat und Bundestag — einen Vorschlag, .den wir selbstverständlich akzeptiert haben, da wir im Innenausschuß jeden vernünftigen Vorschlag akzeptieren —, irgendwie andere Einwendungen gegen diesen Paragraphen erhoben hätte. Herr Kollege Rutschke, ich bitte doch das eine zu bedenken: Es wird ja nur die Möglichkeit einer Evakuierung gegeben, der Standpunkt des „Stay at home" ist ausdrücklich festgelegt.Stellen Sie sich aber vielleicht einmal plastisch das Durcheinander vor, das entstehen würde, wenn in einer solchen Situation, in der die einzelnen ja begreiflicherweise außerordentlich aufgeregt sind, von einer Familie dieser und von einer anderen Familie jener Beschluß gefaßt würde. Hier muß, wenn es notwendig ist, eine einheitliche Regelung getroffen werden. Soviel Vertrauen, daß die Verwaltungsbehörden nun nicht so unklug, sondern sich ihrer Verantwortung bewußt sind und keine Familien auseinanderreißen und das Zweckmäßige verfügen, müssen wir halt nun einmal in unsere Beamten haben. Ein Militarist — allerdings —, nämlich Napoleon I., hat einmal erklärt: „Im Kriege entscheiden alles die Umstände." Gerade die Entscheidung nach den gegebenen Umständen wollten wir nach Möglichkeit auch bei der Aufenthaltsregelung den einzelnen Behörden überlassen. Ich glaube also nicht, daß wegen des § 13 das ganze Gesetz verdient, abgelehnt zu werden, das die Dinge natürlich nicht so perfekt wie die teils verabschiedeten, teils in Aussicht genommenen Gesetze von 1965 regelt.Da wir aber doch in der Verwaltung allgemein einen Zug zur Vereinfachung und zu unkomplizierten Handhabungen haben, glaube ich, daß dieses Gesetz durchaus geeignet ist, seine Aufgaben voll und ganz zu erfüllen. Ich möchte allerdings gerade zum Gedanken des „Stay at home" betonen, daß dazu noch etwas absolut dringend notwendig ist. Ich möchte die Bundesregierung wirklich sehr energisch darum ersuchen, endlich die Vorlage mit den Vorstellungen der Bundesregierung über die Weiterführung des Schutzbaugesetzes fertigzustellen. Denn in dem ersten Entwurf dieser Bevölkerungsschutzgesetze stand, der Schutzbau sei das Kernstück aller dieser Gesetze. Wenn nun das Kernstück fehlt, ist das nicht unbedenklich. Auch der Gedanke des „Stay at home" kann nur durchgeführt werden, wenn wenigstens ein Minimum an Schutzbauten vorhanden ist. Das wäre meines Erachtens in Fortführung der heute zu beschließenden Gesetze das Wichtigste, was in Bälde, und zwar vielleicht noch vor der Sommerpause dem Bundestag vorgelegt werden müßte.Im übrigen bitte ich das Hohe Haus, das Gesetz so, wie es vorliegt, mit der beschlossenen Änderung anzunehmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Kollege Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch wenige Bemerkungen zu dem vorliegenden Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes machen. Ich glaube, daß es falsch ist und der Sache nicht gerecht wird, wenn man die Kritik an dem § 13, der den Aufenthalt bei Gefährdung der Bevölkerung regelt, aufhängt. Ein Gesetz zu schaffen, das allen gerecht wird und allen Wünschen Rechnung trägt, ist schwierig. Aber gerade bei diesem Gesetz, Herr Dr. Rutschke, darf man mit Recht sagen, daß es bei allen, die wir für die Mitarbeit gewinnen und die wir überzeugen wollen, Zustimmung findet. Das Gesetz ist im Bundesrat auf sehr viel Gegenliebe gestoßen. Ich will versuchen, das einmal deutlich zu machen.Der erweiterte Katastrophenschutz befaßt sich im wesentlichen mit den Problemen, die eintreten, wenn der Spannungszustand oder der Verteidigungsfall da ist. Den Ländern wird aber auch die Möglichkeit gegeben, mit dem zusätzlichen Gerät, was wir ihnen geben wollen, in den Fällen einer denkbaren friedensmäßigen Katastrophe wirksamer als bisher tätig zu werden. Ich glaube, diese Tatsache allein ist schon so positiv, daß man sie auch bei gebotener und notwendiger Kritik nicht außer acht lassen sollte.Aus Zweckmäßigkeitsgründen haben wir die Anwendung auf der unteren Ebene vorgesehen, auf der Gemeindeebene, da, wo im Katastrophenfall, soweit er denkbar und möglich erscheint, in erster Linie die Betroffenen sind. Wir haben weiter — ich habe vorhin auf den § 15 verweisen können — Regelungen gefunden, die sachgerecht und praktisch sind. Das alles sollten wir zusammennehmen, und wir sollten die Kritik nicht auf die, wie wir hoffen, nie eintretenden Möglichkeiten abstellen. Wer sagt denn, daß das, was sowohl im Abs. 1 wie im Abs. 2 des § 13 aufgeführt ist, überhaupt eintreten wird? Wer sagt, ob man von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird? Ich bin aber der Auffassung, daß man sehr wohl Vorkehrungen für diesen möglichen Fall treffen muß.Eine letzte Bemerkung, Herr Dr. Rutschke, im Blick auf das, was Sie hier vorgetragen haben. Sie haben sehr drastisch erklärt, welche Möglichkeiten Sie in diesem § 13 sehen. Sie sollten aber auch einmal verfolgen, was sonst — beispielsweise bei den Freiwilligenverpflichtungen — vorgesehen ist. Die dort vorhandene Strafsanktion fehlt in dem § 13 völlig. Damit wird deutlich, daß es sich lediglich um eine Vorsorgemaßnahme handelt, um mit den Dingen fertig zu werden, die uns möglicherweise eines Tages einmal belasten werden.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9573
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Wir stimmen paragraphenweise ab.
Wer dem § 1 in der vorliegenden Fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist mit Mehrheit angenommen.
Wer dem § 2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Wer dem § 3 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Wer dem § 4 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen — § 4 ist angenommen.
Wer § 5 zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Wer dem § 6 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Wer dem § 7 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen der FDP-Fraktion ist § 7 angenommen.
Wer dem § 8 zustimmt, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist § 8 angenommen.
Wer dem § 9 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen ist § 9 angenommen.
Wer dem § 10 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist § 10 angenommen.
§ 11 entfällt.
Wer dem § 12 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen ist § 12 angenommen.
Wer dem § 13 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —§ 13 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wer dem § 14 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist § 14 angenommen.
Wer dem § 15 in der geänderten Form zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen! — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Wer dem § 16 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wer dem § 17 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist § 17 angenommen.
Wer dem § 17 a zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Wer dem § 18 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist § 18 angenommen.
Wer der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen sind Einleitung und Überschrift angenommen.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zum Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung
— Drucksache V/2362 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2947 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Götz
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit
— Drucksachen V/2932, zu V/2932 — Berichterstatter: Abgeordneter Ziegler
Zu Punkt 7 liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir die Änderungsanträge immer gleich zu Beginn abhandeln, damit wir nachher zügig über die Gesetze abstimmen können.
