Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu seinem heutigen 73. Geburtstage gratulieren.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnungerweitert werden um die Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirtschaftsausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Herstellung und Verwendung von Bolzensetzwerkzeugen. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Illerhaus. Ist das Haus damit einverstanden, daß die Tagesordnung um diesen Punkt ergänzt wird? — Es ist so beschlossen.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat unter dem 31. März 1965 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Anpassung der Beamtenbesoldung an die allgemeine Einkommensentwicklung — Drucksache IV/ 3205 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/ 3270 verteilt.
Zu den in der Fragestunde der 176. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. April 1965 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Schneider Nrn. V/2 und V/3 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Weber vom 1. April 1965 eingegangen. Sie lautet:
Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte beantworte ich diese Fragen wie folgt:
Zu Frage V/2:
Der Bundesregierung sind Dokumentationen bekannt, die Angahen über Morde, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthalten, die im Jahre 1945 in der Tschechoslowakei begangen worden sind. Die wichtigste Dokumentation ist im Auftrage des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte herausgegeben worden.
Zu Frage V/3:
Die Bundesregierung untersucht zur Zeit, ob Möglichkeiten bestehen, Verbrechen aufzuklären, die nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 an Deutschen begangen worden sind. Sollte dies zur Feststellung konkreter, heute noch verfolgbarer Taten führen, so wird zu prüfen sein, ob die Ermittlungsergebnisse den in Betracht kommenden ausländischen Staaten mitzuteilen sind. Die Bundesregierung hält es dagegen nicht für erfolgversprechend, nur die jetzt vorhandenen Dokumentationen zu übergeben.
Wir treten in die Tagesordnung ein und beginnen mit der
Fragestunde .
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Frage VIII/2 — des Herrn Abgeordneten Müller —:
Trifft es zu, daß unter den zur sogenannten Wälzung kommenden Getreidebeständen der Einfuhr- und Vorratsstelle sich Ware befindet, die länger als 10 Jahre gelagert hat?
Bitte, Herr Bundeslandwirtschaftsminister!
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 2 und 3 zusammen beantworten zu dürfen.
Ist der Herr Abgeordneter Müller im Saal?
--- Dann rufe ich auch die Frage VIII/ 3 auf:
Ist es zutreffend, daß die Einlagerungskosten für die in Frage VIII/2 genannten Getreidebestände sich auf etwa 500 DM pro Tonne belaufen?
Es trifft zu, daß im Zuge der letzten Wälzungsverkäufe Getreide zum Verkauf gelangt, das länger als 10 Jahre in der Bundesreserve gelegen hat. Es handelt sich hierbei um etwa 6600 t Auslandsgetreide: Gerste, Hafer, Milocorn. Diese geringe Menge konnte erst im Rahmen des jetzt laufenden Wälzungsprogrammes, das einen Umfang von rund 420 000 t hat, abgegeben werden. Eine frühere Wälzung war aus Gründen der Marktentwicklung nicht möglich.Im übrigen ist der Kostenaufwand bei einer langfristigen Lagerung wesentlich niedriger als bei einer kurz- oder mittelfristigen Lagerung. Unabhängig vom Wälzungsturnus belaufen sich die nur mit der Lagerung verbundenen Kosten auf 33 DM je Tonne und Jahr.Hinzu kommen die einmaligen Kosten für Ein- und Auslagerung sowie An- und Abfuhr von etwa 32 DM je Tonne, die sich aber bei jeder Wälzung wiederholen würden. Für eine Lagerzeit von 10 Jahren würden also maximal 362 DM Lagerhaltungs-
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Bundesminister Schwarzkosten zuzüglich einer Wertminderung von rund 54 DM je Tonne entstehen.Bei kürzerem Wälzungsturnus vermindern sich zwar die Qualitätsabschläge, die dabei sich ergebende Verlustminderung wird aber durch die sich wiederholenden Kosten für Ein- und Auslagerung sowie An- und Abfuhr übertroffen.Bei den betreffenden Partien handelt es sich übrigens um sehr trockenes Auslandsgetreide, das bei ordnungsgemäßer Lagerung sehr lange haltbar ist und gesund erhalten werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Mich interessiert, Herr Minister, aus welchem Grunde die 6600 t Auslandsgetreide, um die es sich hier handeln soll und die länger als zehn Jahre gelagert haben, nicht rechtzeitig vorher gewälzt werden konnten.
Herr Kollege Müller, ich habe Ihnen soeben gesagt, daß wir diese 6600 t deshalb nicht wälzen konnten, weil sie marktstörend hätten wirken können. Hier haben wir zwei Momente: Der Importhandel und der Handel, der im Innern des Gebietes die Ware vertreibt, haben etwas unterschiedliche Auffassungen über die Dinge. Der Importhandel ist jedenfalls an einer recht häufigen Wälzung nicht interessiert. Wir möchten deswegen den Markt möglichst schonend behandeln.
Noch eine Frage? Bitte, Herr Abgeordneter Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt zu den Fragen des Abgeordneten Dr. Rinderspacher.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte die drei Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Ich nehme an, daß der Herr Fragesteller damit einverstanden ist. — Dann rufe ich auf die Fragen III/2, III/3 und III/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher —:
Teilt die Bundesregierung die in der Presse vertretene Auffassung, daß die sowjetisch-französischen Abmachungen über die Einführung des Farbfernsehens einen Affront für alle übrigen Nationen bedeuten, die dem Beratenden Gremium des Weltnachrichtenvereins angehören?
Ist die französische Regierung vor Abschluß der Vereinbarungen mit der Sowjetunion über die Einführung des Farbfernsehens an die Regierung der Bundesrepublik herangetreten, etwa im Sinne der Konsultationen nach dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der französischsowjetischen Vereinbarungen im Hinblick auf die Einführung des Farbfernsehens in Europa?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage: Die Bundesregierung hätte es begrüßt, wenn die französische Regierung die Ergebnisse der Wiener Tagung der Studienkommission des Internationalen Konsultativkomitees für
Funkverbindungen abgewartet hätte, bevor sie mit der Sowjetunion eine Vereinbarung über das Fernsehen traf.
Zur zweiten Frage: Die Frage des Farbfernsehens ist zwischen der deutschen und der französischen Regierung mehrmals besprochen worden. Die französische Regierung hat die deutsche Regierung auch über ihre Bemühungen — oder richtiger gesagt: die Bemühungen der französischen Industrie — unterrichtet, die Ostblockstaaten für die Einführung des französischen Verfahrens, des sogenannten SECAM- Verfahrens, zu gewinnen.
Auch die deutsche Industrie hat das von ihr entwickelte sogenannte PAL-Verfahren im Ostblock vorgeführt. Die deutsche und die französische Regierung haben den beteiligten Industrien seit längerer Zeit geraten, den Versuch einer technischen Zusammenarbeit zu machen. Dies ist zunächst mit dem Hinweis auf die Unvereinbarkeit der beiden Systeme abgelehnt worden. Die französische Regierung hat der Bundesregierung kurz vor der Wiener Konferenz, nämlich am 19. März 1965, von der bevorstehenden sowjetischen Entscheidung zugunsten des SECAM-Systems Mitteilung gemacht. Die Konsultationen werden fortgesetzt.
Zur dritten Frage: Möglicherweise kommt es zur Einführung von drei verschiedenen Farbfernsehsystemen in Europa. Einige Länder scheinen entschlossen zu sein, das amerikanische System einzuführen. Eine andere Gruppe schätzt die technischen Qualitäten des deutschen, eine dritte die des französischen Verfahrens höher ein. Eine solche Entwicklung wäre sowohl politisch als auch wirtschaftlich wenig sinnvoll. Die Bundesregierung beabsichtigt, zunächst die Empfehlungen der erwähnten Konferenz in Wien abzuwarten. Diese Empfehlung wird mit technischen Gesichtspunkten begründet werden. Danach wird die Bundesregierung prüfen, ob eine Möglichkeit besteht, eine Zusammenarbeit bzw. eine Verbindung aller drei Systeme zu erreichen. Sollte dies nicht gelingen, würde die Bundesregierung sich dafür einsetzen, daß ein Verfahren für Umsetzung der Sendungen des einen Systems in das andere ohne Qualitätsverlust entwickelt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß es sich bei den erörterten Fragen um ein technisches oder auch um ein politisches System handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich sowohl um ein technisches als auch um ein politisches System.
Herr Staatssekretär, wie vereinbart sich denn Ihre Auskunft mit der Feststellung des Pressedienstes der Bundespost — und zwar am Tage des französisch-sowjetischen Vertragsabschlusses —, daß die Prüfung ausschließ-
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Dr. Rinderspacherlieh den technischen Experten überlassen wurde, ohne sich hierbei etwa von politischen Gesichtspunkten beeinflussen zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid; ich kenne diese Stellungnahme des Postministeriums nicht. Ich kann daher zu ihr auch nicht Stellung nehmen.
Sie ist aber veröffentlicht worden.
— Herr Präsident, ist es möglich, diese Frage an das Postministerium abzugeben?
Ich denke, wenn das Ministerium vertreten ist.
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten seitens der Deutschen Bundespost wie folgt beantworten. Die Vertreter der Deutschen Bundespost haben zunächst diese Frage nur nach technischen Gesichtspunkten geprüft, beurteilt und entsprechend darüber verhandelt.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Eine Frage an den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen Amts: Wann hat die Bundesregierung davon erfahren, daß die französische Regierung ein Abkommen mit der Sowjetunion zu treffen beabsichtigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist wenige Tage vor dem Abschluß dieses Abkommens der Fall gewesen.
Noch eine Frage.
Was hat der Bundespostminister unternommen, um das deutsche System PAL seinen offenbar vorhandenen Vorzügen entsprechend den anderen europäischen Ländern anzubieten, nachdem offensichtlich geworden ist, daß PAL in gebirgigen Gegenden und Gebieten mit geringer Feldstärke überlegen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, das ist eine technische Frage, zu der ich nicht antworten kann. Ich möchte den Vorschlag machen, wenn ich mir das erlauben darf, diese ausgesprochen technischen Fragen, die ich vom
Standpunkt des Auswärtigen Amts nicht beantworten kann, zum Gegenstand einer besonderen Erörterung zu machen.
Ich glaube, daß der Herr Staatssekretär nicht in der Lage ist, diese Frage zu beantworten. Das kann man als wahr unterstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist wahr, Herr Präsident, — mit allem schuldigen Respekt.
Noch eine Frage.
Dann darf ich Sie aber fragen, Herr Staatssekretär, welche Initiativen die Bundesregierung ergriffen hat, um die für die deutsche Politik — vor allem im . Hinblick auf die deutsche Einheit — verhängnisvollen Folgen des französisch-sowjetischen Vertrages abzuwenden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte mich mit den Unterstellungen Ihrer Frage nicht identifizieren. Ich möchte hier nicht von verhängnisvollen Folgen sprechen, sondern ich habe ja in meiner Antwort bereits dargelegt, welche Entwicklungsmöglichkeiten die Bundesregierung für die Zukunft sieht. Alle diese Entwicklungsmöglichkeiten wird sie selbstverständlich voll ausschöpfen.
Noch eine Zusatzfrage.
Kann die Bundesregierung vielleicht darüber Auskunft geben, warum die französische Regierung eine solche Vereinbarung nicht mit der Bundesregierung getroffen oder zumindest angestrebt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich könnte darüber nur Mutmaßungen äußern, Herr Abgeordneter. Es wäre jedoch, glaube ich, nicht angebracht, wenn ich meine Mutmaßungen äußerte. Aber das eine muß man wohl erkennen, daß die französische Regierung naturgemäß bestrebt ist, dem französischen System eine möglichst weitgehende Verbreitung zu verschaffen.
Herr Abgeordneter Mattick zu einer Zusatzfrage.
Darf ich zunächst fragen, Herr Staatssekretär, nachdem die Bundespost in mehreren ähnlichen Fällen hat erkennen lassen, daß sie die technischen Probleme nicht mit den politischen Problemen in Zusammenhang sehen kann, ob die Bundesregierung nicht die Absicht hat, hier irgendeine Zusammenarbeit im Kabinett zustande zu bringen, damit die politischen Probleme gemeinsam mit den technischen angefaßt werden und solche Schwierigkeiten vermieden werden?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8899
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in dieser .Frage findet seit jeher eine enge Zusammenarbeit zwischen den technischen und den politischen Ressorts statt.
— Wenn ich Ihre Bemerkung als eine Frage ansehen darf, Herr Abgeordneter, dann würde ich sagen, daß das, was dabei herausgekommen ist, nicht auf das Verhalten der deutschen Regierung zurückzuführen ist.
Herr Staatssekretär, ich darf eine zweite Frage stellen. Ich möchte Sie ganz nüchtern fragen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß eine deutsch-ranzösische Zusammenarbeit im Farbfernsehen zur Folge hat, daß sich das deutsche Fernsehen quasi anschließen muß, und ob eine sowjetische-französische Zusammenarbeit im Farbfernsehen ebenfalls zur Folge hat, daß sich das deutsche Farbfernsehen praktisch anschließen muß, weil sonst die vielen Bewohner der Sowjetzone nicht mehr in der Lage wären, das westdeutsche Fernsehen zu empfangen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, daß das so ist, Herr Abgeordneter. Soweit ich die technischen Voraussetzungen verstehe, gibt es Möglichkeiten einer Kombination mehrerer Systeme.
Ich darf aber fragen, — —
Sie haben bereits zwei Fragen gehabt!
— Wieso, Herr Mattick? Sie dürfen nur zwei Fragen stellen. Nur der originale Fragesteller kann in diesem Fall sechs Zusatzfragen stellen.
Jetzt Herr Abgeordneter Börner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es im Zuge der Anwendung der Bestimmungen des deutschfranzösischen Vertrages üblich, daß sich die Bündnispartner bei wichtigen Entscheidungen im technischen und im wirtschaftspolitischen Bereich so kurzfristig gegenseitig informieren, wie Sie das vorher in einer Antwort in bezug auf das Fernsehen hier dargestellt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe schon gesagt, Herr Abgeordneter, daß es die Bundesregierung begrüßt haben würde, wenn in dieser Frage eine Übereinstimmung zwischen ihr und der französischen Regierung hätte herbeigeführt werden können.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Börner.
Darf ich Sie dann fragen, ob die Möglichkeiten zu Konsultationen, die der Bündnisvertrag vorsieht, in diesem besonderen Fall von seiten der deutschen Bundesregierung nach Ihrer Meinung völlig ausgeschöpft worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die deutsche Bundesregierung hat sich bemüht, zu einem gemeinsamen Vorgehen mit der französischen Seite zu kommen.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Absicht des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages nicht ins Gegenteil verkehrt, wenn statt Konsultationen und Vereinbarungen mit der Bundesrepublik jetzt Vereinbarungen mit der Sowjetunion gegen die Bundesrepublik getroffen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte mir auch die Meinung, die Sie in Ihrer Frage zum Ausdruck bringen, nicht zu eigen machen. Ich möchte insbesondere nicht davon sprechen, daß es sich um einen gegen die Bundesregierung und gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Vorgang handelt. Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Wir hätten es begrüßt, wenn es in dieser Frage zu einem Zusammengehen zwischen uns und Frankreich gekommen wäre.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Staatssekretär, ist es nicht auch richtig, daß die von der französischen Regierung getroffene Entscheidung eine Entscheidung gegen die atlantische Gemeinschaft ist, nämlich insofern, als die Zusammenarbeit Westeuropas mit den Vereinigten Staaten und deren Farbfernsehsystem praktisch unmöglich oder zumindest sehr erschwert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß die Zusammenarbeit unmöglich oder sehr erschwert wird, sondern ich glaube, es gibt — soweit ich die technischen Dinge verstehe, das muß ich immer einschränkend hinzufügen — Möglichkeiten einer Kombination der verschiedenen Systeme.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin selbst ausgeführt haben, daß in Europa möglicherweise drei Systeme angewandt werden, darf ich Sie fragen: Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, damit die verschiedenartige Anwendung der verschiedenen Systeme sich nicht nachteilig auf die Fragen der deutschen Einheit auswirkt?
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8900 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Antwort darauf liegt in den Untersuchungen über die Möglichkeit einer Kombination der Systeme.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß, wie sich aus den bisherigen Gesprächen ergibt, die skandinavischen Staaten, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland durchaus bereit und in der Lage wären, ein eigenes Farbfernsehsystem aufzustellen, und daß die französische Entscheidung diese Zusammenarbeit bedauerlicherweise hindert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich sehe, Herr Abgeordneter, handelt es sich um drei verschiedene Projekte, die zur Diskussion stehen: ein in Deutschland entwickeltes Projekt. Soweit ich weiß, neigen Großbritannien und ein auf amerikanischen Entwicklungen basierendes Projekt. Soweit ich weiß, neigt Großbritannien und die skandinavische Gruppe in stärkerem Maße dem amerikanischen Projekt zu.
Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann!
Herr Staatssekretär, nachdem die Post, wie wir vorhin aus dem Munde des Herrn Staatssekretärs des Bundespostministeriums gehört haben, alle einschlägigen Details technisch geprüft hat, wäre da nicht anzunehmen gewesen, daß die Post das Auswärtige Amt auch darüber unterrichtet, daß zunächst einmal ganz sicher technisch die Folgen eintreten können, die Herr Abgeordneter Mattick vorhin hinsichtlich der Empfangsmöglichkeiten in der Zone dargelegt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es hat zu keinem Zeitpunkt an einer ausreichenden Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bundesressorts gefehlt. Wir sind uns über die Lage in jedem Zeitpunkt in vollem Umfang im klaren gewesen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann bitten, mir zu erklären, warum jetzt in der Antwort der Bundesregierung von Ihnen gesagt wird, daß Sie nicht in der Lage seien, diese technischen Implikationen zu erläutern, — was doch der Fall sein müßte, wenn diese Konsultation vorher stattgefunden hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das hängt einfach damit zusammen, daß ich kein Techniker bin.
Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Staatssekretär, woran hat es denn nun eigentlich gefehlt, so daß wir zu diesem Ergebnis gekommen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß ich diese Frage in meinen früheren Antworten ausreichend beantwortet habe.
Ihre Frage zielt auf das außenpolitische Gebiet ab, Herr Abgeordneter. Ich möchte daher über das, was ich zu dieser Frage geantwortet habe, nicht hinausgehen.
Zu einer weiteren Frage, Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Staatssekretär, halten Sie es eigentlich für normal, daß zunächst politische Entscheidungen getroffen werden, von denen man zumindest — ich will mich vorsichtig ausdrücken — Zweifel darüber haben kann, ob sie im Einklang mit den Verträgen stehen, und man sich anschließend darum bemühen muß, die aufgetretenen Probleme technisch wieder zu lösen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hätte es aus technischen und aus politischen Gründen begrüßt — das habe ich schon gesagt —, wenn es zu einer Zusammenarbeit mit der französischen Seite gekommen wäre.
Herr Abgeordneter Sanger.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber klar, daß eine Dreiteilung der Farbfernseh-Übertragungsverfahren in Europa eine sehr 'starke Beeinträchtigung der westlichen Publikationsmöglichkeiten in unserem Lande mit sich bringen muß oder daß, wenn sich etwa die mitteleuropäischen und westeuropäischen Nationen der Pression fügen sollten, eine Einheitlichkeit herzustellen, damit eine wesentliche Stärkung der Publikationsmöglichkeiten des Ostens erreicht wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube — wenn ich das in Beantwortung Ihrer Frage sagen darf —, daß es eine dritte Möglichkeit gibt. Es ist sicher richtig, daß es wünschenswert gewesen wäre, daß die westeuropäischen Staaten sich zu einem einheitlichen System zusammengefunden hätten. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, dann muß man die dritte von mir erwähnte Möglichkeit ergreifen, nämlich die Möglichkeit einer Kombination der Systeme.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8901
Herr Abgeordneter Sänger zu einer weiteren Frage.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, nach Beendigung der Konferenz der Studienkommission in Wien bis zum nächsten Jahr, wenn das Komitee zur Plenarsitzung zusammentritt, noch eine Vereinigung, mindestens eine Vereinigung der westlichen Seite, herbeizuführen? Welche Möglichkeiten bestehen, das Ziel eines einheitlichen gesamteuropäischen Fernsehens zu erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hinsichtlich des Ziels stimme ich mit Ihnen überein, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung wird alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausnutzen.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Hübner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß bei diesen Fragen hartnäckig überhört wird, daß eine technische Lösung in Aussicht genommen ist, die eine Anpassung der Systeme ermöglicht, und daß eine solche technische Lösung das erstrebte Ziel in gleicher Weise realisiert?
Wollen Sie die Frage beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe die Frage verstanden und kann dem Herrn Abgeordneten zustimmen.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Schwabe.
Herr Staatssekretär, wir haben gehört, daß die Bundesregierung die Entwicklung bedauert und daß sie vor Abschluß des bedauerten Vertrages informiert worden ist. Hätte nicht die Möglichkeit bestanden, daß bei einer so wichtigen Sache der Herr Bundeskanzler mit seinem bekannt guten Verhältnis zum französischen Präsidenten
diese gute Beziehung ausgeschöpft und versucht hätte, zu retten, was zu retten ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung glaubt, die Möglichkeiten der Konsultation von sich aus ausgeschöpft zu haben.
Nächste Frage, Herr Abgeordneter Faller!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Ziel, das Sie Herrn Abgeordneten Sänger genannt haben, praktisch schon hinfällig ist, da heute morgen die Presse aus Wien meldet, daß die Konferenz fast unrettbar in drei Lager gespalten sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Abgeordneter. Wenn das Ziel des einheitlichen Systems nicht erreichbar ist, dann bleibt das nächstbeste Ziel das der Kombination der Systeme. Wir sollten nicht verzweifeln, weil wir das beste nicht haben erreichen können, sondern uns dann auf das nächstbeste konzentrieren. Das ist meines Erachtens in der Politik ganz allgemein die einzige Möglichkeit, die man hat.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Faller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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8902 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Hält die Bundesregierung es im Interesse eines gleichmäßigen Verkehrsflusses noch für zeitgemäß, die Fahrzeuge des Schaustellergewerbes nur dann von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien, wenn diese hinter einer Zugmaschine mit einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 20 km/h gefahren werden?
Ich beantworte die Fragen des Herrn Kollegen Wendelborn wie folgt. Von der Kraftfahrzeugsteuer befreit sind die Fahrzeuge, die von den Vorschriften über das Zulassungsverfahren ausgenommen sind. Zulassungsfrei und damit steuerfrei sind u. a. die Fahrzeuge des Schaustellergewerbes, die von Zugmaschinen mit einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 20 km je Stunde mitgeführt werden. Diese langsam fahrenden Fahrzeuge stören zwar in gewissem Umfang den gleichmäßigen Verkehrsfluß; die Regelung kann jedoch in Kauf genommen werden, da diese Fahrzeuge nur in geringem Umfang am Verkehr teilnehmen.
Was die zweite Frage nach der Möglichkeit von Sonderregelungen angeht, so ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bei der Schaffung neuer und der Erweiterung bestehender Kraftfahrzeugsteuervergünstigungen allergrößte Zurückhaltung geboten ist, weil jede neue Vergünstigung erfahrungsgemäß zu Berufungen Anlaß gibt.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Wendelborn.
Wendelborn -: Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß Fahrzeuge, die nur wegen der Steuerbefreiung mit 20 Stundenkilometern fahren müssen, obwohl sie normalerweise eine höhere Reisegeschwindigkeit erzielen könnten, eine erhebliche Behinderung des fließenden Verkehrs darstellen?
Herr Kollege Wendelborn, der Deutsche Bundestag hat diese Vergünstigung für die Schausteller beschlossen. Ich glaube nicht, daß es ohne weiteres möglich ist, mit den für das Schaustellergewerbe typischen Fahrzeugen laufend schneller als 20 km zu fahren. Der Bundestag war sich damals darüber klar, daß diese von Zugmaschinen gezogenen Wagen, die man von der Steuer befreien wollte, Wohnwagen und Gerätewagen sind. Mit diesen Fahrzeugen, die zum Teil sehr schwer sind, kann man im allgemeinen auf der Landstraße nicht mehr als 20 km in der Stunde fahren. Selbstverständlich behindern sie den raschen Verkehr. Aber wann treffen Sie bei Ihren Fahrten auf der Landstraße einmal solch einen Schaustellerzug? Weil diese Schaustellerfahrzeuge der Zahl nach am Verkehr verhältnismäßig wenig beteiligt sind, hat der Bundestag ihnen die Vergünstigung gewährt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ich habe in meiner Frage auf die Beförderung von Raubtieren abgezielt. Sind Sie nicht der Meinung, daß dem Gedanken des Tierschutzes besser Rechnung getragen ist, wenn diese Tiere schnell von einem Ort zum anderen befördert werden und nicht tagelang auf der Landstraße herumbummeln?
