Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren,
der Tod hat wieder eine schmerzliche Lücke in unsere Reihen gerissen Am 97 Juni verstarb nach einer langen und schweren Krankheit unser Kollege Otto Köhler.
Otto Köhler wurde am 10. März 1897 in Bühnsdorf im Holsteinischen geboren. Er war Landwirt. Er hat eine Reihe Ämter im landwirtschaftlichen Verbandswesen bekleidet und war in der bäuerlichen Selbstverwaltung tätig. Von 1929 bis 1933
g war er Provinzialvorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Land- und Bauernbundes; nach 1933 war er Leiter des Verbandes der Schleswig-Holsteinischen Genossenschaften.
Im ersten Weltkrieg war Otto Köhler Soldat. Er schloß sich der Deutschen Volkspartei an und war seit 1924 Mitglied ihres Landesvorstandes. Im Jahre 1955 trat der Verstorbene der Freien Demokratischen Partei bei. Er war Mitglied des Landesvorstandes Schleswig-Holstein und Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. Dem Deutschen Bundestag gehörte der Verstorbene über die Landesliste Schleswig-Holstein seit 1957 an. Er war Mitglied des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ich spreche den Hinterbliebenen und der betroffenen Fraktion der FDP die herzliche Anteilnahme des Hauses aus. —
Sie haben sich zum Gedächtnis des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe noch mitzuteilen, daß mit Wirkung vom 27. Juni für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Ratzel der Abgeordnete Rimmelspacher in den Bundestag eingetreten ist. Ich begrüße den neuen Kollegen in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit mit uns.
Weiterhin habe ich noch einige Glückwünsche auszusprechen. Frau Dr. Brökelschen feierte am 25. Juni ihren 70. Geburtstag. Frau Dr. Dr. h. c.
Lüders beging am selben Tag ihren 82. Geburtstag. Das Haus drückt Ihnen beiden herzliche Glückwünsche aus. Ad multos annos!
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 8. April 1959 eine Übersicht über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen nach dem Stand vom 1. April 1960 übersandt, die als Drucksache 1963 verteilt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Titel von begründeten Ausnahmefällen abgesehen weder bestätigen noch dementieren.
Sie haben das Recht, Fragen zu stellen, aber nicht das Recht, ein Gespräch anzuknüpfen.
Eine Zusatzfrage? — Nein, die Frage ist erledigt.
Die zweite Frage bezieht sich auf den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Fragestellerin ist Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus. Die Frage betrifft ein deutsch-türkisches Finanzabkommen:
Ist es richtig, daß der Herr Bundeskanzler durch ein Finanzabkommen Mitte April 1960 mit der damaligen türkischen Regierung Menderes einen Kredit von 35 Millionen Dollar und eine Hermes-Garantie über weitere 15 Millionen Dollar zusagte und daß dieser Staatsvertrag in Bonn als „Geheime Verschlußsache" deklariert wurde?
Das Wort hat Herr Staatssekretär van Scherpenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage ist folgendes zu sagen. Am 19. April dieses Jahres wurde zwischen der Bundesregierung und der damaligen türkischen Regierung Menderes ein Rahmenabkommen abgeschlossen,
durch welches die Kreditanstalt für Wiederaufbau in die Lage versetzt wurde, der Zentralbank der Türkischen Republik ein bankenübliches Darlehen in Höhe von 147 Millionen DM zu gewähren. Das Darlehen dient dem Zweck der Verstärkung der Kassenreverse der Türkischen Zentralbank in ausländischer Währung. Es wurde gegeben in Anrechnung auf etwaige spätere multilaterale Hilfeleistungen für die Türkei.
In diesem Abkommen erklärte sich die Bundesregierung bereit, gegenüber deutschen Ausführern Bundesbürgschaften und -garantien für Ausfuhrgeschäfte nach der Türkei bis zur Höhe von 63 Millionen DM über die bisher gewährten oder zugesagten Bürgschaften und Garantien hinaus nach Maßgabe ihrer allgemeinen Grundsätze zu übernehmen. Das Abkommen ist nicht etwa als geheime Verschlußsache behandelt worden, sondern völlig offen im normalen Geschäftsgang gelaufen. Es ist lediglich wegen seines Charakters als Rahmenabkommen und wegen der Tatsache, daß für die Kreditgewährung als solche lediglich der zwischen den Banken, nämlich der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Türkischen Zentralbank, abgeschlossene Vertrag maßgeblich ist, nicht veröffentlicht worden.
Eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe folgende Frage zu stellen: Ist der Bundesregierung die Veröffentlichung über dieses Abkommen in der Mitteilung des Deutschen Industrieinstituts vom 31. Mai 1960 bekannt, in der es — es handelt sich um einen Auszug aus dem „Handelsblatt", also einer seriösen Zeitung — wie folgt heißt:
Riskanter Türkenkredit. — Ungeachtet der sich deutlich zuspitzenden politischen Entwicklung in der Türkei veranlaßte die Bundesregierung, daß dem türkischen Staat ein Kredit von 35 Millionen Dollar oder rund 150 Millionen DM in bar zur Verfügung gestellt wurde. Von sachkundigen Bonner Ministerialbeamten war dazu fast einhellig die Ansicht zu hören, daß der ohne Rücksicht auf ein schweres politisches Risiko ausgezahlte mittelfristige Kredit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als langfristig nicht einbringbare Forderung angesehen werden müsse. Entgegen den dringenden Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes, der Türkei allenfalls nur eine Kreditzusage im Rahmen eines multilateralen Abkommens zu geben, schloß der Bundeskanzler Mitte April mit der türkischen Regierung Menderes ein zweiseitiges Finanzabkommen, das den erwähnten Barkredit . . .
Frau Abgeordnete, Sie können hier nicht ganze Zeitungsartikel verlesen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6951
Nein; ich bin auch gleich fertig. Aber es ist in eine Frageform gekleidet, Herr Präsident!
Aber das Verlesen von Zeitungsartikel in eine Frageform zu kleiden ist im Hause nicht üblich.
Ich habe dazu folgendes zu fragen: Ist Ihnen bekannt, daß dann noch der Hinweis auf „geheime Verschlußsache" kommt? Und was hat die Bundesregierung unternommen, um diese Dinge richtigzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Zeitungsartikel ist mir natürlich bekannt. Aber wir können nicht auf jeden Zeitungsartikel, der wirklich voller Unrichtigkeiten ist, ein ebenso ausführliches Dementi geben.
Dafür haben wir die Fragestunde gehabt.
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft Abgeordneter Wilhelm —betrifft Förderungsmaßnahmen zur Ansiedlung von Industriebetrieben im Saarland:
Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenhang mit der Einschränkung bzw. Stillegung von Schachtanlagen der Saarbergwerke im Saarland die gleichen Forderungsmaßnahmen zur Ansiedlung von Industriebetrieben zu erwägen, wie sie für den
Raum Bochum zugesagt wurden?
Herr Wirtschaftsminister!
Zur Förderung der Ansiedlung von Ersatzindustrien in dem von Zechenstillegungen größeren Ausmaßes betroffenen Steinkohlenrevier stehen zur Zeit 15 Millionen DM Kreditmittel zur Verfügung, die die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Nürnberg, auf meine Anregung bereitgestellt hat. Mittel aus der Heizölsteuer stehen nach dem Beschluß des Bundestages hierfür nicht zur Verfügung. Die Bundesregierung beobachtet die Auswirkungen von Betriebseinschränkungen im Saarland ebenso wie in anderen Steinkohlenbezirken mit besonderer Aufmerksamkeit. Sofern im Saarland Betriebsstillegungen größeren Umfangs notwendig werden sollten und eine Ansiedlung von Ersatzindustrien zweckmäßig erscheint, wird das Bundesministerium für Wirtschaft der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorschlagen, diese Mittel auch im Saarland einzusetzen. Die Bundesregierung setzt dabei voraus, daß die etwa vordringliche Ansiedlung von Ersatzbetrieben primär von der Landesregierung und den betroffenen Gemeinden gefördert wird.
Zusatzfrage? — Die Frage ist erledigt.
Die nächste Frage — des Abgeordneten Krammig — betrifft den Export von Roggen:
Wie viele Tonnen Roggen wurden
a) im Jahre 1957
b) im Jahre 1958
c) im ,Jahre 1959 in das Ausland ausgeführt?
Wie hoch war der Preis, der auf dem Binnenmarkt je Tonne Roggen gezahlt wurde?
Wie hoch waren die Einlagerungskosten je Tonne Roggen bei der Einfuhr- und Vorratsstelle?
Zu welchem Preis wurde der Roggen je Tonne exportiert?
Wie hoch ist die Gesamthöhe des Bundeszuschusses, der je Tonne Roggen beim Export gezahlt wurde?
Warum wurde dieser Roggen nicht denjenigen Landwirten zu Futterzwecken zum Kauf angeboten, die ihre Eigenerzeugung an Roggen verfütterten, somit keinen Roggen auf den Markt brachten und noch Bedarf hatten?
Ist Herr Abgeordneter Krammig im Hause? — Ich bitte, die Frage zu beantworten, Herr Minister.
Ich darf die gestellte Frage wie folgt beantworten,
Im Wirtschaftsjahr 1957/58 wurden rund 100 000 t Roggen ausgeführt, im Jahre 1958/59 rund 140 000 t Roggen. Im Jahre 1959/60 wurden bis jetzt rund 40 000 t Roggen zur Ausfuhr freigegeben.
Die zweite Frage: 380 bis 400 DM je t ist der Einstandspreis für die Einfuhr- und Vorratsstelle.
Dritte Frage: Die Lagerkosten der Einfuhr- und Vorratsstelle betrugen je Jahr und t 80 bis 85 DM einschließlich Einlagerungs- und sonstiger Vorkosten im ersten Jahr und in jedem weiteren Jahr 45 bis 50 DM. Bei der Wiederabgabe aus der Einfuhr- und Vorratsstelle entstehen noch Zusatzkosten von 4 DM je t.
Vierte Frage: Der von der Einfuhr- und Vorratsstelle erzielte Exportpreis schwankte je nach der Weltmarktlage zwischen 190 und 227 DM je t., so daß die durchschnittlichen Verluste gegenüber dem Einstandspreis 195 DM betrugen.
Die letzte Frage: Warum wurde dieser Roggen nicht an die Bauern direkt abgegeben? Eine gezielte Abgabe an diejenigen Landwirte, die nachweislich ihre eigene Erzeugung an Roggen verfüttert und noch weiteren Bedarf haben, ist verwaltungsmäßig nicht möglich. Es besteht keine Möglichkeit, Feststellungen zu treffen, wer seinen Roggen wirklich selbst verfüttert hat und in welcher Menge. Außerdem besteht die Gefahr, daß der verbilligte Roggen im Hinblick auf den genannten Preisunterschied nicht im eigenen Betrieb verfüttert wird, sondern wieder auf den Markt gebracht oder gar der Einfuhr- und Vorratsstelle wiederum zum Kauf angeboten wird. Auch eine Ionisierung des Roggens würde das nicht verhindern können, weil dann wieder andere Mengen in Bewegung gesetzt werden könnten, die ihrerseits zum Angebot bei der Einfuhr- und Vorratsstelle auftauchen würden.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Nein, ich danke dem Herrn Bundesminister.
Die Frage ist erledigt.
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6952 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Vizepräsident Dr. SchmidDie nächste Frage — des Abgeordneten Vogt — betrifft Deutsche, die in der sowjetisch besetzten Zone aus politischen Gründen inhaftiert sind:Verfügt die Bundesregierung über ausreichende Informationen über die in der Sowjetischen Besatzungszone aus politischen Gründen inhaftierten Deutschen, gegebenenfalls auch über deren Deportation in die Sowjetunion?Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß nunmehr nach Bekanntgabe des Todes von Dr. Linse durch das Sowjetische Rote Kreuz es an der Zeit ist, der ganzen Welt eine zusammengefaßte Dokumentation über das Ausmaß dieses kommunistischen Terrors — über die Anzahl der Inhaftierten, über die angeblichen Gründe, die zur Verhaftung und zur Verurteilung geführt haben, über die Strafen, über die Fälle von Menschenraub und über das Einzelschicksal - vorzulegen?Ist die Bundesregierung bereit, eine solche Dokumentation in Form eines Rotbuches herauszugeben?Herr Minister Lemmer zur Beantwortung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist ständig bemüht, auf jede nur mögliche Weise die notwendigen Informationen über die Verhältnisse der politischen Gefangenen in der Sowjetzone beizubringen. Dennoch dürfte es kaum möglich sein, exakte und korrekte Zahlen über den Umfang und die Lage dieses Personenkreises zu geben. Dies ergibt sich aus verschiedenen Gründen.
Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der Kreis derjenigen Personen, die im freiheitlichen Sinne als politische Gefangene in der Sowjetzone anzusehen sind, infolge der Eingruppierung durch die dortige Justiz verschleiert wird. Dazu dient vor allem die Vermischung von eindeutig politischen I) Sachverhalten mit angeblich kriminellen Tatbeständen, wie dies besonders deutlich bei den sogenannten Wirtschaftsverbrechen in Erscheinung tritt. Hinzu kommt die relativ starke Fluktuation, die durch politisch bedingte Verhaftungs- und Verurteilungswellen und entsprechende Entlassungsaktionen aus Opportunitätsgesichtspunkten entsteht. Zahl, Lage und Umfang der teilweise periodisch belegten zahlreichen Haftarbeitslager schwanken zudem stark. Schließlich steht der genauen Erfassung der politischen Häftlinge die absichtliche Vermischung von Untersuchungs- und Strafhäftlingen entgegen.
Im Ergebnis können daher nur Schätzungen der Gesamtzahl der politischen Häftlinge in der Sowjetzone gegeben werden. Es wird sich — immerhin einigermaßen zuverlässig geschätzt — etwa um eine Zahl von 10 000 handeln. Über die Einzelheiten der damit in Zusammenhang stehenden Fragen habe ich mich in meinem Schreiben vom 28. April dieses Jahres an den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Deutschen Bundestages zur Drucksache 269 ausführlich geäußert. Ich bin gern bereit, als Information dieses Schreiben Ihnen, Herr Kollege, gleichfalls zuzuleiten.
Zu Ihrer zweiten Frage bezüglich einer Dokumentation über die politischen Häftlinge in der Sowjetzone weise ich darauf hin, daß eine von meinem Hause geförderte ausführliche Schrift unter dem Titel „Die politischen Häftlinge in der Sowjetzone" von Gerhard Finn vor wenigen Monaten veröffentlicht worden ist. Eine eingehende weitere Publikation ist in Vorbereitung. Sie wird insbesondere auch dokumentarische Unterlagen bringen.
Eine Zusatzfrage?
— Die Frage ist erledigt.
Nächste Frage: Frage der Abgeordneten Frau Dr. Lüders — wird übernommen von dem Abgeordneten Spitzmüller — betreffend den Strontiumgehalt im Knochenmark von Säuglingen und Kleinkindern:
Trifft es zu, daß sich in Großbritannien der Gehalt an Strontium 90 im Knochenmark von Säuglingen und Kleinkindern in den letzten Jahren verdoppelt hat, und wie war die Entwicklung bei den Säuglingen und Kleinkindern im Bundesgebiet?
Zur Beantwortung der Herr Minister!
Die durch die Presse und von englischen Autoren bekanntgegebenen Werte über den Strontium-90-Gehalt in Knochen von Säuglingen und Kleinkindern in Großbritannien können von der Bundesregierung nicht nachgeprüft werden.
In der Bundesrepublik Deutschland werden seit 1958 Untersuchungen über den Gehalt an Strontium-90 in menschlichen Knochen durchgeführt, und zwar vom Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität Kiel und vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main. Die Meßergebnisse, die aus Knochenproben von Personen verschiedenen Alters stammen, lassen 1959 einen Anstieg gegenüber 1958 erkennen. Sie stellen Mittelwerte aus einer noch verhältnismäßig kleinen Zahl von Untersuchungsproben dar. Die Untersuchungen werden an umfangreicherem Material fortgesetzt, wobei dieses im Verhältnis zur Bevölkerungszahl statistisch immer geringfügig sein wird.
Die Werte, ausgedrückt in Strontium-Einheiten
— eine Strontium-Einheit ist 10-12 % Kalzium —, sind von 1958 auf 1959 in folgender Weise angestiegen: bei Totgeburten von 1,20 auf 1,89, bei 0 bis 5-Jährigen von 1,35 auf 2,19 bei 5- bis 20-Jährigen von 0,50 auf 0,78, bei über 20-Jährigen von 0,12 auf 0,15. Das heißt also, daß sich die Werte bei Säuglingen und Kleinkindern nicht ganz verdoppelt haben. Sie liegen nach den bisher gültigen wissenschaftlichen Erkenntnissen unter den für Erwachsene oder Kinder innerhalb einer Bevölkerung zulässigen Werten.
Die Ergebnisse der Untersuchungen in der Bundesrepublik werden regelmäßig in den von mir herausgegebenen Vierteljahresberichten über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung" der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Herr Abgeordneter, ich habe zwei Exemplare der letzten Berichte mitgebracht; ich darf sie Ihnen überreichen.
Eine Zusatzfrage?— Die Frage ist erledigt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6953
Vizepräsident Dr. SchmidNächste Frage: Frage des Abgeordneten Killat betreffend Mängel in der Rentenabteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte:ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in einem nicht vertretbaren Ausmaß erhebliche Mängel in der Rentenabteilung festgestellt wurden, diea) eine bedenkliche Häufung fehlerhaft berechneter Renten ergaben undh) auch die Möglichkeit aufzeigten, daß an den Rentenberechnungs-Unterlagen verhältnismäßig leicht unbefugte Änderungen vorgenommen werden können?Was gedenkt bejahendenfalls die Bundesregierung zu tun, um die Versicherten wie auch die Versichertengemeinschaft vor Schäden aus solchen anscheinend in der Verwaltungsführung liegenden Mängeln zu bewahren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf 'die Frage wie folgt beantworten:
Die in jüngster Zeit vorgenommenen Überprüfungen ,der Rentenabteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte haben nicht ergeben, daß erhebliche Mängel der Bearbeitung in einem unvertretbaren Ausmaß bestehen. Die schwierige Verwaltungslage der.,,- Anstalt bedingt durch übergroßen Arbeitsanfall und auch idurch ,den Mangel an geschulten Arbeitskräften — hat ,die Bundesregierung schon vor längerer Zeit veranlaßt, ,den Herrn Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung mit einer Prüfung der Organisation der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu beauftragen. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.
Zu den einzelnen Teilen Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, darf ich sagen:
Es ist nicht festgestellt worden, daß die Zahl er fehlerhaft berechneten Renten sich bedenklich gehäuft hat. Es ,sind infolge des außergewöhnlichen Arbeitsanfalls Fehler zuungunsten, aber auch zugunsten der Rentner vorgekommen; die Zahl dieser Fehler hat aber ein vertretbares Ausmaß nicht überschritten.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage darf ich sagen: Durch eine Verwaltungsanordnung der Geschäftsführung der Bundesanstalt ist dafür gesorgt worden, daß Rentenberechnungsunterlagen nicht nachträglich geändert werden. Es handelt sich dabei um Unterlagen wie z. B. Beitragsübersichten und iandere Dinge, die der Rentenrechner selber herstellt, um die maschinelle Berechnung der Renten vorzubereiten. Hierbei ist es vorgekommen, daß die Unterlagen, wenn sie offensichtlich Fehler enthielten, von sachkundigen Personen sofort berichtigt wurden, ohne daß der Sachbearbeiter dazu noch gehört worden ist. Die Bundesanstalt hat dieses Verfahren abgestellt. Durch diese Methode sind aber weder die Rentenempfänger noch ,die Bundesanstalt in irgendeiner Weise geschädigt worden.
Ich ,darf besonders betonen, daß eine Veränderung an den Versicherungsunterlagen — eine Änderung dieser Unterlagen, die ja Urkunden sind, wäre strafbar — nicht bekanntgeworden ist.
Eine Zusatzfrage?
Eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Mich überrascht diese Antwort insofern, als mir bekanntgeworden ist, daß in einzelnen Referaten der Rentenabteilung der BfA Fehlerquellen aufgedeckt wurden, die bis zu 50 % der bearbeiteten Renten betreffen, im Durchschnitt etwa 30%. Das heißt also: Nach dem Gesetz der Serie ist es in einzelnen Referaten dem Zufall überlassen, ob die Renten richtig oder fehlerhaft berechnet werden.
Welche Frage stellen Sie, Herr Abgeordneter?
Ich darf dazu an den Herrn Staatssekretär die Frage richten: Welche Möglichkeit besitzt nach Auffassung .der Bundesregierung die ehrenamtliche Selbstverwaltung — die ja unter Umständen für Schäden haftet —, Kenntnis von solchen Mängeln aus Prüfungsergebnissen, die unter Umständen nur der Geschäftsführung zugänglich sind zu erlangen und welche Möglichkeiten besitzen die Organe, von sich aus solche Fehlerquellen und Mängel der Verwaltung abzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu darf ich sagen, Herr Abgeordneter: sie haben alle diejenigen Möglichkeiten der Selbstverwaltung, die im Gesetz vorgesehen sind, und darüber hinaus alle diejenigen, die sie aus eigener persönlicher Initiative entwickeln. Ich bin selber jahrelang in der Selbstverwaltung der Bundesanstalt tätig gewesen und habe mir große Mühe gegeben, durch die Selbstverwaltung dafür zu sorgen, daß die Organisation verbessert wird. Außerdem werden ihnen die Gutachten zur Kenntnis gegeben werden, die der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung erstellt, und ich glaube, daß das eine gute Handhabe dafür sein wird, allen Mitgliedern der Selbstverwaltung die Möglichkeit zu geben, in Zukunft etwaige Fehler in der Organisation zu beseitigen. Fehler sind natürlich nicht absolut vermeidbar; aber ich glaube doch, daß sich Geschäftsführung und Selbstverwaltung die größte Mühe geben, Fehler zu vermeiden.
Die nächste Frage — des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer — betrifft das Kapital der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge.
Wie hoch ist die Kapitaldecke bei der Bundesanstalt für
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge angewachsen?
1st die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß es angebracht ware, die Beitragssätze zu senken, weil ja allein durch den Zinsendienst eine weitere Aufstockung des Kapitals erfolgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage wie folgt beantworten:Die Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge betrugen Ende
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6954 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Staatssekretär Dr. ClaussenApril 1960 3751 Millionen DM. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob eine Möglichkeit zur Beitragssenkung besteht. Ich darf darauf hinweisen, daß schon in früheren Jahren die Beiträge in einem erheblichen Ausmaß gesenkt worden sind: 1949 von 6 1/2 % auf 4% 1955 von 4 auf 3 % und 1957, das letzte Mal, von 3 auf 2 %. Daraus ergibt sich auch, daß für eine mögliche weitere Beitragssenkung kein besonderer Raum ist. Wahrscheinlich würde es sich empfehlen, den Einzug des Beitrags für einige Monate auszusetzen. Diese Frage wird anläßlich der Beratung des AVAVG nach den Sommerferien in diesem Hohen Hause noch eine besondere Bedeutung haben.Herr Abgeordneter, Sie haben auch nach den Zinsen aus der Rücklage gefragt. Diese führen nicht automatisch zu einer Aufstockung der Rücklage, sondern fließen zunächst den Gesamteinnahmen der Bundesanstalt zu. Erst ein Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben am Schluß des Rechnungsjahres kann zur Verstärkung der Rücklage führen.
Danke schön.
Der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen stellt eine Frage betreffend die automatische Gebührenabrechnung der Deutschen Bundespost.
In welchem Umfange sind bisher Fehler bei den automatischen Gebührenabrechnungen der Deutschen Bundespost aufgetreten?
Herr Minister, bitte.
Herr Präsident! Die Fernsprechabrechnung erfolgt auch nach der Umstellung auf das Lochkartensystem noch zum Teil manuell. Dieser manuelle Teil ist durch die automatische Zählung und durch die Verarbeitung der Zählergebnisse im Lochkartensystem wesentlich zurückgedrängt worden. Bei diesen beiden geteilten Aufgaben werden ungefähr 0,02 pro mille Fehlerquellen festgestellt.
Eine Zusatzfrage.
Die Fehlerquellen sind also bei der Lochkartenabrechnung nicht größer als bei der manuellen Abrechnung?
Nein, Herr Abgeordneter, das kann man so nicht sagen. Früher, bei der rein manuellen Arbeit, waren die Fehlerquellen größer. Durch die automatische Zählung und die Verrechnung und Bearbeitung durch das Lochkartensystem sind diese Fehlerquellen reduziert worden auf 0,02 pro mille.
Danke schön.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6955
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6956 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6957
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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6958 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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6960 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
') Siehe Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6961
Vizepräsident Dr. SchmidIch habe noch für den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen bekanntzugeben, daß die Ausschußsitzung, die für 11 Uhr vorgesehen war, erst um 15 Uhr stattfinden soll.Ich schlage Ihnen nun vor, daß wir zunächst Punkt 29 aufrufen, damit der Rechtsausschuß darüber beraten kann und damit wir noch heute die zweite und dritte Lesung, die wir auf die Tagesordnung gesetzt haben, durchführen können:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Rechtsverordnungen im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit .Wird zur Begründung des Gesetzentwurfs das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Die Fraktionen sind wohl damit einverstanden, daß die Vorlage Drucksache 1965 an den Rechtsausschuß und nur an den Rechtsausschuß überwiesen wird. Der Rechtsausschuß wird dann so rasch zusammentreten müssen, daß die zweite und dritte Beratung noch heute nachmittag erledigt werden können.Wir kommen zu Punkt 3 der gedruckten Tagesordnung:Beratung der Sammelübersicht 22 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 1917).Die Sammelübersicht liegt Ihnen vor. Der Ausschuß beantragt, zu beschließen, die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen anzunehmen. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 4 der gedruckten Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen (WStrRG) (Drucksache 1959).Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Seidl . Ich bitte ihn, den Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen des Wasserstraßenreinhaltegesetzes, das der Bundestag am 20. Januar 1960 nahezu einstimmig verabschiedet hatte, hat der Bundesrat am 5. Februar 1960 den Vermittlungsausschuß angerufen, und zwar mit dem Ziel, den Gesetzesbeschluß des Bundestages aufzuheben.
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6962 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6963
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6964 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Das war von hier aus nicht zu sehen. Ich stelle also fest: es gab einige Gegenstimmen, einige Enthaltungen.
Wir kommen zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu ,dem Gesetz über das Apothekenwesen (Drucksache 1960).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens Ides Vermittlungsausschusses als Berichterstatter folgendes vortragen:Der Bundesrat hatte wegen des Gesetzes über .das Apothekenwesen aus einer Reihe von Gründen den Vermittlungsausschuß angerufen. Ich verweise hierzu auf die Drucksache 1869.Der Vermittlungsausschuß hat sich in den meisten Punkten ganz oder teilweise den Erwägungen des Bundesrates angeschlossen und zu einigen weiteren Vorschriften redaktionelle Änderungen beschlossen.Die wohl wichtigste Änderung ist die Streichung ,der §§ 21 bis 24 des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes. Der Ausschuß ist ,der Meinung, daß es sich bei diesen Vorschriften um Regelungen des inneren Apothekenbetriebsrechtes im engeren Sinne handelt, die zur Entlastung des Gesetzes und aus rechtssystematischen Gründen in ,die Apothekenbetriebsordnung aufzunehmen sind. Hieraus ergibt sich 'die Notwendigkeit, § 25 — das ist ,die Vorschrift über die Ermächtigung zum Erlaß der Apothekenbetriebsordnung — neu zu fassen.Eine zweite wichtige Änderung, und zwar in diesem Falle eine rechtspolitisch wichtige Änderung, enthält die Ziffer 17 der Drucksache 1960; ,das ist der Antrag des Vermittlungsausschusses. Hierbei handelt es sich um die gesetzliche Regelung der alten Apothekenbetriebsrechte. Der Bundestag hatte es für richtig gehalten, zwar die Erteilung einer Erlaubnis im Sinne des Gesetzes für die Inhaber alter Rechte anzunehmen — es war hier ja eine gesetzliche Fiktion im Gesetz niedergelegt worden —; er hatte sich aber nicht über die Existenz oder Nichtexistenz der alten persönlichen oder dinglichen Rechte geäußert. Der Vermittlungsausschuß ist dagegen der Auffassung, .daß aus Rechtsgründen ,das Verpachtungsrecht der Inhaber alter dinglicher Rechte näher zu regeln und im übrigen Art und Umfang der früheren Rechte substantiierter festzulegen ist, als sich das aus dem Gesetzesbeschluß des Bundestages ergab. Auch für die laufenden Pacht- oder Verwaltungsverträge erscheint ,es dem Ausschuß aus dem Gedanken des Besitzstandschutzes geboten, diese Rechtsverhältnisse von denbesonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen dieses Gesetzes zu befreien. Aus all diesen Überlegungen ergibt sich der aus der Drucksache ersichtliche Vorschlag zu den §§ 30, 30 a und 30 b.In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß nach dem Vorschlag zu § 31 Gesellschaftsverträge, die dieses Gesetz für das Betreiben einer Apotheke für die Zukunft nicht mehr zuläßt, für die bei Inkrafttreten des Gesetzes vorhandenen Apotheken erst binnen fünf Jahren — also nicht binnen zwei Jahren, wie der Bundestag vorgesehen hatte — in eine zugelassene und diesem Gesetz entsprechende Rechtsform übergeführt werden müssen.Wesentlich ist weiterhin die Frage, für welchen Bereich eine Krankenhausapotheke als sogenannte Zentralapotheke zuzulassen ist. Es handelt sich dabei um § 14 Abs. 1. Ohne den weiter gehenden Anregungen des Bundesrates zu folgen, hält es der Vermittlungsausschuß für richtig, nicht nur für einen Gemeindebezirk, sondern wegen des organischen Zusammenhanges benachbarter Gebiete auch für die an den Gemeindebezirk angrenzenden Stadt- und Landkreise eine zentrale Apotheke des Trägers von Krankenanstalten zuzulassen. Hieraus folgt der Vorschlag zu § 14 Abs. 1.Zu § 14 Abs. 2 ist der Vermittlungsausschuß der Auffassung, daß von einer Krankenhausapotheke Medikamente nicht nur an die Insassen der Anstalt abzugeben sind, sondern daß auch die dort beschäftigten Personen zum Bezug berechtigt sein sollten. Der Vermittlungsausschuß hält ein Verbot zum Nachteil der Beschäftigten für oft nicht durchsetzbar und in nicht seltenen Fällen sogar für unbillig.Eine materielle Änderung wird weiterhin für die Bestimmungen vorgeschlagen, die bereits vor Erteilen einer Erlaubnis zum Betreiben einer Apotheke den Nachweis von Einrichtungen und Geräten verlangen. Der Ausschuß hält diesen Nachweis einmal für unbillig, weil ja die Erlaubnis zum Betreiben einer Apotheke aus anderen Gründen ver-
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Wittrocksagt werden kann, zum anderen aber auch wegen § 6 des Gesetzes für entbehrlich. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die Änderungsvorschläge zu § 2 Abs. 1 Nr. 6, § 14 Abs. 1 und schließlich § 16.Die Erlaubnisvoraussetzungen sind noch in einem weiteren Punkt geändert worden, nämlich in § 2 Abs. 1 Nr. 7. In Anpassung an andere Vorschriften erscheint es notwendig, eine Schwäche der körperlichen und geistigen Kräfte im Antragsverfahren zu berücksichtigen. Der Vorschlag zu § 3 Nr. 3 ist im übrigen eine Anpassung an § 2 Abs. 1 Nr. 3.Der aus der Vorlage ersichtliche Streichungsvorschlag zu § 12 dient der Rechtsklarheit. Die Voraussetzungen für die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts müssen klar und eindeutig und nicht nur mittelbar feststellbar sein. Auf dieser Erwägung beruht der Streichungsvorschlag des Vermittlungsausschusses.Die Neufassung des § 13 über das Recht zur Verwaltung nach dem Tode eines Apothekers ergibt sich aus der Überlegung, daß es ausreicht, dem Verwalter und nicht auch den Erben eine Genehmigung zur Verwaltung der Apotheke zu erteilen.Von Bedeutung ist noch die Einbeziehung der Bereitschaftspolizei der Länder in den Anwendungsbereich des § 26 des Gesetzes. Diese Einbeziehung ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Bereitschaftspolizei und Bundesgrenzschutz erfolgt.Bei den Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten hält der Ausschuß § 29 Abs. 1 Nr. 3 wegen § 136 StGB für entbehrlich. Die Verletzung einer Schließungsverfügung soll nämlich nur dann zu nachteiligen Folgen führen, wenn die Schließung mittels amtlichen Siegels erfolgt ist.Besonders zu erwähnen ist schließlich der Vorschlag zu § 31 a, die Hausapotheken von dem Gesetz auszunehmen.Alle übrigen Vorschläge, meine Damen und Herren, sind entweder eine Folge der erläuterten materiellen Änderungen oder rein redaktioneller Art.Das Gesetz soll am 1. Oktober 1960 in Kraft treten.Ich bitte Sie, dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über seinen Vorschlag nur einheitlich abgestimmt werden kann.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird eine Erklärung abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses im ganzen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? —Bei einigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Damit ist dieser Punkt erledigt.
Punkt 7 der Tagesordnung wird erst am 1. Juli aufgerufen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Rentenversicherung der Handwerker (Drucksache 993).
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 1379). (Erste Beratung 69. Sitzung).
Ich erteile der Frau Abgeordneten Korspeter als Berichterstatterin das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Neuregelung der Altersversorgung für das deutsche Handwerk organisatorisch in der Richtung angestrebt, daß die Handwerkerversorgung, die seit ihrer Einführung im Jahre 1938 im wesentlichen von der Rentenversicherung der Angestellten durchgeführt wurde, nunmehr in die Rentenversicherung der Arbeiter übergeführt werden soll. In meinem ausführlichen Bericht habe ich diesen Übergang von einer Institution zur andern mit seiner vielfältigen sozialpolitischen und finanziellen Konsequenz eingehend dargestellt. Ich kannalso im allgemeinen auf diesen Bericht verweisen.Nur zu einem Fragenkomplex muß ich noch erläuternde Ausführungen machen, da mich der Ausschuß hiermit einstimmig beauftragt hat. Das zeigt die Bedeutung, die er dieser Frage beigemessen hat. Es handelt sich um die finanziellen Auswirkungen der beabsichtigten Regelung. Da den Mitgliedern des Ausschusses bekannt war, daß sich in der Handwerkerversorgung in den Jahren 1957 bis 1960 bei der Rentenversicherung der Angestellten ein Fehlbetrag gezeigt hat, bestand vollste Übereinstimmung darüber, daß die Neuregelung unter gar keinen Umständen zu einer finanziellen Belastung der Rentenversicherung der Arbeiter führen dürfe. Die Mitglieder des Ausschusses waren der Meinung, daß eine solche finanzielle Belastung den Arbeitern nicht zugemutet werden könne und daß es auch nicht im. Interesse der Handwerker liege, Subventionen aus der Rentenversicherung der Arbeiter entgegenzunehmen. Um eine klare Übersicht über die jeweilige finanzielle Lage zu haben, wurde von den Mitgliedern der CDU im Ausschuß beantragt und von allen Mitgliedern des Ausschusses beschlossen, einen § 5b einzuführen, der eine getrennte Rechnungslegung vorsieht.Weiterhin ergab sich Übereinstimmung darüber, daß bei den versicherungstechnischen Bilanzen, die gemäß § 1257 RVO zu erstellen sind, über die Finanzlage der Handwerkerversicherung getrennt berichtet werden soll. Dabei wurde besonders hervorgehoben, daß in die Berechnungen auch die Beitragsleistungen einbezogen werden sollen, die die Handwerker in Zeiten geleistet haben, in denen sie als Lehrlinge oder Gesellen tätig waren, damit das Handwerkerleben versicherungstechnisch als Ganzes berücksichtigt würde.Sodann gab es eine längere Diskussion über ein mögliches Defizit in der Handwerkerversicherung. Es bestand zwar keine einheitliche Meinung dar-
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Frau Korspeterüber, ob sich bei der jetzt vorgesehenen Neuregelung ein Defizit ergeben würde oder nicht; der Ausschuß war aber übereinstimmend der Ansicht, daß sich der Gesetzgeber bei einem solchen Defizit mit einer gesetzlichen Regelung zur Deckung dieses Defizits befassen müsse. Auch hier stand bei der Beratung der Gedanke im Vordergrund, eine Belastung der Rentenversicherung der Arbeiter durch die Handwerkerversicherung zu vermeiden.Schließlich möchte ich noch um Berichtigung zweier Druckfehler bitten. Am Schluß des § 10a Abs. 2 muß es heißen: „nach diesem Gesetz". In § 10a Abs. 4 ist hinter dem Wort „Entscheidung" einzufügen „über Anträge". Im übrigen verweise ich auf meinen Schriftlichen Bericht.
Ich danke der Frau Berichterstatterin und erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Hierren Namens der soziaidemokratischen Fraktion beantrage ich Zuruckverweisung der Vorlage an die Ausschusse für Mitteistandsiragen -- mitberatend — und für Sozialpolitik — federführend —. Zur Begründung dart ich folgendes sagen. Man hat uns gelegentlich hier im Hause den Vorwurf gemacht, daß die Sozialpolitiker in diesen oder jenen Detailfragen die Ausschußberatungen ins Plenum verlegten. Beim Umdruck 674 wird diese Praxis aber auf einen ganzen Gesetzentwurf erstreckt. Zu den 14 Paragraphen des Gesetzentwurfs liegen in 12 Punkten — mit verschiedenen Unterpunkten — Änderungsanträge der Fraktionen der Regierungsparteien zu dem Gesetzentwurf der CDU/ CSU und zu der Ausschußfassung vor, die auf Grund von Anträgen der CDU/CSU einstimmig beschlossen wurde.
Die praktischen Auswirkungen, die sich aus dem Änderungsantrag ergeben, lassen sich nicht übersehen, weil ein neuartiges System des Beitragseinzuges eingeführt werden soll, das in seinen Konsequenzen im Ausschuß bisher überhaupt nicht besprochen wurde. Ferner sollen durch die Ziffern 10 ff. des Änderungsantrages die Zuschüsse zu den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten in einer Weise verändert werden, die jetzt niemand aus dem Handgelenk überprüfen kann.
Noch etwas! Der Ausschußbericht liegt seit Ende Oktober 1959 vor. Er blieb acht Monate lang wegen interner Beratungen in den Regierungsparteien zurückgestellt. Jetzt werden wir über Nacht mit einer völlig neuartigen Konzeption überrascht. Ich habe deshalb die Frage an Sie alle, meine Damen und Herren: ist das eine sinnvolle Gestaltung der Ausschußarbeiten und der Arbeit im Plenum?
Noch ein letztes: Das Gesetz soll laut Ziffer 12 des Änderungsantrages am 1. Januar 1962 in Kraft treten. Damit bringen die Antragsteller selbst zum Ausdruck, daß sie die Angelegenheit offenbar nicht als besonders eilbedürftig ansehen.
Deshalb kann diese Angelegenheit ohne Schaden für die Sache nochmals unter Berücksichtigung der uns jetzt vorgelegten neuen Konzeption in den Ausschüssen beraten werden. Das dient auf lange Sicht gesehen auch den wohlverstandenen Interessen der Handwerker. Gerade auf dem Gebiete der Handwerkerversicherung wurde schon in verschiedener Weise experimentiert. Wenn jetzt hier ein neues Gesetz geschaffen werden soll, soll dies doch — das ist unser gemeinsamer Wille — eine sinnvolle Regelung bringen. Eine solche Regelung muß im Ausschuß — das ist der Sinn von Ausschußberatungen — gründlich überlegt werden.
Deshalb beantrage ich Rückverweisung an die Ausschüsse, die sicherlich einer sinnvollen Arbeitsgestaltung in diesem Hause dient.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Änderungsanträge meiner Fraktion erst gestern den anderen Fraktionen zugestellt werden konnten. Das ist verständlich und beinahe natürlich. Die Zustellung konnte nicht erfolgen, bevor nicht die Fraktion selber diesen Anträgen des Arbeitskreises ihre Zustimmung gegeben hatte. Wir haben dann aber sofort für die Zustellung an die anderen Fraktionen gesorgt. Die Kollegen, insbesondere auch die sozialpolitischen Experten und Freunde des Herrn Kollegen Schellenberg, sind sicher so lange mit der Materie beschäftigt gewesen, daß sie sich auch ohne ein tagelanges Studium in Inhalt und Geist unserer Änderungsanträge hineinfinden konnten.
— Acht Monate haben wir dazu nicht gebraucht. Die entscheidenden Beschlüsse sind in allerjüngster Zeit gefaßt worden. — Deshalb ist es keine unbillige Zumutung, wenn wir so verfahren.
Auf den Termin 1. Januar 1962 will ich nicht weiter eingehen. Es ist verständlich, daß die Neuregelung einer längeren Vorbereitungszeit bedarf, damit sich die beteiligten Versicherungsträger darauf einstellen können.
Ich bedaure sehr, daß wir dem Ansinnen des Herrn Schellenberg aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen können, sosehr wir an und für sich für eine sachgemäße gründliche Arbeit sind. Wir werden deshalb den Antrag auf Rücküberweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß ablehnen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sosehr die Fraktion der Freien Demokraten dem Herrn Kollegen Schel-
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Mischnicklenberg in seinen grundsätzlichen Überlegungen recht gibt, daß ein so umfangreicher Änderungsantrag von 21 Punkten zweckmäßigerweise im Ausschuß beraten werden sollte, wird sie dem Antrag auf Rücküberweisung nicht zustimmen, weil die beantragten Änderungen dem Wortlaut und dem Sinne nach mit den Vorschlägen übereinstimmen, die in dem FDP-Gesetzentwurf enthalten waren. Wir sind daran interessiert, daß der Gesetzentwurf heute verabschiedet wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stimmen über den Antrag auf Rücküberweisung ab. Wer dem Antrag des Herrn Kollegen Schellenberg zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
— Nach dieser kleinen Heiterkeitspause treten wir in die zweite Beratung ein.
Ich rufe auf § 1. Hierzu liegt ein Änderungsantrag Umdruck 687 Ziffer 1 vor. Wird der Antrag begründet? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten beantragt auf Umdruck 687, in § 1 die Mindestdauer der Versicherungszeit für Handwerker auf 15 Jahre festzusetzen. In der Ausschußfassung sind 18 Jahre vorgesehen.
Wir nehmen mit unserem Antrag den Vorschlag wieder auf, der bereits in unserem Gesetzentwurf enthalten gewesen ist. Wir meinen, daß auch im Handwerkerversicherungsgesetz ebenso wie im allgemeinen bei der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten eine Mindestbeitragszeit von 15 Jahren festgelegt werden sollte. Mit der Einführung von 18 Jahren ,als Mindestpflichtversicherung innerhalb der Gesamtversicherung würde wieder eine neue Frist geschaffen werden. Wir halten es zur einfacheren Handhabung für zweckmäßig, gleiche Fristen für alle an der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung Beteiligten zu haben.