Es liegt der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 488 *) vor. Wird das Wort zur Begründung dieses Änderungsantrags gewünscht? — Herr Stephan!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag Umdruck 488 Nr. 2 nimmt Bezug auf § 28. Dieser Paragraph sieht Ausbildungsveranstaltungen für Wehrpflichtige vor Eintritt eines Spannungszustandes, auch vor Eintritt eines Verteidigungszustandes vor, und zwar zur Sicherstellung für Arbeitsleistungen in dem im Gesetz beschriebenen Zeitpunkt und in dem vorgesehenen Anwendungsbereich für Personen, die für eine Aufgabe ausgebildet werden sollen, für die besondere Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind. Dieser Personenkreis kann nach dem Wortlaut des § 28 dienstverpflichtet werden.*) Siehe Anlage 7
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9574 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
StephanDie Antragsteller befürchten, daß es durch die Auslegung dieser Vorschrift möglich werden könnte, daß die Verpflichtungsbehörde sich ausschließlich auf vorgesehene Verpflichtungen bezieht. Der Antrag bezweckt, daß auch hier der § 01, der die Vorrangigkeit der Freiwilligkeit zum Ausdruck bringt, angewandt werden muß. Daher soll § 28 Abs. 1 um folgenden Satz ergänzt werden:Der Vorrang der Freiwilligkeit gilt entsprechend.Damit ist einer Auslegung der Vorschrift, wie sie die Antragsteller befürchten, vorgebeugt.Ich bitte, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Wollen Sie auch den Antrag Umdruck 491 *) begründen? — Den ganzen Antrag Umdruck 488. Ich glaube, das ist das zweckmäßigste Verfahren.
Der Änderungsantrag Umdruck 488 Ziffer 3 nimmt auf § 29 Abs. 1 Bezug. Diese Bestimmung sieht vor, daß denjenigen Verpflichteten, die für besondere Zwecke ausgebildet worden sind, ein Bereithaltungsbescheid zugestellt wird. Es wird befürchtet, daß durch Zustellung von Bereithaltungsbescheiden nach erfolgter Ausbildung oder während der Ausbildung eine Beunruhigung der Bevölkerung ausgelöst werden könnte, jedenfalls dann, wenn Bereithaltungsbescheide zu beliebiger Zeit in größerer oder kleinerer Zahl verschickt werden. Um dem vorzubeugen, beantragen die Antragsteller, dem letzten Halbsatz in § 29 Abs. 1 Satz 1 folgende Fassung zu geben:
. . . so kann der Verpflichtungsbescheid nach Abschluß der Ausbildung zugestellt werden .
Damit soll erreicht werden, daß der Ausgebildete, unmittelbar nachdem er seine Ausbildung beendet hat, den Bereithaltungsbescheid in die Hand gedrückt bekommt, damit er weiß, was er in der Stunde der Not anzufangen hat, und daß zwischendurch keine Bereithaltungsbescheide mehr ausgestellt zu werden brauchen, und damit einer unnötigen Beunruhigung der Bevölkerung vorgebeugt wird.
Ich bitte um Annahme dieses Änderungsantrags.
Sie haben die Begründung gehört, meine Damen und Herren.
Der Berichterstatter hat um das Wort gebeten, um uns einige redaktionelle Änderungen vorzutragen. Bitte, Herr Kollege Ziegler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Aufruf des Tagesordnungspunktes 7 erfolgte so rasch, daß ich als Berichterstatter mich nicht rechtzeitig melden konnte. Ich bitte jetzt noch einige redaktionelle Änderungen bekanntgeben zu dürfen.
*) Siehe Anlage 8
In der Ihnen vorliegenden Drucksache V/2932 muß auf Seite 4 unter Nr. 1 a vor den Worten „Betriebs- und Personalräte" eingefügt werden: „Mitglieder der". Die Nr. 1 a heißt dann:
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 gilt nicht für Mitglieder der Betriebs- und Personalräte.
Diese Berichtigung ist notwendig, weil sonst nach Arbeitsrecht die Betriebs- und Personalräte im ganzen angesprochen wären.
Auf Seite 14 müssen in § 23 Abs. 1, 6. und 7. Zeile, die Worte „Arbeitgeber und Dienstherren des öffentlichen Rechts" umgestellt werden in „Dienstherren des öffentlichen Rechts und Arbeitgeber". Damit wird klargestellt, daß es sich um zwei Gruppen von Arbeitgebern handelt, nämlich um die Dienstherren des öffentlichen Rechts und um private Arbeitgeber.
Auf Seite 19 ist in § 32 Abs. 2 Nr. 4 in der 3. Zeile das Wort „oder" durch das Wort „und" zu ersetzen. Damit wird klargestellt, daß eine Ordnungswidrigkeit nur vorliegt, wenn zusätzlich auch die Voraussetzung der Abwesenheit über drei volle Kalendertage erfüllt ist.
Auf Seite 21 sind in § 39 Abs. 1 nach den Worten „§ 32 Abs. 1 Nr. 1" die Worte „und Abs. 4" einzufügen. Diese Einfügung ist bei der Drucklegung unterblieben. Sie ergibt sich aus § 32 Abs. 4 zwangsläufig.
Meine Damen und Herrn, Sie haben die redaktionellen Änderungen gehört. Wird zum Änderungsantrag Umdruck 488 das Wort gewünscht? — Zunächst Herr Kollege Müller .
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Ziffer 1 des Umdrucks 488 ist noch nicht begründet. Ich habe damit gewartet, weil zunächst die Ziffer 2, der Vorrang der Freiwilligkeit, hier in der Beratung noch einmal besonders herausgestellt werden sollte.Im § 3 ist in Abs. 1 der Anwendungsbereich des Gesetzes festgelegt. In Abs. 2 wird bestimmt, daß die Bundesregierung nach Eintritt der Voraussetzungen für die Sicherstellung von Arbeitsleistungen durch Rechtsverordnung bestimmen kann, daß Verpflichtungen und Beschränkungen auch in anderen Bereichen innerhalb des Anwendungsbereiches nach Art. 12 a Abs. 3, 4 und 6 des Grundgesetzes zulässig sind, daß die Rechtsverordnung den Anwendungsbereich auch einschränken oder abgrenzen kann. Die Ziffer 1 des Änderungsantrages Umdruck 488 soll nun bewirken, daß das Recht des Bundestages, die Aufhebung der Rechtsverordnung zu verlangen, etwas deutlicher wird. Die in der vorliegenden Fassung vorgesehene Regelung: „Die Bundesregierung hat die Rechtsverordnung aufzuheben, wenn Bundestag und Bundesrat es verlangen", war uns für den Bundestag zu einengend. Ich darf daher für die Koalitionsfraktionen sagen, daß wir die Erweiterung des Rechtes des Bundestages hier ganz deutlich machen wollen.
