Protokoll:
5165

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 5

  • date_rangeSitzungsnummer: 165

  • date_rangeDatum: 2. April 1968

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:32 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:28 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 165. Sitzung Bonn, den 2. April 1968 Inhalt: Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an die zuständigen Ausschüsse 8607 A Amtliche Mitteilung 8607 B Erweiterung der Tagesordnung 8607 B Vereidigung des neu ernannten Bundesministers des Innern D. Dr. Gerstenmaier, Präsident 8607 C Benda, Bundesminister 8607 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968) (Drucksache V/2150); Berichte des Haushaltsausschusses — Zweite Beratung — Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes (Drucksache V/2704) Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler 8608 A Scheel (FDP) 8614 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 8624 D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 8630 C Mischnick (FDP) 8638 C Dr. Althammer (CDU/CSU) 8640 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksache V/2705) in Verbindung mit Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Griechenland (Drucksachen V/1989, V/2608), mit Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Antrag betr. Entschließungen des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa (Drucksachen V/2157, V/2801) und mit Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Vietnam-Frage (Umdruck 386) Kiep (CDU/CSU) 8644 A Genscher (FDP) 8647 C Dr. Eppler (SPD) 8651 B Peters (Poppenbüll) (FDP) 8653 C Hermsdorf (SPD) 8653 D Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) 8654 A, 8662 D Herold (SPD) 8655 B Blumenfeld (CDU/CSU) 8656 B Jung (FDP) 8658 A Dr. Kopf (CDU/CSU) 8658 D, 8663 D Mattick (SPD) 8660 C Dr. Mommer (SPD) 8662 C Weitere Abwicklung der Tagesordnung Scheel, Vizepräsident 8664 A Rasner (CDU/CSU) 8664 B Mertes (FDP) 8664 C Nächste Sitzung 8664 D Anlagen 8665 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 8607 165. Sitzung Bonn, den 2. April 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 14.32 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach 2. 4. Arendt (Wattenscheid) 2. 4. Dr. Artzinger * 5. 4. Bading * 2. 4. Bauer (Wasserburg) 5. 4. Berendsen 6. 4. Borm 5. 4. Dr. Brenck 5. 4. Diekmann 3. 4. Draeger *** 7. 4. Dröscher * 2. 4. Dr. Eckardt 5. 4. Frau Dr. Elsner 6. 4. Frau Enseling 3. 4. Faller 2. 4. Flämig *** 7. 4. Dr. Frey 30. 6. Freiherr von Gemmingen 2. 4. Hahn (Bielefeld) * 6. 4. Hamacher 6. 4. Hirsch 5. 4. Hörmann (Freiburg) 2. 4. Frau Dr. Hubert 1. 7. Jacobi (Köln) 2. 4. Dr. Jaeger 7. 4. Kahn-Ackermann ** 2. 4. Frau Klee ** 2. 4. Klinker * 5. 4. Dr. Kreutzmann 5. 4. Kriedemann * 2. 4. Freiherr von Kühlmann-Stumm 5. 4. Kunze 1. 6. Lemmer 6. 4. Lenz (Brühl) 31. 5. Lenze (Attendorn) *** 7. 4. Dr. Löhr * 4. 4. Dr. Marx (Kaiserslautern) 4. 4. Mauk * 5. 4. Frau Meermann 5. 4. Metzger * 5. 4. Müller (Aachen-Land) * 5. 4. Neumann (Stelle) 2. 4. Riedel (Frankfurt) 2. 4. Dr. Rutschke ** 2. 4. Sander 2. 4. Schultz (Gau-Bischofsheim) 2. 4. Dr. Schulz (Berlin) ** 3. 4. Dr. Süsterhenn 5. 4. Dr. Starke (Franken) * 2. 4. Stein (Honrath) 5. 4. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Steinhoff 15. 5. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell 6. 4. Wienand 5. 4. Anlage 2 Umdruck 386 Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1968, hier: Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen V/2150 Anlage, V/2705). Der Bundestag wolle beschließen: Das Lebensinteresse des vietnamesischen Volkes verlangt Waffenruhe und Frieden als Voraussetzung der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Dazu gehört die Bereitschaft aller Beteiligten, auf eine militärische Lösung des Konflikts zu verzichten und eine politische Regelung anzustreben. Der Bundestag stellt fest: Ein Verzicht der Vereinigten Staaten von Amerika auf eine militärische Lösung würde unser Vertrauen in die Garantie der USA, ohne die es keine Sicherheit für Europa, die Bundesrepublik Deutschland und Berlin gibt, nicht berühren. Der Bundestag tritt für die Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam ein. Es sollte keine Chance ungenutzt bleiben, zu Friedensverhandlungen zu kommen; erwartet von der nordvietnamesischen Regierung, daß sie einen solchen Schritt positiv beantwortet. In gleicher Weise appelliert der Bundestag an die Volksrepublik China und an die UdSSR, eine Beendigung des Krieges durch die Bereitschaft zu Verhandlungen auf der Grundlage des Genfer Indochina-Abkommens zu fördern. Der unerklärte Krieg in Südostasien hindert den weiteren Abbau der Spannungen zwischen Ost und West. Er birgt die Gefahr einer Ausweitung. Deshalb liegt der Friede in Vietnam auch im unmittelbaren europäischen und deutschen Interesse. Der Deutsche Bundestag begrüßt das politisch-moralische Engagement besonders der jungen Generation unseres Landes in dieser Frage. Er grenzt sich ab gegen links- und rechtsextreme Kräfte in der Bundesrepublik, die sich in einem primitiven Antiamerikanismus zu überbieten suchen und durch ihre Forderung nach „vielen Vietnams" eine Weltkatastrophe heraufbeschwören. Solange die Kriegshandlungen fortgesetzt werden, sind die Deutschen aufgerufen, zur Linderung der menschlichen Not des seit Jahrzehnten unter den Verheerungen des Krieges leidenden Volkes in beiden Teilen Vietnams beizutragen. Bonn, den 2. April 1968 Schmidt (Hamburg) und Fraktion 8666 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 Anlage 3 Umdruck 389 Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1968, hier: Einzelplan 05, Auswärtiges Amt (Drucksachen V/2150, V/2705). Der Bundestag wolle beschließen: Der Ansatz in Kap. 05 02 Tit. 964 — NATO-Verteidigungshilfe und Ausrüstungshilfe — wird gestrichen. Bonn, den 2. April 1968 Mischnick und Fraktion Anlage 4 Umdruck 388 Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1967, hier: Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen V/2150 Anlage, V/2705) . Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß eine Politik der Entspannung und des Friedens für Europa dann erleichtert wird, wenn es gelingt, Frieden und Entspannung auch in anderen Teilen der Welt zu fördern. Die anhaltende Eskalation des Krieges in Vietnam ist geeignet, die internationalen Spannungen zu verschärfen und die Gefahr eines dritten Weltkrieges heraufzubeschwören. Ziel der Lösung des Vietnam-Konfliktes muß sein: Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung für Vietnam, die auch dem vietnamesischen Volk das Recht auf Wiedervereinigung seines Landes und das Recht auf Selbstbestimmung ohne die Anwesenheit ausländischer Truppen auf vietnamesischem Boden garantiert. Zur Erreichung dieses Zieles erscheint notwendig: 1. Die Aufnahme von Verhandlungen zwischen allen am Konflikt beteiligten Parteien, 2. die Einstellung dier Bombardierung Nordvietnams, 3. die Einstellung aller Operationen nordvietnamesischer Streitkräfte auf südvietnamesischem Gebiet. Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Vietnam auch in Zukunft ausschließlich humanitäre Hilfe ohne Ansehen der Parteien zu leisten und darüber hinaus den Beteiligten keine direkte oder indirekte Unterstützung zu gewähren. Bonn, den 2. April 1968 Mischnick und Fraktion Anlage 5 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 29. März 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dr. Bayerl (Drucksache V/2564 Fragen 27, 28 und 29 1): Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Pressemeldungen eine Pioniereinheit der Bundeswehr im Jahre 1959 „zufällig" auf dem Gelände des ehemaligen Fort Haslang im Raume Ingolstadt, das der Münchner Architekt Maier vom Freistaat Bayern käuflich erworben hatte, geübt und das Gelände eingeebnet hat, obwohl in unmittelbarer Nähe annähernd gleichwertiges Übungsgelände, das dem Freistaat Bayern gehört, zur Verfügung stand? Warum wurden für die in Frage 27 aufgeführten Planierungsarbeiten auf dem Privatgrundstück des Architekten Maier keine Kosten erhoben? Trifft es zu — wie der Donaukurier in seiner Ausgabe vom 27, Januar 1968 behauptet —, daß im Jahre 1959 die Bundeswehr im gleichen Raume 3 Millionen DM aufgewendet hat, um das Gelände des ehemaligen Fort Oberstimmen, auf dem heute die Kasernen des Geschwaders AG 51 Immelmann stehen, einebnen zu lassen? Die Pressemeldungen treffen in der durch die Frage wiedergegebenen Form nicht zu. Im Jahre 1959 hatte die leichte Pioniergerätekompanie 762, Ingolstadt, die örtliche Bundesvermögensstelle gebeten, ihr Bundesgelände für die Durchführung von Lehrgängen für Pioniermaschinen-Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Als Begründung für diesen Antrag wurde angeführt, daß im Raume Ingolstadt kein geeigneter Übungsplatz für diese Zwecke vorhanden sei. Der Kompanie wurde daraufhin das bundeseigene Gelände dies ehemaligen Forts Haslang zugewiesen. Es wurden dort nicht nur Planierungsarbeiten, sondern auch andere Ausbildungsvorhaben mit Pioniermaschinen, wie Ausbaggern und Ausheben von Kampfständen, durchgeführt. Von dem Verkauf ides Geländes an den Münchner Architekten Maier erhielt die Kompanie erst etwa 2 Monate nach dem Eigentumswechsel Kenntnis. Der neue Eigentümer gestattete die weitere kostenlose Benutzung, worüber der Kompanie-Führer sehr froh war, weil diese Zusage die Durchführung weiterer Lehrgänge ermöglichte. Auch nach dem Verkauf erstreckten sich die Ausbildungsvorhaben auf Planierungsarbeiten und den Bau von Kampfständen usw. Das Gelände Fort Oberstimmen wurde durch Großbaufirmen im Auftrag der Oberfinanzdirektion München baureif gemacht. Die Kosten betrugen nach den Abrechnungsunterlagen dier Finanzbauverwaltung DM 984 970,—. Fort Oberstimmen war ein Außenfort in Gestalt eines etwa 25-30 m hohen Hügels mit mehrstöckigen Kasematten. Ein Einsatz von Pionieren war nicht möglich, weil gemäß den Bestimmungen über wirtschaftliche Einsätze Truppen der Bundeswehr nur zu Bauzwecken herangezogen werden dürfen, wenn auf öffentliche Ausschreibengen keine Angebote eingehen. Diese Voraussetzung war hier jedoch nicht gegeben. *) Siehe auch 157. Sitzung, Anlage 11 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 8667 Anlage 6 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. h. c. Strauß vom 29. März 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Zebisch (Drucksache V/2753 Frage 29) : Welche Gründe hindern die Bundesregierung daran, die sogenannte Investitionssteuer für besonders industriearme Räume des Grenzlandes und bestimmte Arten von Betrieben zu senken, wo doch eine Wettbewerbsgleichheit, die Staatssekretär Leicht als Gegenargument anführt (vgl. Stenographischer Bericht über die 157. Sitzung, S. 8150 D) in diesen Gebieten zum übrigen Bundesgebiet hin ohnehin nicht gegeben ist und eine Senkung bzw. Streichung der sog. Investitionssteuer in diesen Gebieten auch nach Auffassung von Staatssekretär Dr. Arndt (vgl. Stenographischer Bericht über die 156. Sitzung, S. 8022 D) als konjunktur- und regionalpolitisches Instrument sehr geeignet wäre? In der Schriftlichen Antwort auf die Mündliche Anfrage des Kollegen Hofmann (Kronach) — Stenographischer Bericht über die 157. Sitzung, S. 8150 D — hat mein Parlamentarischer Staatssekretär Leicht dargelegt, daß eine Senkung der Steuer für den Selbstverbrauch nach § 30 UStG 1967 (sog. Investitionssteuer) in den Zonenrandgebieten dem Grundgedanken der Umsatzsteuer als einer allgemeinen Verbrauchsteuer widerspräche und außerdem gegen die Wettbewerbsneutralität der neuen Umsatzsteuer verstoße. Da die Herstellung der Wettbewerbsgleichheit auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung einer der wichtigsten Gründe war, die zur Umsatzsteuerreform führten, erscheint es nicht angebracht, durch Ausnahmeregelungen erneute Wettbewerbsverzerrungen zu schaffen. Im übrigen dient die Besteuerung des Selbstverbrauchs in den Jahren 1968 bis 1972 der stufenweisen Einführung des sofortigen Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern. Der Gesetzgeber ist bei ihrer Einführung nicht davon ausgegangen, daß sie als konjunktur- oder regionalpolitisches Instrument eingesetzt werden sollte. Was die Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Arndt, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1968 (vgl. Stenographischer Bericht über die 156. Sitzung S. 8022 D) betrifft, so hat dieser zum Ausdruck gebracht, daß die allgemeine Konjunkturwirkung einer generellen Senkung der Investitionssteuer sicherlich auch dem Zonenrandgebiet zugute gekommen wäre. Er hat sich jedoch nicht für eine regionale Differenzierung dieser Steuer ausgesprochen. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die sog. Investitionssteuer — bei fallendem Steuersatz — nur in der Zeit vom 1. 1. 1968 bis 31. 12. 1972 erhoben wird. Für eine nachhaltige Förderung der Zonenrandgebiete wäre ihre Senkung bzw. der Fortfall in diesen Gebieten somit ohnehin kaum geeignet, denn der durch eine solche Maßnahme entstehende Vorteil für die Unternehmer im Zonenrandgebiet würde von Jahr zu Jahr kleiner werden. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Bundesministers Höcherl vom 29. März 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Mick (Drucksache V/2753 Fragen 36 und 37) : Gedenkt die Bundesregierung der Aufforderung des Bundestages nachzukommen, die gekürzten Haushaltsmittel für Nebenerwerbssiedlungen zugunsten vertriebener Bauern durch Kreditmittel auszugleichen, soweit es sich bei den Nebenerwerbssiedlungen um eine echte Eingliederung handelt? Gedenkt die Bundesregierung einen Dritten Fünfjahresplan zugunsten der in Frage 36 genannten Nebenerwerbssiedlungen — soweit es sich um echte Eingliederungsmaßnahmen handelt — vorzulegen? Die Frage zu 1. ist mit ja zu beantworten. Die Bundesregierung ist bemüht, Kapitalmarktmittel zu Lasten des bei der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank bestehenden Zweckvermögens zur Finanzierung der Eingliederung der vertriebenen Bauern zu beschaffen. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung sind im Bundeshaushalt für die Jahre 1969 bis 1972 keine Bundeshaushaltsmittel für eine Neubewilligung von Finanzierungshilfen für die Vertriebenensiedlung vorgesehen. Es stehen lediglich in geringem Umfange Rückflüsse des bei der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank bestehenden Zweckvermögens zur Verfügung. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 1. April 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Picard (Drucksache V/2753 Fragen 62, 63 und 64) : Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich des Charakters und der Bedeutung der Vereidigung von Rekruten? Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß eine Rekrutenvereidigung eine Veranstaltung ist, die durch geeignete Maßnahmen der zuständigen Polizei vor den Versuchen von Störern, ihre Durchführung zu verhindern, geschützt werden sollte? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es zu bedauern und für das Verhältnis der Bundeswehr zu Staat und Gesellschaft nachteilig wäre, wenn Rekrutenvereidigungen im geschlossenen Kasernenbereich durchgeführt werden müßten, um einen ungestörten Ablauf zu gewährleisten? Zur ersten Frage: Bei der Vereidigung schwört bzw. gelobt der Soldat, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Eid und Feierliches Gelöbnis erhalten ihren besonderen Charakter und ihre Bedeutung für den Soldaten und für die Bevölkerung dadurch, daß der Soldat in feierlicher Form und vor aller Öffentlichkeit seine Bereitschaft zum Ausdruck bringt, die ihm vom Soldatengesetz auferlegten Pflichten nach besten Kräften zu erfüllen und für die Erhaltung unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung auch unter Einsatz seines Lebens einzutreten. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an diesem feierlichen Akt der Inpflichtnahme soll die Verbundenheit zwischen Soldaten und Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Zur zweiten Frage: Ja, die Bundesregierung ist dieser Auffassung. Sie billigt es daher, daß die zuständige Polizei durch geeignete Maßnahmen die Rekrutenvereidigung am 15. März 1968 in Erbach vor Störversuchen geschützt hat. 8668 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 Zur dritten Frage: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß es zu bedauern und für das Verhältnis der Streitkräfte zu Staat und Gesellschaft nachteilig wäre, wenn Vereidigungen künftig nur noch innerhalb umschlossener militärischer Anlagen und Einrichtungen und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden müßten, um einen ungestörten Ablauf zu gewährleisten. Es besteht nicht die Absicht, die einschlägige Dienstvorschrift der Bundeswehr, die Vereidigungen auch in der Öffentlichkeit zuläßt, aufgrund der von Ihnen angesprochenen Vorfälle in Erbach zu ändern; die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Vereidigungen auch künftig unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden sollen. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 1. April 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Jung (Drucksache V/2753 Frage 65) : Hat die Bundesregierung die Absicht, die Fliegerzulagen der Heeresflieger und ihre Anrechnungsfähigkeit auf das Ruhegehalt entsprechend den besoldungsrechtlichen Regelungen für Luftwaffenpiloten zu gestalten? Das gesamte fliegende Personal der Bundeswehr erhält eine — als Aufwandsentschädigung nicht ruhegehaltfähige — Fliegerzulage. Sie beträgt für Strahlflugzeugführer in fliegenden Verbänden mtl. 300,—DM und für sonstige Luftfahrzeugführer (somit auch für Heeresflieger) je nach Gewichtsklasse des Flugzeuges zwischen 180,— DM und 240,— DM monatlich. Diese Abstufung berücksichtigt bisher gesammelte Erfahrungen über die fliegerischen Belastungen; sie ist auch wiederholt von Gerichten ausdrücklich als sachgerecht anerkannt worden. Eine Änderung dieser Regelung ist nicht beabsichtigt. Neben dieser Fliegerzulage wird ab 1. April 1966 den Strahlflugzeugführern der Luftwaffe und Marine eine Stellenzulage in Höhe von 250,— DM monatlich gewährt, die unter bestimmten Voraussetzungen ruhegehaltfähig ist. Diese Zulage ist nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen über die besonderen Belastungen der Strahlflugzeugführer auf diesen Personenkreis beschränkt worden. Bei der Beratung der Vorschrift im Parlament wurde diese Abgrenzung als zutreffend angesehen und eine Ausdehnung der Stellenzulage auf Hubschrauberführer des Heeres abgelehnt. Es haben sich bisher keine neuen Umstände ergeben, die eine Erweiterung des Empfängerkreises dieser Stellenzulage rechtfertigen würden. Um auch den neuesten medizinischen Erkenntnissen über die beim Flugdienst unter Berücksichtigung spezifischer Flugaufträge auftretenden Belastungen Rechnung tragen zu können, ist das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe mit entsprechenden Untersuchungen beauftragt worden. Da hierzu umfangreiche Erhebungen mit neu zu entwickelnden Versuchsreihen erforderlich sind, ist mit dem Vorliegen des Abschlußberichts erst in einiger Zeit zu rechnen. Sodann wird selbstverständlich geprüft werden, ob Folgerungen für die beiden Zulage-regelungen zu ziehen sind. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 1. April 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ollesch (Drucksache V/2753 Frage 68) : Worauf sind die zahlreichen Unfälle mit Nebelkerzen in der Bundeswehr zurückzuführen? Seit Bestehen der Bundeswehr haben sich im Umgang mit Nebelmitteln 3 schwere Unfälle ereignet, davon 2 mit tödlichem Ausgang. Die Gründe hierzu waren — Nichtbefolgen der gegebenen Befehle — Nichtbeachten der Sicherheitsbestimmungen. Die Unfälle sind auf menschliches Versagen, in Verbindung mit einer Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 1. April 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Porsch (Drucksache V/2753 Frage 69) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den kriegsgedienten älteren Hauptleuten der Bundeswehr, die zwar keinen Stabsoffizierslehrgang absolviert, sich jedoch um den Aufbau der Bundeswehr durchaus verdient gemacht haben, zu einer materiellen Verbesserung ihrer Lage oder zu einer Aufwertung ihrer Stellung zu verhelfen? Die Bundesregierung ist seit langem bestrebt, den älteren kriegsgedienten Hauptleuten einen Ausgleich für die fehlende Aufstiegsmöglichkeit zu bieten. Das Ministerium hat daher schon seit Herbst 1964 gefordert, daß diese Offiziere nach etwa zehn Dienstjahren als Hauptmann in die Besoldungsgruppe A 12 aufrücken sollten. Der Forderung ist in dieser Form nicht entsprochen worden. Das Erste Besoldungsneuregelungsgesetz vom 6. Juli 1967 hat aber herausgehobene Dienstposten für Hauptleute der Besoldungsgruppe A 12 zugeordnet. Die Planstellen dieser Besoldungsgruppe wurden dem Ministerium erstmalig am 16. November 1967 zur Bewirtschaftung zugewiesen. Von den im Rechnungsjahr 1967 geforderten 917 Planstellen sind 634 bewilligt worden. Auf diese Stellen sind noch im Rechnungsjahr 1967 ältere kriegsgediente Hauptleute eingewiesen worden. Mit dieser Verbesserung ihrer materiellen Lage wird ihren Verdiensten beim Aufbau der Bundeswehr Rechnung getragen. Die durch das Erste Besoldungsneuregelungsgesetz eröffneten Möglichkeiten werden im Rahmen der jeweiligen Stellenbewilligungen auch künftig in erster Linie zugunsten der älteren kriegsgedienten Hauptleute genutzt werden. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 8669 Anlage 12 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 1. April 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Schultz (Gau-Bischofsheim) (Drucksache V/2753 Fragen 71, 72 und 73) : Beabsichtigt die Bundesregierung, der geplanten Zeitschrift „Luftwaffe" mitteilungswerte Nachrichten zukommen zu lassen, die nicht allen interessierten Journalisten gleichzeitig zur Kenntnis gebracht werden? Sind Pressemitteilungen zutreffend, wonach der Inspekteur der Luftwaffe, General Steinhoff, Anzeigen für die geplante Zeitschrift „Luftwaffe" erbeten hat? Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es Aufgabe von Luftwaffenoffizieren sein kann, Anzeigen zu akquirieren? Der Bereich der Luftwaffe gliedert sich in die beiden Luftwaffengruppenkommandos Nord und Süd sowie das kürzlich umgegliederte Luftwaffenamt. Während die beiden Luftwaffengruppenkommandos bereits seit längerer Zeit eigene Truppenzeitungen haben, soll nun mit einer neuen Truppenzeitung auch der Bereich des Luftwaffenamtes versorgt werden, zu dem sämtliche Schulen und das Materialamt der Luftwaffe sowie die Luftwaffenparkregimenter gehören (Gesamtpersonalbestand 21 000). Bei der jetzt geplanten Zeitschrift handelt es sich, wie auch bei den übrigen Truppenzeitungen im Bereich der Luftwaffe und der gesamten Bundeswehr, um Informationsmedien für den Innenbereich der Truppe. Ein öffentlicher Verkauf auch dieser Zeitschrift ist nicht vorgesehen. Mitteilungswerte Nachrichten über und aus dem Bereich der Luftwaffe oder der gesamten Bundeswehr werden nach wie vor über das Informations-und Pressezentrum des Bundesministers der Verteidigung verbreitet, und sind damit allen Journalisten gleichzeitig zugängig. Das Ministerium hat die Pflicht, der Öffentlichkeit die Informationen zugänglich zu machen, auf die die Öffentlichkeit Anspruch hat. Anzeigen, die in den Truppenzeitungen der Luftwaffe, wie auch in den meisten Truppenzeitungen des Heeres, veröffentlicht sind, wurden und werden über den „Anzeigering für Bundeswehrzeitschriften" durch den Mönch-Verlag, Koblenz, akquiriert. Dieser Verlag betreut insgesamt 14 Truppenzeitungen. Da der Inspekteur der Luftwaffe besonderen Anteil an den Truppenzeitungen der Luftwaffe nimmt, ist es notwendig, daß er sich für diese Zeitschriften verwendet. Zu Ihrer 3. Frage stelle ich fest, daß die Akquisition von Anzeigen weder Aufgabe von Offizieren der Bundeswehr sein kann, noch von Offizieren der Luftwaffe durchgeführt worden ist. Anlage 13 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatsekretärs Jahn vom 1. April 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Richter (Drucksache V/2753 Frage 121) Ist die Bundesregierung bereit, sich an einer internationalen Aktion im Rahmen der Vereinten Nationen zu beteiligen, um den Palästinaflüchtlingen so bald wie möglich die Rückkehr zu einem normalen Leben zu ermöglichen? Die Bundesregierung ist bereit, sich zu geeigneten koordinierten Maßnahmen im internationalen Rahmen zur Lösung der Probleme des Nahen Ostens einschließlich der Flüchtlingsfrage zu beteiligen. Dies gilt auch für Aktionen im Rahmen der Vereinten Nationen, soweit dem gegenbenenfalls nicht die Tatsache entgegensteht, daß wir nicht Mitglied dieser Organisation sind. Anlage 14 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Jahn vom 1. April 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Prochazka (Drucksache V/2753 Frage 123) : Was hat die Bundesregierung zu den Äußerungen des holländischen Außenministers zu sagen, der im Zusammenhang mit den Widerständen gegen die Wiedervereinigung in Belgrad öffentlich von den gemeinsamen Interessen aller Nachbarn Deutschlands gesprochen hat? Der niederländische Außenminister Luns hat auf einer Pressekonferenz am 14. 3. 1968 in Jugoslawien erklärt, die Wiedervereinigung der Deutschen sei „Frage eines langen Prozesses". Hierbei müsse auch der psychologische Aspekt berücksichtigt werden, nämlich die Furcht Polens, der Tschechoslowakei und anderer Länder vor einem wiedervereinigten militaristischen Deutschland. Die holländische Regierung verfolge mit Besorgnis die nationalistischen Bestrebungen der deutschen Rechtsextremisten, hoffe aber, daß .sich ein „Januar 1933" nicht wiederholen werde. In dieser Hinsicht seien die Interessen der östlichen und südlichen Nachbarn Deutschlands mit den Interessen der westlichen und nördlichen Nachbarn identisch. Zu dieser Erklärung des niederländischen Außenministers stellt die Bundesregierung fest, daß sie auch, wie andere Regierungen, wünscht, daß sich ein „Januar 1933" nicht wiederholen möge. Sie verfolgt deshalb die Entwicklung des Rechts- und Linksextremismus in der Bundesrepublik mit größter Aufmerksamkeit. Sie warnt aber auch entschieden vor einer Überschätzung der politischen Aktivität einiger kleiner extremistischen Gruppen. Die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes hat bei jeder Wahl in den letzten zwanzig Jahren für die demokratischen Parteien gestimmt. Um dies zu verdeutlichen, steht die Bundesregierung im Kontakt mit der niederländischen Regierung. Diese macht geltend, daß Außenminister Luns bei allen Gesprächen mit Vertretern der osteuropäischen Staaten darauf hingewiesen habe, daß die Bundesregierung sehr wohl die Gefahr erkannt habe, die aus der Zunahme rechtsextremistischer Strömungen entstehen könnte. Er sei davon überzeugt, daß ein „Januar 1933" nicht wiederkehren werde. Die Bundesregierung wird der niederländischen Regierung nahelegen, ihr Vertrauen in die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland auch bei öffentlichen Äußerungen zur Geltung zu bringen. 8670 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968 Anlage 15 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 29. März 1968 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Hofmann (Mainz) (Drucksache zu V/2753 Frage 129) : Ist die Bundesregierung bereit, an Autostraßen — wie laut Pressemeldungen in Frankreich — nur noch Getränke mit weniger als 18 Volumprozent zum Verkauf zuzulassen? Ein Verbot des Ausschanks von Getränken mit mehr als 18 Vol. Prozent Alkoholgehalt in den Raststätten der Bundesautobahnen — darauf zielt wohl die Frage ab — ist nicht beabsichtigt. Die Bundesregierung hält ein solche Reglementierung nicht für ein geeignetes Mittel, die Unfallgefahren zu verringern. Die Fahrtüchtigkeit wird bekanntlich nicht nur von dem prozentualen Alkoholgehalt eines Getränkes, sondern auch von der Menge des genossenen alkoholischen Getränke beeinflußt. Auch Getränke mit Vol. Gehalt unter 18 Prozent können, in größeren Mengen genossen, die Fahrtüchtigkeit beeinflussen. Die Beschränkung des Getränkeausschankes in den relativ wenigen Raststätten an den Bundesautobahnen wäre auch deshalb wenig sinnvoll, weil die Verkehrsteilnehmer vor dem Auffahren auf die Bundesautobahnen überall unbeschränkt solche Getränke konsumieren können. Ein Verbot des Ausschankes bestimmter Getränke würde im übrigen nicht nur den Fahrer, sondern auch Mitreisende eines Fahrzeuges treffen, was deren persönliche Entscheidungsfreiheit unnötig einengen würde. Anlage 16 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom 2. April 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Härzschel (Drucksache zu V/2753 Fragen 130, 131 und 132) : Trifft es zu, daß die geplante deutsch-schweizerische Autobahnzollanlage ganz auf die Gemarkung der Stadt Weil (Rhein) verlegt werden soll? Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Verwirklichung eines solchen in Frage 130 erwähnten Planes die Entwicklung der aufstrebenden Stadt Weil (Rhein) beeinträchtigt würde, da in erheblichem Umfange wertvolles Industriegelände benötigt wird? Ist die Bundesregierung bereit, bei Verhandlungen mit der Schweizer Regierung darauf hinzuwirken, daß die Interessen der Stadt Weil (Rhein) bezüglich Linienführung und Geländeabgabe gewahrt bleiben und eine gleichmäßige Belastung beider Seiten erfolgt? Die bis jetzt ausgearbeiteten Vorplanungen für die Weiterführung der Autobahn nach der Schweiz bei Weil sehen eine Trassenführung westlich der Anlagen des Verschiebebahnhofs von Weil vor. Dabei wird die Anordnung einer deutsch-schweizerischen Gemeinschafts-Zollanlage auf der Gemarkung der Stadt Weil notwendig. Andere Lösungen sind zwar untersucht worden, doch besitzen sie so wesentliche Nachteile, daß ihre Verwirklichung nicht ernstlich in Betracht gezogen werden kann. Es ist der Bundesregierung bekannt, daß mit der geplanten Weiterführung der Autobahn nach der Schweiz für die Stadt Weil erhebliche Beeinträchtigungen entstehen. Bei der Ausarbeitung der Planungen wird angestrebt, diese Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten. Die Bundesregierung ist bereit, bei den kommenden Verhandlungen mit den schweizerischen Partnern auf eine Lösung hinzuwirken, die die Interessen der Stadt Weil berücksichtigt. Anlage 17 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Lauritzen vom 28. März 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Riegel (Göppingen) zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Hammans *) Unter Bezugnahme auf meine Zusage in der Fragestunde vom 16. Februar 1968 an Herrn Abgeordneten Riegel (157. Sitzung, Sitzungsprotokoll S. 8104 C) darf ich Ihnen mitteilen, daß von den im Rahmen des 2. Investititonsprogramms (einschl. Restmitteln der Jahresmaßnahme 1967) bereitgestellten Verbilligungszuschüssen und den damit verbilligten Kapitalmarktdarlehen auf die einzelnen Länder folgende Beträge entfallen: Land: Zuschüsse Kapitalmarktdarlehen (1. Jahresrate) in Mio DM DM Baden-Württemberg 7 063 683,52 234,953 Bayern 7 261 293,30 227,154 Berlin 1 937 066,19 55,337 Bremen 575 066,66 19,171 Hamburg 2 475 673,71 82 447 Hessen 5 824 652,94 181,556 Niedersachsen 6 710 078,20 204,589 Nordrhein-Westfalen . 18 199 902,94 572,232 Rheinland-Pfalz 2 820 802,74 89,860 Saarland 1 934 649,91 55,575 Schleswig-Holstein 4 310 083,46 125,257 insgesamt 59 112 953,57 1 848,131 Die Folgeraten (für die insgesamt 5jährige Verbilligung der Darlehen) müssen ab 1969 aus dem Einzelplan 25 aufgebracht werden. *) Siehe 157. Sitzung Seite 8104 B
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen.
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Bericht über die Automation der Steuerverwaltungen der Bundesländer
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 14. Oktober 1966 — Drucksache V/2749 —
zuständig: Finanzausschuß (federführend), Innenausschuß, Haus haltsausschuß, Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen
Vorlage des Bundesministers des Auswärtigen
Betr.: NATO-Truppenstatut und Zusatzvereinbarungen
hier: Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum Soltau-Lüneburg (Soltau-Lüneburg-Abkommen)

Bezug: Beschluß des Bundestages vom 4. Mai 1961 — Drucksache V/2763 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend), Verteidigungsausschuß, Innenausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister der Finanzen hat am 28. März 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wieninger, Ott und Genossen betr. steuerliche Auswirkungen der neuen Einheitswerte — Drucksache V/2685 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2792 verteilt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Antrag betr. Entschließungen des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa
— Drucksachen V/2157, V/2801 —.
Die Vorlage soll im Zusammenhang mit den Beratungen über Einzelplan 04 und 05 aufgerufen werden. — Das Haus ist einverstanden.
Außerdem unterstelle ich das Einverständnis des Hauses, daß vor Eintritt in die Fragestunde — —

(Zuruf: In die Tagesordnung!)

— Ach, heute ist gar keine. So sehr sind wir an die Auflage der Geschäftsordnung gewöhnt, wo es heißt: „Jede Plenarsitzung beginnt mit einer Fragestunde." Heute ist die große Ausnahme.
Statt dessen aber, meine Damen und Herren, unterstelle ich Ihr Einverständnis, daß wir mit der Vereidigung des neu ernannten Bundesministers des Innern .beginnen.
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 2. April 1968 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers am 2. April 1968 den Bundestagsabgeordneten Herrn Ernst Benda zum Bundesminister des Innern ernannt habe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bitte Herrn Bundesminister Benda, zur Eidesleistung zu mir heranzutreten und den nach Art. 56 des Grundgesetzes bei der Übernahme seines Amtes vorgeschriebenen Eid zu leisten. Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, diesen Eid zu schwören?

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0516500100
Ja. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bitte sehr!

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0516500200
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516500300
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Herr Bundesminister des Innern damit den im Grundgesetz für die Übernahme seines Amtes vorgeschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag geleistet hat. Herr Bundesminister, ich spreche Ihnen die Glückwünsche des Hauses aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)




Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968)

— Drucksache V/2150 —
Berichte des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß)

Vereinbarungsgemäß soll heute zunächst der Einzelplan 04 — Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes — aufgerufen werden.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0516500400
Herr Präsisident! Meine Damen und Herren! Dies ist der zweite Haushalt der Großen Koalition, den dieses Haus berät. Die Beratungen des Bundeshaushaltes geben dem Bundeskanzler und den Mitgliedern der Bundesregierung traditionsgemäß die Gelegenheit, Rechenschaft über die Politik der Regierung zu geben, das, was in der Regierungserklärung angekündigt wurde, mit dem zu vergleichen, was erreicht worden ist, und einen programmatischen Ausblick in die Zukunft zu geben.
Ich habe vor kurzem im Bericht zur Lage der Nation das Wesentliche, was dazu zu sagen ist, schon vorgetragen. Deswegen kann ich mich heute auf eine kürzere Einlassung beschränken, die vielleicht ein wenig subjektiver und, wenn Sie wollen, ein wenig polemischer gehalten sein wird als die verhaltenere Form, in der ich den Bericht zur Lage der Nation pflichtgemäß vorzutragen hatte. Ich werde mir dann auch vorbehalten, Gesichtspunkte, die ich jetzt nicht berühre, die aber in der Aussprache auftauchen werden, vielleicht noch in einer Entgegnung zu behandeln.
Meine Damen und Herren, wir leben in einer bewegten und unruhigen Welt. Der Krieg in Vietnam geht weiter. In Nigeria — weithin unbeachtet von der übrigen Welt — fordert ein blutiger Bürgerkrieg täglich Opfer.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Im Nahen Osten flammt immer wieder von neuem die Krise auf; die der Krieg im Juni 1967 nicht beenden konnte.
Der amerikanische Präsident Johnson hat am 31. März eine hochbedeutsame Rede zum Vietnamkonflikt gehalten. Er kündigte eine einseitige wesentliche Reduzierung der militärischen Aktionen der Vereinigten Staaten gegen Nordvietnam an. Über 90 % der Bevölkerung Nordvietnams leben in dem Gebiet, auf das sich die Einstellung der amerikanischen Bombenangriffe erstreckt. Die Bundesregierung hofft, daß die Regierung in Hanoi dieses Zeichen des Verständigungswillens der Vereinigten Staaten aufnimmt und sich zu Verhandlungen über Waffenruhe und Friedensgespräche bereit findet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir hoffen, daß auf diese Weise sehr bald eine Last und eine Sorge von allen Völkern dieser Erde genommen wird, denen einmal die Tatsache eines so blutigen, schweren Krieges überhaupt und zum anderen die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung des Krisenherdes auf weitere Teile der Welt auf der Seele liegt.
Zu unser aller Überraschung, glaube ich, hat Präsident Johnson seinen Entschluß bekanntgegeben, nicht mehr zum zweitenmal für eine weitere Amtsperiode zu kandidieren. Ich habe gestern erklärt, daß ich die persönliche Entscheidung des Präsidenten nur respektieren und so würdigen kann, wie er sie selbst verstanden wissen will. Wir werden auch während des Restes seiner Amtsperiode mit ihm die vertrauensvollen und guten Kontakte, die wir bisher mit ihm gepflogen haben, zum Wohle unserer beiden Völker weiter unterhalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wie sehr uns, dieser Regierung und, ich meine, diesem ganzen Hause, die Einschränkung und Beendigung der großen Konflikte unserer Welt am Herzen liegt, ist, glaube ich, am besten und am knappsten in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 ausgesprochen worden. Dort hieß es:
Der Wille zum Frieden und zur Verständigung der Völker ist das erste Wort und das Grundanliegen der Außenpolitik dieser Regierung.
Das gilt im Zusammenhang mit diesen Konflikten, das gilt aber für alles, was wir über unsere Grenzen hinaus, aber auch innerhalb unserer Grenzen tun.
Wir haben in den vergangenen 16 Monaten diese Friedenspolitik mit den uns befreundeten Völkern des Westens gepflegt, wo immer wir dies konnten. Wir haben die traditionellen Freundschaften weiterentwickelt und vertieft. Wir haben unsere Beziehungen zu Frankreich in einer nicht leichten Situation unverdrossen und geduldig weiterentwickelt, und wir sind ein gutes Stück vorwärtsgekommen dadurch, daß wir unsere Beratungen, wie ich es im Bericht zur Lage der Nation vorgetragen habe, auf weitere Gebiete ausgedehnt haben und daß wir sie auch sachlich vertieft haben.
Mit den Vereinigten Staaten von Amerika verbindet uns weiterhin innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses, aber auch außerhalb dieses Bündnisses eine feste und bewährte Freundschaft. Wir haben in den letzten Wochen, meine Damen und Herren, gelegentlich gehört, daß in den Vereinigten Staaten eine gewisse Unruhe über das Geschehen in Europa, auch die politische Haltung der Europäer, herrschte. Ich habe diese Gerüchte und diese Mitteilungen nicht leicht genommen. Die Bundesregierung hat sich mit ihnen beschäftigt, und ich habe mich unmittelbar mit der amerikanischen Regierung deswegen in Verbindung gesetzt. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß manches, was in Europa geschieht, das Unbehagen vieler Amerikaner erregt.
Das liegt zum Teil daran, daß die europäische Szene gegenwärtig ein nicht nur für Außenstehende verworrenes Bild gibt.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)




Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
Wir alle kennen die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden sind, daß der Fortgang der europäischen Einigung stockend geworden ist, Schwierigkeiten, die aufgetreten sind im Zusammenhang mit dem Wunsch Großbritanniens und anderer Länder, den Europäischen Gemeinschaften beizutreten, Schwierigkeiten deshalb, weil Frankreich seinen eigenen Weg eingeschlagen hat, indem es aus dem integrierten militärischen System des Nordatlantischen Bündnisses ausgetreten ist und indem es auch im Bereich der europäischen Politik eine eigene Konzeption entwickelt hat, die deutlich zum Ausdruck kommt in seiner Haltung gegenüber dem Begehren Großbritanniens und anderer, den Europäischen Gemeinschaften beizutreten. Diese Regierung hat während der 16 Monate, die sie nun wirkt, mit großer Geduld, aber auch mit großer Konsequenz eine Politik verfolgt, die diese Schwierigkeiten, wenn nicht zu überwinden, so doch zu vermindern und vor allem eine schwierige und gefährliche Krise in Europa abzuwenden versuchte.
Ich weiß genau, daß wir deswegen — zum Teil sogar auch aus diesem Hause — Kritik bekommen haben. Aber wenn ich alle unsere zahlreichen Bemühungen der vergangenen 16 Monate überblicke — die Besprechungen, die wir hier, in Paris und in Rom, in London und in Brüssel und kürzlich wieder in Paris geführt haben —, dann kann ich auch heute nur wieder feststellen, daß ich keinen anderen Weg wüßte, der uns eher zu dem Ziel einer Überwindung der gegenwärtigen europäischen Stagnation führen könnte, als unser geduldiges und unablässiges Bemühen um eine Überwindung der Krise und um einen guten Fortgang der europäischen Einigung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Kluge Leute haben uns gelegentlich geraten, wir sollten uns ja nicht in die Rolle eines Vermittlers begeben, denn das sei immer ein undankbares Geschaft; es habe sich noch nie recht gelohnt. Meine Damen und Herren, das ist vielleicht wahr. Aber es gibt nun einmal Situationen, in denen man sich einer solchen Aufgabe, mag sie auch schwierig und unangenehm sein, nicht entziehen darf. Wir haben — wenn ich überhaupt von der Rolle eines Vermittlers in diesem Zusammenhang sprechen darf — nichts anderes getan als versucht, die entgegengesetzten Meinungen einander anzunähern, bewegte Gemüter zu beruhigen, Mißverständnisse aufzuklären und zu sehen, wo aus dem Dickicht der Meinungsgegensätze ein Ausweg zu finden sei. Und ich bin fest überzeugt davon: auch wenn wir im vergangenen Jahr gelegentlich Kritik geerntet haben — wir haben auch viel Zustimmung gefunden —, so wird am Ende doch unser uneigennütziges Bemühen allgemeine Anerkennung finden.
Ich kann nicht sagen, was nun nach unserer Pariser Begegnung schließlich gewonnen werden wird. Es ist wahr, daß die Vereinbarungen über das Arrangement, die wir in Paris getroffen haben, ein wenig vage waren, daß sie jetzt weiter oder enger interpretiert werden, daß nicht alle mit dem Erreichten zufrieden sind —, wir auch nicht, meine Damen und Herren. Es bleibt bei der Aussage der Regierungserklärung, die wir immer wieder bestätigt
haben: diese Regierung und dieses Haus will — das hat auch unser gemeinsames Pariser Kommuniqué festgestellt — den Beitritt Großbritanniens und der übrigen Länder. Wir sind im Gegensatz zur französischen Regierung der Meinung, daß der Zeitpunkt für die Aufnahme von Verhandlungen mit Großbritannien und den anderen Ländern jetzt schon gegeben sein könnte, und wären unsererseits bereit, diese Verhandlungen mit Großbritannien aufzunehmen. Da wir aber eine Einstimmigkeit unter den Sechs brauchen, müssen wir eben zusehen, wie wir uns in den kommenden Monaten zusammenfinden.
Wie dem immer sei: manche Amerikaner — davon ging ich aus — sehen in der Zusammenarbeit zwischen unserem Lande und Frankreich angesichts der Spannungen, die ohne Zweifel zwischen USA und Frankreich bestehen, die Gefahr einer unfreundlichen Haltung unseres Landes ihnen gegenüber. Das ist nicht der Eindruck — das ist mir gerade in den letzten Wochen und Tagen mit dem größten Nachdruck von der Regierung der Vereinigten Staaten wiederholt versichert worden —, den die Regierung in Washington hat. Wenn ein Teil der amerikanischen Öffentlichkeit so denkt, dann ist das zum Teil auf mangelnde Unterrichtung, zum Teil auf ein wohlverständliches Verstricktsein in die eigene große Problematik, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in Vietnam, zurückzuführen; zum Teil ist aber auch eine nicht ganz objektive Berichterstattung aus der Bundesrepublik Deutschland selbst mit daran schuld.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir werden uns, meine Damen und Herren, weiter bemühen, mit der Regierung der Vereinigten Staaten im gleichen vertrauensvollen Gedankenaustausch wie bisher zu bleiben, ja ihn — wo irgend möglich — zu intensivieren. Denn daran kann gar kein Zweifel bestehen: Nach wie vor ist die Situation in der Welt und die Situation in Europa so, daß auf der Freundschaft und Partnerschaft Westeuropas mit den Vereinigten Staaten unsere Verteidigungskraft und damit unsere Sicherheit gegenüber einer möglichen militärischen Bedrohung aus dem Osten beruht. Solange dies so ist, müssen wir auch dieses Bündnis festigen und pflegen.
Ich ergreife auch diese Gelegenheit, um noch einmal ausdrücklich zu betonen, daß uns dieses Bündnis nur ein Instrument der Verteidigung ist und daß wir in unseren politischen Bemühungen schließlich eine Sicherheit der europäischen Völker ganz anderer Art anstreben, eine Sicherheit, die in einer europäischen Friedensordnung gefunden werden muß, über die wir im vergangenen Jahr so oft gesprochen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe immer wieder die Gelegenheit ergriffen, um denen, die nicht recht einsehen wollten, daß eine Festigung und Kräftigung des nordatlantischen Bündnisses nicht im Widerspruch zu unserer Friedenspolitik steht, dies in einem Bild zu verdeutlichen. Ich sagte: Wenn zwei gewaltige militärische



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
Apparate einander gegenüberstehen, dann kann man eine falsche und gefährliche Politik treiben, indem man diese Apparate sich mit politischer Spannung auffüllen läßt, bis sich diese schließlich so akkumuliert hat, daß sie sich eines Tages von selbst endlädt. .