Wir bitten ,deshalb, unserem Antrag, 180 Monate festzulegen, zuzustimmen.
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Ich habe den Eindruck, der Glaubenskampf ist abgeschlossen.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die beiden gleichlautenden Änderungsanträge Umdrucke 675 und 676. Wer diesen Anträgen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Ich bitte, die Hände wirklich mutig zu erheben. —
Wir wollen die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen wiederholen. Wer den Anträgen auf den Umdrucken 675 und 676 zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit.
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Vizepräsident Dr. SchmidWir stimmen nunmehr ab über § 2 in der geänderten Fassung sowie über § 3, zu dem kein Antrag vorliegt. Wer diesen beiden Paragraphen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Zum § 4 liegt ein Änderungsantrag vor, den Sie auf Umdruck 674 Ziffer 1 finden. Wer begründet ihn? — Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Herr Präsident, es ist vielleicht zweckmäßig, .daß ich unsere Anträge unter Ziffer 1 Buchstabe a und Buchstabe b zusammenfasse.
Ja, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 4 Abs. 5 sieht für zwei Kategorien von Handwerkern Beitragserleichterungen vor, und zwar erstens für diejenigen, die sich gerade selbständig machen, und zweitens für die Handwerker, die allein mit nur einem Lehrling oder — wie wir es jetzt beantragen — mit ihrem eigenen Sohn tätig sind.
Ohne Zweifel hat insbesondere der junge Handwerksmeister, wenn er sich selbständig macht, schwer mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Er braucht Geld für alle möglichen Zwecke. Daher wind ihm die volle Beitragsleistung oft schwerfallen. Deshalb enthält bereits ,der § 4 in der Ausschußfassung 'die Bestimmung, daß dieser Handwerker für die Dauer von drei Jahren nur den halben Beitrag bezahlen soll.
Die Ausschußfassung ist aber nach unserer Auffassung etwas unklar ausgefallen. Sie läßt eine unterschiedliche Auslegung zu. Auf Grund der Ausschußfassung könnte man die Ansicht vertreten, daß beispielsweise jemand, der sich im Januar 1960 selbständig 'gemacht hat, für das Jahr 1960 die vollen Beiträge bezahlen muß und die Beitragshalbierung erst am 1. Januar 1961 in Kraft tritt. Unser Antrag dient also der Klarstellung der Ausschußvorlage. Wir bitten Sie, ihm zuzustimmen.
Wir sind weiter der Auffassung, daß wir die Erleichterung, 'die wir dem Handwerksmeister zuteil werden lassen, der nur mit einem Lehrling arbeitet, auf 'diejenigen Handwerksmeister ausdehnen sollten, die nur mit ihrem Sohn in der Werkstatt tätig sind. Dementsprechend beantragen wir unter Ziffer 1 Buchstabe b, daß in der Ziffer 2 des § 4 Abs. 5 hinter dem Wort „Lehrlings" die Worte „oder eines Verwandten ersten Grades" eingefügt werden. Sie wissen, daß der Sohn, wenn er Geselle ist, rentenversicherungspflichtig ist. Er lebt aber mit seinem Vater viel enger zusammen als ein fremder Geselle. Wenn es in 'der Werkstatt mit dem Geld etwas hapert, hapert es auch mit der Vergütung für den Sohn.
Deshalb bitten wir, auch denjenigen Handwerksmeistern, die nur mit ihrem Sohn zusammen tätig sind, 'die Möglichkeit zu geben, nur jeden zweiten
Monat den vorgeschriebenen Beitrag zu entrichten.
Ich möchte Sie im Interesse der kleinen Handwerker bitten, unseren beiden Anträgen zuzustimmen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 1 Buchstabe a ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Eine Enthaltung, keine Gegenstimmen. Der Antrag ist angenommen.
Nunmehr stimmen wir ab über den Antrag auf Umdruck 674 Ziffer 1 Buchstabe b. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist gegen eine Stimme angenommen.
Nunmehr lasse 'ich über § 4 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; § 4 ist in dieser Fassung angenommen.
Ich komme zu § 5. Zu ihm liegen Änderungsanträne auf den Umdrucken 674 Ziffer 2 und 687 Ziffer 2 vor.
Das Wort zu dem Antrag auf Umdruck 674 Ziffer 2 hat der Abgeordnete Wieninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich eine redaktionelle Verbesserung unseres Antrages auf Umdruck 674 Ziffer 2 bekanntgeben. Es heißt dort jetzt:
In § 5 werden die Absätze 2, 6 und 7 gestrichen. Richtig muß es heißen:
a) § 5 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 sowie Abs. 6 werden gestrichen.
b) § 5 Abs. 2 erster Halbsatz wird zu § 5 a Abs. 4, und § 5 Abs. 7 wird zu § 5 a Abs. 5.
Herr Abgeordneter, diesen Änderungsantrag müssen Sie schriftlich einbringen; sonst kann man darüber nicht abstimmen.
Meine Damen und Herren, das ist sinngemäß in unserem Antrag enthalten. Es heißt hier, daß es gestrichen wird, und es findet sich dann später im Text des § 5 a Abs. 5 wieder. Das wollte ich nur zur Klarstellung sagen.Meine verehrten Damen und Herren, nach § 5 der Ausschußfassung ist vorgesehen, daß die Entrichtung von Beiträgen auf verschiedenen Wegen möglich sein soll, 1. durch Einzugsstellen des Trägers der Rentenversicherung oder, von diesen beauftragt,
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Wieningerdurch die allgemeinen Krankenkassen oder die Innungskrankenkassen, 2. durch eigene Beitragsmarken und eigene Versicherungskarten, die zusätzliche Unterscheidungsmerkmale zu anderen Karten und Marken haben sollen. Die beim Rentenversicherungsträger, bei der allgemeinen Krankenkasse oder der Innungskrankenkasse eingegangenen Beiträge und die Beiträge, die wahlweise auf Sondermarken entrichtet wurden, sollen nach § 5 b der Ausschußfassung alle einem gesonderten Rechnungsnachweis unterstellt werden.Unser Änderungsvorschlag zu § 5 bezweckt bedeutende Vereinfachungen. Wir schlagen Ihnen vor, auf die Einführung eigener Marken und eigener Karten überhaupt zu verzichten und den Einzug der Beiträge nur über den Träger der Rentenversicherung, also auch über Ortskrankenkassen und Innungskrankenkassen vorzunehmen. Wir haben uns vergewissert, daß ein solches Verfahren ohne weiteres möglich ist. Die Verbände der Ortskrankenkassen, der allgemeinen Krankenkassen und der Innungskrankenkassen haben uns erklärt, daß sie bereit seien, ein solches Einzugsverfahren reibungslos abzuwickeln.Wir stellen diesen Antrag aber nicht nur aus Gründen der Vereinfachung, sondern auch deswegen, weil damit noch andere bedeutende Vorteile gegeben sind. Wir kennen 'doch alle, meine verehrten Damen und Herren, die Verhältnisse, die bei Kleinhandwerkern herrschen, und die Situation in der Provinz und auf dem flachen Lande. Haben wir denn, wenn wir das Markenklebeverfahren beibehielten, die Garantie, daß die Handwerker die richtigen Marken kleben? Hätten wir dann, wenn sie nicht die richtigen Marken kleben, die Garantie, daß sie die Beiträge in der richtigen Höhe einzahlen? Das würde Ärger über Ärger geben.Ich erinnere Sie an die Situation, die wir in den Jahren 1955 und 1956 hatten, als mehr als 180 000 Handwerker im Beitragsrückstand waren. Damals war es nicht klar, ob das Nazigesetz von 1938 noch galt. Damals waren noch Währungsschäden vorhanden, und die Leistungsfähigkeit und die wirtschaftliche Beweglichkeit der Handwerker war noch nicht so groß wie heute. Bei manchen war es auch Schlamperei. Aber wer garantiert uns denn, daß, wenn wir das Markenbeitragsverfahren beibehielten, nicht wiederum Mißstände einreißen? Sie wissen, daß damals ein Bereinigungsgesetz notwendig war. Es hat den Bund Opfer gekostet. In dem von uns vorgeschlagenen Verfahren des Einzugs durch die Kassen wird eine Wiederholung eines solchen Durcheinanders einfach nicht möglich sein. Die Handwerker werden gehalten sein, ihre Beiträge regelmäßig zu zahlen.
Herr Abgeordneter Wieninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Korspeter?
Herr Kollege, ist Ihnen die Bestimmung in § 5 entgangen, daß die Beitragsentrichtung dem Träger der Rentenversicherung der Arbeiter jährlich am Schluß des Kalenderjahres nachzuweisen ist?
Das ist mir sehr wohl bekannt, verehrte Frau Abgeordnete Korspeter. Aber ich weiß auch, daß derartige gesetzliche Terminfestsetzungen meistens nicht beachtet werden. Wir haben für die Einhaltung absolut keine Garantie.
Die Kassen werden im Wege ihres Mahn- und Einzugsverfahrens ohne Zweifel darauf dringen, daß die Beiträge fristgerecht eingehen. Durch diesen sanften Zwang des Mahn- und Einzugsverfahrens werden wir die Gewähr haben, daß die Beiträge in voller Höhe und rechtzeitig eingehen. Aus diesem Grund werden sich praktisch keine Beitragsrückstände ergeben können. Das wird eine schwerwiegende Wirkung auf ein unter Umständen mögliches Defizit haben.Ein weiterer Vorteil beruht darin, daß bei dem von uns vorgeschlagenen Einzugsverfahren die Kassen jederzeit einen Überblick über den Stand der Beitragseingänge haben. Aus diesem Grunde wird auch eine Sonderrechnung nach § 5 b entbehrlich sein.
Wir haben uns bei diesem Änderungsantrag also von wirklichen Zweckmäßigkeitsgründen leiten lassen. Zudem — darauf möchte ich noch hinweisen — deckt sich diese von uns vorgeschlagene Regelung mit den Vorstellungen des Handwerks. Gewiß, das Parlament ist in seinen Entscheidungen souverän, und es braucht sich nach Vorschlägen, die von irgendeiner Seite kommen, durchaus nicht zu richten. Aber wenn die Zweckmäßigkeit und diejenigen, die von dem Gesetz betroffen werden, das gleiche verlangen, dann sollte sich der Bundestag solchen Vorstellungen doch nicht verschließen.Wenn wir die Wünsche und die Bitten des Handwerks nach Möglichkeit erfüllen, dann wird das Handwerk auch freudig zustimmen können. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob wir eine Altersversicherung für das Handwerk mit dem Handwerk oder gegen das Handwerk schaffen, ob unser Gesetz, das wir heute zu verabschieden haben, freudig hingenommen wird oder auf Widerstand stößt. Ich habe die feste Überzeugung, daß die Führung des Handwerks, wenn wir so verfahren, alles tun und alle organisatorischen Mittel anwenden wird, um dem Gesetz auch in seinen Reihen zum Erfolg zu verhelfen. Das wird sich insbesondere beim Eintritt in die freiwillige Versicherung auswirken. Wenn das ganze Handwerk ja sagt zu der Handwerkeraltersversicherung, dann werden — darüber kann kein Zweifel bestehen — in der freiwilligen Versicherung so viele Beiträge eingehen, daß die Handwerker auch zu respektablen Renten gelangen werden.Das ursprüngliche Gesetz wurde am 21. Dezember 1938 erlassen. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß dieses Handwerkeraltersversicherungsgesetz bisher überhaupt noch nicht zum Tragen gekommen ist. Wie ist es denn gewesen? Ende 1938 wurde das Gesetz erlassen. Dann kamen der Krieg und die Turbulenz der Nachkriegszeit. Dann standen Reformen an, die dem Gesetz zur Altersversorgung
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Wieningerdes Handwerks den Charakter einer vorläufigen Regelung gaben. Seit Jahren wartet das Handwerk auf die endgültige Fassung. Damit ist eine Unsicherheit ins Handwerk gelangt, die wir heute beseitigen sollten. Wenn wir in der Handwerkeraltersversorgung Sicherheit und Beständigkeit einziehen lassen, dann wird die Rentenversicherung auch nicht mit einem Defizit zu rechnen haben.
Herr Abgeordneter Wieninger, Sie haben eine Änderung Ihres Antrages vorgetragen. Diese Änderung müssen Sie mir schriftlich heraufgeben, sonst kann ich darüber nicht abstimmen lassen.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht unbillig, zu erwarten, daß die Formulierung des Änderungsantrages, den der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion hier vorgetragen hat, nicht nur dem Herrn Präsidenten vorgelegt wird, sondern auch den Abgeordneten dieses Hauses, die letztlich darüber entscheiden sollen.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Nebensächlichkeit. Alle, die an den Ausschußberatungen teilgenommen haben, wissen, wie sehr diese organisatorischen Details das Funktionieren der Handwerkerversorgung und ihre Finanzierung auf die Dauer beeinflussen. Aus diesem Grunde ist es nach unserer Auffassung notwendig, die Entscheidung über diesen Änderungsantrag vorläufig auszusetzen und ihn der Opposition schriftlich vorzulegen, damit sie ihn in seinen Auswirkungen übersehen kann.
Sie selber, meine Damen und Herren von der Regierungsmehrheit, haben in den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses darauf hingewiesen, daß nach Ihrer Auffassung ein „scharfer Beitragseinzug" — Sie haben immer mit der Beitragspeitsche geknallt — bei den Handwerkern stattfinden soll, um so die Finanzierungsgrundlagen zu sichern. Für Sie war das gleichsam ein Zentralpunkt bei der Beratung über die finanziellen Grundlagen dieses Gesetzes. Was Sie jetzt an Änderungen dazu bringen, müssen Sie uns darum schon konkret auf den Tisch legen.
Der Kollege von der CDU/CSU hat versucht, an dieser Stelle auch einige grundsätzliche Bemerkungen über die Handwerkerversicherung zu machen. Ich will ihm nicht im ganzen folgen, aber doch einige Ausführungen dazu machen.
Meine Damen und Herren! Wir als Opposition brauchen sicherlich keine Belehrung darüber, wie notwendig es ist, auch Teile der Selbständigen und die freien Berufe in die soziale Sicherung einzubeziehen. Das haben wir in dem vergangenen .Jahrzehnt mit großem Nachdruck von der Tribüne dieses Hauses unterstrichen.
Die Debatten über die soziale Sicherung der Selbständigen haben jedoch jahrelang darunter gelitten, daß — man muß es offen sagen — ein Teil der Selbständigen selbst, vor allem aber die politische Rechte dieses Hauses, glaubte, die Einbeziehung der Selbständigen in die soziale Sicherung sei ein Prozeß der Kollektivierung und der Nivellierung. Von ihnen ist nicht gesehen worden, daß eine solche soziale Sicherung den sozialen Wandlungen und Veränderungen in unserer Industriegesellschaft entspricht, aus denen nun sozialpolitische Konsequenzen gezogen werden sollen. Das ist der Grund dafür, daß eine so notwendige Sache wie diese soziale Sicherung der Selbständigen so lange Zeit geruht hat, daß auch die Regierung jahrelang nicht aktiv geworden ist und daß schließlich die Handwerker selbst in einem Akt der Selbsthilfe gegenüber dem Parlament versucht haben, ihre Vorstellungen über die Handwerkerversorgung durchzusetzen. Das ist der Sachverhalt.
Ich bitte noch einmal. uns den eingangs erwähnten Änderungsantrag schriftlich vorzulegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
' Schmücker : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, daß die vom Kollegen Wieninger hier angekündigte Änderung sehr kompliziert klingt. Sie ist es aber nicht. Herrn Wieninger hat man gesagt, man könne nicht etwas erst streichen und nachher erneut in den Text hineinnehmen. Hier wird vorgeschlagen, die Absätze 2, 6 und 7 des § 5 zu streichen, und dann wird — unter Ziffer 3 — eine neue Fassung vorgeschlagen. Ich finde, das ist ein sehr ordentliches Verfahren, und wir sollten bei dem Vorschlag bleiben, so wie er hier steht. Ich glaube, man kann nicht zu Recht sagen, daß etwas, was gestrichen worden ist, nachher nicht wieder hineingesetzt werden könne. Warum nicht? Das vermag ich nicht einzusehen.
Ich würde also vorschlagen, es bei dem Text, wie er in Umdruck 674 steht, zu belassen.
Das heißt, Herr Abgeordneter Schmücker, der mündlich vorgetragene Änderungsantrag ist zurückgezogen, es bleibt bei dem Antrag Umdruck 674, der im Hause verteilt ist?
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Das, was Sie sagen, führt in der Tat zu einer erstaunlichen Verwirrung. Soeben hat der Sprecher der CDU/CSU, der neben Ihren sitzt. Herr Kollege Schmücker, eine Änderung
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6972 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Dr. Schellenbergdieser Fassung beantragt, und jetzt kommen Sie herauf und ziehen diesen Antrag wieder zurück.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Schellenberg, es kommt Ihnen darauf an, daß die Lesung heute nicht zu Ende gebracht wird. Das haben Sie mit Ihrem Antrag zur Geschäftsordnung zum Ausdruck gebracht. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß man sich, nachdem von dem Vorstand gesagt worden ist, man könne nicht erst streichen und dann einen neuen Text hineinbringen, in redlicher Weise bemühen kann, Ihnen einen neuen Vorschlag zu machen. Wir sagen, nach unserer Auffassung ist es ohne weiteres möglich, einen Satz zu streichen und im nächsten Paragraphen in anderer Form wieder aufzunehmen. Das muß man doch einsehen können. Ich finde, so kompliziert sind die Dinge auch nicht, nicht einmal für einen, der nicht im Sozialpolitischen Ausschuß sitzt.
Meine Damen und Herren! Liegen noch weitere Wortmeldungen zu § 5 und den Änderungsanträgen vor? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen also zur Abstimmung über die Änderungsanträge, und zwar zuerst über den Antrag auf Umdruck 674 Ziffer 2. Nach diesem I) Antrag sollen in § 5 die Absätze 2, 6 und 7 gestrichen werden.
-- Es bleibt dann noch Absatz 1 übrig.
— Es sollen einzelne Absätze gestrichen werden, und zwar die Absätze 2, 6 und 7. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Damit ist der Antrag der Fraktion der FDP Umdruck 687 Ziffer 2 erledigt.
Das wollte ich nur formell feststellen.
Somit kommen wir nun zu § 5 mit den beschlossenen Änderungen.
— Es ist für jemanden, der hier hereinkommt und sich sofort an den Vorstandstisch setzt, etwas schwer, das festzustellen, zumal wenn er nicht dem Sozialpolitischen Ausschuß angehört.
Ich kann also feststellen, daß § 5 entfällt, Darüber besteht Einverständnis.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD 'auf Umdruck 678. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei unserem Antrag Umdruck 678 handelt es sich um die Regelung des Bundeszuschusses für die Handwerker, die früher als Lehrlinge und Gesellen der Arbeiterrentenversicherung angehörten und nun aus der BfA, in die sie als Meister übergeführt worden waren, wieder in die Arbeiterrentenversicherung zurückgeführt werden sollen.Ich darf dazu bemerken, daß Herr Wild, der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, vor den Ausschüssen für Sozialpolitik und .für Mittelstandsfragen bei der Anhörung der Sachverständigen über die Handwerkerversicherung im April vergangenen Jahres erklärte, es sei allen bekannt, daß die BfA seit Jahren den Vorwurf erhebe, die Handwerker seien für die Angestelltenversicherung eine Belastung. Diese Belastung besteht in einem von der BfA — nach Auffassung des Handwerks allerdings zu Unrecht — errechneten Fehlbetrag, der allein für die Jahre 1957, 1958 und 1959 mit 374 Millionen DM veranschlagt worden ist. Herr Oberregierungsrat Schewe vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung kommt bei einer Bilanzierung der Handwerkerversorgung in der Angestelltenversicherung für den gleichen Zeitraum zu einer Mindereinnahme von 124 Millionen DM. Diese nach gewissen Schätzungen errechnete Bilanzierung kommt dem Tatbestand sehr nahe, denn das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung weist in den Übersichten über die soziale Sicherung in der Bundesrepublik nach dem Stand vom 1. April dieses Jahres auf Seite 59 einen effektiven Fehlbetrag in der Handwerkerversorgung von 136 Millionen DM aus.Ich darf erläuternd dazu sagen, daß trotz der großen Differenz zwischen dem von der BfA errechneten Fehlbetrag und den Feststellungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung beide Berechnungen stimmen. Der höhere Fehlbetrag, den die BfA ausweist, ergibt sich daraus, daß sie die noch nicht erhaltenen Wanderversicherungsausgleichsbeträge, die noch immer offenstehen und die auch strittig sind, selbstverständlich nicht eingesetzt hat, weil sie die Beträge noch nicht bekommen hat. Ich glaube, an dieser Stelle sollte man auch an die Bundesregierung die Frage stellen, wie lange die Rentenversicherungsträger noch auf die Rechtsverordnung warten sollen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen über die Grundsätze des Wanderversicherungsausgleichs die entscheidenden Bestimmungen zu treffen hat. Diese Rechtsverordnung ist trotz einer Zusage des Bundesministers für Arbeit in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage bis heute nicht erlassen, so daß keine Rentenversicherungsanstalt in der Lage ist, eine endgültige Klärung herbeizuführen und eindeutig und abschließend zu bilanzieren.Worin, meine Damen und Herren, liegen nun die Ursachen des tatsächlichen Defizits von rund 140 Millionen DM in den letzten drei Jahren? — Einmal darin, daß der Anteil der Handwerksbetriebe ständig sinkt. Von 1949 bis 1956 ging die Zahl der Betriebsstätten des Handwerks um 112 000 oder
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Killat
13% zurück. Bei dem bestehenden Umlageverfahren, das für die Finanzierung in der Rentenversicherung gilt, bedeutet das natürlich, daß ein ständiger Ausfall und Schwund an Beitragszahlern eintritt, dem auf der anderen Seite eine steigende „alte Last" aus früher erworbenen Ansprüchen der Handwerkerrentner gegenübersteht. Zwar steigt die Zahl der Beschäftigten in der geringeren Zahl von Betriebsstätten. Wohl steigt auch der Umsatz. Aber diese Tatsachen wirken sich nicht positiv auf die Beitragsentwicklung der versicherten selbständigen Meister aus.Eine zweite entscheidende Ursache für den Fehlbetrag ist in der Tatsache zu sehen, daß der Anteil des Bundeszuschusses zu jeder Rente in der Handwerkerversicherung nur 15 %, in der Angestelltenversicherung aber rund 18 % und in der Arbeiterrentenversicherung fast 34 % ausmacht. Allein durch die Tatsache, daß ein Geselle nach 12, 15 oder 18 Versicherungsjahren aus der Arbeiterrentenversicherung ausschied, weil er sich selbständig macht und in die Handwerkerversorgung eingegliedert wird, sinkt der Zuschuß für ihn bei der Eingliederung in die Arbeiterversicherung um über dieHälfte. obwohl bei bei gleichem Einkommen und beigleichen Beiträgen und auch nur mit den gleichen Leistungen in Zukunft in der Arbeiterrentenversicherung versichert werden soll. Ähnlich verhält es sich mit dem Sonderzuschuß für zu geringe Renten. Dieser Sonderzuschuß ist für die Handwerker doppelt so hoch wie für die übrigen Versicherten in der Angestelltenversicherung. Wir Sozialdemokratensehen in dieser schlechteren Behandlung der Handwerker hinsichtlich des Bundeszuschusses keine Logik. Man könnte diese Tatsache geradezu als eine Diskriminierung der Handwerker gegenüber den übrigen Versicherten, den Arbeitern und Angestellten, auffassen.
Herr Wild hat seinerzeit vor den Bundestagsausschüssen erklärt, es sei logisch, daß die Handwerker bei der Versorgung bleiben wollten, der sie als Lehrlinge und Gesellen angehört hätten. Nach unserer Auffassung ist es ebenso zwingend und logisch, daß man die Handwerker als Arbeiterrentenversicherte mit dem gleichen Bundeszuschuß ausstattet wie die übrigen Versicherten dieser Anstalten.
Diesem Ziel dient unser Antrag Umdruck 678.Wer verhindern will, daß die Handwerker schon von vornherein mit einer offensichtlichen finanziellen Unterbilanz in die Arbeiterrentenversicherung überführt werden, muß sich für diesen Antrag aussprechen. Ich darf der Erwartung Ausdruck geben, daß sich niemand gegen eine solche sozial gerechte Behandlung der Handwerkerversicherten wendet, und darf um Ihre Zustimmung bitten.
Vizepräsdient Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie irren sich, Herr Kollege Schellenberg, es ist kein schwerer Gang.
Die Ausführungen des Herrn Kollegen Killat waren außerordentlich interessant. Ich vermag ihnen nicht einmal in allen Punkten zu widersprechen, nur ist die Schlußfolgerung, daß wir an dieser Stelle einen neuen Paragraphen einfügen müßten, falsch. Die Frage des Bundeszuschusses ist generell in den Rentenversicherungsneuregelungsgesetzen geregelt. Diese Frage ist schon unter Berücksichtigung der Tatsache geklärt worden, daß auch die Handwerkerversicherten damals bei der BfA mit eingeschlossen waren; jetzt kommen sie zu den Landesversicherungsanstalten. Das bedeutet, daß wir uns allein überlegen müssen, welche Summe von der BfA zu den Landesversicherungsanstalten überzugehen hat. Deshalb haben Sie unsere Anträge vorliegen, die später behandelt werden.
Für diese Frage spielt es natürlich eine Rolle, daß wir das Gesetz erst am 1. Januar 1962 in Kraft treten lassen wollen. Ich werde das nachher noch im einzelnen anführen. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß wir ja auch eine versicherungstechnische Bilanz erwarten. Wenn wir dann zu Schlüssen kommen müssen, die uns den Bundeszuschuß anders sehen lassen, werden wir diese Schlüsse natürlich ziehen. Jetzt, an dieser Stelle sind sie fehl am Platze. Wir brauchen diesen Paragraphen nicht einzufügen. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einige wenige Sätze. Die von Herrn Kollegen Killat genannten Zahlen bezüglich der Zuschüsse an die verschiedenen Versicherungsträger sind natürlich äußerst interessant, und durch ihre Verschiedenheit regen sie dazu an, zu überlegen, wie man hier eine Diskriminierung vermeiden kann. Aber ich glaube, die Zustimmung zu der Streichung des § 5 b ist die beste Möglichkeit, jede Diskriminierung einer Gruppe, seien es Angestellte, Arbeiter oder Handwerker, zu vermeiden. Wir brauchen diese Einfügung hier auf keinen Fall, wenn wir — und hier darf ich vorgreifen — den Vorschlägen folgen, die die CDU zu den weiteren Paragraphen gemacht hat, um einen Ausgleich zu finden, so daß die Arbeiterrentenversicherung tatsächlich nicht etwa aus anderen Mitteln Zuschüsse zahlen muß. Deshalb lehnen wir auch den § 5 a ab, hoffen aber, daß die SPD die Konsequenz zieht und mit uns der Streichung des § 5 b zustimmt.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Killat?
Herr Kollege Mischnick! Ist Ihnen nicht bekannt, daß in den Beratungen zur finanziellen Regelung ,der Überleitung nur die Be-
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träge in Ansatz gebracht worden sind, die dem Anteil der Handwerkerrentenversicherung in der bisherigen Höhe entsprechen, das heißt also, sie werden von vornherein mit einem Minderzuschuß in die Arbeiterrentenversicherung eingegliedert, und den Fehlbetrag müssen dann zwangsläufig die Landesversicherungsanstalten tragen.
Lieber Herr Kollege Killat, ich darf auch hier auf das verweisen, was der Kollege Stingl sagte. Wenn wir 'die versicherungstechnische Bilanz haben und sich irgendein Betrag heraussteilen sollte, der noch ausgeglichen werden muß, werden wir es tun. Allerdings hoffen wir, daß wir im Herbst, zum 30. September, wenn der nächste Sozialbericht fällig ist, auch die von uns Freien Demokraten immer wieder geforderte versicherungstechnische Bilanz haben und diese Dinge mit behandeln können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg.
Sie haben hier schon das Problem des § 5 b aufgeworfen und erklärt, Sie seien für die Streichung 'dieser Vorschrift. Erinnern Sie sich — jetzt kommt meine Frage — der Ausschußberatung vom 15. Oktober, in der unter Ihrer Teilnahme § 5 b einstimmig beschlossen wurde?
Herr Kollege Dr. Schellenberg, ich erinnere mich noch genau. Aber vergessen Sie bitte nicht, daß damals unsere Grundvorstellung in unserem Gesetzentwurf bereits festlag. Nachdem die CDU sich entschlossen hat, andere Überlegungen anzustellen, kommen wir auf unsere ursprünglichen Vorstellungen wieder zurück. Das ist doch nur verständlich.
Meine Damen und Herren! Grundsätzlich möchte ich bemerken — das ist bitte auf allen Seiten des Hauses zu beachten —, daß jede Zwischenfrage vom ersten Wort an eine Frage sein muß. Anders kann sie hier geschäftsordnungsmäßig nicht zugelassen werden. Das ist manchmal etwas schwierig, aber wir werden das im Laufe ,der Übung schon alle lernen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg, Sie werfen Ihren Kollegen vor, daß sie ihre Meinung geändert hätten. Ich muß sagen: Wer seine Meinung nie ändert, der steht im Verdacht, überhaupt keine Meinung zu haben. Haben Sie Ihre Meinung in den letzten Jahren nie geändert? Das ist doch kein Argument! Sie können sachlich fragen: Warum tun Sie es heute? Aber Sie können doch nicht einfach den Vorwurf erheben: Damals haben Sie zugestimmt, heute tun Sie es nicht! Dann hat diese Beratung überhaupt keinen Sinn! Der Sinn der Debatte ist doch der, daß man um Meinungen ringt, daß man auch selbst bereit ist, seine Meinung zu ändern.
Ich möchte auf das Thema der alten Last nicht eingehen; ich gebe gern zu, daß diese Frage hier nicht ganz ausdiskutiert ist. Überhaupt ist die Frage, die sich bei § 5 a und bei den nachfolgenden Bestimmungen stellt, auch innerhalb meines Freundeskreises noch nicht zu Ende durchgesprochen. Aber, Herr Dr. Schellenberg, das ist gar nicht nötig. Wir können auch zu einer Regelung kommen, ohne daß wir diese Frage jetzt entscheiden.
— Ich komme noch darauf. Ich kann doch nicht alles auf einmal sagen. Sie können zusammen rufen und Ihre Meinungen äußern, ich kann aber nur eine Meinung zur gleichen Zeit ausdrücken. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir in den etwa zehnjährigen Beratungen über dieses Gesetz eine Fülle von Zahlen erhalten haben, die sich kaum in ein oder zwei Fällen decken. Man hat uns gesagt, die Handwerker-Versorgung sei defizitär; mal hat man uns gesagt, es würden Überschüsse erzielt. Ich habe mich deshalb nicht mehr sehr viel um diese Zahlen gekümmert.Ein Zweites. Natürlich ist das Handwerk ein Interessent, ein ganz berechtigter Interessent. Aber hier steht auch die Rentenversicherung als Interessent. Sie muß daran interessiert sein, daß eine ordnungsmäßige Geschäftsführung gewährleistet wird. Es handelt sich also nicht um einen übergeordneten Gesichtspunkt aus dem sozialen oder politischen Raum, sondern um ein ganz legitimes Anliegen der Rentenversicherung, für die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung zu sorgen. Hier stehen sich zwei Interessenstandpunkte gegenüber.Ein Weiteres. Mir scheint — diese Meinung wird nicht von meiner Fraktion insgesamt geteilt —, daß bei den Trägern der Rentenversicherung ein Trugschluß vorliegt. Sie nehmen die Handwerker als eine versicherungsmathematische Einheit. Das können Sie nach meiner Meinung nicht. Ein SPD-Sprecher hat gesagt: Die Zahl der Handwerker hat sich verringert; dadurch treten Schwierigkeiten auf. Wer vermag zu sagen, daß die Zahl der Handwerker weiter fällt? In den letzten Jahren haben wir trotz des Abgangs im kleinbäuerlichen Bereich, wenn ich recht unterrichtet bin, eine Zunahme an selbständigen Existenzen von etwa 50 000 zu verzeichnen. Ich bin davon überzeugt: wenn es uns einigermaßen gelingt, in Steuer- und anderen Gesetzgebungen die Voraussetzungen zu verbessern, kann die Zahl der Handwerker wieder steigen. Aber niemand hier im Saale kann sagen: Wir werden in zehn Jahren 500 000, eine Million oder anderthalb Millionen Handwerker haben. Allein daraus geht aber schon hervor, daß die Handwerker versicherungsmathematisch nicht zu verwerten sind. Sie sagen: Nun gut, ob die Zahl steigt oder fällt, auf jeden Fall muß der Staat, wenn es innerhalb dieses Bereichs teurer wird, zuzahlen. Nehmen wir doch einmal die Gesamtgröße. Ich darf übrigens sagen, daß im Stand niemals Arbeitgeber und Arbeitnehmer voneinander getrennt werden dürfen,
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Schmückersondern zusammen gesehen werden müssen. Wenn die Zahl der Handwerker steigt, muß sich doch die Zahl der Arbeitnehmer verringern oder umgekehrt. Es gleicht sich also alles aus. Sie können doch diesen Vorgang nicht einfach unberücksichtigt lassen und sagen: Wenn eine Gruppe etwas zu kurz kommt und die andere zwangsläufig den Vorteil hat, dann muß der Staat eingreifen.Ich gebe zu, daß das alles noch nicht bis zum Ende ausdiskutiert ist, aber ich meine, es ist auch nicht nötig, diese Fragen heute und hier zu entscheiden. Wir wollen über diese Frage gründlich diskutieren. Kollegen meiner Fraktion haben schon gesagt, daß wir die entsprechenden Bilanzen erwarten. Aber die endgültige Lösung, die Sie jetzt hinsichtlich des § 5 a vorschlagen, scheint mir nicht richtig und mindestens verfrüht zu sein.Sie sagen: Das ist eine Diskriminierung. Ich muß antworten: Hochachtung vor dem Dreh, mit dem Sie das hinbekommen haben! Mit Ihrem Antrag streben Sie doch eine Sonderrechnung an, die eben eine Sonderstellung und damit eine Diskriminierung bedeutet. Sie umkleiden es so, als ob die Ablehnung Ihrer Regelung eine Benachteiligung des Handwerks darstelle. Genau das Gegenteil ist der Fall.Darum freue ich mich — ganz abgesehen davon, daß wir in der Sache noch nicht zu einem endgültigen Ergebnis gekommen sind; die Frage ist auch viel zu schwierig, sie braucht heute auch gar nicht gelöst zu werden —, daß meine Freunde Ihrem Vorschlag nicht zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmücker sagt: Die finanziellen Voraussetzungen und Grundlagen des vorliegenden Gesetzentwurfs sind nicht ausreichend erörtert und geklärt worden. Dem stimmen wir zu. Der Herr Kollege Schmücker hat dabei aber die Tendenz, immer wieder in die Nähe seines Satzes zu gelangen, daß man in diesem Parlament auch bei mangelndem Sachverständnis und mangelnder Klarheit in der Sache Gesetzgebungsakte vollziehen kann.
Wir halten das aus einer Reihe von Gründen für bedenklich. Einige will ich hier nennen.Zunächst zu der Frage nach den finanziellen Grundlagen! Die CDU hat dazu im Sozialpolitischen Ausschuß insofern eine klare Stellung eingenommen, als ihre Vertreter erklärt haben: Grundsätzlich keinen Pfennig der Arbeiterrentenversicherung für die Altersversorgung des Handwerks." Das können Sie in den Protokollen des Sozialpolitischen Ausschusses nachlesen. Nun erhebt sich die Frage: könnte oder müßte denn ein Pfennig der Arbeiterrentenversicherung nach der Konstruktion des vorliegenden Gesetzes und unter Berücksichtigung der von der CDU vorgebrachten Änderungsanträge für die Altersversorgung des Handwerks verwendet werden? Dazu muß ich Sie auf eine Ausarbeitung des Bundesarbeitsministeriums verweisen, die in diesen Tagen erschienen ist. Es handelt sich um ein weiteres Heft der „Sozialen Sicherung". In diesem Heft wird eine Bilanz der Handwerkerversorgung gemacht mit dem Resultat, daß für das Jahr 1959 an Einnahmen 342 Millionen DM ausgewiesen sind, aber an Ausgaben 404 Millionen DM.Nun könnten Sie sagen, Herr Schmücker: Gut, das ist der Statuts quo, aber wird es dabei bleiben? Dazu muß ich wiederum auf die Berechnungen des Bundesarbeitsblattes hinweisen, ,das zu dem Schluß kommt: Die Tendenz zum Defizit wird nicht abnehmen, sondern in Zukunft zunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt, Herr Stingl, ist der Gesetzentwurf nicht nur ein formaler Übergang der Handwerkerversorgung von der Rentenversicherung der Angestellten zu der Rentenversicherung der Arbeiter, sondern es stecken hinter diesem Übergang erhebliche finanzielle Probleme.Wenn Sie erklären: Ob es zu einem solchen Defizit kommt, kann durch die versicherungstechnische Bilanz ermittelt werden, muß ich dazu die Gegenfrage stellen: auf welche Weise denn, wenn die getrennte Berechnung für die Handwerkerversorgung aufgehoben wird? Auf Grund der Ausschußvorlage konnte man noch sagen — so haben wir es ja im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages einstimmig beschlossen —, daß die Handwerkerversorgung in der versicherungstechnischen Bilanz getrennt ausgewiesen werden soll. Jetzt aber haben Sie diese Konzeption grundsätzlich verlassen.Damit komme ich zu einem zweiten Einwand, der nach meiner Meinung von erheblicher sozialpolitischer Bedeutung ist und über die Altersversorgung des Handwerks weit hinausgeht. Wir erleben in den letzten anderthalb Jahren im wachsenden Ausmaße die Tendenz der Regierungsmehrheit, die Finanzmasse der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten auf verschiedenen Wegen anzugehen. Ich verweise auf die Art und Weise, wie der § 90 — also die Erstattungen des Bundes an die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten — behandelt worden ist. Bekanntlich sollen die 200 Millionen DM jährliche Abzahlung nicht in bar, sondern als Schuldverschreibungen gegeben werden. Ich erinnere Sie ferner daran, daß nach dem neuen Fremd- und Auslandsrentengesetz die Mehrausgaben nicht mehr als Kriegsfolgehilfe vom Bund, sondern von der Sozialversicherung getragen werden sollen. Zu diesen beiden großen Positionen kommt jetzt die Altersversorgung des Handwerks hinzu. Sie wollen als CDU-Fraktion die Eingliederung der Handwerkerversorgung in die Rentenversicherung der Arbeiter vollziehen, ohne daß das die Bundesregierung einen Pfennig kostet. Sie wollen das finanzielle Risiko auf die Schultern der Arbeiter legen. Das steht im ausgesprochenen Gegensatz zu dem, was Sie im Sozialpolitischen Ausschuß erklärt und beschlossen haben.Die Beeinflussung der Finanzmasse der Rentenversicherung ist auf die Dauer von erheblichem Be-
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Rohdelang für die Art und Weise, in der sich in der Bundesrepublik die Anpassung der Renten an die veränderte wirtschaftliche Entwicklung vollziehen kann. Denn zu dieser Rentenanpassung bedarf es sicherer finanzieller Grundlagen. Wenn Sie jetzt auf verschiedenen Wegen dazu kommen — zunächst peripher, aber dann immer mehr zum Kern hin —, diese finanziellen Grundlagen zu beeinflussen, bringen Sie die Rentenanpassung in Gefahr.Auch unter dem Gesichtspunkt dieses großen Zusammenhanges können wir uns Ihrem Vorgehen nicht anschließen, sondern müssen auf unserem Antrage bestehen, daß ein ausreichender Bundeszuschuß für die Eingliederung der Handwerker in die Arbeiterrentenversicherung gewährt wird, damit sich auch der Bund an dieser sozialen Eingliederung angemessen beteiligt und sichere Grundlagen für alle schafft, die in der Arbeiterrentenversicherung sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Sehr verehrter Herr Kollege, es ist uns bisher nicht gelungen, uns über die tatsächliche Problematik zu unterhalten. Sie haben nach meiner Meinung an den Dingen, so wie ich sie sehe, vorbeigeredet und haben dann eine recht hübsche Ausflucht genommen, wie Sie sie gerne wählen, wenn Sie mich hier oben sehen. Ich freue mich stets, wenn in den Ausschüssen von I) Ihrer Seite viel derber und deutlicher gesagt wird, daß politische Entscheidungen gefällt werden müssen.
Ich habe mich vorhin gefragt, wo das Schwergewicht Ihrer Ausführungen lag, auf dem Gebiet der Sachverständigkeit oder auf dem der Politik. Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Es geht hier doch darum, daß wir eine Regelung für die betroffenen Menschen schaffen. Sie können sich doch nicht einfach hinstellen und sagen: Der Bund muß irgend etwas zahlen. Natürlich, wenn es notwendig wird, muß er etwas zahlen. Sie stellten Arbeiter und Handwerker gegenüber und tun so, als ob die Arbeiter etwas für den Handwerker bezahlen müßten. Das kann doch gar nicht eintreten;
es sei denn, daß Sie einfach die beiden Gruppen als unabänderlich feststehende Einheiten nehmen.
Es gibt keinen Handwerker mehr, der zwangsläufig zeitlebens selbständig Handwerker sein müßte. Der Beruf ist doch heute etwas völlig anderes als früher. Die Selbständigkeit ist doch nur eine Art der Berufsausübung. Darum ist es nach meiner Meinung gar nicht angängig, hier davon zu sprechen, daß Arbeiter für Handwerker oder Handwerker für Arbeiter zahlen könnten. Diese Frage stellt sich aus der Systematik unserer neuen Rentenversicherung überhaupt nicht mehr. Ich habe Ihnen vorhin gesagt: wenn die Zahl der Selbständigen steigt, wird die der Unselbständigen fallen. So gleicht sich doch alles
aus. Sie können nach meiner Meinung überhaupt nicht sagen, daß hier der eine für den anderen bezahlt; denn jeder bekommt nachher seine Rente nach der Leistung, die er vorher erbracht hat.
Später wird aus der Solidarleistung einer nächsten Generation bezahlt.