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Müller
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9576 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
— Ich komme auch darauf, Herr Professor Schellenberg. Wenn Sie vielleicht so lange warten oder eine Zwischenfrage stellen wollen?Meine Damen und Herren, was ist geschehen? — Man hat in § 01 sehr schön den Vorrang der Freiwilligkeit vor Dienstverpflichtungen verankert und den bisher vorgesehenen Abs. 3 gestrichen, weil darin das etwas unschöne Wort stand, daß die Freiwilligkeit nur so weit gehen kann, als nicht unverhältnismäßige Mittel notwendig sind. Das ist aus dem Gesetz herausgekommen. Aber wo taucht es dafür auf? — In dem Ausschußbericht in der Erklärung zu § 01 ! Sicher, nach außen hin hat man diese „unverhältnismäßigen Mittel", die mit einem Fragezeichen zu versehen sind und eine ausgesprochene Ermessensmöglichkeit bieten, aus dem Gesetz herausgenommen, in dem Ausschußbericht aber sind sie als Begrenzung geblieben. Es gibt also nicht so viel Vorrang an Freiwilligkeit, wie gesagt wurde.Lassen Sie mich ein Zweites sagen; das will ich ganz kurz tun. Wir lehnen dieses Gesetz auch ab wegen der von Ihnen auf Grund der Grundgesetzänderung folgerichtig eingeführten Dienstverpflichtung für Frauen, die wir bereits in der zweiten Lesung abgelehnt haben. Wir werden morgen in der dritten Beratung der Grundgesetzänderung dazu noch einmal ausführlich Stellung nehmen.Ein weiterer Punkt! Hier muß ich bis zu dem Zeitpunkt zurückgehen, als wir die erste Lesung dieses Gesetzes — ,es war, genau gesagt, am 20. März 1968 — hatten. Damals wurde von dem Kollegen Picard von der CDU, dem Kollegen Schmitt-Vockenhausen von der SPD und anschließend von dem Kollegen Matthöfer eindeutig erklärt, diese Dienstverpflichtungen kämen überhaupt nur für den Verteidigungsfall in Frage. Wie sieht es jetzt in Wirklichkeit aus? Gewiß, man hat für den Fall einer Dienstverpflichtung außerhalb des Verteidigungsfalles die Zustimmung des Bundestages vorgesehen, aber mit einer Mehrheit, die sehr unterschiedlich aussieht. Einmal heißt es, nämlich in den Begründungen derKollegen Picard, Matthöfer und Schmitt-Vockenhausen — ich kann das gerne vorlesen, will es mir aber aus Zeitgründen schenken —: nur mit qualifizierter Mehrheit. Nun heißt es plötzlich in Art. 80 a Abs. 1 Satz 1: wenn der Anwendung durch den Bundestag besonders zugestimmt wird. Von einer qualifizierten Mehrheit bei dieser besonderen Zustimmung ist dort keine Rede. Ob das eine zufällige Mehrheit — —
— Entschuldigen Sie, so steht es darin, Herr Kollege Matthöfer. Sie können ja nachher etwas dazu sagen. — Es ist also sehr fraglich, ob das, was in der ersten Lesung von den Sprechern der Regierungsfraktionen erklärt wurde, nun wirklich mit dem übereinstimmt, was in dem Gesetz verankert wurde. Wir jedenfalls sehen hier eine Möglichkeit, diese Dinge zu umgehen, und in Anbetracht dessen, daß wir den Bereich des. Spannungsfalles usw. aus unseren Überlegungen immer ausgeschaltet haben, sehen wir hier auch einen Grund für die Ablehnung der Dienstverpflichtung.
Eine Zwischenfrage.
Sind Sie bereit, davon Kenntnis zu nehmen, daß Art. 80 a Abs. 1 der vorgesehenen Ergänzung zum Grundgesetz folgenden Wortlaut hat:
Die Feststellung des Spannungsfalles und die besondere Zustimmung in den Fällen des Artikels 12 a Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2
— das sind die Fälle der Arbeitsverpflichtungen — bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.
Bitte, ich nehme das zur Kenntnis.
Dann frage ich; warum in Art. 80 a nur Satz 1 dieser Bestimmung in dieser Beziehung angesprochen worden ist.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, führen Sie Ihre Unkenntnis über diese Fragen vielleicht darauf zurück, daß Sie nicht im Ausschuß anwesend waren?
Herr Kollege, ich habe eingangs bereits festgestellt — und ich habe das im Ausschuß zu Protokoll gegeben —, daß es auf Grund der überhasteten Situation
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968 9577
Schmidt
— Moment, ich darf doch einmal antworten — dieser Beratungen, deren Gründe in der morgigen Debatte vielleicht noch angesprochen werden, für mich und den zweiten Vertreter der FDP nicht möglich war, da-zu-sein, zumal wir uns von vornherein darüber im klaren waren, daß es gar nicht möglich ist, diese Änderungen in einer Vormittagssitzung zu Ende zu beraten.
Ich bedauere allerdings, daß der Ausschußbericht so dürftig ist, daß er nicht einmal alle Änderungen auch nur begründet, und daß bisher keine Protokolle vorliegen. Ich habe mich heute früh bemüht, die Protokolle der Ausschußsitzungen zu bekommen.
Herr Kollege, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Dr. Stark?
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, können Sie sich daran erinnern, daß Ihr Kollege Dorn im Jahre 1965 diese Gesetze, wie er sich wörtlich ausdrückte, gern im Galopp verabschiedet hätte?
Herr Kollege Stark, zu dieser Frage ist von Herrn Kollegen Dorn schon des öfteren Stellung genommen worden. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zunächst einmal persönlich sagen, daß ich 1965 ebenfalls zu denen gehörte, die mehr Bedenken hatten als vielleicht ein Teil meiner Fraktion.
Zum zweiten möchte ich dazu sagen, Herr Kollege Stark, daß das Gesetz, das 1965 in diesem Zusammenhang vorlag — es hatte einen völlig anderen Namen, es hatte lediglich den Begriff „Zivildienstgesetz" zur Grundlage, es lagen ganz andere Vorstellungen zugrunde —, völlig anders strukturiert war als das Arbeitssicherstellungsgesetz. Das geben Sie mir doch wohl zu.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Dr. Lenz?
Bitte schön!
Herr Kollege, Sie haben mich soeben gefragt, warum in Art. 80 a Abs. 1 nur Art. 12 a Abs. 5 Satz 1 und nicht auch die weiteren Sätze angezogen seien. Die Antwort ist sehr einfach. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nur in jenem Satz 1 und nicht mehr in den Sätzen 2 und 3 von Arbeitsverpflichtungen die Rede ist?
Ich habe ja vorhin schon einmal darauf geantwortet.
Meine Damen und Herren, der gewichtigste Grund für unsere Ablehnung ist von mir ja noch gar nicht angesprochen worden. Schon auf Grund der zwei Punkte Spannungsfall und Verteidigungsfall können wir nicht zustimmen, aber der gewichtigste Grund ist die Generalklausel, die mit der Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung in § 3 Abs. 2 verbunden ist. Sie gibt uns ganz besondere Veranlassung, unsere Bedenken gegen die Verabschiedung in dieser Form zu äußern. Meine Damen und Herren, sie gibt uns Veranlassung dazu, weil wir mit diesen Bedenken nicht alleine sind. Ich möchte Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen, was der Bundesrat zu dieser Art der Rechtsverordnung seinerzeit in einer Entschließung in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf des Arbeitssicherstellungsgesetzes gesagt hat. Ich darf zitieren, Herr Präsident:Der Bundesrat hat erhebliche Zweifel, ob die in § 3 Abs. 2 enthaltene Ermächtigung, den Anwendungsbereich des Gesetzes zu erweitern, dem Konkretisierungsgebot des Artikels 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens für eine bessere Konkretisierung der Ermächtigung Sorge zu tragen.Die Bundesregierung hat damals in ihrer Antwort erklärt, dies werde bei den weiteren Beratungen berücksichtigt.
Wir können nicht feststellen, daß das die jetzige Formulierung in dieser Form berücksichtigt hat. Denn kaum jemand in diesem Hause kann behaupten, daß die jetzige Formulierung Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtsverordnung — wie es Art. 115 d Abs. 2 der Grundgesetzänderung beinhaltet — wirklich umreißt. Sie umreißt wirklich nicht das Ausmaß der Rechtsverordnung, wie es auch der Kollege Matthöfer in der ersten Lesung als Begrenzung verlangt hat. Unserer Meinung nach ist das nicht der Fall.Wir sind nicht der Meinung, daß das Kassationsrecht, das dem Bundestag gegen Rechtsverordnungen eingeräumt wurde und aus dem Sie jetzt mit Ihrem Antrag den Bundesrat herausgestimmt haben —
— Bei einem Kassationsrecht kann der Bundesrat nicht vorher zustimmen.