(Zurufe von der Besuchertribüne. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516500500
Bitte fahren Sie fort, Herr Bundeskanzler!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0516500600
Oder man kann die Spannung in den beiden Apparaten mit großer Behutsamkeit so gering halten, daß eine solche Entladung nicht zu befürchten ist.
Im übrigen, meine Damen und Herren, gilt, was wir in der Regierungserklärung gesagt haben: Diese Regierung ist bereit, jeden Schritt der Abrüstung zu tun, wenn er gleichzeitig und gleichwertig mit Abrüstungsmaßnahmen des Ostens koordiniert werden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Atomsperrvertrag ist ein Gegenstand lebhafter Überlegungen und Diskussionen in unserem Lande. Dazu kann ich heute nur wiederholen, daß diese Regierung das Zustandekommen eines Atomsperrvertrages begrüßt, welcher ein atomares Besitzerchaos zu verhindern imstande ist, aber denen, die diesen Vertrag unterzeichnen, ihre Lebensinteressen sichert.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hat ihre Auffassung dazu noch einmal in einem Memorandum zusammengefaßt, und sie hofft, daß dies dazu helfen wird, Wünsche, die im Blick auf den Entwurf dieses Vertrages noch offen sind, zu erfüllen.
Gegenüber der östlichen Welt ist vielleicht unsere Friedenspolitik am unmittelbarsten und deutlichsten zum Ausdruck gekommen. Wir haben sofort, nachdem wir unsere Arbeit aufgenommen haben, Brücken nach Osten geschlagen. Wir haben nicht nur mit Worten geworben, sondern wir haben diplomatische Beziehungen angeboten, und zwar allen unseren östlichen Nachbarn, die diese Beziehungen aufnehmen wollten oder aufzunehmen in der Lage waren. So kamen die diplomatischen Beziehungen mit Rumänien und mit Jugoslawien zustande. Wir haben unsere Beziehungen zur Tschechoslowakei verbessert. In diesem Lande haben sich in den vergangenen Wochen interessante und bedeutsame Vorgänge vollzogen. Dazu will ich heute nur sagen, daß unser Wille, mit allen unseren östlichen Nachbarn ein Verhältnis guter Nachbarschaft anzubahnen, selbstverständlich auch den Wunsch in sich schließt, daß sich die inneren Verhältnisse dieser Länder gedeihlich und glücklich entwickeln.

(Allseitiger Beifall.)

Sie alle wissen, daß, wenn es uns nicht gelungen ist, mit. allen unseren östlichen Nachbarn diplomatische Beziehungen aufzunehmen, dies wahrhaftig
nicht daran liegt, daß wir uns nicht Mühe um sie gegeben hätten.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Die bedauerliche Tatsache ist einfach die, daß man ihnen verwehrt hat, diese Beziehungen aufzunehmen. Die Gründe dafür sind immer dieselben. Man verlangt von uns, bevor es zu einer Besserung der Verhältnisse komme, müßten wir die bekannten Forderungen Moskaus erfüllen, als da sind: Anerkennung eines angeblich souveränen, völkerrechtlich zu respektierenden zweiten deutschen Staates, Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und, ohne viel Zusehen, Unterzeichnung eines Atomsperrvertrages auch dann, wenn er auf unsere Lebensinteressen nicht genügend Rücksicht nimmt. Damit — so sagt man uns — könnten wir den besten Beitrag für den Frieden in Europa leisten.
Es bleibt dabei: wir sind nicht der Meinung, daß wir damit einen guten Beitrag für den Frieden in Europa leisten würden.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ein dauernder Friede in Europa kann — ich wiederhole es — nur auf der Grundlage der Gerechtigkeit für alle gebaut werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir uns also diesen kategorischen Forderungen des Ostens nicht beugen und wenn darin ein ganz normales und gesundes nationales Selbstverständnis zum Ausdruck kommt, so wollen wir doch nicht dabei mit jenen nationalistischen Geistern oder Ungeistern verwechselt werden, die schon wieder die alte unheilvolle Trommel zu rühren beginnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zwischen einem gesunden nationalen Selbstverständnis und einem vorgestrigen und gefährlichen Nationalismus klafft eben ein Abgrund.

(Beifall.)

Ich hoffe, daß unser Volk das erkennt und daß es diesen Leuten bei allen Wahlen ein entschiedenes Nein entgegensetzt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich will noch einmal deutlich machen, daß wir, wenn wir uns schon den kategorischen Forderungen des Ostens nicht beugen, doch nicht nur in Worten, sondern auch in Taten eine wirkliche Friedenspolitik auch dem Osten gegenüber treiben.
Wir haben Polen die Hand zur Versöhnung entgegengestreckt. Das geschah schon in der Regierungserklärung, in der wir unser Verständnis für die Situation dieses Landes und für eine leidvolle Geschichte ausgedrückt haben und in der die bedeutungsschwere Aussage gemacht wurde, daß wir in dem Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung eine Lösung finden müßten, die von beiden Völkern akzeptiert werden könnte als eine Grundlage für einen dauerhaften Frieden und eine dauerhafte Aussöhnung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)




Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
Man hätte uns entgegensetzen können: Dieser ständige Hinweis auf den Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung sei doch nur eine Phrase; das bedeute doch eine Vertagung der ganzen Angelegenheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Deswegen habe ich bei sich bietender Gelegenheit gesagt: Wenn schon über diese Frage erst in einem Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt werden kann, so hindert die Polen und uns doch nichts daran, uns schon vorher zusammenzusetzen und uns gemeinsam Gedanken über eine zukünftige Lösung zu machen.
Weiter haben wir immer wieder versucht, jeder auf seine Art, den Polen zu zeigen, wie wir die Umrisse einer künftigen Regelung sehen; denn wir können ja eine perfekte zukünftige Lösung nicht antizipieren. Dazu gehört vor allem meine Aussage, welcher dieses Hohe Haus bei der Debatte zum Bericht zur Lage der Nation, soweit ich gesehen habe, in allen seinen Bänken zugestimmt hat, daß niemand von uns daran denkt, es dürfe den 7 Millionen Polen drüben, von denen fast die Hälfte schon dort geboren sind, wieder so ergehen wie unseren Heimatvertriebenen, daß sie eines Tages wie das liebe Vieh verjagt werden sollen. Wir haben oft gesagt: Wir wollen nicht neues Leid auf altes Leid setzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wer sagt, daß das keine entscheidenden, konkreten Vorschläge und Schritte zu einer wirklichen Friedenspolitik mit dem Osten, mit Polen sind, dem ist eben nicht zu helfen. Gewiß mag es sein — wir lesen das aus polnischen Äußerungen immer wieder —, daß man dort auf dem Standpunkt des Alles oder Nichts besteht. Aber ich weiß auch, daß es drüben viele Menschen gibt, die die Ernsthaftigkeit und den konkreten Inhalt unserer Vorschläge erkannt haben. Ich bin fest überzeugt, daß wir uns im Laufe
der Zeit durchsetzen werden, und dann wird die Bahn für eine Verständigung der beiden Völker frei sein.
Ich will jetzt nicht unser Verhältnis zu allen unseren östlichen Nachbarn behandeln. Ich freue mich, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rumänien und Jugoslawien gelungen ist, daß viele Bedenken, die verständlicherweise im Zusammenhang damit bestanden, die wir wohl bedacht haben und gegen die wir uns abzusichern trachteten, sich als nicht berechtigt erwiesen haben. Ich bin fest davon überzeugt, daß diese Entscheidungen der Bundesregierung, die vom Bundestag gebilligt worden sind, richtig waren und daß sie die Brücken für eine künftige bessere Ordnung der Dinge in Europa geschlagen haben.
Das schwierigste Problem ist unser Verhältnis zur Sowjetunion. Dort mag — für uns schwer erkennbar und durchschaubar — auch ein Gegensatz der Meinungen im Blick auf die Bundesrepublik bestehen. Wir haben der Sowjetunion angeboten, das, was trennend zwischen uns steht, doch nicht immer ein Hindernis sein zu lassen für die Aufnahme von Beziehungen auf kulturellem, auf wirtschaftlichem, aber auch auf politischem Gebiet. Das, was trennend zwischen uns steht, lasse, so meinten wir, doch
immerhin noch genug Gelände übrig, auf dem man sich gemeinsam treffen könne, um dann 'schließlich auch bei gewachsenem Vertrauen und bei überwundenen Schwierigkeiten und Mißverständnissen an die Lösung der schwierigsten Frage heranzugehen.
Was trennend zwischen uns und den östlichen Ländern steht, muß überwunden werden. Die strittigen Fragen müssen ihre Lösungen finden. Wir sind nicht bereit, vor kategorischen Forderungen des Ostens zu kapitulieren. Wir verlangen aber auch von anderen keine Kapitulation, sondern wir sind bereit, so lange zu verhandeln und zu arbeiten, bis man sich endlich zu den ersten Anfängen einer Verständigung bereit- und zusammenfinden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deswegen sage ich meinen Landsleuten immer wieder: Laßt doch ab von den Versuchen, diese Fragen isoliert und antizipiert zu lösen! Bindet sie ein in den Entwurf einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung, in der dann alle diese Probleme gelöst werden können, weil der gegenwärtige Zustand überwunden und ein besseres und glücklicheres Verhältnis des Zusammenlebens der europäischen Völker gefunden sein wird!
Meine Damen .und Herren, für einen großen Teil der Völker dieser Erde gibt es einen Gegensatz, den sie für wichtiger nehmen als den Ost-West-Gegensatz. Die Völker Asiens, Afrikas, Lateinamerikas — eben wurde es auf der Konferenz in Neu-Dehli wieder ausgesprochen — sprechen mehr von einem Gegensatz des Nordens zum Süden, einem Gegensatz des, wie sie meinen, privilegierten industriellen Nordens unseres Planeten zu dem unterentwickelten Süden. Das müssen wir als ein ganz ernstes Faktum zur Kenntnis nehmen.
Ich las eben in einem Pamphlet der NPD einen plumpen Versuch, unsere Entwicklungshilfe dadurch zu diskreditieren, daß man an materielle Instinkte solcher Menschen appelliert, die meinen: Wozu denn diese Gelder in das Ausland geben, wo hier so viele Aufgaben warten? — Wir alle wissen, meine Damen und Herren, daß, wenn wir in einem so engstirnigen nationalistischen Geiste handeln würden, die Entwicklung in jenem Teil der Welt einen Gang nehmen könnte, der nines Tages auch unseren nationalistischen Herolden die Stimmung gründlich verderben könnte.

(Abg. Dr. Barzel:' Sehr wahr!)

Wir wissen, daß auch das Schicksal des industrialisierten nördlichen Gürtels unseres Planeten davon abhängt, daß im südlichen Teil unserer Erde eine gedeihliche und gesunde wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung stattfindet, eine Entwicklung, so meinen wir, die zur vollen inneren und äußeren Freiheit jener Völker führen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zustimmung des Abg. Scheel.)

Wir verfolgen damit keinerlei egoistische Nebenzwecke. Wir wissen, wie wichtig diese Aufgabe ist, und Sie alle wissen, daß wir in unseren Haushalten, in der mittelfristigen Finanzplanung, obwohl wir sonst überall Kürzungen vornehmen mußten, für



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
die Entwicklungshilfe eine beständige Steigerung in den kommenden Jahren, und zwar eine beträchtliche Steigerung, vorgesehen haben.
Ich glaube, ich kann mit Recht feststellen, daß alles, was wir auf dem Gebiete der Außenpolitik einschließlich der Entwicklungspolitik unternommen haben, dem großen Gedanken des Friedens dient. Aber ich glaube, daß ich in diesen Zusammenhang auch Bemühungen stellen darf, die im Zusammenhang mit gewissen wirtschaftlichen Schwierigkeiten stehen, die in der westlichen Welt gerade in den letzten Monaten und Wochen die Gemüter bewegt haben. Wir haben, ohne dies an die große Glocke zu hängen und uns dessen zu brüsten, zu einer ganzen Reihe von bedeutenden Erfolgen des vergangenen Jahres unseren wesentlichen Teil beigetragen. Wir dürfen wohl sagen — Herr Kollege Schiller wird mir darin sicher zustimmen —, daß die Bemühungen um das Weltwährungssystem, vor allem unser Beitrag zur Konferenz in Rio,

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

eine bedeutende Leistung der deutschen Politik gewesen sind, und wir haben dafür von den unmittelbar Betroffenen auch ihren Dank ausgesprochen bekommen. Wir haben im Zusammenhang mit den Zahlungsbilanzschwierigkeiten Amerikas und den dadurch erzeugten noch größeren Schwierigkeiten des englischen Pfundes unseren redlichen Anteil beigetragen, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Dabei haben wir auch einen erheblichen materiellen Beitrag geleistet, und soeben in Stockholm sind wir im selben Geiste tätig gewesen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese gegenseitige Hilfe in Notsituationen, die unser Land — wer weiß? es möge nicht so kommen! — auch einmal nötig haben könnte, auch dieser gegenseitige vernünftige und rasche Beistand gehört zu einer Politik des Friedens. Es tut mir leid, daß unser Vorschlag zu einer Beschleunigung der Kennedy-Runde für die europäischen Staaten bei einer Schonung Amerikas für eine gewisse Frist — ein Vorschlag, den der Herr Wirtschaftsminister gemacht hat — noch nicht angenommen wurde, denn damit hätten wir einen ganz erheblichen Beitrag zur Verständigung und gegenseitigen Hilfe leisten können.
Meine Damen und Herren, ich will zur Innenpolitik nicht wiederholen, was ich im Bericht zur Lage der Nation gesagt habe. Wenn Sie in diesen Tagen einen Blick in die Regierungserklärung werfen und vergleichen, was dort angekündigt und versprochen und was inzwischen verwirklicht oder in Angriff genommen worden ist, dann werden Sie erkennen, daß von der Regierung der Großen Koalition und diesem Hause, soweit es schon Gelegenheit hatte, sich gesetzgeberisch zu entschließen, das Meiste und Wichtigste erfüllt worden ist.

(Lachen bei der FDP.)

Da gibt es nichts zu lachen, das heißt doch: für unser
Volk gibt es da sogar viel und fröhlich zu lachen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der FDP.)

Wir haben, was wir versprochen haben, getan, d. h. wir haben den drohenden wirtschaftlichen Rückschlag abgewendet und wieder eine Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs eingeleitet.
Die Maßnahmen, die wir dafür getroffen haben, brauche ich jetzt nicht wieder darzustellen. Sie kennen sie alle. Wir haben die Haushalte 1967 und 1968 ausgeglichen. Es wird uns von einigen der Vorwurf gemacht, daß wir dabei eine unverantwortliche Verschuldung eingegangen seien. Dazu habe ich nur zu sagen: wenn wir unseren Schuldendienst, gemessen am Bruttosozialprodukt, mit dem Schuldendienst anderer Länder vergleichen, dann kommen wir recht gut dabei weg. Wir liegen immer noch unter einem Prozent, während z. B. Großbritannien bei 4 Prozent, die Vereinigten Staaten bei 2 Prozent liegen; aber auch Frankreich und die Schweiz liegen etwas höher als wir. Das allein sollte doch zeigen, daß von einer unverantwortlichen Kreditpolitik nicht die Rede sein kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der FDP.)

Niemand, meine Damen und Herren, wird schließlich der Bundesbank, gerade ihr, vorwerfen, daß sie gegenüber einer leichtfertigen Kreditpolitik nicht ihre warnende Stimme erhoben hätte. Tatsache ist aber, daß die Bundesbank zu dieser Kreditpolitik der Bundesregierung steht, daß sie sie bis zu dieser Stunde gebilligt hat. Das ist, glaube ich, das beste Zeichen dafür, daß wir hier auf gutem und solidem Wege sind.
Wir haben die Aufgaben der mittelfristigen Finanzplanung, des Stabilitätsgesetzes, der Wechselwirkung zwischen Haushalt und Wirtschaftsprozeß, erfüllt. Wir haben die Gesetze zur Finanzreform den gesetzgebenden Körperschaften überwiesen. Wir werden demnächst die fertiggestellten Gesetze zur Haushaltsreform vorlegen, die eine Modernisierung unseres Haushaltsrechts und eine Übereinstimmung, eine Harmonisierung, des Haushaltsrechts zwischen Bund und Ländern anstreben. Dabei werden wir dann auch eine Neufassung des Art. 113 des Grundgesetzes vorlegen, wie wir es in der Regierungserklärung versprochen haben.
Ich habe über die großen Strukturprobleme Kohle und Landwirtschaft im Bericht zur Lage der Nation gesprochen. Dieses Hohe Haus wird das Kohleanpassungsgesetz, wie ich höre, bald verabschieden. Ich hoffe immer noch, daß wir eine Organisationsform an der Ruhr finden, die es möglich macht, das, was wir unter dem Begriff Einheitsgesellschaft im Ziele wollten, auch zu verwirklichen. Diese Regierung wird nicht nachlassen, dieses schwere Problem zu lösen.
Dasselbe gilt für das Problem unserer Landwirtschaft. Der Herr Landwirtschaftsminister hat eine Neuorientierung der Landwirtschaftspolitik angekündigt. Ich habe in den vergangenen Tagen Gelegenheit gehabt, mich mit vielen Bauern auseinanderzusetzen. Dabei habe ich die eine Feststellung gemacht — eine tröstliche Feststellung, meine Damen und Herren —: die Bauern erwarten von



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
uns im Grunde genommen gar keine großen Versprechungen.

(Zuruf von der FDP.)

Was sie von uns erwarten, das ist die Wahrheit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie erwarten von uns nicht, im Gegenteil, sie lehnen ab, Versprechungen, von denen sie selber wissen, daß sie letztlich doch nicht eingehalten werden können. Aber sie erwarten von uns, daß das, was in ihrem Bereich möglich ist, auch mit äußerster Entschiedenheit getan wird, und das werden wir auch im kommenden Jahr tun. Ich bin überzeugt, schon nach einem Jahr wird die Situation sehr viel besser aussehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der FDP.)

Lassen Sie mich einen kleinen Appell an dieses Hohe Haus zum Thema Verkehrspolitik richten. Ich sehe mit einiger Sorge, wie sich dieses Problem entwickelt hat, meine Damen und Herren. Ich glaube, wir sind uns doch in den Zielsetzungen einig. Wenn das von der Regierung vorgelegte Programm hier im Hause nicht in allen Teilen Zustimmung gefunden hat, so hoffe ich doch, daß es in den nächsten Wochen möglich sein wird, sich zu einer Lösung zusammenzufinden, die im Effekt das erreicht, was unbedingt erreicht werden muß: die Sanierung und Modernisierung der Bundesbahn, eine gewisse Entlastung unserer sonstigen Verkehrswege und vor allem ein Einfrieren der Zuschüsse des Bundes auf das bisherige Niveau, so daß wir nicht in einigen Jahren mit einer Verdoppelung dieser Zuschüsse an die Bundesbahn zu rechnen haben.
Meine Damen und Herren, ich habe in meinem Bericht zur Lage der Nation auch über die großen Probleme gesprochen, zu deren Lösung wir vielleicht im Laufe dieser Legislaturperiode nur noch die Grundlagen legen können. Aber ich bitte Sie herzlich darum, deswegen nicht in der Energie nachzulassen, diese großen Aufgaben anzupacken. Es ist einmal die Reform unseres Bildungswesens in allen Bereichen. Lassen Sie mich dazu aber ein Wort sagen, wozu ich durch gelegentliche Äußerungen aus unserer Bevölkerung veranlaßt worden bin. Für meinen Geschmack sprechen wir bei der Reform des Bildungswesens zuviel oder zu ausschließlich von den gewiß hochwichtigen Problemen der höheren Schule, des Abiturs und der Hochschulen. Es gibt aber ein Bildungswesen auch außerhalb des Abiturs und auch außerhalb der Hochschule, das für breite Schichten unserer Bevölkerung

(lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

ebenso sehr einer durchgreifenden Modernisierung und Anpassung an die moderne Welt bedarf.
Die andere Reform ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Staat, Wissenschaft und Wirtschaft. Ich habe die angekündigten Besprechungen schon aufgenommen und eine erste Beratung mit den führenden Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaftsverbände gehabt. Ich werde in diese Gespräche demnächst auch die Gewerkschaften einbeziehen.
Das dritte Thema ist die Reform unseres Verwaltungssystems und unserer Beamtenausbildung. Hier muß ich leider ein polemisches Wort sagen. Mir ist in den letzten Wochen vorgeworfen worden, daß meine Gedankengänge eine beamtenfeindliche Tendenz enthalten hätten, eine Unterschätzung oder Nichtachtung der Leistung unserer Beamtenschaft. Meine Damen und Herren, nichts läge mir ferner als dies! Ich weiß sehr wohl, was unsere Beamtenschaft leistet. Und gerade weil ich weiß, daß ihre Arbeit durch ein überaltertes Organisationsschema, das seine Wurzeln zum Teil noch in der vorindustriellen Gesellschaft hat, erschwert wird, wollen wir ihr durch unsere Reform das Leben und ihre Arbeit leichter machen. Was wir tun, ist also kein Tadeln unserer Beamtenschaft, sondern eine Hilfe und eine Unterstützung für sie.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir diese drei großen Zukunftsaufgaben noch in diesem Jahr gemeinsam so anpacken, daß eine künftige Regierung — wie immer sie sei — darauf weiter bauen kann, kämen wir weit.
Meine Damen und Herren, da ich nun schon von diesem letzten Jahr spreche, lassen Sie mich noch eine Bitte aussprechen. Nicht viel mehr als ein Jahr trennt uns noch von der kommenden Bundestagswahl. Die Gefahr, daß in diesem Jahr die Energien schwächer werden, daß vielfach die Blicke sich nicht mehr auf die sachlichen Aufgaben, sondern auf die politischen Sorgen im Zusammenhang mit der Wahl richten, ist groß und liegt in der Natur der Sache. Ich meine, neben dem Vielen, was wir in den letzten 16 Monaten geschafft haben, nach den großen Erfolgen, die wir gemeinsam auf dem Gebiet der Innen- und Außenpolitik errungen haben, würde es auch zur Bewährungsprobe der Großen Koalition gehören, daß wir uns alle zusammen vornehmen, daß wir das, was wir uns in der Regierungserklärung vorgenommen haben, ohne Rücksicht auf solche Sorgen im kommenden Jahr gemeinsam vollbringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sicher ist nicht alles, was wir uns gewünscht und gewollt haben, so gegangen, wie wir es gewollt haben. Wir haben gerade in den letzten Tagen einen, übrigens demokratisch-parlamentarisch völlig normalen Konflikt erlebt. Es hat sich ergeben, daß unsere Vorstellungen zur Wahlrechtsreform sich nicht so realisieren lassen werden, wie wir es zunächst im kleinen Kreise derer, die über die Bildung der Koalition verhandelt haben, gewollt haben und wie wir es dann auch in das Regierungsprogramm aufgenommen haben. Herr Kollege Lücke, dessen leidenschaftliches Anliegen in den vergangenen Jahren die Wahlrechtsreform war, weil er davon überzeugt ist, daß von einem Gelingen der Wahlrechtsreform außerordentlich viel für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie in Deutschland abhängt, hat geglaubt, deswegen sein Amt verlassen zu müssen. Ich habe die Angelegenheit — und er weiß das — anders bewertet als er. Ich glaubte, ihn von meiner Auffassung, daß es not-



Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
wendig sei zu bleiben, überzeugen zu können, obwohl er, als er zu mir kam, schon entschlossen war, sein Amt zu verlassen. Er hat keineswegs von sich- aus geschwankt; ein Bleiben war das Ergebnis meines guten Zuredens. Er hat dann in den darauf folgenden Tagen in seinen Gesprächen geglaubt, feststellen zu müssen, daß eben doch kein Ergebnis zu erzielen sein werde, das er mitverantworten wollte.
Meine Damen und Herren, ich habe gefunden, daß man sich in unserer parlamentarischen Demokratie endlich daran gewöhnen sollte, ja, daß man es für eine gute Sache halten sollte, wenn ein Minister einmal aus einem prinzipiellen Grund sagt: Unter diesen Umständen sehe ich mich nicht in der Lage, mein Amt fortzuführen! und der dann wieder in die Reihen dieses Hohen Hauses zurücktritt.

(Beifall.)

Ich kann der Entscheidung des Herrn Kollegen Lücke, sosehr ich sie bedauere, meinen Respekt daher nicht versagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich nehme die Gelegenheit wahr, um ihm für die großen Verdienste, die er sich in langen Jahren, vor allem in der Zeit seiner Mitgliedschaft im Kabinett als sehr erfolgreicher Wohnungsbauminister, als aktiver Innenminister erworben hat, Verdienste um unser Land und Volk, sehr herzlich zu danken

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und ihm für seine weitere politische Arbeit Glück und Erfolg zu wünschen.
Glück und Erfolg wünsche ich auch dem neuen Innenminister,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

*der kein leichtes Amt antritt und auf den unmittelbar eine schwierige Aufgabe wartet, die Verabschiedung der Notstandsgesetze, die dann endlich einen lange schwelenden Streit in unserem Volke beenden wird.
Meine Damen und Herren, ich habe in diesen Tagen in Gesprächen mit vielen Menschen unseres Volkes feststellen können, wie viel Vertrauen dieses Volk dieser Regierung und dieser Koalition entgegenbringt. Machen wir uns auch im letzten Jahr dieser Großen Koalition vor der Bundestagswahl dieses Vertrauens würdig!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516500700
Meine Damen Herren, ich frage zunächst die Berichterstatter zu dem Einzelplan 04, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort zu nehmen wünscht. — Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516500800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als im Herbst 1966 die Regierung Erhard-Mende auseinanderging, da
hat sich eine große Chance geboten, nämlich die Chance, zum erstenmal in dieser Demokratie dem Volke die Ablösung einer Regierung durch die Opposition darzustellen. Wir, das wissen Sie, meine Damen und Herren, wären bereit gewesen, um der Stärkung des demokratischen Bewußtseins willen diese Ablösung zu fördern. Die Große Koalition allerdings, die dann aus den Verhandlungen als Ergebnis herauskam, war ein Ausweichen vor dieser Entscheidung.
Ich will hier eindeutig sagen, daß ich die Verbindung zwischen CDU/CSU und SPD nicht im Prinzip für unmöglich halte. Ganz im Gegenteil: auf der Basis unseres Wahlrechts — das ich für das beste Wahlrecht halte, das es für eine Parteiendemokratie geben kann — ist diese Verbindung durchaus legitim. Ich meine nur, daß sie angesichts der Mehrheitsverhältnisse, wie sie im Bundestag im Augenblick herrschen, unnormal ist, und ich glaube, daß die Verantwortlichen beider Koalitionsparteien in diesem Falle so denken wie ich; sie haben es auf jeden Fall mehrfach zum Ausdruck gebracht.
Wodurch kann sich denn überhaupt diese Koalition rechtfertigen? Nur, so meine ich, durch die Erfüllung des Anspruchs, den sie selbst an sich gestellt hat, als sie hier zum erstenmal vor dieses Parlament getreten ist. Aber bereits damals zeigte sich, daß schon im Ansatz der Verbindung der beiden Parteien zu der sogenannten Großen Koalition ein Irrtum die Grundlage gewesen ist. Es hieß nämlich, daß zu Reformen, zu Korrekturen der Verfassung, zu all diesen großen Aufgaben in der Politik wohl nur Kabinette der nationalen Konzentration, Kabinette, hinter denen große Mehrheiten stehen, in der Lage sein würden. Das ist ein Irrtum, und ich glaube, heute haben wir alle eingesehen, daß das ein Irrtum ist. Hinter dieser Feststellung stand nicht etwa eine richtige Überzeugung, sondern dahinter stand das Unvermögen der Parteien, dahinter stand die Mutlosigkeit, dahinter stand eher der Mangel an Reformwille als der Mut zur Reform.

(Beifall bei der FDP.)

Hier hatte man Quantität mit Qualität verwechselt. Hier zeigte sich ein Ausweichen vor den politischen Entscheidungen, das es auch in anderen Bereichen gibt und das vor allem immer sichtbar wird, wenn, wie so häufig, der Versuch gemacht wird, politische Fragen, die entschieden werden müssen, zunächst einmal auf Sachverständigengremien abzuschieben. Die Sachverständigen sind sehr nützliche Mitwirkende, aber sie können uns, den Parlamentariern, die Entscheidung nicht abnehmen. Wir sind aufgerufen, die politischen Entscheidungen zu fällen.
Das gilt z. B. auch für das Problem der Mitbestimmung, das heute so lebhaft diskutiert wird. Ich meine, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat recht, wenn er sagt, über Mitbestimmung gibt es eigentlich nichts mehr in Sachverständigengremien zu diskutieren. Die Fragen sind uns allen seit Jahren bekannt. Hier stehen politische Entscheidungen an, und wenn die Koalitionsparteien dieses Problem heute in neue Sachverständigengremien abschieben wollen, dann weichen sie



Scheel
damit der Entscheidung aus, die sie begreiflicherweise im Augenblick nicht treffen möchten.
Man hätte schon bei Gründung dieser Regierung wissen müssen, daß die großen Reformen in der Geschichte der Demokratien immer in den normalen politisch-parlamentarischen Wettbewerb eingebettet waren. Das galt ja auch für unser eigenes Land, für die Bundesrepublik Deutschland. Denn die großen Reformen, die großen grundlegenden Gesetzeswerke sind in den Jahren 1949 bis 1955 unter Mehrheitsverhältnissen, die weiß Gott sehr knapp waren, verabschiedet worden. Erinnern Sie sich doch daran, daß 1949 der Bundeskanzler nur mit einer einzigen Stimme Mehrheit gewählt worden ist; das war seine eigene. Mit dieser Mehrheit wurden große Reformwerke durchgesetzt. Es ist also nicht etwa so, daß die Aufgaben heute größer geworden wären und daß wir deswegen größere Mehrheiten brauchten. Nein, ich meine, die Parteien sind weniger entscheidungsbereit geworden, und die führenden Politiker sind unsicherer geworden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Vor allem die FDP!)

vielleicht sind sie auch in ihrer Entscheidungsbereitschaft schwächlicher geworden.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, die Koalition des Jahres 1966 hat in diesem Parlament eine gewaltige Mehrheit; aber sie hat darum weiß Gott noch keine kraftvolle politische Führung.

(Beifall bei der FDP.)

Sie ist kein Bündnis der Aktion, wie wir das inzwischen festgestellt haben, sondern sie zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich wechselseitig in ihren politischen Aktionen eher lähmt. Das beginnt doch damit, daß in der Öffentlichkeit immer noch der polemische Streit darüber im Gange ist, ob denn nun die Politik, die von dieser Regierung vertreten wird, die bewährte alte Politik ist oder — jetzt schaue ich hier (zur SPD-Fraktion) herüber — ob die Politik, die von dieser Regierung vertreten wird, eine dynamische neue Politik ist. Das alleine lähmt natürlich bereits die Dynamik dieser Regierung. Der Polyzentrismus innerhalb des Regierungslagers wird immer deutlicher — das ist vielleicht verständlich —, je weiter sich diese Regierung auf die nächsten Wahlen hin bewegt. Hier ist zwar eine Zweidrittelmehrheit gegen die Opposition vorhanden

(Abg. Dr. Barzel: Nein, für Sachen!)

— nein, Herr Barzel, im Gegenteil: gegen die Opposition — es gibt aber keine Mehrheit für eine klare Politik der Regierung.

(Beifall bei der FDP.)

Das will ich gleich beweisen. Ich darf es an den einzelnen Beispielen beweisen. Ich zähle sie auf. Das ist vielleicht eine Gegen-„Ist das denn nichts?"-Rede, wie sie der Herr Bundeskanzler bei der Diskussion über die Lage der Nation hier gebracht hat.

(Heiterkeit bei der FDP.)

1. Es gibt in dieser Koalition keine Mehrheit für eine Europapolitik. Die Anhänger der Politik de Gaulles halten sich mit denen, die den Beitritt Großbritanniens wünschen, durchaus die Waage. Das ist präzise das Bild, das die Regierung in ihren Verhandlungen mit Frankreich gezeigt hat.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Rasner: Das sind sehr alte Klischees!)

— Herr Kollege Rasner, ich habe am Wochenende an einer Diskussion teilgenommen, den Deutsch-Englischen Gesprächen, wo diese Frage behandelt wurde. Es gab unter den Teilnehmern, den Briten und den Deutschen, wie ich glaube, niemanden, der in diesem Punkte anderer Meinung gewesen wäre. Sowohl Engländer als auch Deutsche haben aus ihrer Erfahrung die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage genauso charakterisiert, wie ich es getan habe. Der Bundeskanzler selbst hat soeben auch nichts anderes gesagt, als er über seine Besuche in Paris berichtete und sagte, daß die Abmachungen natürlich etwas vage gewesen seien und daß auch wir selber nicht zufrieden gewesen sind, daß man aber unverdrossen, geduldig und gelassen — nachher kam auch noch, daß wir nicht nachlassen dürfen — diese Politik fortsetzen werde, die ja bis jetzt zu keinem Ergebnis geführt hat. Meine Damen und Herren, das klingt alles so sympathisch, wenn es der Bundeskanzler sagt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das klingt so beruhigend, wenn er es sagt. Aber durch den symphatischen Klang und die beruhigende Stimmlage werden die Probleme nicht gelöst.

(Beifall bei der FDP.)

Ich komme zu Punkt 2: Es gibt in dieser Koalition keine Mehrheit für eine einheitliche Verteidigungspolitik. Der Beweis dafür kann jederzeit geliefert werden, wenn Sie die Diskussion über den Atomwaffensperrvertrag, wenn Sie die Diskussion über das Problem der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr unter den Mitgliedern der Koalitionsparteien verfolgen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516500900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516501000
Sehr gern, Herr Kollege von Merkatz.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0516501100
Herr Kollege Scheel, würden Sie wenigstens andeuten, was denn die Bundesregierung bzw. der Bundeskanzler in dieser Situation der Europapolitik vernünftigerweise anders tun sollte?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516501200
Herr Kollege von Merkatz, im Augenblick diskutiere ich nicht meinen eigenen Haushalt, sondern den des Bundeskanzlers.

(Oho-Rufe von der CDU/CSU.)




Scheel
Dennoch werde ich Ihnen den Gefallen tun — aber nachher —, in einem logischen Zusammenhang auf diese Frage eingehen.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Ist das hier unlogisch?)

— Ich habe mir natürlich einen Leitfaden notiert; Sie sehen, er ist mit nur wenigen Punkten aufgezeichnet. Ich glaube, ich kann an Sie das Ansinnen stellen, bis zur Beantwortung dieser Frage zu warten, weil ich sie in einem Zusammenhang etwas umfassender behandeln möchte. Das ist der Grund. Herr von Merkatz wird zweifellos seine Antwort bekommen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516501300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel?

Baron Olaf von Wrangel (CDU):
Rede ID: ID0516501400
Herr Kollege Scheel, haben Sie eigentlich die Absicht, durch Ihre Polemik zur Lösung der Probleme beizutragen, oder wollen Sie nur Zwietracht in die Koalition tragen?

(Oho- und Pfui-Rufe von der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516501500
Herr von Wrangel, ich weiß gar nicht, woher Sie im Augenblick den Grund nehmen, das, was ich bisher vorgetragen habe, als Polemik zu bezeichnen. Aber vielleicht werden Sie nachher noch eine Rechtfertigung finden. Im Moment sehe ich diese noch nicht.

(Zurufe in der Mitte.)

Ich komme jetzt zu Punkt 3: Es gibt keine klare Mehrheit für die Deutschlandpolitik in diesen Koalitionsparteien. Meine Damen und Herren, das kann wohl auch gar nicht sein, wenn Sie sich einmal die Personen betrachten, die in dieser Regierung für die Deutschlandpolitik verantwortlich sind. Da ist auf der einen Seite Herr Wehner, der ja sicherlich seine verantwortungsvolle Aufgabe — das gesamtdeutsche Ministerium — übernommen hat, um seine Vorstellungen von der Deutschlandpolitik in dieser Regierung durchzusetzen. Da finde ich auf der anderen Seite Herrn von Guttenberg, der nach meiner Überzeugung seine verantwortungsvolle Tätigkeit im Bundeskanzleramt mit dem Ziel übernommen hat, eben das zu verhindern.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP.)

Ich finde, es liegt auf der Hand, daß bei dieser Bipolarität kein richtiges Ergebnis herauskommen kann. Darüber helfen auch gute Formulierungen kaum hinweg.
4. Es gibt nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit in diesen Koalitionsparteien für den Regierungsentwurf für die sogenannte Notstandsgesetzgebung, — bis jetzt gibt es sie nicht.
5. Es gibt keine Mehrheit in den Regierungsparteien für eine Gebietsreform. Das ist nicht etwa etwas, was wir gegen die Verfassung durch Verfassungsänderungen bewerkstelligen müßten, sondern das ist ein Verfassungsauftrag, unter Wahrung der föderalistischen Ordnung eine Gebietsstruktur
zu schaffen, die lebensfähig ist. Ich halte es für einen blanken Luxus, wenn es immer noch Länder gibt mit der Einwohnerzahl mittlerer Städte, die sich den Luxus von Parlamenten und Regierungen und dergleichen leisten.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sagen Sie das einmal in Hamburg und in Bremen!)

Wir müssen den Auftrag der Verfassung erfüllen,
lebensfähige Länder zu schaffen. Auch hierfür gibt
es in diesen Regierungsparteien keine Mehrheit.
Es gibt 6. keine Mehrheit für die in der Regierungserklärung 1966 angekündigte Sozialreform.
Es gibt 7. in diesen Koalitionsfraktionen keine Mehrheit für eine Reform der Haushaltspolitik. Die lebhaften Diskussionen, die bis jetzt über konjunkturpolitische Fragen und über die mittelfristige Finanzplanung geführt worden sind, haben uns von dem Kern ja abgelenkt. Auch das werde ich nachher noch im Zusammenhang beleuchten.
Es gibt 8. keine Mehrheit für ein Verkehrsprogramm in diesen Koalitionsparteien. Das ist wohl ein Kuriosum ohne Beispiel, daß es zwei gegensätzliche Verkehrsprogramme gibt, eines des Ministers Leber, das uns offiziell von der Regierung vorgelegt wird, ein anderes, das auch den offiziellen Segen der Koalitionsparteien und, wie ich höre, des Bundeskanzlers haben soll, das von dem Kollegen Müller-Hermann vorgelegt wird.

(Zurufe von der Mitte.)

Das ist doch ein Novum bei der Zusammenarbeit
von Parteien zu einzelnen Regierungsprogrammen.

(Beifall bei der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Es gibt 9. keine Mehrheit für eine vernünftige Finanzreform. Das Minimalprogramm, über das neuerdings geredet wird, ist, glaube ich, kaum der Diskussion wert. Ich weiß nicht, ob man nicht von vorn anfangen sollte.
Es gibt 10. kein Rezept und auch keine Mehrheit für eine erfolgversprechende Energiepolitik. Eben glaube ich gehört zu haben — als der Bundeskanzler auch in diesem Punkte Hoffnungen aussprach; immerhin nach 16 Monaten Regierungstätigkeit große Hoffnungen aussprach —, daß selbst in Ihren Reihen diese Hoffnungen mit einer gewissen Skepsis betrachtet worden sind.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aber die FDP ist sich immer einig!)

Es gibt 11. keine Mehrheit für eine Bildungspolitik; ich meine jetzt: für das Verhältnis von Bund und Ländern in der Bildungspolitik. Das ist um so bedauerlicher, als doch nunmehr die Ministerpräsidenten aller Länder den Parteien angehören, die die Bundesregierung bilden und die Kultusminister in allen Ländern den Parteien angehören, die die Bundesregierung bilden. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir jetzt nicht ein Minimum an vernünftiger Regelung in der Bildungspolitik zuwege bringen könnten. Aber nichts dergleichen ist geschehen.

(Beifall bei der FDP. — Zuruf aus der Mitte.)




Scheel
— Ich habe mir hier ein Dutzend Punkte zusammengeschrieben. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich Ihnen noch mehr Punkte vortragen können.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Bei welchem Thema ist sich denn die FDP einig?)

Es gibt 12. in dieser Koalition keine Mehrheit in der Wahlrechtsfrage.

(Unruhe.)

Meine Damen und Herren, sind Sie mir böse, wenn ich sage: Dies ist vielleicht bei meiner Aufzählung der einzige Lichtblick?

(Beifall bei der FDP. — Lachen.) Es ist geradezu wie ein Symbol — — (Zuruf aus der Mitte.)

— Ich sage ja: Sie sind mir hoffentlich nicht böse, wenn ich sage, daß dies vielleicht der einzige Lichtblick bei meiner Aufzählung ist, daß es hier keine Mehrheit gibt.
Es ist geradezu wie ein Symbol, wenn der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung aus dem Jahr 1966 als Punkt 1 die Wahlrechtsreform genannt hat und heute in seiner Erklärung die Wahlrechtsreform als den letzten Punkt aufgezählt hat. Ich meine, dies ist eine saubere Erledigung eines politischen Problems.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Rasner: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!)

Ich glaube, nach alldem berechtigt zu sein, zu sagen: Die Bilanz der Zusammenarbeit von 90 % der Abgeordneten des Parlaments ist traurig. Wenn Sie sie an der Regierungserklärung des Jahres 1966 messen, dann ist sie gar sehr traurig, denn diese Regierungserklärung war gut formuliert; wie man ja überhaupt sagen muß, daß die Formulierungskunst der Regierung ganz und gar unübertroffen ist. Ich bin sicher, daß es hier auch so bald keinen ernsthaften Wettbewerber geben wird.

(Beifall bei der FDP.)

Die Reformen finden nicht statt. Wir haben hier und da Kompromisse, kleine Kompromisse, aber keine Reformen, die zu bewältigen diese Regierung angetreten war. Kurzum: Gestatten Sie der Opposition zu sagen, die Regierung entscheidet wenig, sie entscheidet langsam und sie entscheidet schlecht.
Sie kommt mir vor wie ein Koloß, der ja nach dem bekannten Sprichwort auf tönernen Füßen steht; manchmal wie ein Koloß, der auf tönernen Füßen steht und sich — wenn überhaupt — nur ganz langsam zu bewegen wagt, weil er die berechtigte Furcht hat, daß bei schnellerer Bewegung die Füße wegbrechen könnten.

(Beifall bei der FDP.)

Heute wird es klar — und das ist eine Feststellung, die überhaupt nichts mit parteipolitischer Polemik zu tun hat —, daß jede andere Koalition -
um es anders auszudrücken: jede kleinere Koalition — ein Mehr an politischen Möglichkeiten gehabt hätte.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Da haben wir andere Erfahrungen! Abg. Rasner: Vorsicht Herr Scheel! — Abg. Schulhoff: Daran sind Sie aber selber schuld!)

— Herr Kollege Schulhoff, ich will jetzt nicht über Schuld und Nichtschuld reden. Das würde auch meine Redezeit zu sehr .strapazieren. Ich wollte nichts anderes als eine nüchterne Feststellung treffen — gar nicht parteipolitischen Charakters —: daß jede andere Koalition ein Mehr an politischen Möglichkeiten gehabt hätte.

(Abg. Schmidt [Hamburg] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Präsident, der Herr Kollege Schmidt möchte eine Frage stellen. Sie sind immer so spitz, daß ich geradezu darauf gespannt bin.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0516501600
Nein, gewiß nicht, Herr Scheel. Ich wollte nur fragen, an welche andere Koalition Sie insgeheim soeben theoretisch gedacht haben.

(Heiterkeit.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516501700
Sie haben richtig erkannt, Herr Kollege Schmidt, daß dies eine abstrakte Überlegung gewesen ist.

(Erneute Heiterkeit. — Beifall bei der FDP.)

Aber ich habe ja auch sehr deutlich und umfassend gesagt: jede andere, sprich: kleinere Koalition hätte ein Mehr an gemeinsamer Politik gehabt. Sie wissen — wenn ich das jetzt, um in die praktische Politik zu steigen, hinzufügen darf —, daß ich 1966 sehr wohl der Überzeugung gewesen bin, man hätte eine andere, kleinere, sogar auf wenigen Stimmen Mehrheit beruhende Koalition bilden können.

