Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Pferdmenges zu seinem 82. Geburtstag herzlich gratulieren.
Der Abgeordnete Dr. Bucerius hat mit Wirkung vom 22. März 1962 sein Mandat niedergelegt. Als sein Nachfolger ist der Abgeordnete Schneider in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße den Herrn Kollegen Schneider (Hamburg), der uns ja aus seiner früheren Tätigkeit im Bundestag wohlbekannt ist, und wünsche ihm wiederum eine gute Zusammenarbeit.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft .und Forsten hat unter dem 26. März 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Ausfuhrgenehmigungen für Schlacht- und Nutzpferde — Drucksache IV/251 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/284 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 31. März 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kennzeichnung für Wollerzeugnisse — Drucksache 1V/253 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/294 verteilt.
Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 44. März 1962 gemäß den §§ 6 und 9 des BranntwMonG den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1960/61 vorgelegt, (der als Drucksache IV/282 verteilt wird.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. März 1962 be-
. schlossen, gemäß § 21 Abs. 6 in Verbindung mit § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes gegen die Zwölfte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 , — Drucksache IV/241 — keine Bedenken zu erheben Sein Schreiben ist als Drucksache IV/290 verteilt.
Der Herr Präsident hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1952 die von der Bundesregierung erlassene Erste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlalge AL zur Außenwirtschaftsverordnung — vom 7. März 1962 an den Außenhandelsausschuß überwiesen.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat am 23. März 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 29. Juni 1961 gebeten, die Frist zur Vorlage eines Berichtes der Bundesregierung über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu verlängern. Sein Schreiben ist als Anlage 2 diesem Sitzungsprotokoll beigefügt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat am 30 März 1962 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundestages am 29. Juni 1961 über den Ausbau der Lahn berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/293 verteilt.
Wir kommen zum 1. Punkt der Tagesordnung: Fragestunde .
Zuerst rufe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen auf.
Frage XIV/1 — des Abg. Dr. Dittrich —:
Hat die Bundesregierung einen Überblick, wie viele Menschen in den Jahren seit 1955 durch Einnehmen von E 605 Selbstmord begingen oder einen solchen Versuch unternahmen?
Darf ich bitten, Frau Bundesministerin.
Die Bundesregierung hat keinen Überblick über die mit E 605 unternommenen Selbstmorde oder Selbstmordversuche. In der Todesursachenstatistik werden „Selbstmorde und Selbstbeschädigungen durch feste, flüssige und gasförmige Stoffe" in einer Sammelgruppe erfaßt. Auch aus der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts, in der auch die Selbstmordversuche ausgezählt werden, lassen sich die mit E 605 unternommenen Versuche nicht ausgliedern.
Es tut mir leid, daß ich Ihre Frage also nicht beantworten kann.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, kann die Information richtig sein, daß monatlich rund 120 Menschen E 605 aus Selbstmordabsichten einnehmen?
Das kann nicht möglich sein. Ich habe vor mir die Zahlen über die durch feste, flüssige und gasförmige Stoffe seit 1955 verursachten Selbstmorde. Danach sind im Jahre 1960 insgesamt 1132 Selbstmorde vorgekommen. Darunter befinden sich aber auch die zum Beispiel durch überdosierte Schlafmittel und durch Leuchtgas verursachten. Es ist also völlig ausgeschlossen, daß auf die Selbstmorde durch E 605 auch nur annähernd die Zahl enthält, die Sie annehmen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
796 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Habe ich recht, Frau Ministerin, wenn ich der Meinung bin, daß die Selbstmorde durch E 605 häufig sind?
Darüber kann ich Ihnen verantwortlicherweise nichts sagen.
Frage XIV/2 — des Abgeordneten Dr. Dittrich —:
Welche Gegenmaßnahmen sind getroffen, um den Selbstmordabsichten .durch Einnehmen von E 605 entgegenzutreten, insbesondere um zu verhindern, daß Selbstmordkandidaten in den Besitz von E 605 gelangen?
Bitte sehr, Frau Ministerin.
Zur zweiten Frage: Ich sehe zur Zeit keine Möglichkeit, vom Bund aus hier irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.
Der Verkehr mit Giften und giftigen Pflanzenschutzmitteln ist durch Rechtsverordnungen der Länder geregelt. Giftige Pflanzenschutzmittel der Abteilungen I und II der Giftverzeichnisse der landesrechtlichen Vorschriften sind in jedem Fall von dem Abgebenden, der übrigens für die Abgabe auch einer Erlaubnis bedarf, in ein Abgabebuch mit der Anschrift des Erwerbers einzutragen. Nach den landesrechtlichen Vorschriften dürfen giftige Pflanzenschutzmittel nur dann abgegeben wenden, wenn der Abgebende anzunehmen berechtigt ist, daß der Erwerber sie zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen in zuverlässiger Weise benutzen wird. Erforderlichenfalls hat sich der Abgebende hierüber durch Befragen des Erwerbers zu vergewissern. Kann er die erforderliche Gewißheit nicht erlangen, so darf er giftige Pflanzenschutzmittel nur gegen einen Erlaubnisschein abgeben, der von der zuständigen Ordnungsbehörde auszustellen ist. Selbstverständlich wird 'die Absicht der mißbräuchlichen Verwendung nur in ganz seltenen Fällen erkennbar sein. Andererseits sind weitere Erschwerungen der Abgabe solcher Mittel im Interesse des Pflanzenschutzes nicht vertretbar. Erschwerungen für einzelne Mittel erscheinen nicht sinnvoll, da sie durch die Wahl anderer Mittel umgangen wenden können.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Dittrich!
Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß sich pharmazeutische Werke damit beschäftigen, diesen Pflanzenschutzmitteln ein Brechmittel beizufügen, und inwieweit würde das aufgesetzgeberischem Sektor gefördert werden?
Wenn es so weit kommen sollte, daß wirklich wirksame, für den Pflanzenschutz brauchbare Mittel in den Verkehr gelangen, die zugleich diese Wirkung haben, wäre es denkbar, daß man den Gebrauch solcher Mittel, die nicht mit dieser Sicherung versehen sind, einschränkt oder verbietet.
Ich danke Ihnen, Frau Bundesministerin.
Die Frage des Abgeordneten Dr. Mommer aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts ist vom Fragesteller zurückgestellt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe zunächst die vom Abgeordneten Müller-Hermann gestellte Frage II/1 auf:
Teilt die Bundesregierung die Auflassung, daß das Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts vom 2.9. November 1960 mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Aufgaben der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks geändert werden muß, z. B. im Hinblick auf die Beschäftigung von Ausländern?
Herr Bundesminister, bitte!
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß wie alles Menschenwerk so auch diese Gesetze verbesserungsfähig sind. Aber daß sie so verbesserungsbedürftig sind, daß sie absolut geändert werden müssen, diese Meinung hat die Bundesregierung zur Zeit nicht.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Herr Minister, ist Ihnen klar, daß nach den jetzt geltenden Bestimmungen die Deutsche Welle nicht einmal in der Lage wäre, Ausländer zu beschäftigen?
Das trifft nicht ganz zu, Herr Kollege. Es besteht nur eine einzige Bestimmung — in § 28 — für Inländer, und zwar müssen der Vorsitzende und der Stellvertreter des Intendanten ihren Wohnsitz im Inland haben. Sonst bestehen keinerlei Einschränkungen zur Beschäftigung von Ausländern.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Instanzen der Deutschen Welle, der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat, zu einer gegenteiligen Auffassung gekommen sind, was die Auslegung des Gesetzestextes anlangt?
Ich würde dringend empfehlen, ein Gutachten des Verfassungsministeriums, also des Bundesinnenministeriums, einzuholen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 797
Ich komme zu der ebenfalls vom Abgeordneten Müller-Hermann gestellten Frage II/2:
Wie stellt sich die Bundesregierung dazu, daß die Deutsche Welle seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechits, also dem 16. Dezember 1960, ausschließlich aus Mitteln der Landesrundfunkanstalten und speziell des Westdeutschen Rundfunks finanziert wird?
Herr Bundesminister, bitte!
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts war die Deutsche Welle ein selbständiger Teil des Westdeutschen Rundfunks. Sie wird jetzt aus diesem Bereich organisch herausgelöst. Während der Übergangszeit war die Etatisierung beim Westdeutschen Rundfunk die zweckmäßigste Lösung. Aber die Fragestellung trifft nicht zu, und zwar deswegen, weil seit Inkrafttreten jenes Gesetzes die Kosten für Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates allein und ausschließlich vom Bund getragen werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, es ist mir klar, daß es hier nicht um die Besoldung oder Entschädigung der Verwaltungs- und Rundfunkratsmitglieder geht.
Ich bitte, eine Frage zu stellen.
Sie müssen aber zugeben, Herr Minister — —
Nein: „Müssen Sie
aber zugeben ...?"
Müssen Sie aber zugeben, Herr Minister, daß die Aufwendungen für die Deutsche Welle zur Zeit ausschließlich über den Westdeutschen Rundfunk finanziert werden?
Das halte ich im Interesse des Bundeshaushalts für eine gute Sache.
Eine zweite Zusatzfrage!
ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß es sogar schwierig gewesen ist, zum 1. April die laufenden Gehälter zu zahlen, weil der Westdeutsche Rundfunk sich gesträubt hat, weitere Zahlungen zu leisten?
Das letztere bedauere ich. Zu dem ersten kann ich nur sagen, daß sich das Bundesinnenministerium im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium bemüht hat — und es auch erreicht hat —, die Dinge in Ordnung zu halten.
Wir kommen zur dritten Frage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann — Frage II/3 —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Finanzierung der laufenden Ausgaben und der einmaligen technischen Aufwendungen der Deutschen Welle gemäß den Beschlüssen des Verwaltungs- und Rundfunkrats dieser Anstalt sicherzustellen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesinnenminister!
Wir haben erst in den letzten Tagen einen Haushaltsplan bekommen. Er hätte etwas früher eingereicht werden können. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß die Aufstellung eines derartigen Haushaltsplanes Schwierigkeiten macht. Der Bund hat nie Zweifel daran gelassen, daß er die Haushaltsmittel zur Verfügung stellen wird, die notwendig sind, ohne damit eine Anerkennung zu verbinden, daß er sie rechtlich zahlen müßte. Es wäre eine erfreuliche Solidarität, wenn die Rundfunkanstalten oder die Länder sich an der Finanzierung dieser hervorragenden und notwendigen Einrichtung beteiligen wollten.
Eine Zusatzfrage?
Ich habe dazu zwei Zusatzfragen. Die erste: Halten Sie es nicht auch für einen unerträglichen Zustand, daß praktisch die Deutsche Welle heute wie ein Bettler von Haus zu Haus laufen muß, um für ihre laufenden Aufwendungen zahlen zu können?
Die Deutsche Welle wird vom Bundesinnenministerium betreut und braucht sich nicht als Bettler zu fühlen.
Eine zweite Frage, nachdem die erste Frage nicht erschöpfend beantwortet worden ist: Sind Sie der Meinung, Herr Minister, daß die Aufwendungen für die Deutsche Welle nicht auch aus den allgemeinen Rundfunkgebühren getragen werden sollten, da es sich ja hier auch um eine gesamtdeutsche Aufgabe handelt, zu der jeder einzelne Rundfunkhörer sein Scherflein beitragen sollte?
Das ist eine interessante Anregung, die wir gern aufnehmen, aber zunächst einmal prüfen, und zwar rechtlich prüfen müssen.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, es gehört nicht zu den Rechten eines Abgeordneten in der Fragestunde, festzustellen, ob eine Frage erschöpfend beantwortet ist oder nicht. Das müssen Sie bei anderer Gelegenheit tun.
Metadaten/Kopzeile:
78 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Vizepräsident Dr. JaegerIch danke dem Herrn Bundesminister.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, und zwar zu der Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:Wann ist mit einer Erhöhung der Entschädigungssätze far versäumte Arbeitszeit der ehrenamtlich tätigen Beisitzer bei den Sozialgerichten zu rechnen?Herr Bundesminister, bitte!
Die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter der Sozialgerichtsbarkeit richtet sich wie die Entschädigung aller anderen ehrenamtlichen Richter nach dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer bei den Gerichten vom 26. Juli 1957. In meinem Hause wird zur Zeit eine Änderung dieses Gesetzes vorbereitet. Dabei wird insbesondere die Frage einer Erhöhung der Aufwandsentschädigung für versäumte Arbeitszeit erörtert. Ich hoffe, daß der Abschluß der Arbeiten in absehbarer Zeit erfolgen kann.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, was verstehen Sie unter „in absehbarer Zeit"?
Herr Kollege, das bedeutet, daß ich hoffe, noch in diesem Jahre den Entwurf dem Kabinett, vielleicht auch schon dem Bundestag zuleiten zu können. Aber das hängt nicht von mir allein ab, sondern von der Abstimmung mit den beteiligten Ressorts.
Eine zweite Zusatzfrage?
Sind Sie sich bewußt, Herr Minister, daß gerade die Mitwirkung der Arbeitnehmer auch davon abhängt, daß diese Frage recht bald in einem vernünftigen Sinne geregelt wird?
Ich bin mir dieser Tatsache vollauf bewußt. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß dieses Gesetz, das wir jetzt ändern wollen, erst aus dem Jahre 1957 stammt, also noch gar nicht so alt und überholt ist.
Hierzu eine Zusatzfrage? Herr Abgeordneter Wittrock!
Herr Minister, können Sie ankündigen, daß die in Aussicht gestellte Novelle auch die Rechtslage für die Hausfrauen, die als Beisitzer herangezogen werden, wesentlich verbessern wird?
Herr Kollege, diese Frage bedarf noch einer Abstimmung mit den mitbeteiligten Ressorts, der ich nicht vorgreifen möchte.
Ich komme zur Frage III/2 — des Abgeordneten Jahn, vertreten durch den Abgeordneten Dr. Schäfer —:
Wird der Herr Bundeskanzler gemäß § 196 StGB Strafantrag gegen den Urheber der Behauptung stellen, dieser müsse als Teilhaber der sog. Finanzbau AG mit Herrn Minister Strauß teilen, um dessen Unterstützung für die Pläne der FIBAG zu erhalten?
Herr Bundesminister, bitte!
Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler kann das gar nicht. Er ist weder der amtliche Vorgesetzte der Bundesminister, noch sind die Bundesminister Beamte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer!
Herr Bundesjustizminister, haben Sie diese Frage anhand des Bundesgerichtsurteils geprüft, das vor kurzem ergangen ist, oder haben Sie die Frage geprüft, ehe die Frage .des Herrn Kollegen Jahn gestellt wurde?
Herr Kollege, ich habe diese Frage genau geprüft anhand Ides Bundesgerichtsurteils, 'das genau zu dieser Frage ergangen ist, und zwar erst im Januar dieses Jahres durch den Ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofes.
Eine zweite Zusatzfrage!
Halten Sie die Firage damit für endgültig geregelt, und darf ich Sie daran erinnern, daß das neue Strafgesetzbuch diese Frage anders regelt?
Herr Kollege, ich kann eine Sache, die jetzt zur Entscheidung steht, nicht nach einem Gesetz beurteilen, das 'bestenfalls in etwa sechs Jahren in Kraft treten wird.
Sie sind aber Pessimist!
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.Ich komme nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zu der Frage IV/1 — des Herrn Abgeordneten Corterier —:Billigt die Bundesregierung den Erlaß des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 1962, wonach Beiträge an Bausparkassen zur Erlangung von Baudarlehen auch dann als Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG begünstigt sind, wenn der Bausparer beabsichtigt, die Bausparsumme für ein Bauvorhaben im Ausland zu verwenden?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 799
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Steuerbegünstigungen für Bausparverträge werden nach dem Wortlaut des Gesetzes ohne Rücksicht darauf gewährt, ob das Bauvorhaben im Inland oder im Ausland errichtet wird. Wegen dieser Unklarheit des Gesetzestextes haben die Steuerreferenten der Länderfinanzminister empfohlen, bis auf weiteres auch die Verwendung von Bauspardarlehen im Ausland an der Steuerbegünstigung für Sonderausgaben teilnehmen zu lassen.
Erst in jüngster Zeit sind zwei Finanzgerichtsurteile ergangen, nach denen die Steuerbegünstigung des § 10 für Bausparverträge nur dann gewährt wird, wenn das Baudarlehen zur Verwirklichung eines Bauvorhabens im Inland verwendet wird. Im Hinblick auf diese Finanzgerichtsurteile, die noch der Bestätigung durch den Bundesfinanzhof bedürfen, wird in 'der nächsten Besprechung mit den Steuerreferenten 'der Länder darauf hingewirkt werden, daß bis auf weiteres Steuerbegünstigungen nur für inländische Bauvorhaben gewährt werden.
Ich komme zur Frage IV/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Hält es die Bundesregierung für eine sinnvolle Anwendung des Einkommensteuergesetzes, daß zwar Aufwendungen des Arbeitgebers für Betriebsausflüge der Arbeitnehmer in bestimmten Grenzen steuerfrei bleiben, daß aber unter Verzicht auf den jährlichen Betriebsausflug gleich hohe Aufwendungen für die Erholung der Arbeitnehmer steuerpflichtig sind?
Herr Staatssekretär, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Mommer, zum Arbeitslohn gehören nach dem Steuerrecht alle Einnahmen, die einem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen. Das ist nicht nur der laufende Arbeitslohn, dazu rechnen auch alle übrigen Bezüge und geldwerten Vorteile. Lediglich geringwertige Sachzuwendungen des Arbeitgebers, die als Annehmlichkeiten bezeichnet werden, rechnen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Zu solchen steuerfreien Annehmlichkeiten gehören auch gewisse Sachleistungen, die die Arbeitgeber bei Betriebsveranstaltungen als Fahrkosten, Speisen und Getränke gewähren. Die Abgrenzung zwischen den bloßen Annehmlichkeiten und Sachleistungen des Arbeitgebers ist schwierig. Die Finanzverwaltung behilft sich damit, daß sie Leistungen mit einem Geldwert von etwa 20 bis 25 DM jährlich als geringfügig und steuerfreie Annehmlichkeit behandelt. Leistungen, die einen höheren Sachwert darstellen — z. B. Deputate oder auch Zuschüsse zu Urlaubsreisen ins Ausland—sind steuerpflichtige Sachleistungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Staatssekretär, wenn bestimmte Leistungen für einen Zweck wie Betriebsausflüge als nicht steuerpflichtig angesehen werden, würden Sie dann nicht meinen, daß dieselben Summen, angewandt auf einen sozial wichtigeren Zweck wie Erholung, auch steuerfrei sein sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn geringfügige Beträge als Zuschüsse zu einer Urlaubsreise gegeben werden, würde ich keine Bedenken haben. Wenn aber statt der Zuwendungen für einen Betriebsausflug bare Beträge gezahlt werden, müssen sie nach der Bestimmung des Gesetzes zum Arbeitslohn hinzugerechnet werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mommer.
Darf ich noch einmal ganz klar fragen, Herr Staatssekretär: Wenn x DM für eine Betriebsfeier im Jahre 1960 ausgegeben worden sind und man sich im Betrieb geeinigt hat, daß dieselbe Summe x im Jahre darauf für Erholungszwecke ausgegeben werden soll, meinen Sie dann, daß dieser Betrag versteuert werden muß oder daß er, wie im Jahre zuvor, nicht versteuert zu werden braucht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich meine, Herr Abgeordneter, daß es in erster Linie auf die Höhe des Betrages ankommt. Ein geringfügiger Betrag von etwa 20 DM könnte nach meiner Meinung als eine Zuwendung zur Förderung der Betriebsgemeinschaft behandelt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Staatssekretär, ist Ihre Auskunft so zu verstehen, daß die Steuerfreiheit für solche Zuwendungen dann garantiert ist, wenn es sich um einen organisierten Betriebsausflug handelt, dann aber nicht mehr garantiert ist, wenn die betreffenden Mittel — 25 DM, 50 DM — dem Betreffenden zur individuellen Verwendung für einen Ausflug mit Betriebskollegen gegeben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Gesichtspunkt, den Sie, Herr Abgeordneter, hervorgehoben haben, ist neben der Höhe des Betrages einer der steuerrechtlich wichtigen.
Ich habe nicht ganz verstanden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn der Betrag geringfügig ist und zugleich einer Betriebsveranstaltung zur Förderung der betrieblichen Zusammengehörigkeit dient, wird er als Annehmlichkeit und steuerfreie Zuwendung angesehen werden können. Wenn der Betrag dem einzelnen als bare, zusätzliche freiwillige Leistung aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses zufließt, ist er ein Bestandteil des steuerpflichtigen Lohnes.
Metadaten/Kopzeile:
800 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Wir kommen zu Frage IV/3 — des Abgeordneten Kubitza —:
Zu welchem Ergebnis hat die Überprüfung der allgemeinen Freigrenze von 500 DM und der besonderen Freigrenze von 1000 DM in den Körperschaftsteuer-Richtlinien von 1958 für kulturelle Einrichtungen, kulturelle Veranstaltungen sowie .gesellige Veranstaltungen eines steuerbegünstigten Sportvereins, die in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP — Drucksachen 2580, 2630 der 3. Wahlperiode — angekündigt worden war, geführt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach dem geltenden Körperschaftsteuerrecht soll dann von einer Heranziehung zur Körperschaftsteuer abgesehen werden, wenn vermutet werden darf, daß der steuerpflichtige Gewinn unter 500 DM liegt. Das ist eine Bestimmung zur Vereinfachung der Verwaltung aus dem Jahre 1951. Dieser Betrag von 500 DM hat sich in der Zwischenzeit als zu geringfügig herausgestellt. In den Richtlinien für die Körperschaftsteuerveranlagung 1961 wird der Betrag auf 1000 DM heraufgesetzt werden. Etwas ähnliches gilt für die Freigrenzen, die für kulturelle Leistungen im Rahmen eines sonst steuerpflichtigen Geschäftsbetriebs gewährt werden. Als steuerlich unschädliche Einnahmen aus solchen kulturellen und geselligen Veranstaltungen werden in Zukunft 50 vom Hundert der Einnahmen, höchstens jedoch 2000 DM zugelassen werden. Auch hier also eine Verdoppelung des bisherigen Höchstbetrages von 1000 DM. Damit, darf ich annehmen, ist Ihren Wünschen im wesentlichen entsprochen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekrietär, die jetzige Maßnahme dient doch mehr dem Zweck einer Verwaltungsvereinfachung. Darf ich Sie bitten, zu überprüfen, ob man nicht Freibeträge einsetzen könnte, die eine echte Anerkennung der Arbeit der Sportvereine bedeuten würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich befürchte, Herr Abgeordneter, daß diese Prüfung, die wir gern noch einmal vornehmen wollen, nicht zu dem von Ihnen gewünschten Ergebnis führt. Freibeträge würden bedeuten, daß sie in jedem Fall gegeben werden, auch wenn ein höherer steuerpflichtiger Gewinn entsteht, während hier geringfügige Beträge aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung nicht besteuert werden sollen.
Ich komme zur Frage IV/4 — des Abgeordneten Bauer —:
Beabsichtigt die Bundesregierung demnächst die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Abgeltung von Schäden, die nach Kriegsende durch Beschlagnahmungen der ehemaligen Besatzungsmächte entstanden und deren Regulierung in § 3 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes vom 5. November 1957 angedeutet ist?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ein Gesetz zur Abgeltung der Reparationsschäden ist zwischen den beteiligten
Bundesministerien im Entwurf vorbereitet. Dieser l Gesetzentwurf soll möglichst noch vor den Sommerferien von der Bundesregierung verabschiedet und den parlamentarischen Körperschaften zugeleitet werden. In diesem Gesetzentwurf werden auch die Schäden berücksichtigt werden, die nach dem Kriegsende durch Beschlagnahmen der damaligen Besatzungsmächte entstanden sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bauer .
Darf ich Sie, Herr Staatssekretär, zusätzlich um Auskunft darüber bitten, ob durch dieses Gesetz auch sogenannte Klein-und Kleinstschäden reguliert werden können, also z. B. Beschlagnahmen von privatem Mobiliar unmittelbar bei Beginn der Besatzungszeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nicht beabsichtigt, Herr Abgeordneter, Schäden deswegen von einer Entschädigungsregelung auszunehmen, weil sie geringfügig sind. Eher ist das Gegenteil der Fall: Die größeren Schäden müßten mit geringeren Prozentsätzen bedacht werden als die kleineren Schäden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Welchen Zeitpunkt nehmen Sie in etwa an — vielleicht Ende des Jahres? —, bis zu dem solche Schäden angemeldet und bearbeitet werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hängt davon ab, welche Fristen das Gesetz für die Antragstellung vorsehen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Hat das Bundesfinanzministerium es gebilligt, daß die Ämter für Verteidigungslasten 'sich geweigert haben, den Eigentümern der beschlagnahmten Häuser einen Zuschlag von 331/3 % zuzubilligen, der ihnen auf Grund des Ersten Bundesmietengesetzes vom 9. September 1955 zustand?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann zu dieser technischen Frage im Augenblick nicht Stellung nehmen. Ich bin gern bereit, Ihre Frage schriftlich zu beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist es tatsächlich im Bundesfinanzministerium ein Geheimnis geblieben, daß zahlreiche Klagen von Besatzungsgeschädigten gelaufen sind, daß ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt zugunsten der Besatzungsgeschädigten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 801
Dr. Kohutvorlag und daß trotzdem zahlreiche Klagen vor anderen Gerichten noch angemeldet werden mußten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist bekannt, Herr Abgeordneter. Es ist eine schwierige juristische Frage, ob und inwieweit eine Entschädigungspflicht besteht. Wir sind der Meinung, daß ein Entschädigungsanspruch nach Art. 14 des Grundgesetzes in diesem Falle nicht entstanden ist. Gerade diese Frage soll das vorbereitete Gesetz klären.
Ich komme zur Frage IV/5 — des Abgeordneten Dr. Tamblé —:
Wie steht die Bundesregierung zu dem von der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft und anderen Krankenhausexperten gemachten Vorschlag, den herrschenden Krankenhausnotstand — Fehlbestand von 70 000 Krankenhausbetten, Erneuerung von 30 000 völlig überalterten Krankenhausbetten — dadurch zu beheben, daß man an Stelle der auslaufenden Förderung des Wohnungsbaues eine entsprechende Förderung des Krankenhausbaues (7k-Gelder) treten läßt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der Meinung der Bundesregierung ist es nicht zweckmäßig, die Steuerbegünstigungen der Siebenergruppe des Einkommensteuergesetzes zu erweitern oder wiederaufleben zu lassen. Diese viel angefochtenenen Steuerbegünstigungen sollten tunlichst allmählich abgebaut werden. Es scheint uns deswegen auch nicht zweckmäßig zu sein, für die Hingabe von Darlehen zur Förderung von Krankenhausbauten oder Krankenhausverbesserungen Steuerbegünstigungen zu gewähren. Vielmehr ist das Finanzministerium der Meinung, daß Krankenhausbauten in anderer Form aus öffentlichen Mitteln gefördert werden sollten.
Zu diesem Zweck bestehen schon zwei, wie mir scheint, wirksame Förderungsmaßnahmen. Die erste besteht darin, daß für Krankenhausbauten auf Grund einer Bestimmung in den Durchführungsverordnungen zum Einkommensteuergesetz neben den regelmäßigen Absetzungen für Abnutzung noch zusätzliche Sonderabschreibungen zulässig sind. Die Sonderabschreibungen sind hoch. Sie können bis zu 50 v. H. der Anschaffungs- und Herstellungskosten bei beweglichen Wirtschaftsgütern und bis zu 30 v. H. bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern, höchstens 100 000 DM im Jahr, gehen. Das ist die eine steuerliche Vergünstigung, die dem Krankenhausträger selbst gegeben wird.
Die zweite Begünstigung will dazu beitragen, daß hinreichende Mittel zur Finanzierung von Krankenhausverbesserungen und Krankenhauserweiterungen zur Verfügung stehen. Insgesamt beklagen wir keinen Mangel von Krediten für solche Ausbauten von Krankenanstalten. Dennoch hat die Bundesregierung vor vier Jahren in einem Mehrjahresplan jährlich 25 Millionen DM 'in den Bundeshaushalt eingestellt, um daraus freien gemeinnützigen Krankenanstalten und privaten Krankenanstalten zinsverbilligte Darlehen zu geben. Die Bundesregierung hat gleichzeitig darauf hingewirkt, daß für die öffentlichen Krankenanstalten, also vor allem für die Krankenanstalten der Gemeinden, zusätzliche Mittel zum Ausbau zur Verfügung gestellt werden.
Wir glauben, daß auf diesem Weg der Sonderabschreibungen und der staatlichen Kapitalhingabe aus Haushaltsmitteln der Ausbau der Krankenanstalten besser gefördert werden kann als durch die neue Einräumung von steuerlichen Vorteilen für private Darlehensgeber.
Herr Abgeordneter Büttner zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die im Darlehensweg zur Verfügung gestellten 25 Millionen DM jährlich ausreichen, und können Sie sagen, wie viele Anträge vorliegen, ob der Antragsbedarf dem zur Verfügung gestellten Betrage entspricht und ausreichend ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die 25 Millionen DM jährlich aus dem Bundeshaushalt sind nur Mittel zur ergän zenden Finanzierung. Dazu treten die Finanzierungsmöglichkeiten, die die gemeinnützigen und privaten Krankenanstalten sonst haben. Wir haben nad. unseren bisherigen Erfahrungen den Eindruck, daf die Mittel im wesentlichen ausreichen.
Ich komme. zu' Frage IV/6 — des Abgeordneten Dr. Dörinkel —:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß die Einnahmen der Rundfunkanstalten aus Werbesendungen — Rundfunk und Fernsehen — von der Umsatzsteuer weiterhin freigestellt bleiben?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Anfrage geht anscheinend von der irrigen Annahme aus, daß die Entgelte 'der Rundfunkanstalten für Werbefunk und Werbefernsehen von der Umsatzsteuer befreit seien. Das ist nicht der Fall. Die Werbesendungen des Funks sowohl wie des Fernsehens sind mit 4 v. H. der normalen Umsatzsteuer unterworfen. Lediglich die Leistungen der Rundfunkanstalten, für die keine Entgelte erhoben werden, für die also nur die allgemeinen Gebühren erhoben werden, sind im Jahre 1957 auf eine Initiative der Länder im Vermittlungsausschuß von der Umsatzsteuer befreit worden. Man ging dabei von der Annahme aus, daß der aus Gebühren finanzierte Teil der Rundfunksendungen zum Bereich der öffentlichen Gewalt gehört und infolgedessen im Unterschied zum früheren Rechtszustand von der Umsatzsteuer befreit werden sollte.
Ich komme zur Frage IV/7, die ebenfalls von Herrn Abgeordneten Dörinkel gestellt ist.Hält die Bundesregierung die in der Presse gegebene Anregung für •durchführbar, die Einnahmen der Rundfunkanstalten aus Werbesendungen in Rundfunk und Fernsehen mit 4 v. H. Umsatzsteuer zu belasten und das sich ergebende Aufkommen zur Überwindung der Krise in der deutschen Filmwirtschaft zu verwenden?
Metadaten/Kopzeile:
802 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Vizepräsident Dr. JaegerDann rufe ich auf die Frage IV/8, — des Abgeordneten Dröscher —:Warum sind die Eigentümer der seit etwa 25 Jahren für den Bau einer nicht zustande gekommenen Autobahn in Anspruch genommenen Grundstücke im Raum Neubrücke-Hermeskeil bisher nicht ordnungsgemäß entschädigt worden?Ich darf bitten, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dröscher, die Grundstücke im Raum Neubrücke-Hermeskeil, auf die sich Ihre Frage bezieht, waren vor vielen Jahren für den Bau einer Autobahn in Anspruch genommen worden. Auf diesen 'Grundstücken befinden sich, wie Sie wissen, zum Teil schon vorbereitende Einrichtungen für diesen Bau. Einige Zeit nach der Rückgliederung des Saarlandes entschloß sich die Bauleitung, den ursprünglichen Plan aufzugeben und der Autobahn eine andere Führung zu geben. Daraufhin ist die Oberfinanzdirektion in Koblenz beauftragt worden, die Grundstücksansprüche der beteiligten Grundstückseigentümer 'abzuwickeln. Nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ist der Bund verpflichtet, den Eigentümern die Grundstücke abzunehmen. Die Eigentümer haben die ganze Zeit hindurch Nutzungsentschädigung erhalten und würden jetzt eine Abschlußentschädigung für die Wegnahme bekommen, die nach dem Wert der Grundstücke zur Zeit der Inanspruchnahme bemessen wird. Nach den Verhältnissen nehme ich an, daß wohl 'der allergrößte Teil der Eigentümer die Grundstücke aufgeben will.
Sie beklagen, Herr Abgeordneter, die langsame Bearbeitung dieser Entschädigungsangelegenheiten. Ich darf Ihnen sagen, daß bei der Oberfinanzdirektion in Koblenz allein 26 000 Ansprüche ähnlicher Art vorliegen, davon etwa 9000 Abrechnungsfälle wegen Abwicklung der Westwallbauten. Von diesen 26 000 Anträgen hat die Oberfinanzdirektion Koblenz bis jetzt etwa die Hälfte erledigen können. Wir haben darauf hingewirkt, daß die Entschädigungsfälle, die Sie am Auge haben, beschleunigt abgewickelt werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wenn ich unterstelle, daß Ihnen bekannt ist, daß in einigen der betroffenen Gemeinden Flurbereinigungsverfahren laufen, dann darf ich mir die Zusatzfrage erlauben, ob beabsichtigt ist, für die Grundstücke, die von den Eigentümern wegen der Veränderungen in dem jetzigen Zustand nicht mehr zurückgenommen werden können, an die Flurbereinigungsverfahren gewisse Sonderzuschüsse zu leisten, damit der Schaden von der Allgemeinheit getragen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dort, wo sich allgemeine Entschädigungsfragen mit einer Flurbereinigung überschneiden, werden die Verfahren in der Regel verbunden, um Doppelentschädigungen zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Ramminger!
Herr Staatssekretär, warum sind die Bauern an der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze im Kreis Wolfstein bis heute nicht für Grundabtretungen zum Bau strategischer Straßen im Jahre 1938 entschädigt worden?
Herr Abgeordneter, es handelt sich nicht mehr um eine Zusatzfrage, sondern um eine neue Frage. Ich schlage vor, sie in der nächsten Fragestunde zu stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin aber gern bereit, Herr Abgeordneter, Ihre Frage, wenn sie mir zugeht, schriftlich zu beantworten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zur Frage V/ 1, gestellt vom Abgeordneten Peiter:
Auf welche Gründe führt die Bundesregierung den seit Monaten vorhandenen Engpaß in der Versorgung der Haushalte mit Braunkohlenbriketts zurück?
Herr Bundesminister, bitte.
An die Hausbrand- und Kleinverbraucher im Bundesgebiet wurden im Jahre 1959 12,1 Millionen t, 1960 12,5 Millionen t und 1961 13,1 Millionen t Braunkohlenbriketts aus westdeutscher Produktion und aus der Erzeugung der Sowjetzone abgesetzt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß — insgesamt gesehen — diese Mengen zur Deckung des normalen Bedarfs ausreichen. Der Bedarf an festen Brennstoffen und damit auch an Braunkohlenbriketts hängt jedoch wesentlich von den jeweiligen Witterungsverhältnissen ab. So kann eine langanhaltende Kälteperiode zeitweise zu Verknappungen führen. Andererseits kann sich ein zu milder Winter absatzhemmend auswirken.Die westdeutsche Braunkohlenbrikett-Erzeugung ist in ihrer Kapazität beschränkt. Die Produktion erfolgt in nahezu gleichen Monatsmengen. Ebenso verhält es sich normalerweise mit dem Bezug der in der Sowjetzone gekauften Mengen. Da eine Lagerung von Braunkohlenbriketts bei den Brikettfabriken nur in begrenztem Umfange möglich ist, muß die Brikettproduktion besonderen Wert darauf legen, daß die Abnahmen durch den Handel monatlich in etwa gleichen Mengen erfolgen. Soweit mir bekannt, kommen die Abnehmer diesem Wunsche der Produktion leider nicht in allen Fällen nach. Schon aus diesem Umstand können sich gewisse Ungleichmäßigkeiten in der Belieferung der Hausbrandverbraucher ergeben.Von einem seit Monaten vorhandenen Engpaß in der Versorgung der Haushalte mit Braunkohlenbriketts kann nicht gesprochen werden. Mir sind jedenfalls nur einige wenige Beschwerden über angeblich unzureichende Belieferungen mit Braunkohlenbriketts zugegangen, die im Zusammenwirken mit den Verkaufsgesellschaften der Brikettproduktion sorgfältig überprüft wurden. Hierbei hat sich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 803
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard überwiegend herausgestellt, daß Kohlenhändler wie auch landwirtschaftliche Genossenschaften wohl nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen versuchten, über ihre gegenüber dem Vorjahr meist schon erhöhten Liefermengen hinaus noch Zusatzlieferungen zu erhalten. Wo es im Einzelfall notwendig erschien, haben die Verkaufsgesellschaften der Produktion auf meine Bitte hin sich bemüht, akute Versorgungsschwierigkeiten durch zusätzliche Lieferungen im Rahmen ihrer Ausgleichsmöglichkeiten zu beheben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peiter.
Herr Minister, besteht, wenn die Lieferungen aus der Ostzone wegfallen sollten, die Möglichkeit, daß die Braunkohlengruben der Bundesrepublik den gesamten Bedarf liefern können?
Die Braunkohlengruben in der Bundesrepublik können im Augenblick ihre Produktion nicht steigern. Aber das Verhältnis ist so, daß heute die Produktion in der Bundesrepublik 10,1 Millionen t, die Lieferungen aus der SBZ 2,8 Millionen t betragen.
Ich komme zur Frage V/1 — des Abgeordneten Dr. Mommer —:
Hält der Herr Bundeswirtschaftsminister seine in der Fragestunde vom 14. Februar 1962 angekündigten Bemührungen um eine zollfreie Einfuhr von Fertighäusern durch die Genehmigung eines Sonderkontingents anläßlich der Flutkatastrophe durch den Rat der EWG am 6. März 1962 für abgeschlossen?
Meine Antwort vom 14. Februar auf die erste Anfrage des Abgeordneten Dr. Mommer bezüglich der zollfreien Einfuhr von Fertighäusern lag zeitlich vor der Flutkatastrophe, d. h. vor dem 17. Februar. Die Bundesregierung hat angesichts dieses Ereignisses Hilfsmaßnahmen für den Wiederaufbau im Katastrophengebiet den Vorrang gegeben. Sie hat erreicht, daß der Rat der EWG für die zollfreie Einfuhr aus Drittländern am 6. März ein Kontingent von 6000 Holzhäusern und am 2. April ein Kontingent für Betonfertigteile und Zubehör in einem Gesamtwert von 30 Millionen DM genehmigt hat.
Nachdem diese Hilfen nunmehr gewährleistet sind, habe ich zur Verringerung der konjunkturellen Spannungen auf dem Baumarkt folgende Maßnahmen eingeleitet:
Bei der EWG wird beantragt werden, die Zollsätze gegenüber dritten Ländern für Holzhäuser und Betonfertigteile zeitweilig vollständig auszusetzen oder der Bundesrepublik zollfreie Kontingente zu gewähren. Allerdings habe ich, wie bereits am 14. Februar 1962 hervorgehoben, Zweifel, ob die übrigen Mitgliedstaaten der EWG zustimmen werden.
Um so wichtiger erscheint es mir, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die der Bundesrepublik autonom offenstehen. Unter diesem Aspekt ist — zusätzlich zu der bereits seit 1. Januar 1962 gegenüber EWG-Ländern bestehenden Zollfreiheit für Holzfertighäuser und für Betonfertigteile — auch die Aussetzung des Binnenzollsatzes für Stahlfertighäuser in die Wege geleitet. Darüber hinaus beabsichtige ich, der Bundesregierung vorzuschlagen, für weitere Baumaterialien und -hilfsmittel die Binnenzollsätze zeitweilig auszusetzen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, haben Sie auch erwogen, ob es möglich ist, durch Aussetzung der Umsatzausgleichsteuer einen weiteren Druck auf die Preise auszuüben?
Diese Frage kann ich nicht beantworten; das ist eine Frage, die an den Bundesfinanzminister zu richten wäre, denn die Aussetzung hätte Auswirkungen auf den Haushalt.
Wären Sie bereit, Ihren Kollegen — der näher wohnt als die EWG-Kommission in Brüssel — zu fragen, ob eine solche Maßnahme zweckmäßig und durchführbar ist?
Das will ich gern tun; denn wir werden uns in nächster Zeit wohl über die Umsatzausgleichsteuer unterhalten.
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr!
Sind Sie bereit, Herr Minister, die Verwendung von Fertighäusern dadurch zu fördern, daß Sie die Vorbehalte ausräumen, die bezüglich der Beleihung derartiger Häuser heute noch bestehen?
Ich halte das für dringend notwendig. Bemühungen dieser Art sind schon eingeleitet worden, und ich glaube auch, daß gewisse Vorstellungen über baupolizeiliche Vorschriften hier einer Korrektur bedürfen.
Ist Ihnen bekannt, daß erhebliche Schwierigkeiten bei der Anbietung, beim Verkauf und bei der Aufstellung von Fertighäusern dahin bestehen, daß Fertighäuser bei verschiedenen Stellen, auch Behördenstellen, als Baracken, die leicht demontierbar und daher nicht ausreichend be-leihbar sind, betrachtet werden?
Das ist mir bekannt. Ich habe auch schon Schritte eingeleitet, um diese Irrtümer oder Mißverständnisse oder Fehler, wie Sie es nennen wollen, zu beseitigen.
Keine weitere Zusatzfrage.Wir .kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Land-
Metadaten/Kopzeile:
804 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Vizepräsident Dr. Jaegerwirtschaft und Forsten, Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Unertl —:Hält es der Herr Bundesernährungsminister für sinnvoll, die Aufforderung an die Verbraucher zur Vorratshaltung durch eine kostspielige und bisher wenig wirksame Werbeaktion unter Einschaltung einer Werbefirma durchzuführen, dabei aber die Verwendung des Eichhörnchens und des Slogans „Denke daran, schaff' Vorrat anl" durch den Handel zu verbieten, obwohl diese letztere Form der Werbung ungleich wirkungsvoller sein würde?Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die im Auftrage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durchgeführte Aufklärungsaktion „Freiwillige Haushaltsbevorratung" hat nach zwischenzeitlich angestellten Erhebungen eine gute Resonanz bei der Bevölkerung gefunden. Danach verfügt schon jetzt etwa ein Viertel der Bevölkerung des Bundesgebietes ohne Berlin — in Berlin sind es sogar 47 % der Bevölkerung — über Lebensmittelvorräte für einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen.
Gegen die unkontrollierte Verwendung des Eichhörnchenbildes durch den Handel bestehen insofern Bedenken, als es sich dabei um ein eingetragenes Warenzeichen der Firma Eichhorn, Hannover, handelt. Die Verwendung des Eichhörnchenbildes kann deshalb nur im Einvernehmen mit dieser Firma erfolgen. Bisher ist lediglich der mit der Aufklärungsaktion beauftragten Firma Carl Gabler Werbegesellschaft die Verwendung des Eichhörnchens ausschließlich im Rahmen der Aktion Haushaltsbevorratung gestattet worden. Auf eine Weiterübertragung dieser Genehmigung an Dritte habe ich keinen Einfluß.
Abgesehen von der rechtlichen Beurteilung sprechen auch fachliche Gesichtspunkte gegen eine unkontrollierte Verwendung dieses Zeichens und des Slogans „Denke daran, schaff' Vorrat an!". Es besteht die Gefahr, daß unter dem gewählten Symbol und dem gewählten Werbespruch Erzeugnisse angeboten werden, die für eine Haushaltsbevorratung nicht geeignet sind, jedoch wegen des Symbols und des Slogans, unter denen sie angeboten werden, als staatlich empfohlen angesehen werden können.
Im übrigen ist der Handel immer wieder darauf hingewiesen worden, daß geeignetes Werbematerial — Schaufensterplakate, Kleber usw. — im Rahmen einer Werbung für die Aktion selbst von der Versandstelle Haushaltsbevorratung angefordert werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Handel, soweit mir bekannt ist, weitgehend Gebrauch gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl!
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft geben, wie hoch der Betrag ist, der bisher für diese Werbeaktion ausgegeben werden mußte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte, diese Frage schriftlich beantworten zu dürfen.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß man gerade die Werbung viel umfassender machen könnte, wenn man mehr Firmen, eben dem Handel, die Verwendung dieses Eichhörnchen-Slogans gestattete und es nicht auf eine einzelne Werbefirma abstellte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie ich soeben schon gesagt habe, Herr Abgeordneter, steht es dem Handel frei oder ist er geradezu aufgefordert, sich dieser Werbemittel zu bedienen und sie anzufordern; ihn aber unkontrolliert die Werbemittel benutzen zu lassen, halten wir nicht für möglich, weil befürchtet werden muß, daß damit für Produkte geworben wird, die unter Umständen nicht im Sinne der Bevorratung liegen.
Mehr als zwei Zusatzfragen sind nicht gestattet.
Herr Bading, eine Zusatzfrage hierzu!
Herr Staatssekretär! Auf welche Weise sind die 25 %, die Sie nannten, errechnet worden? Sie haben gesagt, daß sich bereits 25 % der Haushaltungen dieser Aktion angeschlossen hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist eine Repräsentativbefragung veranstaltet worden.
Und wile vierteilen sich diese 25 % auf die Gesamtzahl der Haushaltungen, der städtischen und der ländlichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte Sie, diese Frage schriftlich beantworten zu dürfen, da mir das Ergebnis der Repräsentativbefragung im Augenblick nicht vorliegt.
Ich kommie zur Frage VI/2 — des Abgeordneten Reichmann —:
Hat die Bundesregireung bei den EWG-Verhandlungen in Brüssel auf die Anwendung des Artikels 44 des EWG-Vertrages endgültig verzichtet?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, 'die Ergebnisse der Brüsseler EWG-Verhandlungen über die schrittweise Einfüh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 805
Staatssekretär Hüttebräukerrung von gemeinsamen Agrarmarktorganisationen müssen in ihrer Gesamtheit gesehen und beurteilt werden. Die Bundesregierung hat sich bei diesen Verhandlungen. bis zuletzt für die uneingeschränkte Beibehaltung der Möglichkeit eingesetzt, den Art. 44 ,des EWG-Vertrags auch im Rahmen der neuen gemeinsamen Marktorganisation anzurufen. Sie hat dabei jedoch keine einhellige Unterstützung bei der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten gefunden. Im Ergebnis haben die Mitgliedstaaten auf bestimmten Warengebieten, für die der Rat Verordnungen zur schrittweisen Einführung einer gemeinsamen Marktorganisation beschlossen hat, vereinbart, von der Anwendung des Art. 44 dort nicht Gebrauch zu machen, wo andere Schutzmaßnahmen zur Regelung .dieser Märkte vorgesehen sind. Im übrigen hat der Rat in einer Entscheidung zu Art. 44 des EWG-Vertrags objektive Grundsätze für die Festsetzung von Mindestpreisen beschlossen, nach denen die Mitgliedstaaten künftighin verfahren sollen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, wird durch das vielfach komplizierte Verfahren zur Anwendung der Schutzklausel der Schutz des inneren Markts nicht doch verschlechtert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind der Meinung, daß diese Schutzklauseln, richtig angewandt, das Ziel erreichen, das wir uns gesetzt haben.
Die Frage VI/3 — des Abgeordneten Reichmann —:
Erfolgt gegebenfalls durch den Verzicht der Bundesregierung auf Artikel 44 eine Änderung des EWG-Vertrages?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um eine Willenserklärung des Ministerrats, also nicht um einen Verzicht auf Art. 44, sondern um eine Willenserklärung, von einem dem EWG-Vertrag entsprechenden Recht in bestimmten Fällen keinen Gebrauch zu machen. Dies stellt keine Änderung des EWG-Vertrags dar.
Keine Zusatzfrage.
Dann kommt die Frage VI/4 — .des Abgeordneten Reichmann —:
Glaubt die Bundesregierung, daß mit der in Brüssel vereinbarten Schutzklausel auf dem Abschöpfungssystem an Stelle des Artikels 44 des EWG-Vertrages derselbe Zweck und dasselbe Ziel voll erreicht werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei Marktstörungen, die eingetreten sind oder einzutreten drohen, kann die Bundesregierung jederzeit Maßnahmen treffen. Hierdurch hat die Bundesregierung )mehr Möglichkeiten, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, als dies nach Art. 44 in Verbindung mit den objektiven Grundsätzen möglich ist. Deshalb glaubt die Bundesregierung, mit den vereinbarten Schutzklauseln und dem Abschöpfungssystem hinreichende Sicherheiten zur Ordnung dieser Märkte zu haben.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Frage VII/1 — des Abgeordneten Freiherr von Kühlmann- Stumm —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung angesichts der günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt für eine Herabsetzung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 1,4 auf 1,2 v. H.?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Erhebung des Beitrages, der für die Durchführung aller Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und nicht nur für die Durchführung der speziellen Aufgabe der Arbeitslosenversicherung bestimmt ist, wurde erst vor einigen Wochen geregelt, und zwar durch die 15. Durchführungsverordnung zum AVAVG vom 20. Januar 1962. In dieser Verordnung ist nach einer achtmonatigen Periode der Beitragsaussetzung die Erhebung des Beitrages ab 1. April 1962 bis 31. Dezember 1963 in Höhe von 1,4 v. H. des Entgelts bestimmt worden. Diese Verordnung ist nach eingehender Prüfung erlassen worden, und die Bundesregierung konnte sich dabei der einheitlichen Auffassung der Selbstverwaltung der Bundesanstalt anschließen, in der Gewerkschaften, Arbeitgeber und öffentliche Körperschaften vertreten sind.
Ich darf hinzufügen, daß nach dem Haushalt der Bundesanstalt für 1962 ein Fehlbetrag von etwa 155 Millionen DM auftreten wird. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß der Fehlbetrag sich erheblich erhöht. Denn dieser Haushalt sieht für Schlechtwettergeld Ausgaben in Höhe von 200 Millionen DM vor; wir können aber jetzt schon absehen, daß die Ausgaben erheblich höher werden. Deshalb können wir eine Herabsetzung des Beitragssatzes bis auf weiteres nicht ins Auge fassen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die dem Wesen der Arbeitslosenversicherung widersprechende langfristige Festlegung von Mitteln der Bundesanstalt in kurzfristige, schnell abrufbare Anlagen umgewandelt wird?
Herr Abgeordneter, das ist eine sehr schwere Frage. Es ist immer die Frage, ob und inwieweit so erhebliche Mittel wie 5 Milliarden DM liquide und inwieweit sie in Mitteln angelegt werden sollen, die sehr, sehr lange Zeit gebunden sind. Ich bin der Meinung, daß wir mit diesem Stock eine Höhe erreicht haben, die ausreicht. Man sollte diesen
Metadaten/Kopzeile:
806 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundesarbeitsminister BlankStock nicht weiter anwachsen lassen und sollte versuchen, die Anlagen so gegeneinander auszutarieren, daß man etwa zur Hälfterelativ kurzfristige und etwa zur Hälfte längerfristige Mittel hat. Ich glaube, letzteres ist deshalb notwendig, weil mit den Mitteln ja auch Dinge gefördert worden sind, die gerade im Interesse der Stärkung des Arbeitsmarktes lagen.
Eine zweite Zusatzfrage!
Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Unfallversicherung und der hierdurch zu erwartenden höheren Belastung für die lohnintensiven mittelständischen Betriebe die Frage einer Herabsetzung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung erneut zu prüfen?
Diese Frage kann ich uneingeschränkt mit Ja beantworten. Wir haben es ja in der Hand, jederzeit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beitragssätze zu ändern. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn wir die Dinge im Laufe des Jahres besser überblicken können, erneut überprüfen sollten, ob eine Reduzierung möglich ist. Sofern ich die Möglichkeit dazu sehe, werde ich solche Maßnahmen sogleich anstreben; denn ich stehe auf dem Standpunkt, daß es eine der vordringlichsten Aufgaben ist, unter Aufrechterhaltung der derzeitigen Sozialleistungen die ungeheure Sozialbelastung des Lohnes so weit als möglich zu reduzieren.
Ich rufe auf die Frage VII/2 — des Abgeordneten Dr. Dittrich —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg mit dem Gedanken trägt, Arbeitsämter in Niederbayern aufzuheben?
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Kollege Dittrich, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist bekannt, daß die Bundesanstalt beabsichtigt, wie in anderen Landesarbeitsamtsbezirken so auch im Bereich des Landesarbeitsamts Nordbayern die Bezirke einer Reihe von Arbeitsämtern neu abzugrenzen. Bei den in Aussicht genommenen Neuabgrenzungen handelt es sich um einen Teil der Organisationsmaßnahmen, die die Bundesanstalt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bereits seit einiger Zeit durchführt. Ich darf z. B. nur darauf hinweisen, daß im Bezirk des Landesarbeitsamts Nordrhein-Westfalen mit Wirkung vom 1. Januar 1962 die Zahl der Arbeitsämter durch Neuabgrenzungen von 55 auf 33 vermindert wurde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dittrich!
Ist Ihnen, Herr Bundesminister, bekannt, daß die Absichten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Niederbayern und Oberpfalz dahin gehen, Arbeitsämter aufzulösen, um sie Arbeitsamtsbezirken anzugliedern, die über die Grenze der Regierungsbezirke hinausragen, und sieht die Bundesregierung nicht die Möglichkeit, das zu unterbinden?
Nein, aktiv eingreifen, Herr Abgeordneter, kann ich nicht. Denn nach § 7 Abs. 1 Ziff. 2 b des Gesetzes setzt der Verwaltungsrat der Bundesanstalt die Bezirke der Arbeitsämter fest. Er ist allerdings gehalten, bei dieser Bezirksabgrenzung die obersten Landesbehörden, die Verwaltungsausschüsse der beteiligten Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter zu hören.
Wenn das, was Sie beklagen, der Fall ist, wäre doch vielleicht zu empfehlen — und dazu würde ich meine guten Dienste, wenn gewünscht, anbieten —, einmal in einem Gespräch mit dem Verwaltungsrat diese Gründe darzulegen und dabei festzustellen, ob die vorgesehenen Verwaltungsabgrenzungen richtig und zweckmäßig sind. Ich glaube, es würde auch nicht gegen das Gesetz verstoßen, wenn wir versuchten, die Probleme einmal in einem solchen klärenden Gespräch zu erörtern.
Eine zweite Zusatzfrage!
Befürchten Sie nicht, Herr Bundesminister, daß durch diese Aufhebung von Arbeitsämtern gerade in einem zum Teil verkehrsmäßig nicht gut erschlossenen Gebiet — dies trifft für Teile von Niederbayern zu — eine Erschwerung für die Arbeitslosen eintritt und daß sich für diese Arbeitslosen Mehrkosten ergeben? Wäre nicht das allein schon ein Grund, die Herren Ihres Hauses, die im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vertreten sind, in dem Sinne anzusprechen, daß sie sich gegen solche Maßnahmen aussprechen sollten?
Letzteres, Herr Kollege, kann ich nicht. Auch Beamte, .die in diesem Gremium sind, sind dort als Personen und sind an Weisungen 'nicht gebunden. Ich habe weder als Aufsichtsperson noch in irgendeiner anderen Eigenschaft das Recht, mich unmittelbar in 'diese Frage einzumischen und irgendwelche Anweisungen zu geben. Das einzige, was ich tun kann: ich kann versuchen, Gespräche zu führen.
Ist die Frage damit erledigt?
Verzeihung, darf ich darauf hinweisen, Herr Präsident, 'daß der erste Teil meiner zweiten Zusatzfrage hinsichtlich der Befürchtung von Erschwernissen für die Arbeitslosen nicht beantwortet wurde?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 807
Ach so, pardon. Wenn wir Arbeitsamtsbezirke ändern oder Arbeitsämter zusammenlegen, dann bleiben natürlich Außenstellen vorhanden, so daß also nicht etwa die bei den Arbeitsämtern Rat und Hilfe Suchenden genötigt sind, nunmehr weite Wege zum Arbeitsamt zu machen, sondern es bleibt fast in aller Regel eine Außenstelle vorhanden — nur ist es dann kein volles Arbeitsamt mehr.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Ich darf um etwas Ruhe im Hause bitten. Noch eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Bundesminister, würden Sie nicht auch 'der Meinung sein, .daß die Zusammenlegung von Arbeitsämtern in Gebieten von außergewöhnlich hoher winterlicher Arbeitslosigkeit keinesfalls den Zwecken dieser Zusammenlegung deswegen dient, weil die Betreuung der Arbeitslosen, insbesondere der darunter befindlichen älteren Angestellten, doch an diese Ämter besonders hohe Anforderungen stellt?
Entschuldigen Sie, es kommt hier gar nicht auf meine Meinung an. Nach dem Gesetz hat der Verwaltungsrat die Aufgabe, das Gesetz zu vollziehen, und er vollzieht es so, wie er es für richtig hält. Ob ich ihm dazu meine Meinung sage oder nicht, ist vollkommen unerheblich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Unertl.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Absicht des Herrn Präsidenten Sabel und der Anstalt, ausgerechnet in Niederbayern die Auflösung der Arbeitsämter vorzunehmen, der sonstigen Gepflogenheit der Grenzlandförderung der Bundesregierung widerspricht?
Ich bin, Herr Abgeordneter, immer gern mit Ihnen einer Meinung. In diesem Punkt aber bin ich nicht mit Ihnen der Meinung, daß der Präsident ein besonders böswilliges Verhalten an den Tag legt. Denn auch er kann gar nicht allein handeln, sondern das kann nur der Verwaltungsrat als ein Selbstverwaltungsgremium, in dem auch Vertreter Bayerns sitzen. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß die Herren alle mit einer besonderen Aversion gegen Ihr schönes Heimatland geladen seien.
Eine zweite Zusatzfrage? Bitte, Herr Abgeordneter.
Aber, Herr Bundesminister, auch Ihr Einfluß könnte nach meiner Überzeugung unter Umständen der von Ihnen so gepriesenen
niederbayerischen Heimat und meiner Heimat helfen.
Ich glaube, Herr Abgeordneter Unertl, das war keine Frage mehr.
Wenn es der Herr Präsident gestattet, möchte ich einen Satz dazu sagen. Herr Abgeordneter, ich bin bei dem Ärger, den ich manchmal habe, besonders dankbar, wenn jemand einmal glaubt, daß mein Einfluß groß sei und daß er eventuell nützlich sein könnte.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zur Frage VIII des Abgeordneten Buchstaller aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere nach einer erfolgten Beförderung monatelang und nicht selten über ein Jahr warten müssen, bis sie die Dienstbezüge ihrem neuen Dienstgrad entsprechend erhalten?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Die Dienstbezüge der Soldaten, Beamten und Angestellten der Bundeswehr werden von sechs zentralen Gebührnisämtern am Sitz der Wehrbereichsverwaltungen berechnet und gezahlt. Diese Regelung hat sich als notwendig oder als zweckmäßiger erwiesen, weil es bei der Kompliziertheit des Besoldungsrechtes nicht mehr möglich ist, diese Arbeit durch die Standortverwaltungen ausüben zu lassen, an denen bei ihrer großen Zahl das eingearbeitete Personal nicht gehalten werden kann. Die angespannte Personal-und Arbeitslage sowohl bei der Truppe als auch bei den Wehrbereichsgebührnisämtern hat dazu geführt, daß die Ausgleichszahlungen bei Beförderungen in der Bundeswehr in der Regel durchschnittlich nach drei Monaten geleistet werden. Wenn in Einzelfällen längere Zeiten gebraucht wurden, lagen Fehler bei der Bearbeitung durch die zuständigen Truppenteile oder Gebührnisämter vor. Soweit solche Fehler dem Ministerium oder mir persönlich bekanntgeworden sind, ist jeweils unmittelbar eingegriffen, die falsche Bearbeitung gerügt und eine sofortige Erledigung veranlaßt worden.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Buchstaller.
Herr Minister, sehen Sie eine Möglichkeit, die von Ihnen angegebene Zeit von drei Monaten, die bei den Wehrbereichsgebührnisämtern gebraucht wird, noch wesentlich zu verkürzen?
Ich darf, um den Termin von drei Monaten etwas verständlicher zu machen, vielleicht folgende Hinweise geben.Um die Gehälter eines bestimmten Monats so rechtzeitig überweisen zu können, daß sie am Letz-
Metadaten/Kopzeile:
808 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundesverteidigungsminister Straußten des Vormonats auf dem Gehaltskonto des Empfänger zur Verfügung stehen, müssen die maschinell arbeitenden Gebührnisämter ihre Berechnungsarbeiten am 11. des Vormonats abgeschlossen haben. Dabei isst zu berücksichtigen, daß nicht nur bei den Gebührnisärntern, sondern auch bei den Banken und Sparkassenorganisationen für die Zahlbarmachung auf dein Gehaltskonto bei der großen Zahl von Gehaltsempfängern erhebliche Zeit gebraucht wird. Die Überweisung der durch die Beförderung erhöhten Bezüge einschließlich einer Nachzahlung kann daher selbst bei sofortiger Bearbeitung durch ein Gebührnisamt in der Regel frühestens zwei Monate nach Eingang 'einer ordnungsgemäßen Beförderungsmeldung, die der Truppe obliegt, vorgenommen werden. In ungünstigen Fällen kann sich diese Zeit aber noch verlängern, vor allem wenn die Beförderungsmeldung der Truppe — wie häufig — durch irgendwelche Umstände aufgehalten wurde. Derartige Zeitspannen sind bei allen mit dem Lochkartenve,rfahren arbeitenden Besoldungskassen unvermeidlich. Sie müssen im Hinblick auf die vielen Vorteile einer rationellen maschinellen Besoldungsabrechnung in Kauf genommen werden, ganz abgesehen davon, daß die für eine manuelle Gebührnisabrechnung 'erforderliche große Zahl von Fachkräften des Besoldungs- und Tarifwesens nicht zur Verfügung steht.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Buchstaller.
Herr Minister, ist die Tätigkerit der Wehrbereichsgebührnisämter auch für den Mob-Fall sichergestellt?
Darüber ist die letzte Entscheidung noch nicht gefallen, weil die Organisation der Verwaltung für den Verteidigungsfall, ihre Stellung bzw. ihre Eingliederung in die militärische Struktur Gegenstand interministerieller Besprechungen einschließlich des ganzen Notstandskomplexes sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, halten Sie eine Beschleunigung dieses zweifellos sehr langen Verfahrens bei der Zahlung von Gebührnissen für möglich, wenn man sich bestimmte Erfahrungen der freien Wirtschaft, insbesondere der Großunternehmen, mit der bargeldlosen Lohnzahlung zunutze macht?
Es gibt kein vergleichbares Großunternehmen hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten, hinsichtlich deis Umfangs und hinsichtlich der Zahl und der Streuung der Dienststellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 809
— Sie werden noch Gelegenheit haben, Ihre Meinung dazu zu sagen.Lassen Sie überhaupt zuerst einmal mich mit meinen Kritikern auseinandersetzen. Wir haben — das deutsche Volk in allen seinen Schichten, aber auf Grund der von uns eingeleiteten Wirtschaftspolitik— aus einem, rauchenden Trümmerhaufen in einer Zeitspanne von 14 Jahren eine blühende Wirtschaft aufgebaut. Wir sind mit dem Flüchtlingsproblem fertig geworden, haben diesen Menschen nicht nur wieder Wohnraum und Obdach gegeben, sondern wir haben auch Arbeitsplätze für sie geschaffen. Wir haben die aus der Zerstörung überkommenen 13 Millionen Arbeitsplätze, die verschlissen und veraltet gewesen sind, in ihrer produktiven Leistung wieder fruchtbar gestaltet. Wir haben 9 Millionen Arbeitsplätze dazu geschaffen. Wir haben eine vernichtete und zerrüttete Währung durch eine Währungsreform wieder auf gesunde Grundlagen gestellt. Wir haben dieses verfemte Land, das von allen Weltmärkten abgeschnitten war, wieder in die freie Welt zurückgeführt und sind heute an die zweite Stelle im Welthandel gerückt. Wir haben — aus dieser unseligen Situation — unsere Städte wiederaufbauen, unser ganzes öffentliches Leben wieder in Ordnung bringen müssen, und wir haben
Metadaten/Kopzeile:
810 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardgleichwohl den deutschen Lohn und das deutsche Gehalt an die Spitze aller europäischen Länder gebracht.Und dann lese ich von einem maßgeblichen Funktionär: Wenn man schon das Sündenregister, sozusagen das deutsche Sündenregister aufstelle, dann würden meine wirtschaftspolitischen Fehler an die erste Stelle gehören.
So etwas kann man in Deutschland sagen, ohne daß ein lautes Gelächter Platz greift.