Herr Schellenberg, ich will die Frage einmal etwas anders stellen. Angenommen, ich wäre in der Rentenversicherung und leistete meine Beiträge. Später würde ich die Rente nur deswegen bekommen, weil die nächste Generation bezahlt. Das ist doch klar! Die Leistung erfolgt doch nicht mehr aus der Kapitaldeckung! Wie soll ich über Generationen eine Verantwortlichkeit dafür haben, ob ich selbständig oder unselbständig bin? Das ist doch ein, ich möchte sagen, ständisches Denken aus dem Mittelalter. Ich muß doch dem Menschen die Freiheit lassen, ob er selbständig oder unselbständig sein will. Ich weiß doch, daß, wenn ein Selbständiger fünf oder sechs Kinder hat, diese in der Mehrzahl unselbständig sein werden, genauso wie jeder von den Unselbständigen erwarten kann, daß ein Teil ihrer Kinder selbständig sein wird. Wie kommen Sie also dazu, daß Sie hier eine Berechnung „Selbständig —Unselbständig" vornehmen?! Nach meiner Meinung liegt der Bruch der Überlegung bei Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmücker, ich habe Ihnen eben Beifall gezollt. Das waren ausgezeichnete Ausführungen, die Sie zum Schluß gemacht haben. Wir werden auf diese Ausführungen zu gegebener Zeit zurückkommen. Ich will heute keine Schlußfolgerungen daraus ziehen. Es wäre allerdings reizvoll, sie schon jetzt im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzes zu ziehen.Aber ein anderes! Herr Schmücker, Sie wehren sich dagegen, daß hier eine Zuschußleistung des Bundes gesetzlich festgestellt wird.
Aus welchem Grund wehren Sie sich dagegen? Daß dem Grunde nach mit der 18jährigen Pflichtversicherung eine Sonderstellung der selbständigen Handwerker in der Arbeiterrentenversicherung erreicht wird, ist doch nicht zu bestreiten. Wer strebt denn die Sonderstellung an? Doch Sie mit Ihrem Gesetzentwurf. Meine Frage ist — sie ist in diesem Zusammenhang vielleicht gar nicht so unwichtig —: warum hat sich denn bisher die Bundesregierung — sprich: das Arbeitsministerium — nicht zu einer entsprechenden gesetzlichen Regelung verstehen können? Bisher ist uns das Arbeitsministerium und auch die Bundesregierung die Antwort schuldig geblieben. Aber, Herr Schmücker, es hat keinen Zweck, wenn Sie einen Initiativentwurf einbringen
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und als Fraktion etwas ganz Bestimmtes vorhaben, so zu tun, als ob mit Ihrer Regelung die völlige Gleichstellung der selbständigen Handwerker mit den Arbeitern in der Arbeiterrentenversicherung erfolgte. Das ist eben auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmungen nicht der Fall. Hier zeigt sich doch sehr deutlich, zu welchen Schwierigkeiten es führt, wenn in unseren heutigen Sozialversicherungseinrichtungen abhängig Beschäftigte und selbständig Beschäftigte miteinander gekoppelt werden, weil wir bei den Selbständigen völlig andere Fakten zugrunde zu legen haben als bei Abhängigen. So kommen wir aus der Problematik, die auch in dem Antrag Umdruck 678 steckt und der nur versucht, eine Lücke in Ihrem Entwurf zu schließen, nicht heraus. Wir müssen effektiv in das Gesetz eine solche Zuschußpflicht des Bundes hineinschreiben.
— Ich sage, wir müssen eine Zuschußpflicht für die selbständigen Handwerker innerhalb der Arbeiterrentenversicherung festlegen; daran kommen wir nicht vorbei. Insoweit darf ich noch unterstreichen, was meine Kollegen Killat und Rohde ausgeführt haben.Noch ein Wort, Herr Schmücker, zu einer anderen Bemerkung, die Sie gemacht haben. Sie haben erklärt, daß man seine Meinung ändern könne. Natürlich kann man das! Wenn man aber einen Initiativ-entwurf einbringt und diesen — nachdem man die Ausschußberatungen hinter sich gebracht hat — soundso lange schmoren läßt und dann anderen zumutet — ich bezeichne es noch einmal als eine Zumutung —, sich mit einer solchen Fülle von technischen Einzelheiten hier im Plenum auseinanderzusetzen und damit praktisch das Plenum zu einem Ausschuß zu machen, so ist das eine bitterböse Sache. Ich möchte nicht, daß Ihre Bemerkung Schule macht und daß wir künftig in jedem Fall Gesetze in der Weise wie dieses behandeln und verabschieden. Also so möchte ich Sie mit Ihrer Bemerkung: „Man kann ja seine Meinung ändern" nicht davonkommen lassen.Es wäre vielleicht etwas anderes, Herr Kollege Franzen — lassen Sie mich diesen Satz noch hinzufügen —, wenn nicht in diesem Initiativentwurf Beschlüsse enthalten wären, die mit Ihren Stimmen— also einstimmig — im Ausschuß für Sozialpolitik zustande gekommen sind. Etwas ganz anderes ist es, wenn man sich im Ausschuß mit seiner Auffassung nicht durchsetzen kann und dann Änderungsanträge zur zweiten und dritten oder auch nur zur zweiten Lesung stellt. Man sollte aber die häßliche Form, in der sich diese Beratung vollzieht, nicht damit begründen, daß man einmal seine Meinung ändern könne. Dann wäre es besser gewesen, Sie wären dem Vorschlag des Kollegen Schellenberg gefolgt und hätten den ganzen Wust von Änderungswünschen dem Ausschuß überwiesen. Dannhätte dort diese Auseinandersetzung über alle technischen Einzelheiten stattfinden können.
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— Jawohl, ich kann Ihnen das an Hand des Protokolls vorlesen.
Meine Damen und Herren, weshalb sind wir dafür, daß der § 5 b erhalten bleibt? Weil er weiterhin eine getrennte Rechnungslegung ermöglicht und weil, wenn ich so sagen darf, bei Fortfall des § 5 b gewissermaßen — entschuldigen Sie den harten Ausdruck — durch einen finanzpolitischen Trick der Defizitbetrag, .der bisher aus den Beiträgen der Angestellten gezahlt wunde, nicht mehr erkennbar wird. Er wird aus der Rentenversicherung der Arbeiter gedeckt, und dagegen wehren wir uns.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Schellenberg, des Herrn Abgeordneten Mischnick?
Bitte schön, Herr Kollege Mischnick!
Soll das heißen, Herr Kollege Professor Schellenberg, daß nach Ihrer Meinung eventuell sogar der Zuschuß für die Handwerker höher sein müßte als für die Arbeiterrentenversicherung? Denn nur dann hätte das, was Sie sagen, einen Sinn.
Herr Kollege Mischnick, wir haben die Größenordnung im Ausschuß sehr eingehend erörtert. Wenn für die Handwerkerversicherung, die nun in die Rentenversicherung der Arbeiter übergeführt wind, der Zuschuß in der gleichen Relation gezahlt wird wie für die Rentenversicherung der Arbeiter, dann entsteht bis auf weiteres kein Defizit. Das hat uns die Regierung in den Ausschußberatungen berichtet. Deshalb unterstützt unser Antrag die Konzeption, die Handwerkerversicherung zwar zu einem Teil der Rentenversicherung der Arbeiter zu machen, finanziell aber nicht zu Lasten der Arbeiter gehen zu lassen. Das ist unser Anliegen. Alles andere bedeutet praktisch, ,daß die Rentenversicherung der Arbeiter für jetzt schon erkennbare Defizite eintreten soll. Das liegt weder im Interesse der Arbeiter noch in dem der Handwerker.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur Sache einige kurze Bemerkungen machen. Zunächst bestreite ich den Zusammenhang des einzuführenden § 5 a mit dem zu streichenden oder beizubehaltenden § 5 b. Zweitens: der Bund leistet einen einheitlichen Zuschuß an die Rentenversicherungen. Dieser wird in unterschiedlicher Höhe auf die beiden Versicherungszweige aufgeteilt, damit sie bei gleichen Beiträgen in der Lage sind, gleiche Leistungen zu bewirken. Diese Regelung haben wir im Jahre 1957 bei den Rentenneuregelungsgesetzen beschlossen. Danach wurde in den letzten Jahren verfahren.
Wenn sich herausstellt, daß diese Regelung aus verschiedenen Gründen nicht richtig ist, daß wir den Bundeszuschuß anders aufteilen müssen — das werden wir bei Vorliegen der versicherungstechnischen Bilanz sehen , werden wir uns über die Neuaufteilung des Bundeszuschusses erneut Gedanken machen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie noch auf einen sehr wichtigen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Der SPD geht es hier darum, durch die Schaffung des § 5 a ein Präjudiz für die Alterssicherung des Selbständigen in der Zukunft zu schaffen.
Herr Abgeordneter Ruf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schellenberg?
Jawohl.
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Herr Kollege Ruf, Sie haben soeben erklärt, aus der versicherungstechnischen Bilanz werde sich in Zukunft ergeben, ob und welche Fehlbeträge entstehen. Ich frage Sie: wird dies nicht gerade durch das, was nach .dem Antrag Ihrer Fraktion Gesetz werden soll, völlig unmöglich gemacht?
Herr Kollege Schellenberg, ein Irrtum! Ich habe nicht gesagt, daß sich unter Umständen aus der versicherungstechnischen Bilanz Fehlbeträge aus der Handwerkerversicherung ergeben könnten, sondern ich habe gesagt: wenn sich aus der versicherungstechnischen Bilanz ergibt, daß wir den Bundeszuschuß neu aufteilen müssen, dann werden wir an diese Aufgabe herangehen.
Nun zu meiner weiteren Bemerkung, bei der Sie mich unterbrochen haben. Ich bitte Sie, darauf zu achten, daß es der SPD darum geht, jetzt schon die Weichen zu stellen, damit auch in Zukunft für die Alterssicherung aller Selbständigen ein Bundeszuschuß gewährt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß es hier zu Streitgesprächen von langer Dauer kommen muß. Mein Kollege Schellenberg hat aber schon zu Beginn dieser Debatte darauf hingewiesen, daß es Konsequenzen hat, wenn die Mehrheit dieses Hauses das ganze Plenum zu Ausschußberatungen benutzt. Wir können hier nicht völlig achtlos an den Änderungsanträgen vorbeigehen, weil hinter diesen scheinbaren Details erhebliche Auswirkungen, vor allem finanzieller Art, stehen.Der Kollege Ruf sagt: Wenn wir aus der versicherungstechnischen Bilanz ersehen, daß die Dinge sich finanziell verschlechtern, müssen wir uns überlegen, ob wir mit einem erhöhten Bundeszuschuß eintreten können oder nicht. Nun kenne ich ja die Auffassung des Kollegen Ruf aus den Beratungen über die Rentenanpassung. Er sieht es gar nicht so ungern, wenn in der versicherungstechnischen Bilanz schwierige Zahlen auftauchen, weil das für ihn dann ein Anlaß ist, die Dynamik der Rentenanpassung als auf die Dauer undurchführbar hinzustellen.
Hier schließt sich der Kreis. Die Finanzgrundlage der Rentenversicherung wird von Ihnen negativ beeinflußt, und wenn sich daraus dann bilanztechnische Auswirkungen ergeben, wird gesagt, es liegt an der Dynamik. Dabei spekuliert man darauf, daß die negativen Beeinflussungen inzwischen in Vergessenheit geraten sind.Der Kollege Schmücker bemerkte noch, ich hätte 'ihn überhaupt nicht verstanden, als er gemeint habe, daß bei dem Zusammenhang zwischen den Beitragszahlern und den Rentenbeziehern in derHandwerkerversorgung auch der Wechsel von Selbständigen zu. Unselbständigen beachtet werden müsse. Ich werde darum aus dem Bundesarbeitsblatt eine Betrachtung über die finanziellen Konsequenzen der Eingliederung der Handwerkerversorgung in die Rentenversicherung der Arbeiter zitieren. Es heißt dort:Der wirtschaftspolitisch bedingte Rückgang der Zahl der Handwerker führt also nicht, wie es eigentlich beim Umlageverfahren der Fall sein müßte, zu einer Minderung der Leistungen an alte Handwerker oder zu einer erhöhten Beitragsbelastung der heutigen Inhaber von Handwerksbetrieben, sondern wird von allen Beitragszahlern der Rentenversicherung der Arbeiter, praktisch also von der Masse der Arbeiter, getragen.Eine ähnliche Tendenz wird in den wissenschaftlichen Gutachten vertreten, die sich das Ministerium zu der Frage der Altersversorgung des Handwerks hat erstatten lassen. Unsere finanzpolitischen Bedenken beruhen also sämtlich auf den Ausarbeitungen des Bundesarbeitsministeriums. — Nun können Siesagen Herr Schmücker „Diese Zahlen taugen nichtsSchmücker weiß es besser." Das ist aber kein Argument. Dann kann man nur sagen: Na und?, und dann ist die Debatte über einen solchen Einwand beendet.
Alles in allem haben wir volles Verständnis für den Wunsch der Handwerker nach einer gesicherten Altersversorgung; mehr als das, wir haben sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder gefordert. Jetzt soll diese Alterssicherung in eine Einrichtung der sozialen Sicherung eingebaut werden, die ursprünglich und ihrem ganzen Wesen nach für Unselbständige geschaffen wurde. Weil nun die Lage des selbständigen Handwerkers anders ist. als die der Unselbständigen, sollen für die Aufbringung der Mittel, die Beitragszahlung, besondere Vorschriften gelten, die 'der Lage der Handwerker entsprechen. Wenn 'so verfahren wird, muß auch den finanziellen Konsequenzen einer solchen. Sonderstellung voll ins Auge gesehen werden. Dann muß vor allem der Bund bereit sein, seinen Teil zu übernehmen, und darf die Finanzprobleme nicht nur der Rentenversicherung der Arbeiter überlassen und darf nicht so gleichsam eine nach außen allgemein attraktive Politik auf fremde Kosten betreiben.Herr Kollege Ruf, Sie haben erklärt, hinter unserer Forderung nach dem Bundeszuschuß stehe wohl die prinzipielle Auffassung der SPD, daß hei der Sicherung der Selbständigen generell öffentliche Mittel mobilisiert werden sollten. Sie hätten das gar nicht mit so geheimnisvollem Unterton zu sagen brauchen. Sie finden unsere Überlegungen auch in dem Entschließungsantrag, den wir Ihnen vorgelegt haben. In der Tat steht doch der Gesetzgeber vor der Frage, wie er sich bei der sozialen Sicherung der Selbständigen finanziell verhalten will gegenüber ,der sogenannten „alten Last", die aus den laufenden Einnahmen nicht gedeckt werden kann,
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Rohdejener Last, die im wesentlichen ein Überbleibsel aus den Kriegs- und Nachkriegswirren ist. Das betrifft jene Handwerker und. Angehörigen freier Berufe, die sich nach 1948 wegen ihres Alters nicht mehr durch eigene Arbeitskraft ihren Anteil am sagenannten Wirtschaftswunder schaffen konnten und die jetzt auf soziale Hilfe angewiesen sind. Daran können Sie doch nicht vorbeigehen. Sonst wird das ganze Problem der sozialen Sicherung der Selbständigen nur zu einem Akt der Propaganda.
Es ist grundsätzlich zu bedauern, daß hier ,ein Bundesarbeitsministerium auf der Regierungsbank sitzt, das in all den Jahren auf diesem wichtigen Gebiet nicht über das Stadium von Denkschriften hinausgekommen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Verehrter Herr Kollege, wenn ich Ihre Grundsatzauffassung anerkennen würde, dann würde ich genauso diskutieren wie Sie und würde auch die Hilfszahlen des Arbeitsministeriums nehmen. Ich habe aber ausdrücklich erklärt, daß nach meiner Meinung der Fehler im Ansatz der Überlegungen liegt. Möglicherweise irre ich mich, das will ich gern zugestehen. Aber Sie müssen doch bitte anhören, worin ich den Unterschied sehe. Er besteht darin, daß ich es nicht für erlaubt halte, daß man hier eine Gruppe gegen eine andere ,ausspielt. Alle stehen zusammen. Wenn ich diese Grundsatzüberlegung habe komme ich doch zu ganz anderen Konsequenzen als Sie. Es kam mir darauf Ian, das darzustellen. Auch Herr Kollege Lange hat ,das ja haargenau begriffen, und er hat es hier unterstützt.
Herr Kollege Schmücker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, aber ich muß erst meinen Satz zu Ende führen können. — Ich bin dann in den Schlußfolgerungen schließlich dazu gekommen, daß ich Ihnen sagte: Bitte überlegen Sie sich doch einmal den grundsätzlichen Unterschied. Wenn .Sie mir recht geben oder mir auch nur zudaß es diese Überlegungen gibt, dann können Sie doch nicht mit den Argumenten kommen, die Sie aus Ihren anderen Überlegungen holen. Jedenfalls schiene es mir nicht logisch zu sein. — Bitte sehr!
Herr Kollege, ich frage nicht rhetorisch, sondern in vollem Ernst, ob Sie der Auffassung sind, daß man auf der Grundlage eines möglichen Irrtums über die finanziellen Auswirkungen einer solchen Maßnahme mit gutem Gewissen hier ein solches Gesetz beschließen kann.
Herr Kollege, das ist eine sehr hübsche Frage. Ich will Ihnen darauf antworten, daß es mir darauf ankommt, zunächst
einmal in der Sache weiterzukommen, und daß die
Streitfrage, von der ich Ihnen ja gesagt habe, daß
sie auch bei uns noch nicht ausdiskutiert ist, — —
— Verehrter Herr Kollege, wenn Sie mich etwas fragen, dann unterstelle ich, daß Sie auch die Antwort hören wollen; also müssen Sie sich schon in Geduld fassen und mir zuhören. — Wenn Sie hier feststellen, daß eine Frage noch nicht ausdiskutiert ist — zum Teil bei Ihnen, zum Teil auch bei uns noch nicht —, daß hier aber ein sachlich berechtigtes Anliegen besteht, den Menschen zu helfen, dann können wir doch ohne weiteres pragmatisch vorgehen und die Dinge so behandeln, wie meine Kollegen es vorgeschlagen haben.
Mir kam es darauf an, Ihnen darzustellen, welche Auffassung auch bei uns herrscht. Aber Sie können doch diese Auffassung nicht mit Argumenten bekämpfen, die aus anderen Überlegungen kommen. Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen das nicht deutlich machen kann. Aber ich versuche es halt, und darum melde ich mich immer wieder zum Wort.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, ich habe Sie wohl verstanden und möchte Sie fragen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß im Hinblick auf das von Ihnen in Aussicht genommene Inkrafttreten des Gesetzes, nämlich zum 1. Januar 1962, die von Ihnen selbst als noch fraglich angesehene Finanzierungsgrundlage noch im Ausschuß behandelt werden könnte.
Herr Kollege, Ihr Vorschlag, der hier vorliegt, ist ja nicht nur ein Vorschlag, der im Sinne des — sagen wir: schnellen Überlesens etwas entscheidet, sondern er stellt die Weichen, wie mein Kollege Ruf gesagt hat. Und dafür ist es heute zu früh. Möglicherweise müssen wir so verfahren, möglicherweise überzeugen Sie mich. Ich will meine Meinung gern ändern, wenn ich überzeugt werde. Aber diese Entscheidung heute zu fällen, dafür ist es nach meiner Meinung viel zu früh. Überlassen Sie das den späteren Erkenntnissen! Wir haben ja zehn Jahre an diesem Gesetz gearbeitet und sind dann langsam, aber sicher zu nach meiner Meinung besseren Erkenntnissen gekommen. Diese Sache heute hier endgültig zu erledigen, wäre nach meiner Meinung zu früh.
Das Wort hat der Abgeordnete Josten.
Meine Damen und Herren, hier ist eine Formulierung gebraucht worden, die man, glaube ich, doch zurückweisen muß. Herr Kollege Rohde meinte, was wir heute hier unternähmen, sei ein Akt der Propaganda. Ich glaube, man muß — wenn vorhin Herr Professor Schellen-
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Jostenberg die Broschüre erwähnte, die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegeben worden ist — sich auch die Arbeit machen, sich das Altersversorgungsgesetz für das Handwerk näher anzusehen. Dann wird man erkennen, daß ja die Versicherungspflicht für das Handwerk nun einmal besteht und daß es sich daher hier auch um die Heimat der Handwerker handelt. — Man muß also feststellen: es handelt sich hier nicht um einen Akt der Propaganda, sondern um einen Akt der Gerechtigkeit, der bereits seit zehn Jahren fällig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren, nur eine Bemerkung. Es wird hier in einigen Diskussionsbeiträgen so getan, als ob in Kreisen der Handwerker besondere Notlagen im Hinblick auf die Altersversorgung beständen. Wir haben eine grundsätzliche gesetzliche Regelung, und Sie selber wollen, daß diese gesetzliche Regelung weiter bis zum 31. Dezember 1961 unverändert in Wirksamkeit bleibt. Deshalb ist es unbedingt notwendig, daß man, wenn man schon Zweifel an den Finanzierungsgrundlagen hat, sich die Dinge noch sorgfältiger überlegt. Dahin geht der Antrag, den wir gestellt haben. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich, sich während der Mittagspause zu überlegen, ob es nicht doch ratsam ist, der Rücküberweisung in den Ausschuß zuzustimmen, die wir nach der Geschäftsordnung jederzeit vornehmen können.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor; ich kann die Aussprache über den Änderungsantrag Umdruck 678 schließen. Wer diesem Antrag der Fraktion der SPD auf Einfügung eines Paragraphen vor 5 a zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zu § 5 a und dem Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 3. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist offenbar nicht der Fall.
-Ja; ich stelle das hier mit Freude fest, wenn es mit der Beratung etwas flüssiger geht. — Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 674 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer nunmehr dem § 5 a in der Neufassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; § 5 a in der neuen Fassung ist angenommen.
Ich rufe § 5 b auf. Dazu liegen die gleichlautenden Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der DP — Umdruck 674 Ziffer 4 — und der FDP — Umdruck 687 Ziffer 3— vor, § 5 b zu streichen. Ich werde nicht über den Streichungsantrag, sondern wie immer, wenn ein ganzer Paragraph gestrichen werden soll, über den Paragraphen als solchen abstimmen zu lassen; wer ihn zu streichen wünscht, kann gegen ihn stimmen. — Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Killat! Der Antrag wird nicht begründet?
— Wenn Sie das zum Anlaß nähmen, sich kurz zu fassen, würde sich das Haus freuen.
Ich muß Sie, Herr Präsident und meine Damen und Herren, enttäuschen; denn der Antrag auf Streichung des § 5 b betrifft, glaube ich, die Kernfrage dieses Gesetzentwurfs.Bisher haben wir in der Angestelltenversicherung ein Sondervermögen für die Handwerker; wir haben die getrennte Rechnungslegung und auch getrennte Versicherungskarten und besondere Versicherungsmarken. Der Antrag auf Streichung des § 5 b steht völlig im Widerspruch zu dem, was im Sozialpolitischen Ausschuß seinerzeit einstimmig beschlossen worden ist.Worum geht es nun bei dieser Frage der Rechnungslegung, die auch im Ausschuß von allen Parteien und ihren Vertretern als die Kernfrage dieser Vorlage angesehen worden ist? — Ich habe bereits in der Begründung des Antrages zur Regelung des Bundeszuschusses darauf hingewiesen, daß die Handwerkerversorgung nach den vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorgelegten Rechnungsergebnissen defizitär gewesen ist. Bei der Beratung im Ausschuß haben alle Parteien anerkannt, daß die Handwerker auf Grund der Besonderheiten des Handwerks und des sich anbahnenden Strukturwandels im Handwerk und auch im Kleingewerbe in dem harten Konkurrenzkampf gegenüber den Großbetrieben Mittel für die Beitragsleistung nicht immer in dem Umfang und in der Höhe aufbringen können, wie es für eine ausreichende Alters- und Hinterbliebenenrente dieser Mittelstandsunternehmer notwendig wäre. Deshalb hat man auch die Versicherungspflicht auf 216 Beitragsmonate oder 18 Beitragsjahre begrenzt. Dazu hat man noch in § 4, dem wir zugestimmt haben, für die Junghandwerker und für die Alleinmeister eine erleichterte Beitragszahlung vorgesehen, und hinsichtlich der Beitragsregelung hat man im Gesetz einen Pauschalbeitrag festgesetzt, dem nicht die Höhe des jeweiligen Einkommens, sondern nur das Durchschnittseinkommen der Arbeiter zugrunde liegt;' eine Sonderregelung, die auch hier entsprechend gesehen werden muß. Die Arbeiter und auch die übrigen pflichtversicherten Selbständigen in der Rentenversicherung müssen ihre Beiträge jeweils der Höhe ihres tatsächlichen Einkommens entsprechend entrichten.
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Killat
Wir waren uns darüber klar, daß diese Maßnahmen einer finanziell und teilweise auch materiell besonderen Gestaltung im Interesse des Handwerks getroffen werden sollen. Alle Fachleute auf dem Gebiet — ich nenne hier Professor Höffner, Münster, der schon von dem Kollegen Rohde genannt worden ist, und ich nenne Professor Abel, Göttingen, die in einer besonderen Schriftenreihe des Bundesministeriums für Arbeit mit einer speziellen Abhandlung zur sozialen Sicherung des selbständigen Mittelstandes und zur Handwerkerversorgung Stellung genommen haben — haben davor gewarnt, Selbständige, insbesondere geschlossene Gruppen von Selbständigen, in eine Pflichtversicherung der in abhängiger Arbeit Stehenden einzubeziehen. Das Sozialkabinett und auch der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen haben sich 1956 für eigenständige Sicherungseinrichtungen der Selbständigen ausgesprochen.Wenn wir trotzdem im Ausschuß gemeinsam mit allen Fraktionen für die Einbeziehung der Handwerker in die Arbeiterrentenversicherung stimmten, dann nur, weil man von der Hoffnung ausging, daß die Handwerker entgegen der bisherigen Übung nach einer Konsolidierung ihres Sozialrechts in der Arbeiterrentenversicherung trotz Begrenzung der Versicherungspflicht als freiwillig Versicherte in wesentlich stärkerem Umfang, als das bisher der Fall gewesen ist, laufend Beiträge entrichten werden. Diese freiwillige Solidarhaftung der jungen Handwerkergeneration für ihre alten Berufskollegen muß aber erst noch bewiesen und nachgewiesen werden. Deshalb ist § 5 b, der eine getrennte Einnahmen- und Ausgabenrechnung vorsieht, geradezu zwingend notwendig. Das Parlament würde meines Erachtens geradezu leichtfertig verfahren,
wenn es auf Grund der eindeutig vorliegenden Tatbestände anders handelte und — auf Hoffnungen bauend — einen ungedeckten und nicht einlösbaren Wechsel für die Zukunft ausstellte. Was ich hier vortrage, war und ist noch, glaube ich — das darf ich einmal besonders herausstellen , die Meinung aller Sozialpolitiker und auch der Handwerker aller Parteien in den zahlreichen und intensiven Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß.Nun darf ich auf eine Besonderheit hinweisen. § 5 b stammt ja nicht von uns, von den Sozialdemokraten, sondern geht auf einen Antrag der CDU/ CSU-Fraktion zurück, dem wir alle zugestimmt haben.
Ich darf aus den Ausschußberatungen vielleicht ins Gedächtnis rufen, wie wir damals in der Beratung zu den einzelnen Fragen diskutiert haben. Unsere verehrte Frau Kalinke hat selbst im Ausschuß erklärt, sie halte es für unbedingt erforderlich, Bestimmungen über eine gesonderte Buchführung und Rechnungslegung für die Handwerker aufzunehmen — Protokoll vom Oktober, 42. Sitzung.
Auch der Kollege Stingl sprach sich nach dem Protokoll für eine klare Rechnungstrennung aus. Er er-klärte weiter, ein entsprechender Änderungsantrag werde dem Ausschuß noch vorgelegt werden. Diese Kollegen blieben aber nicht allein. In einer weiteren Sitzung, in der 44. Sitzung vom 14. Oktober, betonte der Herr Kollege Ruf insbesondere, daß nach Ansicht seiner Fraktion eine Belastung der Arbeiterrentenversicherung bzw. der einzelnen Landesversicherungsanstalten zugunsten der Handwerker nicht Platz greifen dürfe; die eventuell auftretenden Defizite, über die heute noch nichts Genaues gesagt werden könne, müßten den Gesetzgeber zu entsprechenden Maßnahmen veranlassen.Ich darf noch einmal den Vorsitzenden des Ausschusses zitieren, der auf Grund der Beratungen in vier verschiedenen Ausschußsitzungen unwidersprochen protokollarisch feststellte, daß Übereinstimmung darüber bestehe, daß nach den zu § 5 erfolgten Diskussionen und abgegebenen Erklärungen die Neuregelung der Handwerkerversicherung zu keiner finanziellen Belastung der Rentenversicherung der Arbeiter führen dürfe. Das könne weder den Arbeitern zugemutet werden, noch liege es im Interesse des Handwerks, Subventionen aus der Rentenversicherung der Arbeiter entgegenzunehmen. Dieser Grundsatz werde durch den § 5 b verwirklicht, der eine klare Übersicht über die jeweilige finanzielle Lage der Handwerkerversicherung bezwecke. Übereinstimmung ergab sich ferner darüber, daß bei den versicherungstechnischen Bilanzen gemäß § 1257 RVO über die Finanzlage der Handwerkerversicherung gesondert zu berichten ist. Nach Klärung dieses Fragenkomplexes wurde von der Stellung weiterer Anträge Abstand genommen.Nun kann ich es auch meinem Kollegen Schüttler nicht ersparen, ihn hier zu zitieren, weil nämlich die Möglichkeit besteht, daß er als Arbeitsminister Baden-Württembergs im Bundesrat mit seiner Aussage konfrontiert wird, falls die Mehrheit dieses Hauses unserem Vorschlag auf Annahme des § 5 b nicht zustimmt. Kollege Schüttler, der jetzige Arbeitsminister von Baden-Württemberg, erklärte:Sollte sich bei getrennter Rechnungslegung trotzdem ein Fehlbetrag ergeben, so müsse der Gesetzgeber initiativ werden, um eine zusätzliche finanzielle Belastung der Arbeiterrentenversicherung zugunsten der Handwerker zu verhindern.Meine Damen und Herren! Das waren die Grundlagen, die die Sprecher und Sachverständigen aller Fraktionen zu der einstimmigen Verabschiedung des § 5 b veranlaßt haben.Uns allen liegt doch wohl am Herzen, die Handwerker und auch die Hinterbliebenen in dem für sie zweckmäßigen und notwendigen Umfange für das Alter oder eine vorzeitige Berufsunfähigkeit zu sichern. Wir wissen, daß auch das deutsche Handwerk nicht die Absicht hat — bisher ist nichts Ähnliches gesagt worden —, etwa auf Kosten der Arbeiter oder gar der eigenen Gesellen eine solche Sicherung zu erreichen, wie es heute bereits teilweise bei der Beratung dieses Gesetzes an anderer Stelle gesagt worden ist.
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Killat
Aus sozialer Verantwortung und zur Wahrung der Eigenständigkeit des Handwerks ist es notwendig, die getrennte Rechnungsführung, wie sie der Sozialpolitische Ausschuß in § 5 b einstimmig vorgeschlagen hat, im Gesetz zu belassen. Es kann nicht im Interesse des Handwerks liegen, für die Handwerker eine ungeklärte Finanzsituation herbeizuführen.Man kommt auch nicht an der Tatsache vorbei, daß eine ungeklärte Situation in Zukunft allen Verdächtigungen Tür und Tor öffnen würde. Ich bin fast versucht zu sagen: Eine Regelung, wie Sie sie anstreben, muß geradezu einen Klassenkampf der Arbeiter gegen die selbständigen Handwerker in der Arbeiterrentenversicherung heraufbeschwören,
wobei vielleicht delikaterweise auch die Arbeiter in ihren Selbstverwaltungspartnern noch gleichgesinnte Verbündete finden könnten.Ich kenne nicht die näheren Beweggründe derer, die den sachlich und sozialpolitisch einwandfreien Gehalt des § 5 b beseitigen wollen. Eines ist gewiß: Es sind keine guten Sachwalter einer verantwortlichen und sozialpolitisch gerechten Lösung der Alterssicherung des deutschen Handwerks, ja, es sind, so möchte ich sagen, noch nicht einmal gute „Interessenvertreter" im überspitzten Sinne des Wortes. Ich glaube, wir sollten gemeinsam zu unserem Wort stehen. Wir sollten verhindern, daß eine mögliche einseitige Ausnutzung eintritt, die in keinem Verhältnis zu dem Widerstand der Geschädigten und auch zu der Schädigung des Ansehens des Handwerks stehen würde. Wir sollten den Antrag auf Streichung des § 5 b gemeinsam zurückweisen.Abgesehen von den möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die bereits wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geäußert worden sind, sollte sich der Bundestag nicht dazu verleiten lassen, einer Regelung zuzustimmen, die der einstimmigen Auffassung der Sachkenner, d. h. der Sozialpolitiker, widerspricht und nur die Wirkung haben kann, weiteren Sprengstoff in die Debatte um die bisher bewährte deutsche Sozialversicherung zu tragen.Im Namen meiner Fraktion, aber auch im Interesse des deutschen Handwerks und einer sozial gerechten Lösung seiner Alterssicherung darf ich Sie bitten, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der DP abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider muß ich die Kollegen von der SPD enttäuschen: in der Ausschußberatung herrschte keine solche Übereinstimmung. Wir standen insofern vor einer veränderten Lage, als der CDU-Entwurf zur Grundlage genommen und die ursprüngliche Fassung — unser Antrag: 15 statt 18 Jahre — verlassen wurde.
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— Ja, meine Herren,
— das hat mit der Mehrheit gar nichts zu tun. Sie wissen genau — ich will diese Frage ruhig politisch beantworten —, daß in einer Weltanschauungspartei von der Größe der CDU verschiedene Richtungen vorhanden sind. Diese Richtungen müssen miteinander ringen. Aber unsere Partei hat es immer fertiggebracht — ,das ist das Entscheidende und für Sie Bedauerliche —, daß sich die verschiedenen Richtungen zusammenraufen, um die gute, gesunde mittlere Linie zu finden.
Ich will am Schluß noch folgendes sagen. Wenn dann ein größerer Zuschuß erforderlich ist, kann das Handwerk auf Grund seiner großen wirtschaftlichen Leistungen und vor allem auch seiner steuerlichen Leistung verlangen, daß ebenfalls für diese Kreise etwas getan wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Büttner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Mensing könnten vermuten lassen, die Sozialdemokraten hätten etwas gegen eine Handwerkerversicherung. Im Gegenteil: wir sind sehr dafür, daß etwas geschieht. Wir müssen aber damit fertig werden, das nachzuholen, was in 10 Jahren bis jetzt versäumt worden ist. Das ist der Sachverhalt, mit dem wir uns hier abzugeben haben. Ich bedauere außerordentlich, daß sich von der CDU bis jetzt noch niemand gemeldet hat, um den Antrag auf Streichung des § 5 b zu begründen. Wir wären sicherlich gespannt darauf gewesen, was dazu zu sagen ist, nachdem gerade von Ihnen im Ausschuß für Sozialpolitik angeregt worden ist, die getrennte Buchführung einzuführen.
Dazu kommen dann die anderen in Aussicht gestellten finanziellen Feststellungen. Herr Kollege Schmücker, Sie glauben nicht an die Zahlen, die vom Arbeitsministerium bekanntgegeben worden sind. Das ist dann doch ein Grund mehr, dafür zu sein, daß eine echte getrennte Buchführung vorgenommen wird, damit man sagen kann, was ist und was werden soll.Herr Kollege Mensing, gerade unser Antrag und unsere Bestrebungen gehen doch dahin, daß die Handwerker unterstützt werden, und zwar sinngemäß so, wie es in der Arbeiter- und in der Angestelltenrentenversicherung geschieht. Wir sind gar nicht dagegen, daß auch an den Handwerkern gutgemacht wird, was in der Vergangenheit an ihnen durch Verhältnisse geschehen ist,
die nun einmal entstanden sind und die sie nicht selbst zu verantworten haben. Gerade weil wir nicht neben dem Leben stehen, weil wir mitten im Leben stehen, weil wir wissen, was sowohl der Handwerker als auch der Arbeiter, der Angestellte und der kleine Landwirt mitgemacht haben, sind wir immer gerade dafür, daß es zu sinnvollen sozialen Regelungen kommt. Wir sind aber nicht dafür, daß wir hier im Geschwindschritt zu gesetzlichen Bestimmungen und zu ganzen Gesetzen mit soviel unibekannten Größen unser Jawort geben sollen. Es geht uns einzig und allein um die Klarstellung. Wir sind aber nicht im Grundsatz dagegen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in den Ausführungen des Sprechers der SPD immer wieder gehört: „Sinnvolle Regelung, gute Sachwalter" usw. Sie haben sehr viele und sehr hübsche Beiworte gebraucht, aber im einzelnen keine Begründung gegeben.
-- Nein, das haben Sie nicht getan.
Sie haben dann beklagt, daß von unserer Seite keine Erläuterung gegeben worden sei. Herr Wieninger hat bei seiner Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nach dem vorgeschlagenen Verfahren durchaus die Möglichkeit bestünde, exakte Rechnungen aufzustellen, und erklärt, daß er damit nicht die Notwendigkeit einsehe, ein besonderes Markenverfahren einzuführen. Er hat dann darauf hingewiesen, wie schwierig es sei, kontinuierlich die Marken zu kleben. Wir wissen doch aus den früheren Bereinigungsgesetzen, wie schwierig es war. Eine Erläuterung bzw. Begründung ist also
durchaus gegeben worden
Herr Abgeordneter Schmücker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Schmücker, darf ich Sie einmal folgendes fragen, nachdem Sie mich anscheinend nicht verstanden haben: Unser Wunsch, die klare, getrennte Buchführung vorzunehmen, ist doch von Ihnen durch Ihren Antrag abgelehnt worden. Wir sind doch für die Klarheit. Wir haben doch lediglich, wenn ich Sie — —
Verzeihen Sie, wo ist denn eigentlich bei Ihnen ein Fragezeichen zu „hören"?
Ich frage mich im Moment mehr, als Herr Büttner mich fragt.
— Aber ich darf vielleicht doch die Antwort darauf geben. Herr Kollege, ich habe vorhin ausdrücklich gesagt, daß die Sache bei uns nicht ausdiskutiert worden ist. Deshalb wollen wir auch nicht präjudiziell wirken. Ich will meine eigene Meinung einmal etwas überspitzt darstellen. Nach meiner Ansicht können Sie ebensowenig, wie Sie innerhalb der Arbeiterversicherung zwischen Metallarbeitern, Buchdruckern oder was weiß ich trennen, auf die Dauer zwischen Selbständigen und Unselbständigen unterscheiden. Herr Kollege Lange gibt mir darin Recht und sagt: Die Konsequenz daraus ist, daß ihr einheitliche Versicherungssätze schaffen müßt. Wir haben jetzt bei einem bestimmten Einkommen ein Auslaufen der Pflichtversicherung. Es gibt dann die freiwillige Weiterversicherung. Genauso gut kann ich die Selbständigkeit als Kriterium für das Aufhören der Pflichtversicherung und das Hineinwachsen in eine — wie ich meine — erschwerte freiwillige Weiterversicherung nehmen.
Nun errechnet sich die Rente nach der jeweiligen Beitragsleistung. Das ist ganz klar. Die Unterschiede, die auftreten können, entstehen dadurch, daß sich die Zahl der Betroffenen ändern kann. Das bestreite ich gar nicht. Aber diese Änderung wird doch immer den Verhältnissen bei den Unselbständigen entsprechen. Darum verstehe ich nicht, daß Sie mir nichts, dir nichts einen Bundeszuschuß festlegen wollen.
— Ja, das ist doch so! Sie können doch nicht bestreiten, daß hier die einzige Schwierigkeit liegt. Diese Schwierigkeit kann aber doch nicht auf die Handwerker abgewälzt werden. Das wollen auch Sie nicht. Sie wollen sie auf den Bund abwälzen. Aber wir haben es doch hier mit einer Einheit aller Versicherten zu tun, die auch Sie sehen müssen.
Wir meinen, Ihrem Vorschlag widersprechen zu sollen, und glauben, daß in konsequenter Verfolgung dieses Gedankens auch der § 5 b gestrichen werden muß.
Sie fragen nun: Warum ist der Antrag dann überhaupt gestellt worden? Nun, in unserer Fraktion wird offen diskutiert. Einige Kollegen haben gemeint, dies sei der richtige Weg. Er entspricht aber nicht unserem Initiativentwurf. Wir haben uns in der Fraktion ausgesprochen und festgestellt, daß unser Initiativentwurf hier wesentlich verändert wurde. Aber wir geben nochmals zu, daß das Problem nicht ausdiskutiert ist. Wir wollen es zu gegebener Zeit auch lösen. Die Unterlagen bekommen Sie doch auf Grund der Vorschriften, die wir vorhin beschlossen haben. Dann wird es doch ohne weiteres möglich, alles auszurechnen.
Was Sie aber wollen, ist eine klare Sonderstellung und Sonderrechnung, und das lehnen wir ab; das möchte ich mit Nachdruck betonen.
Zu diesem Punkt liegen noch weitere Wortmeldungen vor. Es ist aber inzwischen 13 Uhr geworden. Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Tagesordnung fort.Meine Damen und Herren, wir sind etwas außer der Zeit.
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6986 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Präsident D. Dr. Gerstenmaier— Der Präsident des Hauses ist auch bloß ein Mensch und kann die Klagen und Wünsche nur anhören. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen unseren Fahrplan einhalten. Ich wäre dankbar, wenn die Herren, die hier argumentieren, darauf Rücksicht nähmen.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mensing hat geglaubt, vor Eintritt in die Mittagspause feststellen zu sollen, daß verschiedene Diskussionsbeiträge einiger Sprecher dieses Hauses den Eindruck erweckten, als ob die Handwerker bewußt Kostgänger der Arbeiterrentenversicherung werden wollten. Ich glaube, Herrn Kollegen Mensing kann insoweit geholfen werden, als hier eindeutig erklärt wird, daß niemand in diesem Hause dem Handwerk so etwas unterstellt. Wir sind uns wohl alle miteinander darin einig, daß, welche gesetzliche Regelung auch immer angestrebt wird, niemand von dem Gedanken ausgeht, irgend etwas auf Kosten einer anderen in der Sozialversicherung gesicherten Gruppe zu erzielen.
Das müssen wir hier eindeutig feststellen, damit niemand draußen damit hausieren gehen kann.
— Um so besser, wenn Sie keine sind. Dann sage ich es noch deutlicher: damit draußen nicht mit falschen Vorstellungen Propaganda gemacht wird.
Denn Sie wissen so gut wie wir, daß ab 7. Juli der Handwerksrat tagt.
Das Datum scheint mir nicht ganz unwichtig zu sein. Ich möchte verhindern, daß in diesem Zusammenhang dort von irgendwelchen Sprechern Behauptungen aufgestellt werden, die nicht den Tatsachen entsprechen.