(Zurufe von der Mitte.)

Wenn das möglich gewesen wäre, hätte man wahrscheinlich gar nicht erst soviel Unruhe in diese Demokratie bekommen. Aber ich will über die damalige Zeit jetzt nicht weiter diskutieren.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ist auch besser für Sie!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516501800
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516501900
Das tue ich immer sehr gern.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0516502000
Ohne dem letzten Satz widersprechen zu wollen, Herr Scheel, möchte ich noch eine Frage stellen. Da Sie den Wortlaut wählten „jede andere kleinere Koalition", muß man ja annehmen, daß Sie insgeheim in Ihrem Hinterkopf von mehreren möglichen Koalitionen eine Vorstellung hatten. ,;Jede" setzt voraus, daß es mindestens zwei sind. Deshalb meine Frage: welche beiden meinten Sie nun?




Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516502100
Es gab nur zwei. Herr Kollege Schmidt, Sie sind doch wirklich erfahren genug —„intelligent" wage ich gar nicht zu sagen —, um zu wissen, daß es nur zwei „andere" geben konnte. Ich wiederhole noch einmal: von heute, rückschauend betrachtet, bin ich der festen Meinung, daß jede „andere" mehr Politik hätte durchsetzen können. Das ist, so finde ich, nicht nur meine Meinung, sondern auch die Meinung der der Sache etwas entfernter stehenden objektiven Beobachter der Szenerie. Es ist eine Erwägung, die ich hier anstelle.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0516502200
Darf ich Sie noch ein letztes Mal mit einer Frage stören. Verstehe ich Sie richtig, daß das auch einschließt, daß Sie heute der Meinung sind, daß auch die Fortsetzung der anderen kleineren Koalition, die bis zum Dezember 1966 auf jener Bank gesessen hat, eine effektivere Regierung bedeutet hätte als diejenige, deren wir uns gegenwärtig erfreuen?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516502300
Ich bin der Meinung; und ich hätte es gar nicht so gut formulieren können, wie Sie es getan haben.

(Beifall bei der FDP. — Zurufe von der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516502400
Der Herr Abgeordnete Friderichs möchte eine Zwischenfrage stellen. — Bitte!

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0516502500
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen bekannt, daß die Sozialdemokraten und die Christlich-Soziale Union über eine Mehrheit in diesem Hause verfügen?

(Zurufe von der Mitte.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516502600
Ich muß gestehen, Herr Kollege Friderichs: ich wußte, daß mich Kollegen meiner eigenen Fraktion am ehesten in Verlegenheit bringen können.

(Heiterkeit.)

Das ist tatsächlich der Fall. Diese Koalition hatte ich allerdings nicht ins Auge gefaßt, weil das Spannungsverhältnis zwischen der Sozialdemokratischen Partei und dem Vorsitzenden der christlich-sozialen Fraktion damals noch zu groß war, — was natürlich in der Zwischenzeit ganz anders geworden ist.

(Abg. Rasner: Sehr erfreulich!)

Aber eins hat diese Regierung der Großen Koalition doch bewirkt: sie hat eine Klimaveränderung in der Innenpolitik im Gefolge gehabt, eine Klimaveränderung im Verhältnis der Öffentlichkeit zur Demokratie, und zwar keine günstige Klimaveränderung. Von der Regierung geht keine politische Inspiration aus. Sie mobilisiert nicht die demokratischen Kräfte in unserem Volk, und sie entfacht einfach keine Energien. Sie verheißt auch keine Ziele, die einen ansprechen, und es lohnt sich nicht, sich dafür politisch zu engagieren; ganz im Gegenteil — das ist, glaube ich, unter uns allen unbestritten —, sie verbreitet eher Resignation, Enttäuschung und Unruhe, manchmal sogar Widerstand. Wir alle haben das selbst erlebt.
Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß in weiten Kreisen unseres Volkes ein Mißtrauen — und ich meine, ein berechtigtes Mißtrauen — in die volle Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie entstanden ist. Ich will hier nicht behaupten, daß die Koalitionsparteien oder die Regierung der Großen Koalition die Ursache dafür seien oder sein könnten. Man kann nicht sagen, ob die Regierung der Großen Koalition Ursache oder Wirkung, Ursache oder Symptom dieser Entwicklung ist. Aber ich meine, wir alle sollten darüber nachdenken, wie wir diese Stimmung und Malaise in der deutschen Öffentlichkeit auffangen, was wir tun müssen, um die Interessen der Öffentlichkeit für die parlamentarische Demokratie wieder zu wecken, um die junge Generation zu engagieren, um ihr ein Ziel zu geben.
Ich finde, daß die Diskussion über die Lage der Nation, so gesehen, nicht alles das enthalten hat, was man vielleicht hätte diskutieren müssen. Es lag ein bißchen daran, daß der Herr Bundeskanzler hier weniger die Lage der Nation beschrieben hat, sondern vielleicht mehr die Leistungen der Bundesregierung in der Zeit ihrer Regierungstätigkeit. Es klang aus dem damaligen Vortrag allzuviel Gelassenheit, allzuviel Ruhe, auch allzuviel — ich möchte sagen — Stolz und Selbstvertrauen, dem man anmerkte, daß es mehr auf den 90 % der Sitze beruhte als auf dem Inhalt der Politik und auf der politischen Leistung.

(Beifall bei der FDP.)

90 % der Sitze verführen vielleicht dazu, die Schwächen der eigenen Politik mit allzuviel Gelassenheit zu übersehen.
Nun haben wir im Augenblick ein besonderes Ereignis gehabt, den Rücktritt des Herrn Bundesinnenministers. Das war eine logische Konsequenz der Entwicklung. Er hatte, so meine ich, die politischen Realitäten in der Bundesrepublik schon seit längerer Zeit nicht mehr richtig eingeschätzt. Ich erinnere mich in diesem Augenblick an ein Gespräch, das ich selbst mit ihm hatte zu einer Zeit, als er noch Mitglied der Bundesregierung war, der auch ich angehörte. Es war ein freundschaftliches, vertrauliches Gespräch. Aber wenn ich etwas daraus wiedergebe, so begehe ich, glaube ich, keinen Vertrauensbruch.
Der Bundesminister eröffnete mir damals in einem — das kommt ja schon mal vor — überraschenden Ausbruch von Offenheit, daß er in der Wahlrechtsfrage eine ganz ideologische Überzeugung habe und daß er für diese Überzeugung allüberall eintreten werde, ja, daß er eine Große Koalition herbeiführen würde, wenn sie diesem Ziel dienen würde; ansonsten, sagte er, sei er nicht Anhänger einer solchen Koalition. Ich habe ihm damals vorausgesagt, welches Schicksal er erleiden würde, und ich habe ihn gewarnt, sich mit seinem politischen Schicksal an diese Frage zu hängen. Ich möchte ihn heute ausdrücklich an dieses damalige Gespräch erinnern.
Jetzt ist mit der Nachfolge im Amt des Innenministers ein Problem aufgetaucht, das ich Ihnen, meine Damen und Herren, einmal vortragen möchte, weil es, so glaube ich, exemplarischen Charakter hat. Wir sollten uns gerade dann, wenn eine neue Institution Bewährungsproben zu bestehen hat,



Scheel
intensiv überlegen, in welcher Richtung wir präjudizierende Entscheidungen treffen. Was ich jetzt sage, richtet sich überhaupt nicht gegen den Kollegen Benda, dem ich wünsche, daß er in seinem Amt die Befriedigung findet, die er sich wünscht. Es richtet sich weder gegen seine Person noch gegen seine fachliche Qualifikation, die, glaube ich, hier unbestritten ist. Deswegen kann ich in aller Ruhe, abstrakt, mit Ihnen über das Problem sprechen.
Erstmalig tritt nämlich ein Bundesminister zurück, dem ein Parlamentarischer Staatssekretär attackiert ist, und erstmalig tritt mit ihm — nach dem Gesetz so vorgesehen — der Parlamentarische Staatssekretär zurück. Es erhebt sich bei der Auswahl des Nachfolgers die Frage, ob der Parlamentarische Staatssekretär der Nachfolger seines Ministers werden kann. Der Herr Bundeskanzler hat bei der Auswahl eines Nachfolgers längere Zeit gezögert. Wir wissen, daß er ursprünglich andere Kandidaten im Auge gehabt hat. Ich vermute, daß sich auch der Herr Bundeskanzler Gedanken darüber gemacht hat, wie man im ersten Fall dieser Art verfahren solle. Denn, meine Damen und Herren, der Minister ist aus politischen Gründen zurückgetreten, weil er nämlich mit der Politik der Bundesregierung nicht einverstanden ist. Sein beamteter Staatssekretär ist soeben mit der gleichen Begründung aus dem Amt ausgeschieden — ich darf das wörtlich verlesen —:
Staatssekretär Ernst begründete seinen Schritt damit, daß er auch die Auffassung Lückes zur Wahlrechtsreform teile und die Politik der Regierung in dieser Frage deshalb nicht mehr vertreten könne.
Wie ist es denn nun mit dem Parlamentarischen Staatssekretär? Hat er in der Vergangenheit die Politik seines Ministers in vollem Umfange vertreten? Wenn ja, müßte er doch zu der Überzeugung kommen, daß er die Politik der Regierung nicht vertreten kann. Hat er aber heute den Eindruck, er kann die Politik der Regierung vertreten, dann weiß ich nicht, wie er früher mit seinem Minister in einer so entscheidenden Frage zurechtgekommen ist.
Darüber hinaus muß man sich überlegen, unter welchen Druck ein Bundesminister gerät, der sich nach dem Gesetz einen Parlamentarischen Staatssekretär aussucht, von dem er möglicherweise annehmen muß, daß er sein Nachfolger werden kann. Wie Menschen nun einmal sind, hätte ich Verständnis dafür, daß ein Minister den' Eindruck gewinnen kann, der Parlamentarische Staatssekretär wolle sein Nachfolger werden, und zwar möglichst bald.
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich dieses Problem doch einmal ernshaft zu überlegen. In Frankreich gibt es eine so schöne Regelung beim Wahlrecht. Sie wissen, daß man dort einen Abgeordneten und gleichzeitig einen Vertreter für ihn wählt für den Fall, daß der Abgeordnete ausscheidet. Der Vertreter kann allerdings die Nachfolge nur dann antreten, wenn der Abgeordnete stirbt, sonst nicht. Er ist nach dem Gesetz nicht befugt, Nachfolger des Abgeordneten zu werden, wenn dieser aus einem anderen Grund in seinem Wahlkreis nicht
mehr gewählt werden sollte. Dahinter steckt eine tiefe Weisheit — wenn ich einmal unterstelle, daß der politische Mord aus diesem Grunde seit Cäsars Zeiten unüblich geworden ist.

(Heiterkeit und Zurufe.)

Ich bitte Sie, meine verehrten Damen und Herren, diese Fragen einmal ernsthaft zu überlegen. Ich wiederhole am Schluß das, was ich am Anfang gesagt habe.: Dies ist ein Fall, der mit der Person des jetzigen Amtsinhabers nichts zu tun hat, sondern der ganz abstrakt abgehandelt werden sollte.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Intervention im Zusammenhang mit der Rede zur Lage der Nation die Erfolge aufgezählt, die diese Regierung gehabt hat. Er hat sie uns sehr schnell und sehr eindrucksvoll hintereinander vorgerechnet, darunter auch den Erfolg, daß der Haushalt ausgeglichen worden sei. Das ist jetzt auch wiederholt worden. Ich glaube aber, das kann man nicht sagen, ohne darüber zu sprechen, w i e denn der Haushalt ausgeglichen worden ist.
Es trifft zu, daß. die Bundesregierung Ende des Jahres 1966 zwei Probleme zu lösen hatte, nämlich einmal, die in einem weniger starken Maße wachsende Konjunktur, so möchte ich einmal sagen, wiederzubeleben, und zum zweiten, die sichtbar gewordenen Haushaltslücken auszugleichen. Die Konjukturbelebungsmaßnahmen sind hier im Hause zu oft kritisiert worden, als daß ich jetzt noch einmal darauf zurückkommen möchte. Wir wissen, daß von uns geförderte und anerkannte Instrumente gemischt worden sind mit eher bremsenden Maßnahmen. Auf der einen Seite hat man durch öffentliche Investitionen den Wirtschaftsablauf angeregt, auf der anderen Seite hat man dem durch eine. Vielzahl von Steuermaßnahmen wieder entgegengewirkt. Ich darf vielleicht daran erinnern — das wäre auch einer Aufzählung wert —, wie viele Steuererhöhungen in der Zwischenzeit vorgenommen worden sind. Wenn ich mich richtig erinnere, waren es die Sektsteuer — es fing ja so harmlos an —, die Branntweinsteuer, die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer. Dann kam die Mehrwertsteuer, die ja, bevor sie in Kraft trat, durch die Koalitionsfraktionen schon erhöht wurde. Die Ergänzungsabgabe wurde beschlossen, Verkehrssteuern wurden angekündigt, und die Grundsteuer ist in Diskussion. Und wir alle haben es hier ja lebhaft bedauert, daß die Sozialbeiträge nicht zu halten sind.
Meine Damen und Herren! Dies hat naturgemäß das konjunkturpolitische Bemühen der Regierung ganz erheblich abgeschwächt, und daher müht sich der Wirtschaftsminister immer noch, aus dieser berühmten Talsohle herauszukommen. Alles, was am Horizont sichtbar wird, sind bisher noch Aussichten; die effektiven Daten sind immer noch nicht befriedigend, und das ist zum Teil hierauf zurückzuführen.
Und noch etwas, meine Damen und Herren! Immer, wenn wir über die Wirtschafts- und Finanzpolitik mit der Regierung diskutierten, haben wir gesagt: Für diese Zeit könnte man es wohl hinnehmen, die Defizite im Haushalt durch Aufnahme von Krediten auf dem Kapitalmarkt und auf- dem



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Geldmarkt auszugleichen, aber nur dann, wenn sichtbar gemacht werden würde, daß man mittelfristig wieder zu einer soliden Haushaltspolitik des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben zurückkehren werde. Aber das hat uns bisher niemand darzustellen vermocht. Im Gegenteil, wir müssen den Eindruck haben, daß die mittelfristige Finanzplanung selbst in dem, was uns hier vorgetragen worden ist, schon nicht mehr stimmt, wenn im ersten Jahr der Abwicklung Fehleinschätzungen in Milliardenhöhe vorkommen konnten. Wir wissen also nicht, wann die Bundesregierung nun endlich zur soliden Haushaltspolitik des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben zurückzukehren gedenkt. Und solange wir das nicht wissen, ist die Kreditpolitik der Bundesregierung nicht so ungefährlich, wie sie glaubt.
Man kann auch nicht die absoluten Kreditzahlen des Bundes denen anderer Länder gegenüberstellen. Bei einem Vergleich muß man das Tempo der Kreditaufnahme mit nennen.

(Beifall bei der FDP.)

Was wir aufgenommen haben, haben wir ju in den letzten anderthalb Jahren aufgenommen. Es geht mir nicht darum, hier etwas anzukreiden; es geht mir darum, daß wir uns darüber verständigen, wohin die Entwicklung laufen muß. Wenn wir uns darüber verständigen, dann verständigen wir uns auch über- die Beurteilung der Aufnahme von Krediten. Die absoluten Zahlen — hier will ich ,dem Herrn Bundeskanzler zustimmen — geben zur Besorgnis keinen Anlaß. Die müssen wir vertragen können. Sorge aber bereiten die Umstände, unter denen diese absoluten Zahlen zustande gekommen sind.
Meine Damen und Herren! Ich wollte doch, um diesen einen Punkt hier noch einmal zu erwähnen, wenigstens etwas in die Wirtschafts- und Finanzpolitik einsteigen.
Ich möchte jetzt zu den Fragen sprechen, die der Bundeskanzler im Zusammenhang mit ,der Außenpolitik genannt hat.
Es ist so, daß wir mit dem Entschluß der Vereinigten Staaten, im größten Teil von Nordvietnam die Bombardierungen einzustellen und alles zu versuchen, zu einer politischen Lösung ,des Vietnamkonflikts zu kommen, in eine noch unklare Phase der Weltpolitik eingetreten sind. Ich wünsche mit meiner Fraktion dringend, daß die Vereinigten Staaten mit diesem Schritt zu konkreten Friedensverhandlungen kommen, damit wir endlich dieses Damoklesschwert über uns beseitigt wissen, das in der Eskalation, in der sich der Konflikt befindet, eine Gefahr für jeden in der Welt geworden ist.
Meine Damen und Herren, aber die Entwicklung in Südostasien macht es um so dringlicher, daß wir uns in Europa um unsere eigene Sicherheit und um unsere Ordnung mehr mühen, als wir das bisher getan haben. Es ist doch einfach unmöglich, daß wir auf ,die Dauer die Verantwortung für die Sicherheit -und für die Ordnung -in Europa zum größten Teile den beiden Supermächten, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Sowjetunion, überlasssen. Es ist doch unmöglich, daß sich die
europäischen Länder außerstande sehen sollten, mehr für ihre Sicherheit und für -ihre Ordnung zu tun. Wir müssen -das, denn wir sehen heute, daß die beiden Supermächte durch die Vielzahl der Ordnungsfunktionen, die sie in der Welt wahrnehmen, überfordert sind. Die Wendung in der Vietnampolitik der USA weist nicht nur darauf hin, wie stark die Vereinigten Staaten in Anspruch genommen waren — -diese Wendung ist ja auch unter dem innenpolitischen Druck zustandegekommen —, sondern die Schwierigkeiten der Vereinigten Staaten im Bereich der Währungspolitik, der Zahlungsbilanzpolitik sind ja auch nicht zuletzt durch ihr starkes Engagement ausgelöst worden.
Meine Damen und Herren, wenn wir um unsere eigene Sicherheit besorgt sind, dann sollten wir mehr dazu tun, für diese Sicherheit zu sorgen. Dann muß unsere Politik in Europa darauf ausgerichtet sein, nicht etwa zu schreien, wenn irgendwie bekannt wird, daß die Amerikaner zwei Soldaten und einen Jeep in die USA zurückverlegen wollen, sondern dann muß unsere Politik darauf ausgerichtet sein, ihnen eines Tages anbieten zu können, sich ganz aus Europa zurückzuziehen, ohne unsere Sicherheit zu beeinträchtigen.
Das muß die Richtung unserer Politik sein, meine Damen und Herren. Dazu müssen wir mehr tun — nicht materiell, sondern politisch; denn unsere Sicherheit in Europa kann nicht durch ein übersteigertes Rüstungsbemühen gesichert werden, sondern unsere Sicherheit in Europa wird garantiert durch eine vernünftige Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren, wir sind im Augenblick in Europa in einer Periode der Entspannung. Aber diese Politik der Entspannung ist ja nicht die unsere, sondern es ist die Politik der Entspannung zwischen den USA und der UdSSR. Wenn es diesen beiden Supermächten einfallen sollte, in der nächsten Woche gegeneinander eine Politik des kalten Krieges zu treiben, dann würden wir dem ohne Gegenwehr ausgeliefert sein und hier wieder fröhliche Parolen des kalten Krieges hören müssen. Wir sollten diese Periode der Entspannung aber nutzen; denn sie ist uns als eine Chance gegeben. Wir sollten sie nutzen, um- an einem Sicherheitssystem für Europa zu arbeiten, das nur ein überlappendes Sicherheitssystem sein kann, an dem die westeuropäischen und die osteuropäischen Länder beteiligt sind und in dem die beiden Supermächte, die beiden Nuklearmächte sozusagen nukleare Garantiemächte sein könnten. Sie müssen aus ihrer Position, Führer von zwei gegeneinandergerichteten Militärbündnissen zu sein, heraus.
Das erfordert einige Überlegungen, zunächst einmal die Überlegung, daß dieses System nur in der Zusammenarbeit zwischen den beiden Teilen Europas zustande gebracht werden kann. Es erfordert weiter die Überlegung, daß dazu die Zusammenarbeit zwischen Ländern, die unterschiedliche Ordnungsvorstellungen, unterschiedliche politische Systeme, unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen haben, organisiert werden muß. Es geht also darum, ein System der Zusammenarbeit



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zwischen den Ländern Westeuropas und den europäischen Ländern des Sowjetblocks zu entwickeln.
Deutschland liegt im Kern der europäischen Teilung. Uns geht es in erster Linie an. Also sollten auch wir uns in erster Linie um die Lösung bemühen.

(Beifall bei der FDP.)

Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß wir einen Entwurf für eine europäische Sicherheitsordnung entwickeln müssen, daß wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie man denn die NATO weiterentwickeln kann, die heute unser Schutz ist, aber Ende 1969 ihren Charakter so oder so ändern wird.

(Abg. Dr. Barzel: Ändern kann!)

— Gut, Herr Dr. Barzel, einverstanden: „ändern kann ". Aber ein vorsichtiger Politiker wird sich ja auch auf mögliche Änderungen einstellen müssen. Wir müssen uns Gedanken über eine Weiterentwicklung machen, die in unserem Sinne liegt, im Sinne einer langfristigen Friedensregelung in Europa, der die beiden Teile Deutschlands ja unterliegen, und die im übrigen eine Voraussetzung für das sein wird, was wir Wiedervereinigungspolitik nennen.
Bei der Zusammenarbeit zwischen Ländern verschiedener Gesellschaftsordnungen darf man heute nicht übersehen, daß allüberall in der Welt Dynamik herrscht. Auch die Gesellschaftsordnungen des sowjetischen Machtbereichs sind dynamische Gesellschaftsordnungen. Wer das bisher nicht geglaubt hat, hat noch in den letzten Monaten einen Anschauungsunterricht darüber bekommen. Es ist einfach so, meine Damen und Herren, daß die moderne technische Entwicklung politische Folgen hat. Wenn sie den Wettlauf um die Spitzenposition in der technologischen Entwicklung mitmachen wollen, dann brauchen sie Menschen, die diese komplizierte Technik beherrschen, und diese Menschen stellen Ansprüche an ihren eigenen Freiheitsbereich. Am Ende steht jeder vor der Wahl, ob er in der Spitzengruppe der technischen Entwicklung auf dieser Welt marschieren will und den notwendigen Fachleuten ein Mehr an Freiheit geben will oder ob er ihnen das versagen will und dann aus dem Wettlauf um die Spitzenposition ausscheiden muß. Das ist in vielen Ländern sichtbar. Ich glaube, es ist gut, daß wir uns in diese Entwicklung nicht einmischen, sondern sie einfach beobachten; denn auch uns gebietet die technische Entwicklung, vieles zu tun, — auch in unserer Gesellschaftspolitik —, was noch vor manchen Jahren mit antiquierten gesellschaftlichen Vorstellungen nicht vereinbar zu sein schien.
Meine Damen und Herren, wir sollten alles daransetzen, in Europa an der Spitze der Entwicklung zu stehen, und wir sollten mit Vorschlägen für die Zusammenarbeit der westeuropäischen Länder als einer Vorstufe für eine gesamteuropäische Entwicklung beginnen.
Ich habe bei der Diskussion während des Deutsch-Englischen Gesprächs einmal konkrete Vorschläge gemacht. Und jetzt komme ich zu der Frage von Herrn Dr. von Merkatz, die ich gern beantworten möchte. Ich habe Vorschläge gemacht, was man denn tun könne, um die Entwicklung in Europa vorwärtszutreiben. Ich meine, wir sollten erst einmal davon ausgehen, daß Frankreich — vielleicht mehr als manches andere europäische Land — an die EWG gebunden ist.

(Beifall bei der FDP.)

Frankreich wird die EWG niemals platzen lassen. Wenn einer der sechs Staaten, die die EWG bilden, daran interessiert ist, sie zu erhalten, dann ist es Frankreich.

(Beifall bei der FDP.)

Deswegen können wir uns auch unserem französischen Partner gegenüber in der Auseinandersetzung sehr wohl eine selbstbewußte Position leisten,

(Beifall bei der FDP)

die ja in manchen anderen Fällen gerade diese Bundesregierung so sichtbar der deutschen Öffentlichkeit vorzuführen sich bemüht.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, was könnte man tun? Ich meine, man sollte einmal innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genügend Druck ausüben, damit der Antrag Großbritanniens und die Anträge anderer Antragsteller, der EWG beizutreten, am Ende positiv behandelt werden. Es gibt für die europäische Politik keine Alternative zu diesen Anträgen. Wir können nicht etwa mit dem Gedanken spekulieren, es möge für die anderen eine atlantische Freihandelszone entstehen. Wir müssen uns vielmehr darauf konzentrieren, diese Gemeinschaft aller europäischen Länder zu erreichen. Damit das geschieht, muß man — auch um die bestehenden Gemeinschaften herum — zu einem Mehr an Zusammenarbeit kommen. Ich habe vorgeschlagen, daß sich die Regierungschefs der EWG-Länder mit den Regierungschefs der Länder, die einen Antrag gestellt haben, zusammensetzen, um zu überlegen, auf welchen Gebieten man zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit gelangen kann. Die ersten Gespräche können im Rahmen der WEU stattfinden, die dann um Dänemark, Irland und Norwegen erweitert werden müßte.
Die Ziele einer solchen Unterhaltung müßten sein, eine gemeinsame- Politik und auch gemeinsame Institutionen für solche Politiken — und seien es Minimalinstitutionen — zu entwickeln: für den Bereich der Außenpolitik, für den Bereich der Abrüstungspolitik, eingeschlossen der berühmte Vertrag, für den Bereich der Verteidigungspolitik und für den Bereich der Herstellung und des Kaufs von Militärausrüstungen als einer Vorstufe gemeinsamer verteidigungspolitischer Überlegungen, für die Forschung und die technische Entwicklung, für die Entwicklungshilfe — ich stimme dem Bundeskanzler hier zu, daß ein Mehr an Zusammenarbeit der Europäischen Länder in diesem Bereich nötig ist. Man sollte sich weiter überlegen, ob man eine gemeinsame Politik auf dem Sektor der Währungs- und der allgemeinen Wirtschaftspolitik entwickeln kann.
Ohne gemeinsame Politik in diesen Bereichen, meine Damen und Herren, kann Europa in der Welt



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keine Rolle mehr spielen. Es kann auf keinen Fall die Aufgaben wahrnehmen, die seiner historischen Entwicklung, die seinem Potential an Intellekt und auch seinem materiellen Potential entsprechen.

(Beifall bei der FDP.)

Nun ist eine solche Politik nicht gegen Frankreich gerichtet; ganz im Gegenteil: sie wird am Ende ohne Frankreich gar nicht durchzuführen sein. Deswegen muß Frankreich eingeladen sein, von Anbeginn an an solchen Verhandlungen teilzunehmen, ebenso wie die EWG ja die übrigen europäischen Länder permanent einlädt — das steht in der Präambel —, an der Arbeit in der EWG teilzunehmen. Eine solche Zusammenarbeit würde es auch möglich machen, den Abbau des Grabens zwischen EWG und EFTA im Auge zu behalten, und am Ende würde die Vollmitgliedschaft der Antragsteller in der EWG stehen.
Es ist allerdings wichtig, daß eine gemeinsame Abrüstungspolitik, eine gemeinsame Verteidigungspolitik im Interesse der Zusammenarbeit in ganz Europa stehen muß. Sie muß auf ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem ausgerichtet sein, an dem Ost und West beteiligt sind, das von den beiden Nuklearmächten garantiert wird. Ohne eine solche Zielrichtung der Politik ist das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt nicht vorwärtszubringen; ja, wir würden Gefahr laufen, die Teilung Deutschlands in einer schärferen Teilung Europas enden zu sehen.
Und hier ist die Aufgabe speziell der Deutschen auf beiden Seiten der Demarkationslinie: Wir müssen unser Verhältnis zur DDR ordnen. Ich habe, als die Diskussion über die Lage der Nation hier ablief, mit einer gewissen Befriedigung zunächst vernommen, daß auch der Bundeskanzler den Begriff DDR verwendet hat. Er stand sogar ohne Anführungszeichen im Manuskript. Ich hatte dann aber das Gefühl, der Bundeskanzler hat ihn mit Anführungszeichen gesprochen. Aber ich war enttäuscht, daß er nachher von diesem Schritt etwas zurückgewichen ist und in der Diskussion erläutert hat, diesen Begriff habe er sozusagen nur in der Negation gebraucht, nicht in einer positiven Beziehung.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, wir kommen einfach nicht darum herum, in diesem Punkte uns ernsthaft miteinander zu unterhalten und anzuerkennen, daß die Entwicklung der politischen Struktur Deutschlands nach dem Kriege nicht so verlaufen ist, wie wir uns das alle gewünscht haben. Es ist neben der Bundesrepublik auf deutschem. Boden ein zweiter Staat entstanden, mit allen staatlichen Merkmalen, die er nur haben kann. Das ist einfach nicht zu bestreiten. Wir brauchen uns doch hier nicht darüber zu unterhalten, daß es der Regierung dieses Staates an einer demokratischen Legitimation fehlt; das wissen wir natürlich. Aber es gibt so manche Regierung, die keine demokratische Legitimation hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ausland!)

von Ländern, mit denen wir im übrigen gute Beziehungen unterhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber keine deutschen Staaten!)

— Darauf komme ich! Ja, wollen Sie denn schlechte Beziehungen zu dieser Regierung unterhalten, nur weil es eine deutsche Regierung ist? Meine Damen und Herren, ich komme ja darauf, daß dieser Staat für uns nicht Ausland sein kann und daß auch wir für die DDR nicht Ausland sein können. Auch darüber müssen wir uns unterhalten. Die Beziehungen, die wir zwischen diesen beiden Teilen Deutschlands entwickeln, müssen besondere Beziehungen sein, wie sie zwischen Teilen eines Volkes entwickelt werden müssen über die unterschiedlichen politischen Strukturen hinweg, die wir ja nicht beseitigen können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516502700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516502800
Bitte sehr!

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0516502900
Finden Sie nicht, daß Sie am Schluß das Gegenteil von dem gesagt haben, was Sie am Anfang sagten? Einmal sagen Sie: „Teile eines Volkes", und zum anderen sagen Sie, drüben sei ein Staat entstanden, und vergleichen ihn in einer Linie mit ausländischen Staaten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516503000
Ich würde mit dem Beifall in diesem Falle vorsichtig sein, weil es unlogisch war. Herr Dr. Barzel, das hat ja seinen tiefen Sinn: Es sind zwei Staaten da, aber ein Volk, eine Nation.

(Beifall bei der FDP.)

Das ist doch die Grundlage unserer Politik. Unsere Politik muß doch darauf hinauslaufen, die beiden Teile dieser Nation am Ende unter ein Dach zu führen. Da das aber nach Lage der machtpolitischen Konstellation in der Welt, wie sie gegeben ist, jetzt nicht möglich ist, müssen wir doch eine Form des Nebeneinander entwickeln, aus der heraus die Überwindung des Status quo möglich ist. Ich möchte Sie wirklich bitten, uns Freien Demokraten nicht zu unterstellen, daß wir mit unserer Politik den Status quo zementieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen eine Ausgangsposition finden, diesen Status quo zu überwinden. Das muß doch unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall bei der FDP.)

Aber Sie versperren die Ausgangsposition, wenn Sie nicht eine neue suchen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516503100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0516503200
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen bekannt, daß zu den Kriterien eines Staates u. a. ein Staatsvolk gehört und daß darum ein Widerspruch in Ihrer Aussage liegt, Deutschland sei ein Volk, aber zwei Staaten?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516503300
Ich glaube, Sie gehen bei Ihrer Definition von einer falschen Situation aus. Sie kön-



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nen ja nicht bestreiten, daß hier das Kriterium: ein Teil eines Volkes, vorhanden ist. Das ist an sich doch bei der Definition sozusagen die Minimalsituation. Es ist aber, glaube ich, ganz abwegig, daß wir uns jetzt in völkerrechtlichen Definitionen ergehen, wo wir es mit einer Realität zu tun haben, der wir täglich begegnen. Was wollen Sie denn für eine Politik treiben wenn nicht die, zu einem vernünftigen Verhältnis in der Zwischenperiode, in der wir uns nun einmal befinden, zu kommen?

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516503400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0516503500
Herr Kollege Scheel, wenn Sie soeben von den Staatsqualitäten im anderen Teile Deutschlands gesprochen haben

(Abg. Scheel: Ich sagte „Merkmale" !)

— gut, Merkmale —: wie würden Sie dann die Beziehungen fremder Staaten zu diesem Gebiet definieren und wie würden Sie die Frage beantworten, wie sich nun unsere befreundeten ausländischen Nachbarstaaten zu diesem Gebilde verhalten sollen?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516503600
Das würde ich den befreundeten Nachbarstaaten überlassen. Ich will mich nicht in ihre Entscheidungen einmischen. Ich will nur noch einmal sagen: Die Beziehungen zwischen diesen beiden Teilen Deutschlands sind ganz eindeutig deutsch-deutsche Beziehungen. Sie müssen besondere Beziehungen sein, und sie sind es ja auch in praxi schon im handelspolitischen Bereich, wo wir im Gegensatz zu unserem Verhältnis zum Ausland unseren Warenverkehr zollfrei abwickeln. Es muß auch in der Beauftragung von besonderen Mittelspersonen zwischen den Staaten eine eigene Form gefunden werden. Das heißt, der Botschafter ist nicht der geeignete Mittler, weil das anzeigen würde, daß es ein Verhältnis wie von Ausland zu Ausland ist. Selbst im britischen Commonwealth haben die Mitglieder dieser Völkerfamilie keine Botschafter untereinander ausgetauscht, obgleich sich diese Staaten wirklich durch andere Merkmale unterscheiden als die beiden deutschen Staaten. Deswegen glaube ich, daß der Vorschlag des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, man solle daran denken, Beauftragte für die Fragen, die wir gemeinsam zu lösen haben, zu ernennen, etwas Gutes an sich hat. Ich wundere mich eigentlich darüber, daß er von der Fraktion nicht aufgenommen und daß er auch von der Regierung bisher noch nicht wiederaufgegriffen worden ist, obgleich ja in der Operation Stoph Ähnliches angedeutet worden war.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516503700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516503800
Herr Kollege Scheel, nachdem der Kollege Dr. Wörner hier den juristischen Begriff des Staatsvolkes mit dem Begriff der Nation
verwechselt hat, würden Sie da bitte noch einmal in aller Klarheit feststellen — denn auch er ist ja der Meinung, die Bundesrepublik sei ein Staat, er bestreitet nur die staatliche Qualität der DDR —, daß es weder ein deutsches Volk der Bundesrepublik noch eine deutsche Nation der Bundesrepublik gibt, sondern nur eine ungeteilte deutsche Nation, die im Augenblick durch zwei Staaten unterschiedlicher demokratischer Qualifikation handelt?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516503900
Ich glaubte, der Kollege Wörner habe genau das in unserer Unterhaltung schon erkannt,

(Abg. Dr. Barzel: Öffentliche Zurechtweisung!)

daß es darum geht, wie wir die beiden Teile einer Nation zusammenführen können. Das ist das Problem. Anders geht es nicht.

(Abg. Dr. Barzel: Zuruf des Regisseurs für einen schwach gewordenen Schauspieler!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516504000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516504100
Herr Kollege Scheel, sind Sie sich darüber im klaren, daß das, was Sie als dynamische Politik anbieten, im Grunde aus einer rein statischen Betrachtungsweise geboren ist?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516504200
Nein, darüber bin ich mir nicht im klaren. Herr Kollege Müller-Hermann, schon eine flüchtige Beurteilung der bisherigen Deutschlandpolitik zeigt doch, daß wir mit dieser Politik keinen Schritt weitergekommen sind. Das ist doch offensichtlich. Und die Überlegung, wie man neue Ansatzpunkte einer Politik finden kann, ist nicht nur legitim, sondern diese Überlegung müssen wir täglich anstellen,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Tun wir ja!)

wenn wir überhaupt zu einem Fortschritt in der Politik kommen wollen.
Ich wiederhole noch einmal: Dies ist nicht nur unsere nationale Aufgabe, sondern es ist der Kern einer langfristigen Friedenspolitik in Europa. Das ist der Zusammenhang, den ich soeben hergestellt habe. Wenn es uns nicht gelingt, zwischen den beiden Teilen Deutschlands eine vernünftige Beziehung herzustellen, dann werden wir nicht erreichen, daß in Europa die Friedensordnung entsteht, von der auch diese Bundesregierung immerfort spricht, für die bisher aber konkret noch keine Schritte getan worden sind.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Forderung an die Bundesregierung ist gerade die, daß wir uns die politischen Modelle selber erarbeiten, daß wir auch Vorschläge machen, die zu einer langfristigen Friedensregelung in Europa führen können. Das gilt sowohl für den Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik als auch für den Bereich der Begegnung in den anderen politischen Sektoren.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516504300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Merkatz?

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0516504400
Herr Kollege Scheel, außerhalb aller Polemik: Glauben Sie nicht, daß eine sozusagen staatsrechtliche Annäherungslösung — so habe ich Sie verstanden — doch letzthin eine Scheinlösung ist? Und glauben Sie nicht — das ist der zweite Punkt —, daß zu einem irgendwie geordneten Nebeneinander ein Wille zur Kooperation auf der anderen Seite vorhanden sein muß?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516504500
Herr Kollege von Merkatz, zum ersten Teil Ihrer Frage: Eine Zusammenarbeit mit der DDR muß sich in der konkreten Frage beweisen. Ich bin kein Freund von abstrakten Diskussionen über dieses Problem. Ich habe niemals über die Anerkennung der DDR als Völkerrechtssubjekt oder Ähnliches diskutiert, weil ich das für unnütz halte, weil uns das auch gar nicht weiterbringt. Es geht vielmehr ausschließlich darum, in konkreten Fragen zu praktischen Formen der Kooperation zu kommen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Es ist mir bewußt — genau wie Ihnen —, daß die Verantwortlichen in der DDR viel starrer, viel verknöcherter, viel abweisender sind, als wir es uns überhaupt vorstellen können. Aber das wird mich nicht irremachen in meinem Ziel, und das wird mich auch nicht daran hindern, den Weg zu beschreiten; denn wir müssen sie in ihrer Starre aufbrechen, und das können wir, wenn wir vernünftige Vorschläge machen, die wir mit den Interessen unserer Nachbarn in Ost und West identifizieren.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516504600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516504700
Bitte sehr.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0516504800
Herr Kollege Scheel, wollen Sie nicht von den verschiedenen Vorschlägen der Bundesregierung über die Zusammenarbeit mit dem anderen Teil Deutschlands Kenntnis nehmen?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516504900
Die Kenntnisnahme war Grundlage meines Diskussionsbeitrages.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Barzel: Wird doch geleugnet!)

Ich meine — gerade auf die letzte Frage hin —, es ist nicht damit getan, daß die Bundesregierung in schönen Formulierungen ihren Willen — ,den wir ihr glauben — dartut, dem Frieden und der Entspannung in Europa zu dienen, sondern die Bundesregierung muß konkrete Vorschläge entwickeln,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ist doch geschehen!)

— und das ist bisher nicht geschehen. Ich will auf das verunglückte Abenteuer, das ich eben erwähnte, nicht zurückkommen.
Ich meine, daß am Ende dieser 16 Monate die Bilanz des Erfolges der Regierung nicht ansehnlich ist. Ich meine, daß die Regierung sich eher unbeweglich als beweglich gezeigt hat. Sie hat ihren Mangel an Erfolgen durch .ein großes Netz von Erläuterungen, Erklärungen, Wortschöpfungen, und was dergleichen mehr ist, zu überdecken versucht. Sie hat sich nicht als entscheidungsfreu'd'ig gezeigt, sondern eher ist sie den Entscheidungen ausgewichen.
Ich möchte ein Wort von Churchill zitieren, das Sie alle kennen und das 'auf diese Bundesregierung; so scheint mir, anzuwenden ist:
Die Regierung kann sich nicht entscheiden oder sie kann den Kanzler
— Churchill sagte „Premierminister" —
nicht dazu bringen, daß ier sich entscheidet, und so verharren sie in einem sonderbaren Paradoxon: entschlossen zur Unschlüssigkeit, willens ohne Willen zu sein, der Bewegung abgeneigt, der Veränderung widerstrebend, allmächtig in der Ohnmacht.
Eines allerdings kann man als Ergebnis der 16monatigen Regierungstätigkeit vermerken: die Sozialdemokratische Partei, die ausgezogen war, die angeschlagene CDU zu verdrängen, sie sieht jetzt —selbst geschwächt — staunend, wie der Partner munter davontrabt — der Wahl entgegen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516505000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0516505100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darf ich zunächst dem Herrn Kollegen Lücke unseren herzlichen Dank für seine bisherige Tätigkeit als Minister aussprechen und meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß er nun als Abgeordneter weiter an den Entscheidungen des Parlaments mitwirken kann.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU.)

Ich persönlich bedaure den Entschluß des Herrn Kollegen Lücke um so mehr, als ich, wie bekannt ist, in der Sozialdemokratischen Partei nach wie vor. zu den Befürwortern des Mehrheitswahlrechts gehöre und aus zwingenden politischen Überlegungen nach wie vor bereit bin, mich für ein solches Wahlrecht einzusetzen.

(Abg. Moersch: Als letzter Mohikaner!)

Ich bitte zu verstehen, daß für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Situation in dieser Frage nicht anders ist als am 15. Dezember 1966, als wir zu diesem Passus der Regierungserklärung durch unseren Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt wie folgt Stellung genommen haben.



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Fraktion
— so erklärte Helmut Schmidt —
wird auf einer sehr gründlichen Prüfung dieser schwierigen Materie bestehen, ehe sie überhaupt zu einer Entscheidung bereit ist. Meine Partei wird diese Frage auch auf einem Bundesparteitag behandeln. Wir werden die Wahlrechtsvorschläge, die die Regierung angekündigt hat, prüfen, aber wir sind darauf nicht festgelegt.
Ich darf feststellen, daß der Parteitag der SPD in Nürnberg die Sachentscheidung offengelassen hat und daß wir glauben, daß es bei dieser — wie Herr Lücke auch meint — außerordentlich wichtigen Entscheidung darauf ankommt, eine gründliche Diskussion in allen Parteigliederungen vorausgehen zu lassen, mit den Vorschlägen und notwendigen Alternativen, die zu einer endgültigen Urteilsbildung befähigen.
Aber ich respektiere, daß Herr Minister Lücke aus einem prinzipiellen Grund zurückgetreten ist. Ich kann nicht verstehen — ich darf das an dieser Stelle gleich hinzufügen —, daß Herr Kollege Scheel nun Überlegungen darüber angestellt hat, ob es möglich ist, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär des zurückgetretenen Ministers sein Nachfolger im Amt wird. Ich kann seine juristischen und politischen Überlegungen nicht verstehen; vielleicht deswegen nicht, weil ich bei Schaffung dieser Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre davon ausgegangen bin, daß es sich hier um eine junge Mannschaft handelt, um eine Nachwuchsmannschaft,

(Zuruf aus der Mitte: Sehr richtig!)

und daß gerade diese junge Nachwuchsmannschaft eigentlich dazu prädestiniert sein müßte, ein Ministeramt dann zu übernehmen, wenn ein solches zur Verfügung steht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich hätte es sehr bedauert, wenn Herr. Kollege Benda nicht Innenminister geworden wäre, denn bei der schwierigen Arbeit im Innenministerium, bei den großen Entscheidungen, die hier bevorstehen, können wir ja nur begrüßen, daß jemand dieses verantwortungsvolle Amt übernimmt, der mit der Materie, mit den Sachentscheidungen so vertraut ist, wie das auch Herr Kollege Scheel zugegeben hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516505200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0516505300
Ja, sofort.
Jedenfalls möchten wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Kollegen Benda unsere aufrichtigen Wünsche für eine erfolgreiche Arbeit in diesem wichtigen Ami mit auf den Weg geben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0516505400
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Scheel.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516505500
Herr Kollege Möller, ich darf nur der Sicherheit halber noch einmal fragen: Ist es Ihnen entgangen, daß ich gar keine Einwände dagegen vorgetragen habe, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär Bundesminister wird, sondern nur zu erwägen gegeben habe, ob er unmittelbar der Nachfolger seines Ministers werden kann?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0516505600
Ich will mich mit dem „unmittelbar", Herr Kollege Scheel, nicht beschäftigen. Ich bin nur der Meinung: je schneller in einem solchen Fall der Bundeskanzler handelt, um so besser für die Sache und für die Arbeit dieser Regierung.

(Beifall in der Mitte. — Abg. Scheel: Das hat doch damit nichts zu tun!)

— Herr Kollege Scheel, ich komme auf Sie noch in einem anderen Zusammenhang zurück.
Nun, meine Damen- und Herren, noch eine Bemerkung zu einem Vorgang auf dem Nürnberger Parteitag der SPD. Er geht den Herrn Bundeskanzler an. In der Arbeitsgemeinschaft „C" unseres Parteitages hat Günter Grass am 19. März 1968 unter anderem ausgeführt:
Die beiden höchsten Staatsämter, das Amt des Bundespräsidenten und das Amt des Bundeskanzlers, sind besetzt von zwei Männern, die nicht eindeutig über ihre Vergangenheit während der Nazi-Zeit Auskunft geben können.

(Abg. Stücklen: Unerhört!)