Das ist eine sehr schwierige fachliche Frage, die ich nicht zu beantworten wage, ohne mich mit den Verhältnissen bei der Haltung von Großraubtieren näher befaßt zu haben.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich bewundere die Eleganz, mit der der Herr Bundesfinanzminister auf einem fremden Jagdgebiet jagen gegangen ist.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Frage IX/1 — des Abgeordneten Fritsch —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Wehrpflichtige, die beim Bundesgrenzschutz Ersatzdienst leisten, für die Zeit dieses Ersatzdienstes nicht der Versicherungspflicht gemäß § 56 Abs. 2 AVAVG unterliegen und dadurch gegenüber anderen Wehrpflicht- oder Ersatzdienstleistenden benachteiligt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte zunächst eine begriffliche Klarstellung vornehmen zu dürfen. Unter Ersatzdienst verstehen wir den zivilen Ersatzdienst, der an Stelle
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8904 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Staatssekretär Dr. Claussendes Wehrdienstes geleistet wird. Es gibt demnach keine Angehörigen des Bundesgrenzschutzes, die Ersatzdienst leisten. Sie meinen mit Ihrer Frage wahrscheinlich Personen, die beim Bundesgrenzschutz Dienst leisten, der auf den nach dem Wehrpflichtgesetz zu leistenden Wehrdienst angerechnet wird.Die Bundesregierung weiß natürlich, daß diese Personen nicht für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert sind. Sie sieht darin keine Benachteiligung. Diese Personen sind versicherungsfrei, weil sie Beamte sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, wird dabei berücksichtigt, daß derjenige, der an Stelle des Grundwehrdienstes den Dienst beim Bundesgrenzschutz wählt, nicht die Absicht hat, in dieser Zeit den beamtenrechtlichen Status zu erwerben, und daß er vielfach in Unkenntnis der Rechtslage nach Ableistung dieses Dienstes vor dem Tatbestand steht, daß er gegenüber anderen, den Grundwehrdienst leistenden Personen insofern benachteiligt ist, als er im gebebenen Falle dann nicht Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt erhalten kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, ein solcher Fall tritt sehr selten ein; denn es wird sich bei diesen kasernierten Mannschaften sehr schnell herumsprechen, welche Vorteile oder Nachteile sie haben.
Außerdem sind sie Beamte, deren Rechte sich nach dem Polizeibeamtengesetz richten, .die Übergangshilfe oder Übergangsgebührnisse erhalten und die in dem Falle, daß sie wirklich lange Zeit arbeitslos sein sollten — was nicht anzunehmen ist —, die Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen können.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, darf ich die Frage stellen, ob Ihrerseits Überlegungen angestellt werden, mit Rücksicht auf die doch sehr zahlreichen Fälle dieser Art entweder in irgendeiner Form aufklärend zu wirken oder eine Novellierung des AVAVG nach dieser Richtung zu erwägen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, es würde durchaus ausreichen, wenn wir aufklärend wirkten. Wir werden Ihre Anregung gern aufnehmen und das tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß auch das Kündigungsschutzgesetz, das für Wehrpflichtige gilt, für diesen Personenkreis nicht gilt, woraus sich ebenfalls gewisse Schwierigkeiten ergeben, und wäre Ihr Haus bereit, bei der Beratung einer Novelle zum Bundespolizeibeamtengesetz diesen Fragenkomplex noch einmal mit zu prüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind dazu gern bereit, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Fragen mehr.
Frage IX/2 — des Herrn Abgeordneten Faller —:
Bis wann wird das am 25. Februar 1964 in Freiburg unterzeichnete deutsch-schweizerische Abkommen über soziale Sicherheit dem Bundestag zur Ratifikation vorgelegt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entsprechend dem Stand unserer Vorbereitungen, Herr Abgeordneter, kann mit dem Eingang der Vorlage in diesem Hohen Hause Anfang Mai gerechnet werden.
Keine Zusatzfrage.
Frage IX/3 — des Herrn Abgeordneten Faller —:
Konnte die Frage des Kindergeldes für Grenzgänger in dem in Frage IX/2 genannten Abkommen befriedigend geregelt werden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Schweiz sind nur die Familienzulagen in der Landwirtschaft bundesrechtlich geregelt; nur auf diese kann sich daher das deutsch-schweizerische Abkommen beziehen. Die für die übrigen Arbeitnehmer geltenden Regelungen über Familienzulagen werden jedoch bereits jetzt in den Grenzkantonen allgemeinen auch auf die deutschen Grenzgänger angewandt. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob die geringfügigen Lücken, die in der Gewährung von Familienbeihilfen für Grenzgänger nach der Schweiz noch bestehen, durch eine Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes geschlossen werden können.
Die nächste Frage, die Frage IX/4 -- des Herrn Abgeordneten Faller —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß von den Bediensteten der Deutschen Schlaf- und Speisewagengesellschaft Arbeitszeiten verlangt werden, die das zulässige Maß weit übersteigen und die gegen die Gewerbeordnung verstoßen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Deutschen Schlaf- und Speisewagengesellschaft, Herr Abgeordneter, ist in einem Tarifvertrag geregelt. Die Regelung verstößt nicht gegen das geltende Recht. Uns ist nicht bekannt, ob die Deutsche Schlaf- und Speisewagengesellschaft ihre Arbeitnehmer über die tariflich vereinbarte Arbeitszeit hinaus beschäftigt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8905
Staatssekretär Dr. ClaussenIch darf darauf hinweisen, daß für die Überwachung der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften die Gewerbeaufsichtsämter der Länder zuständig sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß sich auch Ihr Ministerium dafür interessieren sollte, wenn in einem Nebenbetrieb eines Bundesunternehmens im Februar dieses Jahres Arbeitszeiten von 350 bis 390 und in einem Fall 469 Stunden geleistet wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, selbstverständlich ist das für unser Haus von größtem Interesse. Aber ich darf sagen, daß die Überwachung der Arbeitszeit nicht Sache des Bundesarbeitsministeriums ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller.
Darf ich nochmals fragen, ob Sie bei solch einer eklatanten Überschreitung, nachdem sie Ihnen jetzt bekanntgeworden ist, bereit sind, sich darum zu kümmern und dort für Ordnung zu sorgen, da es sich sehr oft um ältere Angestellte handelt, die nicht ohne weiteres diese Arbeitszeit verweigern können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich werde die Anregung und den Tatbestand, den Sie mitgeteilt haben, selbstverständlich zum Anlaß nehmen, mich um die Angelegenheit zu kümmern. Ich werde das gern nachprüfen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß der Personalmangel bei diesen Nebenunternehmen der Bundesbahn nicht vielleicht auch auf die dort bestehenden Arbeitsbedingungen zurückzuführen _ist, und sollte der Herr Bundesverkehrsminister nicht einmal diese Frage prüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich stimme mit Ihrem Eindruck überein. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß zunächst einmal der Tarifvertrag die Grundlage für die Arbeitszeitregelung ist.
Keine Zusatzfrage mehr.
Frage IX/5 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, daß in Anwendung des § 73 Abs. 1 Nr. 3 BVG und den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften die Antragsteller auf Kapitalabfindung in Ablehnungsfällen oft davon Kenntnis erhalten, daß sie nach versorgungsärztlicher Meinung keine 10 Jahre mehr leben werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die aus dem Reichsversorgungsgesetz übernommene Vorschrift des § 73 Abs. 1 Nr. 3 des Bundesversorgungsgesetzes, Herr Abgeordneter, wonach eine Kapitalabfindung unter anderem nur gewährt werden kann, wenn nicht zu erwarten ist, daß die Rente innerhalb des Abfindungszeitraumes von zehn Jahren wegfallen wird, ist wiederholt im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen behandelt worden. Dabei bestand im Ausschuß Übereinstimmung darüber, daß auf die Vorschrift im Interesse einer angemessenen Begrenzung des Abfindungsrisikos nicht verzichtet werden könne.
Ich gebe zu, daß es für die Antragsteller und auch für die an diesem Verfahren beteiligten Ärzte und Verwaltungsbeamten bedrückend ist, wenn Anträge auf Kapitalabfindung im Ergebnis mit der Begründung abgelehnt werden müssen, der Gesundheitszustand des Antragstellers sei derart, daß seine Rente mutmaßlich während des Abfindungszeitraums fortfallen werde. Aus dieser Überlegung heraus schließt der durch das Zweite Neuordnungsgesetz eingefügte § 73 Abs. 2 die Gewährung einer Kapitalabfindung nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus. Dadurch hat sich die Zahl der Fälle, die zur Ablehnung aus diesen Gründen geführt haben, erheblich verringert.
Noch eine Frage, Herr Abgeorneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, sollten wir bei diesen Überlegungen nicht berücksichtigen, daß auch andere öffentliche Gelder ohne Prüfung der Frage der Lebenserwartung des Antragstellers gewährt werden und daß hier im Recht für Kriegsopfer doch ein Ausnahmezustand besteht, der, wie ich aus persönlichen Fällen weiß, erhebliche seelische Schockwirkungen bei den Antragstellern auslösen kann und vielfach auch auslöst?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben recht, Herr Abgeordneter. Ich kann aber darauf verweisen, daß diese Fragen seinerzeit im Kriegsopferausschuß behandelt worden sind und daß man glaubte, auf diesen Paragraphen nicht verzichten zu können.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, ungeachtet des Umstandes, daß Sie auf die Beratungen im Kriegsopferausschuß hinweisen: Sind Sie nicht trotzdem der Auffassung, daß § 73 Abs. 1 Nr. 3 geändert werden sollte, damit diese Zustände beseitigt werden, um so mehr, als ja feststeht, daß bei gegebenen Kapitalabfindungen eine dingliche Sicherung erfolgt, also für den Fiskus ein größtmögliches Maß
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8906 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Fritschan Sicherheit hinsichtlich der Möglichkeit der Rückzahlung dieser Kapitalabfindungen gewährleistet ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich werde Ihrer Anregung folgen und mit den Verwaltungsbehörden der Länder, die für diese Fragen zuständig sind, in Verhandlungen darüber eintreten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage X/1 — des Abgeordneten Josten—:
Trifft es zu, daß die Bundesstraße 9 zwischen Remagen und Oberwinter in den nächsten acht Jahren keine Änderung erfahren soll?
Herr Staatssekretär Seiermann zur Beantwortung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Ihnen zugegangene Nachricht trifft nicht zu. Die Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz hat die Voruntersuchungen für den Ausbau der Teilstrecke der B 9 zwischen dem Unkelsteinviadukt und Remagen abgeschlossen und wird meinem Hause in Kürze die ersten Pläne zur Entscheidung vorlegen. Nach Abschluß der baureifen Planung und des Planfeststellungsverfahrens wird mit dem Bau begonnen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten!
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich, mich über den Fortgang Ihrer hier erwähnten Verhandlungen zu informieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde das gern veranlassen.
Ich rufe auf die Frage X/2 — des Abgeordneten Josten—:
Ist die Bundesregierung bereit, in jedem Falle den Engpaß am Apollinarisberg in Remagen an der Bundesstraße 9 durch Verbreiterung der Fahrbahn baldmöglichst zu beseitigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wegen des dicht neben der Fahrbahn steil aufragenden Berges und der auf der anderen Seite der Straße gelegenen Bundesbahnstrecke ist eine provisorische Verbreiterung der B 9 an dem Engpaß am Appolinarisberg bei Remagen nicht möglich. Diese Engstelle kann nur durch eine großzügige Lösung beseitigt werden, wobei die Bahnlinie zum Rhein hin verschoben und der dadurch gewonnene Raum für eine neue vierspurige Straße Verwendung finden wird. In dieser Richtung bewegen sich auch die Vorarbeiten.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, würden Sie, falls Ihre vorhin erwähnten Verhandlungen nicht zu einem baldigen Ergebnis führen, erneut mit dem Land Rheinland-Pfalz verhandeln, um doch eine provisorische Lösung an diesem Engpaß zu finden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine provisorische Lösung ist schwer zu finden, Herr Abgeordneter. Es sind darüber bereits 'Überlegungen angestellt worden. Beim Angreifen des Berges besteht hier die Gefahr von Nachrutschungen. Wir haben, wie Sie vielleicht wissen, in den letzten Monaten in Deutschland zwei solcher Fälle erlebt, wo Berge möglicherweise deswegen ins Rutschen gekommen sind, weil sie angefaßt worden sind — will ich einmal sagen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auch ein Plan besteht, nach dem die Mauer an die Bundesbahn hochgezogen würde, wodurch eine Verbreiterung der Fahrdecke um 2 m erreicht würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verbreiterung um 2.m wird nicht genügen, Herr Abgeordneter. Wir müssen ja immer die künftige Entwicklung des Verkehrs im Auge haben. Wir sind schon dafür, daß eine endgültige Lösung sofort 'in Angriff genommen wird.
Ich rufe auf die Frage X/3 — des Abgeordneten Sänger —:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundesbahn dahin zu wirken, daß die mit Einführung des Sommerfahrplans 1965 beabsichtigte Einschränkung im Bundesbahnverkehr auf der Strecke Lübeck—Lüneburg unterbleibt?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie mir die Deutsche Bundesbahn zu Ihrer Frage mitteilt, werden nach den neuesten Entwürfen für den Sommenfahrplan 1965 keine wesentlichen Einschränkungen gegenüber dem bestehenden Fahrplan vorgenommen. Mit den vorgesehenen Maßnahmen wird der Fahrplan dem vorhandenen Verkehrsbedürfnis angepaßt. Dies geschieht bei jedem Fahrplanwechsel. Die Deutsche 'Bundesbahn handelt hierbei nach dem Gesetz in eigener Zuständigkeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sanger.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Antwort oder die Antwort der Bundesbahn mit den wiederholt gegebenen Zusagen der Bundesregierung, daß die Verkehrsverhältnisse in Zonenrandgebieten auch außerhalb der Berücksichtigung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8907
Sängerwirtschaftlicher Zuträglichkeit geregelt werden sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, hier liegt eine Verwechslung vor. Die Erklärungen der Bundesregierung und auch der Beschluß des Bundeskabinetts beziehen sich auf die Stillegung von Strecken und von Abfertigungsstellen. Die Fahrpläne werden nicht erst seit kurzer Zeit, sondern seit vielen Jahren jährlich daraufhin überprüft, ob Verbesserungen, also zusätzliche Züge, notwendig sind oder ob die Verkehrslage ,die Einsparung von Zügen ermöglicht. Diese Verhandlungen werden unter Beteiligung der Länder sowie der Industrie- und Handelskammern geführt, bei denen ja seit Jahrzehnten für diesen Zweck die sogenannten Fahrplanausschüsse bestehen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Sänger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei einer Verminderung des Zugverkehrs in einem Zonenrandkreis ihr Augenmerk darauf zu richten, daß dies zu einer fortschreitenden Isolierung unserer Zonenrandgebiete und zu einer Schädigung ihrer Wirtschaftslage führt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Fragen werden geprüft, und wenn sich diese Gefahren ergeben, wird keine Landesregierung bereit sein, einen solchen Zustand hinzunehmen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir — da immer noch kein grundsätzlicher Kabinettsbeschluß zur Lage der Bundesbahn vorliegt — Auskunft darüber geben, ob es zutrifft, daß der Personenverkehr in den einzelnen Direktionen immerhin zwischen 5 und 8 % im Rahmen des Sommerfahrplans verringert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist durchaus möglich, daß in einzelnen Direktionen die Abwanderung des Verkehrs von der Schiene zur Straße, zum Pkw, so stark ist, daß die Bundesbahn gezwungen ist, ihr Angebot entsprechend zu ermäßigen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Staatssekretär, das geschieht alles, ohne daß die Grundsatzfragen bisher jener Lösung zugeführt worden sind, die seit dem vergangenen Jahr fällig ist?
War das ein Fragezeichen, Herr Abgeordneter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, daß diese Maßnahmen in keiner Weise im Zusammenhang mit der Denkschrift der Bundesbahn und der derzeitigen Finanzlage der Bundesbahn stehen. Die Prüfung des Fahrplans wird seit Jahrzehnten in jedem Jahr durchgeführt und jeweils auf die Verkehrsbedürfnisse abgestellt.
Keine weitere Frage.
Dann rufe ich die Frage X/4 — des Abgeordneten Storm — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß entgegen den Verlautbarungen des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, den Schienenverkehr im Zonenrandgebiet nicht einzuschränken, die Bundesbahn dennoch zwei Zugpaare von Neustadt nach Heiligenhafen-Puttgarden im Sommerfahrplan ausfallen lassen will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Storm zusammen beantworten?
Ist der Herr Fragesteiler einverstanden? —
— Dann bitte ich, so zu verfahren, und rufe noch die Fragen X/5 und X/6 — des Abgeordneten Storm -- auf:
Hält die Bundesregierung das Ausfallen von zwei Zugpaaren von Neustadt nach Heiligenhafen-Puttgarden für gerechtfertigt, obwohl das Wirtschaftsministerium in Kiel und die Industrie- und Handelskammer in Lübeck schwere Bedenken dagegen geäußert haben?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei einer Verlagerung des Personenverkehrs auf die Straße B 207 / E 4, die im Sommer durch den Skandinavienverkehr und den Ostsee-Bäderverkehr sowieso stark überlastet ist, durch zusätzliche Buslinien für die Reisenden eine unerträgliche Belastung dadurch entsteht, daß die Busse infolge von Straßenverstopfungen insbesondere im Raume Neustadt die Anschlußzüge in Neustadt nicht erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in Ihren Fragen werden Fahrplanmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn angesprochen. Wie ich soeben bereits erwähnt habe, richtet sich der Beschluß der Bundesregierung vom 16. Dezember 1964 nicht gegen die Fahrplanmaßnahmen, sondern gegen die globale Stillegung von Strecken und Annahmestellen.Die Haltung der Deutschen Bundesbahn in dem von Ihnen genannten Fall ist mir aus verschiedenen Rücksprachen mit Ihnen ja bekannt. Ich kann sie nur lebhaft bedauern. Ich muß aber darauf hinweisen, daß der Bundesminister für Verkehr nach dem Bundesbahngesetz keine Möglichkeit hat, Einzelanweisungen in Fahrplanangelegenheiten zu geben, auch wenn er mit den getroffenen Maßnahmen im Einzelfall nicht einverstanden ist.Die Deutsche Bundesbahn handelt hier nach dem Gesetz in eigener Zuständigkeit. Sie ist gehalten, den Ländern 'bei der Bearbeitung der Reisezugfahr-
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8908 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Staatssekretär Dr. Seiermannpläne Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ich hoffe, daß dies im vorliegenden Falle geschehen ist. Hier sollten sich auch Industrie- und Handelskammern, ferner Handwerks- und Landwirtschaftskammern einschalten.Zu Ihrer dritten Frage teilt mir die Deutsche Bundesbahn mit, daß die Übergänge vom Bus auf den Zug in Neustadt vom Sommerfahrplan an verbessert werden. Im übrigen habe ich auf Grund Ihrer vor kurzem gegebenen Anregung die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn um eine ausführliche Stellungnahme gebeten. Trotz meiner Bitte um beschleunigte Erledigung steht die Antwort noch aus. Nach Eingang dieser Stellungnahme werde ich Sie schriftlich unterrichten.
Haben Sie noch eine Frage, Herr Abgeordneter Storm? — Bitte!
Glauben Sie, Herr Staatssekretär, daß mit der Einstellung zweier Zugpaare auf einer Strecke, die sowieso wegen des internationalen Verkehrs voll besetzt und unterhalten werden muß, wesentliche Einsparungen erzielt werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist eine Frage, die von der Beurteilung der Verkehrslage durch die Dienststellen der Bundesbahn abhängt.
) Vizepräsident Schoettle: Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Storm.
Halten Sie es für vertretbar, Herr Staatssekretär, vom Sommerhalbjahr an den Personenverkehr auf eine Straße zu verlegen, die sowieso außerordentlich überlastet und verstopft ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe auf diesen Zustand und auf die Belastung der Straße die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn noch einmal in dem genannten Schreiben besonders aufmerksam gemacht und die Bundesbahn gebeten, ihre Fahrplanentscheidung unter Berücksichtigung dieser Umstände noch einmal zu überprüfen.
Haben Sie noch eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter Storm.
Herr Staatssekretär, haben Sie dabei auch bedacht, daß durch die Großraumfahrzeuge — Busse mit Anhänger — der Verkehr außerordentlich gefährdet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch darauf ist die Bundesbahn hingewiesen worden.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Storm.
Herr Staatssekretär, würden Sie oder die Bundesregierung sich dafür einsetzen können, daß dieser Engpaß durch Schienenbusse beseitigt wird? Das wäre dann zur Zufriedenheit aller eine Verbesserung des Verkehrs in diesem Abschnitt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde mich dafür einsetzen, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Fragen mehr. — Damit ist die Fragestunde geschlossen. .
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich jetzt Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, :FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu § 4 Absatz 4 des Altsparergesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Drucksache IV/ 3264).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kuntscher. Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter gestatte ich mir, einen kurzen mündlichen Bericht zur Drucksache IV/ 3196 zu geben. Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 17. März 1965 auf Änderung des Gesetzes zu § 4 Absatz 4 des Altsparergesetzes ist in der 175. Sitzung des Bundestages in erster Beratung dem Ausschuß für den Lastenausgleich — federführend — und dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zur Mitberatung überwiesen worden. Nach § 3 des Gesetzes zu § 4 Absatz 4 des Altsparergesetzes bleibt eine Altsparerentschädigung zugunsten von Entschädigungsberechtigten mit ständigem Aufenthalt in Deutschland außerhalb des Geltungsbereichs des Altsparergesetzes einer späteren gesetzlichen Regelung vorbehalten. Der Bundestag hat mit 'dem Vierten Umstellungsergänzungsgesetz zugunsten derjenigen Personen, die in die Bundesrepublik und nach Berlin kommen, die Umwandlung der Berliner Uraltguthaben vorgesehen. Es scheint angebracht, daß dieser Personenkreis auch die ihm etwa zustehende Altsparerentschädigung erhält.
Ich bitte Sie, dem Ausschußantrag auf Drucksache IV/ 3264 zu folgen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf § 1, — § 2, — § 3, — die Einleitung und die Überschrift. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8909
Vizepräsident Schoettle Ich rufe auf zurdritten Beratung.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.- Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/3240) ;b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksachen IV/3233, zu IV/3233).
.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zur Eröffnung der Generaldebatte der dritten Lesung ) der Härtenovelle einige Bemerkungen zur Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs machen. Die CDU/ CSU-Fraktion hat sich schon zu Beginn dieser Legislaturperiode — es war im November 1961 — in einer Fraktionssitzung sehr eingehend mit dem Problem der kleinen und kleinsten Renten in den Rentenversicherungen beschäftigt. Sie werden sich entsinnen, daß wir bei der Rentenreform, um den Übergang vom alten zum neuen Recht zu erleichtern, die sogenannte Vergleichsberechnung eingeführt haben. Danach waren die Rentenversicherungsträger gehalten, für eine Übergangszeit von 5 Jahren die Renten nach altem und nach neuem Recht zu berechnen und jeweils die höhere Rente auszubezahlen. Diese Vergleichsberechnung ist Ende 1961 abgelaufen. Es war also damit zu rechnen, daß von da ab auch Renten ausbezahlt würden, die unter den bis dahin noch geltenden Mindestrenten liegen.Wir haben daher im November 1961 in unserer Fraktion eine Kommission gebildet, die den Auftrag erhalten hat, sich mit der Frage der kleinen Renten in den Rentenversicherungen zu beschäftigen; sie sollte ihren Ursachen nachgehen, vor allem feststellen, wo sich bei der Durchführung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze Härten ergeben haben, und Vorschläge zur Beseitigung dieser Härten machen. Wir haben uns die Arbeit wahrhaftig nicht leicht gemacht. Wir hatten sehr viele intensive Arbeitssitzungen, zu denen wir Sachverständige hinzugezogen haben. Ferner haben wir — dafür sind wir sehr dankbar — eingehende Ausarbeitungen vom Verband der Rentenversicherungsträger bekommen, und wir haben Stellungnahmen von weiteren Verbänden erhalten. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, all denen, die uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden sind, recht herzlich zu danken.Wir haben auch sehr viele Einzeleingaben, Briefe von einzelnen Versicherten und Rentnern, als Material für unsere Beratungen herangezogen. Mancher von uns — das gilt auch für die Kollegen von der Opposition — mag vielleicht ab und zu mal über die Flut von Rentnerbriefen gestöhnt haben, die uns erreicht haben. Es war mir selber auch manchmal fast zu viel. Ich habe aber immer wieder bedauert, daß ich auf die einzelnen Briefe nicht so eingehend antworten konnte, wie es die Schreiber dieser Briefe im allgemeinen verdient hätten. Wir konnten sicherlich nicht alle Anregungen und Wünsche, die in den Einzelfällen vorgetragen worden sind, berücksichtigen. Das ist selbstverständlich. Bei einem solchen Gesetzgebungswerk kann man nicht auf jeden Tatbestand eingehen, da kann man nur generalisierend verfahren.Im März 1964 hat die erwähnte Kommission ihre Arbeiten abgeschlossen und der Fraktion einen Bericht gegeben. Die Fraktion hat im April 1964 die Bundesregierung gebeten, einen Gesetzentwurf zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen vorzulegen. Eine erste Lesung dieses Gesetzentwurfs hat nicht stattgefunden. Deshalb ist über seinen Inhalt hier im Plenarsaal nichts gesagt worden.