— Warum haben Sie es dann erst hineingeschrieben, Herr Kollege Schellenberg, und zweitens: warum hat dann der Bundesrat so viele Bedenken geäußert? Wir sehen hierin zweifellos eine Möglichkeit der Ausweitung. Ich stütze mich dabei auf den Bericht des Ausschusses, nicht auf etwas, was ich vielleicht nebenbei aus der Sitzung hören konnte. Denn in dem Ausschußbericht — es ist der erste Abdruck — auf Seite 3 heißt es:
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Schmidt
Das in Artikel 115 d Abs. 2 des Grundgesetzes geregelte beschleunigte Gesetzgebungsverfahren erscheint hierfür nicht ausreichend,— für die Rechtsverordnung —da es nur im Verteidigungsfall, nicht aber in einer Spannungszeit angewandt werden kann. Aus diesem Grunde ist die in Absatz 2 der Regierungsvorlage vorgesehene Befugnis zum Erlaß einer Rechtsverordnung notwendig.Das heißt, man ist bereit, einer Ausweitung stattzugeben.Diese Gründe veranlassen uns, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben vorhin gefragt, warum wir keine Änderungsanträge stellen. Wir haben uns gestern überlegt, ob wir in der zweiten Lesung zu diesem Gesetzentwurf Änderungsanträge stellen sollen. Wir haben auf Grund der Praxis in der zweiten Lesung der Grundgesetzänderung festgestellt, daß Änderungsanträge, so gut sie begründet sein mögen und so richtig sie sein mögen, auf Grund gewisser Vereinbarungen sowieso der Ablehnung verfallen. Es ist also schade, daß — —
— Auf Grund von Vereinbarungen! Ob die der Sache dienen, meine Damen und Herren, das wird sich in der Zukunft zeigen. Deshalb haben wir auf Änderungsanträge verzichtet.
Ich habe die Gründe für unsere Ablehnung noch einmal deutlich gemacht. Ich darf sie zusammenfassen. Wir werden dem Arbeitssicherstellungsgesetz in dieser Form und den einzelnen Paragraphen nicht zustimmen, weil wir das Schnellverfahren der Verabschiedung nicht zu verantworten gedenken, weil wir die Zwangsverpflichtung von Frauen, die hiermit verbunden ist, entsprechend unserer grundsätzlichen Auffassung ablehnen, weil wir eine Dienstverpflichtung im Spannungsfall für nicht vertretbar halten und weil wir darüber hinaus in der Generalklausel weiterhin verfassungsrechtliche Probleme der Ermächtigung sehen, wie ich das zum Ausdruck gebracht habe.
Das Wort hat Herr Kollege Matthöfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige wenige persönliche Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf machen. Herr Kollege Schmidt, Ihre Bemerkung, die uns bald um einen der wichtigeren Siege in dieser Auseinandersetzung gebracht hätte, war eigentlich wenig nett. Die Tatsache, daß Dienstverpflichtungen nur nach mit qualifizierter Mehrheit vorher gegebener Zustimmung des Bundestages möglich sind, ist doch eine für die Gewerkschaften nicht unwichtige Verbesserung, die mit Hilfe eines Antrags beider Koalitionsparteien durchgesetzt werden konnte.
Der uns zur Entscheidung vorliegende Entwurf des Arbeitssicherstellungsgesetzes enthält eine ganze Reihe von Verbesserungen gegenüber der Regierungsvorlage. Niemand sollte das verneinen. Vielen in der Diskussion vorgetragenen Bedenken ist Rechnung getragen. Aber man muß doch auch sagen, daß die Grundlage immer noch gewisse Reste obrigkeitsstaatlichen Denkens sind, die unverkennbar sind.
Grundlage sind Grundgesetzänderungen, die ich immer für nicht richtig gehalten habe und auch heute noch für nicht richtig halte, die uns das Arbeitsplatzwechselverbot und auch die Ausbildungsverpflichtung vor dem Spannungs- und Verteidigungsfall gebracht haben. Ich bin immer noch der Meinung, daß hier ein gewisser Mangel an organisatorischer Phantasie unverkennbar ist und daß man die mangelnde Bereitwilligkeit, finanzielle Mittel einzusetzen, durch Grundrechtseinschränkungen zu kompensieren versucht.
Ich halte das nicht für richtig, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß Dienstverpflichtungen immer eine Belastung der Gruppe der Arbeitnehmer sind. Der Arbeitnehmer hat doch wirklich nur ein wichtiges und entscheidendes Druckmittel gegenüber dem Arbeitgeber, wenn ihm die Arbeitsbedingungen nicht gefallen: die Kündigung. Wenn er nicht kündigen kann, weil er dienstverpflichtet ist, muß er die Dinge hinnehmen und unter Arbeitsbedingungen arbeiten, die er sonst als unzumutbar betrachten würde. Es gibt auch — und das ist mein wesentliches Bedenken — kein Äquivalent, das den Arbeitnehmern oder ihrer Vertretung zusätzliche Rechte einräumt. Ich halte das für eine eigentlich untragbare Regelung und glaube, wir sollten fairerweise bei einer eventuellen Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes überlegen, ob nicht dort für diese Fälle, wo dem Arbeitnehmer ein Druckmittel genommen worden ist, für ihn oder für seine nichtgewerkschaftliche kollektive Vertretung, den Betriebsrat, zusätzliche Mitbestimmungs- und Vetorechte verankert werden können, die diesen Mangel wenigstens teilweise heilen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Sätze zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt sagen. Er hat von einer „überhasteten Situation" gesprochen. Das, was ich jetzt sage, sage ich als Vorsitzender des Ausschusses. Wir haben uns in zwei Sitzungen die Sache weiß Gott nicht leicht gemacht. Wir wußten bei den Beratungen, daß wir hier eines der Sicherstellungsgesetze hatten, die am weitestgehenden die
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Müller
Bevölkerung, den Staatsbürger betrafen, und aus diesem Grunde waren unsere Beratungen im Ausschuß wohl von einer solchen Verantwortlichkeit getragen, daß wir schon allein von dieser Situation her eine überhastete Beratung von vornherein abgelehnt hätten. Herr Kollege Schmidt, wenn Sie und Herr Dr. Friderichs und Ihre beiden Stellvertreter an der Ausschußsitzung nicht teilnehmen konnten, obwohl die Sitzung bereits in der Sitzungswoche vorher in der Ausschußsitzung bekanntgegeben worden war
oder die Einladung schriftlich vorlag, dann haben Sie das zu vertreten und dürfen hier nicht das Haus glauben machen, es sei überhastet eingeladen und beraten worden.
Herr Kollege Müller, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß bei der ersten Beratung, als wir die Dinge besprachen, im Ausschuß festgestellt wurde, daß diese Verabschiedung in einer Sitzung erledigt werden muß, weil die Gesetze heute verabschiedet werden sollen, und daß nicht mehr Zeit zur Beratung übrigbleibt?
Herr Kollege Schmidt, das widerspricht dem doch gar nicht. Wir haben in zwei Sitzungen beraten. Wir haben am Freitag der vorletzten Tagungswoche unmittelbar im Anschluß an die Plenarsitzung die erste Lesung des Gesetzes in allen Paragraphen durchgeführt. Wenn Sie sich — das liegt auch wiederum nicht an uns, sondern an der geringen Vertretung der FDP — Rollschuhe unterschnallen müssen, damit Sie in sämtliche Ausschüsse fahren können, dann können Sie uns das doch nicht anlasten.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Müller, würden Sie mir zustimmen, daß, nachdem eine ganztägige Beratung angesetzt war, die Beratungen etwas zügiger und erfolgreicher waren, weil die FDP nicht vertreten war?
Ich möchte zu einem zweiten Punkt kommen. Auch Herr Kollege Schmidt hat dankbar anerkannt, daß wir die arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften des Gesetzes nun doch wesentlich verbessert haben. Herr Kollege Schmidt, ich glaube, das spricht dafür, daß wir uns mit diesem Gesetz sehr viel Mühe gemacht haben und bis in die Details gegangen sind. Wenn wir das nicht getan hätten, hätten wir nicht so viel Zeit für dieses Gesetz verwandt.