Ich gebe zu, daß sich die SPD vielleicht nicht in der Lage sieht, weil sie durch die Große Koalition mit der CDU verbunden ist, hier über diese Tabuisierung zu sprechen.
Soweit das Zitat. — Hier irrt Herr Günter Grass. Politiker müssen sich ebenso sorgfältig und gewissenhaft um ein Quellenstudium bemühen wie Schriftsteller, wenn sie ein Stück verfassen.
Am 17. Dezember 1958 wurde der Bundestagsabgeordnete Kurt Georg Kiesinger mit 100 Stimmen bei 7 Enthaltungen und 3 ungültigen Stimmzetteln zum- Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg gewählt. Vorausgegangen war am 2. Dezember eine eingehende Besprechung zwischen Herrn Kiesinger und dem Vorstand der SPD-Landtagsfraktion, anschließend eine ebenso eingehende Verhandlung mit Herrn Kiesinger innerhalb der gesamten sozialdemokratischen Landtagsfraktion. Bei diesen Gelegenheiten sind von uns alle wichtigen politischen Fragen, die insbesondere die Vergangenheit betrafen, erörtert worden, um zu ermitteln, ob eine positive Entscheidung der SPD-Landtagsfraktion zu der vorgeschlagenen Wahl Kiesingers zum Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg möglich sei. Der Fraktionsvorstand war einmütig der Auffassung, daß uns die Erklärungen des Herrn Kiesinger durchaus befriedigten. Diesen Eindruck hatte auch die Fraktion; denn in einer Abstimmung hat die gesamte sozialdemokratische Landtagsfraktion bei einer Stimmenthaltung beschlossen, der Wahl des Herrn Kiesinger zum Ministerpräsidenten zuzustimmen.



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Wir befanden uns dabei in Übereinstimmung mit dem damaligen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion der SPD, mit dem ich mich persönlich abgestimmt hatte. Außerdem hat Herr Kiesinger in einem ausführlichen Schreiben an mich vom 21. Januar 1959, also auch schriftlich, zu den Behauptungen über seine angebliche Tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Stellung genommen.
Auf diese Vorgänge bin ich parteiintern bei den Koalitionsverhandlungen Ende 1966 mit diesen Klarstellungen eingegangen. Es ist dem Hohen Hause bekannt, daß ich nach Wahl des Herrn Kiesinger zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU-Fraktion zwar Bedenken geäußert, mich aber nie mit einem Wort auf Vorgänge, die Herr Grass meint, bezogen habe. Herr Kiesinger war in Stuttgart Ministerpräsident einer CDU/FDP-Koalition. Ich persönlich hatte die Befürchtung, daß der Kanzlerkandidat der CDU/CSU die Koalition wie gehabt fortsetzen würde, und das habe ich in der damaligen Situation genau wie auch heute noch für ein Unglück gehalten, und selbst die Ausführungen des Herrn Scheel können mich in dieser meiner Haltung nicht beeinflussen.
Wenn sich Herr Kiesinger im Laufe der Koalitionsverhandlungen von der Unmöglichkeit überzeugen mußte, die bisherige Koalition, die Herr Scheel nach seinen heutigen Ausführungen damals noch für möglich hielt - ich frage: warum dann das ganze Theater? —,

(Zurufe von der FDP)

fortzusetzen, so beweist diese Tatsache, welche Ausmaße die politische Krise genommen hatte, welche unüberbrückbare Kluft zwischen den damaligen Koalitionspartnern entstanden war und wie sich unter dem Druck der Verhandlungsergebnisse die Notwendigkeit ergeben mußte, den Versuch einer Koalition auf breiter Basis zu wagen.
Wer soeben die Rede des Herrn Parteivorsitzenden der FDP gehört hat, muß doch eigentlich annehmen, die Ereignisse der letzten Monate des Jahres 1966 waren nur ein böser Traum. Man kann sich nicht vorstellen, daß Herr Scheel — Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 14. November 1961 bis zum 27. Oktober 1966 — in den Jahren davor der Bundesregierung angehört hat und sowohl die Zuchtrute des Herrn Bundeskanzlers Adenauer als auch die Wünschelrute des Herrn Bundeskanzlers Erhard aus allernächster Nähe kennenlernen mußte.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn die Bundesregierung unter der Beteiligung der FDP ihre Aufgaben erfüllt und ihr Pensum geleistet hätte, dann gäbe es heute nicht die 12 Scheelpunkte, die vorgetragen worden sind,

(Beifall bei der SPD)

dann wäre mitten in der Legislaturperiode nach einem siegreichen Wahlkampf der Parteien neben der SPD im September 1965 keine Neubildung der Bundesregierung Ende 1966 erforderlich gewesen, eine Neubildung, die zum erstenmal seit 36 Jahren die deutsche Sozialdemokratie veranlaßt hat, zentral die Mitverantwortung in einer Regierung zu übernehmen.
Heute und hier gebe ich persönlich gern zu, daß ein Mann, der seit Dezember 1959 in einer Landesregierung in Stuttgart als Ministerpräsident tätig war — ganz bestimmt keine schlechte Schule —, also in einer entsprechenden Distanz . zur Bonner Regierungspolitik und auch manchmal aus der besonderen Interessenlage seines Landes heraus, unvoreingenommener an den Neubeginn herangehen konnte als jemand, der bis zu diesem Tage in der unmittelbaren Bonner Regierungsverantwortung gestanden hat; eine ganz nüchterne, sachliche Feststellung, mit der ich niemandem zu nahe treten will.
Wer hier Zweifel geltend machen möchte, der sollte aufmerksam die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 lesen. Er wird dann die neue Handschrift, die neue Linie erkennen und das Vorhaben, mit früheren Methoden, wie Schweigen über Fehlentwicklungen und Krisen, zu verniedlichen, nun wirklich einmal Schluß zu machen. Bundeskanzler Kiesinger hat in seiner Erklärung vom 13. Dezember 1966 festgestellt: „Das ist die Wahrheit, die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volke nicht vorenthalten dürfen."
Wir Sozialdemokraten bekennen uns immer wieder zu der Verpflichtung, verspielte Autorität zurückzugewinnen und die politische Existenzberechtigung der Großen Koalition nicht durch Reden, sondern durch Handeln zu belegen. Dabei darf von niemandem der Fehler wiederholt werden, irgendwelche Gruppenversprechungen zu machen, die nur neue Illusionen entstehen, aber sich nicht realisieren lassen. Eine solche Politik würde im letzten Effekt die Geschäfte der Feinde des demokratischen Staates betreiben.
Meine Damen und Herren von der FDP, schon wenige Wochen nach Beginn der Arbeit der Großen Koalition ist der Haushalt 1967 - allerdings durch Maßnahmen auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite — um rund 8,4 Milliarden DM ausgeglichen worden. Trotz dieser finanzpolitischen Sanierungsmaßnahmen haben wir noch Hilfen für die Gemeinden und für die finanzschwachen Länder möglich gemacht. Ich erinnere nur an die 3 Pf Mineralölsteuer für die verkehrspolitischen Aufgaben der Kommunen. Trotz dieses ersten mutigen Beginns bestand für die Jahre 1968 bis 1971 noch eine Deckungslücke von rund 64 Milliarden DM, eine Deckungslücke, Herr Scheel, für deren Vorhandensein in der Hauptsache doch die Finanzminister der Freien Demokraten verantwortlich zeichnen.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn Sie hier von Fehleinschätzungen in Höhe von Milliarden sprechen, so vergessen Sie einfach, daß die neue Regierung, der neue Finanzminister eine Eröffnungsbilanz machen mußte und dabei nur von Zahlen und Tatsachen ausgehen konnte, die er von seinem Vorgänger zu übernehmen hatte.
Sie haben sich über den Zielkonflikt dieser Bundesregierung geäußert, den Versuch zu machen, die Rezession in der Wirtschaft zu überwinden, und aus der Finanzkrise herauszukommen. Das ist sicherlich nicht alles glatt gegangen, und es ist sicherlich nicht immer eine volle Übereinstimmung des Wirt-



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
schafts- und des Finanzministers festzustellen gewesen. Das bestreitet niemand. Aber es hat Punkte gegeben, wo der Finanzminister erklärt hat: bis hierher und nicht weiter. Solche Erklärungen war man früher bei FDP-Finanzministern nicht gewohnt. Ich gehöre zu denen, die sehr dafür gewesen wären, wenn wir für das Jahr 1968 noch etwas in der Frage der Investitionssteuer gemacht hätten. Ich teile da den Standpunkt des Bundeswirtschaftsministers. Aber schließlich haben wir uns doch den finanzwirtschaftlichen Erkenntnissen des Bundesfinanzministers unterordnen müssen, im Interesse der Sache, weil uns an einer sauberen und ehrlichen Finanzpolitik gelegen ist und weil wir wissen, daß beides untrennbar zusammengehört, nämlich die Wirtschaftspolitik, die die Rezession überwindet, die Wirtschaft wieder in Schwung bringt, und eine Finanzpolitik, die das Vertrauen der Wirtschaft und das Vertrauen der Bevölkerung verdient.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Vorsitz: Vizepräsident Dr. Mommer.)

Herr Scheel, Sie haben sich über kreditpolitische Maßnahmen geäußert. Ich würde sagen, hier kann man sich schon dem Sachverstand der Bundesbank anvertrauen. Sie haben dann sogar zugegeben, daß Ihnen die absoluten Zahlen gar keinen Anlaß zur Sorge böten. Ja, warum dann diese Ausführungen? Wenn Sie nicht mit kreditpolitischen Maßnahmen z. B. wichtige Investitionsvorhaben realisieren wollen, wie wollen Sie dann über die Hürden, die durch die Rezession entstanden sind, hinweggelangen? Sie müssen sich doch darüber klar sein,

(Abg. Dr. Barzel: Von der Opposition sind nur drei Mann da; Herr Scheel ist nicht im Saal!)

meine Damen und Herren, daß das, was der Staat, die öffentliche Hand, zu tun hat, über Steuern, öffentliche Abgaben oder Kredite zu finanzieren ist. Oder Sie müssen die Ausgaben in einem Ausmaß reduzieren, das im Hinblick auf die gesellschaftspolitische Situation im zweigeteilten Deutschland nicht mehr verantwortet werden kann. Das ist der nüchterne Tatbestand.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn Ihnen dann selbst die absoluten Zahlen noch keinen Anlaß zur Sorge geben, kann ich einen solchen Vorschlag eines Oppositionssprechers, zumal wenn er Vorsitzender seiner Partei ist, nicht verstehen.

(Abg. Dr. Barzel: Wie finden Sie denn, daß er jetzt nicht einmal hier ist? — Abg. Mischnick: Herr Scheel ist gleich wieder zurück! — Abg. Haase [Kassel] : Die FDP ist als Opposition mit nur drei Mann vertreten!)

— Das ist nicht verwunderlich; da macht es ja immer die Qualität!!
Mit der mittelfristigen Finanzplanung ist von uns der Rahmen des Möglichen und des Vertretbaren abgesteckt worden. Für diesen Zeitraum sind Ausgabekürzungen in Höhe von 30 Milliarden DM und die Aufnahme von Kreditmitteln, insbesondere zur
Finanzierung verstärkter Investitionsausgaben, in Höhe von 20,1 Milliarden DM vorgesehen. Dazu kommen dann noch die Finanzierungsmittel des Bundes für die Investitionshaushalte.
Daß es der Großen Koalition gelungen ist, aus der Talsohle eines bedrohlichen Wirtschaftstiefs bei Uberwindung der krisenhaften Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft — ich formuliere also sehr vorsichtig — herauszukommen, kann niemand — das meine ich jetzt bewußt so, wie ich es sage —, der ernst genommen werden will, in Abrede stellen.

(Abg. Ertl: Na, na! — Gegenruf von der Mitte: „Niemand, der ernst genommen werden will"!)

Lassen Sie mich daran erinnern, daß z. B. die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben beim Bund bisher günstig verlaufen ist, so daß der Bund in den ersten drei Monaten dieses Jahres einen geringeren Kreditbedarf hatte, als zunächst errechnet worden war. Der große Steuertermin im März führte vorübergehend — allerdings einschließlich der aufgenommenen Kreditbeträge — zu einem Guthaben von mehr als 3 Milliarden DM. Glücklicherweise hat sich die Konjunktur so entwickelt, daß z. B. die Deutsche Bundesbank glaubt, für 1968 mit einer Wachstumsrate von 5 v. H. real rechnen zu können.
Ich meine, daß diese Tatsachen der Realität von heute entsprechen und daß wir alle froh sein sollten, daß wir unter Opfern und Mühen aller Fraktionen dieses Hohen Hauses diesen Stand erreicht haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, über das, was außenpolitisch, im inner-deutschen Verkehr und auf ähnlichen Gebieten in Bewegung gekommen ist, wird bei anderen Einzelplänen zu sprechen sein. Das gilt insbesondere für wichtige Teile der heutigen bedeutsamen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Aber Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich als erster Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion doch jetzt schon zwei Überlegungen Raum geben möchte.
Wir alle verfolgen mit ebensoviel Erleichterung wie Anteilnahme den neuen dramatischen Versuch unseres amerikanischen Verbündeten, dem seit zwanzig Jahren durch Krieg und Bürgerkrieg geschundenen Volk Vietnams den Frieden zu bringen. Wir begrüßen es, daß die Forderung nach Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam, die wir in Nürnberg erhoben haben, nun schon zu einem guten Teil realisiert wird.

(Lachen bei der FDP.)

Wir haben gesagt, daß wir ein Interesse haben am Frieden in Vietnam, nicht am militärischen Sieg der einen oder der anderen Seite. Jetzt, wo kein Zweifel mehr daran bestehen sollte, daß der amerikanische Präsident dasselbe Ziel verfolgt, appellieren wir mit um so größerem moralischem und politischem Recht an die andere Seite, an die Verantwortlichen in Hanoi, in Peking und insbesondere in Moskau, das Ihre beizutragen, damit dieses unerträgliche Blutvergießen sein Ende nimmt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU.)




Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Damen und Herren, ich habe mich nicht auf Nürnberg bezogen, um damit etwa — wie Sie von der FDP gemeint haben — zum Ausdruck zu bringen, daß der Herr Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika diese unsere Entschließung gelesen oder zur Kenntnis genommen hätte,

(Abg. Ertl: Es klang aber so!)

— Ich muß es Ihnen verdeutlichen und möchte mich gegen diese Unterstellung wehren. Ich habe das gesagt, weil dieser Vorgang ein wichtiger Bestandteil unserer politischen Diskussion ist: was sagen wir zu Vietnam, und wie werden wir damit fertig? Daß in dieser Diskussion eine solche Meinungsäußerung eines Parteitages einer demokratischen Partei erfolgen mußte, dafür wird hoffentlich jeder Verständnis haben.
Und nun ein zweiter Gedanke! Wir haben sicher keinen Anlaß und auch kein Recht, uns in die Innenpolitik irgendeines fremden Landes zu mischen. Aber lassen Sie mich im Hinblick auf manche in Deutschland, die die Funktionsfähigkeit der westlichen Demokratien bezweifeln oder die, wie Herr Scheel anklingen ließ, wegen des Zustandekommens der Großen Koalition die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie in Zweifel ziehen, dies eine sagen: Es ist eben offenbar nicht so, daß die moderne Demokratie erstarrt ist, daß sie neue Bewegungen in einem Volk nicht mehr zum Ausdruck und zum Durchbruch bringen kann, daß sie von einem — wie so oft behauptet wird — in sich verfilzten Apparat manipuliert würde. Wir sind Zeugen, faszinierte Zeugen, wie ich zugebe, eines Vorgangs, in dem die mächtigste Nation dieser Erde in freier und offener Auseinandersetzung Antworten sucht auf Probleme, von denen manche schon resigniert meinten, sie seien unlösbar. Wir dürfen unseren amerikanischen Freunden versichern, daß dieser schmerzhafte Prozeß nicht nur ihre eigene Demokratie, sondern die Demokratie überhaupt glaubwürdiger und attraktiver macht.

(Beifall bei der SPD.)

Dieser Prozeß trägt dazu bei, den grassierenden Virus der künstlich erzeugten Staatsverdrossenheit zum Verschwinden zu bringen.
Mir liegt noch an einem anderen Punkt, nämlich daran, das Hohe Haus darauf aufmerksam zu machen, daß die Hauhaltsberatungen dieser Woche von den Versuchen der Regierung der DDR begleitet werden, durch ein Propagandafeuer in Zeitungen, Radio und Fernsehen eine 99,9 %ige Zustimmung in der Volksabstimmung über die neue DDR-Verfassung am Samstag dieser Woche zu erzielen, ein Vorgang, der bei uns, insbesondere bei der jungen Generation, eine nach meiner Meinung völlig ungenügende Beachtung findet. Die Propaganda um diese Verfassung und ihr Text beweisen erneut den Versuch der Regierung der DDR, den Ost-West-Gegensatz entgegen den allgemeinen Entwicklungstendenzen in Europa festzuschreiben.
Einzigartig im Verfassungsrecht ist die Tatsache, daß die neue Verfassung die verfassungsrechtliche Bindung der DDR an die Sowjetunion statuiert. Ebenso einzigartig ist der Versuch, in einer neuen
Verfassung gegenüber ihrer Vorgängerin die Freiheitsrechte des Bürgers auch im geschriebenen Verfassungstext einzuschränken. Wenn das „Neue Deutschland" auf seiner ersten Seite die Annahme der neuen Verfassung fordert und gleichzeitig die angeblich geplante Verletzung von Freiheitsrechten der Bürger durch die Regierung der Bundesrepublik behauptet, so will es damit nur der berechtigten Kritik an der Einschränkung des Freiheitsraums der Bewohner der DDR entgegentreten. Wir meinen, daß sich die. DDR. von der allgemeinen Entwicklung in Europa absondert. Entgegen der Behauptung ihrer Regierung versuchen nicht wir, die DDR von ihren sozialistischen Nachbarländern zu isolieren. Kann man sich eher fragen: isoliert sich die DDR nicht selbst?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Zu einer Zeit, da in ihrem Nachbarlande, der Tschechoslowakei, die Diskussion um die individuellen Freiheitsrechte der Staatsbürger und deren Schutz vor den Behörden des Staates einen breiten Raum einnimmt, dokumentiert die Regierung der DDR die seit 1949 eingetretene Verfassungswirklichkeit mit ihren Beschränkungen des Freiheitsraumes für ihre Bürger in einem neuen Verfassungstext.
Einige Beispiele in einer Gegenüberstellung zu der von der Generalversammlung dier Vereinten Nationen verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mögen genügen. Art. 13 Abs. 2 der Menschenrechtsdeklaration fordert das Recht auf Auswanderung. Die neue DDR-Verfassung gewährt auch in ihrem zweiten Entwurf im Gegensatz zur Verfassung von 1949 dieses Recht nicht mehr. In der DDR-Verfassung ist das in Art. 23 der Menschenrechtsdeklaration geforderte Recht auf freie Berufswahl zwar enthalten; es ist jedoch begrenzt — ich zitiere wörtlich — „entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen", d. h. entsprechend den vom Staat und von der SED für richtig erachteten Erfordernissen. Wir wissen jedoch, daß ein solcher geschriebener Verfassungstext, auch wenn er eine ausführliche Aufzählung von idividuellen Bürgerrechten enthielte, für sich allein nichts wert ist.
Schließlich gilt bis jetzt noch der Grundrechtskatalog der DDR-Verfassung von 1949, ohne damit die Grundrechte selbst garantieren zu können. Art. 8 der Menschenrechtsdeklaration fordert:
Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen alle Handlungen, die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzen.
Zwar gewährleistet die Verfassung der DDR in Art. 19 die sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit, wie es heißt; jedoch gibt es kein System von Verwaltungs- und Verfassungsgerichten wie in der Bundesrepublik, die eine Verletzung von Grundrechten nachprüfen und damit den Bürger schützen könnten. Auch wenn die Regierung der DDR versucht, ihren neuen Verfassungstext durch die Volksaussprache und .den am Samstag dieser Woche veranstalteten Volksentscheid als Beispiel echter De-



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
mokratie anzubieten, müssen wir und andere Nachbarn der DDR doch nüchtern feststellen, daß die neue geschriebene Verfassung und die daraus zu schließende Verfassungswirklichkeit nicht demokratischen freiheitlichen Grundsätzen entsprechen.
Wir sollten nach meiner Meinung dieses Thema einmal zur allgemeinen Diskussion stellen. Professoren und Studenten sollten sich auch bei uns mit diesem neu entstandenen Verfassungszustand im anderen Teil Deutschlands gründlich befassen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, so würden wir am schnellsten mit den eigenartigen Mischprodukten von anarchistischen und utopischen Kräften fertig. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir in diesen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren zu wenig offensiv geworden sind. Wir haben uns immer und immer wieder in die Verteidigung drängen lassen. Wir haben über. Grundrechte diskutiert, die dort drüben nicht einmal auf dem Papier stehen. Wir müßten auch in den Diskussionen mit der jungen Generation, mit den Studenten und jungen Arbeitern, eine Offensive des Vergleichs der politischen und der wirtschaftlichen Realitäten auf beiden Seiten Deutschlands beginnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie uns einmal diese echten Vergleiche anstellen. Gehen wir dabei von Tatsachen, von Verfassungsurkunden, von Geschehnissen, von Statistiken, Außenhandesbilanzen — und was immer Sie wollen —, von Rentenzahlungen und was sich sonst in den beiden Teilen Deutschlands ereignet, aus, und diskutieren wir über diese Vergleiche! Ich meine, dann wird eben das Bessere der Feind des Guten oder gar des Schlechten sein.
Aus diesem Grunde habe ich von diesem mir wichtig erscheinenden Vorgang gesprochen, den ich bei meinem letzten Besuch in Ostberlin und auch in Leipzig von einer sehr bedrückenden Seite kennenlernen mußte.
Meine Damen und Herren, bei Einzelplan 04 hatte ich das Bedürfnis, noch einmal den Ausgangspunkt zu umreißen, der alle Bemühungen der neuen Regierung mit schweren Hypotheken belastet hat, nämlich Rezession und Finanzkrise. Wer sich mit der Leistungsbilanz der Regierungs- und Parlamentsarbeit seit Dezember 1966 beschäftigt, hat diesen Ausgangspunkt und folgende drei Tatsachen zu bewerten.
Erstens: viele längst überfällige Reformarbeiten betreffen Fragenkomplexe, von denen wir froh wären, wenn sie bereits früher bei Regierungsbeteiligung der FDP erledigt worden wären.

(Abg. Ertl: Welche denn?)

Das gilt für alle 12 Punkte, die Herr Scheel vorgetragen hat.
Zweitens sind bedeutsame Gesetze verabschiedet worden. Zum Beispiel werden das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft oder die grundlegende Reform des Umsatzsteuerrechts Wegweiser in der Parlamentsgeschichte des Deutschen Bundestages bleiben.

(Abg. Ertl: Wer hat dafür die Vorarbeiten gemacht?)

— Diese bedeutsamen Gesetze, meine Damen und Herren, sind 'in ,dieser Großen Koalition und in dieser Fassung — es kommt auf die endgültige Gestaltung an — verabschiedet worden.
Wir haben auch in früheren Jahren wichtige und schwierige Gesetzesarbeiten vollziehen müssen. Aber, meine Damen und Herren, dabei haben Sie es immer — das werden mir die Herren Ausschußvorsitzenden bestätigen können —, z. B. beim Bewertungsgesetz, mit einer sehr verantwortungsbewußten Opposition zu tun gehabt. Da haben wir bei entscheidenden Abstimmungen erleben müssen, daß die FDP-Mitglieder der Ausschüsse nicht einmal ihrem eigenen Finanzminister folgten, aber die Opposition die Sache ernst genug nahm, ,ein Gesetz zu verabschieden, das einer allgemeinen Nachprüfung standhält.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Ertl: Da waren Sie ja noch Koalitionspartei im Wartestand!)

Drittens sind wichtige Gesetzesvorlagen in Angriff genommen worden und werden hoffentlich bis zum Schluß der Legislaturperiode noch erledigt werden können, z. B. das auch vom Herrn Bundeskanzler angesprochene Verkehrspolitische Programm der Bundesregierung, das eine baldige Ordnung im Verkehrswesen herbeiführen soll. Es ist so oft über die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers gesprochen worden. Ich hätte nichts dagegen, wenn er in diesem Fall von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen würde.

(Zustimmung bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)

Ich nenne auch die große Finanzreform als gesellschaftspolitische Aufgabe und als Bewährung des kooperativen Föderalismus. Das ist sicherlich schwer. Wer sich einmal dieses Dokument der Bundesregierung über die verfassungsändernden Gesetze zur Finanzreform ansieht, wird zugeben müssen, welch verantwortliche Arbeit indieser Dokumentation enthalten ist. Ganz sicher hat es sich die Bundesregierung nicht leicht gemacht. Sie hat in der Bund-Länder-Kommission durch den Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten immer wieder versucht, in wichtigen Punkten des Katalogs Übereinstimmung zu erreichen. Das ist nicht voll gelungen und nicht voll ausgereift. Aber, meine Damen und Herren, beurteilen Sie das große und schwierige Werk der beginnenden Finanzreform nicht nach diesen vorläufigen Ergebnissen! Denn bisher hat die Legislative, hat dieses Hohe Haus, hat der Deutsche Bundestag noch kein Wort gesprochen und noch nicht mitgewirkt. Wir sind erst jetzt aufgerufen, uns eine Meinung zu bilden und dazu beizutragen, daß mit dieser Finanzreform eine Lösung der gesellschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte gelingen wird.
Wir haben mit dem Mitbestimmungssicherungsgesetz einen Abbau der Mitbestimmung im Montan-



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bereich verhütet. Ich möchte auf diese immerhin interessante Abstimmung vom 15 März 1967, auch im Hinblick auf einen Beschluß unseres Nürnberger Parteitages, hinweisen; denn von den bei der Schlußabstimmung anwesenden nur 38 Kollegen der CDU/CSU-Fraktion haben 29 dafür und 9 dagegen gestimmt. Wenn Sie mit Ihrer ganzen Fraktion dagewesen wären, um den Teil der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 realisieren zu helfen, ,der versprach, daß keine Aushöhlung des Mitbestimmungsrechts erfolgen dürfe, wäre das Ergebnis sehr viel eindrucksvoller gewesen. Das hat dazu geführt, daß sich auch auf unserem Parteitag Stimmen regen mußten, zumal die in Aussicht gestellte Kommission von Sachverständigen, von denen Herr Scheel sowieso nichts hält, erst am 4. Dezember 1967, also erst ein Jahr später, berufen wurde. Ein ganzes Jahr braucht man sich nun wirklich nicht Zeit zu nehmen, um sich über die Berufung einer solchen Sachverständigenkommission einig zu werden. Im übrigen hat auch die Rezession und haben einige Erfahrungen, die Betriebsräte und Gewerkschaften in der Rezession gesammelt haben, dazu beigetragen, diese Frage der Mitbestimmung und Mitwirkung der Gewerkschaften sowie der Betriebsräte in den Vordergrund ,des allgemeinen Interesses zu rücken.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, wir haben den über 18 Jahre unerfüllt gebliebenen Verfassungsauftrag zur Verabschiedung des Parteiengesetzes realisiert. Wir beginnen mit der Überwindung der Strukturkrisen, denn noch in dieser Woche wird hoffentlich das Plenum das Kohleanpassungsgesetz verabschieden. Das Arbeitsförderungsgesetz ist in der Ausschußberatung. Es schafft die Voraussetzungen für eine modernisierte Berufsausbildung und eine umfassende Arbeitsmarktpolitik in enger Verflechtung mit der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik dieses Jahres und der kommenden Jahre. Die Arbeiten zur Großen Strafrechtsreform werden im Sonderausschuß fortgeführt. In Kürze ist mit einer Novelle zum politischen Strafrecht zu rechnen.
So ließe sich die Reihe des Bewahrten und des Erreichten — auch des Bewahrten: beispielsweise die bruttolohnbezogene Rente darf man hier nicht vergessen —, des Erstrebten und der in der konstruktiven Bearbeitung befindlichen Gesetzesvorhaben fortführen. Diese Feststellungen sollten aber genügen, um für jeden Gutwilligen klarzumachen, daß unser Regierungsbündnis mit fortschrittlichen Ideen und Programmen eine in Bewegung geratene Gesellschaft neu belebt.
Zu dieser Neubelebung, meine Damen und Herren von der FDP, hätten Sie nun einmal — vielleicht: leider — nicht ausgereicht. Der Wille zum Handeln, zum bewußten und konsequenten Handeln war und bleibt auch weiter die Voraussetzung für die Bewahrung der Freiheit und die Sicherung des Wohlstandes in unserem Volk. Wir haben Gott sei Dank die Zeit der Verfemung sozialdemokratischer Kräfte in diesem Lande hinter uns gebracht, haben die Selbstbesinnung der beiden großen demokratischen Parteien auf ihre Gemeinsamkeit, auf die Zielsetzung des sozialen Rechtsstaates herbeigeführt zu einer Zeit, in der sich Radikale links und rechts außerhalb oder neben der verfassungsmäßigen Ordnung bewegen.
Meine Damen und Herren, ich bin mit meinen Freunden von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion fest davon überzeugt, daß trotz der im politischen Leben nie vermeidbaren Schwiezigkeiten die Große Koalition bis zum Schluß der Legislaturperiode ihre Ziele erreicht und sich in dieser Gewißheit dann dem Urteil des Volkes stellen kann.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516505700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516505800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Versuch des Oppositionssprechers, die Bilanz der bisherigen Arbeit der Bundesregierung als recht traurig hinzustellen,

(Abg. Ertl: Mager!)

ist mit Sicherheit nicht gelungen. Das Überzeugendste — leider ist Herr Kollege Scheel nicht da —
war die sympathische Stimmlage seiner Darstellung.
Ich könnte es mir verhältnismäßig leicht machen, meine Damen und Herren von der FDP, indem ich einige Sätze aus der Ausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 27. März zitiere — Herr Präsident, Sie gestatten, daß ich dieses Zitat verlese —:
Man hört viel schimpfen und liest viel Kritisches über die Bundesrepublik. Wer einigermaßen faire Vergleiche zieht, kommt aber zum Schluß, daß es in Deutschland wohl noch nie einen derart prosperierenden, sozial ausgeglichenen, demokratisch-freiheitlichen Staat gegeben hat wie das, was dort auf der westlichen Seite nach der Katastrophe des zweiten Krieges aufgebaut wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Rechnet man dazu, daß ein freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich geschaffen werden konnte, so tönt die Bilanz: Höchst bewahrenswert!
Selbstverständlich ist auch diese Große Koalition mancher öffentlichen Kritik ausgesetzt, und wir können eigentlich nur sagen: eine nüchterne Betrachtung sowohl der Möglichkeiten als auch der Arbeitsergebnisse der Großen Koalition ist nicht nur berechtigt, sie ist sogar erwünscht.
Es ist auch möglich, daß manche Leute im Lande mehr als durchsetzbar erwartet haben. Mit Sicherheit ist eine Euphorie über das, was wir tun können, nicht von seiten der CDU/CSU ausgegangen, und wir glauben auch nicht, etwas versprochen zu haben, was wir nicht zu halten bereit und entschlossen sind. Politik ist nun einmal schwieriges Geschäft, das man nicht im luftleeren Raum erledigen kann.
Wenn Herr Kollege Scheel hier von dem Polyzentrismus gesprochen hat, der auch in der Großen



Dr. Müller-Hermann
Koalition sichtbar wird — sicherlich völlig gerechtfertigt —, dann muß man auch auf den Polyzentrismus hinweisen; der nun einmal in der föderativen Struktur unseres Staates besteht. Auch der Politik des Bundes sind Grenzen gesetzt durch die Aktivität der Länder, in denen ja auch Ihre Fraktion vertreten ist und vielleicht das Nötige tun könnte, um der Bundespolitik eine überzeugende Richtung zu geben.
Es ist vielleicht auch manche Illusion dabei gewesen: daß die neue Regierung im außenpolitischen Bereich, wie das damals so schön hieß, „Ballast abwerfen" und damit schnelle Fortschritte auf verschiedenen Gebieten erreichen würde. Nun, in der Außenpolitik zählen eben nicht nur die Fakten, die man selber setzt, sondern auch die Fakten, die von anderen gesetzt werden. Wenn ich mir den Katalog von Herrn Kollegen Scheel anhöre mit den zwölf Thesen, wo überall die Große Koalition versagt habe, auch im außenpolitischen Bereich, so kann man eigentlich nur sagen: das war so eine Darstellung, wie sich wohl Lieschen Müller die große Politik vorstellt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der FDP: Lieschen Hermann Müller!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir im Dezember 1966 diese Große Koalition eingingen, waren wir uns auf beiden Seiten darüber im klaren, daß es eine Koalition auf Zeit sein sollte, und — wenn mir als einem. christlich-demokratischen Politiker dieser Vergleich erlaubt ist —: es war sicherlich nicht unbedingt eine Liebesheirat, sondern mehr eine Vernunftehe. Aber eine Alternative war angesichts des desolaten Zustandes der FDP

(Lachen bei der FDP)

nicht sichtbar.

(Zurufe von der FDP.)

Wir haben uns, CDU/CSU und SPD, damals zusammengefunden aus einer gemeinsamen Verantwortung für diesen Staat, und wir haben uns zusammengetan, um ganz konkrete Aufgaben und Reformen zu verwirklichen.

(Zuruf von der FDP: Darauf warten wir noch!)

Die Regierungserklärung, die der Herr Bundeskanzler im Dezember 1966 abgegeben hat, ist und bleibt für uns die Basis dieser gemeinsamen Arbeit, an die wir uns auf seiten der CDU/CSU gebunden fühlen, und wir werden auch eine Aushölung dieser Regierungserklärung nicht zulassen.

(Zuruf von der FDP: Aha!)

Selbstverständlich — was haben Sie eigentlich anders erwartet? — sind unterschiedliche, ja auch gegensätzliche Positionen zwischen den beiden Regierungsparteien durchaus nicht zu bestreiten, trotz vieler gemeinsamer Bandbreiten. Ich glaube es wäre auch schlimm, wenn es anders wäre. So hat auch meine eigene Partei nach dem SPD-Bundesparteitag keinen Zweifel daran gelassen, daß und wo man auch Unterschiede sehen muß. Darauf hat übrigens der Fraktionsvorsitzende Dr. Barzel schon im Dezember 1966 bei der Debatte über die Regierungserklärung sehr deutlich hingewiesen.
Eine solche Feststellung behindert aber in keiner Weise eine loyale Zusammenarbeit der Koalitionspartner. Wir respektieren unis, auch wenn wir uns nicht in allem und jedem indentifizieren. Ich bin auch Herrn Kollegen Möller sehr dankbar dafür, daß er einige Auslassungen auf dem SPD-Bundesparteitag, die auf Personen bezogen waren, hier mit seiner Darstellung geklärt hat. Ich will mich auf die Bemerkung beschränken, daß Herr Grass offensichtlich auch hier wieder einmal vorbeigehüpft ist.
Meine Damen und Herren, auch auf seiten der Opposition werden Sie mit Gewißheit nicht unterstellen können, daß ich mit großer Begeisterung für die Große Koalition gewesen bin, gerade deshalb kann ich Ihnen hier und der Öffentlichkeit aus voller Überzeugung sagen: Diese Koalition wird bestehen, solange sich beide Partner an das halten, was für diese Legislaturperiode verabredet worden ist.

(Lachen und Zurufe von der FDP.)

Die Vorwürfe, die von seiten der Opposition erhoben worden sind, die Koalition habe versagt, der Kanzler führe nicht, sind — Herr Kollege Scheel, entschuldigen Sie mir diesen etwas unparlamentarischen Ausdruck — recht kleinkariert und eigentlich einer Opposition auch nicht würdig. Sie sind doch im Grunde nur darauf abgestellt, das Ansehen des Bundeskanzlers und der Bundesregierung abzuwerten. Der Herr Bundeskanzler hat bei verschiedenen Gelegenheiten unter Beweis gestellt, daß er von seiner Richtlinienkompetenz, die ihm das Grundgesetz gibt, den richtigen, angemessenen Gebrauch macht. Natürlich kann er, zumal in einer Koalition zweier so großer, annähernd gleich starker Partner das nicht im Sinne eines Kommandos tun und tut es auch nicht. Er wird es tun mit dem Einsatz seiner persönlichen Autorität, und dabei wird ihm auch in Zukunft wie bisher sein natürliches Talent zugute kommen, auch widerstrebende Kräfte auf das Wesentliche, das Entscheidende, das Positive zu vereinigen und Randerscheinungen zu entdramatisieren. Das ist vielleicht das, was Sie, Herr Kollege Scheel, ihm als Gelassenheit ankreiden. Diese sehr positive und für einen Bundeskanzler besonders bemerkenswerten Eigenschaften, so schrieb neulich eine maßgebliche Zeitung, habe der Herr Bundeskanzler geradezu „zu einer Kunst gefeilt".

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin überzeugt, daß die Öffentlichkeit sehr wohl zu würdigen weiß, wenn ein Politiker seine Worte wägt, aber auch zu seinen Worten steht, so, wie es der Herr Bundeskanzler stets getan hat.
Mir schiene es wichtiger, meine Damen und Herren auf seiten der FDP, wenn Sie sich auch in Ihrer Oppositionsrolle etwas mehr als für diesen Staat verantwortlich ansähen.

(Oho!-Rufe von der FDP. — Abg. Scheel: Ihre Regierung ist doch nicht der Staat!)

— Ich komme gleich darauf. — In einer parlamentarischen Demokratie fällt auch der Opposition eine sehr wichtige Aufgabe zu. Wenn wir aber beobachten, Herr Kollege Scheel, wie sich die FDP im Lande etwa der außerparlamentarischen Opposition anbie-



Dr. Müller-Hermann
dert und diese Stimmung der Malaise, wie Sie es bezeichneten, hochspielt und antreibt, wie sie versucht, in Bonn alles und jedes in Grund und Boden zu verdammen und gleichzeitig draußen im Lande jedem zum Munde zu reden, so ist das eben im Grunde ein unverantwortliches Spiel mit dem angeblich so kurzen Gedächtnis der Wähler, paßt aber nicht recht zu den Aufgaben, die Ihnen als Opposition in unserer parlamentarischen Demokratie zufallen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516505900
Herr Kollege Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Scheel?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516506000
Bitte!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516506100
Bitte, Herr Scheel!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516506200
Herr Kollege Müller-Hermann, würden Sie mir darin zustimmen, daß Regierungskoalition und Staat nicht, zumindest noch nicht, gleichgesetzt werden können?

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516506300
Sicherlich. Ich glaube das eben ausgeführt zu haben, Herr Kollege Scheel, indem ich auf die besondere Rolle und Bedeutung hinwies, die in unserem parlamentarischen System einer Oppositionspartei zukommt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516506400
Warum verargen Sie es dann der Opposition, daß sie die Regierung angreift, Herr Kollege Müller-Hermann, und wie können Sie daraus folgern, daß die Opposition damit gleichzeitig den Staat angreift? Ich sehe hier einen gewissen Unterschied.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516506500
Herr Kollege Scheel, im Gegenteil, wir begrüßen es, wenn die Opposition an der Meinungsbildung mitwirkt. Selbstverständlich steht ihr das Recht zur Kritik nicht nur zu, sondern sie muß dieses Recht auch nutzen und ausüben. Was ich Ihnen aber vorwerfe, wenn ich von unserem Staat und der Sorge um unseren Staat spreche, ist, daß Sie sich, wir wir das ständig beobachten, der außerparlamentarischen Opposition in einer Weise anbiedern, die den Grundobliegenheiten auch einer parlamentarischen Opposition sicherlich nicht gerecht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516506600
Herr Kollege Müller-Hermann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Ertl?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0516506700
Herr Kollege Müller-Hermann, finden Sie nicht, daß es, wenn Sie schon so harte Vorwürfe machen, fair wäre, wenn Sie sagten, wo sich die FDP so verhalten hat, oder glauben Sie, daß Sie mit so allgemeinen Verdammungsurteilen dem Parlamentarismus nützen?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516506800
Herr Kollege Scheel will auch eine Frage stellen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516506900
Bitte, Herr Scheel, noch eine Frage!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516507000
Herr Kollege Müller-Hermann, meine Frage schloß sich unmittelbar an das an, was Sie gesagt haben: Sind Sie nicht der Meinung, daß sogar Gruppen, die der außerparlamentarischen Opposition zuzurechnen wären, sich Sorgen um den Staat machen?

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516507100
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Funcke?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0516507200
Herr Kollege Müller-Hermann, würden Sie einmal konkretisieren, was Sie mit „anbiedern" meinen und an welchen Fall Sie dabei denken?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516507300
Noch eine Zwischenfrage.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0516507400
Herr Kollege Müller-Hermann, meinen Sie vielleicht die Tatsache, daß der Kollege Dorn z. B. heute alle möglichen Einwände gegen die Notstandsgesetzgebung macht, obwohl er im Jahre 1965 gesagt hat, was wir da vorgehabt hätten, sei das Rechtsstaatlichste und Beste, was man sich überhaupt denken kann?

(Widerspruch bei der FDP.)


Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516507500
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte die Diskussion nun natürlich sehr stark auf diesen Punkt konzentrieren. Ich brauchte nicht nur den Namen des Kollegen Dorn zu nennen. Ich könnte auch auf Ausführungen verweisen, die etwa der Kandidat in Baden-Württemberg, Herr Dahrendorf, gemacht hat. Bei verschiedenen Gelegenheiten haben Sie (zur FDP) in dem verständlichen Wunsch, Wählerstimmen an sich zu ziehen, den Eindruck zu erwecken versucht, als wären Sie die Fürsprecher dieser außerparlamentarischen Kräfte, und als wäre unsere Rechtsstaatlichkeit durch die Tätigkeit der staatlichen Organe tatsächlich gefährdet.

(Abg. Scheel: Das sind wir auch!)

Herr Kollege Scheel, Sie haben dann der Bundesregierung und dem Bundeskanzler den Vorwurf zu machen versucht, sie wüßten selbst nicht, wohin die Reise gehen solle. Ich finde, meine Damen und Herren, wenn sich jemand in der Vergangenheit und wahrscheinlich auch heute, wo es in der Rolle der Oppositionspartei nur etwas mehr kaschiert werden kann, durch Richtungs- und durch Führungslosigkeit auszeichnet, dann ist es doch in erster Linie die FDP. In der Öffentlichkeit wird das auch richtig beurteilt. Das haben doch wohl manche Wahlergebnisse gezeigt. Schließlich ist die Regierungskrise im Jahre 1966, die dann zur Bildung der Großen Koalition geführt hat, dadurch ausgelöst



Dr. Müller-Hermann
worden, daß Sie in Ihren eigenen Reihen nicht mehr
zu einer gemeinsamen Haltung kommen konnten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der FDP.)

— Haben Sie vielleicht vergessen, meine Damen und Herren, daß der letzte Akt der Auslösung dieser Regierungskrise darin bestand, daß Ihre eigene Bundestagsfraktion die in der Verantwortung stehenden Bundesminister Ihrer Fraktion desavouiert hat?

(Beifall bei der CDU/CSU— Widerspruch bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516507600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0516507700
Herr Kollege Müller-Hermann, wie wollen Sie mit Ihren jetzigen Ausführungen in Übereinstimmung bringen, daß der gestürzte Bundeskanzler Erhard selber wiederholt gesagt hat, er sei von den eigenen Reihen gestürzt worden?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516507800
Nun, diese Äußerung von Herrn Bundeskanzler Erhard ist mir nicht bekannt.

(Lachen bei der FDP.)

Sie entspricht auch in keiner Weise den Tatsachen, meine Damen und Herren.

(Erneutes Lachen und Zurufe rechts.)

Es ist doch nicht zu leugnen, daß Herr Bundeskanzler Erhard mit seiner Regierungspolitik scheiterte, als in entscheidenden Fragen, bei denen es um die Stabilisierung der Wirtschaft und gewisse dafür notwendige unpopuläre Maßnahmen ging, Ihre eigene Fraktion ihre eigenen Minister im Stich gelassen hat, speziell den Herrn Bundesfinanzminister.

(Zuruf von der FDP. — Zuruf von der Mitte: Genau das war es!)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516507900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0516508000
Herr Kollege Müller-Hermann, ist Ihnen bekannt, daß im Herbst 1966 viele Zeitungen davon sprachen, daß die CDU sich in einer Parteikrise befand, und daß in der Regierungserklärung des Herrn Kiesinger vom 13. Dezember auf diesen innerparteilichen Zwist sogar wörtlich hingewiesen worden ist?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516508100
Ich nehme zunächst nur zur Kenntnis, daß •Sie sehr bemüht sind, von den eigenen Schwächen ständig abzulenken.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe und Lachen bei der FDP. — Abg. Mischnick: Das machen Sie doch!)

Meine Bitte an die Opposition, auch bei ihren kritischen Äußerungen sich einer gewissen Objektivität zu befleißigen,

(Zuruf von der FDP: Das müssen Sie erst mal machen! — Gegenrufe von der Mitte)

läuft darauf hinaus : Reformwerke, wie sie die große
Koalition in Angriff genommen hat und wie sie sie
zu Ende führen wird, brauchen nun einmal ihre Zeit.

(Zuruf von der FDP: Siehe Leber-Plan!)