Herr Schmücker, Sie fragen mich, ob die Gefahr bei uns besteht. Nein!
— Sie sagen, sie besteht bei Ihnen nicht, und ich setze auch gar keinen Zweifel darein. Aber, Herr Schmücker, Sie wissen so gut wie ich, daß mit dem, was Kollege Mensing hier vorgetragen hat, eine Begründung für eine Regelung der Handwerkerversicherung gegeben ist, die völlig im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen, einmal zu Ihrem ursprünglichen Entwurf und dann zu den Anträgen, die Sie jetzt stellen, steht.
Was Kollege Mensing vorgetragen hat, hat dem Grunde nach seine Konsequenz nämlich darin, daß hier erklärt würde: wir wollen die Handwerker genauso behandelt wissen wie die übrigen Versicherten der Arbeiterrentenversicherung und nicht anders. Kollege Mensing hat nämlich mit seinen Darlegungen unausgesprochen sehr deutlich gegen die Begrenzung der Versicherungspflicht Stellung genommen. Man muß hier unterstellen, daß sich jeder um eine redliche Lösung bemüht und daß das, was er will, auch absolut in Ordnung und absolut redlich ist. Aber dann darf man nicht solche gesetzlichen Bestimmungen schaffen, die die Gefahr heraufbeschwören, daß morgen oder übermorgen doch wieder Diskussionen um Sachverhalte entstehen, Diskussionen, die dann so geführt werden, daß der eine behauptet, er sei nicht Kostgänger des anderen, und der andere behauptet, er sei nicht Kostgänger des einen, daß also Unklarheiten darüber bestehen, wer für wen Beiträge leistet, wer wen finanziert.
Sie haben sich schon gegen den Bundeszuschuß gewehrt, der diese Diskussion mit unmöglich machen sollte. Dann, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sollten Sie sich doch sehr genau überlegen, inwieweit mit den Bestimmungen Ihres Gesetzes und mit der Abwehr, die Sie gegenüber dem Bundesfinanzminister hier vornehmen, die Gefahr heraufbeschworen wird, daß solche Diskussionen morgen oder übermorgen in der Öffentlichkeit entstehen, ohne daß ein einziger unserer Kollegen aus dem Hause etwas dazu beiträgt.
— Ausgezeichnet, daß Sie das sagen.
— So klar — es tut mir leid, das hier sagen zu müssen; ich bin im allgemeinen nicht so begriffsstutzig —, Herr Kollege Becker, war mir ,das nicht. Denn er hat eine Menge Ausführungen gemacht, de 'aus Ihren Reihen ganz ohne Widerspruch geblieben sind. Das mag Höflichkeit sein. Um so besser, wenn Sie hier sagen, daß das nicht Ihre Auffassung ist. Trotzdem bleibt es dabei, daß wir uns mit Bestimmungen, wie 'sie hier in dem Gesetz vorgesehen sind, der Gefahr einer solchen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit aussetzen und uns als Gesetzgeber der Verpflichtung entziehen, solche Auseinandersetzungen unmöglich zu machen. Wir können und wollen es doch nicht zulassen, daß in der Öffentlichkeit der Vorwurf erhoben werden kann, das Handwerk sei Kostgänger der Arbeiterrentenversicherung. Sie haben ursprünglich selber diesen sehr vernünftigen Vorschlag gemacht, der seinen Niederschlag im Gesetz gefunden hat und der es 'durchaus ermöglicht, einwandfrei festzustellen, was für die Arbeiterrentenversicherung und was für die Altersversorgung der Handwerker an Leistungen zu erbringen ist. Dabei sollte man auch bleiben. Sie müssen sich doch selber einmal dazu äußern, meine
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6987
Lange
Damen und Herren, wie Sie einer solchen Auseinandersetzung in ,der Öffentlichkeit entgehen zu können glauben. Wir sollten, wenn wir ,dem Kollegen Mensing und uns allen Redlichkeit unterstellen, 'die Redlichkeit nicht vor dem Finanzminister enden lassen. Dann sollte der Finanzminister, sollte ,der Bund seinerseits ebenso redlich diese Dinge verantwortlich gestalten und auch entsprechende finanzielle Konsequenzen tragen.Damit zeigt sich wiederum, meine Damen und Herren, wie notwendig ob dieser Schlußfolgerungen aus solchen Vorstellungen, die in Ihren Anträgen ihren Niederschlag gefunden haben, eine neuerliche Beratung im Ausschuß gewesen wäre — nicht, daß hier das Plenum, ich habe es heute schon einmal gesagt, praktisch in einen Ausschuß verwandelt wird. Wir werden nämlich nicht daran vorbeikommen, uns über die Konsequenzen der nur technisch erscheinenden Bestimmungen sehr genau. Klarheit zu verschaffen, um zu wissen, worüber dieses Haus entscheidet, und um ,dann auch ,der Öffentlichkeit klarzumachen, worüber entschieden worden ist und was wir dem Grunde nach wollen.Ich würde gern einen Punkt noch einmal aufgreifen. Herr Kollege Schmücker, Sie haben hier immer von ,dem Ausgleich zwischen den Handwerkern als Selbständigen und den Unselbständigen oder 'den abhängig Beschäftigten, ,den Arbeitern, in der Arbeiterrentenversicherung gesprochen. Es wäre nützlich, wenn Sie einmal die Grundlage dieser Überlegung hier etwas deutlicher machten. Ich habe den Eindruck, Herr Schmücker, die Schlußfolgerung, die Sie hier ausgesprochen haben, ohne uns deutlich zu sagen, welches ,die Voraussetzungen für Ihre Schlußfolgerung sind, beruht, soweit ich ,das zu beurteilen vermag, auf einer falschen Einschätzung des Verhältnisses von Selbstständigen und Unselbständigen zueinander. Ich kann mich aber dazu jetzt nicht weiter äußern; ich kann Ihnen nur die Frage stellen und Sie gleichzeitig bitten, Herr Schmücker, sich dazu noch einmal im einzelnen zu äußern, damit wir wissen, von welchen Voraussetzungen Sie ausgehen, und nicht unter Umständen unsererseits — oder meinerseits, wie Sie wollen — falsche Schlußfolgerungen aus Ihren Darlegungen gezogen werden. Ich kann nämlich im Augenblick noch nicht erkennen, Herr Kollege Schmücker, daß sich hier zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit — von ,der Sie ja ausgehen — ein gewissermaßen automatischer Ausgleich für den Rentenversicherungsträger ergeben würde. Das vermag ich ohne Kenntnis Ihrer Voraussetzungen für diese Schlußfolgerung noch nicht zu fassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns das noch ein wenig erläutern, damit wir erkennen können, ob der von Ihnen vermutete zwangsläufige Ausgleich wirklich so stattfinden kann und wird, wobei ich gegenüber Zwangsläufigkeiten immer bestimmte Bedenken habe. Es wäre also nützlich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie sich auch in diesem Zusammenhang noch einmal etwas ,deutlicher äußerten und uns allen die Konsequenzen dessen, was hier ,gewünscht ist, vor Augen stellten.
Herr Abgeordneter Killat!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmücker hat hier mehrfach — soweit ich mitzählen konnte, mindestens dreimal — erklärt, daß überhaupt keine Bedenken wegen einer Überführung der Handwerker in die Arbeiterrentenversicherung zu bestehen brauchten, weil ja hier, soweit es die RentenIeistungen angehe, beitragsbezogene Leistungen gewährt würden. Hierzu hat in dem Gutachten an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Herr Höffner u. a. erklärt:Auch wenn man von den grundsätzlichen Bedenken gegen die Eingliederung der Handwerker in die Rentenversicherung der Arbeiter absieht, sind gegen die Sonderrechte, die der Entwurf den Handwerkern zubilligt, ernste Einwände zu erheben. Es gehört zur Grundkonzeption der neuen Rentengesetze, daß im Umlageverfahren ein Ausgleich zwischen der Generation der Erwerbstätigen und der nicht mehr Erwerbstätigen während der Dauer ihres ganzen Arbeitslebens erfolgt. Nur auf diese Weise ist die Aufbringung der für die Rentenzahlung erforderlichen Mittel gesichert.Ich darf doch darauf aufmerksam machen, daß wir Sozialdemokraten diese auch von dem Sachverständigen vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Sonderrechte nicht teilen, weil wir bereit sind, dem Handwerk in dem notwendigen Umfang und Ausmaß die Rechte zuzubilligen, die irgendwie infolge der eigenständigen Situation des Handwerks im allgemeinen Wirtschaftsprozeß nun einmal notwendig sind. Aber am Ende steht ja die Frage: wer soll das bezahlen? Denn wir haben nicht, wie Sie, Herr Kollege Schmücker, hier dauernd, ich möchte fast sagen, stereotyp, wiederholten, nur beitragsbezogene Leistungen, sondern in den Renten stecken auch ein Teil pauschalierte Leistungen, oder es werden Günstigkeitsregelungen angewandt.Solche Regelungen sind, abgestellt auf ein ganzes Arbeitsleben, wie beim Arbeiter oder auch beim Angestellten, das heißt, auf eine Beitragsleistung von 40, 45 oder 50 Jahren, vertretbar. Wenn Sie aber, wie vorgesehen, die Handwerker schon nach 18 Beitragsjahren aus der Pflichtversicherung entlassen wollen und ihnen dazu noch Sonderregelungen — die wir gemeinsam vorgeschlagen haben — zubilligen, dann muß man doch erkennen, daß der verringerten Zahl und Höhe der Beiträge ein wesentlich größerer Günstigkeitsfaktor auf den verschiedensten Leistungsgebieten gegenübersteht. Ich darf z. B. hinsichtlich der Manipulierung des Einkommens zur Rentenbemessung darauf aufmerksam machen, daß bekanntlich die Versicherten die ersten fünf Beitragsjahre bei der Berechnung ihrer Bemessungsgrundlage ausnehmen können, wenn das bei der Feststellung des Einkommens für sie günstiger ist, also die drei Lehrjahre und die ersten beiden Gehilfenjahre oder vielleicht auch Praktikantenjahre. Diese fünf Jahre stehen in ihrem Gewicht bei 18 Jahren Beitragsleistung zu diesen in einem Verhältnis von 1 : 3,6, dagegen, wenn ich 40 oder 45
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6988 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Killat
Versicherungsjahre bei den Pflichtversicherten unterstelle, zu diesen im Verhältnis 1 : 8 oder 1 : 9. Es gibt noch eine Reihe von anderen Ausfall- oder Ersatzzeiten, beispielsweise für Schul- und Fachschulbesuch. Beim Handwerksmeister ist zu unterstellen, daß er wahrscheinlich als herausgehobener Kollege seiner Gesellen noch eine Fachschule besucht hat, um die Laufbahn eines Meisters, eines selbständigen Handwerkers einzuschlagen. Kommt er nun in den Genuß dieser Günstigkeitsklauseln — ich könnte die Beispiele hier beliebig erweitern —, so stehen diese Günstigkeitsregelungen, diese Sonderregelungen in einem viel günstigeren Verhältnis zu den geleisteten Beiträgen als bei den übrigen Versicherten, bei denen das Arbeitsleben praktisch bis zum 65. Lebensjahr identisch mit der Versicherungszeit ist.Ein anderes Beispiel. Wie sieht es bei einer Berufsunfähigkeit aus? Angenommen, ein Handwerker, wird mit 50 Jahren berufsunfähig. Er hat mit dem 33. oder 34. Lebensjahr seine Beitragsleistung wegen der Erfüllung der 216 Monatsbeiträge eingestellt. Ihm wird aber eine Zurechnungszeit bis zum 55. Lebensjahr zugebilligt,
eine Zurechnungszeit, die mehr als doppelt so lang ist wie seine Beitragszeit, während der Arbeiter oder der Angestellte in der gleichen Situation, d. h. wenn er bis zum 45. oder 50. Lebensjahr gearbeitet hat und dann berufsunfähig wird, 30 oder 35 Jahre lang ununterbrochen seine Beiträge gezahlt hat.Ich glaube, an diesen wenigen Beispielen wird erkennbar und muß erkennbar werden, daß die finanzielle Lage der Handwerkerversicherung durch dieses Neuregelungsgesetz noch ungünstiger gestaltet wird, zumal Sie auch noch ,den erhöhten und ihr zukommenden Bundeszuschuß, den wir vorgeschlagen hatten, abgelehnt haben. Es entspricht also nicht den Tatsachen, Herr Kollege Schmücker, daß wir nur beitragsbezogene Leistungen haben.Ich darf dabei noch auf andere Leistungen hinweisen Der Kinderzuschuß allein beträgt jetzt 42,30 DM, der Kinderzuschuß zu den Waisenrenten gleichfalls mehr als 42 DM, der Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung beträgt fast 20 DM. Wenn Sie diese Beträge in Relation setzen zu einer angestrebten Grund- oder Sockelrente von 100 oder 120 DM, dann müssen Sie zugeben, daß unter Umständen bei zwei oder drei Kindern und auf Grund der Rentnerkrankenversicherungsbeiträge noch einmal doppelte Pauschalleistungen anfallen, die bei anderen Versicherten mit Renten von 200 oder 300 DM in einem anderen Verhältnis stehen wie bei einer verkürzten Beitragsleistung für Handwerker.Diese Sorge war für mich und unsere Fraktion der Anlaß, hier einmal zu erklären, daß man die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen darf. Es war auch der Anlaß, dafür einzutreten, daß in diesem Gesetz wie bisher eine Sonderrechnungslegung erfolgt, um die tatsächlichen Tatbestände festzuhalten und um dann unter Umständen nach einem Kostenträger zu suchen. Sind Sie nicht mit uns der Meinung, daß dieser Kostenträger dann doch nur im Bund oder in der Gemeinschaft zu suchen sein wird und daß nicht allein die Beiträge der Arbeiterkollegen zu den erhöhten Leistungen herangezogen werden können, mit denen die Handwerker gemeinschaftlich versichert sind?Der Kollege Mensing hat noch darauf hingewiesen, daß die Beitragszahlung vielleicht etwas schleppend gewesen sei; man werde aber dafür sorgen, meinte er, daß das in Zukunft gänzlich anders werde. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie das möglich sein soll.
--- Herr Kollege, das Einzugsverfahren bezieht sich nur auf die 18 Beitragsjahre! Eine weitere Beitragsleistung, die eigentlich notwendig wäre, um die Leistung in der Solidarhaftung, in der Generationenhaftung, mitzufinanzieren, können Sie nicht erzwingen. Deshalb hat man nicht von ungefähr nicht nur für die in unabhängiger Arbeit Stehenden Pflichtbeiträge vorgesehen, sondern auch für die in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung mitversicherten Selbständigen wie Küstenschiffer, Küstenfischer, Hausgewerbetreibende oder selbständige Lehrer, Erzieher, Artisten usw., weil nämlich nur eine Versicherungspflicht die Garantie gibt, daß auch diese Gruppen der Selbständigen durch eigene Leistung die Last tragen helfen. Das schlagende Beispiel ist doch, daß bis zur Überleitung nach dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz alle Handwerker pflichtversichert waren. Auch die freiwillige Wahl, eventuell einen Lebensversicherungsvertrag abzuschließen, war an eine Pflichtbeitragsleistung, eine Pflichtprämienleistung, gebunden. Aus dieser Pflicht, für ihre Berufskollegen und für sich Vorsorge zu leisten, waren die Handwerker niemals entlassen.Mit den Übergangsregelungen 1956/57 hat man eine Bestimmung aufgenommen, nach der die Handwerker auf Antrag vorübergehend von der Pflichtversicherung befreit werden können. Nun ist interessant, festzustellen, daß diese Möglichkeit der Befreiung — diese Befreiung tritt nicht etwa automatisch ein, sondern nur auf Antrag — in weitestgehendem Umfang ausgenutzt worden ist. Nach den Berichten, die vorliegen, haben allein nach 1957 120 000 Handwerker Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt. Bei der Feststellung über die Höhe ihrer bisherigen Beitragsleistungen kommt man zu dem Ergebnis, daß sie im Durchschnitt 18,9 Jahre lang Beiträge geleistet haben. Ich vermag also nicht zu erkennen, wie mit einer solchen Neuregelung die Möglichkeit gefunden werden soll, das gesamte Handwerk in die Solidarhaftung einzubeziehen und die Handwerker, auch die nachwachsende Handwerkergeneration zu verpflichten, für ihre alten Berufskollegen die Lasten mit zu tragen. Ich muß abschließend noch die Frage an den Herrn Kollegen Schmücker stellen, wer denn nach seiner Vorstellung das Defizit, das schon nach den alten Bestimmungen aufgetreten ist und ,das sich auf Grund der Neuregelung, die wir als Sozialdemokraten bejahen, ergeben wird, bezahlen soll. Ich darf auch noch einen Wunsch aussprechen. Ich hätte
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6989
Killat
gerne von den verantwortlichen Sozialpolitikern der CDU/CSU wie auch der DP, die sich einstimmig zu der getrennten Rechnungslegung nach § 5 b bekannt haben, gehört, wie sie ihre anscheinend jetzt andersartige Haltung zu diesem Antrag begründen.
Herr Abgeordneter Schmücker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herrren! Ich will versuchen, in aller Kürze die Antworten zu geben. Erstens sind wir der Meinung, daß nach den Vorschlägen, wie Kollege Wieninger sie begründet hat, eine Separatabrechnung durchaus möglich ist. Zweitens nehme ich die Bemerkung des Kollegen Weber auf, der gesagt hat, wir könnten die Rentenversicherung heute nicht mehr so diskutieren, als sei sie noch im alten System. Das scheint mir aber immer wieder zu geschehen.
-Wir haben die Systematik umgestellt, und nun müssen wir auch die Konsequenzen daraus ziehen. Herr Kollege Lange, ich denke mir die Sache wie folgt. Ich nehme für die Arbeiter und Handwerker einmal die Gesamtzahl 100. Ob wir nun 5 Selbständige und 95 Unselbständige haben oder ob sich das Verhältnis verschiebt — es gleicht sich immer wieder aus. Darum meine Argumentation, daß die Selbständigen für sich keine versicherungsmathematische Einheit bilden können, weil man einfach nicht absehen kann, ob es in den nächsten 20 Jahren doppelt soviel oder halb soviel Selbständige geben wird. Bei der großen Masse der Arbeitnehmer ist der Bestand natürlich abzusehen und vor allen Dingen auch durchzurechnen.
Nun hat mein Herr Vorredner natürlich durchaus recht: nicht alle Leistungen sind beitragsbezogen, es gibt auch andere Leistungen. Das ist also der typische soziale Gehalt dieser Versicherung. Aber, meine Damen und Herren, Sie müßten mir erst einmal nachweisen, daß dabei ein ganz erheblicher Unterschied zwischen den Selbständigen und den Unselbständigen entsteht. Wir haben darum auch immer gesagt, daß wir diese Handwerkerversorgung als eine freiwillige Weiterversicherung unter erschwerten Bedingungen ansehen. Das mag von Ihrem Standpunkt aus falsch sein. Aber bitte, beachten Sie einmal diese Argumentation. Dann werden Sie vielleicht auch unsere anderen Begründungen einsehen.
Zum Schluß wurde noch etwas über den früheren Zustand der allgemeinen Pflichtversicherung gesagt, der man dadurch entrinnen konnte, daß man zur Lebensversicherung auswich. Da lag ja eigentlich die Crux der ganzen Geschichte. Wir haben eingesehen, daß das damals so nicht weiterginge.
Zehn Jahre lang haben die Beratungen gedauert. Wir haben fast wie auf der Auktion gefragt: Wieviel Jahre müßt ihr nun haben, damit die Sache sich trägt. Wir kamen auf die fünfzehn Jahre und sind nachher auf die achtzehn Jahre hinaufgegangen, weil wir eingesehen hatten, daß die sogenannte
Wahlfreiheit — an und für sich ein falscher Ausdruck für den Tatbestand — nicht tragbar ist. Ich habe damals den Vorschlag gemacht: wenn man auf keinen Fall diese Regelungen will, also diese Auflockerung, die wir heute vorschlagen, dann soll man doch ein Gesetz machen, in dem steht: Jeder Handwerker ist verpflichtet, für sein Alter vorzusorgen. Er muß das tun durch eine Lebensversicherung in Höhe von — sagen wir — 20 000 DM. Freigestellt ist derjenige, der in der Arbeiterrentenversicherung ist. Dann haben Sie auch, was Sie wollen, aber nicht mehr die finanzielle Sicherung für die Rentenversicherung.
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir streiten uns hier über die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes. Ich habe deshalb die Bitte, daß sich die Bundesregierung einmal zu den vermutlichen finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzentwurfs äußert.
Keine weiteren Wortmeldungen.
— Meine Damen und Herren, ich kann niemanden zwingen, im Parlament das Wort zu nehmen. Ich habe keine Wortmeldung vorliegen. Wir kommen zur Abstimmung.
— Zur Abstimmung, bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, über den vorliegenden Antrag namentlich abzustimmen, damit die Kollegen der CDU Gelegenheit haben, zu ihrem eigenen Ausschußantrag hier in namentlicher Abstimmung Stellung zu nehmen.
Sie haben den Antrag gehört. Herr Kollege Schellenberg, die SPD unterstützt doch Ihren Antrag?
— Gut, das füllt das Haus. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist also ausreichend unterstützt.
— Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 674 Ziffer 4, den § 5 b zu streichen Er ist gleichlautend mit dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 687 Ziffer 3. Darüber wird in namentlicher Abstimmung abgestimmt.
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6990 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Präsident D. Dr. Gerstenmaier— Nein, zunächst muß ich über den Änderungsantrag abstimmen lassen. — Ich habe den Eindruck, daß sich das Haus noch nicht im klaren ist, worüber abgestimmt wird. Herr Abgeordneter Schellenberg, Sie haben namentliche Abstimmung beantragt über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 674 Ziffer 4, den § 5 b zu streichen.
Er ist gleichlautend mit dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 687 Ziffer 3. Wer dieser Streichung des § 5 b zustimmen will, muß jetzt mit Ja stimmen; wer dagegen ist, muß mit Nein stimmen. —Die Abstimmung ist geschlossen.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt — d. h. für die Streichung des § 5 b — 212 Mitglieder des Hauses, 4 Berliner Abgeordnete, mit Nein 138 und 11 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 7. Damit ist dieser Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP und FDP angenommen.JaCDU/CSUFrau AckermannDr. Aigner Arndgen BaldaufBalkenhol Dr. Bartels Dr. BarzelBauer BauereisenBauschDr. Becker Becker (Pirmasens) BerberichDr. BergmeyerDr. BesoldFrau Dr. BleylerBlöckerFrau Blohmvon BodelschwinghBrandBreseBrückBühlerBurgemeisterCaspersDr. Conring Dr. Czaja DemmelmeierDeringer Diebäcker DielDr. Dittrich Dr. DollingerDrachsler Draeger EhrenEichelbaum Dr. ElbrächterEnkEpléeFinckhDr. Franz Franzen Dr. FreyDr. Fritz FuchsFrau Dr. GantenbergGedat GehringFrau GeisendörferGernsD. Dr. Gerstenmaier GewandtGienckeDr. Gleissner Glüsing (Dithmarschen)Dr. GörgenDr. GötzGoldhagenDr. GosselGotteslebenGüntherHackethalHäusslerDr. HahneDr. von Haniel-Niethammer HarnischfegerDr. HauserDr. Heck
Dr. Graf HenckelDr. HesbergHesemannHeye HilbertHöcherlDr. Höck
HöflerHoogenHorn Huth Jahn
JostenDr. KankaKirchhoffKistersDr. Kliesing KnoblochKoch Kraft KramelKroll Krug Frau Dr. KuchtnerKunst KuntscherLeicht LeonhardLermervon Lindeiner-Wildau MaucherMeisMemmelMengelkampMenke MensingMeyer MuckermannMühlenberg Müller-HermannMüser Nellen Nieberg .Dr. Dr. OberländerOetzelFrau Dr. PannhoffPelsterDr. h. c. PferdmengesDr. PflaumbaumFrau Pitz-Savelsberg RasnerFrau Dr. RehlingDr. ReinhardRiedel
Frau RöschRösing RollmannDr. Rüdel
RufRuland ScheppmannSchlee SchlickDr. Schmidt SchmückerSchütz Schulze-PellengahrFrau Dr. Schwarzhaupt Dr. SchwörerDr. SeffrinSeidl
Dr. SerresSiebelDr. SiemerSimpfendörferSolkeSpies
Spies StauchDr. SteckerStillerDr. StoltenbergDr. Storm Storm (Meischenstorf) StruveStücklenSühler Teriete Dr. ToussaintVeharFrau VietjeDr. VogelVogtDr. Weber WehkingFrau Welter WendelbornWieningerDr. WillekeWindelenWinkelheideDr. WinterWittmann Wittmer-Eigenbrodt WormsDr. Wuermeling WullenhauptDr. Zimmer Berliner AbgeordneteHübnerDr. Krone StinglFDPDr. Bucher Dr. DehlerFrau Dr. Diemer-Nicolaus Döring
DürrEberhardFrau Friese-KornDr. Hoven Dr. Kohut KreitmeyerKühn Lenz (Trossingen)MaukDr. Mende Dr. Miessner MischnickFreiherr von Mühlen MurrRammsDi Rutschke Spitzmüller Dr. StarkeWeber ZoglmannBerliner AbgeordneteDi. Will DPLogemann MatthesDr. PreißProbst
Dr. Ripken Dr. SchildSchneider Dr. Schneider (Lollar)Dr. Schranz Dr. SteinmetzTobabenNeinCDU/CSUGaßmannHeixLulayMaier Schneider (Hamburg) WeimerSPDAltmaier Dr. Arndt AugeBachBäumerBalsBauer
Baur
BazilleDr. Bechert Behrendt BehrischFrau BennemannBerlinBettgenhäuserFrau Beyer Blachstein
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6991
Dr. BleißBörnerDr. BrechtBruseBüttner Cramer Dr. Deist Dewald DiekmannFrau Döhring Frau Eilers (Bielefeld) ErlerFallerFelder Folger Franke Dr. Frede Frehsee FrenzelGeiger GeritzmannHaageHamacherHansing Dr. Harm Hauffe HeideHeilandDr. Dr. Heinemann HellenbrockHermsdorfHerold Höhmann HöhneFrau Dr. Hubert HufnagelIven
Jahn JürgensenJunghans JungherzFrau KeilhackFrau KettigKeuningKillat
Kinat
Frau Kipp-KauleKönen
Frau KorspeterKrausKriedemannKühn
KurlbaumLange
LeberLohmar LudwigLücke LünenstraßMarxMatzner MeitmannDr. MenzelMerten MetterDr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-LauleDr. MommerMüller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)Frau NadigOllenhauerPaulPeters Pöhler Prennel Priebe PützPusch RehsReitznerFrau Renger RimmelspacherRitzel Rhode Frau RudollRuhnkeDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenDr. Schmid Schmidt (Hamburg) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchröder Seidel (Fürth)Seither Frau SeppiSeuffert Stenger Stierle StriebeckDr. TambléTheil
Theis WegenerWelke WelslauWeltnr-r WilhelmWischnewskiWittrockZühlkeBerliner AbgeordneteFrau Berger-HeiseDr. KönigswarterFrau KrappeMattickNeubauer Neumann ScharnowskiDr. Schellenberg Schröter
Schütz
Dr. SeumeEnthaltenCDU/CSUKatzerKrüger MickSPDHöcker HöraufReglingDPFrau Kalinke§ 5 b ist damit erledigt.Ich rufe § 6 auf. Änderungsanträge liegen hierzu nicht vor. Wird das Wort dazu gewünscht? — Wer dem § 6 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 6 ist einstimmig angenommen.§ 7! Dazu Änderungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 5. Das ist ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP. Zur Begründung Herr Abgeordneter Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der langen Debatte über § 5 kann ich die Begründung für diesen Änderungsantrag kurz machen. Es handelt sich darum, für die Witwen und Witwer die Möglichkeit zu schaffen, eventuell die Versicherung freiwillig fortzusetzen.
Die Begründung braucht nicht lang zu sein. Wenn ein Handwerksmeister allzu früh aus diesem Leben abberufen wird, läßt er seine Witwe oft in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen zurück. In vielen Fällen sind die Witwen einfach gezwungen, den Handwerksbetrieb aufrechtzuerhalten. Es würde aber oft zu großen Härten führen, wenn man sie allgemein beitragspflichtig machte. Deshalb hat auch schon der Sozialpolitische Ausschuß die allgemeine Beitragsverpflichtung aufgehoben. Aber ich glaube man sollte den Witwen die es notwendig haben und die bisher beitragspflichtig waren, die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung geben. Denn es ist oft die einzige Möglichkeit einer kleinen Alterssicherung. Ich weiß, daß diese Regelung etwas eigenartig ist. Aber Sie wissen, daß die Verhältnisse im Handwerk nun einmal so unterschiedlich sind.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an Herrn Kollegen Stingl noch einmal eine Frage richten. Ich vermag nicht zu erkennen, ab nach dieser Bestimmung für die Handwerkerversicherten die Steigerungsbeträge aus der Arbeiterrentenversicherung oder aus der Angestelltenversicherung fällig werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Frage, Herr Kollege Killat, ist insofern überholt, als das Gesetz erst am 1. Januar 1962 in Kraft treten soll. Sie hätte Bedeutung, wenn die Vergleichsberechnung beim Inkrafttreten des Gesetzes noch eine Rolle spielte. Das Gesetz soll aber erst in Kraft treten, nachdem die Vergleichsberechnungen abgeschlossen sind.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Antrag Umdruck 674 Ziffer 6 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über § 8 in der so geänderten Fassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 9. Nach dem Änderungsantrag der CDU/CSU und der DP auf Umdruck 674 Ziffer 7 soll der Abs. 3 gestrichen werden. Hierzu hat das Wort Herr Abgeordneter Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abs. 3 ist erstens wegen des späteren Inkrafttretens und zweitens wegen des Beitragseinzugsverfahrens, das pflichtmäßig eingeführt wird, überflüssig.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich rufe nicht die einzelnen Absätze auf. Es ist einfacher, diesen Änderungsantrag zur Abstimmung aufzurufen. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über § 9 in der so geänderten Fassung. Wer § 9 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 10. Zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 674 Ziffer 8 hat das Wort Herr Abgeordneter Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag unter Ziffer 8 bezieht sich auf den § 10. Ich darf die Begründung zu den drei Anträgen unter a, b und c zusammenfassen.
Stingl
Nach dem Antrag unter a soll eine Verschiebung des Termins erfolgen. Sie ergibt sich aus der Änderung des Termins des Inkrafttretens. Die Worte „es sei denn, daß Beiträge auf Grund dieses Gesetzes entrichtet sind" sind wegen des späteren Inkrafttretens ohne Bedeutung, weil bis dahin eine Klärung erfolgt sein kann. Daher beantragen wir ihre Streichung.
Nach dem Antrag unter Buchstabe b soll der Abs. 3 Satz 2 gestrichen werden, der die Erstattungssumme für das Jahr 1960 festlegt. Da das Jahr 1960 vom Gesetz überhaupt nicht betroffen wird, bedarf es dieser Bestimmung nicht.
Schließlich beantragen wir unter c die Streichung des Abs. 4. Hier kann man allerdings verschiedener Auffassung sein. Das gebe ich zu. Wir glauben jedoch, daß infolge des späteren Inkrafttretens ein Ausgleich bedeutungslos geworden ist.
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg! — Meine Damen und Herren, jetzt haben Sie einmal eine klassische Debatte, bei der die Redner unablässig hier herauflaufen müssen. Da ist ein typischer Fall, in dem hin und her diskutiert werden sollte.
— Jedenfalls wäre diese Art von Debatte viel leichter, wenn man eine zweckmäßigere Einrichtung dafür hätte.
Meine Damen und Herren! Sie haben nachher noch Gelegenheit, über unseren Antrag auf Rückverweisung an den Ausschuß abzustimmen. Aber jetzt zur vorliegenden Frage! So ganz leicht dürfen die Dinge nicht beiseite gewischt werden, wie es Herr Kollege Stingl soeben versucht hat. Was steht in § 10 Abs. 4, der nach Ihrem Antrag gestrichen werden soll? Es steht darin, daß zwischen den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Auseinandersetzung über das vorhandene Vermögen aus der Handwerkerversicherung erfolgen soll. Wer diesen Paragraphen streichen will, gibt damit praktisch zu, daß die Rentenversicherung der Angestellten im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes über kein Vermögen für die Handwerker-Versicherung mehr verfügt, d. h. auf deutsch gesagt, daß die Rentenversicherung der Handwerker bis dahin pleite ist. Ich richte nochmals an die Bundesregierung die dringende Bitte, uns über die finanzielle Seite des Gesetzentwurfes Auskunft zu geben.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 8 ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer § 10 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf § 10 a und dazu den Änderungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 9. — Herr Abgeordneter Becker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Saarland wird im Gegensatz zum übrigen Bundesgebiet die Rentenversicherung für die Handwerker schon jetzt von der dort zuständigen Landesversicherungsanstalt durchgeführt. Deshalb ist es unseres Erachtens richtig, daß auch die sogenannten Rehabilitierungsmaßnahmen von der zuständigen Landesversicherungsanstalt durchgeführt werden. Diese Maßnahmen werden nach diesen Bestimmungen in der übrigen Bundesrepublik für die Übergangszeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte durchgeführt. Mehr ist, glaube ich, zu diesem Punkt nicht zu sagen. Ich bitte um Annahme unseres Antrages.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 9 ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer § 10 a in der so erweiterten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe auf den Ergänzungsantrag auf Umdruck 674 Ziffer 10, nach dem ein § 10 b eingefügt werden soil. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag unter Ziffer 10, die Einfügung eines § 10 b zu beschließen, besagt, daß der Bundeszuschuß, wie er in der Ausschußdrucksache vorgesehen ist, geändert werden muß, wenn das Gesetz erst am 1. Januar 1962 in Kraft tritt. An sich ist das ohne weiteres verständlich. Nur ist die Formulierung möglicherweise dazu angetan, Zweifel aufkommen zu lassen, weil man .annehmen sollte, daß ,die Bundesversicherungsanstalt, wenn auch sie in Zukunft zuständig ist, einen Zuschuß mehr bekommen müßte. Das ist ,deshalb nicht so, weil die Landesversicherungsanstalten den Zuschuß nach dem in der Ausschußdrucksache vorgesehenen Verfahren zwar bekommen hätten, ihn aber an die BfA für die Rentenzahlungen hätten transferieren müssen. Da die BfA für die weitere Zahlung jetzt selbst zuständig ist, ist die Änderung in der vorgesehenen Form notwendig.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! All das zeigt, wie unmöglich das Verfahren ist, das Sie heute hier durchzusetzen
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6994 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Dr. Schellenbergversuchen. Praktisch wird das Gesetz über Änderung der Bundeszuschüsse zu den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten geändert. Ich habe in der Begründung von Herrn Kollegen Stingl kein Wort darüber vernommen, weshalb sich nun der Bundeszuschuß um 7,9 v. H. bei dem einen Versicherungszweig senken und bei dem anderen erhöhen soll. Die Bundesregierung müßte uns doch einmal darlegen, wie der Satz von 7,9 v. H. zu begründen ist und warum nicht 8,5 oder 10,6 v. H. gewählt werden. Darüber bitte ich die Bundesregierung um Auskunft.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 10 der CDU/CSU und der DP! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; der Antrag auf Einfügung eines § 10 b ist angenommen.
§ 11, Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 11 der CDU/CSU und der DP! Zur Begründung Herr Abgeordneter Becker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung zu unserem Antrag unter Ziffer 11 zu § 11 ist dieselbe, die vorhin Kollege Stingl bei § 10 a gegeben hat. Die Änderungen sind wegen des späteren Inkrafttretens dieses Gesetzes notwendig. Allein wegen ,der Änderung des Datums der Inkraftsetzung — das dürfte ich dem Kollegen Schellenberg vielleicht noch sagen — muß sich auch der Zuschuß an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und an die einzelnen Landesversicherungsanstalten hier ändern. Die Anfügung des Abs. 3 a ist notwendig, um die Bestimmungen des Knappschaftsgesetzes den Bestimmungen des Arbeiterrentenversicherungsgesetzes und des Angestelltenversicherungsgesetzes anzugleichen.
Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Situation, die wirklich außerordentlich ist. Ich habe schon mehrfach die Bundesregierung gebeten, über die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes hier etwas zu sagen. Der hier anwesende Herr Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums hat sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet, offenbar weil die Regierung, wofür ich Verständnis habe, bei der vielschichtigen Materie nicht ohne weiteres in der Lage ist, hier klare Auskünfte über die finanzielle Lage zu geben.
Ich beantrage namens meiner Fraktion die Herbeirufung des Herrn Bundesarbeitsministers. Meine Damen und Herren, es ist völlig unmöglich, daß dem Hause zugemutet wird, nicht nur über dieses
Gesetz zu beschließen, sondern auch Änderungen I hinsichtlich der Gewährung der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter in Größenordnungen von ... zig Millionen vorzunehmen, ohne daß es eine Auskunft darüber erhält, wieso hier in § 11 festgelegt werden soll, der Betrag von 172 Millionen DM verringere sich in der oder jener Weise. Meine Damen und Herren, es ist die Pflicht des ganzen Hauses, die Bundesregierung um Auskunft über die finanziellen Zusammenhänge zu ersuchen. Ich bitte Sie deshalb sehr, unserem Antrag auf Herbeirufung des Bundesministers für Arbeit zu entsprechen.
§ 46 der Geschäftsordnung: 30 Mitglieder des Hauses unterstützen den Antrag! — Über den Antrag entscheidet der Bundestag mit einfacher Mehrheit.Wer dafür ist, daß dem Antrag stattgegeben wird, den Herrn Bundesarbeitsminister herzurufen, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Die Abstimmung muß wiederholt werden. Wer für den Antrag des Abgeordneten Dr. Schellenberg auf Herbeirufung des Bundesarbeitsministers ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ich muß mit den Schriftführern sagen, daß das Ergebnis zweifelhaft ist.Wir kommen zum Hammelsprung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. —Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja, also für die Herbeirufung des Bundesarbeitsministers, haben 148 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 121 Mitglieder; enthalten haben sich 6 Mitglieder. Dem Begehren auf Herbeirufung des Bundesarbeitsministers ist damit entsprochen. Ich bitte, die Herbeirufung des Herrn Bundesarbeitsministers unverzüglich zu veranlassen.
Ich gebe das Ergebnis dieser im Angesicht des Hauses getroffenen interfraktionellen Vereinbarung bekannt: Dem Hause wird vorgeschlagen, bis der Herr Bundesarbeitsminister hier ist, die Beratung des Punktes 8 zu unterbrechen und mit einem anderen, weniger gefährlichen Punkt fortzufahren. —
Herr Abgeordneter Schellenberg, Sie sind damit einverstanden, das Haus ebenfalls; dann wird so verfahren.
— Muß ich den Herrn Vorsitzenden des Geschäftsordnungsausschusses darauf aufmerksam machen, daß der Präsident keine Möglichkeit hat, das Haus zu veranlassen, geschweige denn zu zwingen, sich mit einem Staatssekretär zu begnügen? Wenn Sie
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6995
Präsident D. Dr. Gerstenmaiereine entsprechende Einfügung in die Geschäftsordnung erwägen wollten, würde ich das im Interesse des Hauses begrüßen.
Die Beratung des Punktes 8 ist also einstweilen unterbrochen. Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften ;Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 1909);
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Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zur Berichterstattung wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet.Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aufgerufenen Paragraphen sowie Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Damit ist die zweite Lesung dieses Gesetzentwurfs erledigt.Wir kommen zurdritten Lesung. Allgemeine Aussprache! Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen.Punkt 29 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Rechtsverordnungen im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit .Herr Berichterstatter Dr. Winter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der interfraktionelle Entwurf, der Ihrer Beschlußfassung unterliegt, enthält keine Begründung. Auch in der ersten Lesung ist keine Begründung in diesem Hause gegeben worden. Das macht es leider notwendig, daß ich Ihnen mit wenigen Sätzen erkläre, worum es sich handelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich entschieden, daß der Bundesgesetzgeber Ermächtungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen nur den Landesregierungen im ganzen erteilen kann. Diese Entscheidung hat auch auf den Gebieten der ordentlichen und der Arbeitsgerichtsbarkeit schwerwiegende Fragen aufgeworfen. Hier beruht insbesondere die Zusammenfassung der Zuständigkeiten für mehrere Gerichtsbezirke bei einem Gericht auf
Rechtsverordnungen, die die Landesjustizverwaltungen auf Grund von Ermächtigungen erlassen haben, die ihnen im Gerichtsverfassungsgesetz und in anderen Verfahrensgesetzen erteilt sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Grundsätze der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung auch auf diese Ermächtigungen zutreffen. Jedenfalls ist die entstandene Ungewißheit so bedrohlich, daß alle Parteien des Hohen Hauses sich zu einem klarstellenden Gesetzentwurf entschlossen haben.
Der Rechtsausschuß hat geprüft, ob es nicht wünschenswert wäre, die Klarstellung auch für die Vergangenheit herbeizuführen. Er ist aber zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses Problem einer sorgfältigeren Prüfung bedarf, als sie bei der gebotenen Eile möglich ist. Diese Frage und eine etwaige ausdrückliche Regelung in den einzelnen Verfahrensgesetzen werden daher anläßlich der dem Bundestag demnächst zugehenden Strafprozeßnovelle weiter erörtert werden müssen.
Im Auftrage des Rechtsausschusses habe ich die Ehre, dem Hohen Hause zu empfehlen, den Entwurf in der vom Rechtsausschuß beschlossenen Fassung
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf §§ 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
Dritte Lesung. Allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist einstimmig angenommen.
Jetzt, meine Damen und Herren, kehre ich zu den, soweit wir annehmen, nicht strittigen Punkten unserer Tagesordnung zurück und rufe zunächst den Punkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von ,der Bundesregierung 'eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Vorschriften des Lastenausgleichsrechts im Saarland (Drucksache 1744) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Drucksache 1914).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich rufe die Paragraphen auf, soweit zu ihnen keine Änderungsanträge vorliegen: §§ 1, — 2, — 3, — 4, - 5, — 6, — 7, — 8, — 9, — 10, — 11. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Angenommen.
Zu § 12 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Umdruck 682, vor. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? - Keine Begründung. Wortmeldungen zum Änderungsantrag Umdruck 682? - Keine Wortmeldungen. War dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Die Abstimmung muß wiederholt werden; bei der Besetzung des Hauses ist das so nicht festzustellen. Wer dem Änderungsantrag 682 i der Fraktion der FDP zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist ,die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
§ 12. Keine Änderungsanträge. Es wird Annahme in der Fassung des Ausschußantrages vorgeschlagen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
§§ 13, - 14, - 15, - 16, - 17, - 18, - 18 a, -19, - 20, - 21, - 22, - 23, - 24, - 25, - 26, -27, - 28, - 29, -30, - 31, - 32, - 33, - 33 a, -34, - 35, - 36, - 37, - 38, - Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Allgemeine Aussprache. Keine Wortmeldungen, keine Änderungsanträge. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu ,dem Abkommen vom 1. August 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Arbeitslosenversicherung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 1947).