Ein anderes Organ, meine Damen und Herren von der SPD, das Ihnen nahesteht, hat behauptet, daß ich in bezug auf meine Vorstellungen vom deutschen Arbeiter und seiner gesellschaftspolitischen Stellung innerhalb der Nation etwa mit Ulbricht zu vergleichen wäre. Nun, das richtet sich von selbst.
— In der „Welt der Arbeit" nachzulesen!
Meine Damen und Herren, es ist wirklich merkwürdig genug, daß die gleichen Menschen, die empfindlich sind wie die Primadonnen, nicht davor zurückschrecken, jemanden zu beleidigen, der wirklich nur das Beste für das deutsche Volk will.
Dann bin ich gerügt worden, ich huldigte mit dieser Redeeinem Konjunkturpessimismus und betriebe sozusagen eine Panikmache. Meine Damen und Herren, wer mich kennt, der weiß genau, daß ich keine Begabung zum Pessimisten habe. Im übrigen würde das bedeuten, daß ich bereit wäre, alles fatalistisch hinzunehmen. Denn der Pessimismus fließt aus dem Unbehagen oder aus dem Unvermögen, die Geschicke nicht mehr meistern zu können. Das aber meine ich ganz bestimmt nicht. Wir werden vielmehr zeigen, daß wir willens sind, die Geschicke des deutschen Volkes in starke Hand zu nehmen und einem verderblichen Treiben nicht noch länger Vorschub zu leisten.
Es war allerhöchste Zeit, das das deutsche Volk einmal gehört hat, wie es darum steht. Es ist im übrigen bemerkenswert, daß niemand die von mir angezogenen Zahlen in Zweifel stellen konnte. Denn wir operieren glücklicherweise mit den gleichen Zahlen. Nur sind 'die Ausdeutungen und Schlußfolgerungen aus diesen Zahlen außerordentlich unterschiedlich.Meine Damen und Herren, ich darf noch etwas sagen. In der ersten Haushaltsdebatte habe ich schon deutlich das Thema anklingen lassen, um das es mir geht. Alles was danach folgte, sind sozusagen nur ,die „con variazioni" gewesen. Wir werden nicht aufhören und das Thema noch weiterführen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir durch Ihre Kritik dazu verholfen haben, ,die Probleme immer wieder aufs neue anzusprechen.Nun also nicht Pessimismus! Ich habe es wiederholt gesagt — aber darüber liest man dann hinweg —, daß es nicht .die augenblickliche Lage ist, die mir Sorge bereitet, sondern es ist der Blick in die Zukunft, .der uns besorgt sein lassen muß, wenn wir alle Warnungen in .den Wind schlagen und auf dem eingeschlagenen Weg weiter schreiten. Das ist die Situation! Ich weiß auch, daß die Konjunktur gut ist. Sie, Herr Kollege Deist, haben im Gegensatz zu meiner Tonart auf Moll gemacht. Sie haben vor dem deutschen Volk den guten Onkel gespielt und gesagt, es sei alles gar nicht so schlimm. Das scheint mir in einer solchen Situation die falsche Sprache zu sein, weil das deutsche Volk geweckt und erschreckt werden muß, wenn es notwendig ist.
— Ich lege auf Titel keinen Wert, um es gleich zu sagen!
Die Konjunktur läßt nichts zu wünschen übrig. Sicher, sie ist außerordentlich differenziert, aber im ganzen gesehen — das beweisen ja die Ziffern— gibt die Zahl der offenen Stellen und der ausgewiesenen Arbeitslosen ein volkswirtschaftliches Bild einer Vollbeschäftigung, ja fast immer noch einer Überbeschäftigung. Die Produktion steigt zwar nicht mehr so stürmisch an wie in den vergangenen Jahren, aber wir haben im Februar immer noch gegenüber denn Vorjahr eine Produktionszunahme' von 3 % erzielt. Das ist alles richtig. Es ist nicht die Konjunktur der Gegenwart, überhaupt nicht so sehr die Konjunktur an sich, die mich besorgt sein läßt. Ich bin überzeugt, daß wir bei einem richtigen Verhalten der Menschen und der Gruppen innerhalb der deutschen Wirtschaft und im deutschen Volke gar keine Sorge vor dem weiteren Ablauf der Konjunktur zu haben bräuchten. Auftriebskräfte sind genug vorhanden, die das sicherstellen.Also es ist nicht die Konjunktur an sich, es sind nicht die Elemente, die die Konjunktur ausmachen. Nicht die Triebkräfte der Konjunktur sind es, die mich haben sprechen lassen, sondern es sind Entartungserscheinungen. Man kann sie nicht anders bezeichnen. Im übrigen möchte ich auch hier feststellen, daß ich durchaus nicht etwa nur die Arbeitnehmer oder insonderheit die Gewerkschaften angesprochen habe. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich mich immer wieder redlich bemühte, ein gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften zu finden, weil ich glaube, daß es in einem geordneten Staatswesen, in einem freiheitlichen Rechtsstaat dazu gehört, daß 'die Gewerkschaften das rechte im positiven Verhältnis zum Staat finden. So habe ich mich immer verhalten.
Anscheinend 'ist aber keine Verständigung mehr möglich zwischen den Tarif- bzw. Sozialpartnern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 811
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardIch weiß nicht, ob Sie vorgestern abend die Fernsehsendung gesehen shaben, in der sich Herr Paulsen und Herr Richter mit Beteiligung der Presse unterhalten haben. Ja, da gab es nur schwarz und weiß, da gab es nur ja und nein. Jeder hatte immer recht, der andere immer unrecht.
Ich meine, so kann es einfach nicht weitergehen.
Deshalb meine ich — darüber wird noch zu sprechen sein —, daß wir etwas tun müssen, um dieser babylonischen Sprachverwirrung endlich Herr zu werden und eine klare Sprache zu sprechen, die auch der Mann draußen auf der Straße versteht.
Meine Damen und Herren, ich habe bei dieser Rede ein besonders starkes Gewicht auf die Lohn-und Gehaltsentwicklung sowohl absolut wie auch im Verhältnis zum Produktivitätszuwachs und vor allen Dingen in Beziehung zu dem vergleichbaren Ausland, zu unseren Wettbewerbern draußen in der Welt aus dem Grunde gelegt, weil 'das heute in der ersten Linie meiner Sorgen steht. Sie legen den Akzent wesentlich auf die maßlosen unternehmerischen Gewinne. Nun, ich habe keinen Grund, die Unternehmer zu verteidigen, soweit sie übertriebene Gewinne zu verzeichnen haben. Aber ist es denn nicht so, und wissen Sie es denn nicht, daß vom Jahre 1961 an die unternehmerischen Gewinne stark rückläufig sind? Sie sitzen doch in den Aufsichtsräten der mitbestimmenden Gesellschaften.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter!
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich in der ersten Haushaltslesung diesen Punkt haargenau so dargestellt habe und daß infolgedessen gar keine Rede davon sein kann, daß auf der einen Seite so und auf der anderen Seite so gesprochen wurde?
Ich weiß nicht, warum Sie sich jetzt persönlich angesprochen fühlen.
— Nein.
— Sie wünschten ja, daß wir uns an dieser Stelle unterhalten, und ich bin gerade dabei, mich mit Ihnen zu unterhalten.
Es ist unmöglich, der Offentlichkeit gegenüber damit zu operieren, daß es nur die ungeheuren Gewinne und die mangelnde Disziplin der Unternehmer wären, die die Schuld tragen. Das mag im einzelnen zutreffen; ich verteidige es dann bestimmt nicht.
— Nein.
Ich bitte, sich auf einzelne Zwischenrufe zu beschränken und nicht eine allgemeine Diskussion anzufangen.
Man kann mir alles unterstellen, aber das ganz bestimmt nicht, daß ich unternehmerische oder kapitalistische Interessen vertrete.
Aber die gleichen Leute oder nennen Sie es die gleichen Kreise, die aus ihrer eigenen Tätigkeit in den Unternehmungen wissen, daß die Gewinne rückläufig sind, können nicht — nach der anderen Seite, nämlich nach der Straße zugewandt — sagen: nicht unsere Lohn- und Gehaltsforderungen sind schuld, sondern nur die maßlosen unternehmerischen Gewinne.
Ich habe umgekehrt die Sorge, daß wir uns bei der Haushaltsberatung dies Jahres 1963 und vielleicht im Jahre 1964 noch mehr darüber unterhalten müßten — hoffentlich können wir die Dinge noch rechtzeitig wenden —, wie wir unseren Haushalt ausgleichen können, wenn jene bedenkliche Entwicklung, die im Jahre 1961 angefangen hat und sich im Jahre 1962 fortzusetzen scheint, nicht zurückgedämmt wird. Wie sollten wir dann den Ausfall an Einkommen-und Körperschaftsteuer ausgleichen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier viele Stunden Zeit zur Diskussion. Ich würde vorschlagen, uns die Arbeit zu erleichtern, indem wir jetzt den Herrn Bundesminister anhören.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht nur das gute Gewissen, sondern auch das sichere Gefühl, 'daß ich das gesagt habe und das vertrete, was im Interesse des deutschen Volkes liegt.
Metadaten/Kopzeile:
812 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardLassen Sie sich gesagt sein: Wenn wir unsere Wettbewerbskraft verlieren, wenn unsere Leistungskraft absinkt — natürlich immer im Verhältnis zu unseren Wettbewerbern auf dem Weltmarkt —,
werden nicht die reichen Leute die Geschädigten sein, auch nicht die Besitzer von Sachwerten, von Produktionsmitteln; wenn unsere absinkende Wettbewerbskraft auf die Beschäftigung durchschlägt, dann wird die Sicherheit ,der Arbeitsplätze gefährdet. Wenn unser 'Steueraufkommen rückläufig wird, dann frage ich Sie: Wie ist es dann um die sozialen Leistungen bestellt, die wir daraus zu decken haben?
Gerade die soziale Verantwortung vor dem deutschen Volk läßt mich das so ernst aussprechen, und Sie hätten allen Grund, mich dabei zu unterstützen, anstatt dagegen zu reden.
— Ich würde genauso sprechen, wenn 'der Bundeskanzler da säße.
— So möchte ich mich auch aufregen können wie Sie.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, es tut Ihrer Gesundheit nicht gut, wenn Sie sich so aufregen.
Meine Damen und Herren; wer die deutsche Situation vorurteilslos betrachtet, braucht nicht verzweifelt zu sein, aber der kann auch nicht verkennen, daß eine Entwicklung angestoßen wird, die wir sorgfältig beachten müssen.Im Januar und Februar hat z. B. unser Außenhandelsüberschuß — nicht so gering, wie die erste Statistik gelautet hat, in der Zolläger als Einfuhr registriert wurden — im kommerziellen Bereich mit 620 Millionen DM nur knapp die Hälfte des Überschusses des vergangenen Jahres erreicht. Deshalb brauchen wir nicht schon zu verzweifeln oder das Geschehen zu dramatisieren. Aber wenn Sie gleichzeitig bedenken und beobachten, wie unsere Ausfuhr auf den fremden Märkten immer schwieriger wird und wie gleichzeitig gerade in jenen Bereichen, in denen der Lohn- und Gehaltsanteil am Fertigprodukt hoch ist, nämlich bei kommerziellen Fertigwaren und bei Letztverbrauchsgütern, die Einfuhr gegenüber dem Vorjahr um 40 % höher liegt, dann können Sie doch nicht sagen: Das ist alles nichts.
Das ist eben schon etwas!
Ich stehe im übrigen nicht allein mit meiner Warnung und mit der Aussage, daß, wenn auch sicherlich die Produktivität — ich wiederhole es — nicht der einzige Bestimmungsgrund der Löhne ist, es nicht gut gehen kann, wenn sich eine so ungeheure Schere zwischen noch nicht einmal 4 % Produktivitätssteigerung — ich würde froh sein, wenn wir im Jahre 1962 3 % erreichen — und einer Lohn- und Gehaltserhöhung von 10 und 11 % bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung auftut. Das ist in der Zwischenzeit von der Europäischen Kommission in Brüssel festgestellt worden, das hat das Internationale Arbeitsamt in Genf festgestellt, das haben uns die Engländer bestätigt, die sich auf der einen Seite freuen mögen, wenn der Konkurrent sich etwas härter tut, aber auf der anderen Seite sagen: Die Deutschen werden dasselbe erleben, was auch wir erlebt haben.
Wir wissen ganz genau, welche Fehler rund um uns begangen worden sind, was in anderen Ländern die Währungen allmählich hat weich werden lassen. Auch die anderen wissen es genau und bekennen es: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Wir in der Bundesrepublik waren das Beispiel dafür, wie man eine gesunde und stabile Währung sichert. Aber jetzt, da die anderen zur Vernunft kommen und zu einer zuchtvollen Ordnung zurückfinden, wo sie entweder wie in Amerika für ein Jahr überhaupt auf eine Lohnerhöhung verzichten oder sich wie in England ganz bescheiden gebärden, hören wir das alles nicht; nein, wir sind jetzt geradezu besessen, alle Fehler nachzuholen, die vor uns in der Welt demonstriert worden sind.
In der Offentlichkeit wird immer von der Gefahr einer Inflation gesprochen. Meine Damen und Herren: eine Inflation im echten, im klassischen Sinne steht uns nicht bevor. Dort, wo der internationale Wettbewerb nicht spielt wie etwa in der Bauwirtschaft — darüber wird noch zu sprechen sein — oder in weiten Bereichen der Dienstleistungen, werden natürlich Überbelastungen der Kosten auf die Preise durchschlagen. Das ist aber nicht das Wesen der Inflation. Die Inflation könnte nur dann Platz greifen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, alle Kosten der Volkswirtschaft im Preis nach oben weiterzuwälzen. Aber jeder, der in der Wirtschaft einigermaßen Bescheid weiß, ist auch darüber unterrichtet, daß das für den großen Bereich der Waren und Güter überhaupt nicht mehr möglich ist. Das ist ja der Grund, weshalb die unternehmerischen Gewinne rückläufig sind. Man kann meist nicht mehr nach oben ausweichen. Die höheren Kosten drücken dann notwendig das Polster des Gewinns zusammen.Mit der Kostenabwälzung auf den Preis sind wir so ziemlich am Ende. Dazu ist der ausländische Wettbewerb zu groß. Denn mehr und mehr sinken in der EWG die Zölle überhaupt dahin, und mit den Plänen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 813
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erharddes amerikanischen Präsidenten in Richtung einer engeren atlantischen Zusammenarbeit wird von dieser Seite her noch einmal und hoffentlich sehr bald eine Bremse gesetzt werden. Das ist ja der Grund, warum ich sage: Nicht die Inflation ist die eigentliche Gefahr; nein, wenn wir nicht mehr mitkommen, wenn die anderen stärker, vernünftiger und disziplinierter sind als wir, dann wird das durchschlagen auf die deutsche Beschäftigung und auf die Sicherheit der Arbeitsplätze und über eine so gefährliche Entwicklung auch auf den Haushalt, am Ende sogar auf unsere ganzen Sozialleistungen. Es ist gut, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, das an dieser Stelle auszusprechen.
Wenn ich auch sicher alles dagegen tun werde — und wir alle, so bin ich überzeugt —, um dieses Unheil nicht über uns hereinbrechen zu lassen, dann möchte sich es doch festgelegt wissen, und so soll das eine geschichtliche Dokumentation dafür sein, daß ich rechtzeitig gewarnt habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht alles vorwegnehmen, was sicher noch Gegenstand der Diskussion sein wird. Die Bundesregierung ist sich jedenfalls des Ernstes der Situation bewußt und auch zum Handeln entschlossen. Der Bundesregierung wird immer vorgeworfen, daß sie zwar spreche, aber nicht handle und daß sie ihr wirtschaftspolitisches Instrumentarium nicht anwende. Ja, meine Damen und Herren, die aktive Konjunkturpolitik setzt natürlich auch voraus, daß sich diejenigen, die mitgesialiend an der aktiven Konjunkturpolitik sind, auch dem Ganzen unterordnen und den Prinzipien folgen, die nun einmal volkswirtschaftlich verpflichtend sein müssen, damit die Ordnung erhalten bleibt. Man kann nicht sagen: Die Bundesregierung soll aktive Konjunkturpolitik treiben, aber sie darf auf keinen Fall die Heiligkeit der Tarifautonomie, die wesentlich die Konjunkturpolitik bestimmt, antasten. Sie wissen, daß ich diesen Grundsatz immer vertreten habe, ja auch heute noch vertrete. Wir sind im Augenblick in Beratung — ohne schon die letzte Form gefunden zu haben —, ein sachverständiges Gremium, einen Sachverständigenrat einzusetzen, nicht als ein Lohngremium, sondern als eine Institution, die berufen ist, uns über alle volkswirtschaftlichen Funktionen und Zusammenhänge — Löhne, Preise, Investitionen, Spartätigkeit, Außenhandel, Handelsbilanz, Zahlungsbilanz — ein Bild zu geben und vor allen Dingen auch der Offentlichkeit vom Erkenntnismäßigen her ein Bild zu geben, auf Grund dessen dann die Bundesregierung die praktischen und politischen Folgerungen zu ziehen und mit Ihnen zu beraten hat. Das ist ein Teil des Weges, den wir zunächst einmal — sicher in allerkürzester Zeit — beschreiten werden, als erste Maßnahme.Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen ganz offen sagen: Wir werden noch einmal versuchen, unter voller Wahrung der Tarifautonomie die Dinge zu bändigen und in Ordnung zu halten. Aber ich muß mit gleicher Deutlichkeit hinzusetzen: Wenn damit wieder in den Wind gesprochen wird, wenn die gefährliche Entwicklung weiterläuft, dann ist die Aussage berechtigt, .daß die Freiheit ohne Verantwortung einfach nicht möglich ist.
Die Bundesregierung wird also in aller Kürze über eine solche Institution entscheiden.Ich glaube, gerade das, was wir in der letzten Zeit erlebt haben, ist nicht dazu angetan, darauf zu vertrauen, daß die Sozialpartner unter sich überhaupt noch einen vernünftigen und wirtschaftlich vertretbaren Ausgleich finden können. Es muß schon ein hohes Maß' an Objektivität, an Autorität, an Sachverstand und an Integrität der Persönlichkeiten mit in die Waagschale geworfen werden, um wirklich Nützliches zu leisten.Dann erbittet die Bundesregierung vom Hohen Hause, daß im Haushaltsgesetz durch die Einfügung eines neuen § 8 entsprechend größere Vollmachten gewährt werden, dergestalt, daß die Mittel für neue und für die Fortführung begonnener Baumaßnahmen in Höhe von 20 % des Jahresansatzes gesperrt werden. Davon kann es Befreiungen geben, wenn die Auswirkungen bis zur vollen Höhe der Jahresansatzes volkswirtschaftlich unbedenklich erschienen.Außerdem erbittet die Bundesregierung eine Vollmacht, daß, soweit die Sicherung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts es erfordert, Mittel für bestimmte Ausgabetitel oder für Gruppen von solchen auch dann gesperrt werden dürfen, wenn die Ausgaben aus durch Gesetz zweckgebundenen Einnahmen zu leisten sind. Es handelt sich nicht etwa um eine Streichung der .Mittel, sondern nur um eine Sperrung der Mittel, um durch eine Streckung dafür zu sorgen, daß von dieser Seite her der Baumarkt nicht noch einmal und immer weitere künstliche Überhitzungen erfährt. Wir haben uns über dieses Thema schon oft unterhalten und glauben, daß wir etwas Entscheidendes tun müssen. Sie wissen, daß ich gerade in diesem Falle die Bauwirtschaft anspreche, die die Aussage wagte, daß, wenn die Bundesregierung etwa daran denke, die Nachfrage nach Bauleistungen zu verkürzen — allerdings gegen alle volkswirtschaftliche Vernunft —, sie dann unter Umständen auch mit steigenden Preisen rechnen müsse. Ich gebe Ihnen in diesem Falle gern zu, daß die Baupreissteigerungen von jährlich 8 bis 10 °/o nicht auf die Lohnerhöhungen zurückzuführen waren, mindestens nicht auf die Tariflöhne, sondern höchstens auf Abwerblöhne. Aber worauf sind sie dann zurückzuführen? Darauf, daß wir in dieses schon volle Faß immer noch mehr hineingegossen haben. Man braucht ja nur durch die Straßen zu gehen: an jedem dritten Bau arbeitet einer; die anderen stehen leer.
Diese Übernachfrage kann man meiner Ansicht nach nicht bändigen durch Lizenzierung — wer soll das machen, und wie soll das geschehen? —, sondern nur, indem man den Hahn zudreht;
,das muß man machen.
Im übrigen wird die Vollmacht im § 8 des Haushaltsgesetzes auch nach der Richtung hin erbeten,
Metadaten/Kopzeile:
814 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erharddaß § 19 zweiter Satz des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in der Fassung vom 1. August 1961 im Rechnungsjahr 1962 keine Anwendung findet. Das bedeutet praktisch, daß der Wohnungsbauminister nicht gehalten ist, die im Gesetz vorgesehenen Mittel jeweils bis zum Dezember eines Jahres voll zu verausgaben, sondern auch hier zu strecken und zu dosieren, damit nicht durch den Überdruck von der Nachfrageseite her die Preise hochgetrieben werden. Das Bewußtsein allein, daß die Mittel ungehemmt fließen und man sich ausrechnen kann, was das im einzelnen an Bauleistung bedeutet, läßt die Entartungen auf dem Baumarkt zusammen mit den Preissteigerungen fortbestehen.Meine Damen und Herren, wir legen den größten Wert darauf, auf diesem Felde mit den Ländern fruchtbar zusammenzuarbeiten. Die Bundesregierung wird die Ministerpräsidenten der Länder einladen, um zu erreichen, daß auch die Länder in bezug auf die Haushaltsgebarung, d. h. die Verausgabung 'der Mittel für Bauleistungen, sich den Maßnahmen und den Prinzipien der Bundesregierung anschließen. Man wird in geeigneter Form dann auch darauf drängen müssen, daß bei den Gemeinden ein gleiches Verhalten Platz greift.
Die Bundesregierung ist jedenfalls entschlossen, wie viel oder wenig auch in ihrer Hand liegt, im Rahmen der eigenen Mittel das zu tun, ein gutes Beispiel dafür zu geben, was für die ganze Volkswirtschaft und das öffentliche Leben Verpflichtung sein muß: nämlich Maß zu halten und das Rechte zu tun. Bahn und Post werden sich selbstverständlich diesem Gebaren anschließen.Meine Damen und Herren, wir wollen ides weiteren über § 7 b und die Nichtwiedereinführung des § 7 c auch von dieser Seite her Dämpfungen wirksam werden lassen. Hinsichtlich ides § 7 b haben wir die Vorstellung, daß er in Zukunft nur noch für Eigenheime und Eigentumswohnungen angewandt werden darf. Darüber hinaus besteht die Absicht, eine ganze Reihe von Baumaßnahmen überhaupt zu verbieten, und zwar nicht nur im öffentlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Sektor. Das sind also alle Bauten für Repräsentationszwecke, für Bürozwecke, für Ausstellungszwecke, für Unterhaltung. Die Liste kann im einzelnen vielleicht noch ergänzt werden. Es soll verboten sein, bis zum Ende dieses Jahres überhaupt einen solchen Bau zu beginnen oder auch einen kaum begonnenen Bau weiterzuführen.
Nun ist die Frage gestellt worden, welche Wirkung das auf den Wohnungsbau und insbesondere auf den sozialen Wohnungsbau haben wird. Die Frage ist sehr leicht zu beantworten. Wenn wir eine ganze Reihe von Bauten vorübergehend verbieten und wenn wir im übrigen auch in der Richtung der Vergabe der Mittel der öffentlichen Hand beim Bund, bei den Ländern und den Gemeinden zurückstecken — wie ich gesagt habe, um 20 % —, dann ist es an sich selbstverständlich, daß die vorhandene Baukapazität, die wir nicht einschränken, sondern hundertprozentig bzw. optimal ausnützen wollen, wesentlich für den Wohnungsbau bereitsteht. Wir wollen nur erreichen, daß man sich nicht Illusionen hingibt, man könnte, weil das Tabu des steuerbegünstigten Wohnungsbaus im Felde steht, 150 % der Kapazität auslasten. Das kann man nicht. Wir können von der Baukapazität etwas wegnehmen für die Zwecke, die nicht vorrangig, volkwirtschaftlich dringlich und sozial wichtig sind, und damit schaffen wir etwas mehr Luft. Wenn wir damitgleichzeitig von der Nachfrageseite hier eine gewisse Zurückhaltung, eine Dämpfung, eine Streckung erreichen, dann werden wir, so glaube ich, vor allen Dingen auch dem sozialen Anliegen hinsichtlich der Fortführung des Wohnungsbaues gerecht werden.Warum tun wir das denn alles? Wir wollen unter allen Umständen mit solchen Maßnahmen die Währung stabil erhalten. Wir wollen auch den Sparer und nicht zuletzt den Bausparer sichern, und wir wollen dafür sorgen, daß nicht durch fortlaufendes Treiben der Preise in der Bauwirtschaft, für Bauleistungen die Mieten von morgen und von übermorgen naturnotwendig immer höher werden müssen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist überhaupt notwendig — jedenfalls ist es der Wille der Bundesregierung, dafür zu sorgen —, daß in diesem Jahre 1962 keine neuen Belastungen auf den Bundeshaushalt zukommen. Ich habe mich besonders darüber gefreut, daß bei der Einbringung des Haushalts von allen Seiten darauf hingewiesen worden ist, daß es eigentlich die gute Ordnung wäre, die Ausgaben jeweils am Anfang eines Haushaltsjahres zu beschließen und dann, abgesehen natürlich von Ausnahmen wie der Flutkatastrophe oder Berlin, endgültig Schluß zu machen. Meine Damen und Herren, Sie kennen die Lage des Bundeshaushalts. Sie wissen, daß mit der Flutkatastrophe. und mit Berlin — und das ist noch nicht einmal alles — neue Ausgaben auf uns zukommen. Angesichts dieser Situation, angesichts der erstrangigen Aufgabe, unsere Währung zu schützen —.denn Haushaltsdefizite sind immer der Anfang der Währungszerrüttung gewesen; jede klassische Inflation nimmt ihren Anfang von ungedeckten Haushalten aus —, kann man von uns nicht verlangen, daß wir Geld ausgeben, das wir nicht haben. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit; das wäre unverantwortlich.Niemand soll uns unterstellen, daß wir für die Bediensteten im öffentlichen Dienst, seien es Beamte, seien es Angestellte oder Arbeiter, kein Verständnis aufbrächten. Wir wissen auch, daß diese Menschen an dem allgemeinen Fortschritt, an der Erhöhung der Produktivität und der höheren Leistungskraft der Volkswirtschaft teilhaben sollen. Aber gerade wenn andere die Volkswirtschaft überfordern, wird eben der Topf allmählich leer; wir müssen neue und bessere Ausgleiche finden. Wir wollen bis zum Ende dieses Haushaltsjahres in Kommissionen und mit Sachverständigen einmal sorgfältig prüfen, wie es überhaupt mit der Zuordnung und den richtigen Beziehungen zwischen den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 815
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Bediensteten im öffentlichen Dienst, zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern, steht. Wir wollen eine einheitliche Besoldungsordnung für Bund, Länder und Gemeinden erreichen. Wir müssen unseren Haushalt für das Jahr 1963 überblicken können — und dazu gehören auch Fragen des Finanzausgleichs —, um uns dann auf sicherer Grundlage mit den Bediensteten im Bund — bei den Ländern wird sich die Sache ähnlich darstellen — zu unterhalten und zu beraten, was möglich ist.
Meine Damen und Herren, niemand zeihe uns da einer unsozialen Gesinnung gegenüber unseren Bediensteten! Ich würde glücklich sein, wenn wir zu einer volkswirtschaftlichen Regelung finden könnten, die alle Teile unseres Volkes in gerechter Weise an dem möglichen Fortschritt teilhaben läßt, bei der nicht die einen vorausspringen und die anderen nachhinken, aber natürlich gleichziehen wollen. Damit aber wird dann das volkswirtschaftliche Gleichgewicht gesprengt.Meine Damen und Herren, was mir vor allem am Herzen lag, habe ich gesagt. Ich bedauere, daß Sie das als einen Angriff auf sich auffassen.
Ich habe genug Angriffe über mich ergehen lassen, das wissen Sie sehr wohl.
Jeder Wurm krümmt sich bekanntlich, wenn er getreten wird.
Ich gehöre zwar einer christlichen Partei an, aber die Nächstenliebe geht nicht so weit, daß ich die Backe hinhalte und nicht zurückschlage.
Ich glaube, dieses Thema ist ernst genug. Hoffentlich werden wir nicht in den nächsten Jahren an diese Stunde erinnert. Dann wird das deutsche Volk sicher kein Verständnis haben, wenn man in einer solchen Situation so ernste und im sozialen Interesse wohlgemeinte Worte in den Wind geschlagen und zum Schauplatz einer billigen parteipolitischen Propaganda gemacht hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es aufrichtig, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute die Gelegenheit nicht dazu benutzt hat, neue Argumente zu der sehr wichtigen Diskussion beizutragen, in der wir heute stehen;
kein einziges neues Argument gegenüber seiner Fernsehrede haben wir heute gehört. Vor allen Dingen, meine Damen und Herren, hätten wir heute erwartet, daß der Bundeswirtschaftsminister mindestens diese Bundestagssitzung dazu benutzt hätte, zu einer Versachlichung dieser wichtigen Probleme beizutragen.
Lassen Sie mich die Gelegenheit auch dazu benutzen, eine allgemeine Bemerkung vorauszuschikken über das sehr billige Eigenlob, dessen sich der Bundeswirtschaftsminister und seine Fraktion bezüglich der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder zu bedienen pflegen.
— Warten Sie doch ab, was ich sage. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, es liegen seit Jahren einwandfreie Ziffern über das wirtschaftliche Wachstum der anderen großen europäischen Länder vor, die einwandfrei nachweisen, daß mindestens in den letzten sechs Jahren der Aufstieg in der Bundesrepublik in nichts größer gewesen ist als in anderen Ländern, z. B. als in Frankreich und in Österreich.
— Natürlich von einer anderen Ausgangsbasis aus. Aber vergessen Sie nicht die großen Zerstörungen auch in diesen Ländern, und vergessen Sie bitte nicht, lieber Herr Vogel, daß die deutsche Bundesregierung im Fleiß und in der Sparsamkeit des deutschen Menschen eine ganz besondere Hilfe zur Verfügung hatte!
Lassen Sie mich nun ein paar Worte zu der Fernsehrede des Bundeswirtschaftsministers sagen.
— Ich habe ja eben gesagt, daß sie uns gegenüber der Fernsehrede nichts wesentlich Neues gebracht hat. Selbstverständlich werden wir auch auf diese Rede hier eingehen. Wir haben sehr dringend darauf gewartet, daß sie uns etwas Neues bringen würde, aber wir sind sehr bitter enttäuscht worden. Die Fernsehrede war, wenn man sie zurückhaltend beurteilt, ungewöhnlich, ja, bestürzend in mehrfacher Hinsicht, insbesondere in bezug auf die sehr primitive und einseitige Argumentation. Wir stellen daher die Frage: war die Rede in Inhalt und Form mit dem Herrn Bundeskanzler abgesprochen, und wird der Inhalt dieser Rede auch von ihm vertreten?
Metadaten/Kopzeile:
816 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
KurlbaumDas interessiert uns, weil der Bundeskanzler bekanntlich die Richtlinien der Politik zu bestimmen hat.
— Auch in der Wirtschaftspolitik gelten wohl die Richtlinien der Politik!
Oder hat vielleicht der Bundeswirtschaftsminister nur die Abwesenheit des Bundeskanzlers benutzen wollen, um seine
— werden Sie doch nicht so nervös, meine Herren! — angesichts mancher Handlungen des Bundeskanzlers zweifelhaft gewordene Fähigkeit, selbständig zu handeln, vor der Offentlichkeit unter Beweis zu stellen?
Wir stellen eine zweite Frage: warum hat der Herr Bundeswirtschaftsminister seine Kassandrarufe, die uns so völlig neu an ihm sind, seine Warnungen, seine Anklagen nicht hier im Bundestag vorgetragen, der in den gleichen Tagen tagte, als er, vor zwei Wochen, seine Fernsehansprache hielt? Was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute als Entschuldigung dafür vorgebracht hat, daß er nicht zuerst hier ins Parlament gekommen ist, war wenig überzeugend. Was die von ihm aufgeworfene Frage einer Unterjochung durch die Kollektive mit diesem Bundestag hier zu tun hat, vermag ich nicht zu verstehen.
Schließlich möchten wir fragen: was hat den Bundeswirtschaftsminister zu dieser übereilten Flucht in die Offentlichkeit veranlaßt, bevor er auch nur einen ernsten Versuch gemacht hat, von seinen vielfältigen Möglichkeiten als Bundesminister für Wirtschaft, als Vorsitzender des Wirtschaftskabinetts und als Vizekanzler Gebrauch zu machen, um mit den anstehenden Problemen zunächst einmal selbst fertig zu werden.
Was er selbst dazu getan hat, darüber werden wir sehr eingehend zu sprechen haben.Inzwischen ist allgemein erkannt worden, daß eine sachliche Diskussion, z. B. unter Hinzuziehung der drei Fraktionen hier im Bundestag, in den Ausschüssen, der Lösung der Probleme viel förderlicher gewesen wäre als die Fernsehrede des Bundeswirtschaftsministers, die die Sachlage und die Probleme in unverantwortlicher Weise vereinfacht und verzerrt hat.
Was soll man zu solchen Hinweisen sagen, wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister in Siegen gegeben hat, er beziehe keine Dividenden und keine Tantiemen? Hat der Bundeswirtschaftsminister wirklich keine besseren Argumente gegen seine wirtschaftspolitischen Gegner? Oder möchte er diese Argumentation nur verwenden, um sich als Nachfolger des Bundeskanzlers bei Lieschen Müller zu empfehlen?
Was, meine Damen und Herren, war nun der geringe substantielle Inhalt der Rede des Bundeswirtschaftsministers im Fernsehen und auch seiner Rede heute?
Er hat davon gesprochen, es gelte, dem von seinen Gegnern — bitte hören Sie genau zu! — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Redner.
Der Bundeswirtschaftsminister hat davon gesprochen, es gelte, dem von seinen Gegnern verbreiteten Irrwahn zu entfliehen, ein Volk könne mehr verbrauchen, als es erzeugen könne und erzeugen wolle.
Meine Damen und Herren, das wäre in der Tat ein Irrwahn.
Gibt es einen vernünftigen Menschen, der an so etwas glaubt?
Meine Damen und Herren, diese Methode der Unterstellung, diese Methode, sich etwas offensichtlich Unsinniges auszudenken und dies dann seinem Gegner als Absicht zu unterstellen, gehört in ein sehr schlechtes Inventar der Propaganda aus der Vergangenheit!
Meine Damen und Herren, wie steht es nun wirklich mit dem Verbrauch in der Bundesrepublik im Vergleich zu den anderen großen Industrieländern des Westens? Im Jahre 1960 — das ist das letzte Jahr, für das uns internationale Vergleichsziffern zur Verfügung stehen — betrug der Anteil des Privatverbrauchs in der Bundesrepublik 57 %. Auch im Jahre 1961 hat sich das noch nicht geändert. Dem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 817
KurlbaumSatz von nur 57 % Verbrauch vom Sozialprodukt hier in der Bundesrepublik stehen die Ziffern von 64 % in USA, 65 % in Frankreich und 66 % in Großbritannien gegenüber. Wenn der Anteil — das ist eine rein theoretische Überlegung — des Privatverbrauchs in der Bundesrepublik um diese durchschnittliche Differenz von 8 % gesteigert werden könnte und würde, dann würde das einen Spielraum von 25 Milliarden DM Verbrauch pro Jahr ergeben.
— Es ist sehr lange vergangen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Auch wenn der sogenannte Staatsverbrauch hinzukommt, ändert sich das Bild nicht wesentlich.Entscheidend — meine Damen und Herren, beschäftigen Sie sich doch ruhig einmal mit diesen Ziffern — ist der hohe Anteil der Investitionen und damit, wie wir alle wissen, die wir die Mechanik der Marktwirtschaft kennen, auch weitgehend der hohe Anteil der Unternehmergewinne am Sozialprodukt der Bundesrepublik. Der hohe Anteil der Investitionen in der Bundesrepublik bewegt sich noch immer zwischen 26 und 27 % gegenüber dem Anteil in den anderen drei Ländern von 17 bis 19 %.
Meine Damen und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch: auch die Sozialdemokratische Partei ist sich der Bedeutung der Investitionen für den zukünftigen Fortschritt in der Wirtschaft bewußt. Aber es ist eine Frage der Quantitäten, ob es wirklich richtig ist,
diese großen Unterschiede aufrechtzuerhalten. Seien wir uns bewußt — das wird der Bundeswirtschaftsminister auch selbst wissen —, eine so hohe Investitionsrate, ein solches Übermaß an Investitionen birgt auf die Dauer auch große Gefahren für gefährliche Rückschläge in sich. Das ist zweifellos ein Argument, das auch berücksichtigt werden muß.Mit diesen sehr einfachen Ziffern ist hoffentlich die Legende von einer ernsten Gefahr einer Übersteigerung des Verbrauchs im ganzen in der Bundesrepublik mindestens für die nächsten Jahre in der öffentlichen Diskussion erledigt.
Kümmern Sie sich einmal um diese Ziffern! Im übrigen muß man sich wirklich fragen: war sich der Herr Bundeswirtschaftsminister bei seiner Rede nicht bewußt, daß er durch seine Darstellung unsere westlichen großen Partner wiederum geradezu aufgefordert hat, neue finanzielle Forderungen an uns zu stellen?
Wäre es dagegen nicht sehr viel sinnvoller gewesen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sichan andere gewandt hätte, nämlich an jene kleineMinderheit des deutschen Volkes, die insbesondere im Ausland auf Kosten der von ihnen vertretenen Unternehmungen und Verbände und dank unserer lässigen Steuergesetzgebung weitgehend zu Lasten aller Steuerzahler ein aufreizend luxuriöses Leben führt?
Wäre das nicht sehr viel besser gewesen, als das deutsche Volk, das nach wie vor in seiner überwältigenden Mehrheit fleißig und sparsam ist, im ganzen in Verdacht zu bringen?Und wie steht es nun mit dem zweiten wesentlichen Gegenstand der Diskussion, wie steht es mit der angeblich bedrohten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft? Manche erinnern sich heute nicht mehr gern daran, daß es noch um die Wende der Jahre 1960 und 1961 eine unserer größten Sorgen war, unseren jahrelang anhaltenden Exportüberschuß abzubauen, der ein Ärgernis unserer westlichen Handelspartner war, deren Devisenreserven sich bei der Bundesbank anhäuften, denselben Exportüberschuß, der nach übereinstimmender Meinung aller Sachverständigen einen ständigen Beitrag zu unserer schleichenden Geldentwertung geliefert hat.Schon lange vor der Aufwertung hat die Bundesbank immer wieder an die Bundesregierung appelliert, ihre Bmühungen um die Erhaltung der Kaufkraft der D-Mark und um die Dämpfung der Überkonjunktur durch konjunkturpolitische Maßnahmen, insbesondere auf finanzpolitischem Gebiet, zu unterstützen. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hat dazu in einem Gutachten vom Januar 1960, das gerade in dieser Zeit der lebhaftesten Diskussion dieser Fragen der deutschen Offentlichkeit drei Monate- vorenthalten wurde und das mit den Worten „In ernster Sorge um die Entwicklung der Konjunktur in der Bundesrepublik" beginnt, ausdrücklich festgestellt, daß eine antizyklische Finanzpolitik unerläßlich sei.Meine Fraktion hat schon seit Jahren, im Jahre 1960 sogar in kurzen Abständen in den Haushaltsberatungen und bei anderen Gelegenheiten im April, im Juli und zum letztenmal im Oktober im Bundestag immer wieder gefordert, die Bundesregierung möge das Ruder der Konjunkturpolitik endlich in ihre Hand nehmen. Die SPD-Fraktion hat im Herbst 1960 in einer Pressekonferenz ein Bündel von Vorschlägen zur Dämpfung des Preisauftriebs und der schleichenden Geldentwertung vorgelegt. In unseren Vorschlägen war die Aufwertung nicht vorgesehen, dafür aber andere gleichwertige Maßnahmen mit dem Vorteil der Möglichkeit einer nachträglichen Abschwächung oder einer nachträglichen Verstärkung.
— Eine Maßnahme aus diesem Bündel war eine Maßnahme innerhalb des Umsatzsteuersystems bei der Einfuhr und Ausfuhr. — Wieviel besser könnten wir uns heute und in Zukunft der Entwicklung anpassen, wenn man damals den von der SPD vorgeschlagenen Weg gegangen wäre! Damals, im Herbst 1960, wichen die Bundesregierung und die CDU/
Metadaten/Kopzeile:
818 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
KurlbaumCSU-Fraktion unter dem Druck der Wirtschaftsverbände zurück und unterließen es entgegen dem ausdrücklichen Rat der Bundesbank, der Wissenschaftlichen Beiräte und der SPD-Fraktion wirksame Maßnahmen zu ergreifen.Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Berg, konnte damals in der deutschen Offentlichkeit erklären, es bedürfe nur seiner Intervention beim Herrn Bundeskanzler, um die Pläne des Bundeswirtschaftsministers vom Tisch zu fegen.
Meine Damen und Herren, wir haben das bis heute noch nicht vergessen.Erst im März 1961 schritt die Bundesregierung unter dem Druck der öffentlichen Meinung und des Auslands viel zu spät zur Aufwertung. Der eigentliche Grund war, daß die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister offensichtlich nach einem Weg suchten, den sie gehen konnten, ohne auf die Mitwirkung der Mehrheit des Bundestages angewiesen zu sein.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und alle Sachverständigen haben schon seinerzeit er-. klärt: die Aufwertung ist kein Allheilmittel und besonders ungeeignet, die gefährlichen Preissteigerungen am Baumarkt zu bremsen. Zu den speziellen. Problemen am Baumarkt wird sich nachher noch ein anderer Sprecher meiner Fraktion äußern. Aber auch dieser Rat wurde in den Wind geschlagen. Leider blieben auch die mit der Aufwertung angekündigten Preissenkungen aus. Im Gegenteil, in den letzten 12 Monaten stiegen die Lebenshaltungskosten und die Einzelhandelspreise um 4 %, der Preisindex für Wohngebäude sogar um 10 %. Noch heute ist die Lage nach einer jahrelangen ergebnislosen Diskussion am Baumarkt keineswegs gemeistert.Lassen Sie mich — mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten — Ihnen einige Zeilen aus der „Süddeutschen Zeitung" vorlesen, die Herr Dr. Slotosch in der Nummer vom 3. April auf der ersten Seite geschrieben hat. Herr Dr. Slotosch ist als ein überzeugter Marktwirtschaftler bekannt und steht gewiß nicht im Verdacht, Sozialdemokrat zu sein. Er schreibt folgendes:Was aber, so muß man sich fragen, hat Professor Erhard eigentlich erwartet? Konnte man im Ernst damit rechnen, daß sich die Beteiligten anders vermalten würden, als es den Grundprinzipien einer freien Marktwirtschaft entspricht? Sollten die Gewerkschaften weniger Lohn verlangen, als die Arbeitgeber ohnehin zahlten? Sollten die Bauunternehmer auf' Gewinne verzichten, die ihnen der Markt anbot, die ihnen von den Bauherrn manchmal geradezu aufgedrängt wurden?Ich füge ein: z. B. von der Bauabteilung des Bundesverteidigungsministeriums.
Schließlich ist die rapide Erhöhung der Baupreise — damit kommt Herr Slotosch zum Wesentlichen —ein Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Weraber ist für die übergroße Nachfrage auf demBaumarkt verantwortlich? Doch nicht etwa dieBauarbeiter oder die Baufirmen! Sie ist dochwohl auch das Resultat der Wirtschaftspolitik.Damit kommt Herr Dr. Slotosch zu dem eigentlichen Problem: die Kausalkette ist nicht, wie Sie es immer darzustellen belieben, Löhne—Preise, sondern die Kausalkette beginnt mit der übergroßen Nachfrage; sie wirkt auf ,die Preise und schließlich auch auf die Löhne. Mit dieser übergroßen Nachfrage sollte und muß sich die Bundesregierung befassen, wenn sie ihre wirtschaftspolitischen Aufgaben ernst nimmt. Das ist der Ausgangspunkt des ganzen Übels.Damit kommen wir zu der Gretchenfrage, die wir bezüglich der Wirtschaftspolitik in aller Form an die Bundesregierung richten müssen: Ist die Bundesregierung bereit, anzuerkennen, was Bundesbank, Wissenschaftliche Beiräte und wirtschaftswissenschaftliche Institute zusammen mit der Opposition schon seit Jahren vertreten, nämlich daß eine Marktwirtschaft nicht einfach sich selbst überlassen werden kann, wenn man nicht die Gefahr — bitte, hören Sie genau hin — eines ständigen Wechsels von Zeiten schnell steigender Preise mit Zeiten gefährlicher Rückschläge in Kauf nehmen will, Gefahren, denen eine soziale Demokratie sich nicht aussetzen darf und für deren sofortige wirksame Bekämpfung die Bundesregierung die volle Verantwortung trägt?Die Behandlung dieser Frage in einem angesehenen Blatt wie der „Süddeutschen Zeitung" zeigt, wie stark sich die Bundesregierung mit ihrer konjunkturpolitischen Inaktivität in Widerspruch nicht nur zu Sachverständigen und Wissenschaftlern, sondern nunmehr auch zur öffentlichen Meinung befindet.
,
Bundesregierung und Bundeswirtschaftsminister trifft die volle Verantwortung dafür, daß in ihrer über zwölfjährigen Amtszeit keine konjunkturpolitischen Maßnahmen in ausreichender Auswahl für die zu erwartenden Gefahrenfälle vorbereitet, geschweige denn angewendet worden sind.
— Das kann ich aufrechterhalten. Darüber werdenwir nachher diskutieren. Das einzige war die Aufwertung; die können Sie aber nicht wiederholen.Offensichtlich ,ist die Bundesregierung nur bereit, in einer sehr unverbindlichen Form auf diesem Gebiet eine Verantwortung zu übernehmen. Lassen Sie mich — mit 'Einverständnis des Herrn Präsidenten — ein paar Sätze aus dem Sonderheft vorlesen, das der Bundeswirtschaftsminister im Februar 1960 herausgegeben hat.
— Da wir gewohnt sind, daß Sie auf unsere Argumente nicht hören, auch wenn sie sachlich richtig sind, trage ich Ihnen die gleichen Argumente vor, wie sie aber von der anderen Seite vorgebracht werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 849
KurlbaumEs heißt in diesem Blatt — bitte, beachten Sie das —:Wenn die verantwortliche wirtschaftspolitische Instanz ein Orientierungsbudget veröffentlicht, erklärt sie damit unausgesprochen, daß sie die aufgezeigte Entwicklung unter Abwägung aller Gesichtspunkte als die erstrebenswerte anerkennt. Sie riskiert, daß ihr selbst unvermeidbare Abweichungen von dieser Entwicklung als Unfähigkeit zur Last gelegt werden.Diese Darstellung zeigt deutlich, in wie begrenztem Maße Idas Bundeswirtschaftsministerium bereit ist, eine exakt definierte Verantwortung für exakt definierte Ziele zu übernehmen. Das ist der entscheidende Punkt.Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon im Juni 1956 einen Gesetzentwurf zur Förderung des stetigen Wachstums der Gesamtwirtschaft eingebracht, der schon damals weitgehend im Einklang mit den Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium stand. Leider ist der Gesetzentwurf damals in diesem Hause nicht über die erste Lesung hinausgekommen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich entschlossen, diesen Gesetzentwurf in Kürze wieder einzubringen. Sein wesentlicher Inhalt 'ist: die Bundesregierung erhält die gesetzliche Pflicht, mindestens jährlich einmal einen Bericht zur wirtschaftlichen Lage vorzulegen, und zwar rückwirkend für das vergangene Jahr in Form einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und vorausschauend für das kommende Jahr in Form eines Nationalbudgets. Dieses Gesetz soll die Bundesregierung zwingen, anhand exakter volkswirtschaftlicher Daten über Entwicklung, Erfolg oder Mißerfolg des vergangenen Jahres dem Bundestag, sich selbst und der Offentlichkeit Rechenschaft zu geben.Weiter soll das dazu führen, daß die Bundesregierung gezwungen wird, über die zukünftige Entwicklung nicht nur in Allgemeinplätzen zu sprechen, sondern zahlenmäßige Vorstellungen über die Entwicklung und die Ziele des kommenden Jahres und über die von ihr geplanten zweckmäßigen Maßnahmen zu entwickeln.Zur laufenden Erörterung aller grundsätzlichen volkswirtschaftlichen Probleme — ich betone: aller Probleme, nicht etwa nur der Lohnprobleme — soll ein unabhängiger Wissenschaftlicher Beirat gebildet werden. Ihm soll der Jahresbericht der Bundesregierung zur Stellungnahme vorgelegt werden.Seien wir uns klar darüber: volkswirtschaftliche Bilanzen und Nationalbudgets können politische Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestages nicht ersetzen, sondern nur vorbereiten. Die letzte Voraussetzung für eine aktive Wirtschaftspolitik ist, daß Bundestag und Bundesregierung endlich erkennen, daß sie in erster Linie die volle Verantwortung für ein stetiges Wachstum unserer Wirtschaft tragen. Diese Verantwortung können Sie keineswegs auf Gewerkschaften und Unternehmerverbände abwälzen.
Beide müssen mitarbeiten, darin stimme ich mit demHerrn Bundeswirtschaftsminister überein. Ein gutesKlima für eine solche Zusammenarbeit ist dringend notwendig. Die Schaffung dieses guten Klimas ist Aufgabe auch der Bundesregierung.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist bereit, ihren Beitrag für diese Zusammenarbeit zu leisten. Wir haben immer noch die Hoffnung, daß auch der Bundeswirtschaftsminister bereit ist, hierzu einen positiven Beitrag zu leisten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kurlbaum, es ist für mich ein immer noch ungelöstes Rätsel, weshalb fast jeder sozialdemokratische Sprecher hier mit einer Zensur für den Vorredner beginnt. Aber einstweilen tröste ich mich damit, — —
— Gut, meine Damen und Herren, Sie haben sehr wohl eine Zensierung des Herrn Bundeswirtschaftsministers vorgenommen. Ich zweifle nicht daran, daß der Redner, der nach mir sprechen wird, in gleicher Weise mit mir verfahren wird.
Wir hüten uns sehr bewußt .davor, so etwas zu tun. Aber ich freue mich, meine Damen und Herren, daß einstweilen die Zensur 'für den Bundeswirtschaftsminister aus Ihren Reihen noch nicht sehr gut ausgefallen ist.Im übrigen, Herr Kurlbaum, haben Sie wieder — auch das ist bei Ihnen üblich — ein umfangreiches Zitaten- und Zahlenspiel aufgeführt. Es ist uns aufgefallen, daß Sie wie üblich, die Ausgangsbasis sehr stark außer acht gelassen haben und daß Sie sehr global über Investitionen gesprochen und nicht bedacht haben, was z. B. alles an Maßnahmen auf dem Gebiete des sozialen Wohnungsbaus auch noch dahintersteckt.Dann noch ein Weiteres, das immer wieder in Ihren Reden vorkommt. Sie sprechen vom Fleiß des deutschen Volkes und stellen ihn in Gegensatz zu der Regierungspolitik. Nein, meine Damen und Herren, das ist es doch gerade, daß wir auf den Fleiß des deutschen Volkes bauen konnten und daß das deutsche Volk weiß, daß sich dieser Fleiß dank unserer Politik gelohnt hat! Darum ist 'der Bundeswirtschaftsminister so populär!
Ein weiteres! Sie haben hier einige Anregungen gegeben und sind darauf zu sprechengekommen, daß man sich mehr um die Ursachen der Übernachfrage kümmern sollte. Herr Kurlbaum, ich stimme Ihnen darin zu und werde gleich noch im einzelnen darauf zurückkommen.Ich darf noch eine allgemeine Bemerkung machen. Ich finde es sehr schön, daß wir wieder in die Leidenschaften der alten Debatten vor mehr als sechs
Metadaten/Kopzeile:
820 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
SchmückerJahren zurückgekommen sind. Seitdem wir Vollbeschäftigung oder gar Überbeschäftigung hatten, wurden die wirtschaftspolitischen Debatten zeitweilig wie das die Besetzung des Hauses jeweils zeigte, reichlich langweilig. Aber wir haben uns nie eingebildet, daß mit der Erreichung der Vollbeschäftigung, vor allen Dingen mit dem Eintritt in die Überbeschäftigung, alle Sorgen beseitigt sein würden. Wir haben auf diese Sorgen innerhalb und außerhalb dieses Hauses immer wieder hingewiesen. Meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie denn vergessen, welche konjunkturpolitischen Debatten wir bereits in diesem Bundestag, in diesem Hause geführt haben? Ist Ihnen nicht mehr die sehr eindringliche Rede des Herrn Bundesfinanzministers in Erinnerung? Diese sehr eindringliche Rede hat es offenbar nicht vermocht, uns in dem notwendigen Maß aus der Ruhe zu bringen.Darum begrüßen wir es, daß der Herr Vizekanzler am 21. März Gelegenheit genommen hat, sich an das gesamte deutsche Volk, nicht, wie Herr Brenner gespottet hat, „an mein Volk" zu wenden. Seitdem haben wir das Gespräch, haben wir die Diskussion, die wir brauchen, die Diskussion, die hoffentlich dahin führt, daß jeder einsieht, daß maßgehalten werden muß. Wir wollen es aber nicht zulassen, daß diese Rede, die Herr Erhard im Fernsehen gehalten hat, in ihrem Sinn verkehrt und ausgelegt wird als ein einseitiger Angriff gegen die Tarifpartner oder gar gegen die Gewerkschaften.Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, nach dem Prinzip der Strichliste auszurechnen, wie die Paritäten gewahrt worden sind. Herr Erhard, ich kann Ihnen nur ein Kompliment machen. Sie haben wirklich fast mathematisch genau alle Seiten in gleicher Weise angesprochen. Wenn nun einige der Angesprochenen besonders laut reagieren, ist das allenfalls psychologisch interessant, hat aber mit den Ausführungen von Herrn Erhard unmittelbar nichts zu tun.
— Nein, ich habe gerade eben festgestellt, Herr Erler, daß Sie, wenn Sie die Rede untersuchen, mir recht geben werden, daß sich Herr Erhard bemüht hat, alle Seiten in gleicher Weise anzusprechen. Ich will mir meinerseits ebenfalls die Mühe geben, das in gleicher Weise zu tun. Die Reaktion ist jedenfalls psychologisch interessant gewesen. Gerade Ihr Nachbar zur Linken, Herr Kollege Ollenhauer, triumphierte, 'daß wir vor den Trümmern unserer Wirtschaftspolitik stünden, und verriet so etwas wie Heimweh nach der Vor-Godesberger Zeit.
