Gesamtes Protokol
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Meine Damen und Herren! In diesem Teil der Debatte, der sich offenbar dem Problem der Einwirkung der Rüstung auf das Sozialgefüge, auf die Sozialpolitik widmet, stehen auf der Rednerliste zunächst der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dann der Kollege Stingl und Frau Schanzenbach. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schellenberg, ich hatte heute morgen das Vergnügen, die ersten Worte Ihrer Rede aus dem Lautsprecher zu hören, und sie haben mich veranlaßt, sofort hierher zu eilen, weil ich dachte, es böten sich durch Ihre Ausführungen Ansatzpunkte, die Sozialdebatte, die wir im Februar dieses Jahres hier gehabt haben, heute zu erneuern und zu vertiefen.Ich bin allerdings in dieser meiner Erwartung enttäuscht worden. Herr Schellenberg, Sie haben versucht, dem Hause und der deutschen Öffentlichkeit den Nachweis zu erbringen, daß eine Vermehrung der Rüstungskosten eine Verminderung der Sozialausgaben zur Folge habe. Sie haben dabei in einer Art und Weise, wie man das von dem Sozialexperten der sozialdemokratischen Fraktion nicht erwarten sollte,
Sozialausgaben und die verschiedensten Aufgaben und Ausgaben der einzelnen Sozialversicherungsträger sowie Bundes- und Landesausgaben durcheinander gebracht. Die Form, in der Sie das getan haben, hat mich doch höchlichst erstaunt.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dies an Zahlen, die Sie ja alle nachprüfen können, kurz darstellen. Sie alle haben vor kurzem die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers gehört. Sie haben sie gedruckt vorliegen, Sie haben die Haushaltspläne vorliegen, und Sie können daher das, was ich sage, sofort nachprüfen. Ich spreche jetzt ausschließlich vom Haushaltsplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, und wenn Sie diesen Haushaltsplan zur Hand nehmen, stellen Sie fest, daß er mit rund 8,8 Milliarden DM der zweitgrößte Einzelplan des Bundeshaushalts ist.
Sie können weiter feststellen, daß er der Haushaltsplan ist, der die geringsten Bewegungs- und Ausweichmöglichkeiten enthält; denn 99,7 % der Ansätze dieses Haushaltsplans sind in ihrer Höhe durch Gesetze, die dieses Hohe Haus beschlossen hat, festgelegt, und nur 0,3 % — wenn Sie es ganz genau wissen wollen, nur 0,26 % — entfallen auf Verwaltungskosten des Ministeriums und der nachgeordneten Dienstsellen sowie der zum Geschäftsbereich gehörenden beiden oberen Bundesgerichte.Und nun, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, einmal folgende Zahlen auf sich einwirken zu lassen. Die Gesamtausgabensumme ist mit rund 8,828 Milliarden DM um 133 Millionen DM niedriger als im Vorjahr angesetzt. Mit diesem Weniger, Herr Schellenberg, muß man sich auseinandersetzen, und ich gehe daher die einzelnen Positionen durch, die Sie hier angesprochen haben.In der Kriegsopferversorgung sind die Mittel für 1958 nach Durchführung der Sechsten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz mit den jetzt gültigen gesetzlichen Verpflichtungen veranschlagt, und da mit einem natürlichen Abgang der Zahl der Kriegsopfer gerechnet werden muß, müssen auch im Laufe eines Rechnungsjahrs diese Ausgaben bei gleichbleibender gesetzlicher Verpflichtung absinken. Der stärkste Rückgang ergibt sich natürlicherweise bei den Renten für die Waisen. Aus diesem Grunde sind die Mittel für die Kriegsopferversorgung mit rund 60 Millionen DM weniger angenommen. Wie Sie bei diesem Tatbestand — um bei diesem Teilgebiet zu bleiben — konstruieren können, daß etwa hier die Ausgaben gesenkt worden seien, um dafür die Rüstungskosten zu erhöhen, ist mir unerfindlich.
Oder stehen Sie auf dem Standpunkt, Herr Schellenberg, daß die Aufwendungen für die Kriegsopferversorgung eine konstante Größe ihres einmal erreichten Maximums behalten, auch auf Jahrzehnte hinaus, wenn durch natürlichen Abgang diese Ausgaben naturgemäß geringer werden?
Nun ein zweites, das zu hören Ihnen wahrscheinlich nicht angenehm ist. In der Arbeitslosenhilfe, die im Auftrage des Bundes von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchgeführt wird, sind die Ausgaben mit rund 37 Millionen DM niedriger angenommen worden. In dieser Minderung des Ansatzes findet aber eine begrüßenswerte Entwicklung ihren Niederschlag, die sich seit sechs Jahren unaufhaltsam fortgesetzt hat.
Während wir nämlich, Herr Schellenberg, im Rechnungsjahr 1952 noch rund 1 300 000 Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und in der Arbeitslosenfürsorge, jetzt Arbeitslosenhilfe
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1369
Bundesarbeitsminister Blank— Warten Sie doch ab, Herr Schellenberg! Lassen Sie das einmal auf sich wirken! Es kommt darauf an, Ihre Beweisführung, daß die Sozialausgaben niedriger angesetzt worden seien, um die Rüstungsausgaben zu erhöhen, hier an Ort und Stelle, und zwar sofort, zu widerlegen.
Ich fahre an der Stelle fort, wo Sie mich unterbrochen haben. Während wir, wie gesagt, im Rechnungsjahr 1952 noch rund 1 300 000 Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge hatten und von dieser Zahl nur 38,3 v. H. auf die Arbeitslosenversicherung, d. h. auf den Teil der Einnahmen der Bundesanstalt, die aus Beiträgen kamen, entfielen, dagegen aber 61,7 v. H. auf die Arbeitslosenfürsorge, also auf Bundesmittel zugunsten derjenigen Arbeitslosen, die sehr, sehr lange arbeitslos und aus der Arbeitslosenversicherung bereits ausgeschieden waren, hat sich bis zum Ende des Rechnungsjahrs 1957 die Entwicklung so fortgesetzt, daß für das eben abgelaufene Rechnungsjahr 1957 insgesamt nur noch rund 650 000 Unterstützungsempfänger in beiden Unterstützungszweigen vorhanden sind, von denen aber — und nun beachten Sie die Umschichtung, Herr Schellenberg! — 70 % auf die Arbeitslosenversicherung und nur noch rund 30 % auf die Arbeitslosenhilfe entfallen. Das ist der Erfolg unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik in sechs Jahren gewesen!
Bei einer Halbierung der Zahl der Unterstützungsempfänger hat sich die Zahl der durch Bundesmittel unterstützten Arbeitslosen auf weniger als ein Viertel vermindert. Herr Schellenberg, hätten Sie die Zahl nicht auch ermitteln können? Ich hätte Ihnen meinen Dank ausgesprochen, wenn Sie diese Zahl hier bekanntgegeben hätten.
Die Zuversicht, daß sich diese Entwicklung, wenn auch stark abgeschwächt, 1958 fortsetzen wird, rechtfertigt die Verminderung des Ansatzes um die soeben genannte Summe von rund 37 Millionen DM.Nun lassen Sie mich etwas sagen, ohne polemisch zu werden. Wenn eine sich bessernde wirtschaftliche Entwicklung eine Reihe von Menschen aus der Notwendigkeit herausführt, Sozialzuwendungen zu erhalten, wenn sie also wieder in Brot und Arbeit gekommen sind und die Aufwendungen dafür im Bundesetat naturgemäß geringer werden, nennt das Herr Schellenberg sozialen Rückschritt und Kürzung der Sozialausgaben!
„Diesmal steht im Bundeshaushalt für diese Aufgaben keine Mark mehr; denn es gibt keinen einzigen Arbeitslosen mehr in Deutschland."
Wir haben den Nachweis erbracht, daß man das Ideal einer sozialistischen Wirtschaft, nämlich die Vollbeschäftigung, ohne alle sozialistischen Experimente erreichen kann. Das habe ich Ihnen in Frankfurt schon vorausgesagt.
Wenn auch die Zuschüsse zur Sozialversicherung gegenüber dem Vorjahr um rund 37 Millionen DM gesunken sind, so muß bei diesem Rückgang doch beachtet werden, daß für das Jahr 1958 zwei Positionen weggefallen sind, die insgesamt eine Minderung um 208 Millionen DM bewirken. Im Rechnungsjahr 1957 waren in diesem Haushaltskapitel noch 200 Millionen DM als Erstattung von Teilen des Arbeitgeberbeitrags zur knappschaftlichen Rentenversicherung an die Unternehmen des Steinkohlen- und Pechkohlenbergbaus vorgesehen. Daß diese Erstattungen mit dem 1. April 1958 fortfallen, ist Ihnen ja bekannt. Sie wissen, daß es gar nicht in unserem Willen lag, sondern daß das eine Entscheidung der Hohen Behörde war. Infolgedessen müssen die 200 Millionen DM aus dem Haushaltsansatz natürlich verschwinden.
Daß weitere 8 Millionen DM im Zusammenhang mit einer Zahlung nach dem deutsch-jugoslawischen Vertrag über die Abgeltung von Forderungen aus der Sozialversicherung in diesem Jahr nicht zum Tragen kommen, ist Ihnen bekannt.Wenn Sie nun die Zahlen, die ich Ihnen hier bekanntgegeben habe, zusammenfassen, dann ergibt sich nämlich — das hat Herr Schellenberg der deutschen Öffentlichkeit, die er ja einmal aufklären wollte, wohlweislich verschwiegen —, daß die verbleibenden Mittel für die Sozialversicherung nicht 37 Millionen DM weniger, sondern ein Mehr von 170 Millionen DM an Bundeszuschüssen ausmachen.
Diese Zuschüsse gehen ausschließlich oder zum größten Teil auf Grund der Neuregelungsgesetze an die Rentenversicherung.Auf einen Einwurf hier im Hause sagte Herr Schellenberg — ich habe es mitgeschrieben —, die Mehrleistungen auf Grund der Rentenneuregelung kämen ja zu 80 v. H. aus den Beiträgen. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind doch bisher der Meinung gewesen — zumindest glaube ich das für die Regierung und die Regierungskoalition sagen zu dürfen —, daß wir keine staatliche Versorgungseinrichtung in Gestalt der Rentenversicherung aufbauen wollten,
sondern eine Einrichtung, die von den Beteiligten, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, selber getragen wird.
Es stellt sowohl den Arbeitgebern wie den Arbeitnehmern ein ehrendes Zeugnis aus, wenn sie, um die soziale und wirtschaftliche Lage der Rentenempfänger zu verbessern, ihr Ja zu diesen Rentenneuregelungsgesetzen gesagt haben. Das bedingte
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1370 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesarbeitsminister Blanknatürlich eine wesentliche Erhöhung der Beiträge für die soziale Rentenversicherung. Aber wenn man so argumentiert, dann darf man nicht verschweigen, daß die Zuschüsse des Bundes zu diesen Versicherungszweigen um 170 Millionen DM größer geworden sind.
Damit ist Ihnen der Nachweis, daß wir Mittel des Bundes — um die kann es sich nur handeln, denn die aufkommenden Beiträge stehen dem Bund ja gar nicht zur Verfügung —, wie Sie es darzustellen belieben, aus dem Sozialetat nähmen, um sie dem Rüstungsetat zuzuführen, Herr Schellenberg, so wenig gelungen, wie es Ihnen in der Februar-Debatte hier gelungen ist, nachzuweisen, daß die Rentenreform kein Fortschritt und kein Vorteil für die Betroffenen gewesen sei.
Noch ein Weiteres. Herr Schellenberg verkündet hier, was in einzelnen Referentenentwürfen aus dem Arbeitsministerium steht, was einzelne Referenten gesagt haben. Aber, Herr Schellenberg, das haben wir doch gewollt! Ich habe Ihnen doch auf Ihren Wunsch hin auf 37 Schreibmaschinenseiten eine Gesamtübersicht über die Pläne der Bundesregierung auf sozialpolitischem Gebiet gegeben. Diese Gesamtübersicht ist vervielfältigt worden und in die ganze deutsche Öffentlichkeit gegangen. Ich habe das sogar gewollt, und an vielen Stellen dieser Arbeit werden Sie finden, daß gesagt ist: Man kann das Problem so, man kann es so betrachten, es bieten sich diese, es bieten sich jene Lösungsmöglichkeiten an. Das alles doch deshalb, weil wir wollten, daß die deutsche Öffentlichkeit sich in der Diskussion mit diesen Fragen beschäftigte, und weil wir die Resonanz von Presse, Rundfunk und öffentlicher Meinung zu diesen unseren Vorstellungen erfahren wollten.
Ich stelle allerdings fest, daß die Resonanz bis heute im allgemeinen erstaunlich positiv gewesen ist.
Ich will hier gar nicht einzelne Probleme herausgreifen. Daß die Krankenversicherung reformiert werden muß, Herr Schellenberg, ist doch auch Ihre Meinung. Denn die erste Äußerung vor der deutschen Öffentlichkeit nach meinem Vortrag und nach der Aushändigung unserer Gesamtübersicht an die Öffentlichkeit kam doch von Ihnen, und Sie lobten mich sogar, Herr Schellenberg.
Denn Sie sagten damals, den größten Teil dessen, was dort zur Reform der Krankenversicherung vorgeschlagen sei, hätte ich aus alten Vorschlägen der SPD abgeschrieben.
Herr Schellenberg, wenn das wahr ist — und ich wäre gar nicht so überheblich, hier nicht vor aller Öffentlichkeit zu sagen, daß auch von Ihnen Gutes kommen kann, das ich gern übernehme —, dannwundere ich mich darüber, daß Sie hier heute aus dem Gedanken an eine Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung einen Abbau sozialer Leistungen zugunsten des Rüstungsetats konstruieren.
Das allerdings war ein Gedankensprung, der auch einem Professor nicht erlaubt sein sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen Ihre Zeit nicht durch eine allzu breite Behandlung von Fragen der Sozialpolitik fortnehmen. Wir haben im Februar einen ganzen Tag damit angefüllt. Wir werden auch bei der Beratung der Reformgesetze, die ich vorlege, Gelegenheit haben, uns damit zu beschäftigen.Trotz Ihrer heutigen Attacke werden die Referenten des Bundesarbeitsministeriums nach wie vor auch schon ihre ersten Referentenentwürfe mit meiner Billigung und Unterstützung der deutschen Presse und der deutschen Öffentlichkeit übergeben, weil man eine Diskussion vorher führen muß und nicht erst nachher, wenn die Dinge endgültig gestaltet sind.
Auch Beamte meines Ministeriums haben nach wie vor das Recht, ihre Gedanken zu publizieren. Ob das dann nachher Inhalt eines Gesetzes wird, bestimmt ausschließlich dieses Hohe Haus, wenn es einen solchen Gesetzentwurf vorliegen hat.
Nun möchte ich zum Schluß noch etwas sagen. Herr Schellenberg, — —
— Aber, lieber Herr Wehner, freuen Sie sich nicht über das herzliche Verhältnis, das uns erlaubt, uns mit dem Namen anzureden?
— Gnädige Frau, das überlasse ich Ihrer Beurteilung und der Antwort, die Sie von dieser Stelle aus vielleicht erteilen; denn dann habe ich Gelegenheit, darauf wieder einzugehen.Herr Schellenberg, „Atomtod" ist die eine große Parole, die im deutschen Volke Angst erzeugen soll— ich will mich mit ihr hier nicht weiter beschäftigen; dazu gibt es genügend Männer und Frauen meiner Fraktion, die das tun —, und jetzt soll die Angst vor der sozialen Verelendung hinzukommen. Das sagt man im Angesicht eines Bundeshaushalts, der rund 40 % seiner gesamten Ausgaben als Sozialausgaben dem deutschen Volke offenlegt.
— Herr Schellenberg, in der Weltgeschichte sind die halben Wahrheiten die gefährlichsten!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1371
Bundesarbeitsminister BlankDenn Ihre halbe Wahrheit besteht darin
— lassen Sie nur, ich habe ja den Lautsprecher! —,
Ihre halbe Wahrheit besteht in folgendem. Da ist die an sich richtige Erkenntnis, daß eine gute und gefestigte Wirtschafts- und Sozialordnung die Stabilität eines Staates in politischer Hinsicht bedeutet und daß eine gute und in sich gefestigte Wirtschafts-und Sozialordnung ein Bollwerk gegen den Kommunismus ist. Aber nur im Innern!
Gegenüber einem militanten Kommunismus, wie wir ihn in der Welt haben, ist die andere Seite der Sicherheit nicht zu vernachlässigen. Denn eine gute Sozialordnung, wie wir sie uns aufgebaut haben, wird für uns und insonderheit für den deutschen Arbeiter nur so lange bestehen, solange er in einem freien demokratischen Staatswesen sein soziales Schicksal selber mit gestaltet.
Russische Panzer erledigen Tarifvertragsfragen, russische Panzer beenden Auseinandersetzungen um die Sozialordnung, wie wir das in vielen Staaten der Welt gesehen haben.
Weil wir den deutschen Arbeiter vor diesem Schicksal bewahren wollen, deshalb heißt die ganze Wahrheit, meine Damen und Herren von der SPD: eine gute und sichere Sozialordnung nach innen und eine Verteidigung nach außen, damit wir uns die Freiheit für unser soziales Wollen erhalten.
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Meine Damen und Herren, um die Verhandlungen kontradiktorisch zu gestalten, bitte ich den Kollegen Stingl, damit einverstanden zu sein, daß zunächst Frau Schanzenbach spricht.
— Nach § 33 der Geschäftsordnung bin ich dazu berechtigt.
Frau Schanzenbach hat das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debatte miterlebt und soeben den Beifall gehört hat, den Sie dem Arbeitsminister gespendet haben, könnte man glauben, daß die sozialen Fragen bei uns in Ordnung seien. Wenn man aber als Fürsorgerin neben der Arbeit im Bundestag auch noch soziale Arbeit da unten in unserem Lande leistet, dann sehen die Dinge ein bißchen anders aus.
Ein Teilgebiet dieser Frage möchte ich Ihnen hier vortragen.Mein Fraktionskollege Schoettle, der eine große Erfahrung in Etatsfragen hat, sagte gestern, daß die Sozialausgaben vernachlässigt worden sind. Sie behaupten das Gegenteil. Aber es läßt sich an Hand von einigen Beispielen nachweisen, was richtig ist, und man kann — das gestehe ich Ihnen ohne weiteres zu — seine Auffassung darüber haben, ob das, was im Bundeshaushalt an Sozialausgaben vorgesehen ist, ausreicht oder nicht. Das muß man vor sich selbst ausmachen und vor den Bürgern, denen man sich verantwortlich fühlt. Aber wir können nicht nur das tun und lassen, was uns als einzelnen beliebt, sondern unsere Politik hat sich nach dem Grundgesetz zu richten,
und das Grundgesetz schreibt vor, daß unser Staat ein sozialer Rechtsstaat sein soll.
— Ich bitte zu hören: ein sozialer Rechtsstaat! Aber das Grundgesetz sagt auch, daß die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft steht.
Die Familie ist aber nicht dadurch geschützt, daß man ein Familienministerium bildet, sondern es sind andere Maßnahmen dazu notwendig. Es sind Hilfen, vor allen Dingen wirtschaftliche Hilfen erforderlich,
damit die Familien den im Grundgesetz garantierten Schutz haben.
Bei der Debatte, die wir heute um die Kosten der Aufrüstung und ihre Auswirkungen auf den Sozialetat führen, muß man sich fragen, was bisher für die Familien getan worden ist und was künftig bei der geplanten überhöhten und atomaren Aufrüstung der Bundeswehr an sozialen Hilfen für Familien im Rahmen des Etats noch möglich sein wird. Die Mehrheit dieses Hauses und die Regierung haben Gesetze verabschiedet, die die Familien hart treffen und in das innere Gefüge der Familien eingreifen. Sie verlangen durch das Wehrgesetz, daß jeder junge Deutsche in der Bundesrepublik, solange er wehrtauglich ist, der Wehrdienstpflicht nachkommt, und Sie verlangen sogar die Hingabe seines Lebens, wenn es notwendig sein sollte.
— Herr Seffrin, für mich ist das eine sehr ernste Sache!
— Wissen Sie, meine Herren von der CDU, wenn man den Mann in Rußland verloren hat und wenn man einen wehrpflichtigen Sohn hat, dann sind einem die Dinge sehr, sehr ernst.
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1372 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Frau Schanzenbach— Ich habe nicht gesagt, daß Ihnen die Dinge nicht ernst sind. Aber der Zuruf von Herrn Seffrin war unanständig; so habe ich ihn empfunden. Darum haben Sie diese Antwort bekommen.Wo in einem Staat Rechte sind, sind auch Pflichten, und diese Forderungen des Staates, denen nachzukommen das Grundgesetz uns auferlegt, müssen nicht nur wirtschaftlich, sondern in jeder Beziehung von uns erfüllt werden. Damit stellt sich, wenn wir verlangen, daß die Familien ihre Söhne hergeben, zunächst die Frage, ob wir auch genügend getan haben, daß die Familien ihre Kinder in jeder Beziehung gesund heranwachsen lassen können, und ob wir ihnen die entsprechenden Hilfen geleistet haben, die angesichts der veränderten Familienstruktur heute notwendig sind.Ich bin der Auffassung, daß wir zuwenig getan haben. Die Art, wie die Regierung zu den Hilfen, die den Familien gegeben werden sollten, Stellung nimmt, verträgt sich nicht ganz mit dem, was in der Propaganda gesagt wird. In der Propaganda stellen Sie sich als sehr familienfreundlich hin und tun so, als ob für die Familien wirklich das Bestmögliche getan wird.Sie haben vorhin dem Herrn Bundesarbeitsminister Beifall gespendet. Ich möchte Ihnen zeigen, daß es in der Praxis doch ganz anders aussieht, wenn man einmal die Leistungen unter die Lupe nimmt, die Sie im Bundestag und in der Regierung für die Familien festlegen. Ich bringe nur ein ganz kleines Beispiel, das Sie alle kennen sollten. Am 15. März dieses Jahres antwortete die Regierung auf eine Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten, wie es um die Förderung des Einsatzes von Familienpflegerinnen und Dorfpflegerinnen bestellt sei, daß die Notwendigkeit dieser Maßnahmen für die Familien voll anerkannt werde, daß aber — so schreibt der Herr Minister Wuermeling in der Antwort auf diese Anfrage — dem Herrn Innenminister für diese wichtige Aufgabe für die Familie keine Mittel zur Verfügung stünden.
