Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Sitzungsbericht aufgenommen:
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft hat unter dem 6. Januar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Deist, Arendt und Fraktion der SPD betr. Krise im deutschen Eisenerzbergbau — Drucksache IV/51 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/128 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 15. Januar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Werner, Gewandt, Diebäcker und Genossen betr. Niederlassungsfreiheit deutscher Handelsfirmen in Indonesien — Drucksache IV/22 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/129 verteilt.
Zu der in der Fragestunde der 8. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Dezember 1961 gestellten Frage des Abgeordneten Lohmar betr. Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer bei den alliierten Streitkräften ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Schröder vom 18. Dezember 1961 eingegangen. Sie lautet:
Der Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages vom 4. Mai 1961, auf den sich Ihre Frage bezieht, sieht vor, sobald als möglich nach Artikel 82 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut auf eine weitere Annäherung des arbeitsrechtlichen Status der Arbeitnehmer bei den Streitkräften der Entsendestaaten an das deutsche Arbeitsrecht hinzuwirken.
Da das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch nicht in Kraft getreten ist, besteht zur Zeit keine Möglichkeit, von der in Artikel 82 des Zusatzabkommens vorgesehenen Revisionsmöglichkeit im Sinne Ihrer Frage Gebrauch zu machen.
Ein genauer Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Zusatzabkommens läßt sich noch nicht voraussagen. Wie Ihnen bekannt ist, kann die Bundesrepublik gemäß Art. 83 des Zusatzabkommens in Verbindung mit der Entschließung des Nordatlantikrates vom 5. Oktober 1955 ihre Beitrittsurkunde erst dann hinterlegen, wenn die übrigen Unterzeichnerstaaten ihre Genehmigungsurkunde zum Zusatzabkommen bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hinterlegt haben. Bisher haben
nur die Vereinigten Staaten von Amerika das Zusatzabkommen ratifiziert. Mit einer Ratifizierung durch die Republik Frankreich und durch Kanada ist in Kürze zu rechnen. Im übrigen steht die Bundesregierung mit den hiesigen Botschaften der anderen Unterzeichnerstaaten sowie über die deutschen Botschaften mit den Regierungen der betreffenden Länder in ständiger Verbindung, um sie zu bitten, das ihnen Mögliche zu tun, eine baldige Zustimmung ihrer Parlamente herbeizuführen.
Wir treten in ,die Tagesordnung ein und beginnen mit der
Fragestunde .
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts; zunächst mit der Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth —:
Wann ist mit der Beendigung oder einer wesentlichen Einschränkung der Tätigkeit der durch den Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen errichteten Schiedskommission und des Internationalen Schiedsgerichts, das gemäß dem Londoner Schuldenabkommen eingerichtet ist, zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der Satzung der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland ist die Kommission, nach der der Herr Abgeordnete Atzenroth fragte, für die Dauer von 10 Jahren vom Inkrafttreten der Satzung an errichtet worden. Die Satzung ist am 5. Mai 1955 in Kraft getreten. Wenn auch die Möglichkeit besteht, daß der genannte Zeitraum von 10 Jahren durch Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den drei westlichen Regierungen verkürzt oder verlängert werden kann, so läßt sich im gegenwärtigen Zeitpunkt doch noch nicht sagen, ob es möglich sein wird, die Tätigkeit der Schiedskommission zu verkürzen, oder ob es erforderlich werden könnte, sie zu verlängern.
Bezüglich der beiden anderen Institutionen, nach denen der Herr Abgeordnete Atzenroth gefragt hat — des Schiedsgerichtshofs und der Gemischten Kommission für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 —, möchte ich folgendes antworten. Eine Dauer der Tätigkeit dieser Institutionen ist in dem Vertrage nicht vorgesehen. Da das Abkommen über deutsche Auslandsschulden noch nicht abgewickelt und im gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch nicht voraussehbar ist, wann dies ,der Fall sein wird, kann noch nicht übersehen werden, wann die Tätigkeit des Schiedsgerichtshofs und der Gemischten Kommission beendigt werden kann. Es muß dabei berücksichtigt werden, daß der Kreis der ursprünglich 21 Unterzeichnerstaaten des Londoner Schuldenabkommens sich durch den Beitritt weiterer Staaten inzwischen auf 34 Staaten erweitert hat und daß der Beitritt weiterer Staaten bevorsteht. Schiedsgerichtshof und Kommission bilden wesentliche Bestandteile des Abkommens.
Bine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!
Ist die Bundesregierung über den Umfang der bei den Kommissionen anfallenden Arbeiten unterrichtet und ist sie danach der Ansicht, daß eine Einschränkung vorläufig nicht möglich sei?
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216 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was die Schiedskommission nach dem Deutschland-Vertrag anlangt, so sind dort insgesamt 412 Fälle anhängig gewesen, von denen 177 erledigt und 235 noch nicht erledigt sind. Die Geschäftslage bei dieser Kommission ermöglicht es also im Augenblick noch nicht, Voraussagen darüber zu machen, wann ihre Tätigkeit sachlich zu einem Abschluß kommen könnte.
Was die beiden anderen Institutionen nach dem Londoner Schuldenabkommen anlangt, so ist dort der Arbeitsanfall wesentlich geringer gewesen; aber bei den beiden Institutionen muß berücksichtigt werden, daß sie, wie ich sagte, einen wesentlichen Bestandteil des Londoner Schuldenabkommens bilden, dem mittlerweile 34 Staaten beigetreten sind. Es bedürfte also einer Einigung sämtlicher 34 Partner, um eine Änderung des bestehenden Zustandes herbeizuführen. Dafür bestehen nach Auffassung der Bundesregierung im Augenblick die Voraussetzungen noch nicht.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth!
Isst der Bundesregierung bekannt, daß das bei diesen Kommissionen beschäftigte deutsche Personal nur zu einem Bruchteil ausgelastet ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß diejenigen, die bei der Schiedskommision für Güter, Rechte und Interessen tätig sind, auf Grund des doch wirklich beträchtlichen Geschäftsanfalls voll beschäftigt sein werden. Hinsichtlich der beiden Institutionen, die nach dem Londoner Schuldenabkommen errichtet worden sind, sagte ich bereits, daß der Arbeitsanfall dort wesentlich geringer ist. Trotzdem besteht, glaube ich, im Augenblick keine Möglichkeit, eine Änderung vorzunehmen, weil, wie gesagt, diese Institutionen von allen Partnern — es sind inzwischen 34 — als ein wesentlicher Teil des gesamten Abkommens angesehen werden.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann komme ich zur Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Welche Gründe waren dafür maßgebend, daß die Bundesregierung das sowjetische Memorandum zunächst wochenlang geheimgehalten und dann ohne vorherige Information der zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages der Presse übergeben hat?
Abgeordneter Dr. Kohut ist anwesend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die sowjetische Denkschrift, nach der der Herr Abgeordnete Dr. Kohut gefragt hat, ist dem deutschen Botschafter in Moskau am 27. Dezember übergeben worden. Sie ging am 30. Dezember 1961 im Auswärtigen Amt ein. Eine Veröffentlichung war zunächst unter anderem deswegen nicht beabsichtigt, weil die Denkschrift bei ihrer Übergabe ausdrücklich als ein inoffizielles Dokument bezeichnet worden war.
Als jedoch in der Presse teils zutreffende, teils unrichtige Meldungen über den Inhalt der Denkschrift erschienen, entschloß sich die Bundesregierung am 8. Januar zur Veröffentlichung, um allen weiteren Spekulationen den Boden zu entziehen. Eine vorherige Information der Ausschüsse des Bundestages war nicht möglich, weil der Entschluß zur Veröffentlichung angesichts der umlaufenden Meldungen schnell gefaßt werden mußte.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist durch den Druck der öffentlichen Meinung aus diesem inoffiziellen Papier in den Augen der Bundesregierung ein offizielles Papier, also eine amtliche Note geworden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Charakter des Papiers hat sich durch die Tatsache, daß es veröffentlicht worden ist, und durch die Betrachtungen, die daran in der Öffentlichkeit angeknüpft worden sind, nicht geändert.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ist es 'tatsächlich so, daß die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages nur aus Zeitmangel nicht unterrichtet wurden? Oder ist es so, daß hier in Fortsetzung einer durch den Herrn Bundeskanzler bisher praktizierten Gepflogenheit einfach die Ausschüsse des Deutschen Bundestages vernachlässigt wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Möglichkeit möchte ich entschieden zurückweisen, Herr Abgeordneter. Ich habe die Begründung dafür, daß die Ausschüsse nicht befaßt werden konnten, gegeben. Es handelt sich um die ersten Tage des neuen Jahres. Die Entscheidung mußte schnell getroffen werden. Eine Befassung der Ausschüsse war nicht möglich.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Staatssekretär, Ihrer Antwort auf die letzte Frage muß ich entnehmen, daß Sie mit Rücksicht auf die Feiertagsruhe der Ausschüsse deren Vorsitzende, Stellvertretende Vorsitzende und Obleute nicht informiert haben. Habe ich das richtig verstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Insoweit haben Sie mich nicht richtig verstanden. Das anzudeuten lag mir fern.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 217
Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß man auch die Feiertagsruhe stören kann und daß bei früheren Gelegenheiten der Vorgänger im Amt des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes oder „im" Auswärtigen Amt, wie das damals unterschieden wurde, auch während der Feiertage Ausschußvorsitzende und Fraktionsvorsitzende zur Information z. B. über deutsch-sowjetische Handelsvertragsverhandlungen, über Interzonenhandelsabkommen eingeladen hat.
Die Frageform war auf jeden Fall gewahrt.
Weiß der Herr Staatssekretär, daß sein Vorgänger es so gehandhabt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist bekannt, Herr Abgeordneter. Das Auswärtige Amt hat sicher nicht die Absicht, an dieser Praxis etwas zu ändern.
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Besten Dank.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zunächst die Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Ertl —:
Treffen Meldungen in der italienischen Presse zu, daß Dienststellen der Bundesrepublik bei der Ermittlung von Personen behilflich waren, die in Südtirol Sprengstoffanschläge verübt haben?
Bitte, Herr Bundesminister.
Im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern des Auswärtigen und der Justiz beantworte ich die Frage wie folgt.
In den Fällen, in denen deutsche Strafverfolgungsbehörden Hinweise, auch von italienischer Seite, auf mit Strafe bedrohte Handlungen, z. B. illegale Waffen- und Sprengstofftransporte, erhielten, haben sie von Amts wegen Ermittlungsverfahren eingeleitet. In den Verfahren, die bei italienischen Behörden anhängig sind, haben Dienststellen der Bundesrepublik bei der Ermittlung von Personen, die in Südtirol Sprengstoffanschläge verübt haben, bisher nicht mitgewirkt. Eine Polizeidienststelle hat lediglich eine italienische Anfrage, die die Feststellung der Identität eines in Italien festgenommenen illegalen Waffenhändlers zum Gegenstand hatte, beantwortet. Abgesehen von dieser Anfrage sind Ersuchen um Ermittlung derartiger Personen und Rechtshilfeersuchen von italienischen Justiz- oder Polizeibehörden nicht gestellt worden.
Die Bundesregierung verurteilt Bombenattentate und Terroranschläge, gleichgültig, wo sie begangen werden, auf das schärfste. Die zuständigen deutschen Behörden werden auch in Zukunft im Rahmen der Gesetze alle Maßnahmen treffen, die zur
Aufklärung und Feststellung einer auch nach deutschem Recht strafbaren Handlung erforderlich sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Minister, Sie sprachen soeben von Polizeidienststellen. Es sind also keine deutschen Nachrichtendienste in diese Angelegenheit verwickelt?
Nein, ist mir nicht bekannt.
Ich rufe auf die Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Rutschke —:
Welche Gründe sind dafür maßgebend, daß z. B in der Stadt Walldürn Angehörigen der Bundeswehrverwaltung in Walldürn der Ortszuschlag nach Ortsklasse A gewährt wird, während alle anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Ortszuschlag nach Ortsklasse B erhalten?
Die Frage wird mit dem Einverständnis des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Herr Abgeordneter Rutschke hat mitgeteilt, daß .er mit schriftlicher Beantwortung .einverstanden ist. Die Antwort des Herrn Bundesministers Höcherl vom 17. Januar 1962 lautet:
Nach § 13 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes können Anlagen und Einrichtungen für Sonderzwecke durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates von der Ortsklasse ihrer Gemeinde ausgenommen und einer höheren Ortsklasse zugeteilt werden, wenn ihr Verbleiben in der Ortsklasse ihrer Gemeinde eine erhebliche Härte bedeutet oder
unabweisbare dienstliche Belange es erfordern.
Auf Grund dieser Ermächtigung sind die Anlagen der Bundeswehr in Walldürn durch die Verordnung vom 14. August 1961 mit Zustimmung des Bundesrates der Ortsklasse A zugeteilt worden, weil hierfür unabweisbare dienstliche Belange anerkannt worden sind.
Inwieweit ein Ausgleich geschaffen werden kann, wenn die Höherstufung von Anlagen und Einrichtungen für Sonderzwecke nach § .13 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes zu Härten für die betreffende Gemeinde führt, wird vor der nächsten periodischen Änderung des Ortsklassenverzeichnisses gemeinsam mit den Ländern geprüft werden. In diese Prüfung wird auch die Stadt Walldürn einbezogen werden.
Ich rufe •auf 'die Frage II/3 — des Abgeordneten Jahn —:
Teilt die Bundesregierung die in der Debatte über die Regierungserklärung vorgetragene Auffassung des Abgeordneten Dr. von Brentano, dem Schriftsteller Uwe Johnson müsse wegen seiner Auffassungen das Auslandsstipendium aberkannt werden?
Herr Minister!
Die Bundesregierung achtet selbstverständlich das verfassungsmäßig garantierte Recht der freien Meinungsäußerung. Sie ist jedoch der Ansicht, daß ein deutscher Schriftsteller, der sich für das Sowjetzonen-Regime einsetzen oder die Schandtat der gewaltsamen Teilung Berlins verteidigen würde, keine besondere Förderung von seiten des Bundes durch ein Stipendium verdient. Insoweit teilt die Bundesregierung die Auffassung des Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano.Die umfangreiche öffentliche Diskussion über den Fall des Schriftstellers Uwe Johnson hat ergeben, daß Johnson bei dem umstrittenen Mailänder Ge-
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218 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Bundesinnenminister Höcherlspräch sich in seinem Diskussionsbeitrag nicht auf die Seite Ulbrichts gestellt und die Schandmauer nicht als „gut, vernünftig und sittlich" bezeichnet hat. Bei dieser Sachlage bat die Bundesregierung keine Veranlassung gesehen, Maßnahmen zur Aberkennung des Herrn Uwe Johnson schon im Dezember 1959 zugesprochenen 'Stipendiums einzuleiten. Damit soll nicht gesagt sein, das alles, was Herr Johnson bei der Diskussion in Mailand geäußert hat, gebilligt werden kann.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe auf die Frage II/4 — des Herrn Abgeordneten Sänger —:
Welches ist der Grund dafür, daß Touristen aus Jugoslawien, die die Bundesrepublik Deutschland besuchen wollen, in der Regel mehrere Wochen warten müssen, ehe sie eine bei deutschen Behörden erbetene polizeiliche Aufenthaltsgenehmigung bekommen?
Bitte, Herr Minister!
Die jugoslawischen Staatsangehörigen benötigen für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einen Sichtvermerk gemäß § 3 Abs. 1 der Paßverordnung. Der Sichtvermerk ist von der vorherigen Zusicherung der Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörden abhängig. Die Ausländerbehörden unterstehen als Behörden der Länder nicht meiner Dienstaufsicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sänger.
Können Sie, Herr Bundesminister, auch darüber Auskunft geben, ob die Sichtvermerke bei Einreisen von Gesellschaften erforderlich sind?
Die Sichtvermerke sind grundsätzlich erforderlich, weil ein großer Teil der Einreisenden in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen beabsichtigt. Das ist die eine Seite. Was die Einreise von Gesellschaften betrifft, haben gewisse Ereignisse in Stuttgart gezeigt, daß es sehr zweckmäßig ist, die Sichtvermerke zu verlangen.
Noch eine Zusatzfrage?
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, Herr Bundesminister, daß die Bundesregierung auch jugoslawischen Touristen Deutschland gern zeigen möchte?
Ja.
Ich rufe auf die Frage 1I/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem verfassungswidrigen Verlangen des Vorsitzenden der FDP-Fraktion auf Besetzung hoher Ministerialbeamtenstellen nach parteipolitischen Gesichtspunkten zu entsprechen?
Herr Minister!
Die Bundesregierung wird sich bei der Besetzung hoher Ministerialbeamtenstellen im Rahmen des Grundgesetzes halten. Von dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion sind in diesem Zusammenhang keine Forderungen gestellt worden, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wären.
Eine Zusatzfrage?
Sie können mir keine Frage stellen, Herr Rasner. — Darf ich folgende Frage stellen, Herr Bundesinnenminister: In der Veröffentlichung über die Koalitionsvereinbarung, so wie sie in den Zeitungen steht, heißt es — —
Ich nehme an, daß ist die Voraussetzung für eine Frage.
Herr Bundesinnenminister, darf ich um Ihre Meinung bitten darüber, ob sich Ihre Antwort mit der Veröffentlichung über die Koalitionsvereinbarung deckt? Dort heißt es:
Die Koalitionspartner werden die partnerschaftliche Zusammenarbeit auch sicherstellen durch eine angemessene Berücksichtigung beider Partner bei der Besetzung von Positionen im öffentlichen Leben, bei denen die Bewerber unter Berücksichtigung politischer Gesichtspunkte ausgewählt werden.
Herr Kollege Schäfer, dieser Passus, den Sie aus einer Zeitungsveröffentlichung entnehmen, ist ja vielleicht nicht die Fassung
— vielleicht nicht ganz die Fassung, die vereinbart worden ist. Aber dieser Passus, den Sie verlesen, steht in keinem Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe, und zwar deswegen, weil die ganze Koalitionsvereinbarung unter das Grundgesetz gestellt ist und weil ausdrücklich in einem Passus erklärt ist, daß sich kein einziger Teil mit dem Grundgesetz in Widerspruch setzen kann.
Zweitens darf ich darauf hinweisen: Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß das Recht des Kabinetts — und zwar das ausschließliche Recht des Kabinetts —, die Besetzung von entscheidenden Stellen für politische Beamte — um diesen Kreis dreht es sich — nach den Prinzipien ides Grundgesetzes vorzunehmen, in keiner Weise präjudiziert wird und worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 219
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß es keine politischen Beamten gibt, die nach politischen Gesichtspunkten berufen werden, sondern daß politischer Beamter zu sein nach dem Bundesbeamtengesetz nur heißt, daß man ohne ein besonderes Verfahren abgerufen werden kann, d. h. in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann, aber bei der Berufung nach § 8 des Bundesbeamtengesetzes und Art. 3 des Grundgesetzes keine parteipolitischen Gesichtspunkte entscheidend sein dürfen?
Herr Schäfer, bei der Berufung sind keine parteipolitischen Gesichtspunkte entscheidend; aber ich muß Ihnen § 31 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes in Erinnerung rufen, in dem es heißt:
Durch Gesetz kann bestimmt werden, daß der Beamte auf Lebenszeit jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann, wenn er ein Amt bekleidet, bei dessen Ausübung er in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen muß.
Und deshalb abberufen werden kann !
Auch, aber das andere gilt auch.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Minister, Sie haben eben wieder den Koalitionsvertrag zitiert und dabei offengelassen, ob da überhaupt eine richtige Fassung im Umlauf ist. Ich frage: Halten Sie es als Verfassungsminister um der Klarheit und Wahrheit unseres verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Leben willen eigentlich nicht für notwendig, daß die wirklich gültige Fassung des Koalitionsvertrages nun endlich einmal der Öffentlichkeit bekanntgegeben wird?
Herr Kollege Jahn, zunächst habe nicht ich zitiert, sondern der Herr Kollege Schäfer, und zwar hat er nicht den Koalitionsvertrag zitiert, sondern einen Abdruck in der Zeitung. Und drittens habe ich zu dieser Frage schon erklärt, daß es Sache der beteiligten Vertragschließenden ist, welche Verträge sie veröffentlichen werden.
Wir kommen zur Frage II/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth —:
Ist der Leiter einer Bundesdienststelle berechtigt, seinen Mitarbeitern anläßlich seines Geburtstages einen Sonderurlaub zu gewähren?
Herr Kollege Atzenroth, die Antwort lautet: Nein. Ihre Frage ist offensichtlich ausgelöst durch die Pressemeldung, daß der Präsident des Bundeskartellamtes den Angehörigen seiner Behörde aus Anlaß seines 50. Geburtstages am 25. Dezember 1961 zwei Tage Sonderurlaub zwischen Weihnachten und Neujahr gewährt hat. Nach den Ermittlungen des Bundeswirtschaftsministeriums hat es sich nicht um einen Sonderurlaub, sondern um Dienstbefreiung zum Ausgleich für geleistete Überstunden gehandelt, die aus dienstlichen Gründen — nicht wegen des Geburtstages des Präsidenten — in die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gelegt worden ist, in der der Arbeitsanfall sowieso etwas andere Formen annimmt, als das im allgemeinen üblich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth!
Ist die Dienstbefreiung dem gesamten Amt am gleichen Tage erteilt worden?
Die Ermittlungen haben ergeben, daß beim Bundeskartellamt aus vielerlei Gründen sowohl für die Beamten wie für die Angestellten und Arbeiter sehr viele Überstunden anfallen. Sie kennen ja die einschlägigen Vorschriften für diese drei Kategorien, daß alle geleisteten Überstunden in sehr kurzen Fristen auszugleichen sind. Ein kluger Präsident wird das in Zeiten legen, in denen der Arbeitsanfall so ist, daß die Öffentlichkeit von den Ausgleichsmaßnahmen wenig berührt wird, und das ist genau die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gewesen. Daß dies mit dem 50. Geburtstag des Präsidenten zusammenfiel, war ein besonderer Glücksfall für die Beteiligten.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Atzenroth!
Ich muß leider meine zweite Zusatzfrage in gleicher Weise wie die erste stellen, weil die erste nicht beantwortet worden ist. Ich habe gefragt, ob dieser Ausgleich für das gesamte Amt am gleichen Tage gegeben worden ist, so daß das Amt an diesem Tage geschlossen werden mußte.
Ich habe darüber keine Feststellungen getroffen, aber soviel ich weiß, sind die Dinge so, daß weniger ausgeglichen worden ist, als Überstunden geleistet worden sind.
Es folgt die Frage II/7 — des Herrn Abgeordneten Felder —:Sind dem Herrn Bundesinnenminister die immer unhaltbarer werdenden Sicherheits- und Unterbringungsverhältnisse im Bun-
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220 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Vizepräsident Dr. Dehlerdes-Ausländerlager Zirndorf, die nun auch durch eine Großreportage der Süddeutschen Zeitung öffentliche Kritik in weitestem Ausmaße gefunden haben, bekannt?Bitte, Herr Bundesminister.
Mir ist selbstverständlich bekannt, daß die Sicherheits- und Unterbringungsverhältnisse im Sammellager für Ausländer in Zirndorf dringend einer Verbesserung bedürfen. Hierfür sind jedoch die bayerischen Behörden zuständig, an die ich mich schon wiederholt gewandt habe. Die jüngsten Ausschreitungen im Lager Zirndorf habe ich, worüber die Presse berichtet hat, zum Anlaß genommen, den Herrn bayerischen Ministerpräsidenten um Abhilfe zu bitten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Felder.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Diskrepanz in den räumlichen Verhältnissen bei der Unterbringung der Bundesdienststelle im Lager Zirndorf und im Flüchtlingslager selbst außerordentlich groß ist? Und haben Sie aus der Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung entnommen, daß allein 100 Flüchtlinge mehr untergebracht werden könnten, wenn die bayerische Lagerverwaltung einige Räume der Bundesdienststelle beziehen könnte? Ist Ihnen bekannt, was die Süddeutsche Zeitung nach einer genauen Kontrolle der Verhältnisse schrieb:
Die bayerische Lagerverwaltung benötigt allein
zehn Räume, die, falls sie von der Bundesdienststelle aufgegeben werden könnten, mindestens 100 Flüchtlingen Unterkunft bieten würde. Aber die Bundesdienststelle hat es bisher verstanden, jeden Einbruch der Bayern in ihr Haus zu verhindern.
Herr Kollege Felder, diese sehr lange Frage darf ich folgendermaßen beantworten.
Erstens, die Unterbringung der Bundesdienststelle entspricht den Grundsätzen, die der Bundesrechnungshof aufgestellt hat. Zweitens darf ich darauf hinweisen, daß von seiten des Bundes alles geschehen ist, um die Unterkunftsverhältnisse zu verbessern. Wie Ihnen bekannt sein wird, hat der Bund für 1,2 Millionen DM neue Unterkunftsgebäude im Lager errichtet, die leider von der bayerischen Flüchtlingsverwaltung für andere Zwecke verwendet worden sind, obwohl keine Notwendigkeit mehr hierfür besteht. Im übrigen scheinen mir die Unterkunftsverhältnisse der Bundesdienststelle im vorliegenden Falle nicht entscheidend zu sein, sondern mehr der Geist der Beteiligten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Felder.
Halten Sie es also für eine zufriedenstellende Unterbringung, wenn sich 10 bis 20 Personen in einem Raum befinden und wenn auch die Toilettenverhältnisse nicht einmal den primitivsten hygienischen Anforderungen entsprechen?