Aber nun zu dem Schwerpunkt. Herr Kollege Schmidt, Sie sagen, die Betonung der Freiwilligkeit habe nur rhetorischen Charakter. Dieser Vorwurf trifft uns außerordentlich hart. Hätten Sie an den Beratungen teilgenommen, so könnten Sie den Vorwurf nicht aufrechterhalten. Sie hätten dann nämlich festgestellt, mit welchem Ernst diese Frage insbesondere von den Kollegen der SPD behandelt wurde und wie wir uns bemüht haben, den Grundsatz der Freiwilligkeit nicht nur dem Gesetz voranzustellen, sondern wie einen roten Faden durch das ganze Gesetz laufen zu lassen. Das hat für uns keinen rhetorischen Charakter. Wir gehen davon aus, daß eine freiwillig erbrachte Leistung in jedem Fall den Vorrang hat. Wir müssen aber auch der Verpflichtung Rechnung tragen, Vorsorge zu treffen, daß dann, wenn im Verteidigungs- oder Spannungsfall die Durchführung der notwendigen Maßnahmen auf der Basis der Freiwilligkeit nicht möglich ist, die Erbringung der notwendigen Arbeiten sichergestellt werden kann.
Was die Frage des Verteidigungsfalles und des Spannungsfalles angeht — ein anderer wichtiger Punkt —, so ist hier durch das Frage- und Antwortspiel schon deutlich geworden, daß Sie sich offensichtlich nicht „eingelesen" haben.
Aber noch etwas anderes dazu. Sie haben den Bundesrat angeführt. Darf ich Ihnen aus den Beratungen des Ausschusses berichten — was Sie wiederum nicht wissen können, weil Sie nicht da waren —, daß der Bundesrat als solcher nicht vertreten war. Die anwesenden Ländervertreter haben bei ihren Ausführungen betont, daß sie jeweils nur für ihr Land sprächen, in einem Falle sogar nur für ein einziges Ministerium des betreffenden Landes. Da ging es darum, in § 3 den Anwendungsbereich des Gesetzes zu erweitern. Man wollte beispielsweise die Ernährungswirtschaft in der in Abs. 1 vorgesehenen Abgrenzung des Anwendungsbereichs ausdrücklich aufgeführt haben. Wir waren der Meinung, daß man das nicht tun sollte und daß man solche Fragen des Anwendungsbereichs einer Regelung durch Rechtsverordnung der Bundesregierung überlassen, dann aber das Recht der Kassation durch Bundestag und Bundesrat vorsehen sollte. Dasmöchte ich noch einmal nachdrücklich unterstreichen.
Zur Frage der Verpflichtung von Frauen wird meine Kollegin Schroeder gleich noch etwas sagen.
Insgesamt, Herr Kollege Schmidt, muß ich Ihre Ausführungen in aller Schärfe zurückweisen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt , ich habe Ihre Bemerkungen eigentlich nicht recht
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Bundesminister Katzerverstanden. Denn nach den Darlegungen, die in der zweiten Lesung der Grundgesetzänderung von seiten Ihrer Fraktion gemacht worden sind, müßten Sie heute bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs eigentlich doch sehr dafür danken, daß wir den Grundsatz der Freiwilligkeit, den Sie so sehr in den Vordergrund gestellt haben, in diesem Gesetz noch erheblich stärker zum Tragen gebracht und in einem § 01 besonders herausgestellt haben.Sodann möchte ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Matthöfer etwas sagen. Sie haben anerkannt, Herr Kollege Matthöfer — und ich freue mich darüber —, daß eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen worden sind, und zwar nicht nur im sozialrechtlichen Teil. Eines haben Sie aber übersehen. Sie sagten nämlich, bei Dienstverpflichtungen sei der Arbeitnehmer immer auf der schwächsten Seite. Darf ich Sie bitten, einmal in § 6, der die Zustimmungsbedürftigkeit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses behandelt, nachzulesen. Es heißt dort im letzten Satz des Abs. 1:Das Arbeitsamt hat der Beendigung zuzustimmen, sofern durch sie die Sicherstellung von Arbeitsleistungen nicht beeinträchtigt wird oder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.Wenn das nicht erfolgt, ist nach § 26 der gesamte Rechtsweg offen. Das sollte man bei der Beurteilung dieser Frage nicht übersehen.
Herr Bundesminister, zwei Zwischenfrager haben sich angemeldet, zuerst Herr Kollege Schmidt und dann der Kollege Matthöfer. Welche Frage wollen Sie zuerst beantworten?
Vielleicht wegen des Sachzusammenhangs die letzte.
Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Minister, wer bestimmt denn nun, was unzumutbar ist? Und unzumutbar für wen, für den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer? Wird nicht das, was ich gesagt habe, durch Ihre Ausführungen belegt, da es nicht der Arbeitnehmer ist, der entscheidet, was für ihn unzumutbar ist, sondern irgend jemand anderes aus Überlegungen und Motiven, die nicht die Überlegungen und Motive des Arbeitnehmers sind?
Nein, Herr Kollege Matthöfer, die Sache ist etwas anders zu sehen. Wenn der Arbeitnehmer von sich aus der Auffassung ist, daß es unzumutbar ist, trägt er das vor und bittet um die Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis, das für ihn unzumutbar ist. Nehmen wir an, das Arbeitsamt würde dem nicht stattgeben. Dann steht diesem Arbeitnehmer nach § 26 der ganze Rechtsweg offen, d. h. er kann beim Arbeitsgericht entsprechend den Rechtszug eröffnen und gegen diese Entscheidung des Arbeitsamts vorgehen. Ich glaube, das ist eine Lösung, wie wir sie
weitergehend schlechterdings kaum finden können.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sehe ich recht, daß das Beschreiten des Rechtswegs keine das Arbeitsverhältnis aufhebende Wirkung hat, daß also der Arbeitnehmer unter Umständen auf einen jahrelangen Prozeß verwiesen ist, bis er zu seinem Recht kommt, und in dieser Zeit die Arbeitsbedingungen, die er als unzumutbar betrachtet, ertragen muß?
Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung; das ist richtig, das ist zuzugeben. Es hängt hier eben davon ab — wenn ich das so sagen darf, Herr Kollege Matthöfer —, daß wir auf eine zügige Durchführung der Prozesse hinarbeiten.
Jetzt kommt die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schmidt .
Herr Minister, darf ich Sie bitten, bezüglich der Frage des Vorrangs der Freiwilligkeit und des § 01 zur Kenntnis zu nehmen, daß zwar in der Ausschußfassung § 1 Abs. 3, in dem von den unverhältnismäßigen Mitteln die Rede war, gestrichen ist, daß es dafür aber in dem Ausschußbericht bei der Begründung des § 01 heißt:
Nach Auffassung des Ausschusses ist der Fall, daß Arbeitsleistungen auf der Grundlage der Freiwilligkeit nicht erbracht werden können, auch dann gegeben, wenn sie nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln sichergestellt werden können.
Man hat das also lediglich von dem Gesetz in die Begründung verlagert. Sehen Sie das als eine Verbesserung an, oder ist das nicht vielmehr ein Täuschungsmanöver?
Nein, Herr Kollege, ich kann Ihren Darlegungen nicht folgen. Ich sehe es eindeutig als eine Verbesserung an, daß wir den § 01 vorangestellt haben, wodurch für die Bediensteten der Bundesanstalt gar kein Zweifel bestehen kann, daß der Grundsatz der Freiwilligkeit Vorrang vor allen anderen Überlegungen hat. Das ist gesetzmäßig klar und eindeutig festgestellt.