Herr Minister Wuermeling hat bei der Beantwortung der Anfrage zwar sehr schöne Worte gebraucht; aber was nützen die schönen Worte, wenn in der Sache nichts getan wird? Hier haben Sie ein deutliches Beispiel dafür, wie Theorie und Praxis in diesem Hause aussehen.
Wie in diesem Falle, wird die Familienpolitik im Bund überwiegend betrieben. Sie ist zu einem großen Teil gekennzeichnet durch Unterlassungen. Dafür könnten genügend Beispiele angeführt werden. Sie brauchen nur die Schriften zu lesen, die der Herr Familienminister herausgibt, und zu vergleichen, was er fordert und was er bisher erreicht hat, obwohl Sie die Mehrheit in diesem Hause haben. Sie könnten ihm die Forderungen bewilligen, wenn Sie sie für notwendig ansähen. Ihre Familienpolitik ist bisher durch Unterlassungen gekennzeichnet, hat aus Versprechungen und aus Halbheiten bestanden.
Der Herr Familienminister gab die Parole heraus: Stärkung der Familie und dadurch Stärkung des Willens zum Kind. Er will die kinderreiche Familie. Aber in demselben Augenblick stellt er fest, daß die kinderreichen Familien heute mit Einkünften leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Der Regierung und den Regierungsparteien ist die wirtschaftliche Notlage unserer Familien bekannt. Sie hätten es doch in der Hand, eine vernünftigere, eine sozialere Familienpolitik zu betreiben. Doch wir, die Opposition, und die Menschen draußen haben davon wirklich wenig zu spüren bekommen. Ich erinnere nur an die Streichung von Subventionen für Lebensmittel, an den unzureichenden Wohnungsbau, ganz abgesehen von den sozialpolitischen Unzulänglichkeiten, von denen viele, viele Familien heute noch betroffen sind.Es ist heute zur Regel geworden, daß Frauen, die Kinder haben, einer Erwerbsarbeit nachgehen, nicht — wie es manchmal heißt —, weil sie sich etwas Außergewöhnliches, einen Pelzmantel oder sonst etwas, leisten wollen, sondern weil der Mann, der Haushaltungsvorstand, nicht so viel verdient, daß der Unterhalt der Familie nach unseren heutigen Auffassungen gesichert ist.
Zu einer gesunden Familienpolitik gehören unter allen Umständen Maßnahmen, die es ermöglichen, daß Mütter mit vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern nicht gezwungen sind, aus wirtschaftlichen Gründen einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Durch die wirtschaftliche Not und die durch sie bedingte Erwerbstätigkeit der Frauen nehmen nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie Schaden; denn durch Überbeanspruchung besonders der jungen Frauen werden deren körperliche und seelische Kräfte viel zu früh verbraucht.Wo zeigt sich denn hier, so muß ich fragen, die sogenannte familienfreundliche Politik der Regierung? Das Familienministerium vertritt interessanterweise die Auffassung, daß Kindergeld vom zweiten Kind an gegeben werden soll. Die Regierung und die CDU-Fraktion stellen aber die Mittel hierfür nicht zur Verfügung; wohl aber nehmen Sie Milliardenbeträge aus Steuermitteln zur atomaren Aufrüstung.Weite Kreise unserer Bevölkerung sind davon überzeugt, daß eine atomare Aufrüstung keine Sicherheit, sondern erhöhte Gefahren mit sich bringt. Ich bin der Auffassung, meine Damen und Herren, daß im Zeitalter der Atombombe ein Krieg kein Mittel der Politik mehr sein sollte.
Es ist bitter, aber es muß hier immer wieder ausgesprochen werden, damit Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU, Ihrer Verantwortung voll bewußt sind,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1373
Frau Schanzenbachdaß nach einem Krieg mit Atombomben wahrscheinlich kaum noch Hinterbliebene zu betreuen sein werden.
Das ist keine Angstmacherei, sondern es ist wirklich eine ungeheure Katastrophe, in die wir hineinschlittern könnten, wenn nicht alle Vorsichtsmaßnahmen im Politischen getroffen werden.Fragen wir uns aber nun, ob die Regierung mindestens den Opfern des letzten Krieges gegenüber ihre Pflicht so erfüllt hat, daß man von einer familienfreundlichen Politik auf diesem Gebiet sprechen kann! Ich kann aus meiner vielfältigen praktischen Erfahrung auch hier nur wieder sagen, daß fast alle Kriegshinterbliebenen, die Kinder haben und nicht unter dem Existenzminimum leben wollten, gezwungen waren, einem Erwerb nachzugehen. Diese Waisen hatten also nicht nur keinen Vater, sondern wegen der unzureichenden Versorgung des Bundes wurde ihnen auch die Fürsorge durch die Mutter weitgehend entzogen.Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin vorgetragen, daß bei der Versorgung der Kriegsopfer im Bundesetat 60 Millionen DM eingespart werden. Er nimmt es als Selbstverständlichkeit hin, daß man diese Einsparungen macht. Wir fragen uns: Wofür werden diese eingesparten Beträge verwendet? Wir kommen zu dem Ergebnis, daß diese 60 Millionen DM dann aller Wahrscheinlichkeit nach dem Verteidigungshaushalt zugeschlagen werden. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß das Bundesversorgungsgesetz noch keineswegs so gestaltet ist, daß die Opfer des Krieges damit zufrieden sein können.
Wir haben gerade in der letzten Sitzung des Kriegsopferausschusses davon gesprochen, daß z. B. bei den Eltern immer noch große Härtefälle bestehen, daß der Möglichkeit der Kapitalabfindung nicht Genüge getan ist, daß die Schwerbeschädigten zu einem großen Teil nicht ausreichend versorgt sind, daß viele, viele Härten nicht gemildert werden können, weil die Sonderbeihilfen nicht ausreichen. Wir sind der Auffassung, daß die Kriegsopfer Anspruch darauf hätten, daß diese 60 Millionen DM dem Versorgungshaushalt zufließen und nicht anderweitig, womöglich für die Aufrüstung, verwendet werden.
In den Veröffentlichungen des Familienministeriums werden Angaben gemacht, die den Bürger und die Bürgerin schlechthin beeindrucken sollen. Aber bei näherer Betrachtung hat man den Eindruck, daß mit diesen Publikationen dem Volk nur Sand in die Augen gestreut wird. Ich greife ein Beispiel heraus. Im Jahre 1956 wurden im Etat für Familienerholung zur Errichtung von Familienferienstätten 325 000 DM eingesetzt. Meine Damen und Herren, 325 000 für die Errichtung von Familienferienstätten für die ganze Bundesrepublik ist doch ein Tropfen auf einen heißen Stein. So wenig wie hier geschieht auch auf anderen Gebieten für die Familie, und das in der Bundesrepublik in einerZeit des sogenannten Wirtschaftswunders und unter einer Regierung, die sich als familienfreundlich bezeichnet. Aber wenn man sie nach ihren Taten mißt, ist ihr die überhöhte Aufrüstung wichtiger als die Hilfe für die Familien, die sie nach dem Grundgesetz zu leisten hat.Unsere Familienstruktur macht es notwendig, daß neben der Schule familienergänzende Einrichtungen geschaffen werden. Auch hier — das ist in der gestrigen und heutigen Debatte schon gesagt worden — macht es sich die Bundesregierung außerordentlich leicht, indem sie in diesen Fragen einfach auf die Zuständigkeit der Länder und der Gemeinden hinweist. Aber infolge der Finanzpolitik, die im Bund getrieben wird, haben Länder und Gemeinden keine Möglichkeiten, diese Aufgaben zu finanzieren. Die Gemeinden sind nicht in der Lage, Maßahmen nach § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes zu finanzieren, d. h. Kindergärten, Horte, Krippen, Jugendheime zu schaffen, einfach weil die Länder so viel an den Bund abführen müssen, daß die Gemeinden dann keine Mittel mehr zugewiesen bekommen, um diese vom Bund ihnen aufgetragenen Aufgaben durchzuführen.
Die Sachverständigen in Ihren Reihen kennen dieses Übel genauso, wie wir es kennen.Wenn also die sozialen Leistungen für die Familien bisher nach unserer Auffassung unzureichend waren, wie wird es dann erst in der Zukunft werden, wenn der Etat durch die Rüstungsaufgaben noch viel mehr angespannt sein wird? Die innere Sicherheit in unserer Demokratie gibt es aber nur, wenn unsere Familien in Ordnung und sozial befriedigt sind. Ich bin der Auffassung, daß diese Aufrüstungspolitik, wie sie von Ihnen betrieben wird, uns von dieser inneren Sicherheit wegführt.
Das Übermaß an Aufrüstung in der Bundesrepublik gefährdet aber nicht nur die soziale Sicherheit, sondern, was genau so schlimm ist, ja, ich möchte als Frau sagen: was ich als noch schlimmer empfinde, diese Aufrüstungspolitik und ihre Auswirkungen zerstören die innere Friedens- und Verständigungsbereitschaft unter den Menschen.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen, das mich sehr beeindruckt. Wir haben in diesem Hause im 1. Bundestag einen Antrag eingebracht, der von Mitgliedern aller Fraktionen, vor allen Dingen von allen Frauen dieses Hauses unterschrieben war, einen Antrag auf Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Kriegsspielzeug. Gerade die Frauen der CDU haben diesen Antrag damals mit aller Leidenschaft unterstützt. Aber dieser Antrag ist natürlich nicht erledigt worden und spielt heute keine Rolle mehr. Ist es nicht furchtbar, daß das Denken vieler, die auf diesen Plätzen sitzen, heute ein anderes geworden ist? Damals — davon waren wir alle überzeugt, die wir zu diesem Antrag standen — hielten wir es für notwendig, eine Politik zu betrei-
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1374 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Frau Schanzenbachben, die zur Toleranz der Menschen untereinander und zur Ablehnung eines jeden Krieges hinführen sollte. Wenn ich mich an die Denkweise der Mitglieder des damaligen Ausschusses für Jugendfürsorge erinnere, dessen Vorsitzender der heutige Verteidigungsminister war, wenn ich mich an die Gespräche der damaligen Zeit erinnere und heute erlebe, wie Herr Strauß die atomare Aufrüstung der Bundeswehr betreibt und die Frauen in der CDU/CSU-Fraktion ihm leidenschaftlich Beifall klatschen, wenn er dazu im Parlament spricht, dann werde ich sehr nachdenklich über die Veränderung im Verhalten dieser verantwortlichen Politiker, und ich lege mir die Frage vor: Wohin wird dieser Weg, dieses Denken und diese Haltung uns noch führen? Ich denke dann mit großer Sorge an die Zukunft unserer Familien und unserer Kinder.Die Frauen in der Bundesrepublik hatten bei der Wahl am 15. September des vergangenen Jahres nicht genügend Kenntnis von der Absicht der Regierung und der CDU. Sie wußten nicht — und Sie haben ihnen das nicht gesagt —, daß Sie die atomare Aufrüstung betreiben wollen.
Sie haben die Frauen im unklaren gelassen, Sie haben ihnen Sand in die Augen gestreut.
Sonst hätten Sie nicht diese Mehrheit der Frauenstimmen bekommen. Diese Mehrheit der Frauenstimmen ist Ihnen nur zugefallen, weil die Frauen nicht gewußt haben, welche Politik Sie in der Aufrüstung betreiben wollen und welche Gefahr auf sie und ihre Familien dadurch zukommt.
Ich bin der Auffassung, daß diese Politik der überhöhten Aufrüstung eine Familienpolitik verhindert, wie das Grundgesetz sie von uns verlangt. Wenn Sie, meine Damen und Herren, dieser Auffassung nicht sind, dann bitte ich, daß der Herr Familienminister gleich nachher hierherkommt und uns unterbreitet, wieviel Geld er für Familienhilfen ausgeben will in der Zeit, für die der Verteidigungsminister Strauß 52 Milliarden zum Zweck der Aufrüstung geplant hat.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war an sich wohl nicht zu erwarten, daß im Rahmen dieser Debatte eine Art Aussprache über die Familienpolitik der Bundesregierung stattfinden werde. Aber nachdem die verehrte Frau Kollegin Schanzenbach es soeben für zweckmäßig gehalten hat, dieses Thema anzusprechen, möchte der Familienminister nichtkneifen, sondern sich wenigstens in einer kurzen Antwort, wie aufgefordert, stellen.Frau Kollegin Schanzenbach hat zunächst das Wehrgesetz als einen Eingriff in die Familie oder womöglich gar in die Rechte der Familie bezeichnet. Ich weise in diesem Zusammenhang einfach und schlicht darauf hin, daß in sämtlichen freien europäischen Ländern Wehrgesetze mit Wehrpflicht be- stehen und bestehen müssen, weil die Sicherung und Erhaltung der Freiheit der Familie die gemeinschaftliche Verteidigung der Familie durch eine Wehr erfordert.Frau Kollegin Schanzenbach meinte sodann, wir trieben keine familienfreundliche Politik. Meine Damen und Herren, daß wir mit der Familienpolitik in der Bundesrepublik noch nicht am Ziel sind, das wissen die Bundesregierung und der Familienminister selbst am besten. Es ist aber absolut unzutreffend, wenn so getan wird, als sei in den letzten Jahren familienpolitisch nichts geschehen. Ich darf hier bemerken, daß mir gerade vor wenigen Tagen ein maßgebender Familienpolitiker ausgerechnet aus Frankreich gesagt hat, man sei geradezu überrascht, wie weit wir in den wenigen Jahren, die wir nun aktive Familienpolitik treiben, schon gekommen seien. Ich möchte mich hi r darauf beschränken, Ihnen kurz zehn Stichwo: te zu nennen, um das, was ich zu sagen habe, zu beleuchten.Erstens. Wir hatten, als wir mit dieser Familienpolitik begannen, noch kein Kindergeld. Im 2. Bundestag wurde dann ein Kindergeld beantragt in Höhe von 20 DM ab drittem Kind. Das wurde dann gleich auf 25 DM ab drittem Kind festgesetzt und im vergangenen Herbst auf 30 DM erhöht. Wir sind also auf diesem Gebiet zwar noch nicht am Ziel, aber immerhin um 50 % weiter, als wir es uns vor drei Jahren vorgestellt haben.
Zweitens. Die Steuerregelung. Das, was jetzt durch den neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung steuerpolitisch vorgeschlagen wird, ist, soweit ich die Dinge übersehen kann, international die Spitze der Begünstigung der Familie mit Kindern.
Wenn wir nach dem neuen Splitting-Tarif eine Familie mit zwei Kindern bei einem Einkommen bis zu 600 Mark monatlich völlig steuerfrei haben werden, eine Familie mit drei Kindern bei einem Einkommen bis zu 750 Mark und eine Familie mit vier Kindern bei einem Einkommen bis zu 900 Mark, dann stehen wir damit — und das stelle ich mit Freude fest — an der Spitze unserer Nachbarländer.
Wenn wir jetzt den Splitting-Tarif einführen, dann tun wir damit im übrigen in besonderer Weise auch etwas zugunsten der nicht berufstätigen Hausfrauen und Mütter, zugunsten jener Mütter, die ihre schönste und wichtigste Aufgabe darin sehen, das Heim, die Familie, die Kinder und den Haushalt zu betreuen, indem das Gesetz davon ausgeht,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1375
Bundsfamilienminister Dr. Wuermelingdaß die Mutter durch diese Tätigkeit, durch ihre Mitarbeit, praktisch die Hälfte des Einkommens verdient, das der Mann draußen erarbeitet. Das ist eine sehr schöne Form der Herstellung der Gleichberechtigung der nicht berufstätigen Frau und Mutter, die in der Vergangenheit leider viel zu kurz gekommen war.
Drittens ist inzwischen das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz erlassen worden. Alles, was wir uns im Sinne der Förderung des Eigenheims der Familie zu erreichen bemüht haben, ist Ihren schärfsten Widerständen begegnet.
Gott sei Dank haben wir diese familienpolitischen Forderungen gegen Sie durchdrücken können.Viertens haben wir es erreichen können, die Bundesbahntarife zugunsten der Familien zu verbessern, indem Familien mit drei und mehr Kindern zu verbilligten Preisen fahren können.
Sie wissen auch ganz genau, daß der Versuch der Bundesbahn, besondere Belastungen der Familien herbeizuführen, abgeschlagen werden konnte, indem das Bundeskabinett in diesem Punkte keine Genehmigung erteilt hat.Fünftens geben wir jetzt jährlich 2 Millionen DM für Müttererholung aus, was vorher nicht der Fall war.Sechstens geben wir jährlich 1 Million DM als Starthilfe für Familien-Ferienerholung aus.Siebtens haben wir ein eheliches Güterrecht geschaffen, das durch die Zugewinstgemeinschaft jetzt ähnlich wie bei der Steuer die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe auch in wirtschaftlicher Hinsicht herstellt.Achtens. Wenn Sie Familienpolitik familienfreundlich treiben wollen, — ich würde es sehr dankbar begrüßen, wenn von der SPD diejenigen Bestrebungen unterstützt würden, die beim Ehescheidungsrecht dahin gehen, daß die böswillig verlassene Frau — und oft Mutter — nicht gegen ihren Willen von dem ehebrecherischen Gatten geschieden werden kann. Diesen Schutz der Frau und Mutter erbitte ich namens Tausender von Frauen und Müttern von der Sozialdemokratischen Partei bei der künftigen Regelung des Ehescheidungsrechts.
Neuntens, meine Damen und Herren, der Schutz der Jugend. Wir haben gegen die geschlossene sozialdemokratische Fraktion das Gesetz gegen Schmutz und Schund mit großer Mühe im 1. Bundestag durchziehen müssen. Hier ist ein Gebiet, auf dem Sie Ihren Schutz der Jugend und der Familie erst noch unter Beweis stellen müssen.
Zehntens. Im Bundesjugendplan stellen wir auch in diesem Jahre wieder — und ich freue mich, daß das der Fall ist — über 60 Millionen DM zur Verfügung, um von Bundes wegen hier das zu tun, was notwendig ist.Ich beschränke mich auf diese ganz wenigen Bemerkungen. Aber zur Familienpolitik noch einen Hinweis auf die Denkweise, die wir in Ihren Reihen leider allzu oft erleben, gegenüber der Notwendigkeit, den kinderreichen Familien zu helfen. Hier liegt vor mir ein Ausschnitt aus dem Zentralorgan der Gewerkschaft Leder, dem „Leder-Echo", vom 17. September 1957. Da hat ein Mann, der offensichtlich nicht aus unseren Reihen stammt, sondern aus Ihren, unter anderem folgendes geschrieben:Die Kinderzahl sinkt, und das Ministerium findet diese Tatsache alarmierend. Aber ist sie wirklich so erschreckend? Der gesunde Menschenverstand sagt: Nein, und der Instinkt des Volkes trägt den jetzigen Verhältnissen in der Bundesrepublik Rechnung. Westdeutschland ist übervölkert. Die Frauen müssen mitarbeiten.Und nun der Satz:Scheiden sie aus dem Produktionsprozeß aus, um daheim eine große Kinderzahl zu behüten, sinken die Produktionsziffern.
— Nein, nein, Herr Kollege Wehner, das kommt aus dem sozialistisch gesteuerten „Leder-Echo".
Und abschließend noch ein Satz:Überflüssig, zu sagen, daß wir in Deutschland schon einmal ein Regime hatten, das eine wirksame Propaganda, verbunden mit einem ausgeklügelten Prämiensystem für Kinderreichtum, betrieb. Als es dann soweit war, wurde erklärt, Deutschland sei zu klein geworden, um seine überaus groß gewordene Bevölkerung beherbergen und ernähren zu können. Dies führte zu dem Traum von einem Großdeutschland, das zerstückelt wurde und in Blut und Tränen unterging.Meine Damen und Herren, ich möchte mich hier mit allem Nachdruck dagegen verwahren, daß die Familienpolitik der Bundesregierung irgendwie in einen Vergleich mit der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik gebracht wird. Wir treiben nicht die Familienpolitik um der Geburtenziffer willen, sondern um der Gerechtigkeit für die Familie willen.
Und dann noch eine letzte Antwort zum Politischen. Frau Kollegin Schanzenbach hat es für richtig gehalten, hier von neuem das Märchen aufzutischen, es sei im Bundestagswahlkampf von den Atomwaffen nicht die Rede gewesen. Es wird jetzt immer wieder, man liest es auch hier und da einmal, behauptet, es sei eine Verfälschung des Wahlergebnisses, wenn die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nun ihre Wiederbewaffnungsund Verteidigungspolitik in der jetzigen Weise
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1376 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesfamilienminister Dr. Wuermelingweiter betrieben. Ich möchte dazu folgendes aus meinem eigenen engsten Bereich feststellen. Ich habe in meinem Wahlkreis kurz vor der Bundestagswahl in sämtliche Haushaltungen einen Wählerbrief geschickt, in dem das eigentliche Hauptthema des Wahlkampfes ganz klar und eindeutig in dem Sinne herausgestellt wurde, wie wir den Wahlkampf geführt haben. Gestatten Sie mir — Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis —, das ganz kurz zu zitieren.
— Nein, Sie wählen mich doch nicht; ich hoffe auch, daß das nie geschieht, sonst müßte ich nämlich auf dem falschen Wege sein, Herr Kollege Wehner.