Herr Fielder, ich habe soeben erklärt, daß der Bund neue Unterkünfte gebaut hat und daß sie zur Verfügung stehen. Die Verwaltung des Lagers ist nicht Sache des Bundes, sondern der bayerischen Verwaltung.
Frage II/8 — Abgeordneter Felder —:
Ist der Herr Bundesinnenminister bereit, in Verbindung mit dem Land Bayern, der Stadt Zirndorf mid dem Landkreis Fürth raschmöglichst eine eingehende Überprüfung des Bundes-Ausländerlagers Zirndorf zu veranlassen, wobei zu erwägen wäre, ob sich nicht — unter voller Wahrung der Grundsätze der Menschlichkeit — eine Neufassung der Asylrechts-Verordnung empfiehlt?
Bitte, Herr Minister!
Ich sehe keine offene Frage, die durch eine gemeinsame Überprüfung des Sammellagers für Ausländer durch den Bund und die bayerischen Behörden geregelt werden könnte. Für die hygienischen Verhältnisse und den Sicherheitszustand im Lager sind, wie- ich bereits erwähnt habe, die bayerischen Behörden zuständig. Das in, der Asylverordnung geregelte Anerkennungsverfahren hat bislang weder zu einer Überfüllung des Lagers geführt, noch ist es die Ursache der Unzuträglichkeiten im Lager. Deshalb besteht kein Anlaß zu einer Änderung der Asylverordnung.
Frage II/9 — Abgeordneter Felder —:
Sieht der Herr Bundesinnenminister keine Möglichkeit, das Entschädigungsverfahren für laufende Dokumentationskosten der Stadt Zirndorf im Bundes-Ausländerlager Zirndorf unbürokratischer zu gestalten, etwa durch Pauschalierung mit nachfolgender Gesamtabrechnung, wie sie der Bund früher dem Valkalager Nürnberg zubilligte?
Bitte, Herr Minister!
Erstattungsansprüche der .Stadt Zirndorf sind bislang stets auf Anforderung beglichen worden. Ich bin bereit, jeder anderen zweckmäßigen Regelung der Abrechnung zuzustimmen, wenn die Stadt Zirndorf ein solches Anliegen vorbringen sollte; aber bisher hat sie es nicht vorgebracht.
Keine Zusatzfrage. Frage II/10 — Abgeordneter Dr. Bucher —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu vermeiden, daß Beamte mit demselben Aufgabengebiet im Bundes- und Landesbereich verschieden besoldet werden?
Die unterschiedliche Höhe der Besoldung von Beamten des Bundes und einiger Länder bei gleichen Ämtern läßt sich nur dadurch vermeiden, daß Rahmenvorschriften des Bundes Höchstsätze der Besoldung in den einzelnen Besoldungsgruppen für die Länder verbindlich festlegen. Solche Höchstsätze waren bereits im Reich im Jahre 1931 und im Bund durch das Gesetz von 1951 vorgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch 1954 entschieden, daß die Bundesregelung durch den Art. 75 des Grundgesetzes nicht gedeckt sei. Eine Harmonisierung des Besoldungsrechts bei Bund und Ländern, wie sie
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 221
Bundesinnenminister Höcherldem Fragesteller in Übereinstimmung mit den Zielen der Bundesregierung vorschwebt, läßt sich nur durch eine Änderung dieser Grundgesetzvorschrift erreichen. Der Bundesminister des Innern wird sich aus Anlaß der für das Frühjahr dieses Jahres in Aussicht genommenen Vorlage einer Besoldungsnovelle für eine früher bereits in einem Gesetzentwurf des Bundesrates vorgeschlagene Verfassungsänderung einsetzen. Der Spielraum für eigene besoldungsgesetzliche Regelungen der Länder soll dabei nicht stärker, als zur Harmonisierung absolut notwendig ist, eingeengt werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Bucher!
Sieht die Bundesregierung zur Zeit keine Möglichkeit, außer auf dem Weg einer Grundgesetzänderung — etwa durch Vereinbarungen mit den Ländern —, zu einer Regelung zu kommen, die es vermeidet, daß immer wieder verschieden vorgeprellt wird?
Solche Verhandlungen sind laufend im Gange. Sie konnten bisher nicht abgeschlossen werden, weil eine ganze Reihe von Ländern differierende Standpunkte einnehmen. Er bestehen aber nach der letzten Finanzministerkonferenz gewisse Aussichten dafür, daß sich der Bundesrat einer Änderung des Art. 75 GG geneigt zeigt.
Die Frage IV aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, gestellt von Herrn Abgeordneten Hermsdorf, wird in Verbindung mit der Frage VI/3 des Abgeordneten Hansing aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet, und zwar durch den Herrn Bundesminister der Finanzen:
Ist die Bundesregierung bereit, die zur Erhaltung der deutschen Hochseefischerei zwingend notwendigen Maßnahmen, nämlich
a) Subventionen,
b) Finanzhilfen für Neubauten,
c) Abwrackprämien,
als eine organische Einheit anzusehen und mit den notwendigen Mitteln durchzuführen?
Wann gedenkt die Bundesregierung auf Grund des Berichtes über Stellung und Lage der Seefischerei vom 26. Juni 1961 — Drucksache 2935 der 3. Wahlperiode — den versprochenen und immer noch ausstehenden Tell V — Schlußfolgerungen — bekanntzugeben?
Bitte, Herr Minister!
Ich darf im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zunächst die Frage IV — des Herrn Abgeordneten Hermsdorf — beantworten.'
Die beteiligten Bundesministerien sind sich mit den beteiligten Ministern und Senatoren der Küstenländer darüber einig, daß Hilfsmaßnahmen für die deutsche Seefischerei getroffen werden sollen. Mittel dafür sind im Entwurf des Haushaltsplans 1962 vorgesehen. Über Art und Umfang der erforderlichen Hilfen entscheidet das Haushaltsgesetz 1962.
Folgende Finanzhilfen aus Bundesmitteln sind vorgesehen:
Gewährung von Neubaudarlehen aus Bundesmitteln mit erleichterten Rückzahlungsbedingungen,
Zahlung von Abwrackprämien,
Erweiterung der Zinssubventionen für Fremdmittel,
Fortsetzung der Gasölverbilligung,
Erhöhung der Haushaltsansätze für die Erschließung neuer Fanggründe, für die wissenschaftliche Meeresforschung und für Fischereischutzboote,
Zuführung weiterer Bundesmittel an den Kutterdarlehensfonds.
Diese verschiedenen Hilfsmaßnahmen ergänzen sich gegenseitig und bilden ein wirksames Gesamtprogramm zugunsten der deutschen Seefischerei.
Im Rahmen der Gesamtuntersuchung über die Lage der Seefischerei prüfen das Bundesernährungs-
und das Bundesfinanzministerium noch, inwieweit die Strukturmaßnahmen, die ich erwähnt habe, durch sonstige Hilfen für die Seefischerei ergänzt werden müssen.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Hansing, VI/3, beantworte ich wie folgt, und zwar gleichfalls im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesernährungsminister. Diese Frage steht im Sachzusammenhang mit der Frage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf, befaßt sich also auch mit der Seefischerei.
Der Teil V — Schlußfolgerungen — zu dem Bericht über Stellung und Lage der Seefischerei vom 26. Juni 1961, Bundestagsdrucksache 2935, wird dem Bundestag vorgelegt, sobald entschieden ist, inwieweit die vorgesehenen Strukturmaßnahmen, die ich vorhin erwähnt habe, noch durch sonstige Hilfen für die Seefischerei ergänzt werden müssen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hermsdorf!
Herr Minister, ist Ihre Bemerkung, daß Sie prüfen, ob man über die bisherigen Maßnahmen hinaus noch zu bestimmten, sagen wir, Subventionen irgendwelcher Art kommen müsse, eine positive Zusage, und inwieweit steht sie im Einklang mit den Unterhaltungen, die Sie mit den zuständigen Ministern und Senatoren der Länder und dem Verband der Hochseefischerei gehabt haben?
Ich habe eine sehr eingehende Unterhaltung mit den zuständigen Ministern und Senatoren der Küstenländer gehabt. Wir haben eine gemeinsame Presseerklärung veröffentlicht. Darin heißt es, daß zur Zeit geprüft wird, wieweit die Strukturmaßnahmen durch sonstige Hilfen ergänzt werden müssen. Dabei wird das Wort „Subventionen" besser vermieden, weil die Beteiligten es selber nicht gern hören wollten,
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222 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starkeweil sie — und auch ich —die Dinge etwas anders ansehen, weil besondere Gründe vorliegen, diese Dinge zu prüfen.Ich gebe Ihnen keine Zusage, sondern erkläre: wir prüfen zur Zeit, was man tun kann. Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen die Zusage geben sollte. Ich kann sie doch nicht .der Höhe nach beziffern, weil die Dinge noch in der Untersuchung sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hermsdorf!
Herr Minister, auch wenn Sie keine Zusage geben können, bis zu welcher Höhe weitere Hilfsmaßnahmen vorgesehen sind, hätte ich von Ihnen gern die Frage beantwortet: sind Sie denn entschlossen, weitere Hilfe zu gewähren?
Ich beantworte das wie folgt.
Ich bin fest entschlossen, alles Notwendige—auch über das hinaus, was jetzt von mir vorgelesen worden ist — zu tun. Die Dinge sind zur Zeit im Stadium sozusagen der Enduntersuchung, weil ja schon Vorberatungen stattgefunden haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Herr Minister, kann von Ihrer Seite eine Zusage oder eine Erklärung abgegeben werden, ob die Bundesregierung mit der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Verhandlungen führt, um zwei wesentliche Übelstände abzustellen: erstens den, daß in der Bundesrepublik die Einfuhr von Seefischen völlig liberalisiert ist, während die Anlandung von Fischen mit deutschen Fahrzeugen in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Einfuhr von Seefischen aus der Bundesrepublik weitgehenden Beschränkungen unterliegt, und zum anderen den, daß in einem großen Teil der übrigen Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der Seefischerei sehr erhebliche Subventionen gewährt werden, die eine völlig verzerrte Wettbewerbsgrundlage innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Nachteil der deutschen Seefischerei verursachen?
Ich beantworte die Frage wie folgt.
Ich habe mich mit den Einzelheiten dieser schwierigen Frage und zugleich schwierigen Lage der Seefischerei sehr genau beschäftigt. Ich bin fest überzeugt, daß wir bei der EWG-Kommission vorstellig werden müssen, um die mir bekannten und von Ihnen hier dargestellten Umstände abzustellen.
Darüber hinaus werden wir auch bei den anderen Ländern, die nicht der EWG angehören, überprüfen, inwieweit und in welcher Höhe die Subventionen gezahlt werden. Die Unterlagen sind zum Teil vorhanden, aber noch nicht vollständig, und ich bestätige, daß diese Subventionszahlungen in anderen Ländern, die nicht gegebene Gleichberechtigung unserer Seefischer in den ausländischen Häfen, mit die Grundlage sind für die Schwierigkeiten, die sich bei der deutschen Seefischerei ergeben.
Keine weitere Frage.
Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zunächst die Frage V/1 — des Abgeordneten Dr. Kohut —:
Von welchen öffentlichen Bauvorhaben hat die Bundesregierung entsprechend der von Staatssekretär Westrick in der 151. Sitzung des 3. Deutschen Bundestages am 15. März 1961 gegegebenen Zusage Abstand genommen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf die Anfrage von Herrn Dr. Kohut bezüglich der Zurückstellung von öffentlichen Bauaufträgen darf ich folgendes erwidern.Die Bundesregierung hat im Sommer 1961 mit den Länderregierungen wiederholt und eingehend über Maßnahmen beraten, die zu einer Beruhigung der Baukonjunktur und zu einer Stabilisierung der Preise führen könnten. Im Sinne der wiederholten dringenden Empfehlungen der Bundesregierung an die öffentlichen Bauträger wurden in vielen Fällen Bauaufträge bzw. Ausschreibungen aufgehoben, zurückgezogen oder zurückgestellt.Wegen der kurzen für die Beantwortung dieser Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit habe ich nur einige Beispiele für die Zurückstellung solcher Bauaufträge zur Hand, und ich nenne in diesem Zusammenhang den Neubau des Landesarbeitsamtes Nordbayern in Nürnberg, Stahlbetonhallen in Eckernförde, den Neubau des Arbeitsamtes in Kempten, Werkstattbau in Wilhelmshaven, Bauvorhaben in Hontheim/Rheinland-Pfalz, das LeuchtenbergPalais in München, den Erweiterungsbau des Bundesministeriums für Wirtschaft, Truppenunterkünfte in Frankenberg, den Neubau der Arbeitsvermittlungsstelle in Frankfurt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 223
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß die Antwort im Sinne des soeben gemachten Zwischenrufs zu geben ist. Ich bin aber gern bereit, die Frage noch einmal zu überprüfen.
Darf ich dann die zweite Frage beantworten?
Wir kommen dann zur zweiten Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut:
Welche Auswirkungen haben sich hieraus auf die Preisgestaltung auf dem Baumarkt gezeigt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage 2 beantworte ich wie folgt. Die zivilen Bundesbauvorhaben haben am gesamten Bauvolumen des Jahres 1961 einen Anteil
von rund 5 %. Infolgedessen läßt sich keine exakte Aussage darüber machen, ob die Restriktionen dieses geringen Anteils preislich dämpfende Wirkungen gehabt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Brecht zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von den Baukoordinierungsausschüssen und ihrer Wirksamkeit gesprochen. Ist das Ministerium wirklich mit den Ergebnissen der Arbeit der Baukoordinierungsausschüsse sehr zufrieden, und können Sie bestätigen, daß die Baukoordinierungsausschüsse eine fühlbare Einwirkung auf die Baupreise erzielt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit sagen zu dürfen, daß die Ergebnisse der Arbeiten der Baukoordinierungsausschüsse durchaus beachtlich und zufriedenstellend sind.
Eine weitere Frage .des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht!
Halten Sie es wirklich für sehr richtig, zu sagen, daß die Arbeit der Baukoordinierungsausschüsse sehr wirksam und erfolgreich
gewesen sei, nachdem festgestellt werden muß, daß
die Baupreise im Verlauf eines Jahres um 9,3 % gestiegen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Preisanstieg ist nach meiner Meinung nicht etwa dadurch verursacht worden, daß die Baukoordinierungsausschüsse nicht zufriedenstellend gearbeitet hätten, sondern auf andere Elemente zurückzuführen.
Sie haben Ihre Möglichkeiten erschöpft. — Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth zu einer Zusatzfrage!
ist das Gesamtvolumen der öffentlichen Hand im Jahre 1961 gegenüber dem Jahre 1960 gestiegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube ja. Ich kann Ihnen im Augenblick die exakten Zahlen nicht nennen, aber es ist angestiegen.
Worin liegt der von Ihnen in der Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten Kohut dargelegte Erfolg Ihrer Bemühungen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Nachfrage wäre ohne Wirkung der Baukoordinierungsausschüsse zweifellos erheblich größer gewesen. Ich habe Ihnen nur einige Beispiele genannt, mich aber erbötig gezeigt, Ihnen nachträglich eine Reihe von weiteren Beispielen zu geben. Es bedarf aber natürlich einer Nachfrage bei den örtlichen Bauämtern. Diese Antwort ist nicht in wenigen Tagen hier zu erbringen.
Herr Abgeordneter Büttner zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind weitere und schärfere Maßnahmen geplant, die eine Baupreissteigerung verhindern?
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224 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts der im Jahre 1961 sichtbar und fühlbar gewordenen Preissteigerungen bemüht sich die Bundesregierung in weiteren Besprechungen, neue Maßnahmen wenigstens so zu überlegen, daß wir uns auf solche Dinge vorbereiten.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Büttner!
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, in welche Richtung diese Bemühungen laufen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedaure, Herr Abgeordneter, Ihnen diese Antwort nicht geben zu können, ohne gleichzeitig die Gefahr einer wirtschaftspolitischen Schädigung dieser Bemühungen in dem Bereich zu begründen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Harnacher!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ,ich mir die Frage erlauben, ob bei Ihren Überlegungen auch die Industrie einbezogen ist, damit sie sich bei Bauten auf das notwendige Maß beschränkt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die industriellen Bauten sind ebenso wie die übrigen Bauten in den Bereich des Einflusses der Baukoordinierungsausschüsse einbezogen.
Eine weitere Frage?
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß gerade die Koordinierungsausschüsse bei ihrer Arbeit deutlicher auf die Industrie einwirken sollten, hier das notwendige Maß zu halten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, alles Menschenwerk ist verbesserungswürdig und sicher auch verbesserungsbedürftig. Wir werden gerne, Ihrer Anregung folgend, auch über diese Dinge mit den Baukoordinierungsausschüssen Fühlung aufnehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Koch!
Herr Staatssekretär, darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß die Aufhebung des unglaublicherweise immer noch vorhandenen Einfuhrzolls für Fertighäuser etwa aus den nordischen Ländern zu einer Senkung der Baupreise möglicherweise beitragen könnte, und warum dieser Zoll nicht aufgehoben ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind mit den zuständigen Ministerien über die Frage der Zollregelung für die Einfuhr von Fertighäusern in Verbindung.
Ich trage nach, daß die Frage des Herrn Abgeordneten Memmel aus dem Geschäftsbereich des 'Bundesministers der Justiz im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet wird. Die Frage lautet:
ist der Bundesregierung etwas bekannt über ein Sammelverfahren wegen Totschlags gegen alle Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte, soweit sie 1941 im Amte waren und jetzt noch am Leben sind?
Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Strauß vom 16. Januar 1962 lautet:
Der wegen Teilnahme am Euthanasie-Programm in Untersuchungshaft befindliche Professor Heyde verteidigt sich unter anderem wie folgt: Am 23. April 1941 habe in Berlin eine Tagung aller deutschen Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte stattgefunden, bei ,der der damals mit der Führung der Geschäfte des Reichsministers der Justiz beauftragte Staatssekretär Dr. Schlegelberger den Vorsitz geführt und an der auch Reichsgerichtspräsident Bumke teilgenommen habe. Auf dieser Tagung habe er — Professor Heyde — einen Vortrag über das Euthanasie-Programm gehalten; keiner der Anwesenden habe dabei gegen seine Ausführung Stellung genommen. Er habe deshalb die Euthanasie nicht für rechtswidrig gehalten.
Diese Erklärung führte dazu, ,die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Dr. Schlegelberger sowie die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte zu erwägen. Am 13. September 1960 traf der Generalbundesanwalt durch seinen Vertreter folgende Verfügung:
„Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gemäß § 143 Abs. 3 GVG die Verfolgung des Dr. Franz Schlegelberger und der übrigen Beschuldigten wegen Beihilfe zum Mord zu übernehmen."
Das Verfahren ist gegen die meisten Beschuldigten noch anhängig. Gegen einzelne Beschuldigte ist es inzwischen eingestellt worden, weil sich ihre Teilnahme an der Tagung nicht feststellen läßt; die Sitzungsniederschrift der Tagung der Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte vom 23./24. April 1941, die sich in den Akten des ehemaligen Reichsjustizministeriums befindet, enthält keine Anwesenheitsliste. Auch ist weder der Vortrag Dr. Heydes noch ein Vermerk darüber in den Akten enthalten, ob die Ausführungen Widerspruch fanden oder ohne Aussprache zur Kenntnis genommen wurden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich .des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe auf die Frage VI/1 — des Abgeordneten Dr. Imle —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine vertikale Integration der Landwirtschaft bis in die der Urproduktion nachgelagerten Stufen der Be- und Verarbeitung mit den marktwirtschaftlichen Prinzipien vereinbar ist?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. In der Regierungserklärung vom 29. November 1961 wird unter anderem folgendes ausgeführt:Wir wollen daher die Landwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch die Landbevölkerung in ihrer Sozial- und Lebensordnung fördern. In verstärktem Maße wird jedoch der Selbsthilfewille der Landbevölkerung unterstützt werden, insbesondere da, wo sich eine Anpassung der Erzeugung, des Angebots und des Absatzes an veränderte Umweltbedingungen oder Marktverhältnisse als notwendig erweist.Die Bundesregierung bejaht daher die zu Punkt gestellte Frage. Sie sieht keinen begründeten An-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 225
Bundesminister Schwarzlaß zu der Annahme, daß Maßnahmen der vertikalen Integration in der Landwirtschaft mit der wirtschaftspolitischen Grundkonzeption nicht in Einklang stehen könnten. Marktwirtschaftliche Prinzipien werden dadurch nicht verletzt.
Eine Zusatzfrage wird nicht gestellt. Ich rufe auf die Frage VI/2 — des Abgeordneten Dr. Imle —:
Hat die Bundesregierung gegebenenfalls die Absicht, die zur vertikalen Integration der Landwirtschaft notwendigen Mittel bereitzustellen und aus welchen Titeln bzw. Fonds?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Minister.
Zu Frage 2 ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es sich hierbei in erster Linie um wirtschaftliche Selbsthilfemaßnahmen der Landwirtschaft handelt. Die Frage, ob im Rahmen des Grünen Plans 1962 besondere Maßnahmen in dieser Richtung vorzusehen sind, kann zur Zeit noch nicht beantwortet werden, da die Vorarbeiten für den Haushalt 1962 noch nicht abgeschlossen sind. Sofern derartige Überlegungen in Betracht kommen sollten, wird eine Regelung angestrebt, die den Interessen aller beteiligten Wirtschaftsgruppen gerecht wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle!
Trifft es zu, Herr Bundesminister, daß bei der Förderung der Veredelungswirtschaft landwirtschaftlicher Produkte neu zu errichtende Unternehmen unabhängig von der Rechtsform ohne Unterschied gefördert werden?
Herr Abgeordneter, wir werden nach einer Regelung suchen, die eine gleichmäßige und gerechte Behandlung aller Wirtschaftskreise, sowohl der Genossenschaften wie der übrigen Teile der Wirtschaft, gewährleistet.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Imle.
Treffen Presseberichte zu, wonach zum Aufbau genossenschaftlicher Veredelungseinrichtungen den Inhabern landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen eines Hofkredits bis zu 5000 DM mit der ausdrücklichen Auflage bewilligt werden, daß sie zum Erwerb genossenschaftlicher Anteile zu verwenden sind, bei einer Verbilligung des Kredits auf 3 %, wobei die Differenz zu dem ursprünglichen Bankzinssatz bis zu 6,5 % aus öffentlichen Mitteln ersetzt werden soll?
Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um einen der vielen Vorschläge, die uns zugänglich gemacht sind, um zur Beurteilung der Angelegenheit Material zu bekommen. Es ist darüber nicht entschieden.
Frage 4 — des Herrn Abgeordneten Logemann —:
Hält die Bundesregierung den Leiter der Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft für die Leitung seiner Forschungsstelle noch geeignet, nachdem er in Presseveröffentlichungen Tendenzen offenbart hat, die mit den Zielen des Landwirtschaftsgesetzes unvereinbar erscheinen?
Ich darf folgende Antwort geben: Die Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft ist eine selbständige juristische Person in der Form des eingetragenen Vereins. Der Bund ist nicht Mitglied dieses Vereins und hat daher keinen direkten Einfluß auf die Wahl der Vorstandsmitglieder. Der Bundesregierung ist aber bekannt, daß die Organe der Forschungsstelle sich mit der Prüfung der Frage beschäftigen, die von Herrn Abgeordneten Logemann aufgeworfen worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Logemann.
Herr Minister, teilen Sie damit nach Ihren Ausführungen die Auffassungen des Leiters der Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft, die er kürzlich vertreten hat, und sind Sie der Meinung, daß sie geeignet sind, den bäuerlichen Familienbetrieb in der EWG zu stärken und für die Zukunft zu erhalten?
Herr Abgeordneter, wenn ich Sie recht verstanden habe, lautet Ihre Frage, ob ich mit der Person des Leiters unter den gegebenen Verhältnissen einverstanden bin.
Ich möchte darauf antworten, daß es sich hierbei um eine Angelegenheit handelt, die uns nicht direkt angeht, sondern uns lediglich insoweit beschäftigt, als die Forschungsstelle insgesamt mit ihrem Leiter Arbeiten ausführt, die unseren Vorstellungen entsprechen. Sie sollen uns sachlich fundierte Grundlagen geben für die Erfüllung unserer Aufgaben. Ich darf sagen, daß die Aufträge, die erteilt wurden, zu unserer Zufriedenheit erledigt wurden. Wir müssen einen Unterschied machen zwischen der persönlichen Meinung eines Leiters und der Arbeit eines Instituts. Die Meinung des Leiters, soweit sie sich auf wissenschaftliche oder politische Überzeugungen gründet, zu kritisieren, ist nicht unsere Aufgabe. Aufgabe unserer Kritik kann nur sein, die Arbeitsweise des Instituts als solche unter die Lupe zu nehmen. Hier haben wir keinen Anlaß zu irgendeiner Beschwerde.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Logemann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß diese Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft besonders auf Initiative Ihres Amtsvorgängers, des Herrn damaligen Ministers Lübke, entstanden ist?
Jawohl, das ist mir bekannt.
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226 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Darf ich also, Herr Minister, mit Freude aus Ihrer Antwort an den Herrn Abgeordneten Logemann entnehmen, daß Sie die Methode, Wissenschaftler in ihrer Existenz zu bedrohen, ablehnen und für die Freiheit der Wissenschaft und der Forschung hier eintreten?
Ja.
Ich rufe auf die Frage VI/5 — des Herrn Abgeordneten Schmidt —:
Ist die Bundesregierung bereit, darüber Auskunft zu geben, ob und wann die Stelle des Staatssekretärs im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten besetzt werden wird?