Sie wissen, eine Reihe von Vorlagen bedürfen
mehrfacher Änderungen des Grundgesetzes. Das
läßt sich doch nicht von heute auf morgen erledigen,

(Zurufe von der FDP)

wie Herr Kollege Möller es ja auch ausgeführt hat.
Wir werden die Aufgaben, die wir uns in der Regierungserklärung gestellt haben, zu erledigen versuchen, und wir werden uns am Ende dieser Legislaturperiode der Wählerschaft zu stellen und zu verantworten haben für das, was geschehen ist, oder auch für das, was nicht durchgesetzt werden konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir auf seiten der CDU/CSU wollen, daß diese Große Koalition unter Vermeidung aller politischen Erschütterungen sich auf ihre Arbeit konzentriert.

(Zurufe von der FDP.)

Ich weiß nicht, ob es sehr viel Zweck hat, Herr Kollege Scheel, auf Ihre juristischen Auslassungen einzugehen, die Sie im Zusammenhang mit der Nachfolge des Innenministers angestellt haben, bezüglich des Parlamentarischen Staatssekretärs. Es sind interessante Rechtsfragen, über die man sich unterhalten kann. Ich werde bloß einen Verdacht nicht los, Herr Kollege Scheel:

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Es ging ihm zu schnell!)

wenn der Herr Bundeskanzler sich für einen anderen Nachfolger entschieden hätte, wäre von Ihrer Seite wahrscheinlich das Argument gekommen: Warum hat er sich eigentlich. nicht des eingearbeiteten, mit der Materie bestens vertrauten Parlamentarischen Staatssekretärs bedient?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516508200
Herr Kollege Müller-Hermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0516508300
Herr Kollege Müller-Hermann, ist Ihnen wirklich entgangen, daß das Gesetz, auf das sich Herr Scheel bei seiner juristischen Ableitung der Verhältnisse berufen hat, maßgeblich von dem Herrn Innenminister Benda mitgestaltet worden ist und daß es ausdrücklich diesen Fall nicht vorsah, der jetzt eingetreten ist, — sinngemäß?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0516508400
Das sind alles sehr interessante Rechtsfragen. Die ändern



Dr. Müller-Hermann
aber nichts an der Notwendigkeit und an der Richtigkeit rascher politischer Entscheidungen.

(Abg. Moersch: Das sind politische Fragen, Herr Müller-Hermann!)

Wir können auch nur begrüßen, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Fall die personellen Entscheidungen rasch getroffen hat

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und die Arbeit der Bundesregierung nunmehr ungestört weitergehen kann.
Wir bedauern natürlich den Rücktritt unseres Freundes Lücke,

(Lachen bei der FDP)

der sich um unseren Staat nicht nur in dieser Funktion, sondern auch bei anderen Aufgaben verdient gemacht hat.
Was mir anzumerken nötig erscheint, ist, daß der Wunsch, ein mehrheitsförderndes Wahlrecht in dieser Legislaturperiode durchzusetzen, nicht nur ein Wunsch des Bundesinnenministers Lücke gewesen ist, sondern ein Anliegen der gesamten CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

(Beifall in der Mitte.)

Unserem Freund und Kollegen Ernst Benda wünschen wir ein erfolgreiches Wirken in diesem schweren und gewiß nicht dankbaren Amt.
Lassen Sie mich nun zu einigen innenpolitischen Themen etwas sagen. Ich sehe keinen Anlaß für die Fraktionen der Großen Koalition, den Erfolg ihrer bisherigen Arbeit unter den Scheffel zu stellen oder unter den Scheffel., stellen zu lassen. Die wichtigste Aufgabe war und ist, die Leistungskraft unserer Wirtschaft zu stärken, und zwar nicht nur, um den Wohlstand zu mehren, den sozialen Standard sicherzustellen, sondern auch, weil wir sehr wohl wissen, daß die Möglichkeiten in der Außen- und in der Deutschlandpolitik entscheidend von der Leistungskraft unserer Wirtschaft abhängen.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Unser Wirtschaftssystem, aufbauend auf den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, muß seine Anziehungskraft auch nach außen behalten.
Es ist der Bundesregierung gelungen, den Konjunkturrückschlag zu überwinden; dennoch müssen wir uns an dieser Stelle auch vor allzu euphoristischen Aussagen hüten. Der Durchbruch zu einer neuen Aufschwungphase ist zweifellos noch nicht völlig gelungen, aber die Wirtschaft hat sich wieder erholt und richtet sich auf eine neue Aufschwungphase ein.
Die hinter uns liegende Entwicklung hat einmal mehr demonstriert, meine Damen und Herren, daß die Konjunkturentwicklung nicht nur von rein ökonomischen Vorgängen abhängig ist, sondern ebenso von psychologischen Faktoren beeinflußt wird.

(Beifall in der Mitte.)

Ich glaube, der entscheidende Punkt für die Weiterentwicklung unserer Konjunktur, für ein normales
und organisches Wachstum ist das Vertrauen der
Bevölkerung und der Wirtschaft in die politische Stabilität und in die Entschlossenheit der Bundesregierung, die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und auf dem bisher schon eingeleiteten Weg energisch weiterzugehen.

(Beifall in der Mitte.)

Richtig war, daß die Bundesregierung, auch um den Preis einer begrenzten Schuldenausweitung, den Mut zu zwei umfassenden Konjunkturförderungsprogrammen aufgebracht hat. Wir dürfen aber auch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß eine dauerhafte Wirtschaftsbelebung davon abhängt, daß die private Wirtschaft wieder das Risiko zu neuen Investitionen eingeht und die dynamischen Kräfte der Wirtschaft selbe 2 ermutigt werden.
In diesem Zusammenhang einige Worte zu der Ordnung der Staatsfinanzen. Auch sie ist nur in einem mehrjährigen Prozeß möglich. Sie kann sich, um zur Wirksamkeit zu gelangen, natürlich nicht nur auf die Steuer- und Ausgabenpolitik des Bundes beschränken.
Wir sollten auch die Tatsache würdigen, daß die Bundesregierung die ersten Schritte eingeleitet und der Öffentlichkeit klargemacht hat, bei den zukünftigen Staatsausgaben der Ausweitung der Investitionen im Interesse unserer Zukunftssicherung den Vorrang vor einer weiteren Ausweitung der konsumtiven Ausgaben zu geben.
Die D-Mark ist — das wollen wir immer wieder feststellen — eine der stabilsten Währungen der Welt.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Wir hatten am Jahresende und haben heute nahezu stabile Preise. Ich darf mir erlauben, daran zu erinnern, Herr Kollege Mischnick, daß Sie noch im Dezember 1966 bei der Debatte über die Regierungserklärung meinten, in den Wandelgängen schon von den eingebauten Inflationsraten flüstern zu hören.
Wir wollen allerdings nicht, daß diese mit Opfern erkaufte Stabilität jetzt durch ehrgeizige und übertriebene Wachstumsvorstellungen wieder aufs Spiel gesetzt wird. Die Bemühungen um Wirtschaftswachstum dürfen nicht zu einer Wachstumspsychose ausarten. Wir dienen unseren Mitbürgern nicht mit nominellem, sondern nur mit realem Wachstum. Wichtiger als die quantiative Ausweitung der Produktion ist die Erhöhung der wirtschaftlichen Produktivität.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Mit Recht hat der Bundeskanzler und hat auch unsere Fraktion immer wieder auf die zunehmende Bedeutung der Strukturprobleme hingewiesen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß, wenn wir auch im Augenblick noch eine gewisse Arbeitslosenquote haben, auf die Dauer die Produktivkräfte unserer Wirtschaft knapp bleiben werden und wir optimales Wachstum nur erreichen können, wenn wir diese Produktivkräfte auch optimal zur Entfaltung kommen lassen. Wir werden daher meines Erachtens noch sehr viel gezielter als bisher das schon von der vergangenen Bundesregierung geschaffene und von dieser vervollkommnete Instrumentarium



Dr. Müller-Hermann
einsetzen müssen, um die zum Teil-zu lange vor uns hergeschobenen Strukturprobleme einer Lösung zuzuführen, auch in Zusammenhang mit einer regionalen Erschließungspolitik. Ich denke an die Probleme der Landwirtschaft, an die Kohle,. an die Probleme des Verkehrs. Der Herr Bundeskanzler hat von der Verkehrsgesetzgebung gesprochen. Hier kann ich ihn beruhigen. Wir werden mit Sicherheit, Herr Bundeskanzler, im Laufe der nächsten Monate zu ganz konkreten, die Bundesbahn auf ein gesundes Fundament stellenden verkehrspolitischen Entscheidungen gemeinsam in diesem Hohen Hause kommen. Ich glaube Ihnen diese Versicherung mit ruhigem Gewissen abgeben zu können.

(Beifall in der Mitte.)

Wir wissen alle, welche Bedeutung der Förderung von Wissenschaft und Forschung zukommt, wenn wir das technologische Niveau unserer Volkswirtschaft im Wettbewerb der Industrienationen wirklich anheben wollen. Vielleicht sollten wir aber auch noch mehr als bisher sehen, daß sich im Zuge dieser rasanten technischen Entwicklung in bestimmten Bevölkerungskreisen so etwas wie eine neue Existenzangst ausbreitet. Das gilt nicht nur für Mitbürger in abhängiger Stellung, das gilt auch für manche kleinen und mittleren Unternehmer und Bauern. Heute ist schon verschiedentlich in der Diskussion von den psychologischen Wirkungen gesprochen worden, die auf die Wirtschaftsabläufe ausgehen. Wir sollten diese psychologischen Probleme nicht unterbewerten. Bei der wachsenden Verantwortung des Staates müssen wir den Menschen in unserer Gesellschaft durch gezielte Maßnahmen das Gefühl der Gewißheit geben, daß sich die notwendigen, unvermeidlichen Anpassungsprozesse in unserer Wirtschaft organisch vollziehen.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, welche Aufgabe dabei dem Bildungs-, Ausbildungs- und Universitätswesen zukommt. Wir müssen eben unsere Menschen geistig und wissensmäßig darauf ausrichten, daß sie sich beweglich den immer schwieriger werdenden ökonomischen Veränderungen anpassen können.
Ein letztes Wort zum Bereich der Innenpolitik im Zusammenhang mit der Finanzreform, die natürlich eine Bewährungsprobe besonderer Art für die Große Koalition sein wird. Aber auch hier sollte man nicht daran vorübergehen, auch von einer Bewährungsprobe unserer föderativen Struktur zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn die Länderregierungen nicht auch ihrerseits die nötige Einsicht für die Probleme aufbringen, wird eben diese Finanzverfassungsreform nicht zum Erfolg gelangen. Vielleicht kann hier auch die Freie Demokratische Partei auf den ihr zur Verfügung stehenden Wegen Einfluß nehmen. Die Länderregierungen sollten es sich jedenfalls nicht zu einfach machen, indem sie zwar die ausschließliche Zuständigkeit für die Gemeinden für sich in Anspruch nehmen, aber alles das, was mit der Mittelbeschaffung zu tun hat, dem Bund in seine Verantwortung übergeben. Wenn wir eine Stärkung der Finanzmasse bei
den Gemeinden erreichen wollen -- sicherlich eine berechtigte Forderung —, dann wird das, wenn es nach den Vorschlägen der Länderregierungen geht, jedenfalls verbunden sein entweder mit einer erheblichen Schuldenausweitung des Bundes oder mit dem Zwang zu Steuererhöhungen. Bloß: wenn die Länder das wissen, dann sollten sie auch den Mut haben, diese Wahrheit auszusprechen.
Einige Bemerkungen zur außenpolitischen Lage. Die Bundesregierung und ganz besonders der Herr Bundeskanzler sind nie müde geworden, unserer Öffentlichkeit klarzumachen, daß das deutsche Schicksal in die westpolitische Entwicklung eingebettet ist. Vor wenigen Tagen hat eine Konferenz der kommunistischen Führer in Dresden stattgefunden, bei der erhöhte Rüstungsanstrengungen der Warschauer-Pakt-Staaten wieder als notwendig und zum gemeinsamen Ziel erklärt wurden. Die Entspannung, die wir alle wünschen, ist noch keine Realität. Die Aufrechterhaltung eines leistungs- und funktionsfähigen Verteidigungssystems bleibt nach wie vor für das freie Europa und bleibt für uns eine Lebensfrage, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Sicherung West-Berlins, und ohne das Potential der Vereinigten Staaten ist ein wirksames Verteidigungssystem nicht möglich.
Nun hat der Kollege Scheel nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, wie wünschenswert und erstrebenswert es ist, die bisherigen Sicherheitssysteme eines Tages durch ein europäisches Sicherheitssystem abzulösen. Herr Kollege Scheel, entweder haben Sie den Herrn Bundeskanzler mißverstanden, oder Sie liegen in Ihrer Beurteilung der Dinge noch weiter hinter ihm zurück. Der Herr Bundeskanzler hat verschiedentlich von der Schaffung einer europäischen Friedensordnung gesprochen. Sie werden nämlich auch mit dem Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems nicht sehr weit kommen, wenn Sie nicht zuvor oder mindestens zugleich die Spannungsherde beseitigt haben, die gerade in Europa diese gewaltigen Rüstungsanstrengungen in der Vergangenheit ausgelöst haben, und die noch immer die Aufrechterhaltung eines militärischen Gleichgewichts notwendig machen. Mit anderen Worten: ohne politische Lösungen wird es auch ein effektives europäisches Sicherheitssystem nicht geben. Gerade deshalb sollten die Bemühungen des Bundeskanzlers in Richtung auf eine europäische Friedensordnung, die die heutige Konfrontation ablöst, die Unterstützung des ganzen Hauses und möglichst auch der Freien Demokraten finden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein Wort zu den deutsch-französischen Beziehungen. Auch hier hat der Herr Kollege Scheel nicht sehr viel Gutes an der Bundesregierung gelassen. Er hat vor allem kritisiert, daß die Bemühungen um einen Beitritt Großbritanniens und anderer Staaten zur EWG nicht weitergekommen sind. Ich glaube, Herr Kollege Scheel, Sie müssen im stillen Kämmerlein eigentlich selbst zugeben, daß Sie. hier dem Bundeskanzler und der Bundesregierung völlig ungerechtfertigte Vorwürfe machen. Wir haben uns bei allen Anlässen zu einer Ausweitung der EWG bekannt, allerdings nicht um den Preis einer Preis-



Dr. Müller-Hermann
gabe dessen, was an effektiver Kooperation inzwischen erreicht wurde. Ohne Frankreich ist eine Lösung nicht zu finden.
Sie sagen nicht ganz zu Unrecht, daß natürlich auch Frankreich ein eminentes, unmittelbares ökonomisches Interesse an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat. Sie denken wahrscheinlich in erster Linie an die Agrarpolitik. Aber gleichzeitig muß man natürlich erwähnen, daß wir und andere Mitgliedstaaten auf anderen Gebieten ein um so größeres Interesse daran haben, daß die EWG nicht Schiffbruch leidet, sondern das ausbaut, was sie sich zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes als Ziel gesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Beachtliche Fortschritte hat die Bundesregierung in der Ostpolitik vollbracht; ich darf wohl hinzufügen: in Anknüpfung an die Bemühungen, die bereits unter Bundeskanzler Erhard und Bundesaußenminister Schröder eingeleitet worden sind. ,Wir haben in den Reihen der CDU/CSU nie ,einen Zweifel daran gelassen, welche Bedeutung diesen Ostbeziehungen zukommt. Denn natürlich sind ein befriedetes Europa und eine Lösung der deutschen Probleme nur möglich, wenn auch das Mißtrauen auf der östlichen Seite, speziell in Moskau, abgebaut wird.
Ich muß es als eine wirklich böswillige Verleumdung zurückweisen, wenn gelegentlich von verschiedenen Seiten in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, als mangelte es auf seiten der CDU/ CSU an Interesse an der weiteren Normalisierung unserer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten, oder wir übten sogar die Funktion eines Bremsklotzes aus. Nein, meine Damen und Herren, wir haben lediglich vor Übereilung und vor Illusionen gewarnt und können das auch heute nur wiederholen.
Den Anstrengungen der Bundesregierung sind neue Entwicklungstendenzen im osteuropäischen
Raum zugute gekommen. Unser Wunsch ist, daß die bisherigen Bemühungen ,der Bundesregierung zielstrebig, klug und behutsam weiterentwickelt werden, ,daß man sich aller Dinge enthält, die allzu spektakulär nach außen wirken könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Natürlich beobachten wir die Wandlungen und die Veränderungen im osteuropäischen Raum, die sich bereits vollzogen haben oder sich abzeichnen, mit großer Aufmerksamkeit, ich möchte beinahe sagen: mit innerer Anteilnahme, aber auch ohne die Illusion, daß sich etwa die Bindungen .des Warschauer Paktes aufheben ließen oder dies in der Absicht eines der beteiligten Paktstaaten liegen könnte.
Die Öffnung der Grenzen, das Gespräch der Menschen, das wechselseitige Kennenlernen, neu geschaffene Vergleichsmöglichkeiten, der Handels- und Kulturaustausch, all das, was sich im Laufe der letzten Jahre im Austausch zwischen Ost und West entwickelt hat, haben zweifellos einen entscheidenden Beitrag zu einer beginnenden und sich ausweitenden Emanzipierung in einer Reihe kommunistischer Staaten beigetragen. Alles, was in den vergangenen Jahren und speziell im vergangenen Jahr in dieser Richtung von der Bundesregierung getan worden ist, war wichtig.
Wie andere Sprecher vor mir kann auch ich nur wiederholen, daß wir nichts wollen, was so aussieht, als ob wir uns in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischten. Ich möchte hinzufügen: Wir sollten uns jeden Versuches enthalten, der auch nur den Anschein erwecken könnte, als betrieben wir eine Politik der Anbiederung oder des Gegeneinanderausspielens. Es dürfen keinerlei Mißverständnisse über unsere eigentlichen Anliegen aufkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unser ehrlicher Wunsch ist, eine Normalisierung unserer Beziehungen zu allen osteuropäischen Staaten zu erreichen und die vorhandenen Reserven in den zwischenstaatlichen Verbindungen für diesen Zweck zu nutzen. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme die gemeinsamen europäischen Bindungen noch mehr als bisher Gestalt gewinnen und die damit eines Tages auch der neuen europäischen Friedensordnung, von der der Bundeskanzler so häufig gesprochen hat, den Weg ebnen hilft. Das wird mit Sicherheit ein langer Weg sein, zu dem wir einen eigenen deutschen Beitrag leisten müssen. Wir sollten auch prüfen, ob und inwieweit wir gemeinsam mit den übrigen EWG-Staaten, speziell auch mit unseren französischen Freunden, einzelnen osteuropäischen Ländern zusätzliche Hilfe für die Lösung ihrer ökonomischen Probleme anbieten könnten.
Die Bundesregierung und auch wir haben immer wieder ein Interesse an besseren Beziehungen zur Sowjetunion bekundet. Leider müssen wir feststellen, daß die Verketzerung der Bundesrepublik in der Propaganda des Kreml nicht aufgehört hat. Die Friedenspolitik der Bundesregierung ist dagegen die wirksamste Abwehr. Wir können feststellen, daß bis tief in das kommunistische Lager hinein eher die Glaubwürdigkeit der Sowjetunion durch diese Propaganda erschütttert worden ist, als daß die Vertrauenswürdigkeit der Bundesregierung in Frage gestellt würde. Wir bedauern, daß die Atmosphäre zwischen Moskau und Bonn noch nicht so ist, wie wir sie gerne sehen würden. Vielleicht sollte die Sowjetunion auch erkennen, daß ihre starre Haltung gegenüber dem deutschen Volk nicht zuletzt jenen Kräften Auftrieb gibt, deren Hochkommen sie uns gleichzeitig vorwirft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Scheel, Sie haben dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, daß sie in den gesamtdeutschen Beziehungen untätig, ratlos geblieben seien. Der Bundeskanzler selbst hat davon gesprochen, daß die Bundesregierung dem Regime im anderen Teil Deutschlands Angebote von fast revolutionärer Kühnheit gemacht hat. Ich glaube, das müssen wir objektiv als ein Faktum festhalten. Natürlich gehört, wenn wir Fortschritte in den innerdeutschen Beziehungen erreichen wollen, der gute Wille auf unserer Seite



Dr. Müller-Hermann
dazu, aber eben auch der gute Wille auf der anderen Seite. Und zur Zeit ist in Ostberlin nichts anderes zu erkennen als der Wille, es nicht zu Gesprächen kommen zu lassen.
Ich weiß nicht recht, Herr Kollege Scheel, ob sich das, was Sie über die völkerrechtliche oder staatliche Anerkennung des anderen Teils Deutschlands gesagt haben, noch ganz mit dem in Übereinstimmung befindet, was wir bisher eigentlich als eine gemeinsame Basis in diesem Hause für die Deutschlandpolitik betrachtet haben.

(Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

Ich möchte jedenfalls keinen Zweifel daran lassen, daß wir von unserer Seite aus nicht bereit sind, den anderen Teil Deutschlands als Ausland anzuerkennen

(Abg. Scheel: Hat auch keiner gesagt!)

— das unterstelle ich auch nicht —, und daß wir Ulbricht auch nicht als den legitimierten Sprecher der Deutschen jenseits von Mauer und Stacheldraht anzuerkennen bereit sind.

(Abg. Scheel meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Lassen Sie mich das noch sagen; vielleicht befinden wir uns da in Übereinstimmung —. Die Tatsache, daß Herr Ulbricht die sehr weitgesteckten Angebote der Bundesregierung bisher stets brüsk abgelehnt hat, ist nicht nur als ein Beweis für die innere Schwäche dieses Regimes zu werten. Gerade sie hat entscheidend auch dazu beigetragen, daß Ulbricht selbst im Lager seiner Freunde und Partner mit seiner starren Haltung in eine Art von Isolierung gedrängt worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, Herr Kollege Scheel, das ist doch gerade das, was wir mit unseren relativ schwachen Kräften im Augenblick zur Veränderung des Status quo in Mitteleuropa wirklich tun können: Das Regime in Ostberlin in eine Position zu bringen, die es auch unter dem Einfluß ihrer eigenen Freunde nötigt, die bisherige Haltung gegenüber der Bundesrepublik zu korrigieren. Es ist ein Fortschritt für die Lösung auch unserer deutschen Frage, daß Ulbricht heute selbst bei seinen Freunden als ein Störenfried bei den Ausgleichsbemühungen zwischen Ost und West angesehen wird.
Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler bei verschiedenen Gelegenheiten unser Volk aufgerufen, sich in Geduld, Zähigkeit und in einem langen politischen Atem zu üben. Sicher ist die Enttäuschung verständlich, die sich ausbreitet, wenn Europa nicht vorankommt, wenn sichtbare Fortschritte in der deutschen Frage nicht zu erzielen sind. Aber Ungeduld ist mit Sicherheit immer ein schlechter Ratgeber, und wir müssen uns noch mehr daran gewöhnen, in langen Zeiträumen zu denken. Die These jedenfalls, die Zeit arbeite zwangsläufig für die Kommunisten im Kreml, ist durch nichts zu beweisen. Sie ist zumindest ebenso anzuzweifeln wie die Behauptung des Gegenteils. Es denkt ja auch niemand daran, etwa abzuwarten und die Hände in den Schoß zu legen. Sicher. ist lediglich, daß die
Welt sich in einem Zustand ständiger Veränderungen befindet und daß es das legitime Recht unserer Politik ist, mit unseren Kräften auf diese Veränderungen in .einer Weise Einfluß zu nehmen, die den Anliegen unseres deutschen Volkes entspricht. Genau das ist auch der Ansatzpunkt der Außenkolitik des Herrn Bundeskanzlers und der Bundesregierung.
Gerade aus einer langfristigen Sicht der Dinge müssen wir es ablehnen, Rechtspositionen aufzugeben, deren Preisgabe dem deutschen Volk nichts einbringt. Mit Fug und Recht muß man es auch als eine Illusion ansehen, wenn man meint, hier und jetzt mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie unsere Glaubwürdigkeit etwa beim polnischen Volk oder beim polnischen Staatschef zu erhöhen. Unsere Position in dieser Frage ist also völlig klar und deckt sich mit den verschiedenen Aussagen des Bundeskanzlers, zuletzt bei dem Bericht über die Lage der Nation.
Meine Damen und Herren, es wird bei uns im Lande jetzt häufig über die gefährdete Staatsautorität gesprochen. Nun, Autorität kann man nicht machen. Man soll sich nicht — das war ja wohl auch das Ergebnis mancher Überlegungen im Laufe der letzten Wochen oder Tage — übertriebenen Erwartungen hingeben, man könne Staatsautorität allein institutionell absichern. Entscheidend sind Leistung, Führungswille, Mut zur Entscheidung, Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Autorität ist letztlich ständig erneuerte Bewährung. Das gilt für uns alle, meine Damen und Herren, auch für die Opposition. Je mehr wir als verantwortliche Politiker von diesen Maximen ausgehen, desto mehr tragen wir mit Sicherheit zur Stärkung und Stabilisierung unserer parlamentarischen Demokratie bei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir müssen aber auch ein deutliches Wort an die Adresse der antidemokratischen Kräfte bei uns im Lande richten. Wir müssen die geistige Auseinandersetzung pflegen. Hier möchte ich noch einmal, um nicht mißverstanden zu werden, der Opposition eine ganz besondere Aufgabe zuerkennen. Sie kann gelegentlich sehr viel leichter argumentieren als die Kräfte, die in der politischen Verantwortung stehen. Wir sollten nicht die Tatsache in Zweifel ziehen lassen, daß es sich in diesem Staat sehr gut leben läßt. Das gilt nicht nur für die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse, sondern auch für die Übereinstimmung von geschriebener Verfassung und Verfassungswirklichkeit.

(Lachen bei der FDP.)

Daß Kräfte bei uns im Lande die demokratischen Grundrechte in Anspruch nehmen, sich selbst aber außerhalb der Gesetze stellen und sich nicht an die demokratischen Spielregeln zu halten veranlaßt sehen —

(Abg. Scheel: Sie meinen doch nicht uns!)

— so weit will ich nicht gehen, und ich würde so
etwas nicht auszusprechen wagen, Herr Kollege
Scheel —, das sollten wir unter keinen Umständen



Dr. Müller-Hermann
dulden. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie gemeinsam mit den Ländern alle Möglichkeiten ausschöpft, um im Lande für Ruhe und Ordnung und für eine Respektierung der Gesetze Sorge zu tragen.

(Abg. Moersch: Was sagt der „Dr. Landgraf" dazu?)

Zu Beginn der Arbeit der Großen Koalition wurde die Befürchtung geäußert, dieses Parlament würde veröden, die wirklichen Entscheidungen würden außerhalb des Parlaments getroffen werden, eine Opposition würde es praktisch nicht mehr geben.

(Abg. Rasner: Toll ist sie auch nicht!)

Nun, meine Damen und Herren, die Pessimisten haben mit Sicherheit nicht Recht behalten. Ich glaube, wir können ohne sehr viel Eigenlob wohl feststellen, daß im Laufe der letzten 16 Monate hier. im Hause eine Reihe sehr lebhafter, sehr offener Diskussionen stattgefunden hat. Wir haben doch wohl — das müssen. Sie respektieren — auch der Opposition, die an Zahl klein ist, jede Chance gelassen. Unsere Sorge geht eigentlich eher dahin, daß die Opposition trotz aller redlichen Bemühungen vielleicht von der Substanz her nicht ganz in der Lage ist, die Aufgabe auszufüllen, die ihr nun einmal zukommt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Moersch: Können Sie mir sagen, was Substanz ist?)

Wir sollten aber auch der Bundesregierung und speziell dem Bundeskanzler, meine Damen und Herren, dafür danken, daß er dem Bundestag, dem Parlament gegenüber stets den nötigen Respekt erwiesen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der FDP.)

Dies ist der Platz, wo die Fragen der Nation zu diskutieren und die Entscheidungen zu treffen sind, die in der Zuständigkeit des Parlaments liegen. Ich glaube, daß der Bundeskanzler diesem Grundsatz bei jeder Gelegenheit Rechnung getragen hat.

(Zustimmung in der Mitte.)

Auch in Zukunft bleibt der Bundestag der geistige und politische Mittelpunkt unseres demokratischen Staatswesens.
Das Grundgesetz weist dem Amt des Herrn Bundeskanzlers eine zentrale Funktion zu. Es ist ein Amt, das einen Menschen schon physisch bis zum äußersten strapazieren und den ganzen Menschen beansprucht. Das mag besonders in einer Koalition zweier starker, dynamischer und gewiß nicht überall homogener Kräfte gelten.

(Abg. Mertes: Herkulesarbeit!)

— Ja, das kann man sicherlich zuweilen sagen. Dieses Amt erfordert ein besonders hohes Maß an Entschiedenheit und Geschicklichkeit, aber auch an Gespür für das Mögliche und das Nötige. Es erfordert, wenn es zu einer erfolgreichen Arbeit gebracht werden soll, aber nicht minder die Loyalität zwischen den Koalitionspartnern und beider Koalitionspartner gegenüber dem Bundeskanzler.

(Zuruf von der FDP: Ausgezeichnet!)

Ich möchte mit der Versicherung abschließen, meine Damen und Herren, daß der Bundeskanzler wie bisher auch in den vor uns liegenden, gewiß nicht leichten Monaten der vollen Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sicher sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516508500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0516508600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner einführenden Rede u. a. davon gesprochen, es komme nicht darauf an, neue Versprechungen zu machen. Wir teilen diese Meinung. Es wäre gefährlich, wenn neue Versprechungen gemacht würden, die nicht gehalten werden könnten. Denn manches, was in der Regierungserklärung versprochen worden ist, wird bis zum Ende der Legislaturperiode mit Sicherheit nicht eingehalten werden können.

(Beifall bei der FDP.— Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)

Aber die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bezog sich speziell auf die Agrarpolitik. Hier, Herr Bundeskanzler, hat, glaube ich, niemand verlangt, daß neue Versprechungen gemacht werden. Es geht doch einzig und allein darum, daß die 1964 anläßlich der Getreidepreissenkung gegebenen Versprechungen eingehalten werden. Um diese Frage geht es, um sonst nichts.

(Beifall bei der FDP.)

Hier hat man mehrfach davon gesprochen — insbesondere der Kollege Müller-Hermann hat es getan —, die außerparlamentarische Opposition werde von den Freien Demokraten zu sehr beachtet. Dazu kann ich nur sagen, Herr Kollege Müller-Hermann: Wollen Sie vielleicht dazu beitragen, daß 'aus einer außerparlamentarischen Opposition, die zum Teil gewichtige Argumente bringt, allmählich eine generell gegen den Staat gewendete Opposition wird? Das kann doch Ihr Bestreben nicht sein.

(Beifall bei der FDP.)

Wir sind doch bestimmt gemeinsam der Meinung, daß zwischen außerparlamentarischer und antiparlamentarischer Opposition reinlich geschieden werden sollte. Es führt uns keinen Schritt weiter, wenn hier bei den Diskussionen beides immer in einen Topf geworfen wird. Man schadet diesem Staat damit, und wir nützen ihm nicht. Deshalb bitte ich doch dringend darum, in Zukunft sehr nüchtern zwischen außerparlamentarischer und antiparlamentarischer Opposition zu unterscheiden.

(Abg. Dr. Barzel: Die innerparlamentarische Opposition müßte besser sein!)

— Die innerparlamentarische Opposition sollte besser sein, Herr Kollege Barzel. Das zu sagen ist Ihr gutes Recht, genauso wie wir feststellen, daß die Große Koalition nach unserer Überzeugung besser sein sollte.

(Beifall bei der FDP.)




Mischnick
Wenn ich heute, ich glaube, zum elften Male, wenn ich richtig gezählt habe, vom Herrn Kollegen Möller gehört habe, warum diese Große Koalition zustande kam, und wiederum von der alten Mär ausgegangen worden ist, man habe erst bei diesen Gesprächen über die Koalitionsbildung erfahren, wie es um die Finanzen wirklich steht, dann bleibt mir leider nicht erspart, Sie, Herr Möller, zu bitten
— aber ich versichere Ihnen heute zum letztenmal, wir werden in Zukunft diese Frage nicht wieder aufgreifen, einfach deshalb nicht, weil wir das Gefühl haben, Sie wollen es nicht wahrhaben; also heute zum letztenmal —: nehmen Sie doch endlich den Finanzbericht von 1966 zur Hand, den ich Ihnen bei den Koalitionsgesprächen damals persönlich in die Hand drückte. Damals machte ich Sie auf die Zahlen aufmerksam, und Sie gaben mir recht, daß die Zahlen, die Ihnen genannt wurden, mit denen übereinstimmten, die darin standen. Könnten sie das nun nicht endlich einmal einsehen?!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516508700
Eine Zwischenfrage von Dr. Möller.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0516508800
Bitte!

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0516508900
Herr Kollege Mischnick, darf ich Sie um die Freundlichkeit bitten, das unkorrigierte Stenogramm nachzulesen und festzustellen, daß Sie gegen etwas polemisieren, was ich nie behauptet habe.

(Beifall bei der SPD.)


Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0516509000
Sehr geehrter Herr Kollege Möller, Sie haben hier schlicht wieder festgestellt: Die Politik der Finanzminister der FDP habe zu dem und dem geführt. Tatsache ist, daß der FDP-Finanzminister hier klipp und klar gesagt hat, wie es um die Finanzen steht.

(Zuruf von der Mitte: Er wußte es doch selber nicht!)

— Lesen Sie doch die Rede von 1966 nach. Sie haben sie doch. Herr Kollege Maucher, den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen, daß Sie heute noch nicht nachgelesen haben, was damals gesagt wurde. Das ist bedauerlich für Sie, aber nicht für die Opposition.
Meine Damen und Herren, in der Diskussion ist davon gesprochen worden, daß diese Regierung bis 1969 zusammenbleiben will. Wir haben zur Kenntnis genommen, daß Sie sich darum bemühen werden. Wir haben volles Verständnis dafür.

(Zuruf von der FDP: Wir hoffen es sogar!)

— Völlig richtig, wir hoffen sogar, daß Sie bis 1969 zusammenbleiben. Ich möchte allerdings doch bitten, sehr sorgfältig zu überlegen, ob es richtig ist, daß unmittelbar nachdem der Herr Bundesinnenminister zurückgetreten ist, nun der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium in Ludwigshafen einen neuen Rücktritt für den Fall angedeutet hat, daß bestimmte Entscheidungen hier nicht getroffen werden.

(Zuruf von der FDP: Für sich selbst oder für wen?)

Es wäre doch sehr bedauerlich, Herr Bundeskanzler, wenn von Woche zu Woche jeweils aus einem anderen Ressort die Mitteilung käme, wenn das nicht geschehe oder jenes nicht geschehe, wolle der betreffende Minister zurücktreten. Wir wären dann doch in der schwierigen Situation, hier erneut von Woche zu Woche feststellen zu müssen, daß durch Einzelrücktrittsandeutungen Entscheidungen erzwungen werden sollen. Heute haben wir doch gerade gehört, diese Große Koalition hätte so viele Entscheidungen gefällt. Wenn ich mir die Entscheidungen aber recht betrachte, dann betreffen sie fast alle Gesetze, die noch von der vorhergehenden Regierung eingebracht worden sind, etwa das Mehrwertsteuergesetz, etwa das Stabilitätsgesetz, das zwar verändert worden ist, aber nicht ein Gesetzeswerk dieser Regierung darstellt, sondern von der alten Koalition hier eingebracht worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Scheel hat Ihnen 12 Punkte genannt, elf, in denen Sie bedauerlicherweise keinen Schritt weitergekommen sind, und einen zwölften, in dem bisher die Vernunft gesiegt hat. Bezüglich dieser elf Punkte waren Sie nicht in der Lage, den Gegenbeweis anzutreten, daß Sie in diesen Fragen tatsächlich weitergekommen sind. Das ist ein Tatbestand, der jetzt festzustellen ist.

(Beifall bei der FDP.)

In den Erklärungen, die hier zu den Ausführungen meines Freundes Scheel zur Deutschlandpolitik gemacht worden sind, wurde deutlich, daß leider auch hier bei uns schon offensichtlich unter den gleichen Worten oft verschiedene Dinge verstanden werden. Manchmal hat man das Gefühl, manche wollen einfach nicht verstehen, um was es hier geht.

(Zuruf von der FDP: Oder können es nicht!)

Wenn ich Ihnen, Herr Kollege Müller-Hermann, den guten Willen, weiterzukommen, unterstelle — und ich unterstelle ihn Ihnen gern — und auch Ihre Meinung, daß es dabei selbstverständlich auch auf Gegenseitigkeit der Bereitschaft ankommt, teile, so muß ich doch sagen: das darf doch nicht dazu führen, daß wir bei jeder einzelnen Maßnahme, bevor wir überhaupt zum Handeln kommen, immer erst einmal die Gegenseitigkeit sichergestellt wissen wollen. Mit Recht haben Sie darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, unsere Politik so einzurichten, z. B. mit den Staaten des Warschauer Paktes in ein besseres Verhältnis zu kommen, was Nebenwirkungen auf die DDR hat. Ich frage Sie dann nur: Warum wollen Sie die Möglichkeiten, die hier bestehen, z. B. bei dem noch anstehenden Gesetz über die Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften, dann nicht nutzen, warum setzen Sie dann eine Frist hinein,

(Abg. Rasner: Haben wir schon mal gesagt!)

obwohl wir hier gerade eine gute Möglichkeit hätten, für die anderen Länder innerhalb des War-
8640 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 16.5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. April 1968
Mischnick
schauer Paktes ein positives Zeichen zu setzen und damit unsere eigene Beweglichkeit in der Deutschlandpolitik, in der Ostpolitik zu erhöhen? Überprüfen Sie das doch noch einmal, wenn Sie wirklich überzeugt sind, daß Ihre Wege, die Sie hier gewiesen haben, richtig sind. Aber dann müssen Sie auch in dieser Frage konsequent sein.

(Beifall bei der FDP.)

Es ist im Laufe der Debatte gesagt worden, daß das, was der Kollege Scheel zum Übergang eines Parlamentarischen Staatssekretärs in ein Ministeramt ausgeführt hat, eine gezwungene Konstruktion gewesen sei. Meine Damen und Herren, machen Sie es sich nicht so leicht! Wenn Sie einmal die Debatten über die Schaffung der Parlamentarischen Staatssekretäre nachlesen, werden Sie feststellen, daß gerade von unserer Fraktion deutlich gesagt worden ist: „Sie müssen sich entscheiden. Schaffen Sie über den Staatsminister den Juniorminister, der vorbereitet wird, um in das Amt des Ministers einsteigen zu können, dann müssen Sie dieses Amt auch wie ein Ministeramt nach der Verfassung ausstatten und die entsprechenden Berufsverbote aussprechen. Oder aber Sie gehen den anderen Weg" — den Sie gegangen sind, „den Parlamentarischen Staatssekretär eben nicht wie einen Minister zu stellen, daß er doch einen Beruf nebenher ausüben kann. Dann ist das eben nicht der Juniorminister, den wir uns vorgestellt haben." Nur um diese Frage geht es, die ganz nüchtern einmal behandelt werden muß.

(Abg. Dr. Wörner: Das ist aber etwas ganz anderes, als was der Kollege Scheel gesagt hat!)

— Nein, das ist haarscharf das, was der Kollege Scheel gesagt hat. Ich habe es nur von einer anderen Seite noch einmal ergänzt. — Sie sind den anderen Weg gegangen. Da ist die Frage berechtigt: Ist es dann richtig, einen Parlamentarischen Staatssekretär zum Minister in dem gleichen Ressort zu machen? Nur das soll man ganz nüchtern einmal überdenken, bevor wir hier vielleicht zu Erscheinungen kommen, die Kollege Scheel mit Recht als mögliche negative Folgen einer solchen Entscheidung gekennzeichnet hat.
Zum Abschluß nur ein kurzer Hinweis darauf, daß wieder einmal davon gesprochen worden ist, die Opposition müsse ihre Aufgabe besser erfüllen. Damit kann doch nur gemeint sein, daß es um konkrete Vorschläge gehe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Ihnen eigentlich bewußt, daß diese freie demokratische Opposition Ihnen hier in diesem Hause, seitdem Sie in der Regierung als Große Koalition sitzen, zu 15 Gesetzen Alternativentwürfe vorgelegt hat: zur Notstandsgesetzgebung, zur Strafrechtsreform, zur Frage der Neugliederung, zur Frage der Ausbildungsförderung, zur Frage der Kompetenzneuabgrenzung bei Wissenschaft und Bildung — um nur einige zu nennen —? Das ist doch die Aufgabe der Opposition, die wir wahrgenommen haben, wo Sie aber bis zur Stunde nicht bereit sind, den Wegen, die die Opposition gewiesen hat, auch zu folgen. Im Gegenteil, Sie haben diese Initiativen meistens auf die lange Bank geschoben, sie in die Schublade gelegt, weil es Ihnen unangenehm ist, in diesen Fragen Farbe zu bekennen.

(Beifall bei der FDP.) Darum geht es doch.

Wie weit das geht, dafür zum Schluß noch ein kleines Beispiel. Als die Opposition vor fast einem Jahr einen Antrag einbrachte, den 17. Juni nicht mehr als Feiertag, sondern nur noch als nationalen Gedenktag zu behalten, wurde er fast ein Dreivierteljahr nicht behandelt. Plötzlich beschloß die Bundesregierung das gleiche, was die Opposition vorgeschlagen hatte. Aber anstatt daß nun die Koalitionsfraktionen sich bereit erklärt hätten, in den zuständigen Ausschüssen wenigstens den Regierungsvorschlag aufzunehmen und den FDP-Antrag abzuändern, haben sie nein zum FDP-Antrag gesagt, um am nächsten Tag den Regierungsvorschlag mit dem gleichen Inhalt, wie ihn die Freien Demokraten vorgeschlagen hatten, auf dem Tisch zu haben. Das ist allerdings eine Methode, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, zu der ich nur sagen kann: Sie sagen eben nein, weil es die Opposition gebracht hat, und mag sie noch so recht haben. Damit schaden Sie aber sich und unserem demokratischen Staat.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516509100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0516509200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst ausdrücklich bei meinem Kollegen Alex Möller und bei der Fraktion der SPD sehr herzlich für das bedanken, was er heute von diesem Platz aus zu den Vorgängen — Sie wissen, von welchen Vorgängen ich spreche — auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg gesagt hat. Ich meine, es ist für dieses ganze Hohe Haus von außerordentlicher Bedeutung, daß wir uns klar von Kampagnen, die entweder im Gange sind oder deren Anlaufen abzusehen ist, distanzieren und hier ganz klar Stellung beziehen. Der Vorfall, der sich hier auf der Tribüne zu Beginn dieser Sitzung ereignet hat, war, glaube ich, wiederum eine kleine Demonstration dessen, was sich auf diesem Gebiet tut.
Ich bin der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Große Koalition braucht nicht nur so verstanden zu werden, daß einzelne, in der Regierungserklärung genau bezeichnete Punkte behandelt und verabschiedet werden, sondern sie kann und muß auch einen weiteren und größeren Sinn haben. Auf der einen Seite muß ganz klar allem ein Ende gesetzt werden, was mit der sogenannten Emigrantenhetze zu tun hat, und auf der anderen Seite muß ein Ende damit gemacht werden, daß versucht wird, demokratische Persönlichkeiten, die sich in der Zeit des „Dritten Reiches" tadelfrei geführt haben, zu diffamieren. Wir sehen, daß sich hier allmählich eine ganz klare Taktik entwickelt. Es werden Behauptungen ehrenrührigster Art aufgestellt, und dann wird von dem Betroffenen verlangt,



Dr. Althammer
er möge gefälligst den Unschuldsbeweis führen. Ich glaube, solche Dinge dürfen wir nicht einreißen lassen. Jeder von uns muß sich darüber klar sein, daß diese Methode heute den einen und morgen den anderen treffen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Ich glaube, es ist noch ein weiteres Wort zu diesem Punkte zu sagen. Von diesem Parlament und auch von anderer Stelle aus ist immer wieder die Aufforderung an alle Stellen im Osten ergangen, sie möchten das, was sie hier angeblich oder wirklich an Archivmaterial im Besitz haben, offenlegen und zur Verfügung stellen. Diese Appelle sind immer wiederholt worden, und ich meine, es ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir es ablehnen müssen, eine politische Methode zu unterstützen, je nach Bedarf solche Dinge herauszuziehen, sie aufzubauschen und sie politisch zu mißbrauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube auch, meine sehr verehrten Damen und Herren — und das geht jetzt an die Kollegen von der FDP —, wir müssen uns klar darüber sein, daß wir in diesem Parlament nicht mehr so diskutieren können, als seien wir drei Parteien in der Bundesrepublik allein.

(Abg. Rasner: Sehr richtig!)

Es ist so, daß sich heute linksextreme und rechtsextreme Kräfte gegenseitig hochschaukeln und daß wir alle bei unserem Verhalten im Parlament und auch draußen diese Gesichtspunkte berücksichtigen müssen.
Der Herr Kollege Scheel hat sich in seiner Rede oder nachher in einem Zwischenruf ausdrücklich auch mit zu einem Sprecher der sogenannten außerparlamentarischen Opposition erklärt. Nun, die FDP sitzt im Parlament, und wenn man das so verstehen kann, Herr Kollege Scheel, daß Sie sich bemühen wollen, gewisse außerparlamentarische Kräfte einzufangen und sie in die Reihe von demokratischen Parteien zurückzuführen, dann kann ich Sie dazu nur beglückwünschen.