Zur Erreichung des Zieles,
— heißt es in meinem Wählerbrief —die Bundesrepublik und die Sowjetzone in kommunistischer Sklaverei „wiederzuvereinigen", hat Moskau für die Bundesrepublik u. a. folgende Parolen ausgegeben:1. „Wiedervereinigung statt Wiederbewaffnung"
2. „Keine Wehrpflicht"— so wie wir es eben anscheinend auch von Frau Kollegin Schanzenberg wieder gehört haben —„keine Wehrpflicht"
3. „Ausscheiden der Bundesrepublik aus der NATO"
und
4. — und das war damit das Thema —„Entfernung aller Atomwaffen aus unseren Gebieten"
Und dann fährt mein Wählerbrief fort:Unbegreiflich ist — besonders auch den sozialistischen Staatsmännern der freien westlichen Welt —, daß unsere SPD genau gleichlautende Parolen wie Moskau vertritt und sie verwirklichen will, wenn sie an die Macht käme. Sie haben sie alle oft von der SPD gehört.Ich habe hinzugefügt:Natürlich will die SPD keinen Kommunismus und will gewiß dem Kreml nicht in die Hände arbeiten.Mein Wählerbrief schließt dann mit der Feststellung:Dies ist die Entscheidung und Ihre Verantwortung am 15. September, die alle anderen politischen Fragen und Wünsche überschattet.Mir liegt daran, das hier einmal ganz klar festzustellen, daß wir den Wahlkampf a) um die soziale Sicherheit, b) um den Frieden und letztlich aber auch um die Sicherung der Freiheit gekämpft haben. Meine Damen und Herren, diese Freiheit zu erhalten, ist die Aufgabe unserer Verteidigungspolitik; und die deutschen Familien, für die ich hier sprechen darf,
sind gewillt und bereit, die Opfer zu bringen, die die Freiheit und die Sicherung des Friedens erfordern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe eigentlich selten in einer Debatte mit solcher Beklemmung 'hier auf dem Rednerpult eine Rede begonnen — deswegen, weil wir doch in einer Debatte um eine Große Anfrage der SPD zu den Rüstungskosten waren und ich plötzlich hier als ein Redner meiner Fraktion auftreten muß, um zu sozialpolitischen Konzeptionen zu sprechen.Nun, wir leugnen sicherlich nicht, daß es einen Wesenszusammenhang gibt zwischen der inneren Ordnung des Staates und der Verteidigung eben dieser Ordnung, dieses Staates.
Aber wenn Sie, meine Damen und Herren, die Debatte auf das jetzige Gleis gebracht haben, dann muß in Ihrer Großen Anfrage doch sehr wenig zur eigentlichen Materie stecken, wenn Sie auf die Fragen ausweichen müssen, die damit zwar mittelbar, aber nicht unmittelbar zu tun haben.
Herr Kollege Schellenberg, Sie wissen, daß wir in den Ausschußsitzungen ein ausgezeichnetes Verhältnis haben und sehr gut zusammenarbeiten. Aber es ist mir immer, wenn Sie auf der Rednertribüne stehen, etwas angst, was nun wieder kommen wird und wie Sie nun wieder dahin gehen werden, wo man Stimmen fangen kann, wo man Applaus bekommen kann, aber nicht die sachliche Atmosphäre, das Durchdiskutieren der Probleme hat. Man hat ja beinahe das Gefühl, daß Sie hier schon Dinge vorwegnehmen, die Sie eigentlich erst auf Ihrem Parteitag in Stuttgart der Bevölkerung vorsetzen wollen,
oder vielleicht geht es da um die Reihenfolge der Redner in Stuttgart oder sonst irgend etwas. Herr Kollege Schellenberg, es tut mir leid, zu einigem kann ich einfach nur sagen: niedriger hängen!Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25 Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1377StinglEs ist so unendlich viel dazu gesagt worden, wie der Zusammenhang zwischen den sozialen Leistungen und der Verteidigung sei. Ganz gewiß hat es nur dann einen Sinn, unsere Verteidigungsmacht aufzubauen, wenn wir dem Grundgesetz folgend den sozialen Rechtsstaat zu bewahren haben. Aber man kann an das Problem nicht so herangehen, als sei in der Bundesrepublik in sozialer Beziehung alles im Rückstand. Vielleicht würde es Ihnen passen, wenn Sie heute nachweisen könnten, daß wir aus den sozialen Leistungen die ganzen Aufrüstungskosten bestreiten. Aber Sie können das eben nicht, und darum klammern Sie sich z. B. an 60 Millionen DM bei der Kriegsopferversorgung, die weniger geleistet werden, und vergessen hinzuzusetzen, daß dafür etwa 250 000 Menschen diese Wenigerleistungen empfangen. Daß dann die Abnahme eine Begründung hat, scheint mir eigentlich ziemlich klar zu sein. Im übrigen wissen Sie, Frau Kollegin Schanzenbach, ja auch, daß wir in einer Diskussion um eine Reform der Kriegsopferversorgung stehen.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben weiter gesagt, der Bundesfinanzminister habe in seiner Antwort von den sozialen Dingen gar nichts gesagt. Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren, was er gesagt hat. Er hat gesagt:Die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrags wird jährlich neu geprüft und jeweils den veränderten politischen, technischen, finanziellen und militärischen Bedürfnissen angepaßt.Das scheint mir doch so eindeutig klar wie nur etwas zu sein, daß man, wenn man an die Rüstungsausgaben denkt, ihre Begründung ansieht. Es heißt in einem Absatz später — das haben Sie allerdings verschwiegen —, daß natürlich auch die jeweilige Wirtschaftskraft gegenübergestellt werden muß.Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lebeglaubte uns gestern beweisen zu sollen, daß wir durch die Rüstungsausgaben einen Rückgang des Lebensstandards verursacht hätten. Er begründete das mit Zahlen aus der Industriegewerkschaft Bau, Steine und Erden. Ich bezweifle seine Zahlen selbstverständlich nicht. Aber ich möchte ihn doch darauf aufmerksam machen, daß wir immerhin einen Zuwachs des Sozialprodukts von 1956 bis 1957 von 4,6 % zu verzeichnen haben, dagegen einen Zuwachs der Bruttolöhne und -gehälter von 7,5 % der Masseneinkommen von 11,12 %, der Pensionen und Renten sogar von 20,6 %. Das zeigt eindeutig, daß die Zunahme bei den Masseneinkommen wesentlich höher ist als die Zunahme des Bruttosozialprodukts. Sie können das nachlesen. Ich habe das eine zitiert aus „Wirtschaft und Statistik", Heft Nr. 1, das andere aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Januar 1958. Wenn Sie trotzdem für die Industriegewerkschaft Bau, Steine und Erden nachweisen, daß es hier nicht der Fall ist, dann. kann man vielleicht auf den Gedanken kommen, daß sich da jemand durchgesetzt hat, von dem man weiß, daß er einmal gesagt hat, es komme ihm nicht darauf an, auf die „fußkranken Gewerkschaften" Rücksicht zu nehmen. Dann liegt es vielleicht an dermangelnden Solidarität der Industriegewerkschaften untereinander.
Aber man kann das nicht als einen objektiven Maßstab für die Entwicklung der Gesamteinkommen nehmen. Es tut mir leid, das auch einmal sagen zu müssen.Sie sagen dann, das würde den Lebensstandard abbauen, den wir errungen hätten. Vorher hörten wir es anders. Es hieß, wir würden nur die Leute mit diesem Lebensstandard einfangen wollen. Wie stehen Sie denn nun dazu? Wir jedenfalls haben bewiesen, daß wir nur mit unserer Wirtschaftspolitik überhaupt zu diesem Lebensstandard gekommen sind, den wir zu verteidigen haben.
Sähe es wohl genauso aus, wie es jetzt ist, wenn Sie die Wirtschaftspolitik geleitet hätten? Ich glaube nicht.
Der Beweis dafür ist nicht schwer zu führen. Er liegt darin, daß Sie vor den Bundestagswahlen 1957 die Konzeption Ihrer Wirtschaftspolitik, die Sie bis dahin verfolgten, aufgegeben und unsere Konzepton sich als die richtige zu eigen gemacht haben.
— Die soziale Marktwirtschaft!
Das Nettoeinkommen der unselbständigen Arbeitnehmer ist um 103 % gestiegen. Wenn man nun dagegen hält, daß das Bruttoeinkommen der privaten Haushalte in den Unternehmungen in der gleichen Zeit lediglich um 65 % gestiegen ist, so komm man eben wieder zu dem Ergebnis, daß es ein Schlagwort ist, wenn Sie sagen: Die Reichen sind reicher und die Armen ärmer gemacht worden. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wird Ihnen da genügend Material liefern, damit Sie Ihre bisherigen Vorstellungen korrigieren und sie den wirklichen Verhältnissen anpassen können.Der Lohnanteil der Arbeitnehmer ist von 59,1 % im Jahre 1950 auf 62,2 % im Jahre 1956 angestiegen. Auch das suchen Sie einfach zu verschweigen. Sie wollen es einfach nicht wahrhaben, daß es eben auch kraft unserer Wirtschaftspolitik den Arbeitnehmern besser geht als zu der Zeit, da wir ans Ruder kamen.
Ich leugne nicht, daß es noch da und dort Härten gibt. Wir wissen sehr genau — Frau Kollegin Schanzenbach, Sie brauchen uns das nicht vorzuhalten —, daß es auch noch Not in unserem Volke gibt. Sie können uns aber nicht vorwerfen, daß wir nicht alle Anstrengungen machen, die Not auch zu beseitigen, wobei wir allerdings unter Beseitigung der Not nicht nur das Hinreichen von Geld verstehen, sondern wir wollen die Not an der Wurzel beseitigen, etwa in der Familienpolitik, wo wir den1378 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 24. April 1958StinglZusammenhalt der Familie fördern wollen, so daß die Familie nicht durch Stützungen, sondern kraft ihrer eigenen Arbeit, ihres inneren Zusammenhalts lebt.
Die Staatseinnahmen aus Unternehmertätigkeit sind in dem Zeitraum 1950 bis 1956 um 218 % gestiegen. Wir wissen, daß das im Grunde genommen keine gesunde Entwicklung ist, sondern daß sie eher Ihren Tendenzen entspricht. Man muß ja nach den heutigen Reden wirklich den Eindruck haben, Ihnen wäre es lieber, man könnte alles über den Staat tun, man könnte alles über den Staat beschaffen. Dadurch wird der Mensch entpersönlicht. Das ist das Resultat Ihrer Zielrichtung.Auch das Renteneinkommen — ich habe es vorhin schon gesagt — ist in der letzten Zeit gestiegen. Selbstverständlich hat daran die Rentenreform des Vorjahres einen wesentlichen Anteil. Aber tun Sie doch nicht so, als ob die Rentenreform das Ergebnis Ihrer Bemühungen wäre! Wir sind dafür dankbar, daß wir hier weitgehend miteinander zusammenarbeiten konnten. Aber diese Rentenreform hat Bestand, auch neben der Rüstung. Was nützt unseren Arbeitnehmern die höhere Rente, wenn sie insgesamt gefährdet sind, wenn eines Tages die Einheitsrente, wie wir sie in der Sowjetzone kennen, auch unseren aus dem Arbeitsprozeß ausgeschiedenen Arbeitnehmern zugebilligt werden müßte?
l Sie haben behauptet, uns lägen sozialpolitische Probleme fern. Sie haben behauptet, Herr Minister Blank sei wegen irgendwelcher Reden nicht da, Er war nicht da, weil er seinen Verpflichtungen folgte. Er war in Genf bei der Internationalen Arbeitsorganisation.Meine Damen und Herren, kann man die Problematik wirklich so sehen, daß man auf so billige Effekte hinauswill? Herr Kollege Schellenberg, ich glaube, Sie sollen sich mehr angewöhnen, die Diskussion auch im Plenum so zu führen, wie wir es ganz offen im Ausschuß tun.Ich gehe nicht auf Einzelfragen ein. Herr Minister Blank hat das viel vorzüglicher getan, als ich es tun könnte. Aber lassen Sie mich eines dazu sagen. Es ist einfach nicht richtig, die Ausgaben des Militäretats den Ausgaben des Sozialetats im Bundeshaushalt gegenüberzustellen, um zu verschweigen, daß auf dem sozialen Sektor auch die anderen Haushalte mit herangezogen werden müssen. Herr Minister Wuermeling hat schon zu einigen Fragen der Familienpolitik gesprochen. Man kann doch nicht verschweigen, daß die Fürsorgeleistungen gar nicht im Bundeshaushalt stehen. Man kann doch gar nicht verschweigen, daß es einen Lastenausgleichsfonds gibt, der nicht nur aus Bundesmitteln gespeist wird. Man kann auch nicht verschweigen, daß es noch die Sozialleistungen in den Rentenversicherungen gibt, und es ist doch einfach nicht richtig, wenn man über die Krankenversicherung spricht, die Frage aufzuwerfen, wieviel Mittel denn dafür im Bundeshaushalt seien.Wir wissen sehr wohl — und Sie wissen das auch, wir brauchen das doch nicht voreinander auszubreiten —, daß die Sozialleistungen der Sozialversicherungsträger auf dem Einkommen beruhen und aus den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer stammen, die aber vorher ein Teil des Sozialprodukts sein müssen.Sie verschweigen, daß zu den Sozialleistungen und Sozialmaßnahmen auch die Steuerpolitik gehört. Wollen Sie etwa leugnen, daß es eine Besserung des Lebensstandards ist, wenn eine ganze Reihe von Arbeitnehmern — es sind etwa 3 Millionen, ich kenne die Zahl nicht genau —, keine Steuern mehr zu zahlen haben? Ist das nicht auch Sozialpolitik? Ist das nicht eine Auswirkung auf den Lebensstandard derer, deren Interessen Sie besonders zu vertreten vorgeben?Man kann nicht einfach nur so tun, als könne man die Zahl, die im Bundeshaushalt für die Rüstungen steht, der Zahl, die im Bundeshaushalt für Sozialleistungen steht, gegenüberstellen. Dann könnte man zu Felde ziehen und sagen: Da seht ihr es, für die Rüstung geben die mehr aus als für die Sozialleistungen!Herr Kollege Schellenberg, wir sind uns darüber klar, daß die Verteidigung der Freiheit Opfer verlangt. Wir hoffen, daß auch Sie sich darüber im klaren sind. Ich möchte es annehmen; denn als wir in Berlin während der Zeit der Blockade in äußerster Bedrängnis um unsere Freiheit ringen mußten, da haben auch Sie und Ihre Freunde
— „auch" heißt „auch", wir und Sie —
genau wie wir der Bevölkerung immer wieder gesagt: Freiheit ist das höchste Gut, und für diese Freiheit sind wir bereit Opfer zu bringen. Gemeinsam haben wir damals nur die Trockenkartoffeln gegessen und gemeinsam haben wir darauf verzichtet, die Kohlen aus dem Sowjetsektor zu beziehen, weil das eben den Verlust der Freiheit bedeutet hätte. Das, meine Damen und Herren, scheint mir, haben Sie vergessen, daß die Bewahrung der Freiheit Opfer verlangt.
Was ist denn nun eigentlich Ihr Wollen? Sie sagen, Sie seien bereit, einen Verteidigungsbeitrag zu leisten. Kommt der aus dem Nichts? Wenn man Ihre Anträge in sozialpolitischer Beziehung betrachtet, muß man wirklich annehmen, daß Sie der Meinung sind, man könne alles Geld dafür ausgeben. Dann bleibt nichts mehr für die Rüstung, und dann werden Sie unwahr in Ihrer Argumentation. Sie behaupten, daß Sie niemals den Austritt aus der NATO gefordert hätten, aber die Verpflichtungen, die diese Bindung an die westliche Welt mit sich bringt, wollen Sie anscheinend nicht übernehmen. Mit Worten haben Sie das noch nicht erklärt, aber mit Ihren Anträgen auf allen Gebieten würden Sie es eben einfach unmöglich machen, daß auch wir unseren Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt leisten. Das ist die Frage, die hier zu beant-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1379
StinglWorten ist. Sie können hier nicht an diesem oder jenem Posten im Sozialetat herummäkeln. Die Frage, die Sie selber hier ja durch Ihre Große Anfrage hervorgerufen haben, heißt an Sie gerichtet: Was sind denn Sie bereit zu tun, um unsere Freiheit zu bewahren?
Sie haben es uns verschwiegen. Sie haben versucht, auf ein Gebiet auszuweichen, das wer weiß wie populär ist, wo man Stimmen fangen kann, indem man sagt: Aber bei uns, da kriegt ihr noch hundert Mark im Monat mehr! — Sagen Sie diesen Leuten auch, daß sie, wenn sie diese hundert Mark im Monat mehr bekommen, eines Tages damit rechnen müssen, daß wir wehrlos sind gegen den totalitären Bolschewismus vom Osten her!Ich glaube, es hat nicht sehr viel Sinn, nun auch noch darüber zu sprechen, was in der Krankenversicherung hinsichtlich einer Selbstbeteiligung getan werden soll. Das steht doch in keinem ursächlichen Zusammenhang mit den Fragen, die wir hier zu behandeln haben. Über diese Dinge werden wir uns noch auseinandersetzen. Es hat auch keinen Sinn, heute die Debatte für die weite Lesung des Haushalts vorwegzunehmen
Es geht heute um die Frage: Sind wir bereit, die Opfer zu bringen, die notwendig sind, damit wir unseren sozialen Rechtsstaat gegen das totalitäre Regime aus dem Osten verteidigen können?
Es geht um die Frage an Sie: Was sind Sie zu tun bereit, um die Freiheit unserer Bundesrepublik zu verteidigen und damit auch zu gewährleisten, daß eines Tages die Wiedervereinigung — die Wiedervereinigung in Freiheit möglich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf der Rednerliste stehen jetzt die Herren Kollegen Schellenberg und Seuffert. Herr Seuffert wird im wesentlichen wohl über Finanzfragen sprechen. Wir können uns also der Erwartung hingeben, daß das Kapitel Sozialpolitik demnächst abgeschlossen sein wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers muß ich doch wohl machen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich im Grundsatz auf die These zurückgezogen, daß alle Ansätze im Sozialhaushalt auf gesetzlichen Vorschriften beruhen. Das ist richtig. Ich frage Sie aber, Herr Minister: Welche Gedanken haben Sie sich darüber gemacht, das Sozialrecht den Notwendigkeiten der sozialpolitischen Entwicklung und insbesondere der Kaufkraftminderung anzupassen, von der wir gestern gesprochen haben und unter der die sozial Schwächsten am stärksten leiden?Zu den einzelnen Behauptungen des Herrn Bundesarbeitsministers ! Kriegsopferversorgung. Ich habe kein Wort darüber gesagt, daß die Zahl der Kriegerwaisen sich vermindert. Das ist eine natürliche Entwicklung. Ich habe von den Vorschriften über die Anrechnung auf die Elternrenten gesprochen.
Nach dem Haushalt Ihres eigenen Ministeriums hat sich die Zahl der Bezieher von Elternrenten von 148 000 um 42 000 verringert, und zwar nach den ausdrücklichen Bemerkungen im Haushalt durch die Anrechnungsvorschriften.
Ich frage den Herrn Arbeitsminister: Was hat er getan, um diese Anrechnungsvorschriften zu mildern?
— Was hat er getan, um diese Härten zu mildern, wie es sein Kanzler vor den Wahlen versprochen hat?
— Schön, dann werde ich darauf vielleicht noch antworten.
Arbeitslosenhilfe! Der Herr Minister hat gesagt, die Kürzungen ergäben sich durch eine Verbesserung des Beschäftigtenstandes. Herr Minister, Sie haben kein Wort über die Lage der älteren arbeitslosen Arbeiter und Angestellten gesagt.
Sie haben kein Wort darüber gesagt, daß da Verschiebungen zu Lasten des Fürsorgehaushalts der Gemeinden stattfinden.
Darüber haben Sie nicht gesprochen. Was habenSie getan, frage ich Sie, um die Lage der älteren arbeitslosen Arbeiter und Angestellten wirksam zu verbessern?Drittens, Rentenversicherung! Anderthalb Millionen Menschen erhalten durch die Anrechnungsvorschriften keinerlei Erhöhung, ungeachtet der Minderung der Kaufkraft, die sich seit der Reform vollzogen hat. Was haben Sie getan, um diese Härten zu mildern? Was haben Sie getan, um die sogenannte Mindesterhöhung von 14 und 21 DM der Entwicklung der Kaufkraft und der Preise anzupassen?
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1380 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. SchellenbergHerr Bundesarbeitsminister, Sie haben erklärt, der Sozialhaushalt mache 40 % des Bundeshaushalts aus. Sie haben dabei wieder den Trick aufgenommen, in diese Rechnung z. B. 1,1 Milliarden für die 131 er und 570 Millionen für die Versorgung ehemaliger Berufssoldaten einzubeziehen. Wollen Sie das als Sozialausgaben bezeichnen, Herr Minister?
Dann machen Sie die Dienststelle Blank wieder auf, wenn das Sozialausgaben sind!
- Jetzt will ich Ihnen die Ansätze vorlesen, weilSie offenbar den Haushalt nicht durchgearbeitet haben.
Wichtigste Einzelpläne, Punkt 1 auf Seite 164, Sozialausgaben: sämtliche Posten sind vermindert!
Kriegsfolgenhilfe vermindert um 72 Millionen, Umsiedlung vermindert um 1 Million, Kriegsopferversorgung vermindert um 60 Millionen, Arbeitslosenhilfe vermindert um 36 Millionen, Zuschüsse zur Sozialversicherung vermindert um 37 Millionen, betriebliche Altersversorgung vermindert um 2 Millionen, Zuschüsse zum Lastenausgleich vermindert um 94 Millionen.
Alle Positionen sind vermindert. Warum? Wegen Ihrer gestiegenen Rüstungskosten!
- Das sind nur die Tatbestände.
— Daß der Haushalt halbe Wahrheiten enthält, weiß ich; das könnten wir noch genauer analysieren.
Aber, meine Damen und Herren, noch etwas anderes! Der Herr Minister hat versucht, damit zu operieren, ich hätte Leistungen aus dem Sozialhaushalt mit Leistungen der Sozialversicherung durcheinandergebracht. Ich glaube, Herr Minister, das wollen Sie mir nicht unterstellen. So wollen wir doch nicht miteinander reden!