Ich darf auf die Frage wie folgt anworten: 1. Die Frage, ob die Stelle des Staatssekretärs im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten besetzt werden wird, ist zu bejahen.
2. Der Zeitpunkt, wann diese Stelle besetzt wird, kann noch nicht genau genannt werden. Wie bekannt ist, sind mehrere Staatssekretärstellen zu besetzen. Hierzu sind die notwendigen Schritte eingeleitet. Das Bundeskabinett wird sich in Kürze mit dieser Frage befassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt .
Trifft es zu, daß bei der durch die wochenlangen Verhandlungen in Brüssel erzwungenen Abwesenheit des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die dringenden Arbeiten dieses Ressorts deshalb nicht befriedigend fortgeschritten sind, weil diese Stelle unbesetzt war?
Nein, Herr Abgeordneter!
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist von dem Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Ertl, zurückgestellt worden.
Wir kommen dann zur Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung:
Ist es richtig, daß Herr Dr. med. Werner Blunde, Angehöriger des Jahrgangs 1922, vom Kreiswehrersatzamt Heilbronn gegen seinen Willen und entgegen der Auskunft des Herrn Verteidigungsministers in der Fragestunde vom 6. Dezember 19&1 zu einer Wehrübung einberufen wurde?
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Blunck — in der Anfrage liegt ein Schreibfehler vor; der Name heißt nicht „Blunde", sondern „Blunck — war zur Behebung des Ärztemangels in der Bundeswehr für eine Einberufung zu einer Ende Januar 1962 beginnenden Wehrübung vorgesehen. Seinem Zurückstellungsantrag wurde stattgegeben und der Einberufungsbescheid, den das Kreiswehrersatzamt am 6. Dezember 1961 ausgefertigt hatte, auf den Widerspruch des Arztes hin aufgehoben. Daß der Einberufungsbescheid schon erlassen war, war am 7. Dezember 1961 in der Fragestunde noch nicht bekannt.
Der Irrtum beruhte darauf, daß wir vorher bei den Kreiswehrersatzämtern angefragt hatten, ob Ärzte zwangsweise einberufen worden seien. Die Frage war verneint worden. Einen Tag danach hat dann dieses Kreiswehrersatzamt, schnell arbeitend, einige Ärzte einberufen.
Zur ersten Wehrübung, die am 29. Januar 1962 beginnt, sind Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, die dem Geburtsjahrgang 1922 angehören, auf Grund der gesetzlichen Vorschriften im Dezember 1961 einberufen worden. Die Einberufungen weiterer Ärzte, Zahnärzte und Apotheker des Geburtsjahrgangs 1922 zu Wehrübungen sind vorgesehen. Wenn möglich, wird den Wünschen hinsichtlich des Zeitpunktes der Ableistung der Wehrübungen Rechnung getragen. Außerdem wird bei den Angehörigen dieser Jahrgänge, die bereits seit einer Reihe von Jahren im Berufsleben stehen, naturgemäß auf ihre wirtschaftlichen Wünsche stark Rücksicht genommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob die Musterungen der Angehörigen des Jahrganges 1922 unverzichtbar sind. Durch diese Musterungen wird immer Unruhe geschaffen und die Befürchtung hervorgerufen, daß dann die Zwangseinberufung folge.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie haben mit diesem Wunsch grundsätzlich recht. Selbstverständlich wird eine Unruhe dadurch hervorgerufen, daß in großem Umfange Angehörige solcher Jahrgänge gemustert werden, auch wenn dann nur wenige von ihnen einberufen werden. Wenn wir aber die Musterung nicht durchführen, sondern von vornherein gezielt arbeiten, was wir auch versucht haben, dann entsteht der Vorwurf, daß wir nicht gleichmäßig vorgehen und uns unter Umständen nicht verfassungsgemäß verhalten. Wir sind bei dieser Frage in einer Schwierigkeit.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 227
Die Frage deis Herrn Abgeordneten Ritzel aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr ist zurückgestellt.
Ich rufe auf die Frage X/1 — des Herrn Abgeordneten Rehs — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte:
In welcher Weise wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die Rentenaufbesserung des Vierten Rentenanpassungsgesetzes auch nach dem 1. Juni 1962 den Kriegsschadenrentnern erhalten bleibt?
Wenn der Fragesteller einverstanden ist, möchte ich die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantworten.
Vizepräsident Dr. Dehler Dann rufe ich die Frage 2 mit auf:
Ist gewährleistet, daß sich las heutige Verhältnis zwischen Kriegsschadenrente der ehemals Selbständigen und den übrigen Renten nicht verschlechtert?
Bitte, Herr Minister.
Die früher ergangenen Rentenanpassungsgesetze sind bei der Unterhaltshilfe des Lastenausgleichs durch Erhöhung des Freibetrages berücksichtigt worden. Das geschah durch die 11. und 12. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz. Der Freibetrag wurde zuletzt von 21 DM auf 27 DM erhöht.
Ich hatte bereits Weisung gegeben, im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine ähnliche Regelung zu schaffen. Der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 13. Dezember 1961 hat jedoch die Bundesregierung ersucht, zu prüfen, ob und inwieweit die in den verschiedenen Zweigen des sozialen Leistungsrechts geltenden Anrechnungsbestimmungen reformbedürftig sind, und über das Ergebnis dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Mai 1962 zu berichten.
Ihre Frage, Herr Kollege Rehs, die sich insbesondere auf die Unterhaltshilfe des Lastenausgleichs erstreckt, kann heute noch nicht abschließend beantwortet werden. Sie muß zunächst im Zusammenhang mit den anderen Fragen geprüft werden, und es muß eine Abstimmung zwischen den Ressorts erfolgen. Ich bin aber bestrebt, den berechtigten Bedürfnissen der Unterhaltshilfeempfänger zu entsprechen und die dazu erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen so zeitig vorzulegen, daß sie schon zum 31. Mai 1962 in Kraft treten können. Das gilt auch für die Frage der Behandlung des sogenannten Selbständigenzuschlages.
Im übrigen kommen bis zum 31. Mai 1962 die Unterhaltshilfeempfänger, die zugleich Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, auch ohne Änderung des Lastenausgleichsgesetzes auf Grund einer Übergangsbestimmung des 4. Rentenanpassungsgesetzes voll in den Genuß der Erhöhungen, die das 4. Rentenanpassungsgesetz vorsieht.
Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Börner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung:
Aus welchem Grund hat die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung im Gegensatz zu den meisten Berufsgenossenschaften bisher die Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze unterlassen?
Herr Staatssekretär Dr. Claussen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze für den Bereich, in dem der Bund Träger der Unfallversicherung ist, war deshalb nicht möglich, weil dafür eine Rechtsgrundlage fehlt. Sie wissen, Herr Abgeordneter, daß es nach § 563 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung möglich ist, durch Satzung die Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes heraufzusetzen. Der Bund und die Länder haben aber keine Satzung. Infolgedessen ist eine Erhöhung nur durch Gesetz möglich. Wenn das Neuregelungsgesetz erlassen sein wird, ist eine Möglichkeit gegeben, diese Anpassung durch Rechtsverordnung vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner!
Herr Staatssekretär, könnten Sie etwas sagen über die Größe des Personenkreises, der durch die bisherige Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung in seinen Rentenansprüchen geschädigt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann diese Zahl aus dem Stegreif nicht nennen. Ich würde auch nicht sagen, daß der Kreis geschädigt ist, wenn er den Rechtsvorschriften entsprechend seine Unfallrente erhält.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Börner!
Ist Ihnen bekannt, daß es nach der jetzigen Rechtsgrundlage erhebliche Härten für einzelne Versicherte oder Rentenempfänger gibt, z. B. für Versicherte, die eine sehr schwere Unfallbeschädigung erlitten haben? Ich kenne den Fall eines Ohnhänders, der gleichzeitig blind ist und der nach meiner Auffassung durch die jetzige Grundlage außerordentlich stark in seinen Ansprüchen geschädigt ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Solche Fälle, Herr Abgeordneter, sind uns bekannt. Deswegen haben wir Vorsorge getroffen, daß durch das Neuregelungsgesetz nach Möglichkeit solche Fälle beseitigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Metadaten/Kopzeile:
228 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Herr Staatssekretär, wie würden Sie den Ausfall nennen, den die Betroffenen haben, wenn Sie der Meinung sind, es sei kein Schaden, der durch die Nichterhöhung der Jahresarbeitsverdienstrente entstanden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann nicht davon ausgehen, Herr Abgeordneter, daß etwas, was der Rechtsgrundlage entsprechend festgesetzt wird, eine abträgliche Regelung wäre.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, ist aber die Verzögerung in der Verbesserung der Rechtsgrundlage nicht doch ein Nachteil für die Betroffenen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Betroffenen werden das sicher als eine Benachteiligung ansehen.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Riedel aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung ist zurückgezogen.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 229
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230 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 231
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232 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
— Ich glaube, meine Kollegen von der SPD, daß
nicht nur Sie, sondern auch wir und andere Fraktionen darüber in diesem Hause schon öfter gesprochen haben.
Es ist von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses wiederholt der Wunsch nach einer Abstimmung der sozialen Leistungen in der Fortführung der Sozialreform und der Weiterentwicklung des bestehenden sozialen Leistungsrechts geäußert worden. Gerade die Opposition hat darauf hingewiesen, daß das Fehlen einer solchen Gesamtschau zu Präjudizierungen führen würde, die geeignet sind, eine gerechte Abstimmung der Leistungen aufeinander zu erschweren, wenn nicht zu verhindern .
Die genannten Vorlagen sind Finanzvorlagen im Sinne des § 96 der Geschäftsordnung. Sie sind in erheblichem Umfang geeignet, auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken. Da sich haushaltsmäßig Auswirkungen ergeben, bedarf es ohne Zweifel eines Deckungsvorschlages. Die Vorlagen müssen daher gemäß der Geschäftsordnung dieses Hauses auf ihre Vereinbarkeit mit dem Haushaltsplan und der Haushaltslage geprüft werden.
Der Haushaltsplan liegt zur Zeit dem Kabinett zur Beratung vor und wird dem Hohen Hause voraussichtlich Ende Februar zugehen. Der Beschluß des Kabinetts vom 1. Januar 1962, wonach alle gesetzlichen Maßnahmen, die noch nicht im ordentlichen Haushalt ihren Niederschlag gefunden haben, im Rahmen eines koordinierenden Finanzplans zu prüfen sind, kommt dem Willen der Fraktionen entgegen, die künftigen sozialen Leistungen unter Berücksichtigung des sozialen und finanziellen Gesamtgefüges zu beraten und zu beschließen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP stellen daher den Antrag, den Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der Kriegsopferversorgung Drucksache IV/54 dem zuständigen Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung einer einmaligen Zuwendung an Bezieher von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz Drucksache IV/55 dem zuständigen Ausschuß für den Lastenausgleich, den Antrag betreffend Zahlung eines Weihnachtsgeldes an Empfänger von Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz Drucksache IV/82 dem zuständigen Ausschuß für Wiedergutmachung und darüber hinaus gemäß § 96 der Geschäftsordnung alle drei Vorlagen dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP behalten sich vor, in den Ausschüssen entsprechende Anträge zu stellen, die den oben genannten Voraussetzungen entsprechen.
Ist das Haus damit einverstanden, daß so verfahren wird, wie der Herr Abgeordnete Arndgen soeben vorgeschlagen hat, nämlich den Gesetzentwurf Drucksache IV/54 an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, den Gesetzentwurf IV/55 an den Ausschuß für den Lastenausgleich und den Antrag Drucksache IV/82 an den Ausschuß für Wiedergutmachung sowie alle drei gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haus-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 233
Vizepräsident Dr. Dehlerhaltsausschuß zu überweisen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache IV/120).Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion legt dem Hohen Hause mit der Drucksache IV/120 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Meine Fraktion ergreift die Initiative, weil es uns sehr wichtig erscheint, daß die Beratung dieser Materie möglichst schnell in Gang gebracht wird. Niemanden kann es verwundern, daß die christlich-demokratische/christlich-soziale Fraktion sich dabei auf die Vorarbeiten stützt, die bereits im 2. und 3. Bundestag geleistet worden sind und die ihren Niederschlag in Regierungsvorlagen gefunden haben, deren Beratung in den Ausschüssen und in zweiter und dritter Lesung im Plenum nicht mehr zustande gekommen ist.Unser Entwurf, so wie er Ihnen jetzt vorliegt, folgt im wesentlichen dem Regierungsentwurf der 3. Legislaturperiode. Jedoch haben wir die sich aus der Diskussion in der Zwischenzeit ergebenden schwerwiegenden Probleme noch einmal überdacht und in einigen Punkten eine Abweichung von der damaligen Regierungsvorlage für richtig gehalten.Ich will schon an dieser Stelle betonen, meine Damen und Herren: Uns als den Einbringern dieser Gesetzesvorlage kommt es nicht darauf an, zu sagen, daß die Bestimmungen des Entwurfs, wie er Ihnen vorliegt, in allen Einzelheiten unter allen Umständen so bleiben müssen. Wie ich am Anfang betonte, geht es uns vielmehr darum, die Beratungen sehr schnell in Gang zu bringen. Daß wir den Entwurf so vorgelegt haben, soll nicht bedeuten, daß wir nicht für eine Diskussion aufgeschlossen wären. Das sind wir immer, sehr geehrter Herr Kollege Schellenberg, auch wenn Sie im 2. Deutschen Bundestag jeweils etwas anderes behauptet haben.
— Herr Kollege Schellenberg, ich hatte Gelegenheit, diese Bemerkungen bei einer ebenso wichtigen, vielleicht noch wichtigeren Gesetzesmaterie zu machen. Sie waren damals der Meinung, ich redete nur so daher.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind — ich betone es noch einmal – für Verbesserungsvorschläge und für Vorschläge, die in das Gesamtgefüge unserer Sozialordnung besser passen, aufgeschlossen. Wir sind aber der Meinung, daß die Vorlage, wie wir sie eingebracht haben, den heutigen Bedingungen für eine gerechte Ordnung der Unfallversicherung entspricht. Wenn man Verbesserungen anbringen will, kann man sicher noch Symptome und Einzelheiten korrigieren, in der grundsätzlichen Überlegung aber wird man uns zustimmen müssen.Warum sind wir der Auffassung, daß es eine Neuregelung für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geben muß? Nicht deshalb, weil wir meinen, die seit 1885 in Deutschland eingeführte gesetzliche Unfallversicherung sei schlecht. Im Gegenteil, wir wissen, daß sich diese Unfallversicherung in den nahezu 80 Jahren ihres Bestehens ausgezeichnet bewährt hat, daß die Haftungsablösung durch den Träger der Unfallversicherung ihren Sinn gehabt hat. Aber wir sind der Meinung, daß die Fortentwicklung der gesellschaftlichen Gliederung in unserem Volke, daß die Fortentwicklung des Sozialrechts in unserem Volke, daß die Fortentwicklung der medizinischen Wissenschaft und daß die gerechte Abstimmung auf die anderen Versicherungsträger es notwendig machen, auch dieses Buch der Reichsversicherungsordnung zu überprüfen und neu zu fassen. Daß das auch aus rein systematischen Gründen erforderlich ist, ergibt sich allein daraus, daß unser Entwurf im Endergebnis eine Ersparnis an Paragraphen bringt, weil bisher einzelne Bestimmungen im ganzen Buch verstreut waren. Wir bemühen uns, eine Zusammenfassung zu erreichen, um dadurch das Recht insgesamt übersichtlicher zu machen.Ich habe soeben bemerkt, daß das Recht der Unfallversicherung sich bewährt hat. Das schließt aber nicht aus, daß nach unserer Meinung nicht nur die Systematisierung, nicht nur die Abstimmung notwendig ist, sondern daß auch gewisse aus der Gesellschaftsstruktur notwendige Verbesserungen eingeführt werden sollen. Niemand kann leugnen — es ist so offenkundig, daß man, wenn man es noch einmal sagt, Eulen nach Athen trägt —, daß das Lohnniveau in unserem Volke sich erfreulicherweise wesentlich zugunsten der Arbeitnehmer verschoben hat. Diese Verschiebung muß auch bei denen ihren Niederschlag finden, die durch einen Unfall nicht mehr in der Lage sind, an der Steigerung des Anteils am Sozialprodukt teilzunehmen. Man muß also davon ausgehen, daß der Unfallgeschädigte nicht nur einen aktuellen Schaden zu der Zeit des Unfalls hat, sondern daß er auch in den späteren Jahren eine Schädigung in seinem Einkommen hat, weil er ohne Unfallverletzung in den späteren Jahren an einem höheren Lohneinkommen teilgenommen hätte.Es zeigt sich weiter, daß die Unfallversicherung notwendigerweise eine Reihe neuer Tatbestände, die früher gar nicht bekannt waren, in. ihre Regelung einbeziehen muß. Ich kann mich dabei etwa auf die Frage der Berufskrankheiten, auf die Frage der Wegeunfälle, die beide heute doch wohl etwas anders beurteilt werden als früher, und auf einiges andere beziehen. Wir müssen dabei auch beachten, daß das heutige Recht teilweise noch Bestimmungen der Notverordnungen von vor 1933 oder von 1939 enthält und daß mit diesen Bestimmungen einige Ungereimtheiten noch heute durch die Zeit geschleppt werden, Ungereimtheiten, die im allgemei-
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Stinglnen Recht beseitigt sind, die aber hier die Betroffenen in ihrer Bewegungsfreiheit einengen. Last not least — ich darf es noch einmal sagen — ist eine Verbesserung der Systematik notwendig.Es gibt politische Gründe, es gibt sozialpolitische Gründe, es gibt soziologische Gründe, die Unfallversicherung neu zu fassen. Diese Gründe haben uns bewogen, .den Entwurf vorzulegen. Dabei wollen wir folgendes an Grundsätzlichem erreichen.Meine Damen und Herren, es kann niemand bestreiten, daß die Hauptfrage nicht ist: „Wie gebe ich jemandem, wenn er einen Unfall erlitten hat, irgendeine Entschädigung?", sondern den Primat bei der ganzen Überlegung muß die Frage haben: „Wie verhindere ich, daß überhaupt Arbeitsunfälle entstehen?" Darum ist in der Gesetzesfassung — so wie bisher auch die Unfallversicherungsträger auf diesem Gebiet viel getan haben — eindeutig besonders herausgestellt worden, daß die Aufgabe des Gesetzes zuerst und zuvörderst sein soll, Unfälle zu verhüten. Dann aber als Zweites: Wenn ein Unfall passiert ist, soll nicht zuerst darauf gesehen werden: „Welche Renten, welche Geldleistungen, welche Dauer-Leistungen gebe ich?", sondern dann soll darauf gesehen werden: „Wie kann ich dem Menschen in seiner Würde, in seiner Freiheit helfen, nämlich dadurch, daß ich ihn wieder in die Lage versetze, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen?", so daß also als Zweites, das wir in dieser Unfallversicherungsneuregelung wiederum deutlich hervorheben wollen, die Berufsfürsorge zu nennen ist. Erst wenn Berufsfürsorge, Heilbehandlung und all die Maßnahmen, die noch ergriffen werden können, uns nicht in die Lage versetzen, den Unfallgeschädigten, den Verletzten wieder für sich selber sorgen zu lassen, wenn seine Beschädigung trotz dieser Maßnahmen ein bestimmtes Maß überschreitet, sollen Geldleistungen für ihn von den Unfallversicherungsträgern gewährt werden.Dabei kann ich gleich hier einen zweiten wesentlichen Gesichtspunkt unseres Entwurfs herausstellen. Es ist die Aktualisierung der gewährten Rente. Meine Damen und Herren, ich wähle bewußt nicht das Wort „Dynamisierung", sondern ich spreche von einer Aktualisierung der Rentenleistungen, die an den Verletzten gewährt werden. „Aktualisierung" soll nämlich besagen, daß der Rentenempfänger, der Unfallverletzte also, der einen solchen Erwerbsminderungsgrad hat, daß er in der Tat weniger Einkommen hat, als er hätte, wenn er den Unfall nicht erlitten hätte, am aktuellen Lohn beteiligt werden soll.Dabei gleich eine Bemerkung: Die Rente aus der Unfallversicherung hat eine völlig andere Basis als die Rente aus der Rentenversicherung. Wir wissen das alle; aber es ist vielleicht notwendig, es noch einmal hervorzuheben. Die Rente aus der Unfallversicherung ergibt sich ja aus der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes; dieser Jahresarbeitsverdienst aber ist es, der auch den Schaden ausdrückt, wenn er in der Zukunft, in späteren Jahren gemessen werden soll. Dabei, meine Damen und Herren, kommt wiederum eine Neuerung hinein aus den Überlegungen in der Vergangenheit — auch imRegierungsentwurf der dritten und der zweiten Legislaturperiode war es schon darin —, aus der Überlegung, daß es nicht richtig ist, diesen Jahresarbeitsverdienst bei den heutigen Verhältnissen auf 9000 DM zu begrenzen. Wir schlagen eine Grenze von 18 000 DM Jahresarbeitsverdienst vor, wobei die Versicherungsträger frei sind, einen höheren Jahresarbeitsverdienst bei sich einzuführen. Neu ist die Bestimmung, die wir jetzt vorschlagen, daß auch für die Eigenunfallversicherung durch Rechtsverordnung der Bundesregierung erreicht werden kann, daß auch dort die Höchstrenten nicht an einer solchen Jahresarbeitsverdienstgrenze hängenzubleiben brauchen.Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat in der Vergangenheit mehrfach bekundet, daß ihr ein sehr wesentliches Anliegen die breite Streuung des Eigentums ist,
die Vermögensbildung in möglichst vielen Händen.