(Abg. Scheel: Sie können das so verstehen!)

— Sehr gut! — Eine Bemerkung gestatten Sie mir noch, Herr Kollege Scheel. Was man jetzt konkret sieht, gibt leider nicht zu großen Hoffnungen Anlaß. Denken Sie nur daran, wer heute bei Ihnen Vorsitzender des Liberalen Studentenbundes ist und welche Schwierigkeiten hier für die FDP bestehen. Da kann ich nur sagen: Für die Zukunft wünsche ich Ihnen mehr Glück.

(Zurufe von der FDP: Koalitionspartner!)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516509300
Eine Zwischenfrage von Herrn Scheel. — Bitte!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516509400
Herr Kollege Dr. Althammer, wissen Sie, daß der Liberale Studentenbund, dessen Vorsitzender ein Mitglied Ihres Koalitionspartners ist, eine völlig unabhängige Organisation ist, auf deren Entscheidungen wir weder Einfluß haben noch Einfluß zu nehmen gedenken?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0516509500
Herr Kollege Scheel, ich glaube, es wäre hier und da wünschenswert, daß gerade die Bemühungen, solche Kräfte in die demokratischen Parteien hineinzubringen, auch dort angestellt werden könnten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516509600
Gestatten Sie noch eine Frage? — Herr Scheel!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516509700
Darf ich das so verstehen, daß nach Ihrer Meinung die Partei, der der Vorsitzende angehört, nicht zu den demokratischen Kräften gehört, oder habe ich Sie mißverstanden?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0516509800
Herr Kollege Scheel, ich möchte das noch .einmal verdeutlichen. Ich wünsche Ihrer Partei genau wie allen anderen auch, daß die außerparlamentarischen Kräfte in die Parteien hineinkommen.

(Abg. Scheel: Da sind wir uns völlig einig!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Scheel hat dann versucht, einen Katalog der nicht bewältigten Aufgaben aufzustellen. Herr Kollege Scheel, zunächst muß man daran erinnern, daß sich die Große Koalition bewußt war, daß sie nur noch einen beschränkten Zeitabschnitt zur Verfügung hat, um einige Aufgaben 'zu verwirklichen. Man wird also nicht alles, was vielleicht wünschenswert wäre und was in den nächsten Jahren erledigt werden sollte, ihrem Konto 'anrechnen können.
Ich möchte trotzdem noch einmal 'auf Ihre zwölf Punkte zurückkommen. Zu dem ersten Punkt, zur Europapolitik: Ich kanneinfach nicht glauben, daß Ihnen nicht klar geworden ist, wie die Linie der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien in der Europapolitik ist. Man sollte wirklich einmal diese alte Schematik von „Atlantikern" und „Gaullisten" beiseite lassen. Wir alle wissen, wie unsere politische Linie in 'dieser Frage sein muß, nämlich so, daß die Kräfte zusammengeführt werden. Die Bundesregierung hat die Klammer zu 'bilden zwischen diesen Bestrebungen, die hier zweifellos auseinanderlaufen.
Es war ganz interessant, Herr Kollege Scheel, was Sie als Ihr Rezept verkündet haben. Ich darf Ihnen verraten, daß wir uns — an der Spitze der Herr Bundeskanzler, aber wir alle mit ihm — sehr intensiv und oft mit der Frage befaßt haben, wie diese Sache am günstigsten angepackt werden kann. Bis heute sind wir der Meinung, daß der Weg, den Sie vorgeschlagen haben, bei einer Persönlichkeit wie dem Staatspräsidenten Frankreichs nicht der geeignete Weg wäre.
Es geht also nur darum — wenn wir das übereinstimmend feststellen können —, das gleiche Ziel zu erreichen. Wir 'unterhalten uns über die Methoden, mit denen das möglich ist. Hier können wir auch mit der Opposition 'in einen durchaus fruchtbaren Diskurs kommen.



Dr. Althammer
Der zweite Punkt, den Sie angeschnitten haben, betrifft die Verteidigungspolitik. Wir werden selbstverständlich über diesen Komplex noch eine ausführlichere Debatte beim Einzelplan 14 haben. Aber so viel kann man jetzt schon sagen, daß auch hier im Hause sicherlich zur Kenntnis genommen worden ist, daß die veränderten Voraussetzungen der NATO-Konzeption gerade in diesen Monaten in intensiver Arbeit umgesetzt worden sind in die weitere Verteidigungsstruktur bei uns in der Bundesrepublik. Wir werden uns über die einzelnen Punkte dann noch zu unterhalten haben, wenn z. B. die Kürzungsvorschläge der FDP, von denen 'ich gehört habe, hierzu vorgetragen werden.
Der dritte Punkt war die Deutschlandpolitik. Dabei haben Sie, Herr Kollege Scheel, die beiden Persönlichkeiten Minister Wehner und Staatssekretär Guttenberg zitiert. Ich meine, auch Sie dürften inzwischen erfahren haben, 'daß dieses Gegensatzpaar seit vielen, vielen Monaten bei uns nicht mehr aktuell ist. Das dürfte sich auch bei Ihnen herumgesprochen haben.

(Abg. Scheel: Nicht in allen Fällen, aber in der Frage bestimmt!)

Generell — das gilt vielleicht nicht nur für diesen Punkt, sondern auch für andere Punkte — wird man sagen müssen: wenn schon verlangt wird, daß dieses Parlament auch in den Zeiten der Großen Koalition die Stätte der Diskussionen und Entscheidungen sein soll, dann müßten Sie doch eigentlich froh darüber sein, daß das wirklich der Fall ist, was Vorredner schon gesagt haben, daß nämlich die Bildung einer Großen Koalition nicht Einheit in jeder Frage bedeutet, sondern daß hier durchaus noch unterschiedliche Meinungen da sind. Das Entscheidende ist nur, daß sie einfließen in eine gemeinsame Aktion. Das ist doch gerade in der Deutschlandpolitik wirklich und wahrhaftig in ausreichendem Maße geschehen.
Der nächste Punkt, den Herr Kollege Scheel hier angesprochen hat, ist die Notstandsgesetzgebung. Bei der Frage der Notstandsgesetzgebung wird man sagen müssen: wenn die FDP so sehr daran interessiert ist, daß ein Ergebnis bis zum nächsten Jahr zustande kommt, dann ist sie recht herzlich eingeladen, mitzuarbeiten und dieses Ergebnis mit herbeiführen zu helfen. Wir haben gerade nach dem Parteitag der SPD die Hoffnung, daß in dieser Frage in den nächsten Monaten die Entscheidung fallen wird, wie es auch der Herr Bundeskanzler hier angedeutet hat, daß wir hier bis 1969 das Problem der Notstandsgesetzgebung vom Tisch bekommen. Das hätte vor allem auch den erwünschten Effekt, daß endlich draußen die unglaubwürdige Agitation zu Ende geht, die den Leuten glauben machen will, die Notstandsgesetzgebung bedeute bei uns das Ende der Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Frage der Gebietsreform ist einer der Punkte, von denen ich sagen würde: sie steht nicht im Regierungsprogramm, und sie ist sehr wohl überlegenswert. Sie betrifft eine Sache, die seit vielen Jahren hier im Hause zur Diskussion steht. Sie ist aber kein Kriterium, an dem die Große Koalition und ihr Erfolg gemessen werden kann.
Ganz ähnlich ist es mit dem pauschalen Begriff „Sozialreform. Darin schwimmen eine ganze Menge Einzelprojekte. Hier ist auch schon angesprochen worden, was konkret verwirklicht worden ist. Man wird also sagen können, daß auf dem Gebiet der Sozialpolitik absolut eine positive Bilanz feststellbar ist.
Ein interessanter Punkt ist natürlich das Verkehrsprogramm, das hier schon angesprochen worden ist. Aber, Herr Kollege Möller, ich glaube, man kann in der Frage „Verkehrsprogramm" nicht die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers bemühen. Denn das, was sich sozusagen als Kontrastvorschläge herauskristallisiert hat, kam ja aus der Mitte des Hauses. Mein Vorredner hat schon gesagt — ich meine meinen Kollegen Müller-Hermann —, daß er davon überzeugt ist, daß wir noch in diesem Jahr zu einem positiven Ergebnis kommen. Deshalb deute ich auch diesen Vorgang durchaus positiv so, daß das Parlament nicht unkritisch eine Regierungsvorlage als unveränderbar hinnimmt und verabschiedet, sondern daß es sich durchaus bemüht, gestaltend einzugreifen. Wenn wir im Endergebnis dann etwas Besseres verabschieden als. den Regierungsentwurf, dann kann uns das nur recht sein.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Zur Frage der Finanzreform! Herr Kollege Scheel, bei der Finanzreform wird doch niemand bestreiten können, daß Gesetzentwürfe auf dem Tisch liegen. Jeder, der diese Dinge mitverfolgt hat, weiß doch, wie schwierig die Vorbereitung des Ganges bis hin zur Verabschiedung im Kabinett und zur Behandlung im Bundesrat in dieser Woche war und ist. Hätte man sich in dieser Frage der Finanzreform nicht so intensiv bemüht, rechtzeitig mit den Ländern ins Gespräch zu kommen, dann wäre hier doch noch viel weniger zu 'erwarten, daß mit der Zustimmung der Länder ein vernünftiges Ergebnis herauskommt. Wir werden — darüber sind wir uns völlig klar — alle Kräfte anstrengen müssen, wenn wir die Finanzreform noch vor der nächsten Bundestagswahl verabschieden wollen. Aber auch hier geht es einfach darum, daß man sich auf die Aufgabe konzentriert. Dann wird auch das möglich sein.
Zur Energiepolitik werden wir noch diese Woche das Kohlenanpassungsgesetz verabschieden, so daß allein schon die Tagesordnung dieser Woche ganz klar beweist, daß auch insoweit der Vorwurf nicht berechtigt ist.
Zum nächsten Punkt, der Bildungsreform, möchte ich folgendes sagen. Auch hier ist doch wiederholt darauf hingewiesen worden, daß gerade im Rahmen der Finanzreform auch das Probleme der Bundes- und Länderzuständigkeit auf dem Gebiete der Bildungsreform ganz deutlich angesprochen worden ist. Wir haben bereits neben dem Wissenschaftsrat auch den Bildungsrat geschaffen, und wir wollen mit der Gemeinschaftsaufgabe, die in diesem Katalog enthalten ist, ein gutes Stück weiter vorankommen. Ich meine; daß gerade auf diesem Sektor die Bilanz — auch was den Haushalt anbetrifft — sich durchaus sehen lassen kann.



Dr. Althammer
Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu der nächsten Frage, zur Wahlrechtsfrage. Ich glaube, hier ist ein wesentlicher Punkt angesprochen. Auch ich gehöre zu den Abgeordneten, die immer wieder einmal die Regierungserklärung zur Großen Koalition nachlesen. In der Regierungserklärung ist ausdrücklich von einer Befristung die Rede, und ich meine, daß das für unsere Demokratie ein entscheidender Punkt ist. Ich darf sagen: ich persönlich habe vor dem Schritt des ausgeschiedenen Bundesinnenministers den allerhöchsten Respekt, weil ich ihn unter diesem Aspekt sehe, daß wir einfach ganz klar erkennen müssen, daß eine Große Koalition auf viele Jahre hinaus der demokratischen Entwicklung in unserem Land auf jeden Fall nicht förderlich wäre. Es geht also wirklich entscheidend darum, die Weichenstellung dahin vorzunehmen, daß hier Alternativen geschaffen werden.
Es ist sehr schade, daß der Kollege Scheel jetzt nicht mehr im Saal ist. Es hätte mich nämlich interessiert, etwas Näheres zu seiner Erklärung zu hören, daß die FDP ja doch bereit wäre, mit jeder im Saal vertretenen Fraktion eine Koalition zu bilden. Ich habe das so verstanden, daß jetzt doch wohl für den Zeithistoriker klar ist, wie 1966 die Weichenstellung von seiten der FDP her war. Das haben nun eine ganze Reihe von Rednern im Laufe der letzten Monate verraten, daß nämlich von seiten der FDP her damals bei den Koalitionsverhandlungen die Weichen ganz klar und eindeutig in Richtung auf eine Mini-Koalition gestellt waren. Nun, das gehört der Vergangenheit an. Ich glaube, die FDP wird aber in den nächsten Monaten die Frage zu beantworten haben, ob eine solche Fixierung nach einer Richtung auch für die Zukunft gilt oder ob sie in der Tat hier in der Zukunft für jede politische und koalitionsmäßige Entwicklung offen ist, über die wir selbstverständlich — das hat ja Herr Kollege Scheel auch durch einen Zwischenruf gesagt — erst nach der Bundestagswahl 1969 reden wollen.

(Zurufe von der FDP.)

Das ist eine Sache, die in der Tat sehr ernst zu nehmen ist; denn es besteht doch wohl Klarheit darüber, daß sich eine solche Erscheinung wie die sogenannte außerparlamentarische Opposition nur deshalb bilden konnte, weil eben manche Kräfte offenbar nicht mehr das Gefühl haben, im Rahmen einer großen demokratischen Partei ihre Oppositionsgefühle abreagieren zu können. Ich meine, das müssen wir uns mit allem Ernst überlegen.
Ich bin der Überzeugung, daß die demokratischen Parteien, die hier in diesem Hause vertreten sind, alle Anstrengungen unternehmen müssen, um alles einzufangen, was überhaupt auf dem Boden der Demokratie steht, und dann auch einen klaren Trennungsstrich ziehen müssen — so, wie Kollege Scheel das gesagt hat — zwischen außerparlamentarischer und antiparlamentarischer Opposition. Das ist in der Tat, glaube ich, eine sehr maßgebliche Entscheidung. Manche demokratischen Politiker, die 20 Jahre ihrer Schaffenskraft dem politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau gewidmet haben, stehen heute verblüfft vor der Situation, daß unsere junge Generation eine ganz andere Haltung zu dieser Leistung der vergangenen 20 Jahre einnimmt. Die CDU/CSU ist nach 1945 angetreten mit einer deutlichen Betonung ihrer geistigen Grundlagen in der politischen Arbeit. Man hat es häufig als einen demokratischen Fortschritt empfunden, daß sich mit den Wahlerfolgen der beiden großen Parteien die weltanschaulichen Konturen abgeschwächt hätten. Dabei ging man davon aus, daß Freiheit und Wohlstand der Welt des Geistes den fruchtbaren Boden bieten würden, auf dem sie sich glänzend entfalten könnte. Die Frage nach dem Sinn der Freiheit wurde mit dem Hinweis auf unsere pluralistische Gesellschaft beantwortet. Heute müssen wir erkennen, daß dies einem Teil unserer Jugend zuwenig ist. Der Herr Bundeskanzler hat gerade diesen Punkt wiederholt sehr deutlich hervorgehoben. Ich bin der Überzeugung, daß es, wenn wir unserer jungen Generation wieder in verstärktem Maße Ziele bieten, wenn wir sie mit positiven Aufgaben fordern, möglich sein wird, den Verruf zu beseitigen, in den die Parteien zum Teil gekommen sind, den Verruf nämlich, daß es uns nur um materielle Dinge gehe. Ich glaube, es wäre falsch, davon auszugehen, daß sich allein darauf unsere politische Tätigkeit beschränken kann, und es ist wohl zweckmäßig, das am Beginn einer solchen Debatte über den Haushalt noch einmal zu betonen. Bei aller Diskussion über Konjunktur-, Haushalts- und Stabilitätsprobleme müssen wir uns immer darüber im klaren sein, daß es in erster Linie darum geht, unsere junge Generation mit großen Zielen anzusprechen. Wenn wir das wieder verstehen, wird es uns auch möglich sein, die in Mode gekommene antidemokratische Bewegung zum Stillstand zu bringen und die große Mehrheit der kritischen Jugendlichen wieder zu uns zu führen und mit ihnen in ein Gespräch zu kommen, das schließlich einmündet in einen Consensus mit dieser demokratischen Staatsordnung, für die wir hier arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516509900
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache über den Einzelplan 04.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/2704 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe dann auf:
2. Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
— Drucksache V/2705 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Conring Abgeordneter Dr. Abelein
dazu
Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Griechenland
— Drucksachen V/1989, V/2608 — Berichterstatter: Abgeordneter Blumenfeld



Dr. Mommer
Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) über den . von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Antrag betr. Entschließungen des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa
— Drucksachen V/2157, V/2801 —Berichterstatter: Abg. Dr. Kliesing (Honnef)

Es ist wohl zweckmäßig, daß wir in die Debatte auch den Entschließungsantrag zur Vietnam-Frage Umdruck 386 *) .einbeziehen, über den wir in der dritten Lesung dann abstimmen werden. — Darüber herrscht Einverständnis.
Ich eröffne zunächst die allgemeine Aussprache. —Das Wort hat ,der Herr Abgeordnete Kiep.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516510000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit und der Tatsache, daß meine Herren Vorredner sich schon sehr weitgehend zu den Bereichen der auswärtigen Politik geäußert haben, werde ich mich kurz fassen.
Wir haben die Erklärung des amerikanischen Präsidenten sowohl in bezug auf seine eigene Person als auch zur Einstellung des Bombenkrieges gegen Nordvietnam mit Sympathie und Bewegung zur 'Kenntnis genommen. Wir hoffen, daß, wenn die inländischen Aktionen gegen das US-Engagement kein primitiver oder selbstmörderischer Anti-Amerikanismus waren, jetzt die Anti-Amerika-Demonstranten mit aller Kraft auf die andere Seite, auf Hanoi, einwirken werden, nunmehr friedenspolitisch gleichzuziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Über das Thema Vietnam im besonderen wird mein Kollege Erik Blumenfeld noch Ausführungen zu machen haben. Der Vietnam-Konflikt wirft gleichzeitig die Frage für uns alle auf: Was können wir, was kann die Bundesrepublik in Zukunft dazu beitragen, daß neue derartige Konfliktherde in der Welt nicht entstehen, und was kann sie dazu beitragen, daß ' schon im Gang befindliche Konflikte sich nicht ausweiten? Das ist die entscheidende Frage, nicht nur für Südostasien, sondern für die gesamte Welt schlechthin.
Ich glaube, wir können hierzu nur dann einen Beitrag leisten, wenn es uns gelingt, auch durch unseren Einsatz überall da in der Welt, wo sich Sprengstoff in Form von Gegensätzen angesammelt hat, durch tatkräftige, zweckmäßige und gute Entwicklungshilfe dafür zu sorgen, daß diese Spannungen abgebaut werden, die in fast allen Fällen den Nährboden zukünftiger politischer und später auch militärischer Unruhen und Verwicklungen abgeben. Die Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Großen Koalition — der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen — haben im Rahmen ihrer mittelfristigen Finanzplanung gerade diesem Gebiet durch besondere Dotierung dieses Etats besondere Bedeutung beigemessen.
*) Siehe Anlage 2
Es ist vorhin von der Opposition einiges zu der Frage der deutschen Beziehungen zu Osteuropa und der Sowjetunion gesagt worden. Ich möchte mir hier erlauben, einige wenige kurze Bemerkungen an die Adresse der Opposition zu richten. Ein Zuhörer hier im Saal, der die Vergangenheit nicht kennt und die historische Entwicklung der letzten Jahre nicht übersieht, hätte den Eindruck gewinnen können, als ob erst die Opposition die Bedeutung der Verbesserung der Beziehungen zu Osteuropa und zur Sowjetunion erkannt habe und daß diese Regierung der Großen Koalition ebenso wie frühere Bundesregierungen auf Ermunterung durch diese Opposition angewiesen sei, um hier zu Ergebnissen zu kommen.
Ich möchte daran erinnern, daß das, was der Herr Oppositionsführer Scheel hier vorgetragen hat, weiß Gott in keiner Hinsicht etwas Neues war. Auch die Vorschläge, die er zu konstruktiven Gedanken zu einem europäischen Sicherheitssystem gemacht hat, sind nichts Neues. Ich darf daran erinnern, daß die Regierung Adenauer schon vor vielen Jahren den beiden Eden-Plänen zugestimmt hat, daß die Bundesregierung 1959 dem westlichen Friedensplan zugestimmt hat, der eine allgemeine kontrollierte Abrüstung, regionale Abrüstung in Europa und Wiedervereinigung in Stufen vorsah, daß die Bundesregierung Gewaltverzichtserklärungen abgegeben hat, die in den Pariser Verträgen niedergelegt sind, und daß im Zusatzprotokoll zu diesen Verträgen die Bundesregierung als einzige auch auf nukleare Waffen verzichtet hat. Ich könnte noch eine ganze Reihe derartiger Erklärungen und konstruktiver Beiträge früherer Bundesregierungen und dieser Bundesregierung zu diesen Themen anführen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß diese Bundesregierung in gar keiner Weise etwa die Bedeutung der Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion über ihrer Osteuropapolitik vergessen hat. Davon kann gar keine Rede sein. Wir alle wissen, daß die Beziehungen zur Sowjetunion verbessert werden müssen, wenn wir mit unserem Anliegen weiterkommen wollen. Wir wissen, daß unsere Bemühungen in Richtung auf Osteuropa nicht gegen die Sowjetunion gerichtet sind, auch wenn die Sowjetunion in ihren Reaktionen auf diese Politik gelegentlich diesen Anschein erweckt. Ich meine, daß die bisherigen Reaktionen der Sowjetunion nicht immer förderlich waren. Wir sind in unseren Bemühungen, gerade die Dinge zu tun, die die Sowjetunion der Bundesrepublik immer anrät, durch die Reaktionen der Sowjetunion nicht immer unterstützt worden. Ich meine, daß in diesem Zusammenhang gerade auch die Bundeswehr von der Sowjetunion immer wieder als falsches Beispiel für angebliche deutsche Aggressionsabsichten herangezogen wird. Ich möchte gern das Auswärtige Amt — und wir sprechen ja heute über den Etat des Auswärtigen Amts — einmal fragen, ob man nicht gerade. im Hinblick auf diese ständige Angriffsrichtung der sowjetischen Propaganda einmal überlegen könnte, die Einrichtung von Militärattachés an der deutschen Botschaft in Moskau und der sowjetischen Botschaft in Bonn zu erwägen. Das könnte dazu beitragen, daß sich die Sowjetunion hier an Ort und Stelle von den



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friedlichen Absichten der Integration und der besonderen Konstruktion der Bundeswehr als eines in die NATO eingebetteten Verteidigungsinstruments überzeugen könnte. — Ich stelle aber zu meinem Bedauern fest, daß das Auswärtige Amt nicht mehr vertreten ist, während wir hier über seinen Haushalt beraten.

(Zuruf: Doch! — Irrtum! — Herr Minister Wehner!)

Ich glaube, daß die besondere Bedeutung der Zukunft des Verteidigungsbündnisses schon angeklungen ist. Ich möchte auf eine Bemerkung des Herrn Oppositionsführers, des Kollegen Scheel, eingehen. Herr Scheel hat — das zog sich wie ein roter Faden durch seine Ausführungen und das zieht sich wie ein roter Faden durch verschiedene Ausführungen, die wir in den letzten Monaten von der FDP hören konnten — so getan, als ob die Dinge in Ost und West eigentlich mehr oder weniger gleichzusetzen wären. Er sprach z. B. davon, daß die Sicherheit Europas heute durch die Sowjetunion und die USA garantiert werde. Diese Darstellung scheint mir jedoch — ich darf mich sehr zurückhaltend und höflich ausdrücken — nicht ganz den Tatsachen zu entsprechen. Diese Gleichmacherei zwischen NATO und Warschauer Pakt, zwischen EWG und Comecon, zwischen der Bundesrepublik und Ostdeutschland, führt doch letzten Endes nur dazu, daß den Menschen nicht nur in unserem Land, sondern auch in den befreundeten Ländern des Westens Sand in die Augen gestreut wird.

(Abg. Dr. Kliesing [Honnef] : Sehr richtig!)

Sie hat meiner Ansicht nach schon dazu geführt, daß sich die FDP bei diesem Prozeß Sand in die eigenen Augen gestreut hat, daß sie schon auf dem besten Wege ist, diese Fata Morgana mit tatsächlichen Oasen in der politischen Wüste zu verwechseln, der wir uns heute gegenübersehen. Es ist zwar in einem Wahlkampf sehr populär, die Dinge als halb so schlimm darzustellen. Aber wir wehren uns gegen die Banalisierung lebensgefährlicher Probleme.
Herr Kollege Scheel hat hier gesagt, die Entspannung sei bereits eingetreten. Darauf kann ich nur erwidern, daß das eine Hoffnung ist, die wir alle haben, ein Wunsch, den wir alle hegen, Ziel einer Politik, die wir alle betreiben, aber ein Zustand ist, der leider noch nicht eingetreten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Scheel hat von einem neuen Sicherheitssystem gesprochen, und er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, das sei natürlich nicht dadurch zu erreichen, daß man etwa die Rüstungsanstrengungen verstärke. Er hat gesagt, das müsse ein politisches Sicherheitssystem sein. Er hat im gleichen Atemzug davon gesprochen, daß die USA auf Grund ihres Engagements in der Welt — wir wissen, daß er da leider nur allzu recht hat — auf die Dauer nicht mehr in der Lage sein dürften, ihr Engagement in Europa im jetzigen Umfange aufrechtzuerhalten. Er meinte, wir sollten sozusagen den Amerikanern helfen, damit sie sich hier Entlastung verschaffen könnten.
Dieser Meinung wären wir auch, wenn wir eine Möglichkeit sähen, einen solchen Schritt ohne eine einseitige Schwächung des Westens zu tun. Damit kommen wir wieder zu der Illusion des Herrn Oppositionsführers, der eben unterstellt, daß sich gewisse Auflösungserscheinungen im Ostblock militärisch bereits niedergeschlagen hätten.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) Davon kann überhaupt keine Rede sein.


(Vorsitz: Vizepräsident Scheel.)

Alle militärischen Lagebeurteilungen, die auch der Opposition zugänglich und ihr damit bekannt sind, gehen davon aus, daß sich der Stand der östlichen Allianz, was Integration, was Ausrüstung und was Qualität betrifft, laufend verbessert hat. Es besteht hier also überhaupt kein Anlaß, einseitige Abstriche an unseren Sicherheitsmaßnahmen vorzunehmen.
Ich glaube, daß die Frage, inwieweit die Politik der Großen Koalition oder die Äußerungen der Opposition geeignet sind, Illusionen zu erwecken, nicht so leicht beantwortet werden kann, wie das die Opposition heute getan hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Genscher.)

— Herr Genscher, wenn Sie vielleicht einen Moment warten, dann sage ich es gern noch einmal, damit Sie es mithören können. Ich hatte gesagt, ich wäre außerordentlich dankbar, wenn Sie sich darüber klar würden, daß Sie mit Ihren Äußerungen eher dazu beitragen, daß Illusionen in unserer Bevölkerung und bei unseren Freunden geweckt werden, als die Politik der Großen Koalition dazu geeignet ist.

(Abg. Genscher: Welche Äußerungen meinen Sie konkret?)

— Ich kann leider jetzt nicht meine gesamten Ausführungen wiederholen, die ich gemacht habe, während Sie, Herr Kollege Genscher, gelesen haben. Das würde zu weit führen. Aber Sie können es dann im Protokoll nachlesen.

(Abg. Genscher: Welche Äußerungen meinen Sie mit Illusionen? — Zuruf von der CDU/CSU: Er hat es ja vorhin gesagt! — Gegenruf von der FDP: Hat er nicht gesagt!)

— Herr Genscher, ich meine, daß Sie, die Freien Demokraten, in der heutigen Debatte und in den früheren Debatten — ich erinnere mich an die Debatte zur Lage der Nation — darauf hingewiesen haben, daß die Politik der Großen Koalition und die Äußerungen ihrer Kabinettsmitglieder geeignet seien, Illusionen zu wecken, und daß heute auch die Enttäuschung der Jugend, die Enttäuschung weiter Kreise unserer Bevölkerung darauf zurückzuführen sei, daß eben solche Illusionen geweckt worden seien.

(Zuruf von der FDP: Das stimmt ja auch!)

Ich erlaubte mir die Erwiderung, daß die Äußerungen der Opposition heute und früher sicherlich mehr dazu angetan sind, solche Illusionen zu wecken. Ich darf mich dabei insbesondere einmal beziehen auf



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die Äußerung des Führers der Opposition, des Kollegen Scheel, der vor diesem Hause und vor der Bevölkerung z. B. das Bild eines Sicherheitssystems aufgezeichnet hat, das völlig unrealistisch ist und das von Voraussetzungen ausgeht, die einfach nicht eingetreten sind. Er hat gesagt, die Entspannung ist eingetreten. Herr Kollege Genscher, .die Entspannung ist nicht eingetreten. Wir hoffen, daß sie eintritt, und diese Entspannung ist das Ziel unserer gesamten Politik und aller unserer Anstrengungen, aber man kann doch nicht behaupten, daß heute in Europa Zustände eingetreten sind, die einen einseitigen Verzicht, eine einseitige Schwächung der Verteidigungs- und Abschreckungskraft des nordatlantischen Bündnisses zulassen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Genscher: Das habe ich nicht gesagt!)

— So mußten aber diese Äußerungen — das muß
ich Ihnen schon sagen — leider verstanden werden.

(Abg. Genscher: Das ist eine Unterstellung!)

— Ich bin gern bereit, eine Frage zu beantworten, wenn Sie eine haben, Herr Genscher, sonst aber wird es, glaube ich, ein bißchen schwierig. — Bitte schön!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516510100
Herr Genscher!

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516510200
Herr Kollege, würden Sie bitte sagen, mit welchem Satz oder mit welchem Vorschlag der Sprecher der Opposition eine Schwächung der Verteidigungskraft des atlantischen Bündnisses vorgeschlagen hat?

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516510300
Herr Genscher, der Führer der Opposition hat in seiner Rede in der Debatte heute nachmittag vorgeschlagen, man müßte ein neues europäisches Sicherheitssystem schaffen, weil die Amerikaner wegen ihres großen weltweiten Engagements hier Entlastung finden müßten. Wir, die Bundesrepublik, sollten unseren Freunden, den Amerikanern, zu dieser Entlastung verhelfen, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Truppen aus Europa abzuziehen. Zu diesem Zweck wäre es notwendig, hier ein neues sicherheitspolitisches Konzept zu entwickeln, das aber nicht darin bestehen könnte, daß wir etwa unsere Rüstungsanstrengungen vergrößern, vielmehr müßte man das eben politisch machen.

(Lachen bei der FDP.)

Erlauben Sie mir in aller Bescheidenheit die Anmerkung, daß ich das für ein bißchen unrealistisch halte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Bitte schön!

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516510400
Herr Kollege, würden Sie mir zugeben, daß eine Sicherheitspolitik, die sich nur auf Mannschaftsstärken und Zahlen im Verteidigungsetat, nicht aber auf eine offensive Politik der Entspannung gründet, eine sehr unrealistische Sicherheitspolitik wäre?

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516510500
Ich gehe sogar noch weiter, Herr Genscher. Ich würde sagen, daß beim heutigen Stande der Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa beide Dinge unbedingt notwendige Voraussetzungen sind. Wir können weder eine erfolgreiche Entspannungspolitik betreiben ohne das notwendige sicherheitsmäßige Fundament im Westen, noch können wir heute, würde ich meinen, auf Grund einer womöglich vorhandenen starken Rüstung des Westens auf diese Entspannungspolitik verzichten. Beides gehört zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir in der Christlich-Demokratischen Union meinen, Herr Genscher, daß es notwendig ist, auf sicherheitspolitische Abstriche, Konzessionen, Verminderungen nur dann einzugehen, wenn eine tatsächliche Reziprozität gesichert ist. Einseitige Maßnahmen dieser Art erscheinen uns nicht geeignet, die Entspannungspolitik zu fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516510600
Würden Sie noch eine weitere Zwischenfrage gestatten?

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516510700
Gestatten nicht nur; es ist mir eine Freude am späten Abend.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516510800
Wollen Sie, Herr Kollege, bestreiten, daß die mit Zustimmung der Bundesregierung vorgenommene permanente Reduzierung der westlichen Truppen eine einseitige Maßnahme ist?

(Abg. Dr. Barzel: Er hat das beklagt!)

Mit Zustimmung der Bundesregierung, habe ich gesagt, oder gegen Ihren Willen. Das müßten Sie natürlich sagen; dann wissen Sie mehr als ich.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516510900
Verehrter Herr Genscher, ich weiß sicher auf diesem Gebiet nicht mehr als Sie. Aber ich möchte Ihnen nur sagen, daß wir diesen Truppenabzug bedauert haben und auch weitere Truppenabzüge bedauern würden, weil wir glauben, daß die sicherheitspolitischen Voraussetzungen für solche Truppenabzüge in keiner Weise gegeben sind.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Genscher: Dann stimmen Sie doch nicht zu!)

— Herr Genscher, ich glaube, Sie erwarten nicht von mir, daß ich darauf antworte.

(Abg. Genscher: Doch!)

Aber ich darf noch ein weiteres Zitat des Herrn Oppositionsführers anführen. Der Herr Oppositionsführer hat heute hier im Bundestag erklärt, daß sich die Amerikaner und die Sowjetunion sozusagen schon in der Entspannung befunden hätten. Meiner Ansicht nach ist das auch das, was wir Antizipierung von noch nicht eingetretenen Ereignissen nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sicherlich sind die Vereinigten Staaten um diese Entspannung bemüht, und sicherlich ist unsere Ostpolitik eine wertvolle Ergänzung für diese Bemühungen zwischen Amerika und der Sowjetunion.



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Aber wir dürfen doch nicht verkennen, daß diese
Ereignisse noch nicht eingetreten sind. Ich glaube, es wäre schrecklich für den Westen, wenn wir glaubten, wir könnten schon jetzt solche Maßnahmen einleiten, die wir hoffentlich dann bald einleiten können, wenn die gewünschten Ergebnisse auch tatsächlich sichergestellt sind.
Ich glaube, daß auch noch ein letztes kurzes Wort über einige innerdeutsche Bemerkungen des Oppositionsführers und auch des Herrn Kollegen Mischnick notwendig wäre. Es ist auch hier so getan worden, als ob wir — d. h. die Parteien der Großen Koalition und die Bundesregierung — eigentlich nicht bereit wären, irgend etwas Wesentliches zu tun, was eventuell zu einem Durchbruch in dieser Frage führen könnte. Herr Kollege Mischnick hat darauf hingewiesen, daß eben hier mit neuen mutigen Maßnahmen und neuen mutigen Druchbrüchen an dieses Problem, das sich verhärtet habe, herangegangen werden müsse.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: ich kann mir eigentlich keinen weitergehenden Schritt vorstellen als das Angebot des Bundeskanzlers, sich zur Besprechung der anstehenden Fragen zwischen der Bundesrepublik und Ostdeutschland mit dem Herrn Stoph an einem von Herrn Stoph zu benennenden Punkt zu treffen. Ich glaube, daß die Antwort und die Reaktion, die wir bisher auf alle Versuche — und dies war nur einer von vielen — bekommen haben, eigentlich im Augenblick keine große Hoffnung zulassen, daß wir durch weitergehende Aktionen eventuell mehr erreichen würden. Ich meine auch, daß wir uns durch den Anerkennungsfanatismus, der zur Zeit so sehr im Schwung ist, nicht zur Aufgabe von Positionen verleiten lassen sollten, durch die im Augenblick nicht irgendeine Reaktion der anderen Seite, geschweige denn der Beginn wirklich bedeutungsvoller Gespräche in den uns interessierenden Fragen herbeigeführt werden kann.
Wir sind uns der Bürde sehr wohl bewußt, die wir mit der Teilung Deutschlands und der besonderen Situation Berlins zu tragen haben. Wir sind aber nicht der Meinung, daß wir diese Bürde sozusagen überflüssigem Ballast gleichsetzen sollten. Wir halten diese Pflichten, die wir hier als freiheitliche Demokraten übernommen haben, die das Grundgesetz präzisiert hat und für die wir arbeiten, nicht für überflüssigen Ballast. Das ist eine sehr schwere, aber auch tragbare Bürde. Ich glaube, daß derjenige, der sie nicht mit tragen will, sich darüber klar sein muß, daß er eine Politik betreibt, die zwar den Schwierigkeiten aus dem Wege geht, die hier und da auch Beifall finden wird, die aber niemals Basis für eine stabile, von allen Teilen unseres Volkes und allen Ländern Europas getragene Friedensordnung sein kann, zu der vor allen Dingen das ganze deutsche Volk ja sagen kann. Ich glaube, Kontinuität und Glaubwürdigkeit unserer Politik hängen entscheidend davon ab, daß wir auf diesem Wege weitergehen, bis eines Tages Gespräche über diese Fragen möglich sind. Ich kann Ihnen versichern, meine Damen und Herren, daß die Christlich-Demokratische Union, wenn solche Gespräche einmal begonnen haben, keinen Gedanken nicht denken wird, der geeignet erscheint, daß wir in dieser
Schicksalsfrage unseres Landes zum Ziel kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516511000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516511100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht an das Rednerpult gekommen, um dem Herrn Kollegen Althammer auf die freundliche Koalitionsofferte, die er uns hier vor-. gelegt hat, zu antworten. Über Koalition, Herr Kollege Althammer, und über die Frage, wer mit wem kann oder will, wollen wir uns nach der nächsten Wahl unterhalten. Wir sind ein schlechter Partner — —

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind ein schlechter Partner für Angebote, die auf der einen Seite darauf hinauslaufen, unsere weitere Mitwirkung in diesem Bereich auszuschalten, und auf der anderen Seite darauf, mit uns zusammenzuarbeiten. Hier müssen Sie erst einmal eine klare Entscheidung treffen; dann können wir über die Grundsatzfrage erneut reden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516511200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516511300
Bitte schön!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0516511400
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen entgangen, daß ich ausdrücklich betont habe, wir seien auch mit Ihren Sprechern darin einig, daß diese Koalition auf jeden Fall bis 1969 weiterzuführen ist?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516511500
Ihre feste Absicht ist für mich natürlich ganz unbestritten. Aber Sie sind ja ein zukunftsschauender Politiker, Herr Kollege Althammer.

(Abg. Rasner: Aber nun begraben Sie mal Ihr Trauma!)

— Das ist gar nicht mein Trauma. Wissen Sie, da hat jemand anderes traumatische Vorstellungen gehabt, und er hat deshalb heute hier unten gesessen und nicht mehr da oben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier geht es um die Frage der europäischen Sicherheitspolitik. Ich glaube, die Ausführungen des Kollegen Leisler Kiep geben Veranlassung, hier aus unserer Sicht noch einmal etwas zu sagen. Es ist unbestritten, daß auf der westlichen Seite des Bündnisses erhebliche Veränderungen vor sich gehen. Wir befinden uns in einem Zustand der Desintegration der NATO. Die französischen Truppen sind aus dem Oberkommando der NATO ausgeschieden. Die Amerikaner und Engländer machen das durch eine teilweise Desintegration, d. h. durch einen Abzug von Truppen vom europäischen Kontinent. Es sollte angesichts dieser Situation, die keineswegs zu einem Abschluß gekommen ist, Herr Kollege, sondern weitergeht, Aufgabe jedes deutschen Politikers sein, dafür Sorge zu tragen, daß die bestehenden



Genscher
Paktsysteme auf europäischem Boden in einer europäischen Sicherheitsordnung aufgehen können, die auch dann diesem Teil Deutschlands und, wie wir hoffen, einmal dem ganzen Deutschland Sicherheit bietet, wenn die Amerikaner nicht oder nicht mehr im bisherigen Maße in Europa präsent sind.

(Abg. Dr. Wörner: Aber wenn das nicht ein frommer Wunsch bleiben soll, dann müssen Sie sagen, wie Sie das machen wollen!)

— Herr Kollege, die Frage — —

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516511600
Zu einer Zwischenfrage Herr Kollege Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0516511700
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen bei dieser Darstellung denn auch bewußt, daß der Kollege Dr. Barzel bei seiner bekannten Rede in Amerika gesagt hat, daß die Frage der Sicherheit nicht das primäre Anliegen der Sowjets sein würde, sondern daß man das Problem auch dadurch lösen könnte, daß bei einem wiedervereinigten Deutschland auch in diesem Teil Deutschlands sowjetische Truppen anwesend sein könnten?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516511800
Herr Kollege Dorn, diese Aussage des Kollegen Barzel steht mir immer als warnendes Beispiel vor Augen. Aber ich beabsichtige, mich hier nur mit solchen politischen Meinungen auseinanderzusetzen, die nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb des Parlaments vertreten und aufrechterhalten werden. Das ist auch der Grund, meine Damen und Herren, warum wir uns heute nicht mit den Beschlüssen des SPD-Parteitags in dieser und in anderen Fragen auseinandersetzen.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber schade!)

— Wenn Sie wünschen, können wir darüber natürlich gern ein Gespräch führen. Wir wollen uns hier mit den Fragen auseinandersetzen, die Bestandteil der Regierungspolitik sind und die Parlamentarier in diesem Hause als Meinung ihrer Fraktion vertreten. Das hat der Kollege Kiep getan. Dazu nehme ich Stellung.
Herr Kollege Kiep, auch diese Bundesregierung wird nicht an der Frage vorbeikommen, wie man auf ein solches gesamteuropäisches Sicherheitssystem hinwirken kann. Da wir Hauptbetroffene, aber möglicherweise, wie wir hoffen, auch Hauptbegünstigte einer solchen Entwicklung sind, sollten wir gerade in dieser Frage ein besonderes Maß an Ideenreichtum entwickeln und nicht diejenigen sein, die sich einer Konferenz für die Beratung einer solchen gesamteuropäischen Sicherheitsordnung entgegenstellen. Ich habe schon vor langer Zeit hier von diesem Rednerpult aus die Auffassung vertreten, die Bundesregierung sollte geradezu Befürworterin einer solchen gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz sein, weil nach Lage der Dinge eine solche Konferenz, auf der die Fragen gesamteuropäischer Sicherheit behandelt werden, auf lange Sicht wahrscheinlich das einzige internationale Gremium ist, vor dem mit einiger Aussicht auf Erfolg auch über die deutschen Probleme gesprochen werden kann.

(Beifall bei der FDP.) Wenn Sie anderer Meinung sind, nennen Sie mir ein anderes Gremium. Deshalb ist uns die Frage der europäischen Sicherheit so wichtig! Es ist ganz falsch, wenn hier aus dem Wunsch eines Politikers der FDP, Vorsorge für eine Zeit noch stärkerer Desintegration zu treffen, hergeleitet wird, er wolle die westliche Verteidigung einseitig schwächen.


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516511900
Eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Kiep.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516512000
Bitte schön!

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516512100
Herr Kollege Genscher, erstens: Ich glaube nicht, daß Sie sagen wollten, ich hätte mich gegen eine solche Konferenz gewandt, denn davon kann keine Rede sein.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516512200
Dann sind Sie natürlich ganz allein in Ihrer Fraktion, denn Ihre Fraktion nimmt dazu ja eine andere Stellung ein. Ihre Fraktion ist gegen die Konferenz.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516512300
Wir sind der Ansicht, daß eine Konferenz, die sich mit den zukünftigen Zwecken, den Zielen und vor allen Dingen auch der Verteilung der Lasten in der nordatlantischen Allianz befassen sollte, höchst notwendig ist.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516512400
Ich habe von einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz gesprochen, an der die Teilnehmerstaaten beider Paktsysteme teilnehmen.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516512500
Ich bin Ihnen für diese Präzisierung dankbar. Das ging aus Ihren Ausführungen nicht klar hervor.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516512600
Bei „gesamteuropäisch" denken wir immer auch an den Osten, Herr Kollege. Wir meinen da nicht nur den Westen.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516512700
Da sind wir noch ein bißchen hinter Ihnen her.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516512800
In der Tat.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0516512900
Gehört zu den Ideen, die Sie eben ankündigten, zu dem Ideenreichtum, der notwendig sei, zum Beispiel auch Ihr Vorschlag, daß man die Bundeswehr in bezug auf ihre Beteiligung an den atomaren Waffen im Rahmen der NATO ganz konventionalisieren sollte, um die Amerikaner allein mit dem Geschäft in Europa zu betrauen? Oder steht das in einem anderen Zusammenhang?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516513000
Herr Kollege, die Frage der atomaren Mitverfügung der Bundeswehr ist eine hier ausdiskutierte Frage. Unsere Haltung dazu ist bekannt. Die atomare Mitverfügung der Bundeswehr gibt weder uns noch dem Bündnis mehr Sicherheit, denn sie kann das Potential in diesem Bereich im Bündnis nicht stärken. Wohl aber ist die Forde-



Genscher
rung nach der atomaren Mitverfügung der Bundeswehr dazu angetan, unseren außenpolitischen Spielraum in erheblichem Maße einzuengen. Das sollten Sie längst erkannt haben.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn der Herr Bundeskanzler sich bei jeder möglichen Gelegenheit vor diesem Hohen Hause der Verbesserung der Beziehungen der Bundesrepublik zu Frankreich rühmt, so muß ich ihm bei jeder dieser Gelegenheiten entgegenhalten, daß sich die Standpunkte der Bundesregierung und der französischen Regierung in den drei entscheidenden Fragen, die im Moment in Europa dikutiert werden, unverändert diametral gegenüberstehen. Eine dieser entscheidenden Fragen ist das Problem der atomaren Mitverfügung. Sie engen unseren Handlungsspielraum durch Ihre Politik in dieser Frage nicht nur in Richtung Osten ein, sondern Sie engen ihn auch in Richtung Westen ein, Herr Kollege. Sie sollten wissen, für die Frage der atomaren Bewaffnung gilt dasselbe, was Karl Georg Pfleiderer zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt einmal in bezug auf die konventionelle Bewaffnung gesagt hat: Wir als Freie Demokraten sind für den Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland, aber wir wissen, wie problematisch das ist, denn unsere künftigen Verbündeten erwarten von uns, daß die deutsche Bundeswehr stärker ist als die Rote Armee; aber sie soll nicht ganz so stark sein wie die französische Armee. Das gilt, meine Kollegen von der CDU/CSU, in noch stärkerem Maße auch für die Frage der atomaren Mitverfügung.
Wenn Sie also einen Beitrag zur Entspannung in Europa leisten wollen, dann denken Sie bitte nicht nur, wie Sie es auch bei Ihrer Zwischenfrage wieder getan haben, in den Kategorien der bestehenden Bündnissysteme, sondern wenden Sie Ihren Blick auf die gesamteuropäische Sicherheitsordnung hin. Das ist der einzige Weg, um die militärischen Gründe, die einer Zusammenführung Europas entgegenstehen, abzubauen. Einen anderen Weg, Herr Kollege, gibt es in dieser Frage nicht.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516513100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Becher?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516513200
Ja!