Ich habe folgendes gesagt, und das halte ich aufrecht: gegenwärtig ist nur eine indirekte Verschlechterung in bezug auf das Sozialrecht durch eine Anwendung beispielsweise der Anrechnungsvorschriften eingetreten.Ich habe weiter gesagt: für die Zukunft zeichnet sich die Tendenz ab, in das Sozialrecht unmittelbar leistungsverschlechternd einzugreifen. In diesem Zusammenhang habe ich auch von der Krankenversicherung gesprochen.Es ist richtig, daß ich nach den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers im Sozialpolitischen Ausschuß vom 13. Februar erklärt habe: Ich begrüße es, daß das Bundesarbeitsministerium den Schutz für langandauernde Krankheiten verbessern will. Ich habe aber gleichzeitig dringend vor den Bestrebungen gewarnt, Kostenbeteiligung einzuführen. Was hat sich seitdem vollzogen? Im Ausschuß hat der Herr Minister theoretische Ausführungen über Kostenbeteiligungen gemacht. Seitdem haben die Referenten seines Ministeriums gesagt, wie sie sich die Sache praktisch denken, und der Inhalt dieser Pläne ist: 650 Millionen DM Verlagerung von Leistungen der Sozialversicherung auf den Lebensstandard des einzelnen. Das ist der entscheidende Tatbestand.
— Bitte schön, Herr Kollege!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte sie
auch!!
Herr Professor Schellenberg, Sie haben behauptet, daß der Zuschuß des Bundes für die Sozialversicherung 1958 niedriger angesetzt ist. Ist Ihnen entgangen, worauf der Minister ausdrücklich hingewiesen hat und worauf in der Erläuterung im Haushalt hingewiesen wird: daß der Zuschuß zur Rentenversicherung um 208 Millionen DM steigt und daß der Rückgang des ausgewiesenen Zuschusses zur Sozialversicherung nur ein scheinbarer ist, der durch die Streichung des Bundeszuschusses zur knappschaftlichen Rentenversicherung verursacht ist, und daß die Streichung dieses Zuschusses nicht die Streichung eines Beitrages zur Knappschaft, sondern die Streichung einer Subvention an die Unternehmungen ist?
Herr Dr. Hellwig, Sie waren vielleicht vorhin nicht im Raum.
Ich habe erklärt — das können Sie im Protokoll nachlesen —, daß nach den gesetzlichen Vorschriften der Zuschuß zu den Leistungen der Rentenversicherung sich erhöht, daß der Bundesfinanzminister es aber ungeachtet dieser Erhöhung fertig bekommen hat, unter dem Schlußstrich in der Position „Zuschüsse zur Sozialversicherung" dennoch eine Kürzung herauszuholen. Das ist die Sachlage.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1381
Dr. SchellenbergPieser Tatbestand ergibt sich aus dem Haushalt. Herr Dr. Hellwig, es wäre außerordentlich dankenswert, wenn Sie sich in Zukunft intensiver mit den Fragen des Sozialhaushalts und der Sozialpolitik beschäftigten. Vielleicht werden Sie dann unserer Auffassung größeres Verständnis entgegenbringen. Ich hoffe es; ich gebe die Hoffnung auch in bezug darauf nicht auf.
Ich komme abschließend zu den Ausführungen von Herrn Stingl. Folgende Entwicklung zeichnet sich ab. Erster Tatbestand: Der Gesamtansatz im Sozialhaushalt ist in diesem Jahre erstmalig um 302 Millionen DM verringert.
— Soll ich nochmal anfangen, das im einzelnen darzulegen, damit Sie es verstehen?!
Der zweite Tatbestand: Die Beiträge der versicherten Bevölkerung einschließlich der Arbeitgeberanteile, die der Beschäftigte mit seiner Arbeitsleistung erarbeitet, sind seit Errichtung der Bundesrepublik in der Rentenversicherung um das Zweieinhalbfache gestiegen. Drittens soll nach Ihren Vorstellungen der Eigenanteil des Versicherten erhöht und damit sein Lebensstandard belastet werden. Das sind die ) Tendenzen im Bereich der Sozialpolitik, und sie stehen im Zusammenhang mit dem Rüstungshaushalt. Dieser Bundeshaushalt ist kein Haushalt der Sozialleistungen, sondern es ist ein Haushalt des Rüstungsrekords. Deshalb haben Sie damit die Weichen in Richtung von einem Sozialstaat zu einem Militärstaat gestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine kleine Zwischenbemerkung. Ich habe inzwischen die Drucksache 195 genau studiert. Ich finde in den Fragen, die darin gestellt sind, keine ausdrückliche Bezugnahme auf die Sozialpolitik. Es bestehen ganz zweifelsfrei innere Zusammenhänge, auf die von Rednern aller Richtungen hingewiesen worden ist. Aber ich glaubte doch diesen Hinweis machen zu sollen, damit wir auch zu den anderen Kapiteln kommen, die in einer viel konkreteren Weise in dieser Großen Anfrage angesprochen und heute morgen eigentlich noch nicht erörtert worden sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident, ich bitte Sie nach Ihren Bemerkungen um Entschuldigung, wenn ich mich noch einmal zum Wort gemeldet habe. Ich bin ganz IhrerAuffassung. Aber ich muß einige wenige Worte auf das erwidern, was der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg hier gesagt hat, wenngleich auch ich der Meinung bin, daß dies nicht der Zentralpunkt der Debatte ist, die hier geführt werden soll.Der Herr Abgeordnete Schellenberg bemüht sich krampfhaft
— ich denke, in diesem Wort liegt nichts Abwertendes —, den Nachweis zu erbringen
— Herr Wehner, Sie habe ich diesmal nicht angesprochen; ich tue Ihnen bei Gelegenheit auch einmal die Ehre an, darauf können Sie sich verlassen —
— ich heiße doch nicht Mommer —, dem deutschen Volke darzutun
- Sie bringen mich gar nicht von dem ab, was ichsagen will, Herr Wehner; hier herrscht Gott sei Dank noch die Redefreiheit —,
daß der Sozialetat zugunsten des, wie er sagt, Rüstungshaushalts verringert würde. Dieser Nachweis will ihm nicht gelingen. Zum Nachweis führte er dann Tendenzen auf. Er spricht von der kommenden Krankenversicherungsreform, von den Ansichten der Referenten usw. Herr Schellenberg, was hat das denn mit dem Sozialetat zu tun? Sie haben dem Herrn Kollegen Hellwig geraten, er solle einmal den Etat näher studieren. Ich glaube, er hat mit seiner einzigen Zwischenfrage, die er Ihnen gestellt hat, bewiesen, daß Sie offenbar mit dem Studium unseres Haushaltsplans noch nicht zurechtgekommen sind.
Er sagt, der Arbeitsminister habe sich auf die These zurückgezogen, daß alle Ansätze im Etat auf Gesetze zurückgingen. Das hat er gar nicht bestreiten können. Das ist so. Ich habe Ihnen gesagt, wie gering die Summe ist, die in diesem Etat steht und die nicht auf gesetzliche Bindungen und Verpflichtungen zurückgeht.Herr Schellenberg sagte weiter, die Zahl der Elternrentner sei um 42 000 zurückgegangen. Nun, wenn das so ist, dann freue ich mich darüber. Es beweist nämlich nichts anderes als das, was ich hier in der Sozialdebatte gesagt habe, nämlich daß durch die Steigerung der Leistungen, die auf eigene Beiträge zurückgehen, durch die Rentenreform usw. nunmehr ein Gesamtstand der Empfänger von Elternrenten erreicht ist, der es überflüssig macht, die Elternrente weiter zu gewähren. Das ist doch nur ein Beweis für die Qualität unserer Reformgesetze, an deren Erarbeitung Sie — das muß ich ehrlicherweise zugeben ebenfalls beteiligt gewesen sind.
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1382 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesarbeitsminister BlankDann sagt Herr Schellenberg, ich hätte kein Wort über die Lage der älteren Angestellten gesagt. Er fragt, was ich eigentlich für sie getan hätte.
— Ja, Herr Kollege Schütz, Sie haben vollkommen recht. Ich weiß auch nicht, was das mit den Rüstungsausgaben zu tun hat. — Nur dem Herrn Schellenberg ist offenbar entgangen, daß ich vor den vereinigten Ausschüssen Gedanken darüber entwickelt habe, wie man die Lage der länger arbeitslosen älteren Angestellten sehen könne, und zwar im Hinblick darauf, daß wir über 200 000 offene Stellen für Schwerbeschädigte in der Wirtschaft haben, die wir mangels Schwerbeschädigter nicht besetzen können. Als ich einmal den Gedanken aufwarf und die Überlegung nahelegte, diese freien Stellen etwa als eine Gelegenheit zu betrachten, ältere Angestellte zu einem Teil wieder in Arbeit zu bringen, ist mir eisige Ablehnung entgegengeschlagen, und in der Öffentlichkeit bin ich so kritisiert worden, ich wolle das Schwerbeschädigtengesetz aushöhlen.
Dem Herrn Schellenberg ist offenbar entgangen, daß ich mich an die Arbeitgeber und an die Gewerkschaften gewandt und sie sehr eindringlich ermahnt und gebeten habe, bei all ihrem Tun und bei all ihren Überlegungen an die älteren Angestellten zu denken. Das hat die ganze deutsche Presse gebracht; nur Herr Schellenberg hat das offenbar nicht gelesen. Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften haben mir auf diesen meinen Appell auch geantwortet. Ich bin glücklich, dem Hause sagen zu können, daß die Zahl der männlichen älteren Angestellten, die noch im Jahre 1950 80 000 betrug, jetzt auf etwa 24 900 abgesunken ist.
Wir haben also, glaube ich, mit unserer Wirtschaftspolitik Entscheidendes getan, um gerade die älteren Angestellten wieder in Arbeit und Brot zu bringen.
Es wird meine Aufgabe sein, diese Bemühungen in der Zukunft fortzusetzen.Kein Wort über die Lage der älteren Angestellten! Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie eine Rüstungsdebatte mangels anderer überzeugender Argumente auf dem eigentlichen Gebiet damit führen wollen, daß Sie aus dem bunten Blumenstrauß aller möglichen Probleme in Deutschland diejenigen zusammenstellen, von denen Sie sich Effekt versprechen, dann ist diese Debatte hier eine verfehlte.
Das deutsche Volk will Klarheit darüber, wie es nicht nur um seine innere, um seine soziale Sicherheit steht, sondern wie es auch um seine äußere Sicherheit bestellt ist. Darauf, Herr Schellenberg, sind Sie uns eine Antwort schuldig geblieben.Herr Schellenberg sagte, für die Zukunft zeichne sich eine Verringerung der Sozialleistungen ab. Ich habe mich jetzt mehrere Tage in Genf aufgehalten, weil ich es für meine Pflicht ansah, persönlichen Kontakt mit den Männern der Internationalen Arbeitsorganisation aufzunehmen, bevor ich ein so großes Reformwerk wie die Reform der Krankenversicherung in Gang setze. Ich habe es für meine Pflicht angesehen, mit den Sachverständigen der Welt einmal über diese Probleme zu sprechen. Die Krankenversicherung muß reformiert werden. Es ist außerordentlich schwierig vorauszusagen, was das Ergebnis der langen Diskussionen sein wird. Aber wie eine Versicherung, die auf dem Gedanken der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung beruht, bei der also die Beteiligten ein Interesse daran haben müssen, daß die Versicherung gesund bleibt, daß sie sich vernünftig fortentwickeln kann, und wie die Überlegungen zur Gesunderhaltung und zum weiteren Ausbau eines Versicherungszweigs, der ausschließlich aus den Beiträgen der Beteiligten gespeist wird, zu einem Argument dafür gebraucht werden können, daß die Bundesregierung Sozialleistungen abbauen wolle, um die Einsparungen dem Rüstungsetat zukommen zu lassen, Herr Kollege Schellenberg; verstehe ich nicht. Dazu muß man schon die Begabung haben, die Sie heute morgen hier entwickelt haben. Darin mit Ihnen zu konkurrieren, ist nicht mein Ehrgeiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Abgeordnete Schellenberg hat das Wort.
Meine Damen und Herren, nur zwei Bemerkungen! Ich bin beschämt darüber, daß der Herr Bundesarbeitsminister hier erklärt, er sei erfreut darüber, daß die Zahl der Elternrenten in der Kriegsopferversorgung sich um mehr als 40 000 verringert habe. Die Einkommensgrenzen für die Elternrente betragen für einen einzelnen Elternteil 130 und für ein Elternpaar 190 DM. Das ist der Lebensstandard der Eltern, denen die Rente entzogen wurde. Es ist bedauerlich, daß der Herr Bundesarbeitsminister eine solche Entwicklung mit Freude begrüßt.
Ich bin weiter beschämt darüber, daß der Herr Bundesarbeitsminister das, was hier ein Abgeordneter als Ausdruck ernsthafter Sorge über die weitere Entwicklung im sozialpolitischen Bereich zum Ausdruck bringt, mit hämischen Bemerkungen abzutun versucht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seuffert. — Ich höre eben, daß der Herr Minister sich zum Wort gemeldet hat.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1383
Herr Wehner, glauben Sie nicht, daß ich nicht immer noch Zeit und Gelegenheit finde, Herrn Schellenberg zu antworten? Aber hier im Parlament vertrete ich den Standpunkt, daß immer sofort und an Ort und Stelle geantwortet werden muß. Dabei bleibe ich.
Ich freue mich, daß Herr Schellenberg nunmehr seine Ausführungen auf nur noch zwei Punkte reduziert.
Ich wiederhole: ich freue mich, daß wir durch unsere Rentenreform, durch unseren sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt es ermöglicht haben, daß es eine Menge von Eltern gibt, die nach den Richtlinien, die Sie ja in den Gesetzen beschlossen haben, nun nicht mehr dieser Elternrente bedürfen, genauso wie ich vorhin hier gesagt habe, ich würde mich freuen, einmal sagen zu können: im Etat steht kein Pfennig mehr für Arbeitslosenhilfe, weil es keine Arbeitslosen, die dieser Hilfe bedürfen, gibt.
— Herr Kollege Schellenberg, wir haben durch die Reform unserer Sozialversicherung — Sie haben mehrfach versucht, hier an Ort und Stelle das Gegenteil zu beweisen, und es ist Ihnen nicht gelungen — die durchschnittlichen Renten weit über das hinausgehoben, was Sie eben im einzelnen gesagt haben.
Sie waren der Meinung, ich hätte Ihr Vorbringen mit hämischen Bemerkungen abtun wollen. Herr Schellenberg, das wollen wir der Beurteilung der Öffentlichkeit überlassen. Ihnen verspreche ich nur eines: ich werde Ihnen jedesmal in meiner Weise hier antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert. Damit kämen wir dann zum finanzpolitischen Teil.
Herr Präsident! Sie haben recht: wir kommen zum finanzpolitischen Teil.
— Nicht der Haushaltsdebatte, sondern der heutigen Debatte über Rüstungskosten. Da es sich hier um Kosten handelt, haben diese Zahlen ihre finanzpolitischen Auswirkungen und Bedeutungen, und dazu sind gewisse eindeutige Fragen zu stellen.Im Laufe der Debatte ist heute schon bemängelt worden, daß man zu anderen Themen als der eigentlichen Rüstungsfinanzierung gesprochen habe. Das ist unvermeidlich bei der zentralen Bedeutung, die der Posten Rüstungsfinanzierung im Gesamthaushalt und in der gesamten Finanzpolitik und in der gesamten Ausgabenpolitik des Bundes hat.
— Wir sprechen jetzt von unserer Politik. Die Frage, die zu stellen ist, lautet: Was bedeutet die Antwort der Regierung, die gestern gegeben worden ist? Daß man da Verschiedenes annehmen kann, das sehen Sie schon aus der heutigen Morgenpresse. Die Zeitung „Die Welt" hat ihren Bericht überschrieben „Bonn ändert die Pläne für die Bundeswehr". Das ist ein Vorgang, den mein Freund Helmut Schmidt gestern als unvermeidlich hervorgehoben hat, den aber der Herr Verteidigungsminister nachdrücklichst bestritten hat. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" überschreibt ihren Bericht „Die Rüstung wird aus Steuern finanziert". Wenn nun „Die Welt" unrecht hat und wenn der Herr Bundesminister Strauß recht hat und wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" recht haben soll, was bedeutet das: „Die Rüstung wird aus Steuern finanziert"?Ich gehe von den Zahlen aus, die der Herr Bundesfinanzminister gestern gegeben hat. Er hat die Zahl genannt von 52 Milliarden für das gesamte Rüstungsprogramm bis zum 31. März 1961, d. h. einschließlich des Haushaltsjahres 1960. Er hat diese Zahl sehr vorsichtig genannt. Wenn man genau nachliest, stellt man fest, daß er eigentlich lediglich gesagt hat, eine Zahl von 52 Milliarden sei ursprünglich als wahrscheinlich angenommen worden, und ungefähr so, aber nicht ganz so, werde die Sache auch ablaufen. Man merkt diesen Formulierungen auch an, daß der Herr Bundesfinanzminister offensichtlich außerordentlich vorsichtig ist und sich nicht nachsagen lassen will, daß er falsche oder unzutreffende Zahlen gegeben habe. Aber wenn ich nicht unterstelle, daß er 52 Milliarden für das Gesamtprogramm tatsächlich ins Auge faßt, muß ich annehmen, daß er überhaupt keine Antwort auf unsere Frage gegeben hat oder sie nicht geben kann. Ich muß also hiervon ausgehen.Diese Zahl von 52 Milliarden bezieht sich auf Rüstung ohne Ausgaben für Atom- und Raketenrüstung. Das geht aus der Antwort zu Ziffer 2 unserer Anfrage klar und eindeutig hervor. Denn da ist in bezug auf die Atom- und Raketenrüstung, die zweifellos in den ursprünglichen Plänen, auf die der Herr Bundesfinanzminister ja zurückgegriffen hat, nicht enthalten war, nur eine Zahl von 172 Millionen genannt, eine Summe, die durch Unterlassung der Anschaffung anderer Waffen eingespart werden soll; welcher, weiß ich nicht, dazu übersehe ich diese Dinge nicht genügend. Aber es ist völlig klar, daß eine solche Zahl, die nach dem, was wir gehört haben, ungefähr 1 1/2 Zerstörer bedeutet, keine Zahl für eine ernsthafte Atom- oder Raketenrüstung ist.
Trotzdem will ich einmal von diesen 52 Milliarden ausgehen, obwohl auch sie offensichtlich zuwenig sind, wenn ein ernsthaftes Atom- und Raketenrüstungsprogramm in Frage kommt. Ausgegeben sind von diesen 52 Milliarden laut Antwort zu Ziffer 3 bis einschließlich 1957 9 Milliarden. Dazu kommen 10 Milliarden, angesetzt im Haushaltsjahr 1958. Das sind zusammen 19 Milliarden, bleiben also 52 weniger 19 gleich 33 Milliarden auszu-
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1384 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Seuffertgeben in den Haushaltsjahren 1959 und 1960 bzw. in jedem dieser Haushaltsjahre, wenn wir jeweils die Hälfte annehmen, 16 1/2 Milliarden.Und nun die anderen Zahlen. Der Haushalt 1958 hat bei einer Rüstungsausgabe von 10 Milliarden einen offenen Fehlbetrag, ordentlicher und außerordentlicher Haushalt zusammen, von 4,6 Milliarden, gedeckt diesmal durch 3 Milliarden DM Kassenmittel, die gerade noch übrig sind und die später nicht mehr zur Verfügung stehen, und durch 1,6 Milliarden aus Anleiheaufnahmen auf dem lang-und mittelfristigen Markt. Wenn 1959 die Rüstungsausgaben statt 10 Milliarden 16,5 Milliarden betragen, so muß dieser Posten von 4,6 Milliarden bereits im Jahre 1959 um 6,5 Milliarden höher sein und sich auf 11,1 Milliarden belaufen.Ich mache nun eine Reihe von Unterstellungen, die alle miteinander sehr unwahrscheinlich und sehr unangenehm sind, die ich aber nur deswegen mache, um ganz bestimmt vorsichtig in den Zahlenangaben zu sein. Ich unterstelle, daß die bisherige Abdrosselung der Sozialausgaben, der Kulturausgaben und der Verkehrsausgaben — darüber ist schon gesprochen worden — auch im Jahre 1959 aufrechterhalten werden kann; eine unangenehme und, wie ich hoffe, unwahrscheinliche Unterstellung. Ich unterstelle, daß die sehr berechtigten und sehr massiven Wünsche der Länder an den Bundeshaushalt radikal abgewehrt werden und nicht befriedigt werden. Die Vorstellung, daß man umgekehrt von den Ländern und von den Gemeinden etwas zugunsten des Bundeshaushalts, d. h. des Rüstungshaushalts, hereinholen könne, kann man nur als Utopie bezeichnen. Auch diese Unterstellung ist sehr unangenehm und, ich hoffe, unwahrscheinlich. Aber ich mache sie einmal. Ich unterstelle weiter, daß die in einer Haushaltsentwicklung auf jeden Fall unvermeidlichen Ausgabenerhöhungen auf irgendwelchen verstreuten Gebieten im Jahre 1959 durch die normale Entwicklung der Steuereinnahmen insoweit abgefangen werden können; auch eine gewagte Unterstellung. Sicher ist, daß bei dem derzeitigen Stand der Steuergesetzgebung und bei den Vorlagen, die jetzt, im Jahre 1958, gemacht worden sind, Mehreinnahmen aus den Steuern im Jahre 1959 gegenüber den Haushaltsschätzungen 1958 im wesentlichen nicht zu erwarten sind. Ob die konjunkturelle Entwicklung den Stand der Steuererträge überhaupt aufrechterhält, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Ich unterstelle, sie wird es tun. Ich will mich darüber nicht weiter verbreiten.Was kann unter diesen Voraussetzungen mit dem sich rechnerisch zwingend ergebenden Defizit von 11,1 Milliarden 1959 geschehen? Ich unterstelle nun weiter — und das unterstelle ich gern —, daß es bei der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundesregierung, es werde keine Kreditschöpfung und keine inflationäre Finanzierung geben, verbleiben kann. Ich unterstelle das um so sicherer, als ich der Überzeugung bin, daß wir eine wirklich unabhängige Notenbank haben und daß sie das nicht mitmachen würde. Das unterstelle ich. Dann kann ich die Fazilitäten des Kredits für denBundeshaushalt im Jahre 1959 — vorausgesetzt, daß diese Kreditmaßnahmen keinen inflationären Charakter haben — doch sicher nicht höher einschätzen als das, was im Jahre 1959 vorgesehen ist mit 1,6 Milliarden auf dem lang- und mittelfristigen Markt. Es würde, so wie die Dinge heute liegen, wahrscheinlich schon ein Erfolg sein, wenn derselbe Betrag dann noch einmal im Jahre 1959 hereingenommen werden könnte.Aber selbst wenn wir unterstellen — seien wir einmal nicht zu pessimistisch —, daß man ihn etwa auf zwei oder drei Milliarden irgendwie ohne Gefahr erhöhen könnte, so bleiben von Ihren 11,1 Milliarden doch 8 bis 9 Milliarden — eher 9 Milliarden — ungedecktes Defizit, heute schon zu berechnendes Defizit des Jahres 1959.Es handelt sich jetzt nicht darum, ob es ein paar hundert Millionen mehr oder weniger werden; es handelt sich um ein Defizit in einer Größenordnung, die sich auf etwas mehr als ein Fünftel des Bundeshaushalts beläuft. Dieses Defizit, das wir heute schon vor uns sehen, wenn die Antworten der Regierung Antworten darstellen und wenn dieses Rüstungsprogramm so durchgerechnet wird, kann doch — wenn auch alle anderen Unterstellungen: keine Kreditschöpfung usw., bestehenbleiben — nur durch Steuererhöhungen gedeckt werden.Und nun sehen Sie sich, meine Damen und Herren, die Größenordnung an. Bei einer solchen Summe von 8 bis 9 Milliarden im Jahre 1959 — und dieselbe Summe müßte bei gleichbleibender Entwicklung im Jahre 1960 wiederkehren , bei einer solchen Größenordnung können Sie ja nicht von der Erhöhung irgendwelcher beiläufiger kleiner Steuern, sei es selbst der Tabaksteuer usw., irgend etwas erwarten; hier kommen nur die beiden großen Posten Umsatzsteuer und Einkommen- und Körperschaftsteuer sprich in diesem Falle, denn es handelt sich um den Bund: Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer — in Frage. Und machen Sie sich klar, daß — ich nenne das nur als rechnerisches Beispiel, um die Situation klarzumachen, weil vor einer solchen Maßnahme jeder, genauso wie ich, wegen ihrer ungeheuren Auswirkungen auf die Wirtschaft zurückschrecken würde - allein im Bereiche aller möglichen Maßnahmen eine 25prozentige Erhöhung der Umsatzsteuer und der Einkommen- und Körperschaftsteuer über die Ergänzungsabgabe nur diese beiden Maßnahmen zusammen! — gerade noch an die unterste Grenze des zu deckenden Betrages heranreichen würde; sie würde etwa 7,6 Milliarden ergeben.