Die Tariffragen sind sicherlich sehr wichtig, sie haben einen großen Anteil, und ich meine, man sollte es nicht zulassen, daß hier nach dem Prinzip: Nehmt, was ihr kriegen könnt, sowohl bei den Gewinnen wie bei den Löhnen, gehandelt wird; denn jeder, 'der nicht Maß hält, betrügt sich 'schließlich selber. Uns allen passiert es doch in unseren Versammlungen, 'daß wir von der Bevölkerung gut gemeinte, aber nicht durchführbare Vorschläge bekommen. Einer 'dieser Vorschläge ist immer wieder der, 'daß wir Preise und Löhne einfach gesetzlich festlegen sollten. Das geht nicht. Aber das Anliegen der Bevölkerung wird hierbei doch klar. Wenn wir die Tarifhoheit als ein Stück unserer Demokratie verteidigen, dann müssen wir — wie im gesamten demokratischen Leben — fordern, daß hier keine Radikalisierung Platz greift; sonst gerät die Demokratie oder dieser ihr wichtiger Teil in Gefahr.Da der Bundeswirtschaftsminister alle und damit auch uns angesprochen hat, sollten wir fragen, welche Möglichkeiten für uns bestehen. Eine dieser Möglichkeiten ist das sogenannte unabhängige Gremium. Herr Kurlbaum hat mit einigem Recht auf 'den sozialdemokratischen Antrag verwiesen, 'der eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vorschlägt. Wenngleich 'es sich hier um zwei verschiedene — ich möchte cum grano salis sagen: verwandte — Dinge handeln kann, sollten wir uns, bevor wir uns zu dieser Notlösung entschließen, klar 'darüber werden, daß wir einen Ausweg gehen. Haben wir vielleicht nicht selber im Parteienstreit 'dafür gesorgt, daß die notwendige Glaubwürdigkeit z. B. der volkswirtschaftlichen Abteilungen in den zuständigen Ministerien zu stark in Frage gestellt worden ist? Wer glaubt denn heute noch einem Parlamentarier? Immer nur 'der Anhänger der entsprechenden Richtung. Der andere sagt einfach: Das stimmt nicht. Wie soll man sich helfen? Man holt das berühmte dritte unabhängige Gremium, und es entsteht die Gefahr, daß wir immer mehr in außerpolitische, zumindest außerparlamentarische Instanzen ausweichen. Wir sollten mehr die Möglichkeiten nutzen, die uns innerhalb unserer parlamentarischen Demokratie gegeben sind. Dazu gehört, daß wir auch der Regierung die Möglichkeit geben, entsprechend aufzutreten. Wenn 'dieses 'Gremium gebildet wird —das möchte ich ausdrücklich sagen —, hat es sich natürlich nicht nur mit den Löhnen, sondern such mit den Gewinnen und auch mit der Preisbildung zu 'befassen; denn es wäre unverantwortlich, einseitig gewisse Lohnforderungen anzugreifen und dabei außer acht zu lassen, daß manche Unternehmen, die zu große Gewinne machen, damit nicht im Sinne der volkswirtschaftlichen Vernunft handeln. Wir haben einige derartige Meldungen in 'den letzten Tagen bekommen, und die Herren der Sozialdemokratie waren ja so freundlich, beispielsweise die Nachricht aus 'dem noch nicht ganz privatisierten Volkswagenwerk als eine Backpfeife für Herrn Minister Erhard zu bezeichnen.Ich möchte zunächst sagen, es ist doch irgendwie seltsam, daß, wenn wir uns über gewisse Wirtschaftkreise, Unternehmen zu 'beschweren haben, zumindest die der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmen bei den zu rügenden über 'dem gebührenden Prozentsatz beteiligt sind. Ich will hier nicht und ich kann nicht beurteilen, ob es notwendig war, diese Preiserhöhung vorzunehmen. Aber es stimmt uns 'bedenklich, daß hier eine Praxis übernommen wird, die wir schon aus anderen Bereichen kennen und die wir immer kritisiert haben, 'daß man nämlich mit allzu großen Preisdifferenzen im Inlandsgeschäft und im Exportgeschäft arbeitet. Das scheint uns nicht gerechtfertigt zu sein. Herr Nord-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 821
Schmückerhoff hat ein Interview gegeben. Ich glaube, Sie ersparen mir, es vorzulesen. Er hat dabei als Begründung angegeben, daß Preissteigerungen notwendig seien, weil die Zuliefererwirtschaft zu teuer geworden sei, zumindest nicht Schritt gehalten habe. Meine Damen und Herren, so einfach kann man die Dinge nicht anpacken. Man kann nicht einem anderen 'die Schuld geben, während wir alle wissen, daß bei 'einer besseren Arbeitsteiligkeit gerade auf diesem Sektor noch sehr viele Reserven mobilisiert werden könnten.Völlig fehl am Platze scheint mir jene Bemerkung zusein, daß wir unserer deutschen Bevölkerung, die noch nicht fähig dazu sei, doch wohl reichlich früh Aktien in die Hand gegeben hätten. Nun, man kann diese Entwicklung nicht durch Trockenkurse vorantreiben, sondern man muß schon den Mut haben, ins Wasser zuspringen, und muß dann dafür sorgen, daß die Entwicklung einen vernünftigen Verlauf nimmt.Ich stellte vorhin die Frage: was können wir selber tun? Was wir hier im Bundestag nunmehr nach den Vorschlägen des Haushaltsausschusses zu tun bereit sind, sollten wir nicht zu gering einschätzen; denn dieser Bundestag will beschließen, daß der Haushalt um einen erheblichen Milliardenbetrag gekürzt wird. Ich finde, das ist ein entscheidender Beitrag, die konjunkturpolitischen Schwierigkeiten zu bändigen.Darüber hinaus hat der Herr Bundeswirtschaftsminister einige Vorschläge bekanntgegeben, zu denen wir uns zu äußern haben. Ich habe eine Äußerung von seiten der SPD bisher vermißt, aber vielleicht kommt sie noch. Herr Kurlbaum hatte offenbar nur den Auftrag, in den Erinnerungen herumzukramen. Herr Erhard hat den Vorschlag gemacht, eine gewisse Einschränkung der Siebenergruppen vorzunehmen. Wir sind damit einverstanden.Dann geben Sie, Herr Vizekanzler, die Anregung, die wir übernehmen, im Haushaltsgesetz festzulegen, daß die Mittel für Baumaßnahmen in Höhe von 20 v. H. gesperrt werden und daß eine Entsperrung im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister durch den Finanzminister vorgenommen werden kann, wenn diese Entsperrung volkswirtschaftlich unbedenklich ist. Wir sehen in diesem Vorschlag eine Minimallösung und stimmen ihm zu. Wir meinen auch, daß dieser Vorschlag eine bestimmte Auswirkung auf die Baumaßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden haben wird. Ich komme gleich noch darauf zurück. Es ist natürlich, daß bei Drosselung der Bautätigkeit auch die Objekte erfaßt werden, die in einer Gemeinde oder in einem Land stehen. Sperrmaßnahmen oder Entsperrungen haben eine Auswirkung auf die Vorhaben der Länder und Gemeinden. Wir meinen also, daß durch diese Vorschriften fast automatisch eine Zusammenarbeit, und zwar eine gute Zusammenarbeit, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden entstehen muß.Besonders hervorzuheben ist der zweite Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers, mit dem er erreichen will, daß auch bestimmte gesetzlich erforderliche Ausgabentitel gesperrt werden können. Eine solche Ermächtigung, meinen wir, könnten wir nicht einem einzelnen Minister im Einvernehmen mit einem anderen geben, sondern eine solche Ermächtigung könnte nur der Bundesregierung insgesamt und nur zeitgebunden gegeben werden.Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU legt Wert auf die Feststellung, daß dies Minimallösungen sind. Falls sie nicht ausreichen — vielleicht wird Herr Kollege Dollinger noch dazu Stellung nehmen —, werden wir einen weiteren Gesetzesvorschlag einbringen.Zu der Frage, ob die Maßnahmen, die hier vorgeschlagen worden sind — ich erwähne noch einmal besonders die Kürzung des Haushalts und den § 8 des Haushaltsgesetzes —, ausreichen, bin ich persönlich der Auffassung, daß sie vorübergehend genügen werden, aber nicht auf die Dauer. Herr Erhard hat sich so ausgedrückt: Es komme nicht darauf an, hier und da im Lizenzverfahren festzustellen, daß dieser oder jener nicht bauen darf, daß diese oder jene Maßnahme gestreckt werden muß, sondern es müsse der Hahn zugedreht werden. Denn es ist ja so: wenn ein Stopp verordnet wird, dann bleibt dennoch das Geld am Markt, und irgendwie wird es doch ausgegeben. Es kommt also darauf an, dafür zu sorgen, daß hier eine bessere Verteilung, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich stattfindet. Es muß festgestellt werden — ich sage noch einmal, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich —, daß sich an einigen Stellen zu große Geldmengen sammeln und daß von dort her die Übernachfrage entsteht. Man kann sogar sagen: das Schlagwort, das man immer der Privatwirtschaft vorhält: „Die Armen werden ärmer" — nun, das stimmt sicherlich nicht —, „die Reichen werden reicher" trifft nirgends so sehr zu wie im Bereich der Offentlichkeit. Unsere Bevölkerung sieht die öffentliche Hand, Bund, Länder und Gemeinden, als Einheit an. Wirtschaftlich gesehen sind sie eine Einheit, und wenn ich die Gesamtsumme aller Etats mit rund 90 Milliarden sehe, ist das ein wirtschaftlicher Tatbestand, an dem man einfach nicht vorbeikommt. Dadurch, daß daran mehrere tausend Gemeinden, elf Länder und ein Bund beteiligt sind, wird nichts geändert, entsteht keine Dekonzentration.Wir haben vorgeschlagen und von allen Seiten dieses Hauses ist vorgeschlagen, daß man sich bemühen sollte, eine bessere Koordinierung der Etatspolitik, eine sogenannte antizyklische Haushaltspolitik zu erreichen. Wir alle wissen, mit einiger Trauer wissen wir, daß wirr hier nur durch gutes Zureden handeln können. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat uns mitgeteilt, daß die Ministerpräsidenten von der Bundesregierung zu einem Gespräch eingeladen werden, und an die wenigen Herren, die Sie vom Bundesrat hier anwesend sind, darf auch ich ein aller Freundlichkeit die Bitte richten, dazu beizutragen, daß wir hier zu einer Übereinstimmung kommen. Wir sind fest davon überzeugt, wenn wir diese antizyklische Haushaltspolitik — und dazu gehört auch die Abstimmung der Haushalte auf den verschiedenen Ebenen — nicht erreichen, werden wir die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf die Dauer nicht beheben. Und es nützt Ihnen gar nichts, daß Sie in dem einen Land einen
Metadaten/Kopzeile:
822 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Schmückergewissen Reichtum haben und etwas Großartiges tun können, wenn in dem anderen Land Armut herrscht. Noch krasser ist ja das Verhältnis zwischen den reichen und den armen Gemeinden. Wir allestehen in diesem Bund und müssen in dieser Wirtschaftseinheit, in dieser unserer Volkswirtschaft uns bewähren. Eine umfassende Konjunkturpolitik wird nicht eher möglich sein, als bis wir das Problem der Finanzverfassung und der Etatsabstimmung gelöst haben.Wie häufig mußten wir es beklagen, daß eben dadurch, daß die investitionsempfindlichen Steuern bei den Ländern, die verbrauchsempfindlichen bei uns liegen, eine durchdringende Konjunkturpolitik schon deswegen nicht möglich ist, weil jeweils die einzelnen Haushalte so unterschiedlich getroffen. werden.Wenn wir diese Verhältnisse hier zur Sprache bringen, haben wir nicht nur allen Respekt vor der verfassungsrechtlichen Lage; wir kennen auch die Schwierigkeiten der Kompetenzverteilung. Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Öffentlichkeit nimmt uns das nicht ab; darüber müssen wir uns klar sein. Wir können in der deutschen Offentlichkeit nicht damit bestehen, daß wir sagen: Die letzten konjunkturpolitischen Maßnahmen sind nicht möglich, weil verfassungsrechtliche Schwierigkeiten vorhanden sind. Dann wird unseinfach entgegnet, daß wir versagt haben. Und diesen Vorwurf sollte doch keine politische Partei, sollten weder der Bund noch die Länder hinnehmen. Darum die herzliche Bitte, sich zusammenzusetzen und einen Weg zu suchen — notfalls mit Verfassungsänderung, aber es geht auch ohnedies —, hier zu einer gemeinsam wirkenden Politik zu gelangen.Nun bleibt natürlich richtig, daß darüber hinaus noch einzelne Maßnahmen schon in unserer eigenen Zuständigkeit möglich sind. Vorhin wurde hier schon davon gesprochen, daß in einigen Bereichen Übergewinne gemacht werden und daß es darauf ankommt, sie zu beseitigen. Ich will dieses Thema nicht im einzelnen behandeln. Aber, meine Damen und Herren, so einfach, daß wir generell gegen eine sicher verabscheuenswürdige Verschwendung schimpfen und dann eine Erhöhung des Plafonds verlangen, geht es ja nicht. Denn es ist doch ein sehr großer Unterschied, ob ich diese Gelder für Investitionen — wie Herr Erhard sagt: nationales Produktivkapital — wieder einsetze, oder aber ob ich sie verplempere oder auch halt nur normal verbrauche. Wir brauchen doch die Investitionen, um eine weitere Entwicklung unserer Wirtschaft zu ermöglichen. Darum warnen wir davor, so einfach die These aufzustellen, daß der Plafond erhöht werden muß. Wir meinen, daß man hier sehr wohl differenzieren muß und die Investitionsmöglichkeiten nicht beknappen darf.Ein anderes Kapitel, das ebenfalls häufig hier angesprochen worden ist — und unsere Bitte an die Bundesregierung ist, im Verkehr mit dem Ausland nun diese Dinge doch einmal etwas stärker ins Gespräch zu bringen —, ist die Frage der Doppelbesteuerungsabkommen. Meine Damen und Herren, jede Wettbewerbsverzerrung, gleichgültig wo sie entsteht, verhindert die notwendige Produktivitätssteigerung; denn jede Wettbewerbsverzerrung gibt dem einen einen Vorteil, dem anderen Nachteile, und bei dieser Entwicklung muß die Gesamtheit Schaden leiden. Wir wissen, welche unterschiedlichen Abgaben infolge der unterschiedlichen Doppelbesteuerungsabkommen entstehen, und man sollte doch hoffen, daß in den betreffenden ausländischen Staaten Verständnis aufgebracht wird. Denn die ganze Geschichte nützt ja auch denjenigen, die im Moment den Vorteil haben, auf die Dauer nichts. Wenn auf Grund einer falschen Berechnung hier Expansionen vorgenommen werden, die nachher, wenn die Wettbewerbsverhältnisse gleichgezogen sind, nicht mehr standhalten, ist das gefährlich.Erwähnen möchte ich auch, daß man sich bei der Besprechung einer möglichen Überarbeitung der Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht auf die Frage des Tarifs beschränken sollte, Herr Bundesfinanzminister, sondern versuchen sollte, die Einkommens- und Gewinnermittlung zu verbessern und den Bewertungsvorschriften doch größere Aufmerksamkeit zu geben. Ich wiederhole auch hier, alle Vorteile, die einem einzelnen gewährt werden, verhindern eine wirkliche Ausnutzung der letzten Reserven, die wir doch nötig haben, weil wir den höchsten Effekt aus unserer Volkswirtschaft herausholen müssen, um die wachsenden Aufgaben der Zukunft zu lösen.Dazu gehört, daß wir die notwendige Konzentration — erschrecken Sie nicht! — fördern bei. gleichzeitiger Streuung des Besitzes, daß wir aber für die Arbeitsteilung das tun, was notwendig ist; und ich sage hier immer wieder: wir werden an der Umsatzsteuerreform nicht vorbeikommen.Ein Wort noch zu der Frage der Möglichkeit, die Tarife zu ändern; weil immer wieder gesagt wird, es würden zu hohe Gewinne gemacht, und man müsse doch versuchen, hier etwas abzuknapsen, um die breiten Schichten zu entlasten. Wenn wir die Arbeitsteiligkeit in unserer Wirtschaft vorantreiben wollen, dann, meine Damen und Herren, müssen wir uns wohl oder übel einmal mit der Tatsache befassen — vielleicht sogar abfinden —, daß die Einrichtung mittlerer — wenn Sie wollen: mittelständischer — Betriebe heute einen viel höheren Kapitalaufwand erfordert, als die meisten von uns aus der Erfahrung oder aus dem alltäglichen Umgang annehmen. Ich halte die Zahl, die vor einigen Tagen genannt wurde — daß ein normal gut geführter handwerklicher Kfz.-Betrieb eine Million D-Mark kosten soll —, für etwas zu hoch; aber in der Hälfte dieser Größenordnung werden sich sehr viele Betriebe bewegen. Das bedeutet aber, daß wir ihnen die Möglichkeit geben müssen, dieses Kapital zu bilden, oder zumindest es aufzunehmen und dann zu amortisieren. Wenn wir an Steuermaßnahmen mit dem Gefühl herangehen, daß derjenige, der ausweist, 50 000 oder 60 000 DM gewonnen zu haben, nunmehr stärker herangenommen werden muß, dann ist das falsch. Die Investitionsmöglichkeiten dürfen nicht verdorben werden; denn von hier aus werden wir nach meiner Meinung die größte Chance haben, konjunkturpolitisch die Dinge wieder in den Griff zu bekommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 823
SchmückerMeine Damen und Herren, ich habe mich darauf beschränkt, einige wenige Punkte herauszugreifen. Es kam mir im wesentlichen darauf an, namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir die Bundesregierung in ihrem Bemühen und in ihren konkreten Vorschlägen, die sie uns vorgetragen hat, unterstützen, und ich möchte meinen Diskussionsbeitrag damit schließen.Herr Erhard, Sie haben sich über den Rundfunk an das deutsche Volk gewandt. Sie haben schon manche harte Diskussion hier im Hause und draußen bestanden. Ich möchte Sie bitten: tun Sie das weiterhin! Das deutsche Volk ist gar nicht so zimperlich, wie einige Vertreter bestimmter Gruppen sich gebärden. Es ist sehr gutwillig, es ist sehr fleißig, und es weiß, daß dieser Fleiß sich bei der von Ihnen geführten Wirtschaftspolitik gelohnt hat. Wenn wir offen mit dem deutschen Volke sprechen, es zum Maßhalten auffordern und ihm klarmachen, daß die Freiheit nur erhalten werden kann, solange man Maß hält, und daß die Freiheit immer nur um soviel eingeschränkt werden muß, wie irgendwer maßlos geworden ist, dann, meine Damen und Herren, glaube ich, werden wir, auch wenn wir keine Engel sind, die Aufgaben, die vor uns stehen, meistern.Meine verehrten Damen und Herren, nachdem es sich hier im Hause eingebürgert hat, die Ausführungen mit einem Zitat zu schließen und so darauf hinzuweisen, wie andere Leute, die unanfechtbarer sind als man selber, das ausdrücken, was man zu sagen beliebt, möchte ich nicht auf Homer zurückgreifen, sondern auf den Wirtschaftswissenschaftler Eucken, der im ersten seiner staatspolitischen Grundsätze der Wirtschaftspolitik sagt: „Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen und ihre Funktionen zu begrenzen", und im zweiten Grundsatz sagt: „Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses". Heute müssen wir zum Teil noch direkt in den Wirtschaftsprozeß eingreifen, weil wir das andere Ziel noch nicht erreicht haben. Aber wir wollen dieses Ziel erreichen, und wir müssen uns dieses Ziel immer wieder vor Augen stellen, damit wir nicht vom Wege abgleiten und nachher glauben, selbst durch Eingreifen in die Wirtschaft die Dinge in Ordnung zu bekommen. Nein, meine Damen und Herren, die Ordnung der Wirtschaft ist das wichtigste, und darum dürfen wir über den aktuellen Maßnahmen nicht die grundsätzlichen Forderungen vergessen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten haben Herrn Professor Erhard immer dann unterstützt, wenn er seine Wirtschaftspolitik geradlinig fortgeführt hat. Wir haben nicht mit Kritik zurückgehalten, wenn wir glaubten, daß er von seiner eigenenLinie abwich. Wir haben das getan, als wir in der Opposition waren; wir tun das auch jetzt wieder.Die Fernsehrede des Bundeswirtschaftsministers, die heute im Mittelpunkt unserer Betrachtungen steht, haben wir uneingeschränkt bejaht. Sie war notwendig. Sie war eine Ergänzung der Ausführungen unseres Bundesfinanzministers, der zuerst auf die schwierigen Verhältnisse hingewiesen hat, in die wir zu geraten drohen — zunächst nur in seinem eigenen Bereich, aber darüber hinaus auf die ganze Wirtschaft gesehen —, und sie war deswegen als Fernsehrede notwendig, weil sie damit einen viel größeren Kreis des deutschen Volkes anspricht, als es bei unseren Debatten in diesem Parlament der Fall ist, mögen sie noch so lebhaft sein.
Durch diese Rede ist die ganze deutsche Bevölkerung angesprochen worden.
— Das ist der richtige Platz,
wenn man sich in einer besonderen Notlage befindet, und wir sind der Meinnung, daß wir uns im Augenblick dieser Rede in einer solchen Notlage befanden. Der einzige Einwand, den man Herrn Erhard machen könnte, ist der, daß er diese Rede vielleicht schon etwas früher hätte halten müssen. Aber sie mußte gehalten werden, durch diese Rede I mußte das Volk aufgerüttelt und zur Besinnung ermahnt werden.Meine Damen und Herren, vielleicht hätte er seine Mahnung auch noch weiter ausdehnen können. Er hätte insbesondere die eigene Regierung, das eigene Parlament, aber auch die Landesregierungen, die Gemeinden und deren Parlamente mit einbeziehen sollen. Das können wir heute in jeder Weise nachholen. Aber hören Sie nur herum in unserem deutschen Volk; ich jedenfalls habe das Gefühl, daß die große Masse unserer deutschen Menschen diese Rede mit großer Besorgnis und mit Betroffenheit aufgenommen hat und daß diese Rede Anlaß zum Nachdenken in weitesten Kreisen unserer deutschen Bevölkerung gegeben hat.
Das ist notwendig und ist erfreulich.Wir haben uns hier eigentlich nur mit der viel kleineren Zahl der Kritiker zu beschäftigen. Die Rede ist keineswegs einseitig gegen einen bestimmten Personenkreis gerichtet gewesen oder gegen einen Kreis unserer Bevölkerung, der besonders sauer reagiert hat. Sie hat — mein Vorredner hat es schon erwähnt — alle Kreise unserer Bevölkerung angesprochen.Ich möchte mich zunächst einmal auch mit den Kritikern aus den Kreisen beschäftigen, die nach Ihrer Meinung nicht angesprochen worden sind. Das Beispiel des Vorsitzenden des Volkswagenwerks,
Metadaten/Kopzeile:
824 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Atzenrothdes Herrn Nordhoff, ist ja eines der bedauerlichsten im Kreis dieser Erscheinungen.
Statt tatsächlich in sich zu gehen und die Folgerungen aus den Ausführungen des Herrn Erhard zu ziehen, hat er Kritiken vorgebracht, darunter die Kritik, die Rede hätte früher gehalten werden sollen — darin bin ich mit ihm einig. Aber die Folgerung, die er zieht, gerade in diesem Augenblick eine Preiserhöhung vorzunehmen, halte ich für eine der bedauerlichsten Vorkommnisse nach ,dieser Rede.Aber, Herr Deist, auf Ihren Einwurf möchte ich gleich bemerken: 'Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender dieses Unternehmens ist Herr Brenner. Und nun hören Sie mal! Ausgerechnet in dem Unternehmen, in dem Herr Brenner eine maßgebende Positioneinnimmt, werden die Preise erhöht, jetzt, in dem Augenblick, nach der Rede von Herrn Erhard! 'Das ist doch wirklich beschämend für einen Mann wie Brenner, der 'die stärksten Kritiken an dieser Rede geübt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Atzenroth, sind Sie genau unterrichtet, daß Herr Brenner dieser Preiserhöhung zugestimmt hat? Oder wie kommen Sie zu dieser Bemerkung?
Aber lieber Herr Deist! Wenn der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende keinen größeren Einfluß hat, als ihn Herr Brenner nach Ihren Ausführungen anscheinend hat, würde die von Ihnen immer so stark erstrebte Beteiligung an den Aufsichtsräten gar keine Bedeutung haben.
Wenn Herr Brenner tatsächlich anderer Meinung war als die große Masse des Aufsichtsrats — und, meine Damen und Herren, in diesem Aufsichtsrat ist die öffentliche Hand sehr stark vertreten — —
— Niedersachsen.
Sie verteidigen die Aufrechterhaltung dieser Beteiligung der öffentlichen Hand. Wir bekämpfen sie; wir sagen, daß die öffentliche Hand in solchen Betrieben nichts zu tun hat. Der Einfluß von Herrn Brenner hat sich in diesem Unternehmen doch sicher nicht in der Richtung ausgewirkt, die er in der Offentlichkeit vertritt.
Meine Damen und Herren, wichtiger aber ist es, sich mit den Kreisen zu beschäftigen, die sich viel stärker als Kritiker gegenüber Herrn Erhard aufgespielt haben. Das sind insbesondere die Gewerkschaften, und es ist die Sozialdemokratische Partei.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Atzenroth, als Einleitung zu meiner Frage: Ich bin natürlich in einer schwierigen Situation, weil die Besprechungen im Aufsichtsrat vertraulich sind. Aber meinen Sie wirklich, daß Sie eine solche Frage mit ganz bewußter Zielsetzung stellen dürfen, wenn Sie voraussetzen, daß die Voraussetzungen gerade umgekehrt sind?
Sie haben so verklausuliert gesprochen.
Ich habe die Tatsache festgestellt, daß in dem Unternehmen, dessen Preiserhöhung wir in diesen Tagen alle verurteilen, der Vorsitzende der Gewerkschaft Metall, Herr Brenner, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist. An dieser Tatsache kann doch niemand vorbei.
Ganz besonders bedauerlich ist bei dieser Preiserhöhung die Tatsache, daß sie sich nur auf den Inlandsabsatz beziehen soll, daß also die Verbraucher hier im Inland zugunsten des Exports einen Nachteil erleiden werden.Aber ich will mich nunmehr in erster Linie mit den Kritikern an der Rede auf seiten der SPD befassen. Ich war eigentlich etwas betroffen, daß die erste Kritik hier nicht von Herrn Deist, sondern von Herrn Kurlbaum vorgetragen wurde.
Die Beurteilung der Rede des Herrn Kurlbaum hat Herr Schmücker schon vorgenommen. Ich muß unterstellen, daß Sie Ihre Argumente vorläufig noch im Hintergrund halten wollen.
Denn die Argumente, die Herr Kurlbaum hier vorgetragen hat, kann man doch nicht als ernsthaft und als stichhaltig ansehen.
Nach Herrn Kurlbaum ist eine Gefahr für unsere Wirtschaft, für unsere Währung aus der augenblicklichen Lage nicht zu befürchten. Herr Kurlbaum bestreitet, daß eine übermäßige Expansion eingetreten ist. Er bestreitet auch, daß Gefahren für unseren Export bestehen. Her Kurlbaum hat seine Meinung durch eine Reihe von Zahlen unterstützt. Ich kann diese Zahlen, die ich mir hier so schnell gar nicht notieren konnte, nicht nachprüfen. Aber wir brauchen doch bloß bei unserer Bevölkerung herumzuhören. Jedermann wird doch die Erkenntnis haben, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung ist, daß das Verhältnis Preise—Löhne —Möglichkeiten des Konsums schief geworden ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 825
Dr. Atzenroth— Das ist keineswegs ein Ergebnis der Wirtschaftspolitik, Herr Kollege! Die Erfolge der Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre hat Herr Professor Erhard hier noch einmal mit aller Deutlichkeit geschildert. Vielmehr ist es ein Ergebnis des NichtMaßhaltens. Darüber ist gar kein Zweifel. Wie kann man die Behauptung aufstellen, daß Löhne keinen entscheidenden Einfluß auf die Preise haben? Das kann und muß doch jeder kleine Mann ohne weiteres als selbstverständlich empfinden.
Löhne sind zu fast 90 O/o der Inhalt der Preise.
90 % der Preise sind im letztengesehen Löhne.
Darin liegt die Entscheidung über unsere wirtschaftliche Gestaltung.
Denn die Löhne beginnen in der Grundstoffindustrie. In jeder weiteren Stufe sind es dann natürlich Preise, aber selbstverständlich stecken die Löhne in diesen Preisen, Herr Deist. Die Entwicklung unserer Löhne ist der Entwicklung unserer Preise davongelaufen. Darüber kann doch gar kein I Zweifel bestehen. Solchen Gefahren 'gilt es vorzubeugen.:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Dr. Atzenroth, können Sie mir sagen, wieso Löhne in 'den gestiegenen Baulandpreisen drinstecken? Beruhen die Baulandpreise auch auf Löhnen?
Der Anteil des Baulandpreises an den Baupreisen ist doch verschwindend gering, Herr Brecht. Aber Sie werden mir doch nicht bestreiten, daß in den Baupreisen .insgesamt die Löhne den Hauptanteil ausmachen.Herr Kollege Kurlbaum hat auch bestritten, daß eine Gefahr 'für unseren Export bestehe. Er hat nicht zur Kenntnis nehmen wollen, 'daß wir im Sommer vor der Gefahr eines Außenhandelsdefizits stehen. Sicherlich ist es noch kein Grund zu Befürchtungen, wenn unser Exportüberschuß ,etwas zurückgegangen ist. Aber wenn sich diese Entwicklung immer weiter fortsetzt, kommen wir eines Tages in diese Gefahren, 'die für unsere Wirtschaft von ungeheurer Bedeutung 'sein werden. Herr Kollege Kurlbaum hat auch nicht erkannt, daß 'die Welt in den letzten Monaten bei uns immer weniger gekauft hat. Wir haben unsere Grenzen geöffnet und damit eine Flut von Einfuhren ermöglicht. Wir haben damit auch zu einer Herabsetzung der Preise beigetragen. Das war eine wirtschaftspolitische Maßnahme, die Herrn Erhard einer Fülle von Beschwerden und Angriffen ausgesetzt hat.Herr Kurlbaum hat den Aufstieg in den anderen Ländern erwähnt, und zwar mit Recht. Es ist absolut richtig, daß die Länder um uns herum in den letzten Jahren einen bedeutungsvollen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren haben. Aber das sollte uns gerade mahnen, bei uns maßzuhalten.Der schwierigste Punkt in dieser wirtschaftlichen Entwicklung ist der, daß wir in die Gefahr geraten, in immer stärkerem Maße zu einer Verringerung des Sozialprodukts zu kommen, und zwar dadurch, daß unsere Arbeitsleistung von Jahr zu Jahr absinkt. Eine ständige Verringerung der Arbeitszeit,
eine Verlängerung 'der Urlaubszeiten und 'der sonstigen 'Freizeiten kann nur dazu führen, daß das Sozialprodukt zurückgeht und wir damit natürlich unsere 'Konkurrenzfähigkeit gegenüber den anderen Ländern verlieren.Ich habe vorhin schon gesagt, ich hätte erwartet, daß Herr Professor Erhard auch die Regierungen und Parlamente der Länder zur Mäßigung ermahnt hätte. Auch dieses Parlament sollten wir in stärkerem Maße zur Mäßigung ermahnen. Erfreulicherweise ist der erste Schritt getan worden, als der Haushaltsausschuß in diesem Jahre eine Streichung von rund 1 Milliarde DM vorgenommen hat. Wir begrüßen das außerordentlich, und wir sind 'diesem Ausschuß dankbar für diese Tat. Aber wir sollten auch an anderen Stellen etwas zurückhaltend sein. Ich habe einige Befürchtungen, daß wir auf der Kostenseite für unsere Wirtschaft in nächster Zeit auch durch manche sozialpolitischen Maßnahmen wieder Steigerungen erleben, die sich unweigerlich in einer weiteren Erhöhung der Preise auswirken müssen.Bei dieser Lage, 'die sich insbesondere 'deutlich 'in der Bauwirtschaft zeigt, muß sich die Frage erheben, was nun geschehen soll. Es sind hier ischon Ausführungen zur Begründung der Schwierigkeiten auf dem Baumarkt gemacht worden. Ich unterstreiche insbesondere die Ausführungen von Herrn Professor Erhard, in denen er sagte, daß letzten Endes an der Quelle angesetzt werden müsse.
Alle Baumaßnahmen werden letzten 'Endes durch die Finanzierung getragen. Gebaut wird doch nur zu einem ganz geringen Teil mit eigenen Mitteln. Ein sehr großer Teil dieser Arbeiten wird von der öffentlichen Hand finanziert, in viel stärkerem Maße, als 'etwa die Statistiken, die man uns vorlegt, zeigen, Die Bauten der öffentlichen Hand selbst sind nicht einmal das entscheidende; in den Bauten, die mit Geldern der öffentlichen Hand finanziert werden, liegt die große Bedeutung. Die öffentliche Hand muß also als erste 'in der Mäßigung auf diesem Gebiet vorausgehen.
Metadaten/Kopzeile:
826 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. AtzenrothHerr Professor Erhard hat heute für die Koalition erfreulicherweise zum Ausdruck gebracht, daß man den Vorschlägen, die die FDP-Fraktion am Dienstag erarbeitet hat, in großem Umfang folgen wird. Wir sind der Meinung, daß etwas geschehen muß, an erster Stelle vielleicht beim, wie es Herr Professor Erhard darstellt, Abdrehen ides Hahns. Damit wird man sicherlich die größte unmittelbare Wirkung erzielen. Aber die größte psychologische Wirkung werden wir dadurch erreichen, daß wir als Bund mit den Maßnahmen beginnen.Es ist erfreulich, daß die Vorschläge, die von Herrn Erhard hier verkündet worden sind, nun durchgeführt werden sollen. Nach unserer Meinung muß die Änderung des § 8 des Haushaltsgesetzes sofort, noch in diesen Haushaltsberatungen, vorgenommen werden. Denn erst wenn wir vorangegangen sind, können wir auch die Länder und die Gemeinden moralisch verpflichten, denselben Weg einzuhalten.Wir sind mit den steuerlichen Maßnahmen einverstanden, die hier vorgeschlagen sind: die Vergünstigungen des § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf private Wohnungsbauten einzuschränken. Wir möchten darüber hinaus allerdings noch andere steuerliche Maßnahmen anregen, indem man vielleicht nach idem schwedischen Beispiel gewisse Abschreibungsmöglichkeiten für unterlassene Bauten vorsieht. Auch sind wir bereit, eventuell einem Verbotsgesetz unsere Zustimmung zu geben, durch das alle Bauten, wie sie vorhin näher bezeichnet worden sind, vor allen Dingen Verwaltungsbauten, Bauten, die nur zu Repräsentationszwecken errichtet werden sollen, betroffen werden, nicht nur bei der öffentlichen Hand, sondern auch in der Wirtschaft.Bei allen Maßnahmen, die wir jetzt treffen, möchten wir aber folgendes beachtet wissen. Wir wollen an keiner Stelle 'endgültige Streichungen vornehmen, sondern es soll sich jeweils nur um Streckungen handeln. Wenn man die Befürchtungen, die Herr Professor Erhard ausgesprochen hat, ernstnimmt und mit der Möglichkeit rechnet, daß wir in einem oder zwei Jahren in eine wirtschaftliche Lage kommen werden, 'die es erforderlich macht, wieder Auftriebskräfte in 'Bewegung zu setzen, dann soll alles das, was wir nur vorläufig inhibieren wollen, sofort wieder in 'Gang gesetzt werden können. Es sollte eine Möglichkeit geben, auf diese Weise einen Konjunkturabfall zu vermeiden und dazu zu kommen, daß wir eine gleichmäßige Konjunktur und vor allem die Vollbeschäftigung erhalten können.Meine Damen und Herren, ich möchte nicht wie mein Vorredner Herr Schmücker mit einem Zitat schließen, sondern nur die Erklärung abgeben: Wir wollen jetzt handeln und wollen die Vorschläge, die wir innerhalb 'der Koalition erarbeitet haben, nunmehr sofort zum Zuge kommen lassen, und zwar sollte der Teil, der sich in unsere Haushaltsberatungen eingliedern läßt, noch im Rahmen dieser Beratungen gesetzlich verankert und beschlossen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brecht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 827
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Brecht?
Ja, bitte!
Herr Kollege Dr. Brecht, was haben Sie für Vorschläge? — Außer den Anfragen, die Sie gestellt haben, und außer Ihrer Kritik an dem, was von uns vorgeschlagen wurde, haben Sie noch nichts gesagt!
Herr Bader, ich muß sagen: ich bin sehr enttäuscht, daß Sie die Vorschläge, die von uns im SPD-Pressedienst und in einem Artikel in der „Quelle" gemacht worden sind, einfach übergangen haben.
— Entschuldigen Sie, Herr Dr. Czaja, wir mußten ja warten, bis Sie mit Ihrem Haushalt so weit waren, bevor wir endlich etwas vorlegen konnten.
— Nein, das war gar nicht schwach; denn das, was wir in der „Quelle" und im SPD-Pressedienst gesagt haben, ist zu einem großen Teil von der FDP übernommen worden. Die Bundesregierung hat heute einen Teil davon über die FDP-Brücke hinweg in ihren Vorschlägen gebracht. Wir können also durchaus einigermaßen zufrieden damit sein.
Metadaten/Kopzeile:
828 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Brecht— Entschuldigen Sie, wir haben den Pressedienst auf besondere Anfrage sogar einem Ihrer Kollegen in die Hand gedrückt, damit er diese Vorschläge berücksichtigen konnte.
Lassen Sie mich nun einige wenige Bemerkungen zu dem machen, was der Herr Minister gesagt hat. Er sprach von der Dämpfung der Konjunktur und von § 8 des Haushaltsgesetzes. Darüber ist zu sprechen, selbstverständlich. Dann sprach er von der Drosselung der öffentlichen Bauvorhaben um 20 %. Ich bin der Meinung, eine Einschränkung um nur 20 % im öffentlichen Bau des Bundes reicht nicht aus, um eine entsprechende Drosselung zu erreichen. Man müßte schon sehr viel weiter gehen und wirklich alle Verwaltungsbauten der öffentlichen Hand zunächst einmal in vollem Umfang einschränken.
— Dann ist es aber schlecht vom Herrn Ministervorgetragen worden. Er hat nur von 20 % gesprochen.
Ich möchte noch zu einem anderen Thema etwas sagen, und damit greife ich ein Tabu an. Bei der Einschränkung der öffentlichen Bauvorhaben um 20 % oder bei dem, was seitens der öffentlichen Hand geschehen muß, darf man auch nicht ganz an den Verteidigungsbauten vorbeigehen. Ich weiß, daß im Haushaltsplan schon einige Verteidigungsbauten zurückgestellt worden sind. Für die Drosselung der Bauwirtschaft und für eine Einflußnahme reicht das nicht. Man sollte nicht gleich damit kommen, man trete gegen die Landesverteidigung ein, wenn man sage, der Bau einer Schule oder eines Krankenhauses sei wichtiger als der Bau eines Kasinos. Es gibt zweifellos auch militärische Verwaltungsgebäude, deren Bau man durchaus um einige Jahre hinausschieben kann. Man sollte nicht glauben, man dürfe an einen Baustopp für diese Bauten nicht denken. Davon hat der Herr Bundeswirtschaftsminister mit keinem Wort gesprochen.Ich möchte dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auch noch eine Empfehlung geben. Er sollte einmal nachprüfen, ob es richtig war, daß im vergangenen Jahr die Bauabteilungen aus dem Finanzministerium und dem Schatzministerium herausgenommen und wieder in das Verteidigungsministerium übernommen wurden. Wir wissen doch bereits, wo der Herd der Preissteigerung und der ungenügenden Preisbetrachtungen liegt, nämlich in diesen Bauabteilungen.
Hier müßte man eingreifen.Der Herr Minister hat dann gesagt, § 19 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes müsse vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Das ist zwar möglich, wirkt sich aber für dieses Jahr nicht aus; denn das käme erst im Dezember und damit erst für das nächste Jahr wieder zur Geltung.Er hat dann gesagt, -man müsse die 7 b-Bauten einschränken. Auch ein Vorschlag, der teilweise richtig sein kann und in mancher Beziehung unserer Konzeption entspricht. Aber es ist nicht richtig, was Herr Atzenroth dazu gesagt hat. Gemeint kann vielmehr nur sein, daß die Vergünstigungen des § 7 b für die Eigenheimbauten erhalten bleiben. Dafür sind auch wir auf jeden Fall.Bedenklich, sehr bedenklich war eine Bemerkung, in der gesagt wurde, man müsse den Hahn ganz abdrehen und dürfe nicht nur die Errichtung von Repräsentationsbauten verbieten, was ich durchaus für richtig halte, sondern man dürfe solche Bauten auch nicht weiterführen lassen. Das bedeutet Stillegung von im Bau befindlichen Gebäuden. Das würde bedeuten, daß man in privatrechtliche Belange eingreift, und das kann man nicht.
Das blieb unklar, dann müssen die Dinge etwas exakter und konkreter genannt werden.Es hieß, der soziale Wohnungsbau solle ausgenommen werden. Aber da klan gdoch wieder so manches mit durch, was befürchten läßt, daß man auch ,auf diesen Bereich übergreifen wolle. Dagegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit. Wir Jassen es unter keinen Umständen zu, daß hier im sozialen Wohnungsbau Eingriffe gemacht werden.Wenn man mit solchen Maßnahmen zu einem Stau kommt, müssen Sie auch bedenken, daß dieser Stau eines Tages wieder auf uns in neuen bauwirtschaftlichen Ansprüchen zukommt. Der Bedarf ist ja nicht ausgeräumt! Es kann sehr wohl sein, daß dieser Stau sogar preissteigernd wirkt, wenn nicht sorgfältig abgeschirmt wird. Es müßte deshalb versucht werden, auch ausländische Baufirmen mit heranzuziehen, die Zollregelungen innerhalb der EWG für Bauleistungen zu lockern, um zusätzliche bauliche Leistungen noch zu ermöglichen, wenn es einmal darum geht, den Stau langsam wieder abzubauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte betont sachliche Ausführungen machen und daher zuerst herausstellen, worin wir mit den Ausführungen, die Herr Dr. Brecht zur Bauwirtschaft gemacht hat, einig sind. Allerdings kann ich mir doch die Bemerkung nicht verkneifen, daß Sie sich in Ihren eigenen Vorschlägen, abgesehen von 'dem Hinweis auf den SPD-Pressedienst, eigentlich doch hundertprozentig hinter die Forderungen und Ausführungen von Minister Erhard gestellt haben. Aber, wie gesagt, das will ich jetzt ausklammern; ich will hervorheben, worin wir uns einig sind.Einig sind wir mit Ihnen, wenn ich an das letzte anknüpfen darf — und hier möchte ich die Worte von Herrn Minister Erhard unterstreichen —, daß Kapazitäten für den sozialen Wohnungsbau frei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 829
Dr. Czajagemacht werden sollten und daß 'der soziale Wohnungsbau in keiner Weise 'übermäßig zurückgedrängt werden sollte. Das hat Herr Minister Erhard ganz deutlich gesagt. Ich glaube, wir sind uns auch darübereinig — das habe ich jedenfalls Ihren Worten entnommen —, daß die Wohnungsbaumittel nach dem neuen § 8 des Haushaltsgesetzes für das nächste Jahr nicht bis zum 1. Dezember verteilt werden müssen, sondern daß ihre Verteilung je nach der Konjunkturlage gestaffelt werden kann. Mehr darf auf diesem 'Sektor nicht passieren. Auch die zwanzigprozentige Kürzung oder Sperrung bezieht sich auf Baumaßnahmen des Bundes und auf keine anderen; das möchte ich hier eindeutig festgehalten wissen.,
— Darüber wird der Antrag berichten. Jedenfalls handelt es sich — ich spreche hier in Sachen des Wohnungsbaus — um Baumaßnahmen des Bundes, zu denen der Wohnungsbau an sich nicht zählt.Ich möchte auch unterstreichen, daß wir uns in gewissen Punkten bezüglich der steuerlichen Fragen vielleicht auf 'dem Wege einer Einigung befinden. Ich möchte jedoch 'klarstellen, daß es uns nicht darum geht, nun jeden privaten Bau —das hat Herr Atzenroth besonders unterstrichen, und ich möchte es auch meinerseits unterstreithen —, bei dem die 7 b-Abschreibung in Anspruch genommen wird, zu behindern. Wir sind uns darüber im klaren, daß auf dem Wohnungssektor eine erhebliche Deckung des Bedarfs durch den steuerbegünstigten Wohnungsbau erreicht wird, sofern er nicht Luxusbau ist. Diesen Nicht-Luxusbau wollen wir auch nicht erheblich einschränken, weil wir nicht einen Teil 'der Familien, die auf diesem Sektor ihre Nachfrage decken— dort werden jährlich 300 000 Wohnungen gebaut—völlig auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau und damit auch auf die steuerlichen Subventionen hinlenken und abdrängen wollen. Das sind im übrigen Dinge — und auch da gehe ich mit Ihnen konform —, die erst 1963 zum Tragen kommen.Ich war allerdings etwas erstaunt darüber, daß Sie die Ausführungen von Herrn Vizekanzler Erhard zur Frage des sofortigen Einstellen der Repräsentationsbauten, des Verwaltungsbaus und ähnlicher Bauten etwas zu wenig gewürdigt haben. Ich glaube, Herr Minister Erhard hat sich hier sehr präzise ausgedrückt. Aber wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns ganz klar erklärten, daß Sie auf allen Ebenen der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik für ein Verbot von Verwaltungsbauten eintreten, soweit dies verfassungsrechtlich verantwortbar und durchsetzbar ist. Das ist im Wirtschaftsrecht der Fall, und dorthin gehört diese Verbotsmaßnahme. Wir können nicht am Hahn der öffentlichen Haushalte in den Gemeinden und Ländern drehen. Wir können aber wohl von unserer Gesetzgebungsbefugnis im Wirtschaftsrecht Gebrauch machen. Sie müßten mit uns einig gehen, daß hier etwas geschieht, und zwar schnell geschieht; denn auch diese Verbotsmaßnahme kann nur durchgeführt werden — hier gehe ich mit Herrn Kurlbaum völlig einig —, wenn Bundesregierung und Bundestag sich wie ein Mann hinter eine solche energische Maßnahme stellen.Ich hatte den Eindruck, daß Herr Minister Erhard sich hierbei nicht an Systeme klammert. Deswegen wird Sie niemand steinigen, wenn 'Sie mitgehen. Er hat sich nicht an Systeme geklammert, sondern ist entschlostsen, mit dem Instrumentarium, das einer geordneten Staatsführung verfügbar ist, energische Schritte zu unternehmen, von denen wir wünschen, daß sie sich im Rahmen des Wirtschaftsrechts vollziehen und daß sie auch regional entsprechend vorgenommen werden, insbesondere 'dort, wo eine Überhitzung vorhanden ist.Ich hätte gerne von Ihnen eine klarere und eindeutigere Bestätigung, daß Sie in der öffentlichen Meinung dafür eintreten werden; denn nur so kann eine solche Maßnahme, die auf gesetzlicher Grundlage erfolgt, gegenüber den Kleinen und Großen, die über ihre Haushalte zu bestimmen haben, durchgehalten und auch einmal gegen übertriebene Forderungen einer Großstadt oder sonstiger privater oder öffentlicher Stellen nach Repräsentationsbauten eingesetzt werden. Wenn wir uns darin einig sind, glaube ich, daß wir uns, wie die Diskussion gezeigt hat, auf der Grundlage dessen, was Herr Minister Erhard sehr präzise vorgeschlagen hat — und hier sind Handlungen vorgeschlagen worden —, finden und erreichen können, daß die nicht lebensnotwendigen Vorhaben gestreckt werden, die Kapazitäten für lebensnotwendige Baumaßnahmen aber erhalten bleiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Imle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorhin ist erklärt worden, die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers hätten kein gehauenes und gestochenes Programm umfaßt. Ich möchte eigentlich wissen, was man noch von einem solchen Programm erwartet, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgelegt hat. Er hat vollkommen eindeutigdargelegt, was von -der Bundesregierung bzw. von den Koalitionsparteien im einzelnen zu erwarten ist. Ist es nicht bereits eine außerordentlich große Maßnahme, daß die Mittel für neue Baumaßnahmen und für die Fortführung begonnener Baumaßnahmen in Höhe von 20 % gesperrt werden? Das ist ein beachtlicher Betrag, insbesondere wenn man davon ausgeht — und da möchte ich Sie etwas beruhigen —, daß auch der Etat des Bundesverteidigungsministers darunterfällt. Wenn man das einmal zur Kenntnis nimmt, wird man wohl der Meinung sein, daß nicht nur Stückwerk gemacht wird, sondern daß eine umfassende Maßnahme getroffen wird.
— Wenn wir das Gesetz beschlossen haben. Siewerden ja daran beteiligt. Wenn wir einen Gesetz-
Metadaten/Kopzeile:
830 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Imleentwurf einbringen, dann können Sie dort IhreBereitwilligkeit, mitzuziehen, unter Beweis stellen.
— Sie fragen, wann es auf dem Markt wirksam wird. Man kann nicht deswegen, weil ein Gesetz sich wegen der Erörterung und Verkündung hinzieht und vielleicht in einem halben Jahr oder in drei Vierteljahren wirksam wird, die Maßnahme überhaupt unterlassen, sondern es muß etwas geschehen, und wir werden idas dann auch sehr schnell durchziehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Imle, wären Sie und Ihre Partner in der Regierung damit einverstanden, daß das, was Sie eben gesagt haben, bereits in dem vom Herrn Bundeswirtschaftsminister erwähnten § 8 des bevorstehenden Haushaltsgesetzes einen gesetzlichen Niederschlag findet?
Genau, wir sind einverstanden.
— Wir haben keine Ausnahme angeführt. Deshalb darf ich das einmal so beantworten.
Wegen der Auswirkung werden wir das ja sehen, und ich glaube, daß man hier wohl auch etwas erreichen wird.Genau dieselbe Auswirkung versprechen wir uns davon, wenn, wie vorhin schon angedeutet, § 19 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes im Rechnungsjahr 1962 keine Anwendung findet, also jetzt die Mittel für 1963 vom Wohnungsbauminister nicht zugesagt werden. Auch das ist eine Maßnahme, deren Wirkung Sie doch wohl hoffentlich nicht bestreiten werden.
— Ja, nun 1963; Sie können es ja nicht noch für 1961 machen — was Sie vielleicht gern wollten.
Nun möchte ich etwas zu den Löhnen und Preisen sagen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin erklärt, daß in den Jahren 1950 bis 1958 die Löhne hinter den Baupreisen hergehinkt hätten, daß sich aber umgekehrt in der Zeit von 1950 bis 1960/61 das Verhältnis umgedreht habe, daß also die Löhne höher gewesen seien als die Preise.
— Dann war das vorhin auch genau umgekehrt.
— Aha! Sie waren vorhin — entschuldigen Sie — etwas heiser.
Man meint also nun, man müßte das entsprechend nachholen. Ich glaube, wenn man in einer solchen Situation ist — und wir wollen uns da nicht wieder auf die alten Platten einlassen —, dann sollte man daraus nicht schließen, daß das Verhältnis beibehalten werden müsse.Sie haben gefragt, was wir wohl gesagt hätten, wenn solche Pläne, wie wir sie heute bringen, von Ihnen vorgebracht worden wären, dann wäre das wahrscheinlich als ein Angriff auf die Marktwirtschaft angesehen worden.
— Oder als Dirigismus. Ich darf hierzu bemerken: Sie sind ja sonst gar nicht so zimperlich mit Ihren Anträgen, wenn Sie uns irgendwie in Verlegenheit bringen wollen. Warum hat es Ihnen an der entsprechenden Idee gefehlt? Also sollte man das nicht so hinstellen. Die Verteidigungsausgaben habe ich bereits erwähnt.Nach meiner Meinung hätte das, was hinten gesagt worden ist, eigentlich vorn an die erste Stelle gehört. Sie haben uns darin zugestimmt, daß Repräsentations- und Verwaltungsbauten verboten werden, und zwar zunächst für einen bestimmten Zeitraum. Dabei sollte man es der Bundesregierung überlassen, diesen Zeitraum noch um ein weiteres Jahr zu verlängern, sdbald sich ergibt, daß bis dahin kein entsprechendes Gleichgewicht erzielt worden ist. Diese Beschränkung sollte sich keineswegs nur auf öffentliche Bauten erstrecken,
sondern auch auf alle Repräsentations- und Verwaltungsbauten in der gewerblichen Wirtschaft. Es geht nicht an, daß man in Städten, wo es dringend notwendig ist, die Beamten an einem Platz zusammenzuführen, damit sie ihre Arbeit ordentlich leisten können, einen Verwaltungsbau unterläßt, statt dessen aber daneben einen großen Industriebau aufführt. Ich freue mich, aus Ihrem Zunicken entnehmen 'zu können, daß Sie auch hier mit uns einer Meinung sind.Nun noch ein Wort zum sozialen Wohnungsbau. Sie haben vorhin vernommen, daß § 7 b geändert werden soll. Dieser Paragraph hat, wie Sie wissen, ja auch manchmal Auswirkungen gehabt, die vom Gesamtvolkswirtschaftlichen her gesehen keineswegs immer wünschenswert waren. Wünschenswert ist aber nach wie vor, daß der Eigenheimbau, der Eigentumswohnungsbau und der Eigensiedlungsbau in der bisherigen Form fortgeführt werden kann. Wenn man jetzt eine Änderung vornähme, würde man gerade die Bausparer treffen, vor allem in den mittleren Schichten — sagen wir, den Mittelschullehrer oder einen anderen in dieser sozialen Situation —, die jahrelang gespart und darauf ihre Kalkulation aufgebaut haben und nun so weit sind, daß sie den Bau beginnen könnten. Man sollte sie nicht nachträglich in dieser Weise treffen. Wir glauben,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 831
Dr. Imledaß wir, wenn wir die Sache weiter durchführen, durchaus ein 'soziales Werk tun. Denn, das darf ich einmal sagen, der § 7'b ist ja nicht eingeführt worden, um besonders die Bauwirtschaft mit anzukurbeln. Das war zwar damals auch die Maßnahme; aber der Sinn war doch, Eigentum bei den Mittelschichten zu schaffen, um dadurch --
— Ja, da nutzt alles Stirnrunzeln nicht, Herr Brecht. Eigentum soll damit geschaffen werden; nicht zuletzt, weil -- darin sind wir uns ja hoffentlich mit Ihnen einig — im Eigentumschaffen auch eine Abwehrmaßnahme gegen die Absichten aus dem Osten liegt. Wir wollen das nicht allzu sehr betonen; aber wir wissen: wer Eigentum hat, ist weniger anfällig für den Osten.
— Damals — nicht nur Steuern zu sparen, sondern dem Einzelnen eine Möglichkeit zu geben, sich Eigentum zu schaffen. Wenn es diese Maßnahme nicht gegeben hätte, wäre er nicht so frühzeitig dazu gekommen.Wir glauben des weiteren — es ist ja hier vom Bundeswirtschaftsminister angeführt worden, ich möchte aber ebenfalls darauf hinweisen, weil es anscheinend etwas untergegangen ist —, daß auch die sogenannte Baulandsteuer C in Zukunft nicht mehr existieren sollte, daß man auch sie überprüfen sollte.
— Überprüft werden muß sie auf jeden Fall; denn Sie wissen ja, daß sie in einzelnen Ländern, weil sie auf 1000 und 1100 % hochgesetzt worden ist, Auswirkungen gehabt hat, die jedenfalls keineswegs von uns allen gebilligt werden können.
— Ich spreche doch nicht für die Regierung; so weit habe ich es noch nicht gebracht, Herr Brecht; aber vielen Dank, daß Sie mir das hier zubilligen.Ich möchte hoffen — da Sie uns hier ja verschiedentlich ermuntert haben, und ich bin eigentlich froh darüber, diese Ermunterung auch einmal von Ihrer Seite zu erleben —, daß wir uns bei der Beratung dieser Dinge sehr schnell einig werden, damit die Sache — entgegen der Befürchtung Ihres Nebenmannes: „Wann wird das wirksam?" — nicht allzu weit hinausgeschoben wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Scheppmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte bei meinen Ausführungen beginnen mit den Stellungnahmen der Gewerkschaften zu der Fernsehansprache, die der Herr Bundeswirtschaftsminister vor einigen Wochen gehalten hat.Meine Damen und Herren, man wird der Regierung zubilligen, ja, man wird von ihr fordern müssen, daß sie nicht tatenlos zusieht, wie von Kräften, die außerhalb ihrer Kontrolle stehen, die Stabilität von Währung und Wirtschaft gefährdet wird. Ich möchte zunächst — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — eine Äußerung aus der „Welt" verlesen. Darin wird ausgeführt:Es sind nicht nur die Gewerkschaften, gegen die sich Erhards Alarmruf wendet; es sind auch die Unternehmer, die allzu bereitwillig auf die höheren Lohnforderungen mit Verkürzung der Arbeitszeit eingehen. Überall wird das momentane eigene Interesse über das künftige Gesamtinteresse gesetzt. Die Gewerkschaften nutzen ihre Chance wie ein guter Geschäftsmann. Die Unternehmer gehen meist darauf ein, solange die Geschäfte glänzend gehen. Niemand fragt, was später kommt, obwohl sich jeder sagen muß, daß es mit Lohn- und Preiserhöhungen nicht immer so weitergehen kann, wenn wir nicht in eine Inflation oder in eine Krise hineinrutschen wollen. In der Wirtschaft gelten erbarmungslose Gesetze, und irgendwo muß dann für die begangenen Fehler gezahlt werden.Ich darf noch ein Zitat aus der „Westfälischen Rundschau" anführen. Hier wird geschrieben:Es hat fast den Anschein, als sei auch diese Alarmrede Erhards nur ein Teil der offenbar großangelegten Kampagne gegen die Gewerkschaften, die seit der Bildung der Koalition von Bonn in zunehmendem Maße festzustellen ist. Erhard muß damit rechnen, daß sowohl die Gewerkschaften wie auch die Sozialdemokraten ihm eine sehr scharfe Antwort geben werden.Nun, meine Damen und Herren, die Antworten von der Sozialdemokratie und auch aus Gewerkschaft'skreisen haben wir inzwischen gehört und gelesen. Herr Brenner, Vorsitzender der IG Metall, erklärt: Der Appell des Wirtschaftsministers ist eine Bankrotterklärung seiner Wirtschaftspolitik. Der Vorsitzende der IG Bergbau, Herr Gutermuth, sagt, Herr Erhard gehöre in der Sünderkartei für die großen Fehler, die er im wirtschaftlichen Raum begangen habe, an die erste Stelle.Was an Verleumdungen und Beleidigungen gegen Herrn Erhard nicht mehr zu überbieten ist, bringt die Wochenzeitung des DGB „Welt der Arbeit" vom 30. März 1962. In dem Artikel mit der Überschrift „Im Fettnäpfchen" von Fritz Kernig wird geschrieben, — wird Herr Minister Erhard mit dem SED-Chef Ulbricht von der Ostzone verglichen und gleichgestellt.
— Wenn Sie den Artikel mal richtig lesen — ichhabe ihn bei mir, und Sie haben ihn alle bekommen —, dann werden Sie zu der Auffassung kom-
Metadaten/Kopzeile:
832 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Scheppmannmen, daß das nur so zu verstehen ist, wie ich es soeben gesagt habe.
— Meine Damen und Herren, ich will Ihnen jetzt .einmal sagen: ich bin 511/2 Jahre Gewerkschaftler und bin bis 1958 Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Bergbau gewesen, gleichzeitig auch Mitglied des Bundesausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und ich glaube, von mir sagen zu können, daß ich in der ganzen Zeit eine anständige Gewerkschaftsarbeit geleistet habe.
Das aber, was jetzt im Augenblick von dieser Seite aus geschieht, hat mit Anständigkeit nichts mehr zu tun, sondern das ist eine Brunnenvergiftung.
Man versucht hier, die Massen in einer Weise aufzuhetzen, die unverantwortlich ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte sehr.
Herr Abgeordneter Leber!
Her Kollege Scheppmann, Sie haben vorhin gesagt, Sie würden zitieren. Ich möchte Sie fragen, ob das das wörtliche Zitat oder eine Bemerkung über diesen Artikel war. Ich frage das zur Klarstellung. Ich möchte dabei zum Ausdruck bringen, daß ich es auch nicht billige, daß solche Vergleiche ' angestellt werden. Wir wollen aber selbst, wenn so etwas passiert, korrekt bleiben und wörtlich zitieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben, glaube ich, alle vom DGB das zugestellt bekommen. Ich habe das deshalb nicht wörtlich vorgelesen.
— Ich kann, wenn Sie es wünschen, auch das noch zitieren, dann werden Sie das, was ich gesagt habe, bestätigt finden. Ich möchte das — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — jetzt tun. Es heißt hier:Vor kurzem erst hat der SED-Chef Walter Ulbricht die mitteldeutsche Bevölkerung aufgefordert, mehr zu arbeiten und weniger zu verbrauchen — und das bei gleichbleibendem Lohn. Was Ulbricht damit retten will, sind die Kassen des Staates und der Partei; denn in der Sowjetzone herrscht, wie in allen bolschewistischen Ländern, der Staatskapitalismus.Und nun heißt es weiter:Wenn man es genau betrachtet, hat Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard jetzt ähnliches getan ...
Bitte, was ist das denn anderes; ist das etwa keineGleichstellung mit dem, wie man es drüben macht?
— Sie mögen das mach ihrer Fasson auslegen; wir legen es so aus, wie es hier steht und wie es richtig ist.
— Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Sie eine andere Meinung haben. Sie werden mich in meiner Meinung nicht umstimmen können. Ich habe lange genug im Arbeitsleben gestanden.
— Ich darf hier meine Meinung sagen, Kollege Leber. Ich habe lange genug im Arbeitsleben gestanden und weiß sehr wohl, was Gewerkschaftsarbeit ist, und weiß sehr wohl, wie man Gewerkschaftsarbeit machen soll. Ich bin aber nicht der Meinung, daß die Gewerkschaften sich dazu mißbrauchen lassen sollen, daß eine gewisse Partei — und damit meine ich Ihre Partei — einen politischen Wahlsieg erringt. Das ist meine Auffassung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte den Appell des Herrn Ministers Erhard an das deutsche Volk
für richtig und habe es begrüßt, daß er geschehen ist. Ich erwähne hierbei — und das sage ich ausdrücklich hier in diesem Hohen Hause —, daß ich persönlich Herrn Erhard für diesen Aufruf gedankt habe. Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß die Mehrheit des deutschen Volkes in gleicher Weise Herrn Minister Erhard Dank und Anerkennung für seine bisher geleistete Tätigkeit zollen wird.
Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einiges zur wirtschaftlichen Situation sagen. Nach dem zwölf- oder vierzehnjährigen ununterbrochenen Aufbau aus dem Nichts ist heute die wirtschaftliche Situation gekennzeichnet durch eine Normalisierung und Anpassung an die internationale Entwicklung. Das bedeutet, an die Stelle hoher Wachstumsraten .der deutschen Wirtschaft, die zwischen 6 und 20 v. H. liegen, 'dürften die international gültigen Wachstumsraten treten, die zwischen 3 und 6 v. H. liegen. Das hat zur Folge, daß man die Ansprüche an das wirtschaftliche Jahresergebnis dem neuen Jahreswachstum anpassen muß. Das gilt für alle, Unternehmer wie Arbeitnehmer und genauso für den Staat. Für 'den einzelnen und für die Volkswirtschaft gilt, daß man nicht mehr aus-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 833
Scheppmanngeben kann, als man vorher erarbeitet und verdient hat. Andernfalls wird die Leistungskraft der Volkswirtschaft überfordert, was Preissteigerungen, Exportverluste und damit Gefährdung von Arbeitsplätzen zur Folge hat. Die Mahnung zum Maßhalten liegt daher im ureigensten Interesse jedes arbeitenden Menschen, der Arbeiter, der Angestellten und der Beamten. Der Gesamtheit unseres Volkes, meine verehrten Damen und Herren, kann .es nach meinem Dafürhalten nur gut gehen, wenn sich die an der Volkswirtschaft Beteiligten richtig verhalten. Das betrifft jeden einzelnen und jede Gruppe. Wir haben somit — so möchte ich meinen — das Schicksal in der eigenen Hand.Dieser Tatbestand ist ein Wesensmerkmal tder sozialen Marktwirtschaft. Er bedeutet, daß der größte Nutzeffekt des einzelnen im richtigen Miteinander aller Menschen, die darin wirtschaften, begründet liegt. Das ist ,der Hintergrund der Appelle von Professor Erhard, mit denen er alle aufgefordert hat, mit Vernunft ihre vielfach berechtigten und begründeten Forderungen und Wünsche in vertretbarem Maß zu halten.Zur Situation der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik möchte ich folgendes sagen. Von der Opposition wird behauptet, 'die Arbeitnehmer seien bisher zu kurz gekommen und sollten auch jetzt wieder allein die Lasten tragen. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Denn die Wahrheit sieht ganz anders aus. Ich will jetzt nicht im einzelnen über die Frage der Löhne, über die Tatsache sprechen, daß das Einkommen um 83 v. H. gestiegen ist. Ich will nicht näher auf den Wohnungsbau und die Schaffung von Arbeitsplätzen und all diese Dinge zu sprechen kommen. Immerhin — auch das ist eine Tatsache — sind die Spareinlagen pro Kopf der Bevölkerung ganz gewaltig angestiegen.Ich möchte hier behaupten, daß alle Arbeitnehmer an dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik teilgehabt haben. Die überwiegende Mehrheit aller Arbeiter, Angestellten und Beamten wird deshalb auch offen zugeben, daß die Verhältnisse sehr gut sind, daß gesicherte Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen vorhanden sind, wesentlich anders, als es vor Jahrzehnten der Fall war, und daß die soziale Sicherheit weithin gewährleistet ist.Die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Arbeitnehmer, meine verehrten Damen und Herren, war möglich, weil die Politik der sozialen Marktwirtschaft von Herrn Professor Erhard von Beginn an darauf abgestellt war, ein Höchstmaß volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu erreichen. Nur auf der Basis dieser Leistungskraft war unid ist es auch möglich, jedem einzelnen arbeitenden Menschen ein Höchstmaß an Lebensstandard zu gewähren. Von Anfang an stand daher der Mensch — sein Wohlergehen sowie seine soziale Sicherheit — im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik. Dieses Ziel, so darf man sagen, ist ahne Zweifel erreicht worden entgegen allen düsteren Voraussagen von seiten der Opposition.Ich will jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen. Aber ich darf einmal daran erinnern, daß zu Beginn dieser Wirtschaftspolitik von Herrn Minister Erhard von Leuten aus der Opposition angekündigt wurde, daß bei dieser Wirtschaftspolitik spätestens in zwei Jahren ein Heer von Millionen Arbeitslosen vorhanden sein würde.
Und was haben wir heute praktisch? Wir haben zuwenig Leute in der Bundesrepublik. Wir haben über 500 000 freie Arbeitsplätze, ,die wir nicht besetzen können. Wir sind gezwungen, uns damit zu helfen, daß wir aus anderen Staaten Menschen heranholen, die bei uns Arbeit bekommen.Es gilt doch nun, die gewonnene Position, die auf Freiheit, Wettbewerb und Leistung gegründet ist, für die Zukunft weiter auszubauen und zu sichern. Dazu ist es notwendig, daß man — ich möchte es einmal ganz klar sagen — nicht übermütig wird, sondern in vermehrtem Maße Verantwortungsbewußtsein an den Tag legt, .da man mit dem rechten Maß von heute eine glückliche Zukunft sichern kann. Daran mitzuhelfen, ist jeder aufgerufen, insbesondere die Vertreter der Gruppeninteressen, die aus einem falsch verstandenen Interesse dazu neigen, den Bogen ihrer Forderungen zu überspannen. Eine derartige Überspannung würde sich aber nur zu Lasten 'aller Arbeitnehmer auswirken.Niemand will — Idas möchte ich einmal ausdrücklich feststellen — dem Arbeitnehmer etwas wegnehmen oder ihn von dem weiteren Wachstum unserer Wirtschaft 'ausschließen.
Wenn aber in der neuen Phase der sozialen Marktwirtschaft wie bisher 'der Arbeitnehmer, jeder einzelne Mensch überhaupt eine stärkere, bessere und glücklichere Zukunft gewinnen will, dann dürfen diese Chancen, die ihm allein die soziale Marktwirtschaft einräumt, 'heute nicht leichtfertig verspielt werden.
Meine Damen und Herren! Bei dieser Gelegenheit möchte ich ganz kurz und in aller Offenheit auch einige Sätze über die Situation des deutschen Kohlenbergbaus sagen. Ich möchte hierzu ausführen, daß das vom Herrn Bundeskanzler, von der Bundes-und der Landesregierung sowie von landeren berufenen Stellen verkündete Ziel, die Arbeitsplätze der Belegschaften 'im Bergbau und der ihm verbundenen Industrien langfristig zu sichern und eine angemessene Kohlenförderung im Interesse einer ausgleichenden Energieversorgung aufrechtzuerhalten, im Augenblick sehr in Frage gestellt ist. Der Bergbau befindet sich in keiner glücklichen Situation. Im Gegenteil: größte Sorgen bestehen 'zur Zeit im Bergbau, und davon sind sehr erheblich auch die beschäftigten Arbeitnehmer betroffen.Ich bin der Auflassung, daß hier nicht mehr lange gezögert werden darf, sondern daß wirksame Maßnahmen zur Erhaltung des heimischen Kohlenbergbaus zu treffen sind. Die Rationalisierungsmaßnahmen des Bergbaus und 'die Anstrengungen der Belegschaften haben eine mehr als 40 %ige Leistungssteigerung seit 1958 bewirkt. Damit steht unser
Metadaten/Kopzeile:
834 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
ScheppmannBergbau an der Spitze aller europäischen Bergbaureviere. Alle Anstrengungen, meine Damen und Herren, können jedoch nur Erfolg haben, wenn jetzt endlich eine langfristige Energiepolitik in die Tat umgesetzt wird.
Auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen weist auf besonders notwendige Maßnahmen hin, insbesondere: Verlängerung des Kohlenzolls, der Heizölsteuer oder der Lizenzierung der Öleinfuhren, vor allem aus den Ostblockländern. Um der Sicherheit der sozialen Leistungsfähigkeit des Bergbaus willen darf nicht länger gezögert werden.Der Bergbau, meine Damen und Herren, muß in der Tat wissen, ob eine Jahresförderung von 140 Millionen t oder nur von 120 Millionen t verkraftet werden kann. Es geht nicht an, daß — wir haben es schon einmal erlebt —, wie es den Anschein hat, wiederum große Kohlenhalden entstehen oder daß man, wenn man das nicht will, was auch wirtschaftlich gesehen schlecht ist, die Absatzkrise dadurch beschränkt, daß man Feierschichten für die Belegschaften des Bergbaus einlegt, damit aber dann einseitig die Lasten den dort Beschäftigten auferlegt. Im Zuge des europäischen und atlantischen Zusammenschlusses kann und darf die Bundesrepublik nicht als einziges Land ihre Energieversorgung dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Ich glaube, daß die Frage der Energieversorgung auf weite Sicht ein Anliegen ist, dem sehr wohl in nächster Zeit Rechnung getragen werden sollte und das nicht gewissen Zufälligkeiten überlassen werden darf.Ich hielt es im Interesse der im Bergbau schaffenden Menschen für notwendig und richtig, diese Bemerkungen über die Situation im Bergbau dem Hohen Hause vorzutragen. Ich glaube, es ist notwendig, daß man sich sehr schnell um die Lage dort kümmert und nicht durch irgendwelche kleineren Maßnahmen das eigentliche Problem hinausschiebt. In dem Sinne habe ich die herzliche Bitte an Herrn Wirtschaftsminister Erhard, sich dieser Angelegenheit im besonderen anzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Ich gebe bekannt, daß um 14.00 Uhr die CDU/CSU-Fraktion im Bundesratssaal zu einer Fraktionssitzung zusammentritt. Um 14.30 Uhr fahren wir hier in der Debatte fort. Das Wort hat dann der Herr Abgeordnete Dr. Deist.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir fahren in der Aussprache zum Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat uns heute mit seiner Rede dokumentiert, was er unter ein-er leidenschaftslosen und -sachlichen Erörterung von Problemen versteht.
Wir sind uns sehr wohl bewußt, daß diese Rede eine ganz gezielte Rede war, daß sie Bestandteil eines Feldzuges war, der nun bereits längere Zeit anhält, in dem man nicht vor dunklen Verdächtigungen zurück-schreckt,
mit dem man wertvolle Kräfte, fortschrittliche Kräfte unseres demokratischen Lebens diffamiert.
— Wenn id-er Bundeswirtschaftsminister hier so reden darf, ohne daß Sie protestieren, dann darf ich wohl in aller Ruhe 'diese Feststellungen hier treffen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß durch derartige Reden die Gräben in unserem Volke immer tiefer gezogen werden.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat davon gesprochen, er habe die Schallmauer der kollektiven Meinungsbildung durchbrechen müssen. Nun, wir sind uns hoffentlich alle darüber einig, daß es bei uns in Deutschland leider viel zuviel kollektive Meinungsbildung gibt, daß es in Deutschland einen Konformismus gibt, der geradezu erschütternd ist, daß es einen Konformismus gibt, der es beinahe nicht mehr zuläßt, daß die geistigen Kräfte der Nation kritisch zu wesentlichen Fragen unserer gesellschaftlichen Ordnung Stellung nehmen können mit der Aussicht, damit auch gehört zu werden.
Darum sollte man sich kümmern.
Aber was hier geschah, war doch wohl etwas ganz anderes. Massenmedien und Schocktherapie sind keine Mittel, um Meinung zu bilden. Das sind Mittel, um Meinung zu machen.
Das sind Methoden, das selbständige Denken auszuschalten und eine plebiszitäre Zustimmung zu erlangen.
Das sind jene Methoden einer plebiszitären Demokratie, die die Verfasser des Grundgesetzes mit Absicht ausgeschaltet hatten und die heute in Frankreich stark geübt werden.