— Herr Kollege Schellenberg, wir beide verstehen uns doch so gut, daß Sie genau wissen, daß ich nicht alles auf einmal sagen kann. Wie Sie mich kennen, wissen Sie, daß ich ganz sicher noch auf diese Frage zu sprechen komme. Ich werde auch diese berühmte „Zwangsabfindung" noch behandeln.Aus der Überlegung heraus, daß es viel sinnvoller ist, jemanden in die Lage zu versetzen, Eigentum zu haben, als ihm eine laufende Rente zu gewähren, die möglicherweise dann — je nach dem, wie sein Lebensstandard ist— doch aufgezehrt wird, haben wir Ihnen vorgeschlagen, die Abfindung im Rahmen der Unfallversicherung weit mehr als bisher Platz greifen zu lassen. Lassen Sie mich nun gleich einiges zu den Formen der Abfindung sagen. Ich wollte das an anderer Stelle behandeln. Wenn ich aber schon herausgefordert werde, dann will ich das jetzt tun.Nach den Vorstellungen, die wir in diesem Gesetzentwurf entwickeln, kennen wir eine Dauerrente für Verletzte nur dann, wenn die Schädigung ein Fünftel der Erwerbsfähigkeit ausmacht. In dem Entwurf schlagen wir vor, daß der Versicherungsträger eine Abfindung dann vornehmen kann, wenn die Schädigung weniger als 30 % beträgt. In der Praxis werden das dann 20 oder 25 % sein; denn Schädigungen von 28 %, 27 % oder 29 % kennen wir hier nicht.In den Bestimmungen, die wir Ihnen vorschlagen, heißt es nun, daß die Abfindung durch den Versicherungsträger vorgenommen werden kann. Schon der zweite Absatz sagt — Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie ihn mit Aufmerksamkeit gelesen hätten, hätten Sie das feststellen müssen —, daß ein berechtigtes Interesse des Verletzten dagegen geltend gemacht werden kann. Das berechtigte Interesse kann sich auf zweierlei erstrecken. Einmal können die wirtschaftlichen Tatbestände eine solche Abfindung nicht geraten erscheinen lassen; die Abfindung würde dann eine Schädigung für ihn be-
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Stingldeuten. Zweitens kann eine Abfindung dann nicht stattfinden, wenn nach dem ärztlichen Gutachten die Möglichkeit besteht, daß eine Verschlechterung des Leidens eintritt.Nun können Sie sagen, auch dann noch bedeute die in Abs. 1 vorgesehene Form eine Zwangsabfindung. Man kann darüber verschiedener Meinung sein. Ich bin nicht der Auffassung, daß es sich um eine Zwangsabfindung handelt. Das Ganze ist ja eine Kann-Bestimmung.Allerdings können Sie sagen, Herr Kollege Schellenberg, daß, wenn die Gründe des Abs. 2 nicht vorliegen und der Versicherungsträger von der Bestimmung Gebrauch machen will, unter Umständen für den Verletzten keine Einspruchsmöglichkeit besteht. Ich habe aber am Anfang betont, daß wir in all den Fragen, bei denen berechtigte Gegeninteressen vorgebracht werden können, mit uns reden lassen. Ich darf ausdrücklich bemerken, daß auch diese Frage einer gründlichen Diskussion durchaus offensteht.Lassen Sie mich jetzt hier für meine Person und nicht als Sprecher der Fraktion folgendes bemerken: Wenn wir unter Umständen doch noch zu einer Formulierung „im Einvernehmen mit dem Verletzten" kämen, könnten wir auch hier miteinander reden. Entscheidend kommt es aber hier auf die Initiative des Trägers an. Wenn Sie nämlich warten, bis Initiative von den Betroffenen entwickelt wird, dann kommen Sie kaum zu Abfindungen. Das ist der Grund, weshalb wir die Formulierung in der vorliegenden Fassung vorgeschlagen haben.Ich habe vorhin davon gesprochen, daß wir Christlichen Demokraten uns bemühen, Vermögen zu schaffen. Deshalb haben wir in den Bestimmungen unseres Gesetzentwurfes vorgesehen, daß auch bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 30 % die Möglichkeit der Abfindung gegeben sein soll, wenn dadurch eine Vermögensbildung — Hauskauf und ähnliches — gefördert wird. Bei Schwerstbeschädigungen, also bei Beschädigungen von über 50 %, soll auch die Existenzsicherung als Grundlage für die Gewährung einer Abfindung angesehen werden.Gewitzigt und gewarnt durch die Erfahrungen lassen wir es in unserem Entwurf aber nicht zu, daß die Rente vollkommen verschwindet. Ein bestimmter Teil der Rente bleibt immer noch bestehen, und nach einem gewissen Abstand setzt die Vollrente wieder ein. Allerdings kann sich zeitlich hintereinander eine mehrfache Abfindung ergeben.Der fünfte wichtige Punkt ist die Frage der Berufskrankheiten. Sie wissen, daß die Berufskrankheiten immer ein Streitpunkt in diesem Hause gewesen sind. Die Regelung, die wir Ihnen vorschlagen, ist ein Kompromiß. Es ist die Ermächtigung an die Bundesregierung, wie bisher eine Verordnung zu erlassen, die enumerativ die Berufskrankheiten nennt. Darüber hinaus aber soll bei den Berufsgenossenschaften die Möglichkeit gegeben werden, im Einzelfall eine nicht aufgezählte Krankheit, die sich aber nach den Umständen des Einzelfalles aus diesem Beruf ergeben hat, so zu behandeln wie eine imKatalog enthaltene Berufskrankheit. Ich halte das für eine gute Regelung. Denn durch eine enumerative Aufzählung lassen sich nicht alle Tatbestände so erfassen, daß sie wirklich gerechtgedeckt werden können. Es würden Streitfälle übrigbleiben, die sich am besten im Einzelfall klären lassen.Eine Verbesserung der bisherigen Leistungen ist auch bei einigen Leistungen vorgesehen, die gemeinhin nicht sofort ins Auge fallen. Sie betreffen das Sterbegeld, das erhöht wird, und insbesondere auch die Überführung von Fremdarbeitern.Verbesserungen schlagen wir auch bei den Leistungen an die Hinterbliebenen vor. Wir wollen die Witwenversorgung, genauso wie wir sie bei der Rentengesetzgebung verbessert haben, auch im Unfallversicherungs-Neuordnungsgesetz neu ordnen, so daß zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes auch der Witwe zugute kommen, die noch ein waisenrentenberechtigtes Kind zu ernähren hat. Dabei wollen wir auch dafür sorgen, daß Waisen und Witwen, deren Ernährer, der Vater, nicht an den Unfallfolgen verstorben ist, aber unfallgeschädigt war, eine Witwen- und Waisenbeihilfe gewährt wird.Im Grundsätzlichen muß ich noch bemerken, daß wir an der Trägerschaft bei der Unfallversicherung nichts zu ändern gedenken, nicht zuletzt deshalb, weil die Unterschiedlichkeit des Risikos in der gewerblichen Wirtschaft, ferner die große Unterschiedlichkeit des Risikos zwischen der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft und wiederum zwischen diesen beiden oder bei der Seeunfall-Berufsgenossenschaft diese Trennung weiterhin geboten erscheinen lassen.Auch bei der Aufbringung der Mittel entfernen wir uns nicht von dem bisherigen Weg, selbst wenn jemand den Einwand machte: Ihr habt die Mitgliedschaft der Versicherten vorgesehen, und das ist ein Fallstrick für die Zukunft. Ich kann verbindlich sagen, das ist keinseswegs die Begründung für die Hereinnahme der Mitgliedschaft der Versicherten selbst, sondern die Aufbringung der Mittel bleibt wie bisher bei den Unternehmen. Denn der Grundsatz der Unfallversicherung, die Haftungsablösung des Unternehmens, soll überhaupt nicht erschüttert werden. Wir selbst würden der Unfallversicherung den Boden entziehen, wenn wir dieses Prinzip verließen, und wir würden wie vor 1885 eine Fülle von Prozessen der Einzelhaftung bekommen. Das gilt auch, Herr Kollege Schellenberg und meine anderen Herren Kollegen von der SPD — —
— Nein, Herr Kollege Schellenberg, ich glaube, die Eingabe des DGB ist Ihnen mehr verwandt als der FDP; ich habe dieses dumpfe Gefühl. Herr Kollege Schellenberg, in dieser Eingabe heißt es nämlich, daß in einem Einzelfall eventuell der Beitrag des betroffenen Unternehmens um einen Zuschlag für den Einzelfall erhöht werden soll. Hier, meine Damen und Herren, würde eine gefährliche Schleuse aufgemacht, wiederum auf Einzelhaftung überzugehen und diese Einzelhaftung in unendlichen Prozessen zu ersticken. Eine andere Sache ist es, wenn im gleichen Betrieb Unfallhäufigkeit auftritt; dann ist die
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StinglFrage, ob man den Beitragssatz erhöht. Das ist jetzt schon geltendes Recht und soll nicht geändert werden. Eine Beitragserhöhung im Einzelfall wäre aus der gesamten Interessenlage nicht zu verantworten.Dabei darf ich auch eine Bemerkung darüber machen, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung die Leistungssumme eine erhebliche Steigerung erfahren hat, eine Steigerung, die man sich kaum vorgestellt hat, nicht allein deshalb und gar nicht deshalb, weil die Zahl der Unfälle gestiegen ist, sondern weil eine Ausweitung des Kreises der Unfälle, also dessen, was als Arbeitsunfall gilt, erfolgt ist. Bei den Berufskrankheiten, bei den Wegeunfällen und einer Fülle von Dingen ist das Steigen der Leistungen der Unfallversicherung — ich wiederhole es — nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Geldleistungen in den meisten Fällen gestiegen sind, sondern auch darauf, daß die Zahl der gedeckten Risiken größer geworden ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, nachdem ich einen allgemeinen Überblick gegeben habe, noch einige einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurfs behandeln.Ich sage es noch einmal, weil es mir so wichtig erscheint: Die Aufgabe dieser Versicherung ist, so wie es auch in diesem Gesetzestext steht, primär die Verhütung der Unfälle, sekundär die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, tertiär die Gewährung von Renten.Die Gliederung — ich wiederhole auch dies — ist deshalb auf die besonderen Belange der verschiedenen Unfallversicherungsträger ausgerichtet. Wir werfen nicht das unterschiedliche Risiko in einen Topf. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß Gleichheit vor dem Gesetz immer nur heißt, daß Gleiches gleich, Verschiedenes aber verschieden zu behandeln ist. Deshalb wird auch die Gliederung in der Trägerschaft so, wie sie bisher ist, beibehalten.Bei dem Kreis der versicherten Personen sind keine entscheidenden Ausweitungen gegenüber dem bisherigen Recht festzustellen. Ich darf aber nicht versäumen, doch auf einige Punkte hinzuweisen.Es liegt mir daran, darauf aufmerksam zu machen, daß die Gefangenenfürsorge, also die Fürsorge bei Unfällen von Personen, die einen Freiheitsentzug kraft richterlichen Urteilsspruchs erleiden, die bisher zugegebenermaßen an vielen Stellen sehr unzulänglich war, in die Unfallversicherung übernommen wird.Es ist sicherlich nicht unwichtig, dabei auch zu bemerken, daß in den Ziffern 7 bis 13 des entsprechenden Paragraphen die ehrenamtliche Tätigkeit jetzt auch unter den Unfallschutz gestellt wird. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin nicht ganz sicher, inwieweit dieser Unfallschutz auch jeweils für uns, die Mitglieder dieses Hauses, gilt, wenn wir ehrenamtlich für Bund oder Länder tätig sind; sicherlich nicht unmittelbar bei der Tätigkeit hier. Man könnte jedoch im Zweifeldarüber sein, ob nicht gewisse Tätigkeiten auch der Bundestagsabgeordneten darunter fallen.
— Herr Kollege Schellenberg, ich nehme an, Sie steigen nachher noch auf die Tribüne. Ich bitte Sie, dann das Wort zu wiederholen; ich möchte es nicht übernehmen.
Meine Damen und Herren, mir ist das selbst erst bei einem nochmaligen genaueren Studium aufgegangen. Das ist aber nicht das Wichtigste. Die Bestimmung ist hineingekommen, um die Stadtverordneten, die Sachverständigen, Zeugen und ähnliche ehrenamtlich Tätige zu schützen, wenn sie im öffentlichen Interesse eine solche Tätigkeit ausüben. Sie sind bisher nicht geschützt. Darüber, daß man sie schützen sollte, gibt es sicherlich keinen Streit.Ein Kreis von Personen ist trotz der Wünsche, die gelegentlich an uns herangetragen werden, nicht eingeschlossen: der Haushaltungsvorstand und die Hausfrau. Meine Damen und Herren, ich will mich mit dem Problem nicht eingehend beschäftigen; aber lassen Sie mich doch einen Aspekt aufdecken. Wenn die Hausfrau in ihrer hausfraulichen Tätigkeit versichert ist, ist sie dann sicher auch bei ihrer Tätigkeit des Einkaufens versichert. Was aber ist dann versichert, wenn sie zum Kaffeekränzchen geht und dabei auch etwa den Senf für die Familie einkauft? Und sie hat es dann ganz sicher getan, wenn sie einen Unfall erlitten hat.Meine Damen und Herren, ich will damit das Problem nicht verkleinern. Wir werden uns sicherlich auch darüber unterhalten müssen. Sehen Sie aber auch einmal diesen Aspekt des ganzen Gesetzes!Wir kennen aber wie bisher nicht nur die Versicherung kraft Gesetzes, wir kennen auch die Versicherung kraft Satzung. Die Satzung der Berufsgenossenschaften kann die Unternehmer weitgehend miteinbeziehen und kann vor allem die Organmitglieder hineinnehmen.Bei der freiwilligen Versicherung wiederum haben wir die Tore dafür aufgemacht, daß auch Unternehmer in die Versicherung hineinkommen können, die sonst nicht erfaßt sind. Wir haben dabei auch daran gedacht, daß man Seeleute schützen muß, die auf ausländischen Schiffen sind, wenn es ihr freier Wille ist. Aber das sind Einzelheiten, die wir im Ausschuß sicherlich noch eingehend behandeln werden.Dann käme der § 547. Ich habe bisher keine Paragraphen genannt. Den § 547 nenne ich, weil seine Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Der § 547 sagt wiederum, daß Verhütung und ärztliche Hilfe als erstes die Leistung der Versicherung umfaßt, wobei die näheren Bestimmungen an anderer Stelle gegeben werden.Der § 548 und die folgenden Paragraphen sprechen von den Leistungen, die nach dem Eintritt eines Unfalls von der Berufsgenossenschaft zu ge-
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Stinglwähren sind. Sie sind dort aufgezählt; sie umfassen die Heilbehandlung, die Gewährung eines Verletztengeldes, besondere Unterstützungsmaßnahmen, die Wiederherstellung oder Erneuerung von Körperersatzstücken, die Berufsfürsorge, die Verletztenrente, das Sterbegeld und die Hinterbliebenenrenten.Dabei wird in den Bestimmungen auch genau definiert, was ein Arbeitsunfall ist. Der normale Arbeitsunfall braucht nicht näher umschrieben zu werden. Es obliegt mir nur, darauf hinzuweisen, daß wir wie bisher den Wegeunfall einschließen, wobei sich hier sicherlich auf Grund der Bestimmungen gewisse Zweifel nicht ohne weiteres beseitigen lassen; aber eine Fortentwicklung des Rechts ist doch erkennbar. Dabei darf ich mich jetzt bezüglich der Ausweitung des Begriffes Unfall besonders auf das beziehen, was ich vorhin zu den Berufskrankheiten gesagt habe. Es scheint mir eine gute Lösung zu sein, im Einzelfall auch dann eingreifen zu können, wenn die enumerative Aufzählung das an sich nicht zuläßt. Ich weiß, daß man gegen diese Generalklausel — das ist sie ja — wohlbegründete Bedenken haben kann und daß diese vorgebracht werden. Auch diese wohlbegründeten Bedenken wollen wir uns überlegen. Sollte uns die Gewichtigkeit der Argumente überzeugen, sind wir durchaus bereit, auch dafür noch einmal eine neue Lösung zu suchen.Ich brauche sicherlich über die Heilbehandlung nichts Näheres auszuführen. Daß dabei die modernsten Erkenntnisse der Wissenschaft, die modernsten Mittel der medizinischen Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden, versteht sich von selbst. Allerdings darf ich mir die Bemerkung gestatten, daß in diesem Zusammenhang einmal das Problem der freien Arztwahl für den Verletzten überprüft werden muß.Ich habe vorhin bei der Aufzählung gesagt, daß eine Leistung nach Eintritt des Unfalls das Verletztengeld sei. Dieses tritt an die Stelle des bisherigen Krankengeldes und des bisherigen Familiengeldes. Es kann auch neben einer Rente gewährt werden. Das heißt: hat jemand eine Erwerbsminderung erlitten, ist er aber noch arbeiten gegangen und erleidet er nun einen neuen Unfall, dann soll das Verletztengeld gewährt werden, also neben einer laufenden Rente auf Grund eines früheren Unfalls. Hier sehen Sie den typischen Fall der Harmonisierung der Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung. Wir versuchen nämlich mit unserem Entwurf, die Bestimmungen über das Verletztengeld an die Bestimmungen über die Neuregelung des Krankengeldes bei der Krankenversicherung anzupassen.Auch zur Berufsfürsorge brauche ich nichts Näheres zu sagen. Eines möchte ich dabei aber bemerken. Die Berufsfürsorge, die Wiedereingliederung in den Beruf, ist keine Angelegenheit, die nur die Unfallversicherungsträger angeht. Hier müssen wir zu einem besseren Zusammenwirken aller Sozialversicherungsträger kommen. Hier müssen wir eine bessere Harmonisierung — ich will das Wort hier verwenden — auch mit der Kriegsopferversorgung und mit der Rentenversicherung erreichen.Allerdings stehe ich nicht an, hier auch einmal auszusprechen — sicherlich spreche ich im Namen des ganzen Hauses —, daß die Organe der Unfallversicherung gerade auf diesem Gebiet bisher führend und vorbildlich gewesen sind. Wir sagen dafür unseren besten Dank.
Ich habe vorhin gesagt, daß neben diesen Leistungen, die unmittelbar mit der Schädigung zusammenhängen, auch noch Renten und sonstige Geldleistungen maßgebend sind. Renten in der gesetzlichen Unfallversicherung — ich habe es schon bei der generellen Einleitung gesagt — richten sich nicht nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage, einer besonderen Bemessungsgrundlage oder ähnlichen Werten, wie sie in der Rentenversicherung bekannt sind. Die Leistungen aus der Unfallversicherung richteten sich vielmehr bisher und sollen sich in Zukunft nach dem Jahresarbeitsverdienst des Verletzten richten, d. h. der Verletzte bekommt eine Rente, die sich nach dem Entgelt bemißt, das er in dem letzten Jahr vor dem Unfall bekommen hat, und zwar nicht im letzten Kalenderjahr, sondern das Jahr wird von dem Tage des Unfalls an gerechnet. Dabei darf ich auf die besonderen Bestimmungen hinweisen, nach denen ein Jugendlicher unter 21 Jahren, der einen Unfall erleidet, bei Vollendung des 21. Lebensjahres die Leistungen neu berechnet erhält. In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung wird in Zukunft unter allen Umständen mindestens das Dreihundertfache des Ortslohnes als Grundlage genommen. Ich darf weiterhin daran erinnern, daß die Höchstgrenze von bisher 9000 DM, die allerdings bei der überwiegenden Zahl von Berufsgenossenschaften kraft Satzung sowieso heraufgesetzt war, jetzt auf 18 000 DM erhöht wird.Die Rente selbst soll bei einer hundertprozentigen Schädigung des Verletzten zwei Drittel seines Jahresarbeitsverdienstes betragen. Sie werden sicherlich fragen, warum wir diesen Prozentsatz nicht höher gesetzt haben. Das läßt sich daraus erklären, daß ein Verletzter, wenn er nicht mehr arbeiten geht, nicht mehr so hohe Aufwendungen hat und daß außerdem alle Leistungen wegfallen, die er selber aus seinem normalen Bruttoeinkommen zu erbringen hat, nämlich Sozialversicherungsbeiträge und Steuern.Allerdings muß ich bemerken, daß eine fortlaufende Rente nur gewährt werden kann, wenn die Schädigung wenigstens ein Fünftel beträgt, wenn also die Erwerbsfähigkeit um 20 % eingeschränkt ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort an die Verwaltung der Berufsgenossenschaften, an die Sozialgerichte und an die Ärzte richten. Es kann einfach dem Grundsatz einer modernen Unfallversicherung nicht angemessen sein, wenn man eine sogenannte „Knochentaxe" verwendet. Den einen braucht ,der Verlust eines Fingers in seiner Erwerbsfähigkeit gar nicht zu schädigen, bei einem anderen kann das aber den Verlust der gesamten Existenz bedeuten. Das kann der Gesetzgeber nicht in Paragraphen fassen. Wir möchten den Appell
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Stinglan alle richten, sich bei der Feststellung der Erwerbsminderung in Zukunft doch nach der tatsächlichen Erwerbsminderung und nicht nach Prozentsätzen für den Verlust eines Fingers usw. zu richten.Zu den Rentenleistungen gehören weiterhin Kinderzulagen. Außerdem ist das Problem der Kumulierung von Renten gelöst. Es ist jetzt auch, wie ich vorhin schon sagte, die Auszahlung des Sterbegeldes und der Überführungskosten geregelt.Zu den Rentenleistungen gehören außerdem die Leistungen an die Witwen. Ich darf darauf verweisen, daß jetzt eine Witwenrente bei Tod durch Unfall ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes des Versicherten betragen soll, wenn die Witwe weniger als 45 Jahre alt ist und keine waisenrentenberechtigten Kinder zu erziehen hat, dagegen zwei Fünftel, wenn ein waisenrentenberechtigtes Kind in der Familie lebt oder wenn die Witwe über 45 Jahre alt ist. Die Vollwaisenrente O soll drei Zehntel des Jahresarbeitsverdienstes betragen, die Halbwaisenrente ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes des Ernährers. Dabei darf ich noch zusätzlich bemerken, daß das Zusammenfallen von Witwen- und Vollwaisenrente insoweit gestoppt wird, als 85 % des Jahresarbeitsverdienstes des Versicherten überschritten würden.Wir kennen im Unfallversicherungsrecht unter gewissen Voraussetzungen auch Eltern- und Großelternrenten. Sie werden dann gewährt, wenn der beim Unfall Verstorbene der Ernährer und Unterhalter der Eltern oder Großeltern war.In ,der Systematik des Gesetzes kommen jetzt die Abfindungen. Da aber Herr Kollege Schellenberg mich vorhin schon auf die Abfindungen hingewiesen hat, kann ich jetzt wohl darüber hinweggehen.