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0516513300
Kollege Genscher, ist Ihnen bekannt, daß bei der Budapester Konferenz der kommunistischen Staaten das Thema der europäischen Sicherheitsordnung völlig auf der vorweggenommenen Basis der Trennung und Teilung Deutschlands und der Anerkennung der DDR vorgesehen wurde?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516513400
Herr Kollege, ich bin nicht dazu da, mir die extremen Forderungen der anderen Seite zu eigen zu machen. Aber wenn Sie schon auf diese Bukarester Sicherheitskonferenz hier zu sprechen kommen, so wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß bei dieser Konferenz etwas anderes und, wie ich glaube, für unsere Verteidigung und den Wert des europäischen Sicherheitssystems Wertvolles zum Ausdruck gekommen ist. Bei dieser Konferenz nämlich haben die Teilnehmerstaaten es nicht mehr ausgeschlossen, daß ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zusätzlich zur Sowjetunion auch von den Vereinigten Staaten garantiert werden kann oder sogar die Möglichkeit besteht, daß die Vereinigten Staaten Mitglied eines solchen gesamteuropäischen Sicherheitssystems sind. Wie ich meine, ein wertvoller Ansatz für denjenigen, der verhindern will, daß sich in einem solchen gesamteuropäischen Sicherheitssystem eine Kopflastigkeit zugunsten der Sowjetunion ergibt. Das sollten Sie auch mit sehen.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516513500
Gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Kollegen Becher?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516513600
Bitte!

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0516513700
Sind Sie nicht der Meinung, daß es eine Illussion ist, realistische Forderungen, die heute noch der Ostblock aufstellt, als Extremforderungen zu bezeichnen?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516513800
Herr Kollege, ich weiß nicht, was Sie meinen, wenn Sie sagen, eine Forderung des Ostens sei realistisch. Ich halte sie nur für eine Extremforderung.

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0516513900
Ich würde fragen: Meinen Sie, daß das, was die sowjetischen Zeitungen heute schreiben und die sowjetische Politik heute erklärt, extrem oder unrealistisch ist, oder würden Sie mit mir der Meinung sein, daß das die Realität ist, mit der wir es heute und jetzt in dieser Stunde zu tun haben?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516514000
Herr Kollege, wir sind hier in einer Grundfrage des Ost-West-Verhältnisses, einer Frage, die einem wiederholt gestellt wird, nicht nur von Ihnen, sondern auch von anderen Kollegen Ihrer Fraktion, aber natürlich auch von den Menschen in den politischen Diskussionen. Das gilt nicht nur für die Frage der europäischen Sicherheitspolitik, sondern das gilt auch für die gesamtdeutsche Politik. Da wird nämlich gefragt: „Glauben Sie, daß die andere Seite bereit ist, von ihren extremen Standpunkten abzugehen?"
Ich muß Ihnen dazu offen sagen: ich bin der Überzeugung, daß es unsere Aufgabe ist, zu keiner Zeit auf eine Politik zu verzichten, die darauf angelegt ist, die andere Seite zu einer Veränderung ihres Standpunktes zu bewegen. Das ist Aufgabe deutscher Politik.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn Sie, Herr Kollege, allerdings der Meinung sein sollten, daß wir nicht die geringste Chance haben, eine solche Veränderung in der Haltung der anderen Seite — ich meine mit der anderen Seite sowohl Ostberlin wie Moskau — zu erreichen, dann sollten Sie hier her treten und diese Ihre Meinung



Genscher
dem deutschen Volk sagen und sagen: „Schreibt Wiedervereinigung ab, schreibt europäische Sicherheit ab; es ist doch nichts zu erreichen!" Sind Sie allerdings der Meinung wie wir, daß man etwas verändern kann, dann bemühen Sie sich bitte auch mit uns darum und sagen Sie nicht: „Es hat alles keinen Zweck."

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516514100
Würden Sie eine weitere Zwischenfrage gestatten?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516514200
Bitte!

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0516514300
Herr Kollege Genscher, sind Sie der Meinung, daß wir eine Änderung der realen Forderungen des Ostblocks dadurch erreichen, daß wir seinen Mitgliedern von uns aus unterschieben, daß das, was sie fordern und sagen, nicht wahr ist, sondern daß sie es in Wirklichkeit ganz anders meinen, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das der gleiche Fehler wäre, den die begangen haben, die 'seinerzeit Hitler unterschoben haben: „Das, was er sagt, das meint er gar nicht, der ist viel liberaler", und damit einem tödlichen Irrtum unterlagen? Und meinen Sie, daß das eine Sicherheitspolitik ist, wenn wir uns so verhalten, daß wir unsere Positionen einseitig sozusagen demontieren auf der Basis einer Annahme, die eben von vielen als Illusion noch betrachtet wird?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516514400
Herr Kollege, bei der Allgemeinheit Ihrer Ausführungen ist es schwer, dazu Stellung zu nehmen. Ich weiß nicht, was Sie mit „einseitiger Demontage" meinen. Ich finde, daß die Politik, wie sie aus Ihrer Fragestellung spricht, eine einseitige Blockierung unserer Politik ist, weil Sie jede Möglichkeit, die man nutzen muß, von vornherein als aussichtslos abqualifizieren, als Illusion abtun.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516514500
Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dorn beantworten?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516514600
Ja!

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0516514700
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen aufgefallen, daß der Herr Kollege Becher immer wieder von realen Forderungen gesprochen hat, wobei der Tatbestand einer Forderung zwar real ist, aber der Inhalt, wenn es eine Forderung ist, niemals Realität sein kann?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516514800
Herr Kollege Dorn, ich habe schon am Anfang einmal gesagt, ich habe von extremen Forderungen und nicht von realen Forderungen gesprochen, weil ich in der Tat die Forderungen, um die es hier ging, nicht als real ansehen kann. Wären sie real, dann hätten Sie recht, Herr Kollege. Dann müßte man nur prüfen, ob man darauf eingeht, und wenn man glaubt, man kann es nicht, dann muß man sagen, es geht nicht. Es ist eine Fülle von irrealen Extremforderungen dabei. — Aber Sie haben es wahrscheinlich anders gemeint.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese europäische Sicherheitspolitik ist natürlich für Sie insoweit ein Problem, als Sie hier eine Formulierung
I der Regierungserklärung durch praktische Politik ausfüllen müssen. Das ist ein Problem in der Koalition, wie wir gar nicht schadenfroh, sondern im Interesse der Politik mit Bedauern sehen. In der Regierungserklärung hieß es nämlich, daß in diese europäische Sicherheitspolitik, deren Ansatz die Politik des Gewaltverzichts sein soll, die DDR einbezogen werden müsse. Nun kann man natürlich verschiedener Meinung darüber sein, was „einbeziehen" heißt. Das kann heißen, daß man Dritten, gegenüber versichert, man wolle Gewalt auch nicht gegenüber der DDR anwenden — das war wohl in der Anlage damals auch der Gedanke der Bundesregierung —, oder man meint, man wolle auch die DDR zu einem Partner einer Gewaltverzichtsvereinbarung machen, was unsere Auffassung ist, weil wir den sehr subtilen Unterschied nicht kennen, den der Herr Staatssekretär im Auswärtigen Amt zu machen weiß zwischen zweiseitigen Verträgen, die man mit der DDR nicht abschließen kann, und mehrseitigen Verträgen, die man mit ihr abschließen darf. Denn es ist doch ganz unbestritten, daß die Bundesrepublik schon jetzt Mitglied von internationalen, von völkerrechtlichen Verträgen ist, deren gleichberechtigter Teilnehmer auch die DDR ist. Sie müßten schon, wenn Sie einen solchen Gewaltverzichtvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR ablehnen, mir einmal den Unterschied zwischen einem mehrseitigen und einem zweiseitigen Vertrag verständlich machen. Mir scheint nämlich in dieser Streitfrage, die in der Koalition noch nicht ausgetragen ist, der Haupthinderungsgrund für die Fortentwicklung Ihrer Sicherheitspolitik zu liegen.
Lassen Sie mich nun auch zu den Vorwürfen etwas sagen, die zu den Ausführungen des Kollegen Scheel in bezug auf die gesamtdeutsche Politik erhoben worden sind. Der Kollege Scheel hat, wie ich schon in einer Zwischenfrage deutlich machte, erklärt: Wir haben eine deutsche Nation, aber diese deutsche Nation muß zur Zeit gegen ihren Willen durch zwei Staaten unterschiedlicher demokratischer Qualifikation handeln. Ziel unserer Politik ist es, diesen Zustand zu überwinden. — Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Barzel!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516514900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Barzel?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0516515000
Herr Kollege Genscher,
würde Sie die Freundlichkeit haben, den Sinn Ihrer Zwischenfrage an Ihren Kollegen Scheel von vorhin etwas zu verdeutlichen? War es nicht doch so, daß Herr Kollege Scheel von einem Volk gesprochen hat und Sie das jetzt zu rektifizieren versuchen, indem Sie von der Nation sprechen?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516515100
Wenn der Kollege Scheel von einem deutschen Volk sprach, so meinte er damit



Genscher
dasselbe, was ich meine, wenn ich von der einen deutschen Nation spreche. Wir sind in der Lage, denselben Tatbestand verschieden auszudrücken.

(Heiterkeit.)

Wenn Sie sich über das Verhältnis dieser beiden deutschen Staaten Gedanken machen, so müssen Sie auch auf die Vorstellungen eingehen, die der Herr Kollege Scheel hier für die Beziehungen dieser beiden deutschen Staaten entwickelt hat, von denen er gesagt hat, daß sie im Verhältnis zueinander nicht Ausland sind, weder wir im Verhältnis zur DDR noch die DDR im Verhältnis zu uns, und daß aus diesem Grunde auch unsere Beziehungen untereinander besonderer Natur sind und nicht so wie etwa unsere Beziehungen zu Jugoslawien oder Dänemark und umgekehrt die Beziehungen der DDR etwa zu Polen oder zur Sowjetunion.
Hier lohnt es sich, auch für die Regelung der Übergangszeit Gedanken zu entwickeln. Meine Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn nicht nur die Bereitschaft zur Bestellung eines Bevollmächtigten und zu seinen Gesprächen erklärt würde, sondern wenn man die andere Seite zur Ablehnung eines mit Tagesordnung genannten Verhandlungstermins zwingen würde. Wenn Sie schon der Meinung sind, die andere Seite werde nicht kommen, dann nennen Sie doch Termin, nennen Sie Tagesordnung! Dann soll die andere Seite sagen, ob sie bereit ist, sich in diesem Termin vertreten zu lassen, über die von uns vorgeschlagene Tagesordnung zu sprechen.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn die andere Seite uns einen Vetragsentwurf über die Gestaltung unseres Verhältnisses zueinander vorlegt, warum machen wir denn nicht auch einen solchen Vorschlag, mit dem die andere Seite sich auseinandersetzen muß? In dieser Zeit, in der in Europa und auch in Osteuropa soviel in Bewegung ist, geht es darum, meine Damen und Herren, daß wir durch unsere Politik, durch unsere Vorschläge, unsere Vorschläge des guten Willens, unsere Vorschläge für die Zukunft, die politische Landschaft in Deutschland und um Deutschland herum zu verändern, daß eine Lösung der europäischen und damit auch der deutschen Frage möglich wird.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516515200
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Dr. Eppler.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0516515300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich jetzt sage, daß mir bei der Debatte, der ich zugehört habe, nicht ganz wohl war, dann nur deshalb, damit Sie mit um so besserem Gewissen nachher sagen können, daß Ihnen bei meiner Rede auch nicht wohl gewesen sei.
Es ist hier darüber diskutiert worden, ob es eine Entspannung ,gebe oder nicht. Dabei ist mir wieder klar geworden, warum ich in letzter Zeit immer versucht habe, dieses Wort zu vermeiden: Es greift einfach die Dinge nicht klar genug. Die Frage, ob es zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten
Staaten Entspannung gebe, scheint mir falsch gestellt zu sein. Das Verhältnis zwischen den beiden, das früher eindeutig war, eine eindeutige politische, ideologische und militärische Konfrontation, ist jetzt sehr viel komplizierter geworden. Es enthält gleichzeitig Konfrontation, vor allem militärische Konfrontation, vielleicht manchmal noch schärfer als früher, und trotzdem Kooperation, weil man nämlich gezwungen ist, falls dieser Globus und die Menschen darauf weiterleben wollen, auf manchen Gebieten zusammenzuarbeiten. Die Frage, ob das nun Entspannung ist oder nicht, scheint mir nicht viel weiterzuführen.
Wenn wir nun unsere Konsequenzen daraus ziehen sollen, dann doch die — das sage ich einmal in Richtung auf die FDP —,daß wir den Tatbestand der Konfrontation keine Stunde vergessen sollten und — das sage ich zu einigen Kollegen in der Mitte — daß wir unsere Pflicht, an der Kooperation mitzuwirken, auch keine Stunde vergessen sollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Damit wäre ich bei dem Thema der europäischen Friedensordnung. Meine verehrten Kollegen von der FDP, vor allem verehrter Herr Genscher, Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, daß uns hier noch nicht so schrecklich viel Konkretes 'eingefallen ist. Ich will das jetzt nicht auf eine billige Art zurückgeben und fragen, wie es bei Ihnen ist, sondern ich will nur sagen: Wenn Sie heute etwa Sowjetrussen fragen, was sie denn für Vorstellungen über die europäische Friedensordnung haben, dann bekommen Sie auch nicht mehr als einen dürren Hinweis auf Bukarest oder Karlsbad, als ob wir damit etwas anfangen könnten. Und wenn Sie unsere amerikanischen Verbündeten fragen, dann erfahren Sie auch herzlich wenig, weil sie andere Sorgen haben. In Königswinter haben wir jetzt die Engländer gefragt — Herr Scheel hat davon gesprochen —, und sie haben doch auch keine Vorstellung davon. Wir sind hier also am Anfang, und wir sollten uns jetzt nicht gegenseitig vorwerfen, daß wir noch nicht weitergekommen sind. Wir sollten miteinander an die Arbeit gehen und prüfen, welche konkreten Schritte möglich sind.
In dem Zusammenhang etwas zur Konferenz, Herr Genscher. Eine europäische Friedensordnung ist doch nicht etwas, was irgendwann einmal auf irgendeiner Konferenz plötzlich ausbricht.

(Beifall bei 'der SPD und der CDU/CSU.)

sondern das ist etwas, worauf wir Schritt für Schritt zugehen können, so daß irgendwann auch einmal eine große Konferenz sinnvoll sein könnte. Deshalb finde ich, daß etwa das, was die Bundesregierung mit ihrem Gewaltverzicht versucht, ein Schritt in dieser Richtung ist, daß das, was sie zur gleichwertigen und gleichzeitigen Abrüstung versucht, ein Schritt dazu ist. Sie alle haben ja recht, wenn Sie sagen, daß das alles langsam geht. Aber wir müssen den ersten Schritt vor dem zweiten machen.
Nun zum Thema DDR. Verehrter Herr Genscher, ich halte die Frage für falsch gestellt, ob wir erst auf eine europäische Friedensordnung warten müß-



Dr. Eppler
ten, damit wir dann das Verhältnis zur DDR aufgreifen und bessern könnten.

(Zurufe rechts.)

—Ich weiß, Sie haben es nicht so gemeint, Sie nicht, nein.

(Abg. Genscher: Ich habe es nicht einmal gesagt!)

Ich halte es aber auch umgekehrt für falsch, wir müßten erst einmal die Dinge mit der DDR bereinigen, und dann werde das übrige kommen. So wenig die europäische Friedensordnung ohne ein erträgliches Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander möglich ist, so wenig ist das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander zu bessern, ohne daß wir gleichzeitig an einem europäischen Rahmen arbeiten. Das macht doch die Sache so unendlich schwierig, und das führt auch einige Leute in die Versuchung, sich unter Berufung auf die Schwierigkeiten auf einem Gebiet von der Aktivität im andern Gebiet zu dispensieren.
Wenn es so ist, daß in Sachen Gewaltverzicht die Sowjetunion — in bezug auf die DDR — nichts anderes will, als daß die DDR nicht diskriminiert wird, und wenn es weiterhin so ist, daß wir in Sachen Gewaltverzicht nicht wollen, daß dabei ein anderes Völkerrechtssubjekt auf deutschem Boden zu diesem Völkerrechtssubjekt in Verbindung treten soll, — wenn das nur das Problem wäre, dann könnte ich mir sogar vorstellen, daß sich eine Formel finden ließe, die auf der einen Seite nicht völkerrechtliche Beziehungen zwischen zwei deutschen Völkerrechtssubjekten schafft und auf der anderen Seite trotzdem eine Diskriminierung der DDR verhindert. Aber das muß man erst einmal wollen.
Die Frage ist damit, was die DDR im Augenblick will. Auch hier sollten wir uns — da gebe ich Herrn Kiep recht — keine Illusionen machen. Was die jetzige Führung der DDR will, scheint mir völlig eindeutig. Die jetzige Mehrheit im Zentralkomitee will auf absehbare Zeit mit uns so wenig wie möglich Kontakte haben, — übrigens unabhängig davon, was wir hier tun.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516515400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz?

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0516515500
Herr Kollege — eigentlich haben Sie eben schon die Antwort gegeben —, ich wollte Sie fragen, und zwar ernsthaft, nicht polemisch, fragen: Was waren eigentlich die Gründe dafür, daß alle Versuche, die ja nicht nur von der deutschen Bundesregierung gemacht wurden, sondern hinter denen das Gewicht eines großen, wirkungsvollen Bündnisses stand, bisher abgelehnt wurden? Warum hat keine der Vorstellungen, die wir seit 19 Jahren entwickeln, jemals auch nur den Schatten einer positiven Antwort geworfen? Das wäre doch die Frage, die wir uns stellen müßten.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0516515600
Herr Kollege von Merkatz, Sie bringen mich hier in die Versuchung, zu polemisieren. Ich will es mir aber jetzt verkneifen, darüber zu reden, wer denn in den fünfziger Jahren Vorschläge gemacht und wer sie abgelehnt hat. Ich will jetzt nur von der Situation hier und heute sprechen.
Ich will im Augenblick auch nur von 'der DDR sprechen, damit nicht irgendwelche Generalisierungen entstehen. Ich habe gesagt: wenn etwas klar ist, dann, daß die DDR im Augenblick Kontakte mit uns praktisch um jeden Preis vermeiden will. Deshalb gibt es ja auch die Auffangstellungen, die man drüben schon für den Fall baut, daß es uns einmal einfallen sollte, eine völkerrechtliche Anerkennung auszusprechen. Diese Auffangstellung ist schon beim SED-Parteitag vor einem Jahr aufgebaut worden, als man sagte: Unabhängig von Anerkennung oder Nichtanerkennung ist das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander das Verhältnis des Klassenkampfes zwischen Monopolismus und Kommunismus. Jeder, der ein bißchen etwas von Marx versteht — und Sie sind ja dabei, sogar noch Mao und Marcuse zu studieren; so kann ich das ja voraussetzen —, weiß, daß Dinge wie Klassenkampf unendlich viel elementarer sind als irgendwelche juristischen Formeln. Das heißt, daß man auf dieser Seite bereits die Auffangstellung gebaut hat.
Nehmen Sie das Echo des „Neuen Deutschland" auf unseren Parteitag. Da stand doch: „Die haben von Kooperation geredet, die Leutchen in Nürnberg, die SP-Leute. Aber ganz abgesehen davon, daß man dazu zuerst die völkerrechtliche Anerkennung braucht: wer kann uns denn zumuten, mit solchen Leuten überhaupt zu kooperieren?" Das ist bereits eine weitere Auffangstellung gewesen.
Wir haben also keinen Grund, uns irgendwelche Illusionen darüber zu machen, was die gegenwärtige Mehrheit im Zentralkomitee der SED will. Nur, Herr Kollege von Merkatz, so wie es auch in diesem Land einen sehr schmerzhaften Unterschied gibt zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir
können, so gibt es diesen Unterschied auch für die DDR, zumal die Kragenweite dort noch etwas geringer ist. Wir sollten uns darum nicht immer nur an dem orientieren, was die Mehrheit im Zentralkomitee will, sondern auch einmal überlegen, was sie denn eigentlich durchhalten kann, und wie wir das, was sie durchhalten kann, von hier aus beeinflussen können.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Denn davon bin ich überzeugt: was in Deutschland letztlich geschieht, wird hier entschieden und nicht in Ostberlin.
Deshalb habe ich den Eindruck, daß, wenn die drüben von Realitäten sprechen, wir das aufnehmen müßten. Wir sollten nicht sagen: das geht uns nichts an, sondern wir sollten sagen: wir kennen vor allem drei entscheidende Realitäten in bezug auf das deutsche Problem.
Realität eins: In der Tat gibt es auf deutschem Boden zwei völlig verschiedene, gegensätzliche und auch völlig verschieden legitimierte politische Ordnungen. Jawohl, das gibt es.
Realität zwei: Es gibt nach Meinung aller, die damit beschäftigt sind, eine deutsche Nation. Dabei



Dr. Eppler
möchte ich übrigens einmal terminologisch — und das hat mich an dieser Diskussion auch ein bißchen geplagt — feststellen: für mich ist Volk nach Herder ein mehr kulturell-sprachlicher Begriff, während Nation letztlich ein politischer Begriff ist: eine politische Willensgemeinschaft, die auf Grund gemeinsamer politischer Grundwerte zusammengehören will.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Insofern gibt es noch eine deutsche Nation und nicht nur ein deutsches Volk.

(Abg. Genscher: Das Grundgesetz spricht vom deutschen Volk!)

— Schön, aber wenn Sie schon differenzieren, dann wollte ich einmal versuchen, terminologisch ein bißchen Klarheit für mich zu schaffen.
Dir dritte Realität scheint mir die zu sein, daß die Europäer, einschließlich der Deutschen in beiden Teilen, nicht nur Frieden wollen, sondern Frieden brauchen und vielleicht eines Tages der querelles allemandes überdrüssig sein werden.
Das sind die drei Realitäten, mit denen wir es zu tun haben. Ich habe den Eindruck, niemand in Deutschland, weder in Bonn noch in Ostberlin, wird auf die Dauer Erfolg haben, wenn er nicht versucht, diese drei Realitäten auf einen Nenner zu bringen. Und exakt das ist es, was die DDR im Augenblick nicht tut. Sie kalkuliert nicht ein, daß die Europäer wirklich Frieden wollen, auch an der Demarkationslinie in Deutschland. Sie kalkuliert nicht ein, daß ihre Forderungen im Augenblick manchem ihrer Verbündeten vielleicht ebenso auf die Nerven fallen, wie manche Forderungen hier einst unseren Verbündeten auf die Nerven fielen. Deshalb haben wir in Nürnberg die Formel geprägt: wir sind bereit, mit der DDR über alles zu sprechen, was nicht a) die Sicherheit Berlins gefährdet, was nicht b) die Teilung Deutschlands völkerrechtlich festschreibt und damit c) Deutsche für Deutsche zu Ausländern macht. Das ist eine Formel, die in Europa von Paris bis Bukarest einigermaßen verstanden wird; das ist eine Formel, die abzulehnen auf die Dauer sehr schwierig sein wird. Ich glaube deshalb, daß wir mit weniger als dieser Formel nicht durchkommen.
Aber umgekehrt sollten wir hier alle in diesem Hause verhindern — und da wende ich mich vor allem an unsere Kollegen von der FDP —, daß im Osten diese Formel als ein beliebiger Punkt auf einer schiefen Ebene verstanden wird, wo man nur warten muß, bis wir vollends heruntergerutscht sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nur dann, wenn wir im Interesse Europas das tun, was die Europäer als unseren Friedensbeitrag hier in diesem unserem Lande erwarten können, und wenn wir gleichzeitig klarmachen, was man weder heute noch morgen von uns erwarten kann, werden wir mit der Zeit auch einigen Erfolg haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516515700
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Bevor wir zur Abstimmung über den Einzelplan 05 kommen, möchte ich Ihnen noch Kenntnis davon geben, daß der Herr Berichterstatter eine Ergänzung des Mündlichen Berichts wünscht. Auf Seite 5 dieses Berichts soll unten rechts bei Tit. 964 hinter den Worten „mit Zustimmung des Haushaltsausschusses" eingefügt werden: „und des Auswärtigen Ausschusses". Diese Ergänzung darf ich zunächst einmal festhalten.
Jetzt zu dem Änderungsantrag Umdruck 389 *) der Fraktion der FDP. Wird er begründet? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters zur Begründung.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0516515800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag lautet:
Der Ansatz in Kap. 05 02 Tit. 964 — NATO-Verteidigungshilfe und Ausrüstungshilfe — wird gestrichen.
Ich will diesen Antrag kurz begründen. Es geht um zwei Komplexe, zunächst um die NATO-Verteidigungshilfe. Hier handelt es sich um ausrangierte Waffen der Bundeswehr, die an NATO-Partner gegeben werden. Daß sie nicht an modern ausgerüstete Partner gegeben werden, ist selbstverständlich. Sie sind in der Vergangenheit in erster Linie an die Türkei und an Griechenland gegeben worden. In den letzten Jahren haben beide Länder am Rande eines Krieges gestanden. Wir sind der Meinung, daß wir in diese Räume keine ausrangierten Waffen liefern sollten.
Bei dem zweiten Komplex geht es um Ausrüstungshilfe an afrikanische Staaten, um Lkws, Nachrichtengeräte, Unimogs usw. Wir sind der Meinung, daß man auch diese Ausrüstungshilfe nicht geben sollte, weil diese Gegenstände dort zum Teil zu Kriegen innerhalb der jungen afrikanischen Staaten verwandt werden.
Wir sind der Meinung, daß die Verteidigungshilfe und die Ausrüstungshilfe keine Mittel der deutschen Außenpolitik sein sollten. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516515900
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0516516000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, den Antrag der FDP abzulehnen, und zwar aus folgenden Gründen. Es handelt sich hier um Verpflichtungen der Bundesregierung aus mehrjährigen Verträgen im Rahmen der NATO. Der Grundgedanke, der hier von der FDP vorgetragen worden ist, kann absolut diskutiert und überlegt werden. Er kann sich aber nicht in diesem Haushalt niederschlagen, weil wir dann sozusagen von übernommenen Verpflichtungen herunter müßten. Wir bitten deshalb, diesen Antrag abzulehnen.
*) Siehe Anlage 3




Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516516100
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0516516200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entbehrt nicht ganz der Pikanterie, daß uns dieser Antrag vorgelegt wird, unmittelbar nachdem Herr Genscher hier die Desintegration innerhalb der NATO sehr beklagt hat und sich gegen den Verdacht gewehrt hat, daß die FDP etwas tue, was die Stärke der NATO beeinträchtigen könnte. Denn hier wird schlicht und einfach nicht mehr und nicht weniger verlangt, als daß jegliche NATO-Verteidigungshilfe aus dem Haushalt gestrichen wird, obwohl hier bereits völkerrechtlich wirksame Verträge bestehen. Ich frage, ob das nicht eine Beeinträchtigung unseres Beitrages zur NATO-Verteidigung bedeutet. Wenn man sich ansieht, daß dieser unser Beitrag im Rahmen einer gesamten NATO-Beteiligung geleistet wird, kann man doch wohl nicht leugnen, daß ein Ausscheren aus diesen gemeinsam ausgehandelten Verpflichtungen der Desintegration der NATO, die Herr Genscher vorhin so beklagte, noch Vorschub leisten würde.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516516300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Genscher?

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0516516400
Bitte schön.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0516516500
Herr Kollege, würden Sie mir — die Richtigkeit Ihrer Behauptung unterstellt, die ich mit meiner Frage ausdrücklich nicht zugeben will — einmal erklären, wie es zu einer Schwächung der NATO führen kann, wenn ein Hin- und Herschieben von Ausrüstungsgegenständen zwischen zwei NATO-Staaten unterbleibt?

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0516516600
Ich glaube, die Bedeutung dieser Frage ist durch Ihren Fraktionskollegen, der vorhin Ihren Antrag hier begründete, reichlich bagatellisiert worden. Es handelt sich hier keineswegs um das Hin- und Herschieben von irgendwelchen Ausrüstungsgegenständen, sondern es handelt sich darum, daß die Bundesrepublik hier in Gemeinschaft mit einer ganzen Anzahl anderer NATO-Mitgliedstaaten einen Beitrag leistet, um die Südflanke Europas in einen einigermaßen verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf hinzufügen, daß aus Ihrer Frage, Herr Genscher — wenn Sie mir bitte freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit noch einen Augenblick schenken würden —, eine völlige Verkennung der derzeitigen Situation im Mittelmeerraum spricht. Wir stehen doch heute vor der Situation, daß die ganze europäische Südflanke vom Schwarzen Meer bis hin zum Atlantik aufgerissen ist. Heute geht es nicht mehr um die Frage, welcher europäische Einfluß hier noch zu verzeichnen ist, sondern die Frage, die uns jetzt und in den nächsten Jahren sehr beschäftigen wird, kann nur lauten: Welche militärische
Präsenz ist hier stärker, die amerikanische oder die sowjetische?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jedenfalls möchte ich es auch im Namen meiner Freunde ablehnen, Maßnahmen zuzustimmen, durch die das Gewicht einseitig nach der östlichen Seite hin verlagert würde.

(Abg. Moersch: Das ist ja zum Lachen!)

Im übrigen ist das Problem, das Sie hier angeschnitten haben — Herr Hermsdorf hat das in seinen kurzen Bemerkungen bereits dargestellt —, sehr schwierig. Ich persönlich hatte von der ersten Stunde an, als diese Fragen noch in einer, sagen wir, offiziösen parlamentarischen Art behandelt wurden, bis heute Gelegenheit, an der Diskussion teilzunehmen. Ich bin mir deshalb der Schwierigkeit, aber auch der politischen Vielschichtigkeit dieses Problems durchaus bewußt.
Uns liegt ein Antrag der SPD aus dem Jahre 1966 vor, der 'sich ebenfalls mit diesem Problem befaßt. Nur haben sich die sozialdemokratischen Antragsteller die Sache nicht so einfach gemacht, die ganze Angelegenheit schlicht durch Streichung bereinigen zu wollen, sondern sie haben offensichtlich erkannt, daß es sich, wie ich eben schon andeutete, um ein vielschichtiges Problem handelt.
Im Verteidigungsausschuß und im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages haben langwierige Verhandlungen stattgefunden, die in der vorigen Woche zum Abschluß gekommen sind. Wir haben, ausgehend von dem sozialdemokratischen Antrag, nach einer eingehenden Prüfung der hier anstehenden Probleme einen Antrag einstimmig angenommen. Ich werde in den nächsten Tagen die Ehre haben, dem Hohen Hause als Berichterstatter einen Bericht über die Ergebnisse der Beratungen vorzulegen. Lassen Sie mich folgendes schon vorwegnehmen: Ein großer Teil der Probleme, von denen hier die Rede war, ist bereits durch die im vorigen Jahr eingeführten haushaltsrechtlichen Regelungen bereinigt worden. Diese sehen vor, daß die Regierung auf diesem Gebiet — sei es innerhalb der NATO oder außerhalb der NATO — keine neuen Verpflichtungen ohne das Votum des Haushaltsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses eingehen darf.
In dem Antrag des Ausschusses, den ich Ihnen in den nächsten Tagen vorzulegen habe, sind wir noch etwas weitergegangen. Darin heißt es z. B., „daß die Wahrung der deutschen Interessen in vertraglichen Endverbleibsklauseln sicherzustellen ist und daß darüber dem Auswärtigen Ausschuß jeweils Bericht zu erstatten ist". Ich glaube, damit ist ein weiteres Problem, das trotz der haushaltsrechtlichen Regelung noch vorhanden war, geregelt.
Schließlich sind wir — ich bitte Sie, auch das Zu beachten — noch weitergegangen und haben in unseren Antrag folgendens aufgenommen:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Regierung zu ersuchen, über Wünsche anderer Regierungen bezüglich Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe vor der Aufnahme verbind-



Dr. Kliesing (Honnef)

licher Verhandlungen dem Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages zu berichten,
um die Meinung des Ausschusses festzustellen.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Kann man denn die Bewegungsfreiheit einer Regierung noch mehr einengen, als es hier geschehen ist? Tatsache ist doch, daß die Regierung ohne die Billigung der beiden Ausschüsse dieses Hauses keine Mark und keinen Pfennig ausgeben kann. Es wird hier, wenn das Hohe Haus diesem Antrag demnächst zustimmen sollte, auch garantiert, daß die Regierung überhaupt keine verbindlichen Gespräche über irgendwelche Projekte führen kann, ohne die Meinung des zuständigen Ausschusses eingeholt zu haben. Ich meine, das ist ein Verfahren, das den rechtlichen und den politischen Komponenten eher gerecht wird als der schlichte und einfache Antrag, die ganze Position zu streichen.
Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag der FDP abzulehnen und demnächst dem Antrag Ihres Außenpolitischen Ausschusses zu folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516516700
Mein Damen und Herren, wir stimmen ab über den Änderungsantrag auf Umdruck 389 *). Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist gegen den Antrag? — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist damit abgelehnt.
Ich bin gerade darüber unterrichtet worden, daß die Fraktion der SPD den Entschließungsantrag zum Einzelplan 05 zu Vietnam begründen möchte. Auch die CDU/CSU-Fraktion hat die Absicht, hierzu etwas zu sagen. Abgestimmt wird wohl erst in der dritten Lesung über diesen Antrag. Ich möchte jetzt Herrn Abgeordneten Herold bitten, zur Begründung des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 386 **) das Wort zu nehmen.

Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0516516800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Entschließungsantrag meiner Fraktion auf Umdruck 386 ganz kurz begründen. Ich brauche auf den Inhalt selbst nicht mehr ausführlich einzugehen, denn Sie haben ja die Diskussionen der letzten Wochen und Monate noch in Erinnerung. Wir appellieren noch einmal an unseren amerikanischen Partner und auch an die verantwortlichen Mächte Rußland und China, doch zu versuchen, in dieser Auseinandersetzung eine politische Lösung zu finden, weil wir von der großen Sorge erfüllt sind, daß wir eine Ausweitung dieses Konflikts auch in Europa als politisch äußerst gefährlich ansehen müßten.
Was uns aber besonders am Herzen liegt, haben wir in dem letzten Absatz unseres Entschließungsantrags dargelegt. Ich möchte Ihnen diesen Absatz einmal im Wortlaut vortragen:
Solange die Kriegshandlungen fortgesetzt werden, sind die Deutschen aufgerufen, zur Linde-
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 2
rung der menschlichen Not des seit Jahrzehnten
unter den Verheerungen des Krieges leidenden
Volkes in beiden Teilen Vietnams beizutragen.
Ich bin der Meinung, daß diese politische und moralische Verpflichtung auch für eine lange und schwere Übergangszeit nach der Beendigung von Kampfhandlungen noch zu gelten hat.

(Beifall bei der SPD.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Konflikt in Vietnam ist für uns in doppelter Hinsicht eine Herausforderung. Einerseits sind wir hier aufgerufen, zu dem Krieg, seinen Ursachen und den Möglichkeiten seiner Beendigung Stellung zu nehmen. Andererseits erhebt sich für unsere Gesellschaft und für jeden einzelnen von uns die Frage, wie die Leiden gelindert werden können, von denen vor allem Unschuldige und Unbeteiligte betroffen werden. Wie bereits im Korea-Krieg, bei dem der Anteil der zivilen Opfer etwa 84 % der Gesamtverluste ausmachte, muß auch 'in Vietnam die Bevölkerung die Hauptlast der Leiden tragen. Nach den Kampfhandlungen der letzten Monate kann angenommen werden, daß heute mehrere hunderttausend Vietnamesen als Flüchtlinge und Obdachlose im Lande herumirren oder unter primitiven Voraussetzungen zunächst in Lagern untergebracht wurden.
Meine Damen und Herren, allein fast 200 000 elternlose Flüchtlingskinder leben ohne Obhut und unversorgt und haben bereits seit Jahren keine Möglichkeit mehr, irgendeine Schule zu besuchen. Uns Deutschen ist das Inferno der letzten Kriegstage und das Elend der ersten Nachkriegszeit noch in bester Erinnerung. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich für uns eine besondere moralische Verpflichtung, humanitäre Hilfsmaßnahmen einzuleiten.
Es ist sehr erfreulich, an dieser Stelle feststellen zu können, daß die Bundesregierung seit einigen Jahren auf vielfältige Weise gerade auf diesem Gebiet tätig geworden ist. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung sind bis 1971 30 Millionen DM für unser Hilfsprogramm vorgesehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jährlich!)

Es wurde immer wieder hervorgehoben, daß diese unsere Hilfe außerhalb der eigentlichen Entwicklungshilfeprogramme erbracht wurde. Es muß anerkannt werden, daß vor allem die in Vietnam selbst tätigen Helfer des Roten Kreuzes, des Malteser-Hilfsdienstes und anderer Hilfsorganisationen in aufopfernder Weise tätig sind. Die christlichen Kirchen haben daneben eigene Initiativen ergriffen. Ihre Leistungen sind als vorbildlich zu bezeichnen. An dieser Stelle gebührt dem Deutschen Bundesjugendring gleichfalls ein anerkennendes Wort. Aus den Bemühungen des Bundesjugendrings wird deutlich, daß auch die junge Generation zur Solidarität mit den Menschen aufgerufen wird, die leiden, durch wessen Schuld auch immer. Sie wird dazu aufgerufen, umgehend humanitäre Hilfe zu leisten.
Die guten Erfahrungen mit deutschen Hilfsmaßnahmen und das positive Echo aus der vietnamesi-



Herold
schen Bevölkerung müssen uns ermutigen, mehr auf diesem Gebiete zu tun. Ich brauche nicht über die Entsendung und über die Leistung unseres Lazarettschiffes zu sprechen. Ich möchte nur erwähnen, daß es dringend notwendig ist, auf dem Gebiete der medizinischen Hilfe doch an die Errichtung des Landkrankenhauses von Da Nang heranzugehen; die Arbeiten sollten beschleunigt werden.
Eine große Aufgabe haben die geplanten Sozialzentren für die vietnamesischen Flüchtlinge und Kriegsversehrten. Sie verdienen und brauchen unsere volle Unterstützung.
Es muß aber auch jener gedacht werden, die ihren eigenen Beitrag zu leisten versuchen. Hier ist unter vielen anderen an den Verein zur Förderung der Kinderdörfer zu erinnern. In Europa haben wir nach 1945 damit ausgezeichnete Erfahrungen machen können. Umwelt- und körperbeschädigte Kinder werden in ihrer heimischen Umgebung überwiegend von heimischen Kräften in das normale Leben zurückgeführt.
Dazu kommt für uns noch eine großartige Hilfsaktion, nämlich die Aktion der „Terre des Hommes". Ohne jede staatliche Unterstützung bemühen sich dort Kräfte um jene Kinder, deren schwere körperliche Verletzungen teurer Spezialbehandlung bedürfen, wie sie in ihrem eigenen Heimatland nicht möglich ist. Gerade hier müssen wir uns fragen, ob diese Aktion nicht dahin ausgeweitet werden kann, eine größere Anzahl Betten in deutschen Krankenhäusern für die jenigen bereitzuhalten, die
auf Grund der Schwere ihrer Krankheit oder ihrer Verletzung in ihrem Heimatland nicht geheilt werden können. Ziel unserer Hilfe muß dabei sein, bei diesen jungen Menschen auch immer die Notwendigkeit der Wiedereingliederung in ihre heimatlich Gesellschaft und Lebensordnung vor Augen zu haben.
Die Herausforderung, die das Elend in Vietnam für uns darstellt, darf nicht ohne positive Antwort unsererseits gelassen werden. Wir sind hier als Vertreter des deutschen Volkes aufgefordert, die Bundesregierung bei ihren Bemühungen zu unterstützen und eine Ausweitung der Hilfe nachdrücklichst anzustreben. Wir sind aber auch als Mitglieder sozialer Organisationen, Angehörige von Kirchen und schließlich als Menschen, die selbst ähnliches Leiden vor Augen gesehen und überwunden haben, aufgerufen, zu überprüfen, welches Maß an Hilfe von jedem einzelnen erwartet und geleistet werden kann.
In diesem Sinne bitten wir unseren Antrag zu verstehen und bitten um Annahme in der dritten Lesung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516516900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blumenfeld.

Erik Bernhard Blumenfeld (CDU):
Rede ID: ID0516517000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen, daß durch die Entschließungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion und, wenn ich richtig lesen kann, auch der Freien Demokraten, die Frage, die die deutsche
Öffentlichkeit seit langer Zeit sehr stark beschäftigt, in diesem Hohen Hause noch einmal kurz zur Beratung kommt, nachdem schon vor einiger Zeit hier anläßlich der Aussprache über den Bericht zur Lage der Nation seitens des Herrn Bundeskanzlers und der Fraktionsvorsitzenden die großen und gewichtigen politischen Leitgedanken zu unserer Position, zur deutschen Politik in bezug auf Vietnam dargelegt worden sind.
Ich möchte gleich am Anfang dem Kollegen Herold sagen, daß nach unserer Auffassung der Entschließungsantrag beider Fraktionen nicht in dritter Lesung angenommen werden kann, sondern an den Ausschuß überwiesen werden muß, schon deswegen, weil, wenn ich das ein wenig kritisch, aber freundschaftlich-kritisch sagen darf, die Formulierung des Antrags unserer sozialdemokratischen Koalitionspartner noch etwas an Nachwehen vom Parteitag zu leiden scheint. Bei der Formulierung ist wohl auch ein wenig Pflichtübung am Werke gewesen.

(Abg. Blachstein: Was soll die Schulmeisterei?)

— Wir meinen, die Formulierung, Herr Kollege Blachstein, könnte in der Tat auf die wirkliche und bedeutungsvolle Aufgabe, die wir Deutschen haben, zurückgeführt und richtiggestellt werden. Dazu ist der Text einfach nicht ausreichend. Wir meinen, er könnte erheblich verbessert werden.
Der Entschließungsantrag trägt das Datum vom 2. April. Seit dem 1. April ist die Landschaft aber doch ein wenig verändert

(Abg. Franke [Hannover] : Ein wenig!)

durch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten, durch das Friedensangebot, das er an Nordvietnam, an Hanoi, gerichtet hat. Wir meinen, daß wir nicht berufen sind, dazu hier nun mit einer gewissen Einseitigkeit in einem Entschließungsantrag noch einmal festzustellen, daß die Vereinigten Staaten aufgefordert werden, ihre Bombardierungen und ihre sonstigen militärischen Maßnahmen in diesem schrecklichen Konflikt einzustellen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten hier eines doch noch einmal ausdrücken. Der amerikanische Präsident hat durch sein Angebot, das er mit der Tatsache verknüpft hat, daß er sein ganzes persönliches Schicksal für den Frieden und die Friedenssicherung in diesem Teil der Welt in die Waagschale geworfen hat, ein großes moralisches Plus für sich und die amerikanische Politik wiedergewonnen.

(Beifall in der Mitte.)

Ich weiß nicht, ob dieses große Angebot des Präsidenten der Vereinigten Staaten in der globalen Auseinandersetzung — es ist gut, sich das in Erinnerung zurückzurufen — zwischen Ost und West dort draußen in Südostasien einen greifbaren Erfolg haben wird. Meine Damen und Herren, wir müssen aus europäischer und aus deutscher Sicht erklären, daß wir angesichts der Reaktion aus dem kommunistischen Lager diese Möglichkeiten eher skeptisch als optimistisch beurteilen. Hanoi hat, wenn die Nachrichten am heutigen Nachmittag über die Agen-



Blumenfeld
turen richtig gelaufen sind, die Aufforderung, die Einladung des amerikanischen Präsidenten zu Friedensverhandlungen, für die er seinen Sonderbotschafter und seine Administration bereitgestellt hat, praktisch negativ beantwortet. Damit würde allerdings eines sehr deutlich, daß nämlich die kommunistische Führung Nordvietnams versucht hat und weiter versucht — mit einigem Erfolg —, sich auf dem Umweg über die amerikanische Innenpolitik und dann auch durch weitere Subversion in Südostasien zu einem Faktor in der gesamten Auseinandersetzung im dortigen Gebiet zu machen und zu einem unabhängigen Verhandlungspartner aufzusteigen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es gehört sich, in diesem Augenblick auch von dieser Stelle aus zu sprechen, daß nunmehr nach dem Friedensangebot von Präsident Johnson für Südostasien die Verantwortung für eine rasche Beendigung des Konflikts eindeutig woanders liegt, nämlich in Moskau.