Deshalb vermag ich Ihren Ausführungen nicht zu folgen.
Eine zweite Zusatzfrage.
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Herr Minister, darf ich Sie dann bitten, die im Ausschußbericht angesprochenen unverhältnismäßigen Mittel in ihrem Ermessensraum zu konkretisieren.
Herr Kollege Schmidt, die Sache ist doch ganz einfach die: Wir wollen mit Ihnen, wenn ich ihre Darlegungen in der zweiten Lesung richtig verstanden habe, alles daransetzen. Denn wir wissen doch auch, daß jeder Arbeitsplatz sehr viel sinnvoller und besser besetzt ist, wenn dies in Freiwilligkeit erfolgt, als wenn es mit Zwang geschieht. Darüber braucht uns doch niemand zu belehren.
Es ist doch ganz selbstverständlich, daß wir alle miteinander wissen, daß die Menschen sehr viel mehr leisten, wenn sie freiwillig an eine Arbeitsstelle gehen. Wir wollen doch nur für den Fall, von dem wir hoffen, daß er nie eintritt, vorsorgen, daß Leute auf einem Operationstisch liegen und nur deshalb nicht operiert werden können, weil wir nicht die Menschen haben, die dazu da sind, diese Hilfsleistungen zu vollbringen.
Das ist doch unser einziger Wunsch und Wille, den wir dabei haben und der uns dabei leitet.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, noch weitere Zwischenfragen zu beantworten? Es haben sich noch zwei Zwischenfrager gemeldet.
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, dem Hause zu sagen, daß die Rechtsmittelbestimmungen des Arbeitssicherstellungsgesetzes dem Betroffenen weit mehr Rechtsmittel geben als diejenigen in allen anderen Sicherstellungsgesetzen?
Herr Kollege Dr. Lenz, ich habe es vorhin schon versucht, darzulegen, ich kann es nur bestätigen.
Eine zweite Frage: Sind Sie bereit zu bestätigen, Herr Bundesminister, daß auch trotz der Tatsache, daß die Anrufung eines Gerichtes im allgemeinen ja keine aufschiebende Wirkung hat, dennoch die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung oder Verfügung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren besteht?
Auch das kann ich bestätigen,
Herr Abgeordneter Buschfort zu einer Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, Sie führten vorhin aus, daß die Arbeitnehmer nach § 26 die Möglichkeit hätten, im Streitfalle das Arbeitsgericht anzurufen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß im § 26 vom Arbeitsgericht überhaupt nicht die Rede ist, sondern daß dort vom Verwaltungsgericht gesprochen wird?
In der Tat, Herr Kollege, ich bitte um Entschuldigung: Verwaltungsgericht; ich hatte es vorhin, als ich es vortrug, überlesen.
Eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Minister, können Sie aus vergangenen Notzeiten ein Beispiel nennen, bei dem eine Operation für einen Schwerverwundeten nicht möglich war, weil das Personal seine Hilfeleistung verweigert hat?
Frau Kollegin Funcke, ich habe gesagt, wir wollen verhindern, daß ein solcher Fall eintreten kann. Ich weiß aus meiner Erfahrung im Kriege, daß es solche Fälle gegeben hat.
Leider Gottes hat es sie gegeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige wenige Ausführungen zu den Bemerkungen des Kollegen Schmidt machen. Herr Kollege Schmidt, ich kann natürlich Ihre schlechte Position verstehen, in der Sie hierherkommen mußten, um das vorzutragen, was Sie im Auftrage Ihrer Fraktion hier glaubten sagen zu sollen.
— Aber warten Sie doch ab, das werde ich Ihnen schon sagen.Zunächst haben Sie gesagt, Herr Kollege Schmidt, es sei schon schlecht, hier durch den Berichterstatter redaktionelle Änderungen vortragen zu lassen. Sollen wir wirklich herausziehen, wieviel Berichterstatter von Ihnen nach einem Bericht hier redaktionelle Änderungen vorgetragen haben? Wollen Sie das wirklich? Ist das ein Argument dafür, in dieser Form über das Gesetz zu reden?
Wir werden die Dinge, die wir gegenüber der Regierungsvorlage positiv weiterentwickelt haben, in
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Behrendtder dritten Lesung durch unseren Sprecher noch ganz klar zum Ausdruck bringen.Sie haben dann gesagt, Herr Kollege Schmidt, zur zweiten Beratung hätten Sie nicht da sein können. Es ist Ihre Sache, das zu vertreten. Aber zu sagen, das Gesetz sei durchgezogen worden, Herr Kollege Schmidt, das kann nur Ihnen passieren. Wenn Sie dabeigewesen wären — ich sage im Gegensatz zum Kollegen Müller: schade, daß Sie nicht dabei waren —, hätte das Gesetz nach meiner Überzeugung auf keinen Fall besser werden können als so, wie wir es jetzt hier beschlossen haben.
Herr Kollege Schmidt, das Gesetz ist in einer Form beraten worden, daß ich nur sagen kann: ich wünschte mir, daß jedes Gesetz im Ausschuß für Arbeit so ordentlich beraten würde, wie es mit diesem Gesetz geschehen ist.
— Natürlich waren kurz hintereinander zwei Lesungen. Aber die Ordentlichkeit steht in keinem Fall in Frage.
Nun zu dem Problem der Vorrangigkeit. Sie bezweifeln das und spielen auf den Bericht an. Ich gebe zu, das ist ein wenig eigenartig im Bericht erschienen. Aber durch das Gesetz ist nunmehr eine zwingende Verpflichtung für die angesprochene Behörde gegeben, der Freiwilligkeit den Vorrang zu geben. Das muß dem Gesetz entsprechend so durchgeführt werden.Daß Sie über das Grundgesetz, wie es jetzt in der zweiten Lesung beschlossen worden ist, schlecht informiert waren, ist sicherlich Ihre Sache. Wir können hier nur noch einmal sagen, daß alle Dienstverpflichtungen erstens nur im Verteidigungsfall nach Art. 115 a Abs. 1 und zweitens nur im Spannungsfall oder bei Inkraftsetzung der Einzelgesetze
nach Art. 80 a Abs. 1, aber nur mit Zweidrittelmehrheit, durch diesen Bundestag beschlossen werden können. Was verstehen Sie denn darunter, Einzelgesetze mit Zweidrittelmehrheit in Kraft zu setzen? Ich wäre sehr interessiert daran, einmal von Ihnen zu hören, was Sie dazu zu sagen haben.Nun noch zu den Rechtsverordnungen nach § 3 Abs. 2. Der Kollege Müller hat schon gesagt, daß wir ganz bewußt in Abs. 1 eine strenge Einengung vorgenommen haben, wofür überhaupt Dienstverpflichtungen vorgenommen werden können. Nun wissen Sie, daß bei zustimmungspflichtigen Gesetzen Rechtsverordnungen, die erlassen werden, die Zustimmung des Bundesrates erhalten müssen.
— Wir wissen das ja, das braucht man nicht reinzuschreiben.