— Lieber Herr Kollege Börner, soll ich das noch einmal wiederholen? Wenn Sie es noch einmal haben wollen, empfehle ich Ihnen: lesen Sie später das Protokoll an dieser Stelle zweimal, dann haben Sie es leichter.Es scheint mir von Bedeutung, daß sich die §§ 633 ff. nicht darauf beschränken, den Unternehmer selbst von einer Haftpflicht gegenüber dem Geschädigten zu befreien, vielmehr wird auch der Kollege, durch dessen fahrlässiges Verhalten am Arbeitsplatz der Unfall verursacht wurde, von der Haftung befreit. Ich halte das für eine begrüßenswerte Neuerung. Soweit ich mich erinnere, hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund darauf Bezug genommen. Wenn er trotzdem diese Forderung stellt, trägt er also Eulen nach Athen; das ist in unserem Gesetzentwurf schon enthalten.Bezüglich der Träger der Unfallversicherung kann ich mich auf den Hinweis beschränken, daß nach dem Gesetzentwurf, auch der Versicherte Mitglied wird. Diese Frage ist umstritten; aber eine Behauptung weise ich mit Nachdruck zurück, daß nämlich die Erklärung der Mitgliedschaft der Versicherten, die ja in den Selbstverwaltungsorganen mitwirken, etwa zu bedeuten habe, daß Zukunft auch nochder Versicherte selber Beiträge bezahlen soll. Ich wiederhole: man würde damit das Fundament der Unfallversicherung verlassen.An dieser Stelle eine kleine Einschaltung. Nach den neuen Überlegungen bezüglich der Entwicklungshilfe ist es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung möglich, auch für diesen Fall Unfallschutz nach ihren Bedürfnissen zu gewähren, so daß auch der, der sich bereit erklärt, in den Entwicklungsländern tätig zu werden, einen Unfallschutz genießt, was bisher nicht ausreichend gewährleistet war.Meine Damen und Herren, über Unfallverhütung habe ich vorhin so nachdrücklich gesprochen, daß mir nur noch übrig bleibt, darauf hinzuweisen, daß § 708 und die folgenden Paragraphen sich nicht nur mit allgemeinen Erörterungen über Unfallverhütung beschäftigen, sondern auch davon ausgehen, daß der Überwachung der Unfallverhütung eine große Bedeutung zukommt.Der Fünfte Abschnitt unseres Gesetzentwurfs beschäftigt sich mit der Aufbringung der Mittel. Ich darf darauf verweisen, daß die Lohnsumme Grundlage für die Mittel ist, die die Unternehmen den Unfallberufsgenossenschaften zur Verfügung zu stellen haben. Allerdings soll diese Lohnsumme nicht schematisch mit einem Prozentsatz für Unfallversicherung versehen werden, sondern es kommt darauf an, die Gefährlichkeit der Arbeit in den einzelnen Betriebsarten dabei zu berücksichtigen, so daß also auch ein Gefahrentarif gegeben ist und eine Umlage immer dazu herangezogen werden muß, den Bedarf zu decken. Das heißt, die Unfallversicherung beruht nicht auf einem durch den Gesetzgeber festgesetzten Beitrag, auch nicht auf einem willkürlich von der Satzung festgelegten oder von den Selbstverwaltungsorganen beschlossenen Beitrag, sondern der Beitrag in der Unfallversicherung hat sich danach zu richten, wie groß der Leistungsumfang der Unfallberufsgenossenschaft ist. Dabei haben wir eine gesetzliche Bestimmung aufgenommen, daß die Betriebsmittel, die bei dem Unfallversicherungsträger angesammelt werden, nicht allzuhoch werden. Die Grenze von einem Zweieinhalbfachen des letzten Jahresaufwands, gegebenenfalls eines Dreifachen mit besonderer Genehmigung, scheint uns ausreichend zu sein, um zu verhindern, daß dort nicht auch wieder vielleicht „Juliustürme" entstehen. Die Beiträge müssen gesenkt werden, wenn die Betriebsmittel allzugroß werden.Ein kurzes Wort zur Eigenunfallversicherung. Sie soll wie bisher gewährt werden, soll aber eine Ausweitung insoweit erfahren, als auch in der Eigenunfallversicherung bei Bund, Ländern und Gemeinden die Möglichkeit besteht, höhere Entschädigungsrenten zu zahlen, als sie einem Jahresarbeitsverdienst von 9000 DM entsprechen. Die gesetzliche Grenze liegt auch hier bei 18 000 DM. Die Bundesregierung ist ermächtigt, diese Höchstgrenze noch zu überschreiten.In der Landwirtschaft haben wir andere Verhältnisse, danach auch ein anderes Beitragseinzugsver-
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Stinglfahren. Es ist wichtig, zu bemerken, daß der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft nach den Vorstellungen, die wir hier entwickeln, dem Arbeitnehmer in der gewerblichen Wirtschaft gleichgestellt werden soll. Das heißt, Ausgangsbasis ist nicht mehr ein fiktiver Ortslohn oder ein fiktiver Lohn, der in den Gremien festgesetzt wird, sondern der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft wird eben wie ein gewerblicher Arbeitnehmer entschädigt. Dabei lassen wir allerdings sehr viel Freiheit, soweit es sich um die Unternehmer und um die Familienangehörigen handelt. Allerdings lassen wir nicht die Freiheit, daß in der Landwirtschaft die geschädigten Familienmitglieder oder Unternehmer bei Erleiden eines Unfalls unter das Existenzniveau absinken. Der dreihundertfache Ortslohn muß die Mindestbasis dabei sein. Natürlich ist in der Landwirtschaft die Beitragsberechnung nach anderen Grundsätzen als in der gewerblichen Wirtschaft vorzunehmen. Ob es dabei der Arbeitsbedarf oder ob es der Einheitswert ist, der zugrunde gelegt wird, sei den Berufsgenossenschaften selber überlassen. Sie können auch noch andere Gesichtspunkte berücksichtigen.In Art. 2, meine Damen und Herren, beschäftigen wir uns mit einigen parallellaufenden Gesetzen. Es ist mir ein Anliegen, dazu noch ein Wort zu sagen, daß die Renten in der Unfallversicherung aktualisiert werden sollen. Es ist ja eine der Grundlagen dieses Gesetzes, daß wir wie in der Rentenversicherung eine Aktualisierung des Einkommens des Geschädigten, nämlich der Rente, erreichen. Haben wir in der gesetzlichen Rentenversicherung als Basis für den Auftrag an den Gesetzgeber, jährlich zu überprüfen, ob eine Verbesserung der Renten zu erfolgen hat, die Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage, die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen, die Finanzlage der Versicherungsträger, so müssen wir bei der Unfallversicherung eine andere Basis nehmen. Ich beziehe mich darauf, daß ich vorhin sagte, die Rente in der Unfallversicherung ist errechnet aus dem Jahresarbeitsverdienst. So muß man sich selbstverständlich bei der Anpassung danach richten, wie sich die Jahresarbeitsverdienste entwickelt haben. Allerdings sollte man das im Bundestag nicht einfach beschließen, wenn einem danach ist.Für die Aktualisierung der Renten der Unfallversicherung wird der Sozialbeirat, der schon in den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen vorgesehen ist, eingesetzt. Selbstverständlich wird er dabei um die Personen erweitert, die von den Unfallversicherungsträgern benannt sind.Der Sozialbeirat wird zunächst der Bundesregierung, dann aber auch uns, dem Hohen Hause, Vorschläge unterbreiten, über die wir selber zu entscheiden haben werden. Daß diese Entscheidung im Bundestag alljährlich getroffen werden muß, mag der eine oder andere bedauern. Aber, meine Damen und Herren, wir haben bei all diesen Entwicklungen auch noch darauf zu sehen, daß die Anhebung der Renten im Gesamtrahmen des volkswirtschaftlichen Vermögens bleibt. Ich sage noch einmal: dabei kann man, muß man sogar davon ausgehen, daß Renten der allgemeinen Rentenversicherung undRenten aus der Unfallversicherung zwei verschiedene Dinge sind.Ich wiederhole: Wer an dieser Unfallversicherung etwa kritisiert, daß sie nicht allzu umfassend sei, möge bedenken, daß diesem Gesetz schon zwei Teilreformen voraufgegangen sind. Wir haben im Jahre 1957 und im Jahre 1961 die Rentenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aktualisiert und einige Unebenheiten sowieso schon bereinigt.Im Zuge der Harmonisierung der Leistungen liegt auch die Abgrenzung der Unfallversicherung von der Krankenversicherung in Art. 2. Niemanden wird verwundern, wenn dazu im Gesetzentwurf eine neue Bestimmung getroffen ist. Die heutige geltende Regelung, daß bis zum 45. Tag der Träger der Krankenversicherung alle Aufwendungen, die entstehen, übernimmt, daß der Unfallversicherungsträger, wenn er in dieser Zeit etwa eine Arztleistung erbringt, eine Entschädigung vom Krankenversicherungsträger erhält, zeigt, daß das eine heute nicht mehr vertretbare Abgrenzung ist.Nun darf man allerdings nicht davon ausgehen, meine Damen und Herren, daß die Übernahme der Leistungen wegen eines Unfalls durch die Unfallversicherung vom ersten Tag an der einzig gerechte Weg sei. Es läßt sich prima vista sehr viel dafür sagen. Aber ist es wirklich richtig, bei jedem kleinen Unfall schon eine bürokratische Maschinerie in Gang zu setzen, um den Fall überhaupt zu erfassen? Das ist das eine Bedenken.Das andere Bedenken ist dieses: Ist es wirklich so, daß alles, was in der Unfallversicherung an Leistungen anfällt, die Haftung des Unternehmens ablöst? Die Wegeunfälle sind sicherlich nicht vom Unternehmen her entstanden.Ein dritter Gesichtspunkt: Es wird immer wieder angeführt, daß der Umfang der Leistungen in der Krankenversicherung durch die zunehmende Zahl der Unfälle ständig steige. — Auf die zunehmende Zahl der Unfälle komme ich später noch. — Aber es ist genau umgekehrt. Eine ganze Reihe von Leistungen, die früher die Krankenversicherung allein gedeckt hat, sind inzwischen längst in die Unfallversicherung hinübergenommen worden. Trotzdem sind wir der Meinung, daß der 45. Tag keineswegs richtig ist. Dem Hohen Hause ist sicher bekannt, daß vor einigen Jahren zwischen den Versicherungsträgern nahezu eine Vereinbarung dahin erzielt war, daß 18 Tage die richtige Begrenzung seien.Ohne uns darauf festlegen zu wollen, daß diese 18 Tage auch bei näherer Prüfung die Grenze bleiben sollen, haben wir uns für diese Regelung in dem Gesetzentwurf entschieden. Wir gehen von dieser Regelung aus. Immerhin werden die Träger der Versicherung nicht ohne Grund auf 18 Tage gekommen seien, und sei der Grund nur der, daß sich dann die Leistungen je zur Hälfte auf die beiden Trägerarten verteilen.Ob man ein Pauschalsystem für frühere Leistungen finden kann, ist eine Frage, die sehr der Erörterung bedarf, schon allein deshalb, weil die Krankenversicherungsträger unter sich bei der Ver-
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240 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Stinglteilung einer Pauschalsumme sicherlich nicht so leicht eine Einigkeit erzielen könnten.Meine Damen und Herren, .in den Übergangs-und Schlußbestimmungen ist noch von Bedeutung, daß wir einige Notverordnungen außer Kraft setzen, unter anderem die, daß bei einer Schädigung von 20% in. den Jahren der Geltung dieser Notverordnung keine Renten gezahlt wurden und bis heute nicht gezahlt werden. Es wird die Unebenheit beseitigt werden, daß bei fahrlässigem Verschulden nur halbe Renten gezahlt werden.Wir wollen, daß dieses Gesetz möglichst schnell in Kraft tritt, und wir haben die begründete Hoffnung, die Beratungen können so beschleunigt werden, daß dieses neue Recht am 1. Januar 1963 in Kraft tritt, selbstverständlich — als Berliner brauchte ich das eigentlich nicht besonders zu erwähnen, aber die Bestimmung ist nun einmal im .Gesetzentwurf enthalten — auch im Lande Berlin.Eine Bemerkung noch zu der Behauptung, daß die Zahl der Unfälle gestiegen sei. Die Zahl der nachgewiesenen Unfälle ist in der Tat gestiegen, nicht aber die Zahl der Unfälle. Es hat sich gezeigt, daß nach der Einführung der verbesserten Lohnfortzahlungs-Regelung auch Unfälle gemeldet werden, die früher nicht in den Statistiken .erschienen.Ich habe versucht, dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen vorlegen, nicht nur einige Lichter aufzusetzen; sondern habe mich bemüht, auch darauf hinzuweisen, welcher Art die Gesamtregelung. in der Unfallversicherung ist. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Ich darf noch einmal sagen: Die christlichdemokratische/christlich-soziale Fraktion dieses Hohen Hauses hat den bestmöglichen Schutz der Versicherten im Auge. Sie richtet sich dabei nach den sozialpolitischen Gegebenheiten einer neuen Zeit, nach den gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten und nach den volkswirtschaftlichen Erfordernissen. Das beste wird allerdings sein, wenn es uns gelingt, die Zahl der Unfälle so niedrig wie irgend möglich zu machen. In den Fällen aber, wo ein Unfall eingetreten ist, ist es nach unserer Auffassung im Interesse des Versicherten das beste, alles dafür zu tun, daß der Verletzte wieder in die Lage versetzt wird, für sich selbst zu sorgen. Erst dann soll die Gemeinschaft der Unternehmer dafür sorgen, daß auch eine zusätzliche Rentenleistung gewährt wird. Wir halten unseren Gesetzentwurf für eine durchdachte, modernen Erfordernissen entsprechende Neuregelung des Unfallrechts. Wir bitten Sie, ihn dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Börner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich namens meiner politischen Freunde zu den grundsätzlichen Gedanken dieses sehr wichtigen sozialpolitischen Gesetzentwurfs Stellung nehme, darf ich einige Bemerkungen zu dem machen, was Herr Kollege Stingl für die CDU/ CSU-Fraktion zur Begründung vorgetragen hat.Wir haben schon mit einiger. Befriedigung gehört, daß dieser Entwurf nicht das Ergebnis einer weihnachtlichen Fleißarbeit der CDU-Fraktion ist, sondern daß er mit sehr weitgehender Formulierungshilfe wahrscheinlich des Bundesarbeitsministeriums — ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner erarbeitet wurde. Er ist in einer so hektischen Art und Weise eingebracht warden, daß wir den Eindruck haben, eine bevorstehende Initiative der Oppositionspartei ist wahrscheinlich der tiefere Grund für die Eile der CDU/CSU-Arbeit gewesen.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich kann Ihnen nicht den Vorwurf ersparen, daß die Regelung dieses Komplexes durch Ihre Schuld erst heute in Angriff genommen wird und nicht schon vor einigen Jahren erfolgt ist.
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Sie haben schamhaft angedeutet, daß man im 2. und 3. Bundestag mit der Neuordnung dieses Gebietes nicht fertig geworden ist, haben aber vergessen, hinzuzufügen, daß es die CDU/CSU-Fraktion gewesen ist, die seinerzeit im 3. Bundestag im Sozialpolitischen Ausschuß verlangt hat, daß der Gesetzentwurf der damaligen Zeit — nach sehr eingehenden und weit vorgeschrittenen Beratungen — von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Deshalb trifft das Verschulden dafür, daß bis zum heutigen Tag oder, besser gesagt, bis zum Inkrafttreten der Neuregelung noch einiges in der Unfallversicherung ist, was uns gar nicht gefällt, die CDU-Fraktion.Wir haben heute morgen in der Fragestunde vom Herrn Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums gehört, welche Einzelprobleme in der Unfallversicherung bisher noch nicht entsprechend den heutigen sozialpolitischen Erkenntnissen geregelt sind. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß dieses Gesetz schnell verabschiedet werden sollte. Aber die Schnelligkeit darf nicht auf Kosten der Gründlichkeit der Beratungen gehen, denn dieses Gesetz ist viel zu wichtig, als daß man auf eine eingehende Beratung auch des letzten Paragraphen verzichten könnte.Meine politischen Freunde und ich nehmen gern zur Kenntnis, daß die CDU-Fraktion schon in der ersten Lesung erklärt hat, daß sie zur sachlichen Verbesserung der Vorlage 'bereit ist. Sehr verehrter Kollege Stingl, meine Damen und Herren, Sie können sicher sein, daß wir von diesem Angebot im Sozialpolitischen Ausschuß ausreichend Gebrauch machen werden.
Es wird an Ihnen liegen, ob das, was von Ihnengesagt worden ist, eine Deklamation bleibt oder obin der Substanz der Vorlage Änderungen erfolgen.
— Ich bin sicher, Herr Kollege Stingl, daß dabei nicht nur die Meinung der SPD 'eine Rolle spielen wird—ich möchte dazu nachher noch etwas sagen—, sondern wir halten es auch für richtig, daß sich ein sehr großer Kreis von Fachleuten zu diesen Gebieten der Unfallversicherung ebenfalls äußern muß.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 241
BörnerDenn ich bin nicht — wie Sie — der Meinung, daß alles so bleiben kann, wie es war, besonders im Komplex Unfallverhütung — ich komme darauf noch zu sprechen —, sondern glaube im Gegenteil, daß wir, wenn wir von Neuordnung sprechen, die Verpflichtung haben, nichts unbesehen als gegeben hinzunehmen. Vielmehr müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie die auch von Ihnen zitierte Form der Weiterentwicklung im modernen Sozialstaat in dieses Gebiet der Unfallversicherung eingeordnet werden kann.Noch ein Problem, das von Herrn Kollegen Stingl nicht angedeutet wurde, ist für die Behandlung der Vorlage von besonderer Wichtigkeit. Sie haben diesen Entwurf, der sich mit den Vorstellungen der Bundesregierung in der 2. und 3. Legislaturperiode des Bundestages zum Teil deckt, als Fraktionsvorlage eingebracht. Dieses Recht kann Ihnen niemand beschneiden. Es ist ein Initiativrecht jeder Fraktion. Jede Fraktion kann hier einbringen, was sie für richtig hält. Aber Sie werden zugeben müssen, daß dieses Verfahren im Hinblick auf die Behandlung eines solchen Gesetzes erheblichen Bedenken begegnen muß, weil der Bundesrat in dieser Sache vor der ersten Lesung nicht gehört werden konnte.
— Nein, es geht hier nicht um die Beschneidung des Initiativrechts, Herr Kollege Stingl; Sie wissen sehr genau, daß es hier auch um eine Frage der Loyalität gegenüber einem Verfassungsorgan geht. Das müssen Sie in Ihrer Arbeit sehen, und das müssen wir alle sehen. Aber es geht auch der Sache nach — es scheint mir besonders wichtig, daß das einmal ausgesprochen wird — um die Tatsache, daß der Bundesrat in der 3. Legislaturperiode des Bundestages über 90 Änderungsanträge zu diesem Gesetzentwurf vorgelegt hatte, die nun praktisch vorläufig unter den Tisch fallen.Auf die Dauer läuft Ihr Verfahren darauf hinaus, daß Fragen, die man vorher gütlich absprechen könnte, nachher im Vermittlungsausschuß korrigiert werden müssen, — eine Prozedur, die von uns angesichts der Tatsache, daß die Unfallversicherung sehr weitgehend die Länder und auch die Gemeinden betrifft, eben der Sache wegen nicht gutgeheißen werden kann. — Nun, Sie werden sich mit dieser Frage bei der weiteren Behandlung dieses Stoffes noch auseinanderzusetzen haben.Hinsichtlich dessen, was in dem Gesetzentwurf steht, gibt es seitens der sozialdemokratischen Fraktion auch noch eine Reihe erheblicher Vorschläge zu den Sachproblemen, und es gibt — das möchte ich heute in der ersten Lesung für meine politischen Freunde gleich mit aller Deutlichkeit sagen — für uns bei der Beratung dieses Entwurfs das Zentralproblem Unfallverhütung. Dabei denken wir nicht nur an einen Katalog „erstens, zweitens, drittens", Herr Kollege Stingl, sondern wir sind der Meinung, wir müssen bei der Behandlung des Problems Unfallverhütung in diesem Gesetzentwurf weitergehen,als die Paragraphen Ihrer Vorlage es bisher andeuten.Unfallverhütung ist nicht nur eine Frage der betrieblichen Gemeinschaften — „Unternehmerrisiko" und all dieser Dinge —, sondern Unfallverhütung ist eine zentrale Frage von öffentlichem Interesse.
Weil das so ist, weil der volkswirtschaftliche Ausfall, der durch Arbeitsunfälle jährlich entsteht, nicht nur Sache der betroffenen Wirtschaftszweige, sondern Sache des ganzen Volkes ist, und weil uns das Schicksal der Hinterbliebenen und der Hunderttausende von Verletzten auch von der staatspolitischen Seite her interessieren muß, muß der Gesetzgeber nach unserer Meinung bei der Behandlung der Probleme der Unfallverhütung weitergehen, als es durch die bloße Einfügung des Absatzes 1 in § 537 und der anderen entsprechenden Paragraphen Ihres Entwurfs geschieht. Er muß sich Gedanken darüber machen, ob alles, was Sie hier der Selbstverwaltung überlassen wollen, wirklich der Selbstverwaltung überlassen werden kann. Wir wollen an dem bewährten Pinzip der Berufsgenossenschaften nichts ändern. Wir meinen aber, daß die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte einige Überprüfungen im Hinblick auf die Wirksamkeit dieses Systems in bestimmten Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens notwendig macht. Wir möchten einmal im Sozialpolitischen Ausschuß die Frage der Berufsgenossenschaften, aber auch der Unfallverhütung schlechthin mit einem großen Kreis von Fachleuten erörtern.Dazu noch einige kurze Ausführungen. Ich habe vorhin gesagt, daß sich das System der Berufsgenossenschaften grundsätzlich bewährt habe. Es gibt aber doch wohl einige Punkte, Herr Kollege Stingl, bei denen wir uns aus der Sicht des öffentlichen Interesses fragen müssen, ob das, was Sie den Berufsgenossenschaften als Selbstverwaltungsaufgabe überlassen wollen, nicht vorrangig durch den Gesetzgeber angepackt werden müßte. Ich denke z. B. an die Gefahrentarife, an das Umlageverfahren, abgestuft nach den Arbeitsbedingungen der Betriebe usw.Die sozialdemokratische Fraktion wird im Ausschuß — das kann ich hier schon erklären — sehr eingehend untersuchen, ob nicht das Beitragswesen der Berufsgenossenschaften im Hinblick auf die Zahl und die Schwere der Unfälle im einzelnen Betrieb einer Korrektur bedarf. Die Möglichkeit, das in den Satzungen zu bestimmen und gegenüber dem einzelnen. Betrieb anzuordnen, ist nach unserer Meinung von den Berufsgenossenschaften nicht in der Weise ausgeschöpft worden, wie es die gestiegene Zahl der Unfälle und vor allem die Schwierigkeit der Arbeitsbedingungen — das müssen wir auch sehen — sowie das Tempo der modernen Industrie heute nun einmal erfordern.Wenn wir hier mit Stolz von der langen Geschichte der Unfallversicherung in unserem Staat sprechen, sollten wir nicht vergessen, daß auch andere Länder mittlerweile auf diesem Gebiet große Erfahrungen gesammelt haben. Wir sollten nicht
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242 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Börnerhochmütig das, was wir in Deutschland erreicht haben, als gut und richtig für die Zukunft erklären, sondern einmal den Blick über die Grenzen hinaus auf andere moderne Industriestaaten richten und die Frage aufwerfen, ob nicht vielleicht für den deutschen Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb bestimmte englische, schwedische und auch amerikanische Erfahrungen nutzbar gemacht werden könnten. Auch das sollte der Sozialpolitische Ausschuß in seinen Beratungen ernsthaft prüfen.Wir werden ferner die in der Fachdiskussion immer wieder offenbleibende Frage der Abgrenzung der Gewerbeaufsicht von dem berufsgenossenschaftlichen Aufsichtsdienst ansprechen. Beide Instrumente müssen verstärkt werden. Auch das ist ein Fragenkomplex, über den man sich sinnvollerweise schon in der Bundesratsdiskussion mit den Ländern hätte unterhalten können. Es ist Ihre Schuld, daß damit nun die Ausschußberatungen belastet werden. Auf jeden Fall muß es das Ziel der Gesetzesarbeit sein, daß es nachher keine Branche mehr gibt, in der der technische Aufsichtsbeamte wegen der wenigen Planstellen — rein statistisch gesehen — alle fünf, sieben oder zehn Jahre in den Betrieb kommt. Solche Dinge soll es geben, und wir werden im Ausschuß noch einmal darauf zu sprechen kommen.Dabei wird von uns nicht unterschätzt, daß Unfallschutz, Unfallverhütung letztlich Erziehungsarbeit ist, in der sich alle Betriebsangehörigen einig sein müssen.
Wir wollen diese Frage nicht einseitig als eine Frage 'der Unternehmer betrachten. Sie geht auch und gerade den letzten Mann im Betrieb an.Aber eins müssen Sie zugeben: Das Problem wird nur dann gelöst werden können, wenn man nicht den Unfallschutz auf die Unfallvertrauensleute oder die Betriebsräte delegiert, sondern von der Unternehmensspitze her die Voraussetzungen dafür schafft, daß die Unfallverhütung im Betrieb ernst genommen wird. Deshalb bedarf unser Gedanke, daß der einzelne Betrieb etwas mehr Interesse an der Gestaltung seines Beitrags zur Unfallversicherung haben sollte, noch einer detaillierten Erörterung im Ausschuß.Wir halten es auch für nötig, daß der technische Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaften im Hinblick auf die Einwirkung in den Betrieb mehr Vollmachten bekommt. Es ist z. B. notwendig, daß bei der Neueinrichtung von betrieblichen Abteilungen oder ganzer Betriebe die Berufsgenossenschaft von vornherein das Recht bekommt, gewisse Möglichkeiten vorzuschreiben, und nicht über den Umweg der Gewerbeaufsicht eingreifen muß.Hier spielt auch noch eine andere Frage hinein, nämlich die Zersplitterung der Unfallverhütungsvorschriften und der Gewerbeaufsichtsbestimmungen über das ganze Gebiet der Bundesrepublik. Hier einer Ordnung hineinzubringen ist auch eine Aufgabe, an der wir uns in der Ausschußberatung nicht vorbeimogeln sollten.Darüber hinaus hat, glaube ich, jeder von Ihnen, der die Dinge in der Praxis kennt, mit mir den Eindruck, daß der Gesundheitsschutz im Betrieb eine der wichtigsten Vorbedingungen für die Verhütung von Unfällen ist. Von da sollten wir uns die Frage vorlegen, ob das jetzige System der ärztlichen Betreuung im Betrieb und auch das System der ärztlichen Betreuung in bestimmten Wirtschaftszweigen ausreichend ist. Muß es z. B. im Hochbau immer wieder — um einmal etwas zu nehmen, was mir aus meiner beruflichen Arbeit gut bekannt ist — zu tödlichen Abstürzen kommen, nur weil der betreffende Mann nicht vorher auf seine Höhentauglichkeit überprüft wurde? Das ist doch eine Frage, an der auch die Öffentlichkeit interessiert ist und bei der es nicht nur um die berufsgenossenschaftliche Überprüfung geht.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 243
— Nach dem, was ich bei meinem doch sehr guten Zuhören herausgehört habe, geht es Ihnen darum, dieses Prinzip im Gesetz zu verankern; denn wenn Sie das nicht wollten, hätten Sie es ja völlig herauslassen können. Ich werde gleich noch darauf zurückkommen, warum es nach unserer Meinung noch darin steht.Diese Frage haben Sie, rein oberflächlich betrachtet, dadurch entschärfen wollen, daß Sie die von Herrn Bundesminister Blank vorgesehene Grenze von 50 % auf 30 % herabgesetzt haben. — Meine Damen und Herren, Sie schütteln den Kopf. Für uns ist das keine Frage von Prozenten. Lassen Sie sich das gesagt sein! Das ist vielmehr eine Grundsatzfrage; denn hier wird im Gegensatz zum bürgerlichen Recht letztlich die Entscheidung nicht vom Versicherten, sondern von der Behörde getroffen, und das halten wir sowohl aus rechtsstaatlichen als auch aus sozialpolitischen Gründen für bedenklich.Sie verweisen darauf, daß alles das durch die Einfügung von bestimmten Modalitäten in diese Paragraphen weitgehend entschärft warden sei. Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Hier steht: „besonderes Interesse des Versicherten". Sie wissen so gut wie wir, daß mit der Einfügung eines solchen unbestimmten Rechtsbegriffes in dieses Gesetz Tür und Tor für Entscheidungen geöffnet sind, die letztlich immer zum Nachteil des Versicherten bzw. des Beschädigten ausfallen müssen.
Noch eine Frage, die in diesem Zusammenhang interessant ist! Im Grunde genommen ist die Diskussion um die Zwangsabfindung in der Reichsversicherungsordnung nicht neu. Sie ist auch nicht erst durch Herrn Bundesminister Blank hineingetragen worden, sondern sie ist schon vor dem ersten Weltkrieg im Reichstag einmal diskutiert worden. Beim Durchlesen der Literatur zu diesem Thema ist mir aufgefallen, daß sich die Ahnherren der CDU damals ganz anders verhalten haben als Ihre Fraktion heute.
— Es war der in der Sozialpolitik sehr hoch geschätzte Abgeordnete der Katholischen Arbeiterbewegung Herr Professor Hitze, Mitglied deis Reichstages, der die seinerzeit vorgesehene Zwangsabfindung schon 1913 zu Fall gebracht hat.
Wir werden in der Beratung dieses Gesetzentwurfsnoch öfters auf diese Frage zu sprechen kommen.
— Bitte, dann erklären Sie doch heute, daß Sie unter dem Druck unserer Argumente diese Regelung zurückziehen. Dann wollen wir uns einigen.
— Herr Kollege Stingl, dann kann ich Ihnen nicht den Vorwurf ersparen, daß wir auf Grund einiger Erfahrungen in der dritten Legislaturperiode mit unserem Gefühl, was die Behandlung dieses Komplexes betraf, bisher immer richtig gelegen haben und heute auch durch Ihre Argumentation bisher nicht korrigiert worden sind.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon gesagt: es geht uns hier nicht um Prozente, sondern es geht uns hier um das Recht des geschädigten Staatsbürgers, als Individuum zwischen den Modalitäten der Abfindung wählen zu können.
— Sehr richtig, Herr Kollege Stingl. Aber sehen Sie sich bitte das Bürgerliche Gesetzbuch daraufhin an, wie das dort geregelt wird; dann müssen Sie zugeben, daß mit der hier vorgesehenen Regelung ein Eingriff in die Sphäre des Individuums vorgenommen wird — ein Eingriff, den wir, wie gesagt, rechtspolitisch und — darauf werde ich gleich zu sprechen kommen, Herr Kollege — sozialpolitisch nicht verantworten können. Denn was heißt Ihre Bestimmung in der Praxis? In der Praxis heißt das, daß ein Mann, der mit 18 Jahren ein Auge verliert, mit dem fünffachen Betrag der Jahresrente abgefunden wird und für die restlichen vierzig Jahre seines Arbeitslebens trotz des Augenverlustes eben keine Entschädigung erhält.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Frau Kollegin. Ich hüte mich immer, Pauschalurteile abzugeben. Aber ich muß Ihnen sagen: die bitteren Erfahrungen, die wir in den zurückliegenden Jahren mit Zuschriften aus dem Kreis der Unfallgeschädigten gehabt haben, machen uns bei solchen Dingen ganz unnachgiebig, und Sie werden in dieser Frage mit uns nicht um Prozente handeln können, sondern wir werden alles daran setzen, Sie durch unsere sachliche Argumentation und durch die Stellungnahme von Damen und Herren aus der Rechtsprechung und auch aus den Versichertenkreisen von der Unrichtigkeit Ihrer Argumente zu überzeugen,
— Gut, daß Sie mich daran erinnern. Der Herr Kollege Stingl hat vorhin schon einige Bemerkungen zur Knochentaxe gemacht, Natürlich gibt es, wie
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244 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Börnerimmer bei solchen Dingen, Härteentscheidungen, Entscheidungen, bei denen unter Umständen nicht die richtige Eingruppierung vorgenommen wird und die sich hin und wieder zum Nachteil des Geschädigten auswirken. Wenn Sie nun von der Knochentaxe weggehen und die von Ihnen angedeutete Möglichkeit ins Gesetz aufnehmen wollen, dann müssen Sie sich aber auch einmal bestimmte Ergebnisse der Rechtsprechung ansehen. Ich bin nicht sicher, ob sich Ihr Vorschlag letztlich zum Vorteil für den Versicherten auswirkt. Wir werden uns deshalb auch über diese Frage sehr eingehend unterhalten müssen.Ich habe schon gesagt, daß wir auf Grund der schwerwiegenden Bedenken, die die SPD aus sozialpolitischen und aus rechtspolitischen Gründen gegen das System der Zwangsabfindung in der Unfallversicherung hat, einem solchen Prinzip in dem Gesetz nicht zustimmen können.