Das nur als rechnerisches Beispiel.
Und nun ist die Frage: Ist man sich über diese Situation klar? Und die weitere Frage, meine Damen und Herren, ist allerdings: In welchem Lichte soll man angesichts dieser Situation die Steuervorlagen dieses Jahres und die Begründungen, die dazu gegeben worden sind, und besonders einzelne Maßnahmen in diesen Steuervorlagen betrachten? Hat es einen Sinn, sich mit Steuerentlastungen zu brüsten, die bei weitem nicht die 1959 in Betracht
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1385
Bundesarbeitsminister Blankkommenden Größenordnungen erreichen, wenn man weiß und wissen muß, daß, gleichgültig wie die Steuergesetze des Jahres 1958 aussehen, Steuererhöhungen in diesem Ausmaß 1959 unvermeidlich sind, wenn die Rüstungspolitik so gemacht wird, wie hier dargelegt worden ist? Hat es dann noch einen Sinn, sich darüber zu unterhalten, ob in dem einen oder anderen Fall infolge einer Systemänderung 50 oder 100 Mark im Jahre 1958 mehr gezahlt werden, wenn man genau weiß, daß 1959 ein Vielfaches dieser Beträge draufgeschlagen wird?Eine weitere Frage. Was hat die von uns so heftig kritisierte Abkappung des Steuertarifs für die sechsstelligen Einkommen, für die Einkommen über 100 000 DM in diesem Zusammenhang für einen Sinn? Ist der Grundsatz der sogenannten optimalen Besteuerung, die auf einen Höchstsatz von 50 % gebracht werden soll, ist dieser Grundsatz, der im Jahre 1958 so heilig genommen wird, daß man mehrere Hundert Millionen Steuergelder dafür auszugeben bereit ist, im Jahre 1959 auch noch so heilig, daß man ihn eventuell auch gegenüber der dann kommenden Ergänzungsabgabe aufrechterhalten will?Eine weitere Frage. Wenn man bei der Körperschaftsteuer mit einem Steuerausfall in der Größenordnung von 180 Millionen DM den großen Gesellschaften und nur diesen Steuervorteile gegenüber den kleinen Gesellschaften, gegenüber der übrigen Wirtschaft und zu Lasten des Steuerzahlers geben will, ist damit beabsichtigt, ihnen einen Vorsprung zu geben, den sie auch in dem Steuersystem des Jahres 1959 und dauernd beibehalten sollen, oder gibt man ihn nur, um ihn im nächsten Jahre wieder zu nehmen? Das wäre angesichts der Begründungen, die gegeben worden sind — die strukturelle Förderung des Kapitalmarkts usw. , eine noch unsinnigere Maßnahme.Was das Splitting anlangt, so wird es von uns nicht angegriffen, weil es familienfreundlich ist, sondern weil es in der Form, in der es vorgeschlagen ist, nicht die Familien allgemein begünstigt, sondern 5 % der Familien mit den allerhöchsten Einkommen einseitig begünstigt;
während eine solche Familie für die Familiengründung eine Steuerersparnis bis zu 11 000 DM erhält, bekommt die Normalfamilie eine Steuerersparnis von höchstens 336 DM. Hat es einen Sinn und welchen Sinn hat es, über diese Dinge so zu reden, wie Herr Minister Wuermeling eben geredet hat?
Nur soviel zu den Ausführungen von Herrn Wuermeling, zu denen man sonst nur sagen kann: sie waren eben von Herrn Wuermeling; das ist ja in der Bundesrepublik schon sprichwörtlich.
— Ja, sehr vornehm!Die Frage ist also: Wie steht angesichts dieser Zahlen, die sich zwingend aus der Antwort der Regierung ergeben — wenn sich überhaupt etwas ausder Antwort der Regierung ergibt —, die Regierung und wie steht die Mehrheit zu dieser Situation? Was die Regierung, insbesondere den Bundesfinanzminister anlangt, so bin ich der Überzeugung, daß sie sich über die Situation im klaren ist. Aber es wird wohl Zeit, daß auch die Mehrheit sich über ihre eigene Situation klar wird.
Denn diese Situation ist folgende. Entweder hat die Mehrheit gar kein ernsthaftes Rüstungsprogramm, dann sind gestern in Wirklichkeit keine Antworten gegeben worden.
Dies hat noch eine andere Seite. Man sollte mal nach Frankreich blicken, um an diesem abschreckenden Beispiel — es gibt auch noch andere Beispiele — zu erkennen, wohin es führt, wenn man militärische Positionen und Aufgaben zum Schein übernimmt, ohne bereit oder in der Lage zu sein, die entsprechenden finanziellen Verpflichtungen auch tatsächlich zu erfüllen. Also entweder existiert kein ernsthaftes und diskutables Rüstungsprogramm oder man ist tatsächlich bereit, ein Defizit in Höhe von einem Fünftel des Bundeshaushalts bereits im Jahre 1959 hinzunehmen und zu manipulieren; das könnte man trotz aller Beteuerungen nur mit einer inflationären Politik. Oder — das ist die letzte Alternative — die Mehrheit muß Steuererhöhungen in der Größenordnung von 5 bis 8 Milliarden bereits im Jahre 1959 durchführen. Sie muß das jetzt schon zugeben, und sie muß die Wirtschaft darauf vorbereiten. Wenn das so ist, dann ist die gesamte Steuer- und Finanzpolitik und sind die Steuervorlagen dieses Jahres unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Meine Damen und Herren, das sind harte Tatsachen, und ich glaube, wir können eindeutige Antworten erwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern abend hat Herr Kollege Leber davon gesprochen, daß die Rüstung von den kleinen Leuten finanziert werden müßte. Jedenfalls war das der Tenor seiner Ausführungen. Er hat uns allerdings im weiteren Verlauf seiner Ausführungen nicht dargelegt, wie er zu dieser Auffassung kommt. Mein Kollege Stingl hat einiges zu diesen Behauptungen ausgeführt.Ich möchte die finanzwirtschaftliche Seite betrachten. Wenn wir davon ausgehen, daß die Rüstungskosten ordnungsgemäß etatisiert werden und daß die Deckung im Haushalt vorgesehen wird, so wird diese Etatisierung zwangsläufig zur Folge haben, daß die Rüstungskosten aus ordentlichen oder aus außerordentlichen Einnahmen gedeckt werden, und unter den ordentlichen Einnahmen nehmen nun einmal die Steuern den bedeutendsten Platz ein. Wir unterscheiden Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und die Steuern von der Einkom-
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1386 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Krammigmensverwendung. Die Steuern vom Einkommen werden zu 80 v.H. von 20 % der Steuerpflichtigen aufgebracht, während 80 v.H. der Steuerpflichtigen zum Aufkommen nur 20 % beisteuern. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die kleinen Leute bei den 20 % befinden, die 80 v.H. aufbringen.Eine zweite Bemerkung. Herr Kollege Leber könnte natürlich jetzt einwenden: Gut, ich gebe das hinsichtlich der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu, aber es sind ja gerade die indirekten Steuern, d. h. die Steuern, die die kleinen Leute bei der Einkommensverwendung treffen.Sehen wir uns dazu einmal den Einzelplan 60 des Bundeshaushaltsplans an. Da stellen wir fest, daß für 1958 das Aufkommen an Verbrauchsteuern einschließlich der Zölle auf etwas über 9 Milliarden DM geschätzt wird. Davon machen die Zölle allein rund 2 Milliarden DM aus. Nun kann man natürlich der Meinung sein, daß die Zölle insbesondere die Grundnahrungsmittel und sonstige Dinge des täglichen Lebensbedarfs belasten und daß sie die Bezieher höherer und geringerer Einkommen gleichmäßig belasten. Das kann man unterstellen. Wenn man sich nun einmal die dann übrigbleibenden Verbrauchsteuern mit einem Betrag von rund 7 Milliarden DM ansieht und sich fragt, welchen dieser Verbrauchsteuern der kleine Mann ausweichen kann, weil sie z. B. auf nicht lebensnotwendigem Bedarf beruhen, und welchen er nicht ausweichen kann, dann werden Sie feststellen, daß von dem 9-Milliarden-Betrag an Verbrauchsteuergesamtaufkommen einschließlich Zöllen lediglich etwas mehr als 300 Millionen DM übrigbleiben. Das ist eine Belastung, der der kleine Mann in gleicher Weise ausgesetzt ist wie die Bezieher höherer Einkommen.
— Gut, ich danke Ihnen sehr, Herr Kollege Seuffert für dieses Stichwort. Ich muß hinzufügen, daß ich die Tabaksteuer, die Kaffeesteuer, die Teesteuer, die Einnahmen aus dem Branntweinmonopol, die Leuchtmittelsteuer und die Spielkartensteuer aus meiner Rechnung herausgenommen habe. Ich bin mit Ihnen der Meinung, wenn ich diese Steuern nicht bezahlen will, dann verkneife ich mir eben den Genuß der Artikel, auf denen diese Verbrauchsteuern liegen.
— Sind Sie denn, Herr Kollege Seuffert, der Meinung, daß dies für uns ein Grund sein könne, an diesen Steuern nachzulassen, wenn wir feststellen müssen, daß im Jahre 1957 z. B. 40 Millionen Flaschen Sekt konsumiert worden sind, daß wir 670 000 hl Weingeist, auf Trinkbranntwein verarbeitet, umgesetzt haben, daß 400 Millionen Zigarren, daß 5 Milliarden Zigaretten geraucht worden sind? Ich habe gar nichts dagegen einzuwenden, daß die Leute das tun; denn dadurch kommen ja die Steuern auf. Aber ich wehre mich dagegen, daß Kollege Leber sagt, die kleinen Leute müßten dieRüstung finanzieren. Sie haben die Möglichkeit, diesen Steuern auszuweichen, und dann sollen sie es eben tun, wenn sie die Rüstung nicht mitfinanzieren wollen.
Ich glaube, mancher würde für seine Gesundheit etwas tun, wenn er sich weniger dem Alkoholkonsum hingäbe.
— Ich mag mit meiner Auffassung falsch liegen.
— Lassen Sie mich mal ausreden! Sie können ja nachher auch reden. — Wenn Sie einmal mit Leuten zusammensitzen, die es sich tatsächlich leisten können, weil sie die entsprechenden Einkünfte haben, dann stellen Sie immer wieder fest, daß sie Fachinger oder Roisdorfer Wasser trinken, aber keinen Sekt und Alkohol, und zwar ihrer Gesundheit wegen. Ich habe hier einen Kollegen im Bundestag, der bestimmt kein kleiner Mittelständler ist, sondern finanziell sehr gut gestellt ist. Er hat mir einmal gesagt, er müsse auf seine Gesundheit achten, damit er noch lange etwas von seinem Leben habe.Noch etwas zur Einkommensteuer.
— Ja, das sind Dinge, die man nicht gern hört. Aus der Einkommensteuerpflicht sind schon 7 Millionen Menschen entlassen. Wenn wir die neuen Steuervorlagen verabschiedet haben, kommen noch 2,8 Millionen Menschen hinzu. Das sind, rund gerechnet, insgesamt 10 Millionen von 22 Millionen Menschen, die an sich der Steuerpflicht unterliegen könnten. Unter diesen 10 Millionen Menschen sind etwas mehr als 9 Millionen Arbeitnehmer — unter „Arbeitnehmer" verstehe ich in diesem Zusammenhang Beamte, Angestellte und Arbeiter , die nicht mehr der Einkommen- bzw. Lohnsteuerpflicht unterliegen. Das heißt also, daß die Hälfte aller Unselbständigen, die im Erwerbsleben stehen, in Zukunft von der Einkommensteuer befreit sein wird. Wie wollen Sie denn da begründen, daß die kleinen Leute über die Einkommensteuer die Rüstung finanzieren? Das ist mir nicht ganz klar, das müssen Sie uns hier erst noch einmal nachweisen.Nun lassen Sie mich noch einige Worte zu der Rechnung sagen, die Herr Seuffert angestellt hat. Ich habe die Rechnung nicht ganz mitbekommen. Ich möchte deshalb die Zahlen wiederholen. Die Regierung hat in ihrer Antwort davon gesprochen, daß sich der Rüstungsbedarf bis zum 31. März 1961 voraussichtlich, soweit er sich überhaupt jetzt schon schätzen läßt, auf 52 Milliarden DM beziffern werde, vom Rechnungsjahr 1955 an gerechnet. 19 Milliarden DM sind ausgegeben bzw. verplant. Es bleiben 33 Milliarden DM übrig. Herr Kollege Seuffert, Sie haben offenbar gestern überhört, daß Ausrüstung und ihre Bezahlung, soweit sie sich auf
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1387
Krammigdie Luftwaffe und Marine beziehen, in die Rechnungsjahre 1961 und 1962 hineinlaufen werden. Der Betrag, der dafür geschätzt wird, liegt, soweit ich das nach den Unterlagen beurteilen kann, zwischen 5 und 8 Milliarden DM. Wenn es uns also gelänge, einen Betrag von 61/2 Milliarden DM — nehmen wir nur einmal diesen Mittelbetrag — in die darauffolgenden beiden Rechnungsjahre vor uns herzuschieben, dann wären wir doch aus den Schwierigkeiten heraus.
— Ja sicher! Dann wären wir aus den Schwierigkeiten heraus. Dann ergäbe sich doch folgende Rechnung. Wenn wir jetzt den Restbetrag aufteilten, brauchte im Haushalt 1959 und im Haushalt 1960 lediglich für die kassenmäßige Deckung von rund 13 bis 13'/2 Milliarden DM gesorgt zu werden.Nun wissen Sie mit mir, daß sich aus dem Zuwachs des Sozialprodukts zwangsläufig auch ein Zuwachs im Steueraufkommen ergibt.
— Ja, bitte, vergleichen Sie doch einmal die veranschlagten Zahlen des Rechnungsjahres 1957 mit denen des Rechnungsjahres 1958! Dann sehen Sie doch, daß sich aus dem steigenden Sozialprodukt zwangsläufig auch ein steigendes Steueraufkommen ergibt.
— Ich weiß, was Sie meinen. Für das Jahr 1959 ist ein ungedeckter Betrag von etwa 3 Milliarden DM vorhanden, wenn man das Jahr 1958 zum Vergleich heranzieht, und zwar deshalb, weil wir die Kassenüberschußreste nur einmal als Einnahme einstellen können. Unterstellt, daß sie am Ende des Rechnungsjahres 1958 ausgegeben sind, würde also die Einnahmeseite - immer basierend auf der Einnahmeseite 1958 — um 3 Milliarden DM niedriger sein. Das wird sich durch den natürlichen Zuwachs an Steuern ausgleichen lassen.Herr Kollege Dr. Starke hat schon darauf hingewiesen, daß es darüber hinaus noch Möglichkeiten gibt. Ich möchte sie etwas näher präzisieren. Von der Kreditschöpfung haben Sie selbst gesagt, daß sie nicht in Frage komme. Das ist ja auch die Meinung der Regierung und die der Regierungskoalition. Vielleicht gibt es — wir sollten uns das einmal ernstlich überlegen — aber ja auch die Möglichkeit der Ausgabensenkung auf verschiedenen Sektoren. Unter Umständen gibt es, wenn wir, was wir vorhaben, durch diese Steuervorlagen den Kapitalmarkt noch funktionsfähiger machen, auch die Möglichkeit, eine Anleihe unterzubringen.
Wenn Sie diese Möglichkeiten zusammenrechnen und dabei unterstellen, daß ja aus den Steuervorlagen sich günstige Folgen ergeben können, dann besteht, glaube ich, angesichts des Betrages von 3 bis 31/2 Milliarden DM, der gedeckt werden müßte, heute keine Notwendigkeit, von Steuererhöhungen zu sprechen.Wenn sich natürlich unser Sozialprodukt verringern sollte, wenn etwas eintreten sollte, was wir jetzt nicht in ein normales Kalkül einzustellen in der Lage sind, dann ergeben sich ganz andere Schlußfolgerungen. Dann fragt sich nämlich, ob wir überhaupt in der Lage sind, alle Aufgaben weiterhin zu erfüllen. Das bezieht sich nicht allein auf die Rüstung, sondern auf den gesamten Staatshaushalt. Das kann man heute zahlenmäßig noch gar nicht so genau beurteilen. Hier muß man einfach die Entwicklung abwarten.Nun, Herr Kollege Seuffert, noch ein Letztes. Sie haben davon gesprochen, daß durch diese Steuervorlage besonders an die Bezieher höherer Einkommen und an die Körperschaften erhebliche Steuergeschenke gegeben würden. Sie haben keine Zahlen genannt. Man sollte dabei aber die Zahlen nennen, damit man sich darüber klarwerden kann, was Sie unter „erheblich" verstehen und was absolut gesehen „erheblich" ist. Deswegen möchte ich die Zahlen hier bekanntgeben.Bei den Beziehern von Einkommen bis 12 000 DM belaufen sich nach der neuen Vorlage die Entlastungsbeträge bei der Einkommensteuer auf 1275 Millionen DM.
— Augenblick! Bei den Beziehern von Einkommen über 12 000 DM belaufen sich diese Entlastungsbeträge auf 575 Millionen DM. Das sind die „erheblichen", die Sie im Auge gehabt haben.
— Gegenüber 1956 natürlich, weil wir ja die Übergangsregelung einrechnen müssen. Sie sind doch mit mir der Meinung, daß die Übergangsregelung keine Steuergerechtigkeit, sondern Steuerungerechtigkeit gebracht hat; da sind wir uns ja einig.Hinsichtlich der Körperschaftsteuer betragen die „riesenhaften Geschenke", die Sie genannt haben, Herr Seuffert, alles in allem 180 Millionen DM.
Wenn Sie das mal am Gesamtaufkommen prüfen, werden Sie feststellen, daß das, was Sie gesagt haben, bei weitem übertrieben ist.Nun noch ein Wort zu den Verbrauchsteuern ganz allgemein. Es wird so gern — das ist vor allen Dingen eine Spezialität meiner sehr verehrten Frau Kollegin Beyer; ich vermisse sie im Augenblick im Hause — immer auf die Verbrauchsteuern, ihre unsoziale Wirkung usw. hingewiesen. In dieser Hinsicht ist ja in den letzten Jahren einiges an Senkung getan worden. Ich bleibe dabei, daß wir ein durchaus ausgewogenes Verhältnis der direkten zur indirekten Besteuerung haben und daß wir uns da im europäischen Konzert hören lassen können. Wir sollten uns endlich einmal von dem Gedanken frei machen, daß Einkommensteuer und Körperschaftsteuer keine Kostensteuern und damit nicht abwälzbar seien.