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Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Abgeordnete Bach hat als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 106. Plenarsitzung hat der Bundestag in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 1. August 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Arbeitslosenversicherung verabschiedet und an den Ausschuß für Arbeit zur Beratung überwiesen. Dieses zwischenstaatliche Abkommen regelt die gegenseitigen Beziehungen zwischen den beiden vorgenannten Staaten auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit im Falle der Arbeitslosigkeit bei Grenzgängern. Das Abkommen schließt sich einer Reihe ähnlicher sozialer zwischenstaatlicher Regelungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten an. Der Ausschuß für Arbeit beantragt, den vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache 1599 unverändert anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und frage, ob das Wort gewünscht wird. --- Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich rufe auf Art. 1, - 2, - 3, - 4, - Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache! - Keine Wortmeldungen. - Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich sehe, daß der Herr Bundesarbeitsminister inzwischen eingetroffen ist. Ich kehre deshalb zurück zu ,dem Tagesordnungspunkt 8, Handwerkerversicherungsgesetz, und dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und DP Umdruck 674 Ziffer 11. Ich frage den Herrn Bundesarbeitsminister, ob er das Wort wünscht. - Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe erfahren, daß Sie beschlossen haben, mich herbeizurufen. Ich bin hier. Ich weiß nicht, meine Herren von der Opposition, welche Auskünfte Sie von mir haben wollen. Soweit ich dazu in der Lage bin, will ich sie Ihnen gern geben, wenn Sie mir Fragen stellen. Auf diese Bemerkung möchte ich mich zunächst beschränken.
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Fragen, die wir bezüglich des Finanzproblems dieses Gesetzentwurfs an den Herrn Bundesarbeitsminister haben, kurz zusammenfassen. Erste Frage: Wie errechnet sich in Ziffer 10 des Antrages der CDU/CSU, DP - Umdruck 674 - der Satz von 7,9 v. H. des Bundeszuschusses, der von einem Versicherungszweig auf den andern verlagert werden soll?
Zweite Frage: Wie errechnet sich in Ziffer 11 Buchstabe b der Betrag von 172 Millionen?
Die dritte Frage lautet: Wie wird sich nach den bisher zur Verfügung stehenden Unterlagen die Finanzgestaltung in der Rentenversicherung der Handwerker voraussichtlich weiterentwickeln?
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6997
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die beiden ersten Fragen anbetrifft, so lasse ich sie gegenwärtig von meinen Mitarbeitern prüfen, um Ihnen darauf eine Auskunft zu geben.
— Wenn Sie die Auskunft bekommen haben, werden Sie vielleicht entscheiden können, ob Sie beschließen können. Aber das zu beurteilen, ist nicht meine Sache. Ich gebe hier nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft.
Nun zu Ihrer dritten Frage, Herr Professor Schellenberg. Die Zahlenunterlagen, die bei der Behandlung des Initiativgesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion zu beachten sind, sind ja dem Ausschuß vorgelegt worden. Ich darf darauf hinweisen, daß die Sonderrechnung für die Handwerker im Rahmen der BfA erst im dritten Jahre läuft, so daß endgültige Zahlen noch nicht vorliegen und der Aussagewert der derzeit bekannten Zahlen mit einer gewissen Problematik behaftet ist. Die letzten vorläufigen Zahlen — aber auch sie beruhen zum Teil noch auf Schätzungen — sind Ihnen aus der „Sozialen Sicherung" bekannt. Ich habe mir soeben berichten lassen, Sie hätten diese Schrift heute mehrfach zitiert. Weitere Zahlen kann ich Ihnen heute und hier leider nicht geben.
Die zukünftige Entwicklung läßt sich natürlich nur sehr schwer abschätzen, aber wenn man die letzten, zum Teil auf Schätzung beruhenden Zahlen gegeneinanderstellt, dann habe ich keine Ursache, Ihnen hier eine bedrohliche Entwicklung an die Wand zu malen. Im Augenblick mehr zu sagen, wäre nicht zu verantworten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben nicht bestreiten können, daß ernsthafte Sorgen bezüglich der finanziellen Entwicklung der Rentenversicherung der Handwerker bestehen.
— Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat auf die Schrift „Soziale Sicherung" verwiesen, aus der sich nach den bisher schätzungsweise bekannten Tatbeständen für 1959 ein Defizit von 62 Millionen DM ergibt.
Das steht in dieser Schrift des Arbeitsministeriums. Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns keine
Hoffnung machen können, daß sich die Finanzlage der Rentenversicherung der Handwerker in Zukunft günstiger gestalten wird — so darf ich doch wohl mit Ihrer Zustimmung formulieren, meine Damen und Herren. Und wenn dem so ist, dann ist es notwendig, die Finanzprobleme nochmals eingehend zu erörtern.
Ich stelle deshalb nochmals den Antrag auf Rückverweisung der Vorlage in die Ausschüsse.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist zulässig; er geht den anderen Anträgen vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag auf Rücküberweisung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Das Wort zum Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 11 hat jetzt der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Augenblick noch nicht in der Lage ist, konkrete Angaben über die zukünftige Entwicklung in der Handwerkerversicherung zu machen, erhebt sich doch die Frage, wie der Sonderzuschuß in dem Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 11 zustande gekommen ist. Ich habe in meinen Ausführungen darauf abgehoben, daß der Sonderzuschuß für Renten, die nicht genügend durch die Rentenumstellung erhöht worden sind, bei den Handwerkern gegenüber den übrigen Versicherten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in doppelter Höhe anfällt. Schon daraus geht der tatsächliche Finanzstatus, zumindest die bisherige Rentenlast der Handwerkerversicherung hervor. Ich habe deshalb die Frage zu stellen, ob sich die jetzt beantragte Quote in Höhe des durchschnittlichen Sonderzuschusses für die Handwerkerversicherung bewegt oder ob sie, den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend, der doppelten Höhe des Sonderzuschusses gerecht wird.
Den Herrn Bundesarbeitsminister darf ich darauf aufmerksam machen, daß nicht nur in dem Sozialbericht und in den besonderen Heften, die hier. herangezogen wurden, Berechnungen angestellt worden sind, sondern auch von der BfA und von Versicherungsmathematikern die defizitäre Quote nachgewiesen wurde. Der Diplom-Mathematiker Giese und die Assistentin Orsinger weisen jetzt in einer Vorausberechnung nach, daß zur Aufrechterhaltung der alten Leistung in der Handwerkerversicherung mindestens ein Beitragssatz von 16 % notwendig ist. Ich frage den Herrn Bundesarbeitsminister, wer die 2 % tragen soll.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
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6998 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht der Meinung, daß sich jetzt im Plenarsaal noch einmal in allen Einzelheiten das Zahlenspiel entwickeln läßt, das Sie in den vielen Ausschußberatungen behandelt haben.
Ich habe Ihnen eben dargelegt, daß ich eine bedrohliche Entwicklung nicht sehe. Herr Schellenberg macht daraus prompt, daß ich hier meiner ernsten Sorge um die finanzielle Entwicklung Ausdruck gegeben hätte.
Ich habe gesagt: Nach den gegenwärtigen Zahlen, allerdings auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es sich zum Teil noch um Schätzungen handelt, sehe ich keine bedrohliche Entwicklung.
Nun haben Sie mir noch zwei präzise Fragen gestellt; auch diese will ich beantworten. Die erste ging dahin, wie der Satz von 7,9 % zustande komme. Auch darüber wird heute nicht zum erstenmal gesprochen. Es ist ganz einfach der Anteil der Rentenlast der Handwerker an der Gesamtlast der AV für 1957 nach Rechnung des Bundesversicherungsamtes.
Die zweite Frage lautete, wie sich die Änderung der Sonderzuschüsse erkläre. Diese Änderung ist durch die Verschiebung auf das Jahr 1962 bedingt.
Ich bedauere, Ihnen keine Argumente in Ihrer Auseinandersetzung mit der CDU liefern zu können.
Halt, wer hat gesagt: „Frechheit"?
— Herr Abgeordneter Könen, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage die Überweisung dieses Antrages entsprechend § 96 an den Haushaltsausschuß. Es ist zweifellos ein selbständiger Antrag von Abgeordneten im Sinne der Geschäftsordnung, und es handelt sich um eine eindeutige Finanzvorlage mit Wirkungen auf den öffentlichen Haushalt.
Herr Abgeordneter Schoettle, Sie stellen Ihren Antrag auf Grund von § 96.
Was hatten Sie außerdem angeführt?
Ich hatte die Vorlage als eine Finanzvorlage und als einen selbständigen Antrag nach § 97 der Geschäftsordnung bezeichnet. Wenn beide Voraussetzungen zutreffen, muß dieser Antrag an den Haushaltsausschuß gehen.
Ob es ein selbständiger Antrag ist, muß ich erst überlegen. Eine Prüfung muß ich mir noch vorbehalten. Aber ich bin geneigt, die Einrede wegen § 96 Abs. 2 gelten zu lassen.
Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Rasner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Abstimmung über diesen Geschäftsordnungsantrag für fünf bis zehn Minuten zur Prüfung der Frage, ob das eine Vorlage nach § 96 ist, auszusetzen. Wenn es eine Vorlage nach § 96 ist, kann es keinen Zweifel darüber geben, daß dem Antrag des Kollegen Schoettle unter allen Umständen stattgegeben werden muß. Aber die Frage bedarf einer sorgfältigen Prüfung angesichts der Schwierigkeit der Auslegung, die wir heute und schon oft genug im Hause gehabt haben. Deswegen bitte ich um zehn Minuten Frist für die Prüfung dieser Frage.
Das paßt mir zwar gar nicht angesichts des Zeitdrucks. Aber die Bitte 'hat Räson; das muß man gelten lassen. Wieviel Minuten wollen Sie?
— Zehn Minuten! Mehr kann ich nicht konzedieren. Jetzt ist es 16.45 Uhr. Ich unterbreche ,die Sitzung bis 16.55 Uhr; dann geht die Verhandlung pünktlich weiter.
Meine Damen und Herren, die Sitzung geht weiter. Wie Sie sehen, erfreut sich der Präsident der Unterstützung des Hauses. Er wird von rechts und von links beraten. In der Eile ist es ihm aber unmöglich, dem Hause einen gerechten oder fairen Vorschlag zu machen. Ich hoffe deshalb, daß die Regierung ein klärendes und erleuchtendes Wort zu der Angelegenheit sagen kann, so daß wir in dieser Sache weiterkommen. Ich betrachte — darin stimme ich dem Herrn Abgeordneten Schoettle zu — den Antrag unter Ziffer 11 des Umdrucks 674 in der Substanz als einen selbständigen Antrag von Abgeordneten im Sinne des § 97 der Geschäftsordnung, wenn auch der Herr Abgeordnete Schoettle gelten lassen muß, daß er das der Form nach nicht ist. Der Form nach ist es einfach ein Änderungsantrag zu dieser Vorlage; der Substanz nach aber ist es ein selbständiger Antrag. Im Zweifelsfall würde ich deshalb so entscheiden. Das ist aber nur die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist weit wichtiger und stellt uns vor die sehr schwierige Frage der Handhabung des wichtigen § 96 der Geschäftsordnung. Ich möchte nicht, daß das Haus eine Entscheidung fällt, die möglicherweise nicht ganz sachgerecht wäre. Ich will deshalb den Versuch unterstützen, über das Problem hinwegzukommen.Wird von der Regierung das Wort gewünscht? —Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 6999
Meine Da-und Herren! Ich bin gebeten worden, zu dieser Änderung des § 11 eine Erklärung abzugeben. Ohne daß ich mich mit den Einzelheiten des Antrages befassen will, kann ich sagen, wir haben geprüft und festgestellt, daß hier keine zusätzlichen Ausgaben entstehen, sondern daß es sich um eine Umschichtung handelt, die das Gesamtvolumen des Haushalts nicht berührt. In diesem Sinne betrachten wir die Vorlage nicht als eine Finanzvorlage gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
Herr Abgeordneter Schoettle, können Sie von Ihrem Antrag einstweilen absehen?
— Meine Damen und Herren, dann muß ich etwas tun, was für den § 96 der Geschäftsordnung seiner Natur nach gar nicht paßt. Ich muß eine Mehrheitsentscheidung des Hauses herbeiführen. Ich muß gestehen, daß ich das bei diesem Paragraphen denkbar ungern tue. Der § 96 müßte aus sich heraus Tatbestände regeln und sie nicht noch zusätzlich dem Votum der Mehrheit des Hauses, einer wechselnden Mehrheit, unterwerfen. Ich bedauere, daß ich nicht in der Lage bin, hier der Sache nach mehr tun zu können, als das aufzunehmen, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat. Deshalb bleibt mir, wenn der Antrag aufrechterhalten wird, nichts anderes übrig, als ihn jetzt der Abstimmung des Hauses zu unterwerfen.
Herr Abgeordneter Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Geschäftsordnung hat den Fall vorgesehen, daß man sich nicht im klaren darüber ist, ob eine Vorlage eine Finanzvorlage im Sinne des § 96 ist. In § 96 heißt es:
Bei Zweifeln über den Charakter der Vorlage erfolgt Prüfung durch den Ausschuß für Geschäftsordnung gemäß § 129. Der Bundestag entscheidet über den Antrag des Ausschusses
— des Geschäftsordnungsausschusses — ohne Aussprache.
Dann gibt es also nachher eine Mehrheitsentscheidung. Aber im Zweifel müssen wir zunächst den Geschäftsordnungsausschuß befragen.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer, das bringt uns auch nicht über ,die Schwierigkeiten bei der Beurteilung hinweg, ob Abs. 1 oder Abs. 2 des § 96 hier zieht. In Abs. 2 ist ein ganz anderes Verfahren vorgesehen. Danach berät erst der Präsident mit dem Ältestenrat. Und wenn diese über irgend etwas übereinkommen oder auch nicht übereinkommen, dann kommt wahrscheinlich nicht der Geschäftsordnungsausschuß, sondern der Haushaltsausschuß zum Zuge.
Jetzt sind wir mitten drin im Gestrüpp. Das hätte ch gern vermieden. Wenn wir jetzt auch noch eine falsche Entscheidung treffen, dann haben wir einen
Präzedenzfall geschaffen, der niemand gut tut, dem ganzen Hause nicht.
Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme darin überein, daß es schlecht ist, über die Anwendung oder Nichtanwendung des § 96 im Hause eine Abstimmung mit Mehrheit und Minderheit durchzuführen. Aber der Finanzminister hat soeben erklärt, daß keine zusätzliche Belastung des Haushalts eintritt. Wenn das nicht der Fall ist und wenn Sie die Behauptung des Bundesfinanzministers nicht mit Gegengründen widerlegen können — niemand auf den Bänken der Opposition hat die Behauptung des Finanzministers bestritten oder dagegen argumentiert, auch nicht der in dieser Frage besonders sachverständige Antragsteller, der Kollege Schoettle, ich möchte den sehen, der dagegen argumentiert, Herr Kollege Schoettle —, dann appelliere ich angesichts der großen Bedeutung einer Präjudizierung der Frage, ob man über § 96 mit Mehrheit und Minderheit abstimmen kann, an Sie und Ihre Fraktion, Ihren Antrag zurückzuziehen.
§ 96 ist für die Opposition wie für die Regierungsmehrheit ein Schutzparagraph, und wir sollten die Dinge hier nicht so strapazieren, wie es jetzt geschehen kann, es sei denn, Sie wüßten Gründe vorzubringen, aus denen hervorgeht, daß das, was der Bundesfinanzminister erklärt hat, nicht den Tatsachen entspricht. Wenn das nicht geschehen kann, wenn nicht schlüssig bewiesen werden kann, daß eine zusätzliche, über das bisherige Maß hinausgehende Belastung des Haushalts dieses oder des nächsten Jahres erfolgt, Herr Kollege Schoettle, dann appelliere ich angesichts der Bedeutung dieses Paragraphen, mit dem sich schon einmal das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe befaßt hat, für dieses Haus, an Sie, Ihren Antrag zurückzuziehen.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unstrittig findet aber eine Verlagerung in den Ausgaben des Haushaltes statt, nämlich von dem Bundeszuschuß zur Rentenversicherung der Angestellten auf den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung der Arbeiter. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß nach den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen in § 1384 eine Bundesgarantie für den Fall festgelegt ist, daß die Einnahmen zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmücker?
Herr Kollege Professor Schellenberg, warum haben Sie die Vorlage nicht sofort an ,den Haushaltsausschuß überwiesen? Denn
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7000 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Schmückerin der Vorlage des Ausschusses sind auch schon Bestimmungen von erheblicher finanzieller Auswirkung enthalten. Warum kommen Sie jetzt erst auf die Idee, die Vorlage in den Haushaltsausschuß zu schicken?
Meine Damen und Herren, es mag richtig sein, daß dem Ausschuß ein Versäumnis unterlaufen ist. Es ist aber zweifelsfrei, daß wir jetzt durch den Hinweis des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses mit dem Problem konfrontiert werden. Deshalb ist es angebracht, daß wir jetzt dieser Anregung entsprechen.
Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen kleinen Beitrag zur Begriffsklärung leisten und darauf aufmerksam machen, daß diese Vorlage meines Wissens bis jetzt nicht gemäß § 96 dem Haushaltsausschuß zugeleitet worden ist, obwohl die Zuleitung nach § 96 Abs. 1 und 2 bei dem Charakter der Vorlage eine obligatorische Maßnahme des Hauses zu sein hätte.
Zu dem, was Herr Kollege Rasner gesagt hat, möchte ich aus grundsätzlichen Erwägungen, damit seine Interpretation nicht im Raum stehen bleibt, ohne Widerspruch gefunden zu haben, zur Klarstellung folgendes sagen. Wir nehmen Kenntnis von der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers. I) Aber die Bestimmungen des § 96 Abs. 3, die ich Ihnen im Wortlaut vorlesen darf, haben einen anderen Sinn, als Herr Kollege Rasner hier interpretierte. Es heißt:
Hat die Vorlage nach seiner Meinung
— d. h. nach Meinung des Haushaltsausschusses —
haushaltsmäßige Auswirkungen, legt der Ausschuß zugleich mit dem Bericht an den Bundestag einen Vorschlag zur Deckung der Mindereinnahmen oder Mehrausgaben vor.
Der Ausschuß muß sich eine Meinung bilden. Er kann die Meinung der Regierung akzeptieren; er muß es nicht! Er muß eine selbständige, eine eigene Meinung haben.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, daß jetzt eine sachgerechte und überprüfte Entscheidung in der Sache zu treffen ist. Herr Abgeordneter Weber, Sie wollen dazu noch das Wort? — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine Frage an die Fraktion der SPD. Sie selber beantragen auf Umdruck 678 ebenfalls einen Bundeszuschuß. Zu diesem Antrag hätten dieselben Bedenken vorgebracht werden müssen.
Deshalb glaube ich, daß der Bundeszuschuß, so wie die Dinge liegen, teilweise schon heute festgelegt ist und daß es schwer ist, im einzelnen. aufzuzeigen, inwieweit neue Verpflichtungen hinzukommen. Ich möchte Ihnen mit Deutlichkeit sagen: Wenn die Verabschiedung des Gesetzes verzögert wird, — bitte, Sie haben es selbst zu verantworten.
Meine Damen und Herren, ich schlage dem Hause zur Vermeidung einer nicht zu vertretenden Interpretation des § 96 vor, unter Berücksichtigung des Tatbestandes, daß es sich nach meiner Überzeugung um einen in der Substanz selbständigen Antrag handelt, nach § 96 Abs. 2 zu verfahren, wo es heißt:
Alle anderen Finanzvorlagen werden ohne Beratung im Bundestag vom Präsidenten dem Haushaltsausschuß und dem Fachausschuß überwiesen. Bei Zweifeln darüber, welcher Fachausschuß für die Beratung der Vorlage zuständig ist, trifft der Präsident im Benehmen mit dem Ältestenrat die Entscheidung.
Das würde bedeuten, daß wir in der weiteren Beratung dieser Vorlage nicht fortfahren können. Ich schlage dem Hause vor, daß unter Bezugnahme auf § 96 Abs. 2 im Ältestenrat darüber verhandelt wird. Nach meinem Dafürhalten muß die Angelegenheit dann wahrscheinlich erst einmal an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ich kann mir vorstellen, daß das keine ideale Lösung ist; aber es ist zweifelsohne die korrekteste. Sind Sie damit einverstanden? —
—Dann lasse ich darüber abstimmen. Ich lasse also abstimmen über den Antrag des Abgeordneten Schoettle. Herr Abgeordneter Schoettle, Sie haben Überweisung an den Haushaltsausschuß beantragt. Das war Ihr Vorschlag. Mein Vorschlag geht dahin, im Ältestenrat darüber zu beraten. Es tut mir leid: wenn der Vorschlag des Präsidenten nicht akzeptiert wird, m u B ich darüber abstimmen lassen. — Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der Abstimmung über diese Frage bitte ich die Sitzung für 15 Minuten zu unterbrechen.
Ich gebe diesem Antrag statt. Wir unterbrechen die Sitzung bis 17.25 Uhr.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung geht weiter. Ich bitte, Platz zu nehmen.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7001
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen erstens, diesen Paragraphen sofort dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
Wir beantragen zweitens, daß der Haushaltsausschuß sofort zu einer Beratung dieser Frage zusammentritt.
Drittens möchten wir, daß die Zeit inzwischen genutzt wird, indem wir mit der zweiten Lesung des Rundfunkgesetzes beginnen.
Viertens. Unsere Fraktion hat den Eindruck, daß hier auch im Hinblick auf den unmittelbar bevorstehenden Ferienbeginn operiert wird. Ich erkläre ausdrücklich, daß meine Fraktion prüfen wird, ob vor dem Hintergrund dessen, was heute hier geschehen ist, nicht noch in der nächsten Woche eine Sitzung des Bundestages notwendig ist.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, sich zu beruhigen. — Herr Kollege, es hat keinen Zweck, wenn Sie nicht so laut rufen, daß ich es verstehen kann; sonst ist die Sache doch ohne Witz.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufregung ist wirklich unnötig. Wir stimmen allem zu, was Herr Rasner hier beantragt hat.
Wir sind auch bereit, Herr Rasner, am Samstag — am Samstag geht es besser als in der nächsten Woche —, aber wenn es sein muß, auch in der nächsten Woche zu einer Sondersitzung zusammenzutreten. Wir wollen diese Sache gut, gründlich und geduldig beraten.
Welche Übereinstimmung des Hauses! Der Präsident des Hauses begrüßt es im Interesse des Hauses dankbar, daß er nicht in eine Kampfabstimmung in Sachen § 96 eintreten muß; darüber wären wir also wenigstens hinweg.
Zum zweiten mache ich aber zur Verabschiedung des Gesetzes auf folgendes aufmerksam. Da Änderungsanträge in der zweiten Lesung angenommen worden sind, kämen wir mit der dritten Lesung am Freitag ohnehin in Schwierigkeiten.
— Falls Einwände gemacht werden. Aber ich muß darauf gefaßt sein — da es offenbar eine Kampfmaterie ist, worauf ich seelisch nicht vorbereitet war —, daß solche Einwände kommen. Ich möchte deshalb zu erwägen geben, ob Sie auf einer Verabschiedung des Gesetzes in dieser Woche bestehen. Dann müßte eine Sondersitzung — frühestens am Samstag — stattfinden.
— Es nützt alles nichts: das Haus ist noch über dem Ältestenrat; das muß ich sogar sagen.
Jetzt wollen wir also versuchen, die Sache weiterzubringen. Ich bin einverstanden, daß der Haushaltsausschuß zusammentritt. Ich frage den Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, ob er den Ausschuß einberufen will.
— Gut, der Haushaltsausschuß tritt mit Genehmigung des Präsidenten sofort zusammen und prüft die Frage. Herr Abgeordneter Schoettle hat den Vorsitz im Haushaltsausschuß. Gegenstand der Beratung ist also Ziffer 11 des Änderungsantrages der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 674. Ich setze das Einverständnis des Hauses voraus, daß wir solange diesen Tagesordnungspunkt unterbrechen.
Ich kehre dann zur Tagesordnung zurück und rufe Punkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Rundfunk ;
Erster Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik (Drucksache 1956).
Ich frage die Frau Berichterstatterin, ob sie das Wort wünscht. — Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Schriftlichen Bericht nicht mündlich erstatten, sondern nur einen sinnentstellenden Druckfehler berichtigen. Auf Seite 4 des Schriftlichen Berichts in der rechten Spalte, 13. Zeile, muß ein „nicht" eingefügt werden, so daß es heißt: „welche nicht die öffentliche Verantwortung der Kirchen betreffen".
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die allgemeinen Gesichtspunkte, die geltend gemacht werden müssen und vernünftigerweise wohl zu Beginn geltend gemacht werden, bei der Diskussion des § 1 vorgetragen werden können, den ich hiermit aufrufe.
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7002 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Vizepräsident Dr. Schmid§ 1! Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den grundsätzlichen Fragen, die wir sicherlich zu Beginn der zweiten Beratung dieses Gesetzentwurfs erörtern müssen, gehört vor allen Dingen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Gesetzentwurfs, und es gehören hierzu auch die entscheidenden verfassungspolitischen Gesichtspunkte. Denn ehe das Haus in eine materielle Einzelberatung eintritt, muß es sich ja die Frage vorlegen, ob dieses Haus Hürden, die durch die Verfassung errichtet sind, überspringen will. Deshalb zu diesem Punkte einige Betrachtungen, wobei ich den Kolleginnen und Kollegen des Rechtsausschusses sagen möchte: ich habe natürlich nicht die Absicht, die sehr ins einzelne gehende Erörterung aus den Sitzungen des Rechtsausschusses hier zu wiederholen. Das mag auch der Beruhigung des ganzen Hauses dienen, denn ich möchte nicht dazu beitragen, daß das Haus etwa nachsitzen muß. Aber immerhin, die entscheidenden Gesichtspunkte sind wichtig genug, in der gebotenen Kürze vorgetragen zu werden, soweit das bei einer Plenarbehandlung im Bundestag möglich ist.Sie wissen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in den bisherigen Erörterungen wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, daß sie den Bund nicht für zuständig hält, die hier in Betracht kommende Materie gesetzlich zu regeln. Das Grundgesetz kennt zwar den Begriff des Rundfunks. DieVerfassungsgesetzgeber haben also durchaus eine Vorstellung darüber gehabt, daß es in der Wirklichkeit unseres Lebens etwas Derartiges gibt; denn, Sie wissen ja, in Art. 5 ist ausdrücklich vom Rundfunk die Rede. Aber der Verfassungsgesetzgeber hat keine ausdrückliche Regelung im Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes getroffen. Wir finden dort den Begriff Rundfunk an keiner einzigen Stelle. Wenn man auch zunächst bei einer kritischen Betrachtung die Überlegungen derer, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes mitgewirkt haben, völlig dahingestellt sein läßt — im Grunde kommt es gar nicht darauf an —, so ist doch entscheidend, daß eben im Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes der Begriff Rundfunk nicht aufgeführt ist. Damit ist eigentlich die Rechtsfrage schon beantwortet. Für die Regelung des Rundfunkrechts sind die Länder zuständig. Dies ergibt sich aus der Regelung des Art. i0 des Grundgesetzes.Meine Damen und Herren, man hat nun dieser Auffassung entgegengehalten, ,es handle sich doch um Fernmeldewesen nach Art. 73 Nr. 7. Aber man kann wohl nicht dm Ernst behaupten, Rundfunk sei Fernmeldewesen.
— Herr Kollege Heck, schon der keineswegs pionierhaft fortschrittliche Reichsfinanzhof hat in einem Gutachten vom 8. Juli 1925 unter anderem folgendes gesagt — —
— Ich sage ja, das ist schon beinahe zu Olims Zeiten gewesen. In dem Gutachten des Reichsfinanzhofs hieß es:Die Aufgabe, die das Reich bei dem Rundfunk übernommen hat— damals auf der Basis 'der Weimarer Verfassung, sowie diese Verfassung eben offenbar vom Reichsfinanzhof interpretiert wurde —,unterscheidet sich wesentlich— d. h. doch: dem Wesen nach —von der, die es mit Post, Telegraphie und Fernsprecher erfullt.Mit anderen Worten, schon 1925 hat man nicht imErnstangenommen, Rundfunk sei Fernmeldewesen.
— Verehrter Herr Kollege Heck, auch das Reichsgericht hat zu dieser Zeit dazu Stellung genommen und hat — ich bin also leider nun doch gezwungen, auf einige Einzelheiten einzugehen — zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei dem Rundfunk um einbesonderes Phänomen handelt, um eine Institution besonderer Art, die nicht in die herkömmlichen Rechtsbegriffe des Telegraphenwesens oder des Fernmeldewesens 'einzuordnen ist.Fernmeldewesen ist eine technisch-physikalische Institution, und Rundfunk ist etwas ganz anderes. Der Rundfunk ist ein kulturgestaltendes, kulturschöpferisches Phänomen oder — wenn Sie so wollen eine kulturschöpferische Institution, wobei ich den Ausdruck Kultur völlig wertfrei gebrauche. Auf alle Fälle — schließlich brauchen wir es uns gar nicht so furchtbar schwer zu machen — ist Rundfunkrecht etwas ganz anderes als Fernmelderecht. Wenn Sie Zweifel und Bedenken in der Atmosphäre 'dieses Hauses haben, fragen Sie doch einmal die Menschen draußen im Lande, ob sie Rundfunk für Fernmeldewesen halten und ob sie Fernmeldewesen als Rundfunk ansehen. Ich glaube, kein Mensch wird diese Fragestellung begreifen, und jeder Mensch wird Ihnen sofort bei einer — sagen wir einmal — natürlichen Betrachtungsweise sagen, daß eben der Rundfunk und damit das Rundfunkrechte ganz anderes, auf keinen Fall Fernmeldewesen ist. Sie sehen also, wenn man die Dinge so betrachtet und wenn man außerdem noch die Materialien ansieht, stellt man fest, daß auch schon in der Vergangenheit , sehr wohl der unterschiedliche Charakter von Rundfunk und Fernmeldewesen gesehen worden ist.Vielleicht setzen hier manche der Kollegen — erstaunlicherweise offenbar auch aus dem Bereiche der CSU — Zweifel in diese Ansicht, daß Rundfunkrecht etwas anderes als Fernmelderecht und Rundfunkwesen etwas anderes als Fernmeldewesen sei. Sie sind offenbar dieser natürlichen Betrachtungsweise nicht zugänglich. Während der Beratungen des Parlamentarischen Rates hat Carlo Schmid einmal gesagt, man könne z. B. ein Geigenkonzert nicht als eine Angelegenheit des Geigenbaugewerbes ansehen. Dieser Vergleich ist sehr plastisch.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7003
WittrockWenn Sie ihn auf die uns hier beschäftigende Materie übertragen, werden Sie, glaube ich, bei ruhiger Überlegung der Auffassung zustimmen: Rundfunkrecht ist etwas anderes als Fernmelderecht.Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß auch die Bundesregierung im Grunde diese Auffassung teilt. Wenn die Bundesregierung den Rundfunk als Fernmeldewesen ansieht, wäre die Frage zu stellen: Wieso ist dann eigentlich der federführende Minister nicht der Minister für das Fernmeldewesen, sondern der Minister des Innern? Oder sollte es etwa bezüglich der Ressortverteilung im Bundeskabinett so sein, daß der Bundesminister des Innern neuerdings auch ein Bundesminister für das Fernmeldewesen ist, und gibt es etwa zwei Bundesminister für das Fernmeldewesen? Nein, nein, die Sachlage ist ganz einfach. Die Bundesregierung ist sehr wohl von der Feststellung ausgegangen, daß es sich hierbei nicht um irgendwelche technisch-physikalischen Vorgänge handelt, um Vorgänge des technisch-physikalischen Bereiches, die rechtlich zu regeln sind, sondern daß es sich hierbei eben um etwas anderes handelt. Und dieses Anders-geartete ist im Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Daher ist die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zu verneinen.Lassen Sie mich hier noch einen zweiten Gesichtspunkt vortragen, einen zwar verfassungsrechtlichen, insbesondere aber auch verfassungspolitischen Gesichtspunkt. Das Grundgesetz geht von einem ganz bestimmten Prinzip der Machtverteilung aus. Das Strukturprinzip des Grundgesetzes ist das Prinzip der Dekonzentration und Dezentralisierung von Macht, das Prinzip der Auflösung zentralistischer Macht. Jede Veränderung der Machtverteilung, wie sie durch die Struktur des Grundgesetzes gegeben ist, setzt eine Grundsatzentscheidung des Verfassungsgesetzgebers voraus.Sie können, meine sehr verehrten Damen und Herren, die im Grundgesetz vorbestimmte Machtverteilung, die auf dem Prinzip der Dekonzentration und der Dezentralisation beruht, nicht dadurch zu korrigieren und sich um dieses Strukturprinzip und die sich daraus ergehenden Festlegungen herumzumogeln versuchen, daß Sie das Grundgesetz auf eine recht eigenwillige, ich möchte sagen, auf eine illegale und nicht den Prinzipien der Verfassung entsprechende Art und Weise auslegen.
Es geht hier um Machtverteilung. Das wissen Sie ebensogut wie ich, und das wissen auch die Herren im Bereich der Bundesregierung.Ich kann mich dabei auf einen Staatssekretär beziehen. Er hat in einer kleinen Schrift, „Bundespost und Rundfunk", einen sehr interessanten und sehr bemerkenswerten Hinweis zu dem Problem der Machtverteilung gegeben, so wie es sich hier stellt. Er hat nämlich folgendes gesagt:Es gibt heute keine umfassendere Möglichkeit, Menschenmassen zu interessieren, die allgemeine Meinungsbildung zu beeinflussen und zu gestalten.Es gibt keine umfassendere Möglichkeit der Meinungsmanipulation, der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. — Sie nicken zustimmend; ich stelle das mit Interesse fest, Herr Kollege Heck. Es ist eine völlig zutreffende Feststellung: es gibt keine mächtigere Institution der Meinungsmanipulation und -beeinflussung als den Rundfunk. Aus diesem Grunde stellt der Rundfunk eine Machtinstitution dar, eine Machtinstitution, die nach den vorgezeigten Strukturprinzipien des Grundgesetzes aufzulösen ist, nach dem Prinzip der Dezentralisation der Macht zu behandeln ist.Daß es hier um Machtausübung geht, ist übrigens auch von Ihren Fraktionskollegen bei den Beratungen des Rechtsausschusses eingeräumt worden. Von einem Mitglied Ihrer Fraktion ist z. B. klipp und klar gesagt worden — dabei ging es um die Frage der sogenannten Chancengleichheit —, dieses Prinzip gelte zwar bei der Bewerbung um die Macht, aber es gelte nicht für die Ausübung der Macht. Damit ist also auch aus Ihrem Bereich — wahrscheinlich hat sich das herumgesprochen — deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß Sie das Rundfunkrecht letzten Endes unter dem Gesichtspunkt der Machtausübung regeln. Dieses Problem kann nur in Übereinstimmung mit den Strukturprinzipien der Verfassung behandelt werden.Meine Damen und Herren, es gibt eine Fülle von Äußerungen zu diesem Problem. Eine möchte ich Ihnen hier einmal zur Kenntnis geben. Es ist eine Äußerung, aus der sich klar ergibt, wie deutlich man draußen im Lande die Gefahren sieht, die sich aus dieser Art der Machtkonzentration ergeben können. Der heutige bayerische Ministerpräsident hat am 21. Januar 1959 — damals in seiner Eigenschaft als Präsident des Bayerischen Landtages — folgendes ausgeführt:Wenn der Bund glaubt, für seine besonderen Zwecke ohne eine eigene Sendekette nicht auskommen zu können, dann darf man wohl eine Besorgnis klar aussprechen. Bei der zunehmenden Neigung, zu zentralisieren und zu perfektionieren, zieht damit auch die Gefahr eines vom Bunde her gesteuerten zentralen Bundesrundfunks herauf, der die unabhängigen Länderanstalten nicht mehr lange neben sich dulden wird.Meine Damen und Herren, damit ist die grundsätzliche Bedeutung, auch die präjudizielle Bedeutung der Entscheidung zu dieser Materie aufgezeigt; denn es geht im Grunde genommen nicht so sehr darum, daß Sie gewisse Rundfunkanstalten als solche schaffen wollen, sondern es geht eben darum, daß Sie — und ich behaupte: gegen das Grundgesetz — eine Kompetenz in Anspruch nehmen wollen. Wenn Sie diese einmal in Anspruch genommen haben, öffnen Sie damit den Weg zur Aushöhlung der heute bestehenden Anstalten und zu einer weiteren Machtkonzentration mit den Möglichkeiten der zentralistischen Meinungsmanipulation.
— Bitte schön.
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7004 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Herr Kollege Wittrock, sind Sie nicht auch der Meinung, daß das von Ihnen angeführte Prinzip der Machtverteilung auf jeden Fall verhindern muß, daß die bestehenden Anstalten zusätzliche Wellen erhalten?
Herr Kollege Deringer, es geht hierbei gar nicht darum, ob und wie zusätzliche Wellen verteilt werden sollten — darum geht es in gar keiner Weise —, sondern es geht darum — und von daher sehe ich die Fragestellung völlig anders —, ob Sie sich hier eine Kompetenz anmaßen, was dann führen wird, daß Sie die bestehenden Rundfunkanstalten in ihrer inneren Verfassung aushöhlen. Das Ergebnis davon wäre letzten Endes, daß damit die Möglichkeit eines neuen Reichsrundfunks eröffnet würde.
— Ja, verehrter Herr Kollege, das hat der Sprecher des Bundesrates seinerzeit in der Sitzung des Bundesrates zum Ausdruck gebracht: Wenn sich der Bund das Recht nimmt, den Status der heute auf Landesebene bestehenden Anstalten irgendwie zu regeln — der Entwurf enthält ja eine Vorschrift, die den Status der heutigen Rundfunkanstalten anspricht — und diesen Status somit als Gesetzgeber anzusprechen, dann besteht nur ein quantitativer Unterschied zwischen dieser Regelung und der Entscheidung, eines Tages den Schritt zu tun, diesen Status auszuhöhlen und damit die Struktur unseres Rundfunks mit dem Ergebnis einer Machtzentralisation völlig zu verändern. So müssen Sie die Problemstellung sehen, und so werden und müssen Sie, wenn Sie in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Verfassung bleiben wollen, zu einem Ergebnis kommen. Das Ergebnis kann nicht sein, daß der Bundesgesetzgeber hier eine Entscheidung im Sinne dieser Vorlage trifft. Das Ergebnis kann nur darin bestehen, daß die Bemühungen fortgesetzt werden, in Übereinstimmung mit den Ländern nach den Grundsätzen der Dezentralisation der Macht zu einer Lösung zu gelangen.
Das Wort hat der Abgeordnete Deringer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Rechtsausschuß in seiner Sitzung mit Mehrheit die Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß dieses Gesetzes bejaht hatte, gingen wir davon aus, daß wir diese Frage nicht mehr im einzelnen zu erörtern brauchten. Da es aber für richtig gehalten wird, sie doch noch einmal anzuschneiden, komme ich leider nicht darum herum, ein klein wenig mehr darauf einzugehen. Denn ganz so einfach, wie es eben dargestellt wurde, ist die Frage leider nicht.Es ist ein unter Juristen nicht ganz unbeliebter Kunstgriff, aus einer gesetzlichen Bestimmung einen bestimmten Begriff herauszuziehen, dann diesen Begriff nach eigenem Ermessen zu definieren und nachher anhand der selbstgeschaffenen Definition nachzuweisen, daß ein bestimmter konkreter Tatbestand nicht unter das Gesetz fällt. Ich darf das einmal an einer Materie deutlich machen, die mit dieser nichts zu tun hat, die allerdings insofern vielleicht mit ihr zusammenhängt, als auch dieses Gesetz sich gegen die Machtkonzentration wendet, nämlich an dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. § 1 dieses Gesetzes untersagt bekanntlich Verträge zu einem gemeinsamen Zweck, die geeignet sind, durch Beschränkungen des Wettbewerbs den Markt zu beeinflussen. Das ist in etwa das, was man bisher unter Kartellen verstand. Nun gibt es aber Juristen, die sagen: Also sind Kartelle verboten. Dann definieren sie Kartelle in der Weise, wie sie vielleicht in der Literatur vor etwa 30 Jahren definiert wurden, und sagen dann: Aha, hier liegt kein Kartell vor, Kartelle sind nur solche Verträge, die den Markteinfluß bezwecken, — während der Wortlaut des Gesetzes eindeutig sagt: die geeignet sind, den Markt zu beeinflussen. Sie sehen an diesem Beispiel, wie man mit Begriffsspielerei durchaus einen Gesetzeswortlaut umgehen kann.Ich habe den Eindruck, verehrter Herr Kollege Wittrock, daß das gerade bei der Diskussion um das heutige Problem auch in der Literatur und zum Teil von nicht unbekannten und von hervorragenden Staatsrechtlern und Juristen getan wird, indem man etwa den Begriff der Kulturhoheit herauszieht oder indem man, wie ich es gerade in einem Gutachten gelesen habe, das für den Norddeutschen Rundfunk erstattet wurde, das Fernmeldewesen auf das alte Postregal zurückführt, mit dem es gar nichts mehr zu tun hat, und dann nachweist, daß das natürlich nichts mit dem modernen Rundfunk zu tun habe oder daß Rundfunk Kultur sei und infolgedessen nicht nach Art. 73 Ziffer 7 des Grundgesetzes unter Fernmeldewesen und damit unter die Zuständigkeit des Bundes falle.Meine Damen und Herren, ich glaube, so geistreich alle diese Konstruktionen sein mögen, so wenig erfolgreich sind sie im Ergebnis. Wir müssen nun ,einmal von der Tatsache ausgehen, über die wir uns ja im Ausschuß einig waren, daß nach Art. 70 zunächst einmal die Länder für alles die Zuständigkeit haben und daß der Bund nur für das zuständig ist, was ihm im Grundgesetz ausdrücklich zugewiesen ist. Da kommt der auch von Ihnen vorhin schon zitierte Art. 73 Ziffer 7 in Betracht, der ausdrücklich dem Bund die ausschließliche Zuständigkeit für das Post- und Fernmeldewesen gibt. Damit hängt natürlich die Entscheidung an der Auslegung dieses Begriffes.Wir kommen aber, meine Damen und Herren, doch nicht darum herum, daß nun einmal in der Geschichte, in den Gesetzen bis zum Jahre 1945 unter ,das Fernmeldewesen immer auch der Rundfunk fiel. Ich möchte darauf verzichten, Ihnen alle diese Gesetze im einzelnen zu zitieren, um die Debatte nicht zu verlängern. Das geht aber bis in das Fernmeldeanlagengesetz von 1928 hinein, das ohne jeden Zweifel bis 1945 gültig war. Bis zum Jahre 1945 verstand man also unter Fernmeldewesen das, was im Gesetz von 1928 definiert ist. Dort wird zwar von „Fernmeldeanlagen" gespro-Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7005Deringerchen; aber es ist das Parallele. Es müßte sich dann höchstens vom Jahre 1945 bis zum Jahre 1949 der Begriff so grundlegend gewandelt haben, daß im Jahre 1949 die Väter des Grundgesetzes damit ganz etwas anderes wollten.Dazu kommt aber ein Zweites — und darauf sind Sie, Herr Kollege Wittrock, gar nicht eingegangen —: daß im Parlamentarischen Rat in den Zuständigen Ausschüssen doch alle bis auf ganz wenige tapfere Verfechter des Fäderalismus darin einig waren, daß ,der Rundfunk unter den Begriff „Fernmeldewesen" in Art. 73 Ziffer 7 fallen sollte, mindestens in seinem technischen Teil und dem, was dazugehärt.Ich möchte auch hier wieder darauf verzichten, Ihnen all die Äußerungen Ihrer eigenen Fraktionskollegen aus dem Parlamentarischen Rat vorzutragen. Gerade sie waren es ja, ,die diese Frage damals so schön herausgearbeitet haben, und wenn ich mich recht entsinne, war es sogar der jetzt hier vorsitzende Präsident, der nachher im Hauptausschuß bei der Abstimmung die Frage ganz klar so formulierte, daß man, nachdem der Antrag des Herrn Laforet von der CDU zurückgewiesen war, daraus nur schließen konnte, auch der Rundfunk solle mindestens hinsichtlich des technischen und des dazugehörigen organisatorischen Teils zum Fernmeldewesen gehören.