Ich bitte, diese Dinge auch einmal hinsichtlich der praktischen Auswirkungen zu sehen. Welche Vorteile schaffen Sie eigentlich in der Unfallversicherung durch die Einfügung dieser Begriffe? Für die Einsparung von ein paar Mark, die Sie vielleicht — vielleicht! — hier erreichen, handeln Sie etwas ein, was das ganze Gesetz erheblich belastet. Ich möchte deshalb dringend bitten, daß Sie diesen Punkt noch einmal überprüfen.Unsere Meinung zur Frage der Unfallrenten ist hinreichend bekannt. Wir haben unsere Meinungen darüber in den vergangenen Jahren hier sehr oft ausgetauscht. Ich bin an diesem Tage froh, daß die Mehrheitsfraktion nun auf das eingegangen ist, was wir schon 1957 gern gehabt hätten. Ich bin es leid, immer wieder von dieser Stelle aus darauf hinweisen zu müssen, wie schwierig sich die Sache für den Betreffenden gestaltet, wenn man die Unfallrenten immer wieder auf den Stand von 1957 oder auch von 1960 läßt und dann am Ende einer Legislaturperiode aus den bekannten Gründen eine Anhebung vornimmt. Wenn die Formulierungen in Ihrem Entwurf so zu verstehen sind, daß damit praktisch eine Angleichung an das System erreicht werden soll, das der Sozialbeirat für die Rentenversicherung vorschlägt — ich habe das aus Ihrem Text entnommen —, dann dürfen wir feststellen, daß, unbeschadet unserer grundsätzlichen Meinung zu der Frage der Rentendynamisierung, hier ein großer Fortschritt erreicht ist. Wir würden dann eine solche Regelung gemeinsam verabschieden können; im Interesse der Betroffenen ist das sehr zu begrüßen.Das Problem der Elternrente, das von Ihnen, Herr Kollege Stingl, hier angesprochen worden ist, muß im Ausschuß noch einmal diskutiert werden. Die Frage der Bedürftigkeit ist hier in einer bedenklichen Weise in die Paragraphen eingeordnet worden. Wir können uns nicht recht vorstellen, daß die Beibehaltung dieses Bedürftigkeitsprinzips nun unbedingt für das System der Unfallversicherung — —
— Nein, bitte verdrehen Sie die Argumente nicht in dieser Form. Sie wissen ganz genau, daß die Ernährereigenschaft vorausgesetzt wird bzw. daß ein wesentlicher Unterhalt gewährt werden muß. Nun frage ich Sie, Herr Kollege Stingl, folgendes: Wenn ein tödlich Verunglückter vorher seine Eltern wesentlich aus seinem Arbeitsverdienst unterstützt hat, warum sollte er das getan haben, wenn diese das Geld nicht nötig gehabt haben? Diese Frage muß man doch bei der Anwendung des Bedürftigkeitsprinzips berücksichtigen. Ich glaube, daß es überflüssig ist, hier von dem Bedürftigkeitsprinzip zu reden. Es muß nur ein Kausalzusammenhang bestehen; die Ernährereigenschaft muß vorhanden sein, oder der tödlich Verunglückte muß vorher seine Eltern unterstützt haben.Zur Frage der Berufskrankheiten wäre noch viel zu sagen, aber es kann ja in der ersten Lesung nicht unsere Aufgabe sein, alle Einzelprobleme zu diskutieren. Deswegen möchte ich mich darauf beschränken zu erklären, daß nach unserer Kenntnis Ihrer Vorstellungen die von Ihnen eingeräumte Möglichkeit der Anerkennung einer Berufskrankheit, auch wenn sie nicht im Katalog vorhanden ist, nach unserer Auffassung noch etwas zu eng gezogen ist. Wir tendieren an sich zu einer noch etwas flexibleren Lösung. Aber es wird Sache der Fachleute sein, hier die Abgrenzungen richtig zu ziehen und durch geeignete Vorschläge in der Ausschußarbeit noch Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem herauszukristallisieren.Nach meiner Meinung könnte das vermehrte Auftreten von Berufskrankheiten wesentlich verhindert werden, wenn die gesundheitliche Betreuung im Betrieb etwas stärker wäre, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, und wenn schon durch das System der Sicherheitsingenieure Arbeitsbedingungen in den Betrieben erreicht werden könnten, die das Auftreten von Berufskrankheiten auf ein Mindestmaß reduzieren.Dann, meine Damen und Herren, sei mir noch gestattet, nur anzudeuten, daß in der Frage der Rehabilitation von Verletzten nach unserer Meinung natürlich alle modernen Erkenntnisse der Medizin zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und der Gesundheit des Betreffenden herangezogen werden sollten. In diesem Zusammenhang ist die Frage, ob man sich da noch Erfahrungen anderer Gebiete der sozialen Betreuung zunutze machen kann, zu prüfen, aber auch das gehört in den Ausschuß. Ich glaube, wir können mit Ihnen zusammen darin übereinstimmen, daß es in der Unfallversicherung schon eine gute Pionierarbeit in den letzten Jahrzehnten gegeben hat.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu den finanzpolitischen Problemen dieses Gesetzes sagen und gestatten Sie mir anzumerken, daß das, was Herr Kollege Stingl hierzu über die Abgrenzung zwischen Unfall- und Krankenversicherung ausgeführt hat, von uns in keiner Weise als ausreichende Begründung betrachtet wird. Denn, sehr verehrter Herr Kollege Stingl — bei aller Würdigung Ihrer Argumente —, Sie haben doch in Ihrer Rede Ihren Fraktionskollegen, den früheren
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 245
BörnerBundesarbeitsminister Storch dementiert. Dieser von Uns sehr geschätzte Kollege hatte schon im 2. Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine weitergehende Regelung in der Abgrenzung zwischen den finanziellen Lasten der Krankenversicherung und der Unfallversicherung zum Ziele hatte. Für uns ist die reinliche Scheidung zwischen den finanziellen Lasten beider Gebiete eine der großen Fragen dieses Gesetzes. Wir sind mit Ihnen darin einig, daß man möglichst Verwaltungsarbeit zwischen beiden Institutionen vermeiden sollte. Aber wer hindert uns denn, durch eine entsprechende Einfügung in das Gesetz die Selbstverwaltung zu beauftragen, für sich ein System der Pauschalierung zu finden, das eben keinen neuen Verwaltungsaufwand nötig macht? Im Grundsatz ist nach unserer Meinung der Ersatz der Unkosten der Krankenversicherung durch die Unfallversicherung vom ersten Tage an nach wie vor das, was man anstreben sollte. Sie können anderer Meinung sein, aber Sie werden uns nicht von der Ansicht abbringen, daß die Regelung mit den 18 Tagen, wie Sie sie im Gesetz haben, im Grunde genommen doch nur eine Verlegenheitslösung ist, weil sich zufällig vor Jahren mal die Selbstverwaltung unter ganz besonderen Aspekten auf diese Frist geeinigt hatte. Wir sind also nach wie vor der Meinung, daß hier der erste Tag in der Erstattung das Entscheidende sein sollte.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch etwas zu dem Komplex Beitragszahlung der Arbeitnehmer sagen, wie sie Ihr Koalitionspartner Herr Kollege Atzenroth in der Presse schon nachdrücklich gefordert hat. Sie werden damit rechnen müssen, daß sich die SPD aus ihrer grundsätzlichen Einstellung zur sozialen Unfallversicherung jedem Versuch, durch einen Arbeitnehmerbeitrag die Grundlagen zu verschieben, sehr heftig widersetzen wird. Ich freue mich, feststellen zu können, daß es in dieser Frage eine weitgehende Übereinstimmung zumindest mit dem Kollegen Stingl gibt. Ich möchte annehmen, daß das also auch die Meinung der CDU-Fraktion ist. Wir wollen hoffen, daß das in der Endabstimmung über dieses Gesetz auch zum Ausdruck kommt.
— Meine Damen und Herren, seien Sie vorsichtig mit voreiligen Versicherungen. Ich will das Problem der Modulierung zwischen Umfall- und Unfallversicherung heute morgen nicht in die Debatte bringen, aber es gibt auch da einige Parallelen zu ziehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß meiner Ausführungen namens meiner Freunde erklären, daß die SPD ein Interesse an der baldigen Verabschiedung dieses Gesetzes hat, weil die Leistungsverbesserungen nach unserer Meinung dem Kreis der betroffenen Personen möglichst bald zugute kommen sollen. Die SPD wird aber. auch — und das ist ihre grundsätzliche Betrachtung dieser Frage — an diesem Gesetz unter dem Gesichtspunkt mitarbeiten, daß die Reform der Unfallversicherung das Ziel haben muß, diesen Zweig dersozialen Sicherung den Gegebenheiten des modernen Arbeitslebens und des modernen Sozialstaates anzupassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Unfaliversicherungs-Neuregelungsgesetzes der Fraktion der CDU/CSU beinhaltet einen Teilabschnitt der Regelung sozialpolitischer Fragen, deren sinnvolle Zusammenfassung Arbeit des jetzigen Bundestages sein wird.In Anbetracht des Umfangs der Gesetzesmaterie begrüßt die FDP-Fraktion den schnellen Eintritt in die gesetzgeberische Arbeit, da böse Beispiele aus der Vergangenheit lehren, daß unter Zeitdruck und im Hinblick auf nahende Wahltermine eine sachliche Arbeit bei der schwierigen Materie nur sehr schwer geleistet werden kann.Ich darf gleich eingangs erwähnen, daß wir entgegen der Auffassung des Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion an der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs mitgewirkt haben. Er ist also nicht ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner eingebracht worden.Ich verstehe Ihre Kritik, Herr Kollege Börner, daß der Entwurf, wie Sie meinen, ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner eingebracht worden sei, nicht ganz, zumal die SPD ja anläßlich der Diskussion um den sogenannten Koalitionsvertrag, das Koalitionsabkommen, lebhaft bedauerte, daß eine Initiativarbeit der Fraktionen nicht mehr möglich sei, daß die Fraktionen in das starre Korsett eines so anrüchigen Koalitionsvertrages gepreßt würden.
Der vorliegende Initiativantrag beweist gerade das Gegenteil; er zeigt, daß einzelne Fraktionen sehr wohl initiativ werden können.Meine Damen und Herren, die Unfallversicherung erscheint uns wegen der Dringlichkeit der Fragen und auch angesichts der Tatsache, daß in den Jahren 1957 und 1961 Vorschaltgesetze verabschiedet wurden, in denen schon die Geldleistungen geregelt wurden, zur vorrangigen Behandlung geeignet, obschon wir nicht verhehlen können, daß ein Gesetz nicht Stückwerk und nichtkurzlebig sein darf und daß es im Zusammenhang mit den sozialpolitischen Fragen gesehen werden muß, die wir insgesamt zu regeln haben und die von uns von unserer gesellschaftspolitischen Auffassung her behandelt werden, die gleiche Entwicklungsmöglichkeiten für Selbständige und Unselbständige zuläßt.Bei der Verabschiedung dieser Gesetze, so gut sie auch nach außen hin wirken mögen, sollten wir immer darauf achten, daß die Betroffenen in. der Lage sind, den materiellen Anforderungen dieser Gesetze ohne Beeinträchtigung ihrer Leistung und mit Rücksicht auf die Struktur unseres Landes nachzukommen. Solange nämlich mangels einer besse-
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246 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Olleschren und gerechteren Lösung die Löhne Ausgangspunkt für die Erhebung sozialer Abgaben sind, werden wir immer nur widerstrebend Änderungen zustimmen können, weil sie eine Erhöhung der Lohnkosten beinhalten. Bei dem gegenwärtigen System der vorwiegend lohnbezogenen Aufbringung der Mittel für die sozialen Leistungen werden besonders arbeitsintensive mittelständische und vor allem handwerkliche Betriebe getroffen. Wir sind der Meinung, daß bei der Durchführung sozialpolitischer Reformen Rücksicht auf das Gesamtinteresse der Wirtschaft zu walten hat. Sonst zerstören wir gerade die Grundlagen, auf denen wir aufbauen wollen.Soweit durch diesen Gesetzentwurf neue Belastungen auf einen Teil unserer Wirtschaft zukommen, sollte man nach unserer Meinung prüfen, ob nicht auf die Dauer ein Ausgleich der Lasten möglich ist. Aus diesem Grunde finden Sie heute in Ihren Fächern einen Antrag der FDP, in dem wir die Bundesregierung auffordern, bis zum 30. Juni 1962 einen Bericht über die Möglichkeiten eines Ausgleichs der gegenwärtigen Belastung durch lohnbezogene Abgaben vorzulegen. Dieser Bericht soll auch die Auswirkungen der einzelnen Änderungsmöglichkeiten auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und auf einzelne Wirtschaftszweige darlegen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun kurz auf das vorliegende Neuregelungsgesetz eingehen. Ich werde versuchen, bei der ersten Lesung nur die grundlegenden Fragen zu streifen, meine beiden Herren Vorredner sind ja zum Teil doch ins Detail gegangen. Der Anlaß für die Neuregelung scheint mir unter anderem — darunter verstehe ich die Tatsache der Vorschaltgesetze — auch die von allen Fraktionen gewünschte Befreiung der Krankenkassen von den Krankheitskosten als Folge eines Unfalls zu sein. Dieses System ist allerorten, zum Teil mit Recht, zum Teil zu Unrecht, bemängelt worden.Bei diesem Entwurf gehen wir davon aus, daß die Berufsgenossenschaften, als Träger der Unfallversicherung, die als Folge eines Unfalls entstehenden Krankheitskosten vom 19. Tage ab übernehmen sollen, also im Gegensatz zur bisherigen Regelung nicht mehr vom 45. Tag ab. Wir sind auf den 19. Tag nicht von ungefähr gekommen, auch nicht, weil sich zufällig einmal die beteiligten Träger der Unfallversicherung und die Krankenkassen auf diesen Tag geeinigt haben. Sie haben sich dabei nämlich etwas gedacht.
Wir bemühen uns, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen.
— Nun, Herr Börner, wir denken uns natürlich beim 1. Tag auch etwas. Aber lassen Sie mich ganz kurz erläutern, warum wir für den 19. Tag plädieren und auch in der Ausschußberatung wahrscheinlich weiter plädieren werden.
Die Gesamtkosten vom 1. bis zum 45. Tage betragen etwas 500 000 DM. Wir sind von dem Gedanken ausgegangen, die Kosten zu teilen. Die Teilung, die früher beim 45. Tag vermutet wurde, tritt heute beim 18. Tag ein. Wir haben für die Teilung einige Gründe. Wir meinen, daß sowohl medizinische, verwaltungstechnische als auch finanzielle Gründe dafür sprechen. Medizinische Gründe sprechen deshalb dafür, weil bis zum 18. Tage die Bagatellfälle, d. h. Krankheiten, die sich aus Bagatellunfällen ergeben, in der Regel ausgeheilt sind. Verwaltungstechnische Gründe sprechen dafür, weil wir uns eine Verwaltungsvereinfachung davon versprechen, und finanzielle Gründe, weil wir eben eine Entlastung der Krankenkassen und dafür eine entsprechende Belastung der Berufsgenossenschaften erreichen wollen.Nun kann man natürlich der Meinung sein, daß es wegen der Haftungspflicht des Unternehmers nicht zuläßig ist, daß überhaupt ein Teil der Kosten von Krankenkassen übernommen wird. Aber Herr Börner, ich frage Sie angesichts der Tatsache, daß wir es mit einer ständig steigenden Zahl von Wegeunfällen zu tun haben, ob man die Wegeunfälle unbedingt als der Haftung des Arbeitgebers unterliegend ansehen kann.
— Es ist durch die Rechtsprechung vom Grundsatz her entschieden. Ich will Ihnen nur darlegen, warum wir glauben, es den Krankenkassen zumuten zu können, daß sie die Kosten für die Krankenfürsorge bis zum 18. Tage tragen. Die Zahlen sind ganz erschreckend. Betrachten wir einmal die Zahl der Wegeunfälle, die immer noch ansteigt und die zu verhindern der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, auch nicht durch besten Unfallschutz im Betrieb, wie Sie ihn ja gefordert haben, auch nicht durch die beste Überwachung durch Kontrollbeamte der Berufsgenossenschaft im Betrieb. Auf diese Unfälle hat der Unternehmer keinen Einfluß. Ihre Zahl steigt, und sie hängen von den Eigenschaften der Menschen ab, sie hängen von der Verkehrslage ab,
für die andere Gremien zuständig sind.
Der prozentuale Anteil der Wegeunfälle an den Schadensfällen überhaupt betrug im Jahre 1960 rund 20 %, darunter Schadenfälle mit tödlichem Ausgang, die die größte Belastung mit sich bringen, mit über 32 %. Diese Zahlen sollten uns zum Nachdenken anregen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß Sie das nicht nur auf die Zahl der tödlichen Unfälle, sondern auf die Zahl der gesamten gemeldeten Unfälle beziehen müssen, und ist Ihnen bekannt, daß der Anteil der Wegeunfälle an diesen Gesamtunfällen nur 9 % beträgt?
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Herr Kollege Dr. Schellenberg, Sie mögen recht haben. Ich kann Ihre Zahlen im Augenblick nicht nachprüfen; ich kann mich nur auf meine Zahlen beziehen. Aber das ändert auch nichts an unserer Stellungnahme und an dem Argument, das ich Ihnen entgegenhalten kann bei der Festsetzung der Frist hinsichtlich der Kostentragung, für die die einzelnen Kassen zuständig sind.
Ein weiterer, im wesentlichen neuer Gesichtspunkt, den das Gesetz bringt, scheint uns — das ist hier vorhin sehr eingehend erwähnt worden — die sofortige Abfindung der Renten bis zu 25 % zu sein. Wir sind der Meinung, daß diese Möglichkeit gegeben sein sollte, weil dm Normalfall in der Praxis Schadensfälle mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20, 25 % keine Erwerbsminderung bedeuten.
— Sie brauchen nicht „Hört! Hört!" zu rufen. Ich komme aus einem Betrieb, der nicht ganz klein ist, und habe seit Jahren mit den Dingen zu tun gehabt. Ich habe mich mit den Löhnen unserer Leute beschäftigt und kann mir ein ungefähres Bild darüber machen, wie das sogar im Bergbau aussieht, Herr Kollege. Weil das so ist, glauben wir, daß es den Geschädigten in diesen Fällen durchaus zuzumuten ist, zu einer sofortigen Abfindung Ja zu sagen, weil diese Abfindung eine unerhörte Verwaltungsarbeit erspart. Es werden die jährlich wiederkehrenden Rückfragen, die erforderlich wären, obwohl bei diesen geringen Erwerbseinschränkungen keine Verschlimmerungen zu erwarten sind, vermieden.
Wir begrüßen es auch, daß die Möglichkeit der Abfindung auf Wunsch bei einer Erwerbsminderung von 30 % an besteht. Sie dient dem Zweck der Eigentumsbildung, deren Berechtigung auch von Ihnen nicht bestritten wird und die von uns immer wieder gefordert wurde. Wir sagen auch Ja zur Aktualisierung der Renten, wollen allerdings die automatische Anpassung vermeiden, weil wir als Parlament, als Gesetzgeber die Dinge in der Hand behalten wollen. Wir wollen sehen, ob diese Anpassung mit Rücksicht auf die allgemeine Lage möglich ist.
Zu erwähnen wäre noch die Anhebung der Jahresverdienstgrenze von 9000 DM nach der alten Regelung auf 18 000 DM, die zum Teil auch bedeutet, daß höhere Jahresverdienstgrenzen nach der Satzung der Berufsgenossenschaften auf 18 000 DM zurückgeführt werden. Strittig wird wahrscheinlich auch die Aufnahme der Berufskrankheiten — wie bisher — in den Berufskrankheitenkatalog sein, herbeigeführt durch Rechtsverordnung. Wir lassen die Möglichkeit offen, daß der Träger im Einzelfall bestimmen kann, ob eine Krankheit wie eine Berufskrankheit entschädigt werden kann.
Wir waren damit einverstanden, daß die Rente wie bisher bei einer Erwerbsbeschränkung von 20 % beginnt. In diesem Punkt gibt es also keine Änderungen; damit sind wir durchaus einverstanden. Vielleicht aber sollten wir bei den Überlegungen im Ausschuß — Sie haben ja eine sehr tatkräftige Mitarbeit angekündigt — einmal die Frage prüfen, inwieweit man die freie Arztwahl bei der Behandlung
von Unfallverletzten einführen kann angesichts der Tatsache, daß an die 80, 85 % der Fälle sowieso vom Durchgangsarzt wieder an den erstmalig behandelnden Arzt zurückverwiesen werden. Wie gesagt, ich glaube, wir sollten dies prüfen.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, meine Damen und Herren, und wollen uns von unserer Sicht her an einer eingehenden Beratung im Ausschuß beteiligen. Wir sind auch der Meinung, daß dem Unfallschutz, der Unfallverhütung in diesem Gesetz breiter Raum gegeben wird. Herr Kollege Börner, glauben Sie mir, man kann nicht alles durch Kontrollbeamte erzwingen oder durch gesetzliche Maßnahmen verbessern wollen. Niemand kann doch bestreiten, daß die Betriebe von sich aus heute alles tun, um die Zahl der Unfälle im höchstmöglichen Maße herunterzudrücken. — Nun, Sie schütteln etwas den Kopf. Wir haben aber doch in den letzten Jahren gewaltige Verbesserungen auf diesem Gebiet erreicht. Das ist doch nicht zu bezweifeln und kann niemand bestreiten.
— Soweit ich die Branchen in Nordrhein-Westfalen kenne — wir haben ja hier mehr mit der Schwerindustrie zu tun und einer verhältnismäßig großen Häufigkeit großer und schwerer Unfälle —, setzen wir doch das Vertrauen in die Beteiligten, daß sie genau wie wir das Ziel haben, unnötige Kosten und unnötige Schmerzen und unnötige Benachteiligungen der Betroffenen zu vermeiden. Wir haben wirklich hoffnungsvolle Anzeichen feststellen können. Sie werden, wohin Sie in den Betrieben gehen, große Tafeln finden, auf denen steht, seit wann in den Betrieben unfallfrei gearbeitet wurde oder nicht. Man wird einfach nicht alles in Gesetze fassen können. Wir sind durchaus geneigt, darüber noch eingehend zu beraten. Wir wissen, daß ein Gesetzentwurf nicht alle Wünsche erfüllen kann. Wir haben aber gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion versucht, dem Hohen Hause das nach unserer Meinung Beste vorzulegen. Das schließt nicht aus, daß bei der Beratung der Experten hier und da Verbesserungen notwendig werden und vielleicht vorgenommen werden. — Bitte!
Herr Kollege, Sie sagten, wenn ich recht gehört habe, Sie hätten sich bemüht, etwas gemeinsam dem Hause vorzulegen. Soweit ich sehen kann, handelt es sich nur um einen Entwurf der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Abgeordneter Schellenberg, es handelt sich, glaube ich, nicht um eine Frage. Ich habe jedenfalls kein Fragezeichen „gehört".
Herr Dr. Schellenberg, ich bin bereit, Ihnen zu antworten. Es steht zwar nur der Name der CDU/CSU-Fraktion unter dem Entwurf, aber es kommt uns nicht unbedingt darauf an, als Unterschreibender aufgeführt zu sein. Uns kommt es darauf an, daß wir Gelegenheit haben und Gelegenheit hatten, das Gesetz zum Teil auch mit
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248 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Olleschunserem Geist zu erfüllen. Vielleicht, Herr Professor, schätzen Sie doch die Stellung der FDP-Sozialexperten — „Experte" will ich nicht sagen, ich fühle mich nicht unbedingt als Experte —, derjenigen Vertreter der FDP, die sich mit Sozialpolitik beschäftigen, innerhalb ihrer Fraktion doch zu schwach ein, und vielleicht glauben Sie, daß Sie sich da nicht durchsetzen könnten.
Vielleicht, Herr Professor, hätten Sie auch einmal auf den Gedanken kommen können, daß wir eine schnelle Einbringung wünschten, aber aus Zeitgründen die endgültige Zustimmung unserer Fraktion vor der Einbringung nicht zu erreichen war.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es kann ein hoffnungsvolles Omen beim Beginn der sozialpolitischen Arbeit in dieser Legislaturperiode sein, wenn heute morgen alle drei in diesem Hause vertretenen Parteien darin einig sind, daß die Bekämpfung des Unfalls und die Verbesserung der Maßnahmen, die in einem großen sozialpolitischen Zweig der deutschen Sicherungsgesetze verwirklicht werden sollen, unser aller Anliegen sind.