Der Schriftliche Bericht enthält nichts von dem, was in der Regierungsvorlage steht, sondern im wesentlichen nur die Beschlüsse, die im Ausschuß gefaßt worden sind. Nun ist es nicht der Sinn dieser dritten Lesung, das, was wir bei der ersten Lesung versäumt haben, nachzuholen. Deshalb verzichte ich darauf, auf einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurfs einzugehen. Es wird aber die Aufgabe von uns allen — von uns Abgeordneten, von der Regierung und den Rentenversicherungsträgern — sein, die Versicherten und die Rentner möglichst umfassend und möglichst zuverlässig zu unterrichten. Das ist keine leichte Aufgabe.Wir haben bei der Härtenovelle an den Grundsätzen der Rentenreform festgehalten; denn die Rentenreform hat sich erwiesenermaßen bewährt. Wir haben keinen Anlaß, von dem, was wir im Jahre 1957 beschlossen haben, vom Grundsatz her abzuweichen. Unsere Rentenversicherung gibt heute unseren Versicherten bei Invalidität, im Alter und für die Hinterbliebenen beim Tod des Ernährers einen Schutz, wie ihn kein anderes Land der Welt kennt.
— Jawohl, das ist wirklich nicht übertrieben, Herr Kollege Professor Schellenberg. Es ist daher kein Wunder, daß heute so viele in diese gesetzliche Rentenversicherung hineindrängen. Wir wissen, daß die Menschen von heute das Verlangen nach Sicherung im Alter haben. Die Menschen von heute sind bereit, dafür hohe und höchste Beiträge zu bezahlen. Davon können wir ausgehen.
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8910 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
RufNun wird sehr oft, um unsere Rentenversicherung irgendwie madig zu machen, auf die sogenannten Durchschnittsrenten hingewiesen. Diese Durchschnittsrenten haben keinen Aussagewert. Das sollte jeder, der von den Dingen ein bißchen Ahnung hat, allmählich wissen. Sie haben insofern einen Aussagewert, als man, wenn man diese Durchschnittsrenten in ihrer zeitlichen Entwicklung nebeneinanderstellt, sagen kann, wie sich das Leistungsrecht in unserer Rentenversicherung im Laufe der letzten Jahre entwickelt hat. Im Jahre 1953 hatten wir z. B. in der Arbeiterrentenversicherung Durchschnittsrenten in Höhe von 78,80 DM. Nach dem neuesten Bericht des Verbandes der Rentenversicherungsträger betrugen die Durchschnittsrenten im Januar 1965 nicht mehr 78,80 DM, sondern 198,76 DM. In der Angestelltenversicherung ergibt sich folgendes Bild: 1953 121 DM und Januar 1965 331,75 DM. Eine sehr ansehnliche Entwicklung dieser Durchschnittsrenten!In der Offentlichkeit sollte auch öfters gesagt werden, daß die kleinen und kleinsten Renten, die sicher in einer sehr großen Zahl in unserer Rentenversicherung vorkommen, nicht typisch sind für unsere Rentenversicherung. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Tabellen vorlegen, will Sie aber nicht allzusehr mit Zahlen belasten, sondern nur wenige Zahlen aus einer Aufstellung einer einzigen Landesversicherungsanstalt nennen. Es handelt sich um im Jahre 1956 festgestellte Altersrenten der Arbeiterrentenversicherung für den Geburtsjahrgang 1891 mit einer Versicherungsdauer von über 40 Jahren einschließlich Ersatzzeiten. Ein Kraftfahrer, der im Jahre 1956 eine Rente von 178,80 DM erhielt, erhält heute nach den Rentenanpassungsgesetzen eine Rente in Höhe von 516,10 DM. Eine Rente von damals 200,20 DM beträgt heute 580,60 DM, eine Rente von damals 179 DM beträgt heute 516 DM. Die Rente eines Kassierers von damals 172 DM ist heute auf 478 DM und die Rente eines Pförtners von damals 176 DM ist heute auf 488,30 DM gestiegen.Ähnlich sind die Zahlen aus der Angestelltenversicherung — ebenfalls Versicherungsfall 1956, Geburtsjahrgang 1891 und Versicherungsdauer über 40 Jahre —: Eine Rente eines männlichen Versicherten bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte betrug im Jahre 1956 112,40 DM. Heute beträgt sie 209,30 DM. Eine Rente von 190,40 DM im Jahre 1956 beträgt heute 569,60 DM. Eine Rente von 203,20 DM im Jahre ,1956 beträgt heute 658,70 DM. Eine Rente von 249,50 DM im Jahre 1956 macht heute 825 DM aus. Das sind die berühmten „gekappten Renten! Ich könnte Ihnen noch eine Reihe von solchen Zahlen vorlesen — auch für weibliche Versicherte —, aber ich will es mir versagen mit Rücksicht auf die Zeit, die uns heute morgen nur zur Verfügung steht. Jedenfalls scheint es mir dringend notwendig zu sein, auf diese Leistungen der Rentenversicherungen hinzuweisen und nicht immer bloß von den sogenannten Durchschnittsrenten zu sprechen. Dabei bin ich mir natürlich darüber im klaren, daß nicht alle Versicherten eine Versicherungsdauer von 40 und mehr Jahren haben.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, damit, daß bei der Durchführung der Rentengesetze gewisse Schwierigkeiten, gewisse Härten entstehen würden, war von vornherein zu rechnen, und ich darf Ihnen sagen — da spreche ich im Namen des ganzen Ausschusses —, daß wir manche Dinge seinerzeit im Jahre 1957 alle miteinander nicht haben übersehen können. Manche Härten wären von uns damals schon beseitigt worden, wenn sie uns bekannt gewesen wären;
ich denke z. B. an die Witwenrenten. — Nun sagt unser verehrter Herr Kollege Schellenberg: „Wenn Sie unseren Anträgen zugestimmt hätten". Herr Professor Schellenberg, dann hätte das dazu geführt, daß wir immer wieder ein kleine Novelle zu den Rentenversicherungsgesetzen hätten vorlegen müssen, daß wir dann Unruhe in die Arbeit der Rentenversicherungsträger gebracht hätten! Wir mußten doch im Interesse der Versicherten, im Interesse derjenigen, die ihre Anträge bearbeitet haben wollten, dafür sorgen, daß die Rentenversicherungsträger ungestört von immer neuen Gesetzesnovellen ihre Arbeit verrichten konnten, damit die Antragsrückstände nicht unnötigerweise anwachsen.Es war schon richtig, daß wir gesagt haben: Sobald Erfahrungen vorliegen, wollen wir diese zusammen berücksichtigen in einer einheitlichen umfassenderen Gesetzgebungsnovelle. Das haben wir jetzt getan.Nun, es ist uns bekannt, daß Einwände gegen diese Härtenovelle kommen. Die Opposition — das nehmen wir ihr gar nicht übel, Herr Professor Schellenberg — hat von Anfang an, schon bevor die Novelle überhaupt eingebracht war, versucht, sie in ihrer Bedeutung herunterzuspielen, sie schlecht oder madig zu machen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Tatsache, daß diese Härtenovelle auf die Initiative der CDU/ CSU-Fraktion zurückzuführen ist, können Sie nun einmal nicht aus der Welt schaffen.
Und sie ist ein Erfolg der Sozialpolitik der CDU/ CSU-Fraktion in dieser Legislaturperiode, ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.
— Und auch des Vorsitzenden des Ausschusses. Jawohl, ich will Ihre Verdienste gar nicht mindern, Herr Professor Schellenberg.Wir haben — ich sagte es gestern abend schon — auf Antrag der SPD während der Ausschußberatungen noch einmal Sachverständige angehört, und diese Sachverständigen haben sich durchweg positiv zu den, sagen wir einmal: umstrittenen Bestimmungen dieser Novelle geäußert; sie haben gesagt, sie seien praktikabel, d. h. sie seien in der Praxis durchführbar, und insbesondere die Neuregelung der sogenannten beitragslosen Zeiten sei als die beste der denkbaren Lösungen anzusehen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8911
Ruf
— Warum soll ich ihn nicht zitieren? Wir haben uns mit ihm bei der Rentenreform sehr eingehend auseinanderzusetzen gehabt, und gerade deswegen freue ich mich, daß Herr Dr. Heubeck sich heute positiv äußert. Herr Dr. Heubeck sagt zu den Bestimmungen des § 1.255 — Neuregelung der beitragslosen Zeiten —, die Sie gestern kritisiert haben:Von der Konzeption her möchte ich also die vorgesehene Neuregelung für zweckentsprechend und begrüßenswert halten.Er sagt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —.Verwaltungsmäßig dürfte dies allerdings keine Schwierigkeiten machen; denn vermutlich wird die Bearbeitung der Versicherungsanträge in absehbarer Zeit sowieso nur noch mit vollautomatischer Datenverarbeitung möglich sein. Bei dieser aber spielt die Programmierung von einigen zusätzlichen Faktoren keine Rolle mehr, so daß man die mit dem Streben nach größerer Gerechtigtkeit naturgemäß verbundene Komplikation der Formel in Kauf nehmen muß.Soweit Herr Dr. Heubeck. Eine für uns sehr wichtige Feststellung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß Ihnen gestehen: Als einer der Sachverständigen sagte, nach dieser Novelle sei es nicht mehr möglich, die Renten manuell — das heißt nicht, mit der Hand, sondern mit dem menschlichen Gehirn — festzustellen, da war ich zunächst erschrocken; das muß ich zugeben. Denn das bedeutet doch eine gewisse Entfremdung des Menschen, des Versicherten, des Rentners von dem Recht der Sozialversicherung. Aber daran ist nun einmal nichts zu ändern. Die Dinge werden kompliziert, und sie werden desto komplizierter, je mehr Gerechtigkeit wir üben wollen. Je mehr wir dem Einzelfall gerecht werden wollen, desto komplizierter wird unsere Gesetzgebung; das ist unvermeidlich.Eine schematische Einheitsrente, die auch die SPD nicht mehr will, wäre einfacher durchzuführen. Aber davon kann ja nicht die Rede sein.Das individuelle Recht, eine Rente, in der der ganze Lebensablauf des einzelnen Versicherten zum Ausdruck kommen soll, ist zwangsläufig kompliziert. Eine solche Rente ist nicht einfach darzustellen.Ich bin davon überzeugt, daß die Rentenversicherungsträger mit dieser Aufgabe, vor die sie jetzt gestellt sind, fertig werden. Sie haben schon schwierigere Aufgaben bewältigt. Allerdings werden die Rentenversicherungsträger einige Zeit benötigen, bis alle Renten, ,die von dieser neuen Regelung betroffen sind, entsprechend berichtigt sind. Das müssen wir von vornherein sagen, um keine Illusionen zu wecken.Wir möchten die Rentenversicherungsträger daher bitten, da sie die Renten ja von Amts wegen umzustellen und neu zu berechnen haben, zunächst einmal die alten Jahrgänge herauszuziehen und bevorzugt zu bearbeiten.Uns wird gesagt, wir lasteten den Rentenversicherungsträgern jetzt wieder zusätzliche Verwaltungsarbeit auf. Dem müssen wir entgegenhalten: Wer die zusätzliche Verwaltungsarbeit nicht will, muß es eben beim geltenden Recht belassen. Wer die Härten beseitigen und damit geltendes Recht ändern will, muß zusätzliche Verwaltunsarbeit in Kauf nehmen. Das gehört unvermeidlich dazu und isst nicht zu ändern.Weiter wird uns vorgeworfen, meine sehr verehrten Damen und Herren, — ich sage nicht, von wem, Sie wissen ja, wer es tut —, wir hätten im Laufe der Beratungen 113 Änderungsanträge eingebracht. Nun, zunächst muß man diese Zahl durch drei dividieren; denn die Bestimmungen, die wir beschlossen haben, gelten für alle drei Versicherungszweige: Arbeiterrentenversicherung, Angestelltenversicherung und Knappschaftsversicherung. Im übrigen haben wir auf Betreiben der SPD einen Gesetzentwurf, den wir zuerst für sich verabschieden wollten, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften, in dieses Gesetz hineingearbeitet. Dadurch kamen im Ausschuß natürlich zusätzliche Beschlüsse zustande. Wir haben — das darf ich nebenbei noch sagen, ohne alles im einzelnen darzulegen — die Reichsversicherungsordnung in verschiedenen Punkten ändern müssen, wir haben das Fremdrentengesetz und auch noch manches andere geändert.Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man ausgerechnet die Zahl der Änderungsanträge heranzieht, um die Güte eines Gesetzentwurfs zu beurteilen, das halte ich für geradezu komisch. Daß gegenüber der Regierungsvorlage Änderungsvorschläge gemacht werden, ist doch üblich. Dazu sind wir schließlich da. Es ist der Sinn der Ausschußberatungen, daß man sich mit den Dingen befaßt. Wenn man es für richtig und notwendig hält, ändert man die Vorlage der Regierung; das ist selbstverständlich. Es ist doch unsere Pflicht, daß wir Anregungen, die von außen her kommen, von den Sachverständigen, vom Bundesrat — der sich wieder einmal als ein nützliches Organ der Bundesgesetzgebung erwiesen hat —, aufgreifen. Wir haben sogar Anregungen der Opposition aufgegriffen — warum denn nicht? —, die dann ihren Niederschlag in den Änderungsvorschlägen des Ausschusses gefunden haben. Man sollte uns daraus keinen Vorwurf machen, man sollte uns im Gegenteil bestätigen, daß wir damit eine gründliche, gewissenhafte Arbeit geleistet haben.Nun lassen Sie mich noch einige Bemerkungen machen — damit komme ich auf den Ausgangspunkt zurück — zu den kleinen und kleinsten Renten in den Rentenversicherungen. Ich halte es für notwendig, daß wir das bei dieser dritten Lesung einmal tun, weil nämlich über die Ursachen dieser kleinen und kleinsten Renten in der Öffentlichkeit falsche Vorstellungen bestehen.
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8912 Deutscher Bundestag -- 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
RufEin erheblicher Teil dieser kleinen und kleinsten Renten, nennen wir sie einmal „Zwergrenten", ist auf das Recht der Sozialversicherung zurückzuführen, zunächst einmal auf das alte Recht, das vor 1957 gegolten hat. Damals gab es Mindestrenten, Mindestrenten, die in den Anfängen sehr klein waren. Sie wurden mit dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz im Jahre 1949 eingeführt. Die Mindestbeträge für die Versichertenrenten betrugen seinerzeit in der Invalidenversicherung 20 DM und in der Angestelltenversicherung 37 DM. Sie sind dann im Laufe der weiteren Gesetzgebung gestiegen, in der Arbeiterrentenversicherung auf 55 DM monatlich und in der Angestelltenversicherung auf 69,50 DM monatlich. Es handelt sich bei diesen Mindestrenten, die damals gewährt worden sind, im Grunde um lächerliche Beträge; das ist nicht zu bestreiten. Aber wir haben diese Mindestrenten durch die Besitzstandswahrung auch bei der Rentenreform weitergeschleppt, und so sind sie nach wie vor in unserem Rentenbestand mit enthalten und drücken den Gesamtdurchschnitt unserer Rentenleistungen natürlich nach unten.Dann darf ich Sie auf folgendes aufmerksam machen. Das frühere Recht kannte die sogenannte Selbstversicherung. Jeder Deutsche konnte, wenn er noch nicht älter als 40 Jahre war, freiwillig in die Versicherung eintreten, und er brauchte dann lediglich die Anwartschaft zu erhalten, also 26 Wochenbeiträge im Jahr zu bezahlen. Hausfrauen zahlten dabei gewöhnlich die niedrigsten Beiträge. Auch das hat in der Vergangenheit selbstverständlich zu ) niedrigen Renten geführt. Wenn jemand z. B. erst im 40. Lebensjahr in die Rentenversicherung eintritt, dann ist es ganz selbstverständlich, daß bei der dann noch möglichen kurzen Versicherungsdauer keine hohe Rente herauskommen kann.Wir hatten damals sogar die Möglichkeit, neugeborene Kinder in die Versicherung aufzunehmen, wenn die Eltern für diese ihre neugeborenen Kinder Versicherungskarten für die Selbstversicherung beantragten.Aber auch die freiwillige Weiterversicherung war im alten Recht sehr großzügig geregelt. Für die aus der Pflichtversicherung Ausgeschiedenen war sie sehr erleichtert. Nach dem damaligen Recht konnte jemand, der mindestens 26 Wochenbeiträge — und sei es auch in der Zeit vor 1924 — entrichtet hatte, die Versicherung freiwillig fortsetzen. Von diesem Recht haben wiederum viele Frauen, die vor ihrer Verheiratung berufstätig waren, Gebrauch gemacht. Auch hier liegt ein Grund dafür, daß viele Renten so niedrig sind.Seit der Rentenreform, d. h. nach dem Auslaufen der Vergleichsberechnung, richtet sich die Höhe der Rente im wesentlichen nach der Zahl und der Höhe der geleisteten Beiträge. Aber wir haben in der Rentenreform auch die Bestimmungen über die freiwillige Weiterversicherung geändert. Wir haben zwar die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung erschwert; aber im übrigen haben wir die freiwillige Weiterversicherung zu einer echten freiwilligen Weiterversicherung gemacht, indem wir es dem Versicherten überlassen, ob und in welchem Umfang er Beiträge zahlen will. Daß diese Regelung von 1957 zu niedrigen Renten führen kann, liegt ohne weiteres auf der Hand.Ich habe Ihnen von der Kommission berichtet, die die CDU/CSU-Fraktion eingesetzt hat. Diese Kommission hat die Bundesregierung gebeten, sie möge Untersuchungen anstellen oder anstellen lassen über die Ursachen der kleinen Renten in den Rentenversicherungen.Ich darf Sie zunächst einmal auf einen Aufsatz verweisen, den der uns allen als objektiver, zuverlässiger, neutraler, parteipolitisch uninteressierter Mathematiker und Statistiker bekannte Georg Tietz im Jahre 1964 in Nr. 9 des Bundesarbeitsblattes veröffentlicht hat. Er hat dort einen Beitrag über eine fünffache Schichtung der Renten in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten beim Zugang des Jahres 1960 vorgelegt. Er hat diese Zugangsrenten nach der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, des Individualfaktors, also der individuellen Bemessungsgrundlage, des Versicherungsverhältnisses vor Eintritt des Versicherungsfalles, des Geschlechtes und des Familienstandes geschichtet. In dieser sehr gründlichen Arbeit kam der Versicherungsmathematiker Georg Tietz zu dem Ergebnis, daß die mechanische Einführung von Mindestrenten einem größeren Kreis von Rentnern Rentenerhöhungen brächte, die nicht gerechtfertigt wären, wobei es sich um folgende Rentnergruppen handelt: um Rentner, die 'sich nach einer vorübergehenden Zeit der Pflichtversicherung selbständig gemacht haben, anderweitig für ihre Alterssicherung gesorgt haben oder die Beamte geworden sind und die infolgedessen ihre Altersversorgung als Beamte hatten. Es handelt sich weiter um weibliche Versicherte, die ihre Erwerbstätigkeit nach der Heirat aufgegeben haben und vom Erwerbseinkommen des Mannes und gegebenenfalls von der Witwenrente leben konnten. Ferner handelt es sich um solche, die im vorgerückten Lebensalter aus irgendeinem Grunde erstmalig eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, oder um Versicherte, die als Pflichtversicherte nur tage- oder stundenweise gearbeitet haben, also Aushilfskräfte, Putzfrauen usw., oder die als freiwillig Versicherte nur Beiträge der niedrigsten Beitragsklassen entrichtet haben. Um solche Gruppen handelt es sich in der Hauptsache bei den Kleinstrentnern. Er sagt wörtlich:Der Anteil derjenigen Rentner, die als Pflichtversicherte mit voller Arbeitszeit einem Beruf angehört haben, der früher unverhältnismäßig gering entlohnt wurde oder in dem neben Barbezügen niedrig bewertete Sachbezüge gewährt wurden, ist verhältnismäßig gering. Er beträgt in der Arbeiterrentenversicherung, alles in allem gesehen, 8,3 % und in der Angestelltenversicherung 3,3 %.Diese Zahlen können Sie im Bundesarbeitsblatt 1964 nachlesen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sollte diese Dinge ruhig auch einmal denjenigen Kollegen geben und zeigen, die nicht unmittelbar
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8913
Rufwie wir Tag für Tag mit der Sozialpolitik zu tun haben. Ich meine, das wäre gut.In dieser Nummer des Bundesarbeitsblattes ist auch ein Vorbericht einer Untersuchung enthalten, die Frau Professor Dr. Stephanie Münke, Berlin, über die Ursachen der vorzeitigen Invalidität angestellt hat. In dem Vorbericht sind sehr interessante Hinweise zum Problem der Kleinstrenten in der Rentenversicherung enthalten. Nach dieser Untersuchung gehört ein Viertel bis ein Drittel der Versicherten, die jetzt niedrige Renten erhalten, zu den Gruppen, die seit mehr als fünf Jahren ihre Beitragszahlungen eingestellt haben. Nach der Statistik 1959 hatten zwar 86 % der Arbeiter und 75 % der männlichen Angestellten, aber nur 44 % der Arbeiterinnen und 58 % der weiblichen Angestellten bei Rentenbeginn noch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Meine Damen und Herren, das ist ein Beweis dafür, „daß sie demnach von anderem eigenem oder von Familieneinkommen gelebt und auch keine Initiative hinsichtlich der eigenen Vorsorge für spätere Zeiten gezeigt haben. So stellt Frau Professor Münke in ihrem Bericht fest.Lassen Sie mich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus diesem Bericht nur noch einen kurzen Abschnitt, der aber sehr interessant und für unser Problem wirklich von Bedeutung ist, verlesen. Frau Professor Münke kommt zu folgender Feststellung:Die Kleinstrenten dagegen, die in der öffentlichen Diskussion am meisten Aufsehen erregen, bedeuten nach den Aussagen der Rentner— die besucht worden sind —einen erwünschten Zuschuß zu eigenen anderen Einkommen oder zum Haushaltseinkommen; sie geben ihnen finanzielle Bewegungsfreiheit als Taschengeld, sie ermöglichen zusätzliche Anschaffungen oder werden für eine bessere Ausbildung der Kinder verwendet. Dies trifft vor allem bei Frauen zu, die nur während einer relativ kurzen Zeit ihres Lebens erwerbstätig gewesen sind und sich den größeren Teil der Zeit ausschließlich ihrer Familie— so wie es sich gehört —gewidmet haben.Würde man— so sagt Frau Professor Münke —diese niedrigen, auf lückenhafter Versicherung und geringfügigen Beiträgen beruhenden Renten bevorzugt behandeln, so wäre dies eine Ungerechtigkeit gegenüber den Versicherten, die während eines langen Arbeitslebens stetig gearbeitet und Versicherungsbeiträge geleistet haben. Mindestrenten,— heißt es wörtlich—wie sie gelegentlich gefordert werden, erscheinen nach dieser Untersuchung deshalb als der letzte Weg, um „soziale Gerechtigkeit"" zu verwirklichen.So wörtlich Frau Professor Münke.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit schreitet fort. Ich könnte Ihnen noch einiges sagen über eine weitere Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums, die wir uns haben vorlegen lassen. Aber ich will mir das ersparen. Ich will nur auf das Ergebnis hinweisen. Das Ergebnis dieser Untersuchung, die ich im einzelnen jetzt nicht vortragen kann, besagt, daß Renten von Versicherten mit einem vollen Arbeitsleben deswegen oft niedrig sind, weil sie neben niedrigen Barbezügen in der Vergangenheit Sachbezüge bezogen haben, die, wie Sie wissen, niedrig bewertet worden sind. Wir haben zwar bei der Rentenreform diesbezüglich etwas getan, aber das war offensichtlich nicht ausreichend. Wir mußten hier eine Änderung vornehmen. Ich glaube, wir haben eine sehr großzügige Regelung gefunden, für die uns die Versicherten und die Rentner, die ein Leben lang in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft als Hausgehilfinnen und — ich sehe da oben auf der Tribüne Krankenschwestern — in Krankenheimen und -anstalten tätig waren, sicherlich sehr dankbar sein werden.Ich glaube, mit dieser Bestimmung, die letzten Endes etwa 300 Millionen DM kosten wird, können wir einem großen Personenkreis helfen. Das gibt uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch eine gewisse Befriedigung, und wir können dann sagen: Unsere Arbeit hat sich bei allem Ärger doch gelohnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Zur dritten Lesung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes — Härtenovelle — einige Bemerkungen.Erstens. Bereits bei der Beratung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze -- ich deutete es schon durch einen Zwischenruf an — haben die Sozialdemokraten versucht, Härten und Ungerechtigkeiten dieser Neuregelungsgesetze zu verhindern. Das ist uns nur teilweise gelungen.Unmittelbar vor der Wahl zum dritten Bundestag hat dann der frühere Bundeskanzler, Herr Dr. Adenauer, am 10. September 1957 in einem Schreiben an den damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU- Fraktion, Herrn Dr. Krone, erklärt — ich zitiere: Es wird im nächsten Bundestag, also im dritten Bundestag, eine dringende Aufgabe der CDU sein, sämtliche Unstimmigkeiten bei den Renten zu beseitigen". So versprach es Herr Dr. Adenauer.Über sieben Jahre hat sich die Bundesregierung Zeit gelassen, den Entwurf einer Härtenovelle vorzubereiten. Die Arbeiten wurden auch nicht wesentlich durch das Wirken der Kommission unter Vorsitz von Kollegen Ruf beschleunigt. Vielmehr wurde — man muß schon sagen: ständig — der Öffentlichkeit in Erklärungen der sogenannten Ruf-Kommission mitgeteilt, was alles in einer Härtenovelle geregelt werden würde. Dann kam schließlich dieser Gesetzentwurf.