— Herr Kollege Wittrock, daß auch Protokolle auslegungsbedürftig sind, ist mir klar; aber es wird Ihnen nicht ganz unbekannt sein, daß man in der Literatur und der Wissenschaft überwiegend — sogar von Gutachtern, die sich gegen die Bundeszuständigkeit wenden — zu dem Ergebnis kommt, daß jedenfalls der technische Teil und das, was an organisatorischen Dingen damit zusammenhängt, zur Zuständigkeit des Bundes gehört. Von dieser Auffassung ist Ihre Fraktion, Herr Kollege Wittrock, noch, wenn ich mich recht entsinne, im Jahre 1951 oder 1952 bei der berühmten Interpellation in Sachen Südwestfunk ausgegangen, als Ihr Kollege Jacobs die Frage stellte, ob der Bund nicht verhindern wolle, daß durch den Vertrag über den Südwestfunk nun die Bundeszuständigkeit auf diesem Gebiet präjudiziert werde.Es ist jedenfalls meine Überzeugung und die Überzeugung der Mehrheit, und ich meine, auch die Überzeugung eines nicht ganz unmaßgeblichen Teiles der Wissenschaft, daß man sowohl historisch als auch nach den Protokollen davon ausgehen kann, daß der Rundfunk zum Begriff „Fernmeldewesen" in Art. 73 Nr. 7 gehört. Man kann noch nicht einmal sagen, daß sich das seitdem geändert hätte. Denn der Begriff „Fernmeldewesen" ist inzwischen in einer ganzen Reihe von Bundes- und Ländergesetzen im gleichen Sinne gebraucht worden. Ich darfSie hinweisen auf die Welt-Nachrichten-Konferenz von Atlantic City vom Jahre 1947, deren Konvention hier in diesem Hause im Jahre 1952 ratifiziert wurde und in der die Definition ausdrücklich lautet: „Zum Begriff ,Fermeldewesen' gehört auch der Rundfunk." Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Kollege Wittrock, weiter darauf hinweisen,
daß auch die Rundfunkgesetze der Länder den Begriff genauso definieren wie im Fernmeldeanlagengesetz, daß auch Sie von den technischen Dingen ausgehen, nämlich davon ausgehen, daß es sich beim Rundfunk daraum handelt, Nachrichten mit einer bestimmten Technik, nämlich mit Wellen, zu verteilen.
— Aber es steht eine Definition des Begriffs „Fernmeldeanlagen" darin; und darunter fallen die Funkanlagen, und auch Rundfunkanlagen sind ja zweifellos Funkanlagen.Ich bin der Meinung — um das hier ganz kurz zu sagen, bin aber natürlich auch gern bereit, darauf noch näher einzugehen —, daß man sowohl nach dem Gebrauch des Begriffs „Fernmeldewesen" bis zum Jahre 1949 als auch nach den Protokollen des Parlamentarischen Rates als auch nach dem Gebrauch des Begriffes nach Inkrafttreten des Grundgesetzes davon ausgehen muß, daß der Rundfunk zum Fernmeldewesen gehört.Nun ist ja in der Literatur — Sie haben das auch angedeutet immer wieder darauf hingewiesen worden, daß Rundfunk heute etwas ganz anderes sei, daß also der Mann auf der Straße, der Laie draußen, unter Rundfunk das versteht, was aus dem Apparat herauskommt, und nicht den Apparat selbst und die Technik dabei, und daß dieser Begriffswandel seit dem Fermeldeanlagengesetz doch entscheidend sei für die Auslegung des Art. 73 Nr. 7. Nun, meine Damen und Herren, ein in dieser Sache vielleicht unverfänglicher Zeuge — —
— Auch darauf kommen wir gleich. — Ein in dieser Frage, glaube ich, ganz unverfänglicher Zeuge, nämlich der derzeitige Intendant des Süddeutschen Rundfunks, der zwar politisch unserer Meinung ist, sachlich aber in diesem Punkte, glaube ich, Ihrer Meinung ist, hat in seiner Dissertation ganz klar gesagt — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz zitieren —:Es kann keinen Zweifel geben, daß die gesetzliche Zuordnung des Rundfunks zur Reichspostverwaltung nicht nur in den Gründer- und Kinderjahren des Rundfunks unbestritten war, sondern auch im Jahre 1927, als niemand die
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7006 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Deringerpublizistische Auswirkung dieser technischen Einrichtung übersehen konnte.
— Herr Kollege Wittrock, wenn es irgendeine Dissertation wäre, würde ich es nicht zitieren. Da es aber immerhin ein Mann ist, der in diesem Falle durchaus unverdächtig ist, Parteimeinungen zu vertreten, da er ja gegen unseren Gesetzentwurf steht, kann man, glaube ich, diese Meinung doch zitieren.Ich darf nun auf einen zweiten Einwand, der auch bei Ihnen durchklang und der in der Literatur gemacht wird, eingehen; und damit komme ich zu dem, was Ihnen ja viel mehr am Herzen liegt: das ist die Frage der Machtverteilung. In einem Gutachten von Professor Maunz wird nun — ja, Sie winken selber ab; es tut mir leid — im Anschluß an Art. 5 des Grundgesetzes gesagt, daß die Rundfunkfreiheit die ungehinderte Verfügung der Sendeanstalten über die technischen Anlagen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeute, und Herr Ministerialdirektor Leusser hat in einem Vortrag in Bad Boll vor etwa einem oder zwei Jahren erklärt, der Bund sei sogar verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden Wellen den bestehenden Anstalten zur Verfügung zu stellen.Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Beispiel macht den Unterschied zwischen anderen Mitteln der Information, der Meinungsbildung, und dem Rundfunk deutlich. Es wird immer darauf hingewiesen, daß man nicht etwa die Presse regeln könne, indem man die Druckereianstalten regele. Aber, Zeitungen können Sie, das nötige Geld vorausgesetzt, einrichten, so viele Sie wollen, denn das ist technisch möglich. Andere Nachrichtenmittel können Sie ebenfalls verhältnismäßig beliebig einrichten. Rundfunkwellen dagegen gibt es eben nur in ganz begrenzter Zahl. Das sind die beiden Kriterien, die uns zwingen, den Rundfunk vom Technischen her auch rechtlich anders zu sehen.Der Rundfunk unterscheidet sich von den übrigen Mitteln der Massenunterrichtung einmal durch die sogenannte Ubiquität, das heißt also dadurch, daß er, unabhängig etwa von einer Zeitungsfrau, überall ist, und zum anderen dadurch, daß es nur eine begrenzte Zahl von Wellen gibt. Herr Kollege Wittrock, hier ist der Punkt, an dem ich mich mit Ihnen durchaus in dem Wunsch treffe, die Macht nicht zu konzentrieren, sondern zu verteilen und aufzulösen. Wenn Ihre Herren Wirtschaftspolitiker hier wären, würden sie dem noch ganz besonders zustimmen. Da es nämlich nur eine begrenzte Anzahl von Wellen, nur eine begrenzte Anzahl von Sendemöglichkeiten gibt, ist der Bund nach meiner Auffassung nach Art. 5 des Grundgesetzes sogar verpflichtet, so viele Informationsquellen wie möglich daraus zu schaffen und — das ist eine Form der Machtverteilung, der Machtauflösung — etwa neue Wellen neuen Anstalten zuzuweisen. Zwar spielt das bei dem Teil des Gesetzes, den wir heute verabschieden, keine Rolle. Aber da Sie das Grundproblem angeschnitten haben, muß ich diesen Ausblick auf das Fernsehen wohl doch kurz bringen.Ich bin deshalb der Meinung, daß Art. 5 des Grundgesetzes, d. h. die Rundfunkfreiheit, auf keinen Fall zunächst einmal den bestehenden Anstalten garantiert, daß nur sie, sie allein, Rundfunk organisieren oder Programmgesellschaften gründen dürfen. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß der Bund sogar verpflichtet ist, so viele Anstalten wie möglich zu schaffen. In einem Büchlein von Profesor Ridder, der gegenüber der Bundeszuständigkeit ebenfalls sehr skeptisch ist, ist der durchaus diskutable Gedanke erwähnt, daß man vielleicht später, wenn sich die technische Entwicklung fortsetzt und es technisch möglich ist, noch eine ganze Anzahl weiterer Anstalten schaffen könnte. Solange aber die Zahl der Anstalten begrenzt ist, muß — darin gehe ich mit Ihnen völlig einig — innerhalb der einzelnen Anstalt das Programm ausgewogen gestaltet sein. Über das Stichwort „Ausgewogenheit" haben wir uns ja im Rechtsausschuß sehr eingehend unterhalten. Ich bin durchaus mit Ihnen der Meinung, daß in einem Programm natürlich alle, ich möchte einmal sagen, wichtigen Meinungen zum Ausdruck kommen müssen. Ich glaube allerdings, daß man sich mit dem allgemeinen Rundfunkrecht im Ersten Teil des Gesetzentwurfs mit Erfolg bemüht, diesem Grundsatz gerecht zu werden.Nun werden Sie mir vielleicht entgegenhalten, daß das alles noch nichts über die Zuständigkeit besage. Sicher, die Zuständigkeit des Bundes ergibt sich nicht aus Art. 5 des Grundgesetzes — das ist keine Zuständigkeitsbestimmung — sondern aus Art. 73 Nr. 7. Aber weil die ganze Wirkung des Rundfunks, weil gerade das, was Sie mit Recht als die Möglichkeit der Meinungsbildung und der Machtbildung bezeichnen, an den technischen Mitteln hängt — denn nur weil es eben wenige Wellen sind, ist dabei die Gefahr der Machtkonzentration vorhanden —, fällt auch die Organisation des Rundfunks in die Zuständigkeit, zu der die technische Seite gehört, nämlich in die des Bundes nach Art. 73 Nr. 7 GG. Daß das auch durchaus die Absicht des Parlamentarischen Rates war, sehen Sie etwa aus der Äußerung Ihres Fraktionskollegen Menzel, der im Zuständigkeitsausschuß gesagt hat:Ich meine aber, daß die Hoheit über die technische Seite und den Aufbau dem Bunde zusteht, weil der Rundfunk ein so wesentliches Instrument der politischen Willensbildung und der politischen Macht darstellt, daß der Bund sich insoweit nicht irgendwie von den Ländern vorschreiben lassen sollte.Ich glaube, daß das durchaus das trifft, was Sie heute gesagt haben, nur mit dem einen Unterschied, daß Ihr Kollege Menzel daraus seinerzeit die Konsequenz zog, daß der Bund zuständig sein sollte, während Sie heute in einer mir nicht ganz einleuchtenden Weise daraus die entgegengesetzte Konsequenz ziehen.Im übrigen haben wir ja auch im Jahre 1951 oder 1952 einen Vorgang in diesem Hause erlebt, bei dem die Frage der Abgrenzung, die Frage, wie weitDeutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7007Deringerdie Zuständigkeit technisch, organisatorisch usw. geht, einmal berührt wurde. In der Debatte über die Interpellation Ihrer Fraktion im Jahre 1951, glaube ich, hat der damalige Bundesinnenminister das berühmte Schreiben der Ministerpräsidenten der Länder im Bereich des Südwestfunks zitiert, in dem eine ganze Reihe von Aufgaben aufgeführt waren, die nach Meinung der Ministerpräsidenten der Länder nach Art. 73 Nr. 7 GG zur Zuständigkeit des Bundes gehörten. Darunter war die Verteilung und Überwachung des Wellenplans und. eine ganze Reihe von anderen Dingen, die, wenn man schon die technische Seite regeln will, organisatorisch unbedingt damit verbunden werden müssen.Ich meine deshalb, ohne daß ich diese sehr kurze Erwiderung vertiefen will, daß sich aus Art. 73 Nr. 7 eindeutig historisch, nach den Protokollen und nach der Verwendung des Begriffs seit Bestehen des Grundgesetzes ergibt, daß zum Fernmeldewesen auch der Rundfunk gehört und daß der Bund nach Art. 5 des Grundgesetzes verpflichtet ist, etwa vorhandene Wellen dazu zu benutzen, soviel Anstalten wie möglich zu schaffen, daß er weiter diese Wellen nur Anstalten zuteilen darf, die ein gewisses Minimum im Hinblick auf Art. 5 des Grundgesetzes erfüllen — was ja bei den bisherigen Länderanstalten durchaus der Fall ist —, und daß er durchaus auch die Möglichkeit hätte, solche Wellenlängen weiteren, vielleicht sogar privaten Anstalten oder Programmgesellschaften zuzuteilen.
Das Wort hat der Abgeordnete Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, mich an dieser Debatte zu beteiligen, weil ich meine, daß die Frage, ob dieses Gesetz verfassungswidrig ist oder nicht, heute praktisch doch nicht mehr zur Entscheidung steht, da die Mehrheit dieses Hauses entschlossen ist, und zwar unter Ausnutzung ihrer Mehrheit, dieses Gesetz auf alle Fälle durchzubringen. Nachdem aber Herr Kollege Deringer eine Äußerung von mir im Parlamentarischen Rat zitiert hat, möchte ich verhindern, daß Auslegung und Ausnutzung dieses Zitats zu Mißverständnissen führen. Ich habe das Zitat in der Kürze der Zeit nicht nachprüfen können, aber ich sage ausdrücklich: es ist sicherlich richtig. Denn damals, Herr Kollege Deringer und meine Damen und Herren, haben uns in der Tat der künftige Aufbau der Rundfunkanstalten und die Programmgestaltung Sorge gemacht. Die Meinungsbildung des Parlamentarischen Rates und seiner Fraktionen ist im übrigen nicht immer nur aus den Protokollen über die Plenarsitzungen und über die Sitzungen des Hauptausschusses sowie der Fachausschüsse zu ersehen. Die interfraktionellen Besprechungen des Parlamentarischen Rates waren ein sehr wesentliches und vielfach entscheidenderes Instrument der politischen Meinungsbildung und des Inhalts des künftigen Grundgesetzes, als es die Ausschußprotokolle erkennen lassen.
Als meine politischen Freunde und ich seinerzeit versuchten, dem künftigen Bund eine stärkere Einwirkung auf die künftige Rundfunkgestaltung zu geben, waren es der damalige Präsident des Parlamentarischen Rates, der heutige Bundeskanzler Dr. Adenauer, der leider so früh verstorbene spätere Bundesinnenminister Dr. Lehr und Herr Laforet, die sich mit aller Energie gegen eine Zuständigkeit des künftigen Bundes auf dem Gebiet des Rundfunkwesens gewehrt haben, und zwar mit der Begründung, daß man zwar gewisse technische Fragen — z. B. die Frage der Vertretung der Rundfunkanstalten bei den internationalen Verhandlungen über die Verteilung der Wellenlängen und die Frage der Zahl der Rundfunkanstalten in der künftigen Bundesrepublik — der künftigen Bundesgewalt überlassen könne, daß man sich aber entschieden dagegen wehre, daß die Trägerschaft künftiger Rundfunkanstalten, daß die Rundfunkhoheit, daß vor allem aber das Programm der Rundfunkanstalten jemals unter den Einfluß des künftigen Bundes geraten dürften. Der föderative Aufbau des künftigen Bundes zwinge, den Ländern die alleinige Entscheidung über die Trägerschaft und über das Programm des Rundfunks als Ausfluß ihrer kulturpolitischen Hoheit zu belassen.
Ich war damals nicht überzeugt, daß diese Politik richtig sei, Nachdem aber nun einmal das Grundgesetz nach dem Willen der damaligen Mehrheit den Bund von der Gestaltung des Rundfunks ausgeschaltet hat, müssen Sie sich an die Realität und an Ihre eigenen Beschlüsse zum Grundgesetz halten. Sie können jetzt nicht so tun, als enthalte das Grundgesetz etwas anderes.
Wir haben uns damals auch mit der Frage befaßt, ob Art. 73 Ziffer 7 GG, wonach das Post- und Fernmeldewesen zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gehört, den Bund legitimieren werde, in die Rechte und in die Programme der Rundfunkanstalten einzugreifen. Man war sich darüber klar — und zwar einstimmig —, daß die Formulierung des Art. 73 Ziffer 7 dem Bunde ein solches Recht nicht gebe, daß es sich vielmehr nur um verkehrs- und meldetechnische Fragen handle, vor allem auch mit Rücksicht auf die Kontakte und die Verbindungen mit dem Post- und Fernmeldewesen des Auslandes.
Ich darf also sagen, meine Damen und Herren, daß unsere Bemühungen, die ich wenigstens für meine Person gar nicht bestreite, auf dem Gebiete des Rundfunkwesens eine gewisse zusammenfassende Kraft zu schaffen, an der Mehrheit derjenigen Parteien gescheitert ist, die sich heute auf den Standpunkt stellen, daß der Bund doch zuständig sei. Es bestand — ich wiederhole es — eine eindeutige Vereinbarung, daß nur für die Zahl der Rundfunkanstalten, für den technischen Aufbau der Anstalten und für die Wellenverteilung der Bund vielleicht Zuständigkeiten bekommen sollte — auch das ist dann nicht aufgenommen worden , niemals aber für die Trägerschaft und niemals für das Programm.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.
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7008 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Menzel, im Parlamentarischen Rat ist vieles und vielerlei hin und her geredet worden, und sicherlich hat jede Seite des Hauses die Möglichkeit, diesen oder jenen Satz zu zitieren. Über diese Frage aber ist im Parlamentarischen Rat abgestimmt worden, und zwar im Hauptausschuß. Der damalige Vorsitzende des Ausschusses war Prof. Carlo Schmid. Zur Abstimmung stand die Ausschußvorlage: Art. 73 Ziff. 7
— Post- und Fernmeldewesen —, und es lag vor der Vorschlag des Abgeordneten Laforet, der lautete: Post- und Fernmeldewesen einschließlich des technischen Rundfunks. Der Vorsitzende Prof. Carlo Schmid ließ abstimen mit den Worten: „Ich lasse zunächst über den weitergehenden Antrag abstimmen", und er ließ abstimmen über „Post- und Fernmeldewesen". Nun, Herr Kollege Menzel, solange zweimal zwei vier ist, geht daraus hervor, daß „Post- und Fernmeldewesen", was den Rundfunk anlangt, mehr zum Inhalt haben muß, als „Post- und Fernmeldewesen einschließlich des technischen Rundfunks".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Heck, glauben Sie wirklich, daß man unter dem Begriff „technischer Rundfunk" die Hoheit, die Trägerschaft der Rundfunkanstalten und vor allem das gesamte kulturpolitische Programm verstehen kann? Meinen Sie wirklich, die Kulturpolitik lasse sich unter den technischen Begriff stellen?
Herr Kollege Menzel, darum handelt es sich in diesem Augenblick nicht. Es ist von Herrn Kollegen Wittrock geradezu als absurd hingestellt worden, Rundfunk irgendwie mit dem Begriff „Fernmeldewesen" zu erfassen. Ich stelle fest, daß im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rats abgestimmt worden ist. Ich habe die Folgerung gezogen: „Post- und Fernmeldewesen" muß nach dem Willen der Mehrheit des Hauptausschusses für den Rundfunk mehr bedeuten als „technischer Rundfunk".
— Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Heck, haben Sie dabei berücksichtigt, daß der damalige Abg. Dr. Laforet ausschließlich von der Erwägung ausging, den Begriff „technischer Rundfunk" zur Legalinterpretation in das Grundgesetz aufzunehmen, daß er aber dann auf eine Antragstellung zu diesem Punkt verzichtete, so daß dann nur über die ursprüngliche Vorlage abzustimmen war, ohne daß es in der Diskussion möglich war, den Begriffsinhalt „Post- und Fernmeldewesen" näher zu klären? laben Sie dabei berücksichtigt, daß z. B. in der
Debatte ausdrücklich gesagt wurde, das Erforderliche werde sich in der Abstimmung ergeben? Haben Sie dabei weiterhin berücksichtigt, daß dann in der Abstimmung kein entsprechender Antrag vorlag?
Das war eine sehr lange Debatte,
in der im allgemeinen nur eines zum Ausdruck kam. Sie kennen, wie ich sehe, die Protokolle sehr genau. Dann wissen Sie, daß diese Frage im Zuständigkeitsausschuß und im Hauptausschuß sehr sorgfältig diskutiert worden ist. Nur die Abgeordneten Laforet und Kleindinst haben die Auffassung vertreten, daß der Bund mit Rundfunkangelegenheiten nichts zu tun haben solle. Nur die Abgeordneten Laforet und Kleindinst haben am Schluß versucht, die Kompetenz des Bundes auf ,das Technische einzugrenzen. Es ist richtig, daß der Abg. Laforet den Antrag zurückgezogen hat. Offensichtlich war es aber die Auffassung des amtierenden Vorsitzenden
— die ohne Widerspruch hingenommen worden ist —, daß nach dem Verlauf der Debatte im Zuständigkeitsausschuß und im Hauptausschuß die Formulierung „Post- und Fernmeldewesen" weiterging als die Formulierung „Post- und Fernmeldewesen einschließlich des technischen Rundfunks". Sonst hätte der Vorsitzende nicht nach der Erklärung: „Ich lasse zunächst über den weitergehenden Antrag abstimmen" über „Post- und Fernmeldewesen" abstimmen lassen.
Noch eine kurze Bemerkung. Es wird immer davon gesprochen, hier auf dieser Seite des Hauses und auf der Regierungsbank sitzen diejenigen, die Macht skrupellos ausnutzen, und auf der Linken sitzen diejenigen, die — ich weiß nicht, was ausüben wollen. Glauben Sie nicht, daß die Regelung des Auslandfunks, die Regelung des Deutschlandfunks politisch so wichtige Aufgaben sind, daß .man hier auch von Verantwortung sprechen kann und nicht nur von Macht?
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über ,den § 1. Ich kann wohl über ,die §§ 1, 2 und 3 gemeinsam abstimmen lassen. Ist das Haus einverstanden? — Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen ? —Ich stelle einstimmige Annahme fest.
— Ich weiß nicht, wodurch ich mir Ihren Beifall verdient haben könnte.
— Ich habe gebeten, daß, wer mit den §§ 1, 2 und 3 einverstanden sei, das Handzeichen geben möge.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7009
Vizepräsident Dr. Schmid— Eine Gegenstimme.
— Ich habe keine gesehen. Es tut mir leid, Ihnen nicht folgen zu können. Ich habe die Frage gestellt; eventuellen Nein-Stimmen wurde kein Ausdruck gegeben.
Ich versuche, meine Pflichtredlich zu tun. Ich habe jedermann Gelegenheit gegeben, sein „Nein" zum Ausdruck zu bringen. Es hat sich jedoch auf meine Frage keine Hand erhoben.Zu § 4 liegen Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 688 Ziff. 1, und Lauf Umdruck 673. Der Antrag Umdruck 673 betrifft eine Änderung des Textes der Ausschußvorlage, der Antrag Umdruck 688 (neu) Ziff. 1 will einen weiteren Absatz hinzufügen.Wird ,das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst bedauern, daß der Herr Bundesinnenminister bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht anwesend ist. Der Herr Bundespostminister saß zeitweise
auf seinem Platz — ja, als Abgeordneter —, aber ich entnehme daraus noch nicht, daß die Zuständigkeit ganz auf das Ressort Post-und Fernmeldewesen übergegangen ist. Wie gesagt, ich hätte gewünscht, daß der Herr Bundesinnenminister selber bei einem so wichtigen Gesetz anwesend wäre.In ,der ersten Lesung in diesem Hause hat der Herr Bundesinnenminister sich sehr entschieden dagegen verwahrt, daß die Absichten der Bundesregierung bei der Vorlage dieses Gesetzes etwas mit Macht oder Machtansprüchen zu tun hätten. Auch Herr Kollege Dr. Heck hat eben noch einmal so schön an 'die Verantwortung der Regierung erinnert. Ich möchte wünschen, Herr Dr. Heck, daß bei der Anwendung der Macht überhaupt — und nicht nur bei dieser Materie — die Regierung sich ihrer Verantwortung bewußt ist. In einem demokratischen Staat sollte die Verantwortung zu der Anwendung der Macht gehören. Aber damals stellte es der Herr Bundesinnenminister so dar, als ginge es nur um ein Ordnungsproblem, und er zürnte uns sehr, daß wir es überhaupt in einen politischen Zusammenhang gestellt hatten. Ich glaube, das sollte man nicht tun. Der Rundfunk ist eine außerordentlich politische Angelegenheit, und er ist ein Machtinstrument ersten Ranges.Da es vielleicht schwer ist, in diesem Hause über das Problem der Macht miteinander zu reden, möchte ich eine Stimme eines Nichtpolitikers, eines Juristen zitieren, — ohne auf ,den Juristenstreit über die Zuständigkeit weiter eingehen zu wollen; denn diese Frage wird in Karlsruhe zu entscheiden sein, wenn sie zur Entscheidung gestellt wird, undnicht in diesem Hause. Es könnte nützlich sein, damit aufzuhören, so zu tun, als hätten diese Dinge nichts mit Macht oder nicht in erster Linie mit Macht und Politik zu tun. Lassen Sie mich deshalb einiges aus dem Gutachten von Professor Krüger zitieren, nämlich das, was er über 'diesen Teil sagt. Ich lasse seine Schlußfolgerungen über Zuständigkeiten von Bund und Ländern hier aus, weil sie mit ,dem § 4, zu dem ich den Änderungsantrag zu begründen habe, nicht unmittelbar etwas zu tun haben. Er sagt:Macht ist heute mehr denn je nicht eine Angelegenheit der äußeren Machtmittel, sondern ein . . . psychisches Phänomen. Sie ist die Möglichkeit ihres Trägers, das Denken und Fühlen anderer Menschen im eigenen Sinne maßgebend zu bestimmen. Die Innehabung und die Ausübung einer dergestalt verstandenen Macht ist in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten durch dreierlei gekennzeichnet: Macht hat sich in ihren Mitteln ungemein verfeinert; sie hat zweitens verstanden, sich unsichtbar zu machen: vor allem aber ist es ihr gelungen, ihre durch die beiden ersten Veränderungen ohnehin unvergleichlich gesteigerte Wirksamkeit und Wirkung zudem zu einer vom Adressaten unbemerkten zu machen.Zweierlei kommt hinzu, um diese Lage zu verschärfen: Der moderne Mensch als „außengeleiteter" ist für Fremdbestimmung besonders empfänglich. Und zweitens: Anders als Kanonen, Panzer und dergleichen äußere Machtmittel stehen die verfeinerten, unsichtbaren, unmerklichen Machtmittel nicht nur dem Staate, sondern jedermann, also auch den Kräften der Gesellschaft zu Gebote.In diesen Zusammenhang muß auch der Rundfunk und erst recht das Fernsehen gestellt werden: Der Rundfunk muß heute in erster Linie als eine unvergleichliche Möglichkeit gewürdigt werden, Macht zu bilden und Macht auszuüben.Dem Staat steht das Monopol der Macht jedenfalls insoweit zu, als es sich um unwiderstehliche Macht handelt, wobei Unwiderstehlichkeit nicht nach der Art der Mittel, sondern nach dem Grad der Wirkung zu bestimmen ist. Das Staatsmonopol umfaßt daher auch geistige Macht, wenn sie unwiderstehlich wirkt. Unmerkliche Macht ist ihrer Natur nach als unwiderstehliche anzusehen, weil ihre Opfer gar nicht erst auf den Gedanken kommen, ihr zu widerstehen: Sie wollen von vornherein das, was der Mächtige will, sie beugen nicht etwa erst ihren Willen dem Willen des Mächtigen.Das staatliche Monopol auch geistiger Macht von Unwiderstehlichkeit braucht dann nicht aktualisiert zu werden, wo mehrere nichtstaatliche Mächte dieser Art in wirksamer Konkurrenz miteinander stehen und ihre Wirkungen sich dadurch balancieren und neutralisieren. Diese marktwirtschaftliche Art der Paralysierung von unwiderstehlicher Macht mag für die Presse vielleicht wirksam sein. Für den Rundfunk jedoch besteht diese Möglichkeit nicht.7010 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960BlachsteinUnter diesen Umständen fällt der Rundfunk in das staatliche Machtmonopol. Hier kann jedoch dieses Monopol nur in einer ganz besonderen Art und Weise verwirklicht werden. Denn: zwar darf der Rundfunk nicht in die Hände gesellschaftlicher Kräfte fallen. Er darf aber auch nicht in unmittelbarer staatlicher Verwaltung geführt werden. Er bedarf nämlich der Neutralisierung auch gegenüber dem Staat, sofern dieser Parteienstaat ist. Diese Neutralisierung des Machtinstruments „Rundfunk" gegenüber den gesellschaftlichen Kräften u n d gegenüber dem Parteienstaat, die zugleich die Möglichkeit einer geordneten und gleichberechtigten Nutzung der Sendemöglichkeiten für den Staat und diese Kräfte erschließen muß, läßt sich schwerlich anders bewirken als durch die Schaffung einer abgesetzten Verwaltungseinheit, deren Neutralität durch die Heranziehung aller Kräfte zur Willensbildung gesichert ist.Der Rundfunk ist, politisch-gesellschaftlich gewürdigt, ein Machtmittel von breitester und stärkster Wirkungskraft. Er ist daher nicht dem Postregal, sondern dem Machtregal zuzuordnen, der ausschließlich dem Staat, d. h. in der Demokratie dem ganzen Volk vorbehaltenen Befugnis, unwiderstehliche Macht zu bilden, innezuhaben und einzusetzen.Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte das lange Zitat. Aber ich glaube, daß es nützlich ist, gegenüber den Versuchen der Verniedlichung dessen, was hier geschieht, einfach darauf aufmerksam zu machen, daß politisch etwas sehr Entscheidendes mit dieser Gesetzgebung vorgenommen wird, was auch nicht dadurch wesentlich verändert wird, daß man zunächst ein bißchen begonnen hat. Wenn das durchgeht — und dazu wird in der dritten Lesung noch etwas zu sagen sein —, wird der Appetit auf der Regierungsbank wachsen und werden wir in den nächsten Jahren neue Vorlagen auf dem Wege zu mehr Macht für den Bund bekommen.Ich war von den Vorwürfen des Bundesinnenministers bei der ersten Lesung noch tief beeindruckt, als ich die Äußerungen des Kollegen Höcherl las, der also auch sündig geworden ist — wie wir offenbar alle — und die Absichten des Bundesinnenministers offenbar gründlich mißverstanden hat. Er hat am Sonntag auf einer Veranstaltung — ich glaube seiner Partei — verkündet, es würde nun endlich der Weg dafür geöffnet, daß die Leistungen der CDU/CSU im Fernsehen auch wirklich zur Geltung kommen und dem erstaunten deutschen Publikum nahegebracht werden.Man hat versucht, ein bißchen Objektivität da hineinzubringen. Ja, wenn die Regierung sich selbst darstellt, wird doch niemand daran zweifeln, daß das höchst objektiv ist, was sie darstellt. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet sind so, daß wir sehr genau wissen, wie und wozu die Instrumente, von denen hier die Rede ist — wir wissen das aus sehr bitteren Erfahrungen aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart, aber auch aus unserem eigenen Bereich —, verwendet werden können.Im übrigen, Herr Kollege Höcherl, klang es von der CSU in diesem Hause einmal anders. Ich möchte mit einem Wort des letzten sächsischen Königs, es etwas abwandelnd, sagen: Ihr seid mir schöne Föderalisten! Ich will gar nicht zitieren, was Herr Dr. Jaeger damals bei dem Vogelsehen Antrag gesagt hat. Sie wissen ja — ob Sie es mit Ihrer politischen Überzeugung vereinbaren können, heute diesem Gesetz zuzustimmen, ist nicht meine Sorge, sondern eher Anlaß zur Heiterkeit —, wie selbst, wenn es um die Möglichkeiten der CDU/CSU im Wahlkampf geht, die föderalistischen Grundsätze ein wenig beiseitegeschoben werden.Lassen Sie mich nun zum § 4, zu der merkwürdigen Formulierung „Mitteilungen von öffentlichem Interesse" kommen. Hier wird den Regierungen.—es geht wohlgemerkt nicht nur um die Bundesregierung, es geht auch um die Landesregierungen — das Recht eingeräumt, Gesetze, Verordnungen und Mitteilungen von öffentlichem Interesse im Rundfunk zu verbreiten. Es ist ihnen dafür unverzüglich Sendezeit einzuräumen.Was sind eigentlich „Mitteilungen von öffentlichem Interesse"? Bestimmt das der Minister? Bestimmt das der Ministerpräsident, oder wer? Wer sagt uns, was von öffentlichem Interesse ist? Es wäre verständlich, wenn Sie neben Gesetzen und Verordnungen amtliche Bekanntmachungen oder amtliche Mitteilungen vorgesehen hätten. Niemand wird etwas dagegen haben, daß im Falle des Einsturzes einer Brücke die Öffentlichkeit aufgefordert wird, einen anderen Weg zu wählen, oder bei einer Katastrophe irgendwelche notwendige Mitteilungen an die Öffentlichkeit ergehen. Aber dafür gibt es doch sehr deutliche und sehr präzise Ausdrücke und nicht den reichlich verschwommenen, reichlich ungenauen und, wie ich glaube, mit politischer Absicht so verschwommen und ungenau formulierten Terminus„ Mitteilungen von öffentlichem Interesse".Ich hoffe, daß es möglich ist, über diesen Punkt nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Regierungskonstellation in Bonn zu reden; denn hier steht: Bundesregierung und Landesregierungen. Uns stört beides, obwohl es einige Landesregierungen gibt, die von Sozialdemokraten geführt werden, und man sagen könnte: Ihr könnt also in den Ländern den gleichen Brauch oder Mißbrauch — wie Sie wollen —praktizieren.Wir wollen aber den Rundfunk nicht zu einem Instrument der permanenten Regierungspropaganda machen, weder in Bonn noch in den Landshauptstädten, weder dort, wo die CDU/CSU regiert oder führt, noch dort, wo wir es tun. Denn wir glauben, daß die Opposition im Bund oder in den Ländern im Rundfunk die gleichen Chancen und die gleichen Möglichkeiten haben muß wie die Regierung. Jede demokratische Kraft in diesem Lande sollte die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten bei der Vertretung ihrer Meinung in der Öffentlichkeit und durch den Rundfunk erhalten.Mit dieser Kautschukformulierung wird Landesregierungen oder der Bundesregierung ein Weg geöffnet, im Rundfunk Mitteilungen von öffentlichem Interesse, vielleicht über ein geplantes Gesetz, viel-
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Blachsteinleicht über geplante Maßnahmen, vielleicht über irgendwelche Absichten an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne daß die übrigen demokratischen Kräfte die gleiche Möglichkeit haben.Wir wenden uns nicht dagegen — das glaubte man uns früher einmal vorwerfen zu können —, daß die Regierung im Rundfunk spricht. Auch die Regierungen müssen die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu wichtigen Dingen im Rundfunk zum Ausdruck zu bringen, aber nicht als Sonderrecht, nicht als Privileg, nicht als Vorrecht, für dessen Verwirklichung unverzüglich Sendezeit zur Verfügung zu stellen ist, sondern so, daß eine ausgeglichene Information der Öffentlichkeit gewährleistet ist, indem alle demokratischen Kräfte in gleicher Weise ihre Meinungen vertreten können.Wenn man hier nicht ein Vorrecht für die Regierung festlegen will, müßte man nach unserer Meinung den § 4 durch einen zweiten Absatz ergänzen. Dieser Abs. 2 soll nach unserem Antrag auf Umdruch 688 Ziffer 1 folgendermaßen lauten:Sprechen Angehörige der Regierung oder ihre Beauftragten im Rahmen der den Regierungen zur Verfügung gestellten Sendezeiten zu Fragen, die Gegenstand des politischen Meinungsstreites zwischen den Parteien sind, so haben die in § 5 bezeichneten Parteien, die einen davon abweichenden Standpunkt vertreten, das Recht auf entsprechende Sendezeit zur Darlegung ihrer Stellungnahme.Mit dieser Formulierung würde, glaube ich, sichergestellt, daß alles, was wirklich in die Kornpetenz der Regierung und in ihren Aufgabenbereich als Exekutive fällt, geschehen kann. Alles, was politisch umstritten ist, müßte dagegen unter dem gleichen Recht, unter den gleichen Bedingungen, mit den gleichen Chancen für die Regierung und die übrigen demokratischen Kräfte in unserem Lande im Rundfunk vertreten werden können.Wir bitten Sie, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Wir glauben, daß wir damit den Regierungen, der Bundesregierung und den Landesregierungen, das geben, was sie brauchen, daß wir auf der anderen Seite wirklich Garantien für eine objektive Berichterstattung und für eine ausgeglichene Meinungsäußerung im Rundfunk auch in der Zukunft schaffen. Wir hoffen, daß Sie diesem Antrag Ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Blachstein hat mir eine zentralistische Sünde vorgehalten. Daher darf ich doch einige Dinge richtigstellen. Hier handelt es sich nicht um das Fernsehen — über das ich in Erlangen ausschließlich gesprochen habe —, sondern wir haben hier über die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk zu beraten, zwei Gegenstände, die rechtlich nicht, wie das bereits geschehen ist, nur unter einem Gesichtspunkt beurteilt werden dürfen. Vielmehr spielen hier außenpolitische und gesamtdeutsche Gesichtspunkte eine hervorragende Rolle. Diese können durchaus eine andere rechtliche Beurteilung zulassen. In Erlangen habe ich vor meiner Partei über Fernsehfragen gesprochen. Ich darf, Herr Blachstein — Sie konnten nicht anwesend sein; und wenn man sich nicht genau infomiert, passiert es häufig, daß man falsch zitiert —, kurz noch sagen, was ich da eigentlich ausgeführt habe.Ich habe in erster Linie von den großen Leistungen der CDU/CSU in diesen elf Jahren gesprochen. Ich war der Meinung, daß es kaum einen anderen deutschen Geschichtsabschnitt gibt, in dem eine solche Leistung vollbracht worden ist. Ich nehme an, daß das Ihre Zustimmung findet. Sie hatten ja Gelegenheit, diese Leistungen vor allem auch durch Widerstand zu begleiten.
Dann habe ich zum Ausdruck gebracht, daß nach meinem Eindruck aus dem Umstand, daß da und dort bei Kommunal- und Landtagswahlen das Lager der SPD gelegentlich verstärkt worden ist, diese Leistungen nicht so dargestellt worden rind, sie das eigentlich verdient hätten; sonst wäre ein solcher Gesinnungswandel absolut unverständlich.
Ferner habe ich den Verdacht ausgesprochen, dies könne vielleicht daher kommen, daß gewisse Publikationseinrichtungen, sei es auf dem Gebiet der Presse, sei es auf dem des Fernsehens oder des Rundfunks, ihrer Informationspflicht vielleicht nicht ganz so nachkommen, wie es den Leistungen und der Objektivität angemessen wäre.Ich habe die Hoffnung ausgedrückt, daß wir durch das neue, zweite Fernsehprogramm, durch das Konkurrenzprogramm — wir sind doch alle, nachdem Sie sich selbst für eine freiheitliche Wirtschaftsauffassung nach einigen Jahren Lehrzeit entschlossen haben, der Meinung, daß die Konkurrenz das Geschäft sehr belebt —, auf dem Gebiet der Information erhebliche Fortschritte erreichen werden, so daß die Dinge dann vielleicht doch so erkannt werden, wie sie von Ihnen — das möchte ich Ihnen gar nicht zumuten — nicht dargestellt werden, aber vielleicht auch nicht mit dem erforderlichen Maße an Objektivität hier zur Geltung gekommen sind.Weiter habe ich gesagt, daß es richtig wäre, das zweite Fernsehprogramm gemeinsam mit den Ländern, und zwar durch Vertragsverhandlungen, zu gestalten. Ich glaube durchaus noch im Rahmen des Föderalismus zu reden. Sie befinden sich ja zur Zeit in einer interessanten Phase des Zweckföderalismus im Hinblick auf das Jahr 1961.
Daß uns das nicht ganz überzeugt, dürfen Sie uns nicht übelnehmen. Ich gehöre der Kommission an, die diese Verhandlungen sehr geduldig und schon seit geraumer Zeit führt. Ich glaube, daß wir in absehbarer Zeit zu einer vertraglichen Einigung mit den Ländern kommen werden. Es kommt natürlich
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Höcherlsehr darauf an, ob Sie dann gerade im Rahmen des Zweckföderalismus auf Ihre Länder so viel Einfluß besitzen, daß die Vorschläge, die ungefähr diesem Gesetz entsprechen, angenommen werden.Das habe ich gesagt, und das wußten Sie alles nicht genau. Das ist die berühmte Katze aus dem Sack. Der Sack war vollkommen leer. Es war überhaupt keine Katze darin. Ich bin der Meinung, Herr Barsig hat Ihnen eine falsche Katze vorgezeigt, und darauf sind Sie hereingefallen.
Das Wort hat der Abgeordnete von Mühlen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz unseren Änderungsantrag zu § 4 begründen und dabei darauf verzichten, dies zum Anlaß zu nehmen, die Debatte um einen weiteren Beitrag in Sachen „Machtpsychologie im Hinblick auf den Rundfunk" auszudehnen. Kurz zur Sache!