(Beifall in der Mitte.)

Es muß sich jetzt zeigen, was von den immer wieder vorgebrachten Friedensbeteuerungen der kommunistischen Führung sowohl in Moskau wie in Hanoi wie in Peking zu halten ist, ob sie es mit ihren Friedensbeteuerungen ernst gemeint hat oder ob sich diese Beteuerung bei der ersten wirklichen Probe aufs Exempel ins Nichts verflüchtigen.
Es wäre auch ein Erfolg, wenn in Zukunft auf den Straßen Europas — auch auf den deutschen Straßen — nicht mehr im Stakkato Ho Tschi Minh gerufen würde und dann vielleicht diejenigen, die den Frieden wirklich anstreben, als solche auch von denjenigen anerkannt würden, die angeben, für den Frieden dort draußen, für die geplagten Vietnamesen auf die Straße zu gehen.
Eine diskutable Lösung des Konflikts sehen meine Freunde und ich viel eher in einer von den Großmächten garantierten Vereinbarung für ganz Südostasien, in einem regionalen, kollektiven Sicherheitsabkommen, von dem später einmal die reinen Militärpakte abgelöst werden könnten und durch das somit eine hegemoniefreie politische Ordnung in diesem Gebiet hergestellt werden könnte. Wenn man nämlich wirklich diese Entschließungsanträge substantiieren und zu einem Dokument machen will, das der Deutsche Bundestag verabschiedet und das auch noch in den kommenden Monaten und vielleicht auch Jahren Bestand haben soll und Bestand haben muß, dann würde es sich lohnen — ich habe mir das schon im Auswärtigen Ausschuß anläßlich der letzten Sitzung anzuregen erlaubt —, anhand eines solchen Vorschlages, den wir durchaus nicht nur in seiner Tendenz, sondern auch in manchen seiner Vorschläge voll unterstützen, einmal objektiv festzustellen, wie denn die Entwicklung in Südostasien und insbesondere in Vietnam in den vergangenen zwanzig Jahren verlaufen ist. Es ist notwendig, daß wir dann auch einmal von dieser Tribüne her das Ergebnis unserer Überlegungen und unserer Beratungen der deutschen Öffentlichkeit und auch der Weltöffentlichkeit mitteilen, uns von dieser oftmals auch in politischen Kreisen festzustellenden schrecklichen Vereinfachung und schrecklichen Einseitigkeit distanzieren und uns auch zu dem einmal bekennen, wozu wir uns zu bekennen haben angesichts der Tatsache, daß auch in Europa gestern, heute und morgen die Vereinigten Staaten von Amerika unser Bündnispartner sind und mit uns die Freiheit auch hier verteidigen.

(Deifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin sehr mit dem einverstanden, was hier von dem Kollegen Herold über die humanitäre Hilfe und die Aufgabe der deutschen Politik und der deutschen Leistungen in diesem vom Krieg verwüsteten Gebiet gesagt worden ist. Wer dort gewesen ist und sich an Ort und Stelle ein Bild gemacht hat — wie es eine ganze Reihe von Kollegen getan haben und eine Reihe von Kollegen der SPD, wie wir wissen, in den nächsten Wochen noch tun werden —, wird mir darin zustimmen, daß wir stolz auf das sein können, was auf Anregung der Bundesregierung mit Unterstützung des Parlaments von jungen deutschen Frauen und Männern dort draußen auch in den Stunden und an den Orten der Gefahr für die Humanität, für die Vietnamesen geleistet worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn ich mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung an die Adresse der Kollegen der FDP hinsichtlich der Kleinen Anfrage, die sie in diesen Tagen bezüglich des Funktionierens der deutschen humanitären Hilfe gestellt haben, erlauben darf, dann diese. Erlauben Sie mir das in aller Offenheit zu sagen, auch wenn Sie meinen, daß es eine kritische Bewertung ist, die mir nicht zukomme. Aber da ich als Vorsitzender des Unterausschusses „Vietnamhilfe" seit nunmehr beinahe zwei Jahren zusammen mit den Kollegen, einschließlich der Kollegen der FDP, mich mit der Materie beschäftige, finde ich wirklich diese Unterstellung, daß die deutsche Hilfe nicht richtig ankommt und daß da etwas verlorengeht, nicht der Leistungen würdig, die die Deutschen dort stellen, und ich finde sie, mit Verlaub zu sagen, kleinkariert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Für das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika spielt im Zusammenhang mit dem Vietnamkonflikt weiterhin das Argument der unteilbaren Verteidigung die Hauptrolle. Die Aufgabe, die wir haben, die die deutsche Politik in Südostasien hat, ist es, durch ihre humanitäre Hilfe und durch ihre wirtschaftliche Entwicklungshilfe den Vietnamesen, dem Volk und — um das von vorhin aufzugreifen — auch der vietnamesischen Nation den Frieden vorbereiten zu helfen und den Menschen, die sich im Unglück befinden, den Flüchtlingen zu helfen und damit auch unserem Bündnispartner. Denn — und damit lassen Sie mich schließen — solange sich Amerika in und für Europa engagiert, müssen wir Deutschen auch unserem Partner und der Welt zeigen, wo wir stehen. Das hindert uns allerdings nicht, diesem Partner, wenn die Situation es erfordert, auch zu sagen, was wir denken, und das ist ja geschehen. Im übrigen aber wissen wir, daß die deutsche Hilfe in Vietnam von beiden Seiten nicht nur registriert, sondern respektiert wird,



Blumenfeld
und an diese im besten Sinne des Wortes politische Bedeutung unserer humanitären Maßnahmen sollte man sich vor allen Dingen erinnern, wenn man an die künftige Stellung und das Ansehen Deutschlands auch in diesem Teil der Welt denkt.
Meine Damen und Herren, wir meinen, daß die Entschließungsanträge an den Ausschuß überwiesen werden sollen. Wir werden diesen Antrag bei der dritten Lesung formell stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516517100
Das Wort zur Begründung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Umdruck 388 *) hat der Herr Kollege Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0516517200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn auch der Herr Kollege Blumenfeld angekündigt hat, daß die Entschließungsanträge der FDP und SPD nicht angenommen werden könnten, sondern an den Ausschuß überwiesen werden sollten, möchte ich doch unseren Antrag begründen und hoffe, daß in der dritten Lesung die Mehrheit des Plenums diesen unseren Antrag unterstützen wird.
Gewiß hat sich die Situation, seit wir unseren Antrag Anfang März eingebracht haben, entscheidend geändert. Präsident Johnson hat die Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam, wie sie in dem Antrag gefordert wurde, inzwischen verfügt, mit Ausnahme eines kleinen Streifens entlang der Grenze, der Aufmarschgebiete der nordvietnamesischen Truppen ist. Praktisch heißt das, Nordvietnam wird nicht mehr bombardiert. Wir müssen dankbar anerkennen, daß Präsident Johnson damit in seinem Bemühen um Frieden weit über das hinausging, was er im September 1967 in der sogenannten San-Antonio-Formel festgelegt und in seinem Bericht zur Lage der Nation am 17. Januar nochmals bekräftigt hat. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten aus dieser San-Antonio-Formel zitieren:
Die Bombardierung würde sofort eingestellt werden, wenn unverzüglich Verhandlungen aufgenommen werden würden, die eine echte Hoffnung auf ein produktives Ergebnis bieten.
Die andere Seite darf keinen Vorteil aus der von uns geübten Zurückhaltung ziehen, wie sie es in der Vergangenheit getan hat. Unsere Nation kann sich einfach nicht mit weniger zufrieden geben, ohne das Leben unserer Männer und unserer Alliierten zu gefährden.
Mit dem jetzigen Entschluß Präsident Johnsons ist eine der in unserem Antrag enthaltenen Forderungen praktisch erfüllt. Die Vereinigten Staaten haben damit eine echte Vorleistung erbracht. Um so mehr richten sich jetzt alle Augen auf die nordvietnamesische Regierung, an der es jetzt liegt, auch die dritte Forderung unseres Entschließungsantrages zu erfüllen, nämlich alle Operationen nordvietnamesischer Streitkräfte auf südvietnamesischem Gebiet einzustellen. Jetzt sollten — entsprechend unserer ersten Forderung — sofort Verhandlungen zwischen
*) Siehe Anlage 4 allen am Konflikt Beteiligten aufgenommen werden. Dabei ist es selbstverständlich, daß für das junge vietnamesische Volk das gleiche gelten muß, wie wir es für das deutsche Volk verlangen. Beide Völker haben das Recht auf Wiedervereinigung ihres Landes, das Recht auf Selbstbestimmung ohne die Anwesenheit ausländischer Truppen auf dem jeweiligen Heimatboden.
Die FDP ist sich darüber im klaren, daß eine friedliche Entwicklung in Vietnam, so wie wir sie erhoffen und in welchem Sinne wir an die dort Kriegführenden appellieren, auch Auswirkungen auf unsere europäischen Verhältnisse haben wird. Das politische Leben in Europa ist in den vergangenen Monaten durch den Krieg in Vietnam zunehmend vergiftet worden. Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht über Schuld oder Nichtschuld und auch nicht darüber reden, daß für manche in der Bundesrepublik der Vietnam-Konflikt nur ein Vorwand dafür ist, wirren gesellschaftspolitischen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen. Uns geht es darum, den negativen Einfluß des Vietnam-Konflikts auf die allgemeine europäische Entspannungspolitik zu beseitigen. Die Vorschläge, die verschiedene Vorredner von der Bundesregierung zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems gefordert haben, werden, wenn sie endlich kommen, nach einer Einstellung der Kampfhandlungen in Vietnam auf viel fruchtbareren Boden fallen, besonders dann, wenn die humanitäre Hilfe, so wie von uns gefordert, ohne Ansehen der Parteien geleistet wird.
Ich bitte Sie deshalb, dem Entschließungsantrag der FDP in dritter Beratung zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516517300
Meine Damen und Herren, die Anträge sind begründet worden. Über sie wird in der dritten Lesung Beschluß gefaßt werden.
Wir stimmen jetzt über den Antrag des Haushaltsausschusses zum Einzelplan 05 ab. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Anzahl Stimmenthaltungen ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem Schriftlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Griechenland, Drucksachen V/1989, V/2608.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Es liegt ein schriftlicher Bericht des Abgeordneten Blumenfeld vor.
Das Wort zur Beratung wünscht Herr Dr. Kopf.

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0516517400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kiep hat mich gebeten, einen Irrtum zu berichtigen, den er bedauert. Er nahm an, daß das Auswärtige Amt bei seinen Ausführungen nicht vertreten gewesen sei. Das Auswärtige Amt war tatsächlich durch Herrn Minister Wehner vertreten. Da Herr Minister Wehner sich am äußersten rechten Flügel der Regierungsbank befand, ist offenbar seine Anwesenheit



Dr. Kopf
zur Vertretung des Auswärtigen Amtes von Herrn Kollegen Kiep nicht vermutet worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte einige Worte zu dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses über Griechenland sagen. Es gehört zu den guten und alten Gepflogenheiten innerhalb der Staatenwelt — vorausgesetzt, daß es überhaupt erlaubt ist, in einer zerrissenen Welt von einer Staatenwelt zu sprechen —, daß ein Staat sich einer Einmischung oder Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu enthalten pflegt. Dafür, daß nun aber die inneren Verhältnisse Griechenlands bereits zum zweitenmal dieses Hohe Haus beschäftigen — in ähnlicher Weise, wie sie auch die Beratende Versammlung des Europarates bereits mehrmals beschäftigt haben —, liegen Gründe besonderer Art vor.
Diese Gründe sind darin zu erblicken, daß unser Land mit Griechenland durch drei Abkommen verbunden ist. Alle diese drei Abkommen enthalten Bestimmungen, zu deren Einhaltung sich Griechenland uns gegenüber, aber auch gegenüber allen Partnern dieser Abkommen vertraglich verpflichtet hat. Im Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 hat Griechenland sich zu den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechtes bekannt und hat sich bereit erklärt, die freien Einrichtungen innerhalb der inneren Struktur zu festigen. In der Satzung des Europarates, dem Griechenland beigetreten ist, hat es sich wiederum bekannt zu den Idealen der persönlichen Freiheit, der politischen Freiheit und des Rechtes, auf dem jede wahre Demokratie beruht. Schließlich hat Griechenland sich in der Konvention über die Menschenrechte bereit erklärt, den Schutz und die Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu seiner eigenen Aufgabe zu machen.
Der Europarat hat nun festgestellt — und der Auswärtige Ausschuß nimmt in der Einleitung seines Antrags auf diesen Beschluß des Europarats Bezug —, daß diese Menschenrechte in Griechenland verletzt sind. Die Sachverhalte sind Ihnen bekannt. Mehrere Kollegen unserer Fraktionen haben Gelegenheit gehabt, Griechenland zu besuchen. Wir wissen, daß eine Anzahl von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich auch heute noch nicht der Freiheit erfreut. Wir wissen, daß auch Parlamentarier — ebenfalls Mitglieder des Europarats — sich in Haft befunden haben. Wir wissen, daß ein funktionsfähiges Parlament zur Zeit in Griechenland nicht vorhanden ist. Das alles wissen wir, und es ist ganz selbstverständlich und klar, daß wir das Bedauern und die Sorge teilen, die 'in der Beratenden Versammlung des Europarats 'in zwei Entschließungen zum Ausdruck gebracht worden sind.
Ich darf darauf hinweisen, daß seit der Einbringung des Antrags über Griechenland eine neue Entschließung des Europarats gefaßt worden ist, eine sehr umfangreiche Entschließung auf Grund der Verhandlungen vom 31. Januar 1968. In dieser Entschließung, die vielleicht dem Hohen Hause noch nicht genügend bekannt ist, ist gesagt worden, der Europarat solle das Verfassungsprojekt, das durch die Verfassungskommission in Griechenland ausgearbeitet sei, prüfen und solle hierzu Bemerkungen machen.
Ferner ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Beratende Versammlung ihren Einfluß ausüben möge — und die Regierung bitten möge, den Einfluß auszuüben —, damit ein Referendum über diesen Verfassungsentwurf stattfinde, und zwar nicht später als im September dieses Jahres.
Darüber hinaus ist der Wunsch ausgesprochen worden, ,daß ein neues Gesetz über die Presse vor diesem Referendum verkündet werden solle, um auch durch die Ausübung der Pressefreiheit die Möglichkeit zu geben, daß die Grundlagen der Meinungsbildung auch der breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden.
Schließlich — das ist nicht unwichtig im Hinblick auf unseren eigenen Entschließungsentwurf — ist eine Empfehlung ausgesprochen worden, die mit einem ziemlich langen Zeitraum befristet ist, nämlich: spätestens im Frühjahr 1969 soll die Beratende Versammlung des Europarats dem Ministerkomitee die Suspension oder den Ausschluß Griechenlands aus dem Europarat empfehlen, — vorausgesetzt natürlich, daß eine parlamentarische Demokratie bis zu diesem Zeitpunkt nicht wiederhergestellt worden ist.
Für uns hat sich nun die Frage ergeben — sie stellt sich für uns eigentlich jeden Tag —: wie sollen wir uns in unseren praktischen Entschlüssen in der Angelegenheit Griechenland verhalten? Der Auswärtige Ausschuß hat zu ,den drei Vorschlägen die in dem eingereichten Antrag enthalten waren, Stellung genommen.
Zunächst einmal war die Frage zu prüfen: Welche Haltung sollen wir unserer Regierung vorschlagen? Wir wissen, daß vier Länder — die drei skandinavischen Länder und, wenn ich mich nicht irre, Holland — einen Antrag bei der Menschenrechtskommission in Straßburg gestellt haben, und zwar zu der Frage, ob die Voraussetzungen für einen Ausschluß Griechenlands aus dem Europarat gegeben seien. Die Menschenrechtskommission hat schon vor Monaten ihre Arbeiten begonnen. Diese Arbeiten werden fortgesetzt. Sie wird dann dem Ministerrat einen Bericht erstatten. Wir halten es für richtig, daß nach Abschluß des bei der Europäischen Menschenrechtskommission schwebenden Beschwerdeverfahrens — aber erst nach dessen Abschluß — durch das Ministerkomitee des Europarats, dann auch unter Mitwirkung des deutschen Vertreters, die Frage geprüft wird, ob der Art. 8 der Satzung des Europarats vom 5. Mai 1949 angewendet werden soll. Dieses Verfahren bei der Menschenrechtskom
mission ist ein rechtsförmliches Verfahren. Die Antragsteller und auch der betroffene Staat werden gehört. Dieses Verfahren ist vielleicht etwas langwierig, aber es hat alle Sicherungen der Rechtsgarantie. Man muß erst das Ergebnis dieses Verfahrens abwarten, und auf Grund des Ergebnisses dieses Verfahrens und nach dem Bericht der Menschenrechtskommission an den Ministerrat ist dann die Frage zu prüfen, welche Konsequenzen bezüglich des weiteren Verbleibens Griechenlands zu ziehen sind,



Dr. Kopf
Die zweite Frage ist folgende: Wie verhält es sich mit Leistungen, die bisher an Griechenland erbracht worden sind, mit Leistungen, zu deren weiterer Gewährung wir uns vielleicht verpflichtet haben? Wie verhält es sich auch mit künftigen Leistungen? Da sind auf der einen Seite die bilateralen Leistungen, die wir direkt erbracht haben oder direkt erbringen, und auf der anderen Seite die Leistungen im Assoziationsbereich der EWG zu unterscheiden. Ich will meine Ausführungen nicht dadurch verlängern, daß ich die verschiedenen Kategorien, diese verschiedenen Leistungen aufzähle. Ich will lediglich noch einmal das Ergebnis klarlegen. Wir sind der Meinung, daß solche Leistungen, die wir als laufende Angelegenheiten bezeichnen können, daß Leistungen, die in der Fortführung beschlossener oder in Angriff genommener Vorhaben bestehen, weiter erbracht, neue Verpflichtungen allerdings nicht eingegangen werden sollten, bis in Griechenland wieder parlamentarisch-demokratische Verhältnisse hergestellt sind. Diese Stellungnahme entspricht eigentlich einer laufenden Übung, die wir auch in anderen Fällen bereits praktiziert haben.
Die letzte Ziffer des Antrages enthält die Frage, wie bezüglich einer Militärhilfe verfahren werden soll. Der Auswärtige Ausschuß hat nach längerer — ja, man kann sagen: nach langer — Beratung beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, daß bis zur Wiederherstellung parlamentarisch-demokratischer Verhältnisse — ich will es ganz wörtlich zitieren —... Griechenland außerhalb der NATO-Verpflichtungen keine Militärhilfe zu gewähren ist.
Die NATO hat sich allerdings in einer ganzen Reihe von Entschließungen seit dem Jahre 1962 mit der Frage einer Militärhilfe an Griechenland und an die Türkei befaßt. Hier liegen eine ganze Reihe von Beschlüssen vor. Ich habe die Texte gesammelt und könnte sie zitieren, aber ich will davon absehen. Wir sind der Meinung, daß solche Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Wir sind aber auch der Meinung, daß die Lage, wie sie sich im letzten Jahr im Mittelmeer entwickelt hat, daß die Tatsache, daß sich die Position der Sowjetunion im Mittelmeer in außerordentlichem Maße verstärkt hat, es der NATO und allen Mitgliedstaaten der NATO nahelegt, auch diese NATO-Partner an der Südostflanke der NATO zu stärken.
Der von der Fraktion der Freien Demokraten eingereichte Antrag, die gesamte NATO-Verteidigungshilfe zu streichen — dieser Antrag ist vorhin abgelehnt worden —, ist für mich schwer verständlich; denn wenn ich mir überlege, daß Herr Kollege Genscher ja gesagt hat, die Verteidigungskraft sollte keine Schwächung erfahren, dann fällt es mir schwer, einzusehen, daß diese Verteidigungskraft keine Schwächung erleiden würde, wenn diese NATO-Hilfe an Griechenland und an die Türkei wegfallen würde. Schließlich sind die NATO-Hilfen an Griechenland und an die Türkei aufeinander abgestimmt.
Das sind die Vorschläge des Ausschusses. Wir halten sie für richtig, und wir halten sie für notwendig.
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Wunsch schließen. Es liegt uns allen daran — uns Deutschen, aber auch allen Mitgliedern des Europarates —, daß in Griechenland so rasch wie möglich wieder geordnete parlamentarisch-demokratische Verhältnisse ihren Einzug halten. So hoffen auch wir, daß der Verfassungsentwurf, der inzwischen ausgearbeitet worden ist, dessen Text ich allerdings nicht kenne, möglichst bald durch ein Volksreferendum angenommen wird. Wir dürfen die Erwartung aussprechen, daß Griechenland, dessen antike Stätten die Wiege der Demokratie in Europa dargestellt haben, so rasch wie möglich wieder zu diesen alten Traditionen zurückkehrt und geordnete, verfassungsmäßige demokratische Verhältnisse in seinem Land herstellt, mit dem uns seit langem freundschaftliche Bande verbunden haben.

(Beifall in der Mitte.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516517500
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0516517600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sei mir gestattet, vorab zwei Sätze zu den Ausführungen des Kollegen Blumenfeld zu sagen. Ich habe Ihre Einwände gegen unsere Entschließung zur Vietnam-Frage deshalb nicht verstanden, Herr Kollege Blumenfeld, weil ich glaube, daß sie genau in die neue Landschaft paßt, mit der wir es im Augenblick in Vietnam durch das Verhalten der amerikanischen Politik zu tun haben. Hier bleibt im wesentlichen unser Appell an die andere Seite und auch der Widerstand gegen den primitiven Anti-Amerikanismus, der sich hier im eigenen Lande entwickelt hat. Ich möchte Sie bitten, Ihre Stellungnahme noch einmal zu überprüfen.
Nun gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu der Vorlage, die Griechenland betrifft. Ich danke Herrn Dr. Kopf dafür, daß er die Einzelheiten der Beratungen im Ausschuß dargelegt hat. Darauf brauche ich also nicht noch einmal einzugehen.
Am 26. März schrieb die Abendzeitung „Vradyni" in Athen über den Parteitag der Sozialdemokratischen Partei und über die Entschließung, die dort gefaßt worden ist, u. a. folgendes:
Die große Petersilie unseres Zeitalters, der linksgerichtete Sozialismus, hat auf dem Nürnberger Parteitag wieder Wunder gewirkt.
Dann heißt es weiter:
Wissen sie,
— wir sind damit gemeint —
daß schon seit mehreren Jahren vor dem 21. April der Kommunismus, gegen den allein sich die vorläufigen Maßnahmen richten, außerhalb des Gesetzes steht?
Wissen sie, daß der Kommunismus nicht mit Blumen zu bekämpfen ist, sondern nur mit den gleichen Waffen, die er auch benutzt?
Geschickterweise kommt dann der dritte Absatz:
Wissen sie schließlich, wie viele deutsche Produkte nach Griechenland ausgeführt werden und



Mattick
was der Verlust des griechischen Marktes für die Westdeutschen zu bedeuten hätte?
Das stand vor einigen Tagen in einer Abendzeitung in Athen. Wir können darauf nur eine Antwort geben, indem wir an diejenigen, die das schreiben und die die Politik in Griechenland zur Zeit verantworten, auch eine Frage stellen. Ich würde fragen: Wissen Sie nicht, daß man nicht besser ist als diejenigen, die man bekämpft, wenn man ebenfalls den Boden der Demokratie verläßt?
Wer in den letzten Monaten in Griechenland war, der weiß, daß dort die Junta, eine nackte, einfache Militärdiktatur, herrscht. Diejenigen, die dort herrschen, haben uns auf unsere Fragen geantwortet: Die Demokratie in Griechenland war am Ende ihres Lateins, und es blieb kein anderer Weg. Sie haben die Vorwürfe denen gemacht, die bis zu dem Tage, zu dem wir in Griechenland waren, bemüht waren, die demokratischen Freiheiten und die Demokratie selbst zu verteidigen. Aber die Männer der Junta, die zur Zeit in Griechenland herrschen, gehörten doch mit zu den Bürgern Griechenlands, die dann mitschuldig sind am Verfall der Demokratie. Dann den einzigen Ausweg darin zu sehen, selbst die Macht an sich zu reißen und totalitäre Maßnahmen zu treffen, das ist keine Antwort der Demokraten und ist keine Antwort, die zur Erhaltung der Demokratie beitragen kann.
Herr Dr. Kopf hat mit Recht die Frage aufgeworfen, ob wir ein Recht haben, uns in die inneren Angelegenheiten dieses Staates einzumischen. Ich möchte dazu sagen: ein Staat, der unter der Voraussetzung der gemeinsamen demokratischen Grundlagen mit uns und anderen Partnern in eine Gemeinschaft eintritt, der muß sich, wenn er die demokratische Gemeinschaft verläßt, auch gefallen lassen, daß man sich mit der Entwicklung dieses Staates als Partner einer Gemeinschaft auseinandersetzt.

(Beifall bei der SPD.)

Nichts weiter, glaube ich, ist das, was wir hier tun. In diesem Sinne sind wir sogar von der griechischen Regierung bei unserem Besuch dort empfangen worden.
Nun ist die Frage : Was ist zu tun in dieser Phase der griechischen Entwicklung? Ich weiß, man kann die Dinge nicht schwarz-weiß sehen. Es wäre auch kein guter Ratschlag an die Bundesregierung, die Beziehungen abzubrechen, bis in Griechenland wieder demokratische Verhältnisse herrschen. Das würde der Bundesregierung und uns sicher nicht weiterhelfen, sondern würde uns nur jede Möglichkeit nehmen, Schritte zu tun, die denen helfen können, die in Griechenland um eine Wiedereinführung der Demokratie ringen. Das wissen wir. Daher sind die Ratschläge, die wir der Bundesregierung zu geben haben, natürlich sehr, sehr genau abzuwägen. Die Bundesregierung muß sehr genau abwägen, welche Schritte sie einleitet, was sie gegenüber der gegenwärtigen griechischen Regierung tut, um denen zu helfen, die um die Wiedereinführung der Demokratie ringen.
Wir haben in Griechenland eine nackte Diktatur. Was wir noch nicht haben, ist ein Faschismus, eine totalitäre Macht, die ihre Fundamente in der Bevölkerung hat und die nicht mehr abzuschütteln ist. Aus diesem Grunde sind die Maßnahmen fremder Mächte gegenüber der griechischen Regierung abzuwägen mit dem Ziel, denen in Griechenland zu helfen, die den Weg vom Totalitarismus zurück zur Demokratie suchen.
Nun muß man auch sehen, daß in der griechischen Junta, die heute die Macht in Griechenland hat, noch keine Einigkeit über den Weg besteht. Es gibt dort in dieser Regierung, die von der Junta gestellt wird, .sicher Kräfte, die einfach zur Fortsetzung und zum Ausbau der totalitären Herrschaft geneigt sind. Es gibt aber sicher auch Kräfte, die aus der Erkenntnis der westlichen Zusammenhänge nicht von vornherein bereit sind, diesen Weg zu gehen. Die Haltung der Bundesregierung muß darauf ausgehen, die Kräfte zu unterstützen — auch in der Junta und der Regierung, soweit sie sichtbar sind —, die bereit sind, den uns selbst angebotenen Weg der demokratischen Verfassung auch wirklich zu gehen.
Ich bin mir da über die Problematik im klaren. Wir werden von den griechischen Freunden, die sich jetzt als Emigranten in fremden Ländern aufhalten, gewarnt, denen nicht zu trauen, die von dieser Verfassung reden. Das ist sicher ihre Einsicht, und es ist ihr gutes Recht, uns zu warnen. Aber es ist auch unsere Pflicht, solange wir daran glauben, daß eine Möglichkeit besteht, den Verfassungsweg in Griechenland zu fördern, diesen Weg zu suchen.
Wer dort war — ich selbst habe das bitter erlebt —, der wird an die erste Zeit nach 1933 in Deutschland erinnert und auch an das, was in Deutschland alles geschehen ist, bevor man sagen konnte: Jetzt ist dieses „Drittes Reich" im Ausland verankert, und viele Fehler sind vom Ausland gemacht worden. Wir dürfen diese Fehler jetzt nicht machen.
Darum sind wir bei den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß zu Recht von dem Standpunkt ausgegangen, daß an die Bundesregierung der Auftrag erteilt werden sollte, alles genau abzuwägen, welche Schritte man tun muß. Die Regierung in Griechenland muß wissen, daß die Untertsützung durch die Bundesrepublik auf allen Ebenen nicht weiter fortgesetzt wird, wenn nicht klare Anzeichen dafür vorhanden sind, daß der Weg der Verfassung ernst gemeint ist und gegangen wird.
Wir haben auf unserem Parteitag in Nürnberg darüber hinaus einige Feststellungen getroffen und Forderungen gestellt.
Wir sollten diese Beratungen nicht vorübergehen lassen, ohne von der Tribüne des Bundestages zu appellieren.
Einige unserer Kollegen haben die Lager auf den Inseln besucht, Lager von Gefangenen, die weder einen Prozeß gehabt haben noch irgend etwas darüber wissen, wie lange sie dort sitzen müssen. Ich appelliere von hier aus an diejenigen Mitglieder der



Mattick
Militärregierung in Griechenland, die mit unserer Partnerschaft rechnen: Öffnet die Konzentrationslager und laßt die Menschen nach Hause gehen, die nicht wissen, warum und wie lange sie dort sitzen müssen!
Uns wurde gesagt, die Menschen, die dort sitzen, seien gefährliche Kommunisten. Wenn sich die Militärregierung vor den 2000 Menschen wirklich fürchten muß, ist es um ihre eigene Kraft und um den Boden, den sie in der Bevölkerung hat, schlecht bestellt. Außerdem plädiere ich dafür, daß wir in der Bundesrepublik nicht nur denen, die hierher kommen, Asylrecht gewähren, sondern daß wir auch denjenigen in Griechenland, die unter dem Druck der Militärregierung leben, die darüber hinaus ihre Arbeitsstellen und Funktionen verloren haben und im Augenblick nicht wissen, wovon sie leben sollen, sagen, daß sie bei uns eine Heimat finden, solange diese Zustände in Griechenland herrschen. Wir sollten ihnen also das Asyl ausdrücklich anbieten.
Wir in der Bundesrepublik wollen das Angebot annehmen, das uns gemacht worden ist, nämlich mitzuberaten über die Frage, ob man auf den Verfassungsgrundlagen, die dort erarbeitet werden sollen, auch wirklich eine Demokratie aufbauen kann. Wir wissen aber auch, daß Verfassungsfragen im wesentlichen Machtfragen sind. Hier bestehen starke Zweifel, ob diejenigen, die augenblicklich regieren, auch tatsächlich bereit sind, die Macht an die Verfassungsorgane zu übergeben, wenn die Möglichkeit zu einer demokratischen Entscheidung gegeben ist. Das sind die Fragen, vor denen wir stehen. Das sind die Fragen, die Bundesregierung und Bundestag beobachten müssen, und diese Fragen muß die Bundesregierung auf den Tisch legen, wenn darüber beraten wird, ob Griechenland weitere materielle Hilfe angeboten werden soll.
Wir bitten die Bundesregierung darum, über den hier vorliegenden Antrag hinaus zusammen mit dem NATO-Rat zu prüfen, inwieweit weitere militärische Hilfe vorläufig suspendiert werden soll, bis die Demokratisierung tatsächlich eingeleitet worden ist und unsere Hilfe wiederaufgenommen werden kann.

(Beifall bei der SPD.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516517700
Meine Damen und Herren! Wir beschließen jetzt über den Schriftlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses, und zwar über den Antrag des Ausschusses auf Seite 2.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen, bitte! — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Schriftlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Antrag betr. die Entschließungen des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung des Berichts gewünscht? — Das ist der Fall.
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0516517800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen dazu. Die vier Entschließungen stammen von dem Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa, von dem Monnet-Komitee. Der Text ist also von Anfang an ein international erarbeiteter Text und hat dadurch besonderes Gewicht. Inzwischen ist der Text in den Parlamenten Luxemburgs, der Niederlande und Italiens gebilligt worden, und ich denke, daß wir ihn heute abend hier einstimmig billigen werden. Ich erkläre für meine Fraktion jedenfalls, daß wir zu allen vier Entschließungstexten voll und ganz stehen, auch zu denen, die manche Schwierigkeit in sich bergen und an deren Durchführung sicher noch viel zu tun sein wird.
Eine weitere Bemerkung. Die aktuellste und wichtigste Entschließung betrifft die Erweiterung der EWG um Großbritannien und die drei anderen antragstellenden Länder. Ich meine, daß unser Herr Bundeskanzler recht hat, wenn er sagt: Wir dürfen nichts tun, was eine Krise in der EWG heraufbeschwören könnte, und nichts tun, was das schon Erreichte gefährden würde.
Ich möchte hier aber auf eines hinweisen. Die Beobachter in Brüssel berichten uns, daß in Wirklichkeit folgender Zusammenhang besteht: Wenn das Problem der Aufnahme Großbritanniens und der skandinavischen Staaten nicht gelöst wird, dann sind wir in einer tiefen Krise in der EWG. Das heißt: Wer die Gemeinschaft weiterbauen will — und ich denke, das wollen wir alle —, der muß sie auch ausbauen, der muß sie auch erweitern wollen. Die Bundesregierung, die ihre besonderen Beziehungen zu der französischen Regierung hat, hat hier eine besondere Verantwortung. Der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesaußenminister müssen in diesen kritischen Wochen — am 5. April tritt der Ministerrat wieder in Brüssel zusammen — die ganze Problematik noch einmal durchdenken und überlegen, wie man die große Krise in der EWG verhindern kann. Man kann sie nur verhindern, wenn es gelingt, ein Arrangement zu finden, das den Namen eines Arrangements wert ist, das also auch das zu leisten vermag, was es leisten muß. Es muß annehmbar sein für Großbritannien.
Hier droht eine ganz schlimme Krise, und unser ganzes kostbares Werk der europäischen Einigung droht in die Stagnation und in die Rückentwicklung zu geraten. Nach vorn kommen wir nur dann, wenn wir gleichzeitig beides tun: die Gemeinschaft im Innern ausbauen und den Weg des Zutritts neuer Mitglieder ebnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516517900
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0516518000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Ausführungen des Kollegen Dr. Mommer anknüpfen. Auch ich bin von tiefer Sorge erfüllt, und ich glaube, daß es an sich keine dankbare Haltung gegenüber der verdienstvollen Arbeit des sogenannten Monnet-



Dr. Kliesing (Honnef)

Komitees wäre, wenn wir uns darauf beschränkten — was an sich sehr verständlich wäre —, ein Bekenntnis zu den Prinzipien abzulegen, die in den vier Entschließungen aufgeführt werden. Diese Prinzipien sind schon seit langem ein Bestandteil der deutschen Poltik, und es hätte an sich dieser Mahnung an die Bundesregierung nicht bedurft.
Aber damit ist ja im Grunde genommen für die praktische Politik noch nicht viel gesagt. Es wäre hier zu prüfen und wenn die Stunde nicht bereits vorgerückt wäre, dann würde ich es gern tun —, inwieweit die Verfasser dieser Entschließung von der Situation beeinflußt waren, die sie vorfanden, als sie dies zu Papier brachten. Das war zehn Tage nach dem Fünf-Tage-Krieg im Nahen Osten, der ja nun in einer besonders drastischen Art die totale politische Ohnmacht Europas offenbart hat. Es wäre zu überprüfen, inwieweit hier noch eine gewisse Schockwirkung vorlag. Hier wird z. B. gesagt, daß wir unsere Regierung veranlassen sollten, bis zum 31. Dezember 1968 die notwendigen Maßnahmen für die Gründung europäischer Handelsgesellschaften, die Verwirklichung eines europäischen Kapitalmarktes, die Schaffung eines europäischen Programms für technologische Entwicklung usw. zu treffen. Ich bin der Auffassung, daß das Parlament und die Bundesregierung damit überfordert wären.
Ferner wäre die Frage zu prüfen, ob ein Verbindungsausschuß zur Garantie einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika nicht doch eine einheitliche europäische Willensbildung voraussetzt, die ja, wie Herr Mommer eben dargestellt hat, nicht vorhanden ist. Bei aller Bejahung des Prinzips einer Erweiterung der materiellen Grundlagen für die Beziehungen mit dem Osten meine ich doch, daß die Voraussetzungen für einen Kooperationsausschuß noch nicht gegeben sind, ganz abgesehen davon, daß hier noch einige technische Probleme, wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Comecon, zu prüfen wären.
Ich möchte es aber nicht bei diesen kritischen Bemerkungen belassen, sondern zwei Bitten an die Bundesregierung anfügen. Herr Mommer spricht hier von der großen Sorge, daß das, was geschaffen ist, eventuell noch zerschlagen werden könnte. Ich teile seine Auffassung und meine, daß wir einen Punkt suchen müssen, wo wir den Hebel ansetzen können. Dieser Punkt scheint mir auf dem Gebiet der technologischen Zusammenarbeit zu liegen. Dabei denke ich nicht an die Schaffung einer vierten, neuen unabhängigen Gemeinschaft; das geht schon wegen Euratom nicht. Ich kann mir aber eine europäische Zukunft nicht ohne eine technologische Integration in Europa vorstellen. Es hat keinen Sinn, sich an die europäische Klagemauer in Straßburg oder sonstwo zu stellen und das stets wachsende sogenannte technological gap zu beklagen, wenn man hier nicht entschlossen ist, etwas zu realisieren. Hier genügt eine einfache bilaterale Kooperation längst nicht mehr. Man kann hier auch nicht sagen, die Briten seien nicht reif; denn gerade sie verfügen über ein besonders hohes Potential, das sie in diese Gemeinschaft einbringen könnten.
Eben weil es zwingend geboten ist, schnell etwas zu tun, sollte man hier den Hebel ansetzen. Nach ein paar Jahren könnte eine Integration auf techriologischem Gebiet schon sinnlos geworden oder jedenfalls nicht mehr sehr erfolgversprechend sein, weil dann der technologische Vorsprung der anderen möglicherweise schon so groß geworden ist, daß er sich einfach nicht mehr aufholen läßt.
Das zweite — auch hier knüpfe ich an das an, was Herr Kollege Mommer gesagt hat —: Es jährt sich bald zum fünften Male, daß mit dem Scheitern des Fouchet-Plans II die Diskussion um die politische Einigung Europas zum Stillstand kam. Seitdem haben wir nicht nur eine Stagnation zu verzeichnen, sondern seither hat sich die Divergenz der politischen Auffassungen in den sechs Staaten der Gemeinschaft verstärkt, so daß heute die Situation schwieriger ist als noch vor fünf Jahren. Man hat die Dinge vielleicht etwas schlittern lassen, weil man der Auffassung war, es lasse sich jetzt ja doch nichts machen. Außerdem hat man vielleicht etwas zu sehr an das Dogma geglaubt, 'daß die fortschreitende Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, der wirtschaftlichen Integration, notwendigerweise politische Substanz herauskristallisieren und damit die Politische Union herbeiführen werde.

(Abg. Ertl: Leider Gottes!)

Wir sollten aus der bisherigen Entwicklung eine Konsequenz ziehen. Deshalb richte ich an die Bundesregierung die weitere Bitte, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Politische Union etwas weniger voneinander abhängig — um den Ausdruck „unabhängig" zu vermeiden — zu sehen, als das bisher geschehen ist. Wir sollten angesichts der politischen Ohnmacht Europas, das nicht in der Lage ist, politisch mit einer Stimme zu sprechen, angesichts der wachsenden Divergenzen der politischen Auffassungen in wichtigen europäischen Lebensfragen prüfen — dazu möchte ich die Bundesregierung ermutigen —, ob es jetzt nicht an der Zeit wäre, vielleicht im Rahmen des Ministerrats der WEU — oder was sonst die Bundesregierung als geeignete Ausgangsbasis ansehen sollte — noch einmal einen Anlauf zu nehmen, um Gespräche über eine politische Kooperation zu eröffnen. Wer mitmacht, wie viele mitmachen, wäre zu prüfen. Selbstverständlich sollte man nach den Erfahrungen bescheiden sein. Wer gleich die Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa auf den Tisch legt, verbarrikadiert die Eröffnung von Gesprächen. Ich denke zunächst einmal an Kooperation, an ein stärkeres Maß von politischer Konsultation. Wir sind in unseren Erwartungen ja so bescheiden geworden. Aber wenigstens dieser bescheidene Anfang sollte gemacht werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516518100
Noch eine Wortmeldung. Herr Dr. Kopf!

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0516518200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/ CSU und im Einvernehmen mit der sozialdemokratischen Fraktion darf ich mir gestatten, die Einfü-



Dr. Kopf
gung von fünf Worten in den Antragstext des Ausschusses anzuregen. Ich möchte bitten, den Antrag des Ausschusses wie folgt zu fassen:
Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, den in der gemeinsamen Erklärung des Aktionskomitees ... enthaltenen, nachstehend wiedergegebenen Entschließungen
— nun bitte ich, die Worte „nach Maßgabe des beigefügten Berichts" einzufügen —
in ihrer Europapolitik Rechnung zu tragen.
Herr Kollege Helmut Schmidt hat mich gefragt, ob denn dieser Bericht etwas Böses enthält. Ganz im Gegenteil, er erhält nur Gutes. Aber weil er Gutes enthält, ist es, glaube ich, notwendig, auf diese Weise eine gewisse Verstrebung und Verschränkung des Berichtsinhalts und der Erwägungen, die der Ausschuß angestellt hat, mit dem Text der Entschließung herzustellen. Diesem Zweck dient die kleine redaktionelle Änderung, die vorzuschlagen ich die Ehre hatte.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516518300
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Darf ich unterstellen, daß Sie damit einverstanden sind?

(Zustimmung.)

— Das unterstelle ich jetzt.
Dann stimmen wir über den Antrag des Ausschusses auf Seite 4 des Berichts des Ausschusses — Drucksache V/2801 — ab. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Wer ist gegen diesen Antrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, die Herren parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen haben mich davon unterrichtet, daß im Haus der Wunsch besteht, die Beratungen jetzt abzuschließen. Ich würde diesem Wunsche nachkommen. Ich darf vielleicht anregen, daß wir dann die noch nicht erledigten Einzelpläne 01, 02 und 03 morgen nach dem Einzelplan 09 behandeln. Es bleibt dann dabei, daß morgen vormittag der Einzelplan 09, danach die Einzelpläne 01, 02 und 03 beraten werden und danach der Einzelplan 06 zur Beratung stehen wird.
Herr Kollege Rasner!

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0516518400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, daß wir, damit wir eine fixe Zeit für diese Einzelpläne haben, uns darauf einigen, daß die Einzelpläne 01, 02 und 03 unmittelbar im Anschluß an die Mittagspause gelesen werden. Dann weiß das Haus, wann es über seine eigene Angelegenheiten abzustimmen hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516518500
Ich halte das für einen sehr vernünftigen Vorschlag. Sind die Damen und Herren damit einverstanden? — Herr Kollege Mertes!

Dr. Werner Mertes (FDP):
Rede ID: ID0516518600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich mitzuteilen, daß wir durchaus bereit sind, die Einzelpläne 01, 02 und 03 noch heute abend zu beraten, weil wir es für unbedingt notwendig halten, daß wir morgen nach der Mittagspause, also um 15 Uhr, mit der Beratung des so wichtigen Etats des Bundesinnenministeriums beginnen können.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516518700
Herr Kollege Rasner!

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0516518800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mertes, das sollten wir nach meiner Meinung nicht tun. Wir sollten nicht den Einzelplan des Deutschen Bundestages bei dieser Besetzung und nach der für den Sitzungsschluß vorgesehenen Zeit von 21 Uhr — dazu noch, wenn auch materielle Anträge vorliegen —, beraten. Dem möchte ich im Interesse des Hauses ganz klar widerraten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0516518900
Meine Damen und Herren! Sie haben die Meinung des Sprechers der FDP-Fraktion gehört. Heißt das, daß die FDP-Fraktion den Antrag stellt, mit den Beratungen fortzufahren, oder ist das eine Meinungsäußerung, über die nicht abgestimmt wird?

(Zurufe von der FDP: Antrag!)

— Dies ist ein Antrag, die Sitzung fortzuführen. Wir hatten eben nach einer Vereinbarung der Geschäftsführer — ich war noch nicht informiert, daß das keine einhellige Auffassung war — bereits gedacht, Schluß machen zu können. Die FDP stellt den Antrag, die Beratungen fortzusetzen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Wer ist gegen diesen Antrag? — Das letzte ist die Mehrheit. Dann würden wir die Beratungen jetzt beenden.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie noch, ob Sie damit einverstanden sind, daß unter diesen Umständen die Einzelpläne 01, 02 und 03 morgen nach der Mittagspause behandelt werden. Erheben sich Einwendungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so vorgesehen.
Ich berufe den Bundestag auf Mittwoch, den 3. April, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.