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8914 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Dr. SchellenbergHerr Kollege Ruf hat mit Recht gesagt, daß es Pflicht deis Parlaments ist, Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen. Dieser Entwurf aber war halbfertig und unausgegoren. Das läßt sich leicht feststellen, wenn man beispielsweise die Begründung zu einer nicht unwesentlichen Frage — Kreis der Versicherungspflichtigen — mit dem Gesetzestext vergleicht. Es wurde nämlich eine Begründung gedruckt, die dein Text der Gesetzesvorlage nicht entspricht.Herr Kollege Ruf, Sie waren stolz auf die vielen Änderungsanträge, die im Ausschuß gestellt wurden. Ich habe einmal in einer Presseerklärung gesagt, es seien 113 Seiten Änderungsanträge. Heute muß ich mich berichtigen; es waren insgesamt 140 Seiten Änderungsanträge der CDU/CSU. Aber — und dais ist das politisch Entscheidende — dies waren nicht Änderungsanträge, die im Schoße der CDU geboren wurden. Die FDP hat sich davon distanziert. Es handelte sich um Änderungen, die das Bundesarbeitsministerium betrieben hat. Sie mußten im Ausschuß auch von den Vertretern des Bundesarbeitsministerium begründet werden, weil die meisten dieser Anträge so kompliziert waren, daß sie von den Kollegen der CDU/CSU nicht erläutert werden konnten. Die Situation war in dieser Hinsicht mehr als peinlich.Das hat den Ausschuß vor fast unzumutbare Belastungen gestellt.
Ausschußmitglieder — dais kann ich nicht nur für meine politischen Freunde, sondern auch für andere Kollegen sagen — haben mir erklärt: Wir stehen hier immer wieder vor dem Konflikt, entweder die Beratung der völlig unzureichend vorbereiteten Regierungsvorlage abzubrechen oder den nicht parlamentsreifen Entwurf weiter zu beraten."
Nur im Hinblick auf die Menschen, die ja ein Interesse an der baldigen Verabschiedung dieser Härtenovelle haben, stellten wir unsere Bedenken gegen Form und Inhalt der Regierungsvorlage immer wieder zurück; denn selbstverständlich bringt der Entwurf im Ergebnis Verbesserungen.
Aber das Verfahren war unmöglich. Der Ausschuß war durch die Fülle von Anträgen, die oft auch wieder geändert wurden, einfach überbeansprucht.Zweitens. Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs — dem wir zustimmen werden — wird das Rentengestrüpp noch dichter werden. Schon heute ist ein Rentenbescheid für die allermeisten Rentner ein Buch mit sieben Siegeln.
Die komplizierten Methoden der Rentenberechnung wecken gegenwärtig bei denen, die es angeht, ein Mißtrauen gegen unsere Rentenversicherung. Die Menschen verstehen den Rentenbescheid, der für ihren Lebensstandard im Alter von höchster Bedeutung ist, nicht. Nach Inkrafttreten dieses Gesetzeswird es leider damit noch viel schlimmer werden.Gewiß wird — das haben Sie mit Recht erwähnt, Herr Kollege Ruf — das Gesetz mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen nach langwierigen Programmierungen durchzuführen sein. Im Ausschuß erklärten Sachverständige, daß die Durchführung drei bis sechs Jahre dauern wird. Die Rentenbescheide, die dann versandt werden, wird kaum jemand verstehen, noch viel weniger als bisher. Meine Damen und Herren, das werden Sie in den Briefen von Rentnern und Versicherten lesen und das werden vor allem diejenigen von Ihnen spüren, die Sprechstunden für die Bevölkerung abhalten.
Das ist ein schlechter Tatbestand.Als wir im Jahre 1956/57 mit der Rentenversicherungsreform begannen, sprach der damalige Arbeitsminister, Herr Kollege Storch, ein bedeutsames Wort. Er erklärte: Nach der Rentenreform 1957 kann jeder Schuljunge eine Rente berechnen.
Nach Verabschiedung dieser Novelle werden der Herr Bundesarbeitsminister und sein Staatssekretär gemeinsam nicht in der Lage sein, eine Rente zu berechnen.
Dies auch deshalb nicht, weil beide Herren nicht einmal dem Ausschuß die Ehre gegeben haben, bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs anwesend zu sein. Dann hätten sie vielleicht etwas über die Rentenberechnung nach diesem Entwurf gelernt.Auf dem Parteitag der CDU in Düsseldorf hat der Herr Bundeskanzler erklärt, es sei vordringlich, die Sozialpolitik von überflüssigem Gestrüpp zu befreien und die sozialen Leistungen überschaubarer zu machen. Nun, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie die Drucksache IV/ 3233 durchblättern, dann bietet sich Ihnen ein plastisches Beispiel dafür, daß der Herr Bundeskanzler nicht in der Lage ist, seine Reden in Politik umzusetzen.Drittens. Dieses Gesetz ist nicht nur äußerst kompliziert, sondern es enthält auch sachlich bedenkliche, ja zum Teil groteske Bestimmungen. Wir haben im Ausschuß hierzu eine Fülle von Fragen aus der Praxis an die Bundesregierung gerichtet, und sie sind teilweise unbefriedigend beantwortet worden.Es ist unbestreitbar, daß nach diesem Gesetz — um nur ein Beispiel zu nennen — derjenige, der in der Schule sitzenbleibt, für seine Schulzeit einen höheren Rentenanspruch erhält als sein Klassenkamerad, der in der Schule normal vorangekommen ist. Eine solche Regelung dürfte ein klassisches Beispiel für eine Unbegabtenförderung sein.
Oder ein anderes Beispiel: Die, wie es technisch heißt, Aufstiegsangestellten und besonders qualifizierten Arbeiter konnten bisher damit rechnen, daß
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Dr. Schellenbergihre Ausfallzeiten entsprechend ihrem späteren höheren Einkommen günstiger bewertet werden. Das wird jetzt beseitigt. Damit tritt für diese Aufstiegsangestellten und qualifizierten Arbeiter eine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Rechtszustand ein.Darauf, daß die Ausfallzeiten von Frauen mit qualifizierter Ausbildung niedriger bewertet werden als die ihrer vergleichbaren männlichen Kollegen, hat unsere Kollegin Frau Korspeter bereits gestern hingewiesen. Während in Wirtschaft und Gesellschaft die beruflichen Fähigkeiten dieser jungen Damen mit qualifizierter Ausbildung endlich nicht mehr geringer honoriert werden als die der jungen Männer, wollen die Regierungsparteien die Ausbildungszeiten von qualifizierten Frauen schlechter bewerten als die von Männern. Das ist nach unserer Auffassung eine antiquierte, aber keine moderne Sozialpolitik.
Viertens. Jeder, der an den Ausschußberatungen teilgenommen hat, wird uns Sozialdemokraten bestätigen, daß wir mit großer Verantwortung den finanziellen Zusammenhängen Rechnung getragen haben. Erst auf unser Drängen hat das Bundesarbeitsministerium eine genauere finanzielle Begründung vorgelegt, die Herr Kollege Ollesch als Berichterstatter dann zu Protokoll gegeben hat. Diese Finanzübersicht hätte aber eigentlich Teil der Regierungsvorlage sein müssen.Im übrigen mußte der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums bei den Ausschußberatungen zugeben, daß die Berechnungen der größten Ausgabeposition, nämlich Bewertung der Sachbezüge, im Regierungsentwurf fehlerhaft waren. Der Sprecher der Regierung pries in großartigen Worten die Verbesserungen durch die Ausschußbeschlüsse. Dann haben wir festgestellt, daß der Aufwand hierfür dem der Regierungsvorlage entspricht. Das war widerspruchsvoll. Entweder wurden im Ausschuß über den Regierungsentwurf hinaus wesentliche Verbesserungen beschlossen — dann mußte dies Mehraufwendungen erfordern — oder die Berechnung in der Regierungsvorlage war falsch. In diesem Dilemma gab der Sprecher der Regierung zu, daß die Berechnungen des Regierungsentwurfs „nicht ganz richtig" seien.Herr Kollege Becker, Sie haben gestern behauptet, unser Antrag, bei den Ausfallzeiten statt des 16. Lebensjahres wie bisher das 15. Lebensjahr einzusetzen, würde die Finanzierung des Gesetzentwurfs gefährden. Herr Kollege Becker, Sie haben sich dabei wohl auf Berechnungen derjenigen gestützt, deren Zahlen sich bei den Ausschußberatungen schon als fehlerhaft erwiesen haben.Im übrigen sind bei ihren Zahlen drei Tatbestände außer Betracht geblieben. Es wurde a) dabei nicht berücksichtigt, daß sich, wenn bei der Bewertung der Ausfallzeiten, wie wir es beantragt haben, vom 15. Lebensjahr ausgegangen sind, an anderer Stelle des Gesetzentwurfs eine entsprechende Senkung des Aufwandes ergibt. Es wurde b) nicht berücksichtigt, daß im alten wie im neuen Recht Schulzeiten voll bewertet werden, und c), daß Millionen vonMenschen seit ihrem 15. Lebensjahr Beiträge gezahlt haben und daß sie selbstverständlich nach altem wie nach neuem Recht einen Anspruch auf eine entsprechende Bewertung ihrer geleisteten Beiträge haben.Ich möchte an dieser Stelle zu den Finanzfragen nochmals erklären, daß alle Anträge, die wir Sozialdemokraten im Ausschuß und im Plenum gestellt haben, finanziell wohlausgewogen waren. Unsere Anträge sollten einmal — genauso, wie Sie das tun — durch eine Erweiterung der Versicherungspflicht gedeckt werden. Zum anderen haben wir den Antrag — den Sie ablehnten — gestellt, keine Mindereinnahmen eintreten zu lassen, was für die Rentenversicherung 200 Millionen DM ausmacht.Fünftens. Ich habe vorhin schon angedeutet, daß dieses Gesetz unbestreitbar Verbesserungen bringt. Wir Sozialdemokraten haben daran kräftig mitgewirkt. Es würde aber — das muß vor der Öffentlichkeit gesagt werden — bei den Versicherten und Rentnern falsche Vorstellungen erwecken, wenn das Ausmaß dieser Verbesserungen übertrieben wird. Der Mehraufwand nach diesem Gesetz, der zwischen 650 und 700 Millionen DM liegt, macht noch nicht 2 1/2% des gesamten Jahresaufwandes der Rentenversicherung aus. Der Mehraufwand nach diesem Gesetz bleibt damit erheblich hinter einer laufenden Rentenanpassung zurück.
Das muß klar sein, damit die finanziellen Größenordnungen richtig gesehen werden.Sechstens. Der Gesetzentwurf beseitigt nicht nur Härten; er schafft auch neue Härten und er läßt — das ist ein schwerwiegender Nachteil — grundlegende Probleme des deutschen Rentenrechts ungelöst.
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Ja, bitte schön!
Sind Sie bei Ihrer Darstellung, Herr Professor Schellenberg, bereit, zu erläutern, daß es sich hier nicht um einen Mehraufwand — prozentual und kollektiv — für alle, sondern um gezielte Mehrleistungen für bestimmte Gruppen und bestimmte Tatbestände handelt, damit Sie nicht unnötige Illusionen und falsche Vorstellungen erwecken?
Hochverehrte Frau Kalinke, ich habe nicht gesagt, daß alle Rentner in den Genuß von Verbesserungen kommen werden. Heute morgen wurde beispielsweise im Rundfunk von den gewaltigen Verbesserungen gesprochen. Ich möchte nur klarstellen, daß es sich bei dem Mehraufwand — gemessen am Gesamtaufwand — insgesamt um eine Erhöhung von 2 1/2% des gegenwärtigen Leistungsniveaus handelt. Das Gesetz bringt Verbesserungen, aber es enthält auch Verschlechterungen und vor allem leider auch bedenk-
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Dr. Schellenbergliche Komplizierungen. Das wollte ich damit nur klargestellt haben.
Gestatten Sie eine weitere Frage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Bitte sehr, Frau Kollegin Kalinke!
Sind Sie auch so liebenswürdig, uns zu sagen, was die Verbesserungen, die Sie — in der Debatte noch nicht, aber draußen — ankündigen und die Sie auf dem Karlsruher Parteitag angekündigt haben, für alle Versicherten bringen werden, wieweit Sie ferner den bisherigen hohen Bestand der Renten zu garantieren in der Lage sind und wie Sie schließlich die Volksversicherung und die Vorstellungen Ihrer Reform zu finanzieren gedenken?
Hochverehrte Frau Kollegin Kalinke, Sie werden davon rechtzeitig hören,
und ich will Ihnen aber schon heute eine Zusage geben:
Die Ausarbeitung unseres Konzeptes wird wesentlich schneller gehen als die Vorbereitung dieser Härtenovelle, und sie wird wesentlich sinnvollere Regelungen bringen als die, die heute beschlossenwerden.
Im übrigen möchte ich Ihnen mit unserem Konzept nicht schon jetzt schlaflose Nächte bereiten.
— Ja, bis auf weiteres.Siebentens. Ich möchte in der dritten Lesung noch auf eine grundsätzliche Frage hinweisen, auf die auch Sie, Frau Kollegin Kalinke, gestern und auch im Ausschuß mit Recht eingegangen sind, die Frage der Versicherungspflicht. Sie sollte nach dem Regierungsentwurf in einer Weise geregelt werden, die höchst bedenklich war. Nach dem Entwurf sollten erstmals auch Arbeiter aus dem Schutz der Pflichtrentenversicherung ausgeschlossen werden. Dieser Versuch ist nach heftigem Auseinandersetzen gescheitert.
— Niemand wird bestreiten, daß wir sehr wesentlich an dem Scheitern dieses Versuches, die Versicherungspflicht einzuengen, beteiligt waren.
Ich will hier über keine Interna der Ausschußberatungen sprechen. Das möchte ich als Vorsitzender des Ausschusses nicht gern tun.Erst unter dem Druck der öffentlichen Meinung hat die Bundesregierung für die Angestellten statt der Versicherungspflichtgrenze von 1250 DM monatlich nach vielem Hin und Her eine Versicherungspflichtgrenze von 1500 DM monatlich beschlossen. Mehrfach hat sich der Herr Bundeskanzler selbst für diese Versicherungspflichtgrenze von 1500 DM starkgemacht. Er ist dann umgefallen.
-- Nach lebhaften politischen Auseinandersetzungen hat die Mehrheit des Ausschusses schließlich beschlossen, die Versicherungspflichtgrenze auf 1800 DM festzusetzen.Diese Grenze soll starr sein. Sie wird also nicht, wie es der sozialen Wirklichkeit angemessen wäre, mit der Entwicklung des Einkommens Schritt halten. Auf Grund der neuen Regelung werden über 350 000 Angestellte weiterhin aus der Pflichtversicherung ausgeschlossen bleiben. Diese Zahl wird sich ständig vergrößern. In kurzer Zeit wird — wenn nicht die Sozialdemokraten die Pflichtversicherungsgrenze für die Angestellten beseitigen — das Parlament wieder vor denselben Schwierigkeiten stehen, die in letzter Zeit aufgetreten sind.
Achtens. Das Gesetz läßt nach Ablehnung unseres Antrages für diejenigen, die nur Barbezüge erhalten haben, wichtige soziale Fragen ungelöst. Wir hatten beantragt, jene Tabellen, die für Bezieher von Kost und Logis gelten, auch für Beschäftigte, die regelmäßig und mit normaler Arbeitszeit gearbeitet haben, gelten zu lassen. Die Mehrheit hat unseren Antrag abgelehnt. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß damit eine Ungleichheit vor dem Gesetz besteht, nämlich eine Ungleichheit zwischen denjenigen, die nur Barlohn erhalten haben, und denjenigen, die den gleichen Lohn teils als Barlohn, teils als Sachbezüge erhalten haben.
Nun zum Schluß! In ,den Grundfragen der Sozialpolitik wurden in den letzten Wochen nach Veröffentlichungen aus Kreisen der CDU, aber auch gestern hier in der Debatte erhebliche Differenzen in der größten Regierungspartei deutlich.
Einige Sprecher der CDU haben eine Öffnung der Rentenversicherung für das ganze Volk angekündigt. Gestern hat sich die CDU/CSU-Fraktion geweigert, den ersten Schritt auf diesem Wege zu tun, und die Einbeziehung aller Angestellten abgelehnt. Bemerkenswert waren dabei der Geist und die Tonart, mit der sich der Sprecher der Fraktion der CDU/CSU, der von mir sehr verehrte Herr Kollege Dr. Franz, gegen die Öffnung der Rentenversicherung gewandt hat. Auch Frau Kollegin Kalinke, von der wir es schon seit langem wissen, sprach sich in diesem Sinne aus. Das war ein hochinteressanter politischer Beitrag zur Klärung der Fronten in der deutschen Sozialpolitik; darauf können Sie sich verlassen.
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Dr. SchellenbergMeine Damen und Herren, dem vorliegenden Entwurf, in dem gute und weniger gute Vorschriften verflochten sind, können wir nur unter Bedenken zustimmen. Eine von Sozialdemokraten geführte Bundesregierung wird die noch verbliebenen Mängel dieser Vorlage beseitigen. Und, Frau Kollegin Kalinke, damit Sie Ihren Trost haben: eine von Sozialdemokraten geführte Bundesregierung wird an Stelle der noch in vieler Hinsicht unzulänglichen sozialen Sicherung für ältere Menschen ein ausgewogenes und auch finanziell wohlfundiertes Konzept zur Alterssicherung unserer Mitbürger vorlegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Reden der Kollegen Ruf und Schellenberg ist über die Entwicklung dieser Novelle gesprochen worden. Der Hinweis darauf, daß Korrekturen an der Rentenreform von 1957 schon sehr frühzeitig verlangt worden sind, ist sicher richtig. Ich kann mich allerdings auch erinnern, daß gegen Ende des 3. Deutschen Bundestages, 1960, wir Freien Demokraten schon Anträge gestellt haben, diese Mängel zu beseitigen. Wir konnten dafür leider nicht die entsprechende Mehrheit im Hause finden. Es ist sehr erfreulich, daß heute eine Reihe von Mängeln, die von uns erkannt
B worden sind, beseitigt werden sollen. Aber dennoch bleibt vieles offen.
Ich will nicht die einzelnen Stadien der Verkündungen, wann wie was geschehen soll, hier wiederholen; das ist schon genügend getan worden. Ich muß leider feststellen, daß die Entscheidungen, die gestern hier gefallen sind — sie werden sich heute wahrscheinlich wiederholen —, in mancher Hinsicht doch nicht eine konsequente Haltung erkennen ließen. Ich bedaure, daß die Anträge meiner politischen Freunde, die gestern gestellt worden sind, abgelehnt wurden. Ich denke da an die Danziger oder die Frage, die für die Hochschulstudienzeit anzusetzende Zeit von 5 auf 6 Jahre zu verlängern. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben davon gesprochen, daß der Sitzenbleiber besser dran sei als derjenige, der seine Schulzeit richtig absolviert habe. Damit haben Sie recht. Wir hätten es begrüßt, wenn Sie mit uns dafür gesorgt hätten, daß die Anrechnungszeit für Hochschulstudium von 5 auf 6 Jahre erhöht wurde; das ist leider nicht geschehen.
— Nicht für die Sitzenbleiber, sondern für diejenigen, die ihr Hochschulstudium absolviert haben und noch etwas weiter sind als diejenigen, die nicht sitzengeblieben sind. Das war der Grund.
— Sie könnten vorher sitzenglieben sein, haben aber dann den Nachweis geführt, daß sie doch all das nachgeholt haben. Das wollten wir anerkennen.
Sie wollten das nicht. Das tut uns leid, wir sind da eben ein bißchen fortschrittlicher gesinnt als Sie.
Weiter ist wiederum nein gesagt worden zu der Möglichkeit — ich denke an den Marburger Bund usw. —, die Bestimmungen so zu fassen, daß die verschiedenen Versorgungswerke besser als bisher berücksichtigt werden. Wir Freien Demokraten können überhaupt nicht verstehen, daß man nicht bereit war, denjenigen Angestellten, die von der Entscheidungsfreiheit Gebrauch machen, in der Privatversicherung zu bleiben, wenn sie versicherungspflichtig werden, den Arbeitgeberanteil ebenso zuzubilligen wie denjenigen, die in die Pflichtversicherung kommen. Daß dieser Antrag von der Mehrheit des Hauses abgelehnt worden ist, beweist uns, daß hier offensichtlich etwas reaktionäres soziales Denken vorherrscht.
— Ja, das möchte ich Ihnen sagen; denn Sie wollen ja gerade durch die Erhöhung der Versicherungsgrenze erreichen, daß die Betreffenden Arbeitgeberanteile erhalten. Wenn wir dann konsequent sind, müssen wir sagen: das sollen auch diejenigen haben, die in die Privatversicherung gehen. Sie aber sagen nein, und das scheint uns nicht fortschrittlich, sondern rückschrittlich zu sein.
— Sie haben es abgelehnt. Ist das kein Nein?
— Entschuldigung, Sie haben nein gesagt. Das ist doch der Tatbestand.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen entgangen, daß wir nicht nein dazu gesagt haben, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, also in diesem Fall dem Angestellten, diesen Beitrag gibt? Wir haben nur nein dazu gesagt, daß in einem sozialversicherungsrechtlichen Gesetz arbeitsrechtliche Bestimmungen getroffen werden, die dem Einzelarbeitsvertrag oder dem Tarifvertrag vorbehalten sind.
Lieber Herr Kollege Stingl, wenn Sie bereit gewesen wären, unserem Weg zu folgen, wäre Ihnen bestimmt Ähnliches eingefallen wie bei anderen Gesetzen, nämlich allein oder gemeinsam einen Entwurf, einen Antrag oder was sonst in Frage kam, einzubringen, um eine solche Regelung durchzusetzen. Das ist nicht geschehen. Wir hören immer nur das Nein, sonst gar nichts.
Es ist mit Recht davon gesprochen worden, daß die Gesetzgebung immer komplizierter geworden
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Mischnickist. Der Kollege Ruf hat gesagt: Je gerechter man sein will, desto komplizierter muß man sein. Darin liegt eine gewisse Wahrheit. Aber es stellt sich heraus, daß „komplizierter" nicht unbedingt auch „gerechter" bedeutet. Dann kommt — das haben wir auf der anderen Seite immer wieder feststellen können — das Rentendickicht, das doch oft dazu führte, daß manche Ansprüche nicht befriedigt wurden, weil der Betreffende die Bestimmungen nicht kannte, weil er sich nicht durchfand. Ich will das hier im einzelnen nicht alles erwähnen. Wir werden ja in absehbarer Zeit die Frage grundsätzlich diskutieren.Lassen Sie mich noch etwas sagen, was mir um so leichter fällt, als ich nicht mehr dem Sozialpolitischen Ausschuß angehöre. Ich möchte den Dank meiner politischen Freunde dafür aussprechen, daß man im Sozialpolitischen Ausschuß nicht nur zu Beginn der Beratungen Sachverständige gehört hat, sondern auch bereit war, während der Beratungen die Sachverständigen zu hören, um das Für und Wider sinnvoll durchzudiskutieren. Wir danken dem Sozialpolitischen Ausschuß und seinem Vorsitzenden für dieses faire und in der Sache richtige Verfahren..
Leider ist das nicht Allgemeingut bei uns, so daß man sich dann zu Hilfskonstruktionen flüchten muß, damit diese Sachverständigen auf andere Weise zu Gehör kommen.Wir werden in der dritten Lesung nur zwei Anträge wiederholen, um all denen, die hier in diesem I) Hohen Hause unseren Anträgen nicht zustimmen, aber in der Offentlichkeit anders votieren, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.Da ist einmal die Höchstrentenbestimmung. Herr Kollege Schellenberg, Sie sprachen davon, mit manchem werde hier der Anschein erweckt, daß vielen Rentnern oder gar allen Rentnern etwas Gutes getan werde. Ich kann nur sagen, daß der gestern angenommene Kompromißantrag zur Milderung der Höchstrentenbestimmung auch nur den Anschein erweckt, als ob hier die Höchstrentenbestimmung beseitigt werde. Es wird aber nicht die Höchstrentenbestimmung beseitigt.Sie sprachen davon, Herr Kollege Schellenberg, daß der Bundeskanzler umgefallen sei, weil er das, was er in der Regierungserklärung gesagt hat, dann hier nicht alles als Gesetzesvorlage gebracht habe. Mir liegt ein Brief vor. Briefkopf: Professor Dr. Schellenberg, 3. August 1964, — an eine Dame in Wiesbaden. Da heißt es:Die Sozialdemokraten bemühen sich bereits seit 1957, die von ihnen als so sehr richtig bezeichnete Rentenguillotine zu beseitigen. Die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben jedoch ständig die Anträge der SPD zurückgewiesen, und es bleibt nur zu hoffen, daß durch eine künftige Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag unsere sozialpolitischen Vorstellungen verwirklicht werden können.