Das ist offenbar jene Form der Demokratie, dieder Herr Bundeskanzler als „gezielter Demokrat" zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 835
Dr. Deistüben pflegt. Wir halten es mit der Demokratie ohne alle diese Zusätze, ganz schlicht und einfach mit der Demokratie.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dann auch gleich zu Anfang wieder einmal mit einer Unaufrichtigkeit begonnen, indem er nämlich sagte,
— Warten Sie doch erst einmal ab! Nun, man kann schon sagen „wieder einmal". Er hat davon gesprochen, er habe sich ja nur an das Fernsehen und an den Nord-Westdeutschen Rundfunk gewandt. Die Rede sei so interessant gewesen, daß die anderen sie halt übernommen hätten. Ich weiß nicht, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister schlecht informiert ist. Er hat natürlich diese Verhandlungen nicht persönlich geführt; sie sind von seinem Haus geführt worden — aber unter dem Aspekt, daß es sich um eine Regierungserklärung handle, bei der der Anspruch erhoben wurde, daß sie über sämtliche Sender gehen solle.
Darüber möge er sich einmal in seinem Hause erkundigen.Nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister, offenbar gewitzigt durch Erfahrungen „in vorletzter Zeit", muß ich sagen, Überlegungen darüber anstellte, ob der politische Stil, der von der Bundesregierung und den Regierungsparteien seit der letzten Bundestagswahl gepflegt wird, wirklich der richtige Stil für unsere Politik in dieser Zeit sei, hat er nun offenbar zu seinen Freunden von der FDP heimgefunden, die ihn vor kurzem so schnöde verlassen hatten. Daher wiederum diese Tonart, die bewußt darauf abgestellt ist, Arbeitnehmerschaft, Sozialdemokratie, alle fortschrittlichen Kräfte zu provozieren.
Wir sehen diesen Trend sehr deutlich. Und darum werden wir uns auf diese Methode nicht einlassen. Aber wir werden bei jeder passenden Gelegenheit deutlich sagen, welches Spiel hier getrieben wird. Wenn wir die Redewendung des Herrn Bundeswirtschaftsministers anwenden würden, würden wir von einem „verbrecherischen" Spiel sprechen müssen.
— Meine Damen und Herren, ich habe nur einmal die Redeweise des Herrn Bundeswirtschaftsministers angewandt, obwohl es mir schwerfällt.
Ich möchte damit zu dem entscheidenden sachlichen Problem übergehen, das in diesem Zusammenhang zur Erörterung steht, der Frage der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt sollten wir alle uns Sorgen machen. Jeder, der sich ehrlich Sorge darum macht, sollte anerkannt werden. Aber man sollte dabei eine ruhige Betrachtungsweise anwenden.Was ist eigentlich geschehen? Wir haben jahrelang ständig Ausfuhrüberschüsse gehabt, die unser aller Leid waren, die uns zahlreiche schwere Vorwürfe der übrigen Welt eingetragen haben. Wir haben Zahlungsbilanzüberschüsse gehabt, die nicht etwa ein Segen, sondern ein Fluch für uns waren. Wir mußten künstliche Kapitaltransaktionen, Geschenke, vorzeitige Schuldenrückzahlungen, Vorauszahlungen auf Rüstungskäufe, vornehmen, nur um von dieser Last der Zahlungsüberschüsse herunterzukommen; denn sie waren eine große Gefahr. Der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst hat diese Gefahr ständig an die Wand gemalt, und wir waren uns einig, daß sie beseitigt werden müßte.Nun, wir wissen, daß nicht rechtzeitig eingegriffen wurde. Wir haben frühzeitig gemahnt; aber streiten wir jetzt nicht darüber.
Metadaten/Kopzeile:
836 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Redner.
Das Ergebnis: wir werden es dm Außenhandel nicht mehr so leicht haben. Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten und Großbritannien mit vielen Anstrengungen und Mühen eine große Exportoffensive gestartet haben; und auch wir werden uns um einiges anstrengen müssen. Wir haben — um das einmal klarzustellen — in der Kostenlage jetzt mit den großen Industrienationen Europas etwa gleichgezogen, und da gibt es einen harten, aber gesunden Wettbewerb. Zweckpessimismus ist hier völlig unangebracht.Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Ihnen der Außenhandel schon Sorgen macht — und es gibt Dinge in diesem Außenhandel, die einem Sorgen machen können —, dann sollten Sie sich mit den Fragen befassesn, bei denen die Wirtschaftspolitik allen Anlaß hätte, Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der deutschen Wirtschaft zu beseitigen. Sie wissen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß unser System der Umsatzsteuer, auch die Prozedur des Umsatzsteuerausgleichs und der Umsatzsteuerrückvergütung im grenzüberschreitenden Verkehr sich zu einer herben Benachteiligung wichtiger Zweige der deutschen Wirtschaft ausgewirkt hat.
Sie wissen, daß z. B. die Umsatzsteuerrückvergütung an die Werften um etwa 3 oder 4 % unter der tatsächlichen Belastung mit Umsatzsteuer liegt. Sie wissen, daß die Werften nicht nur einen harten Wettbewerb auszustehen haben, sondern daß sie Werften in der übrigen Welt gegenüberstehen, die sehr stark subventioniert werden. Aber Sie machen Kunststückchen, geben etwas Kredite und kommen dann natürlich gleich in die Mühle der Auseinandersetzungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, anstatt den Weg einer realistischen Festsetzung der Umsatzsteuerausgleiche im grenzüberschreitenden Verkehr zu gehen. Da könnten Sie gerade auf dem Gebiete der Werften etwas tun, um einem Industriezweig zu helfen, der nicht dadurch,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 837
Dr. Deistdaß er schlechter arbeitet als die anderen, sondern durch ausländisches Dumping und eine schlechte innere Umsatzsteuerregelung unangemessen benachteiligt ist.Das gleiche gilt für die Stahlindustrie. Sie wissen ganz genau, daß der Umsatzsteuerausgleich, wie er heute im grenzüberschreitenden Verkehr geschieht, eine sehr starke Benachteiligung der deutschen Stahlindustrie darstellt. Sie wissen, daß infolgedessen, wegen dieses Umsatzsteuerausgleichs, der süddeutsche Markt von französischem Stahl überschwemmt wird, nicht weil er kostenmäßig günstiger liegt, nicht weil er durch die DM-Aufwertung zu stark betroffen wurde, sondern weil unser Umsatzsteuerausgleich unrealistisch, ungerecht und damit nachteilig für die deutsche Stahlindustrie ist. Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie Außenwirtschaftspolitik machen wollen, hier ist die Gelegenheit gegeben; da braucht man nicht bloß zu reden, sondern hier können Entscheidungen fallen. Aber es ist kein Anlaß, sich dauernd Prügelknaben zu suchen, wenn die Bundeswirtschaftspolitik nicht das tut, was sie in solchen Situationen zu tun hat.Ich bin wirklich ,der Auffassung, daß man 'in die Zukunft sehen muß, und das, was ich über den Wettbewerb ,auf dem Weltmarkt sagte, war ein Blick in die Zukunft und nicht in .die Vergangenheit. Aber wenn man 'in die Zukunft sehen will, muß man sich einen nüchternen, klaren Überblick über die augenblickliche Situation machen. Bei unseren unzulänglichen statistischen Grundlagen — und daran trägt auch unsere Gesetzgebung und die Haltung der Bundesregierung ein Teil Schuld — haben wir nicht genügend zuverlässiges Material zu einer wirklichen, ernsthaften Versachlichung der Erörterungen.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann muß man sich doch wenigstens bemühen, an Hand dessen, was zur Zeit vorhanden ist, ein möglichst nüchternes Bild zu sehen. Und Sie mögen jetzt sagen, Sie hätten gar keine Kassandrarufe ausgestoßen, Sie hätten nicht von Unheil gesprochen, das auf uns zukomme; Sie hätten nicht gesagt: die Vollbeschäftigung ist bedroht; sie hätten nicht gesagt: 'die Arbeitsplätze werden gefährdet — kein Mensch nimmt Ihnen das in Deutschland ab, ,daß Sie so gesprochen haben und daß das so gemeint war.Wir stellen fest, daß der Lagebericht vom Februar 1962 aus dem Bundeswirtschaftsministerium das alles jetzt einfach beiseite wischt und nun eine wirklich nüchterne und mutreffende Lagedarstellung gibt. Aber 'das ist so bei diesem marktwirtschaftlichen Wildwuchs, der im Bundeswirtschaftsministerium zur Tagesordnung gehört. In ,diesem Februarbericht des Jahres 1962 steht gleich auf Seite 1:In der Wirtschaftsentwicklung .der Bundesrepublik setzte im Februar der Frühjahrsaufschwung ein. Nach dem ,ausgeprägten Rückgang in den vorausgegangenen Monaten wurde die Produktion kräftig erhöht. Es lief die ,diesjährige Frühjahrssaison im ganzen gesehen recht gut an.Und nicht nur .das, was heute geschieht, ist geschehen; über Entwicklungstendenz heißt es auf Seite 15 des Berichts:Insgesamt überwogen im Februar die expansiven Faktoren wieder etwas deutlicher.Meine Damen und Herren, damit stimmt nicht das überein, was Sie mit Schock und Schreck mit Absicht über die Menschen bringen wollten. Das sind überhaupt keine Gelegenheiten, um Schock und Schreck auszuüben; das kann man halt nur nüchtern darstellen. Das IFO-Institut hat darüber hinaus festgestellt, daß ,die Unternehmungen auch auf dem Gebiet der Investitionen mit .einer Hebung der Nachfrage 'im März rechnen und 'daß daher mit einer kräftigen Belebung ides Auftragseingangs gerechnet werde.Im Grunde genommen sind alle Voraussetzungen — ich sage nur: Voraussetzungen — für einen Wirtschaftsaufschwung gegeben. Ich sage nur: die Voraussetzungen. Natürlich muß einiges getan werden, um diesen Aufschwung zu sichern.
— Das möchte ich hier nicht so tragisch veranschlagen. Ich kenne auch nicht den Wortlaut von allem auswendig, was aus dem eigenen Büro hinausgeht. Wichtiger ist, was er sachlich darauf zu antworten hat. Da muß ich sagen: In einer solchen Situation, in der die Ansatzpunkte für einen Aufschwung vorhanden sind, in der für breite Schichten der Industrie durch die langfristigen Investitionsverlagerungen der Großwirtschaft die Beschäftigung gesichert ist, in der allerdings manche mittleren und kleineren Unternehmungen unter Schock und Schreck leidend ihre Investitionen zurückhalten könnten — in einer solchen Situation ist es die Aufgabe, den Beteiligten — den Unternehmern, den Arbeitnehmern und der Offentlichkeit — zu sagen: Hier droht nicht Unheil, die Dinge sind so, daß wir in der Lage sind, den wirtschaftlichen Aufschwung zu sichern; und keiner sollte Sorge haben; jeder sollte diese Bestrebungen der Bundesregierung unterstützen. — Das wäre eine staatsmännische Haltung gewesen.
Eine zweite Frage, Herr Bundeswirtschaftsminister; und die bezieht sich auf die Stabilität des Preisniveaus. Ich möchte dem Herrn Bundeswirtschaftsminister beipflichten, daß es einen Wirtschaftszweig gibt, in dem spezielle konjunkturpolitische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das ist die Bauwirtschaft. Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen. Immerhin hat mich gewundert, daß auf diesem Gebiet nach den großen Ankündigungen der Vergangenheit heute so wenig Wolle geboten wurde. Aber immerhin, wir werden abwarten, was dabei herauskommt.Im übrigen ist zwar die Situation nicht ganz so fürchterlich, wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister darstellt. Aus der ganzen Nachfrage- und Angebotsposition sind an sich Preiserhöhungen nicht zu erwarten, wenn die Bundesregierung eine wirksame Kartell- und Preispolitik auf den Gebieten, wo sie dazu in der Lage ist, treibt.
Metadaten/Kopzeile:
838 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. DeistUnd hier, Herr Bundeswirtschaftsminister, herrscht tatsächlich viel Unbehagen im deutschen Volke, nämlich das Unbehagen darüber, daß die Preise bei uns ständig gleichmäßig pro Jahr um 2 bis 3 % steigen, unabhängig davon, ob wir gute Konjunktur oder schlechte Konjunktur haben, unabhängig davon, ob die Löhne stark steigen oder schwach steigen, unabhängig davon, ob der Bundeswirtschaftsminister donnert oder säuselt.Sehen Sie, meine Herren, dann ist es also immer etwas schwierig, nach einem zu suchen, den man als Sündenbock gebrauchen kann — die Hausfrau, den Verbraucher — „der Deutsche verliert jedes Maß" —, und schließlich den Arbeitnehmer, der mit seinen unersättlichen Lohnforderungen alles über den Haufen wirft.Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte es hier noch einmal deutlich wiederholen: Es gibt Positionen, für die die Bundesregierung hinsichtlich der Preisgestaltung ganz eindeutig die Verantwortung zu tragen hat.
Es sind hier heute die Baulandpreise erwähnt worden. Ich führe sie nur an; ich weiß, daß über das Versagen der Bundesregierung auf diesem Gebiet in Deutschland kaum Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Die Mieten haben mit den augenblicklichen Baupreisen gar nichts zu tun. Die Mietsteigerungen sind einwandfrei nicht auf Lohnerhöhungen zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, ich will über die Agrarpreise ein paar Worte sagen. Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich will mich jetzt nicht auf die Diskussion darüber einlassen, ob die Agrarpreispolitik falsch oder richtig ist. Wir haben uns zu dem Landwirtschaftsgesetz bekannt und dazu, daß die Einkommenslage der Bauern ebenso wie die der Landarlbeiter an die der anderen Schichten angepaßt wird. Ob Ihre Mittel immer gerade die richtigen sind, darüber diskutieren wir mit Ihnen beim Grünen Plan. Aber eines jedenfalls ist richtig: wenn die Preise für Fleisch steigen, wenn die Preise für Eier steigen, wenn uns jetzt angekündigt wird, daß die Frühkartoffeln verteuert werden sollen — meine Damen und Herren, dann ist das jedenfalls nicht auf Lohnerhöhungen zurückzuführen.
— Ja, wahrscheinlich sind dann an dem Wetter die Löhne schuld; ich weiß es nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben schließlich den Mißbrauch mit der Preisbindung zweiter Hand erlebt. Jeder weiß jetzt, was bei Schokolade, was bei Spirituosen, was bei Fernsehgeräten gespielt wird, wo die Kartellpolitik der 'Bundesregierung versagt. Sie hat ja jetzt im Hinblick auf die Preisbindung für Autoreifen eine Ohrfeige bekommen, die ihr deutlich zeigt, wie unzulänglich das Kartellgesetz ist und wie 'dringend notwendig 'es ist — seitJahren dringend notwendig —, es zu ändern, wenn man es wirklich ernst damit meint, daß der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht verhindert werden muß und daß man ernsthaft für freien, wirksamen Wettbeweilb sorgen muß.Meine Damen und Herren, ein Wort zur Verbraucheraufklärung. Wenn wir schon hinnehmen müssen — wir müssen in 'der freien Wirtschaft als Preis der Freiheit manches hinnehmen; das konzediere ich ohne weiteres —, 'daß ein Unmaß von Werbung auf den deutschen Verbraucher herunterprasselt, dann genügt es nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister dem bei seinem Ministerium gebildeten Verbraucherausschuß nette Worte 'sagt. Dort hat sich der Minister für eine Unterstützung der Verbraucheraufklärung und besonders auch für die Förderung unabhängiger Warentests ausgesprochen. Zur gleichen Zeit aber haben die Ministerialvertreter im Haushaltsausschuß den Antrag, auch entsprechend Beträge zur Verfügung zu stellen, zunächst mit rechtlichen Erwägungen zu Fall gebracht, obwohl wir seit Jahren gedrängt haben, auf diesem 'Gebiete etwas zu veranlassen und obwohl wir heute ein großes Beispiel, leider wieder in Nordamerika, vor Augen haben, wo der Präsident weiß, was Verbraucheraufklärung in der modernen Gesellschaft 'bedeutet, und eine ganz ,große politische Aktion für Verbraucheraufklärung gestartet hat.
Hier könnten Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, helfen — nicht mit staatlichen Verbrauchertests oder Warentests; das will kein Mensch, sondern dadurch, 'daß Sie durch 'staatliche Förderung sichern, daß unabhängige Warentests mit genügender Sorgfalt und klarem Ergebnis 'angestellt werden, damit die Hausfrau wenigstens gewisse Anhaltspunkte für die Beurteilung der Qualität und des Preises bestimmter Waren erhält. Hier bieten sich Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik, die wahrgenommen werden sollten.Nachdem Herr Atzenroth eine — 'ich will mich vorsichtig ausdrücken — merkwürdige Darstellung, aber auch untergründige Darstellung der Vorgänge bei der Preisfestsetzung für Volkswagen gegeben hat, und nachdem auch bei der CDU einige Töne angeklungen sind, als ob sie und die Regierung damit gar nichts zu tun hätten, möchte ich hierzu einige Bemerkungen machen. Zunächst sind die Preise für beide 1200er-Wagen um 10 bzw. 5 % gesteigert worden. Das ist schon eine ganze Stange. Herr 'Nordhoff hat gesagt, zum Teil sei das auf die Lohnerhöhung zurückzuführen. Er hat aber nicht gewagt, zu behaupten, daß diese Lohnerhöhungen der einzige Grund wären, sondern er sagte, es seien noch Preiserhöhungen von Lieferanten zu erwarten, die er also schon vorweg 'in seiner Preiserhöhung eskomptiert. Er behauptet also gar nicht, 'daß seine Preissteigerung kostenbedingt sei.Herr Atzenroth, da muß ich leider auch ein paar Worte zu Ihnen sagen. Die Löhne und Gehälter betragen beim Volkswagenwerk um 15 % des Preises, und wenn 'ich die um 10 % erhöhe, ergibt sich eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 839
Dr. DeistErhöhung des Kostenniveaus um sage und schreibe 1,5 %.
— Die sind mit drin.
— Ja, Sie können bestreiten; jeder kann bestreiten, soviel er will. Nur: Dies ist eine Tatsache. Lassen Sie sich ,doch 'einmal die Gewinn- und Verlustrechnung des Volkswagenwerks schicken. Darin stehen die Umsätze, die Löhne und Gehälter und die sozialen Abgaben, und da können Sie einmal rechnen.
— Ich komme gleich darauf. — Dann zu behaupten, im Schnitt betrügen die Löhne etwa 90 % des Preises — er hat nicht vom Sozialprodukt gesprochen, sondern .vom Preis, von den Umsätzen der Wirtschaft —, idas ist so grotesk, daß man sich fragt, von warmen Herrn Atzenroth diese Nachricht gekommen ist.
Im Schnitt dürften die Lohn- und Gehaltskosten, d. h. die Personalkosten insgesamt in der 'deutschen Wirtschaft, gemessen am Preis des jeweiligen Erzeugnisses, zwischen 20 und 25 % liegen, —
— also in dieser Gegend. Also nichts von diesen phantastischen Zahlen, die von Herrn Atzenroth genannt wurden. Beim Volkswagenwerk machen die Lohnsteigerungen jedenfalls etwa 1,5 % des Preises aus. Was die Materialkosten betrifft — das Volkswagenwerk bezieht Stahl —, so sind sie in den letzten zwei Jahren für Stahlerzeugnisse ungeachtet gleichbleibender Listenpreise ständig abgesunken und nicht gestiegen.
Meine Damen und Herren: Darum kann Herr Nordhoff seine Preiserhöhungen nicht mit der Ertragslage und der Gewinnlage des VW-Werkes begründen. Er hat es auch gar nicht versucht. Diesen kümmerlichen Versuch hat Herr Atzenroth hier vorgenommen.
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Atzenroth.
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Atzenroth!
Herr Kollege Deist, sind Sie der Meinung, daß ich die Kalkulation des Volkswagenwerks habe verteidigen wollen?
Ich weiß eis nicht.
Ich habe bei der Frage des Lohnanteils in keiner Weise vom Volkswagenwerk gesprochen.
Nein, Sie haben nur merkwürdige Auffassungen über die Bedeutung der Löhne für die Preise im Zusammenhang mit den Preiserhöhungen beim Volkswagenwerk geäußert.
Nun, meine Damen und Herren, eine zweite Bemerkung. Es tut mir leid, Herr Atzenroth, ich komme so schnell von Ihnen nicht los. Sie haben auf den stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats des Volkswagenwerks abgestellt, der dort als Arbeitnehmervertreter sitzt. Sie wissen, daß im Aufsichtsrat eines solchen Werks die Arbeitnehmer ein Drittel der Sitze haben. Sie wisssen, daß daneben einige Vertreter der Bundesregierung und einige Vertreter des Landes Niedersachsen sitzen, so daß vielleicht die Möglichkeit gewesen wäre — wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister aktive Preispolitik gemacht hätte —, eine Zusammenarbeit im Aufsichtsrat zustande zu bringen. Ich weiß jedenfalls zweierlei. Ich weiß nunmehr aus der Presse, aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Herr Kollege Atzenroth, daß sich Herr Brenner mit aller Gewalt gegen diese Preiserhöhung gewehrt hat.
Und ich weiß ein Zweites nicht, — ob die Bundesregierung einen Versuch gemacht hat, diese Preiserhöhung zu verhindern.
Die Bundesregierung weiß, daß das Volkswagenwerk auf dem Gebiete der Kleinwagen die Stellung eines Preisführers hat, daß sich die Preisgestaltung für Volkswagen auf die Preisgestaltung aller anderen Automobilwerke auswirkt. Die Bundesregierung wußte 14 Tage vorher durch Pressemeldungen, daß diese Preiserhöhung geplant war. Ich möchte den Herrn Bundeswirtschaftsminister fragen: was hat er getan, um diese Preiserhöhungen zu verhindern?
Was nützt es da, wenn Sie vor dem BDI in Bonn erklären: Wer glaubt, durch Preiserhöhungen sich retten zu können, betrügt sich selbst. Hier sind ganz andere durch diese Preiserhöhungen betrogen. Und wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt: Wer nicht hören will, muß fühlen!, so möchte ich sagen, nicht gehört hat hier der Nordhoff, aber gefühlt hat der Verbraucher, der Käufer vom Volkswagen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte sehr deutlich sagen, hier liegt eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Kein Bundeswirtschaftsminister hat ein Recht, über die Instabilität des Preisniveaus zu klagen, wenn er nicht wirklich eingreift, sondern nur redet.
Seelenmassage und Schocktherapie sind schon in der Medizin höchst umstrittene Heilmethoden.
Metadaten/Kopzeile:
840 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. DeistAus der Wirtschaftspolitik sollten sie gefälligst herausbleiben.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn ich dann heute morgen in der „Rheinischen Post" lese — und ich nehme an — —
.
— Wir hätten Lust, einen Psychoanalytiker beim Herrn Bundeswirtschaftsminister, beim Herrn Starke und bei Ihnen anzusetzen.
Aber meine Antwort war genauso gemeint wie Ihre Frage!In der „Rheinischen Post" — ich nehme an, daß diese Zeitung Ihnen nicht allzu fern steht; sie pflegt jedenfalls nichts Böses über 'Sie zu sagen — wird über die Kabinettsbeschlüsse von gestern berichtet. Nach dieser Meldung haben Sie in :der CDU/CSU-Fraktion ausgeführt: Ermahnungen reichen nicht mehr aus, es muß endlich wieder regiert werden.
Was für eine Selbstanklage!
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben recht, wenn Sie sagen: Es 'kommt darauf an, daß wir uns nicht nur mit ,der Vergangenheit und nicht nur mit dem Heute beschäftigen, sondern es ist wichtig, zu wissen, wie die Dinge in der Zukunft laufen könnten und wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.Dazu möchte ich jetzt ein paar Worte sagen. Denn uns geht es auch nicht nur darum, Herr Bundeswirtschaftsminister, 'die Konten glattzustellen. Wenn 'Sie ein Konto allzusehr belasten, werden wir für entsprechende Gutschriften sorgen müssen, damit das Konto wieder 'glattgestellt wird. Aber nicht nur darum geht es, sondern es geht darum: Was kann auf dieser Basis in der Zukunft geschehen?Lassen Sie mich zunächst einmal, da mich Herr Scheppmann dazu 'verleitet hat, in bezug auf die Zukunft :ein paar Worte zu einem Thema sagen, das vom Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht angeschnitten worden ist und offenbar für die CDU nur unter dem Gesichtspunkt der bevorstehenden nordrhein-westfälischen Wahlen ein besonderes Interesse hat.'
Ich meine die Fragè der langfristigen Energiepolitik. Meine Damen und Herren, seit dem Jahre 1956 haben wir 'Sozialdemokraten — damals mit einer ersten Großen Anfrage — auf die 'zukünftige Entwicklung der Energiewirtschaft hingewiesen.
Wir haben 'das in der Zwischenzeit mehr und mehr wiederholt. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie und Ihre Fraktion waren damals — ich weiß nicht, wie Ihre Haltung heute ist; jedenfalls war 'es bis vor kurzem so — der Auffassung, daß es endlich Zeit werde, den Kohlenbergbau in die Marktwirtschaft einzugliedern. So eine Resolution Ihrer Mehrheit,ich glaube, im November des Jahres 1956 hier im Bundestage!Jetzt hat der Herr Ministerpräsident deis Landes Nordrhein-Westfalen festgestellt, daß im Juli Wahlen stattfinden und daß man sich wenigstens jetzt regen müsse, obwohl die Kohlenkrise in Nordrhein-Westfalen einige Jahre älter ist. Er hat — man höre und staune! — davon gesprochen, nun müsse 'endlich ein Energieplan aufgestellt werden, hier müsse eine planmäßige Ordnung im Kohlenbergbau herbeigeführt werden.
Er hat gesagt, mit den Ad-hoc-Maßnahmen müsse es zu Ende sein, weil damit nichts genützt werde. Meine Damen und Herren, das mit den Ad-hocMaßnahmen geht gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. Herr Meyers kann ruhig so sprechen; denn jedermann weiß, daß das auf die Bundesregierung nicht allzuviel Eindruck macht und da nicht allzu ernst genommen wird.Aber vielleicht muß man doch eines hierzu ,sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister: Dieses Herumwursteln in der Energiewirtschaft, dieser Verzicht auf eine langfristige, in die Zukunft schauende Energiewirtschaftspolitik hat einige bemerkenswerte Ergebnisse gezeitigt. Das erste war, daß der Verbraucher laufend über Heizölsteuer, Kohlezoll usw. usw. belastet wurde. Das zweite war, daß der Arbeitnehmer zunächst in den Jahren 1958 und 1959 zahllose Feierschichten auf sich nehmen mußte und daß insgesamt 144 000 Mann, das sind etwa 30 %, den Bergbau verlassen haben und eine andere Arbeitsstelle suchen mußten. Das dritte Ergebnis ist, daß sich, wie die Hohe Behörde in ihrem Zehnten Gesamtbericht feststellt, durch dieses Absinken der absoluten Lohnsumme die Ertragslage der Unternehmungen verbessert hat. Der einzige Verlierer ist die Energiewirtschaft; denn die Kohlenkrise ist im Ruhrgebiet heute so ungelöst wie eh und je.
Da sollte sich doch der Herr Scheppmann lieber nicht hier hinstellen und eine solche Rede halten, die nur unter den speziellen 'politischen Verhältnissen im Lande 'Nordrhein-Westfalen vor den Landtagswahlen zu verstehen ist.
— Ach, Herr Scheppmann, wir kennen uns doch!
Herr Scheppmann, wenn Sie mit mir einverstanden sind, daß der Kohlenbergbau kein Tummelplatz für dilettantische Versuche frei schaffender Künstler der Marktwirtschaft ist, dann können wir ein ganzes Stück zusammengehen,
und dann können wir vielleicht sogar gemeinsam etwas erreichen. Ich hoffe', :daß Herr Burgbacher dabei mitmacht.
Nach diesem Ausflug, zu dem mich Herr Scheppmann verleitet hat, wieder zurück zur allgemeinen Lage der Wirtschaft und zur Konjunkturpolitik!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 841
Dr. DeistMeine Damen und Herren, es kommt darauf an, über die langfristige Entwicklung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik Klarheit zu schaffen. Das kann man natürlich nur, wenn man nicht darauf angewiesen ist, mit der Stange im Nebel herumzufuhrwerken, sondern einige Instrumente hat, mit denen man abschätzen kann, wie die Wirtschaftsentwicklung laufen wird, und die erlauben, sich Gedanken darüber zu machen, welche Wirtschaftspolitik in die Zukunft hinein betrieben werden soll.Meine Damen und Herren! Ich bin sehr erfreut und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar, daß er am Beispiel der Bauwirtschaft gezeigt hat, wo der Grund für solche Konjunkturüberhitzungen, für solche Lohnsteigerungen und für solche Preissteigerungen eigentlich liegt. Er hat nämlich gesagt — und ich stimme ihm völlig zu —, an der Bauwirtschaft kann man exerzieren, wie die Übernachfrage zur Abwerbung von Arbeitskräften führt, so daß die Unternehmer wesentlich mehr zahlen, als die Arbeitnehmer durch ihre Gewerkschaften überhaupt herausholen können, und, möchte ich hinzufügen, ein Preisklima geschaffen wird, das alles zunichte macht, was man sonst über Preisstabilität auch reden mag.Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist durchaus richtig. Nur beschränkt sich diese Erfahrung nicht auf die Bauwirtschaft. Herr Konstantin Paulssen hat zwar im Fernsehen den untauglichen Versuch gemacht, zu behaupten, die Tatsache, daß der Effektivlohn so hoch über dem Tariflohn liege, sei doch eigentlich eine normale Sache. Es tut mir leid, daß er selber nicht in die Zahlen hineingesehen hat und daß seine Partner im Gespräch die Zahlen auch nicht zur Hand hatten. Ich will sie darum hier zur Kenntnis geben.Im Jahre 1955 lagen die Effektivlöhne ausweislich der Feststellungen des Statistischen Bundesamtes 6 % über den Tariflöhnen. Das war eine ganz normale Sache. In dem Boom des Jahres 1955/56 kletterte die Differenz auf 10 %. In den Jahren 1959, 1960 und 1961 hatten wir jene Überhitzung, in der wir ständig konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen verlangt haben, in der Sie jedoch nichts unternommen haben. Die Effektivlöhne stiegen von 1959 auf 1960 von 16 auf 20 %, und im Jahre 1961 lagen sie 25 % im Schnitt über den Tariflöhnen.Das gibt den Schlüssel dafür, wo mit Konjunkturpolitik angesetzt werden muß. Sie korrigieren an Symptomen herum, wenn Sie an den Löhnen anfangen oder wenn Sie vielleicht in Preisdirigismus machen wollen. Wir wissen das sehr genau. Sie müssen an den Grundlagen ansetzen. Und Sie mußten im Herbst 1960 ungeachtet des Widerstandes jener mächtigen Interessengruppen, gegen die Sie so heftig wettern und die Sie damals überfahren haben, Konjunkturpolitik machen. Wir waren mit Ihnen und mit den Wirtschafts- und Finanzpolitikern der CDU darüber einig, was geschehen sollte. Sie konnten und durften aber nicht. Hier liegt der Hund begraben.
Hier müssen die Dinge angepackt werden. Hier mußman durch eine langfristige Überschau über diewirtschaftliche Entwicklung dafür sorgen, daß jeder- mann weiß, was auf uns zukommt, während bei uns in Deutschland heute beinahe jeder behaupten kann, was er will, weil es keine wirklich gültigen Prognosen gibt, die auf ausreichend zuverlässigen Unterlagen beruhen.Darum, meine Damen und Herren, bedauern wir es, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, heute außer einigen Andeutungen über dieses wissenschaftliche Gremium nichts Konkretes gesagt haben. Unter diesem wissenschaftlichen Gremium kann man doch sehr Verschiedenes verstehen. Ihre Kollegen von der CDU/CSU hatten die Absicht, ein Lohn-Preis-Gremium zu schaffen, also mit deutlicher Spitze gegen die Arbeitnehmerschaft und die Lohnentwicklung gerichtet — das ist wohl ziemlich deutlich —, während es sich — ich glaube, dieser Auffassung ist auch der Wirtschaftsminister — doch um ein Gremium handeln muß, das die gesamte wirtschaftliche Lage und die zugrunde liegenden Faktoren der Entwicklung feststellt. Wenn ich recht gehört habe, ist auch ein solcher Satz in Ihrer Rede enthalten, so daß ich das als Bestätigung auffassen kann. Was man vor allem braucht, wenn man Wirtschaftspolitik machen will, ist doch nicht ein zusätzliches wissenschaftliches Gutachten, das alle halbe Jahre veröffentlicht wird und dem Bundeswirtschaftsminister ein neues Alibi schafft, zu sagen: Die haben mal wieder nicht gehört, es ist mal wieder nichts geworden. — Was man braucht, sind ausreichende objektive Grundlagen für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Darum bedauern wir, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie nichts darüber gesagt haben, daß das, was dieses Gremium wissenschaftlich objektiv zu erarbeiten hat, der Bundesregierung als Grundlage für ihre Wirtschaftspolitik zu dienen hat, damit jeder in Deutschland — Arbeitnehmer ebenso wie Arbeitgeber und Unternehmer — weiß, was gespielt wird; daß Sie am Anfang des Jahres, wie das in Amerika und in Großbritannien üblich ist, einen Jahreswirtschaftsbericht geben, in dem Sie Entwicklungstendenzen aufzeigen und sagen, was Sie, die Bundesregierung, wirtschaftspolitisch tun werden, um eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung, ein stabiles Preisniveau, einen ausreichenden Aufschwung der Wirtschaft zu sichern. Darüber, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben wir leider nicht viel gehört.Ich meine, es wäre an der Zeit, darüber Klarheit zu schaffen. Es wird viel, viel gemunkelt. Und es wird viel zwischen den Bänken gespielt. Es wäre schon besser, hier würde eindeutig Klarheit geschaffen. Es ist schon ein Unglück, möchte ich sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß durch die Art, wie diese Frage in der Vergangenheit behandelt worden ist, der Präsident des Statistischen Bundesamts, Herr Fürst, veranlaßt wurde, zu erklären: „Bitte, ohne mich! Ich will nicht in dieses politische Spiel 'hineingebracht werden!" Das ist ein unglückliches Ergebnis Ihrer Art, zu taktieren. Denn in ein echtes wissenschaftliches Gremium gehört für mein Empfinden ein Mann wie der Präsident des Statistischen Bundesamts hinein.Es sollte von Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, klargestellt werden — und ich bitte darum,
Metadaten/Kopzeile:
842 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Deistwenn es irgend geht, es heute zu tun —, daß jene Wissenschaftler, die hier objektive Grundlagen schaffen sollen, nicht mißbraucht werden, wirtschaftspolitische Vorschläge zu machen, wie sie die Bundesregierung gern haben möchte, sondern ihr Material in wissenschaftlicher Objektivität der Öffentlichkeit und der Bundesregierung vorgelegt wird.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen, wir haben im Jahre 1956 unseren ersten Gesetzentwurf eingebracht, in dem wir ein solches wissenschaftliches Gremium und einen 'derartigen Jahreswirtschaftsbericht gefordert haben. Wir haben ihn immer wieder verlangt, und wir werden, um die Bundesregierung zu zwingen, Farbe zu bekennen, diesen Antrag auch jetzt einbringen. Immerhin betrachten wir 'die Tatsache, daß sich die Bundesregierung ungeachtet der Fehlschläge in 'den Jahren 1957 und 1958 dazu •durchgerungen hat, den Gedanken eines solchen wissenschaftlichen Gremiums zu akzeptieren, als einen Erfolg, an dem wir unseren Anteil haben. Wir werden weiterhin die öffentliche Meinung mobilisieren, um zu sichern, daß über gesunde wirtschaftliche Entwicklung nicht nur geredet wird, sondern daß auch eine entsprechende Politik getrieben wird.Herr Bundeswirtschaftsminister, „Der Volkswirt" — auch kein unwichtiges Organ der deutschen Presse — schreibt unter dem 30. März:Aber soll man sich allein auf die „gute Nase" eines Mannes verlassen. Hat ihr Spürsinn nicht vor Jahresfrist noch getrogen, als man im Vertrauen auf ihn die Aufwertung der D-Mark beschloß? .. .Um es konkret auszusprechen: Wir brauchen eine vorausschauende, alle Instrumente koordinierende Wirtschaftspolitik unter Verzicht auf' alte Laissez-faire-Dogmen und eine Untermalung durch Kassandrarufe.
So schreibt „Der Volkswirt".
Da ich mich nicht dem Vorwurf aussetzen möchte, ich hätte nur die Grundlagen für eine Zukunftspolitik dargelegt, aber über das, was auf uns zukomme, und über das, was der Bundeswirtschaftsminister dargelegt habe, hätte ich nichts gesagt, gestatten Sie mir, daß ich 'auch dazu einige Bemerkungen mache. Ich kann das um so eher, als ich jedenfalls für meinen Teil dazu beigetragen habe, daß man durch eine nüchterne, sachliche Darstellung der Lage nunmehr wirklich sachgemäße Konsequenzen ziehen kann.Ich sagte schon, eines 'der wichtigen Probleme, das auf uns zukommt, insbesondere im Hinblick auf die Exportoffensive Großbritanniens und der USA, ist tatsächlich unser deutscher Export. Meine Damen und Herren, wir sollten ohne großes Lamento auch ruhig feststellen, daß Gefahr besteht, daß die Qualität der deutschen Leistung und daß die Stärke unseres Exportes nicht gleich gut bleibt wie in der Vergangenheit. Das ist eine gemeinsame Sorge, darum haben wir uns alle zu kümmern. Aber wir sollten vielleicht auch- einmal ein wenig überlegen, woran das liegen mag. Wir sollten ein klein wenig überlegen, ab das nicht auch an der Boom-Stimmung an dem Wettlauf, den Sie zugelassen haben, haben, liegt, bei dem viel Gefühl für Qualitätsleistung und sorgfältige Arbeit verloren gehen muß. Das sind nicht diese bösen deutschen Menschen, die auf einmal nicht mehr anständig zu 'arbeiten wissen, sondern das ist ein Trend, den die deutsche Wirtschaftspolitik dadurch 'begünstigt, daß sie die Hast einer Boomstimmung in der Wirtschaft zuläßt.
— Das ist keine tolle Unterstellung, das ist ein ganz einfacher logischer Schluß.
— Herr Vogel, vielleicht darf ich jetzt weiter sprechen. Sie sollten sich einmal mit einigen leitenden Männern in der Exportindustrie unterhalten. Auch sie werden sicherlich dies als einen der Gründe für die Verschlechterung der Qualität angeben.Ich habe auch darauf hingewiesen: ein Stück von der Maßlosigkeit, die bei uns in Deutschland in bestimmten Schichten herrscht, ist daran natürlich auch schuld. Nur sollten Sie sich bewußt sein, meine Damen und Herren, daß die geistige Haltung, das Denken der Menschen im großen Umfang durch das Verhalten derer bestimmt wird, die man als die leitenden und die führenden Schichten bezeichnen kann.
Sie sollten einmal überprüfen — Sie brauchen bloß ein paar Illustrierte zu lesen —, wer Lokale wie die „Datscha" in Düsseldorf besucht. Sie sollten sich einmal überlegen, was es bedeutet, wenn die „Neue Zürcher Zeitung" von der „Germanisierung des Tessins" schreiben kann und wenn in einer deutschen Zeitung mit Millionenauflage davon die Rede ist, die Costa Brava sei fest in deutscher Hand.
— Ich sage ja gar nicht, daß Sie das so machen. Ich weiß es nicht, aber ich unterstelle es bei Ihnen nicht.
Daß Sie, Herr Stoltenberg, diesen Zwischenruf machen, läßt ja nun tief blicken.
Er hat gesagt „Millionär".
— Ich weiß, warum Sie es gesagt haben
— Ich bin doch gar nicht so böse. Ich habe nur darauf hingewiesen, Herr Stoltenhoff — —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 843
Dr. Deist— Ja, darüber weg. Das ist gefährlich, denn wenn man über den Berg ist, geht es bergab.
— Wozu auserwählt? —
— Meine Damen und Herren, ich will Ihnen dazu etwas sagen. Schön wäre es vielleicht mit dem Millionär — ich kann das nicht beurteilen —, es stimmt nur leider nicht. Das können Sie bar nehmen. Herr Stoltenberg, wenn ich Ihnen das gäbe, was mir an der Million fehlt, dann ginge es Ihnen wesentlich besser als Mir. Das können Sie ebenfalls als bare Münze hinnehmen, Herr Schmücker! Aber reden wir nicht weiter darüber.Jene Dame, die diesen Artikel geschrieben hat und der gegenüber ich etwas höflicher sein muß als Ihnen gegenüber, hat ja eine bemerkenswerte Fußnote gemacht. Mit dieser Fußnote ist es ihr möglich, jeden Arbeitnehmervertreter in einem Aufsichtsrat zu einem Millionär zu stempeln, weil er im Aufsichtsrat über Millionen mitverfügt. Schön, wenn das in einer Illustrierten steht, muß man das wohl hinnehmen. Ob Sie eine solche Argumentation übernehmen wollen, sollten Sie sich überlegen. — Ich sehe, Sie sind der Meinung, man sollte sie nicht übernehmen. Ich quittiere das mit Dank.Ich war dabei, darzulegen, daß diese geistige Haltung, dieses materialistische Denken bei uns in Deutschland — das ja nicht unten anfängt, sondern von oben ausgeht — auch ein Ausfluß der dreizehnjährigen Beherrschung der gesamten Politik und des gesamten öffentlichen Lebens durch Ihre Mehrheit ist. Das wollte ich denn doch hinzugefügt haben, wenn wir davon sprechen, daß die Leistung in Deutschland, das Qualitätsdenken und das Verantwortungsbewußtsein hier und da etwas schwinden. Wie gesagt, das ist einer der Gründe, keineswegs der einzige Grund.Ich sagte weiterhin, daß der Boom und der Wettlauf daran schuld sind. Ich meine, wir sollten uns alle Mühe geben, eine gesunde Konjunktuur zu sichern, der überschäumenden Konjunktur entgegenzuwirken, weil wir dann auch etwas tun, die Voraussetzung für eine hohe Qualität deutscher Exportartikel zu schaffen.Diese Frage ist im Zusammenhang mit der weltpolitischen Situation 'zu sehen. Ich denke dabei nicht einmal an außenpolitische Vorgänge, sondern ich denke an die Bestrebungen innerhalb der EWG, an die Bestrebungen Kennedys, einen liberalen Handel zwischen dem amerikanischen Kontinent und der Bundesrepublik herbeizuführen. Vielleicht sollte uns das doch veranlassen, die Voraussetzungen da zu schaffen, daß man sich in Deutschland zusammensetzt, um 'gemeinsam. ein so schwieriges Problem zu lösen.Ein zweites Problem kommt hinzu, das uns in der Zukunft bewegen wird, — und es ist nicht das Vorrecht des Bundeswirtschaftsministers, sich um die Zukunft Sorgen zu machen; wir 'machen sie uns mindestens ebensosehr. Das ist die Frage des zukünftigen Expansionstempos der deutschen Wirtschaft. Wir haben in den vergangenen Jahren, ausgehend von dem Tiefstand nach dem Zusammenbruch, Expansionsraten von 8 bis 10 % gehabt, die nicht normal sind. Es ist klar, daß 'in den nächsten Jahren geringere Expansionsraten auf uns zukommen. Ich glaube, ich stimme — wenn ich 'recht 'gelesen habe — so in etwa mit dem Bundeswirtschaftsminister überein, wenn ich sage, daß zukünftige Expansionsraten im Schnitt nicht wesentlich über 5 %, jedenfalls um 5 % liegen werden. Das wird für die gesamte deutsche Wirtschaft, für die Unternehmer ebenso wie für die Arbeitnehmer und ebenso für den Staat mit seiner Einnahmen- und Ausgabenpolitik, ein schwieriger Prozeß der Anpassung sein.Ein zweites möchte ich hinzufügen. Sie haben in den letzten Jahren einige Maßnahmen unter dem Stichwort „Eigentum für alle — gerechtere Vermögensverteilung" gestartet. Man kann eine Verbesserung der Vermögensverteilung natürlich viel besser in einem starken Wirtschaftsaufschwung als in einem schwächeren Wirtschaftsaufschwung sicherstellen. Das heißt, bei dem Tempo, das wir in Zukunft haben 'werden, werden auch auf diesem Gebiet besondere Probleme auftauchen.Nehme ich 'schließlich die ganze außenpolitische Situation hinzu, die uns noch große Lasten bringen wird, dann, meine ich, haben wir allen Anlaß, zu überlegen, wie wir Voraussetzungen schaffen, damit alle Beteiligten sich zusammensetzen. Es kommt uns doch hoffentlich allen darauf an, unsere Wirtschaft so krisen- und katastrophenfest wie nur möglich zu machen und nicht alle gegeneinander aufzubringen.Da frage ich mich: muß man nicht für die Aufgaben, die auf uns zukommen, ein Höchstmaß an gegenseitiger Achtung und ein Höchstmaß an Vertrauen zwischen allen Schichten des deutschen Volkes schaffen? Einige Ansatzpunkte dafür wurden in letzter Zeit in Deutschland geschaffen, leider meist ohne Zutun der Regierung, schon gar nicht mehr, seit die FDP in der Regierung ist. Nun hat der Herr Bundeswirtschaftsminister durch seinen Amoklauf vor 14 Tagen viele, viele Grundlagen für ein solches Vertrauensverhältnis wieder in Unordnung gebracht.
Unter diesem Gesichtspunkt frage ich — jetzt wende ich mich an Sie, meine Damen und Herren in der Mitte und auf der Rechten —: Ist die Sprache, die der Herr Bundeswirtschaftsminister in den letzten 14 Tagen bis zum Exzess anwendet, die richtige Sprache, um die Voraussetzungen für die Lösung dieser gewaltigen Aufgaben zu schaffen, die wir gemeinsam lösen müssen? Da ist beim Bundeswirtschaftsministar von „Wahnwitz" die Rede, von „Irrwahn", „Treppenwitz der Geschichte". — „Wir sind mit Blindheit geschlagen! Wohin wir taumeln; welche Gefahren uns drohen, das sehen wir nicht. Aber wohin ich sehe, erblicke ich Gefahren. Wir sind
Metadaten/Kopzeile:
844 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Deistschon auf der schiefen Ebene. Wir zerschlagen — wie Kinder das Spielzeug — die Grundlagen unseres wirtschaftlichen Seins." — Meine Damen und Herren, ist dais eine Sprache, mit der man die Grundlage für ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten schafft? Ich bezweifle es sehr.Vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie ist der Herr Bundeswirtschaftsminister erwacht. Er fühlte sich, wie er sagte, „wie einst im Mai". Dort meinte er, per müsse durch die Schallmauer der kollektiven Meinungsbildung hindurchstoßen. Ausgerechnet vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie durch die Schallmauer hindurchstoßen zu wollen!
Dann frage ich mich, was für eine Bedeutung und welche Konsequenzen es hat, wenn der Bundeswirtschaftsminister vor diesem Gremium sagt, er denke nicht daran, den einzelnen Gruppen nach dem Maul zu reden und dem Primadonnentum der Funktionäre Vorschub zu leisten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wollen Sie mit solchen Reden eine Vertrauensgrundlage schaffen? Meinen Sie nicht, daß vielleicht mancher, der ständig die Fernsehschirme sieht, fragt: Wer spielt eigentlich bei uns in Deutschland ständig Primadonna?
In einer solchen Situation sagt der Herr Bundeswirtschaftsminister, er wolle Schock verursachen und Schrecken einjagen. Er denke nicht daran, die Wogen zu glätten. Es komme wirklich nicht darauf an, den einen oder anderen zusätzlich zu vergrämen.— Wir haben das schon einmal unter einer viel kürzeren Formel gehört, die hieß „Viel Feind', viel Ehr'". Diese Formel hat uns nicht sehr viel eingeracht.
Sie sollten sich einmal überlegen, wen er mit diesen Äußerungen vergrämt, ob das irgendwer ist oder ob das nicht große Schichten des 'deutschen Volkes sind.
— Ich will von Ihnen gar keine Antwort. Ich möchte, daß Sie vielleicht hinterher ein wenig nachdenken. Dabei sollten Sie überlegen, ob es gut ist, wenn der ¡Bundeswirtschaftsminister 'im Anschluß an solche Äußerungen sagt: „Das ist meine Handschrift." Meine Damen und Herren, diese Handschrift kennen wir.
Im Jahre 1957 hieß es auf der Frankfurter Frühjahrsmesse, er werde mit brutaler Gewalt die Preise 'niederschlagen. Nichts geschah. Nach den Wahlen von 1957, als der Kohlebergbau über den Kopf des Bundeswirtschaftministers hinweg eine Erhöhungdes Kohlepreises 'vornahm, sagte er: „Ich schieße aus allen Rohren."
— Sie können sich über 'diese Zitate mit Ihrem Herrn Bundeswirtschaftsminister unterhalten.
— Das überlasse ich Ihnen. 'Das besorgen Sie viel besser als ich.Als es im Jahre 1960 um die Dämpfung der Konjunktur ging und der Bundesverband der Deutschen Industrie als Kaufgeschäft 'eine Milliarde DM für Entwicklungshilfe anbot, sagte der Bundeswirtschaftsminister, die Industrie sollte wissen, daß sie mit dieser einen 'Milliarde keinesfalls den Verzicht der Regierung auf konjunkturpolitische Maßnahmen erkaufen könne. 'Sie hat erkauft, meine Damen und Herren!
Dann ein letztes Wort. Der Herr -Bundeswirtschaftsminister hat sich nicht gescheut, vor der Versammlung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zu sagen, das Recht auf Opposition und Kritik ende dort, wo es die Stabilität der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit gefährde.
Wie weit sind wir eigentlich in Deutschland, daß die Opposition mit ihrer Kritik schon die wirtschaftliche und soziale Entwicklung gefährden kann?! Wie weit wollen Sie eigentlich in Ihrer l'berhebung ,gehen, deuten zu wollen, was ,die Opposition an Kritik aufbieten darf, 'während solche Reden wie 'die des Herrn 'Bundeswirtschaftsministers, die wir nicht verhindern wollen und die ihm in 'der Demokratie auch nicht verboten werden sollen, jedenfalls höchst nachteilig für die konjunkturelle Entwicklung sind?!'
Ich habe das alles nur angeführt, damit wir gemeinsam überlegen, ob eine solche Sprache
— nun, dann sage ich: damit Sie sich überlegen,
ob ein solcher Ton in unserer politischen und wirtschaftlichen Lage wirklich angemessen ist.Wie das wirkt, was der Herr Bundeswirtschaftsminister in den letzten 14 Tagen entfacht hat, das können wir an zwei Feststellungen merken. Die „Welt" schrieb gestern in ihrem Leitartikel:Seit langem hat man Professor 'Erhard und Fritz Berg nicht so einig gesehen wie gestern bei der Jahrestagung des BDI.Die „Welt" hat nur vergessen, daß am Fernsehschirm 'deutlich zu sehen war, daß zu diesem Duett Herr Mende als Dritter gehörte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 845
Dr. DeistIch will da gar kein Werturteil fällen. Ich will nur feststellen, wie das auf einen .großen Teil der deutschen Öffentlichkeit gewirkt hat. Auf der anderen Seite können Sie nicht leugnen — ich lasse jetzt dahingestellt, ob Sie das als berechtigt anerkennen oder nicht —, daß jedenfalls die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften diese Rede des Bundeswirtschaftsministers als eine harte Kampfansage betrachten. Das ist das Ergebnis, das ich aus der öffentlichen Meinung hier zunächst nur einmal feststellen möchte, und ,da hilft die Strichtechnik des Herrn Schmücker nichts. Er hat offenbar einen Pix genommen, bei dem man dicke und dünne Striche nicht unterscheiden kann. Es kommt auf die Gewichte 'an!
Es geht dabei nicht nur um den sachlichen Gegensatz, darum, daß eine konservative Bundesregierung in solch einseitiger Weise gegen die Arbeitnehmer Stellung nimmt, sondern es geht darum, daß sie ihre führenden Männer in einer geradezu unqualifizierbaren Weise persönlich angreift. Wenn man von dem Primadonnentum der Funktionäre spricht und wenn man von den Gewerkschaftlern spricht, die mit doppelten Zungen reden, dann ist das eine Sprache, die bewußt verleumdet.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in Siegen gemeint, sagen zu 'dürfen, er müsse jetzt abwarten, ob 'die Gewerkschaften ein positives Verhältnis zum Staat fänden.
Hier verwechselt der Herr Bundeswirtschaftsminister wieder einmal sich mit dem Staat. Wie ist es eigentlich möglich, daß ein Bundeswirtschaftsminister durch eine solche Frage die Staatstreue und demokratische Zuverlässigkeit der Gewerkschaften überhaupt in Zweifel zieht?
So wirkt die Propagandawelle, ,die 'der Herr Bundeswirtschaftsminister entfacht hat. Dabei kann doch kein Zweifel darüber bestehen, wenn Sie 'sich das Verhalten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften in politischen Krisen ansehen, z. B. am 13. August, oder wenn Sie sich das Verhalten der Gewerkschaften bezüglich der Arbeitszeitverkürzung ansehen, wo eine Arbeitszeitverkürzung um 8 Stunden auf 8 Jahre verteilt wird, damit keine Schwierigkeiten für die Wirtschaft aufkommen, daß hier doch Beispiele des Verantwortungsbewußtseins gegenüber Staat und Gesellschaft vorliegen.
Dann soll man nicht davon reden, daß ein vernünftiger volkswirtschaftlicher Ausgleich nicht zu erwarten sei, wenn die Tarifparteien so fortfahren. Dann soll man nicht mit der Drohung kommen, Freiheit ohne Verantwortung sei nicht möglich. — Das unter-streichen wir weiß Gott; bloß — bitte Verantwortung auf allen Seiten! —
Man spricht die Drohung aus, dann müsse man sich eben überlegen, ob die Tarifautonomie noch ein angemessenes Mittel sei — immer dieser Knüppel hinter dem Rücken! Meine Damen und Herren, wie läuft denn die Entwicklung eigentlich? Was liegt denn eigentlich vor, das befürchten läßt, daß die Lohnentwicklung in der nächsten Zukunft gefährliche Ausmaße annehmen würde? Ich habe schon die falschen Meldungen, wir seien an der Spitze der europäischen Staaten, richtiggestellt. Wir sind in die Spitze der großen europäischen Industriestaaten eingerückt, und da gehören wir als leistungsfähige Industrienation auch wohl hin.
Aber vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis, meine Damen und Herren, was das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung über die Lohnentwicklung der letzten Zeit festgestellt hat. Da ist nämlich zu sehen — und .das ist auch ganz normal und natürlich —, daß, wenn die Konjunktur schwächer wird, auch .die Lohnentwicklung schwächer wird. Niemand sollte doch so tun, als wenn die Gewerkschaften es in der Macht hätten, zu tun, was sie wollten, und mit den Bäumen bis in den Himmel wachsen könnten. In Wirklichkeit betrug die Zunahme der Löhne und Gehälter im ersten Quartal 1961 gegenüber 'dem Vorjahr 11 %, im dritten Quartal 8,7 %, und im ersten Quartal 1962 wird .die Zunahme auf 7,5 bis 8 % geschätzt. Hier sieht man schon, daß die Lohnentwicklung sich an die Wirtschaftsentwicklung anpaßt. Merkwürdigerweise liegt diese geschätzte Zahl von 7,5 % bis 8 % haargenau bei dem Zuwachs des Volkseinkommens, den die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister ihren Etatvorausschätzungen zugrunde gelegt haben. Da ist es wohl doch nicht zuviel und zu unverschämt, wenn die Arbeiter meinen, 'sie sollten in gleicher Weise wie der Staat an dem Zuwachs des Volkseinkommens beteiligt sein.Meine Damen und Herren, das sind die wirtschaftlichen Probleme, die vor uns stehen. Wir haben allen Anlaß, zu überlegen, ob die Methoden, die hier angewandt werden, dieser Sachlage wirklich gemäß sind.Wir sollten eines nicht vergessen: Die freien Organe der Arbeitnehmer, die deutschen Gewerkschaften, haben 6 Millionen Mitglieder. Diese Gewerkschaften vereinen bei allen Personalrats- und Betriebsratswahlen etwa 80 % der Arbeitnehmer auf sich. Was muß es für die gesunden sozialen Grundlagen bei uns bedeuten, wenn diese große Schicht zuverlässiger deutscher Demokraten das Gefühl gewinnt: Der Bundeswirtschaftsminister steht nicht mehr über den Gruppen, er ist nicht mehr ein ehrlicher Makler zwischen den verschiedenen Schichten des deutschen Volkes!
Hier wird sehr leichtfertig und hemmungslos einewichtige Vertrauensgrundlage zerstört, — und wirwerden sehr viel Arbeit haben, diese Vertrauens-
Metadaten/Kopzeile:
846 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Deistgrundlage, die wir für die Zukunft brauchen, wiederherzustellen.Meine Damen und Herren, Sie sollten sich bewußt sein — das ist eine schwere Aufgabe —, wie Sie diese Aufgabe unter Ausschaltung der Arbeitnehmerschaft, unter Ausschaltung der Sozialdemokratie und der Verantwortung bewältigen wollen bei dem, was auf uns zukommt. Unser äußeres und unser inneres Schicksal sind auf das engste miteinander verwoben. Auch von außen kommen Lasten hinzu. Im Innern werden wir uns auf große Schwierigkeiten und große Sorgen vorbereiten müssen. Es kommt darauf an, daß wir dafür alle Kräfte zusammenfassen. Sie haben trotz der schwierigen Außensituation leichtfertig darauf verzichtet, das Angebot der deutschen Sozialdemokratie anzunehmen, die Verantwortung mit zu übernehmen.
Jetzt zeigen Sie auch in einer schwierigen wirtschaftspolitischen Situation, daß Sie nicht in der Lage sind, diese Situation angemessen zu meistern, sondern statt dessen Gräben durch Deutschland ziehen.Meine Damen und Herren, das Joint Economic Committee des amerikanischen Kongresses hat, ich glaube, im Jahre 1960 einmal ausgeführt:Es ist möglich, eine hohe und nachhaltige Wachstumsrate und relative Vollbeschäftigung ohne schleichende und galoppierende Inflation zu erreichen, vorausgesetzt daß wir die richtige Politik betreiben.1 Es gilt zu begreifen, daß keine Regierung sich von der Verantwortung freisprechen kann, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten auf uns zukommen. Sie hat das Staatswohl zu wahren, sie hat die wirtschaftspolitischen Instrumente in der Hand; sie ist für die Wirtschaftspolitik verantwortlich, und sie ist dafür verantwortlich, daß gehandelt wird. Niemand kann ihr diese Verantwortung abnehmen.Unsere ernste Sorge ist, daß hier durch den Bundeswirtschaftsminister eine Lage geschaffen wurde, die die Gefahr in sich birgt, daß wir die wirtschaftlichen Aufgaben, die auf uns zukommen, ebensowenig wie die außenpolitischen, wirklich sachgemäß lösen können, daß wir daran scheitern könnten, ein gesundes wirtschaftliches Wachstum und stabile Preise in Deutschland auf lange Sicht zu sichern.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich erheblich kürzer fassen als mein verehrter Herr Vorredner.
Ich frage mich den ganzen Tag, wie die Debatte heute im Hause verlaufen wäre, wenn unser verehrter Herr Wirtschaftsminister dieselbe Rede, die er am Rundfunk gehalten hat, zuerst hier gehalten hätte. Ich bin mir nicht klar, wie die Antwortausfällt; ich überlasse sie jedem einzelnen nach gewissenhafter Überlegung. Ich habe aber den Eindruck, daß ein Teil der Aufregung über den eventuellen Formalverstoß gegen eventuelle parlamentarische Grundsätze
bei manchen ein Vorwand für die Besorgnis ist, daß die Argumente, die der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgetragen hat, so durchschlagend sind, daß sie deshalb nicht gleich dem ganzen Volk hätten präsentiert werden sollen.
Was die Frage, ob Fernsehrede zuerst oder erst Rede im Parlament, betrifft, stehe ich persönlich auf dem Standpunkt der Frankfurter Zeitung, wie er heute dort wiedergegeben worden ist. Ich bitte aber zu beachten, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister zur Zeit nicht nur Bundeswirtschaftsminister, sondern auch Vizekanzler und in Abwesenheit des Bundeskanzlers Kopf und Haupt der Bundesregierung ist.
Eben ist beanstandet worden, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister eine zu starke Sprache geführt hat. Sehr verehrter Herr Kollege Deist, in welche Kategorie rechnen Sie eigentlich Ihre Sprache?
Ich glaube, Sie sind in dieser Beziehung — ich bitte das nicht mißzuverstehen — offenbar ebenso Kind Ihrer Zeit wie wir und der Herr Bundeswirtschaftsminister, und haben offenbar das Empfinden, daß in einer Zeit der akustischen und optischen Rezeption leider manchmal nur stärkere Worte unter die Haut gehen und die anderen nicht mehr gehört werden. Denn sonst wäre Ihre Rede, die Sie soeben gehalten haben, auch nicht gerechtfertigt gewesen.
Ich bin nicht in der Geschäftsordnung so bewandert, um sagen zu können, ob Worte wie „Amoklauf" und daß der Bundeswirtschaftsminister „ein verbrecherisches Spiel getrieben habe", noch im Rahmen der parlamentarischen Ausdrucksweise liegen.
Für mein persönliches Empfinden ist es mindestens hart an der Grenze.
Es geht im Grunde genommen um das Maßhalten, und mir scheint, daß wir sogar viel mehr Gemeinsamkeiten der Dinge haben — die durch manche Rakete einer herrlichen Formulierung hier vorübergehend verdeckt wurden — und daß das Maßhalten aber auch wir hier im Hause bei der Führung an sich sachlicher Debatten lernen sollten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 847
Dr. BurgbacherIn der Be- und Verurteilung der Datscha- und Costabrava-Leute ist hoffentlich das Haus, unabhängig von jeder Partei, völlig einer Meinung.
Der Appell an die Massenmedien und das Wort „plebiszitäre Demokratie" sind erwähnt worden. Ich will keine alten Hühner, die begraben sind, wieder lebendig machen; das ist ohnehin sehr schwierig. Aber wer hat denn die plebiszitäre Demokratie trotz Grundgesetz bei der Atombewaffnung wieder einzuführen versucht?
Und war vielleicht die Gefahr der Emotion bei Atomwaffenfragen geringer als bei Wirtschaftsfragen?
Also Vorsicht! Vorsicht! Wenn man selber im Glashaus gesessen hat — wir sind alle Menschen —, muß man achtgeben, daß man nicht sein eigenes paralleles Verhalten vorgehalten bekommt.Im übrigen kann ich es von der Opposition — ich bitte um Entschuldigung — nicht als klug ansehen, daß die Warnungen, die von dem Bundeswirtschaftsminister mit Recht erhoben werden, in den Wind geschlagen werden, daß Sie unsere Kritik an unserem Wirtschaftssystem — ,das Sie bisher immer abgelehnt haben — jetzt bekämpfen und selber mehr von unserem Wirtschaftssystem erwarten und ihm mehr zumuten, als wir im Augenblick fürchten, ihm zumuten zu dürfen — das ist eine herrliche Verwechslung von rechter Hand und linker Hand und ist im Grunde genommen eine große Freude für uns.
Nun, die Debatte, die wir führen, ist eine Debatte um eine Wohlstandsfolge und nicht um eine Krisenfolge. Sie ist 'Folge. einer sehr guten und nicht einer . schlechten Konjunktur. Daß bei sehr guten Konjunkturen auf Teilgebieten höhere Nachfragen entstehen können, als das Angebot hergeben kann— bei gegebener Vollbeschäftigung —, ist eine Binsenweisheit. Und daß man sich dann mit diesen Bingen befassen muß — initiativ befassen muß —, und die Gefahr, daß infolge 'der sehr guten Konjunktur ein falsches Maß sowohl bei Unternehmern— siehe VW-Preise — wie bei Arbeitnehmern — siehe manche jüngste, allerjüngste Tarifforderung— entstehen kann, und daß man dann die Stimme des Politikers erheben und sagen muß: „Schritt vor Schritt voran, aber nicht alles auf einmal!" — das scheint mir doch kein Grund zu sein, hier nun die Dinge über Gebühr zu dramatisieren.
Der Herr 'Bundeswirtschaftsminister hat dramatisiert, damit man ihn hören sollte. Er hat nicht von einer Krise gesprochen, er hat nicht davon gesprochen, daß die Lage krisenhaft sei, sondern er hat rechtzeitig — wie es seine Gewohnheit ist: rechtzeitig — die Dinge dargestellt, die eventuell, wenn wir unter dem Eindruck des Wohlstandes und der Hochkonjunktur das rechte Maß verlieren, entstehen können. Deshalb auch die Eingriffe in 'die Bauwirtschaft. Und wenneben gesagt wurde, dadurch, daß der § 8 in das Haushaltsgesetz aufgenommen werde, sei noch nicht sehr viel geschehen, so muß ich darauf erwidern, daß der § 8 immerhin sein Gewicht und seine Bedeutung hat. Aber ich glaube auch zu wissen, ,daß die Bundesregierung mit den Länderregierungen umgehend ein Gespräch darüber führen wird, ob und inwieweit ein befristetes Bauverbot für bestimmte Gruppen ausgesprochen werden muß, um die Nachfrage soweit zu reduzieren, daß ein besserer Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage erfolgt, als es jetzt der Fall ist. Dabei möchte ich jetzt schon sagen, daß sich das Bauverbot weder auf die Eigenheime noch auf Investitionen unmittelbar produktiver Art beziehen wird. Das nenne ich nicht ein Kurieren 'an Symptomen, sondern das nenne ich schon ein Kurieren an der Ursache.Wenn hier von dem Lohndumping gesprochen wurde, so möchte ich doch schlicht feststellen, Kollege Deist, daß das der Vergangenheit angehört. Wir haben schon einmal übereinstimmend festgestellt, ,daß im EWG-Gebiet, was die Lohnentwicklung betrifft, wir an der Spitze stehen.