Darüber, daß den Regierungen in Bund und Ländern ein Recht eingeräumt werden muß, ihre Gesetze, Verordnungen usw. auch über den Rundfunk möglichst rasch an die Bevölkerung heranzutragen, bestand auch im Ausschuß kein Zweifel. Im Ausschuß haben wir darüber eingehend diskutiert und wir waren uns einig, daß es notwendig ist, dieses Recht klar zu umreißen. Vielleicht ist die Formulierung „Mitteilungen von öffentlichem Interesse" — diesen Eindruck haben wir damals gewonnen — nicht ganz das, was ,den Nagel auf den Kopf trifft. Wir Antragsteller glauben deshalb, daß unser Änderungsantrag eine Formulierung vorsieht, die das Verlautbarungsrecht der Regierung im Rahmen des Gesetzes soweit als möglich klar definiert und abgrenzt. Deshalb schlagen wir vor, statt „Mitteilungen von öffentlichem Interesse" die Formulierung „Verlautbarungen ihren Aufgaben entsprechend" in den § 4 zu übernehmen. Mit dieser Änderung dürfte auch der Änderungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Anfügung eines Abs. 2 weitgehend hinfällig werden. Ich bitte Sie deshalb, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Staatssekretär Dr. Anders.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einige wenige Worte zu dem Antrag zu § 4 Abs. 2, den Herr Abgeordneter Blachstein begründet hat. Ich glaube, Herr Abgeordneter Blachstein hat übersehen, was in der Begründung der Regierungsvorlage über die Bedeutung des § 4 steht. In der Begründung steht ausdrücklich, daß § 4 das Verlautbarungsrecht von Bundesregierung und Landesregierungen entsprechend den Regelungen in den neueren Rundfunkgesetzen der Länder behandelt. Es heißt dort weiter:
Das Recht besteht nur für Verlautbarungen im Rahmen der Regierungstätigkeit, nicht dagegen für parteipolitische Auseinandersetzungen.
Ich habe seinerzeit — ich glaube allerdings, Herr Abgeordneter Blachstein war in der Sitzung nicht zugegen — als Beispiel die hessische Regelung zitiert. Da heißt es in dem betreffenden § 3 Abs 5:
Die Landesregierung hat das Recht, Gesetze, Verordnungen und andere wichtige Mitteilungen durch den Rundfunk bekanntzugeben.
Das ist nichts anderes, als hier in § 4 der Regierungsverlage steht.
Man hat im Ausschuß darüber debattiert, ob vorzusehen sei, daß zu diesen Erklärungen Stellung genommen werden könnte, hat dann aber eine solche Regelung abgelehnt. Im übrigen hat man zur Verdeutlichung beschlossen, hinter „Mitteilungen" einzufügen: „von öffentlichem Interesse".
Die Fassung, die jetzt seitens der FDP vorgeschlagen wird, erscheint auch uns annehmbar. Es würde dann eine glückliche Übereinstimmung zwischen dem Text und der Überschrift dieses Paragraphen bestehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verlautbarung, die wir soeben von dem Herrn Staatssekretär vernommen haben, ist sehr interessant. Sie ist im Ausschuß nicht in dieser eindeutigen Form erfolgt. Wenn ich den Herrn Staatssekretär recht verstanden habe, hat er hier als Vertreter des Bundesinnenministers in aller Form erklärt, daß die Bundesregierung im Rahmen der ihr in § 4 zur Verfügung gestellten Sendezeit nicht beansprucht, als Regierung zu kontroversen Themen, die im Parteienstreit stehen, Stellung zu nehmen.Der Ausschuß ging weiter. Der Ausschuß war der Auffassung, es ,sei durchaus möglich, daß die Regierung Erklärungen abgebe, die umstritten seien. Was mein Kollege Blachstein vorgetragen hat, ist der Vorschlag für eine Formulierung, die die Frage regelt. wie dann die davon betroffene Seite rechtlich Anspruch auf Sendezeit erhalten kann.Es wäre außerordentlich interessant, wenn wir hier in aller Form und verbindlich für die Regierung erfahren könnten, daß die Regierung als Ganzes oder ein Minister nicht beabsichtigt, in kontroverse, in Diskussion befindliche Fragen im Rahmen dieser Sendezeit einzugreifen. Dann allerdings ergibt sich doch die Notwendigkeit, daß man feststellt — was von uns berücksichtigt, aber von der CDU-Mehrheit im Ausschuß abgelehnt worden ist Sprechen Minister zu im Parteienstreit stehenden Fragen in kontroverser Weise, dann müssen sie auf die Redezeiten zurückgreifen, die im Rahmen des § 5 den Parteien zur Verfügung gestellt werden. Meine Damen und Herren, wir hätten uns viel Ärger und dem Ausschuß viel Auseinandersetzung ersparen können, wenn die Regierung dort diesen Standpunkt vertreten hätte.
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Kahn
Herr Kollege Heck, Sie werden mir zugeben, daß das nicht geschehen ist. Wir haben sogar gesagt, auch wir als Opposition: Natürlich hat die Regierung das Recht, auch zu im Streit stehenden Fragen Stellung zu nehmen; natürlich hat der Herr Bundeskanzler als Chef der Bundesregierung das Recht, seine Meinung zu sagen, auch in kontroverser Form. Wenn wir die Zusicherung bekommen, daß der Herr Bundeskanzler und die Mitglieder seines Kabinetts dies in den den Parteien im Rahmen des § 5 zustehenden Sendezeiten zu tun beabsichtigen, dann ist unser Anliegen erfüllt. Das aber ist im Ausschuß niedergestimmt worden.Deshalb haben wir gesagt: Da daraus hervorgeht, daß die Regierung doch offensichtlich im Rahmen des § 4 dazu sprechen will, müssen wir eine Regelung dafür vorsehen, wie die davon betroffenen Parteien darauf antworten können. Die Mitglieder des Ausschusses werden sich entsinnen, daß, als wir sagten, die Minister sollten dann im Rahmen ihrer Parteizeit sprechen, der CDU-Minister also im Rahmen der der CDU zugebilligten Zeit, im Ausschuß sogar der Einwand gemacht wurde, es könne ja durchaus die Situation entstehen, daß ein Minister eine Auffassung vertrete, die von seiner Partei nicht in vollem Umfange geteilt werde, daß also nicht nur die Opposition, sondern auch eine Regierungspartei das Recht haben müsse, darauf zu antworten. Das haben wir in unserem Antrag — wenn Sie die Formulierung genau durchsehen, werden Sie es feststellen — berücksichtigt.Wenn also die Bundesregierung hier in verbindlicher Form erklärt, daß sie beabsichtigt, wenn sie zu Streitfragen, zu Fragen, die im innenpolitischen und zwischenparteilichen Streit stehen, Stellung nimmt, nur im Rahmen des § 5 zu sprechen, dann sind wir völlig einig. Das ist leider im Ausschuß nicht zu erreichen gewesen, und deshalb ist die nicht ganz eindeutige Erklärung des Herrn Staatssekretärs einer regierungsoffiziellen Interpretation bedürftig.Was mich aber veranlaßt hat, mich zum Wort zu melden, war das, was Herr Kollege Höcherl gesagt hat. Er meinte, der Sack sei leer. Herr Kollege Höcherl, es ist noch etwas im Sack, und ich werde Sie auch noch einmal zitieren. Lassen Sie mich aber zuvor noch sagen — daran liegt mir sehr —, daß es auch heute in den Rundfunkanstalten durchaus so ist, daß die Regierungen, auch die Bundesregierung, die Möglichkeit haben, zu politischen Fragen zu sprechen, wenn sie es wünschen. Lassen Sie mich diesem Hause, das in weiten Teilen einer voreingenommenen Meinung zu sein scheint, dieses statistische Material vorlegen: In den zehn Monaten vom 1. Januar 1959 bis zum 3. November 1959 haben die Mitglieder des Bundeskabinetts — ohne die Staatssekretäre zu zählen — in 217 Sendungen mit 144 Rundfunkerklärungen zu Fragen Stellung genommen. Es ist also nicht etwa so, wie man gelegentlich am Rande ein wenig auszustreuen versucht, daß sich die bestehenden Rundfunkanstalten den sehr legitimen Anliegen der Regierung, sich zu Dingen des öffentlichen Interesses zu äußern, verschlössen.Worauf es uns ankommt, ist ganz einfach, eine Regelung zu sichern, die in ihrem Inhalt derjenigen entspricht, die man in England getroffen hat: daß die beiden Seiten, die Regierung und die Opposition, fair und gleichgewichtig um die Zustimmung des Volkes ringen können, nicht nur unmittelbar vor den Wahlen in den den Parteien zur Verfügung gestellten Sendezeiten, sondern über die ganze Legislaturperiode hinweg. Das wird in England so folgerichtig betrieben, daß beispielsweise im letzten Wahlkampf auf neun Konservativen-Sendungen neun Labour-Sendungen kamen und die Minister der Regierung im Rahmen der Sendezeit der Konservativen zur Geltung kamen.
— Im Wahlkampf, aber auch sonst! Lassen Sie mich zitieren, was Sir Ivone Kirkpatrick, der ja von Ihnen gern zitiert wird, wörtlich erklärt hat: „Selbst wenn Macmillan aus den USA kommt und seine Gespräche schildert, erhält die Opposition das Recht auf gleiche Zeit." Sie sehen, dort ist es ganz klar, daß man fair und gleichgewichtig vorgeht.Wir wissen alle, daß das in Deutschland sehr viel schwieriger ist, aus zum Teil verhängnisvollen Traditionen, aus der Staatsauffassung, die sich bei uns in Generationen gebildet hat und die auch in der öffentlichen Meinung gelegentlich zu der Auffassung führt, die Opposition sei nicht genauso wie die Regierung eine notwendig zur Demokratie gehörende Kraft, sondern etwas Zweitrangiges. Die Engländer haben aus dieser Gleichgewichtigkeit, aus der heraus allein Demokratie funktionieren kann, diese Schlußfolgerungen abgeleitet.Aber nun zum Herrn Kollegen Höcherl. Herr Kollege Höcherl, mein Freund Blachstein hat hier etwas an Ihrem Zitat als Beispiel hingestellt. Wir haben das Zitat aus ,der Presse genommen. Sie haben es hier ein wenig so darzustellen versucht, als hätte die Presse Ihre Rede nicht korrekt wiedergegeben. Ich habe ein wenig das Gefühl: wenn einem eine über die Zunge gerutschte Erklärung nachher bei sorgfältiger Überprüfung nicht paßt, macht man gern die Berichterstattung verantwortlich. Aber nehmen wir diesmal ein paar Zitate, die im Wortlaut belegbar sind.Da haben wir eine Meldung vom 18. November 1959 aus den „Düsseldorfer Nachrichten", ,eine von dpa im Wortlaut wiedergegebene Äußerung Ihres CDU-Kollegen Schneider, der erklärt hat, dem Rundfunk müsse endlich verwehrt werden — und jetzt Gänsefüßchen —, „alles das, was die Regierung tut, zu kritisieren." Ich glaube, das geht einfach nicht. Das kann man dem Rundfunk nicht verwehren. Man muß natürlich dafür sorgen, daß es nicht nur Kritik gibt; es muß auch die Verteidigung geben. Aber es muß eine Gleichgewichtigkeit ,geben. Es geht nicht an, zu sagen: Es muß dem Rundfunk untersagt werden, das, was die Regierung tut, zu kritisieren.
— „Alles" — ja, es muß ihm möglich sein, alles zukritisieren, warum nicht? —, was er als kritisierenswert empfindet. Aber es muß eine faire Gleichge-
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Kühn
wichtigkeit gegeben sein. Ich glaube, zu jeder Kritik gehört dann auch das Recht auf die positive Darstellung.
— Sie können mir kein Beispiel nennen, daß, wenn die Regierung bei einer der bestehenden Rundfunkanstalten Sendezeit beansprucht hätte, sie ihr jemals verweigert worden wäre.
— Das ist ein anderes Problem; wir werden vielleicht noch darauf kommen. Ich bin sicher, daß in einem späteren Zeitpunkt auch das Problem „Kabarett" noch aufkommt. Ich habe auch dazu noch einiges zu sagen. — Aber lassen Sie mich zunächst einige dieser Zitate aneinanderreihen.Der Kollege Kroll , der sich bei seinen Interventionen gern der Plattform der Moralischen Aufrüstung bedient hat,
hat im „Rheinischen Merkur" am 6. Februar 1959 geschrieben:Wohl aber dürfte es eine Selbstverständlichkeit sein, daß die Informationen und Kommentare mit den politischen Absichten und Zielen einer jeweiligen Regierung abgestimmt werden müssen.
Es ,geht nicht an, in den Sendungen einer solchen Anstalt etwa gegen die Regierung zu polemisieren oder durch ungeschickte Nachrichten oder Kommentare politische Verwicklungen oder auch nur Verstimmungen im Ausland zu erregen.Also: „Lex Soraya" und was da alles einmal eine Rolle gespielt hat. Meine Damen und Herren, das ist völlig unvertretbar, weil das ein Maulkorbgesetz provozieren würde, weil das Zensurmaßnahmen bedeutet.
— Das hat mit § 4 sehr viel zu tun, weil in allen diesen Zitaten sichtbar gemacht wird, daß eine Einseitigkeit in der Darstellung, in der Quantität wie in der Qualität, gefordert wird. Das ist das, was wir vermieden wissen wollen.Denken wir doch an eine Geschichte damals, als im Fernsehen die Darstellung des Lebens Chruschtschows gewagt wurde. Niemand wußte, wie das aussehen würde; jeder wußte aber, daß es von einem Journalisten gemacht war, der eher der Regierung nahesteht, bei dem man also nicht vermuten konnte — das wäre für diesen Mann gewiß eine Beleidigung gewesen —, daß er etwa versuchen werde, eine positive Chruschtschow-Illustration ins Fernsehen zu bringen. Da hat Ihr Kollege Riedel in Frankfurt erklärt, diese Art von Programmgestaltung, wie sie das Deutsche Fernsehen mit der Chruschtschow-Sendung offenbare — sie war, wohlgemerkt, noch gar nicht gelaufen, er also in völliger Unkenntnis -, fordere die Notwendigkeit eines privaten Fernsehens gerade heraus. Die instinktlose — ich darf weiter zitieren — Zumutung der Chruschtschow-Sendung sei eine Verhöhnung der Deutschen in der Sowjetzone. Es sei einfach Heuchelei, wenn unsere Rundfunk- und Fernsehkommentatoren sich bei jeder Gelegenheit über die deutsche Schuld während der Nazizeit elegisch verströmten und zu den Menschenschändungen der Sowjets schwiegen. — Es ist einfach eine Beleidigung für die Programmgestaltung in den deutschen Rundfunkanstalten und Feinsehanstalten, zu behaupten, daß sie über die Menschenschändungen der Sowejts schwiegen. Das ist einfach eine bösartige Unterstellung!
Das ist entweder sträfliche Ignoranz, weil dieser Kollege eben keinen Apparat besitzt, oder es ist noch sträflichere Brunnenvergiftung! Solange die 17 Millionen in der Sowjetzone unter sowjetischer Herrschaft ständen, so führte er weiter aus, sei es einfach eine Unmöglichkeit, den bolschewistischen Tyrannen in einer Abendsendung würdigen zu wollen. Lassen Sie mich ganz ruhig die Frage stellen, ob es nicht eigentlich umgekehrt richtig ist: Gerade weil 17 Millionen Deutsche noch unter der Sowjetgewalt stehen, müssen wir uns ein zutreffendes Bild des dort gegen uns operierenden Gegners machen, ohne Beschönigungen und ohne Verzerrungen, denn sonst wäre es Selbstbetrug.Schauen Sie, war es nicht eine politische Notwendigkeit, Chruschtschow in seiner Pariser Pressekonferenz auch auf die Bildschirme des Fernsehens zu bringen? War das nicht durch die Selbstdarstellung, die er gab, eine alle beeindruckende, wachrüttelnde Interpretation seiner Politik? Wer hat das Recht, zu sagen, das dürfe nicht sein? Gerade weil 17 Millionen drüben der sowjetischen Herrschaft unterworfen sind, haben wir uns damit zu beschäftigen, müssen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.Herr Kroll hat dann — und darauf bezog sich, was ich gesagt habe — auf der Konferenz der Moralischen Aufrüstung in Caux, auch fernab, ohne die ganze Darstellung zu kennen, eine Verlautbarung von sich gegeben, die hier uninteressant wäre, die ich gar nicht vorzulesen brauchte, wenn sie nicht durch die Veröffentlichung im Bulletin der Bundesregierung gewissermaßen eine höhere Weihe erfahren und damit den Charakter einer regierungsoffiziösen Stellungnahme bekommen hätte. Darin erklärt er wörtlich:Objektivität und Information sind in einem solchen Falle billige Ausreden von Leuten, die schon in das Fangnetz der anderen Ideologie geraten sind.
Das einem Journalisten gegenüber, ohne die Sendung zu kennen, aber sehr wohl den Mann kennend und wissend, daß er nicht uns, sondern in seinen
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Kühn
Grundauffassungen Ihnen nahesteht, ist einfach eine Haltung, die mir mehr der Aufrüstung als der 'der Moral zu entsprechen scheint!
Lassen Sie mich zum Abschluß das CDU-Blatt „Ruhr-Nachrichten" vom 4. November 1959 zitieren, nach 'dem Ministerpräsident Meyers von Nordrhein-Westfalen gesagt hat, der Bundesregierung komme es auf ein Zweites Programm bestimmter Fasson an. Was hier „bestimmter Fasson" heißt, wird sich jeder vorstellen können.Nun komme ich zu Ihnen, Herr Kollege H ö -c h e r 1. Die „Frankfurter Rundschau" hat am 21. Dezember 1959 geschrieben — und das ist von einer den Regierungsabsichten nahestehenden Rundfunkkorrespondenz abgedruckt worden und undementiert geblieben —, Sie hätten gesagt:Wir wollen, •daß eine konservative Gruppe, die staatspolitisch richtig liegt, Kontrastprogramme machen kann.Die staatspolitisch richtig liegt! Das ist nie dementiert worden.
— Tut mir schrecklich leid, es steht so in der Zeitung. Ich bin Ihnen aber dankbar, wenn Sie sagen, nichts liege Ihnen ferner als das.
— Aber vielleicht zu denen der der CDU nahestehenden Funkkorrespondenzen, wenn Sie sich schon mit dieser Frage auf Konferenzen Ihrer Partei beschäftigen.Auch der von Ihnen eben zitierte Intendant des Süddeutschen Rundfunks und ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Bausch hat erklärt, die CDU hoffe, mit 'diesem Gesetz -„andere, ihr gewogene Kräfte in das publizistische Spiel zu bringen". Lassen Sie mich nichts anderes sagen als: in all diesen Zitaten wird doch deutlich, daß man in 'den Möglichkeiten, dieses Instrument politisch zu gebrauchen, einseitige Absichten verfolgt.Ganz am Rande noch ein Wort zu einer pikanten Einzelheit, die an diese Stelle gehört. Im Rahmen der außenpolitischen Debatte hat es damals im außerparlamentarischen Raum Fortsetzungen gegeben. Dazu gehörte auch ein Schreiben von etwa zwei Dutzend der CDU- und CSU-Abgeordneten dieses Hauses an den Westdeutschen Rundfunk mit der Aufforderung, der Westdeutsche Rundfunk solle die Herren Erler und Schlamm zu einer Diskussion herausfordern. Was soll werden, wenn das Mode wird, wenn Abgeordnete gruppenweise hingehen und von den Rundfunkanstalten verlangen, daß sie bestimmte Partner zu einer Diskussion auffordern? Setzen Sie sich mit den Herren zusammen und fragen Sie sie, ob sie miteinander diskutieren wollen. Auf vielen Wegen, die in diesem Hause möglich, sind, kann man versuchen, das zu erreichen. Aber man sollte nicht mit Briefen undTelegrammen an Rundfunkanstalten operieren und sagen: Wir hier — ein paar Dutzend Unterschriften —, Abgeordnete, wünschen, 'daß eine Rundfunkanstalt spezifisch von uns nominierte Redner zu einer Diskussion auffordert. Vielleicht gehört auch das zu den Methoden, die Sie verfolgen werden, wenn Sie ihre bundesgesetzlichen Regelungen durchbekommen. Ich frage Sie nur: was würden Sie sagen, wenn es plötzlich ein paar Dutzend SPD-Abgeordneten in den Sinn käme, einer Rundfunkanstalt einen Brief zu schreiben, sie möchten Herrn Konrad Adenauer und Herrn Erich Kuby zu einer Diskussion auffordern.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur zweiten Lesung zurückkehren.
Ich darf für meine Fraktion zu den beiden vorliegenden Änderungsanträgen wie folgt Stellung nehmen. Uns scheint, daß der Antrag der Fraktion der FDP Umdruck 673 lediglich eine redaktionelle Änderung zum Inhalt hat. Da die Überschrift des Paragraphen „Verlautbarungsrecht" heißt, ist es unseres Erachtens zweckmäßig, diesem Vorschlag zu folgen. Wir sind also bereit, diesem Antrag zuzustimmen.In dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 688 Ziffer 1 ist erneut ein Problem aufgegriffen worden, das im Ausschuß sehr lange und sehr ausführlich erörtert worden ist. Bei der Begründung des Antrages ist erneut auf die Verhältnisse in Großbritannien hingewiesen worden. Ich meine nun — das ist auch in der Aussprache im Ausschuß zum Ausdruck gebracht worden —, daß die Verhältnisse in Großbritannien mit unseren Verhältnissen nicht recht in Vergleich zu setzen sind. Es ist ja auch erstaunlich, daß, wenn man beispielsweise bei der Regelung des zweiten Fernsehprogramms auf die Verhältnisse in Großbritannien verweist, von der Opposition aus das gleiche Argument gebracht wird, das ich jetzt angeführt habe: „In Großbritannien sind die Verhältnisse anders."Wir haben bei uns nicht d i e Regierungspartei und d i e Oppositionspartei, sondern wir haben ein Parlament mit Regierungsparteien und mit Oppositionsparteien,
— Nein, wir haben Regierung und Parlament, und im Parlament haben wir Regierungsparteien und Oppositionsparteien.
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7016 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Dr. Heck
— Aber Sie haben in England eine Regierungspartei und eine Oppositionspartei. Ich komme noch auf Ihren Vorschlag zurück.Herr Kollege Kühn, ich muß Sie doch in einem Punkt korrigieren. Laut Protokoll hat der Staatssekretär Anders im Ausschuß erklärt, daß bei § 4 nur an die Bekanntgabe von Recht, Gesetzen usw. der Bundesregierung und der Landesregierungen gedacht sei, die nicht kontrovers seien. Diese Erklärung ist laut Protokoll in der Ausschußsitzung von Herrn Staatssekretär Anders abgegeben worden. Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden — er ist sehr geschickt formuliert —, würde das bedeuten, daß wir die Oppositionsparteien praktisch in die gleiche Situation versetzen würden wie die Regierung.Da wir grundsätzlich der Auffassung sind, daß das falsch ist, daß die Regierung auf der einen Seite und das Parlament auf der andern Seite steht und daß die Parteien, die im Parlament vertreten sind, ihrer Größe nach — wie das bisher praktiziert worden ist — gleiches Recht haben müssen, sehen wir keine Möglichkeit, dem Änderungsantrag Umdruck 688 Ziffer 1 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
— Dann liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Antrag Umdruck 673. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 673 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Ohne Gegenstimmen, ohne Enthaltungen angenommen.
Ich komme zum Änderungsantrag Umdruck 688 Ziffer 1. Dieser Antrag ist von der Fraktion der SPD gestellt worden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über § 4 in der soeben beschlossenen Fassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir haben, so ist mir berichtet worden, eine interfraktionelle Vereinbarung, daß die Beratung des Rundfunkgesetzes an dieser Stelle unterbrochen werden soll und wir zu dem spröderen Stoff der Sozialversicherung zurückkehren. Dies hier war dynamischer. Aber wie Sie wollen; das ist eine Bewertungsfrage. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist, und wir kommen damit zu dem nunmehr vorliegenden
Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu dem von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über eine Rentenversicherung
der Handwerker .
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Schäfer als Berichterstatter. — Der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer ist nicht im Saal.
Der Bericht liegt vor, allerdings als Mündlicher Bericht ohne Begründung. Die Frage ist, ob das Haus auf einen Bericht verzichtet.
— Es liegt nicht in meiner Macht, Abgeordnete zu holen!
Meine Damen und Herren! Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder fahren wir mit der Beratung des Rundfunkgesetzes fort, oder Sie verzichten auf den Bericht.
— An Stelle des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer übernimmt freundlicherweise der Abgeordnete Ritzel den Bericht.
Wer die Sitzung des Haushaltsausschusses mitgemacht hat, kann feststellen, daß es ein einstimmiger Beschluß des Haushaltsausschusses ist.
— Immer Ordnung, meine Herren! Wenn es auch schwerfällt
Der Bericht lautet:
Der Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung am 29. Juni 1960 festgestellt, daß die Bestimmungen der Nrn. 10 und 11 des Änderungsantrages — Umdruck 674 — zu dem Gesetzentwurf — Drucksachen 993, 1379 — Auswirkungen auf den Bundeshaushalt nicht haben werden.
Nach dieser Feststellung erübrigen sich weitere Ausführungen seitens des Haushaltsausschusses.
Ich danke Herrn Abgeordneten Ritzel, daß er hier eingesprungen ist und diesen Bericht erstattet hat.
Meine Damen und Herren! Über Ziffer 10, über die der Ausschuß hier berichtet hat, hat das Hohe Haus bereits abgestimmt. Es bleibt also noch Ziffer 11, der Änderungsantrag zu § 11. Ist jetzt noch eine Aussprache hierzu erforderlich? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß in die Erinnerung zurückrufen, daß der Herr Bundesarbeitsminister uns noch über die Höhe und das Zustandekommen der in dem Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffern 10 und 11 genannten Zahlen berichten wollte.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7017
Dr. SchellenbergNoch eine Bemerkung zu dem, was der Herr Bundesarbeitsminister vorhin erklärt hat. Der Minister hat gesagt, es liege keine bedrohliche Entwicklung der Finanzlage der Handwerkerversicherung vor. Das steht in offenbarem Widerspruch zu dem, was das Bundesarbeitsministerium in der heute schon wiederholt zitierten Schrift „Soziale Sicherung" mitgeteilt hat. Nach diesem Bericht haben sich die Fehlbeträge im Jahre 1958 auf 39 Millionen DM belaufen. Sie sind im Jahre 1959 auf 62 Millionen angestiegen. Die Beitragseinnahmen aus der Handwerkerversicherung haben — ich zitiere aus dem Bericht — im Jahre 1959 125 Millionen DM betragen, denen Ausgaben in Höhe von 404 Millionen DM gegenübergestanden haben. Bei dieser Sachlage muß man leider von einer bedrohlichen finanziellen Entwicklung sprechen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 674 Ziffer 11. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wer dem § 11 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf §§ 12 und 13. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 14. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 674 Ziffer 12 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Becker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen zu § 14, das Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1962 in Kraft treten zu lassen. Dieser Antrag wird für die Fachleute der Sozialpolitik verständlich sein. Sehr viele Kollegen und Kolleginnen aber werden den Antrag etwas ungewöhnlich finden. Herr Kollege Horn hat darauf schon heute morgen bei der Geschäftsordnungsdebatte mit einigen Worten hingewiesen. Ich möchte noch einiges hinzufügen.
Entsprechend dem neuen § 5 müssen die Beiträge der selbständigen Handwerker durch die LVA bzw. durch die Krankenkassen eingezogen werden. Das erfordert, daß die zuständige LVA und die einzelnen Krankenkassen Kontenkarten für die Handwerker anlegen, die zweckmäßigerweise mit den Eintragungen in der Handwerkerrolle übereinstimmen, und das erfordert eine gewisse Zeit.
Nun könnte es sein, daß man nicht die ganze Zeit bis zum Januar 1962 braucht, aber es ist noch etwas anderes zu bedenken. Wie Sie wissen, haben wir in 'der Rentenversicherung das System der Mindestrenten, und zwar bis zum 31. Dezember 1961. Wir haben jetzt die Altersversorgung der Handwerker von der Angestelltenversicherung auf die Invalidenversicherung überführt. Jeder Fachmann in der Sozialpolitik weiß, daß die Mindestrenten in der Arbeiterrentenversicherung niedriger sind als in der Angestelltenversicherung. Um die Handwerker, die in diesem oder im kommenden Jahr den Rentenantrag stellen müssen, vor Schaden zu bewahren, haben wir unsern Antrag gestellt. Wir meinen, daß dann das Problem ohnehin überholt sein wird. Es wäre aber nicht gut, für die letzten zwei, drei Monate noch Sonderbestimmungen einzuführen. Wir bitten deshalb, unter diesen Umständen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 1962 einverstanden zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz haben mich die Ausführungen des Herrn Kollegen Becker bezüglich des Inkrafttretens des Gesetzes nicht überzeugt. Aber was Sie gesagt haben, Herr Kollege Becker, deutet darauf hin, daß offenbar ein neuer und nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand entstehen wird. Denn es werden, wenn ich Sie richtig verstanden habe, für 750 000 Handwerker Kontenkarten neu angelegt werden müssen.Aber worauf es uns bei der Frage des Inkrafttretens des Gesetzes ankommt, ist folgendes: Viele Damen und Herren werden, wenn sie jetzt vor einer Entscheidung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens stehen, sich die Frage stellen, ob diejenigen wirklich gut beraten waren, die heute mit aller Gewalt das Gesetz, das erst in anderthalb Jahren in Kraft treten soll, über die Hürden des Parlaments bringen wollten.
— Aber, hochverehrter Herr Kollege Becker, ich möchte Sie an ein anderes Beispiel erinnern: wir haben die viel bedeutungsvolleren Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze nachträglich in Kraft gesetzt! Heute mußten wir im Galopp ein Gesetz beraten,
das erst in anderthalb Jahren in Kraft treten soll.
Ich glaube, jeder, der den Verhandlungen heute gefolgt ist, wird das Bewußtsein haben, daß die Behandlung ohne weitere Ausschußberatung keine gute parlamentarische Arbeit war.Noch etwas anderes. Ich glaube, daß durch die Art der Beratung in der zweiten Lesung dem berechtigten Anliegen der Handwerker kein sehr guter Dienst erwiesen ist. Ich bitte diejenigen, die diese Beratung heute durchgesetzt haben, sich das bis zur dritten Beratung noch einmal zu überlegen.
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Dr. SchellenbergZum Schluß der zweiten Lesung erkläre ich, daß die Sozialdemokraten — das kommt auch in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck — jede Regelung der Alterssicherung für selbständig Erwerbstätige und Angehörige freier Berufe begrüßen und voll bejahen. Sie muß aber folgenden Voraussetzungen entsprechen: 1. Im Interesse der Gerechtigkeit müssen für die Alterssicherung für Angehörige der freien Berufe in der gleichen Weise und in dem gleichen Anteil Bundesmittel gewährt werden, wie dies für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten der Fall ist. 2. muß in dem gleichen Maße wie für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten hinter der Leistungsgewährung für die Alterssicherung der Selbständigen die Bundesgarantie stehen. 3. darf nicht, weil es ungerecht wäre, durch eine solche soziale Sicherung der Selbständigen eine Lastenverlagerung zuungunsten der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten erfolgen.Schließlich noch eine Bitte zur dritten Lesung. Das Bundesarbeitsministerium hat die offengebliebenen finanziellen Fragen noch nicht beantwortet. Wir erwarten, daß das Bundesarbeitsministerium dies bei der dritten Lesung nachholt.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und DP auf Umdruck 674 Ziffer 12, der eine völlige Neufassung des § 14 vorsieht. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf in zweiter Beratung den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 634. Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, diesen Entwurf abzulehnen.
— Wir müssen in der Form vorgehen, daß ich die einzelnen Paragraphen aufrufe und daß Sie, wenn Sie dem Ausschußvorschlag folgen sollten, sie ablehnen. Ich rufe also auf zur zweiten Beratung §§ 1 bis 29, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ausschuß schlägt Ablehnung vor, wie ich noch einmal bemerken darf. Wer entgegen der Ausschußmeinung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Niemand. Wer der Ausschußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Abgelehnt. Damit ist dieser Gesetzentwurf erledigt.
Meine Damen und Herren, es stellt sich jetzt die Frage, ob Sie zur dritten Lesung kommen wollen. Hierzu hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die zweite Beratung eines Gesetzentwurfs durchgeführt, der von der Mehrheitsfraktion eingebracht wurde. Die Fraktion, die die Initiative hatte, hat uns heute mit sehr zahlreichen Änderungsanträgen überrascht;
von den 14 Paragraphen des Gesetzes sind 13 ge ändert worden. Wir bedauern, jetzt mit der dritten Beratung nicht einverstanden sein zu können. Wir möchten, so wie es im § 85 der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist, erst die Gegenüberstellung der Beschlüsse in der zweiten Beratung haben. Wir werden dann am Freitag die dritte Beratung vornehmen können.
Der Einspruch gegen die dritte Beratung ist durchschlagend. Es bestehen keine Bedenken, sie am Freitag durchzuführen.
Wir kommen also wieder zum Rundfunkgesetz. Ich rufe auf § 5, Umdruck 677, Ziffer 1 a, Umdruck 688 Ziffer 2, Umdruck 677, Ziffer 1 b.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort erteile, möchte ich Sie auf die Tatsache aufmerksam machen, die mir bisher mitunter nicht beachtet zu sein schien, daß es sich um die zweite Beratung, also die Einzelberatung, und nicht um eine Grundsatzdebatte handelt. Wer wünscht jetzt das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat Ihnen mit Umdruck 677 einen Änderungsantrag zum § 5 vorgelegt. Dieser Antrag in Ziffer 1 steht im Zusammenhang mit Ziffer 3. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten beides zusammen begründen.Bevor ich das tue, möchte ich auf einen Druckfehler in unserem Umdruck aufmerksam machen. In Ziffer 1 ist unter dem Buchstaben b) in der vierten Zeile das zweimal vorkommende Wort „den" in „die" zu ändern, so daß es heißen muß „die Kirchen und die anderen".Nun zur Begründung unseres Antrags in Ziffer 1. Der Regierungsentwurf sah in § 46 besondere Sendezeiten für die Kirchen vor. Der Ausschuß hat sich mit dieser Frage befaßt und hier eine Änderung vorgeschlagen. Regierungsentwurf wie Ausschußfassung geben dieses Recht den Kirchen jedoch nur für die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk. Die Fraktion der CDU/CSU möchte diese Vorschrift in den allgemeinen Teil des Gesetzes vorziehen. Daher beantragen wir in Ziffer 3 dieses Umdrucks, § 46 zu streichen und in § 5 einen neuen Abs. 2 a einzufügen. Wenn Sie diesem Antrag folgen und wenn dieses Gesetz auch im Bundesrat zustande kommt, werden die Kirchen künftig im Rundfunk generell das Recht haben, angemessene Sendezeiten zu erhalten. Diese Sendezeiten sollen nicht nur für die Übertragung gottesdienstlicher Handlungen und Feierlichkeiten gewährt werden, sondern auch für
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Dr. Barzelsonstige religiöse Sendungen, wie es in dem Antrag heißt. Sonstige religiöse Sendungen sind auch kirchliche Sendungen über Fragen ihrer, nämlich der Kirche, öffentlichen Verantwortung. Diese Rechte sollen den Kirchen und den anderen über das ganze Bundesgebiet verbreiteten Religionsgesellschaften wie auch den israelitischen Kultusgemeinden gewährt werden. Die CDU/CSU mißt dem Antrag grundsätzliche Bedeutung zu. Sie meint, es sei an der Zeit, den Kirchen, die im öffentlichen Bewußtsein einen hervorragenden Platz eingenommen haben, in diesem Gesetz entsprechende Rechte einzuräumen.Ich bitte Sie daher, unseren Antrag anzunehmen, und hoffe, daß sich das ganze Haus — einschließlich der Opposition — imstande sehen wird, diese Rechte der Kirchen in dem Gesetz festzulegen. Das wäre ein Zeugnis des ganzen Hauses für den Primat des Geistes und des Gewissens auch in solchen Fragen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der uns von der CDU/CSU vorgelegten Formulierung ziehen wir unseren Änderungsantrag auf Umdruck 688 Ziffer 2, der durch die Änderungsvorschläge der CDU/CSU überflüssig geworden ist, denen wir zustimmen, zurück. Auch die sozialdemokratische Fraktion — darin waren wir uns ja auch im Ausschuß völlig einig — ist der Auffassung, daß die Kirchen nicht in das Ghetto des Privaten eingesperrt und auf die Verkündigung beschränkt werden sollen, sondern daß sie die Möglichkeit haben müssen, auch im Rundfunk zu religiösen Fragen Stellung zu nehmen. Wir sind völlig mit der Formulierung einverstanden, daß den Kirchen für religiöse Sendungen, auch solcher über Fragen ihrer öffentlichen Verantwortung, Sendezeiten gewährt werden sollen. Der Ausschuß befand sich in dieser Frage in völliger Übereinstimmung.
Ziffer 2 in Umdruck 688 ist also zurückgenommen; außerdem ist der Umdruck 677 berichtigt worden, wo gemäß den Ausführungen des Abgeordneten Dr. Barzel zweimal der Artikel „den" durch den Artikel „die" ersetzt wird. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 677 Ziffer 1 a und b zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einige Enthaltungen. Angenommen.
Wer nunmehr § 5 mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf §§ 6, — 7, — 8 entfällt, — 9, — 10, — 11, — 12. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf §§ 13, — 14, — 15, — 16, — 17, — 18. — Das Wort wird nicht gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Kühn!
Herr Präsident, ich würde vorschlagen, über die einzelnen Paragraphen getrennt abstimmen zu lassen, nicht en bloc.
Also fangen wir bei § 13 an. Das Wort wird zu den aufgerufenen Paragraphen nicht gewünscht. Wer § 13 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist so beschlossen.
§ 14. Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
§ 15. Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 16. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe
— Es ist so beschlossen.
§ 17! — Ich bitte, diejenigen, die zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit angenommen.
§ 18! — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zu § 19 und rufe dazu den Änderungsantrag auf Umdruck 688 Ziffer 3 und den Änderungsantrag auf Umdruck 677 Ziffer 2 auf. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Kühn!
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs ihre grundsätzlichen Bedenken zum Ausdruck gebracht und gesagt, daß sie in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetz den Versuch erblicke, ein einseitiges politisches Instrument zum Zwecke einseitiger politischer Meinungsbildung zu schaffen. Die Beratungen im Ausschuß und die Lesung hier im Plenum sollten die Berechtigung dieser Auffassung bestätigen oder widerlegen. Das ist viel wichtiger als alle verfassungsrechtlichen Dinge, die uns hier beschäftigt haben. Denn dieses Haus ist kein Parlament von Verfassungsjuristen und Staatsrechtlern. Die Rechtsfrage, ob die Regierung das Recht hat, ist vom Rechtsausschuß zwar, wie ich glaube, in einem sehr beschleunigten Verfahren bejaht worden; aber das ist nicht so sehr die uns beschäftigende Frage.Der Streit um die Ordnung des Rundfunks war vor allem angesichts der ungewöhnlichen und immer wachsenden Bedeutung des Fernsehens von Anfang an ein politischer Streit. Die rechtliche Frage hier zu untersuchen, ist sinnlos. Sich durch das Gestrüpp der Paragraphen und Gutachten hindurchzuwühlen, wird vielleicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein. Das wird, soweit es
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Kühn
parlamentarisch entschieden wird, im Bundesrat entschieden werden. Hier werden die Ministerpräsidenten zu beweisen haben, ob sie für die Rechte der Länder bis zu allen notwendigen Konsequenzen zu streiten bereit sind oder ob sie der von dem Herrn Bundeskanzler auf dem rheinischen Parteitag der CDU in Düren gegebenen Empfehlung folgen und ihre Ministerpräsidentensessel im Museum abliefern wollen.Der politische Kern auch und gerade in diesem § 19 wird in der Zusammensetzung der Gremien und in der Wahl der Intendanten sichtbar. An zwei Stellen wird er sichtbar: im Verlautbarungsrecht, das wir eingehend behandelt haben, und an diesem Punkt. Wichtiger als alle Reglementierungen über Rechte der politischen Meinungsdarstellung ist, das wissen wir alle, die Frage der Menschen: Wer hat die Leitung eines solchen Organs, und wer hat die Kontrolle?Hier hat es einen harten Streit gegeben. Unser Antrag auf Umdruck 688 Ziffer 3 beruht auf folgender Erwägung. Unserer Ansicht nach ist nur so die Gewährleistung einer fairen und nicht einseitigen Konstruktion in der Aufsicht über die Rundfunkanstalten zu erreichen. Der Regierungsentwurf sieht vor, und die Mehrheit hat diesen Standpunkt auch im Ausschuß vertreten — lassen Sie mich das mit einer Bemerkung abtun—, daß Abgeordnete nicht in den Aufsichtsgremien sitzen sollen. Wir haben in der ersten Lesung eingehend dargelegt, daß wir das für falsch halten und warum wir es für falsch halten. Wir sind zwar der Meinung, daß die Zahl der Abgeordneten in all diesen Gremien begrenzt sein sollte, wie das in einer Reihe von Rundfunkgesetzen der Länder auch vorgesehen ist — nach einem dieser Gesetze sind z. B. von 21 Mitgliedern nur 4 Abgeordnete, nach einem anderen Gesetz ist das Verhältnis ähnlich —, wir halten aber die Forderung nach Ausschließung der Abgeordneten von diesen Aufsichtsorganen für nicht gerechtfertigt.Wenn wir jetzt mit dem Antrag auf Umdruck 688 Ziffer 3 unseren Vorschlag noch einmal der Abstimmung unterwerfen, wollen wir es der Mehrheit erleichtern, diesem Antrag zuzustimmen. Wir kommen deshalb auf das Problem, ob Abgeordnete in diesen Gremien vertreten sein sollen, nicht mehr zurück, obwohl es ganz amüsant wäre, festzustellen, wie viele Abgeordnete in all den Gesellschaften sitzen, die sich darum bewerben, Lizenzen zu bekommen, um Programme zu machen, Programme zu kontrollieren, Geld an diesen Programmen zu verdienen. Ich glaube, ich könnte aus diesem Raum einige Namen nennen. Aber das ,gehört nicht unmittelbar hierher.Wir schlagen vor, daß der Rundfunkrat ,aus 36 Mitgliedern bestehen soll, 15, ,die vom Bundestag nach ,dem Verhältniswahlsystem entsandt werden, 5, die die Bundesregierung entsendet, 11, die von den Ländern entsandt werden — so daß jedes Land einen Vertreter hat —, 3, die von den Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft in unserem Land entsandt werden, und einem Vertreter der Arbeitgeberdachorganisation und einem Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes.Wenn man — was ja mit einem gewissen Grade in seiner Wahrscheinlichkeit erspürbar ist — betrachtet, wie die politische Orientierung in einem solchen Gremium voraussichtlich aussieht, so wird ersichtlich, daß etwa 24 Vertreter, d. h. zwei Drittel, der die Regierung ausübenden Seite und etwa 12 der die Opposition ausübenden Seite nahestehen würden. Ich glaube, das wäre eine faire Repräsentanz der Kräfte, ,die in unserer Gesellschaft und in unserem Staate vorhanden sind. Wie sehr dabei Einzelfragen eine Rolle spielen, wird gleich noch zu behandeln sein.Uns liegt ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor. in dem Ausschußentwurf eine Änderung vorzunehmen, wonach es künftig nicht heißen soll, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund, sondern daß die Gewerkschaften einen Vertreter entsenden. Lassen Sie mich Ihnen, meine verehrten Kollegen von der CDU, sagen, daß Sie hier eine unpraktikable Vorschrift unterbreiten.