Herr Kollege Schellenberg, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie nachher bei unserem Antrag, wenn er wieder hier zur Abstimmung steht, den Beweis dafür lieferten, daß das, was Sie schriftlich mitteilen, auch hier bei der Abstimmung verwirklich wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Mischnick, ich habe heute erklärt, daß wir Sozialdemokraten im Ausschuß alles unternommen haben, um ein finanzielles Gleichgewicht in der Rentenversicherung zu erhalten, was Ihre Sprecher nicht immer getan haben. Wir Sozialdemokraten haben uns
im Hinblick auf die finanzielle Bedeutung der Rentenköpfung entschlossen,
jetzt einer teilweisen Beseitigung der Höchstrentenbestimmung zuzustimmen. Ich frage Sie — —
— erkennen Sie, Herr Kollege Mischnick, dies als einen Schritt im Interesse des angesprochenen Personenkreises an und wollen Sie durch Unterstützung unseres Antrages zu § 1386, den Sie streichen wollen, Voraussetzungen für weitere sinnvolle sozialpolitische Regelungen schaffen?
Also einen Augenblick, einen Augenblick! Schließlich muß die Kirche im Dorf bleiben. Ich gebe ja zu, daß ich nebenher auch noch mit anderem beschäftigt bin.
Ich teile übrigens mit, daß ich den Ältestenrat für 12.00 Uhr einberufe. Ich bitte die Mitglieder des Ältestenrates, sich seelisch darauf vorzubereiten
— Punkt 12.00 Uhr Ältestenrat. Das einmal zur Beruhigung der Gemüter!
Jetzt wollen wir hier also wieder nach der Geschäftsordnung vorgehen und Zwischenfragen stellen, keine statements.
— Sie können Ihre Zwischenrufe machen, Herr Kollege Schellenberg, aber immer auf eigene Rechnung und Gefahr und nie mit der Extragenehmigung des Präsidenten.
Herr Kollege Schellenberg, das ist mir natürlich bekannt, was Sie da gesagt haben. Aber dann hielte ich es doch für zweckmäßig, wenn Sie in Ihrer brieflichen Mitteilung damals etwas vorsichtiger gewesen wären und dem Petenten nicht zu-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung Bonn. Freitag. den 2. April 1965 8919
Mischnick
gesagt hätten: Wir tun es, und wenn Sie die anderen beiden Fraktionen nicht verdächtigt hätten, sie seien dagegen. Das, was mich bekümmert, ist, daß dann, nachdem Sie das nicht nur in einem Brief, sondern in vielen Briefen getan haben, bei der Entscheidung auch wiederum das Nein steht. Sie müssen Verständnis haben, daß wir das hier einmal festgestellt wissen wollen; denn es kann doch auf die Dauer nicht so sein, daß man draußen in Versammlungen oder in Briefen sagt, die Höchstrentenbestimmung müsse weg und daß man, wenn die Entscheidung im Bundestag fällt, wieder Nein sagt. Wir werden bei unserer Meinung bleiben.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß nur noch meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß hier in der Debatte gesagt wurde, in der nächsten Legislaturperiode müsse man viele grundsätzliche Überlegungen anstellen — prononciert vom Kollegen Schellenberg und etwas zurückhaltender vom Kollegen Horn. Er sprach davon, daß die Selbstversicherung nicht hier und nicht heute entschieden wird, sondern in der nächsten Legislaturperiode.
Wenn ich daran denke, daß die Inkubationszeit beim Kindergeld zehn Jahre war — von 1954 bis 1964 —, dann hoffe ich, daß die Frist diesmal von 1957 bis höchstens 1967 läuft und nicht etwa mit der gestrigen Erklärung beginnt. Sonst werden wir nämlich bis 1975 noch nicht zu diesem Punkt kommen. Das würde ich bedauern.
Wir sind der Überzeugung, daß der nächste Deutsche Bundestag in eine Grundsatzdebatte über die Altersversorgung eintreten muß. Es sind die verschiedensten Vorschläge gekommen. Wir freuen uns, daß die Erkenntnis reift, daß es mit der Rentenreform von 1957 allein auf die Dauer nicht getan sein kann.
Wir hoffen nur, daß die versicherungstechnischen Bilanzen von 1961 und 1963, die eigentlich längst hätten da sein müssen, bald kommen. Denn die technischen Schwierigkeiten, die bei der ersten versicherungstechnischen Bilanz da waren, sind heute nicht mehr gegeben. Ich kann mir vorstellen, daß das im Zeitalter der Elektronik etwas schneller geht als bisher. Wir hoffen, daß uns diese Unterlagen so rechtzeitig zur Verfügung stehen, daß wir Anfang der nächsten Legislaturperiode hier zu grundsätzlichen Beratungen kommen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die allgemeine Aussprache in dritter Lesung ist geschlossen.
Es liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 611, 613, 614, 616, 617, 618, 619 und 620 vor *).
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Ollesch das Wort.
*) Siehe Anlagen 2 bis 9
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie im Auftrage aller Fraktionen, im Bericht Drucksache IV/3233 noch eine Änderung vorzunehmen. Auf Seite 2 muß es unter „Beschlüsse des 20. Ausschusses" hinter „Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten .in" den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften " heißen:
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
An sich ist das Gesetz zur Beseitigung von Härten nicht zustimmungsbedürftig. Aber wegen der Aufnahme der sozialrechtlichen Vorschriften bestehen Zweifel, ob nicht Länderinteressen berührt werden. Um diese Zweifel auszuräumen und den Folgen solcher etwa berechtigter Zweifel zu entgehen, schlage ich Ihnen im Auftrage aller Fraktionen die soeben vorgetragene Änderung vor.
Das Haus hat diesen Vorschlag zur Kenntnis genommen. Der Text wird entsprechend geändert.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 617 Ziffer 1 der Fraktion der FDP auf. Er betrifft die Vorlage Drucksache IV/ 3233 Seite 7 Nr. 5 unten. Wird zur Begründung dieses Änderungsantrags das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ollesch!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir legen Ihnen auf Umdruck 617 wieder einen Änderungsantrag vor, der sich mit der Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung beschäftigt. Ich habe diesen Antrag gestern begründen dürfen. Er sieht vor, daß über den jetzigen Personenkreis hinaus — also alle Arbeiter, die pflichtversicherten Angestellten und die Angestellten mit der Voraussetzung zur freiwilligen Weiterversicherung — .auch die übrigen Personenkreise den gesetzlichen Rentenversicherungen freiwillig beitreten können.Gestern haben wir einen Antrag der SPD zur Kenntnis genommen, in dem gefordert wurde, die Versicherungspflichtgrenze in der Angestelltenversicherung fallenzulassen. Das würde bedeuten, daß alle Angestellten gezwungen wären, sich in der Rentenversicherung zu versichern. Wir dagegen fordern nur das Recht für alle Angestellten, sich in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied: ob man alle hineinzwingt oder ob man allen die Möglichkeit gibt, sich auf eigenen Antrag hin zu versichern. Wir wollen mit dem vorliegenden Antrag diese Möglichkeit schaffen.Sie wenden ein, dieser Personenkreis würde diese Möglichkeit nur ausnutzen, indem er lediglich die geringsten Beiträge zahle. Diesem Einwand begegnen wir, indem wir in unserem Antrag die Voraussetzung vorsehen, daß über einen Zeitraum von 60
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8920 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
OlleschKalendermonaten Beiträge in einer gewissen Mindesthöhe geleistet sein müssen.Nun ist der Wunsch, die gesetzliche Rentenversicherung für andere Personenkreise als die bisher Berechtigten zu öffnen, auch von der CDU geäußert worden. Der Herr Bundesarbeitsminister höchstpersönlich war es, der auf dem Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf diese Gedankengänge vorgetragen hat. Meine Damen und Herren, es bedarf nicht eines längeren Zeitraums der Überlegung; mit unserem Antrag weisen wir den Weg. Ich darf Sie bitten, diesen Antrag anzunehmen.Wir beantragen die Öffnung der Versicherung sowohl nach der Reichsversicherungsordnung wie nach dem Angestelltenversicherungsgesetz. Mit diesem Hinweis darf ich gleichzeitig unseren Antrag zu Art. 1 ,§ 2 als begründet ansehen. Ich darf Sie bitten, auch diesem Antrag stattzugeben.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 617 Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Es liegt ein Eventualantrag auf Umdruck 613 vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ablehnung unseres vorigen Antrags, der die Öffnung generell vorsah, legen wir Ihnen einen Eventualantrag vor. Mit diesem Antrag wollen wir jenen Angestellten die Möglichkeit geben, sich freiwillig weiterzuversichern, deren Einkommen nach verhältnismäßig kurzer Zeit die Versicherungspflichtgrenze überschritten hat, so daß sie keine 60 Pflicht-Monatsbeiträge nachweisen können. Wir sind der Meinung, daß das Erfordernis eines Nachweises von 24 Plichtbeiträgen eine ausreichende Begrenzung darstellt, um den Personenkreis zu erfassen, der nach seiner Stellung im Beruf Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung sein kann, wenn er es wünscht.
Bei allen Diskussionen um das Angestelltenversicherungsrecht ging es den Angestellten nie so sehr darum, die Versicherungspflichtgrenze anzuheben, damit sie versicherungspflichtig bleiben, sondern darum, die Möglichkeit zu haben, sich nach einigen Monaten Pflichtversicherungszeit freiwillig weiterzuversichern. Mit der Annahme unserer Anträge auf Umdruck 613 und 614, die im Wortlaut gleichlautend sind, würde dieser Wunsch der Angestellten erfüllt.
Ich kann mir nicht vorstellen, welche Gründe der Annahme dieser Anträge noch entgegenstehen sollen. Von der Sache her kann meines Erachtens und nach der Meinung unserer Fraktion eine Ablehnung nicht mehr begründet 'werden.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldung! Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der FPD auf Umdruck 613. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag auf Umdruck 613 — Eventualantrag — ist abgelehnt.
Ich rufe den nächsten Änderungsantrag ' auf, den interfraktionellen Antrag Umdruck 619 zu Art. 1 § 1 Nr. 7 auf Seite 8 der Vorlage. Sie wollen den Antrag begründen? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden sich erinnern, daß gestern ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, alle Beiträge anzurechnen, angenommen wurde. Nach mehreren Besprechungen der Sozialpolitiker untereinander sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß es nicht Sinn des gestrigen Antrages sein kann, daß jemand, bei dem der Versicherungsfall schon 1924 oder 1925 mit kurzer Wartezeit eingetreten wäre, jetzt in die Versicherung hineinsoll. Wir sind vielmehr zu der Überzeugung gekommen, daß der Sinn des Antrages darauf gerichtet sein soll, daß Beiträge, die vor 1924 entrichtet worden sind, auch dazu verwendet werden können, daß jemand seine volle Wartezeit von 180 Beitragsmonaten erfüllen kann. Wir haben uns diesem Anliegen nicht verschlossen.
Deshalb liegt Ihnen jetzt ein Antrag aller Fraktionen vor, erstens die Beiträge von vor 1924 dann anzuerkennen, wenn der sogenannte Brückenbeitrag entrichtet ist, also wenn zwischen 1924 und 1948 ein Beitrag gezahlt wurde oder wenn bei jemandem, der eine Ersatzzeit hat, also in Kriegsgefangenschaft war, ein Beitrag nach Rückkehr entrichtet wurde. Diese Beiträge werden — das ist Ziffer b des Antrages, der Ihnen noch nicht vorliegt — auch dann angerechnet, wenn Sie dazu beitragen, daß der Versicherte mit diesen Beiträgen oder mit der Ersatzzeit aus der Zeit des ersten Weltkrieges die Wartezeit von 180 Monaten erfüllt.
Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, ist es notwendig, daß wir noch festlegen, daß diese Bestimmung auch für alle zurückliegenden Versicherungsfälle gilt. Das sind die Ziffern 4, 5 und 6 des Antrages, den der Herr Präsident oben liegen hat. Im Namen aller Fraktionen bitte ich Sie, diesen Anträgen zuzustimmen.
Einen Augenblick, Herr Kollege Stingl! Damit haben Sie die Ziffern 4, 5 und 6 mit begründet. Was ist mit den Ziffern 2 und 3?
— Alle Punkte sind dann mit begründet?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8921
Präsident D. Dr. Gerstennmaier— Dann ist damit also der gesamte interfraktionelle Antrag begründet.Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem uns die Kollegen der FDP vorhin erklärten, daß sie zu dem gestrigen Beschluß nicht mehr stehen könnten,
— und da deshalb keine Aussicht besteht, bei einer weiteren Abstimmung unseren Antrag auch in der 3. Lesung durchzusetzen, haben wir uns entschlossen, die jetzt eingebrachte Kompromißregelung zu unterzeichnen. Ich wollte das nur zur Klärung der Sache auch im Hinblick auf Ihre Bemerkungen zur Frage der Rentenköpfung sagen.
Herr Präsident, wir ziehen deshalb den Antrag auf Umdruck 616 zurück.
Der Antrag auf Umdruck 616 ist damit zurückgezogen.
Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der von Herrn Kollegen Stingl begründete Änderungsantrag beweist einmal wieder in der Öffentlichkeit, daß Plenarsitzungen und Plenardebatten nicht ganz fruchtlos sind und daß nicht alles und das letzte in den Ausschüssen geklärt und geregelt werden kann. Die Tatsache, daß wir heute auch auf diesem Gebiet zu einer sinnvollen Lösung der 'Dinge kommen, die von vielen als Ungerechtigkeiten empfunden wurden, die aber zumindest Unverständlichkeiten darstellten, ist ein Zeichen dafür, daß auch im Plenum selbst noch bessere Lösungen gefunden werden können, als das in der starren Ausschußarbeit häufig der Fall ist.
Zu den Worten des Herrn Kollegen Schellenberg darf ich nur eines hinzufügen. Lieber Herr Kollege Schellenberg, als wir gestern Ihrem Antrag zustimmten, kurzfristig und ad hoc und ohne alle Details ganz genau übersehen zu können, war uns nicht ganz wohl; denn wir erkannten natürlich, daß hier unter Umständen auch kleine Rentenansprüche entstehen können, die nur durch den Zuschlag von 21 DM, weil es Renten nach altem Recht sein können, etwas angehoben werden. Wir haben über Nacht und heute morgen noch einmal nach einer Lösung gesucht, die tragbar ist und alles das deckt, was im Interesse der Versichertengemeinschaft vertreten werden kann.
Wir haben heute in dem gemeinsamen Änderungsantrag aller drei Fraktionen erreicht, daß alle diejenigen, die im Laufe ihres gesamten Lebens 15 Versicherungsjahre, nicht Beitragsjahre, sondern Versicherungsjahre, aufzuweisen haben, die also die lange Wartezeit von 180 Monaten erfüllt haben, nunmehr unabdingbar in den Genuß eines Rentenanspruchs kommen. Das ist eine sinnvolle Regelung für alle die Mittelständler, die davon betroffen werden. Das ist auch die sinnvollste Regelung, die im Interesse aller Arbeitnehmer, die im wesentlichen diese Sozialversicherung tragen und finanzieren, gefunden werden konnte. Insofern ist der Vorwurf, den Sie gemacht haben, Herr Kollege Schellenberg, daß wir zu dem, dem wir gestern zugestimmt haben, nicht mehr stehen, nicht gerecht. Ihnen selbst war ja — wenn wir unter Kollegen ehrlich sind — auch nicht ganz wohl, wenn Sie an die Verwaltungsarbeit dachten, die bei dem Aufleben von Bagatellrenten entstehen würde.
Hier ist das sichtbare Zeichen, daß auch im Plenum unter dem Zwang von Abstimmungen etwas Sinnvolles in letzter Minute im Interesse der Betroffenen erreicht werden kann. Deswegen stimmen wir mit großer Freude diesem Antrag zu.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über diesen interfraktionellen Antrag Umdruck 619 Ziffer 1, der inzwischen in Ihrer Hand ist.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Der nächste Änderungsantrag liegt auf Umdruck 617 Ziffer 2 vor. Er 'bezieht sich auf Art. 1 § 1 Nr. 12. Zur Begründung dieses Änderungsantrags der Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Ollesch.
Herr Präsident Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begründe die Ziffern 2, 4 und 5 unseres Änderungsantrags Umdruck 617, der sich mit der Rentenkappung und der Höchstrentenbestimmung beschäftigt.Mein Kollege Herr Mischnick hat in seiner allgemeinen Stellungnahme zur dritten Lesung die Frage der Rentenkappung eingehend behandelt. Ich kann es mir ersparen, meinerseits noch einmal die Briefe vorzulesen, deren Abschrift ich im Besitz habe und die von Vertretern der beiden anderen Fraktionen an die Petenten geschrieben wurden. In ihnen wird eindeutig festgestellt, daß bei der nächsten Novellierung des Rentenrechts diese ungerechte Bestimmung beseitigt werde.Das Problem ist allgemein bekannt. Es besteht darin, daß einem Kreis von Rentenempfängern die Rente, die ihnen nach ihrer persönlichen Bemessungsgrundlage zusteht, nicht gezahlt wird, da nach unserem Rentenrecht, das seit 1957 in Kraft ist, nur Renten in einer Höhe von höchstens 200 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage gezahlt werden dürfen.Nach einer Statistik des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger sind von der Rentenkappung, der Rentenkürzung, im Jahre 1962 rund 21 % der Rentner betroffen gewesen, davon die Hälfte mit einer persönlichen Bemessungsgrundlage von unter 219 %. Sie sehen daran schon, daß die finan-89,Metadaten/Kopzeile:
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Olleschziellen Auswirkungen des Wegfalls der Rentenkappung nicht so groß sein können, wie sie hier ausgemalt werden, vor allen Dingen, wenn man bedenkt, daß der Kreis der Betroffenen zwangsläufig immer kleiner wird, da in der Neuzeit die persönlichen Bemessungsgrundlagen in dieser Höhe nicht mehr erreicht werden können.Meine Damen und Herren, wir würden mit der Annahme unseres Antrages eine Unlogik und eine von den Betroffenen empfundene Ungerechtigkeit aus der Rentengesetzgebung entfernen.Wegen der Wichtigkeit unseres Anliegens und weil immer wieder von Vertretern aller Fraktionen dieses Parlaments draußen Erklärungen im Sinne unseres Antrages abgegeben werden, hier in der Abstimmung aber eine andere Stellung eingenommen wird, beantrage ich namens meiner Fraktion zu diesem Änderungsantrag namentliche Abstimmung.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich frage den Fraktionsgeschäftsführer der FDP, ob 50 Mitglieder seiner Fraktion präsent sind.
— Erst muß mal das Wort des Fraktionsgeschäftsführers bezweifelt werden. Wird es in Zweifel gezogen?
— Dann bitte ich, sich zu erheben; ich muß zählen.
— Einige über 50. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ausreichend unterstützt.
Ich frage, ob zu dem Änderungsantrag Umdruck 617 Ziffer 2 weiter das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Kühn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein ganz kurzes Wort noch zu den Ausführungen, die Herr Kollege Ollesch soeben zur Begründung des neuerlichen Antrags der FDP gemacht hat. Ich glaube, wir können es nicht stehenlassen, wenn hier gesagt wird, das geltende Recht auf diesem Gebiet sei eine Ungerechtigkeit. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen und ist eine Entstellung der wirklichen Lage.
Was wollen wir, und was galt bisher? Bisher galt, daß für die Renten aus der Vergangenheit kein anderes Anspruchsrecht angewendet werden kann, als heute neu entsteht. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, eine solche Regelung sei ungerecht. Eine andere Regelung würde zu Lasten derjenigen gehen, die heute die Renten aufzubringen haben und die ein solches Vorrecht in der Zukunft gar nicht mehr erwerben können.
Zweitens soll mit dem gemeinsamen Antrag der SPD-Fraktion und meiner Fraktion erreicht werden, daß wir die Beiträge, die in der Höherversicherung geleistet worden sind, als Höherversicherung werten, so wie es jetzt möglich ist.
Aus diesem Grunde bitten wir, den Antrag abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen in namentlicher Abstimmung. Zur Abstimmung steht der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 617 Nr. 2. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.Ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 60 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben gestimmt 310 Mitglieder des Hauses und 12 Berliner Abgeordnete. Damit ist der Änderungsantrag auf Umdruck 617 Ziffer 2 ebenfalls abgelehnt.Endgültiges Ergebnis:Ja: 60Nein: 310 und 12 Berliner AbgeordneteEnthalten: 1JaCDU/CSUBauschDr. HuysFrau KalinkeDr. von Merkatz Schneider
FDPDr. AchenbachDr. Aschoff Dr. Bucher Burckardt BusseDr. DahlgrünDr. Danz Dr. Dehler DenekeFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornDürrDr. Effertz Dr. Emde Frau Dr. Flitz
Frau Funcke
Dr. Hamm HammersenDr. HelligeFrau Dr. HeuserDr. Hoven Dr. ImleFrau Dr. Kiep-Altenloh Dr. KohutKreitmeyer Dr. KrümmerKubitzaFreiherrvon Kühlmann-Stumm Lenz
Dr. Löbe Logemann Dr. Malzig MaukDr. MendeDr. h. c. Menne MertesDr. MiessnerMischnick MoerschFreiherr von Mühlen MurrOllesch OpitzPeters ReichmannDr. RutschkeSchmidt
Dr. Schneider SoetebierSpitzmüllerDr. Supf Wächter Walter Weber
ZoglmannNeinCDU/CSUDr. AdenauerAdornoDr. AlthammerArndgen Dr. ArnoldDr. ArtzingerBaier
Baldauf Balkenhol Dr. Becker
Becker
Berberich BewerungeBiecheleDr. BieringerBlankFrau Dr. BleylerBlöckerFrau Blohmvon BodelschwinghDr. Böhm
Böhme
BrandFrau BrauksiepeBreseBrückBühlerBurgemeisterDr. ConringDr. Czaja van DeldenDr. DichgansDraeger Ehnes
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8923
Präsident D. Dr. GerstennmaierDr. ElbrächterFrau EngländerDr. Even
ExnerFalkeDr. Franz Franzen Dr. Frey
Gaßmann GedatGehringD. Dr. Gerstenmaier GienckeDr. GleissnerGlüsing
Dr. Götz Dr. Gossel GotteslebenFrau GriesingerGünther Frau Haas Haase
Härzschel Häussler Gräfin vom HagenHahn
Dr. von Haniel-Niethammer HarnischfegerDr. Hauser HeixDr. HesbergHesemann HilbertDr. Höchst Hörnemann
HöslHolkenbrinkHornIllerhausFrau Jacobi
Dr. Jaeger JostenDr. JungmannDr. Kanka KatzerDr. KempflerFrau KleeKlein
Dr. Kliesing KlinkerKnobloch Dr. Kopf KrugFrau Dr. KuchtnerKühn KuntscherKurtzLang
Lenz
Lenze
Leonhard Leukert Dr. Luda Maucher MeisMemmel MengelkampMenkeMickMissbachMüller MüserNeumann NiebergDr. Dr. OberländerOetzelFrau Dr. PannhoffDr. PflaumbaumDr.-Ing. PhilippFrau Pitz-SavelsbergDr. Poepke PortenDr. PreißFrau Dr. ProbstDr. RammingerRasnerDr. ReinhardRiedel RollmannRommerskirchenRufScheppmannDr. Schmidt Frau Schroeder (Detmold) SchulhoffDr. SchwörerDr. SeffrinSeidl
Dr. SerresSpies Stauch Dr. SteckerSteinDr. SteinmetzStillerFrau StommelStooß Storch Storm Struve Sühler Dr. SüsterhennTeriete TobabenDr. Dr. h. c. Toussaint UnertlVarelmannDr. Freiherrvon Vittinghoff-Schell VogtWagnerDr. WahlWehkingWeigl WeinzierlFrau Welter WendelbornWieningerDr. WilhelmiDr. WillekeWinkelheideWittmannDr. Wuermeling WullenhauptZieglerDr. ZimmerBerliner AbgeordneteBenda Hübner StinglSPDFrau AlbertzAndersArendt AugeBading Bäuerle BalsBauer BehrendtBergmannBerkhanBerlin BeusterFrau Beyer BieglerBiermannBörnerDr. h. c. BrauerBruse BuchstallerBüttner BuschCorterierFrau DöhringDröscherFrau EilersFrau Dr. Elsner EschmannFaller Felder Figgen Flämig Folger Franke Dr. FredeFrehsee Fritsch Geiger Gerlach Glombig GscheidleHaase HamacherHansing Hauffe Heide HeilandDr. Dr. Heinemann HellenbrockHerbertsFrau HerklotzHirschHöhmann
Höhne Hörauf HufnagelHussongJacobi
Jacobs JahnJürgensenJunghansJunker Kaffka Frau KettigKillatFrau Kipp-KauleFrau KleinertDr. KochKönen Koenen (Lippstadt) Frau KorspeterKraus KriedemannDr. KüblerKurlbaumLange LautenschlagerLeber Lemper Dr. LohmarLücke MaibaumMarquardtMarxMatthöferMatzner MertenMeyer Dr. MommerMüller Müller (Nordenham) Müller (Worms)Dr. Müller-EmmertPaulPeiterDr. PohlenzPöhler Porzner Priebe Ravens Regling RehsDr. ReischlReitzFrau RengerRiegel
Dr. RinderspacherRohde RossFrau RudollSänger SaxowskiDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenSchmidt Dr. Schmidt (Gellersen) Dr. Schmidt (Offenbach) Schmidt (Würgendorf) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchwabe SeibertSeidel
Seifriz Seither Frau SeppiDr. Stammberger Steinhoff StephanStriebeckStrohmayrDr. TambléWegener Welke Welslau Weltner
Frau WesselWolfZühlkeBerliner AbgeordneteBartschFrau Berger-Heise BraunFrau KrappeMattickNeumann
Dr. SchellenbergDr. SeumeUrbanEnthaltenCDU/CSU Dr. GerlichWir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag der 'Fraktion der SPD auf Umdruck 618 Ziffer 1. Das ist ein Änderungsantrag zu dem Art. 1 § 2 Nr. 3. — Bitte schön, Herr Abgeordneter Killat!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe den gesamten Antrag, weil
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8924 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Killatdie Nr. 3 des § 2 in Art. 1 — die das Angestelltenversicherungsgesetz betrifft — und die Nr. 1 des § 3 in Art. 1 — die das Reichsknappschaftsgesetz betrifft — die gleiche Frage regeln.Es handelt sich hier noch einmal um das Problem der Versicherungspflichtgrenze für die Angestellten. Ich glaube, es ist nicht mehr als recht und billig, daß man, nachdem man in unserer heutigen Rentenversicherung die Rentenbemessungsgrundlage, die Beitragsbemessungsgrundlage und alle jährlich erfolgenden Rentenanpassungen dynamisch gestaltet hat, nunmehr auch die Versicherungspflichtgrenze dynamisch hält. Es wäre systemwidrig, wenn man durch eine starre Grenze — und das haben wir im Verlauf der letzten Jahre erlebt — laufend einen Teil von Versicherten aus dieser Solidargemeinschaft entlassen muß oder von dieser Versichertengemeinschaft ausschließt.Das bedeutet auf der einen Seite für die Angestellten einen Verlust des absoluten Versicherungsschutzes, auf der anderen Seite für die Versicherung einen Verlust von Beiträgen für die Solidargemeinschaft.Deshalb haben — .darauf möchte ich besonders aufmerksam machen — auch die sieben Professoren, die auf Grund ihrer Berufung durch den Herrn Bundeskanzler die Sozial-Enquete erarbeiten sollen, vorab der Bundesregierung die Ermächtigung erteilt, ihre positive Stellungnahme für eine dynamische Versicherungspflichtgrenze bekanntzugeben.Nun ist die Frage zu stellen: Wie hoch muß diese dynamisierte Versicherungsgrenze sein? Hier sind wir der Meinung und folgen der Begründung der Regierung, die gesagt hat, man sollte durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze in etwa den gleichen Personenkreis versichern, der bis 1957 versichert war. Da wir nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bis heute eine Gehaltsentwicklung von 69,7 %, also 70 % und — dieses Jahr noch dazugeschlagen — von etwa 80 % haben, muß diese Grenze bei etwa 2100 bis 2200 DM Monatseinkommen liegen.