— In der Spitze.
— Auch einverstanden. Ich will nur feststellen, daß die Zeit des deutschen Lohndumpings, um einmal bei diesem problematischen Wort zu bleiben, der Geschichte angehört.Sehr unterstreichen kann ich zu meiner Freude einen Satz in den Ausführungen des Kollegen Deist, der lautet: Wir haben jetzt mit anderen Ländern gleichgezogen. Jawohl, und weil wir jetzt mit anderen Ländern gleichgezogen haben,
müssen wir die Gefahr vermeiden, daß wir nun die anderen Länder überziehen,
weil dann in Wahrheit der kritische Punkt eintritt.
Deshalb sage ich: Wer sich die Feststellung zu eigen macht, daß wir jetzt mit anderen Ländern gleichgezogen haben, der muß auch beachten, daß wir in Zukunft nicht andere überziehen.Wir haben ein Problem — das ist gar keine Frage —, und das ist unser Investitionsbedarf. Er ist immer noch mit 20 bis 25 % des Bruttosozialprodukts relativ hoch. In den Vereinigten Staaten liegt er meines Wissens bei 15 bis 17 %. Das wird infolge der Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes noch eine Zeitlang so bleiben. Das sind immerhin im Jahr um die 70 Milliarden. Diese Investitionen, die notwendig sind zur Rationalisierung, zur Modernisierung, zur Technisierung, zur Automation und damit zur Multiplikation der menschlichen Arbeitskraft und zur Entschärfung des Arbeitskräfteman-
Metadaten/Kopzeile:
848 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Burgbachergels, müssen aber auch finanziert werden. Sie können nur auf zwei Wegen finanziert werden: entweder über den Preis, was wir alle nicht für sehr glücklich halten, oder über den Kapitalmarkt. Das setzt voraus, daß der Kapitalmarkt die Mittel hergibt. Diese Summen herzugeben, ist eine große Aufgabe, für die der Kapitalmarkt noch nicht reif ist. Hier sind wir an dem Punkt angekommen, den ich nur andeutungsweise erwähnen kann, den ich aber jedem, den es angeht, ans Herz lege, nämlich daß wir bei unseren Einkommen zwischen dem Konsumeinkommen und dem Investiveinkommen unterscheiden müssen, wobei alles, was nicht konsumiert wird, Investiveinkommen ist und wobei es bei einer Lohnerhöhung ein bedeutsamer volkswirtschaftlicher Unterschied ist, ob sie in den Konsum geht oder investiv wirkt. Auf diesen Unterschied möchte ich mit Nachdruck hinweisen; denn er ist nach meiner Ansicht in die Vorstellung der Sozialpartner noch nicht in hinreichender Weise eingedrungen.Wenn wir das nicht tun, wenn wir nicht alle von unserem Einkommen, vulgär gesprochen, sparen — und Sie wissen, welche Sparförderungsmaßnahmen wir haben und weiter haben werden —, kann die Teufelsalternative nur lauten: entweder die Investitionen unterbleiben und wir fallen dann in der Wettbewerbsfähigkeit zurück, oder die Investitionen werden vorgenommen und müssen über den Preis bezahlt werden, und dann treten bei den Preisen die mit Recht kritisierten Folgen ein. Wer diese Zusammenhänge nicht übersieht und nicht erkennt, der kann sich nicht beklagen, wenn entweder die Folgen unterlassener Investitionen den volkswirtschaftlichen Ablauf stören oder die Folgen über den Preis vorgenommener Investitionen die Preise, den sogenannten Preisfächer stören.
Herr Abgeordneter Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leber?
Ritte sehr.
Herr Kollege Burgbacher, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Jahre 1961 die Sparrate allein bei den Sparkassen um 5 Milliarden gestiegen ist, und ist das nicht auch nach Ihrer Auffassung ein Beweis dafür, daß die Bevölkerung in Deutschland das tut, was Sie von Ihr fordern?
Lieber Herr Kollege Leber, zunächst freue ich mich über die Anerkennung der Sparpolitik.
— Moment, ich darf mich doch über etwas freuen, was Sie sagen; das ist doch nicht verboten. Ich weiß natürlich auf Grund eines meiner Hobbies, Eigentumspolitik, diese Zahlen recht genau. Aber ich habe Ihnen gesagt, der Investitionsbedarf liegt bei etwa 70 Milliarden. Natürlich haben wir beachtenswerte Anfänge. Wir haben eine gesamte private Sparrate, im letzten Jahr — wenn ich es richtig im Gedächtnis habe — von über — —
— Vorsicht! — von über 20 Milliarden, in privater Hand. Dazu kommen andere Ersparnisse, die — ich meine im Sinne unseres Gesprächs —
weniger erfreulicher Natur sind, was aber nicht zu vermeiden ist. Die Ersparnisse der Wirtschaft über den Preis sind ja Investitionen; das sind keine Gelder für die Datscha- und Costa-Brava-Leute.
— Herr Kollege Kurlbaum, darüber werden wir uns beim Sparprämiengesetz hinreichend unterhalten. Wir werden all dem zustimmen, was realistisch durchführbar ist ohne Gefährdung größerer Interessen.
— Ohne Gefährdung größerer Interessen. Ist das ein Wunder?
Es ist noch erwähnt worden, daß die Lebensmittelpreise in den letzten Monaten um 4 % gestiegen seien.
— Nein in den letzten Monaten! Es ist schon der Zwischenruf gemacht worden, 'daß das wetterbedingt ist. Aber mit ,diesem Zwischenruf allein bin ich gar nicht zufrieden. Ich muß es wieder sagen: In dem Maße, in dem wir technisieren und Automation machen, in dem wir das Bruttosozialprodukt steigern, in dem wir damit mit Recht die Einkommen aller steigern, ja mit Pflicht die Einkommen aller steigern, in dem Maße muß sich der Preisfächer verändern, in dem Maße müssen lohnschwere Produkte, wie man normalerweise sagt, teuerer werden. Das läßt sich gar nicht verhindern, wenn man sie haben muß oder haben will. Dagegen werden lohnleichte Produkte entweder in der Qualität besser oder bei gleicher Qualität billiger.Im übrigen möchte ich bei aller Verurteilung ,der Preiserhöhung des VW-Werks die Frage offenlassen, wieweit echte Qualitätsverbesserung beim VW vorgenommen wurde. Ich bin nicht genug Ingenieur; ich habe zwar einiges gehört, ich kann aber nicht beurteilen, ob das die Erhöhung rechtfertigt. Das wäre also bei aller Be- und Verurteilung immerhin noch in Erwägung zu ziehen.Aber, meine Damen und Herren, haben Sie sich einmal die Statistiken über die Kaufkraft einer Arbeitsminute angesehen? Wenn ja, werden Sie festgestellt haben, daß die Kaufkraft einer Arbeitsminute bei fast allen Gütern, 'die der Mensch verbrauchen kann, auch bei denen, bei denen die Preise nominell gestiegen sind, gewachsen ist.
So z. B. war vor neun Jahren der Stundenaufwand für den Erwerb eines Volkswagens — wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe — an die 5000 Stunden. Jetzt ist er unter 2000 Arbeitsstunden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 849
Dr. BurgbacherDas gilt nicht nur für den VW, ,das gilt für alle ter. Ich bin bereit, jedem, der sie haben will, eine solche Tabelle zur Verfügung zu stellen. Ich wiederhole: Die Kaufkraft der Arbeitsminute bei allen — Vorsicht! —, bei fast allen wichtigen Warengattungen ist trotz veränderten Preisfächers konsequent gestiegen.
— Nein, das ist nicht selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Deist?
Natürlich.
Herr Dr. Burgbacher, würden Sie mir zustimmen, daß das, wenn es nicht der Fall wäre, bedeuten würde, die Arbeitnehmer werden von der Teilnahme am Produktionszuwachs ausgeschlossen?
Selbstverständlich, da .stimme ich Ihnen zu.
Würden Sie dann zugeben, daß es durchaus natürlich ist, daß die Lohnminuten je Erzeugnis absinken, daß das gar 'nichts Besonderes ist? Und würden Sie mir zugeben, daß Ihre Argumentation doch die Gefahr in sich trägt, daß mancher meint, nach Ihrer Auffassung wäre es gar nicht so schlimm mit den Preiserhöhungen?
Es ist auch nach meiner Auffassung mit den meisten Preiserhöhungen nicht so schlimm, wie es gemacht wird.
Das 'Ist meine persönliche Auffassung, auf die ich ein Recht habe. Ich darf es auch hier sagen, auch dazu habe ich ein Recht. Zu dem, was Sie eben gesagt haben: natürlich ist es idas Ziel unserer Politik, daß die Kaufkraft ,der Arbeitsminute steigt. Es kommt aber nicht nur auf das Prinzip, sondern auch auf das Ausmaß und auf die Kontinuität der Entwicklung an. Es ist sehr ungerecht, eine Wirtschaftspolitik mit scharfer Kritik zu bedenken oder ihr die angebliche Unterlassung bestimmter Maßnahmen vorzuwerfen, wenn man diese Feststellung unwidersprochen treffen kann.
In der Tat kann eine soziale Marktwirtschaft nur frei 'funktionieren, wenn nicht der absolute, sondern der relative Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Die soziale Marktwirtschaft bedarf, wenn sich diese Automatik des Marktes nicht mehr durch den Markt ausgleichen läßt, zeitlich begrenzter gezielter Eingriffe. Trotzdem, Herr Kollege Kurlbaum, ist Ihr Satz, man dürfe die Marktwirtschaft nicht sich selbst überlassen, weit über das Ziel hinausgeschossen.
— Das will ich Ihnen gleich sagen. Wollen Sie der Rhein nicht mehr sich selbst überlassen?
— Den Rhein!
Ich wohne am Rhein.
— Darauf komme ich ja gleich!
Oder wollen Sie das Meer nicht sich selbst überlassen?
Ja, wollen Sie das Leben nicht sich selbst überlassen?
Wenn Sie den Rhein und das Meer betrachten und die auch von mir als notwendig bezeichneten Uferregulierungen
und Deichbauten ins Auge fassen, müssen Sie zugeben, daß das im Verhältnis zu der Kraft und derFreiheit des Stromes und des Meeres sehr wenig ist.
— Wir haben Sie in Verdacht, daß Sie den Rhein kanalisieren wollen.
Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis für Zwischenrufe. Ich bin sogar ein Freund von Zwischenrufen. Ich bitte aber doch mit Rücksicht auf die Zeit und auf unsere Tagesordnung, mich nicht über Gebühr aufzuhalten.Die Frage der Konjunkturpolitik — und damit sage ich sicher niemandem etwas Neues — ist ja, nachdem wir in die zweite Phase des Gemeinsamen Marktes übergegangen sind, nicht mehr nur ein bundesrepublikanisches Problem, sondern, wie wir Europäer wissen, ein Problem für den Gemeinsamen Markt. Ich sehe Herrn Müller-Armack nicht mehr im Saal. Den Ansatz für eine europäische Konjunkturpolitik haben wir ja schon feststellen können, und ich bin der Meinung, daß wir das weiterverfolgen müssen.Ich bin auch der Meinung, daß der Vorschlag, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufzustellen, für das abgelaufene Jahr bedingungslos richtig ist. Bezüglich dieses Orientierungsplanes für das laufende oder kommende Jahr habe ich aber gewisse Bedenken.
Metadaten/Kopzeile:
850 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. ' BurgbacherIch habe da die gleichen Bedenken, die ich auf Europa-Ebene gegen den sogenannten Orientierungspreis habe: die, die darüber liegen, werden nicht darunter gehen, und die, die darunter liegen, werden den Ehrgeiz haben, möglichst bald darauf zu liegen. Ein ähnliches Bedenken habe ich gegen die Orientierungspläne.
Ich habe das Bedenken, daß sich dann das Leben nach dem Plan richtet.
Dagegen soll eine Orientierung nicht die Aufhebung der Lebensgrundsätze und Lebensfreiheiten sein, sondern nur eine Art Richtstrahlantenne unter völliger Beibehaltung der eigenen Entscheidung und der eigenen Verantwortung.
Ich glaube, wir wären in der heutigen Debatte sehr viel weiter gekommen, wenn die Zusammenarbeit der Sozialpartner, die schon einmal viel sachlicher war, als sie im Augenblick ist, wieder versachtlich würde. Allerdings muß ich dabei sagen, daß das nach meiner Ansicht weniger eine Frage der Gesetzgebung als eine Frage des Bürgergeistes aller Beteiligten ist.
Ich muß auch sagen, in meiner Vorstellung nehmen eigentlich vier an diesen Gesprächen teil: die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Verbraucher und die Sparer. Denn, meine Damen und Herren, die Erfahrung hat uns — und zwar beide Sozialpartner — gelehrt, daß eigentlich immer Verbraucher und Sparer am Tisch sitzen sollten, die Verbraucher der Preise wegen, die Sparer der Stabilität wegen. Wenn es möglich wäre, bei den in Vorbereitung befindlichen Beratungsgremien diesem „Vierertum" Rechnung zu tragen, würde ich das für sehr nützlich halten.Herr Kollege Kurlbaum hat zum Beweis, daß in der Wirtschaft der Bundesrepublik nichts Besonderes mehr sei, auf andere Länder wie Italien und Frankreich hingewiesen und hat mit Recht gesagt, daß dort genauso gute Konjunkturen wären wie hier. Herr Kollege Kurlbaum, ich darf aber sagen, daß dort erst seit dem Anlaufen der EWG und seit Einführung der Wirtschaftsgrundsätze, die wir ,die Erhardschen Wirtschaftsgrundsätze nennen, diese Entwicklung in Gang gekommen ist.
Ich darf erinnern, daß in Frankreich die Wende mit den Namen Pinay und Rueff, den sogenannten „französischen Erhards" verbunden ist
und daß erst seitdem dort die Wendung zum Guten gekommen ist.
Nun will ich sehr rasch zum Schluß kommen und noch sagen, daß ich die Ausführungen des KollegenScheppmann zur Energiepolitik und in diesem Falle auch in weitem Umfange die Ausführungen des Kollegen Deist hierzu — wenigstens mir persönlich — zu eigen mache. Ich verrate ihm und den Europäern unter Ihnen kein Geheimnis. Ich erinnere an die letzte europäische Energieresolution, die wir gemeinsam verabschiedet und bei der wir eine gemeinsame Linie gefunden haben.Den Vorwurf, wir hätten in der Bundesrepublik konjunkturpolitische Maßnahmen unterlassen, möchte ich dahingehend beantworten: wir haben vielleicht einige konjunkturpolitische Maßnahmen unterlassen, aber wir haben Ihnen allen bis jetzt eine gute Konjunktur hinterlassen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Deist hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er mich der Diffamierung ganz bestimmter Schichten bezichtigte. Ich weise das mit aller Entschiedenheit und mit Nachdruck zurück.
Wen habe ich eigentlich diffamiert? Im Gegenteil: wenn jemand diffamiert worden ist in den letzten 14 Tagen, dann bin ich es gewesen.
Da kann ich Ihnen Presseausschnitte vorlegen, aus denen 'hervorgeht, was alles aus Ihrem Lager über mich gesagt worden ist.Wen habe ich angesprochen? Ich habe das deutsche Volk in allen seinen 'Schichten angesprochen, ich halbe aus ehrlichstem Wollen gehandelt, um Unheil fernzuhalten. Es ist völlig falsch, bedrohliche Erscheinungen bagatellisieren zu wollen. Sie haben den Versuch unternommen, den Eindruck zu erwecken: Es ist ja alles wunderschön, und wir können froh sein, daß alles so gekommen ist. — Vor Tische las man es anders! Bisher haben Sie immer gesagt, wie schlecht alles ist. Heute auf einmal stellen Siefest: Es ist alles wunderbar, wir brauchen keine Sorgen zu haben, wir sind mit an der Spitze, was hat eigentlich dieser Erhard? —Von Provozieren kann also wirklich keine Rede sein. Provoziert fühlen sich nur ganz bestimmte Leute,
während ich der festen Überzeugung bin — aus einer Unzahl von Briefen kann ich das auch beweisen —, das angesprochen zu haben, was das tiefe Unbehagen breiter Schichten des deutschen Volkes ausmacht. Davon können Sie überzeugt sein.
Und das soll wieder weggewischt werden? Nein, nein! Ich glaube, das 'deutsche Volk ist glücklich, daß einmal jemand das angesprochen hat, was die Menschen im Lande nachdenklich stimmt. Wie oft sagen einfache Menschen zu mir: „Ist denn das möglich? Können wir uns nach diesem Zusammenbruch und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 851
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardnach allem, was wir über die ganze Breite 'der staatlichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Arbeit zu vollbringen haben, denn das alles leisten?"Aber manchmal schlage ich dann etwas hart zurück. Ich kann Ihnen da zum 'Beispiel eine Sache vorlesen:Vizekanzler Erhard war wirklich schlecht beraten, als er auf Drängen 'der Ruhrmanager Reusch und Sohl durch seine Mitarbeiter eine Fernsehrede für die Bevölkerung ausarbeiten ließ.Ich muß sagen: ausgerechnet ich!
— Das steht in der „Frankfurter Rundschau". Ich halbe den Eindruck, Herr Kollege Deist, daß Sie im Augenblick mit den Herren Sohl und Reusch viel enger verbunden sind, als es bei mir der Fall ist.
Sie haben zum Beispiel das Problem der Umsatzausgleichsteuer angesprochen. Na, immerhin haben wir uns mit diesem System ,der Umsatzausgleichsteuer, so wie es jetzt besteht, durch die letzten acht Jahre hindurch eine blühende Volkswirtschaft aufgebaut. Mit 'dieser Umsatzausgleichsteuer haben wir im Jahre 1961 noch einen Exportüberschuß von 6,2 Milliarden DM erzielt.
— Aber ich kann Ihnen sagen: wenn wir an diesem empfindlichen Nerv der Umsatzausgleichsteuer rütteln — ich sage das nicht ohne Grund —, dann wird das in vielen anderen Ländern eine Kettenreaktion auslösen. Im übrigen können Sie das Instrument gar nicht allein für Eisen und Stahl handhaben. Das würde ich für mich auch ablehnen, das wäre unmoralisch. Und wenn Sie es überall dort gebrauchen, wo die innere 'Belastung in Deutschland höher ist, als die Umsatzausgleichsteuer ausmacht, dann möchte ich Ihnen die Auswirkung vorrechnen,
und dafür stehen Sie dann bitte vor dem deutschen Volkgerade!Von einer Überschwemmung des Markts von Frankreich her kann ja nicht die Rede sein. Die deutsche Einfuhr von französischem Stahl macht 4 bis 5 % der eigenen Produktion aus. Mit solchen Zahlen „dramatisiere" ich auch nicht. Das ist keine Überschwemmung. Ich gebe zu, daß die falsche Systematik in der Berechnung der Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Verkehr eine Verzerrung gerade im Verkehr mit Frankreich mit sich bringt. Aber wenn Sie hieran rühren, dann macht Frankreich von anderen Mitteln und Möglichkeiten Gebrauch, um seine Position zu behaupten. Ich bin schon vorgewarnt worden: wenn wir hier etwas tun, dann werden die anderen Partner entsprechend reagieren.Aber davon abgesehen, frage ich: warum soll ich denn die Umsatzausgleichsteuer erhöhen? Wenn ich das zum Beispiel für einzelne Industriezweige und gerade für Verbrauchsgüter mache, deren Preise einen hohen Umsatzsteueranteil haben, weil die Umsatzsteuer mehrfach gewälzt wird, dann heißt das doch: ich verteure damit den Import und gebe dem deutschen Angebot die Möglichkeit, in höhere Preise zu gehen. Das ist ganz bestimmt nachzuweisen. In einem Viertel- oder halben Jahr hätte sich dieser Prozeß vollzogen. Wenn Sie die Umsatzausgleichsteuer um 3 % erhöhen, so heißt idas in diesen Bereichen, daß Sie das deutsche Preisniveau um 3 % anheben, und deshalb meine ich, Sie ,sind mit Herrn Sohl und Herrn Reusch enger verwandt als ich. Ich möchte im Augenblick keine Verantwortung dafür tragen und von der Regierung nichts unternehmen, was im Effekt eine Preissteigerung auslösen müßte.
Aber darüber werden wir uns noch unterhalten.Im übrigen habe ich mit der Rundfunkerklärung keine Regierungserklärung abgegeben. Alle Kollegen im Kabinett können bestätigen, daß sie vielleicht wußten, daß ich eine Rundfunkrede halten würde. Aber nicht einer hatte eine Ahnung von dem, was ich sagen wollte, sondern das habe ich ganz spontan aus meiner spezifischen Verantwortung heraus festgelegt,
als der für die Wirtschaft und damit für das soziale Leben verantwortliche Minister. Aus diesem Grunde war es auch keine Regierungserklärung, und keine Rundfunkanstalt ist gedrängt worden, die Sendung zu übernehmen.
— Was ist denn da interessant? Das möchte ich wissen. Da finde ich es viel interessanter, worüber Sie sich ida wundern. Sind Sie der Meinung, daß ich, wenn ich als Wirtschaftsminister eine Rede halten will, vorher jemand fragen muß? — Ich nicht!
— Wir waren uns im Kabinett darüber im klaren und haben darüber gesprochen, daß eine ernste Gefahr besteht. Aber von einer Abstimmung des Textes war überhaupt keine Rede. Nirgendwo steht geschrieben, und das haben Sie von mir auch nicht gehört, daß das eine Regierungserklärung gewesen wäre. Ich möchte eindeutig festlegen, daß ich für mich gesprochen habe. Nur darum sagte ich, das sei meine Handschrift gewesen.
Es ist auch ganz falsch zu sagen, ich hätte ein „Spiel" getrieben. Nein, mir ist nicht zum Spielen, sondern sehr ernst zumute, und ich möchte mich nicht beschwichtigen lassen. Ich sage ganz offen und ehrlich: jetzt ist endlich einmal das deutsche Volk zur Besinnung gekommen, ist angerührt worden; es will die Frage beantwortet wissen, um was es geht. Und das soll alles wieder niedergedrückt werden, soll unter den Tisch fallen, bloß weil es
Metadaten/Kopzeile:
852 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardeinigen Menschen unbequem ist? Nein, meine Damen und Herren!
Der Kollege Kurlbaum hat mich heute früh sozusagen angeklagt, daß ich hier keine neuen Argumente vorgebracht habe. Ja, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist nicht so dehnbar und so wandlungsfähig; ich kann Ihnen keine anderen Argumente vorbringen, als sie in meiner Rundfunkrede angeklungen sind. Denn das sind die Argumente aus den Tatbeständen, und die bleiben bis auf weiteres bestehen. Da ist nichts zu wandeln und nichts Neues zu bringen. Ich kann Ihnen da nicht jeden Tag Nouveautés bieten, es tut mir leid.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kurlbaum?
Ja.
Herr Bundesminister, wir waren natürlich sehr gespannt, ob Sie uns heute folgende Frage beantworten: Wollen Sie wirklich in Ihrer bisherigen konjunkturpolitischen Inaktivität beharren oder sind Sie gewillt, aus den Erfahrungen, die Sie insbesondere auf dem Baumarkt, aber auch auf anderen Gebieten, mit dem Investitionsboom gemacht haben, Folgerungen zu ziehen und in dem Sinne, wie ich es darzulegen versucht habe, zu einer eigenen aktiven Konjunkturpolitik der Bundesregierung überzugehen?
Ich möchte Sie jetzt fragen, was Sie unter Konjunkturpolitik verstehen. Als wir z. B. zweimal die Zölle im gewerblichen Sektor um zusammen 45 % gesenkt haben, und zwar einseitig, ohne nach Gegenleistungen zu fragen — war das Konjunkturpolitik? Unsere ganzen Anstrengungen, innerhalb der EWG zu größerer Freiheit zu kommen, ist Konjunkturpolitik. Die Währungsaufwertung im vergangenen Jahr war Konjunkturpolitik.
— Nein, das kann ich allerdings nicht wiederholen. Aber gehen Sie denn bei Ihren sittlichen Prinzipien davon aus, daß die Markwirtschaft erst dann funktioniert, wenn befohlen wird? Ich bin der Meinung, daß Einsicht und Vernunft auch ein Instrument der sozialen Marktwirtschaft sind und mobilisiert werden müssen.
Aber ich möchte jetzt von Ihrer Anklage sprechen, daß bei uns der private Verbrauch nicht mit dem anderer Länder Schritt gehalten habe. Ich kann Sie immerhin auf folgende Statistik hinweisen. Von 1955 bis 1960 hat das Realeinkommen, bzw. der private Verbrauch, real gesehen — die Preisbewegungen sind also bei allen Ländern ausgegliedert —, in der Bundesrepublik um 40,4 % zugenommen, in Frankreich um 20,4 %, in Großbritannien um 16,3 % und in den USA um 13,1 %. Der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Volkseinkommen hat im Jahre 1961 die Höhe von 62,3 % erreicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Deist?
Bitte!
Herr Bundesminister, sind Sie sich bewußt, daß Ihre Argumente keine Widerlegung der Anklagen von Herrn Kurlbaum enthalten, sondern in eine völlig andere Richtung laufen? Ist Ihnen nicht bewußt, daß bei niedrigstem Verbrauch und niedrigstem Einkommen nach der Währungsreform die Steigerungsraten bei uns natürlich größer sein mußten, während Herr Kurlbaum darauf hingewiesen hat, daß das Niveau des privaten Verbrauchs bei uns heute wesentlich niedriger liegt als in anderen Industriestaaten Europas?
Niedriger als in welchen Ländern? Den Beweis hat Herr Kurlbaum auch nicht erbracht. Aber ich kann den Beweis erbringen, daß z. B. die deutschen Löhne jetzt innerhalb des Gemeinsamen Marktes um 14 % über den französischen und um 33 % über den niederländischen liegen;
die Zahlen sind nicht von mir errechnet, sondern von der Europäischen Kommission.
— Nicht von mir errechnet!
Bitte, Herr Kurlbaum!
Herr Bundesminister, haben Sie nicht gehört, daß ich auf Grund der internationalen Vergleichszahlen dargelegt habe — ich habe die Ziffern im Augenblick nicht mehr hier, aber soweit ich mich erinnere, waren sie so —, daß in der Bundesrepublik der private Verbrauch zwischen 57 und 58 % des Sozialprodukts liegt, während er in den drei anderen Ländern — Frankreich, Großbritannien und USA — im Durchschnitt bei ungefähr 65 % liege?Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft. Er liegt in der Bundesrepublik bei 62 %.
— Ich habe die Statistik nicht bei der Hand. Aber selbst unterstellt, es wäre so,
wundert Sie das denn eigentlich? Wissen Sie nicht, wo wir hergekommen sind und was wir noch zu besorgen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 853
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardDas gleiche gilt auch in bezug auf die Investitionstätigkeit. Wenn Sie diese kritisieren, dann, so muß ich sagen, stehe ich diesem Phänomen einigermaßen verständnislos gegenüber. Denn alles, was wir getan haben, vor allen Dingen im sozialen Wohnungsbau, für den wir jetzt im Jahr 11 Milliarden DM ausgeben, im Straßenbau, alles was wir tun und tun mußten, um die Flüchtlinge unterzubringen, um ihnen Arbeitsplätze zu vermitteln — 9 Millionen Arbeitsplätze! —, um die Städte wieder aufzubauen, das ist doch alles in den Investitionen eingeschlossen, das ist doch nicht privates Eigentum der Unternehmer. Die Investitionen mußten in Deutschland höher sein, und daß sie in Deutschland höher liegen,
hat dem deutschen Volke zum Segen gereicht. Deshalb haben wir wieder eine blühende Volkswirtschaft aufbauen können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kurlbaum?
Aber bitte sehr!
Herr Bundesminister, haben Sie nicht bemerkt, daß ich diese Ziffern nicht im Zusammenhang mit einer Kritik an der Vergangenheit angeführt habe, sondern daß ich die Vergleichsziffern gebracht halbe,
um darzulegen, daß Ihre Kassandra-Rufe bezüglich der Entwicklung Ides deutschen Verbrauchs doch etwas übertrieben sind?
Ich habe nicht für den Augenblick gesprochen, sondern von bedenklichen Entwicklungen, die sich abzeichnen, und die sind dort abzulesen, wo es sich um die Investitionstätigkeit oder vorausschauend um die Bestelltätigkeit für Investitionsgüter handelt. Hier besteht eine absolut gegenläufige Entwicklung. Der Auftragseingang für Investitionsgüter ist rückläufig, und der Auftragseingang für die Verbrauchsgüter — kein Wunder — ist stark ansteigend.
Aber ich glaube, wir sollten uns alle Gedanken darüber machen, ob das wirklich ein Glück ist, wenn die Investitionen rückläufig sind und der Verbrauch ansteigt. Denn wir stehen — dais ist ja deutlich geworden — immer stärker in der Bewährung. Wir geraten immer stärker in den Wettbewerb. Wir haben Beispiele dafür, daß so manche Fabrik Schrott geworden ist, wenn der Unternehmer einige Jahre nicht investiert hat. Ich glaube, wir sollten nicht tadeln, wenn investiert wird; denn das ist die Sicherheit von morgen.
Nun ist von 'der Aufwertung gesprochen worden. Es ist ganz interessant, sich darauf zurückzubesinnen. Jetzt nämlich trägt an allem, was sich außenhandelspolitisch ereignet, die Aufwertung die Schuld. Da 'spreche ich auch die Unternehmer an. Wenn diese mit ihren Gewinnen ins Gedränge kommen, ist daran die Aufwertung schuld. An allem hat die Aufwertung schuld. Sie haben bei der Währungsaufwertung gesagt, wir sollten uns nicht einbilden, daß die Währungsaufwertung Einfluß auf die Preise haben würde.
— Ich stehe gerade für die Aufwertung; da können Sie überzeugt sein.
Bitte, Herr Deist!
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte ganz gern, daß wir richtig zitieren. Entsinnen Sie sich, daß ich seinerzeit meine Ausführungen damit geschlossen habe:
Wir werden abwarten. Sicherlich ist die Währungsaufwertung auch eines der konjunkturpolitischen Mittel, die man anwenden kann. Der Verbraucher wird Gelegenheit haben, nach einigen Wochen festzustellen, ob die D-Mark mehr wert geworden, ob sie gleichwertig geblieben oder ob sie weniger wert geworden ist.
Das ist meine Frage gewesen, ohne daß ich mich in Prophetie eingelassen hätte. Ich wäre dankbar, wenn Sie das akzeptieren würden.
Ich habe in meiner Rundfunkansprache gesagt, daß die Einfuhrpreise seit der Währungsreform bis heute um 4,9 % gesunken sind. Das ist genau der Satz der Währungsaufwertung. Jetzt möchte ich Sie einmal fragen: Glauben Sie wohl, daß sich das deutsche Preisniveauangesichts starker Kastenerhähungen, die wir uns trotz der Erschwerung des Exports und trotz der Begünstigung und Verbilligung des Imports geleistet haben, gehalten hätte — ohne die Währungsaufwertung, ohne den Druck vom Ausland in der Verbilligung der Einfuhr um 4,9 %? Das muß man wohl alles zusammen sehen. Erst dann kommt man zu einem richtigen Urteil.Was den Unterschied zwischen Tarif- und Effektivlöhnen betrifft, so entwickelten sich nach 'den Feststellungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften die Effektiv- und Tariflöhne in etwa parallel. Das ist die Auskunft, die ,ich vom Wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften selbst bekommen habe.
Metadaten/Kopzeile:
854 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard— Im ganzen gesehen, ich kann es nicht für jeden einzelnen Wirtschaftszweig nachprüfen. Im ganzen scheint es aber jedenfalls zu stimmen.Ich möchte noch einmal von der Währungsaufwertung sprechen. Die Gewerkschaften sagten: „Was geht uns die Währungsaufwertung an?"
Im übrigen 'habe ich die Währungsaufwertung im vorigen Jahr nicht unter dem Druck der öffentlichen Meinung durchgeführt, sondern, ich möchte fast sagen, gegen den Widerstand der öffentlichen Meinung. Es war nur ein ganz kleines Fähnlein, das seinerzeit (bereit war, die Währungsaufwertung mit zu vertreten.In der Energiewirtschaft, verehrter Herr Deist, sollte die SPD wohl auch etwas vorsichtiger sein. Ich erinnere daran, daß ein Jahr, bevor sich die Halden aufzutürmen begannen, wir uns stets über die falsche Kohlepolitik unterhalten haben, die es nicht vermocht habe, genügend Kohle herzubringen. In einem Jahr schlug dann — —
Wir haben 16 Schachtanlagen mit einer Gesamtförderkapazität von 6,3 Millionen Tonnen stillgelegt. 31 Schachtanlagen sind zu 15 Zentralschachtanlagen zusammengelegt worden.Auch alle Maßnahmen auf dem Gebiete des Kohlezolls bzw. der Heizölsteuer waren doch energiepolitische Maßnahmen. Ich kann Ihnen erklären: wir sind mit dem Kohle bergbau und der Ölwirtschaft im Gespräch. Es zeichnet sich eine Lösung ab, die, ohne 'der Kohle eine Abnahmegarantie zu gewähren, ihr doch die Möglichkeit und die Voraussetzungen gibt,. 'die weiter notwendigen Rationalisierungen im Kohlebergbau durchzuführen. Über die Vermögensbildung könnte man sich tagelang unterhalten. Sie wissen, daß ich selbst wiederholt erklärt habe, hier müsse eine neue gesellschaftspolitische Sicht eröffnet werden. Aber gerade weil ich das spüre, darf ich sagen: Der schlimmste Weg, den wir gehen könnten, wäre der, die Leistungskraft unserer deutschen Volkswirtschaft zu schwächen, die Wettbewerbsfähigkeit herabzumindern und dann zu glauben, auf solche Weise könnte man die Voraussetzungen für eine breite Vermögenbildung schaffen. Wir sind, was das Lebensniveau anlangt, in der europäischen Gemeinschaft schon im Jahre 1959 an die Spitze gekommen, im Jahre 1961 sind wir mit 'den Löhnen in Europa jetzt überhaupt an der Spitze.Wenn das aber der Fall ist, dann können wir jetzt doch nicht einfach weiter davonlaufen in Maßen, Vorstellungen und Größenordnungen, die mit der Realität des Lebens nichts mehr gemein haben. Warum habe ich denn diese Sprache gewählt? Warum hielt ich es für notwendig, einmal etwas energischer zu sein? Weil wir es doch gesehen haben — es hat sich zu Beginn dieses Jahres deutlich abgezeichnet —, daß die Verhandlungen der Sozialpartner eben nicht mehr von volkswirtschaftlicher Verantwortung für morgen getragen sind.
— Ich meine alle diejenigen Lohnverhandlungen, die zur Folge gehabt haben, daß daraus Kostensteigerungen und daraus Preissteigerungen resultierten.
— Jedenfalls wird das z. B. von der Automobilindustrie behauptet. Ich kann allerdings deren Bilanzen jetzt nicht nachlesen oder gar ihre Kalkulation überprüfen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 855
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leber?
Ja, bitte.
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Produktivität in der Automobilindustrie nach amtlichen Erhebungen im vergangenen Jahr um 17 °/o gestiegen ist, während die Löhne nur um 5 °/o gestiegen sind, und daß in diesem Jahr die Löhne in der Automobilindustrie um 6 % gestiegen sind, während im gleichen Zeitraum zweimal Preiserhöhungen vorgenommen worden sind?
Ich bin der allerletzte, der die Automobilindustrie 'heiligsprechen will.
— Ich kann nur die Argumente anführen, die von seiten der Automobilindustrie vorgebracht worden sind; ich sagte Ihnen ja bereits, die Bundesregierung werde .dem Vorgang nachgehen und diese Zahlen zu überprüfen haben.
Im übrigen bin ich auch in einer anderen Weise falsch zitiert worden, nämlich aus meiner Siegener Rede. Ich habe von der notwendig positiven Einstellung der Gewerkschaften zum Staat gesprochen. Ich habe gesagt, das Verhältnis der Gewerkschaften zum Staat darf sich nicht nach der parteipolitischen Schichtung der Regierung ausrichten; die positive Einstellung zum Staat erfordert eine Grundhaltung und hat im Grunde genommen mit der parteipolitischen .Färbungeiner Regierung oder einer Koalition nichts zu tun. Das habe ich gesagt und dazu stehe ich auch!
Ich habe auf der anderen Seite deutlich genug bewiesen, daß mir an einem guten Verhältnis, an einem positiven staats- und gesellschaftsbejahenden Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Staat liegt.Sie sagten zum Schluß, Sie hätten versöhnliche Töne finden wollen. Auch ich bin dazu bereit. Ich streite nicht aus Prinzip, ich wehre mich nur meiner Haut, wenn ich angegriffen werde. Haben Sie denn nicht den Eindruck, daß angesichts der vielen Gemeinschaftsaufgaben, die wir in Deutschland noch zu erfüllen haben, auch mehr Gemeinsinn lebendig sein müßte?
— Ich freue mich über Ihren Beifall. — Das hat aber dann auch Konsequenzen.
— Lassen Sie mich bitte weitersprechen! Muß dennerst eine höchst ernste Gefahr wie z. B. in Berlindrohen oder eine Flutkatastrophe an der norddeut-schen Küste sich ereignen, bis man wieder einmal etwas von Menschlichkeit und von Brüderlichkeit und von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Nächstenliebe spürt? Reagieren wir denn nur noch auf Tragödien?
Wenn wir aber noch viel Gemeinsames zu erfüllen haben, dann bedeutet das eben nach Adam Riese, daß wir uns im privaten Verbrauch gegebenenfalls auch einzuschränken bereit sind, um dieses Gemeinsame erfüllen zu können.
Damit ist auch die Frage von Herrn Kurlbaum über den privaten Verbrauch beantwortet. Meine Damen und Herren, Sie können doch von mir nicht erwarten, daß ich jetzt auf einmal das deutsche Volk anrede und sage, es solle den Gürtel enger schnallen. Wo brächte ich denn solche Vokabeln her? Das einzige was ich tue, ist, daß ich sage: Seht das Ganze an, seht die Gemeinschaftsaufgaben, seht unser Schicksal von morgen, und was dann dazu notwendig ist, an Vorsorge und an Investitionen! Dann bleibt immer noch etwas übrig, daß das Leben nicht farblos wird, sondern daß immer noch Freude am Leben bleibt.
Wenn wir uns darauf verständigen könnten, wäre das eine Lösung. Wenn aber jeder glaubt, alles selbst verbrauchen zu müssen, geht die Rechnung nicht auf. Sie sagten vorhin: Aber wer will denn, daß wir mehr verbrauchen, als die Volkswirtschaft im ganzen erzeugt.
— Aber gerade das versuchen wir doch dauernd. Das ist doch unsere Praxis, das ist doch der Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern. Es wird immer wieder versucht, mehr zu verbrauchen. Die Konsequenzen sind, daß dann die Preise steigen und auch die Gewinne sinken oder daß unsere weltwirtschaftliche Position geschwächt wird. Weil ich diese Konsequenzen sehe und sie verhütet sehen möchte, aus diesem Grunde habe ich gesprochen.Nun zum Gutachtergremium! Ich weiß nicht, ob Sie heute früh nicht zugehört haben. Es hieß ganz deutlich: Wir sind im Augenblick in Beratungen — ohne schon die letzte Form gefunden zu haben —, ein sachverständiges Gremium, einen Sachverständigenrat einzusetzen, nicht als ein Lohngremium, sondern als eine Institution, die berufen ist, uns alle über volkswirtschaftliche Funktionen und Zusammenhänge, Löhne, Preise, Investitionen, Spartätigkeit, Außenhandel, Handelsbilanz, Zahlungsbilanz, ein Bild zu geben und — jetzt kommt es! — vor allen Dingen auch der Öffentlichkeit vom Erkenntnismäßigen her ein Bild zu geben, auf Grund dessen dann die Bundesregierung die praktischen politischen Folgerungen zu ziehen und mit Ihnen zu beraten hat. Das ist meine Auffassung von diesem Gremium. Es hat selbst nicht Wirtschaftspolitik zu treiben.
Metadaten/Kopzeile:
856 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardIm übrigen war das ein Irrtum von Herrn Fürst. Er hat es nämlich auch falsch aufgefaßt und meinte, wir wollten ein wirtschaftspolitisches Gremium haben. Aber Sie können den Brief nachlesen, in dem Herr Fürst sagt: In einem solchen Gremium, in dem vom Grundsätzlichen her Erkenntnisse und Einsichten gewonnen werden, arbeitet er natürlich mit. Nicht anders war es von mir gedacht.Wenn dieses Gutachten, das dem ganzen deutschen Volk zugänglich sein soll, vorliegt, wird die Bundesregierung — es ist noch keine letzte Form gefunden; ich spreche jetzt für mich, aber die Entscheidung wird in aller Kürze fallen — darauf einen Wirtschaftsbericht erstellen, der die wirtschaftspolitischen Konsequenzen undMaßnahmen beinhaltet.
Dann kann ein Ausschuß, vielleicht ein Joint Committee aus dem Bundestag über diese Dinge beraten.
— Ein Gremium dieser Art kommt unter allen Umständen. Das kann ich Ihnen versichern; Sie können beruhigt sein.Wenn uns das Schicksal der deutschen Wirtschaft, und idas heißt das Schicksal des deutschen Volkes, am Herzen liegt, dann sollten wir wirklich nicht so tun, als ob bei uns alles in schönster Ordnung wäre, als ob gar keine iGefähren bestünden, sondern dann sollten wir diese Gefahren ansprechen. Ich versichere Ihnen: das ist sehr vielwohltätiger, als zu schweigen, um Empfindlichkeiten zu schonen oder um diejenigen nur ja nicht anzutasten, die durch ihr bisheriges Verhalten bezeugt haben, daß sie nicht willens sind, sich dem Ganzen unterzuordnen, sondern daß sie nur einseitig bestimmten Interessen dienen wollen.
Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der allgemeinen Aussprache über den Einzelplan 09.
Ich rufe nunmehr auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 49. Soll er noch besonders begründet werden? — Herr Abgeordneter Schoettle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat dem Hause zu Einzelplan 09 einen Antrag vorgelegt — einen Antrag, betone ich —, der die Bereitstellung eines neuen Tit. 609, Förderung der Qualitätsprüfung, fordert und der diesen Titel mit 1 Million DM ausgestattet wissen will.Gestatten Sie mir, mit wenigen Worten zu sagen, warum wir eine solche Maßnahme für notwendig halten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister selber hat, wenn ich mich recht erinnere, zu verschiedenen Malen die unabhängige Qualitätsprüfung der Waren für notwendig erklärt, die heute dem Verbraucherpublikum angeboten werden. Auch heute morgen wieder ist in der Aussprache durchgeklungen, in welch hohem Maße durch massive Propaganda- und Käuferbeeinflussung dem Publikum Waren geboten werden, die häufig in ihrer Qualität und ihren Preisen nicht dem entsprechen, was der Verbraucher mit Recht erwarten darf. Die Durchführung unabhängiger Warenprüfungen ist deshalb dringend notwendig, und wir sind der Meinung, daß diese Warenprüfung ohne einen öffentlichen Beitrag, einen Beitrag des Bundes zu ihrer Finanzierung, nicht möglich ist.Als dieser Antrag von meinen politischen Freunden vorgebracht wurde, ist im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen worden, daß die rechtlichen Grundlagen für eine solche unabhängige Warenprüfung in der Bundesrepublik zur Zeit nicht vorhanden seien. Ich will das jetzt im einzelnen nicht untersuchen, aber ich bin überzeugt — und meine Freunde mit mir —, daß eine solche unabhängige Warenprüfung dringend erforderlich ist. Die Voraussetzungen dafür sollten auch dadurch geschaffen werden, daß im Bundeshaushalt ein entsprechender Betrag ausgesetzt wird.Anstrengungen auf diesem Gebiet werden von verschiedenen Seiten unternommen; sie sind aber ständig in Gefahr, durch Prozesse und gerichtliche Maßnahmen unterbunden zu werden. Deshalb ist es nach unserer Meinung notwendig, endlich vom Bund her etwas in dieser Richtung zu tun, um die Verbraucher davor zu schützen, daß ihnen Waren zu ungerechtfertigten Preisen angeboten werden, die nicht dem entsprechen, was der Verbraucher zu erwarten ein gutes Recht hat.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu der gesamten Art unserer Haushaltsberatungen machen; sie bezieht sich ausschließlich auf die Anträge, die die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesem Hause aus Anlaß der Haushaltsberatung vorgelegt hat. Wir haben aus den Anlagen und Umdrucken festgestellt, daß bis jetzt die Koalitionsparteien keinen einzigen Antrag zu diesem Haushalt eingebracht haben. Das hängt wohl damit zusammen, daß man sich im Lager der Regierungsparteien darüber einig geworden ist, nichts zu tun, was das vom Haushaltsausschuß erreichte Ergebnis beeinträchtigen könnte. Wir Sozialdemokraten glauben, daß dieser Verzicht auf Anträge, auf den Versuch, im Plenum noch am Haushalt mitzugestalten, eigentlich der Verzicht auf ein wesentliches Recht des Parlaments ist,
als Ganzes bei der Gestaltung des Haushalts der Bundesregierung mitzuwirken.Wir Sozialdemokraten können uns diesem Vorgehen nicht anschließen. Wir sind uns klar darüber, daß die Haushaltssituation derart ist, daß die Bewegungsmöglichkeiten nicht sehr groß sind. Infolgedessen kann man selbstverständlich nicht mit weitgespannten Forderungen kommen, die das Gefüge des Haushalts sprengen könnten. Aber wir können nicht darauf verzichten, zu einigen Punkten und zu einigen Plänen unsere Auffassung durch Anträge
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 857
Schoettledarzutun, daß 'die Gewichte in einigen wesentlichen Punkten dieses Gesamthaushalts anders verteilt werden könnten. Wir haben Ihnen ideshalb eine Reihe von Anträgen vorgelegt. Damit ich aber schon von vornherein dem in der Vergangenheit geübten Spiel vorbeuge, der Opposition vorzurechnen, daß sie durch Milliardenanträge den Bundeshaushalt sprengen wolle, will ich Ihnen sagen, daß die Anträge, die wir eingereicht haben, unter Berücksichtigung der Vorschläge, die wir zur Streichung bestimmter Positionen machen, insgesamt netto 42,6 Millionen DM ausmachen. Damit ist klar, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht daran denkt, den Bundeshaushalt zu sprengen. Aber wir sind der Überzeugung, daß bei einem Gesamtvolumen des Haushalts von nahezu 54 Milliarden DM die Möglichkeit bestehen muß, wenn man bestimmte Notwendigkeiten berücksichtigen und bestimmte Zwecke nicht einfach unter den Tisch fallen lassen will, durch Überlegung bei den Ausgaben sowohl wie bei den Einnahmen dafür zu sorgen, daß wenigstens diese 42,6 Millionen DM in diesen Haushalt aùfgenommen werden. Das sage ich zu der Gesamtheit der sozialdemokratischen Anträge, um jeder falschen Interpretation von vornherein einen Riegel vorzuschieben.
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allem Respekt vor dem Antrag und bei allem Wohlwollen gegenüber ,dem Anliegen 'der Antragsteller meine ich, bereits ,die kargen Formulierungen dieses Antrages beweisen, daß diese Sache noch nicht beschlußreif ist. Wir haben uns — Herr Kollege Schoettle, Sie werden sich erinnern — im Haushaltsausschuß sehr ausführlich über die Frage der Qualitätsprüfung, des Warentests unterhalten. Dabei ist zutage getreten, daß auf Grund 'der heutigen Rechtsprechung eine solche Tätigkeit mit einem ungeheuren Risiko verbunden ist. Es wurde von der Bundesregierung erklärt, daß auf Grund der Rechtsprechung des Reichsgerichts, aber auch 'des Bundesgerichthofes zu § 1 'des Gesetzes ,gegen den unlauteren Wettbewerb sich gezeigt hat, daß vergleichende Warentests heute noch rechtlich problematisch sind, obwohl ein Oberlandesgericht anders entschied. Der Haushaltsausschuß hat, um diese Frage grundsätzlich zu klären, die Bundesregierung einmütig ersucht, zu prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten heute bestehen und welche Gesetzesänderungen möglicherweise vorzunehmen wären. Darüber hinaus haben wir die Bundesregierung aufgefordert, einen Vorschlag darüber auszuarbeiten, wer der Träger eines solchen Instituts sein soll, das mit der Durchführung unabhängiger Warentests beauftragt werden kann. Wir sind der Meinung, daß wir in Ruhe diesem Bericht der Bundesregierung entgegensehen sollten und daß wir erst dann, wenn er uns vorliegt, in ,der Lage sind, einen Beschluß zu fassen.
Wir möchten daher bitten, den Antrag, da er noch nicht beschlußreif ist, abzulehnen.
Das Wort wird nicht mehr begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD ,auf Umdruck 49 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, 'den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um ,die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Einzelplan 09 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart, den Einzelplan 07 'vorzuziehen. Ich rufe auf:
Einzelplan 07 — Geschäftsbereich des Bundes-
ministers der Justiz .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Tamblé. Verzichtet das Haus .auf eine Berichterstattung? — Das ist 'der Fall. Das Wort 'wird nicht gewünscht. Wer dem Einzelplan 07 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Enthaltung.
Ich rufe auf:
Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern .
Berichterstatter sind die Abgeordneten Niederalt und Dr. Stoltenberg. 'Das Haus scheint auf eine Berichterstattung zu verzichten. Ich eröffne die allgemeine Aussprache über diesen Einzelplan 'und die dazu vorliegenden Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 48. — Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In jeder Legislaturperiode tritt das Innenministerium in anderer Gestalt vor uns hin. Das vorletzte Mal wurde das Familienministerium herausgeschnitten. Dann war es der Bundesjugendplan mit der Jugendabteilung. Diesmal ist es das Gesundheitsministerium. Die Raumordnung und auch die Weltraumfahrt sind herausgeschnitten worden; das letztgenannte Gebiet ist dem Ministerium ja nicht sehr gut angestanden. Es bestand sogar die Gefahr, daß die Wissenschaftsförderung herausgenommen würde. Das Ministerium steht also jetzt, glaube ich, in einem letzten Torso vor uns.Wir anerkennen die Bemühungen des neuen Bundesinnenministers Höcherl, zu einer Normalisierung des Verhältnisses zum Parlament zu kommen, 'denn sein Vorgänger hatte ja nicht nur zur Opposition, sondern zum ganzen Parlament ein recht kritisches Verhältnis.
Metadaten/Kopzeile:
858 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Schäfer— Das kann man wohl ohne weiteres sagen; es bedarf keiner Untersuchung im einzelnen.In ,der Zwischenzeit ist wenigstens eine Normalisierung dieses Verhältnisses angestrebt worden. So empfinden wir auch die Gespräche über die Notstandsgesetzgebung, die bis jetzt zwischen dem Bundesinnenministerium und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion geführt worden sind. Inwieweit das Ministerium unseren Anregungen nachkommt, wird sich zeigen. Es war auf jeden Fall ein sehr nützlicher Austausch der Gedanken; es war nützlich, die gegenseitigen Argumente kennenzulernen. Aber, Herr Minister, wir meinen, daß es besser wäre, wenn Sie als erstes der Notstandsgesetze ,die Grundgesetzänderung im Bundestag einbrächten und wenn in diesem Hause Einigkeit in dieser Frage erzielt würde, statt den von Ihnen bereits beschrittenen Weg fortzusetzen, nämlich mit Einzelgesetzen an den Bundestag heranzutreten, so wie Sie es mit dem Zivildienstgesetz 'bereits getan haben, das in diesen Tagen im Bundesrat behandelt wird. Das scheint 'uns keine glückliche Methode zu sein. Der ganze Fragenkomplex gehört zusammen, unid die entscheidende grundsätzliche Frage sollte deshalb auch als erste hier behandelt werden.Es berührt etwas sonderbar — damit darf ich zur Begründung unseres ersten Antrages kommen —, daß im Innenministerium ein neuer Propagandatitel eingeführt werden soll, der ausdrücklich dazu da sein soll, die Bevölkerung über Maßnahmen im Bereich der inneren Verwaltung zu unterrichten, wobei in Klammern auf die Notstandsgesetzgebung hingewiesen wird. Ich habe den Eindruck, Herr Minister Höcherl, das rührt von Ihrem Vorgänger her. Nach den schlechten Erfahrungen, die man in anderen Ministerien damit gemacht hat, sollte man diesen Titel streichen. Wir beantragen dies. Ich habe den Herrn Innenminister einmal etwas ironisch gefragt, wieviel denn die Opposition aus diesem Titel bekommen würde; denn die Aufklärung der Bevölkerung über die Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist der Aufklärung über Ihre Vorstellungen, meine Damen und Herren, mindestens gleichrangig.
Ich habe das mehr ironisch gesagt, und ich habe es auch im Haushaltsausschuß gesagt. Aber ich möchte ausdrücklich betonen, daß es keine faire Art ist, wenn die Bundesregierung, die die Politik der Mehrheit dieses Hauses .vertritt, Millionen und aber Millionen an Propagandamitteln in Anspruch nimmt, um ihre Politik in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Dann wäre es auch richtig, wenn wir ebenfalls Mittel bekämen, um unsere Politik zu vertreten. Sie können nicht einseitig behaupten, das sei dann die Regierungspolitik.
— Ja, Herr Conring, das behaupten Sie! So sparsam Sie sonst sind, hier haben Sie eine großzügige Hand, und das verwundert mich immer wieder von neuem.Weil Sie, meine Damen und Herren, am Streichen sind und wir alle im Haushaltsausschuß kräftig gestrichen haben, kann ich mir gar nicht vorstellen, daß Sie in diesem Fall unserem Streichungsantrag, durch den 100 000 DM eingespart werden sollen, nicht zustimmen. Wir beantragen also, diese 100 000 DM zu streichen. Herr Dr. Vogel, Sie werden mit mir doch darüber einig sein, daß sie nicht notwendig sind.
— Sie sehen es nicht ein. Das bedauere ich um so mehr nach den schlechten Vorgängen im Wohnungsbauministerium und im Arbeits- und Sozialministerium. Dort war es noch schlechter. Man sollte hier den Anfängen wehren, unid wenn Sie, Herr Vogel, sagen, daß Sie das nicht einsehen, dann läßt das Rückschlüsse zu, die mich sehr stutzig machen.Wir sind weiter der Auffassung — auch wenn Sie sagen: „Alle Jahre wieder!", was ich schon höre —, daß der beim Verfassungsschutzamt ausgewiesene Betrag von 5,5 Millionen DM unter parlamentarische Kontrolle kommen soll. Das ist eine Aufgabe, die das ganze Parlament angeht. Die Kontrolle durch das Parlament ist wohl wirklich begründet. Wir haben Grund, den Beamten, die diese schwierige Aufgabe erfüllen, von hier aus Anerkennung zu zollen, und ich tue es gern. Wir müssen aber auch erwarten, daß nun insbesondere für die Beamten der Skherungsgruppe eine einwandfreie Rechtsgrundlage geschaffen wird. Es liegt im Augenblick nicht mehr an Ihnen, Herr Minister, es ist bereits im Rechtsausschuß. Wir haben seit Jahren danach gedrängt, und wir hoffen, daß sie in Bälde auch kommen wird.Ich darf Ihr Augenmerk, Herr Minister, ganz besonders auf den eigentlichen, meines Erachtens schönsten Teil Ihres Ministeriums lenken, auf die Kulturabteilung. Mein Freund Lohmar wird dazu noch einiges sagen. Wir hatten nicht immer den Eindruck, insbesondere zu Zeiten Ihres Vorgängers, daß diese Kulturabteilung den ihr zustehenden Rang in Ihrem Hause hat. Wir hatten nicht den Eindruck, daß der frühere Innenminister — bei Ihnen wage ich noch kein Urteil in 'dieser Hinsicht — die enorme Bedeutung dieser Abteilung tatsächlich erkannt hatte. Wir möchten Sie bitten, dieser Abteilung Ihre besondere Liebe und Ihre 'besondere Aufmerksamkeit zu schenken.Ich wollte auf eine weitere Aufgabe des Ministeriums hinweisen, wo wir bis jetzt einfach die Arbeit des Ministeriums vermissen. Sie sind das Organisationsministerium. Es hat in der Zwischenzeit viele Untersuchungen über Rentabilität, über Modernisierung der Verwaltung gegeben. Wir haben bis jetzt in dieser Hinsicht nicht viel erlebt. Das Innenministerium als Organisationsministerium hätte die Aufgabe, führend voranzugehen und auch Methoden und Gedanken zu entwickeln, um Einsparungsmaßnahmen möglich zu machen. Es wäre gut, wenn Sie auf diesem Gebiet mehr tun würden, als es bis jetzt der Fall war.Ich möchte hinweisen auf die Wichtigkeit der politischen Aufgaben der Bundeszentrale für Heimatdienst. Auch darüber werden wir noch einiges
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 859
Dr. Schäferzu sagen haben. Auch hier hatten wir manchmal einige Bedenken; wir werden heute noch darauf zurückkommen.Aber nun zum Gebiet der Sicherheitspolitik, dem zweiten großen Sektor. Herr Minister, seit Jahren werden Überlegungen angestellt, wie man die Polizei verstärken könnte. Seit Jahren haben wir darauf hingewiesen, daß der Bundesgrenzschutz jedes Jahr kleiner wird. Man hat sehr optimistische Prognosen dazu gegeben, aber es ist nichtseingetreten. Der Bundesgrenzschutz ist heute nur noch 13 000 Beamte stark. Innerhalb ides Bundesgrenzschutzes bedarf es der Prüfung einiger personeller und organisatorischer Änderungen, auf die wir im Haushaltsausschuß im Rahmen der Beratung der Personaltitel noch eingehen werden.Ich will mich in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit auf diese wenigen Ausführungen beschränken. Herr Minister, wir werden Ihre Arbeit mit Aufmerksamkeit verfolgen. Ich hoffe, daß wir in dreiviertel Jahren, wenn wir den nächsten Haushalt beraten, bei der allgemeinen Aussprache nicht nur unserer Hoffnung Ausdruck geben dürfen, daß das Klima sich verbessert, sondern daß wir das dann auch schon bestätigt finden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Kollegen Schäfer für die Ouvertüre zur Beratung des Haushalts des Innenministeriums. Ich darf auf seine Bemerkungen kurz eingehen.Es ist richtig, daß im Verlauf der Kabinettsbildung und der neuen Ressortverteilung einige Sachbereiche aus dem Bundesinnenministerium herausgekommen sind. Aber daß nur ein Torso übriggeblieben ist, glaube ich deswegen nicht, weil ich das einmal an der Arbeitslast sehe, die mir verblieben ist; zweitens hoffe ich, Ihnen mit dem Ergebnis zu beweisen, daß es tatsächlich kein Torso ist. Aber ich bin ganz überrascht, Herr Kollege Schäfer, daß Sie dem Bundesinnenministerium nun eine gewisse Kompetenz abstreiten, was die Fragen der Raumfahrt und der Raumfahrtforschung betrifft.
Wir haben dieses Sachgebiet bisher betreut, und wer genau mit den Verhältnissen vertraut ist, weiß, daß wir trotz unserer beschränkten Mittel ein recht gutes Ergebnis vorlegen könnten. Daß der Sachbereich der Gesundheitsabteilung einer Dame anvertraut worden ist, finde ich nicht nur kavaliermäßig, sondern auch sachlich mit Recht angebracht.
Nun kommt das bekannte und berühmte Thema: Der andere Arbeitsstil des neuen Ressortinhabers im Vergleich zu dem des früheren. Ich darf dazu vor allem für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nun einmal doch grundsätzlich folgendes sagen: Ich halte es nicht für zweckmäßig und nicht für opportun, fortgesetzt darauf hinzuweisen, welchen Arbeitsstil jemand hat, auch wenn mir diese Kritik zugute kommt. Ich darf Ihnen mitteilen, daß ich von der Arbeitsleistung und dem Arbeitsstil meines Herrn Vorgängers eine außerordentlich hohe Meinung habe.
Ich sehe mich auch in der angenehmen Lage, eine ganze Reihe von Arbeiten, die er hinterlassen hat und die im Parlament nicht mehr durchberaten werden konnten, fast unverändert übernehmen zu können. Daß der Stil eines Norddeutschen gelegentlich von dem eines Süddeutschen abweicht, ist nicht so ausschlaggebend, daß dieser Unterschied ein derartiges Interesse verdient, wie es hier nach den Ausführungen sehr oft den Anschein hat.Zur Frage der Notstandsgesetzgebung! Es ist ja selbstverständlich, daß ich in einer so schwierigen Materie wie der Notstandsgesetzgebung das Gespräch nicht nur mit der Opposition, sondern mit dem ganzen Parlament und ebenso mit den Ländern aufnehme, und zwar deswegen, weil ich meine, es handelt sich um eine staatspolitische Angelegenheit allerersten Ranges. Wenn sie sachgemäß behandelt wird, müßte sie hier meines Erachtens einstimmig verabschiedet werden können. Dann würden wir dieser hohen und wichtigen Aufgabe der Verfassungsergänzung und der Ausfüllung einer bedeutsamen Verfassungslücke gerecht werden.Nun zu Ihrer Rüge, Herr Kollege Schäfer, ich solle zunächst einmal die Verfassungsänderung vorlegen und nicht mit Einzelgesetzen operieren! Ich kenne Ihren Wunsch sehr genau. Ich weiß, daß Ihnen unabhängig von der Verfassungsänderung sehr daran liegt, daß all die Probleme, die in diesem Bereich bestehen, durch Einzelgesetzgebung einem normalen Gesetzgebungsverfahren unterworfen werden. Wenn ich das Notdienstgesetz vorgezogen habe — wobei alle Änderungswünsche, die im Parlament laut wurden, verwertet werden konnten —, so glaube ich mich auf der Linie Ihrer Wünsche und der Wünsche des Parlaments zu befinden.Nun zu dem schönen „bescheidenen" Titel in Höhe von 100 000 DM. Neben dem Fonds des Presse-und Informationsamtes haben zehn Häuser derartige Propagandatitel, wenn man das so nennen will.
— Ja, Herr Schoettle, ich will Ihnen ein praktisches Beispiel nennen. Wir haben kürzlich über eine schöne Broschüre, eine Luftschutz- oder Selbstschutzbroschüre, ,gestritten, und in diesem Hause ist gerade von Ihrer Seite zum Ausdruck gekommen, daß eine solche Broschüre erstens notwendig sei, daß sie zweitens neu gefaßt werden müsse und daß drittens der Innenausschuß leine solche Broschüre vor der Drucklegung sehen möchte. Ein Beweis dafür, daß Sie das Bedürfnis für eine solche Propaganda oder für eine solche Unterrichtung der
Metadaten/Kopzeile:
860 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundesinnenminister HöcherlOffentlichkeit — ich will nicht „Propaganda" sagen —durchaus anerkennen.Aber wer wie Herr Kollege Arndt sagt: Notstand ja, aber wie?, der darf nicht gleichzeitig die Mittel verweigern, die notwendig sind, um so schwierige Probleme der Offentlichkeit in sachgerechter Form begreiflich und verständlich zu machen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer?
Bitte schön, ja!
Herr Minister, wollen Sie damit den Eindruck erwecken, daß aus diesen 100 000 DM diese Aufklärungsschriften für den zivilen Bevölkerungsschutz finanziert werden?
Sowohl das eine wie das andere.
Das eine war nur ein Beispiel, das erwähnt worden ist. Nein, nicht weder noch, sondern sowohl als auch. Ich nehme nicht an, daß wir mit Ihrer Hilfe — und Sie wollen ja mitziehen — 100 000 DM brauchen, um die Offentlichkeit voll zu verständigen. Sie werden viel Gelegenheit haben, ineiner staatspolitisch verantwortlichen Art bei der Erfüllung dieser Aufgabe mitzuwirken. Wir können dabei einsparen und die eingesparten Beträge auf den zivilen Bevölkerungsschutz übertragen.