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1388 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute wie auch gestern offiziell eine Diskussion über die Große Anfrage der SPD wegen der finanziellen Verpflichtungen aus der Rüstung. Faktisch, das hat Herr Deist gestern jedenfalls so dargestellt, hat die SPD aber gemeint: Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Rüstungspolitik der Bundesregierung?Ich gebe zu, daß die wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der Finanzierung der Rüstungspolitik ergeben, in einem inneren Zusammenhang zur Rüstungsfinanzierung stehen und deswegen heute hier diskutiert werden müssen. Aber ich bin der Meinung, daß man, wenn man über die wirtschaftlichen Folgen sprechen will, zunächst einmal den Tatbestand der Rüstungsfinanzierung, d. h. ihren Umfang klären und festlegen muß.Wenn man, wie ich, diesem Hause 5 1/2 Jahre nicht mehr angehört hat — gestatten Sie mir diese persönliche Bemerkung —, dann hat man den Eindruck, daß „Sachlichkeit", die früher einen großen Teil der Diskussionen auszeichnete, jedenfalls diese Diskussion nicht mehr ausgezeichnet hat. Man hat, weil die Tatbestände, die die Bundesregierung gegeben hat, einfach nicht genügten, uns anzugreifen, Vexierbilder von Tatbeständen geschaffen — das geht nicht auf Sie, Herr Seuffert! — und auf solchen Vexierbildern eine Kritik aufgebaut. Ich muß das zu meinem Bedauern feststellen. Darin scheint mir etwas zu liegen, was das Ansehen dieses Hohen Hauses draußen im Volke nicht fördern kann. Denn wir sollen doch um die Dinge ringen, wir sollen um die Wahrheit ringen.
Ein großer Teil der Diskussionsbeiträge hat diese Voraussetzung absolut vermissen lassen.
Ich hatte in meiner bisherigen Tätigkeit in Luxemburg das Vergnügen, mich häufig mit Herrn Kollegen Deist auseinandersetzen zu müssen. Ich will Herrn Kollegen Deist gern bestätigen, daß er ein Mann von großen Kenntnissen und hohen Qualitäten ist. Ich habe von ihm eine Anzahl ausgezeichneter Reden gehört. Aber — gestatten Sie mir, Herr Kollege Deist, diese Feststellung — Ihre gestrige Rede war nicht gut.
Sie haben die Notwendigkeiten, die sich aus der Würdigung des Tatbestandes ergeben haben, einfach nicht realisiert. Diese Rede war ganz einfach zu flüchtig. Ich meine, Ihre Fraktion hätte Anspruch darauf, daß Sie Ihre hohen Qualitäten richtig einsetzen.Wenn ich mir ansehe, was gestern von Ihnen zur Begründung Ihrer Kritik als Tatbestand vorausgesetzt worden ist, dann bin ich außerordentlich erstaunt. Da wird von Herrn Deist z. B. die Behauptung aufgestellt: Kriegsvorrat muß doch wohl beschafft werden; es wurde nicht widersprochen, daß es sich um 7 bis 10 Milliarden DM handelt, also sind es 7 bis 10 Milliarden DM, die dem Haushalt hinzuzutreten haben. Was ist denn das für ein merkwürdiger Satz, Herr Kollege Deist: weil irgendeine unsinnige Behauptung aufgestellt wird, der Kriegsvorrat koste 7 bis 10 Milliarden DM, und dem nicht ausdrücklich widersprochen wird, wird unterstellt, daß das so viel ausmache. Herrgott nochmal, hier werden so viele Behauptungen aufgestellt! Es steht zwar im Handelsgesetzbuch, unter Kaufleuten gilt alles, dem nicht widersprochen wird, als akzeptiert. Aber ich glaube, in diesem Hohen Hause wird dieser Grundsatz bis heute nicht akzeptiert. Ich kann Ihnen nur sagen, daß in den 52 Milliarden, die ich genannt habe, die Kriegsvorräte nach NATO-Grundsätzen eingeschlossen sind. Sie haben so ganz am Rande 7 bis 10 Millarden DM in die Diskussion hineinpraktiziert. Wenn man ernsthaft über diese Dinge diskutieren will, kann man es so einfach nicht machen.Aber ein anderes! Sie nannten als Aufwendungen für die Rüstung einschließlich der Aufwendungen für Berlin 12 bis 13 Millarden DM. Ich kann zunächst sagen — es muß ja wohl der Haushalt 1958 gemeint sein , daß Berlin nach dem Haushaltsplan 900 Millionen DM bekommen soll. Für die Rüstung haben wir 10 Milliarden DM in den Haushalt eingesetzt. Das sind zusammen 10,9, sagen wir rund 11 Millarden DM. Wie kommen Sie auf 12 bis 13 Milliarden? Da werden 1 bis 2 Milliarden in den Haushalt „hineinjongliert". Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Schmidt hat gestern diesen Ausdruck auch gebraucht. Es kommt ja. gar nicht darauf an, eine Milliarde mehr zu nehmen!!Da wird davon gesprochen, daß die Kriegsfolgelasten 12 bis 13 Milliarden, mit Berlin und Rüstung zusammen 25 Milliarden DM ausmachen und daß für die normalen Ausgaben nur noch 25 % bleiben. Das wird gesagt gegenüber einem feststehenden Tatbestand, vorgelegt im Bundeshaushalt, aus dem sich ganz andere Prozentsätze ergeben; sie sind in der Haushaltsdiskussion, in der finanzpolitischen Diskussion von mir dargelegt worden. Herr Deist, so ganz leicht darf man es sich nicht machen!An einer späteren Stelle sagten Sie: Dann kommen noch Anleihen dazu. — Natürlich haben wir im außerordentlichen Haushalt 1,6 Milliarden DM Anleihen vorgesehen. Aber die haben wir gerade zur Deckung des Haushalts genommen. Also was soll denn das?!Weiter haben Sie davon gesprochen, es solle eine restriktive Kreditpolitik zur Drosselung des Konsums betrieben werden. Ein reines Phantasiegebilde! Kein Mensch hat bei uns die Idee gehabt, so etwas einzuführen und zu realisieren.Deswegen die Bitte an alle Beteiligten: Wollen wir doch in dieser Form nicht diskutieren. Ich sage ganz offen: als Kollege Seuffert soeben sprach, habe ich gedacht: „endlich!" Denn er hat die Probleme genannt, die wirklich diskutiert werden mußten.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1389
Bundesfinanzminister EtzelIch muß Herrn Deist noch einen anderen Vorwurf machen. Er hat gestern mehrfach aus den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushaltsplan zitiert. Dabei hat er Teile herausgenommen, diese Teile dann in anderem Zusammenhang zitiert und Sätze, die für die Beurteilung der Frage, warum dies gesagt worden ist, entscheidend sind, nicht mit zitiert. Herr Kollege Deist, auch das habe ich nicht gern. Ich meine, wir sollten auf einer anderen Basis diskutieren und einen neuen Stil entwickeln, der auch dem Ansehen dieses Hauses nur dienen kann. Es ist kürzlich ein sehr gefährliches Wort über dieses Haus gesprochen worden, dem wir durch die Handhabung der Praxis entgegentreten sollten.Es ist von Ihnen, Herr Kollege Deist, aber auch von Herrn Kollegen Schellenberg heute morgen gesagt worden: Was du, Etzel, da über die Größe des Sozialhaushalts gesagt hast, stimmt nicht, denn das sind ja gar keine 40 %. — Was habe ich gesagt? Ich zitiere wörtlich. Ich habe ja die Rede damals nach Konzept gehalten. Ich sprach nicht vom Sozialhaushalt, sondern von den Ausgaben für die soziale Sicherheit im Bundeshaushalt und sagte wörtlich:Gerade die Sozialausgaben des Bundes sind einschließlich des Wohnungsbaus und der Versorgungsausgaben auf nunmehr rund 15 Milliarden DM und damit auf rund 40 v. H. des ordentlichen Haushalts gestiegen.Sie, Herr Kollege Schellenberg, haben heute morgen lediglich die Aufstellung auf Seite 164 der Vorbemerkungen verlesen, die ja nur einen Teil des Ganzen darstellt, und haben gesagt, das sind nur 9,7 Milliarden DM. — Natürlich, dort stehen nur 9,7 Milliarden DM. Ich will Ihnen aber, um mit gar nichts hinter dem Berg zu halten, die Ziffern nennen, an die ich gedacht habe. Die Zuschüsse zur Sozialversicherung betragen rund 12,3 %, die Kriegsopferversorgung beträgt 9,1 v. H., der Beitrag zum Lastenausgleich einschließlich der durchlaufenden Abgaben beträgt 6,3 %, die Aufwendungen für Arbeitsschutz, Arbeitsbeschaffung, Fürsorge, Gesundheit und Jugendpflege betragen 8,6 %, und der Wohnungsbau beträgt 3,8 %: das sind zusammen nach Adam Riese 40,1 %. In dem Posten Arbeitsschutz stecken drin: für Arbeitsschutz und Arbeitsbeschaffung 50 Millionen D-Mark — das ist kein großer Betrag — und für Arbeitslosenfürsorge einschließlich der Grenzlanddurchgangslager 1,1 Milliarden D-Mark, für 131er-Fürsorge 1,680 Milliarden D-Mark, für Gesundheit, Sport und Jugendpflege 88 Millionen D-Mark und für sonstige soziale Leistungen, z. B. Kriegsgefangenenentschädigung, Umsiedlung, Auswanderung, noch einmal 463 Millionen D-Mark. Das sind alles Aufwendungen für die soziale Sicherheit; um die ging es mir.Ich will der These entgegentreten, daß der größte Posten im Haushalt dieses sozialen Rechtsstaates —ich unterstreiche diesen Ausdruck ausdrücklich — die Ausgaben für die Rüstung seien. Das ist doch nicht richtig. Vielmehr bringen wir für die soziale Sicherheit im weitesten Sinne des Wortes rund 40 v. H. auf, wie ich soeben dargelegt habe. Dasscheint mir ein bedeutungsvoller Tatbestand zu sein, den wir sehen sollten und den wir respektieren müssen.Ich will nicht die ganze Haushaltsdebatte im einzelnen noch einmal kritisch durchleuchten. Es ist zu spät dazu, und wir müssen einmal Schluß machen. Ich möchte aber auf eine Bemerkung Bezug nehmen, die der Kollege Schmidt bei der Begründung der Großen Anfrage der SPD gemacht hat, wo er auf einen Zwischenruf hin - „Sie machen sich Sorgen!" — sagte: „Ja, wir machen uns Sorgen." Ich nehme das auf. Wir sagen auch: Ja, auch wir machen uns schwere Sorgen, wir machen uns um dieses Problem echte Sorgen,
mit Ihnen, Gott sei Dank. Wenn das so ist, dann bin ich sehr froh, und wenn wir in diesem Sinne diskutieren, hat Ihre Große Anfrage auch einen Sinn und eine innere und sachliche Berechtigung gehabt.Wenn das so ist, dann gestatten Sie mir, daß ich jetzt auf das eingehe, womit sich gestern und heute die Kollegen Schoettle und Seuffert im wesentlichen befaßt haben: auf den Tatbestand. Ich gehe nicht auf den Tatbestand der Zweckmäßigkeit der Rüstung ein; das gehört hier nicht hin. Diese Frage ist früher diskutiert worden, und sie gehört nicht zum Gegenstand der Großen Anfrage. Ich gehe vielmehr auf das ein, was den Finanzminister betrifft: Was kostet das, und wie denkst du, Finanzminister, das zu finanzieren? Vielleicht bin ich in diesem Hause der Mann, der hinsichtlich dieser Frage aus seinem Amte heraus persönlich die größte Verantwortung trägt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß auch ich mir Sorgen mache, selbstverständlich; es wäre verbrecherisch, wenn ich es nicht täte und wenn meine Freunde das nicht auch täten. Sie tun es genauso wie ich und genauso wie Sie.Wie stellt sich nun die Realität dar, wenn wir einmal die Tatsachen nüchtern betrachten? Wir sind von der Angabe eines Betrages von 52 Milliarden D-Mark ausgegangen. Es ist gestern gesagt worden: Was ist denn das eigentlich? Herr Kollege Seuffert hat soeben loyalerweise diese Ziffer als Grundlage für seinen Diskussionsbeitrag unterstellt. Ich kann ergänzend zu dem, was die Regierung schriftlich erklärt hat, sagen, daß dieser Ansatz von 52 Milliarden D-Mark sich aus dem NATO-Fragebogen entwickelt hat, von dem gestern in anderem Zusammenhang die Rede war. Diese 52 Milliarden D-Mark sind also nicht aus der Luft gegriffen, sondern sind ganz klar auf der Basis des NATO-Fragebogens entwickelt worden und entsprechen der Vorstellung, wie sie in der Erklärung der Bundesregierung vom vorigen Jahr zum Ausdruck kommt. Wir gehen in dieser Ziffer von einer festen Aufbringungsrate für das Jahr 1958 aus — das sind die 10 Milliarden D-Mark, die wir im Bundeshaushalt stehen haben — und geben eine Schau der Dinge für die nächsten Jahre. Das ist also unser Gesamtplan. Wir haben eines nicht geben können — ich glaube, es wäre auch nicht richtig, es zu geben —, nämlich einen Gesamtplan der Einzelausgaben für jedes Jahr. Wir haben dargelegt, daß
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1390 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesfinanzminister Etzeldas angesichts der besonderen Situation nicht möglich ist.Diese 52 Milliarden D-Mark sind nach der ursprünlichen Schätzung für einen Zeitraum von sechs Jahren vorgesehen worden und liegen — wie hier auch schon mehrfach gesagt worden ist — im Rahmen der Vorstellungen, die in früheren Debatten immer wieder geäußert wurden: jedes Jahr 9 Milliarden D-Mark; 6 mal 9 Milliarden D-Mark ergibt nach Adam Riese 54 Milliarden D-Mark. Mit 52 Milliarden D-Mark bleibt man also im Rahmen dieser Vorstellung. Diese Zahl kann also niemand, weder die Öffentlichkeit noch das Hohe Haus, überrascht haben.Ist dieser Betrag außergewöhnlich hoch oder nicht? Auch darüber ist andeutungsweise etwas gesagt worden. Ich glaube, wenn wir uns im Rahmen der NATO mit anderen Nationen zur Verteidigung unserer Freiheit verbünden, ist es sehr legitim, daß wir unsere Aufwendungen mit denen der anderen Nationen vergleichen. Der Vorwurf der anderen Nationen uns gegenüber geht dahin, daß diese 52 Milliarden DM, geniessen am Sozialprodukt und an der Bevölkerung, zuwenig seien. Wenn ich in diesem Haushalt zum erstenmal 10 Milliarden DM eingesetzt habe — im vorigen Jahr waren es nur 5,4 Milliarden DM, die praktisch ausgegeben wurden; das waren damals also nur 2 1/2 % —, dann bedeutet das, gemessen am Sozialprodukt, das im Jahre 1957 207 Milliarden DM betrug, etwas weniger als 5 %; reden wir der Einfachheit halber von 5 N. Die anderen Nationen tunzu einem Teil wesentlich mehr. Die Amerikaner liegen bei 11 %, die Engländer bei 8 % und die Franzosen bei 9 %.Wir bewegen uns darüber hinaus mit diesen 5 % an der unteren Grenze der Aufwendungen für die Verteidigung der übrigen Nationen. Das hat uns, wie gesagt, Vorwürfe eingetragen. Aber ich persönlich weise diese Vorwürfe zurück. Ich möchte das gerade auch von diesem Platz aus sagen, damit nicht nachher wieder gesagt wird: Ihr tut zuwenig. Wir haben ja auch noch eine ganze Menge anderer Lasten zu tragen. Ich möchte das zwar nicht so darstellen, wie das gestern hier aus dem Munde eines Sprechers kam, als ob wir die armen Leute wären, die diese Lasten zu tragen haben. Wir haben uns ja leider durch das Verhalten früherer Regierungen diese Lasten selber aufgehalst. Jedenfalls sind diese Lasten nun einmal da, und deswegen können wir sie, wenn wir die Freiheit verteidigen wollen, nicht außerhalb der Notwendigkeit der Aufbringung sehen; denn wir dürfen nicht — und da stimme ich nun mit Ihnen allen überein — die soziale Sicherheit in der Bundesrepublik gefährden und so ermöglichen, daß die Bundesrepublik bolschewistisch unterlaufen wird. Das darf nicht passieren. Weil wir das nicht dürfen, haben wir nur diese 10 Milliarden DM, gleich 5 %, jetzt in den Haushalt eingesetzt, von denen ich glaube — ich komme darauf zurück , daß sie im Rahmen einer finanzpolitischen Verantwortung tragbar sind.Die Frage ist nun — sie ist mehrfach gestellt worden, heute auch vom Kollegen Seuffert —:Stimmt denn die Zahl von 52 Milliarden D-Mark? Herr Seuffert meinte, ich sei vorsichtig gewesen. Ich glaube, Sie müssen damit übereinstimmen, daß ich in der Wiedergabe dieser Zahl vorsichtig war. Ich sagte Ihnen soeben, daß sie auf dem NATO-Fragebogen aufgebaut und- dort auf Grund der Erfahrungen anderer Nationen diskutiert worden ist. Sie ist in Höhe von 10 Milliarden D-Mark für das nächste Jahr bindend. Im nächsten Jahr wird die Ziffer neu aufgestellt werden. Ich habe gesagt, diese Ziffer werde jeweils entsprechend den politischen, technischen, finanziellen und militärischen Bedürfnissen überprüft.Herr Professor Schellenberg — ich sehe ihn nicht; ich weiß nicht, ob er noch da ist —, ich verstehe es einfach nicht, wie Sie aus meiner Bemerkung, die Überprüfung erfolge nach den politischen Bedürfnissen, schließen wollen, ich hätte, da ich nicht auch von sozialpolitischen Bedürfnissen gesprochen hätte, die Sozialpolitik ausschließen wollen. So kann man natürlich deduzieren, wenn man bösartig ist. Ich möchte Ihnen versichern, daß ich die Sozialpolitik selbstverständlich in den allgemeinen Begriff des Politischen einbeziehe.Wir müssen hier eine gewisse Elastizität entwickeln. Ich glaube, alle sollten froh sein, daß wir das tun. Diese Elastizität ist notwendig. Wir können nicht eine Ziffer starr aufbauen, sondern sie muß nach dem Bedarf und nach den Möglichkeiten aufgestellt werden. Dabei müssen wir allerdings eine Vorstellung über die Größe haben. Ich kann Ihnen versichern: es war meine erste Sorge, als ich Bundesfinanzminister wurde, mir über diese auf mich zurollende Verpflichtung eine konkrete Vorstellung zu machen. Das ist doch absolut klar. Anders kann ja ein Finanzminister gar nicht arbeiten. Daß aber die Elastizität notwendig ist, hat die Vergangenheit bewiesen. Wir haben uns — das ist uns gestern zum Vorwurf gemacht worden — hier einmal 27 Milliarden in den letzten drei Jahren vorgestellt und nur 9 Milliarden ausgegeben. Ist der Vorwurf berechtigt? Ich glaube, diese Elastizität ist zu loben. Wenn sich nämlich zeigte, daß über diese 27 Milliarden jetzt nicht disponiert werden konnte, war es doch richtig, sie dann nicht für diesen Zweck, sondern für andere Zwecke auszugeben.Wenn ich das einmal sehr globalisiere, sind diese 18 Milliarden DM wie folgt vergeben worden: etwa ein Drittel für Stationierungskosten, etwa ein Drittel für Reste, und die übrigen sind gestrichen worden. Ein einziger Ausblick auf die Haushaltsdebatte! Es ist damals gesagt worden: Warum habt ihr nichts gestrichen? — Wir haben ja fast 6 Milliarden DM in der Vergangenheit gestrichen! So sind diese 18 Milliarden DM weggekommen. Aber daß wir sie teilweise haben streichen können, hat gleichzeitig dazu geführt, daß wir im selben Atemzug die Sozialwerke durchführen konnten, die in der Vergangenheit und besonders im vorigen Jahr durchgeführt worden sind. Wie ich in der finanzpolitischen Rede und in der Haushaltsrede gesagt habe, sage ich dazu ein volles Ja und bin ich als Finanzminister durchaus gewillt, die finanzielle Seite dieser Gesetze zu verteidigen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1391
Bundesfinanzminister EtzelNun taucht natürlich die Frage auf: Ist diese Ziffer, wenn sie in der Vergangenheit schon nicht immer richtig war, dann in der Zukunft richtig? Auch hier hat mein Kollege Strauß gesagt: Im Grundsatz wird sie schon richtig sein; denn wir sind entschlossen, unsere Verpflichtungen zu erfüllen. Aber die NATO befindet sich im Augenblick in einer Umstellung. Und schon hat ein Debattenredner daraus gemacht: Aha, das heißt also, daß gar nicht 52 Milliarden DM auf uns zukommen; denn diese Umrüstung muß ja unter allen Umständen mehr kosten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das weiß ich noch gar nicht. Natürlich kann das eventuell mehr kosten. Aber muß das denn so sein? Das ist doch heute einfach nicht zu sagen. Die Bundesregierung hat deswegen in ihre Erklärung hineingeschrieben:Die Einzelheiten müssen jeweils geprüft werden, und es muß festgestellt werden, inwieweit die notwendigen Maßnahmen wirtschaftlich und finanziell tragbar sind.Ich möchte hier vor dem Hohen Hause und gerade vor der Opposition nochmals versichern: Solange ich auf diesem Stuhl sitze, werde ich Ausgaben nur mitmachen, soweit sie nach meiner gewissenhaftesten Prüfung wirtschaftlich und finanziell tragbar sind. Etwas anderes kann ich doch gar nicht tun.