— Die Ländergesetze sind zu einer Zeit gemacht worden, als es faktisch nur den Deutschen Gewerkschaftsbund gab. Sie wissen, ,daß die Ländergesetze samt und sonders vor ,der Gründung der Gruppe der christlichen Gewerkschaften entstanden sind und daß es in diesen Ländergesetzen ganz selbstverständlich ist, Herr Kollege Heck — da gibt es in keinem Land eine Ausnahme —, daß diesen Vertreter der Deutsche Gewerkschaftsbund entsendet.Wenn das Ihre Absicht wäre, wie einer Ihrer prominenten Sprecher mir heute mittag in der Pause gesagt hat, dann verstehe ich nicht, warum Sie den Text ändern; idann hätte man es auch so lassen können. Lassen Sie mich nur sagen: nicht praktikabel wird die Vorschrift dadurch, daß keine Instanz da ist, die in dem Fall, daß sich diese Organisationen nicht einigen, ,darüber entscheidet, wer entsendet. Aber das nur am Rande.Wir schlagen 36 Mitglieder vor. Ich habe gesagt, wie die allgemeine politische Orientierung sein würde. Eine solche Bestimmung hat jedoch nur dann einen Sinn, wenn sie mit einer Bestimmung über die Intendantenwahl gekoppelt ist, nach ,der der Intendant mit einer Zweidrittelmehrheit zu wählen ist; denn sonst wäre unser Änderungsantrag sinnlos. Sie haben ein Rundfunkratgremium vorgeschlagen. Wenn man die 21 Mitglieder, die Sie dafür vorschlagen, unter denselben Gesichtspunkten beurteilt, wie ich es eben mit den 36 Mitgliedern gemacht habe, die wir vorschlagen, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß ,das politische Verhältnis 17 zu 4, äußerstenfalls 16 zu 5 ist. Sie wollen den Intendanten, der ,die Befugnis der Leitung ,der gesamten Anstalt hat — Sie wollen seine Befugnisse sogar noch verstärken —, mit einfacher Mehrheit wählen lassen. Das ist bei 36 Mitgliedern und dem Verhältnis 24 zu 12 genauso ungünstig, genauso einseitig wie bei 21 Mitgliedern und dem Verhältnis 16 zu 5. Deshalb ist unser Vorschlag unlösbar, gewissermaßen in einem Junktim mit der Vorschrift
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7021
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über die Wahl des Intendanten verbunden. Die CDU-Ministerpräsidenten haben in den Vorgesprächen unseren Vorschlag auf 36 Mitglieder für den Rundfunkrat akzeptiert und sich zu eigen gemacht, nicht aber geglaubt die Vorschrift für die Intendantenwahl befürworten zu sollen. Es geht uns aber darum, angesichts der wichtigen Rolle, die der Intendant in einem solchen Hause spielt, in den Bestimmungen geradezu eine Verpflichtung vorzusehen, daß man nach einer Persönlichkeit Ausschau hält, die nicht einseitigen Interessen ausgesetzt und einseitigen Interessenvertretern verpflichtet ist. Wenn Sie nach Ihrem Vorschlag über die Zusammensetzung der Gremien den Intendanten mit einfacher Mehrheit wählen, wird er ,der Intendant einer politisch einseitigen Mehrheit sein.Dann ist es — lassen Sie mich das ganz offen sagen — eine Farce, wenn Sie in Ihrem Vorschlag sagen, im ersten Wahlgang solle man versuchen, eine Zweidrittelmehrheit zu finden, im zweiten Wahlgang solle man versuchen, eine Zweidrittelmehrheit zu finden, und wenn das nicht möglich sei, solle im dritten Wahlgang die Mehrheit der Mitglieder entscheiden. Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wie so etwas geht. Wenn die Bestimmungen besagen, daß man sein Ziel mit einfacher Mehrheit erreichen kann, dann wird die Seite, die die einfache Mehrheit hat, die beiden ersten Wahlgänge passieren lassen. Dann sind die Vorschriften, die zwei Wahlgänge mit Zweidrittelmehrheit vorschalten — den Versuch dazu vorschalten —, einfach eine Farce und überflüssig.
— Es gibt eine ganze Reihe von Institutionen, wo dies auch sehr gut funktioniert. Es gibt auch Rundfunkanstalten in unserem Lande, wo der Intendant mit Zweidrittelmehrheit von den Aufsichtsgremien gewählt wird und wo die Dinge nicht besser und nicht schlechter sind als in anderen Anstalten auch. Es ist also nicht etwa so, daß hier ein grundsätzlich neues Modell vorgetragen wird. Wir wollen auch nicht, wie es draußen in der Argumentation heißt, eine Sperrminorität geltend machen. Wir wollen das Gremium vielmehr lediglich zur Suche nach einer möglichst objektiven Persönlichkeit anhalten, die nicht der Erfüllungsgehilfe einer politischen Mehrheit ist.Gewiß gibt es dabei Gefahren, die uns allen bewußt sind, Herr Kollege Heck, wo auch immer wir über dieses Problem diskutieren. Es besteht hier die Gefahr, daß man sich auf ein anpassungsfähiges Mittelmaß einigt, was nicht gut wäre. Aber es besteht darin auch sehr wohl die große Chance, daß man nach einer Persönlichkeit suchen muß, die die Überlegenheit in der Sache und den überzeugenden Rang der Persönlichkeit hat, die nun einmal die Voraussetzungen für eine so ungewöhnlich wichtige Funktion sind, wie es die Leitung eines großen Funkhauses oder die Leitung des Fernsehens und der großen meinungsbildenden Instrumente ist. Lassen Sie mich sagen: Ich glaube, daß ein Intendant für die Meinungsbildung von einer sehr viel größeren Bedeutung ist als ein Minister in einem Kabinett. Es bedeutet gewiß eine Schwierigkeit, wenn eine Zweidrittelmehrheit verpflichtet wird, nach einer solchen Persönlichkeit Ausschau zu halten. Aber diese Lösung mit den Schwierigkeiten, die darinstecken, ist immer noch besser als die denkbar schlechteste Lösung, die darin besteht, daß eine politisch einseitige Mehrheit eine einseitige Personallösung findet.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: es ist ein großes Stück meiner Sorge, daß die Bundesregierung bei all ihren Absichten eben auf solche einseitigen Lösungen aus ist. Der Herr Bundesinnenminister, der leider nicht hier sein kann — deshalb will ich einiges, was ich an seine Adresse sagen wollte, hier nicht sagen —, hat neulich erklärt, das zweite Fernsehen — und zwar die „Freie Fernseh"-Gesellschaft, die sich seiner besonderen Liebe erfreut — solle die Lokomotive sein, die das zweite Programm ziehe. Aber wie wird diese Lokomotive bemannt nach all dem, was wir bereits heute wissen? Der stellvertretende Generaldirektor ist der Leiter der Pressestelle des Bundesverbandes der Industrie. Die oberste Programmleitung sollte einem CDU-Professor übertragen werden. Für den Vorsitzenden den Aufsichtrats hat man einen ehemaligen CDU-Finanzminister ins Auge gefaßt. Die Mittelstandsgruppe der CDU, geleitet von unserem Kollegen Schmücker, soll drei Aufsichtsratsmandate bekommen. Der Leiter der Abteilung „Information und aktuelles Geschehen" ist der Chefredakteur einer CDU-Zeitung, der Leiter der Abteilung „Offentlichkeitsarbeit" ist der Pressechef der Deutschen Partei. In allen diesen Vorbereitungen wird sichtbar, wie man einseitige Instrumente schaffen will, hier wird sichtbar, wo diese Lokomotive nach den Absichten der Regierung hinführen soll, und das ist das, was wir nicht wollen. Verstehen Sie bitte unsere Anträge aus dem Willen, nicht Sperrminoritäten zu schaffen, wohl aber einseitige Machtlösungen und einseitige Meinungsbildungen zu verhindern. Deshalb bitten wir um Annahme unserer Anträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kühn hat bei der ersten Lesung ein britisches Sprichwort zitiert; er sagte uns damals, in Großbritannien sei .der ein Gentleman, der sein Recht nur zur Hälfte in Anspruch nehme.
— Nicht voll in Anspruch nehme! Herr Kollege Kühn, wir haben im Ausschuß versucht, Ihrem Anliegen zur Hälfte entgegenzukommen, und haben erwartet, daß Sie uns die andere Hälfte entgegenkämen. Wir haben nämlich den Beirat von 15 auf 21 Mitglieder erweitert; 6 Mitglieder sind vom Parlament zu wählen. Wir glaubten, daß wir damit, wie gesagt, Ihrem Anliegen wenigstens zur Hälfte
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Dr. Heck
Rechnung getragen hätten. Und wir haben bei der Wahl des Intendanten Ihren Vorstellungen insofern entsprochen, als wir für den ersten und für den zweiten Wahlgang ,die Zweidrittelmehrheit verbindlich ins Gesetz eingebaut haben.
Herr Kollege Kühn, es klingt schön, wenn Sie sagen, Sie wollten keine Sperrminorität. Aber was Sie verlangen, ist eben de facto die Sperrminorität. Sie können mir nun sagen: Wir werden die Möglichkeit, daß wir dann über eine Sperrminorität verfügen, nicht mißbrauchen. Einer solchen Erklärung gegenüber würde ich sagen: Sie können sich darauf verlassen, daß wie die Mehrheit, die wir haben, auch nicht mißbrauchen werden.
Aber, Herr Kollege Kühn, wenn Sie davon ausgehen, daß die Mitglieder, die Sie zur Regierungsseite rechnen, grundsätzlich illoyal und zur Zusammenarbeit nicht bereit sind, dann müssen Sie uns gestatten, anzunehmen, daß auch das Drittel, das Sie als zu Ihrer Seite gehörig rechnen, grundsätzlich nicht zur Zusammenarbeit und zur Loyalität bereit ist. Man kann nur entweder auf beiden Seiten Loyalität, soweit es menschenmöglich ist, — das ist ja in der Politik manchmal etwas schwierig — voraussetzen oder auf keiner. Es ist aber nicht richtig, zu unterstellen, die eine Seite sei unfair und die andere sei fair.
— Davon bin ich überzeugt, und dem haben wir insofern Rechnung getragen, als wir für die ersten beiden Wahlgänge die Zweidrittelmehrheit verbindlich im Gesetz festgelegt haben.
Herr Kollege Kühn, bei der neuen Gestaltung der Gremien, die hier im Gesetz vorgeschlagen ist, geht es uns im Grunde um folgendes: Wir haben gewisse Erfahrungen mit ,der Wirksamkeit von Aufsichtsgremien in den Rundfunkanstalten, die nun ja immerhin über zehn Jahre tätig sind, gemacht, und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die starke parteipolitische Akzentuierung in der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien und zweitens die Ausweitung des Rundfunkrates zu einem Gremium, das nahezu aktionsunfähig sein muß, dazu geführt haben, daß der Rundfunkrat im allgemeinen kaum Entscheidungsbefugnisse hat, die Entscheidung auf einen kleinen Verwaltungsrat konzentriert wird und dieser kleine Verwaltungsrat dann nur noch eine parteipolitische Repräsentanz darstellt. Dann geht es bei den Stellenbesetzungen z. B. so: den Intendanten hat die CDU vorgeschlagen — ob er zu ihr gehört oder nicht, spielt keine Rolle —, den Chefredakteur beanspruchen dann Sie, und so geht es weiter.
Ich glaube nicht, daß die Erfahrungen mit diesem System so gut gewesen sind, daß hier nicht einmal ein anderer Versuch gerechtfertigt wäre. Ich bin kein Prophet; aber eins glaube ich Ihnen im voraus sagen zu können: Sie würden sich sehr täuschen, wenn Sie annähmen, daß die Regierung 5 CDU-
Funktionäre in die Aufsichtsgremien schicken wird.
— Das sind keine Regierungsbeauftragten. Das geht aus dem Wortlaut des Gesetzes ganz genau hervor. Sie sind in keiner Weise an Weisungen der Regierung gebunden. Es sollen Persönlichkeiten sein, die von der Sache etwas verstehen.
— Sie haben bestimmt Erfahrungen nach der anderen Seite hin, Herr Kollege.
Wir haben die Vorstellung, daß die Regierung erfahrene Persönlichkeiten benennt. Wir wünschen, daß auch bei uns langsam das wächst, was in Großbritannien selbstverständlich ist: die Loyalität gegenüber allen Deutschen und allen Parteien.
Herr Kollege Kühn, Sie haben etwas kritische Anmerkungen zu der Tatsache gemacht, daß Abgeordnete, Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, Mitglieder der Regierung und weisungsgebundene Beamte nicht Mitglieder dieser Gremien sein können. Es ist in Großbritannien eine bare Selbstverständlichkeit, daß sich Mitglieder der Legislative nicht in die Aufgaben der Exekutive eindrängen.
Ich glaube, daß wir hier einen guten Weg beschritten haben. Ich vermag nicht einzusehen, daß die Ziffer 3 in Ihrem Antrag Umdruck 688 für die weitere Entwicklung des Rundfunkwesens in Deutschland, hier speziell für den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle, eine Verbesserung darstellen würde. Im Gegenteil, ich glaube, daß man hier wieder auf Vorstellungen zurückgehen würde, die sich, wie ich meine, in den Landesrundfunkanstalten wirklich nicht bewährt haben. Ich muß Ihnen deswegen für meine Fraktion sagen, daß wir die Ziffer 3 des Antrags Umdruck 688 ablehnen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Stenger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich noch einmal kurz mit dem Änderungsantrag Umdruck 677 beschäftigen, soweit die CDU/CSU-Fraktion eine Änderung des § 19 Abs. 1 Satz 3 dahingehend wünscht, daß die Worte „dem Deutschen Gewerkschaftsbund" durch die Worte „den Gewerkschaften" ersetzt werden. Ich glaube, der 8. Ausschuß hat bei der Formulierung des Abs. 1 eine feste Absicht bekunden wollen, indem er ganz bestimmte Institutionen damit beauftragt wissen wollte, Mitglieder in den Rundfunkrat zu delegieren. Es werden nach dieser Formulierung je ein Mitglied der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche, des Zentralrats der Juden, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und schließlich und endlich ein Vertreter
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Stengeraus dem Deutschen Gewerkschaftsbund entsandt. Er sagt nicht — um bei den Kirchen zu bleiben —, daß auch Mitglieder von Religionsgesellschaften entsandt werden können; und ich glaube, Sie sind mit mir darin einig, daß es neben unseren beiden großen Kirchen eine ganze Anzahl von Religionsgesellschaften gibt. Der Ausschuß sagt auch nicht, daß Handwerkskammern, Handwerksinnungen, landwirtschaftliche Verbände dort vertreten sein sollen, sondern er sagt ganz einfach: „die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände" und nennt schließlich den Deutschen Gewerkschaftsbund. Er muß dazu ja einen Grund gehabt haben.Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist wohl — darin werden Sie mir zustimmen — die größte Organisation, die Arbeitnehmer zu ihren Mitgliedern zählt, und zwar mehr als 6 Millionen Arbeitnehmer.
— Hoffentlich werden Sie es noch erleben, daß wir sieben erreichen, Herr Kollege!
— Seien Sie mal nicht so pessimistisch, teilen Sie lieber meinen Optimismus.Wenn man nun schon von Gewerkschaften spricht— ich weiß nicht, ob sich die Formulierer darunter etwas Richtiges vorgestellt haben —, dann aber nicht in der Richtung, wie Sie es meinen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat 16 Gewerkschaften. Der Beamtenbund setzt sich aus soundsovielen Verbänden zusammen. Daneben gibt es die Deutsche Angestelltengewerkschaft und seit einiger Zeit — das sage ich zu Ihrer Freude — die christliche Gewerkschaft. Daneben gibt es noch Gewerkschaften, die keinem der vor mir genannten Verbände angehören, sondern ganz neutral sind. Eine will ich Ihnen nennen: die Polizeigewerkschaft. Schließlich gibt es — das wissen auch Sie; dieser Tage hat man soviel davon gesprochen — eine von Staats wegen auf dem Kasernenhof, die sogar, wie man gelesen hat, mit Staatsmitteln unterstützt wird. Meinen Sie vielleicht auch diese? Wenn dem nicht so ist, dann bitte ich doch, zu überlegen, wie denn nun die von Ihnen gemeinten Gewerkschaften das eine Mitglied in den Verwaltungsrat delegieren sollen. Ich meine, es ist Aufgabe des Parlaments, klare Verhältnisse zu schaffen, wie es der Ausschuß vorgeschlagen hat.Nun sagen Sie: den Gewerkschaften. Sollen die sich vielleicht dann in einem großen Saal — es werden 100 Personen sein — zusammensetzen und sich um das eine Mitglied zusammenraufen? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Wenn Sie das aber wollen, dann lassen Sie auch die Kirchen sich zusammenraufen, dann lassen Sie auch die landwirtschaftlichen Verbände und auch die Handwerksinnungen zu der großen von Ihnen benannten Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dazukommen. Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie eine Einheitlichkeit in Ihrer Formulierung beibehalten wollen, dann können Sie nicht von „den Gewerkschaften" reden. Sie haben klar zum Ausdruck gebracht, daß Sie die großen Institutionen benannt wissen wollen; ihnen soll das Recht zu delegieren zugestanden werden. Dann sollte man aber auch bei den freien Verbänden die größte, die weitaus größte Organisation benennen, nämlich den Deutschen Gewerkschaftsbund, wie es in der Ausschußvorlage vorgesehen ist.Ich möchte Sie deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, den Antrag Umdruck 677 unter Ziffer 2 abzulehnen und es bei der Ausschußfassung zu belassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Unserem Antrag unter Ziffer 2 im Umdruck 677 ist etwas sehr viel Ehre angetan worden, denn die Kollegen Kühn und Stengel haben darüber gesprochen, bevor wir Gelegenheit hatten, ihn zu begründen. Wir möchten wirklich darum bitten, nichts in den Antrag hineinzugeheimnissen. Dieser Antrag hat lediglich rechtstechnischen Gehalt. Im Hinblick auf die in Art. 9 des Grundgesetzes — ich verweise insbesondere auf dessen Abs. 3 — garantierte Koalitionsfreiheit ist es in der Bundesgesetzgebung üblich, in Gesetzen nicht eine bestimmte Gewerkschaft zu nennen und ihr besondere Rechte zu geben, sondern solche Rechte generell „den Gewerkschaften" zuzusprechen. An dieser Übung wollen wir festhalten. Nur dem dient unser Antrag.
Sehen Sie sich einmal an, was dazu in den Gesetzen der Länder gesagt ist, was etwa auch in den Gesetzen über Post, Bundesbahn usw. steht, die dieses Haus verabschiedet hat. Wo immer Vertreter von Gewerkschaften zu benennen sind, ist niemals eine konkrete Gewerkschaft genannt. Immer werden Sie den Terminus technicus „die Gewerkschaften" finden. Ich halte das aus rechtstechnischen und rechtsgrundsätzlichen Überlegungen im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes für erforderlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Kollege Heck, ich will nicht auf unsere Kontroverse zurückkommen. Wir haben darüber so oft auch im Ausschuß diskutiert, und angesichts der fortgeschrittenen Zeit hat es sehr wenig Sinn, hier über das mehr oder weniger gute Funktionieren der bisherigen Aufsichtsgremien zu sprechen. Ich glaube, das sollte einmal geschehen; vielleicht haben wir noch einmal Zeit dazu, eine solche Diskussion an Hand von Fakten, Namen und Tatsachen zu führen. Das wäre ganz lehrreich und würde eine Menge von Illusionen und Fehlinterpretationen zerstören.
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Kühn
Was mich heraufgeführt hat, ist nur eine Frage, die ich an den Herrn Kollegen Barzel richten möchte. In dem Änderungsantrag zu § 19 wird gefordert, die Worte „den Deutschen Gewerkschaftsbund" durch die Worte „die Gewerkschaften" zu ersetzen. Wenn dies nur ein Terminus technicus ist, bleibt doch die Frage: was geschieht, wenn nun alle diejenigen, die sich zu diesem Kollektivbegriff zählen, sich untereinander nicht einigen können. Wer entscheidet dann? Wenn ich den Herrn Kollegen Barzel recht verstanden habe und wenn ich Bezug nehme auf das, was auch in Privatgesprächen vorher dazu gesagt worden ist. meint die CDU-Fraktion, es solle der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes sein. Sie möchte nur eine weitere Formulierung hier finden, aber es sei der Wille der antragstellenden Fraktion, daß dies der Deutsche Gewerkschaftsbund ist. Wenn dies nicht Ihr Wille ist, Herr Kollege Heck, dann müssen Sie uns auch sagen, wer darüber bestimmt, welche Organisation den Vertreter entsendet, falls sie sich nicht untereinander einigen können. — Wollen Sie eine Frage stellen?
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Dr. Heck.
Herr Kollege Kühn, ich antworte mit einer Gegenfrage: Das Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk sieht vor, daß die Gewerkschaften ein Mitglied in den Programmbeirat entsenden. Vielleicht können Sie uns mitteilen, wie dieses Problem bei dieser Fassung des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk in Nordrhein-Westfalen gelöst worden ist. Dann wissen wir, wie man die Frage, die Sie gestellt haben, beantworten muß.
Das ist in den interpretierenden Protokollen bei der Verabschiedung dieses Gesetzes niedergelegt, daß damit der Deutsche Gewerkschaftsbund gemeint sei. Wenn Sie auch hier für das Protokoll niederlegen, daß die CDU/CSU-Fraktion meint, das sei hier lediglich eine rechtliche Formulierung, sie wolle aber der Sache nach, daß es der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes sei, werden wir zwar nicht für diese Formulierung stimmen, weil wir um der Deutlichkeit willen es bei dem belassen wollen, was der Ausschuß einstimmig beschlossen hat, wir würden aber dankbar diese protokollarische Fixierung zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort ist nicht gewünscht; ich kann damit die Aussprache über diesen Punkt schließen.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 688 Ziffer 3.Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit; abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 677 Ziffer 2, über den zuletzt diskutiert wurde. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit Mehrheit angenommen.Wer dem § 19 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist mit Mehrheit so beschlossen.Ich rufe auf § 20 und den Änderungsantrag Umdruck 688 Ziffer 4. Wird hierzu das Wort gewünscht? —
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 688 Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über § 20 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.Nunmehr kommt § 26 mit dem Umdruck 688 Ziffer 5. Wird das Wort gewünscht?
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 688 Ziffer 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Wer § 26 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit. § 26 ist so angenommen.Ich rufe auf § 27. — Darf ich mehrere Paragraphen zusammen aufrufen, oder wollen Sie Einzelabstimmung?
— Ich rufe also auf §§ 27, — 28, — 29, — 30 — und 31. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen nunmehr zu § 39 a — Finanzierung und Verteilung der Mittel. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem aufgerufenen § 39 a zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
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Vizepräsident Dr. JaegerGegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit ohne Enthaltungen beschlossen.Wir kommen zu § 39 b. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dieser Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit beschlossen.Ich rufe auf § 40 — ich darf wohl fortfahren —,
§§ 41, — 42, — 43 entfällt, — 44, — 45. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.Ich komme nun zu § 46 und dem Umdruck 677 Ziffer 3. — Wird hierzu das Wort gewünscht?
— Das Wort wird nicht gewünscht. Bei dem Umdruck 677 Ziffer 3 der Fraktion der CDU/CSU handelt es sich um einen Streichungsantrag, über den als solchen nicht abgestimmt wird, sondern wer ihmzustimmen will, der stimmt eben gegen den § 46. Ichlasse abstimmen über § 46. Wer § 46 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist niemand.
Wer dagegen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — § 46 ist damit gestrichen.Ich komme zu §§ 47 und 48. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den beiden Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Die Mehrheit hat so beschlossen.Ich rufe auf § 49. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Die Mehrheit hat es beschlossen!Ich komme nunmehr zu §§ 58, — 59, — 59 a, — 60, — 61, — 62. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist mit Mehrheit beschlossen.
— Wenn es so flott vorwärtsgeht! Ich stelle also fest: das ist die Mehrheit. Aber wenn Sie Wert darauf legen, stelle ich Ihre Enthaltung gern fest!Wir kommen zu § 63. — Wie ich sehe, ist hier der Tag für das Inkrafttreten nicht bestimmt. Muß da nicht eine Lücke ausgefüllt werden?
— Ich bin im Augenblick überfragt, ob es in der Macht des Herrn Bundespräsidenten liegt, hier das Datum einzufügen, oder ob wir nicht die ganze Bestimmung streichen sollten, womit ganz automatisch die Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft tritt.
— Ich würde also vorschlagen, den § 63 zu streichen; dann gilt automatisch die Bestimmung des Grundgesetzes. Sind wir darüber einig?
— Dann ist § 63 weggefallen.Ich komme noch zu Einleitung und Überschrift. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen damit zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat das Gesetz in der ersten Lesung grundsätzlich abgelehnt und diese Ablehnung begründet. Sie fühlt sich aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gründen gezwungen, das vorliegende Teilgesetz genauso abzulehnen wie das ursprünglich von der Regierung eingebrachte umfassendere Gesamtgesetz. Sie hat das bei der Beratung der Einzelbestimmungen in der zweiten Lesung wiederholt zum Ausdruck gebracht. Dabei hat sich die Überzeugung der sozialdemokratischen Fraktion festigen müssen, daß auch mit den neuen Formulierungen unverändert die Absicht verfolgt wird, ein Instrument einseitiger Meinungsbildung zu schaffen.Die Verwirklichung dieser Absicht würde nicht nur bedauerlich sein, sondern auch gefährliche Konsequenzen haben können. Sie könnte zu einer Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Lebensordnung führen, die wir in unserem Staate entwickeln wollen. Sie könnte zu einer Gefährdung der Tragkraft unserer demokratischen Staatsordnung werden; denn zu einer solchen Gefährdung muß alles werden, was wichtige Instrumente der Öffentlichkeit zu einseitigen Machtinstrumenten machen will.Wir sind davon überzeugt, daß nicht alle in der Regierungsfraktion diese Absicht klar erkennen und das auch wollen. Aber eine Partei muß es sich gefallen lassen, daß ihre Absichten nach dem deutlich erkennbaren Willen derjenigen Kräfte beurteilt werden, die dieser Partei ihren Willen aufzwingen. Den federführenden Bundesinnenminister selbst vermögen wir nicht von dem Vorwurf zu entlasten, daß sein Ziel die Herstellung einer solchen Einseitigkeit ist. Wenn er dabei im Auftrag des Kabinetts und seines Regierungschefs handelt — was wir nicht bezweifeln —, können wir nur sagen: um so schlimmer.
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7026 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Kühn
Das Schicksal dieses Gesetzes entscheidet sich nicht in diesem Hause, nicht in den Beratungen der Ausschüsse und auch nicht in der jetzigen dritten Lesung. Nunmehr hat der Bundesrat das Wort. Die Ministerpräsidenten, die am 18. November diesem Gesetzentwurf einhellig ihre Zustimmung versagt haben, und zwar aus verfassungsrechtlichen Gründen, die sich auch auf den hier vorliegenden Teil beziehen, werden nunmehr darüber zu entscheiden haben, ob sie gewillt sind, die Rechte der Länder bis zu den notwendigen Konsequenzen zu vertreten. Der vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet sich in seiner Problematik in nichts von dem ursprünglich vorgelegten Gesetzentwurf. Hier werden organisatorische, rechtliche und finanzielle Fragen bundesgesetzlich geordnet, für die die Ministerpräsidenten die Gesetzgebungskompetenz der Länder behaupten und die unabhängig von der Gesetzgebungskompetenz schon aus sachlichen Gründen in einem Vertrag zwischen Bund und Ländern geordnet werden sollten.Wir verstehen sehr wohl, was mit diesem Teilgesetz beabsichtigt ist. Wenn das Teilproblem der Gebührenverteilung bundesgesetzlich geregelt wird, ist es morgen leicht, die gesamte Finanzgestaltung der Rundfunkanstalten bundesgesetzlich zu ordnen. Wenn eine Mittelwelle bundesgesetzlich in Anspruch genommen werden kann, kann morgen der gesamte Rundfunk in Organisation, Lenkung und Inhalt durch ein Bundesgesetz erfaßt werden. Wenn der Hörfunk bundesgesetzlich organisiert werden kann, kann es auch das Fernsehen; denn Hörfunk und Sehfunk sind die beiden Seiten der Gesamtmaterie Rundfunk wie die beiden Seiten einer Münze. Wenn die Ministerpräsidenten dieses Teilgesetzes passieren lassen, wird das ganze aus den Händen der Länder genommen. Die Hinnahme der bundesgesetzlichen Regelung dieses Teils, des Hörfunks, würde die Preisgabe der bundesgerichtlichen Möglichkeit bedeuten, den Zugriff auch auf das Fernsehen, das hier zunächst ausgeklammert ist, abzuwehren.Der Herr Bundesinnenminister Schröder hat bereits erklärt, er würde über einen Vertrag zwischen Bund und Ländern erst nach Annahme dieses Gesetzes auch im Bundesrat sprechen. Das heißt: nach der Selbstentwaffnung des Bundesrats würde er die Kapitulation fordern; denn wenn die Länder nicht seine Vertragsbedingungen akzeptieren, würde er den Weg des Bundesgesetzes beschreiten. Die Ministerpräsidenten würden, wenn sie das Gesetz im Bundesrat passieren ließen, jede Waffe dagegen aus der Hand gegeben haben. Wir wissen, welcher Druck auf die CDU-Ministerpräsidenten gewirkt hat. Aber sie stehen nun vor der nicht ganz uninteressanten Frage, ob sie der Weisung des Parteitags von Karlsruhe oder dem Spruch des Verfassungsgerichts von Karlsruhe den Vorzug geben sollen.
Der Ministerpräsident Altmeier hat gesagt, wenn dieses von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz angenommen werde, würden die Länder „an ein Gängelband gelegte Verwaltungseinheiten" sein. Das Wort haben jetzt die Ministerpräsidenten.
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Nun verstehe ich nicht ganz, warum Sie aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Gesetz in der Fassung, wie es in zweiter Lesung verabschiedet worden ist, nicht zustimmen wollen. Sie können die Frage, ob Art. 73 Abs. 7 des Grundgesetzes die Ordnung des Rundfunkwesens dem Bund zuweist oder nicht, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieses Gesetzes völlig ausklammern. Die Deutsche Welle gehört mit Sicherheit zur auswärtigen Kulturpolitik, zu den auswärtigen Angelegenheiten; sie gehören nach Art. 73 Abs. 1 zur ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Es kann auch nicht in Abrede gestellt werden, daß der Deutschlandfunk eine gesamtdeutsche Angelegenheit ist. Es ist hier oft gesagt worden, über gesamtdeutsche Angelegenheiten sei im Grundgesetz nichts geregelt; daraus müsse eigentlich der Schluß gezogen werden, daß die Länder zuständig seien. In unserer Verfassungswirklichkeit aber sind die gesamtdeutschen Angelegenheiten bisher unwidersprochen ausschließlich vom Bund wahrgenommen worden, so daß Sie nur in Übereinstimmung mit der Verfassungswirklichkeit handeln, wenn Sie davon ausgehen, daß die Regelung des Deutschlandfunks als gesamtdeutsche Angelegenheit unter die Zuständigkeit des Bundes fällt.
Nun wird der Einwand mit der Gebührenregelung gemacht. Herr Kollege Kühn, hier vermag ich mich Ihren Folgerungen nicht anzuschließen. Wenn ich davon ausgehe, daß die Länder zuständig sind, und wir in dem Gesetz bestimmen, daß für die Finanzierung der „Deutschen Welle" und des Deutschlandfunks 10 der Gebühren zur Verfügung gestellt werden, dann kann ein Land, das glaubt, die Länder seien für die Regelung der Gebühren zuständig, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anrufen. Wenn dieses Land und damit die Länder in Karlsruhe Recht bekommen, ist die Frage entschieden, und alle Weiterungen, die Sie so beschwörend an die Wand gemalt haben, als Sie meinten, was der Bund dann alles tun könne, fallen weg. Geht es allerdings umgekehrt, spricht Karlsruhe das Gesetzgebungsrecht für den Rundfunk im allgemeinen dem Bund zu, so wäre rein verfassungsrechtlich die Möglichkeit gegeben, daß der Bundestag ein Gesetz zur Ordnung des ganzen Rundfunkwesens verabschiedet. Ich bin aber der Überzeugung, daß sich schon aus der Struktur des Grundgesetzes ergibt, daß der Bundesgesetzgeber nicht berechtigt wäre, das gesamte Rundfunkwesen zentralistisch zu organisieren.
Ich darf kurz zusammenfassen: Ich verstehe nicht, warum Sie aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Gesetzentwurf, wie er in der zweiten Lesung verabschiedet worden ist, nicht zustimmen. Ich hatte die Hoffnung, daß, wenn wir Ihnen die Hälfte des Weges entgegengingen,
Sie uns die andere Hälfte entgegenkommen würden; dann hätten wir uns in der Mitte getroffen. Die Aufgaben, um die es geht, sowohl beim Auslandsfunk wie beim Deutschlandfunk, sind an sich wichtig genug, daß man sich so schnell wie möglich einigen sollte.
— Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Blachstein, ich glaube, wir sind uns einig, daß der Auslandsfunk erheblich ausgebaut werden muß.
— Nein, aber davon, daß diese Aufgabe eigenständig organisiert wird und nicht irgendwo angehängt bleibt. Ich möchte wirklich nichts gegen die Leistungen der, Deutschen Welle sagen. Ich bin nur der Meinung, sie ist zu schmal angelegt.
Ich möchte auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Länder, wenn sie am 15. Juli dieses Gesetz im Bundesrat zu behandeln haben, zur Kenntnis nehmen, daß die Zuständigkeit nach Art. 73 Nr. 7 des Grundgesetzes gar nicht in Anspruch genommen ist und daß sie diesem Gesetz zustimmen können, ohne von ihrer bisher vertretenen Rechtsauffassung abgehen zu müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
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7028 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der zweiten Lesung praktisch einen Teil dessen vorweggenommen, was eigentlich in die dritte Lesung gehört. Ich glaube, ich handle im Sinne aller, wenn ich das, was ich für meine Fraktion zur dritten Lesung hier zu erklären habe, recht kurz fasse.
Sie verdienen sich damit sicher den Dank des Hauses.
Wir haben uns immer auf den Standpunkt gestellt, daß eine gesetzliche Regelung aller Rundfunkfragen erfolgen sollte. Ich habe das für meine 'Fraktion schon in 'der ersten Lesung erklärt. Was jetzt hier vorliegt und was heute von dem Haus verabschiedet werden soll, ist—hier kann ich dem Kollegen Kühn nicht folgen — durchaus nicht 'das, was uns in der ersten Lesung vorgelegen hat. Ihren Erklärungen, es habe sich nichts geändert, muß ich entgegenhalten, daß ich in den Ausschußberatungen eigentlich den Eindruck hatte, als sei nichts mehr kontrovers; denn die Kollegen der SPD-Fraktion haben zeitweise jedenfalls den Anschein erweckt, als ob alles das, was jetzt verabschiedet werden soll, sowieso klar sei, wie etwa der Deutschlandfunk und die lange Welle. Deshalb kann ich wirklich nicht einsehen, weshalb wir nun die Dinge plötzlich wieder dorthin zurücktransponieren, wo sie nicht hingehören.
Sie sagen, das Fernsehen sei ausgenommen bzw. es sei eine bestimmte Art der Lösung dieses Komplexes bereits jetzt ins Auge gefaßt. Darauf möchte ich Ihnen erwidern, ;daß meine Fraktion und ich es bedauern, daß das Fernsehen in diese gesetzliche Regelung nicht mit eingeschlossen ist. Ich möchte im Namen meiner Fraktion erklären, daß bei all diesen Überlegungen, was nun auf uns zukommt, letzten Endes auch auf den Hörer und auf den Zuschauer Rücksicht genommen werden sollte. Der Zuschauer hat ein Recht darauf, am 1. Januar 1961 ein zweites Fernsehprogramm zu empfangen.
Der Bundespostminister hat erklärt, daß er von der technischen Seite her alle Voraussetzungen schaffen will, um das zu ermöglichen, und ich glaube, daß der Hörer und der Zuschauer ein Anrecht darauf haben, daß ihnen am 1. Januar 1961 tatsächlich ein zweites Programm zur Verfügung gestellt wird. Ich glaube, daß diese Aussage einmal erfolgen mußte.
Bisher ist von Verhandlungen zwischen Bund und Ländern im allgemeinen nicht zuviel spürbar gewesen. Bisher haben nur einige bestimmte Funktionsträger innerhalb 'der Regierungsparteien mit den Ländern verhandelt. Ich möchte wünschen — und ich glaube, ich befinde mich da in Übereinstimmung mit dem größten Teil der deutschen Öffentlichkeit —, ;daß man jetzt die Dinge sehr schnell und gewissenhaft in eine bestimmte Form bringt. Diese Form kann nur darin bestehen, ;daß man eine Regelung für 'den Fernsehkomplex schafft, die garantiert, daß ein gutes, unabhängiges und parteiungebundenes Fernsehprogramm gesendet wird. Diese Grundsätze müssen gewahrt bleiben.
Es wurde heute viel davon gesprochen, daß der Rundfunk ein Machtinstrument ist. Ich glaube, wer die Dinge objektiv prüft, wird zugeben, daß es sich tatsächlich um ein sehr eminentes Machtinstrument handelt. Aber ich glaube, wenn man das erkennt, muß die Schlußfolgerung die sein, daß diese Macht, soweit es möglich ist, verteilt und aufgeteilt werden muß. Man darf also nicht denen, die diese Macht jetzt schon ausüben, neue Macht überantworten, sondern muß eine echte Konkurrenz für die jetzigen Machtfaktoren schaffen.
Das möchte ich hier für meine Fraktion erklären.
Obwohl der Komplex des Fernsehens und der Komplex der Gebührenregelung ausgenommen sind, werden wir der jetzt vorgesehenen Regelung in dritter Lesung unsere Zustimmung erteilen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe von hier hinten
zuerst gegen den § 39 a und dann auch gegen das Gesetz gestimmt. Ich möchte das nicht so ganz heimlich und mutlos hier hinten tun, sondern möchte öffentlich erklären, daß ich gegen das Gesetz gestimmt habe. Ich bin der Auffassung, es ist notwendig, daß der Bund die Möglichkeit hat, seine Politik auf eigener Basis durchzusetzen und in der Öffentlichkeit darzulegen. Ich weiß, daß es für einen überzeugten Föderalisten, der über seine föderalistische Auffassung nicht zur Auflösung und Dezentralisierung der Macht, sondern zur Macht kommen möchte, heute schwer ist, seine Meinung zu sagen, weil eine gewisse Art von Meinungsbeeinflussung von seiten der Rundfunkanstalten die Überzeugungskraft der föderativen Struktur sehr geschwächt hat.
Trotzdem glaube ich, daß das Problem, das eigentlich in seiner Gesamtheit gelöst werden sollte — das, was uns heute vorliegt, ist leider nur eine unvollendete Symphonie —, sehr viele Schwierigkeiten aufwirft und insbesondere auch Anlaß zu vielen verfassungsrechtlichen Bedenken gibt. Ich will diese jetzt nicht mehr dartun, sie sind heute schon aufgezeigt worden. Ich bin aber der Überzeugung, dadurch, daß die Gebührenregelung im § 39 a des Gesetzes und nicht durch eine Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern getroffen wird,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1960 7029
Dr. Besoldwerden den Ländern nicht die ihnen in der Verfassung garantierten Möglichkeiten gegeben.Ich habe mich daher entschlossen, bis zu einer Regelung zwischen Bund und Ländern gegen dieses Gesetz zu stimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz lief zunächst einmal Gefahr, sich in juristischen Verklausulierungen zu verlieren. Dabei wurde völlig verkannt, daß es Notwendigkeiten gibt, denen man sich nicht immer unter Berufung auf die Verfassung entgegenstellen kann. In solchen Fällen darf man die Verfassung nicht spitzfindig nur nach ihrem Wortlaut auslegen, sondern muß ihren Sinn ermitteln. Die Regelung, die durch dieses Gesetz getroffen wird, verstößt auch nach Auffassung der Deutschen Partei keineswegs gegen die föderale Ordnung. Denn Föderalismus heißt, daß nach dem Prinzip der Subsidiarität das, was die Länder mangels Kompetenz, mangels Geld oder mangels Fähigkeit nicht lösen können, an den Bund, an die nächsthöhere Ordnung, abgegeben wird. Ohne Zweifel sind doch den beiden Anstalten, deren Schaffung nach diesem Gesetz vorgesehen ist, Aufgaben gestellt, die den Rahmen der Länder weit übersteigen.
Was wir bedauern, ist, daß nicht zur selben Zeit auch das Fernsehproblem geregelt worden ist. Aber genau das, was nun die Opposition auf der einen Seite befürchtet, daß nämlich mit der Verabschiedung dieses Gesetzes das Präjudiz geschaffen wird, auch das Fernsehproblem zu regeln, begrüßen wir, weil wir wirklich glauben, daß auch das neue Fernsehprogramm keine Verzögerung mehr erfahren darf,
so wie wir es bei der ersten Lesung des Gesetzes schon verlangt haben, daß das zweite Programm in möglichst großer Unabhängigkeit und vor allen Dingen schnell kommen muß. Um diesem zweiten Fernsehprogramm den Weg frei zu machen, stimmen wir jetzt diesem Gesetz zu, wenn es, wie gesagt, auch nur einen Teil des ganzen Fragenkomplexes vorweg regelt.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich kann niemanden zwingen, zu sprechen. Manchmal wäre es mir allerdings lieber, ich könnte mal jemanden zwingen zu schweigen. Das kann ich auch nicht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und drei Stimmen rechts angenommen.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir pünktlich am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 30. Juni, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.