Nun zu der berühmten Frage der Überprüfung der Mittel für das Verfassungsschutzamt, zu der Frage, ob neben dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs hierfür noch ein eigener Parlamentsausschuß eingesetzt wenden soll! Sie haben schon vollkommen richtig erwähnt, daß dieser Antrag jedes Jahr kommt und das Haus jedes Jahr unerledigt verlassen mußte. Ich darf Sie auf etwas hinweisen; das wird Ihnen vielleicht die Stellungnahme etwas erleichtern. Wir haben ja nicht nur hier auf der Bundesebene ein Verfassungsschutzamt, sondern auch auf der Landesebene. Auf der Landesebene verzichtet z. B. ein Ihnen sehr nahestehendes Land, nämlich Hessen, durchaus darauf, diesen Titel im eigenen Bereich durch einen Parlamentsausschuß nachprüfen zu lassen. Dort genügt durchaus die Nachprüfung durch den Präsidenten des hessischen Rechnungshofes. Ich glaube, wir verfahren im Bunde aus guten Gründen genauso wie Ihre Freunde in Hessen.
Was die Kulturabteilung betrifft — Sie haben ja eine ganze Reihe von Anträgen zur Kulturabteilung gestellt —, ,so bin ich durchaus Ihrer Auffassung, daß die Arbeit der Kulturabteilung verstärkt werden muß. Wir haben vor wenigen Tagen eine umfangreiche Kulturdebatte geführt, in der alles erörtert worden ist, was zu diesem Thema in diesem Augenblick zu sagen ist. Ich freue mich besonders darüber, daß es gelungen ist, mit den Ländern wieder eine Verständigung zuerreichen, daß all die Härten in den ersten Auseinandersetzungen wieder beseitigt werden konnten und daß wir es heute verzeichnen können, auch wieder Kulturmittel in dem notwendigen Umfang — unter Berücksichtigung der Sparsamkeit, die uns in diesem Jahr mehr denn je auferlegt ist — in unserem Haushalt zu haben, mit denen wir unseren Aufgaben, die in der Verfassung in Art. 74 Ziffer 13 usw. enthalten sind, gerecht zu werden in der Lage sind. Ich werde 'es nicht daran fehlen lassen, Herr Kollege Schäfer, meine ganze Sorge — wenn andere vordringlichere Aufgaben abgeschlossen sind — der Kulturabteilung zuzuwenden, weil ich mit Ihnen der Meinung bin, daß es kein wichtigeres Gebiet als die Forschung und die Förderung der Forschung gibt.
Was die Modernisierung der Verwaltung betrifft, so haben Sie auch vollkommen recht, daß das Bundesinnenministerium besondere Zuständigkeiten in diesen Fragen hat. Wir sind zwar in erster Linie ein Gesetzgebungsministerium. Ich nehme aber an, daß Sie Ihre Anregungen dahin verstanden wissen wollen, daß wir in unserem Hause beispielhaft für die Bundesverwaltung Grundsätze ierarbeiten sollten. Auch dafür werden wir uns sehr gern interessieren.
Dasselbe gilt für die Bundeszentrale für Heimatdienst, mit dereine ersprießliche Zusammenarbeit besteht.
Was die Frage der Sicherheit angeht, so bin ich der Meinung, daß wir durch die Änderung des § 42 des Wehrpflichtgesetzes für den Bundesgrenzschutz gewisse Aussichten haben, indem wir die anrechenbaren Dienstzeiten zwischen der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz zeitlich gleichgezogen haben. Meine neuesten Berichte lauten dahin, daß sich die Meldungen verstärken, daß also ein gewisser Anreiz von der zeitlichen Gleichstellung ausgeht. Ob darüber hinaus noch andere Gedanken verfolgt werden sollten, wie sie von Ihnen kürzlich in der Presse dargelegt worden sind, sollte man später erörtern, wenn diese Bemühungen um freiwillige Ergänzung wider Erwarten nicht zu einem Ergebnis führen sollten. Auch über eine personelle Reorganisation ist durchaus zu reden. Das wird dann geschehen, wenn sich der Haushaltsausschuß, der ja eine verdienstvolle Tätigkeit in dieser Legislaturperiode hinter sich hat, mit den Personalfragen befaßt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war für den Herrn Bundesinnenminister heute nicht einfach, von der Regierungsbank zuzuhören, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister hier klargemacht hat, daß die Bundesregierung alle Verbesserungen der Gehälter im öffentlichen Dienst ablehnt. Das ist außerordentlich zu bedauern und steht nicht nur im Gegensatz zu den zahlreichen Zusagen und Versprechungen von Mitgliedern ,der Regierung und darüber hinaus auch von maßgeblichen Mitgliedern der Regierungsparteien, sondern auch das Urteil des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 861
Schmitt-VockenhausenBundesverfassungsgerichts vom Jahre 1958 wird hier einfach zur Seite geschoben.
Die im öffentlichen Dienst Stehenden werden wie .die Sozialrentner das Gefühl nicht los, daß vor allem diejenigen, deren Einkommen von gesetzlichen Maßnahmen abhängt und ,die ohnehin am Ende stehen, nunmehr auch die ersten sind, deren Anliegen zurückgestellt werden. Das sozia'lpolit'ische „Das Ganze halt!", zu .dem die neue Koalition geblasen hat, wirkt sich nunmehr leider auch auf den öffentlichen Dienst und auf die Gruppen aus, die ohnehin von der Erhöhung der Lebenshaltungskosten besonders hart betroffen sind.
— Herr Kollege Conring, 'Sie können heute über die Bundeskasse und 'den Bundeshaushalt sagen, was Sie wollen: die Entscheidung über die Verteilung der Haushaltmittel ist eine politische Entscheidung, und bei dieser politischen Entscheidung stehen bei Ihnen jetzt der öffentliche Dienst, die Sozialrentner und die Kriegsopfer am Ende 'der Rangfolge. Das ist eine Tatsache, an 'der kommen Sie nicht vorbei.
— Nein, Herr Dr. Stoltenberg, billig ist das leider gar nicht. Das ist eine sehr bittere Sache, und Sie werden sich noch damit beschäftigen müssen. Für den öffentlichen Dienst — meine 'Damen und Herren, ich muß das 'hier sagen — war der Hinweis des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf die kommende Finanzreform geradezu ein Hohn. Denn, Herr Bundeswirschaftsminister, die Regierung hat in 13 Jahren die Finanzreform nicht fertiggebracht und seit dem 17. Januar ist wohl auch noch nichts geschehen, und nun sollen die Beamten, die Angestellten und Arbeiter mit ihren Gehaltssorgen warten, bis Sie die Finanzreform fertiggebracht haben, und neue Kornmissionen sollen jetzt mahlen.
Ich will Ihnen, Herr Minister Erhard, noch etwas sagen. Was Sie hier heute gesagt haben und was Sie auch in einem Teil Ihrer Fernsehredegesagt haben, war sehr wesentlich von der Publikumswirksamkeit 'her bestimmt. Ich werde das Gefühl nicht los, daß Sie dabei vielleicht auch auf Ressentiments gegenüber )dem öffentlichen Dienst bei Teilen der Bevölkerung gerechnet haben.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten können die Frage heute hier nicht vertiefen. Aber wir werden alles daransetzen, um im Interesse unseres Staates eine Änderung in der Rangfolge, eine Änderung in den Prioritäten zu erreichen, damit auch der öffentliche Dienst und nicht zuletzt die Sozialrentner, über die wir hier noch sprechen werden, richtig eingeordnet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja etwas schwierig, in diesem Hause Komplimente zu machen. Denn der Herr Bundesinnenminister hat das Kompliment, das ihm der Herr Kollege Schäfer erteilt hat, in ritterlicher Weise zurückgewiesen und seinen Vorgänger verteidigt. Ich möchte trotzdem wiederholen, daß auch wir uns sehr über die Art treuen, in der die Frage des Notstands angegangen worden ist, sowohl über die Methode wie auch über das, was man bis jetzt über den Inhalt sagen kann.
Deshalb möchten wir verständlicherweise bei diesem Tit. 301 — und ich spreche da gleich zu dem Änderungsantrag der SPD — nicht von vornherein die 100 000 DM, die hier begehrt werden, ablehnen. Aber ich darf auch zum Ausdruck bringen, daß wir natürlich gewisse Bedenken dagegen haben, daß, wie es schon von seiten der SPD gesagt worden ist, solche Informationstitel über alle Einzelpläne verstreut werden. Nach unserer Ansicht müssen diese Titel sinnvoll zusammengefaßt und koordiniert werden — wir haben ja ein Presse- und Informationsamt —; dann, glaube ich, kommt mehr bei dieser Arbeit heraus.
Noch ein Hinweis. Wenn hier über Notstandsmaßnahmen aufgeklärt werden soll, sollte man nach meiner Meinung möglichst wenig für Broschüren ausgeben;
denn das ist immer eine höchst fragwürdige Sache. Wer liest denn all diese Broschüren, auch sehr gut gemeinte Broschüren! Ich lasse es mir noch gefallen bei Themen wie „Berlin", die von allgemeinem brennendstem Interesse sind. Demgegenüber verspreche ich mir wenig Interesse an einer trockenen und großenteils juristischen Broschüre über den Notstand. Das nur als Hinweis.
Vielleicht müssen nicht die ganzen 100 000 DM ausgegeben werden. Jedenfalls sollten wir uns für den nächsten Bundeshaushalt überlegen, ob wir solche Informationstitel in den einzelnen Ressorts weiterhin schaffen sollten.
Ziffer 2 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD wird vom Herrn Abgeordneten Neubauer begründet. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Tit. 610 für zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports und der Leibesübungen sind in der Regierungsvorlage 3 Millionen DM eingesetzt. In der Zwischenzeit sind davon 300 000 DM gestrichen worden. Unser Antrag bezweckt, zur Regierungsvorlage zurückzukehren.Meine Damen und Herren, in diesem Hause ist oft von der Freundschaft gegenüber den zentralen
Metadaten/Kopzeile:
862 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
NeubauerSportverbänden die Rede gewesen. In diesem Hause besteht eine Arbeitsgemeinschaft der Freunde des Sports, in der wir viele, viele Versprechungen gegenüber den Sportverbänden im Verlaufe des letzten Jahres gehört haben. Wir sind gegenüber dem deutschen Sport im Wort in diesem Titel und in einem nachfolgenden, der noch besonders erläutert werden wird. Besonders die deutschen Sportverbände haben — das wird jeder bestätigen müssen — keinerlei maßlose Forderungen an das Parlament gestellt. Sie haben sich immer bemüht, durch lange und eingehende Gespräche die Notwendigkeit jedes einzelnen Betrages nachzuweisen. In Einzelgesprächen mit Mitgliedern der Mehrheitsfraktion dieses Hauses ist mir auch bestätigt worden, daß auch sie von der Notwendigkeit dieser 3 Millionen DM überzeugt sind. Ich hoffe, daß Sie heute die Hürde überspringen, die hier aufgebaut wird und die da lautet: Wir dürfen keiner Erhöhung in irgendeinem Titel mehr zustimmen. Sollten Sie das nicht tun, werden wir künftig sehr stark darauf zu achten haben, inwieweit die Worte, die gegenüber den Sportverbänden gebraucht werden, sich auch tatsächlich an dem Tag auszahlen, wo die Freundschaft gegenüber dem deutschen Sport sich in Barzahlungen an diese Verbände auszudrücken hat. Nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch einzelne Abgeordnete — ich will Sie gar nicht ansehen, Herr Kemmer — haben in den letzten Wochen ihre Zustimmung zur Regierungsvorlage gegenüber den Sportverbänden erklärt.Wir hoffen daher, daß mit der Sozialdemokratischen Partei sich eine ausreichende Mehrheit findet, die im Verlaufe eines Jahres nicht nur den Mund spitzt, sondern auch bereit ist, zu. pfeifen.
Die Ziffer 3 des Umdrucks 48 wird von Herrn Abgeordneten Schoettle begründet. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, einen Streichungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zu begründen.
In Kap. 06 02 Tit. 612 ist zusätzlich zu dem Betrag, der im Vorjahr für politische Bildungsarbeit der Parteien ausgebracht worden ist und den man durchaus akzeptieren kann, ein neuer Untertitel b) eingesetzt worden, der für die Aufgaben der Parteien — man muß sich die Zweckbestimmung genau zu Gemüte führen — nach Art. 21 des Grundgesetzes 15 Millionen DM vorsieht. Wir beantragen die Streichung dieser 15 Millionen DM, weil wir der Meinung sind, daß die Einfügung dieses Titels in den Haushaltsplan etwas auf einem Gebiet vorwegnimmt, das erst gesetzlich geregelt werden muß, nämlich der Finanzierung der politischen Parteien. Parteienfinanzierung auf diesem Umweg, ich möchte beinahe sagen: über die Hintertreppe, halten wir Sozialdemokraten für unmöglich.
Ich möchte nicht viel mehr zu diesem Antrag meiner Fraktion sagen. Hinzugefügt werden muß aber noch, daß wir es uns in einem Augenblick, in dem ein allgemeiner Aufruf zur Sparsamkeit erfolgt, einfach nicht leisten können, auf diesem Gebiet — für die Erfüllung der Aufgaben der Parteien, die sie in der Tat nach dem Grundgesetz haben —, 15 Millionen DM im Haushalt auszubringen. Denn an soundsoviel anderen Stellen wird gespart und gestrichen.
Herr Abgeordneter Dr. Vogel!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Eintreffen dieses Antrags vor dem Hohen Hause hat uns einigermaßen in Erstaunen versetzt. Nach dem Verhalten der Sozialdemokratischen Partei bei der Bewilligung der ersten 5 Millionen DM und nach dem Verhalten vor allen Dingen, das Ihre Partei, meine Damen und Herren von der Opposition, in einer ganzen Reihe von Landtagen — zuletzt in Nordrhein-Westfalen — bewiesen hat, konnten wir annehmen, daß Sie auch hier eine andere Haltung einnehmen würden.
— Es gibt Grenzen, sagen Sie. Aber die Bundessituation ist eine andere als die Situation in den einzelnen Landtagen, und wenn wir das, was in einzelnen Landtagen bewilligt worden ist, auf die Bundessituation übertragen, dann werden Sie mit uns übereinstimmen müsssen, daß das, was hier gefordert worden ist, sich durchaus in der richtigen . Relation bewegt. Wir konnten auch nach Ihrem Verhalten bei der Behandlung dieses Punktes im Haushaltsausschuß annehmen, daß Sie heute eine andere Einstellung zeigen würden.Aber nun lassen Sie mich zur Sache selber etwas sagen. Nach Art. 21 des Grundgesetzes wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit. Wir sind der Überzeugung, daß wir diesem in der Verfassung ausgesprochenen Willen auch finanziell Rechnung tragen müssen. Daß das bis jetzt nicht geschehen ist, führe ich lediglich auf eine AntiParteien-Einstellung in Teilen der Offentlichkeit zurück, die nach meinem Dafürhalten ein Zurückweichen in einem Punkt bedeutet, in dem die Parteien nicht zurückweichen sollten. Ich möchte hier offen aussprechen, daß, wenn man die Parteien als einen mit dem Funktionieren des demokratisch-parlamentarischen Systems untrennbar verbundenen Bestandteil anerkennt, man sich auch nicht scheuen sollte, die entsprechenden finanziellen Folgerungen daraus zu ziehen.Ich möchte diese Debatte absichtlich nicht länger vertiefen — obwohl sie natürlich sehr reizvoll wäre —, aber einen Punkt möchte ich doch noch vorbringen. Die SPD ist finanziell vor den anderen Parteien deis Hauses in einer weitaus günstigeren Situation.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 863
Dr. Vogel— Ich werde das sofort begründen. Ich möchte nicht auf die Verschiedenartigkeit der Hilfsquellen und auf die Möglichkeit der Kontrolle dieser Hilfsquellen eingehen. Aber eines möchte ich offen sagen, und das können Sie gar nicht leugnen: darin, daß Sie als Rechtsnachfolger der 1933 verbotenen Sozialdemokratischen Partei zu Recht wieder in den Besitz Ihres Parteivermögens gekommen sind, während hier ein Teil der CDU als möglicher Rechtsnachfolger der Zentrumspartei nicht in den Besitz des Vermögens der früheren Zentrums-Partei gekommen ist, besteht unbestreitbar ein großer Vorteil, 'den Sie gegenüber den anderen Parteien in diesem Hause genießen. ,Sie wissen das ganz genau.
— Es hat doch keinen Zweck, meine Damen und Herren, hier mit solchen Zwischenrufen zu operieren. Das sind doch alles unbestreitbare Dinge. Man kann doch nicht leugnen, daß das so ist. Wir 'beneiden Sie auch gar nicht. Wir sagen durchaus, daß das, dessen Sie sich erfreuen, Rechtens ist. Es geht aber auch nicht daraum, sondern es geht nur darum, festzustellen, wie die finanzielle Situation ist, und das müssen Sie anerkennen.Wir bedauern also, daß wir diesem Antrag nicht folgen können. Es wäre natürlich reizvoll für uns, zu wissen, ob Sie dann, wenn nachher unser Antrag durchgehen sollte, 'auf Ihren Anteil verzichten würden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Herr Kollege Vogel hätte die letzten beiden Sätze besser nicht gesagt.
Ich hätte mich auch nicht zum Wort gemeldet, wenn nicht durch 'das, was Herr Dr. Vogel gesagt hat, der Eindruck erweckt worden wäre, als ob die Sozialdemokratie in diesem Hause mit anderen Maßstäben als etwa in den Landtagen messe. Wie die Maßstäbe in den Landtagen sind, ist mir im einzelnen nicht bekannt. Ich habe bei keiner einzigen Beschlußfassung in den Landtagen mitgewirkt. Dias wissen Sie auch.
Im übrigen aber: in diesem Hause haben wir darin übereingestimmt, daß für die staatsbürgerliche Bildungsarbeit der Parteien Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. Das kann man mit guten Gründen rechtfertigen. Denn es ist unbestritten, daß die politischen Parteien auf dem Gebiete der staatsbürgerlichen Bildung eine Aufgabe haben. Ich hoffe, daß jede der Parteien, die von diesem Titel etwas haben, diese Aufgabe auch wirklich erfüllt. Ich glaube, das für die Sozialdemokratische Partei sagen zu dürfen.
Wenn es sich aber darum handelt, schlichtweg die Aufgaben der Parteien aus Bundesmitteln zu finanzieren, dann hat die Sache ein ganz anderes Gesicht. Sie können nicht das Parteiengesetz vorweg nehmen.
Nun komme ich zu einem anderen Punkt. Herr Dr. Vogel hat hier — ich finde, etwas gefährlich — damit operiert, 'daß die Sozialdemokratische Partei als Rechtsnachfolgerin der vor 1933 bestehenden Sozialdemokratie, die im Jahre 1933 um ihr Eigenturn bestohlen worden ist, dieses Eigentum zu einem Teil wieder zurückbekommen hat.
Das ist doch kein Argument.
— Es ist schön, wenn Sie es zugeben.
Ich will nun auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich vorhin nicht angedeutet habe, den ich aber jetzt zur Sprache bringen muß. Es geht gar nicht um die Finanzierung aller Parteien bei diesem Antrag von 15 Millionen DM. 'Es ist auch eigentlich ein offenes 'Geheimnis, 'daß es dabei um diejenigen Parteien geht, die nicht wie die Sozialdemokratische Partei eine Mitgliederorganisation haben, die einen ganz großen Teil ihrer Aufwendungen aus den Beiträgen ihrer Mitglieder selber aufbringt.
Das können Sie nicht bestreiten. Es geht vielmehr darum, daß man Parteien eine Finanzierungsgrundlage gibt, die in diesem Punkt etwas schwächer sind als die Sozialdemokraten. Vielleicht geht es sogar darum, einer einzigen Koalitionspartei die Möglichkeit zu geben, sich aus der Abhängigkeit von ihren eigenen Geldgebern zu befreien. Das scheint mir einfach nicht möglich zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar zur Begründung des Antrags unter Ziffer 4 auf Umdruck 48.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einbringung des Bundeshaushaltes hat der Herr Bundesfinanzminister mit einem Unterton des 'Stolzes darauf aufmerksam 'gemacht, daß die Vorlage der Regierung für 'den 'Bundeshaushalt eine wesentliche Erhöhung der Mittel für die Förderung der Wissenschaft vorsehe. Wir haben uns — der Herr Bundesinnenminister hat soeben darauf hingewiesen — in diesem Hohen Hause in der Kulturdebatte darüber unterhalten, in welcher Richtung und in welchem Ausmaße eine Hilfe gewährt werden muß. Ich erinnere mich noch mit Vergnügen an die Schlußbemerkungen des Herrn Innen-
Metadaten/Kopzeile:
864 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Lohmarministers in der Kulturdebatte, mit denen er seine Hoffnungen zum Ausdruck brachte, daß 'das ganze Parlament denfinanziellen Anforderungen der Bundesregierung im Haushaltsplan folgen möge.Das ist in den Beratungen des HaushaltsausschusSes nicht geschehen. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich deshalb entschlossen, im Rahmen der allgemeinen haushaltspolitischen Überlegungen, die vorhin der Herr Kollege Schoettle dargelegt hat, bei Tit. 616 eine Erhöhung 'der vorgesehenen Mittel zu erbitten. Wir haben vorgeschlagen, daß zur Wiederherstellung 'der .Regierungsvorlage der Ansatz von 288 476 600 DM um 86 401 600 DM auf 374 878 200 DM erhöht werden möge.Sieht man sich 'an, welche Begründung der Herr Kollege Stoltenberg in seiner Berichterstattung für die Kürzungen im Haushaltsausschuß angeführt hat, so kann man ihn um die Aufgabe dieser Berichterstattung wirklich nicht beneiden. Er 'schreibt und begründet die Kürzungen der Mittel für die Pläne des Wissenschaftsrates von 250 Millionen DM auf 200 Millionen DM damit, daß sich der Haushaltsausschuß aus den .angeführten Erwägungen nicht habe entschließen können, die Vorlage der Regierung zu übernehmen. Meine Damen und Herren, wenn Sie den Bericht des Kollegen Stoltenberg nachlesen, werden Sie aber nirgendwo vorher Begründungen finden, auf die er sich bezieht. Man kann also wohl kaum deutlicher zum Ausdruck bringen, daß selbst ihm, der ja recht geschickt bei dem Finden von Begründungen ist, dafür kein einziger Grund eingefallen ist.Noch merkwürdiger ist die Begründung, die der Berichterstatter des Haushaltsausschusses für sein Begehren gefunden hat, die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 'die Max-Planck-Gesellschaft und das Institut für Dokumentationswesen .auf den Betrag von rund 89 Millionen DM zu senken. Herr Stoltenberg führt als Begründung dafür an, daß in 'diesem Jahre das Abkommen zwischen Bund und Ländern nicht zustande kommen werde und man deshalb die in der Regierungsvorlage vorgesehene Erhöhung auch nicht in Erwägung zu ziehen brauche. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie einmal um Aufklärung, wie sich hier zwei Dinge miteinander vertragen. Beide Koalitionsparteien haben die Bundesregierung in der Kulturdebatte dazu gedrängt, das Abkommen mit den Ländern baldmöglichst unter Dach und Fach zu bringen. Jetzt geht der Berichterstatter des Haushaltsausschusses davon aus, daß dieses Abkommen in diesem Jahr auf keinen Fall mehr zustande kommen könne. Ich frage mich, ob man eine Regierung deutlicher zur Tatenlosigkeit auffordern kann, als es in diesem Bericht von Herrn 'Stoltenberg geschehen ist.Ich hoffe, daß Idie Mehrheit dieses Hauses von ihrer allgemeinen Abstinenz in der zweiten Beratung des Haushalts abkommt und wengistens 'in dieser Frage den Argumenten, die 'die Sozialdemokratie dazu vorzutragen hat, zu folgen bereit ist. Man kann nicht — wie es der Herr Kollege Stoltenberg getan hat — sagen: wenn kein Abkommen da ist, vermindert sich wegen des Fehlens dieses Abkommens auch der Bedarf für die wissenschaftliche Forschung. Das ist doch eine Logik, für die sich überhaupt nichts mehr anführen läßt. Man kann nur sagen, es ist ein 'bestimmter Bedarf vorhanden. Wenn dieser Bedarf vorhanden ist, muß man die entsprechenden Formen der Zusammenarbeit. schaffen, die für diese Arbeit notwendig sind.Sie wissen, meine Damen und Herren, und mein Kollege Schoettle hat es vorhin bereits zum Ausdruck gebracht, daß wir auch in der Frage der Wissenschaftsförderung ganz 'bewußt in dem bescheidenen Rahmen, den uns der Bundeshaushalt dieses Jahres gesteckt hat, nicht darauf verzichten wollen, eine andere Rangskala der politischen Aufgaben sichtbar zu machen. Ich 'weiß nicht, ob die Front der Kulturpolitiker in der Koalition so stark ist, daß sie sich diesen Argumenten anzuschließen in der Lage wäre, wenn schon nicht die ganze Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der FDP unserem Wunsche folgen können. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn sich hier eine übereinstimmende Meinung bilden könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den der Herr Kollege Lohmar begründet. hat, ist von den vielen Anträgen auf Umdruck 48 der finanziell gewichtigste; denn zu Kap. 06 02 'sind hier Anträge gestellt, die eine Mehrbelastung des Haushalts gegenüber der Empfehlung des Haushaltsausschusses von über 90 Millionen DM vorsehen würden.
— Nun, Herr Kollege Schoettle hat — so wie Sie, Herr Kollege Schäfer, es mit Ihrem Zwischenruf tun— erklärt, es wären entsprechende Deckungsvorschläge zu machen. Aber ich möchte Ihnen jetzt — ohne der Debatte über den Einzelplan 60 vorzugreifen —, sagen, .daß uns Ihre Deckungsvorschläge in ihren wesentlichen Punkten in keiner Weise zu überzeugen vermögen.
— Die Anträge sind schon vorhanden; deshalb kenne 'ich sie sehr wohl. Ich möchte feststellen, daß Sie für den Einzelplan 14 Anträge vorgelegt haben, 120 Millionen DM zusätzlich zu kürzen, daß sie außerdem um 168 Millionen DM über ,die bereits vom Haushaltsausschuß unter großen Bedenken erhöhte Steuerschätzung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer noch hinausgehen wollen und daß Sie den Fehlbetrag von 160 Millionen DM aus dem Jahre 1961 auf 'das Jahr 1963 verschieben wollen, obwohl im Haushaltsausschuß Klarheit darüber bestand, daß die Finanzsituation im Jahre 1963 noch schlechter sein wird. Ihren Zwischenruf, daß ich Ihre Vorschläge nicht kenne, muß ich 'deshalb als völlig unbegründet zurückweisen.Nun möchte ich mich mit den Ausführungen des Kollegen Lohmar auseinandersetzen. Ich darf ihm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 865
Dr. Stoltenbergnoch einmal im Hinblick auf seinen Antrag doch kurz ins Gedächtnis rufen, was das Parteiorgan der Sozialdemokratie, der „Vorwärts", zu dieser Thematik am 4. April, also vor wenigen Tagen, geschrieben hat. Es heißt dort, und ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:Der Haushaltsausschuß 'des Bundestages hat gute Arbeit geleistet. Seinem Rotstift fiel rund eine Milliarde DM zum Opfer. Es bleibt nur zu hoffen, .daß es gelingt, im Plenum weitere Zugriffe aus den Parteien auf den Steuergroschen abzuwehren. Das Gebot des Maßhaltens hat in diesem Falle mehr als Berechtigung.
Wenn ich mir Ihre Anträge insgesamt ansehe, so stelle ich fest, daß Sie von dieser guten Arbeit des Haushaltsausschusses, von .der Ersparnis um rund eine Milliarde DM fast die Hälfte wieder neu in den Haushalt eingestellt sehen wollen, wobei Sie Dekkungsvorschläge machen, die in keiner Weise überzeugen. Ein wesentlicher Betrag, um den es hier geht, ist eben diese Summe von über 90 Millionen DM. Wie sieht es denn mit den Ergebnissen unserer Arbeit aus? Nach den Unterlagen des Bundesfinanzministeriums sind in der Regierungsvorlage die Mittel für Wissenschaft, Forschung und Kultur vom Jahre 1961 mit 1084 Millionen DM zum Jahre 1962 mit 1404 Millionen DM um 320 Millionen DM erhöht worden. Die Beschlüsse des Haushaltsausschusses bedeuten insgesamt eine Verminderung dieser Ansätze um 130 Millionen DM. Das ist weniger als die zwölfprozentige Kürzung, die 'die Regierungsvorlage vorsah. Wir sind also mit unseren von Ihnen kritisierten Beschlüssen zum Kapitel Kultur, Wissenschaft und Forschung insgesamt über die Regierungsvorlage hinausgegangen und haben gegenüber dem Vorjahr ein Mehr von 190 Millionen DM vorgesehen.Diese Zahlen zeigen deutlich, wie unfundiert die Vorwürfe waren, die hier erhoben wurden. Sie zeigen, daß wir uns mit unseren Beschlüssen trotz der ernsten Finanzsituation des Bundes durchaus in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesinnenministers und auch den Ausführungen unserer Fraktionsvertreter bei der Kulturdebatte befinden.
Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Lohmar?
Ja!
Herr Kollege Stoltenberg, mich interessiert nur eine sachliche Aufklärung Ihrerseits: Wären Sie bereit, zuzugeben, daß Ihr Vorwurf, unser Anliegen sei unbegründet, sich logischerweise auch auf die Vorlage der Bundesregierung beziehen muß?
Dazu will ich mich gerne im einzelnen äußern. Ich komme jetzt zu diesem Punkt, den Sie ansprechen. Während derEtatberatungen ist zwischen dem Ressort, dem Berichterstatter und auch im Haushaltsausschuß festgestellt worden, daß sich einige Positionen, die wir gekürzt haben, gegenüber dem Zeitpunkt, als der Etat erstellt wurde, als überholt oder überflüssig erwiesen haben. Dazu gehört z. B. jener von Ihnen zitierte Betrag von 31 Millionen DM, der als Eventualbetrag gesperrt im Regierungsentwurf für den Fall des Abschlusses eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern vorgesehen war. Hier ist die Diskussion weitergegangen, nicht in der Form, daß wir nicht etwa noch ein Verwaltungsabkommen anstrebten oder brauchten, aber doch so, daß wir wohl alle heute der Auffassung sind, daß nach den jüngsten Stellungnahmen der Länder und des Bundesrates es einfach illusorisch ist, hier noch 25 Millionen DM für Fachschulen der Länder einzusetzen. Das ist eine Aufgabe, die die Länder für sich selbst mit Recht beanspruchen, eine Position, bei der sie die Hilfe des Bundes überhaupt nicht wünschen und unseres Erachtens auch nicht brauchen.Im übrigen muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Lohmar, daß Ihre Anträge auch insofern nicht überzeugend sind, als sie zum Teil einfach falsch sind. Wenn Sie unter Tit. 5 b die Wiederherstellung der Regierungsvorlage beantragen, entspricht der von Ihnen geforderte Betrag überhaupt nicht dem, der in der Regierungsvorlage steht. Das spricht nicht für die Sorgfältigkeit der Arbeit.
— Das ist nicht in meinem Exemplar enthalten.Ich darf mich auch gegen den Vorwurf wehren, daß wir bei den Mitteln für allgemeine Wissenschaftsförderung die Ansätze für die Max-PlanckGesellschaft und für die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ungebührlicher Weise gekürzt hätten. Nach unseren Empfehlungen nehmen wir bei der Forschungsgemeinschaft gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um mehr als 20 Millionen DM, d. h. von fast 50 % ihres Etats, vor, und bei der MaxPlanck-Gesellschaft nehmen wir nach unseren Beschlüssen fast eine Verdoppelung vor. Ich muß offen sagen, ich halte es zumindest für gewagt, zu behaupten, wir würden der Notwendigkeit auf diesem Gebiet mit unseren Beschlüssen nicht gerecht. Wir sind gerade bei diesen beiden wissenschaftlichen Institutionen in unseren Streichungsvorschlägen bewußt unter der 12 %-Grenze geblieben und insofern über die Regierungsvorlage hinausgegangen.Zur Frage des allgemeinen Wissenschaftstitels, der Förderung der Hochschulen — der Ansatz ist ja in diesen Mitteln eingeschlossen —, muß ich Sie nun doch daran erinnern, daß der Bundesrat die Empfehlung gegeben hat, diesen Titel insgesamt zu streichen und diese Aufgabe allein aus der Kraft der Länder wahrzunehmen, denen nicht auf allen Gebieten, wo sie es auf dem kulturellen Sektor beanspruchen, aber doch auf dem Gebiet der Hochschulen unzweifelhaft die verfassungsrechtliche Zuständigkeit und auch die finanzielle Verantwortung zukommt. In der bisherigen öffentlichen Diskussion dieser Frage hat niemand bestritten, daß nach der deutschen Tradition und nach ,dem geltenden Ver-
Metadaten/Kopzeile:
866 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Stoltenbergfassungsrecht die Hochschulen ein Teil 'des Länderbereichs sind. Es ist eine Entscheidung dieses Hohen Hauses und ein gemeinsamer Beschluß von Bund und Ländern, 'daß wir für eine gewisse, nicht genau befristete, aber doch schließlich begrenzte Zeit dem besonderen Notstand der Hochschulen durch gezielte Bundeshilfen für Investitionen abhelfen wollen. Auf dieser Grundlage hat der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen 'aufgebaut. Wenn aber der Bundesrat in seinen Empfehlungen zum Haushalt erklärt, 'daß er zumindest für dieses Jahr auf die Hilfe des Bundes verzichte, und der Haushaltsausschuß dann unter den bekannten Vorzeichen seiner Situation und der Situation des Etats 'dennoch eine Erhöhung des Vorjahresansatzes von 100 auf 150 Millionen DM vornimmt und in sehr sorgfältigen Gesprächen festgestellt hat, daß damit kein Schaden für die Sache entsteht, dann bin ich allerdings der Auffassung, daß wir hier den kulturpolitischen Notwendigkeiten voll gerecht geworden sind.
Im übrigen widerspreche ich Ihrer Auffassung ganz entschieden, auch rein vom Haushaltsrechtlichen, vom Finanzrechtlichen her, daß es richtig und geboten sei, für ein überhaupt noch nicht abgeschlossenes Verwaltungsabkommen Beträge in den Etat einzusetzen. Ein Verwaltungsabkommen kann den Etat niemals binden. Der Etat ist Gesetz. Ein Verwaltungsabkommen kann nur eine Richtschnur sein, im Grunde ja nur in der Ausführung von Gesetzesbeschlüssen und Staatsverträgen. Wir haben in den Haushaltsberatungen — Sie hätten es im Protokoll deutlich nachlesen können — gesagt, daß wir in )dem Augenblick, in dem es wirklich zu einem Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Förderung der überregionalen Forschungseinrichtungen von nationaler Bedeutung kommt, bereit sind, die entsprechenden Konsequenzen im Etat zu ziehen. Wir halten es aber, in dieser Grundsatzfrage völlig in Übereinstimmung mit Ihren Fraktions-Kollegen im Haushaltsausschuß, für richtig, Beträge erst dann einzusetzen, wenn entsprechende Gesetze oder Vereinbarungen beschlossen sind, und nicht umgekehrt. Aus diesem Grunde muß ich sehr deutlich den Vorwurf zurückweisen, der hier, wie erwartet, erhoben wurde, daß wir mit unseren Beschlüssen in irgendeiner Weise die kulturpolitischen Belange und Gesichtspunkte des Bundes geschädigt 'hätten.Ich darf noch ein kurzes Wort zum Sport anschließen. Auch hier ist die Darstellung, die die Opposition gegeben hat, irreführend. Wie ist es denn? Wir sind ja den Besprechungen und Erwägungen, 'den Denkschriften und Memoranden durchaus gerecht geworden. Denn Idie beiden Sporttitel, um die es hier geht und die bereits erwähnt wurden, sind gegenüber dem Vorjahr wesentlich erhöht worden. Der eine Titel: Förderungsmaßnahmen vor allem im Hinblick auf Sportverbände, ist nach unserem Vorschlag 'gegenüber dem Vorjahr von 1,95 auf 2,7 Millionen DM erhöht, also fast um 50 %. Auch hier erfolgt eine Erhöhung gegenüber der Regierungsvorlage- weil wir die 12 %ige Kürzung nicht voll beschlossen haben. Der zweite Titel: Turnhallen und 'Sportplätze, der auch schon kurz von Herrn Kollegen Neubauer erwähnt wurde, ist von 20 auf 30 Millionen DM erhöht worden.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich sehr genau, Herr Kollege Schäfer, an eine Diskussion, die wir vor vier, fünf Jahren im Haushaltsausschuß hatten, ob wir den Sportstättentitel mit 1 oder 5 Millionen DM dotieren sollten. Damals ist von einem besonders geschätzten _Mitglied Ihrer Fraktion, das heute leider nicht mehr in unserem Kreise ist, mir der erbitterte Vorwurf gemacht worden, daß ich dafür eintrat, diesen Titel mit 5 und nicht mit 1 Million DM zu bemessen. In einer knappen Abstimmung quer durch alle Fraktionen ist mein Antrag, 5 und nicht 1 Million DM zu sagen, akzeptiert worden. Ich muß mich dagegen verwahren, nachdem wir heute bei 30 Millionen DM statt bei 5 oder 1 Million DM stehen, daß uns unterstellt wird, bei der Aufgabe Förderung der Spitzenfinanzierung von Turnhallen und Sportstätten etwa den Denkschriften, den Richtlinien und Plänen, die an uns herangetragen wurden, nicht gerecht geworden zu sein.Wir haben uns zu den Grundzügen des Goldenen Plans bekannt. Das haben wir mit diesen Entscheidungen, mit der Entwicklung dieses Titels sichtbar zum Ausdruck gebracht.
Es steht völlig außer Frage, Herr Kollege Schäfer — das will ich Ihnen auch noch sagen —, daß ein solcher Plan, den wir im Grundsatz in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und allen Fraktionen des Parlaments bejahen, nun auch nicht dem Parlament vorschreiben kann, was in diesem, im nächsten oder übernächsten Jahr auf Heller und Pfennig gegeben wird. Ich möchte das gegenüber all den Plänen betonen, die aus dem gesellschaftlichen Raum an uns herankommen.
— Sie sagen es nicht, Herr Hermsdorf, aber Herr Lohmar scheint die Auffassung noch zu haben. Dann würde ich vorschlagen, das Gespräch über diese Grundsatzfrage einmal in Ihren Reihen fortzusetzen.Wir bejahen die Aufgaben der Kulturpolitik, der Wissenschafts- und der Sportförderung. Wer objektiv und unvoreingenommen sieht, was wir von Jahr zu Jahr hier an steigenden Leistungen erbringen, der kann dieses unser Ja nicht ernsthaft in Zweifel ziehen.
Das Wort hat der bayerische Staatsminister der Finanzen, Herr Dr. Eberhard.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Es mag Sie verwundern, daß bei den Haushaltsberatungen hier im Bundestag einmal auch ein Mitglied des Bundesrates von der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 867
Staatsminister Dr. h. c. EberhardMöglichkeit der Verfassungsbestimmung, das Wort zu nehmen, Gebrauch macht. Ich möchte es nicht tun in meiner Eigenschaft als Finanzföderalist, auch nicht als Kulturföderalist; aber ich glaube, es ist im Augenblick der Platz und der Anlaß, zu den Bemühungen des Bundestages im Zusammenhang mit den Bemühungen des Bundesrates um den Abgleich des Haushalts des Jahres 1962 ein Wort zu sagen.Es ist hier verständlicherweise der Antrag gestellt worden, in diesem Einzelplan 06 bei den Mitteln zur Wissenschaftsförderung die Regierungsvorlage, schlicht gesagt, wiederherzustellen. Sie wissen, meine verehrten Damen und Herren, daß die Länder in diesem Jahr die Beratungen des Bundeshaushalts besonders ernst genommen haben und daß sie diese Beratungen vornehmen mußten unter dem Zeichen der Notwendigkeit einer Hilfe der Länder — einmalig und erstmalig — zum Abgleich dieses Bundeshaushalts.Wenn ich nun gerade bei diesem Einzelplan 06, ohne auf die näheren Zusammenhänge dieser Problematik und der Länderkompetenz für Wissenschaft und Kultur eingehen zu wollen, kurz das Wort nehme, dann möchte ich in der heute beginnenden zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1962 von der Sicht der Länder her — lassen Sie mich das auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundesrates sagen — die Bemerkung machen, daß diesmal deutlich erkennbar war — vielleicht hängt das mit der allgemeinen gemeinsamen Verantwortung zusammen —, daß die Länder den Bundeshaushalt nicht als 'eine Angelegenheit etwa nur der Bundesregierung und des Bundestages betrachten, sondern daß die Länder an diesem Bundeshaushalt als Bundesorgane auf Grund der föderativen Struktur unseres Grundgesetzes mitzuwirken und mitzugestalten haben. Und wenn die Länder in dieser sehr entscheidenden Frage zunächst einmal ad hoc für das Jahr 1962 im Endergebnis ihrer Beratungen — Sie kennen die Beschlüsse des Bundesrates — 840 Millionen DM zu geben bereit gewesen sind, dann darf ich feststellen, daß das nicht so gedeutet werden kann, wie es da und dort in der Offentlichkeit geschehen ist: „Die Länder wollen nicht." Ich glaube, die Länder haben damit zum ersten bewiesen, daß sie wollen; denn der Betrag von 840 Millionen DM ist ja keine Kleinigkeit.Ich darf ein zweites dazu sagen. Es ist in der Offentlichkeit dm Zusammenhang mit den Vorschlägen des Bundesgates für den Haushalt 1962 im Zusammenhang mit der sogenannten Länderhilfe in Höhe von 1740 Millionen DM nach der Beschlußfassung im Bundesrat erklärt worden: „Ja, das ist alles schön und gut, was Sie da vorschlagen; aber so geht es ja nicht." Es ist auch davon gesprochen worden — ich darf das ohne jeden Vorwurf sagen, nur im nachhinein noch einmal zur Feststellung —, daß diese Hilfe der Länder in Höhe von 840 Millionen DM völlig unzureichend sei. Nun, wir stehen heute nach den Beratungen im Haushaltsausschuß des Bundestages bei einer Länderhilfe in einer Größenordnung von 1050 Millionen DM. Die Bundesregierung sah 1740 Millionen DM vor. Ich glaube, daß nach Adam Riese der jetzt gefundene Weg des Haushaltsausschusses näher an den Vorstellungen des Bundesrates liegt als an der Ausgangsvorstellung der Bundesregierung. Meine sehr verehrten Damen und Heuren, warum sage ich das? Weil ich glaube, daß wir insgesamt gesehen, Bund, Länder und damit auch die Gemeinden, alle zusammen in einer gemeinsamen Verantwortung nicht nur auf der einen Seite reine Bundespolitik zu gestalten haben, auf der anderen Seite regionale Länderpolitik und etwa auf der dritten Seite lokale Gemeindepolitik, sondern daß wir alle zusammen, gleichgültig, wo wir stehen, ob Sie hier im Bundestag oder wir im Bundesrat oder in den Länderregierungen oder in den Länderparlamenten, dafür zu sorgen haben, daß die Dinge in unserem Lande so, wie es der Bürger will, in Ordnung sind und in Ordnung gehalten werden, auch und gerade von der finanziellen Seite her.Ich glaube, ohne ein Prophet sein zu wollen — und ich spreche hier jetzt gar nicht etwa für eine bestimmte Partei im Rahmen des Koalitionsgefüges in den Ländern —, daß die Länder auch im zweiten Durchgang diese Mitverantwortung und Mitverpflichtung zum Abgleich des Bundeshaushalts so ernst nehmen werden, daß wir mit größeren Schwierigkeiten in dieser Richtung nicht zu rechnen haben werden.Vielleicht darf ich Ihnen 'einmal in Erinnerung rufen, daß der Bundesrat im zweiten Durchgang seit 1949 noch niemals wegen des Bundeshaushalts den Vermittlungsausschuß angerufen hat, daß es aber nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Bundesorgans Bundesrat ist, an der Gestaltung des Bundeshaushalts mitzuwirken, in diesem Jahre natürlich in einer besonderen Weise, weil wir mit dem Betrag einer Länderhilfe von 1740 Millionen DM apostrophiert sind.Wir brauchen uns im Augenblick über die Problematik, über die rechtlichen Schwierigkeiten und die Frage der rechtlichen Voraussetzungen einer solchen Länderhilfe nicht zu unterhalten. Die Länder haben diese Problematik nicht vertieft. Wir haben nicht gefragt, ob dies der geeignete Weg ist, von den Ländern etwa diesen Betrag zu verlangen, d. h. ob der Bund und die Bundesregierung damit rechnen können, daß etwa nach Abschluß der Beratungen, wenn die Länder und der Bundesrat den Vermittlungsausschuß nicht anrufen werden, etwa dieser Länderbeitrag in Höhe von rund 1 Milliarde nicht aufkommen wird. Wir haben damit allerdings ganz erhebliche Sorgen. Lassen Sie mich gerade an diesem Tage zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts einmal das sagen: in allen elf Landtagen sind die Haushalte 1962 bereits verabschiedet. In keinem der Landtage ist mit nur einer Mark eine Gesamtländerhilfe für den diesjährigen Bundeshaushalt von mehr als 1 Milliarde DM vorgesehen. In meinem Lande Bayern macht das die Summe von etwas über 160 Millionen DM aus. 160 Millionen sind angesichts der vielen unerfüllten Wünsche nicht nur der Opposition, sondern auch der Regierungparteien in unserem Lande eine stattliche Summe, von der wir noch nicht wissen, wie wir sie in einem Nachtragshaushalt aufzubringen haben.Es kommt ein zweites hinzu. Die Flutkatastrophe im nordwestdeutschen Gebiet hat nicht nur den
Metadaten/Kopzeile:
868 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Staatsminister Dr. h. c. EberhardBund primär in Verpflichtung genommen, dafür zu sorgen, daß die entsprechenden vorsorglichen Maßnahmen getroffen werden, hat nicht nur den betroffenen Ländern Ausgaben von Hunderten von Millionen auferlegt, die nötig waren, um helfen zu können, sondern hat auch die Überlegung wachgerufen, ob nicht im Sinne einer sogenannten Solidaritätshilfe der nicht betroffenen Länder untereinander dieser Geist der gemeinsamen Verantwortung und der Zusammengehörigkeit noch einmal materiell und finanziell gesehen auf sechs nicht betroffene Länder zukommt. Das sind Vorstellungen — ich will keine einzelnen Zahlen nennen —, die uns über die Nachtragshaushalte in den Ländern noch einmal belasten.Nun habe ich deswegen gerade in dieser abendlichen Stunde die sehr herzliche Bitte an Sie, den Vorstellungen des Bundesrates und damit in der Konsequenz den Streichungsmaßnahmen des Haushaltsausschusses des Bundestages zu folgen, damit die Belastung der Länder in dieser, ich möchte einmal etwas vorwegnehmend sagen, gerade noch vertretbaren Größenordnung nicht überschritten wird und damit die Gemeinsamkeit und die gemeinsame Verpflichtung nicht in einer Weise strapaziert wird, daß wir etwa nicht mehr in der Lage wären, dieser gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen.Aus allen diesen Gründen möchten wir das unterstreichen, was der Haushaltsausschuß getan hat. Er ist auf einem anderen Wege mit anderen Methoden und anderen Zielsetzungen etwa zu dem Ergebnis des Bundesrates gekommen. Ich muß mich vorsichtig ausdrücken, weil ja der zweite Durchgang im Bundesrat noch nicht erfolgt ist. Es spielt dabei keine entscheidende Rolle, ob Sie die Vorstellung haben — Sie müssen das ja in diesen Tagen und in der nächsten Woche bestätigen oder ablehnen —, daß dies der gangbare Weg ist, und unsere Vorschläge auf anderen Gebieten nicht berücksichtigt wurden. Der Haushaltsausschuß hat Streichungen bei Positionen vorgenommen, die wir nicht angerührt haben. Es waren im wesentlichen bundespolitische Zielsetzungen, bei denen wir nicht zu sehr in Ihr endgültiges parlamentarisches Gestaltungsrecht eingreifen wollten. Andere Vorschläge von uns sind nicht übernommen worden. Aber im Endergebnis ist das erreicht worden, was der Bundesrat mit seinen angebotenen 840 Millionen vorgesehen hat, wenn man die Kürzungsbestimmungen der Bundesregierung hinzunimmt, die ich politisch für schlecht halte, weil damit der Exekutive und unseren Beamten eine Verantwortung für vom Parlament sozusagen mit stolzer Brust gefaßte Beschlüsse auferlegt wird, hinterher mit dem Hackmesser wieder zu kürzen. Ich halte es für eine bessere Lösung, daß durch gezielte Maßnahmen über den Haushaltsausschuß diese globale Kürzung von 12 % weggefallen ist, so daß insoweit die Vorstellungen des Bundesrates, daraus noch einmal etwa 220 Millionen DM zu erhalten, weggefallen sind und die Grundlage dieser Überlegungen nicht mehr vorhanden ist. Ich meine also: wenn Sie dies, was zum erstenmal diese harte gemeinsame Verantwortung aufzeigt, unterstreichen und unterstützen, den Rotstift des Haushaltsausschusses und die guten Anmerkungen, Empfehlungen und Vorschläge des Bundesrates, dann ist mir und uns in den Ländern in der Gemeinsamkeit der Verantwortung und bei der Erfüllung der uns in allen Bereichen trotz allem gemeinsam gestellten Aufgabe auch für die Zukunft nicht bange.
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn-Ackermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich an meinen Vorredner anknüpfen. Ich möchte zu einer Sache sprechen, ,die eigentlich weitgehend Angelegenheit der Länder wäre, die aber die Länder bisher und offenbar auch weiterhin großzügig dem Bund überlassen. Dieses Haus hat sich vor einigen Wochen über 'die Notwendigkeit unterhalten, der deutschen Filmproduktion unter die Arme zu greifen, und es ist Einmütigkeit darüber erzielt worden, .daß ,das in irgendeiner Weise geschehen muß. Der Haushaltsausschuß hat im Laufe ,seiner Beratungen die geringen Mittel, die im Bundeshaushalt dafür vorgesehen sind, gekürzt. Diese Maßnahme ist nicht sehr ermutigend für diejenigen, die in dieser Debatte hauptsächlich angesprochen waren, nämlich diejenigen, von denen man erwartet, daß sie in Zukunft im prozentualen Umfang, wie das möglich ist, qualitätsvollere Filme herzustellen, .als 'das bisher 'der Fall war. Die sozialdemokratische Fraktion hat 'darauf verzichtet, zu diesem Punkt einen Antrag zu stellen. Wir sprechen aber die Erwartung aus, daß die Bundesregierung, die ja um einen Aufschub zur Erklärung über mögliche Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Filmproduktion gebeten hat, ein besonders schnell .ausführbares und ausgewogenes Programm vorlegt, insbesondere auch ideswegen, weil die Maßnahmen der Berlin-Hilfe noch nicht angelaufen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn — ich höre, nicht zu diesem Punkt, sondern zurückgreifend auf den Punkt Ziffer 3.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf noch kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Schoettle in seiner zweiten Erwiderung vorhin vorgetragen hat. Herr Kollege Schoettle begann seine Erwiderung damit, daß er dem Kollegen Dr. Vogel sagte, es wäre besser gewesen, wenn er die beiden letzten Sätze nicht mehr gesagt hätte.
Ich möchte meine wenigen Ausführungen nicht 'damit beginnen, zu sagen, daß es vielleicht auch dem Kollegen Schoettle wohler gewesen wäre, wenn er seinen letzten Satz in bezug auf die Finanzierung einer bestimmten Fraktion in diesem Hause nicht .gesagt hätte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 869
DornDenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, ob man das mit einer solchen Handbewegung beiseite schieben kann, wie der Kollege Schoettle das vorhin getan hat. Er hat gemeint, die 15 Millionen DM seien für diesen Zweck nicht notwendig. Er machte in der Beurteilung einen Unterschied zwischen der sozialdemokratischen Fraktion und den anderen Fraktionen in diesem Hause. Nun hat Herr Kollege Vogel schon darauf hingewiesen, daß die sozialdemokratischen Fraktionen in den einzelnen Landtagen sich bei der Beratung eines solchen Tagesordnungspunkts einer ganz anderen Methode befleißigen, ,als 'das heute hier geschieht. Ich weiß aus vieljähriger Praxis im Landtag von Nordrhein-Westfalen, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der 'Beratung eines solchen Antrags immer sehr positiv mitgemacht hat. Aber ich meine, man sollte doch nicht so tun, als ob die beiden anderen Fraktionen, die 'die Mehrheit in diesem Hause haben, alles versuchen würden, um für sich Gelder an Land zu holen, während sich die sozialdemokratische Fraktion gerne von dieser Belastung, dem zustimmen zu müssen — nicht von der Belastung, die Gelder mitzunehmen —freihalten will.
Aber, meine Damen und Herren, das sieht ja nicht nur hier so aus, sondern es sieht auch in manchen Kreisen und Gemeinden ganz anders aus. Ich komme aus einem Kreis, in dein die sozialdemokratische Fraktion beantragt hatte, die Mittel, die im Kreishaushalt in Höhe von 16 000 DM vorgesehen waren, zu verdoppeln, um auf diesem Wege in den doppelten Genuß dieser Gelder zu kommen. Ich meine, man kann nicht auf der Bundesebene das als unmoralisch hinstellen und bekämpfen, was man auf der Gemeinde-, auf der Kreis- und auf der Landesebene selber initiativ mit anführt. Nur zur Klarstellung dieser Frage wollte ich noch diese wenigen Worte sagen.
Das Wort zur Begründung des Antrags unter Ziffer 5 a des Umdrucks 48 hat Herr Abgeordneter Dr Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Einzelplan 06 Tit. 657 Buchstabe a beantragt die SPD-Fraktion die Beibehaltung des ursprünglichen Ansatzes der Mittel für Studentenförderung in Höhe von 96,2 Millionen DM. Die vorgesehene Streichung von 5,8 Millionen DM, die mit einer Senkung des Ansatzes für das Honnefer Modell von 83,2 auf 78 Millionen DM begründet wurde, hat folgende Entwicklungstendenzen nicht berücksichtigt:
Erstens. Die Studenten der geburtsstarken Jahrgänge wachsen jetzt in die höheren Semester hinein. Schon von der Zahl der Studierenden her gesehen ist eine Kürzung wenig sinnvoll.
Zweitens. Die Lebenshaltungskosten in den Universitätsstädten sind weiter gestiegen. Die im letzten Jahr erfolgte Verbesserung des Stipendienansatzes hat die Steigerung der Lebenshaltungskosten und besonders der Mietpreise für Studentenzimmer nicht ausgleichen können.
Drittens. Die augenblickliche Bemessungsgrundlage für das elterliche Einkommen im Honnefer Modell erschien schon vor etwa zwei Jahren der Bundesregierung selbst sehr problematisch, als sie zusammen mit den Ländern eine Untersuchung über die Bedürftigkeitsgrenze veranlaßte. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor, werden aber bald erwartet. Es steht aber heute schon fest, daß die Begrenzung des Kreises der Stipendiaten auf die Fälle, in denen das Elterneinkommen 510 DM nicht übersteigt, nicht haltbar ist. Es ist nicht wünschenswert, daß Söhne und Töchter des Mittelstandes durch diese Begrenzung von der Studentenförderung ausgeschlossen bleiben. Zum Beispiel liegt ein Volksschullehrer mit zwei erwachsenen Kindern über dieser bis heute noch gültigen Grenze. Die Kürzung des Ansatzes bindet uns also an überlebte Regelungen.
Viertens. Im Honnefer Modell sind neuerdings Verbesserungen für das Auslandsstudium vorgesehen, die bei einer Kürzung des Ansatzes wegfallen müßten. Das Auslandsstudium gehört heute in vielen akademischen Bereichen zur Ausweitung des Bildungshorizonts. Außerdem müssen wir in einer immer enger zusammenwachsenden Welt den Führungskräften von morgen schon heute Gelegenheit geben, sich eine internationale Überschau 'zu erarbeiten. Es wäre eine Ungerechtigkeit, wenn die einen größere und weitere Bildungschancen durch das teure Auslandsstudium hätten, während andere etwa als Babysitter oder Teppichklopfer ihr Studium zuHause verdienen müßten, weil wir hier 5,8 Millionen DM streichen. Deshalb beantragt die SPD-Fraktion die Beibehaltung des ursprünglich errechneten Ansatzes.
Herr Abgeordneter Dr. Kübler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte!
Ist Ihnen, Herr Kollege, bei dieser 'Begründung nicht bekannt gewesen, daß dieser Beschluß im Haushaltsausschuß auf Grund berichtigter Berechnungsunterlagen des zuständigen Ministeriums unter Würdigung all der sachlichen Gesichtspunkte, die Sie hier vorgetragen haben, einmütig gefaßt worden ist?
Im Kulturausschuß haben wir vor den Beratungen diese Unterlagen gehabt. Zwischen der Beratung des Haushaltsausschusses und heute war das nicht mehr möglich.
Zur Begründung des Antrags auf Umdruck 48 Ziffer 5 Buchstaben b und c hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Eppler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den beiden Anträgen Umdruck 48 Ziffer 5 b unid c, die ich hier für meine Fraktion zu
Metadaten/Kopzeile:
870 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Eppler
Dieser Ausschuß hat nun die Absicht, im nächsten Jahr auch ein Gutachten zur Frage des berufsbildenden Schulwesens einschließlich des zweiten Bildungsweges auszuarbeiten. Um das zu tun, braucht er einen zweiten Fachreferenten für dieses Gebiet, und das ist nicht möglich, wenn es bei dem Ansatz bleibt, der hier mit 75 000 DM zu Buch steht.Eine Kürzung von 45 000 DM, wie wir sie hier haben, bedeutet für den Deutschen Ausschuß eine Kürzung um 90 000 DM, weil die Länder nur das zu zahlen verpflichtet sind, was der Bund zuschießt. Nun ist es tatsächlich 'so, daß in einer Sitzung des Deutschen Ausschusses schon darüber diskutiert wurde, ob man sich diesen neuen nötigen Referenten für diese Aufgaben sozusagen vom Munde absparen sollte, indem man auf die Sitzungsgelder, die sehr kärglichen Sitzungsgelder, verzichtet, die die ordentlichen Mitglieder dieses Ausschusses — man sage und schreibe — seit einem Monat beziehen, nachdem sie schon über acht Jahre gearbeitet haben. Ich würde glauben, 'daß solche Überlegungen dem Ausschuß alle Ehre machen, aber ich weiß nicht, ob es uns sehr viel Ehre macht, wenn wir den Ausschuß vor eine solch 'groteske Alternative überhaupt stellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 871
— Dafür sind nicht Toto und Lotto da. In dem Memorandum zum Goldenen Plan der Olympischen Gesellschaft sind .die Richtlinien klar festgelegt. Wenn man der Meinung ist, daß die finanzschwachen Gemeinden aus .dem eben erwähnten Grund keine An-träge stellen, dann ist es meines Erachtens allerhöchste Zeit, .daß die Richtlinien schnellstens geändert werden. Denn keiner kann mir einreden, daß gerade in 'den finanzschwachen Gemeinden kein Bedarf an Sportstätten besteht. Im Gegenteil, ich kann mir vorstellen, daß sie hier besonders nötig sind und daß gerade in diesen finanzschwachen Gemeinden auf dem Gebiet der Volksgesundheit noch einiges im argen liegt.Niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, wird bestreiten können, daß der Goldene Plan ein hervorragender Beitrag zur Gesunderhaltung und auch zur Wiederherstellung der Gesundheit unseres Volkes darstellt. Alle Parteien 'und auch die Bundesregierung haben immer wieder zu verstehen gegeben, daß sie den Goldenen Plan voll unterstützen wollten. Ich wüßte auch keinen Ansatz im Bundeshaushalt, der soviel Zinsen erbrächte wie gerade dieser Ansatz von 40 Millionen ' DM. Denn es ist leichter, gesund zu erhalten, ,als nachher Krankheiten auszukurieren.
Ich darf Ihnen mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Stellungnahmen zum Goldenen Plan zur Kenntnis bringen. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie brauchen keine Furcht zu haben, daß das zu lange dauert. Es erscheint mir doch angebracht, hier einiges zu zitieren.Es heißt in der Regierungserklärung vom 29. November 1961:Der Sport wird unter Berücksichtigung des vom Deutschen Olympischen Komitee vorgelegten „Goldenen Plans" zur sportlichen Ertüchtigung unseres Volkes verstärkt gefördert werden.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CDU/CSU vor der kommunalpolitischen Vertreterversammlung der CDU/CSU im September 1960 — das war also vor den Wahlen —folgendes gesagt:Sie kennen den Goldenen Plan. Sie wissen, daß er auf eine Reihe von Jahren vorausschauend eine ganze Reihe von Sportplätzen und Spielplätzen in den Gemeinden unter Beteiligung des Bundes, der Länder und der Kommunen vorsieht. Ich werde das Meine tun, damit die Bundesregierung ihre Aufgaben erfüllt auf diesem Gebiet, auf dem in unserer nervenzerrüttenden Zeit gar nicht genug geschehen kann. Bitte, sorgen auch Sie dafür, daß auch die Gemeinden das Ihre tun, damit das geschaffen wird, was geschaffen werden muß zur Erhaltung der Kinder, der Bürger in der Freizeit, damit die Menschen gesund bleiben. Das ist mit viel weniger Geld zu schaffen, als sie nachher wieder gesund zu machen, wenn sie einmal krank geworden sind.Der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Dr. Krone, hat sich auf der Bundestagung des Deutschen Sportbundes sehr positiv zum Goldenen Plan und zum deutschen Sport geäußert. Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Herr Dr. Erich Mende, hatte folgendes zu sagen:
Metadaten/Kopzeile:
872 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
WellmannDie Zusagen meiner Kollegen Dr. Krone undProf. Dr. Schmid, den Goldenen Plan vollinhaltlich zu unterstützen, erweitere ich auf die dritte Fraktion des Deutschen Bundestages. Wir haben uns bereits verpflichtet — und ich unterstreiche: wir wollen gemeinsam dafür sorgen —, daß aus dem Goldenen Plan eine goldene deutsche sportliche Wirklichkeit wird.Es erschien mir doch sehr angebracht, jetzt, wo zur Kasse gebeten wird, noch einmal diese Aussagen führender Persönlichkeiten der deutschen Politik in Erinnerung zu bringen. Herr Dr. Stoltenberg, ich bezweifle nicht Ihr Ja zum deutschen Sport. Ich stelle schlicht fest: Ihr Ja besteht, bloß die Zahlungswilligkeit ist nicht sehr groß bei Ihnen.
Das erinnert mich an den Mann, Herr Dr. Stoltenberg, der seiner Frau zu Weihnachten einen Pelzmantel versprochen hatte und der dann, als es so weit war, ihr das Geld zum nochmaligen Wenden des Mantels geben wollte.Auch ich hoffe von Ihnen, daß es jetzt nicht mit dem Mundspitzen getan ist, sondern daß richtig gepfiffen wird, und zwar kräftig und, so hoffe ich, von allen Fraktionen.
Der Antrag Ziffer 7 des Umdrucks 48 ist schon von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer begründet worden. Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich den Antrag Ziffer 8 auf. Er wird von Herrn Abgeordneten Hansing begründet. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich zu dem Antrag zu Tit. 602 spreche, einige Worte zum zivilen Bevölkerungsschutz zu sagen. In der Bundesrepublik haben wir zur Zeit 3000 Bunker, von denen noch ca. 1200 gebrauchsfähig sind. Die Bundesregierung hat uns seit Jahr und Tag gesagt, daß die Fertigstellung dieser Bunker in Angriff genommen sei und daß man — so sagte man uns vor drei Jahren — damit rechnen könne, daß nunmehr in der nächsten Zeit 38 Bunker fertig würden. Wir haben zur Zeit den Tatbestand, daß von diesen 1200 Bunkern in der Bundesrepublik keiner fertig ist.
Herr Innenminister, Sie haben die nette Art, Antworten so aus dem Ärmel zu schütteln, wenn sie auch nicht immer so ganz zutreffen. Aber Sie können hier schütteln, wie Sie wollen, Sie werden nicht mehr Bunker als zwei bekommen, und die sind in Bremen. Alles andere, was Sie uns erzählen werden — daß die Bunker in Arbeit sind und in Arbeit bleiben —, das hören wir seit Jahr und Tag. Wir hören es seit einigen Jahren, und im letzten Jahr haben wir gehört, daß ganz bestimmt zwei Warnämter fertig sein sollten, und zwar das Warnamt in Rodenberg und das Warnamt in Bodenroth. Heute hören wir, daß in diesem Jahr weitere Warnämter fertig werden sollen, und zwar sechs Warnämter. Nun, man braucht sich nicht so zu beeilen. Wenn man 2 Millionen Broschüren herausgibt: „Jeder hat eine Chance", dann rechnet man sich aus, daß jeder eine Aktentasche hat, und dann braucht er keinen Bunkerschutz.
Darüber hinaus gibt es noch eine andere Schwierigkeit, warum man mit dem Bunkerbau nicht fertig wird, nämlich die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Ministerien.