— Nein, Sie haben es wahrscheinlich immer noch nicht richtig gelesen. Rechtsverordnungen, die in zustimmungspflichtigen Gesetzen vorgesehen sind, müssen die Zustimmung des Bundesrates erhalten. Das ergibt sich aus dem Gesetz. Daß der Bundesrat solchen Rechtsverordnungen zustimmen muß, ist ja wohl eine Sicherung. Oder ist es das für Sie nicht? Oder sind Sie in keiner Länderregierung? Sind Sie nicht bei uns in Nordrhein-Westfalen in der Landesregierung? Haben Sie kein Vertrauen dazu? Ich will das nur nebenbei ,sagen. Sie haben also eine Sicherheit a) über den Bundesrat und b) auch noch durch das Kassationsrecht ausschließlich für den Bundestag, das wir gerade beschlossen haben. Wir glauben, daß wir damit alle Sicherheiten geschaffen haben, die es nach unserer Gesetzgebung überhaupt gibt.Das wollte ich zu den Ausführungen des Kollegen Schmidt sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Vorredner zeigen, daß Sie offensichtlich Ihrer Sache doch nicht so sicher sind, wie Sie hier tun. Denn wenn Sie von Anfang an klar gewußt haben, daß der Bundesrat bei Verordnungen zustimmen muß — das hatte ich eigentlich vermutet —, dann frage ich mich, weshalb Sie bei Ihrer sorgfältigen Beratung in das Gesetz hineingeschrieben haben, daß Bundestag und Bundesrat aufheben können. Warum Sie das nach Ihrer so, sorgfältigen Ausschußberatung erst nachträglich gemerkt haben, ist eine der Fragen, die man hier einfach stellen muß. So geht das bei diesem Gesetz durch und durch.
— Seien Sie doch nicht so ungeduldig.
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Kollege Moersch, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie keine Änderungsanträge zu diesem Gesetz stellen wollen? Wenn ja, wieso kann man denn hier in der Form, wie Sie es versuchen, nun einmal Opposition zu betreiben, nur anklagen, ohne Besseres vorzulegen?
Entschuldigen Sie, der Ton, in dem Sie soeben gefragt haben, und die Formulierung erinnern mich an den Fall, daß Sie sich als Staatsanwalt der Opposition gegenüber fühlen.
Das war genau die Art der Fragestellung, die bei Gericht üblich ist. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
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MoerschMeine Damen und Herren, Sie muten uns mit dem, was Sie hier vorgelegt haben, einiges zu. Sie muten uns nämlich zu, Änderungsanträge einzureichen, ohne daß es gestern möglich war, das Ausschußprotokoll zu bekommen, auf Grund dessen man den Sinn dessen hätte enträtseln können, was Sie hineingeschrieben haben. Sie muten diesem Parlament und auch Ihren Kollegen, die nicht sachkundig sind — genauso wie ich, der ich nicht dem Arbeitsausschuß angehöre —, zu, über ein Gesetz von sehr großer Tragweite zu entscheiden, ohne daß sie die Möglichkeit gehabt haben, sorgfältig das Für und Wider zu erörtern. Sie muten uns hier zu, in einem Fall blind zu buchen, wo der Ausschuß selbst — sein Vorsitzender — anschließend zu der angeblich fertigen Arbeit vier Änderungsanträge stellen muß. Meine Herren, zu einer solchen Methode kann man nur nein sagen. Damit ist das Parlament überstrapaziert. Sie machen damit diesen Bundestag zu einer Anstalt für den Vollzug von unfertigen Vorlagen. Das wollten wir vermeiden.Wir lehnen es ab, Änderungsanträge zu Dingen zu stellen, die Ihnen selbst bisher nicht klargeworden sind; sonst hätten Sie Ihre eigene Arbeit nicht mit Änderungsanträgen versehen müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf das Argument hin, es habe keine Zeit für Änderungsanträge gegeben, darf ich folgenden ersten Satz aus dem Bericht des Ausschusses vorlesen:
Der Entwurf wurde mit Schreiben des Stellvertreters des Bundeskanzlers vom 6. Dezember 1967 beim Deutschen Bundestag eingebracht und nach der 1. Beratung in der 164. Sitzung des Deutschen Bundestages am 29. März 1968 an den Ausschuß für Arbeit federführend . . . überwiesen.
Herr Kollege Moersch, ein halbes Jahr sollte doch wohl dafür ausreichen, Änderungsanträge auszuarbeiten!
— Herr Kollege, dieser Vorwurf ist absolut unwahr! Das habe ich hier aus dieser Drucksache abgelesen. Das können Sie genausogut nachlesen, wie ich es hier vorgelesen habe!
Aber die Arbeit, die Gesetze zu lesen, die man hier berät, können wir Ihnen leider in diesem Hause nicht abnehmen!
— Ich lasse keine Zwischenfrage zu!
Es ist das Recht eines jeden Abgeordneten, keine Zwischenfrage zuzulassen.
Herr Kollege Dorn, Sie sollten in dieser Beziehung besonders vorsichtig sein! Sie haben mir in der letzten Sitzung ebenfalls eine Zwischenfrage veerweigert. Das wollen wir hier einmal kurz feststellen.
— Mein Stil, Herr Kollege Mertes, steht hier nicht zur Diskussion. Über Stilfragen können wir bei anderer Gelegenheit reden.
Ich möchte jetzt noch kurz ein Wort zur Begründung unseres Änderungsantrages zu § 3 Abs. 2 des Gesetzes, der hier mehrfach angesprochen worden ist, sagen. Dieser Änderungsantrag hat kein anderes Ziel, als den Text des Arbeitssicherstellungsgesetzes an den vorgeschlagenen Text der Grundgesetzergänzung anzugleichen. Das ist der ganze Zweck. Sie werden, wenn Sie die beiden Umdrucke 485 und 488 vergleichen, feststellen, daß diese Texte identisch sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lenz, darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie hier bewußt eine Täuschung unternommen haben! Darf ich Sie darauf hinweisen —
Darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie bewußt nicht weitergelesen haben, weil es im Bericht weiter unten heißt:
Die Beratung im Ausschuß für Arbeit konnte erst erfolgen, nachdem die Beschlüsse der 2. Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes —Drucksache V/1879 —, die vom Plenum des Deutschen Bundestages am 15. und 16. Mai 1968 gefaßt wurden, vorlagen, denn es handelt sich um ein Ausführungsgesetz zu dem vorgesehenen Artikel 12 a ...
Wie konnten Sie dann behaupten, daß es möglich gewesen sei, im März zu beraten?
Ich darf weiter darauf hinweisen und darf den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses zum Zeugen nehmen, daß er selbst erklärte: Die Beratungen sind erst dann möglich, weil sich die Änderungen aus den Grundgesetzänderungen ergeben. Ich darf Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Vorwurf der bewußten Täuschung mit allem Nach-
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9584 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Mai 1968
Dr. Lenz
druck und aller Schärfe zurückweisen. Der Stil, der in diesem Hause von Ihrer Seite eingerissen ist, ist wirklich eine Frage, über die man einmal sprechen muß. Ich möchte jetzt einmal ganz offen folgendes sagen, meine Damen und Herren. Es ist doch wohl eine feststehende Tatsache, daß man sich über Änderungsanträge auch dann schon den Kopf zerbrechen kann, wenn der entsprechende Gesetzentwurf noch nicht an den Ausschuß überwiesen worden ist. Das dürfte inzwischen bekannt sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
— Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe
bitten, damit wir die Beratungen fortführen können.
— Herr Abgeordneter Dorn, ich darf auch Sie um Ruhe bitten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte dem Abgeordneten Schmidt antworten, und Sie werden doch nicht so unhöflich sein, ausgerechnet bei einer Antwort an Ihren Fraktionskollegen Lärm zu machen.
Was der Herr Kollege Lenz hier aus dem Bericht
zitiert hat, darf ich noch einmal kurz unterstreichen. Am 6. Dezember wurde der ursprüngliche Entwurf eingebracht, und am 29. März wurde er an den Ausschuß für Arbeit überwiesen. Uns war ebenso klar, wie es Ihnen klar sein mußte, daß der Innenausschuß und der Rechtsausschuß in monatelangen, ja in jahrelangen Beratungen um die Verfassung gerungen haben.