— Frau Kollegin, gestatten Sie, daß ich meinen Gedankengang zu Ende führe.Wir sind der Meinung, daß diesem Betrag unser Vorschlag entspricht, auf das Dreieinhalbfache der allgemeinen Bemessungsgrenze — 600 DM mal 3 1/2 gleich 2100 DM — zu gehen. Dieser Vorschlag ist zwar ein politischer Vorschlag meiner Freunde aus der Fraktion; aber er entspricht nicht nur den Vorstellungen der SPD, sondern aller Angestellten. Alle Angestelltenvertreter, beispielsweise der 700 000 Angestellten des DGB, der 1/2 Million Angestellten der DAG wie auch des Christlichen Gewerkschaftsbundes haben bei der Anhörung der Sachverständigen diese dynamische Versicherungspflichtgrenze gefordert. Das gleiche hat Ihr Kollege Stingl als Vorsitzender des Arbeitskreises „Sozialpolitik" der CDU/CSU getan; das gleiche hat der Herr Arbeitsminister mehrfach getan, und — wie gesagt — auch die Sachverständigen zur versicherungstechnischenBilanz haben ebenso wie die Mitglieder der Sozialenquete-Kommission erklärt, daß es systemgerecht und notwendig sei, zu einer Dynamisierung dieser Grenze zu kommen.Ich darf nunmehr hoffen, daß Sie jetzt diesem Sachverstand folgen und durch Ihre Zustimmung auch bei den Angestellten das letzte Unrecht beseitigen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben gestern Gelegenheit gehabt, in der zweiten Lesung unsere grundsätzliche Meinung zu dem ersten Antrag der SPD zu sagen, und ich kann an dieser Stelle nur wiederholen: Das Argument des Kollegen Killat ad eins, daß alle Angestellten eine Dynamisierung der Grenze oder einen umfassenden Versicherungsschutz durch Zwang wünschen, trifft nicht zu. Sie können das höchstens für einen Teil oder für die in den beiden genannten Gewerkschaften organisierten Angestellten sagen. Die Zahl der Angestellten beträgt aber bekanntlich das Drei- bis Vierfache derjenigen, die organisiert sind.
Ich habe gestern mit großem Freimut gesagt, daß es über diese Frage in unserer Fraktion verschiedene Meinungen gibt, gegeben hat und auch geben wird. Sie ist eine Grundfrage, die in bezug auf die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung in der kommenden Legislaturperiode von uns in gleichem Freimut diskutiert werden wird.
Zur Zeit besteht — weder wegen der Sanierungsmaßnahmen noch wegen der Beitragsbemessungsgrenze — angesichts der so weitgehenden Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze auf 1800 DM keinerlei Veranlassung, eine andere, etwa weitergehende Änderung vorzunehmen. Es bleibt bei unserer Erklärung dazu. Wir haben die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, die wir gestern beschlossen haben, mit großer Mehrheit bejaht und werden von einer weitergehenden Entscheidung hier und heute Abstand nehmen. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Nachdem die von dem Herrn Bundeskanzler eingesetzte Sozialenquete-Kommission erklärt hat, bei dynamischen Renten müsse auch die Versicherungspflichtgrenze dynamisch sein, beantrage ich zu unserem Antrag namentliche Abstimmung.
Jetzt haben wir neuerdings auch noch Sprechchöre im Parlament; das paßt mir gar nicht.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177, Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8925
Präsident D. Dr. Gerstennmaier
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt, Herr Kollege Schellenberg, oder wird er nur von einem Teil der Fraktion unterstützt? — Es scheint die ganze Fraktion zu sein.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Ollesch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicher hat die SPD-Fraktion von ihrer Stärke her — und aus der Sicht dieser Fraktion — das Recht, eine namentliche Abstimmung über den Antrag zur Dynamisierung der Pflichtversicherungsgrenze zu fordern. Aber diejenigen, die jetzt in diese Grenze einbezogen werden, fordern weder die Dynamisierung noch eine wesentliche Anhebung dieser Grenze.
Der Verdienst der Angestelltenvertreter, Herr Kollege Killat, die Sie erwähnten, liegt unter dieser Grenze. Die Angestellten, die um diese Grenze herum verdienen, legen viel größeren Wert auf eine Verkürzung der Pflichtversicherungszeiten als Voraussetzung für die Fortsetzung der freiwilligen Versicherung.
— Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen gestern schon erklärt: Sie wollen immer Leuten das Glück bringen, die das gar nicht wollen. Wir wollen dem einzelnen die Möglichkeit lassen, sich zu entscheiden, ob er die gesetzliche Versicherung oder die freie Versicherung wählt.
Wir werden in der namentlichen Abstimmung Ihren Antrag ablehnen.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.Wir stimmen in namentlicher Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 618 Ziffer 1 ab.Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 618 Ziffer 1 bekannt. Mit Ja haben gestimmt 140, mit Nein 223 Mitglieder des Hauses, insgesamt also 363 Abgeordnete. Von den Berliner Abgeordneten haben 9 mit Ja und 3 mit Nein gestimmt. Der Antrag ist abgelehnt.Endgültiges Ergebnis:Abgegebene Stimmen: 362 und 12 Berliner Abgeordnete Ja: 139 und 9 Berliner AbgeordneteNein: 223 und 3 Berliner AbgeordneteArendt AugeBadingBäuerleBalsBauer
BehrendtBergmannBerkhanBerlinBeusterJaCDU/CSUSchneider SPDFrau Albertz AndersFrau Beyer BieglerBiermannBörner BruseBuchstallerBüttner BuschCorterierFrau Döhring DröscherFrau EilersFrau Dr. Elsner EschmannFaller Felder Figgen Flämig Folger Franke Dr. FredeFrehsee Fritsch Geiger Gerlach GlombigGscheidleHaase HamacherHansing Hauffe Heide HeilandDr. Dr. Heinemann HellenbrockHerbertsFrau HerklotzHirschHöhmann
Höhne Hörauf HufnagelHussongJacobi
Jacobs JahnJürgensenJunghansJunker Kaffka Frau KettigKillatFrau Kipp-KauleFrau KleinertDr. KochKönen Koenen (Lippstadt) Frau KorspeterKraus KriedemannDr. KüblerKurlbaumLange LautenschlagerLeberLemperDr. LohmarLücke MaibaumMarquardtMarxMatthöferMatzner MertenMeyer Dr. MommerMüller Müller (Nordenham) Müller (Worms)Dr. Müller-Emmert PaulPeiterDr. Pohlenz PöhlerPorznerPriebeRavensReglingRehsDr. Reischl ReitzFrau Renger Riegel
Dr. Rinderspacher RohdeRossFrau Rudoll SängerSaxowski Dr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenSchmidt Dr. Schmidt (Offenbach) Schmidt (Würgendorf) SchoettleSchwabeSeibertSeidel SeifrizSeitherFrau SeppiDr. Stammberger SteinhoffStephanStriebeckStrohmayr Dr. Tamblé WegenerWelkeWelslauWeltner
Frau Wessel WolfZühlkeBerliner AbgeordneteBartschFrau Berger-Heise BraunFrau KrappeMattickNeumann Dr. Schellenberg Dr. SeumeUrbanNeinCDU/CSUDr. AdenauerAdornoDr. Althammer ArndgenDr. Arnold Dr. ArtzingerBaier BaldaufBalkenhol Dr. Becker
Becker (Pirmasens) Berberich
Bewerunge BiecheleDr. Bieringer BlankFrau Dr. Bleyler BlöckerFrau Blohm
Metadaten/Kopzeile:
8926 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Vizepräsident Dr. DehlerI von BodelschwinghDr. Böhm Böhme (Hildesheim)BrandFrau BrauksiepeBreseBrückBühlerBurgemeisterDr. ConringDr. Czaja van Delden Dr. DichgansDraeger EhnesDr. ElbrächterFrau EngländerDr. Even
ExnerFalkeDr. Franz Franzen Dr. Frey
Gaßmann GedatGehringDr. GerlichD. Dr. Gerstenmaier GienckeDr. GleissnerGlüsing
Dr. Götz Dr. Gossel GotteslebenFrau GriesingerGünther Frau HaasHaase
Härzschel Häussler Gräfin vom Hagen Hahn
Dr. von Haniel-Niethammer HarnischfegerDr. Hauser HeixDr. HesbergHesemann HilbertDr. Höchst Hörnemann
HöslHolkenbrinkHornDr. Huys Illerhaus Frau Jacobi
Dr. Jaeger JostenDr. JungmannFrau KalinkeDr. Kanka KatzerDr. KempflerFrau KleeKlein
Dr. Kliesing KlinkerKnobloch KrugFrau Dr. KuchtnerKühn KuntscherKurtzLang
Lenz
Lenze LeonhardLeukert Dr. Luda Maucher MeisMemmelMengelkampMenkeDr. von MerkatzMickMissbachMüller MüserNeumann NiebergDr. Dr. Oberländer OetzelFrau Dr. PannhoffDr. PflaumbaumDr.-Ing. PhilippFrau Pitz-SavelsbergDr. PoepkePorten Dr. PreißFrau Dr. ProbstDr. RammingerRasnerDr. ReinhardRiedel RollmannRommerskirchenRufScheppmannDr. Schmidt Frau Schroeder (Detmold) SchulhoffDr. SchwörerDr. SeffrinSeidl
Dr. SerresSpiesDr. SteckerSteinDr. SteinmetzStillerFrau StommelStooß Storch Storm Struve Sühler Dr. SüsterhennTeriete TobabenUnertl VarelmannDr. Freiherrvon Vittinghoff-Schell VogtWagnerDr. WahlWehkingWeigl WeinzierlFrau Welter WendelbornWieningerDr. WilhelmiDr. WillekeWinkelheideDr. WinterWittmannDr. Wuermeling WullenhauptZieglerDr. ZimmerBerliner AbgeordneteBenda Hübner StinglFDPDr. Achenbach Dr. AschoffDr. BucherBurckardt BusseDr. DanzDr. Dehler DenekeFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornDürrDr. Effertz Dr. Emde Frau Funcke
Dr. Hamm HammersenDr. Hellige Dr. Hoven Dr. ImleFrau Dr. Kiep-AltenlohDr. Kohut Kreitmeyer Dr. Krümmer KubitzaFreiherrvon Kühlmann-Stumm Lenz
Logemann Dr. Mälzig MaukDr. MendeDr. h. c. Menne MertesDr. MiessnerMischnick MoerschFreiherr von MühlenMurrOlleschOpitzPeters ReichmannDr. Rutschke Schmidt
Dr. Schneider SoetebierSpitzmüller Dr. SupfWächterWalterWeber ZoglmannDer nächste Antrag betrifft Art. 1 § 2 Nr. 5.
— Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Umdruck 620 auf. — Auf Begründung wird verzichtet. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Zeichen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Damit sind wir am Ende der dritten Lesung. Wird noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fürchten Sie nicht, daß ich die soeben geschlossene Debatte jetzt noch einmal eröffne. Ich möchte am Ende dieser langen Diskussion nur der Freude meiner Fraktion darüber Ausdruck geben, daß das Parlament heute nach sehr gründlicher Vorbereitung zur Verabschiedung dieser Härtenovelle kommt. Herr Kollege Ruf hat schon ausgeführt, daß wir dazu als Fraktion und in der Unterkommission, die mehrere Jahre tätig gewesen ist, sehr gründliche Vorarbeit geleistet haben. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Schließlich haben wir dann im Einvernehmen mit der Bundesregierung die Konzeption in die Regierungsvorlage hineingebracht.Wer sich der Vorgänge im Jahre 1957 bei der großen grundlegenden Rentenreform erinnert, der wird angesichts der heutigen Vorlage und Debatte nur ein Wiederaufleben der damaligen Situation feststellen: Erst gehen die Kämpfe vor sich, in den Debatten geht .es sehr heiß hin und her, und am Ende, wenn es heißt: „Wer in der dritten Lesung dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben", finden sich die Fraktionen wieder zusammen, indem sie alle ja sagen.Wie gesagt, ich möchte namens meiner Fraktion unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß es heute zu diesem Schlußpunkt gekommen ist. Ich wiederhole nichts von dem, was in der Debatte ge-
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Hornsagt worden ist. Der fünfte Deutsche Bundestag wird sich mit dem Fragenkomplex insgesamt des weiteren zu befassen haben. Ich habe ja dieses Mandat dann nicht mehr.Ich darf aber insbesondere noch einmal den Dank, der, wenn ich nicht irre, auch schon ausgesprochen wurde, an die Herren der Bundesregierung wiederholen, die uns bei der Erarbeitung dieser Vorlage in so hervorragender Weise unterstützt haben.
Am Ende dieser kurzen Erklärung möchte ich sagen: Ich habe die Hoffnung — als einer, der im nächsten Parlament nicht mehr dabei sein wird —, daß auch im kommenden Deutschen Bundestag diese große Mitte die Dinge hier im Parlament maßgeblich bestimmen wird. Das heißt mit anderen Worten, ich hoffe, daß die Wählerschaft der Opposition von links hoffentlich nicht die Freude macht, daß sie nun die Wachablösung hier vornehmen darf.
In diesem Sinne schon im voraus mein herzliches Beileid!
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Härtenovelle verabschiedet der Bundestag ein für den Ausbau unserer sozialen Rentenversicherung bedeutungsvolles Gesetz. Seine Bezeichnung als Gesetz zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften bringt nur unvollständig seinen sozialpolitischen Gehalt zum Ausdruck.Indem wir die Härten beseitigen, die infolge der Größe und Neuheit der gestellten Aufgabe zwangsläufig auftreten mußten, 'haben wir die neue Rentenversicherung politisch und rechtlich gefestigt. Von diesen Mängeln, die wir jetzt beseitigen, abgesehen, hat sich die Rentenreform bewährt. Wir haben mit ihr eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllt und den sozialen Standort unserer Rentner neu bestimmt und ganz erheblich gebessert. Bei der Umstellung auf das neue System konnten die Renten kräftig angehoben und die Rentner am wachsenden wirtschaftlichen Wohlstand durch laufende Rentenanpassung beteiligt werden. Einer der wesentlichsten Grundgedanken des neuen Rentenrechts, nämlich die laufende Rentenanpassung, konnte voll verwirklicht werden, und seit der Rentenreform sind dadurch die Renten um rund 57% erhöht worden.Das Achte Rentenanpassungsgesetz wird zur Zeit im Ministerium vorbereitet. Es wird dem Parlament rechtzeitig zugeleitet. Wir können mit voller Berechtigung und tiefer Befriedigung feststellen, daß sich das 1957 geschaffene Gesetzgebungswerk bewährt hat. Es wird nicht nur von der Arbeitnehmerschaft als eine Bestätigung ihres Anspruchs auf eine angemessene Sicherung für die Wechselfälle des Daseins bejaht. Auch die Kritiker, die bei der Schaffung des Systems vor seinen wirtschaftlichen Folgen gewarnt haben, sind weitgehend verstummt. Ihre Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet.
Wir haben die beiden versicherungstechnischen Bilanzen auf den 1. Januar 1961 und den 1. Januar 1963 fertiggestellt. Sie liegen dem Sozialbeirat vor.Die einzige Kritik, die auch heute noch gegen die Rentenreform erhoben wird, ist die, daß die Finanzierung der Rentenversicherung für die fernere Zukunft nicht gesichert sei. Die vielfach geäußerte Meinung, es sei die sogenannte Dynamik durch ihre wachsenden Leistungen, die die spätere Finanzierung gefährde, ist unbegründet. Die Renten sind an die Löhne gebunden. Mit dein Steigen der Löhne wachsen aber nicht nur die Renten, sondern auch die Beitragsaufkommen. Insoweit ist also das finanzielle Gleichgewicht der Versicherung auf 'lange Sicht gesichert.Die zusätzlichen Belastungen in den nächsten zwei Deckungsabschnitten haben ihre Ursache in dem ungünstigen Bevölkerungsaufbau. Diesem Problem ist aber nicht nur unsere Rentenversicherung, sondern jedes System gegenübergestellt, das auf einem Umlageverfahren beruht. Ich bin jedoch der Meinung, daß wir auch hierfür Lösungen finden.Die Versicherten und Rentner können sicher sein, daß die Leistungsversprechungen, die ihnen gegeben wurden, erfüllt werden.Eines freilich erfüllt mich mit ernster Sorge. Unser Rentenrecht wird durch dieses Gesetz noch komplizierter. Gleichwohl sehe ich keine Möglichkeit, das zu vermeiden. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Beseitigung von Härten Hand in Hand geht mit einer weiteren Differenzierung und Spezifizierung der Tatbestände und der Rechtsfolgen. Wenn wir das Prinzip einer möglichst individuellen, den persönlichen Verhältnissen des einzelnen entsprechenden Leistungsgewährung bejahen, dann müssen wir auch zu den Folgerungen ja sagen, die sich aus dieser Einstellung ergeben. In dem Dilemma zwischen der Kompliziertheit des Rechts auf der einen und der sozialen Befriedigung unserer Rentner auf der anderen Seite, in dem Gegensatz zwischen Schwierigkeiten des Rechts und dem Gefühl der Versicherten, individuell und gerecht behandelt zu sein, möchte ich mich für das letztere entscheiden.Nun gestatten Sie mir ein kurzes Wort an die Verwaltung. Die Versicherungsträger erhalten durch dieses Gesetz eine neue zusätzliche Aufgabe, deren Durchführung eine erhebliche Mehrbelastung zur Folge haben wird. Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die sich hieraus 'in organisatorischer und verwaltungsmäßiger Hinsicht ergeben. Was die Versicherungsträger und ihre Bediensteten schon bisher in ihrem 'Bereich an laufender und zusätzlicher Ar-
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Bundesminister Blankbeit geleistet haben, — das möchte ich hier dankbar anerkennen.
Ich hoffe, daß sie wie schon mehrfach in der Vergangenheit auch diese •zusätzliche Aufgabe — und sie ist nicht klein — zum Wohle unserer Versicherten und Rentner erfolgreich bewältigen.Ihnen, meine Damen und Herren von allen Fraktionen dieses Hauses, möchte ich namens der Bundesregierung für die an diesem Gesetz geleistete erfolgreiche Arbeit danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem stimmen wir Sozialdemokraten mit dem Herrn Bundesarbeitsminister überein: es ist eine Aufgabe, in der Rentenversicherung möglichste Gerechtigkeit zu verwirklichen. Aber wir können dem 'Minister nicht darin zustimmen, daß diese Gerechtigkeit mit einer derartigen Komplizierung verbunden sein muß, wie das vorliegende Gesetz sie bringt. Im übrigen wird der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit durch dieses Gesetz in einer Reihe von Punkten verletzt. Beispielsweise dadurch, daß an die Stelle von Bemessungsgrundlagen des persönlichen Arbeitslebens jetzt pauschalierte Tabellensätze treten sollen. Wir Sozialdemokraten werden mit allen politischen Mitteln dafür wirken, daß in der sozialen Sicherung bessere Überschaubarkeit mit möglichster Gerechtigkeit vereinigt wird. Das wird ein wichtiger Schritt in die Zukunft sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden dem Änderungsgesetz, an dem wir im Ausschuß so lange mit Fleiß gearbeitet haben, zustimmen, obschon wir mit Bestürzung festgestellt haben, daß viele unserer Anträge, die berechtigt und begründet waren, abgelehnt worden sind. Wir stimmen der Vorlage zu in der Erkenntnis, daß in ihr eine ganze Reihe von Verbesserungen enthalten sind. Wir wollen dem betroffenen Personenkreis diese Verbesserungen nicht vorenthalten.
Wir haben nach dieser Debatte die Hoffnung, daß es im nächsten Bundestag möglich sein wird, viele unserer heute abgelehnten Anliegen durchzusetzen. Wenn wir den Erklärungen der CDU-Fraktion Glauben schenken dürfen, dann werden uns alle diese Probleme — ich denke an die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für weitere Personenkreise, ich denke an die Höchstrentenbestimmung und an viele andere Fragen — in der nächsten Zeit beschäftigen, und sie werden positiv entschieden werden. Wir haben vielfach das Gefühl gehabt, daß die CDU-Fraktion gestern und heute sozusagen auf dem konservativen Bein hurra geschrien hat. Wir nehmen die Hoffnung mit in die nächste Legislaturperiode, daß sie sich in der nächsten Zeit unseren fortschrittlichen Ideen
zwar nicht ganz, aber doch in vielen Fragen annähern wird.
Wir stimmen also diesem Gesetzentwurf, wenn auch nicht ohne Bedenken, zu.
Ich schließe die Aussprache.
Es ist zunächst noch eine Berichtigung vorzunehmen. Durch Annahme des interfraktionellen Änderungsantrags Umdruck 619 Ziffern 1 bis 3 sind § 1249 der Reichsversicherungsordnung sowie die entsprechenden Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes — § 26 — und des Reichsknappschaftsgesetzes — § 50 Abs. 1 — geändert worden. In den beiden letztgenannten Bestimmungen muß jeweils der Text unter Buchstabe b ebenso lauten, wie er bei § 1249 RVO unter Buchstabe b beschlossen ist. Besteht darüber Einigkeit? — Das ist der Fall.
Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen will, erhebe sich bitte. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 611 vor. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der SPD-Fraktion möchte ich den Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag auf Umdruck 611, der erfreulicherweise von den beiden anderen Fraktionen des Hauses mit gestellt wird, begründen.Der Antrag hat zum Ziel, die unbilligen Härten für rentenversicherte Arbeitnehmer, die eine ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen der Selbstverwaltungsorgane, bei den Gerichten und in den Gemeindevertretungen ausüben, endlich zu beseitigen. Bis zum heutigen Tag besteht keine gesetzliche Regelung, die die sozialversicherungsrechtlichen Nachteile verhindern oder ausschließen könnte. Durch die Entrichtung von Höherversicherungsbeiträgen, wie sie das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung den Versicherungsträgern empfohlen hat, wird ein vollständiger Ausgleich der sozialversicherungsrechtlichen Nachteile nicht erreicht. Einmal nehmen die aus Höherversicherungsbeiträgen sich ergebenden Rentenanteile nicht an den Rentenanpassungen teil. Außerdem ist für den einzelnen Fall nicht gewährleistet, daß die Empfehlung zur entsprechenden Zahlung von Höherversicherungsbeiträgen eingehalten wird.Meine Damen und Herren, es ist eine Tatsache, daß es sich um wesentliche sozialversicherungsrecht-
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Frau Döhringliche Nachteile handelt, die den Arbeitnehmern entstehen, die sich für diese notwendige ehrenamtliche Tätigkeit zur Demokratisierung unseres Staates zur Verfügung stellen. Dabei ist insbesondere zu bedenken, daß diese Nachteile nicht nur die ehrenamtlich tätigen Versicherten treffen, sondern auch ihre Familienangehörigen, die beim Eintreten des Rentenfalles irgendwelcher Art ebenso empfindlich getroffen werden. Es ist bekannt, daß es sich um ein rechtlich nicht einfaches Problem handelt. Im Sozialpolitischen Ausschuß wurde es gründlich erörtert. Es konnte jedoch zu keiner abschließenden Lösung gebracht werden, weil neben den Veränderungen in den Rentenversicherungen noch andere Rechtsfragen und auch finanzielle Fragen geordnet werden müssen.Die Fraktionen sind sich einig darüber, daß es nicht länger verantwortet werden kann, Arbeitnehmer, die sich für diese wichtige ehrenamtliche Tätigkeit im Interesse der Gemeinschaft zur Verfügung stellen, noch länger benachteiligt zu lassen. Deshalb soll die Regierung in dem vorliegenden Entschließungsantrag beauftragt werden, recht bald zu prüfen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen erforderlich sind, um zukünftig sozialversicherungsrechtliche Nachteile für diesen Personenkreis auszuschließen.Namens meiner Fraktion möchte ich Sie bitten, dem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir können dann über den Entschließungsantrag auf Umdruck 611 abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen! — Ich kann einstimmige Annahme feststellen.Es bleibt dann noch die Verabschiedung der Ziffer 2 des Antrages des Ausschusses, die Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich nehme Ihr Einverständnis an. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.Punkt 4 der Tagesordnung wird abgesetzt.Dann kann ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufen:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hamm , Dr. Jungmann, Dr. Dittrich, Frau Dr. Hubert und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten (Drucksache IV/ 3057) ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen (Drucksache IV/3242).
Es liegt der Bericht der Frau Abgeordneten Blohm vor. Soll der Bericht ergänzt werden? — Das ist nicht der Fall. Ich danke der Frau Berichterstatterin.Wird das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir können dann in die Abstimmung eintreten. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich schließe die zweite und eröffne diedritte Beratung.Wer dem Gesetz zustimmt, erhebe sich! — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 7 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenlegung der Deutschen Landesrentenbank und der Deutschen Siedlungsbank .Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Es wird die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — vorgeschlagen. — Keine Bedenken; es ist so beschlossen.Dann Tagesordnungspunkt 8:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeibeamtengesetzes .
— Eine Stellungnahme wird von Herrn Abgeordneten Anders zu Protokoll gegeben *). — Sonst wird das Wort nicht begehrt.Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Inneres und an den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. — Kein Einwand; es ist so beschlossen.Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit über die von der Bundesregierung vorgelegten1. Übereinkommen 119 über den Maschinenschutz2. Empfehlung 118 betreffend den Maschinenschutz3. Empfehlung 119 betreffend Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeberder Internationalen Arbeitskonferenz .Es liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Braun vor. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Es ist vorgeschlagen, die Vorlagen zur Kenntnis zu nehmen. — Keine Bedenken; das ist geschehen.1 Siehe Anlage 10
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Vizepräsident Dr. DehlerIch rufe auf Tagesordnungspunkt 10:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU! CSU betr. spätere Rückkehr der Frau in das Berufsleben .Zur Begründung Frau Abgeordnete Brauksiepe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den sanften Zwang des Freitagvormittag hinter mir und kann mich deshalb kurz fassen.Zu diesem Antrag, den ich im Namen meiner Fraktion hier kurz begründe, läßt sich in vier Punkten das zusammenfassen, was wir anstreben. Er kann an sich keine große Überraschung sein — wenigstens nicht der Zeitpunkt, zu dem wir ihn einbringen —; denn er ist die konsequente Fortsetzung dessen, was meine Kollegin Frau Christa Schroeder in der 151. Sitzung hier bereits vorgetragen hat, als wir uns in den Fraktionen über die Enquete .betreffend die Situation der Frau unterhielten.Damals sagte meine Kollegin sinngemäß : Wir sehen als eines der aktuellsten Probleme die Wiedereingliederung der älteren Frau, deren Kinder nicht mehr betreut werden müssen, in den Beruf, an. Wir meinen — sagte damals Frau Schroeder —, daß man allen Maßnahmen, die der älteren Frau die Wiederaufnahme des Berufs erleichtern, wie Vertiefung und Erweiterung ihrer Ausbildung, eventuell eine Umschulung, größte Beachtung schenken sollte. Und sie schloß in der 151. Sitzung: Wir sind der Auffassung, daß es richtiger ist, alles daranzusetzen, diese Reserven zu mobilisieren, als daß Mütter von Kleinkindern in der Arbeit bleiben. Die Schlußfolgerung, die wir aus diesen Äußerungen meiner Kollegin zogen, war, daß wir mit diesem Antrag kamen.Diese Konsequenz ergab sich aber auch aus dem großen und weithin beachteten Frauenkongreß der CDU, auf dem vor vielen Hunderten von Frauen vorgetragen und überprüft wurde, was in dieser Beziehung an Licht- und Schattenseiten zu sehen ist. Man muß Licht und Schatten sehen, wenn die Perspektiven richtig liegen sollen. Wir haben da-. mals auch das bereits Vorhandene überprüft. Es muß deutlich betont werden, daß bereits vieles und Wertvolles für die spätere Rückkehr der Frau in das Berufsleben erreicht worden ist.Ganz besonders interessieren mich aber die folgenden Punkte. Mich interessiert dieses ganze Thema aus der Sorge um die junge Familie, aus der Sorge um die junge Ehe, aber ebenso um die Ehe, die nach 20 Jahren vielleicht dadurch gefährdet wird, daß der Frau der natürliche Lebensbereich, die natürliche Sorge, die ihr aufgegeben ist, plötzlich genommen wird. Ich fasse das einmal stichworthaft zusammen, weil ich glaube, daß wir die anderen Punkte im Ausschuß besprechen können. Es macht uns Sorge, daß viele junge Frauen trotz der Ankunft auch des zweiten und dritten Kindes nur so zögernd aus dem Berufsleben ausscheiden. Infolge der immer häufiger geschlossenen Frühehen wird aber heute die Frau von ihren Familienpflichten in einem Lebensalter freigestellt, in dem sie sowohl geistig als auch körperlich noch voll einsatzfähig ist.Ich brauche nur katalogartig hier aufzuzählen: die Auflösung der Großfamilie, eine andere Haushaltsstruktur, die Chancen unserer jungen Generation, als Zwanzigjährige bereits irgendwo in Europa tätig zu sein, im In- und Ausland Arbeitsplätze zu finden, dazu die starke berufliche Inanspruchnahme sehr vieler Ehemänner, andererseits die höhere Lebenserwartung der Frau — Sie wissen, es gibt mehr Witwen als Witwer im höheren Alter —, das alles kommt zusammen, wenn wir überprüfen, was mit diesen Frauen eigentlich geschehen soll, wenn plötzlich ein reiches, durch eine gesunde und gute und kinderreiche Ehe angefülltes Leben ein wenig leerläuft. Ich erspare mir, in dieser Stunde Fakten und Zahlen zu nennen, die diese Erkenntnisse noch unterbauen könnten, und beschränke mich darauf, zu sagen, daß wir eigentlich alles daransetzen müßten, bei einem auf diese Weise leer gewordenen Leben hinsichtlich der Aufgaben der Frau zu ganz anderen Konsequenzen zu kommen.Ein zweiter Punkt, ganz kurz nur. Er betrifft die Mädchenbildung. Es ist heute weithin selbstverständlich, daß ein junges Mädchen eine Ausbildung, einen Beruf bekommt. Aber die Ausbildung des Mädchens erhält einen viel tieferen Hintergrund, und der unhaltbare Einwand so vieler: „Die Mädchen heiraten ja doch, was sollen wir viel investieren!" entfällt — das möchte ich stark betonen —, wenn die Bildung des Mädchens für eine große gesamte Lebensplanung gedacht ist und wenn die Frau später vollzeitlich oder teilzeitlich zurückkehren und sich auf einer qualifizierten Ebene wieder einsetzen kann. Die gute Ausbildung eines Mädchens ist dann leichter vertretbar.Ich möchte einen dritten Grund sagen. Nicht jede Ehe, das wissen Sie, findet eine volle Erfüllung. Nicht jede Ehe hat den Segen und das Glück, das Geschenk vieler Kinder. Nicht in jeder Ehe gehen die Gefährten gemeinsam bis in das hohe Alter; wir wissen, wie oft der Mann heute in den fünfziger Jahren heimgerufen ist und vielleicht eine Frau mit einem erwachsenen Kind hinterläßt. Diese Situation der Frauen macht uns Sarge.Ich wäre aber völlig mißverstanden — lassen Sie mich das hier zum Ausdruck bringen —, wenn man diesen Antrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache IV/ 3243 etwa so deuten sollte, als ginge es uns hier nur um eine Perspektive von der Wirtschaft, nur vom Bedarf der Gesellschaft an Arbeitskräften her. Auch das; aber das ist nicht das Primäre. Ich denke vielmehr an soziale Bereiche, an pädagogische Bereiche, auch an den politischen Bereich, in dein der Einsatz der reiferen Frau, der durch ein Leben und eine lange Ehe wirklich stiller und nachsichtiger, geduldiger gewordenen Frau noch sehr viel bedeuten kann. Ich denke daran, was solche Frauen in Anstalten, Kinderheimen, Müttererholungsheimen, in Büchereien, in Altenstuben, bei Kochkursen alles tun können, wie sie es als Beschließerinnen — tüchtige Hausfrauen können das sehr schnell sein — in Heimen, Hotels, Sanatorien, Krankenhäusern — tun können. Schon dieser kurze Katalog zeigt, meine ich, recht aufschlußreich, wie viele Möglichkeiten besonders im sozialen, pädagogischen und politischen Bereich gegeben sind.
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Frau BrauksiepeIch sagte eingangs: Es ist bereits sehr viel ausgezeichnete Vorarbeit geleistet worden. Es liegt denen, die sich an diesem Thema engagiert haben, seit Jahren das außerordentlich wertvolle und überschaubare Buch „Frauen finden ihren neuen Arbeitsplatz" vor, das einmal von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung angeboten wurde. Eine in der Gesellschaft oft leider gering geschätzte „Nur-Hausfrau" bringt — ich sage dies nur noch, um diesen Komplex abzuschließen —, wenn sie später diese lange Zeit eines nicht mit Aufgaben gefüllten Lebens vor sich hat, vieles an Vorkenntnissen mit. Eine Ehe, ein Haushalt mit Glück und Unglück, mit Gesundheit und Krankheit ist nämlich besser und vermittelt mehr Wissen als jedes soziale Seminar. Wenn wir dieses Wissen und diese Erfahrungen für die mitbürgerliche Arbeit wieder wecken und für uns wachhalten, sollte es möglich sein, noch viel mehr, als es bisher erprobt wurde, Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft zu finden.Es wäre ebenso ein Mißverständnis — damit komme ich fast zum Schluß, meine Damen und Herren —, wenn es von diesem Antrag eines Tages etwa hieße, daß wir nun anfingen, alle Frauen über 45 wieder in einen Beruf zu drängen. Das ist absolut nicht der Fall. Es geht uns hier nur darum, daß in dieser veränderten Gesellschaft, in der der Frau eine völlig andere Aufgabe zufällt, in der sie mit 45 Jahren noch sehr, sehr vieles für die Mitbürger tun kann, das erforderliche Angebot an Arbeitsplätzen bereitgestellt wird. Darum geht es mir, nicht I) darum, daß jede dahin gehen muß. Denn es wird Tausende von Frauen geben, die von sich aus in dem natürlichen Lebensbereich, der ihnen mit ihren Enkelkindern und mit den nun erwachsenen Töchtern und Schwiegersöhnen gegeben ist, die Erfüllung finden, die eigentlich die natürliche ist. Das entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, an jene viele Tausende zu denken, für die bisher ein überschaubares Angebot nicht vorhanden war.Es bleibt die Schlußfrage: Was ist zu tun? Es ergibt sich daraus, wie ich meine, die Forderung nach Grundausbildungsangeboten, nach Einsatzangeboten, nach Nachausbildungsangeboten und nach Wiederholungsangeboten. Es ergibt sich daraus weiter, daß wir stärker als bisher — es ist bisher kaum getan worden — in diese Konzeption die Form einer Stufenbildung für die Frau hineinnehmen müssen. Sie soll in verschiedenen Stufen ihres Lebens stärker als bisher Bildung, Weiterbildung erfahren können. Nennen Sie, soweit Sie sich bisher nicht mit dieser völlig neuen Lage der Frau beschäftigt haben, diesen Antrag bitte nicht romantisch oder utopisch. Die Erziehung und Bildung der Jungen und Mädchen muß in dem Bewußtsein unserer Gesellschaft auf langfristiges Denken angelegt sein.Der wichtigste Punkt für die Realisierbarkeit unseres Antrags — das werden wir sicher mit den Kolleginnen und den Kollegen im Ausschuß überprüfen — scheint mir eine gute Beratung der an einer erneuten Tätigkeit interessierten Frauen zu sein, eine bessere, überschaubarere, gezieltere und zuversichtlichere Beratung als bisher. Denn wenn bisher eine Frau über 45 kam, wurde ihr oft schon im ersten Wartezimmer und in der ersten Aussprache gesagt, daß nicht mehr viel zu machen sei. Auf diesem Gebiet erwarten wir von der Beratungsstelle sehr viel.Wenn Sie nun glauben, ich wollte eine neue finanzielle Belastung, so muß ich Ihnen sagen, daß ich davon weit entfernt bin. Denn ich stehe gar nicht auf dem Standpunkt — und das sage ich für meine Fraktion —, daß dies alles nun geschenkt werden müßte. Es gibt Tausende von Frauen, die das selbst finanzieren können. Eine solche Umschulung in einem halben Jahr, in einem Vierteljahr oder in einem Jahr kann billiger sein als manchmal ein Führerschein. Aber für die weitere Wertbestätigung der Frau, für das Ausgefülltsein der Frau, für den Dienst an der Umwelt und ihre gesamte mitbürgerliche Haltung ist das etwas, was wir nicht in D-Mark und Pfennig ausrechnen können, sondern hier müßten, glaube ich, manchmal schon kleine Korrekturen eines Leistungsförderungsgesetzes ausreichen, um einen Teil dessen zu realisieren, was wir mit diesem Antrag wollen.Zu dem Punkt a darf ich ganz kurz noch hinzufügen, daß Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der pflegerischen Berufe eine Rolle spielen werden und daß beispielsweise die Lehrgänge für Altenpflege, Hauskrankenpflege usw. zur Zeit noch von unterschiedlicher Länge sind. Ich füge hinzu, daß hier der Bund der Berufsordnungsarbeit der Verbände der freien Wohlfahrtspflege sehr große Bedeutung beimißt.Zudem sei betont, daß es sich um eine langfristige Aufgabe ' handelt. Zunächst müssen die Bildungsmöglichkeiten entwickelt werden, d. h. zunächst sind als Testfälle Musterlehrgänge institutionell zu fördern. Ob diese neuen Bildungseinrichtungen von vornherein auch im Beihilfesystem berücksichtigt werden können, muß später überprüft werden.Dem Punkt b unseres Antrages messe ich sehr starke Bedeutung bei. Es ist hierbei an Umschulungsmaßnahmen, vielleicht für pflegerische Berufe, gedacht. Die verheirateten Frauen haben, wie ich vorhin sagte, aus einer langen Ehe mannigfache Kenntnisse hinsichtlich Krankheit und Gesundheit. Gedacht ist weiterhin an eine abschließende Qualifizierung. Auch zum Thema der Spätlehre müßte sich die Wirtschaft manches einfallen lassen.Doch ich hatte zugesagt, nicht ausgedehnter darauf einzugehen, als die vorgerückte Freitagsstunde es erlaubt. Mein Schlußwort sei dies: Durch den Antrag, den ich hier im Namen meiner Fraktion kurz begründen durfte, wollen wir, meine Damen und Herren, nicht zuletzt den einzelnen und die Offentlichkeit darauf hinweisen, daß hier eine gesamtgesellschaftliche Problematik vorliegt, die würdig ist, in einer gemeinsamen Anstrengung aller mit großzügigen und flexiblen Lösungen bedacht zu werden.Ich bitte daher um die Überweisung unseres Antrages an die zuständigen Ausschüsse und schlage nach Absprache mit denen, die den Antrag bei uns
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8932 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Frau Brauksiepeerarbeitet haben, die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen zur Mitberatung vor. Ich darf das Haus bitten, dem zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe die letzte Viertelstunde hier aufmerksam verfolgt, und ich muß sagen, Frau Kollegin Brauksiepe, daß Sie anscheinend ganz vergessen haben, daß wir uns seit fast drei Jahren in diesem Hause in intensiver Diskussion über die hier eben angeschnittenen Probleme befinden.
Ich möchte kurz rekapitulieren. Wir Sozialdemokraten haben am 11. Dezember 1962 einen Antrag eingebracht, die Bundesregierung zu beauftragen, eine Enquete zur Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft zu erstellen. Die CDU hat sich dem mit einem Antrag angeschlossen. Im Dezember 1964 haben wir noch einmal eine ausführliche Diskussion über diese Fragen im Bundestag gehabt. Ich glaube sagen zu können, daß wir uns auch im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und im Ausschuß für Arbeit die Sache nicht leicht gemacht haben. Wir haben namhafte Sachverständige gehört. Ich möchte an Herrn Professor Neuendörfer, Herrn Professor König und Frau Dr. Pfeil erinnern, die uns ausgezeichnete Vorträge gehalten haben. Wir haben versucht, die Ergebnisse dieser Arbeit in einem Antrag zu verwerten.
Eine besondere Rolle hat bei unseren Diskussionen die Situation der Frau in der dritten Phase gespielt, d. h. der Frau, die nach der beruflichen Tätigkeit und der Arbeit in der Familie in der dritten Phase wieder den Anschluß an das Berufsleben finden muß. Gerade diese Frage hat uns besonders interessiert, und wir haben sie ernsthaft diskutiert. Hier haben wir auch der Bundesregierung unsere Aufträge mit auf den Weg gegeben. Ich meine also, bezüglich der Fragen, die Sie heute angeschnitten haben, liegt eigentlich schon ein Antrag an die Bundesregierung vor.
Ich möchte auf Ihren Antrag mit einigen wenigen Sätzen eingehen und die verschiedenen Punkte ansprechen, die Sie hier aufgeführt haben. Es geht einmal um die Schaffung eines neuen Berufsbildes in der Altenpflege und der Krankenpflege. Ist Ihnen bekannt, Frau Kollegin Brauksiepe, daß die Frau Gesundheitsministerin einen Antrag, der von der SPD eingebracht worden ist, ein Krankenpflegegesetz zu schaffen, abgelehnt hat? Ich persönlich stehe sowieso auf dem Standpunkt, daß die Beratung und Entwicklung von Berufsbildern den Kräften im freien Raum, den Berufsverbänden und -organisationen, überlassen sein sollten, um auf Grund ihrer Sachkenntnis dann vielleicht die Bundesregierung zu beraten, wenn es so weit kommen sollte.
Der Punkt b, der von Ihnen angesprochen wurde, betrifft die Förderung von Umschulungskursen,
Spätlehren und Ergänzungssemestern für akademische Berufe. Ich möchte Sie fragen: Interessieren wir uns hier nur für einen bestimmten Kreis von Frauen? Ich würde meinen, daß die Fragen, die hier angesprochen worden sind und die auch in der Enquete eine Rolle gespielt haben, nicht nur die Frauen höher gebildeter Grade angehen, sondern daß wir uns die Eingliederung aller Frauen aus allen Schichten überlegen sollten.
Sie erwähnten ferner die Errichtung von qualifizierten Beratungsstellen über die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Ich möchte die Frage stellen, ob die Arbeitsämter nicht bis heute in qualifizierter Weise diesen Vermittlungsvorschlägen nachgekommen sind. Ich kenne z. B. auf dem sozialen Sektor einige Berufsberaterinnen — ich könnte sie hier namentlich aufführen —, die speziell in der Beratung über soziale Berufe als Frauen ihre ganz besondere Aufgabe gefunden haben. Ich glaube, daß sie dieser Aufgabe — auch hinsichtlich der Wiedereingliederung von älteren Frauen — heute schon in ausgezeichneter Weise gerecht geworden sind.
Zum Schluß noch ein kurzes Wort zur Frage der Finanzierung, Frau Kollegin Brauksiepe. Ich weiß nicht, ob die Vorstellung, die Sie dazu entwickeln, die richtige ist. Sie sagen: Die Frauen sind gern bereit, die Zweit- oder Drittausbildung oder das Wieder-fit-Machen für den Beruf selbst zu finanzieren. Ich meine, daß die Bundesanstalt Mittel zur Verfügung hat, um solche Aufgaben zu übernehmen. Zum anderen glaube ich, daß auch die Wirtschaft daran interessiert ist, diese Frauen wieder als Arbeitskräfte zu bekommen. Hier handelt es sich ja um eine Doppelwirkung: Wir wollen der Frau eine Möglichkeit geben, ihrem Leben eine neue Erfüllung zu geben, zum anderen wollen wir aber auch dem Notstand in den sozialen Berufen — wie Sie sagten — abhelfen, und zwar dadurch, daß wir Altersheime und dergleichen wieder besser mit Personal versorgen. Ich meine, hier liegt eine Aufgabe für die Öffentlichkeit. Sowohl die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung als auch die Wirtschaft sollten diesen Frauen wieder den Sprung ins Leben ermöglichen.