— Um so besser, dann können wir damit rechnen, daß im nächsten Jahr etwas mehr fertig wird.
Es ist wohl notwendig, daß vereinheitlicht wird und daß man endlich einmal sieht, daß das Bundesinnenministerium ernst macht. Wäre man beim Aufbau der Bundeswehr genau so langsam gewesen wie beim Aufbau des zivilen Bevölkerungsschutzes, dann müßte sich heute das Gros der Soldaten irgendwo anders einquartieren. Die meisten Soldaten könnten nicht in den Kasernen wohnen und schlafen.
Es ist wohl dringend angebracht, Herr Innenminister, daß Sie etwas mehr Druck dahinter setzen.
Noch ein anderes Wort. Der Innenausschuß hatte die Möglichkeit, das Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz zu besuchen. Wir hatten Gelegenheit, die Arbeitsräume und Laboratorien der Wissenschaftler und Techniker zu sehen. Diese Herren leisten dort eine ausgezeichnete Arbeit, aber wie sie dort untergebracht sind, ist unter aller Würde. Wenn solche Leistungen vollbracht werden, dann einzig und allein dank des Idealismus der Leute, die dort arbeiten. Es ist notwendig, daß bessere Arbeitsmöglichkeiten für die Wissenschaftler und Techniker dieses Bundesamtes geschaffen werden.
Nun zum Tit. 602 — Aufwendungen für den Bundesluftschutzverband. Hier waren 20 340 000 DM vorgesehen. Der Haushaltsausschuß hat diese Summe um 1 Million DM reduziert. Wir meinen aber, daß die Schulung und darüber hinaus die Ausbildung der Helfer nicht vernachlässigt werden dürfen. Meistens müssen die letzten darunter leiden, wenn gestrichen wird, also in diesem Falle die Luftschutzheifer in den untersten Graden. Wir sind deshalb der Ansicht, daß die Streichung von 1 Million DM nicht gut ist, und beantragen, den Ansatz um 500 000 DM zu erhöhen.
Zur Begründung des Antrags unter Ziffer 9 auf Umdruck 48 hat das Wort der Abgeordnete Schwabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hektische und hastige Abwicklung der Haushaltsberatungen läßt keinen Raum, ein Anliegen unserer Fraktion, die staatsbürgerliche Bildungsarbeit, in der, wie wir glauben, notwendigen Breite zu behandeln. Wir meinen auch gerade heute abend, daß das eigentlich notwendig wäre. Die ganze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 873
SchwabeBehandlung dieses Haushaltes entspricht nicht gerade der Idealvorstellung von einer parlamentarischdemokratischen Handlungsweise. Aber schön, das muß jetzt einmal so vorübergehen. Deswegen müssen wir uns doch wenigstens in aller Kürze mit einigen Dingen befassen.Wir kündigen heute hier an, daß wir die staatsbürgerliche Bildungsarbeit des Bundes für eine ungeheuer wichtige Aufgabe halten. Wir werden uns nicht damit abfinden, daß die Erörterung dieses Themas in der Hast der Haushaltsberatung untergeht. Wir werden daraus die Konsequenz ziehen und im Laufe des Jahres hierzu vernehmlich sprechen.Wir haben eine Bundeszentrale für Heimatdienst. Wenn man sagt „wir", dann stimmt das schon gar nicht ganz; denn S f e haben sie im wesentlichen. Wir möchten gern, daß bei einer solchen Einrichtung auch in der Exekutive nach außen deutlich sichtbar wird, daß der Staat nicht von einer, sondern von allen Parteien getragen wird.
Es gibt dafür sehr schöne Ansatzpunkte. Die ähnlichen Einrichtungen in Berlin, Niedersachsen und Hessen sind paritätisch besetzt. Die Zusammenarbeit klappt ausgezeichnet. Bei einer solchen Gelegenheit ist wohl früher einmal gesagt worden, man wolle die Dozenturen nach d'Hondt besetzen. Nun, so schematisch sind wir nicht. Aber wenn man gerade — gestatten Sie einem neuen Abgeordneten, das zu sagen — ein bißchen Umschau bei verschiedenen Stellen in Bonn hält, nicht gerade bei der Bundeszentrale, aber sonst, dann kommt man zu dem Eindruck: ein bißchen mehr d'Hondt wäre gar kein Fehler.
Den Bundesländern darf das Kompliment gemacht werden, daß sie zusammen mit der Bundeszentrale eine gute Arbeit leisten. Die regelmäßigen halbjährlichen Zusammenkünfte, die Absprachen sind gut. Es gibt keinerlei Schwierigkeiten über Zuständigkeiten, keiner von den Leuten denkt dort an Karlsruhe oder so etwas; das klappt einfach. Aber wir möchten der Bundeszentrale schon jetzt sagen, daß sie die Unterstützung der Landesstellen und der politischen Gruppen um so eher hat, je mehr sie den Landesstellen über ihre Maßnahmen in den Ländern Aufklärung gibt. Es ist bekanntlich so, daß nicht alles Gold Ist, was glänzt, und es arbeiten auch nicht alle Kreise demokratisch, die sich so nennen.
Die politische Bildungsarbeit wird von meinen Freunden als Entwicklungsgebiet betrachtet. Wir hätten heute gern mehr beantragt. Wir sind auch vergattert worden — und ich bin es von meinen Freunden aus dem Haushaltsausschuß —, nicht mehr zu beantragen. Das hat mich etwas mit dem Art. 38 des Grundgesetzes und mit meinem dort zitierten Gewissen in Konflikt gebracht. Dieses Gewissen, das da belastet worden ist, wird wieder ein wenig dadurch entlastet, daß ich mit einem Mehrantrag nicht die Damen und Herren auf dieser Seite des Hauses, die ja bekanntlich einen Rütlischwur geleistet haben, in die Versuchung bringe, meineidig zu werden; denn ihnen liegt ja die staatsbürgerliche Bildungsarbeit ebenso am Herzen wie uns. So bleibt es also für dieses Jahr bei 20 Pf pro Kopf und Bundesbürger für die Bildungsarbeit. Wir haben schon so etwas geahnt und insofern Vorsorge getroffen. Ich habe mir erlaubt, im Kuratorium zu beantragen, daß demnächst eine Sitzung mit Demonstration hier im Hause statfindet. Es drängt mich eigentlich, gerade heute und hier ein weiteres zu bemerken. Die Selbstbescheidung, die wir üben, ist keineswegs ein Ergebnis der Erhard-Kampagne, sondern wir wußten schon früher, was staatsbürgerliches Bewußtsein auch hier bedeutet.
Überhaupt ist da der selbstbewußte Staatsbürger ein nicht so taugliches Objekt. Er liebt es nicht, abgekanzelt zu werden, und schon gar nicht, abgevizekanzelt zu werden.
— Das können Sie ruhig tun; ich stehe als Jungfrau hier, und da müssen Sie etwas Geduld mit mir haben.
Aber ich bin auch hart im Nehmen, Herr Kollege.Wir haben also — und da appellieren wir wirklich nur an die Sacheinsicht — den Wunsch, daß die ausgezeichnete Zeitschrift „Das Parlament" die ja auch der Publikation Ihrer ausgezeichneten Darlegungen dient, nicht in die Gefahr gerät, durch eine zwangsläufige Kostensteigerung, die wir auch mit der heutigen Diskussion nicht aus dem Wirtschaftsleben weggeräumt haben, seltener oder in geringerem Umfange zu erscheinen. Wir sollten also dem „Parlament" nach unserem Antrag 50 000 DM mehr geben und diesen Betrag bei dem Titel für die Veranstaltungen streichen; denn da kommen ja die Anträge erst im Laufe des Jahres, da kann man noch bremsen.Ich möchte noch einen Hinweis auf die Möglichkeiten geben, die sich über den Rahmen dieser Einrichtung hinaus anbieten. Alle Bildungseinrichtungen der Länder sind sich einig darüber, daß wir bei den Europa- und Westexkursionen, die ja auch im Haushaltsausschuß bezüglich Bundespresse- und Informationsamt und NATO-Besuch so gerügt worden sind, einen Umbau vornehmen sollen. Wir schlagen Ihnen vor, in Parallele zu dem Ihnen bekannten Bonner Lehrerseminar Europa- und Westseminare zu veranstalten und dann die Zuweisungen den ausgesuchten Lehrergruppen zu geben. Damit kommen wir von .dem „Windhundverfahren" los, nach dem diejenigen die Bundesigelder bekommen, die am schnellsten dorthin rennen und — um bei dem Vergleich zu bleiben — am lautesten bellen.
Nach diesem Vorschlag, der in die Richtung zum Presse- und Informationsamt zielt, habe ich noch einen anderen Vorschlag, der ebenfalls auf eine Stelle im Bannkreis dieses Hauses zielt. Hinter dem
Metadaten/Kopzeile:
874 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
SchwabeSportplatz steht dieser etwas klolange Eisenbahnzug, auf dem steht „Deutschlands Weg". Wir sollten sehen, daß wir mit „Deutschlands Weg" aus der Sackgasse herauskommen und ihn von dem toten Gleis herunterbringen.
Diese Räder sollten wieder rollen, diesmal nicht für den Wahlsieg einer Partei, sondern für durchaus wichtige staatsbürgerliche Bildungsanliegen, über die wir uns gemeinsam unterhalten könnten.Unser Verhalten und unsere Auffassung zur Bundeszentrale für Heimatdienst — das sei hier ausdrücklich gesagt — ist in Ordnung. Wir erlauben uns freilich auch dann und da zu kritisieren, wenn und wo Ansatzpunkte sind. Aber wir wollen nicht beckmessern, wir denken nicht daran. Der hessische Kultusminister Herr Arno Hennig, den viele von Ihnen noch kennen, hat einmal nach einem Vorwurf, den man der hessischen Landeszentrale im Parlament gemacht hatte und der dann einwandfrei widerlegt werden konnte, ein wunderbares Wort gesprochen. Er hat festgestellt:Meine Damen und Herren, wir sehen also, die Landeszentrale hat hier keinen Fehler gemacht. Ich bemerke aber,— so fuhr der Minister fort —auch wenn sie einmal einen Fehler machen sollte, werde ich mich vor sie stellen; denn eine derartige Stelle soll man nicht bevormunden und nicht einschüchtern, sondern ermutigen.Politische Bildungsarbeit liegt im Bereich von Publizistik und Pädagogik, bedarf der Freiheit. Da, hochverehrter Herr Minister, ist noch ein Stückchen Erbteil von dem von Ihnen so hochverehrten Herrn Amtsvorgänger auszuräumen. Es ist der MaulkorbErlaß, den Sie auch kennen. Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! Sie werden gar nicht einmal das Andenken Ihres Amtsvorgängers zu verletzen brauchen; denn er hat damals selbst gesagt, daß man sich nach einer Reihe von Monaten über die Sache einmal unterhalten und vielleicht auch neue Wege suchen könne. Die Monate sind herum, der Zustand ist nach wie vor miserabel. Es liegt nun bei Ihnen, hier eine Änderung herbeizuführen.Bei der damaligen Debatte hat der Herr Bundesminister Dr. Schröder sinnigerweise — es war vor der Wahl — argumentiert: Wir — er sprach für die Bundesregierung — sind doch gar nicht alt und wir sind doch auch für Experimente zu haben. Nun, da scheinen sich irgendwie die Vorzeichen und die Akzente verschoben zu haben. Ich bin in der angenehmen Lage, zu Ende meiner kurzen Ausführungen in das Vokabular meiner Partei ohne Änderung der Vorzeichen greifen zu können. Wir meinen auch zur staatsbürgerlichen Bildungsarbeit: Miteinander geht es besser!
Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sein Petitum so charmant vorgetragen, daß wir nicht umhin können, ja zu sagen.
— Doch, ja!
Ich würde mit dem Klatschen etwas vorsichtig sein, es kommt nämlich noch was.
Dieses Ja fällt uns um so leichter, als es nach dem Haushaltsplan bei den einzelnen Untertiteln heißt „veranschlagt sind". Das bedeutet: Es ist ohne weiteres möglich, die einzelnen Titel gegenseitig auszutauschen. Kurz und gut, wir sind einverstanden mit dem Petitum des Antragstellers und stimmen diesem Antrag zu Ziffer 9 zu.
Zu Ziffer 10 hat das Wort der Abgeordnete Schröder .Schröder '(SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Kap. A 06 02 Tit. 571 sind zur Gewährung von Darlehen zur Deckung des Nachholbedarfs freier gemeinnütziger Krankenanstalten und privater Krankenanstalten, die die Voraussetzung der Gemeinnützigkeitsverordnung erfüllen, 25 Millionen DM in Ansatz gebracht. Der Verwendungszweck dieser Mittel soll nun ab 1962 auch auf den zeitgemäßen Ausbau der genannten Krankenanstalten ausgedehnt werden. Außer diesem Änderungsvorschlag beantragt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit dem Änderungsantrag Umdruck 48 Ziffer 10 eine weitere Ergänzung, die sich auf den Kreis der Empfangsberechtigten der erwähnten Darlehen bezieht. Nach den Worten „privater Krankenanstalten" sollen die Worte „sowie kommunaler Krankenanstalten und Knappschaftskrankenhäuser" eingefügt werden.Die erwähnten Darlehensmittel, also an den Bund zurückfließende Mittel, sind neben den bereits genannten Verwendungszwecken insbesondere auch zur Rationalisierung von Einrichtungen im medizinischen und im Wirtschafts- und Versorgungsbereich der genannten Krankenanstalten bestimmt. Die Frage ist nun: Kann die Bereitstellung von Förderungsmitteln des Bundes für die Deckung eines Nachholbedarfs, für den zeitgemäßen Ausbau der Krankenanstalten und für die Rationalisierung von Einrichtungen im medizinischen und im Wirtschafts-und Versorgungsbereich der Krankenanstalten an nur einen begrenzten Empfängerkreis als gerecht empfunden werden, wenn man weiß, daß die anderen Träger von Krankenanstalten — meines Wissens handelt es sich dabei um 56 % aller Krankenanstaltsträger —, insbesondere in diesem Fall die Kommunalverwaltungen und die Knappschaften, ebenso eine zumindest ausreichende Krankenhausversorgung sicherzustellen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 875
Schröder
Meine Damen und Herren, es ist doch ein offenes Geheimnis, daß sich die Sorgen der Kommunen insbesondere hinsichtlich der Sicherstellung einer ausreichenden Krankenhausversorgung gerade in allerletzter Zeit ganz erheblich gesteigert haben. Ursache sind nicht allein die Personalschwierigkeiten, obwohl das Fehlen von Schwestern unid von Personalwohnheimen dabei nicht zu unterschätzen ist. Ursache sind meines Erachtens ebenso die nicht mehr aufschiebbaren, .aber dringend gebotenen Maßnahmen einer Verbesserung der medizinischen und sonstigen Einrichtungen in diesen Krankenanstalten. Auch bei den Trägern der kommunalen Krankenanstalten und bei den Krankenanstalten der Knappschaften fehlen leider die finanziellen Mittel für diese Notwendigkeiten. In diesem Zusammenhang dürften sich eingehendere Erörterungen über die kritische finanzielle sSituation der Kommunen erübrigen. Die Feststellung aber .sei gestattet, es steht doch wohl außer Zweifel, daß die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden aufs äußerste angespannt ist. Seit Jahren geht nun die Auseinandersetzung um die Neuordnung der Finanzverfassung, die unerläßlich ist, wenn die kommunale Selbstverwaltung wieder voll funktionsfähig werden und aus ihrer gegenwärtigen 'Einengung befreit werden soll. Die Verantwortung für die Sicherstellung einer ausreichenden Krankenhausversorgung liegt nun einmal in der öffentlichen Hand. Ihre ungünstige finanzielle Situation aber hindert sie daran, diese hohe, verantwortungsvolle Aufgabe uneingeschränkt zu erfüllen.Die bisherige Bestätigung durch das zuständige Bundesministerium, daß sowohl die Gemeinden wie die Länder ihre Verantwortung gegenüber der Krankenhausversorgung nach bestem Vermögen erfüllen, ist zwar tröstlich, sie ist aber kein spürbarer Beitrag zu einer Beseitigung 'der bestehenden Unzulänglichkeiten. Auf 'die Tathilfe aber kommt es an, und darauf hat nun einmal der Staatsbürger in diesem Zusammenhang einen unbestrittenen Anspruch.Meine Damen und Herren, es geht dabei um die Gesundheit und das Leben von Menschen; und ich frage: Ist in 'diesem Falle die Berufung auf Kompetenzen, wie wir sie in der vorjährigen Haushaltsdebatte zu hören bekamen, wirklich ausreichend, um sich dem gemeinsamen Handeln auf diesem Gebiete zu entziehen?Wir haben erfreulicherweise heute morgen von dem Herrn Staatssekretär Hettlage im Zusammenhang mit der Frage meines Freundes Tamblé freundlichere Worte über die Möglichkeiten der Finanzierung der Krankenhausbauten gehört. Aber wie sieht es tatsächlich aus? Es wurde uns heute morgen eröffnet, ,daß jährlich 25 Millionen DM bei Kap. 06 02 Tit. 571 zur Verfügung stünden. Das Rechnungsergebnis weist allerdings aus, daß im Rechnungsjahr 1960 von diesen 25 Millionen DM vorab 25 % gekürzt worden sind, so daß effektiv nur 18,75 Millionen DM zur Verfügung standen; und von diesen 18,75 Millionen DM sind 'dann im Jahre 1960 tatsächlich nur 9 Millionen DM verausgabt worden, so daß noch ein Rest von 9 750 000 DM verblieben ist.Dieser Rest wurde auf das Jahr 1961 übertragen, und es wurden erneut 25 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Von idem Gesamtsoll von 34 750 000 DM wurden bis zum Jahresende 1961 bedauerlicherweise nur 26 962 550 DM verausgabt, so daß auch am Ende des Jahres 1961 wiederum ein Rest in das Jahr 1962 übertragen worden ist.Es ist uns heute morgen allerdings auch gesagt worden — ich darf aus ,der Antwort des Herrn Staatssekretärs zitieren —:Die Bundesregierung hat gleichzeitig darauf hingewirkt, daß für .die öffentlichen Krankenanstalten, also die Krankenanstalten vor allem der Gemeinden, ähnliche zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.Die Frage ist nur: wo?Ich darf Sie deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, nochmals zusammenfassend auf den Tatbestand aufmerksam machen. Es geht doch darum, wirkliche Notstände auf diesem Gebietschnellstens zu beseitigen. Weil bekannt ist und zugegeben werden muß, 'daß ,die Länder und Gemeinden ihr Möglichstes getan haben und tun, und weil bekannt ist, daß die Leistungen wegen des allzu großen Bedarfs unzureichend sind, und weil außerdem bekannt ist — wie ich schon sagte —, daß Notstände beseitigt werden müssen, darf ich darum bitten, nunmehr auch auf Grund der Ankündigung ides Herrn Staatssekretärs von heute morgen 'die Kommunalverwaltungen unid die Knappschaften in die Inanspruchnahme ,dieser Mittel aus Tit. 571 einzuschließen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schrader hat zweifellos mit Recht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die im Bereich ides Krankenhauswesens bestehen, auf 'den hohen Nachholbedarf, den auch die kommunalen Krankenanstalten in bezug auf Investitionen haben. Aber wir können leider, glaube ich, nicht umhin, aus zwingenden sachlichen Gründen .den Antrag auf Erweiterung der Zweckbestimmung genauso abzulehnen, wie wir es vor einem Jahr bzw. vor zwei Jahren hier bereits getan haben. Die Entwicklung der Finanzsituation Bund—Länder, die Tatsache, daß der Bund bei den Ländern 1 Milliarde als Zuschuß für Bundesaufgaben erbitten muß und im nächsten Jahre über eine Änderung des Verhältnisses in oder Finanzverfassung verhandeln muß, zwingt uns unseres Erachtens, nicht den Versuch zu machen, Aufgaben, für die die Länder nach der Verfassung eindeutig zuständig sind und bei denen sie die Zuständigkeit auch klar für sich beanspruchen, auf den Bund zu übernehmen.Es ist eben der wesentliche Unterschied zwischen .den kommunalen Krankenanstalten, die in dem Antrag angesprochen werden, und den karitativen, gemeinnützigen freien Krankenanstalten, 'daß bei den kommunalen Anstalten ein öffentlich-rechtlicher Trä-
Metadaten/Kopzeile:
876 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Dr. Stoltenbergger da ist, für den im Rahmen ,des Finanzausgleichs die Länder klar zuständig sind, während die freien, gemeinnützigen privaten Krankenanstalten einen derartigen öffentlich-rechtlichen Träger nicht haben und bei ihnen deshalb eine Bundeshilfe im Rahmen unserer Verfassung sinnvoll und vertretbar erscheint.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert? — Der Herr Kollege ist einverstanden. Bitte sehr!
Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch sicher auch, daß die Kommunen bezüglich der Krankenhäuser ihre Aufgabe genauso freiwillig erfüllen, denn es gibt vorläufig noch keinerlei gesetzliche Grundlage, nach der sie dazu verpflichtet wären, und meinen Sie nicht, Herr Kollege Stoltenberg, daß aus diesem Grunde eine gewisse Gleichheit gerecht wäre?
Ich möchte doch darauf hinweisen, daß die kommunalen Krankenhäuser, soweit ich es übersehe, in allen Bundesländern nach den entsprechenden Ländergesetzen ausdrücklich in den kommunalen Finanzausgleich einbezogen sind und daß hier die Ausgleichsfunktion des Landes gegenüber diesen kommunalen Einrichtungen, auch wenn sie freiwillig sind, als eine Aufgabe der Länder postuliert ist. Insofern, verehrte Frau Kollegin, ist, glaube ich, der von mir genannte Unterschied eindeutig da.
I Es kommt aber ein Zweites hinzu. Es handelt sich hier um einen Ansatz von 25 Millionen DM — auch von Ihnen ist eine Erhöhung nicht beantragt — auf einem Sektor, bei dem ein wirklich dringender Nachholbedarf von mehreren hundert Millionen DM gerade bei den karitativen freien Krankenhäusern besteht. Eine Billigung Ihres Antrags würde also zwangsläufig dazu führen, daß dieser im Bereich der karitativen und freien Krankenanstalten anerkanntermaßen besonders große Nachholbedarf nicht in dem Maße aus Bundesmitteln gefördert werden kann, wie wir es allerdings für unerläßlich halten. Die Tatsache, daß in den ersten Jahren die Mittel nicht völlig verausgabt wurden, besagt insofern nichts, als es sich um ein neues Programm handelt, bei dem gewisse Anlaufschwierigkeiten immer gegeben sind. Es steht völlig außer Diskussion — ich glaube, auch auf Ihrer Seite —, daß hier ein Vielfaches dessen an dringenden Investitionen notwendig ist, was wir in diesem Jahre genehmigen können.
Aus diesen beiden Gründen bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 48. Ich rufe auf die Ziffer 1. Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 2. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 3. Wer zustimmt, gebe Zeichen. I— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 4. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf die Ziffer 5 a. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich kann wohl b und c von Ziffer 5 zusammenfassen; Einverständnis? — Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch diese Anträge sind abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 6. Wer zustimmt, gebe Zeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 7. Wer zustimmt, gebe Zeichen.— Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Es besteht im Präsidium kein Einverständnis. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer zustimmt, möge sich vom Platz erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die ablehnenden Stimmen waren die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf die Ziffer 8. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf Ziffer 9. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei wenigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe auf die Ziffer 10. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06 in der Vorlage des Haushaltsausschusses mit der Änderung, die sich aus der Annahme der Ziffer 9 des Änderungsantrags der SPD ergibt. Wer der Vorlage in dieser Fassung zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einzelplan 06 ist angenommen.Ich rufe nun auf im Zusammenhang mit dem Einzelplan 06:Einzelplan 36 — Zivile Notstandsplanung .Berichterstatter sind die Herren Abgeordneten Kreitmeyer und Windelen. Wünschen Sie das Wort?
— Es wird verzichtet.
Es liegt vor der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 57.Ich erteile zunächst das Wort der Frau Abgeordneten Renger zur Begründung dieses Antrags mit Ausnahme der Ziffer 7.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 877
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist sehr erfreut, daß der neue Herr Bundesinnenminister die Bedeutung des zivilen Bevölkerungsschutzes besonders hervorgehoben und ihn als eine seiner wichtigsten Aufgaben bezeichnet hat. Allerdings ist es nicht möglich, in wenigen Monaten Versäumnisse der dritten Regierung Adenauer auszuräumen. Trotzdem muß ich sagen, daß auf diesem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes auch von dem neuen Herrn Bundesinnenminister keine ausreichenden Konsequenzen gezogen worden sind, die zu ziehen in diesen sechs Monaten schon möglich gewesen wäre. Der Einzelplan 36 mit jetzt inzwischen etwa 700 Millionen DM ist wie bisher ein Stiefkind im Rahmen der allgemeinen Verteidigung geblieben und die darin vorgesehenen Aufwendungen stehen weiterhin in keinem Verhältnis zu denen für die militärische Verteidigung, die inzwischen etwa 15 Milliarden betragen, von der personellen Besetzung auf dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes ganz zu schweigen.Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion ist erfreut darüber, daß in diesem Haushalt ihre Anträge aus den vergangenen Jahren wenigstens teilweise einen Niederschlag gefunden haben.
Endlich sind 20 Millionen DM in den Haushalt aufgenommen worden für den Ausbau von Hilfs- und Ausweichkrankenhäusern, weitere Ansätze für die Schwesternausbildung, die Ausbildung von Strahlenärzten und die Ausstattung von Selbstgemeinschaftszügen. Es tut mir aber leid, sagen zu müssen, daß diese Teilmaßnahmen eine Gesamtkonzeption hinsichtlich des zivilen Bevölkerungsschutzes nicht ersetzen können.Nach der Überzeugung meiner Partei hat der Staat die Verpflichtung, dem Staatsbürger in einem Katastrophenfall Schutz und Hilfe zu gewähren und entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Ich muß leider sagen, daß das in unzureichender Weise geschehen ist. Ich muß weiter sagen, Appelle der Bundesregierung an die Bevölkerung zur Mitarbeit sind natürlich so lange sinnlos, wie hier seitens der Regierung keine ausreichenden Leistungen aufgezeigt werden können.Ich bitte Sie herzlich, mir, wenn Sie nachher sprechen, nicht aufzuzählen, wieviel Versorgungslager Sie inzwischen errichtet haben usw., daß wir 14 DM pro Person für den Bevölkerungsschutz ausgeben und an der Spitze aller Mächte stehen. Meine Damen und Herren, unsere Situation ist eine andere. Wer das noch nicht wissen sollte, lese vielleicht noch einmal den Bericht des Verteidigungsausschusses der WEU vom Dezember 1959, den Herrn Heye verfaßt hat. Daraus geht hervor, daß unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet größer sein müssen als die anderer Länder.Die Kritik der Opposition richtet sich normalerweise gegen die zu geringen Ansätze im Einzelplan 36. Das ist auch heute so. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: im vergangenen Jahr ist auf diesem Gebiet so wenig ausgegeben worden, daß die Ausgaben nur 56 % der Ansätze ausmachen. Das läßt ja wohl den Schluß zu, daß die Aufgaben auf dem Gebiete des Bevölkerungsschutzes weder in materieller noch in organisatorischer Hinsicht mit genügendem Nachdruck erfüllt worden sind. Es fehlten auf diesem Gebiet sehr viele gesetzliche Regelungen, Verwaltungsanordnungen und Rechtsvorschriften, so daß die Planung auch bei den Ländern und Gemeinden nicht voranschreiten konnte.Seit Jahren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erleben wir einen Streit zwischen den einzelnen Ressorts der Bundesregierung über den baulichen Luftschutz. Wir haben im Ausschuß hören können, daß die Erprobungen inzwischen so gut wie abgeschlossen sind. Die Ansätze dafür sind ja auch immer geringer geworden. Die sozialdemokratische Fraktion hat seit Jahren eine Studienkommission verlangt. Diese ist von der Mehrheit dieses Hauses immer wieder mit der Begründung abgelehnt worden, es gebe eine Expertenkommission, die genauso klug sei, wie es diese Studienkommission wäre. Wenn das so ist, möchte ich Sie einmal fragen, meine Damen und Herren, warum wir nicht endlich das Gutachten dieser Expertenkommission auf den Tisch des Hauses bekommen.Ich möchte weiter fragen: Was gedenkt die Bundesregierung auf dem Gebiet des baulichen Luftschutzes nun eigentlich zu tun? Bisher scheint das immer noch ein tiefes Geheimnis zu sein. Irgendwo muß die Entscheidung ja hängengeblieben sein. Vielleicht wäre es gut, einmal den Herrn Bundeskanzler zu fragen, ob er nicht diese Entscheidung, die letztlich bei ihm liegt, endlich treffen wolle. Gerade zur Zeit — das ist Ihnen inzwischen doch auch nichts Neues mehr — werden Millionen von Wohnungen neu gebaut, ohne ,Schutzraum natürlich, und auch in den öffentlichen Gebäuden sind Schutzräume nicht eingebaut worden. Die Kommunalpolitiker unter Ihnen wissen und werden mit Bedauern feststellen, daß so manches öffentliche Gebäude längst einen Schutzraum haben könnte, wenn von der Bundesregierung die finanzielle Seite geklärt worden wäre. Auch hier haben wir Zeit und Geld vertan.Es gibt keinen nennenswerten Industrieschutz. Die Kasernen der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes sind nicht ausreichend mit Schutzräumen versehen. Auch die besonderen Verwaltungen haben keine nennenswerten Schutzraumbauten. Es gibt auch keinen Anreiz für Private, die finanziell in der Lage wären, sich selber in ihren Neubau — durch Darlehen oder Zuschüsse — einen Schutzraum einzubauen. Auch das ist eine vertane Gelegenheit. Alles, was wir später machen, meine Damen und Herren, ist unendlich viel teurer, als wenn wir rechtzeitig etwas Nützliches getan hätten.Ich meine, es ist an der Zeit, sehr geehrter Herr Minister, daß die Bundesregierung erklärt, ob sie noch auf dem Standpunkt steht, daß ohne baulichen Luftschutz ein Bevölkerungsschutz in der Bundesrepublik überhaupt nicht möglich ist. Wenn ja, Herr Minister: In welchen Zeiträumen soll er verwirklicht werden? Wie hoch werden die Kosten sein, und wie stellen Sie sich, bitte, die Kosten
Metadaten/Kopzeile:
878 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Frau Rengerdeckung vor? Das Inkrafttreten des § 22 des 1. ZBG war auf den 1. Januar 1959 festgesetzt. Ich meine, es wäre an der Zeit, daß der überschrittene Termin durch schnelle Vorlage eines Schutzraumprogramms wenigstens zum Teil wieder eingeholt würde.
Wenn es aber anders ist, wenn die Regierung ihre Meinung geändert hat, wenn sie nämlich baulichen Luftschutz nicht mehr für zweckmäßig hält, dann muß sie der Bevölkerung sagen, auf welche Weise sie die Menschen hier in der Bundesrepublik bei atomaren Auswirkungen, die übrigens auch im Frieden auftreten könnten, schützen will, wie sie diese Bevölkerung in militärischen Konflikten mit konventionellen Waffen oder wie sie sie gegen die Auswirkungen von sogenannten atomtaktischen Waffen, die etwas mehr sind als die Weiterentwicklung der Artillerie, hier schützen will.Der heutige Herr Außenminister hat gemeint, die fehlende Notstandsgesetzgebung sei daran schuld, daß wir nicht genügend Kräfte im Luftschutzhilfsdienst und im Selbstschutz haben. Das war gewiß nicht die Ursache, im Gegenteil. Ich wundere mich wirklich, daß wir überhaupt mehr als 200 000 Menschen bekommen haben, die sich bei der Vernachlässigung dieser ganzen Angelegenheit freiwillig für diesen Bevölkerungsschutz zur Verfügung stellten.
Ich bewundere die Leute im Bundesluftschutzverband, die immer wieder von Tür zur Tür gehen und um freiwillige Helfer wirklich betteln.Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wenn Sie den Luftschutzhilfsdienst wirklich ernst nehmen, müßte die Regierung ja wohl erst einmal die Bestimmung des § 13 a des Wehrpflichtgesetzes erfüllen, damit wir dort die Kräfte für den Bevölkerungsschutz frei bekommen können. Wenn es einmal wirklich ernst werden sollte — ich hoffe, es wird nie der Fall sein, aber wir müssen es ja einkalkulieren —, brauchen wir Kräfte, die auch tatsächlich einsatzfähig sind, und die müßten wir zu einem Teil durch Freistellung vom Wehrdienst bekommen.
— Herr Kollege, bei uns ist das so; wenn einer eine andere Meinung hat, muß er nicht aus der Sozialdemokratischen Partei austreten. Er kann nämlich zu diesem Problem eine durchaus andere Meinung haben.
— Entschuldigen Sie, ich will Ihnen etwas sagen. Wenn es sich darum handelt, daß jemand nach unserer Aufassung nicht mehr mit den Zielen der Sozialdemokratischen Partei übereinstimmt
und dies sind sehr demokratische Ziele, dann allerdings hat er in unserer Partei nichts zu suchen und muß die Konsequenzen ziehen, oder wir ziehen die Konsequenzen. Wir wünschten, daß Sie das immer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 879
Frau Rengerzur rechten Zeit getan hätten. Ich würde da einige Namen nennen können,
aber das hat mit diesem Thema nichts zu tun.Sicherheit gibt es nicht durch Bevölkerungsschutz. Sicherheit gibt es nur durch eine kluge, einfallsreiche Politik, die zu ihrem Teil versucht, die Spannungen in dieser Welt zu vermindern. Wir würden uns freuen, wenn wir von der Regierung bessere Ideen zu diesem Thema bekämen.Wir haben in diesem Jahr zum Einzelplan 36 nur wenige Anträge gestellt. Sie gründen sich zum Teil auf die Erfahrungen aus der Flutkatastrophe. Folgende drei Positionen — Sie finden die Anträge auf Umdruck 57 — möchte ich besonders hervorheben.Es handelt sich einmal um die Einrichtung von Versorgungslagern für Bekleidung, Säuglingsartikel, Decken usw. Sie werden sich erinnern, wie gut es gewesen wäre, wenn man in Hamburg solche Läger dezentralisiert gehabt hätte. Zweitens handelt es sich um die Anschaffung von Trinkwasserbehältern. Das dritte ist die Beschaffung von Hubschraubern. Wir haben feststellen können, daß ohne den Einsatz von Hubschraubern viele Menschenleben nicht hätten gerettet werden können. Ich sehe ein, daß es für den Innenminister nicht einfach ist, eine organisatorische Form für die Verwendung von Hubschraubern im Bevölkerungsschutz zu finden. Aber die Notwendigkeit, Herr Minister, sollte Ihr Ministerium beflügeln, sehr schnell solche organisatorischen Formen zu finden, damit für den Bevölkerungsschutz, den Katastrophenschutz und den Unfalldienst zusammengefaßt, Hubschrauber verwendet werden können.Wir bitten Sie, den Bevölkerungsschutz nicht noch länger zu vernachlässigen und deshalb diesen sehr bescheidenen Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn auch in rosarote Watte eingepackt, so war es doch eine ganz schöne Serie von Vorwürfen, Frau Kollegin, die Sie mir vorgetragen haben. Ich darf zu einigen wenigen Dingen, die Sie angesprochen haben, Stellung nehmen.Wenn es nicht einen Beschluß des Bundestages vom Jahre 1957 gegeben hätte, in dem eine von der Regierung beabsichtigte bauliche Vorsorge abgelehnt worden ist, wären wir auf diesem Gebiet wahrscheinlich schon etwas weiter.
— Das ist richtig. Aber trotzdem ist es damals gestoppt worden. Damals wäre die Lage hinsichtlich der Baukapazitäten, der Arbeitsmarktverhältnisse und der finanziellen Verhältnisse viel günstiger gewesen. Aber es ist nun einmal unterlassen worden.Es ist richtig, die Regierung ist aufgefordert worden, bis zum 1. Januar 1960 eine weitere Vorlage zu machen. In der Zwischenzeit hat unsere erfolgreiche Wirtschaftspolitik viele Planungen nicht ausführbar werden lassen.
— Früher ist wahrscheinlich bloß einer genannt worden; ich führe jetzt den zweiten an.Die Dinge sind deshalb sehr schwierig, weil die Überlegungen dauernd in Fluß sind. Viele Länder, vor allem die nordischen Länder, die uns sehr voraus sind, werden die eine oder andere Maßnahme, die sie mit Riesenaufwand durchgeführt haben — begünstigt durch ihre geographischen Verhältnisse— auf dem Gebiet der .Schutzräume, auf dem Gebiet der Evakuierungseinrichtungen usw., im Hinblick auf ,die modernen Warnzeiten überlegen müssen; das ist durchaus möglich.
— So ist es ja gar nicht gemeint. Wir können eben nicht alles auf einmal machen. Wir können nicht gleichzeitig aufbauen, wir können uns nicht gleichzeitig so entwickeln, wir können nicht gleichzeitig einen ganz entscheidenden Teil unserer Sicherheit, nämlich unseren Verteidigungsbeitrag, wo es doch einige Schwierigkeiten gegeben hat, bestreiten unid gleichzeitig einen perfekten Luftschutz aufbauen. Die Länder, .die in den Vorbereitungen des zivilen Bevölkerungsschutzes am weitesten gediehen sind, sind diejenigen Länder, die keine Kriegsfolgen zu tragen haben. Deren Bemühungen sind mit denen, die wir hinter uns bringen mußten, gar nicht zu vergleichen.Dennoch verkennen wir ganz und gar nicht, daß etwas vonnöten ist. Gnädige Frau, ich kann Ihnen sagen: wir haben auch alle wissenschaftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Sie sprechen von einer Expertenkommission, Ich weiß nicht recht, was Sie meinen; wahrscheinlich handelt es sich um eine Sachverständigenkommission, die von Ihrer Seite wiederholt gefordert worden ist. Wir brauchen darauf nicht zurückzugreifen.
— Ja, Sachverständige! Wir haben im Rahmen unserer Forschungsgemeinschaft, die auch zu unserem Ressortbereich gehört, alle Fachleute an der Hand, die überhaupt notwendig sind. Darüber hinaus haben wir uns aber auch ausländischer Fachleute bedient. Wir haben uns eigentlich die modernsten Erfahrungen zunutze gemacht, die in Amerika zur Verfügung stehen und in modernsten Versuchen gewonnen worden sind. Alle baulichen und technischen Überlegungen sind bei uns so ausgereift, daß sie von heute auf morgen in einen Gesetzentwurf umgewandelt werden können.Jetzt werden Sie fragen: Wo bleibt dieser Gesetzentwurf, und wer ist nun schuld daran, daß er noch nicht da ist? Da gibt es keinen Schuldigen in dem Sinne, daß ein Vorwurf gerechtfertigt wäre. Es ist tatsächlich so — das hängt mit den anderen Dingen
Metadaten/Kopzeile:
880 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundesinnenminister Höcherlzusammen, die der Herr Vizekanzler in seinen Haushaltsberatungen anzusprechen hatte —, daß ein, ich möchte einmal sagen, durchschnittliches Programm durchführbar ist, verglichen mit den vielen Möglichkeiten, gewissermaßen in der Bandbreite, die ja sehr groß ist. Man kann sich einen fast absoluten Schutz in einem gewissen Bereich vorstellen, einen Schutz, der nur mit 100 Milliarden DM zu errichten wäre, bis herunter zu den Abstufungen, die uns wirtschaftlich und finanziell zugänglich sind. Die Entscheidung darüber, Einbau der Baukapazität, Arbeitskräfte und Planungen, all diese Dinge sind tatsächlich so schwierig, daß es jeder Regierung schwerfallen muß, hierüber eine Entscheidung zu treffen. Es wird gar nichts versäumt. Sie werden sehr bald, meine Damen und Herren, Gelegenheit haben, Ihren eigenen Sachverstand, den Sie sich in langjähriger Beschäftigung mit dieser Frage erworben haben, in den Ressortberatungen mit einzusetzen. Das wird schon in den nächsten 14 Tagen, 3 Wochen geschehen. Da werden wir uns wiedersehen, um in camera caritatis über diese Dinge zu reden.Was nun die Basis, den Luftschutzhilfsdienst betrifft, so verfolgen wir genau das, was Sie vorschlagen. Wir sind sogar schon weiter: wir haben schon Vereinbarungen geschlossen. Sie schlagen vor, wir sollten uns als Basiseinrichtungen des Roten Kreuzes, der Feuerwehr usw. bedienen. Wir haben das durch Vereinbarungen und Besprechungen so weit in die Wege geleitet, daß schon in allernächster Zeit ein Änderungsgesetz zum Gesetz über den Zivilen Bevölkerungsschutz vorgelegt werden kann, in dem all das gesetzlich geregelt wird.Für die erwähnte Aufklärungsschrift muß ich immer wieder, wahrscheinlich bereits zum zehnten Male, Vorwürfe einstecken. Ich habe sie nicht verfaßt. Aber ich bin sogar der Meinung — obwohl ich sie nicht verfaßt habe —, daß sie bis vielleicht auf einige wenige Passagen eine ganz hervorragende Arbeit darstellt, die sich an den modernsten Erfahrungen orientiert, und daß dabei sehr viele Sachverständige zu Wort gekommen sind, — nur leider nicht der Innenausschuß, der damals nicht getagt hat und dessen Mitglieder sich im Wahlkampf befanden. Wahrscheinlich liegt da die Schuld. Das wird sich aber nicht wiederholen, Herr Schmitt-Vockenhausen. Der Innenausschuß wird — schon deswegen, damit wir niemals mehr Vorwürfe bekommen, weil er sich ja selber keine Vorwürfe machen kann — ausreichend Gelegenheit bekommen, bei den neu in Angriff genommenen Schriften zu Wort zu kommen und sein Urteil abzugeben.Man kann nicht aus einer Schrift, die modernstes Material enthält, ausgerechnet den Vorgang mit der Aktentasche herausgreifen, der im übrigen auch von den anderen, den ausländischen Vorbildern mit verwertet worden ist.Frau Kollegin, Sie haben vollkommen recht: auf vielen Ebenen muß unsere Sicherheit in der Innenpolitik bestritten werden. Mit unserer Wirtschafts-und Sozialpolitik ist das in einer Art und Weise geschehen, die eher Gefahren mit sich bringt, als daß sie Vorwürfe verdiente. Im Verteidigungsbereich haben wir trotz aller Widerstände einen Beitrag geleistet, der auf internationaler und europäischer Ebene absolut standhält. Das waren wohl zwei Felder, auf denen wir uns in dieser Frage zu bewähren hatten. Es kommt hinzu, daß das, was mit den bisherigen Möglichkeiten im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes geleistet und getan werden konnte, viel mehr ist, als den meisten bekannt ist.Die Entscheidungen über den baulichen Luftschutz sind unmittelbar in der Vorbereitung.Noch eine kurze Bemerkung zu der Ausrüstung mit Hubschraubern. Die Hubschrauber haben sich im letzten Katastropheneinsatz hervorragend bewährt. Der Bundesgrenzschutz, der mit seinen Hubschraubern einen wesentlichen Anteil an den Hilfsmaßnahmen nehmen konnte, wird in der Ausstattung mit Hubschraubern verstärkt. Die Maßnahmen hierzu sind im Gange. Die Ausbildung ist sehr umständlich, teuer und zeitraubend. Wir überlegen uns, wieweit wir mit den Ländern und ihren Bereitschaftspolizeien in einen Akkord kommen können, weil bei den Ländern die Zuständigkeit für den Katastrophenfall liegt und eine Bundeszuständigkeit dafür nicht bestand. Die freiwillige Zusammenarbeit ist hervorragend geglückt. Auch die Bundeswehr steht immer wieder für solche möglichen Einssätze zur Verfügung. Wir sind aber für jede Ausweitung in der Ausrüstung mit diesem Hilfsmittel bei Katastrophen durchaus zugänglich und werden uns gern in ein sachliches Gespräch mit Ihnen begeben.Das Entscheidende ist folgendes. Der zivile Bevölkerungsschutz muß ja die Spiegelseite des modernen Kriegsbildes sein, das fortgesetzt in der Entwicklung begriffen ist, Gott sei Dank ohne unsere Schuld. Die Dinge müssen fortgesetzt neu überdacht werden. Der Sicherheitsbeitrag, der Verteidigungsbeitrag und der Beitrag in unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik ist meines Erachtens im Vergleich zu den Leistungen der übrigen Völker schon so groß, daß wir uns mit diesen Leistungen absolut sehen lassen können. Dabei haben wir noch den guten Vorsatz, mit Ihrer Hilfe und Ihrer finanziellen Opferbereitschaft — die Sie auch dem Volke zumuten müssen — auch den letzten und dritten Teil, den des baulichen Luftschutzes, zu vollenden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Kap. 36 06 beantragen meine Freunde und ich in Tit. 621 — Anlegung von Notstandsvorräten in Lebens- und Futtermitteln — die Erweiterung der veranschlagten Mittel um 10 Millionen DM auf 98 770 000. DM zur Lagerung von Magermilchpulver und Kondensmilch für den Falleiner Versorgungsnotwendigkeit für unsere Kinder.Ich darf mich bei der Begründung einmal auf die Große Anfrage meiner Fraktion vom November 1961 beziehen, die den Schutz der Gesundheit gegen radioaktive Strahlung betraf, zum zweiten aber auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 881
Dr. Schmidt
den Antrag der CDU/CSU und FDP vom November letzten Jahres betreffend Radioaktivität der Luft und des Regens. Die beiden parlamentarischen Aktionen hatten das Ziel, festzustellen, ob und welche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiven Strahlen notwendig sind.Die bisherigen Ausschußberatungen haben gezeigt, daß noch nicht genügend Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung ergriffen worden sind. Ich möchte nicht den einmütig gefaßten Ausschußbeschlüssen vorgreifen, die demnächst in diesem Saale behandelt werden. Meine Freunde und ich sind aber der Auffassung, daß gewisse Schutzmaßnahmen sofort in Angriff genommen werden müssen, damit die Versorgung unserer Bevölkerung im Gefahrenfalle sichergestellt ist, besonders die Versorgung unserer Kinder. Deshalb unser Antrag auf Erhöhung des Ansatzes um 10 Millionen DM in diesem Einzelplan.Wir möchten mit diesem Antrag das anstehende Problem keineswegs dramatisieren. Wir warnen aber gleichzeitig davor, es zu bagatellisieren. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß durch die Atomtests der Sowjets im letzten Herbst in den kommenden Monaten radioaktive Niederschläge in verstärktem Maße zu erwarten sind. Ob sie so stark sein werden, daß Teile der Bundesrepublik oder gar die ganze Bundesrepublik davon in bedrohlicher Weise betroffen werden, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen. Wir müssen aber mit der ernstesten Möglichkeit rechnen und daher entsprechend vorbereitet sein. Die Ausschußberatungen haben gezeigt, daß besonders im Falle einer radioaktiven Verseuchung der Trinkmilch noch keine entscheidenden und ausreichenden Maßnahmen getroffen worden sind. Die Bundesländer sollen insgesamt 40 000 t Magermilchpulver und 20 000 t Kondensmilch lagern. Das wäre eine Menge, die zur Versorgung unserer Kinder für etwa 8 Wochen ausreichend wäre. Die Kosten hierfür betragen 95 Millionen DM. In der Praxis hat sich aber gezeigt, daß bisher nur einzelne Länder mit der Bevorratung begonnen haben, und das nur ungenügend. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß der Bund im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für den Schutz der Bevölkerung gegen radioaktive Strahlung hier tätig werden muß, zumal diese Gefahren von außen auf uns zukommen. Auch der eingangs von mir erwähnte Antrag der CDU/CSU und FDP geht ja in diese Richtung. Wir meinen deshalb, daß auch der Bund Maßnahmen zur Bevorratung mit Magermilchpulver und Kondensmilch durchführen sollte, damit im Ernstfall eine Reserve für besondere Schwerpunkte oder bei bestehenden Engpässen vorhanden ist und auch bei anderen Notständen eingesetzt werden kann.Ich darf abschließend ausdrücklich betonen, daß wir mit diesem Antrag kein Politikum verbunden sehen möchten, sondern daß wir alle aus menschlichen Gründen für solche zwingend notwendigen Schutzmaßnahmen verantwortlich tätig werden müssen. Aus diesem Grund darf ich Sie um Ihre Zustimmung bitten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Flitz.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Der 4. Bundestag hat sich — wie seine Vorgänger — mit der Frage des zivilen Bevölkerungsschutzes zu befassen, und ich bin davon überzeugt, daß vielen von Ihnen in Erinnerung sein wird, wie eindringlich die seinerzeitige Alterspräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Lüders, immer wieder die Forderung aufgestellt hat, aus dem Stadium der theoretischen Erwägungen in das der praktischen Maßnahmen einzutreten, um das Notwendige zu unternehmen, damit das Überleben einer möglichst großen Zahl von Menschen im Ernstfall ermöglicht werden kann.Wir haben immer wieder gefordert, daß die Bevölkerung über die möglichen Gefahren aufgeklärt werden soll. Warum sollte eigentlich das deutsche Volk, das in harten Kriegszeiten wirklich erprobt ist, die Wahrheit schlechter vertragen oder ertragen können als die Bevölkerung anderer Länder, deren Regierungen längst ihr Volk aufgeklärt und die notwendigen Schutzmaßnahmen verwirklicht haben?Vielleicht wäre es ganz interessant, einmal der Frage nachzugehen, warum eigentlich relativ wenig bei uns geschehen ist. Sicherlich könnte man sich denken, daß man befürchtet hat, eventuell eine panikartige Angst in der Bevölkerung hervorzurufen, und Angst läßt sich in der Politik nun einmal schlecht verkaufen; Sicherheit zahlt sich als Wahlparole immer besser aus. Keine Regierung kann aber die Verantwortung für die Unterlassung der Aufklärung auf sich nehmen. Im übrigen, je sachlicher die ungeschminkte Realität der Lage und die doch immerhin relativen Möglichkeiten eines Schutzes vermittelt werden, um so geringer ist die Gefahr, daß man Panik erregt.Herr Minister, auch ich bin jetzt beinahe versucht, Sie nicht zu schonen bezüglich der Veröffentlichungen, die heute schon so oft erwähnt worden sind. Es war sicher ein sehr lobenswerter Versuch, der durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz mit den beiden vielbesprochenen Broschüren „Jeder hat eine Chance" und „Das Verhalten bei radioaktiven Niederschlägen" angestellt wurde. Wir haben erst vor einigen Wochen in diesem Hohen Hause. an diesen Schriften sehr stark Kritik geübt und festgestellt, daß die 2,5 Millionen DM, die für diese ausgegeben worden sind, in gar keinem Verhältnis zu dem schlechten Erfolg gestanden haben. Das eine sollten sich die Herausgeber künftiger Aufklärungsschriften gesagt sein lassen: die deutschen Bürger, die die schreckensvollen Erlebnisse des letzten Krieges noch in allzu naher Erinnerung haben, sind sehr empfindlich für falsche Töne und für irgendwelche Versuche einer Verniedlichung. Auch die Frauen denken viel zu realistisch und viel zu nüchtern in solchen Fragen.In dem vor uns liegenden Haushalt sind für Aufklärung und Werbung an verschiedensten Stellen erhebliche Summen eingesetzt. Es wäre zu wünschen und zu hoffen, daß diese Werbe- und Aufklärungsmaßnahmen sachlich und psychologisch besser überlegt sind als die bisherigen.Über den Entwurf eines Gesetzes über Zivildienst im Verteidigungsfalle, der vom Kabinett jetzt dem
Metadaten/Kopzeile:
882 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Frau Dr. Flitz
Bundesrat vorgelegt ist, wird später bei .der Beratung in diesem Hohen Hause noch ausführlich zu sprechen sein. Es ist ja ein Gesetz, das im wesentlichen Frauen betreffen wird. Immerhin scheint man in dem Entwurf den Bedenken, die gegen den ersten Entwurf von den Frauenorganisationen geäußert worden sind, in einigen Punkten wenigstens etwas Rechnung getragen zu haben.
— Darum sagte ich: in einigen Punkten etwas. Die Freiwilligkeit des Einsatzes ist jedenfalls etwas stärker herausgestellt.Es wird immer wieder angeführt, .die Zahl der Meldungen für einen freiwilligen Hilfsdienst oder eine freiwillige Ausbildung sei zu gering. Ich bin überzeugt, daß 'die Zahl wesentlich größer wäre, wenn auch bei uns in einer viel großzügigeren Weise für diesen Dienst geworben worden wäre, wie es in anderen Ländern seit langem und mit ganz großem Erfolg getan wird. Denn es glaubt doch wohl niemand, daß die deutsche Frau weniger zu einem Dienst an ihrem Volk bereit wäre als die Frauen anderer Länder! Vielleicht sollte sich im Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz neben den vielen männlichen Mitarbeitern einmal eine Frau, die den letzten Krieg bewußt miterlebt hat, Gedanken über diese Fragen ,aus der Sicht der Frau machen dürfen.Solange allerdings die Bevölkerung nicht das Gefühl haben kann, daß ein gewisser Selbstschutz einen Sinn hat, wird sie tatenlos in ihrer vorgefaßten Meinung bleiben: Es lohnt sich ja doch nicht — oder vielleicht sogar: Es lohnt wahrscheinlich gar nicht einmal, zu überleben. Was nützen denn alle noch so guten und bisher hergestellten und auch geplanten Warnämter — die Gemeinden haben, wie ich es von meiner Gemeinde weiß, die Warnanlagen längst vorbildlich eingebaut —, wenn doch niemand weiß, wo er, wenn die Sirene ertönt, Schutz suchen oder finden kann. Auf diesem Gebiet muß noch sehr viel mehr getan werden.Herr Minister, Sie haben gesagt, daß für die äußere Verteidigung sehr viel ausgegeben worden ist. Dazu kann man nur sagen, daß der zivile Bevölkerungsschutz ein ganz wesentlicher Teil der Verteidigung ist. Es muß doch sicherlich eingestanden werden, daß er bisher etwas stiefväterlich behandelt worden ist.Es ist hohe Zeit — vielleicht ist es schon reichlich spät —, daß in der Nähe oder in den Wohnhäusern und Arbeitsstätten, wie es vorhin auch schon Kollegin Renger gesagt hat, Schutzräume erstellt werden; denn wir wissen ja alle, daß bei einem zukünftigen Ernstfall Warnung und Angriff blitzartig aufeinander folgen werden.Zu den Vorbereitungsmaßnahmen im zivilen Bevölkerungsschutz gehört auch die Lebensmittelbevorratung. In Kap. 36 06 Tit. 301 und 302 ist Bezug genommen auf ein „Lebensmittel-Notstandspaket" und auf die „Aufklärung der Bevölkerung über eine freiwillige Lebensmittelbevorratung in den Haushaltungen". Die eingesetzten Mittel belaufen sich auf 3,1 Millionen DM.Wir Harusfraun sind bereits im letzten Jahr durch die Aktion „Eichhörnchen", uns kindlich dargebracht in der buntillustrierten Broschüre vom „König auf dem Hafersack", zur Bevorratung freundlich aufgefordert worden. Aber auch zu dieser Schrift ließe sich allerlei sagen. Warum werden denn z. B. in dieser Schrift für den Grundvorrat für 14 Tage ausgerechnet Reis und Teigwaren empfohlen, für deren Zubereitung doch eine ganze Menge Wasser notwendig ist, Wasser, von dem man annehmen kann, daß es im Ernstfall knapp, wenn nicht sogar überhaupt nicht vorhanden ist. Wo steht z. B. etwas von Haferflocken, die man nämlich roh essen kann, oder etwas von Gemüsekonserven. Ich kann nicht umhin anzunehmen, daß die guten Ratschläge aus einer männlichen Feder stammen, ohne daß ich die beachtlichen Kochkünste einer großen Zahl von Männern schmälern möchte.Den Hausfrauen wird in der Broschüre vom „König" auch empfohlen, das Einkaufszentrum auf den für die Bevorratung vorgesehenen Dosen und Verpackungen zu vermerken und in gewissen Abständen die Lebensmittel, wie man sagt, umzuwälzen, das heißt, alte durch neue zu ersetzen. Aber bitte, meine Herren und Damen, was hilft die noch so gewissenhafte Vermerkung der Einkaufsdaten auf den Lebensmitteln, solange auf den Verpackungen nicht die Dauer der Verwertbarkeit überhaupt angegeben ist, eine Forderung, die die Verbraucherverbände längst gestellt haben.Ich darf noch kurz zu dem Antrag „Umdruck 57" der Fraktion der SPD kommen. Im Grunde ist sehr vieles von dem Inhalt schon oft besprochen worden, und die Forderungen beruhen, wie Kollegin Renger ja auch sagte, zum Teil auf den Erfahrungen, die jetzt bei der Flutkatastrophe in Hamburg gemacht worden sind. Wir sind der Meinung, daß diese Vorschläge sehr ernstlich geprüft werden sollten: die Ergänzung des Katalogs der einzulagernden Mittel durch Textilien, der Umbau der elektrischen Sirenen in Preßluftsirenen usw., die Anschaffung von Hubschraubern. In diesem Haushalt wird sicher das meiste nicht möglich sein. Wir glauben allerdings, daß sich z. B. Trinkwasserbehälter doch vielleicht aus den Länderhaushalten beschaffen lassen. Es handelt sich um 1 Million DM. Die Wasserversorgung gehört ja sowieso in die Kompetenz der Länder.Zu der geforderten Erhöhung des Kap. 36 06 Tit. 621 um 10 Millionen DM für die Einlagerung von Kondensmilch und Magermilchpulver — eine sehr berechtigte Forderung — glauben wir, daß sich im Agrarhaushalt Kap. 10 02 unter dem Tit. 620 — Zuschüsse an Vorratsstellen — doch vielleicht diese 10 Millionen DM verkraften ließen, da der dortige Ansatz 386 Millionen DM beträgt.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der zivile Bevölkerungsschutz kann niemals nur Sache des Staates sein. Dieser muß allerdings die Voraussetzungen schaffen. Erscheinen diese Voraussetzungen dem Bürger einigermaßen sinnvoll, dann werden seine Selbstverantwortlichkeit und auch der gesunde Selbsterhaltungstrieb ganz von allein gestärkt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 883
Frau Dr. Flitz
werden. Dann wird die Bevölkerung schon um der Kinder willen, die in unsere so unvollkommene Welt hineingesetzt sind, auch zu Opfern bereit sein, weil sie einsieht, daß im Zeitalter der Bombe zu leben bedeutet, daß man nicht gleichzeitig gut und bequem leben und auch noch überleben kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die zivile Notstandsplanung ist in den letzten Jahren und namentlich in diesem Jahr nüchterner und sachlicher geworden. Das ist dankbar zu begrüßen. Ich glaube aber, daß die Probleme deswegen keineswegs einfacher geworden sind.Die Gründe, weshalb wir uns jetzt nüchterner mit diesen Fragen beschäftigen können, scheinen klar zu sein. Einmal: die politische Situation, insbesondere die Ereignisse nach dem 13. August, haben auch dem Letzten inzwischen deutlich werden lassen, daß wir auch heute noch in einer gefahrvollen Situation leben. Zum anderen scheint aber auch die größere Sachlichkeit deswegen kein Zufall zu sein, weil die Leistungen und auch das Verständnis für diese Fragen von Jahr zu Jahr größer geworden sind. Ich glaube, die Leistungen und Bemühungen der Bundesregierung und aller beteiligten Stellen, insbesondere des Luftschutzverbandes, können sich durchaus sehen lassen.Wir begannen im Jahre 1958. Damals waren es ganze 123 Millionen DM, die in unserem Etat standen. 1959 waren es schon 262 Millionen DM, 1960 446 Millionen DM, 1961 schließlich 717 Millionen DM, und in diesem Jahr werden es — zusammen mit dem Bundesamt — über eine Milliarde, fast 1,1 Milliarden DM, sein.Der Anteil gegenüber den militärischen Verteidigungsausgaben ist von Jahr zu Jahr größer geworden, und trotz der sehr beträchtlichen Steigerung des Militärhaushalts in diesem Jahr hat der Haushalt der zivilen Notstandsplanung Schritt gehalten. Der Anteil ist zwar nicht wesentlich größer als im Vorjahr, aber gottlob auch nicht kleiner geworden; er beträgt auch in diesem Jahr mehr, als Sie einmal als Minimum gefordert haben. Damals sagten Sie: minimal wenigstens 5 % des Verteidigungsetats. Wir sind in diesem Jahr bei etwas mehr als 7 %. Wir sollten das zum mindesten registrieren.Man sollte also meinen — wenn man von den Forderungen ausgeht, die Sie vor Jahren angemeldet haben —, daß Sie zufrieden sein müßten. Nun, Sie sind es nicht. Wir sind es auch nicht. Sie haben im vorigen Jahr Anträge mit Ansätzen von über 100 Millionen DM gestellt. Die Ansätze sind um über 300 Millionen DM gewachsen. Sie haben hervorgehoben, daß eine ganze Reihe von Anträgen, die Sie gestellt haben, realisiert worden sind; ja die Regierung ist zum Teil sogar noch über Ihre Forderungen hinausgegangen, hat die Ansätze in einem speziellen Falle sogar verdoppelt. Ich glaube,das dürfen Sie durchaus als Erfolg Ihrer Bemühungen werten. Es sollte auch registriert werden, daß die Bundesregierung, daß der Bundesinnenminister für sachliche Erwägungen durchaus zugänglich sind und dieses Thema sollte nach sachlichen Erwägungen abgewandelt werden; kein Thema eignet sich so wenig für Emotionen und für Agitation wie dieses. — In diesem Jahr haben Sie Anträge lediglich in einer Größenordnung von 20 Millionen DM gestellt. Wir sollten uns sehr nüchtern über diese Anträge unterhalten.Ich sagte vorhin schon: wir sind keineswegs zufrieden und sind keineswegs der Auffassung, daß alles geschehen ist, was technisch vielleicht hätte geschehen können. Wir sind uns aber andererseits klar, daß man nicht alles durchführen kann, was wünschenswert ist, sondern daß es Grenzen gibt, Grenzen einmal bei unseren finanziellen Möglichkeiten, zum anderen — täglich sichtbarer — in unserer Baukapazität. Wenn wir die Minimalvorstellungen im baulichen Luftschutz realisieren wollten, würde unsere gesamte Baukapazität nicht ausreichen, wenn wir dies kurzfristig tun wollten.Es ist die Frage gestellt worden, und zwar von Ihnen, Frau Kollegin Renger, sowie von Frau Kollegin Dr. Flitz: Können wir uns mit unseren Leistungen international sehen lassen? Sie, Frau Kollegin Renger, haben dankenswerterweise eine Zahl genannt: 14 DM pro Kopf. Sie haben die Leistungen der anderen nicht genannt. Frau Kollegin Dr. Flitz meinte, wir stünden relativ schlecht in unseren Leistungen. Ich muß dem nachdrücklich widersprechen. Frankreich hat in den vergangenen zehn Jahren ganze 56 Millionen DM aufgewendet; im Jahre 1962 stehen 18 Millionen DM im Haushaltsplan Frankreichs. Holland beginnt erst jetzt, alle diese Fragen zu prüfen, steht erst im ersten Stadium der Verwirklichung, man hat einen Vierjahresplan mit einem Volumen von 310 Millionen hfl. aufgestellt, Schweden und die Schweiz haben beachtliche Leistungen erbracht. Die größten Leistungen — Herr Minister Höcherl hat es schon erwähnt — erbringen interessanterweise also Nationen, die von den vergangenen Kriegen nicht berührt worden sind. Aber eines muß festgestellt werden: die Leistungen des schwedischen wie auch des schweizerischen Staates sind pro Kopf wesentlich geringer als die öffentlichen Leistungen bei uns.Die Schweiz hat in ihrem Etat einen Betrag von etwa 20 Millionen sfr. Das wäre, wenn Sie das zur Bevölkerungszahl in eine Relation setzen wollen, zu verzehnfachen, also 200 Millionen. Die Leistungen in Schweden und in der Schweiz werden von der Bevölkerung zum ganz großen Teil freiwillig und in Selbsthilfe aufgebracht. Auch das sollten wir einmal zur Kenntnis nehmen.Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen zehn Jahren 633 Millionen Dollar für die mehr als dreifache Bevölkerung aufgebracht. Erst jetzt, nach dem Amtsantritt von Präsident Kennedy, beginnt man, diese Aufgabe ernst zu nehmen und Konsequenzen zu ziehen. Im amerikanischen Etat stehen diesmal 700 Millionen Dollar. Das ist, umgerechnet auf die Leistung pro Kopf, immer noch weniger als
Metadaten/Kopzeile:
884 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Windelendas, was wir in unserem sehr viel ärmeren Deutschland einzusetzen bereit sind und eingesetzt haben.Ich möchte keineswegs behaupten, daß die Maßstäbe, die in Frankreich oder Holland angelegt werden, für uns beispielhaft sein sollten. Ich möchte auch keineswegs sagen, daß es besonders ruhmvoll ist, was wir auf dem Gebiet aufzuweisen haben. Aber wenn man schon internationale Vergleiche anstellt, wird man zumindest darauf hinweisen können, daß wir bei einem solchen Vergleich nicht schlecht abschneiden, sondern daß wir an der Spitze rangieren. Nun, Frau Kollegin Renger, Sie haben es schon gesagt: wir sind schließlich auch der Gefahr am nächsten und haben auch am meisten Anlaß, uns ein wenig mehr um diese Dinge zu kümmern.Aber es geht hier gar nicht nur um die Frage, was notwendig und was richtig ist, sondern wir haben uns auch damit zu beschäftigen, was technisch und was finanziell durchführbar ist. Es liegt keineswegs nur am Geld, wenn auch nicht zuletzt am Geld, wenn uns hier Grenzen gesetzt sind. Bitte, führen wir uns doch vor Augen, daß die Verteidigungskonzeption in den letzten Jahren in einem ständigen Wandel begriffen war und erst in den letzten Monaten wieder fast eine Revolutionierung erfahren hat. Nun, die Frage der zivilen Notstandsplanung ist ein Ausschnitt — und ich meine, ein sehr wichtiger Ausschnitt — aus der gesamten Verteidigung, und wenn Sie in den vergangenen Jahren gefordert haben, daß man endlich einmal eine klare Gesamtkonzeption auch hinsichtlich der zivilen Verteidigung vorlegen möge, dann wird man es sich gefallen lassen müssen, daß auch diese sich mit dem Wandel der Verteidigungskonzeption wandelt, daß es auch hier also nichts von Ewigkeitswert geben kann und geben wird.Wir werden diese Fragen auch nicht im nationalen Alleingang bewältigen können. Sie, Frau Kollegin Renger, haben vorhin die Initiative der WEU angeführt, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Aber das würde doch auch zur Folge haben, daß unsere WEU-Partner wenigstens in einem einigermaßen angemessenen Umfang diese Gesamtplanung unterstützen und auch in ihren Etats bedienen. Aber selbst dann, wenn wir diese Fragen ausräumen und befriedigend lösen können, wären wir noch längst nicht am Ende der Probleme; nein, dann fängt es damit eigentlich erst an.Sie wissen, sehr verehrte Frau Kollegin Renger, daß wir ohne die Länder und ohne die Gemeinden auf diesem Gebiet praktisch nichts machen können, daß wir auf die Mithilfe, auf die Unterstützung, auf die Durchführung der Maßnahmen angewiesen sind. Nun, wie ist da die Lage? Wir haben bis jetzt ein einziges Land in der Bundesrepublik, das hier angefangen hat. Nordrhein-Westfalen hat ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Gemeinden und Gemeindeverbände zu dieser Arbeit herangezogen werden. Es ist bisher das einzige Land geblieben, und wir warten sehnsüchtig darauf, daß die anderen Länder, vor allem auch die sozialistisch regierten Länder, hier folgen,
mit Nüchternheit sich dieser Aufgabe unterziehen und uns die Möglichkeit geben, auch dort weiterzukommen.Bei den Kommunen sieht es nicht anders, nein, fast schlechter aus. Es sind gerade die Brennpunkte der Gefährdung, die Großstädte, deren Verwaltungen vorwiegend in sozialistischer Hand sind, deren Oberbürgermeister und Verwaltungen vorwiegend von Ihnen bestimmt sind, wo der Luftschutz psychologisch, aber auch sachlich die größten Schwierigkeiten hat. Ich habe hier, um nur ein Beispiel zu nennen, den Bericht aus München, der in der „Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht worden ist. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf' ich einen kurzen Passus verlesen. Da heißt es, daß im Gegensatz zu anderen Städten in München die Grundsatzplanungen noch gar nicht oder unzureichend in Angriff genommen worden sind. Es heißt wörtlich:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 885
und es sei ein Verbrechen, unser Volk so zu belügen.