Sie haben dann allerdings auch nicht weiter zitiert, Herr Kollege Schmidt. In dem dann folgenden Absatz steht nämlich:
Für den Ausschuß war von besonderem Nutzen, daß die Grundsatzfragen, die der Entwurf des Arbeitssicherstellungsgesetzes aufwirft, von Rechts- und Innenausschuß bereits bei der Beratung des künftigen Art. 12 a des Grundgesetzes, dessen Durchführung der Entwurf des Arbeitssicherstellungsgesetzes dient, eingehend geprüft worden sind.
Ein weiterer Kommentar erübrigt sich.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß es überhaupt zu solchen Zitierungen kommt, ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Zeit, die insgesamt für den Arbeitsausschuß laut Bericht zur Verfügung stand, zu kurz war. Meine Kollegen, ich habe volles Verständnis, daß Sie Ihre Auffassung verteidigen. Es ist aber ein unmögliches Verfahren, in den letzten 14 Tagen laufend der FDP zu unterstellen, daß sie hier falsch zitiere, und dann von Ihnen zum zweitenmal diese Methode anzuwenden, wie es hier geschehen ist. Wir haben sie leider schon bei dem Herrn CDU/ CSU-Fraktionsvorsitzenden zurückweisen müssen.
Meine Damen und Herren, nützen wir eigentlich unserer Arbeit, wenn in dieser Form versucht wird, darüber hinwegzutäuschen, daß für die Beratung im Ausschuß mit der Veränderung der Paragraphen — aus dem Fettdruck ersehen Sie schon, wieviel geändert worden ist — nur wenig Zeit war? Dazu im einzelnen Änderungsanträge zu stellen, wenn einem nicht einmal das Protokoll der Ausschußsitzung zur Verfügung gestellt werden kann, ist einfach unmöglich. Sie würden genauso dagegen protestieren, wenn Sie in dieser Lage wären. Haben Sie doch wenigstens den Mut, einzusehen, daß die Zeit zu kurz war! Daß Sie es durchziehen wollen, wissen wir. Daß Sie aber nicht einmal den Mut haben, zuzugeben, daß es durchgepeitscht wird, das bedauern wir.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, zu den Ausführungen des Herrn Mischnick doch noch ein paar Sätze sagen zu müssen. Es ist eine alte Gewohnheit dieses Hauses, daß jeder, der in den Ausschuß geht, sich vorher die Vorlage nicht nur ansieht, sondern eingehend studiert und schon vorher im Kreis seiner Kollegen Beratungen anstellt, was zu tun ist.
Das Zweite wollte ich eigentlich nicht sagen, aber ich muß es jetzt sagen.
— Moment, wenn ich den Satz ausgesprochen habe!
— Der Herr Kollege Schmidt hat in der Sitzung am 17. Mai schon angekündigt, daß von Ihrer Fraktion niemand kommen wird und daß es ganz egal sei, Sie seien doch gegen diese Vorlage.
Infolgedessen erübrigt sich jede Diskussion hier.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur zur Klarstellung: Herr Kollege Müller, ich glaube, Sie haben vergessen, daß uns die Vorschläge für die sich aus der in der zweiten Lesung beschlossenen Grundgesetzänderung ergebenden Änderungen erst am Freitagnachmittag bei der ersten einführenden Sitzung
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Schmidt
auf den Tisch gelegt wurden, es also gar nicht möglich war, sich vor dieser ersten Sitzung Gedanken darüber zu machen, was auf einen zukommt; das nur, weil Sie eben sagten, man könne sich die Dinge vorher ansehen. — Bitte.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß Sie sehr wohl Gelegenheit gehabt hätten, sich Gedanken darüber zu machen, wenn einer von Ihren vier Mitgliedern im Arbeitsausschuß am 22. Mai anwesend gewesen wäre? Dann hätten Sie auch kein Protokoll gebraucht.
Herr Kollege Ott, ich habe bereits von dieser Stelle eindeutig zum Ausdruck gebracht, warum das nicht möglich war. Ich habe dies im Ausschuß bereits in der ersten Sitzung zu Protokoll gegeben. Ich habe mich darüber hinaus bemüht, die Ergebnisse der Beratungen des Ausschusses an meine Heimatadresse zu bekommen, um mir die Dinge ansehen zu können. Das war mit Ausnahme des dünnen Ausschuß-Vorberichts nicht möglich. Ich habe mich gestern und heute bemüht, die Ausschußprotokolle zu bekommen. Das war ebenfalls nicht möglich.
Nun sagen Sie mir, wie man sich genau darüber orientieren kann!
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegt die Ausschußfassung in der Form zugrunde, die durch die angenommenen Änderungsanträge auf den Umdrucken 488 und 491 gegeben ist. Ich rufe die §§ 01, 1 bis 41, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Stimmen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes
— Drucksache V/2387 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
— Drucksache V/2931 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Steinmetz
Das Wort zur Ergänzung des Berichts hat der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Dr. Steinmetz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich um eine kleine Richtigstellung. In dem Text des Antrags des Ausschusses auf Seite 3 muß es unter § 12 nicht „Rechtsmittelbelehrung" heißen, sondern „Rechtsmittelbeschränkung"
Sie finden die Anträge des Ausschusses auf Änderung des Gesetzentwurfs auf Seite 3 der Drucksache V/2931. Ich bitte, sie da nachzulesen.
Ich will nur zu einem einzigen Änderungsantrag des Ausschusses ganz kurz Stellung nehmen. Es handelt sich um die Streichung des § 2 Abs. 2. Eine kurze Begründung dazu: In dem bisherigen Wirtschaftssicherstellungsgesetz war eine deutliche Abgrenzung vorgenommen worden zwischen den vor einem Notstandsfall, also in der Vorbereitungszeit notwendigen Befugnissen für die Regierung und den Befugnissen, die bei Eintritt eines Notstandsfalles, also in einem Spannungsfall oder einem Verteidigungfall, notwendig werden. Der Wirtschaftsausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß diese Abgrenzung nunmehr nicht mehr erforderlich ist, da nach dem Art. 80 a Abs. 1 des Grundgesetzes Rechtsverordnungen, die die bevorzugte Bedarfsdeckung von Bedarfsträgern der öffentlichen Hand im Sinne der Herstellung der Verteidigungsbereitschaft erreichen sollen, möglich sind. Die Bundesregierung kann jederzeit eine solche „Vorbereitungsrechtsverordnung" erlassen. Zu ihrer Anwendung bedarf sie allerdings der Zustimmung des Bundesrates.
Ich bitte, diesem und den anderen Änderungsanträgen des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Bevor ich in die Beratung eintrete, muß ich daran erinnern, daß die Fraktion der Freien Demokraten Rückverweisung dieses Gesetzentwurfs an die beteiligten Ausschüsse beantragt hat. Der Antrag ist begründet. — Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wer dem Rückverweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Ich komme damit zur Beratung, und zwar zunächst zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zu § 12 auf Umdruck 492. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Eine Begründung erübrigt sich. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD auf Umdruck 492 *) zur Neufassung des § 12 innerhalb des Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich komme nunmehr zur Abstimmung über Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-*) Siehe Anlage 9
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Vizepräsident Dr. Jaegerprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.Ich rufe auf die Art. 1 a, — 2, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen und wenigen Gegenstimmen angenommen.Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Wenn ich recht informiert bin, ist interfraktionell beschlossen worden, nunmehr abzubrechen, nachdem die zweiten Beratungen erledigt sind, und dann morgen mit der dritten Beratung der Ergänzung des Grundgesetzes zu beginnen und die dritten Beratungen der Sicherstellungsgesetze anzuschließen.Damit stehen wir am Ende der Arbeit des heutigen Tages. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 30. Mai 1968, 9.00 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.