Abschließend möchte ich sagen, daß wir es eigentlich bedauern, daß dieser Antrag noch nachträglich gestellt worden ist, nachdem das ganze Werk der Enquete eine umfassende Gesamtplanung und eine Gesamtlösung vorgesehen hatte. Eigentlich ist es wenig glücklich, jetzt kleinere Teillösungen hinten anzufügen. Wir sind gern bereit, die von Ihnen angeschnittenen Fragen in den entsprechenden Ausschüssen mitzuberaten, glauben aber, daß es schade wäre, wenn durch das Nachschieben eine Verzögerung bei der Lösung der Fragen entstünde, die heute schon vom Arbeitsministerium aktiv bearbeitet werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8933
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das Problem, das Frau Kollegin Brauksiepe angeschnitten hat, ist sehr umfassend, und es reizt uns — ich meine alle, die hier sind, nicht nur die Damen, wie ich annehme —, die Fragen um die Berufstätigkeit der verheirateten Frau im einzelnen intensiv zu diskutieren. Das ist zum Teil ja auch schon geschehen, als wir über die Frauenenquete sprachen. Aber hier geht es um bestimmte Einzelfragen, die auch wohl einer ausführlichen Diskussion wert wären. Doch mahnt uns die Zeit zur Kürze.Der hier vorliegende Antrag umfaßt nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Fragenbereich. Dennoch bin ich der Meinung, Frau Kollegin Eilers, daß wir bei Dingen, die wir alle auch ohne die letzten exakten Zahlen des Ministeriums aus der Praxis kennen und über die wir uns einig sind, ruhig schon anfangen können, bestimmte Regelungen zu treffen. Es hat keinen Sinn — das haben wir in diesem Hause schon oft erlebt —, immer erst auf ganz umfassende Übersichten zu warten; dann werden wir oft nicht fertig. Da ist es vielfach vernünftiger, wir faßten bereits Teilprobleme an und lösten sie. Insofern verstehe ich den Antrag so, daß mit dem Wort „wie" nur einige Möglichkeiten angedeutet werden sollten, hinter denen dann noch andere stehen. Sie können im Ausschuß noch ergänzt werden. Ich wüßte noch eine ganze Menge solcher Fragen, Frau Kollegin Brauksiepe, um deren Beantwortung und Lösung wir die Regierung bitten könnten.Bezüglich des ersten Punktes, in dem Sie von den Berufsbildern der Alten- und Krankenpflege sprechen, habe ich mich gefragt, ob das nicht ein Druckfehler sei und es heißen müsse Hauspflege. Denn ein Gesetz zur Regelung der Ausbildung in der Krankenpflege haben wir ja bereits im Hause vorliegen und in der Bearbeitung. Ein Berufsbild für die neuen Berufe der Alten- und Hauspflegerin ist es, worum sich der Verein für öffentliche und private Fürsorge bemüht, und das unterstützen wir. Ich nehme an, daß das in Ihrer Vorstellung mit enthalten ist.Bezüglich des zweiten Punktes möchte ich hoffen, daß Sie, was die Ergänzungssemester für akademische Berufe betrifft, diese Frage mit den Länderministern für Kultur abgesprochen haben. Denn ich habe, wenn hier irgend etwas über Semester, über Fragen der Universität, auch der Finanzierung, gesagt worden ist, immer nur erlebt, daß ein radikales Nein von der Bundesratsbank kam. Um das jetzt nicht wieder zu 'erleben, meine Frage: Sind Sie mit Herrn Mikat und Herrn Hahn und den anderen Kollegen darin einig, daß wir über diese Fragen von 'hier aus Bestimmungen treffen können? Ich fürchte, daß wir — wie auch bei anderen Universitätsdingen, die wir in diesem Haus besprochen haben — an der föderalistischen Struktur, die Sie ja immer unterstützen, wieder einmal scheitern werden. Aber wenn Sie das vorher abgestimmt haben, dürfen wir ja die Hoffnung haben, daß 'hier etwas geschehen kann.Etwas fehlt mir in dem Antrag, was ich für sehr entscheidend halte, nämlich die Frage der Teilzeitbeschäftigung. Denn an dieser Stelle liegt doch ein ganz besonderes Hindernis für die Arbeitsaufnahme. So richtig es ist, daß eine Frau mit kleinen und auch mit heranwachsenden Kindern für eine gewisse Zeit ihres Lebens sehr stark familiär gebunden ist und deswegen kaum oder gar nicht beruflich tätig sein kann, so richtig ist es doch auch, Frau Kollegin Brauksiepe, daß eine Frau, die ihre Kinder aus dem Haus hat, nicht von heute auf morgen einen Achtstundentag oder eine 42-Stunden-Woche auf sich nehmen kann.,Sie können sich sicher von Großmüttern sagen lassen oder wissen es selber zur Genüge, daß auch eine Frau, die die Kinder draußen hat, noch sehr stark im menschlichen und 'häuslichen Engagement gebunden ist. Gegenüber einer Vollzeitbeschäftigung werden viele Zurückhaltung üben, auch bei noch so schöner Umschulung. Deshalb ist die Teilzeitbeschäftigung auch während der Zeit, in der die Kinder heranwachsen — damit kann ein Kontakt zum Beruf erhalten bleiben —, wahrscheinlich doch eine sehr viel angemessenere Form der Mitberufstätigkeit der verheirateten Frau als die Vollzeitbeschäftigung. Mir scheint eine sinnvolle Verbindung von Haus und Beruf in vielen Fällen sinnvoller und lebensnäher als das Verharren in einer starren Phasentheorie: erst ein Beruf, dann eine Zeitlang überhaupt kein Beruf und dann wieder ein Vollberuf.Ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn Sie auch die Frage der Teilzeitbeamtin mit aufgegriffen hätten. Gerade im Erziehungsbereich haben wir die Mitwirkung der Frau dringend nötig. In zwei Ländern ist die Teilzeitbeschäftigung geregelt, wenngleich auch mit unterschiedlichen Bestimmungen, aber die übrigen Länder haben keine Regelung. Es wär also sehr vernünftig, seitens des Bundes eine Regelung anzustreben, die für alle Länder gleich ist. Denn wenn eine Beamtin, etwa eine Lehrerin, in Halbtagsbeschäftigung durch Versetzung ihres Mannes von Baden-Württemberg — —
— Nein, das Bundesbeamtengesetz ist ein Rahmengesetz, das mindestens den Rahmen setzen und die Möglichkeiten aufzeigen kann. Die unterschiedlichen Regelungen, die heute bestehen — zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg und erst recht im Vergleich mit den anderen Ländern —, führen zu Schwierigkeiten, wenn verheiratete Frauen ihren Wohnsitz in in anderes Land verlegen. Es 'betrifft aber nicht nur diesen Komplex, sondern auch die Rentenregelung. Eine Teilzeitbeschäftigung kann hier zu ungleich schlechteren Ergebnissen führen, als wenn die Betreffende möglicherweise gar nicht arbeitet.Das alles sollten wir in den Katalog der Fragen aufnehmen, die wir in den Ausschüssen besprechen wollen. Sonst könnte es sein, daß der Wiedereintritt in den Beruf so erschwert wird, daß alle Ausbildung und Nachschulung nichts nützen, weil die Scheu vor einer vollen Berufstätigkeit und damit vor einer Überforderung hindert.
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8934 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
Das Wort hat Frau Abgeordnete Welter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere es außerordentlich, daß Sie, Frau Eilers, so unfreundlich auf diesen Antrag reagiert haben. Ich darf daran erinnern, daß von den Sachverständigen, die Sie erwähnten, gerade Herr Professor König mit großem Nachdruck das, was mit Antrag von Frau Brauksiepe gewollt ist, vor uns ausgebreitet hat. Es geht darum, daß für Frauen, die 40, 45 Jahre alt sind und ihrem Leben wieder einen Sinn geben wollen, indem sie eine Berufsarbeit annehmen, etwas geschieht.
Im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen haben wir darum gebeten, daß wir schon vor Ende der Legislaturperiode einige Ergebnisse der Enquete vorgelegt bekommen.
Frau Abgeordnete Welter, Frau Kollegin Schanzenbach möchte eine Frage an Sie richten.
Frau Welter, ich muß meine Kollegin Frau Eilers ein bißchen in Schutz nehmen. Sie sagten, wir hätten unfreundlich auf den Antrag von Frau Brauksiepe reagiert.
Sie müssen eine Frage stellen.
Sie wissen, Frau Welter, wie intensiv wir gerade diese Frage im Ausschuß miteinander ¡behandelt haben. Ich empfinde diesen Antrag mehr oder weniger als überflüssig. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung heute schon an der Arbeit sein müßte, um uns möglichst bald Vorschläge hierzu vorlegen zu können.
Es ist als Frage gedacht gewesen.
Ich habe doch gesagt, daß wir uns sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben. Aber mit Untersuchungsergebnissen allein ist uns auch nicht gedient. Die Sache muß sofort angefaßt werden.
Als erstes ist hier die Schaffung neuer Berufsbilder in der Altenpflege, Krankenpflege usw. angeführt. Die Hauspflegerin und andere Berufe sind dabei zwar nicht ausdrücklich genannt; aber sie sind damit auch gemeint. Ich bin auch nicht der Meinung, daß durch diese Formulierung das Krankenpflegegesetz oder das Pflegehelferinnengesetz oder die neue Ausbildungsordnung für die Altenpfleger berührt werden. Wir müssen weiter erfinderisch sein, um bei dieser riesigen Not an Pflegepersonal irgendwelche Wege zur Gewinnung neuer Kräfte zu finden.
Aber das ist gar nicht das Hauptanliegen von Frau Brauksiepe. Es soll vielmehr den Frauen ein
Angebot gemacht werden, daß sie noch fruchtbar tätig sein können. Dazu sind Schulungen, Kurse und andere Förderungsmaßnahmen notwendig. Herr Professor König hat uns gesagt, .daß diese Frauen, deren Berufsausbildung schon lange zurückliegt, nur schlecht bezahlte Stellen finden, die ihrer geistigen Qualität in keiner Weise entsprechen. Mir scheint es daher sehr wichtig zu sein, ihnen Umschulungskurse und Ergänzungssemester anzubieten, damit sie eine Stellung erreichen können, die ihrer Begabung und Fähigkeit angemessen ist.
In dem Antrag ist auch die Errichtung von qualifizierten Beratungsstellen durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erwähnt. Hier ergeben sich Möglichkeiten, die Frauen an eine Teilzeitarbeit heranzuführen. Welche Berufsberaterin wird nicht sagen: Wollen Sie nicht eine Halbtagsbeschäftigung annehmen? Das Problem der Teilzeitbeschäftigung ist so groß, ,daß man sich darüber stundenlang unterhalten könnte. Es wäre verfehlt, das jetzt zu tun. Wenn wir aber sagen, die Bundesanstalt soll die Beratungen übernehmen, dann liegt es auf der Hand, daß sie auch die Teilzeitarbeit anbietet.
Schließlich werden in dem Antrag auch Maßnahmen zur Sicherung der finanziellen Voraussetzungen für diese Einrichtungen gefordert. Zunächst müssen wir dafür sorgen, daß ein ausreichendes Angebot an solchen Stellen da ist. Ich habe gestern mit dem Präsidenten der Hauptstelle der Inneren Mission und des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland Dr. Schober darüber gesprochen, und zu meiner Freude konnte er mir berichten, daß man in Stuttgart schon beabsichtigt, ein solches Seminar oder eine Akademie einzurichten, um wirklich sofort helfen zu können. Wer sich weiterbilden will, kann das bei uns tun.
Es ist selbstverständlich, daß das in großem Umfang geschehen muß, auch von allen freien Verbänden, und wir sollten dabei finanzielle Hilfe leisten. Das ist keine unbillige Forderung.
Ich möchte also den Antrag von Frau Brauksiepe aufs wärmste unterstützen.
Ich schließe die Aussprache. Es ist Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Arbeit — federführend — und an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen — mitberatend — beantragt. — Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Josten, Buchstaller, Dr. Atzenroth und Genossen betreffend Bericht über die Garnisonstadt Koblenz .
Herr Abgeordneter Josten zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Sorge: ich halte keine Rede mehr. Nur vier Sätze!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965 8935
JostenDer Ihnen vorliegende interfraktionelle Antrag möchte besonders zu einer Beruhigung in den Fragen der Garnisonstadt Koblenz beitragen. Den vielseitigen Wünschen und Gedanken, die von der Truppe den Abgeordneten dieses Hauses vorgetragen worden sind, wird am besten durch einen zusammenhängenden Bericht der Bundesregierung Rechnung getragen. Die in dem Antrag genannten vier Probleme enthalten den wesentlichen Fragenkomplex.Ich darf Sie daher im Namen der Antragsteller bitten, Ihre Zustimmung zu geben.
Der Antrag soll an den Ausschuß für Verteidigung überwiesen werden. — .Sie sind einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags .der Fraktion der SPD betr. einheitliche Richtlinien zur Bewertung der Dienstposten und über Harmonisierung der Stellenpläne .
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde gern genauso wie mein Vorredner mit dem Satz beginnen: Ich halte keine Rede. Aber dieser Punkt wurde schon mehrmals von der Tagesordnung abgesetzt, und es hat sich doch als notwendig erwiesen, einige grundsätzliche Ausführungen zu dem Antrag zu machen. Sie werden sehr kurz sein; allerdings bitte ich um Nachsicht, wenn wegen der Kürze manches vielleicht etwas härter formuliert werden muß.Bei einer Bestandsaufnahme in der Frage der Einheitlichkeit des Beamtenrechts in Bund und Ländern stellt man mit Erschrecken fest, daß sich in den letzten Jahren eine größere Uneinheitlichkeit entwickelt hat, als selbst von den Pessimisten befürchtet worden ist. In einem Sachverständigengutachten wird das Rückhängen der Besoldung bestätigt. Nachdem zunächst seitens der Bundesregierung der Sachverstand der Sachverständigenkommission bezweifelt wurde, hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Anfrage eingebracht. Ich bin im Augenblick in ,den Besitz der Antwort der Bundesregierung gekommen, und ich kann nur sagen: was man da von sich gibt, ist nicht nur gegenüber der SPD-Fraktion, sondern gegenüber dem ganzen Hause erstaunlich. Man bringt einfach zum Ausdruck, der Sachverständigenbeirat schließe seine statistischen Reihen mit dem Jahre 1963 ab. Wesentliche Entwicklungen des Jahres 1964 seien nicht Gegenstand der Untersuchung. Deshalb könne man dazu überhaupt noch nichts sagen. Es müßten erst weitergehende Ermittlungen angestellt werden.Nun, die Bundesregierung hat zu vertreten, was sie ihren Beamten in der Öffentlichkeit sagt. Aber sie wird nicht umhinkönnen, sich im Laufe dieses Jahres noch detaillierter zu der Frage zu äußern.Ganz unmöglich erscheint mir das Verfahren, daß man versucht, die Schwierigkeiten der gesamten Beamtenschaft in den Ministerien durch die Schaffung einer sogenannten Leistungszulage zu beseitigen. Nichts gegen die beabsichtigte Leistungszulage, doch die Tatsachen, die dafür sprechen, das in Bonn für die Beamten der Ministerien zu schaffen, sprechen auch dafür, die Besoldung der gesamten Beamtenschaft anzuheben.Ein zweiter Punkt ist die Entwicklung der Stellenpläne beim Bund und bei den Ländern. Ich will Sie einmal mit einigen Zahlen konfrontieren. Angenommen, man wollte die Beförderungsverhältnisse bei Bahn und Post schaffen, die wir im Lande Nordrhein-Westfalen haben, dann wäre in beiden Verwaltungen unter gleichzeitigem Abbau des dort vorhandenen Stellenpuffers die Anhebung von 1000 Planstellen notwendig. Wollte man in der Zollverwaltung die Beförderungsverhältnisse in den vergleichbaren Diensten des Landes Baden-Württemberg erreichen, dann müßten 26 000 Planstellen, d. h. rund 82 0/o aller Planstellen, angehoben werden. Es wird niemand in diesem Hause sein — und ich nehme an, die Anwesenden sind ohnedies sachverständig auf diesem Gebiet —, der diese Disharmonie irgendwie gutheißen könnte.Es ist die Frage berechtigt: Wie kam es zu dieser verhältnismäßig raschen Auseinanderentwicklung auf diesem Gebiet? Das hängt zusammen — ich darf das stichwortartig sagen — mit unseren Diskussionen, die in diesem Hause schon öfters stattfanden: einheitliche Richtlinien für die Bewertung, LBesoldung, Harmonisierung der Stellenpläne.Wir haben in diesem Bundestag mehrfach versucht, Anregungen zu geben, wie man nach unserem Sachverstand die Dinge in den Griff bekommen könnte. Die Mehrheit des Hauses hat sich jeweils versagt. Das gilt sowohl für unseren Sachverständigenbeirat als auch für unsere Anregung zur Schaffung einheitlicher Richtlinien, als auch für unsere Anregungen, Grundsätze für die Aufstellung von Organisations- und Stellenplänen zu schaffen; es gilt für unsere Anregung der Harmonisierung in bestimmten Bereichen zwischen Bund und Ländern.Wenn man die Frage stellt, wo eigentlich der Ansatzpunkt ist, würde ich sagen: das nicht rechtzeitige Anpassen der Beamtenbesoldung an die wirtschaftliche Entwicklung durch den Bund hat die Länder gezwungen, die Wirkungen eines freien Arbeitsmarktes in ihrem Bereich mit nicht adäquaten Mitteln abzuwehren. Die Länder sind ausgewichen auf die Verbesserung über den Stellenplan, um durch bessere Beförderungsmöglichkeiten auch dort eine — wegen der Bindung, die zum Bund besteht — schlechte Besoldung abzuwehren.
Das zweite kam: Die erzwungene Einstufung der Lehrer in eine dafür nicht geeignete Besoldungsordnung brachte zwangsläufig die Berufung anderer Berufsgruppen, der Rechtspfleger, der Steuerbeamten, der Finanzbeamten usw., brachte eine verstärkte Aktion der technisch vorgebildeten Beamten und dergleichen. Nunmehr versuchten alle, sich an diesen Trend, der bei den Lehrern in der Umstufung in eine höhere Besoldungsgruppe erkennbar wurde, anzuhängen. Die Wirkung ging so weit, daß man die
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8936 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. April 1965
GscheidleEingangsgruppen in einzelnen Ländern gebündelt und die Inspektoren nach verhältnismäßig kurzer Zeit als Oberinspektoren übernommen hat.Wie gefährlich diese Entwicklung ist, sei nur an einem Beispiel gezeigt: Das Land Niedersachsen war auf Grund seiner eigenen Maßnahmen gezwungen, nunmehr diejenigen Beamten, die im Ruhestand sind und ihre Ruhestandsbezüge aus einem Amt des Inspektors erhalten, nachträglich umzustrukturieren, nämlich als Oberinspektoren einzustufen. Das geht nicht ohne Auswirkungen auf den gesamten Komplex der strukturellen Überleitung. Das wird wie eine Lawine zurückwirken auf die gesamten Überleitungsnotwendigkeiten aus dem Gesetz zu Artikel 131. Ich darf Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren, daß alle Sachverständigen auf diesem Gebiet — das ist keine Frage der Parteipolitik mehr — mit Entsetzen die Entwicklung sehen, die sich hier im Bund und bei den Ländern anbahnt.
— Ich kann das nur hoffen, Herr Brück. Unser Antrag ist ein weiterer Beitrag, und zwar ein Beitrag, der helfen soll, die Dinge zu ordnen.Wenn der Herr Innenminister da wäre, würde er sicherlich den Zwischenruf machen oder anschließend zum Ausdruck bringen: „Warum hat die SPD der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt? Hätten wir den Art. 75 geändert, wären wir nicht in diese Schwierigkeit gekommen!" Das Festhalten des Bundesinnenministers an diesem ungeeigneten Mittel zeigt, daß er die Zusammenhänge nicht verstanden hat. Er wäre, auch wenn er den Art. 75 so geändert hätte, wie er es beantragt hatte, nicht in der Lage, die Disharmonien in den Stellenplänen aufzufangen. Die Änderung des Art. 75 hätte ihn zwar berechtigt, den Ländern nicht nur ein System rahmenrechtlich vorzuschreiben, sondern auch Mindest- und Höchstbeträge festzusetzen. Sie hätte ihn aber nicht berechtigt — jede Grundgesetzänderung ist dazu ungeeignet —, in die Kompetenz der Länder hinsichtlich der Aufstellung der Organisations- und Stellenpläne und in das Haushaltsrecht der Länder einzugreifen.Hier kann die Bundesregierung nicht nach einer Maxime, die sich im Laufe der Arbeit vielleicht herausgebildet hat, handeln, Sachverstand durch Mehrheitsbeschluß zu ersetzen oder durch Einschaltung der Gesetzgebungskompetenz erklären zu lassen, daß sie den höheren Sachverstand habe. Das geht nicht. Hier ist nur ein Verwaltungsabkommen möglich, wobei die Länder davon überzeugt werden müssen, daß sie sich in ihrem eigenen Interesse einer mit Sachverstand getroffenen Regelung unterzuordnen hätten, damit eine weitere Auseinanderentwicklung verhindert würde, die sich auf den gesamten öffentlichen Dienst außerordentlich schädlich auswirken würde, wenn wir sie nicht bremsten.Nach der Besetzung des Hauses ist nicht anzunehmen, daß mein Versuch, den Antrag sozusagen im ersten Durchgang durchzubringen, gelingen könnte. Einigen wir uns darauf, daß wir die Vorlage demAusschuß für Inneres überweisen, und versuchen wir, dort auch die zu dem gleichen Gebiet vorliegenden Anregungen zu behandeln und zu einer sinnvollen Aussprache mit dem dafür zuständigen Minister des Innern zu kommen.Ich muß zum Abschluß in allem Ernst sagen, daß sich die Abgeordneten, die auf diesem Gebiet tätig sind, über alle Fraktionen hinweg nunmehr darin einig sind, daß man etwas tun muß. Die Bundesregierung muß sich ihrer Verpflichtung erinnern und sofort eine umfassende Konzeption vorlegen, damit die weggelaufenen Länder wieder eingefangen werden können. Der notwendige Führungsanspruch wird für den Bundeshaushalt um so teurer, je länger die Bundesregierung damit zögert.
Das Wort hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie auch mir einige wenige Worte zu dem Antrag der SPD. Solange ich hier bin, seit dem Jahre 1953, haben wir uns praktisch mit Stellenfragen beschäftigt. Im Jahre 1957 war bereits bei der Verabschiedung des Bundesbesoldungsgesetzes eine Entschließung zur Harmonisierung angenommen worden. Im Jahre 1963 haben wir bei der Verabschiedung der — im Volksmund so bezeichneten — Harmonisierungsnovelle wieder eine Entschließung zur Harmonisierung angenommen.Wenn wir uns nun die Dinge draußen bei den Ländern ansehen, stellen wir fest, daß dort, die einzelnen Länder untereinander betrachtet, keine Harmonisierung stattgefunden hat. In Baden-Württemberg ist es anders als in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz anders als in Bayern und in Schleswig-Holstein wieder anders als in Niedersachsen. Das ist im Grunde genommen nicht gut.Ich habe mir vor wenigen Tagen in Hessen sagen lassen, daß dort für die Dienstpostenbewertung ein neues System, und zwar ein Punkte-System durchgeführt wird. Auf Grund dieses Bewertungssystems wird der Stellenplan aufgebaut. Das ist eine durchaus anständige und vernünftige Sache.Ich bin mit meinem Vorredner, Herrn Kollegen Gscheidle, der Meinung, daß man versuchen sollte, in freiwilliger Vereinbarung Abkommen zu treffen. Allerdings lassen Sie mich auch sagen: hoffentlich haben wir damit Erfolg. Denn die Schwierigkeit war bisher, daß die Landtage und die Kommunen sagten: In dieser Frage sind wir selbständig, da lassen wir uns von niemandem hereinreden! Hoffentlich hat das Auseinanderlaufen dazu beigetragen, daß allerorts Vernunft eintritt, damit wir zu einer Einheitlichkeit kommen.Bei den Bundesbediensteten ist im Hinblick auf die Verhältnisse in den Ländern tatsächlich eine sehr große Unzufriedenheit vorhanden. In der vorigen Woche am Donnerstag hat hier ein Gespräch auf höchster Ebene mit dem Herrn Bundeskanzler stattgefunden, an dem auch ich teilgenommen habe, wo diese Fragen intensiv besprochen worden sind. Der Herr Bundeskanzler hat dabei zugesagt, unbe-
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Brückdingt noch in diesem Jahr innerhalb des Kabinetts eine Entscheidung zu treffen, damit eine von den Bundesbeamten erwartete Verbesserung eintritt.Ich stimme dem Herrn Kollegen Gscheidle darin zu, daß diese Frage im Ausschuß für Inneres mit dem zuständigen Fachminister ernsthaft diskutiert werden muß, denn es muß hier eine Änderung eintreten. Damit würden wir letztlich für den gesamten öffentlichen Dienst etwas leisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier speziell um die Bundesbeamten. Die Bundesbeamten hinken in ihrer wirtschaftlichen Situation seit Jahren hinter den übrigen Beamten her. Der Bundestag hatte diese Situation bereits einmal in der Sitzung vom 28. Juni 1963 angesprochen. \\Es ist auch etwas geschehen. Die bisherigen Maßnahmen haben aber nicht ausgereicht, die Benachteiligung der Bundesbeamten, insbesondere hinsichtlich ihrer Beförderungschancen, auch nur annähernd auszugleichen. So muß z. B. auch heute noch ein Inspektor bei der Bundesbahn etwa doppelt so lange auf die Beförderung zum Oberinspektor warten wie seine Kollegen in den Ländern. In den Ländern sind darüber hinaus gesetzliche Maßnahmen beschlossen — oder werden demnächst beschlossen —, die die erste Beförderung für
3) einen noch wesentlich früheren Zeitpunkt als bisher, nämlich im gehobenen Dienst bereits nach dreieinhalb Jahren, vorsehen.
Die Differenz ist also seit dem Beschluß des Bundestages vom 28. Juni 1963 nicht etwa kleiner, sondern sogar noch größer geworden. Bei der Bundesbahn müßten über 100 000 Stellen und bei der Post über 90 000 Stellen angehoben werden, um auf den durchschnittlichen Stand der Länder zu kommen. Die offensichtliche Benachteiligung der Bundesbeamten, die von vielen bereits als Diskriminierung empfunden wird, ist heute so groß geworden, daß sie überhaupt nicht mehr in einem Zuge beseitigt werden kann.
Wir sind daher der Meinung, daß die Bundesregierung sofort, also noch in diesem Jahr, einen entscheidenden Schritt zur Angleichung der Stellenpläne an diejenigen der Länder tun und gleichzeitig einen Plan festlegen muß, wie der Rückstand insgesamt aufgeholt werden soll. Ich bitte den Herrn Vizekanzler, der als einziges Mitglied der Bundesregierung noch anwesend ist, diese Frage so bald wie möglich mit allem Nachdruck im Kabinett zur Sprache zu bringen. Es muß doch auffallen, daß die Vertreter aller drei Fraktionen zu diesem Punkt nahezu dasselbe gesagt haben.
Ich kann die Aussprache schließen. Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres — federführend —sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Keine 'Einwände; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Siebzehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache IV/ 3246).
Aussprache wird nicht gewünscht. Vorgesehen ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den zusätzlichen Tagesordnungspunkt auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirtschaftsausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Herstellung und Verwendung von Bolzensetzwerkzeugen (Drucksachen IV/ 2527, IV/ 3269, zu IV/ 3269).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Illerhaus. Er verzichtet auf den mündlichen Bericht. Eine Aussprache wird nicht gewünscht.
Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. In Ziffer 2 ist eine Anregung gegeben. — Das Haus stimmt dem Antrag zu; er ist beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 7. April, 15 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.