Ich sehe es weiter als gutes Omen und guten Auftakt für die Unfallversicherungsreform an, daß wir über die von der CDU/CSU in Übereinstimmung mit der Freien Demokratischen Partei eingebrachte Vorlage zur Neuordnung des Gesetzes über die Unfallversicherung in einem Augenblick diskutieren, in dem in einem unserer Bundesländer, nämlich in Baden-Württemberg, eine große Aktion unter dem Motto „Gefahr erkannt — Gefahr gebannt" beginnt—, eine Großaktion in der Öffentlichkeit, die ihre Auswirkungen sicherlich für das ganze Bundesgebiet haben wird, die heute von Ministerpräsident Kiesinger in Baden-Württemberg eröffnet werden wird. Wenn diese Öffentlichkeitsaktion erreicht, daß nicht nur von den Trägern der Berufsgenossenschaften, die sich mit Unfallverhütung von Berufs wegen befassen, wenn sie erreicht, daß das Problem der Unfallhäufung und die Notwendigkeit seiner Bekämpfung und Lösung in allen Bereichen unseres täglichen Lebens, in unseren Arbeitsstätten, im Verkehr, in unseren Krankenhäusern, von den Familien und der Jugend in gleichem Maße wie von allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens bis zu den Kirchen mehr als bisher erkannt wird, dann werden wir gemeinsam ein gut Stück vernünftiger Voraussetzung für die Verbesserung der Leistungen in der Unfallversicherung geschaffen haben.
Es ist richtig — und darin stimmen wir auch mit der Opposition in diesem Hause überein —, daß das Zentralproblem dieses Gesetzes die Unfallverhütung und die Unfallbekämpfung und erst dann das der Rentenregelung ist.
Der Kollege Börner hat heute morgen gefragt, „was wir der Selbstverwaltung zumuten wollen". Nun, meine Herren, ich glaube, wir sind in diesem Hause einig, daß wir besser davon sprechen sollten, was wir der Selbstverwaltung anvertrauen und zutrauen wollen. Und da wollen wir ihr so viel wie nur irgend möglich zutrauen aus unserer Grundsatzüberzeugung, daß das, was die Selbstverwaltung in Erkenntnis des Notwendigen kann, im Rahmen dieses Gesetzes auch ermöglicht werden soll. Ich glaube, der Erfolg dieses Gesetzes wird weitgehend auch davon abhängen, daß wir das, was heute hier zum Ausdruck gekommen ist, im Ausschuß zum Tragen bringen, daß wir das Positive erkennen und gemeinsam das Beste zu finden suchen.
Beim Berufsgenossenschaftstag 1959 hat der hier heute leider nicht anwesende Bundesminister für Arbeit, der diesem Gesetzentwurf so viele Impulse gegeben hat — und das soll nicht verschwiegen, sondern dankbar anerkannt werden —, Ausführungen gemacht, die ich wegen der grundsätzlichen Bedeutung zu Beginn dieser Beratung doch in Erinnerung bringen möchte. Sie können im gesamten Zusammenhang im Protokoll über den Berufsgenossenschaftstag von 1959 nachgelesen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Extreme Freiheit ist ein Feind der sozialen Sicherheit, während umgekehrt eine Überbetonung des Strebens nach Sicherheit zur Einschränkung der Freiheit führen kann.Wir erleben gegenwärtig wieder ein neues Auspendeln der Gewichte, wie es beim Übergang von der Zeit der großen Nachkriegsnot, die nach Sicherheit drängen ließ, in die Zeit geordneter und erfolgreicher Wirtschaftspolitik natürlich ist. Ich wäre dankbar, wenn alle interessierten Sozialpolitiker und andere Politiker diese Gedankengänge des Arbeitsministers, die auch für unsere heutige Diskussion gelten sollten, nachlesen würden.Wer die gegliederte Sozialversicherung will — und wir wollen sie —, wer die Unterschiede zwischen Sozialversicherungsrenten und Unfallrenten anerkennen will — und wir wollen das —, der kann nicht gleichzeitig die Anwendung der Prinzipien der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten oder etwa derjenigen der Kriegsopferversorgung auf die Unfallversicherung wünschen. Wer die gewachsene Vielfalt unserer Versicherungsarten und -träger erhalten will, muß auch die Zusammenhänge in der gesamten Sozialpolitik immer wieder sehen — das hat auch unser Kollege Arndgen hier heute morgen im Rahmen der Beratung zweier anderer Gesetze deutlich gesagt: —, der muß erkennen, daß in Anlehnung an vergleichbare, vielleicht auch mögliche Lösungen in den verschiedenen Leistungssystemen Rücksicht genommen werden
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Frau Kalinkekann, aber nicht in jedem Fall genommen werden muß. Daß die Sozialpolitik trotz aller Mannigfaltigkeit in ihren Auswirkungen eine Einheit ist, bedeutet nicht zwangsläufig ein einheitliches System der Rentenfindung, das bedeutet auch nicht zwangsläufig eine einheitliche Form der Anpassung der Renten. Das bedeutet sogar, daß wir Rücksicht zu nehmen haben, daß nicht durch falsche Formen eine Nivellierung unserer Rentensysteme erfolgt.Darum muß auch in der Unfallversicherung jeder Schritt nach vorn so sorgfältig vom Grundsätzlichen geprüft werden, aber auch von der Auswirkung auf andere Leistungsträger. Das ist schon im Hinblick auf die Kumulation der Renten und die Zusammenhänge mit dem Lohn bei den Unfallversicherten von ganz besonderer und spezieller Bedeutung. Meine Kollegen haben das in der Debatte in der vorigen Legislaturperiode um die Regierungsvorlage mehrfach deutlich gemacht. Ich will nichts davon wiederholen.Der Kollege Börner hat nun heute morgen hinsichtlich des Zeitplans der einzelnen sozialpolitischen Gesetze bewegte Klage geführt, was ich ihm nicht verdenke, hat aber erfreulicherweise zugestimmt — und daran werden wir ihn im Ausschuß erinnern —, daß dieses Gesetz so schnell wie möglich verabschiedet werden sollte, damit wir Raum für das große sozialpolitische Gesetzgebungsprogramm der kommenden Legislaturperiode haben. Wir wollen gemeinsam darum bemüht sein, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ich bin mutig genug zu sagen, auch wir hätten in manchen Dingen vielleicht etwas entschiedener von der Macht, die uns die Wähler gegeben haben, Gebrauch machen sollen — und Sie hätten in vielen Dingen etwas weniger bremsend gewirkt.
Herr Kollege Börner, Sie haben heute morgen beklagt, daß durch das Einbringen des Gesetzesentwurfs als Initiativantrag der Bundesrat nicht mehr gehört werden kann. Ich bin ganz sicher, daß die Gedankengänge der SPD, soweit sie im Bundesrat zum Ausdruck gekommen sind, von Ihnen vorgetragen werden, so wie Sie heute die fünfzehn Forderungen des DGB in Ihren Ausführungen zum Teil vorgetragen haben. Ich will mich auf das loyalste und sachlichste mit diesen Forderungen auseinanderzusetzen versuchen. Ich glaube, daß sich auch niemand von uns dem Anhören der Bundesratsvorschläge während der Ausschußberatungen widersetzen wird.Ich darf in Erinnerung bringen — nur als Ergänzung zu dem, was mein Kollege Stingl in seiner Begründung schon gesagt hat —, daß viele der Forderungen, die seinerzeit im Initiativgesetzentwurf der SPD zur vorläufigen Regelung des Rechts der Unfallversicherung enthalten waren, so z. B. die Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze, die Aktualisierung der Rente, die Verbesserung bei den Leistungen für Witwen, in unserer Gesetzesvorlage erfüllt sind. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie das besonders betont hätten, und möchte es deshalb in Ihre Erinnerung bringen. Sie sind immer soliebenswürdig, uns an manches Vergessen zu erinnern.
— Ich gebe zu, daß wir allzumal Menschen sind und uns irren. Aber daß wir ein gutes Gedächtnis haben, werde ich Ihnen in den Ausschußberatungen beweisen.Auch in Zukunft werden — darin stimmen wir überein — das Unfallheilverfahren und die Maßnahmen zur Wiederertüchtigung in der Unfallversicherung die wichtigsten Aufgaben sein. Seit Jahrzehnten sind — das muß immer wieder gesagt werden, weil bei einzelnen Debatten in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, als sei das neu — gerade das Unfallheilverfahren und die Rehabilitation auf den modernsten Stand gebracht worden, und auch dieses Gesetz wird neue Impulse zur Stärkung dieses vorrangigen Auftrages der Berufsgenossenschaften geben. Dabei soll — das betone ich wegen des Grundsatzes — ganz besonders die Wiederertüchtigung und die Fürsorge für den Verletzten im körperlichen, im seelischen und im sozialen Bereich den Vorrang vor allen finanziellen Leistungen, natürlich auch vor jeder Abfindung, haben.
Diese Fürsorge umfaßt in weitestem Sinne den ganzen Umfang ärztlicher und sozialer Dienstleistungen vom Beginn des Unfalls bis zu dem Zeitpunkt, wo der Verletzte für die normale Betätigung wiederhergestellt ist. In diesem Zusamenhang werden wir uns im Ausschuß auch mit den Gedanken und Wünschen der Ärzteschaft sehr sorgfältig auseinandersetzen.Herr Kollege Börner hat nun über einige der Forderungen gesprochen, die in dem 15-Punkte-Programm des DGB aufgestellt worden sind; er hat noch nicht alle erwähnt, die anderen werden wohl im Ausschuß folgen.
Ich möchte nur auf die Punkte eingehen, die hier heute morgen zur Diskussion standen. Selbstverständlich müssen wir uns auch mit den Fragen der Kosten befassen. Es ist schon gesagt worden — mein Kollege Stingl hat darauf hingewiesen —, daß die Kosten, die durch die Betriebsunfälle seit 1949 verursacht worden sind, immerhin um das Vierfache gestiegen sind. Aber damit ist zugleich gesagt, daß die Zahl der Unfälle gestiegen ist. Die Kosten sind in der Unfallversicherung genauso gestiegen, wie sie in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie auch in den Rentenversicherungen durch neue und teurere Heil-Methoden steigen mußten. Ich will auf die Zahlen, auch soweit Herr Schellenberg durch Fragestellungen sich darauf bezogen hat, noch bei anderer Gelegenheit eingehen.Das Studium der Unfallstatistik — allen Interessierten sehr empfohlen! — zeigt an dem veröffentlichten Ausmaß der Zahlen nicht nur die finanzielle Last, sondern vor allen Dingen das unsagbare Leid der Witwen und Waisen. Darum muß nach unserer gemeinsamen Auffassung das Hauptgewicht in der Unfallverhütung, in der Verhinderung dieses Leides für die Zukunft liegen.250 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode,— 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962Frau KalinkeNun hat Herr Kollege Börner — nicht ganz so eindeutig, wie das im ersten Punkt des DGB-Programms gesagt ist — davon gesprochen, daß mehr Vollmachten für den technischen Aufsichtsdienst gegeben werden sollen und daß mehr Gesundheitsschutz im Betrieb erfolgen muß. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist ein wenig weitergegangen. Er fordert eine Neuorganisation des technischen Aufsichtsdienstes, von der ich persönlich glaube, daß sie — und das wird sich sicher im Ausschuß zeigen — weder notwendig noch zweckmäßig wäre. Die Organisation richtet sich in den Berufsgenossenschaften — wie alle Kenner der Zusammenhänge wissen — nach den Bedürfnissen aller zusammengefaßten Gewerbezweige. Eine Verstärkung der Maßnahmen zur Unfallverhütung erfolgt laufend, und die Zahl der technischen Aufsichtsbeamten hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Daß die weitere Erhöhung, die selbstverständlich angestrebt wird, an dem allgemeinen Kräftemangel, auch am Nachwuchsmangel in diesem Berufsstand ihre Grenzen hat, dürfte allen Freunden der Unfallversicherung bekannt sein.Die Unternehmer sind dazu nach dem bisherigen Recht zur Unfallverhütung verpflichtet. Ich bin überzeugt, daß sie auf diesem Gebiet ihre Aufgabe erfüllen werden. Wie mir zur Kenntnis gekommen ist, haben auch schon weitgehende Verhandlungen der Sozialpartner mit dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften stattgefunden, und ein Gutachten ist zur Prüfung zugeleitet worden.Eine starre weitergehende gesetzliche Regelung dürfte den zahlreichen Besonderheiten der Praxis längst nicht so entsprechen wie eine Verständigung der Sozialpartner in dieser wichtigen gemeinsamen Aufgabe.Nur nebenher möchte ich darauf hinweisen, daß schon das Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit der Einschaltung der Arbeitnehmervertretungen gibt. Ich meine, daß diese Entwicklung im Rahmen der Selbstverwaltung der Sozialpartner so weit wie möglich ausgebaut werden sollte und auch ausgebaut werden kann.Lassen Sie mich etwas zu der Höhe und Erhöhung der Renten sagen. Schon das Gesetz vom 27. Juli 1957 hat die Arbeitsverdienste an den Stand vom 1. Januar 1957 herangebracht. Das zweite Gesetz, das wir gemeinsam beschlossen haben, hat die Arbeitsverdienste auf den Stand vom 1. Januar 1961 hochgezogen. Die Grundlage für die Erhöhung war die Entwicklung der Bruttolohn- und -gehaltssummen der jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer. Die Berücksichtigung einer durchschnittlichen Gehalts- und Lohnentwicklung kann natürlich auch zu Unstimmigkeiten im Einzelfall führen; sie kann sie nicht verhindern. Es hat sich aber in der Zwischenzeit gezeigt, daß die Methode der pauschalen Anhebung der Jahresarbeitsverdienste sich zweimal bewährt hat. Deshalb glauben wir, daß bei der künftigen Berechnung nicht wieder mit den Schwierigkeiten der Vergleichsjahresarbeitsverdienste begonnen werden sollte. Aber auch darüber werden wir im Ausschuß zu sprechen haben.Zur Frage der Beitragsumlage kann ich sagen, daß wir dem Anliegen der sozialdemokratischen Fraktion hinsichtlich der Höhe und der Form der Beiträge sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir unterstützen selbstverständlich den Wunsch nach einer gründlichen Prüfung im Ausschuß. Aber bei der Beitragsumlage sind ja nicht nur die verschiedenen Bezirke und Teile unserer Wirtschaft unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt. Uns liegt natürlich daran, daß dabei die besondere Situation unserer Landwirtschaft, des Mittelstandes, aber auch der Gemeinden nicht übersehen wird.Niemand wird sich der Logik verschließen, daß ein durch Unfall erwerbsunfähig gewordener Arbeirtnehmer seinen Verdienst verliert und, wenn er Junginvalide wird, auch das höhere Einkommen der Zukunft und mögliche Entwicklungschancen einbüßt. Deshalb ist die Aktualisierung der Unfallrente im Zusammenhang mit der Höhe der Löhne von jeher üblich gewesen. Wer sich gegen die volle Dynamisierung wendet, wendet sich ja keineswegs etwa gegen eine Erhöhung der Unfallrente, die sich aus der veränderten wirtschaftlichen Situation, aus der Höhe der Löhne ergibt. In § 575 ist also nach meiner Auffassung die Form der Aktualisierung nicht umstritten. Ich freue mich, daß das auch unsere Koalitionspartner hier so eindeutig gesagt haben. Umstritten ist allerdings auch in unseren Reihen die Forderung der Sozialdemokratischen Partei nach einer vollen Dynamisierung. Ich würde mich eines Vergehens schuldig machen, wenn ich das hier nicht in aller Öffentlichkeit anspräche. Es darf nicht verschwiegen werden, daß bei einer überzeugend großen Mehrheit in diesem Hause allergrößte Bedenken dagegen bestehen, von der Form der Aktualisierung abzugehen und etwa nun im Ausschuß zu elmer voll dynamischen Gestaltung zu kommen, wie das die SPD und die sozialistisch geführten Gewerkschaften wünschen.
— Ich spreche vom Programm der DAG und des DGB, das Ihnen sicher genauso bekannt ist wie mir.
— Ich hoffe es, glaube aber trotzdem, daß meine Formulierung ganz präzise war.In der Aussprache mit den Sachverständigen hat sich schon im Februar 1959 ganz deutlich gezeigt, daß alle Betroffenen, besonders diejenigen, die die Beiträge zu leisten haben, also auch die Arbeitgeber, dem Problem durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen. Der Kollege Börner hat den Punkt 10 der DGB-Forderungen im Programm der 15 Punkte heute nicht ganz so deutlich besprochen, aber erkennen lassen, daß der Weg und das Ziel bei der weiteren Behandlung der Vorlage eine volle Dynamisierung der Renten möglichst auch in der Rentenversicherung sein sollte. Ihre Kollegen haben das bei früheren Gesetzen bereits zum Ausdruck gebracht. Dazu haben die Betroffenen, nämlich die Arbeitgeberverbände, schon bei der Beratung der Regierungsvorlage sehr deutlich darauf hingewiesen, welche Gefahren in bezug auf das Haftpflichtrecht in einer vollen Dynamisierung lie-
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Frau Kalinkegen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden. Die Arbeitgeber haben sich aber trotz aller Mehrbelastungen grundsätzlich der Notwendigkeit der Rentenerhöhung gegenüber aufgeschlossen gezeigt, darüber haben wir uns gefreut.Bei diesem Problem muß ich außerdem noch folgendes sagen: Wir müssen uns stets vor Augen halten, daß im Gegensatz zu den Empfängern von Renten des Lastenausgleichs, der Invaliden- oder Angestelltenversicherung die Empfänger von Renten aus der Unfallversicherung mit einer Erwerbsminderung bis zu 50 Vo heute ausnahmslos im Erwerbsleben stehen und alle die Möglichkeit haben, neben ihrer Rente an den Erhöhungen der Löhne und Gehälter sowie an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung voll teilzunehmen. Das Bundesarbeitsministerium hat in einer sehr repräsentativen Untersuchung, die Sie im Bundesarbeitsblatt finden können, diese Zusammenhänge festgestellt. Dort können Sie nachlesen, in welch erfreulich hohem Maße die beschäftigten Empfänger von Unfall-Renten neben dem Empfang von Renten immer noch an der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung teilhaben, von der wir glauben, daß sie nicht ohne die Initiative und Hilfe derjenigen, die in der politischen Arbeit stehen, zustande gekommen ist.
Mein Kollege Stingl hat, nicht nur heute, deutlich darauf hingewiesen, daß die Berechnungselemente in der Unfallversicherung andere als in .der Rentenversicherung sind. Ich darf Sie für die Beratungen im Ausschuß schon jetzt daran erinnern. Lesen Sie bitte den Bericht des Kollegen Killat nach, der damals auch die Ausführungen unseres Kollegen Dr. Philipp hinsichtlich der Kumulation der Renten und all' der Probleme, die sich im Zusammenhang mit Lohn, Arbeit und Doppelrentenempfang ergeben, wiedergegeben hat. Ich glaube, die Ausführungen haben diese Probleme aufgezeigt, nicht ohne auch die Herren von der Opposition entsprechend 211. beeindrucken.Ich halbe diese Frage der Volldynamisierung mit Absicht so offen angesprochen. Wir sind mit unserem Koalitionspartner einig, daß der § 579 unserer Vorlage eine gute Grundlage für weitere Anpassungen an künftige Veränderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität gibt, so wie es in der Begründung auf Seite 58 unserer Vorlage steht. Allerdings soll diese Anpassung durch Gesetz erfolgen. Wir wollen dieser Verantwortung des Parlaments in keinem Falle ausweichen.Nun muß ich noch zu einer sehr wichtigen Frage Stellung nehmen, die der Kollege Schellenberg durch seinen Zwischenruf aufgeworfen hat und die Herr Kollege Börner mit einem Beispiel, das ich keineswegs für repräsentativ erachte, angesprochen hat: die Forderung nach der Abfindung der Renten, die im Gesetzentwurf der Regierung schon enthalten war und die in diesem Entwurf in einer gemilderten Form steht. Ich spreche dieses sogenannte heiße Eisen, das für uns kein heißes Eisen mehr ist, ganz offen an. Sie rennen offene Türenein, wenn Sie die Forderung erheben, daß es keine Zwangsabfindung der Renten geben soll, weil sie mit dem Sinn und dem Zweck der Unfallversicherung unvereinbar ist. Auch wir sind der Meinung, daß das Ziel der Abfindung der kleinen Renten in seiner Vielfalt gesehen werden muß. Wir hoffen, im Ausschuß eine Regelung zu finden — bier wiederhole ich das, was der Kollege Stingl ganz präzis gesagt hat —, die sowohl dem Wunsch nach Verwaltungsvereinfachung als auch den Wünschen der Empfänger solcher kleinen Renten entspricht. Die Mehrzahl der Empfänger ist daran interessiert, nicht zuletzt auch im Interesse der Eigentumsbildung, zu einer Abfindung ihrer Bagatellrenten zu kommen. Wenn das ohne rigorose Maßnahmen auf dem Weg einer freiheitlichen Vereinbarung möglich ist, bin ich überzeugt, daß wir in guter Zusammenarbeit im Ausschuß eine vernünftige Lösung finden werden. Ich habe mich gefreut, zu hören, daß auch .die Sachverständigen bei den Berufsgenossenschaften der Meinung sind, daß eine solche Vereinbarung mit den Versicherten in jedem Falle denkbar und möglich ist und daß das Ziel sowohl der Eigentumsbildung wie der Befriedigung beider Teile, der Verwaltung wie der Versicherten, erreichbar ist.Ich muß auf sehr viele und wichtige Fragen wegen der fortgeschrittenen Zeit verzichten. Wir werden im Ausschuß darüber sprechen müssen. Ich darf aber nicht verschweigen — diese Frage hat auch Kollege Börner etwas behutsam und ein wenig versteckt erwähnt; er ist sonst gar nicht so behutsam —, daß die Frage des Beitragswesens auch im Hinblick auf eine zusätzliche Belastung der Arbeitgeber durch einen Sonderbeitrag offen angesprochen werden muß. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der diese Frage in seinem Programm initiativ aufgeworfen hat, hat sie etwas deutlicher ausgesprochen. Er möchte außer dem allgemeinen Beitrag zur Unfallversicherung noch einen wirksamen Zuschlag an alle Unfallversicherungsträger für die Fälle haben, die eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Meine sehr verehrten Herren und Damen, eine Verpflichtung der Betriebe, ganz allgemein neben den schon durch dieses Gesetz erhöhten Beiträgen noch Zuschläge für einzelne Unfallversicherungsträger oder für eine Fülle einzelner Fälle nach Maßgabe der eingetretenen Fälle zu zahlen, sollte nach meiner Auffassung im Gesetz nicht festgelegt werden. Hier geht es nur um Fragen der Selbstverwaltung, die praktisch viel wirksamer gelöst werden können. Wenn besondere Fälle solche Maßnahmen notwendig machen sollten, kann die Selbstverwaltung sie lösen. Bisher gibt es nämlich schon eine Möglichkeit, Zuschläge zu erheben. Sie ist in § 712 RVO in der Weise geregelt, daß die Satzung entsprechende Bestimmungen erhalten kann. Ich wäre dankbar, wenn die Herren Kollegen von der SPD ihre Freunde im DGB auf diese Möglichkeiten des Satzungsrechts und des Rechts der Selbstverwaltung freundlich hinwiesen. Ich will das meinerseits auch gerne tun.Sie haben eine Frage nicht angesprochen, über die wir uns im Ausschuß unterhalten werden. Es ist eine Forderung, die der Kollege Stingl so nebenher
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Frau Kalinkenannte: die Versicherungspflicht unserer Haushalte und nicht zuletzt auch unserer Hausfrauen. Ich werde mir vorbehalten, zu dieser Frage im Ausschuß den Vorschlag zu machen, Sachverständige zu hören, die uns seitens der Berufsgenossenschaften die außerordentlich gute Betreuung unserer im Haushalt Beschäftigten darlegen werden und die uns seitens der Individualversicherung, die sich in der privaten Unfallversicherung mit der Versicherung von Hausfrauen beschäftigt, beweisen werden, daß die von den Berufsgenossenschaften vertretene Auffassung, Hausfrauen könnten besser und billiger individuell versorgt werden, richtiger ist. Wir wollen jedenfalls nicht, daß der Aufsichtsbeamte der Überwachung in Zukunft in die Haushalte unserer Familien kommt.