Wir haben doch mit Bedauern festgestellt, daß diese Saat nun auch aufgeht und daß die Ostermärsche in diesem Jahr unter dem Motto stehen: Verweigerung der Hilfe für den Luftschutz.
Ich bitte Sie sehr herzlich um Ihre Mithilfe. Denn nur Sie können diese Hindernisse ausräumen und nur Sie können diese Schwierigkeiten aus Ihren eigenen Reihen, bis tief in Ihre Fraktion, überwinden. Wir sollten über diese Dinge nüchtern und ohne Leidenschaft sprechen, aber wir sollten darüber sprechen. Denn hier liegt im Grunde der Schlüssel zu dem ganzen Problem. Wir sollten, wenn wir eine wesentliche Verstärkung 'der Mittel verlangen, bereit sein, der Bevölkerung zu sagen, daß ihr Schutz Geld und Opfer kostet, und zwar das Geld und die Opfer aller. Wir sollten nicht glauben, daß wir die im Bundeshaushalt veranschlagten Beträge nicht letzten 'Endes doch alle zu bezahlen haben. In Schweden und in der Schweiz ist eine solche Haltung selbstverständlich. Man spricht nicht darüber.Bei uns bleibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß in den letzten Wochen und Monaten die Haltung der Bevölkerung aufgeschlossener und positiver zu werden beginnt. Die Flutkatastrophe in Hamburg auf der einen Seite, aber auch der Aufruf des Herrn Bundeskanzlers am 9. März d. J. haben sicher dazu beigetragen. Die Länder haben ihre Bereitschaft erklärt, in diesen Fragen nunmehr verstärkt mitzuarbeiten, und auch die Bevölkerung selbst hat in der Tat bewiesen, daß auch sie bereit ist, ihr Teil zu übernehmen. Wir haben heute von Herrn Staatssekretär Hüttebräuker gehört, in welch großem Maße die Bevölkerung dem Aufruf zur Bevorratung gefolgt ist, in welch großem Maße heute schon häusliche Vorräte angelegt worden sind.Die Wissenschaft beschäftigt sich in zunehmendem Maße mit der Frage der Notstandsplanung. Erst kürzlich ist Professor Weizsäcker mit einer sehr gründlichen Untersuchung des ganzen Problems an die Offentlichkeit getreten. Er schließt seine Ausführungen mit fünf Vorschlägen. Die ersten Vorschläge decken sich im wesentlichen mit den Maßnahmen des Einzelplans 36, der in einer ganzen Reihe von Punkten noch erheblich über die Forderungen von Professor Weizsäcker hinausgeht. Sie beziehen sich auf die Aufklärung der Bevölkerung, die Ausbildung in erster Hilfe, die Ausrüstung von Hilfstrupps mit wirkungsvollem Gerät, mit Strahlenwarngeräten, auf die Medikamentebevorratung, die Beschaffung von Volksschutzmasken, die Anlegung von Lebensmittelvorräten und ihre strahlensichere Lagerung.In Punkt 5 nimmt Professor Weizsäcker Stellung zur Frage des baulichen Luftschutzes. Er sagt wörtlich folgendes:Die Entscheidung über Programme baulichen Schutzes — Bunker usw. — sollte um ein Jahr hinausgeschoben werden, ibis die hier entstehenden Fragen von Experten geklärt sind.Nun, ich glaube, wir sollten nicht ganz so weit gehen. Wir haben diese Fragen schon lange genug vor uns hergeschoben, sie drängen auf eine Entscheidung. Aber wir rennen auch hier offene Türen ein. Der Herr Bundesinnenminister hat erklärt, daß die entsprechenden Entwürfe in seinen Schubladen ruhen. Wir können nur hoffen und wünschen — und ihn dringend darum ersuchen —, daß diese Entwürfe recht bald herausgegeben und diesem Hause zugeführt werden, damit wir uns in aller Gründlichkeit mit diesen Fragen auseinandersetzen können. Bis dahin sollten wir, glaube ich, die Regierung, den Innenminister und den Bundesluftschutzverband in ihren Bemühungen unterstützen, das Mögliche zu tun.Gestatten Sie mir, mich noch kurz dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 57 zuzuwenden.
Metadaten/Kopzeile:
886 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Windelen— Herr Schmitt-Vockenhausen, dort, wo man mir vorwerfen könnte, ich sei polemisch gewesen, habe ich zitiert. Ich würde Sie bitten, sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen.
In den Ziffern 1, 8, 9, 10, 11 und 12 des Antrags wird die Aufhebung von Sperrvermerken verlangt, die teilweise schon seit Jahren unwidersprochen in diesem Haushalt stehen, die rein technischer Natur sind, auf § 14 der Reichshaushaltsordnung beruhen und einfach deswegen notwendig sind, weil auch auf diesem Sektor zunächst die fertige Planung vorliegen muß, ehe Mittel freigegeben werden. Deswegen ist bisher keine Mark weniger ausgegeben worden. Das Bundesfinanzministerium ist berechtigt— und hat es bis jetzt auch immer getan —, dann, wenn die Unterlagen vorliegen, diese Mittel zu entsperren.
— Das hat auf die Beschleunigung keinen Einfluß. Im Gegenteil, die Sache könnte dadurch, daß die Planungen verzögert werden, sogar noch verschleppt werden.
Unter Ziffer 2 haben Sie im vorigen Jahr beantragt, 7 Millionen DM für Hubschrauber einzusetzen. Hierzu hat der Herr Bundesinnenminister schon Stellung genommen.Unter Ziffer 3 beantragen Sie die Streichung der Mittel für die Sirenen und statt dessen den Einsatz von Mitteln für Preßluftsirenen. Der Haushaltsausschuß hat sich mit diesem Problem insgesamt beschäftigt. Er war mit Ihnen der Auffassung, daß hier einiges zu ändern ist, teilweise auch in Kenntnis der Erfahrungen von Hamburg. Es wind aber nicht möglich sein, Ihrem Antrag stattzugeben. Der Einsatz von Preßluftsirenen hängt von der Zustimmung der betreffenden Gemeinden ab. Bisher haben nur München, Nürnberg und Hannover die Zustimmung zur Aufstellung von Preßluftsirenen gegeben.
— Also gut, bei Sirenen. Immerhin, wenn Sie meinen, das reicht, — zugestanden!
Ich meine, das reicht nicht!
Der Antrag unter Ziffer 4 bezieht sich auf die Beschaffung und den Einbau von Fernmeldegerät für die Polizei. Hier wünschen Sie eine Verdoppelung des Ansatzes. Das Ist des vergangenen Jahres lag bei knapp 200 000 DM. Normalerweise hätten wir also bei der Vorberatung das Soll von einer Million DM noch herabsetzen müssen. Das Innenministerium hat uns versichert, daß der Betrag von einer Million DM in diesem Jahr wenigstens ausgeschöpft werden wird. Deswegen würde ich es für zweckmäßig halten, darüber nicht hinauszugehen. Die Mittel könnten wahrscheinlich doch nicht in Anspruch genommen werden. Dieses Gerät muß ja auch bestellt werden. Sie wissen, daß auch die Bundespostgerade bei Fernmeldematerial einen großen Engpaß hat.Meine Ausführungen zu den Ziffern 5, 6 und 7 des Antrags kann ich zusammenfassen. Zur Begründung ist hier gesagt worden, daß diese Anträge aus den Erfahrungen der Hamburger Flutkatastrophe resultieren. Zum anderen hat Herr Kollege Schmitt als Grund angegeben, daß die Länder in der Bevorratung nicht mitgingen, weil nur ein Teil der Länder Vorräte angelegt habe. Nach Auffassung des Bundes handelt es sich in der Tat um eine Länderangelegenheit im Rahmen des allgemeinen Katastrophenschutzes. Sie haben auf die Hamburger Katastrophe und die radioaktive Verseuchung durch Versuche hingewiesen. Beide Tatbestände würden im Aufgabenbereich der Länder liegen. Aus diesem Grunde sollten wir den Verhandlungen nicht vorzugreifen, und ich würde Sie bitten, von diesen Anträgen Abstand zu nehmen. Geschieht das nicht, so bitte ich, die Anträge der SPD aus den genannten Gründen abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Windelen, zunächst zu dem letzten Antrag: Offensichtlich sind Sie von der Bundesregierung nicht zusätzlich unterrichtet worden, daß diese selber ein solches Programm im Rahmen des gleichen Titels für das nächste Jahr vorgesehen hat und daß eine erste Rate von 4000 t bereits in Vorbereitung ist.
— Nein, Sie sind es nicht, lassen Sie sich noch zusätzlich unterrichten! Wir werden im nächsten Jahr wie auch in diesem Jahr von diesem Antrag sagen können, daß man dankenswerterweise, wenn auch mit Verspätung, den Anregungen der Opposition gefolgt list.Was Sie heute abend hier getan haben, vor allem in einem Teil Ihrer Rede, war dasselbe, was der Herr Bundeswirtschaftsminister an Demagogie in großer Münze gezahlt hat, nur daß Sie am späten Abend mit politischem Kleingeld auszahlten.
Ich finde, das war keine gute Sache.
— Ach, wissen Sie, so leicht tut das nicht weh. Weh tut ja immer nur die Wahrheit, und da sund Sie immer sehr empfindlich, wenn man die sagt.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Windelen hat etwas Wesentliches vergessen, warum der Bevölkerungsschutz nicht weiterkommt, nämlich den Regierungschef, der die Richtlinien der Politik bestimmt und in der Vergangenheit einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, daß die Dinge nicht vorangekommen sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 887
Schmitt-VockenhausenDas hätten Sie hier erwähnen müssen. Sie haben es leider nicht getan, und deswegen wollen wir es nachholen.Sie haben geglaubt sagen zu können, daß in den sozialdemokratisch regierten Ländern weniger getan worden sei. Sie wissen ganz genau, daß das nichtstimmt; das sagten Sie, entschuldigen Sie, ich muß schon fast sagen: wider besseres Wissen. Sie wissen genau, daß in den Ländern Hessen, Hamburg und Bremen — denken Sie nur an die Bunkerbauten — sehr viel geschehen ist. Denken Sie an die zahlreichen Bemühungen — —
— Da sind Sie doch mal sicher nicht beteiligt, in Bremen und Hamburg, höchstens die Kollegen hier, und die haben auch sehr vernünftige Anregungen in der Debatte gebracht. Was Sie hier sagen, das ist der Versuch, diese gemeinsame Arbeit, an der Ihnen doch so liegt, wie der Herr Bundesinnenminister gesagt hat, auch noch politisch abzuwerten.
Statt daß Sie einmal von den Beschlüssen des Parteivorstandes und des Parteirates der SPD zum zivilen Bevölkerungsschutz gesprochen hätten, die in grundsätzlicher Weise die gesamten Fragen-komplexe aufgezählt haben, um die es geht, haben Sie sich mit vereinzelten negativen Dingen beschäftigt, um auf diese Weise der Debatte einen bestimmten Akzent zu geben. Damit wird der Sache sicherlich nicht gedient. Gedient wird ihr nur, wenn wir uns hier bemühen, gemeinsam all die Vorurteile, von denen Sie selbst gesprochen haben, abzubauen, die sehr weit über den Kreis von sozialdemokratischen Wählern hinaus vorhanden sind, und daß sie vorhanden sind, können und wollen doch auch Sie nicht bestreiten.Es ist hier gesagt worden, es sei doch wohl schon viel geschehen. Nun, ich habe hier einen kurzen Überblick über die Bundesfinanzen, aus dem hervorgeht, daß der Bund in zwei Dingen in den Aus- im Rückstand ist. Da sind zunächst die Anleihen. Der Bund braucht das Geld nicht, sondern er finangaben oder in der Erfüllung der Aufgaben ziert aus dem ordentlichen Haushalt auch den außerordentlichen Haushalt. Da sind zweitens die Ausgaben für den zivilen Bevölkerungsschutz. Im Durchschnitt ist in den letzten Jahren praktisch immer nur die Hälfte der Mittel ausgegeben worden. Die vielen Rechenkunststückchen, die Sie dem Bundestag heute abend vorgemacht haben, hätten Sie sich sparen können, weil sie die Wirklichkeit doch nicht wiedergeben, weil ein wesentlicher Teil der Mittel gar nicht ausgegeben worden ist. Ich würde Sie also herzlich bitten, hier mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben und sich nicht in Zahlenakrobatik zu begeben, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird.Meine Damen und Herren, wir können nicht mit dem zufrieden sein, was war. Ich bin sehr froh, daß wir hier nach der Kollegin Lüders offensichtlich eine sehr wackere Mitstreiterin in diesen Fragen bekommen haben, und ich hoffe, daß wir vor allem auch beim Zivildienstgesetz mit freundlicher Unterstützung von der anderen Seite des Hauses rechnen können.Sie haben den Professor Weizsäcker zitiert. Ich will Ihnen sagen, in diesen fünf Punkten steckt sehr viel drin, und da haben wir sehr viele Möglichkeiten, etwas zu tun. Das ist mit dem Einzelplan 36 noch nicht getan.Nun haben Sie gesagt: Die Entwicklung ist ständig im Fluß, und auch der Minister hat von der Entwicklung, die im Fluß ist — „panta rhei" — gesprochen. Aber bei den militärischen Anstrengungen ha-bei Sie, meine Damen und Herren, oft auch nicht gefragt, ob die Entwicklung noch im Fluß war, und da ist sehr viel Geld investiert worden, das vielleicht hätte gespart werden können, wenn man etwas sorgfältiger geplant hätte.Beim zivilen Bevölkerungsschutz sind Sie besonders ängstlich. Ich meine, Sie sollten auch hier einmal objektiv sehen, daß es in der Vergangenheit leider nicht so gemacht worden ist, wie wir es gehofft und gewünscht hätten. Wir wollen uns gemeinsam bemühen. Aber diesem Bemühen haben Sie heute abend mit dem Versuch, die Bemühungen in den sozialdemokratisch regierten Ländern abzuwerten, sicher nicht gedient. Sie haben im Gegenteil versucht, in diese Stunde noch eine Auseinandersetzung hineinzubringen, die wirklich nicht notwendig ist, die durch die Sache nicht gerechtfertigt ist und die der Förderung des zivilen Bevölkerungsschutzes nicht dient.
Keine weiteren Wortmeldungen.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 57. Kann im ganzen abgestimmt werden?
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 57 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich stelle den Einzelplan 36 in unveränderter Fassung des Ausschusses zur Abstimmung. Wer Einzelplan 36 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? —
— Meine Damen und Herren, so etwas kommt ja vor. Wir wollen die Abstimmung wiederholen. Wer Einzelplan 36 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Enthaltungen ist Einzelplan 36 angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt auf:Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen .Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Jürgensen, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Metadaten/Kopzeile:
888 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Präsident D. Dr. GerstenmaierAllgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.Wer Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — 08 ist angenommen.Ich verbinde damit die Beratung des Einzelplans 33:Einzelplan 33 — Versorgung .Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Seidel , ob er dazu das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich bedanke mich.Ich eröffne die Aussprache zum Einzelplan 33. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Einzelplan 33 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt II/15:Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen .Das Wort hat die Berichterstatterin, Frau Krappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesministerium für Gesundheitswesen ist bei der Neubildung der Bundesregierung zu Beginn der 4. Wahlperiode des Deutschen Bundestages errichtet worden. Auf Grund der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist das Ministerium zuständig für alle Fragen des Gesundheitswesens einschließlich der Reinhaltung der Luft, der Lärmbekämpfung, der Wassergüte, der Hygiene des Wassers und Abwassers, des Gesundheitsschutzes gegen die Gefahren ionisierender Strahlen sowie des Verbraucherschutzes vor Täuschung bei Arzneimitteln und Lebensmitteln.
Demgemäß gehen auf das Ministerium über:
Vom Bundesministerium des Innern die Abteilung Gesundheitswesen und das Bundesgesundheitsamt;
vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus dem Veterinärwesen die Zuständigkeit für Schlachtvieh- und Fleischbeschau, die Fragen der Hygiene, der Milch und Milcherzeugnisse, die gesundheitliche Ernährungsberatung;
vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die grundsätzlichen medizinischen Aufgaben der Prävention, der Rehabilitation, des Krankenhauswesens und des Bäderwesens aus den Gebieten der Versorgungs-, Sozial- und Arbeitmedizin, die Zuständigkeit für die medizinischen und gesundheitspolitischen Grundsatzfragen der Reinhaltung der Luft und der Lärmabwehr bei gewerblichen Anlagen gemäß besonderer Absprache;
die bisher im Bundesministerium für Atomkernenergie bearbeiteten Wasserangelegenheiten.
Die Übertragung der Stellen und Mittel auf den Einzelplan 15 ist zwischen den abgebenden Ministerien und dem Bundesministerium für Gesundheitswesen verhandelt und die Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen gemäß dem Entwurf des Haushaltsgesetzes 1962 beantragt worden. Die abgebenden Ministerien haben inzwischen, von einigen strittigen Fällen abgesehen, über die noch Klärung erzielt werden muß, die Beamten, Angestellten und Arbeiter zum Bundesministerium für Gesundheitswesen abgeordnet und die allgemeinen Bewilligungen im wesentlichen schon dem neuen Ressort zur haushaltsmäßigen Bewirtschaftung zugewiesen.
Die Planung für den Aufbau des neuen Hauses wurde im Haushaltsausschuß beraten. Danach gliedert sich das Ministerium in zwei Abteilungen.
Die Abteilung I umfaßt im wesentlichen die beiden Unterabteilungen der früheren Abteilung Gesundheitswesen des Bundsministeriums des Innern. Die Unterabteilung A ist verstärkt worden um das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung übernommene Referat Arbeitsmedizin, Rehabilitation, Sozialmedizin und Verkehrsmedizin, die Unterabteilung B um das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten übernommene Referat Schlachtvieh- und Fleischbeschau.
Die neugebildete Abteilung II gliedert sich in die Gruppe A, Wasser, und die Gruppe B, Reinhaltung der Luft und Lärmbekämpfung. Die Gruppe Wasser ist vom Bundesminister für Atomenergie übernommen worden. Wegen der gesundheitspolitischen Zielsetzung soll sie um ein Referat Wasserhygiene erweitert werden. Die Gruppe B soll zunächst aus drei Referaten bestehen, wovon eines die Fragen der Reinhaltung der Luft, das zweite die der Lärmbekämpfung und das dritte die Rechtsfragen für diese Sondergebiete bearbeiten wird.
Schließlich erfordert das neuerrichtete Haus die Zubilligung der notwendigen Stellen für die Leitung und die Verwaltung. Die Verwaltungsaufgaben sollen in drei Referaten erfüllt werden.
Die Sachausgaben sind unter Berücksichtigung der von den abgebenden Ministerien zu übertragenden Beträge veranschlagt worden.
Die einmaligen Ausgaben ergeben sich aus der Neueinrichtung des Ministeriums.
Stellenveränderungen, die vom alten Ministerium angefordert waren, werden wie bei allen Ministerien nachträglich, im Mai/Juni, geprüft werden.
Es wird noch sehr zu prüfen sein, wo das Ministerium besser ausgestattet werden muß, wenn man wirklich dem Ministerium die Bedeutung zuerkennt, die es in der heutigen Zeit haben muß. Eine Fülle von dringlichen Problemen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens harren der Lösung.
Ich bitte im Namen des Haushaltsausschusses um Annahme des Einzelplans 15.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hubert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 889
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten .Sie, daß ich Sie trotz der späten Stunde noch einige Augenblicke aufhalte. Ich will keinen Antrag stellen, der den Bund heute finanziell belastet. Aber ich hoffe, daß meine Bemerkungen finanzielle Auswirkungen haben, wenn der Haushaltsausschuß nach der Osterpause noch einmal die Pläne, vor allen Dingen die Stellenpläne der Ministerien berät.
Dieses Ministerium ist in der Öffentlichkeit sehr begrüßt worden, weil der Mangel an Initiative bei der Bundesregierung auf gesundheitspolitischem Gebiet sehr beklagt worden ist. Die Bundesregierung hielt sich eng an den Art. 74 Nr. 19 GG. Alle gesundheitspolitischen Initiativen und Anregungen, die darüber hinausgingen, sind vom Parlament ausgegangen. Ich erinnere nur an .die hier verabschiedete Änderung der Gewerbeordnung und die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches bezüglich der Reinhaltung der Luft.
Die sozialdemokratische Forderung nach dem blauen Himmel an der Ruhr ist zuerst sehr vielem Spott begegnet. Dieser Spott hörte bald auf, als der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen in Amerika erlebte, daß es keineswegs notwendig ist, daß über Industriegebieten eine Dunstglocke lagert, die die Sonne verbirgt. Wir hatten also, so glaube ich, guten Grund zu der Annahme, daß die Errichtung eines Gesundheitsministeriums auf der Erkenntnis beruht, welche großen gesetzgeberischen Aufgaben auf den Gebieten der Reinhaltung von Wasser und Luft, der Lärmbekämpfung und der Ernährungshygiene der Bearbeitung und der Erledigung harren.
Inzwischen hat sich eine große Enttäuschung eingestellt. Denn das, was wir als Ministerium vorfinden, kann den gestellten Aufgaben keineswegs gerecht werden; Sie haben vorhin von der Berichterstatterin gehört, welch großen Umfang sie haben. Durch die Presse ist die Meldung gegangen, dem Ministerium seien 100 neue Stellen bewilligt worden. Wenn Sie dann näher zusehen, betreffen über 80 % dieser Stellen ,das Gerippe eines Ministeriums, einschließlich Putzfrauen und Kraftfahrer vom Minister- und Staatssekretärbüro, über Posteingang und -ausgang und Personalstelle und was es so alles in einem Ministerium zunächst gibt, was sicherlich auch nötig ist. Aber für die Sachaufgaben sind ganze 16 neue Stellen vorgesehen, obgleich es sich dabei um zwei ganz neue Gebiete handelt, die überhaupt noch nicht im Bunde behandelt worden sind, nämlich die Reinlhaltung der Luft und die Lärmbekämpfung.
Wenn man weiter feststellt, daß für die übrigen umfangreichen Aufgaben nur 7 neue Stellen — einschließlich des höheren und des mittleren Dienstes — vorgesehen sind, dann fragt man sich, wie damit eine erfolgreiche Arbeit möglich sein kann.
Ich frage mich auch: glaubt jemand wirklich, daß
man für eine BAT-III-Stelle eine geeignete Persönlichkeit gewinnt, die einen Gesetzentwurf über die Milchhygiene, auf den wir dringend warten, vorlegt? Die Öffentlichkeitsarbeit auf dem Gebiete der Gesundheit, besonders die Aufklärung über richtige Ernährungsweise, ist immer mehr ein dringendes Bedürfnis. Dafür sind zwar Mittel eingesetzt, aber diese Mittel bedürfen auch der Menschen, um sie sinnvoll zu verwenden. Wir möchten nicht so dilettantische Aufklärung erleben, wie etwa auf dem Gebiete des Luftschutzes.
Die Bundesregierung wird auf die Dauer auch nicht an dem Krankenhausproblem vorbeigehen können. Der zunehmende Mangel an Ärzten und Pflegekräften in ,den kleinen und mittleren Krankenhäusern ist auf die Dauer eine Gefahr für unsere Kranken.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß man sich vom Bunde her auch überlegen muß, wie die Situation der freiberuflich tätigen Hebammen verbessert werden kann.
Eine ganze Reihe von Rechtsverordnungen auf dem Gebiete des Arzneimittelwesens und des Lebensmittelrechtes harren immer noch der Erledigung. Ich möchte am Rande meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß die Konservierungsmittel für Fischkonserven, die nicht ganz unbedenklich sind, noch einmal zugelassen worden sind. Ich möchte dabei sehr hoffen, wobei ich auch mit der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums rechne, daß es nun das letztemal gewesen ist, daß eine Verlängerung ausgesprochen worden ist.
Wir warten auch heute noch auf den Gesetzentwurf zur Reinhaltung der Luft, der laut eines Antrages vom 15. Juni 1961 nach einstimmigem Beschluß des Bundestages eigentlich bis zum Ende dieses Jahres von der Bundesregierung diesem Hause vorgelegt werden sollte.
Ich glaube, die Vorstellung, die sich die Offentlichkeit davon gemacht hat, warum wir nun in diesem 4. Bundestag ein Bundesgesundheitsministerium erhalten haben, weichen ziemlich von der Vorstellung ab, die die Bundesregierung selbst zu haben scheint. Sonst könnte sie dieses Ministerium nicht in der Weise ausgestattet haben, wie es der Fall ist. Wir sehen die Aufgaben des Schutzes der Bevölkerung vor den Gefahren der Umwelt- und Arbeitsbedingungen der heutigen Zeit für vordringlich an. Wir glauben nicht, daß sie erfüllt werden können, so wie dies Ministerium ausgerüstet ist. Wir sind nicht in der Lage, diesem Einzelplan zuzustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Änderungsanträge liegen nicht vor.Wer dem Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 15 ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
890 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
— Ich bedanke mich. Der Herr Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen.
Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 52. Wird zur Begründung dieses Änderungsantrages das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Bazille.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 891
— Es ist ein sehr starker Vorwurf, Herr Kollege Vogel, und er bedarf natürlich der sorgfältigen Begründung, die ich dem Hause nicht vorenthalten will. Der Vorwurf wiegt auch deshalb noch besonders schwer, weil man nicht annehmen kann, daß die zuständigen Beamten im Bundesministerium für Arbeit und im Bundesministerium der Finanzen über so wenig Sachkenntnis verfügen, daß sie nicht imstande sind, etwaige Irrtümer bei der Berechnung auszumerzen.Ich beschränke mich auf das Gebiet der Witwenversorgung. Dort sind Zahlen ausgewiesen, bei denen der Fachmann auf den ersten Blick erkennt, daß sie nicht stimmen können. Der Ansatz für 1962 liegt nur um 4 Millionen DM unter dem Ist-Ergebnis des Jahres 1961. In dieser Differenz kommt nicht einmal der Rückgang der Zahl der versorgungsberechtigten Witwen zum Ausdruck. Man läßt ganz außer acht, daß im Haushaltsjahr 1961 erhebliche Nachzahlungen für das Jahr 1960 zu leisten waren. Ferner läßt der Ansatz unberücksichtigt, daß sich die Ausgleichsrenten im Jahre 1962 wegen der gesetzlichen Anrechnungsbestimmungen deshalb erheblich verringern müssen, weil wieder eine Erhöhung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung eingetreten ist und weil sich das Arbeitseinkommen der Versorgungsempfänger infolge der Lohnerhöhungen vermehrt hat. Diese Erscheinungen müssen aber automatisch zu einer erheblichen Senkung der Ausgleichsrenten führen. Diese Senkung ist im Bundeshaushalt nicht ausgewiesen, woraus sich erweist, daß auch dieser Ansatz erneut zu hoch geschätzt ist und zu erheblichen Einsparungen im Etat führen muß.Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Haushalt manipuliert ist mit dem Ziel, einen höheren Ansatz im Soll auszuweisen, als tatsächlich auf Grund der bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen in der Kriegsopferversorgung ausgegeben werden kann. Ich habe deshalb die Frage an die Bundesregierung zu richten, wie lange sie dem Hause dieses unwürdige Spiel mit Zahlen zuzumuten gedenkt, hinter denen sich die Lebensschicksale von Millionen Mitbürger verbergen, die für die Allgemeinheit die größten persönlichen Opfer gebracht haben. Es erscheint mir dringend geboten, daß der Haushaltsausschuß einmal gemeinsam mit dem Kriegsopferausschuß das Kap. 1100 Tit. 300 einer sorgfältigen Durchforstung unterwirft, damit Ansatzpunkte dafür gewonnen werden, welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung noch in diesem Haushalt stecken.Aber wie immer auch das Ergebnis dieser Durchforstung ausfallen wird, wir Sozialdemokraten sind der Aufassung, die bereits mein Fraktionsfreund Erwin Schoettle in der ersten Lesung des Haushalts bekanntgegeben hat, daß noch in diesem Haushaltsjahr innerhalb der Kriegsopferversorgung etwas Zusätzliches getan werden muß. Dabei versteifen wir uns nicht auf den Inhalt der von uns ergriffenen Gesetzesinitiative, sondern sind bereit, über jede Form einer Weiterentwicklung des Versorgungsrechts mit uns reden zu lassen. Die Fortentwicklung halten wir aber für politisch unumgänglich.Deshalb schlägt meine Fraktion vor, im Haushalt einen Tit. 300 a in Kap. 11 00, Kriegsopferversorgung, zu schaffen und diesen Titel mit 160 Millionen DM auszustatten. Dieser Betrag entspricht den Schätzungen der Länder bezüglich der Steuermehreinnahmen des Bundes in diesem Rechnungsjahr. Die sozialdemokratischen Finanzexperten haben die Schätzungen der Länder und die Schätzungen des Bundesfinanzministers einander gegenübergestellt und kritisch geprüft. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die von den Ländern vertretene Meinung die realistischere ist und daß daher zu erwarten ist, daß in diesem Jahr ein Mehr an Einnahmen in Höhe von 160 Millionen DM eintreten wird. Wir sind der Auffassung, daß dieses Mehr von 160 Millionen DM für die Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung in den Haushalt eingestellt werden soll.Ich bitte deshalb das Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen. Herr Abgeordneter Bazille hat den Ausdruck gebraucht, daß die Bundesregierung hier mit Zahlen jongliere, daß hier falsche Berechnungen aufgemacht würden. Dazu habe ich nur folgendes zu sagen.Was wir auf Grund des derzeitig geltenden Kriegsopfer-Versorgungsrechts zu leisten haben, läßt sich mit ziemlicher Genauigkeit ermitteln: die
Metadaten/Kopzeile:
892 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Bundesminister BlankAnsätze stehen im Etat, und, meine sehr verehrten Damen und Herren, rückschauend über viele Jahre können Sie feststellen, daß sich im wesentlichen die Ansätze mit den späteren IstAusgaben gedeckt haben. Haargenau wird das allerdings niemals stimmen.Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, Herr Kollege Bazille, wenn Sie bei der Begründung Ihres Antrags dem Hohen Hause Kenntnis davon gegeben hätten, was ich, nicht als die Meinung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, sondern als die Meinung der Bundesregierung im Kriegsopferausschuß, zu dieser Gesetzesvorlage, die von Ihrer Fraktion kam und für die Sie heute die Einstellung von 160 Millionen DM fordern, damals gesagt habe. Ich will angesichts der späten Zeit dem Hohen Hause nicht zumuten, sich noch einmal das verlesen zu lassen. Ich will nur aus dieser damaligen Erklärung sagen, daß sie mit dem Satz schloß:Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit Vorschläge über die Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes ausarbeiten.Ich darf noch hinzufügen, daß ich vorher da ausgeführt hatte, daß wir natürlich erst die Erfahrung des letzten Neuordnungsgesetzes völlig müßten überschauen können und daß dies vielleicht — Sie fragten mich danach — etwa Ende des Jahres oder zu Beginn des neuen Jahres möglich sein würde. Die Bundesregierung wird dann zu gegebener Zeit die Neuordnungspläne vorlegen. Jetzt und in diesem Augenblick brauchen wir im Haushalt natürlich keine anderen Summen als die, die erforderlich sind, um die Ansprüche der Kriegsopfer nach dem gegenwärtig von Ihnen mitbeschlossenen, einstimmig beschlossenen geltenden Kriegsopferrecht zu erfüllen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur etwas richtigstellen. Es sind hier Vorwürfe erhoben worden, dazu noch in einer meiner Überzeugung nach und der Überzeugung meiner Freunde nach reichlich überspitzten und sehr hochgespielten Form, die einfach einer ernsthaften Prüfung nicht standhalten, Herr Kollege Bazille.
Bis jetzt ist es die einhellige Auffassung des Haushaltsausschusses gewiesen, und in einer der letzten Sitzungen haben sich auch Ihre Freunde dieser Auffassung angeschlossen, daß nicht existierende Gesetze unmöglich im Haushaltsausschuß schon verankert werden können, und daß wir infolgedessen noch gar nicht in der Lage sind, Ansätze für etwas zu schaffen, das noch nicht in der Welt ist. Wir könnten deshalb nicht anders verfahren, als wie wir in der Vergangenheit verfuhren. Deswegen sind die Vorwürfe, die Sie an uns und an die Regierung richten, völlig verfehlt. Wenn Gesetze beschlossen sind, ist die Regierung verpflichtet, dafür zu sorgen,
eine Vorlage zu machen und dem Hause auch die Deckung dafür nachzuweisen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schellenberg?
Ja, bitte.
Herr Kollege Dr. Vogel, ist Ihnen bekannt, daß im letzten Haushalt beispielsweise für das Kindergeldkassengesetz oder in einem vorhergegangenen Haushalt für das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuordnungsgesetz solche Posten in den Etat eingesetzt wurden, ohne daß bereits ,ein Gesetz vom Hause verabschiedet war?
Ich glaube, das war aber in einem weitaus vorgeschrittenerem Stadium, als das hier der Fall ist.
Ich möchte noch ein weiteres hinzufügen. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen hier versucht, auch nachzuprüfen, was an Angaben durch die Regierung vorgelegt wird. Ich glaube, und ich möchte mich dabei ausdrücklich vor das Arbeitsministerium stellen, daß Vorwürfe, wie sie hier erhoben werden: ein Ministerium lege bewußt falsche Zahlen vor, unter keinen Umständen hingenommen werden können. Ich weise derartige Vorwürfe, die auch nicht hinreichend begründet worden sind, zurück.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Storch.Storch ) : Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe diesen Antrag wirklich nicht. Wir haben hier einen Haushalt für das Jahr 1962 auf der Basis der heute bestehenden Gesetze festzulegen. Wenn wir in der nächsten Zukunft eine Fortentwicklung des Kriegsopferversorgungsrechts wollen, so wissen wir doch genau, daß, wenn ein derartiger Vorschlag über den Kriegsopferausschuß an das Parlament kommt, man sich genau ausrechnen kann und auch ausrechnen muß, was diese Vorlage kosten soll.Wenn wir heute dazu übergingen Ihrem Antrag entsprechend 160 Millionen DM zusätzlich in den Etat einzusetzen, dann wäre die ganz natürliche Folge, daß man wehr übereilt daran ginge, die Leistungen zu erhöhen; und wenn man nachher fertig wäre, würde man wahrscheinlich feststellen, daß man die Gelder an den verkehrten Stellen eingesetzt hat.Es ist im Ausschuß ganz klar nicht nur vom Minister für Arbeit und Sozialordnung, sondern auch vom Minister der Finanzen gesagt worden, daß es der ernste Wille der Bundesregierung ist, dafür zu sorgen, daß das Kriegsopferversorgungsrecht weiterentwickelt wird.Zur Zeit sind wir in der Durchführung der letzten gesetzlichen Neugestaltung, und man sollte doch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 893
Storchweiß Gott erst einmal die praktischen Auswirkungen der letzten gesetzlichen Regelung klar übersehen können, um sich auf der dann gegebenen Basis mit der Frage zu beschäftigen: Wo fehlt es am Notwendigen?Ich bin der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir verpflichtet sind, hier in aller Offenheit zu sagen: wir lassen uns von der Regel und von der Ordnung der Haushaltsführung nicht abbringen, daß die Ansätze immer auf der Basis der gegebenen rechtlichen Dinge erfolgen müssen.Wenn dann gesagt worden ist, man habe in den letzten Jahren eine halbe Milliarde eingespart, so ist das doch gar nicht richtig, Herr Kollege Bazille. Man kann doch nur dann etwas einsparen, wenn man die Leistungen für den einzelnen heruntersetzt. Das ist aber gar nicht geschehen. Die Minderausgaben gegenüber dem Haushaltsansatz haben sich dadurch ergeben, daß die Zahl der Anspruchsberechtigten gefallen ist. Das kann man nicht immer genau voraussagen. Aber in der Zeit, als ich der verantwortliche Minister für diese Dinge war, habe ich immer dafür gesorgt, daß der Haushaltsansatz so hoch war, daß wir niemals in irgendwelche Schwierigkeiten bei den Leistungen an die einzelnen Beschädigten kommen konnten; und das wird auch die Grundlage für die Tätigkeit meines Nachfolgers gewesen sein. Ich bin der Meinung, daß die Leistungen aus der Kriegsopferversorgung letzten Endes persönliche Ansprüche der einzelnen Kriegsbeschädigten, der Hinterbliebenen usw. sind; und die müssen sowieso, selbst wenn dabei der Haushaltsansatz überschritten würde, gegeben werden. Wenn nun in Wirklichkeit, wie es jetzt der Fall ist, mit einer jährlichen Minderung der Bezugsberechtigten um ungefähr 140 000 bis 150 000 Menschen gerechnet werden muß, werden diese Lasten für uns leichter. Als damals die Arbeitslosigkeit zurückging, ist es niemandem in diesem Hause eingefallen, zu sagen, daß die verbleibenden Arbeitslosen das, was dadurch erspart wurde, zusätzlich bekommen sollten.
Ihre Rechtsansprüche waren gesichert, und sie wurden auf jeden Fall befriedigt.Ich bin deshalb der Meinung, daß wir diesen Antrag schon aus haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten ablehnen sollten. Das bedeutet gar nicht, daß wir in der christlich-demokratischen Fraktion und daß wahrscheinlich auch unsere Koalitionspartner nicht fest gewillt seien, uns die Notwendigkeiten in der Kriegsopferversorgung ständig vor Augen zu halten und das zu tun, was in Wirklichkeit im Interesse dieser Menschen notwendig ist. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Bazille, Sie haben gesagt, daß die Mehrheitsfraktionen nicht gewillt seien, die Belange der Kriegsopfer gebührend zu 'berücksichtigen. Das schmerzt mich etwas, denn Sie wissen ganz genau, daß wir von der FDP uns immer bemüht haben, alles zu tun, was in unseren Kräften stand, um die Kriegsopferversorgung auf einen Status zu bringen, der ihr angemessen ist. Die Gründe, weshalb es in diesem Haushaltsjahr nicht möglich ist, haben wir im Ausschuß genügend besprochen. Sie wissen, daß es nicht frivole Ansichten unserer Seite gewesen sind, sondern daß es ganz massive finanzielle Gründe waren, aus denen heraus wir einfach nicht so konnten, wie wir wollten,
Außerdem — das hat der Bundesarbeitsminister eindeutig vorgetragen — liegen Erfahrungen mit dem Ersten Neuordnungsgesetz noch nicht in dem Umfange vor, wie es für ein Zweites Neuordnungsgesetz notwendig ist. Ich bin nämlich der Meinung — und das habe ich gerade Ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht —, daß es nicht sehr sinnvoll ist, mit kleinen Beträgen jetzt ein wenig zu verbessern, sondern wir 'sind daran interessiert, daß das Zweite Neuordnungsgesetz mit einer weiteren Reform der Kriegsopferversorgung verbunden wird. Ich glaube, daß wir die Chancen dafür verringern, wenn wir ständig nur Teile verbessern, weil damit die Kriegsopferversorgung für die nächste Zeit von der Tagesordnung verschwindet. Das sind die Gründe dafür, daß wir für dieses Haushaltsjahr sagen: Wir werden nicht das tun können, was wir wollen, aber wir werden im Zweiten Neuordnungsgesetz eine entsprechende Regelung finden, die eine gute Weiterentwicklung — als Reform — bedeuten wird.
Lieber Herr Kollege Bazille, ich wäre Ihnen aber auch dankbar, wenn Sie dafür sorgen wollten, daß für die Kriegsopferversorgung mehr Mittel bereitgestellt werden können, indem das Sozialprodukt nicht durch Auswirkungen anderer Gesetze in Anspruch genommen wird. Man kann nicht mehr ausgeben, als man hat, und wenn man die Ansprüche an das Sozialprodukt auf anderen sozialen 'Bereichen ständig steigert, bleibt eben für die Kriegsopfer nichts übrig. Dafür zu sorgen, wäre eine gute Sache, wenn Sie den Kriegsopfern helfen wollen.
Frau Dr. Probst!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir einige Bemerkungen zu dem erlauben, was Herr Kollege Bazille geäußert hat. Es steht fest, daß die Ist- und die Soll-Zahlen für 1961 in der Kriegsopferversorgung nur um 25 Millionen DM differieren. Es ist also für die Ist- und die Soll-Zahlen des Jahres 1961 eine geradezu mathematische Übereinstimmung festzustellen.
Metadaten/Kopzeile:
894 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Frau Dr. ProbstIm übrigen, Herr Kollege Bazille, möchte ich daran erinnern, daß das Bundesversorgungsgesetz von den Ländern durchgeführt wird. Wie wir wissen, gibt es einige Ministerpräsidenten, die aus der Sozialdemokratischen Partei hervorgegangen sind.
Ich möchte also bitten, daß der Herr Kollege Bazille seine Vorwürfe auch an die Adresse dieser Kollegen aus der eigenen Partei richtet, wenn er sie überhaupt aufrechterhalten will. Diese Vorwürfe könnten dazu führen, das Vertrauen der Kriegsopfer zu den Verwaltungsstellen in den Ländern und im Bund zu unterminieren. Ich weise diese Vorwürfe aus der Sachkenntnis im einzelnen zurück. Ich muß es bedauern, daß dieser Ton hereingetragen wird auf einem Gebiet, das wir bis jetzt in diesem Bundestag immer aus der parteipolitischen Polemik herausgehalten haben.
Ich bin der Meinung, daß wir weiterhin an dieser Tradition des Hauses festhalten sollten.
Ich möchte im übrigen zu dem Antrag des Herrn Kollegen Rutschke sagen, daß er genau den Anträgen unserer Kollegen im Haushaltsausschuß entspricht; sie sind bereits von unserer Fraktion gestellt worden. Wir stimmen vollinhaltlich zu, und wir möchten in diesem Sinne das ganze Haus bitten, diesem Antrag die Zustimmung zu geben.
Frau Kollegin Probst, Sie haben jetzt gesprochen zu dem Antrag Umdruck 69, der noch nicht aufgerufen und noch nicht begründet ist.
Ich möchte jetzt erst einmal die Beratung des Änderungsantrags Umdruck 52 zu Ende führen.
Dazu hat noch das Wort der Herr Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde in dieser vorgeschrittenen Stunde nicht noch einmal ums Wort gebeten haben, wenn nicht sowohl der Herr Kollege Dr. Vogel als auch Frau Dr. Probst und Herr Dr. Rutschke den Vorwurf erhoben hätten, meine Ausführungen seien Ausfluß einer Parteipolemik. Ich habe hier nichts anderes festgestellt, als daß die Bundesregierung die Ansätze für das, was für die Durchführung der verschiedenen Gesetze zur Versorgung der Kriegsopfer benötigt wird, in einem Ausmaß überhöht hat, daß man von Fehlschätzungen auch beim besten Willen nicht mehr reden kann, insbesondere dann nicht, wenn man erkennen mußte, daß in diesem Haushaltsplan, den wir jetzt beraten, Fehlerquoten enthalten sind, die man schon bei oberflächlicher Betrachtung entlarven kann. Es handelt sich um Zahlen und nicht um Parteipolemik. Ich bin jederzeit gerne bereit, Ihnen die Zahlen, die die wissenschaftliche Abteilung des Hauses aus den Haushaltsplänen undaus den Abrechnungen ermittelt hat, einmal vorzulesen.Die Frau Kollegin Probst hat davon gesprochen, daß für das Haushaltsjahr 1961 mit einer solchen Präzision geschätzt worden sei, daß lediglich eine Differenz — zugunsten des Bundeshaushalts — von 23,7 Millionen DM entstanden ist. Das ist so genommen für das Haushaltsjahr 1961 richtig. Aber in der Kriegsopferversorgung können eben, wenn gesetzliche Veränderungen vorgenommen werden, die einzelnen Haushaltsjahre nicht für sich genommen werden. Das Bundesversorgungsgesetz ist im Jahre 1960 durch das Erste Neuordnungsgesetz geändert worden, und in den Haushalt 1960 hat die Bundesregierung für diese Gesetzesänderung ein Soll von 3128 Millionen DM hineingeschrieben. Dieses Soll ist im Haushaltsjahr 1960 vom Parlament bewilligt worden, und zwar vom Parlament bewilligt worden in voller Würdigung der Verantwortung gegenüber dem Volk und dem Staat.Im Haushaltsjahr 1960 konnten die Mittel, Frau Kollegin Probst, nicht deswegen nicht ausgegeben werden, weil die „bösen" Länder nicht bereit waren, den Kriegsbeschädigten schnell genug ihre Bescheide zu geben, sondern deswegen, weil das Bundesarbeitsministerium so lange gebraucht hat, bis die Rechtsverordnungen und die Verwaltungsvorschriften, ohne die nun einmal die Landesbehörden nicht arbeiten können, zu diesem Gesetz ergangen waren. Weil infolge des langen Hinauszögerns der Rechtsverordnungen und der Verwaltungsvorschriften die Rentenbescheide im Jahre 1960 nicht erteilt werden konnten, ist in der Ausgabe ein Minus-Betrag von rund 200 Millionen DM entstanden.Der Haushaltsansatz des Jahres 1961 enthält in Wahrheit nicht die Ausgaben, die in diesem einen Rechnungsjahr entstanden sind, sondern er enthält zugleich die Ausgaben, die durch die Nachzahlungen von sieben Monatsrenten im Haushaltsjahr 1960 entstanden sind. Deswegen ist die Gegenüberstellung der Ist-Ziffern von 1961 und der Soll-Ziffern des Jahres 1962 wieder grundsätzlich falsch. Dieser Vergleich ist nicht möglich. Die Ist-Ziffer von 1961 enthält 19 Monatsrenten, während die Soll-Ziffer des Jahres 1962 normaliter — in mehr als 90 % aller Fälle — eben nur 12 Monatsrenten enthält. Das mußte aber das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bei der Erstellung dieses Haulshaltsplanes wissen. Es mußte wissen, inwieweit die Länder — es hat ja die entsprechenden Unterlagen der Länder — das Erste Neuordnungsgesetz durchgeführt haben.Meine Damen und Herren, Sie sagen immer, das Erste Neuordnungsgesetz sei noch nichtdurchgeführt und die Erfahrungen lägen noch nicht vor. Ich muß Ihnen sagen, daß das Erste Neuordnungsgesetz nach den Feststellungen der Länder zu rund 90 % durchgeführt ist. Wenn Sie warten wollen, bis es zu 100 % durchgeführt ist — einschließlich der Berufungen und Prozesse vor den Sozialgerichten, den Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht —, können Sie unter Umständen noch fünf Jahre warten.Nicht wir Sozialdemokraten haben vor der Wahl die Ankündigungen gemacht, die ich vorhin zitiert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 895
Bazillehabe. Nicht wir haben gesagt, daß das Bundesversorgungsgesetz unverzüglich und vordringlich im 4. Deutschen Bundestag behandelt werden müsse. Was verstehen Sie runter „unverzüglich", und was verstehen Sie unter „vordringlich"? Daß, wie es der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede bei der Einbringung des Etats dargestellt hat, die Kriegsopfer frühestens im Jahre 1964 mit einer Leistungsverbesserung rechnen können? Verstehen Sie das unter „vordringlich", verstehen Sie das unter „unverzüglich"? Muten Sie uns zu, daß wir die Gemeinsamkeit so weit treiben, daß wir derartige Enttäuschungen bei den Kriegsopfern politisch mitverantworten und mittragen? Nein, meine Damen und Herren, das können Sie von uns nicht erwarten! Bitte, Herr Kollege Vogel, wir sind gern bereit, alle diese Zahlen im Kriegsopferhaushalt einmal gemeinsam mit Ihnen zu durchleuchten und Ihnen nachzuweisen, welche Reserven auch im gegenwärtigen Haushalt noch enthalten sind, um mindestens einige der schlimmsten Härten, die jetzt noch immer wieder beim Tode junger Soldaten der Bundeswehr auftreten, beseitigen zu können und diesen unwürdigen Zustand abzustellen, daß der Bundeswehrverband jedesmal sammeln muß, wenn ein junger Soldat zu Tode kommt.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Die Methode, die wir hier vorschlagen, vorsorglich einen Betrag von 160 Millionen DM für die Fortentwicklung des Kriegsopferrechts noch in diesem Haushaltsjahr einzustellen, haben wir Sozialdemokraten nicht erfunden. Die haben wir von der Bundesregierung übernommen, die in den vergangenen Haushaltsjahren immer dann so verfahren ist, wenn Gesetzesvorhaben zwar geplant, aber noch nicht konkretisiert waren, wenn sie also noch in der Schublade der Bundesregierung lagen und den gesetzgebenden Körperschaften noch nicht zugeleitet waren. In solchen Fällen hat die Bundesregierung trotzdem dem Bundestag entsprechende Erhöhungen des Etats vorgeschlagen, um im Laufe des Haushaltsjahres für diese noch im Stadium der Vorberatung befindlichen Gesetze die Haushaltsdeckung zu besorgen. Und nun, wenn es die ,Opposition macht, soll es auf einmal falsch sein? Meine Damen und Herren, das ist eine Moral mit doppeltem Baden!
Das Wort hat der Abgeordnete Maier .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil der Kollege Bazille nicht zum erstenmal in dieser Weise zu diesen Fragen Stellung nimmt, will ich doch noch eines sagen. Wir haben leider immer wieder das gleiche erlebt, nämlich das Klagen und das Anklagen. Wenn aber die Dinge dann im Kriegsopferausschuß behandelt wurden, wurde zum Schluß immer ein Ergebnis erzielt, dem der Ausschuß und das Plenum völlig einmütig zustimmten.
Ich meine deswegen, Kollege Bazille, bei allem Verständnis dafür, daß Sie nun auch als Beschädig-
ter selbst für Ihre Kollegen das Interesse haben, daß wir nun schnell an die Erledigung dieser Materie gehen, müßten Sie auf der anderen Seite angesichts all der Gründe, die hier angeführt worden sind, Verständnis dafür haben, daß wir in dieser Frage noch Geduld an den Tag legen müssen. An dem guten Willen, diese Dinge so zu regeln, daß die Kriegsopfer und die Kriegsopferverbände zufrieden sein kännten, hat es, glaube ich, in der Vergangenheit nicht gemangelt und wird es auch künftig nicht mangeln.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einen Satz möchte ich zur Klarstellung sagen. Herr Kollege Bazille, Sie haben gesagt, der Herr Bundesfinanzminister habe in seiner Haushaltsrede behauptet, daß im Jahre 1964 mit einer Verbesserung der Kriegsopferrenten zu rechnen sei. Ich habe gerade diese Stelle noch einmal nachgelesen. In der Haushaltsrede steht kein Wort vom Jahre 1964, und Sie wissen auch selber aus den Ausschußberatungen, daß der Herr Bundesfinanzminister während der Ausschußberatungen eine Verbesserung für das nächste Jahr in Aussicht gestellt hat.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 52 ist damit geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag Umdruck 52 ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Antrag zum gleichen Kapitel, Umdruck 69 — er ist inzwischen verteilt worden —, Änderungsantrag des Abgeordnete Dr. Rutschke.
Das Wort hat Herr Dr. Ruschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon meine Kollegin Frau Dr. Probst gesagt hat, handelt es sich hier um die Deckung des notwendigen Bedarfs für die Kapitalabfindung innerhalb des Tit. 300 im Einzelplan 10. Es ist zwar richtig, daß schon im Haushaltsausschuß hierzu Überlegungen angestellt worden sind, die sich auch dahin verdichtet haben, daß man diesen Titel wahrscheinlich genügend bedienen kann, aber ich halte es für notwendig und gut, wenn wir es auch in dem ursprünglichen Entwurf so ändern, wie ich Ihnen das in dem Änderungsantrag Umdruck 69 vorgeschlagen habe. Ich wäre Ihnen dankbar, meine verehrten Damen und Herren von der SPD, wenn auch Sie dem Antrag zustimmen würden. Ich habe keinen Zweifel, daß Sie es tun werden.
Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 69 des Abgeordneten Rutschke von der Fraktion der FDP. Wer zustimmen will, den
Metadaten/Kopzeile:
896 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Präsident D. Dr. Gerstenmaierbitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Änderungsantrag der SPD Umdruck 59! Wird zur Begründung das Wort gewünscht? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Haushaltsausschuß hat im Kap. 11 02 Tit 604 den Zuschuß von 25 000 DM für den Verein „Aktion das sichere Haus" gestrichen. Meine Fraktion stellt auf Umdruck 59 den Antrag, diesen Betrag wieder einzusetzen, d. h. die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Die Sozialpolitiker meiner Fraktion waren der Meinung, daß es notwendig ist, die Arbeit dieses Vereins wegen der Bedeutung seiner Aufgaben auch vom Bund her zu unterstützen und hier finanziell zu helfen.
Zur Begründung unseres Antrags und zum Tatbestand möchte ich folgendes sagen. 1954 hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindlichen Unfallversicherungsträger die „Aktion das sichere Haus" geschaffen, um die Bemühungen um die notwendige Unfallverhütung auch in die Haushalte hineinzutragen. In den Erläuterungen der Bundesregierung zu diesem Etattitel, der die Zuschüsse vorsah, heißt es:
Die überaus hohe Zahl von Unfällen im häuslichen Bereich erfordert dringend Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung über die Unfallgefahren in der Hauswirtschaft und ihre Verhütung. ... Der ... Verein „Aktion ,das sichere Haus" ... hat sich deshalb die Aufgabe gestellt, aufklärend und werbend für die Verbreitung des Sicherheitsgedankens in der Hauswirtschaft zu arbeiten.
Wir alle wissen, meine Damen und Herren, daß die Bestrebungen, Unfälle in der gewerblichen Wirtschaft und in der Landwirtschaft zu verhüten, bereits im vorigen Jahrhundert eingesetzt haben. Das ist eine Aufgabe der Berufsgenossenschaften, die immer weiter ausgebaut werden mußte, damit Unfälle im Betrieb vermieden werden. Wir alle wissen auch, daß für die Verhütung von Verkehrsunfällen bei der enormen Entwicklung unseres Verkehrs immer mehr getan werden muß und auch getan wird. Dagegen ist für die Unfallverhütung im Haushalt bis vor wenigen Jahren, nämlich bis zur Grüdung der „Aktion das sichere Haus", eigentlich überhaupt nichts getan worden, obwohl nach Aussagen der gemeindlichen Unfallversicherungsträger die tödlichen Unfälle im Haushalt rund ein Viertel bis ein Drittel aller tödlichen Unfälle bei uns ausmachen.
Angesichts dieser Situation sind wir der Meinung, daß auch der Bund diesen Tatbestand nicht einfach beiseite schieben kann und daß auch von Bundes wegen etwas geschehen muß, um die hohe Zahl der Unfälle im Haushalt einzudämmen.
Wir beraten — es ist bekannt — im Sozialpolitischen Ausschuß im Augenblick die Unfallversicherungsreform. Es ist die Meinung aller Fraktionen
— ich glaube, ich darf das für alle Fraktionen sagen —, daß einer der Schwerpunkte für die Arbeit der Berufsgenossenschaften die Unfallverhütung zu sein hat. Wir wissen alle, daß dabei Aufklärung und Belehrung neben anderen Faktoren eine große Rolle spielen.
Da die Hausfrauen nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind und nach dem Stand der Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß sehr wahrscheinlich auch keine Aussicht besteht, daß sie in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen werden, kann der gemeindliche Unfallversicherungsträger auch nicht von sich aus die gesamten Mittel für die Millionen Haushalte aufbringen, um in der Unfallverhütung tätig zu werden. Er ist keineswegs gesetzlich dazu verpflichtet, und er kann es von seiner Aufgabe her nur dort tun, wo versicherte Angestellte im Haushalt sind.
Wir beklagen seit Jahren immer wieder, und zwar mit Recht, die hohen Unfallzahlen in den Haushalten. Es besteht die Sorge, daß die fortschreitende Technisierung auch im Haushalt und die sich daraus ergebenden Gefahren diese Zahlen noch anwachsen lassen, so daß der Bund bereit sein müßte, etwas auf dem Gebiet der Unfallverhütung in den Haushalten zu tun. Dieser Aufgabe hat sich bisher ausschließlich die „Aktion das sichere Haus" angenommen.
Die Bundesregierung war mit ihrem Vorschlag ursprünglich bereit, dem Verein durch einen Zuschuß von 25 000 DM finanziell zu helfen. Der Haushaltsausschuß hat diesen Zuschuß leider gestrichen, und wir beantragen, diesen Zuschuß von 25 000 DM wieder einzusetzen. Ich glaube, daß der Zuschuß, so gering er auch ist, diesem Verein in seiner Arbeit helfen wird. Er ist so niedrig, daß er unseren Haushalt ganz sicher nicht erschüttern wird.
Damit diesem Verein, der die einzige Institution in der Bundesrepublik ist, die die Unfallverhütung im Haushalt betreibt, geholfen wird, bitte ich Sie sehr herzlich, unserem Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mit ganz wenigen Sätzen gegen den Antrag Stellung nehmen. Ich hoffe trotzdem, die Mehrheit des Hauses für mich gewinnen zu können.
Wir verkennen wirklich nicht die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Durchführung einer Aktion zur Verhütung von Unfällen im häuslichen Bereich. Nicht die Geringschätzung dieser Aufgabe, Frau Kollegin Korspeter, die sich die Aktion „Das sichere Haus" gestellt hat, und auch nicht die Größenordnung von 25 000 DM haben den Haushaltsausschuß veranlaßt, diesen Ansatz einstimmig zu streichen. Wir haben uns vielmehr einfach die Frage vorge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962 897
Dr. Götzlegt, ob dies wirklich eine Aufgabe ist, zu deren Durchführung vom Bund Zuschüsse geleistet werden sollten. Wir haben uns im Haushaltsausschuß mit der gleichen Frage schon im Jahre 1960 befaßt. Wir haben damals nach eingehender Beratung den gleichen Ansatz einstimmig abgelehnt, und dieses Haus hat sich dem einmütig angeschlossen.Wir haben die Frage jetzt erneut geprüft. Wir haben feststellen müssen, daß neue Argumente für einen solchen Ansatz nicht vorgebracht werden konnten, und kamen schließlich wiederum einstimmig zu seiner Ablehnung. Wir sollten doch der etwas eigenartigen Übung, die in der Bundesrepublik eingerissen ist, nämlich einen Verein zu gründen, ihm eine Zweckbestimmung zu geben und als dritten Schritt vom Bund Mittel für die Finanzierung der Zweckbestimmung zu verlangen, Einhalt gebieten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine weiteren Wortmeldungen.Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 59. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag Umdruck 59 ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Wer dem Einzelplan 11 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich darf nun einiges zur weiteren Abwicklung unserer Geschäfte sagen. Wir wenden heute noch eine ganze Serie von Einzelplänen erledigen,
wobei ich hoffe, daß sich niemand mehr zu Wort meldet,
nämlich die Einzelpläne 13, 19, 20, 24 27, 29, 32 und 35.Für morgen vormittag nach der Fragestunde sind notiert die Einzelpläne 14, 10 und 12. Zu allen dreien ist mir Debatte angekündigt worden.Am Dienstag werden verhandelt die Einzelpläne 4 — Bundeskanzleramt —, 5 — Auswärtiges Amt —, 23 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit —, 25 — Wohnungswesen —, 26 — Vertriebene —, 28 Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder —, 30 — Sonderministerium —, 31 — Atomministerium —, 60 Allgemeine Finanzverwaltung — und schließlich das Haushaltsgesetz.Ich rufe aufEinzelplan 13 — Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen .Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Der Herr Berichterstatter verzichtet.Wird sonst das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Soll das Ablehnung sein? Dreizehn, Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen! Wer ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 13 ist bei einer Reihe von Gegenstimmen angenommen.Ich rufe auf ,denEinzelplan 19 — Bundesverfassungsgericht .Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldung.Wer dem Einzelplan 19 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einzelplan 19 ist einstimmig angenommen.Ich rufe aufEinzelplan 20 — Bundesrechnungshof .Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Allgemeine Aussprache! — Keine Wortmeldung.Wer dem Einzelplan 20 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zumEinzelplan 24 — Geschäftsbereich des Bundesschatzministers .Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er .das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich eröffne .die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldung.Wer dem Einzelplan 24 — Geschäftsbereich des Bundesschatzministers — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einzelplan 24 ist angenommen.Ich rufe auf denEinzelplan 27 — Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen .Ich frage ,den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Herr Abgeordneter Hermsdorf verzichtet. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wind nicht gewünscht.Ich lasse über Einzelplan 27 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist Einzelplan 27 angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 29 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen .
Metadaten/Kopzeile:
898 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1962
Präsident D. Dr. GerstenmaierIch frage die Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Krappe, ob sie das Wort wünscht. — Die Berichterstatterin verzichtet.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Abstimmung über den Einzelplan 29 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen —. Wer zustimmen will, bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Einzelplan 29 angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 32 — Bundesschuld .Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. — Ich schließe die allgemeine Aussprache.Ich lasse abstimmen über den Einzelplan 32 — Bundesschuld —. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte .Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Mengelkamp, verzichtet. Danke schön.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Ich lasse abstimmen über den Einzelplan 35. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 35 ist einstimmig angenommen.Damit, meine Damen und Herren, haben wir die für heute vorgesehenen Einzelpläne erledigt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen vormittag, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.