Ich spreche diese Frage offen und nicht versteckt an, weil sie mit zu dem Programm gehört, das Ihre Freunde im DGB uns zur Reform der Unfallversicherung zugeschickt haben.Nun zum Thema der Kostenerstattung der Leistungen ab erstem Tag. Herr Kollege Ollesch hat schon für die FDP und Herr Kollege Stingl hat bei der Begründung des Gesetzentwurfs die Änderung des § 1504 RVO erläutert. Ich möchte es nur insoweit noch einmal tun, als einzelne Probleme auch für diejenigen, die den Zusammenhang nicht kennen, ganz deutlich werden müssen.Die Krankenkassen zahlen nach wie vor die Kosten der ambulanten Behandlung, und zwar zeitlich unbegrenzt, während die Unfallversicherungsträger die über die Krankenversicherungsleistungen hinausgehenden Leistungen in ihrer Verantwortung tragen. Die Kosten der Krankenhausbehandlung und des Krankengeldes werden geteilt; und wenn die Krankenversicherungsträger es bis zum 18. Tag und darüber hinaus die Unfallversicherungsträger tun werden, so ist das nicht — Herr Kollege Ollesch hat das dankenswerterweise Herrn Kollegen Börner schon berichtigend gesagt — eine irgendwie zufällige Einigung. Den Kennern der Materie ist bekannt, daß schon vor 25 Jahren diese Absicht der Kostenteilung bei Kranken- und Unfallversicherungsträgern eine Rolle gespielt hat und daß man damals der Meinung war — was für die damaligen Verhältnisse durchaus denkbar und richtig gewesen sein kann —, daß beim 45. Tag genau die Hälftelung der Kosten liegen sollte. Damals hatten wir noch keine Statistiken. Heute haben wir Statistiken, die ganz deutlich zeigen, daß die Kostenteilung am 18. bzw. 19. Tag genau diesen Wunsch erfüllen würde. Da die gesamten Kosten, die für die Unfallbehandlung zur Zeit entstehen, etwa 550 Millionen DM pro Jahr betragen, würde die Neuregelung — das will ich nur noch hinzufügen, um die Zahlen eindeutig zu sagen — den Krankenkassen fast 250 Millionen DM im Jahr ersparen, die die Berufsgenossenschaften, das heißt die Arbeitgeber, mehr bezahlen müssen. Das macht für die Berufsgenossenschaften insgesamt eine Kostenerhöhung von durchschnittlich 15 °% aus.Meine Herren und Damen, bei diesem Zusammenhang möchte ich aber auch eines nicht verschweigen: daß in der Diskussion dieses Problem, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Krankenversicherungsreform, viel zu sehr hochgespielt worden ist. Selbst wenn die Forderung der SPD und des DGB, die von vielen als ein echtes Diskussionsproblem angesehen wird, durchdiskutiert würde, nämlich die vollen Lasten der Krankenversicherung zu ersetzen, indem wir sie auf die Unfallversicherung umlegen, wären damit die Milliardenetats unserer über 3000 Krankenkassen
mit ihren ungeheuren finanziellen Belastungen und Sorgen keineswegs auch nur in irgendeiner Weise entscheidend entlastet. Darüber muß man sich klar sein: 200 Millionen sind bei dem Problem, das bei der Krankenversicherungsreform vor uns steht, wirklich nur ein Tropfen auf einen heißen Stein.Aber gegen die Übernahme der Kosten vom ersten Tag an — das muß ich in dieser Grundsatzdebatte der ersten Lesung doch einmal sagen — bestehen die verschiedensten Bedenken. Einmal sind das grundsätzliche Bedenken. Grundsätzliche Erwägungen sprechen dafür, die Krankenversicherung zu beteiligen, weil die Unfallversicherung — das ist schon gesagt worden — auch die Wegeunfälle erfaßt. Da Herr Kollege Schellenberg nach Zahlen gefragt und Herrn Kollegen Ollesch daraufhin angesprochen hat, möchte ich hier, weil ich die Zahlen mitgebracht habe, das Bild etwas klarer machen. Im Jahre 1960 standen bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften 57 490 erstmalig entschädigten Arbeitsunfällen 15 545 erstmalig entschädigte Wegeunfälle gegenüber, davon 3021 tödliche Arbeitsunfälle und 1536 tödliche Wegeunfälle.Außerdem gewährt die Unfallversicherung Entschädigung — das muß auch gesagt werden — ohne Rücksicht auf das Verschulden des Verletzten. Da jeder Unfall auch den Begriff der Krankheit erfüllt, lassen es diese sehr weitgehenden Verpflichtungen der Unfallversicherung durchaus gerechtfertigt erscheinen, auch die Krankenversicherung mit einem kleinen und begrenzten Teil zu beteiligen.Es sind hier ferner verwaltungsmäßige und finanzielle Gründe angesprochen worden. Ich will auch auf die Fragen antworten, die der Kollege Schellenberg unserem jungen Kollegen Ollesch gestellt hat, den er damit bei seiner Jungfernrede in eine etwas schwierige Situation gebracht hat; ich nehme an, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie die Statistiken auch haben.
— War es das nicht? Pardon, ich nahm es an. Aber ich glaube, wir werden ihm dennoch alle zusammen Beifall für seine Rede spenden, auch wenn es keine Jungfernrede war.Herr Kollege Schellenberg, Sie kennen ja die Zahlen. Aber die übrigen Kollegen sollen sie auch hören, damit nicht auf Grund Ihres Zwischenrufes ein falsches Bild entsteht. Sie wenden sich mit Zahlen gegen die Abgrenzung des 18. Tages. Ich will hier die Verhältnisse einmal ganz deutlich machen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 253
Frau KalinkeWährend 1950 noch 8,9 % aller von den gewerblichen Berufsgenossenschaften erstmalig entschädigten Unfälle auf Wegeunfälle entfielen, lag dieser Anteil 1954 bereits bei 17,1 v. H. Im Jahre 1960 stand er auf 19,7 v. H. im Durchschnitt; bei einigen Zweigen lag er bei über 30 v. H., wie die bekannten Übersichten und Statistiken zeigen. Dabei ist erwiesen, daß die Folgen ,der Wegeunfälle viel erheblicher und schwerer sind als die der eigentlichen Arbeitsunfälle; sie ziehen deshalb sehr viel größere Kosten nach sich. Der Anteil der tödlichen Wegeunfälle — das ist sozialpolitisch und finanziell das Interessante — stieg von 14,7 % im Jahre 1950 auf 24,5 % im Jahre 1954 und 32,2 % im Jahre 1960. Herr Professor Schellenberg, weil Sie eine diesbezügliche Frage gestellt haben, wollte ich diese Zahlen in Ihre Erinnerung rufen. Ich glaube, wir sollten uns im Ausschuß darüber klar sein, daß wir dieses Problem völlig losgelöst von dem der Kosten der Krankenversicherung sehen müssen, deren Kosten in den letzten acht Jahren auch um 150 % gestiegen sind.In der Aussprache haben Sie das Problem der Berufskrankheiten — hier ist, wie in unserer Vorlage deutlich wird, ein Kompromiß zustande gekommen — sehr behutsam angefaßt. Ich habe mich darüber gefreut, denn ich bin der Auffassung, daß die Berufskrankheitenregelung, wie sie nun in § 552 vorliegt, dem Kompromiß entspricht, der zwischen der Forderung nach der Generalklausel, wie sie die einen erheben, und der Forderung nach dem starrenFesthalten am Listenprinzip, wie sie die anderen erheben, gut ist. Wir müssen wahrscheinlich im Ausschuß besorgt sein, in der Aussprache mit den Fachleuten und den Kennern der Materie sehr deutlich zu erkennen, daß strenge Voraussetzungen nötig sind, um anzuerkennen, ob eine Erkrankung wirklich eine Berufskrankheit ist, wobei wir andererseits die Tür dazu aufmachen wollen, all die schweren Fälle, die durch die Modernisierung und Technisierung des Arbeitsablaufs entstehen, immer rechtzeitig zu prüfen, damit die Berufskrankenverordnung, die Liste der Berufskrankeiten, nicht nachhinkt. Die jetzige Berufskrankenregelung des Entwurfs, die einerseits die Aufrechterhaltung der Listen vorsieht, andererseits der Selbstverwaltung Möglichkeiten gibt, halten wir für eine gute Grundlage, auf der wir im Ausschuß hoffentlich zu einer gemeinsamen Entschließung kommen werden.Nicht zuletzt möchte ich auch noch Wünschen unserer Kolleginnen und Kollegen aus unserer Fraktion nachkommen, indem ich unsere Hoffnung zum Ausdruck bringe, daß auch wegen der Lösung für die Witwenrenten ein Gespräch im Ausschuß zustande kommen wird, das uns aufgeschlossen zeigen wird für alle die Überlegungen, die der fortschrittlichen Entwicklung des sozialpolitischen Anliegens in diesem Gesetz Rechnung tragen.Mit Rücksicht auf den Wunsch, um diese Zeit die Mittagspause eintreten zu lassen, möchte ich dem Kollegen Schellenberg keine Zeit wegnehmen und möchte mir daher vorbehalten, für den Fall, daß er noch auf den einen oder anderen weiteren Punkt eingeht, darauf antworten zu dürfen. Ich schließe meine Stellungnahme mit dem Wunsch, daß die gute Atmosphäre, in der wir diese erste Lesung heute geführt haben, auch die Beratungen des Gesetzes im Sozialpolitischen Ausschuß begleiten möge, damit wir dieses so wichtige Gesetz zum Wohl aller Betroffenen im Ausschuß möglichst bald verabschieden können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag der Sprecher der Regierungsparteien zu dem zentralen Anliegen, um das es bei der Unfallversicherungsreform geht, nämlich die Intensivierung der Unfallverhütung, dieser Beitrag hat sich erschöpft in unverbindlichen Deklamationen. Es ist von Ihnen heute nicht ein neuer Gedanke zur Unfallverhütung ausgesprochen worden. Auch in ,dem Gesetzentwurf, der vorgelegt wird, steht nicht ein neuer Gedanke zur Unfallverhütung, meine Damen und Herren.
Das ist im Hinblick auf die berechtigte Unruhe, die die Öffentlichkeit wegen der Entwicklung der Arbeitsunfälle erfaßt hat, ein sehr spärliches Ergebnis.Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben es sich etwas zu einfach gemacht, insbesondere die Sprecher der CDU, Frau Kollegin Kalinke und Herr Kollege Stingl, als sie die gestiegenen Zahlen der Arbeitsunfälle mit Änderungen in der Meldetechnik begründet haben, wie es beispielsweise Herr Kollege Stingl getan hat.Tatsache ist, daß die Zahl der gemeldeten Arbeitsunfälle seit Bestehen der Bundesrepublik ständig seigt.
— Ich komme darauf. Die Zahlen steigen ständig, und das hat nur wenig mit der Technik der Meldung zu tun. Die Zahl der gemeldeten Arbeitsunfälle betrug im Jahre 1950 rund 1,3 Millionen und ist im Jahre 1960 auf über 3 Millionen gestiegen.Meine Damen und Herren, nicht nur absolut, sondern auch in bezug auf einen Maßstab, der für einen statistischen Vergleich von Bedeutung ist, nämlich die Zahl der Beschäftigten, der, wie es in den Berichten des Bundesarbeitsministeriums heißt, der sogenannten Vollarbeiter, hat sich seit 1951 der Anteil der Arbeitsunfälle um 50 % erhöht. Das ist ein Tatbestand, den man nicht damit abtun kann, daß man auf die gestiegene Zahl der Wegeunfälle verweist. Ich habe vorhin durch meine Zwischenfrage zum Ausdruck gebracht, daß die Wegeunfälle nur 9 % der gemeldeten Unfälle ausmachen.
— In bezug auf die Zahl der gemeldeten Unfälle machen sie weniger als 10 % aus.
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254 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruf?
Ja natürlich, bitte.
Herr Kollege Schellenberg, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es auf die Zahl der gemeldeten Unfälle nicht ankommt, daß diese Statistik der angezeigten Unfälle nichts aussagt? Ist Ihnen bekannt, daß vielfach Fälle vorsorglich gemeldet werden, wo es sich überhaupt nicht um Unfälle, sondern um Verletzungen vorübergehender Art handelt, die später nicht von den Berufsgenossenschaften entschädigt werden müssen? Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Schellenberg, daß die Zahl der angezeigten Unfälle zwar um 37 % von 1954 bis 1960 gestiegen ist, die Anzahl der erstmals entschädigten Unfälle in demselben Zeitraum jedoch um 7 % gesunken ist? Und darauf kommt es an. Haben Sie ferner, Herr Kollege Schellenberg, übersehen, daß die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle — ich spreche nicht von Verkehrsunfällen — im Laufe der letzten Jahre Gott sei Dank in zunehmendem Maße zurückgegangen ist? Ich könnte Ihnen dafür den statistischen Nachweis erbringen.
Herr Abgeordneter Ruf, ich bitte Sie erstens, sich auf Fragen zu beschränken. Zweitens kann die Zahl der Fragen natürlich nicht unbegrenzt sein.
Herr Kollege Ruf, um die Frage auszudiskutieren, müßten wir sehr ins Detail gehen. Ich müßte sofort an meinen Platz gehen und die Statistiken im einzelnen vornehmen.
— Nein. Herr Kollege Ruf, das Problem ist vielschichtiger. Die Zahl der gemeldeten Arbeitsunfälle ist unbestreitbar ein wichtiges Symptom. Selbstverständlich ist auch das Ausmaß der Unfallfolgen von Bedeutung. Ich darf es Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen. Da drüben wird vor unseren Fenstern gebaut. Ich habe jeden Tag das Vergnügen, die Bauarbeiter dabei zu beobachten. Es wird dort unter einem Kran gearbeitet. Ein Balken kann herunterfallen. Das kann zu einem tödlichen Unfall führen, wenn etwa ein herunterfallender Balken einen Arbeiter, der dort ohne Schutzhelm arbeitet, auf den Kopf trifft. Das herabfallende Stück kann vielleicht aber nur den Arm treffen, dann sind die Folgen geringer. Das Ausmaß des Unfallschadens ist oft mehr oder weniger zufällig. Deshalb muß die Zahl der Arbeitsunfälle überhaupt, auch die der geringfügigen, besonders beachtet werden.
Um es ganz deutlich zu sagen: meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß Sie es sich einfach zu leicht machen, wenn Sie sagen, die Zahl der entschädigten Unfälle habe sich nicht bedenklich entwickelt.
Wir wissen, daß das Ausmaß der Arbeitsunfälle bei uns auch im internationalen Vergleich gesehen viel zu hoch ist, und wir haben die gemeinsame Verpflichtung, mehr für die Unfallverhütung zu tun.
Das kritisiere ich an der Koalition: Sie haben heute keinen einzigen konstruktiven Gedanken zur Weiterentwicklung der Unfallverhütung vorgetragen.
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Jawohl.
Herr Kollege Schellenberg, ich kann einfach nicht glauben, daß Sie es überhört haben sollten, wie präzise wir — nicht nur meine Kollegen, sondern auch ich — uns zur Fortentwicklung des Rechts und zur Verpflichtung zu weiterem Unfallschutz ausgesprochen haben. Ich frage Sie: haben Sie das überhört, Herr Kollege Schellenberg? Die zweite Frage ist: von wem haben Sie gehört, daß er einer anderen Auffassung wäre als die, die ich eben präzisiert habe?
Frau Kollegin Kalinke, es kommt nicht auf schöne Worte, sondern es kommt auf Taten an.
In dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, steht nicht ein Satz, durch den die Unfallverhütung gegenüber dem geltenden Recht weiterentwickelt würde. Sie haben sich dazu leider gar nichts einfallen lassen. Das finde ich zuwenig im Hinblick darauf, daß wir uns seit der 2. Legislaturperiode mit der Frage der Unfallversicherung beschäftigen.
Ich möchte Ihnen noch eine weitere Antwort geben. Sie haben vorhin den DGB vielfältig zitiert. Auch die Arbeitgeber hat, was wir dankbar anerkennen, vielfach eine starke Unruhe über das Ausmaß der Arbeitsunfälle erfaßt. Wir haben in dem, was Sie von den Regierungsparteien ausgeführt haben, nichts Konstruktives gehört, womit man den bedenklichen Tatbeständen begegnen könnte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, gern!
Herr Kollege Professor Schellenberg, sind Sie denn nicht der Auffassung, daß die zur Zeit laufenden Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern, die doch diesem Ziel dienen, gut und richtig sind? Oder wollen Sie statt
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 255
Frau Kalinkedessen starre gesetzliche Normen setzen und. den Sozialpartnern die Initiative in der Selbstverwaltung beschränken?
Liebe Frau Kollegin Kalinike, wir behandeln heute nicht Verhandlungen der Sozialpartner, sondern wir haben die erste Lesung eines Gesetzentwurfes. Dahaben wir uns zu überlegen, was wir zu tun haben.
— Meine Damen und Herren, ich muß, um es ganz deutlich zu sagen, — —
Ihre Ausführungen zur Unfallverhütung zeugen —deshalb sind wir so beunruhigt; entschuldigen Sie den scharfen Ausdruck: — von einem zu hohen Maß an Selbstzufriedenheit.
Wir müssen gemeinsam die Sorge tragen, daß mehr geschieht. Es ist im Hinblick darauf ein unbefriedigender Zustand, wenn, um es ganz konkret zu sagen, die Verwaltungskosten der Träger der Unfallversicherung mehr als dreimal so hoch sind als die Ausgaben für die Unfallverhütung.
Das scheint uns kein sinnvolles Verhältnis auch im Hinblick auf den Tatbestand zu sein, daß es nicht nur um das Ausmaß der Ausgaben der Berufsgenossenschaften geht. Im Zusammenhang mit den Arbeitsunfällen ergeben sich noch weitere erhebliche volkswirtschaftliche Belastungen, unabhängig von dem gesundheitlichen Leid, von dem der einzelne betroffen wird. Deshalb erklären wir Sozialdemokraten — das haben wir bei dem, was Sie gesagt haben, vermißt —: es muß mehr an Konkretem für die Unfallverhütung geschehen.Ich möchte Ihnen dazu außer dem, was Herr Kollege Börner gesagt hat, auf das Sie leider nicht eingegangen sind,
einige Tatbestände nennen. Wir sind der Auffassung, daß die Zahl der technischen Aufsichtsbeamten wesentlich erhöht werden muß. Ich möchte Ihnen nur eine Zahl aus dem Bereiche der Landwirtschaft nennen. Wir haben 1 600 000 landwirtschaftliche Betriebe und 72 technische Aufsichtsbeamte. Das bedeutet praktisch, daß auf rund 22 000 landwirtschaftliche Betriebe ein technischer Aufsichtsbeamter kommt.
Ich glaube, ein Beamter braucht sein ganzes Arbeitsleben, um einmal in jedem Betrieb gewesen zu sein, ,den er beaufsichtigen soll.
Meine Damen und Herren, das scheint uns unzureichend zu sein.
Ein weiterer Gesichtspunkt: wir müssen mehr tun und uns als Gesetzgeber auch mehr überlegen, was wir für die Zusammenarbeit zwischen den Gewerbeaufsichtsämtern und dem technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaften tun können.
Das klappt heute noch nicht sinnvoll. Wie wir das regeln müssen, muß noch im einzelnen überlegt werden, vielleicht durch ein Verwaltungsabkommen mit den Ländern. Jedenfalls muß auch in dieser Hinsicht mehr überlegt und mehr getan werden.
— Frau Kollegin Kalinke, Sie haben .den Gesichtspunkt, den mein Kollege Börner vertreten hat, nämlich das wirtschaftliche Interesse der Betriebe an Zahl, Ausmaß und Schwere der Unfälle über die geltenden gesetzlichen Regelungen zu verstärken, von vorherein abgelehnt.Wir sind der Meinung, daß sich das bisherige Recht, wie wir aus den Erfahrungen leider erkennen müssen, nicht voll bewährt hat. Es müssen deshalb Maßnahmen überlegt werden, die in der praktischen Auswirkung dazu führen, daß das Ausmaß der Unfälle des einzelnen Betriebes in seiner Betriebsabrechnung spürbarer in Erscheinung tritt als heute.
In dieser Hinsicht müssen wir uns etwas einfallen lassen. An dieser Stelle will ich bekennen, daß sich einige Unternehmer dazu sehr Instruktives haben einfallen lassen. Wir als Gesetzgeber haben die Verpflichtung, auf Grund dieser Erkenntnisseund Erfahrungen das geltende Recht zu verbessern.Herr Kollege Börner hat erwähnt — und Frau Kollegin Kalinke hat das aufgenommen —, daß natürlich auch mehr geschehen muß, um die Verantwortung des einzelnen Beschäftigten für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu stärken. Kollege Börner hat hier doch sehr klare und deutliche Worte gesprochen. Das ist nach unserer Auffassung eine gemeinsame Aufgabe für Unternehmer und Beschäftigte. Dazu bekennen wir uns mit allem Nachdruck.
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256 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Dr. SchellenbergFrau Kollegin Kalinke, es war der Sache nicht ganz entsprechend, daß Sie hier x-mal DGB-Eingaben zitiert haben,
ohne allerdings die positiven Elemente, die in dem Willen zur gemeinsamen Arbeit für die Unfallverhütung liegen und die auch in den Vorschlägen des DGB zum Ausdruck kommen, entsprechend zu würdigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zum anderen möchte ich im Hinblick auf das, was Herr Schellenberg hier bezüglich der gemeldeten Unfälle, bezüglich der erstmals entschädigten Schadensfälle gesagt hat, gar nicht in die Tiefe der
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962 257
SpitzmüllerStatistiken steigen; denn wir wissen, die eine Statistik kommt zu jenem Ergebnis und die andere Statistik kommt wieder zu einem anders gearteten Ergebnis. Man muß dann immer wieder versuchen, zu erkennen, welche der Statistiken der Wahrheit am allernächsten kommen. Ich glaube, wir streiten uns dann mit Zahlen immer noch mehr und länger herum. Dafür haben wir im Ausschuß mehr Zeit als im Plenum. Im übrigen kommen diese statistischen Zahlen von der jeweiligen Seite sowieso in die Öffentlichkeit und in die Presse; dafür braucht man das Podium des Deutschen Bundestages nicht unbedingt über Gebühr zu strapazieren.Ich möchte aber noch eines sagen. Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie die Einbringer angreifen und sagen, hier sei kein Gedanke verankert, der eine Fortentwicklung der Unfallverhütung vorsieht, und wenn Sie hier die technischen Möglichkeiten der Aufsicht angreifen, dann richtet sich ein solcher Angriff gar nicht so sehr gegen die CDU und die FDP — die CDU als einbringende und die FDP als zustimmende Fraktion —,
sondern im Grunde genommen doch gegen die Berufsgenossenschaften. Als ob dort die Selbstverwaltungsorgane nicht das Menschenmögliche getan hätten!
— Das kommt hinzu. Sie wissen ja auch, daß diese Selbstverwaltungsorgane paritätisch besetzt sind, obwohl die Beiträge nur von einer einzigen Seite aufgebracht werden.Ich muß also, lieber Herr Kollege Schellenberg, diesen scharfen Angriff entschieden zurückweisen, weil er nämlich wirklich Leute trifft, die in ehrenamtlicher Tätigkeit — davon sind wir alle überzeugt — ihr Bestes geben, um ihre Aufgabe zu erfüllen.Lassen Sie mich ganz zum Schluß darauf kommen, daß mein Kollege Atzenroth da und dort wegen eines Artikels, den er geschrieben hat, apostrophiert worden ist. Frau Kalinke hat darauf hingewiesen, daß innerhalb der CDU gewisse Meinungsverschiedenheiten über die beste Lösung bestehen. Ich bin der Meinung, wenn in einer Partei so etwas sichtbar wird, ist es doch nur ein Zeichen dafür, daß in ihr Spannungsverhältnisse vorhanden sind, die ausgetragen werden müssen, um der großen Spannweite dieser Partei gerecht zu werden.
Mich berührt es eigentlich etwas komisch und unangenehm, wenn ich in der heutigen Debatte den Eindruck bekomme, als wenn in der großen SPD-Fraktion solche Spannungsverhältnisse nicht vorhanden und damit keine Spannungen bei diesen Fragen auszutragen sind.
Es ist sicherlich die Aufgabe der Opposition, immer wieder auf Mängel hinzuweisen, die sie glaubt feststellen zu müssen. Wenn wir aber die Debatte von heute noch einmal vor unseren Augen Revue passieren lassen, so müssen wir doch zu der Überzeugung kommen, daß in diesem Entwurf unendlich viel enthalten ist, was gemeinsamen Ansichten entspricht. Über einiges sind wir unterschiedlicher Auffassung. Daß muß ja auch sein, denn sonst würde der Ausschuß sehr schnell vor Arbeitslosigkeit stehen. Diese Gefahr besteht nicht, weil eben diese Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien und diese Spannungsverhältnisse in den Parteien ausgetragen werden müssen. Dazu sollten wir möglichst bald den Anfang machen. Für meine Fraktion kann ich nur sagen: Wir sind gern bereit, das Unsere zur Beschleunigung und Versachlichung des Gesprächs im Ausschuß beizutragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei Feststellungen treffen.
1. Ich habe kein Wort gegen die Berufsgenossenschaften und kein Wort gegen die Selbstverwaltung gesagt.
Die Aufgabe, um die es sich für uns handelt, ist die der Selbstverwaltung durch Gesetzgebung bessere Möglichkeiten für einen wirksameren Unfallschutz zu geben. Die zweite Aufgabe geht über den Rahmen und die Möglichkeiten der Selbstverwaltung hinaus; sie betrifft allgemeine Regelungen der Gesetzgebung zur wirksameren Unfallverhütung.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
— Wegen der Kosten.
— Meine Damen und Herren, Sie sind souverän. Was ich Ihnen vorgetragen habe, ist der Vorschlag, der im Ältestenrat ausgearbeitet worden ist.Also stimmen wir getrennt ab! Daß der Ausschuß für Sozialpolitik die Vorlage federführend behandeln soll, darüber besteht Einverständnis. Wer dafür ist, daß der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird, möge
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258 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Januar 1962
Vizepräsident Dr. Jaegerdie Hand erheben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; abgelehnt.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt .Ich darf Ihnen eine Berichtigung mitteilen. Auf der Vorschlagsliste der Sozialdemokratischen Partei ist der als ordentliches Mitglied vorgesehene Abgeordnete Dr. Brecht Stellvertreter und der als Stellvertreter vorgesehene Adolf Hasenörl, Stuttgart, ordentliches Mitglied. — Sie haben die Berichtigung zur Kenntnis genommen.Wer dem Antrag und damit der Wahl zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 19. Januar 1962, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.