Da wir uns in diesem Rahmen halten wollen, haben wir noch ein Weiteres gesagt, um das Hohe Haus zu beruhigen. Wir haben gesagt: wir wollenkeine Kreditschöpfung. Herr Seuffert, Sie haben ganz richtig bemerkt: Selbst wenn wir wollten, könnten wir keine Kreditschöpfung machen; denn das Hohe Haus hat ja das Gesetz über die Bundesbank geschaffen, die einfach nicht mitspielen würde. Hier ist also schon keine gesetzliche Basis gegeben, bei uns ist aber — und das ist genauso wichtig — auch keine willensmäßige Basis für eine Kreditschöpfung gegeben; wir wollen das gar nicht. Wir haben an zwei oder drei Stellen der Regierungserklärung gesagt, daß für die Rüstungsausgaben das Prinzip der Deckung befolgt werden muß. Es muß befolgt werden. Das heißt aber doch, daß Sie, d. h. das Hohe Haus, Jahr für Jahr zu kontrollieren hat, ob aus der Rüstung heraus eine Gefahr für den Lebensstandard, die Gefahr einer Inflation entstehen kann, und daß die Rüstungsausgabe hier in der Öffentlichkeit vor dem deutschen Volk diskutiert werden muß. Ich glaube, mehr kann man gar nicht tun, mehr können Sie praktischerweise auch wohl nicht verlangen.Nun ist die Frage aufgetaucht: Wenn Sie das alles so wollen, dann seien Sie doch einmal realistisch und bleiben Sie nicht bei dieser törichten Zahl von 52 Milliarden DM! So ähnlich haben auch wohl Sie, Herr Seuffert, praktisch, nicht mit demselben Wortlaut, deduziert. Wie und wann sollen also diese 52 Milliarden DM aufgebracht werden? Wenn wir — ich wiederhole noch einmal — vom Deckungsprinzip ausgehen, muß jede Ausgabe für die Rüstung in den Haushalt, in den ordentlichen oder außerordentlichen Haushalt, eingebaut werden. Und was erwartet Sie da? Herr Seuffert hat ganz richtig gesagt: 52 Milliarden DM Ausgangspunkt, 9 Milliarden DM in der Vergangenheit gezahlt, 10 Milliarden DM dieses Jahr vorgeschlagen, bleiben also 33 Milliarden DM. Wenn wir den Zeitraum von zwei Jahren bis 1961, bis zum Haushaltsjahr 1960, nehmen, sind das 33 Milliarden DM für zwei weitere Jahre.Wie werde ich mit diesem Problem als Finanzminister fertig? Das ist nun die entscheidende Frage. Ich möchte für das Problem, wann das Geld ausgegeben wird, zunächst einmal darauf hinweisen, daß diese 52 Milliarden DM sicherlich nicht alle in den Jahren bis 1960 — es ist immer das Haushaltsjahr 1960 gemeint — entstehen werden. Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung ausdrücklich gesagt: Die Ausrüstung der Einheiten der Marine und der Luftwaffe wird jedoch bis in das Rechnungsjahr 1963 hinein dauern, also drei weitere Jahre. Das heißt nicht, daß wir das grundsätzliche Tempo der Rüstung verzögern wollen. Es wird ja gesagt: die Heeresverbände sollen stehen, und natürlich sollen auch die Verbände von Marine und Luftwaffe stehen, nur die Ausrüstung wird bei den letzteren etwas länger dauern. Da gibt es eine ganze Menge anderer Wege, bevor man so teure Schiffe und so teure Flugzeuge kauft. Hier haben wir eine große Verlagerung. Der Kollege Krammig hat die Zahlen genannt. Er hat gesagt: 5 bis 8 Mil-harden werden dadurch auf spätere Haushalte verlagert. Nach den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, möchte ich eher der Zahl 8 Milliarden als der Zahl 5 Milliarden zustimmen. Das ist schon etwas sehr Wesentliches.
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1392 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Das ist doch nicht richtig.
— Finanzierung von Rüstung über Steuern. Ich sage nur, ich verlagere unter Umständen die einmaligen Ausgaben für die Bauten nicht nur auf die vier Jahre, die jetzt noch vor mir liegen, sondern ich gehe mit zwei Jahren in die Vorhand und ziehe nachher wieder zurück und finanziere dann diesen Nachholbedarf über Steuern. So ist das gedacht.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1393
Bundesfinanzminister Etzel— Verzeihen Sie, Herr Erler, ich glaube, Sie haben von der Konstruktion dieser Wechsel wenig Sachkunde, sonst würden Sie solche Bemerkungen gar nicht machen. Wir haben für einen Mefo-Wechsel überhaupt keine Basis mehr. Für Mefo-Wechsel mußte eine Diktatur bestehen, die wir Gott sei Dank nicht haben,
und ich hoffe — das sage ich auch --, daß Ihre Kontrolle in diesem Haus einen solchen Unfug verhindern würde.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich damit einiges zu dem Tatbestand gesagt habe, daß diese 52 Milliarden, so wie sie jetzt in unserer Vorstellung sind, an sich in dieser Art aufgebracht werden können, wenn wir die notwendige Elastizität beweisen. Daß wir den Willen zu dieser Elastizität haben, habe ich ausgeführt. Wir werden die Finanzierung der nächsten Jahre nach dem Dekkungsprinzip vor diesem Hause Jahr für Jahr zu vertreten haben. Wir sind zu einem entschlossen— und das steckt in der Regierungserklärung drin —: unter keinen Umständen irgend etwas zu tun, was eine Inflationsgefahr hervorrufen könnte. Wir sind entschlossen, den Lebensstandard des deutschen Volkes nicht absinken zu lassen und die Aufrüstung nicht auf Kosten dieses Lebensstandards zu machen. Herr Kollege Blank hat das heute morgen bereits zum Ausdruck gebracht. Lassen Sie mich als Finanzminister dazu noch eine Bemerkung machen: daß die Verteidigung nach innen die Erhaltung des sozialen Lebensstandards, aber auch die finanzielle Stabilität voraussetzt.
Ich setze daher neben die Erhaltung des sozialen Standards die finanzielle Stabilität der Bundesrepublik. Nach außen soll diese Rüstung, die uns sicherlich Anstrengungen kostet, die Sicherheit geben, die leider in diesen beiden Tagen weitgehend außerhalb der Diskussion geblieben ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, auf der Rednerliste stehen Herr Bundesminister Strauß, Herr Deist, und für das Schlußwort ist Herr Wehner gemeldet.
— Meine Damen und Herren, machen Sie das auch in der privaten Unterhaltung so, daß Sie den anderen nicht ausreden lassen? Lassen Sie mich erst einmal weitersprechen! — Ich hatte geplant gehabt, den Herrn Bundesminister Strauß — der ein absolutes Recht hat, sofort zu sprechen — zu fragen, ob er bereit wäre, Herrn Deist zuerst sprechen zu lassen, damit der finanzpolitische Teil bis zur Mittagspause abgeschlossen sein könnte und wir dann nach der Mittagspause in den anderen Teil übergehen. Aber ich muß ihm seine Entscheidung völlig überlassen.
- Ja, eben; ich wollte eine Kraut- und RübenDebatte vermeiden, Herr Minister, und ein bißchen Ordnung — —
— Ja, das habe ich mir gedacht, und deshalb wollte ich erst den finanzpolitischen Teil zu Ende führen, damit Sie dann Gelegenheit haben, das rüstungspolitische Gebiet zu behandeln. — Darf ich, Herr Kollege Deist, fragen, wie lange Sie zu sprechen gedenken? — Drei Minuten. Bitte, dann haben Sie das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Schlußwort nicht vorgreifen und nur einige Feststellungen machen.Zunächst einmal möchte ich Herrn Bundesfinanzminister Etzel sehr gern attestieren, daß wir uns über seinen Stil, den er soeben in der Diskussion angewandt hat, freuen
und daß wir sehr gern bereit wären, auf diesen Stil einzugehen, wenn er der Stil dieses Hauses wäre oder wieder würde.
Ich meine, meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister sollte bei der Untersuchung der Stilwandlungen im Laufe der fünf Jahre, in denen er nicht das Vergnügen hatte, diesen Prozeß zu beobachten, jedenfalls aus der letzten Zeit auch einige Reden seiner Ministerkollegen von gestern heranziehen. Ich glaube, dann würde er bemerken, daß das zumindest ein allgemeines Problem dieses Parlaments ist, mit dem man sich befassen sollte.
Soviel zu dem Stilproblem.Dann ein Zweites. Der Herr Bundesfinanzminister hat gemeint, ich hätte mir da die Zahlen so zusammengewürfelt, und das stimme wohl nicht ganz überein. Er begann — nur auf diese Zahl will ich eingehen, ich will nicht die ganze Liste durchgehen — mit den eigentlichen Kosten für die Rüstung. Das heißt, ich hatte unterschieden zwischen den Posten für die Rüstung einschließlich— das hatte ich ausdrücklich gesagt — Berlin und der Kosten des vergangenen Krieges. Und jetzt bitte ich, einmal den Funktionsplan zur Hand zu nehmen, der ja dazu geeignet ist, die Kosten aus den einzelnen Funktionen zu entwickeln. Da ergeben sich unter C — Verteidigung - ein Betrag von 10,9 Milliarden und unter S 1 der Berlin-Zuschuß von 0,9 Milliarden. Macht 11,8 Milliarden. Ich hatte mir erlaubt, diesen Posten auf 12 Milliarden abzurunden, was ja wohl in Ordnung ist. Genauso sind meine übrigen Berechnungen erfolgt. Ich könnte sie im einzelnen vorlesen. Ich habe sie alle aus dem Funktionsplan heraus entwickelt. Das nur zur Richtigstellung, weil ich meine, daß ein An-
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1394 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Deistgriff nur berechtigt wäre, wenn ich mir die Zahlen irgendwoher geholt hätte statt aus dem Haushaltsplan, wo sie zu suchen sind.Dann eine dritte Bemerkung. Der Herr Bundesfinanzminister hat gesagt: Da reden die Leute von 7 bis 10 Milliarden an Kriegsvorräten; ich kann ja nicht alles dementieren, und jedenfalls sind die 7 bis 10 Milliarden in den 52 Milliarden enthalten. Nun, zunächst darf ich darauf hinweisen, daß in der Begründung der Anfrage mein Kollege Schmidt diese 7 bis 10 Milliarden genannt hat. Ich weiß nicht, warum der Herr Bundesfinanzminister es nicht für erforderlich hält, darauf einzugehen. Aber wenn er sagt, die Kriegsvorräte seien wesentlich niedriger, das seien Phantasiezahlen, und bei ihm seien sie darin, dann muß ich erklären: Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie uns schon keinen gesamten Finanzplan geben, dann sollten Sie wenigstens sagen, wieviel an Kriegsvorräten eigentlich in Ihrer Planung enthalten oder nicht enthalten ist.
Zum Stil der Auseinandersetzung würde das dann doch wohl auch gehören, wobei gesagt werden müßte, für welchen Zeitraum diese Kriegsvorräte angelegt waren.Herr Bundesfinanzminister, ich möchte auch auf etwas anderes aufmerksam machen. Ich habe diesen Posten von 7 bis 10 Milliarden im Zusammenhang mit einer bestimmten Überlegung und mit zwei anderen Fragen genannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, die zwei Minuten sind um!
Ich hatte um drei gebeten. Ich bin gleich am Schluß. Ich möchte aber diesen Gedankengang doch noch vortragen, und ich hoffe, daß ich das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun darf.
Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie uns die Zahl von 52 Milliarden DM so vorlegen, dann sieht man, insbesondere wenn man gelesen hat, was daneben steht, wie vorsichtig und global diese Zahl überhaupt ist und daß man sie eigentlich gar nicht richtig packen kann, weder nach oben noch nach unten. Meine Frage war folgende. Es fehlen drei Posten, von denen in Ihrer Rede und in den bisherigen Unterlagen nicht die Rede ist. Deshalb hatte ich gefragt, wo die Kriegsvorräte enthalten sind. Sie sagen heute, sie sind drin, ohne anzugeben, mit welcher Zahl. Ich hatte gefragt, wie es mit den Kosten der atomaren Aufrüstung ist, die ja nach zwei Jahren etwa beginnen soll. Sind die auch darin? Ich hatte gefragt, wie es mit der Frage des zivilen Schutzes ist, und hatte auf die berühmten unterirdischen Städte hingewiesen, mit dem Ziele, darzulegen, daß wir die Ziffer von 52 Milliarden DM als Unterlage für ernsthafte Diskussionen über das, was auf uns zukommt, nicht anerkennen können. Ich meine, es hätte in diesem Zusammenhang einiges auch über die anderen Positionen gesagt werden müssen, damit wir alle
überzeugt sein können, daß alle die Sorgen, die wir hier geäußert haben, in keiner Weise zutreffen und daß wir nicht mit einer erheblichen Belastung der Wirtschaft und des ganzen sozialen Lebens rechnen müssen. Ich muß gestehen, Herr Bundesfinanzminister, diese Überzeugung habe ich weder den Darlegungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers noch Ihren Ausführungen entnehmen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Kollege Seuffert, für drei Minuten, wenn ich recht verstanden habe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, dem Herrn Bundesfinanzminister in aller Kürze mit genau derselben Sachlichkeit zu antworten, die ich ihm gern bescheinige. Nachdem er dankenswerterweise ausgesprochen hat, daß die Finanzierung der Rüstungsausgaben, wie hoch und wie berechtigt sie auch immer sein mögen, eine gemeinsame Sorge sein muß, können seine Bemerkungen nicht ganz ohne Echo bleiben. Der Herr Bundesfinanzminister hat es sich nicht leicht gemacht. Herr Kollege Krammig hat es sich ein bißchen leichter gemacht.
— Darüber möchte ich mich jeder Äußerung enthalten.Ein Punkt, den Herr Kollege Krammig erwähnt hat, ist mir aufgefallen, nämlich die Möglichkeit von Ausgabensenkungen auf anderen Gebieten. Der Herr Bundesfinanzminister hat diesen Punkt nicht aufgegriffen, obwohl er ihn für den, der zu lesen versteht, in seiner Haushaltsrede sehr deutlich angesprochen hat; denn der Herr Bundesfinanzminister weiß, daß es sich bei diesen Ausgabensenkungen nur um die großen Subventionsposten handeln kann, und der Herr Bundesfinanzminister und auch der Herr Kollege Krammig wissen, wo diese Posten sitzen und welche politische Bewandtnis sie haben. Das zu dem Punkt Ausgabensenkungen.Ich habe mich, Herr Bundesfinanzminister, absichtlich mit keinem Wort darüber geäußert, ob die 52 Milliarden zu hoch oder zu niedrig sind, um die Probleme, auf die es mir ankam, zu isolieren und klar darzustellen. Ich habe zu Ihren Gunsten unterstellt, sie seien notwendig und gerechtfertigt, obwohl ich nicht dieser Ansicht bin. Sie sagen: 8 Milliarden davon werde ich durch Hinausschieben der Rüstung für Flugwaffe und Marine über das Jahr 1960 hinaus verlagern. Das ist eine interessante Zahl, und es wäre vieles klargeworden, wenn sie bereits in der gestrigen Erklärung gestanden hätte.Auf der anderen Seite aber haben Sie gesagt — und das war gestern zwar zu erkennen, wurde aber nicht so klar ausgesprochen —: In der Tat, die Rüstung für Atomwaffen und Raketen ist nicht drin. Sie sagen: Das muß durch Unterlassung anderer Ausgaben erspart werden. Sonst kommen Sie ja wieder über die 52 Milliarden! Da wir doch sicherlich auch hier mit großen Milliardenbeträgen
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1395
Seuffertzu rechnen haben, frage ich: Wird Ihre Verlagerung nicht bereits dadurch kompensiert und muß ich nicht doch von den Rechnungen ausgehen, die sich von den 52 Milliarden aus ergeben? Sie haben auf den erhofften Zuwachs des Sozialprodukts Bezug genommen und auf die Steuermehrungen, die Sie daraus erwarten. Ich habe vorhin schon gesagt, daß ich mich jetzt in diesen Streit nicht einlassen will, obwohl ich schon gelegentlich erklärt habe, ich würde es schon für eine günstige Entwicklung halten, wenn Ihre Steuerschätzungen auf dieser Basis für das Jahr 1958 eintreffen sollten; wir haben Ihnen auch schon gesagt, daß wir es haushaltspolitisch und finanzpolitisch für richtig halten, zunächst diese Annahme zu machen. Aber selbst angenommen, daß solche Zuwachsraten und solche Steuervermehrungen aus diesen Zuwachsraten zu erwarten sind, so möchte ich doch wiederholen, daß ich eine ganze Reihe von Unterstellungen gemacht habe, um die Zahlen, um die es sich hier handelt, zu isolieren, Zahlen, die, jede für sich, außerordentlich unwahrscheinlich sind und vor allen Dingen unhaltbar wären; denn nicht in Rechnung gestellt ist die notwendige Lockerung der Drosselung der sozialen, der kulturellen und der Verkehrsausgaben, nicht in Rechnung gestellt sind die berechtigten Wünsche der Länder an den Bundeshaushalt und die notwendigen Ausgabenerhöhungen, die sich in jeder Haushaltsentwicklung ergeben. Ich glaube, man ist schon optimistisch genug, wenn man annimmt, daß das, was in Wirklichkeit aus dieser Richtung noch für den Bundeshaushalt 1959 und folgende zu erwarten ist, durch einen etwaigen Steuermehrbetrag auf Grund der Entwicklung des Sozialprodukts und der Produktivität aufgefangen wird. Und dann kommen wir immer wieder zu den Berägen, die sich eben rechnerisch ergeben und die ich genannt habe.Noch ein letztes, Herr Bundesfinanzminister. Sie sprachen weiter davon, daß Sie durch Kreditoperationen einen Teil des Bedarfs verlagern könnten und daß man aus einem außerordentlichen oder mindestens einem mittelfristigen außerordentlichen Haushalt auch einmalige Rüstungsausgaben finanzieren könnte. Ich will mich jetzt auf die finanztheoretische Begründung dafür nicht einlassen und gar nicht darüber streiten. Aber es bleibt doch dabei, daß ich, von den Zahlen, die sich ergeben, ausgehend, bereits unterstellt habe, daß man einen Betrag von 2 bis 3 Milliarden jährlich durch Kredit-und Finanzoperationen überbrücken und neutralisieren könnte. Ich glaube, wie man es immer macht, über diesen Betrag wird man, soweit man das für die nächsten Jahre übersehen kann, kaum hinausgehen können. Ob Sie das nun mit mittelfristigem Geld machen, ob Sie das nun mit Kassenkredit machen, ob Sie das mit irgendwelchen sonstigen Papieren machen, - über diesen Betrag kann man, glaube ich, nicht hinausgehen. Ich habe diesen Betrag bereits eingesetzt, als ich mich auf die 8 bis 9 Milliarden DM Defizit einstellte, die nach Abzug dieses Betrages verbleiben.Ich fürchte deswegen, Herr Bundesfinanzminister, es hilft nichts, daß in Ihrem Ministerium noch keine Pläne für Steuererhöhungen vorbereitet werden.Ich sehe keinen Weg, wie man an diesen Plänen vorbeikommen will.Ich bin Ihnen dankbar für die Erklärung, daß, wenn überhaupt, nur die Ergänzungsabgabe in Frage kommt. Das halte ich für richtig. Aber ich zweifle. Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine nur irgendwie denkbare Höhe der Ergänzungsabgabe den Größenordnungen gerecht werden kann, die hier in Frage stehen, wenn die Rüstungsziffern in diesem Umfang aufrechterhalten bleiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte dem Herrn Bundesminister Strauß im Namen des Hauses für das Entgegenkommen, das er gezeigt hat, danken. Wir sind damit zum Abschluß des finanzpolitischen Teils gekommen.
Nun ist eine Liebe der anderen wert. Ich glaube, der Herr Bundesminister legt Wert darauf, heute vormittag noch zu Wort zu kommen. Jetzt müssen wir ihm wohl auch den Gefallen tun.
— Das ist dann wohl besser. — Dann treten wir in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung his 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Debatte ist eine Reihe von Fragen aufgeworfen worden — von allen Rednern, sowohl der Opposition wie der Regierungskoalition und insbesondere hat der Kollege Erler eine Reihe von Fragen gestellt, die man bei dieser Gelegenheit beantworten kann, auch wenn sie nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang — im engeren Sinne des Wortes gesprochen — mit der Großen Anfrage stehen, mit der wir uns zu beschäftigen haben.Ich bin dabei etwas in Verlegenheit nach der Kritik, die der Kollege Schoettle gestern geäußert hat. Denn ich glaube, die Widerlegung einer subjektiv oder objektiv falschen Behauptung ist noch nicht eine Polemik. Es muß die Möglichkeit bleiben, zu Behauptungen Stellung zu nehmen, nicht zuletzt deshalb, weil Behauptungen, zu denen man nicht Stellung nimmt, von vornherein irgendwie als wertlos erscheinen müssen.Kollege Erler hat die Frage gestellt, bis wann denn die 52 Milliarden DM ausgegeben werden müssen, Dazu haben heute morgen Kollege Krammig und der Bundesminister der Finanzen gespro-
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1396 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesverteidigungsminister Straußchen. Ich darf dazu nur bemerken, daß es innerhalb der Regierung und der Regierungspolitik, die ja auch die Unterstützung der Koalition mit einschließt, nicht hier eine Finanzpolitik, dort eine Rüstungs- und Verteidigungspolitik und dort wieder eine Sozialpolitik gibt, sondern daß das, was man Politik nennt, all diese Elemente — und nicht nur die hier aufgezählten — einschließt und einschließen muß.
Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Rüstungsprogramm — soweit es sich übersehen läßt, soweit es aufgestellt werden kann — zu sehen. Kollege Schmidt hat ja gestern selber zugegeben: für ein Jahr gibt es feste Zusagen, für ein zweites Jahr gibt es sozusagen einen letter of intent, eine Erklärung der Absichten, und für ein drittes Jahr gibt es — naturgemäß vorsichtige und unter Einschaltung gewisser Kautelen abgegebene — Erklärungen über die Absichten. So ist es bei allen NATO-Ländern, so muß es insbesondere bei uns sein, die wir eine schwierigere Aufgabe zu lösen haben, als Streitkräfte zu unterhalten und entsprechend der laufenden technischen Entwicklung auf dem jeweils möglichen Stand zu halten.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Recht ausgeführt, daß es in der deutschen Finanzgeschichte wie überhaupt in der Geschichte der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik eine einmalige Aufgabe war, die man auch nicht mit jener der Zeit nach 1919 vergleichen kann, eine einmalige Aufgabe sowohl von der psychologischen wie von der materiellen und finanziellen Seite her, vom Punkte Null an eine nicht mehr dem Gedanken einer deutschen Nationalpolitik, dem Gedanken einer deutschen Militärpolitik, dem Gedanken einer deutschen Machtpolitik dienende Armee aufzubauen, sondern deutsche Streitkräfte, die nach unserer ursprünglichen Auffassung überhaupt keine Nationalarmee hätten werden sollen,
vielmehr ein Beitrag zu einer europäischen Armee, eine Lösung, wie wir sie auch heute noch für richtig hielten und die wir — ich sage das von mir aus und ich glaube, das für die Regierungspolitik sagen zu dürfen — auch heute noch zu verwirklichen bereit sind, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Die Planung, die nach den Gesprächen auf dem Petersberg — ich darf die Terminologie als bekannt voraussetzen — ursprünglich aufgestellt worden ist, auch nach den Gesprächen in Paris bei der Vorbereitung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, mußte revidiert werden. Das ist nicht die Frage irgendeiner persönlichen Verantwortung oder Schuld, es ist einfach die Frage der Ausnutzung der gewonnenen Erfahrungen.Die Planung, wie sie jetzt vorliegt, sieht, wenn man den 1. Januar 1956 als den konkreten Beginn der Aufstellung der Bundeswehr zugrunde legt, innerhalb von 63 Monaten die Aufstellung desI Heeres vor, innerhalb einer Frist, die diese 63 Monate mindestens um 18 Monate überschreiten wird, die Ausrüstung — nicht die Aufstellung — von Luftwaffe, Marine und zum Teil auch Heer mit der endgültigen Erstausstattung.In der Zeit der Aufstellung und Ausbildung, in der erst wieder die Grundlagen gelegt werden mußten, waren keine so hohen Aufwendungen erforderlich, da uns einmal die von den USA gelieferten Güter von der sogenannten Nash-Liste zur Verfügung standen und weil zum andern die zur Zeit greifbaren Waffen und Geräte wesentlich billiger waren als diejenigen, die, in die 52-Milliarden-Planung einbegriffen, nach unseren Vorstellungen zur endgültigen Erstausstattung gehören. Die 52 Milliarden DM sind, verteilt über einen Zeitraum von sieben Haushaltsjahren und bezogen auf eine Größenordnung von 350 000 Mann Friedens-Soll-Stärke der Bundeswehr insgesamt, eine Summe, deren Aufbringung die Bundesrepublik Deutschland bei ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten — in voller Anerkennung ihrer sozialen Lasten, die infolge des Krieges und der Nachkriegsverhältnisse größer sind als in jedem anderen vergleichbaren Land — bewältigen kann, die sie bewältigen muß, wenn die deutsche Politik nicht dazu führen soll, daß wir lediglich ein Objekt der andern sind.Darum wird die Ausgabe der 52 Milliarden DM in die Haushaltsjahre 1961 und 1962 hineinreichen. Das heißt natürlich, daß in den Jahren 1961 und 1962 die festen Kosten für den Unterhalt der Streitkräfte auftreten werden, für die Sold- und Gehaltszahlungen, für Verpflegung, für laufende Abnutzung, für den laufenden Verbrauch militärischer Gebrauchsgüter wie Uniformen, Benzin und ähnliches. Das bedeutet aber, daß angesichts der Weiterzahlung der laufenden Kosten die Kosten der Ausrüstung mit der Erstausstattung — das sind ja die berühmten 52 Milliarden DM, in denen die fixen Kosten wahrscheinlich für fünfeinhalb Jahre enthalten sind —, vermehrt um die laufenden Kosten, wie ich sie eben geschildert habe, auf mindestens sieben Haushaltsjahre verteilt werden.Das ist das Ergebnis unserer Beratungen in der NATO, der Besprechung des sogenannten Annual Review, des NATO-Fragebogens, wie wir ihn Ende des letzten Jahres abgegeben haben. Die Besprechungen, die wir in der NATO geführt haben, hatten zur Voraussetzung, daß innerhalb der Regierung und insbesondere zwischen dem Finanzminister und dem Verteidigungsminister eine Einigung über die möglichen Größenordnungen erzielt worden war. Denn es gibt keine Rüstungspolitik, die ungeachtet aller anderen staatlichen Bedürfnisse, ungeachtet aller anderen Aufgaben das Ziel der militärischen Rüstung in den Mittelpunkt der staatlichen Tätigkeit stellt. Das entspräche auch nicht der Auffassung des Bundesministers für Verteidigung; denn darin läge eine nur militärpolitische, wenn nicht eine militaristische Auffassung, und wir haben weder eine militärpolitische Auffassung, die die Militärpolitik als Selbstzweck beinhaltete, geschweige denn eine militaristische Auffassung.
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Bundesverteidigungsminister StraußWir haben in der Vergangenheit durch unsere auf die europäische Verteidigung, durch unsere auf einen deutschen Beitrag in der atlantischen Verteidigung gerichtete Politik den Beweis nicht nur zu liefern versucht, sondern den Beweis dafür geliefert, daß wir aus der historischen Schuld der Zeiten, auch der deutschen Vergangenheit, gelernt haben.
Denn man kann das, was wir heute tun, höchstens noch in einer verblaßten, antiquierten oder bewußt phraseologischen Terminologie mit — wie es zum Teil gestern genannt worden ist — militärischem Größenwahn oder ähnlichen Ausdrücken bezeichnen, die wir jetzt gar nicht mehr von neuem in die Waagschale werfen wollen, nicht, weil wir die Auseinandersetzung damit scheuen, sondern weil wir glauben, daß man sich mit Unsinn in diesem Falle nicht auseinandersetzen soll.
Glaubt denn wirklich jemand im Ernst — wenn man einmal versucht, sich in einer lebenswichtigen Frage unseres Volkes von dem Spiel: Regierungspolitik — Oppositionspolitik frei zu machen —, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, daß England, daß der sogenannte „Erbfeind" — in Anführungsstrichen, um nicht mißverstanden zu werden —, also Frankreich mit seiner Jahrhunderte alten Angst vor Deutschland, daß die skandinavischen Staaten, daß Italien, Griechenland, Portugal, die Türkei von uns sozusagen als unsere politische Pflicht einen I militärpolitischen Größenwahn mit gefährlichen politischen Folgen verlangen? Das kann doch niemand im Ernst glauben, außer jemand, der diese Phrasen aus Agitationszwecken in die Offentlichkeit setzt.
Herr Kollege Erler hat gestern mit Recht die Frage gestellt: Neue Pläne — was kosten sie? Es sind nicht neue Pläne, die eine Fleißaufgabe der Bundesregierung darstellen; es sind neue Pläne, wie sie von der NATO in ihrer Gesamtheit aufgestellt worden sind. Dabei ist natürlich richtig, daß niemand in der NATO vergewaltigt werden kann, Herr Kollege Erler. Das heißt, wenn beispielsweise die Bundesrepublik, gestützt auf den entsprechenden Artikel des NATO-Vertrags, erklärt, sie betrachte als angemessenen deutschen Beitrag — ich greife einen utopischen Plan einer deutschen pazifistischen Bewegung aus den letzten Jahren heraus — die Stellung der Sanitätstruppen für die gesamten NATO-Einheiten, aber nicht die Stellung irgendwelcher kämpfenden Truppen, so wäre das rein nach dem Buchstaben des Vertrags sicher ein Prätext, um zu sagen: wir haben unsere Leistungen erfüllt. Hinter einem Vertrag steckt aber doch eine lebendige Wirklichkeit, steckt doch eine Gegenseitigkeitsverpflichtung. Wenn man von der anderen Seite erwartet, daß sie mit allen Risiken — ich erinnere gerade hier an die Forderung, die Herr Dr. Schumacher von dieser Stelle aus im November 1950 aufgestellt hat — für ihr Land und für ihr Volk für die Sicherheit der Bundesrepublik undfür die zukünftige vernünftige gesamtdeutsche Lösung alles aufs Spiel setzt, dann wird man nicht sagen können: Wir scheiden aus einem Beschluß aus, dem alle Minister der NATO, gestützt auf die Beschlüsse ihrer Kabinette und Parlamente, zugestimmt haben. Das ist doch einfach nach der Logik der Politik nicht möglich. Es handelt sich hier nicht um juristische Spitzfindigkeiten, sondern hier handelt es sich um die Logik einer Politik, die dann nicht mehr wirklich wird und ihren Zweck, den Krieg zu verhindern, nicht mehr erfüllt, wenn die notwendige Gegenseitigkeit der Leistungen nicht mehr vorhanden ist und dadurch auch die Gegenseitigkeit an Vertrauen zerstört wird.
Ich habe mir in Erinnerung an die Ausführungen, die wir in der berühmten Marathon-Debatte hier gemacht haben, bei der Konferenz der Verteidigungsminister der NATO in Paris vorgestellt, welche Wirkung es auslösen würde — ich hatte keine Legitimation, das zu tun; ich habe mich nur bemüht, es mir in meiner Phantasie vorzustellen —, wenn ich sagte: die Bundesrepublik Deutschland stimmt diesem Dokument über die Modernisierung der NATO zu, nimmt aber davon die eigenen Streitkräfte aus. Das wäre zwar nicht der Auftakt gewesen, daß der Vertrag formell zerrissen worden wäre. Aber ein Vertrag hat keine längere wirkliche Gültigkeit — das haben wir in der Geschichte der Politik erlebt —, als die Loyalität derer andauert, die sich verpflichtet haben, diesen Vertrag zu erfüllen.
Ich möchte die Folgen, die einträten, nicht in Schwarzweißmalerei übertreiben. Ich bitte, nur einmal darüber nachzudenken, was eine negative Erklärung eines Vertreters der Bundesrepublik bedeuten würde. Er konnte sie nicht abgeben, weil er keine Legitimation gehabt hätte und weil er vom Kabinett und vom Parlament angewiesen war, eine positive Erklärung abzugeben.
— Ich möchte jetzt die Debatte bewußt nicht auf eine Vielzahl von Fragen ausdehnen. Man kann es tun. Glauben Sie ja nicht, daß ich die Antwort, so wie ich sie subjektiv für richtig halte, nicht geben könnte; das werden Sie mir sicherlich nicht unterstellen. Ich möchte aber bewußt dieses Thema nicht mit einbeziehen, weil wir sonst in eine uferlose Ausdehnung der Aussprache kämen, ohne daß von Ihrer oder von unserer Seite noch wirklich wesentlich Neues gesagt werden könnte.
Ich bitte einen Augenblick um Gehör. Wenn Fragen gestellt werden sollen, bitte ich, sich zu einer Zwischenfrage zum Wort zu melden.
Wenn Sie mich fragen, warum die NATO diesen BeschlußBundesverteidigungsminister Straußgefaßt hat, ohne daß die Größenordnungen in ihrer Gesamtheit genannt werden können, und warum wir infolgedessen im Zuge einer allgemeinen Modernisierung unsere Pläne mit finanziellen Auswirkungen reformieren müssen, über die ich noch ein paar Sätze nach der einen und der andern Seite hin sagen darf, dann möchte ich nur mit einer aus einer offiziellen Sowjet-Zeitung entnommenen Äußerung des gegenwärtigen Chefs der Kommunistischen Partei und des Ministerpräsidenten der Sowjetunion, des Herrn Chruschtschow, antworten. Ich zitiere sie wörtlich und überlasse die Schlußfolgerungen darauf jedermann, der solche Schlußfolgerungen innerlich noch zu ziehen vermag. Es handelt sich um eine Erklärung, die er auf der Abschlußsitzung des Komsomol abgegeben hat. Ich zitiere sie aus dem Nachrichtenspiegel — Ostteil — des Bundespresse- und Informationsamts vorn 19, April 1958. Das ist eine öffentlich zugängliche Nachrichtenquelle. Dort heißt es:Um die neuen Kampfmittel, mit denen das Sowjetland seine Armee ausgerüstet hat, beherrschen zu können, muß man geschulte und gebildete Soldaten haben, die auf der Höhe der modernen Wissenschaft und Technik stehen. Unsere Streitkräfte müssen stets bereit sein, die gebührende Abfuhr zu erteilen, falls der Feind es versuchen sollte . . .Wenn also die NATO nach einer jahrelangen Überlegung, nach einer über viele Monate sich erstrekkenden Arbeit der technischen Entwicklung im einzelnen die Modernisierung ihrer Streitkräfte beschlossen hat, die Modernisierung der 30 Divisionen auf dem Festland, von denen die Bundesrepublik gemäß dem auf sie entfallenden Anteil 12 aufzustellen hat, dann hat sie damit doch nichts anderes getan, als daß sie dem politischen Auftrag, einen Krieg nach menschlichem Ermessen auszuschließen und unmöglich zu machen, auch weiterhin gefolgt ist.
Ich habe aber angesichts der Unübersehbarkeit der finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen — Unübersehbarkeit nicht nur wegen der gigantischen Größenordnungen, denn bei den Vorschlägen für die Luftverteidigung gehen die finanziellen Auswirkungen in eine Größenordnung hinein, daß wir uns auf diesem Gebiet jeden einzelnen Schritt vorbehalten, sondern auch wegen der ganzen Lieferbedingungen — in Paris eine Erklärung abgegeben, die ich mit gutem Gewissen trotz der Pflicht zur Geheimhaltung des Gesamtdokuments naturgemäß wie alle übrigen Erklärungen hier ruhig wiederholen kann:Wir sagen ja zu diesem Dokument der NATO als einer Planungsgrundlage. Wir sagen ja dazu als einem Ausgangspunkt für die nächste Jahreserhebung.— Als einem Ausgangspunkt! —Wir behalten uns aber die Prüfung aller wirtschaftlichen, finanziellen, personellen, organisatorischen und technischen Einzelheiten vor, um die Vereinbarkeit der bisherigen Pläne mit denneuen Vorschlägen der NATO überprüfen zu können und um gegebenenfalls, damit diese Übereinstimmung herbeigeführt werden kann, neue Vorschläge machen zu können.Mit dieser Erklärung, glaube ich, sind wir nicht mehr festgelegt, auch was unsere außenpolitischen Verpflichtungen betrifft, so wie sie interpretiert, im extremen Fall ausgelegt werden können, als es der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers und der Einstellung der gesamten Regierungskoalition entspricht. Wir haben den Willen, die Streitkräfte modern auszustatten. Wir werden es auf der Basis der technischen Vorschläge der NATO tun. Aber wir werden es nur bis zu der Grenze hin tun, daß das Gesamtgefüge unserer Politik dadurch nicht erschüttert wird.habe gestern ausgeführt — es war, wenn Sie sich erinnern wollen, auch ein wörtliches Zitat oder doch wenigstens ein sinngemäß genaues bis wörtliches —: wir wünschten nicht, so habe ich in Paris gesagt, an innerer Stabilität zu verlieren, was wir an äußerer Sicherheit damit zu gewinnen gedenken.Herr Kollege Erler, ich sage: wir können die finanziellen Auswirkungen noch nicht im einzelnen überprüfen. Dabei stehen zwei Dinge noch völlig offen: ob diese Waffen aus USA bezogen werden sollen und, wenn aus USA, dann auf welchem Wege — das ist eine noch nicht gelöste, für die einzelnen Partner der NATO sicherlich auch nicht einheitlich zu lösende Frage — oder ob sie in Europa in einer Gemeinschaftsproduktion produziert werden sollen und, wenn ja, dann wo. Die Voraussetzungen sind z. B. in England und in Frankreich gegeben. Bei uns in der Bundesrepublik und in kleineren europäischen Ländern sind sie vergleichsweise nicht gegeben. Das läßt sich heute nicht überblicken.Es ist jetzt auch nicht die Aufgabe, hier eine genaue Rechnung aufzustellen, was es kosten würde, wenn die Vorschläge bis zur letzten Einzelheit erfüllt würden. Es ist wesentlich, daß wir uns eine Grenze setzen, daß wir sie uns absolut setzen, daß wir sie uns nach den möglichen Umständen setzen und daß wir innerhalb dieser Grenzen das tun, um das Bündnis lebensfähig und seine Funktionsfähigkeit auch glaubhaft zu erhalten. Das ist die Erklärung, wie ich sie in Paris abgegeben habe.Herr Kollege Erler hat gestern wiederum von dem sagenhaften Rüstungsdreieck gesprochen. Ich muß ihn etwas enttäuschen. Es ist in der Zwischenzeit ein Rüstungsdreieck bis -siebeneck, vielleicht ein Rüstungsviereck geworden; denn das Rüstungsdreieck war ja, wie ich von dieser Stelle und auch mehrfach in der Öffentlichkeit gesagt habe, nicht als ein exklusiver Klub gedacht, der nunmehr geheime Dinge betreibt, sondern es war von vornherein gedacht, um einen neuen Weg zur Standardisierung innerhalb der WEU und NATO zu finden, einen Weg zu einem Ziel, für dessen Erreichung die bisher benutzten Methoden keinen echten Fortschritt gebracht haben. Ich habe hier schon einmal gesagt, was standardisiert worden ist: die 12-VoltBatterie, die Lastwagenkupplung, die Infanterie-
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Bundesverteidigungsminister Straußmunition, die Patronen für eine Sorte der Infanteriemunition und die Tankanschlüsse bei NATO-Flugplätzen.
— Die Schlußlichter? Mag sein! Vielleicht liefern Sie dafür einen geeigneten Beitrag.
Aber auf den Gebieten, wo eine Standardisierung wirklich wünschenswert, notwendig und sinnvoll wäre, sind wir bisher dank einer Reihe von weniger angenehmen Gründen nicht zu einer Standardisierung gekommen. Jeder Staat glaubte, abgesehen von den amerikanischen, meistens auf dem Gratis-Weg erfolgten Lieferungen, alles für sich allein tun zu müssen.Ich darf jetzt auch einmal von dieser Stelle aus etwas nennen, was die Rüstungspolitik der Gegenwart, unabhängig von dem politischen Hintergrund, unabhängig von den Größenordnungen, völlig von der Rüstungspolitik der Vergangenheit unterscheidet, und zwar bewußt unterscheiden soll. Das ist die klare Absage an jede Form einer deutschen Rüstungsautarkie. Man kann sagen, das sei ein Fehler. Das würden von vornherein einige reaktionäre oder mit übermäßigen traditionellen Vorstellungen beladene Persönlichkeiten der Zeitgeschichte erklären, deren Denkwelt in der Vergangenheit haften geblieben ist.Wenn man mich in der Vergangenheit im Ausland von seiten gewisser Journalisten oder von seiten mancher Politiker gefragt hat: Geht es bei euch nicht wieder so wie in der Vergangenheit?, habe ich ihnen erwidert: Es hat wenig Sinn, beruhigende allgemeine Erklärungen abzugeben, Tatsachen muß man schaffen. Die beste Tatsache wäre die EVG gewesen. Aber es hat keinen Sinn, über Dinge zu trauern, die nun einmal, so oder so, erledigt worden sind. Die zweite unbestreitbare Tatsache ist, daß wir in Deutschland keine Rüstungsindustrie wollen, außer bis zu einem gewissen Grade, der aber in keiner Weise ausreicht, die deutschen Streitkräfte aus den deutschen Hilfsquellen heraus etwa kampffähig zu erhalten. Es gibt keine deutsche Armee, es gibt keine deutsche Bundeswehr, die in der Lage wäre, aus den Hilfsquellen der deutschen Wirtschaft heraus auch nur länger als acht Tage kampffähig zu sein. Das ist der wesentlichste Beitrag dafür, daß sich diese deutsche Armee auch in ihren wirtschaftlich-technischen Gründen, in ihrer wirtschaftlich-technischen Basis, die ja jede moderne Armee haben muß, grundlegend von dem unterscheidet, was zu Kaiser Wilhelms oder zu Hitlers Zeiten, sei es einmal so oder einmal so, geplant, gewünscht und gemacht worden ist.
Wir haben auch mit dem Ansatz zu Dreien einen bestimmten Fortschritt erzielt. Denn bisher war das Prinzip der Einstimmigkeit in der Westeuropäischen Union Voraussetzung für eine gemeinsame Maßnahme. Es ist sehr schwer, sieben Staaten mit auf dem Rüstungsgebiet differierenden Wirtschaftsinteressen unter jeweils einen Hut zu bringen odergar fünfzehn. Mit dem Augenblick, wo drei Staaten erklärt haben, nicht im Sinne einer rechtlichen Verpflichtung, aber im Sinne einer politischen Absprache mit wirtschaftlichem Hintergrund, gewisse Waffentypen, Fahrzeugtypen, Gerätetypen gemeinsam zu entwickeln und auf dem Wege der Koproduktion oder auf dem Wege der Schwerpunktbildung gemeinsam zu bauen, haben eine ganze Reihe weiterer Staaten ihr Interesse erklärt, an dieser Zusammenarbeit teilzunehmen. So ist in Paris das Dreieck ausgeweitet worden zu einem Siebeneck. Die USA und Kanada kommen hinzu als ständige Beobachter, also ist es sogar ein Neuneck. Es können auch weitere daran teilnehmen. Wenn aber weitere nicht daran teilnehmen wollen, dann sollen drei oder vier oder fünf nicht gehindert werden, das zu tun, was sie für notwendig halten. Dafür sollen diejenigen, die nicht bereit sind mitzumachen, sich nur zu einem verpflichten: dann nicht die gleiche Entwicklung allein zu betreiben. weil das dem Grundsatz der Rationalität, der sparsamen und sinnvollen Ausnutzung der Hilfsquellen innerhalb der NATO zur möglichsten Schonung der Volkswirtschaften widersprechen würde.
- Haben Sie doch ein bißchen mehr Geduld, Herr Kollege Schmidt. Sie werfen mir Impulsivität vor. Noch gibt es keinen Maulkorb hier. Sie werfen mir Impulsivität vor und können gar nicht erwarten, bis Sie drankommen!
— Nein, es ist ein wörtliches Zitat aus der vorletzten Rede von Herrn Kollegen Schmidt. Ich wollte in aller Ruhe diese Gedankengänge entwickeln, weil Sie von der Opposition, wenn Sie solche Fragen stellen, Anspruch darauf haben, auch eine Antwort zu bekommen. Wenn ich Ihnen erkläre, daß das Dreieck nicht mehr existiert, weil es inzwischen ein Fünf-, Sieben- oder Neuneck geworden ist, dann können Sie doch nicht verlangen, ich soll vom Dreieck reden, da es ja in der von Ihnen gewünschten Form, bei der Sie glauben, Angriffsflächen zu haben, nicht mehr existiert.
Ich habe gerade nach den zahlreichen Erklärungen, die zum Teil in Paris bestellt worden waren, wie ich einmal sagen darf, z. B. der Erklärung „Paris über Strauß erstaunt" — so stand es in einer großen deutschen Tageszeitung , bei der zuständigen Stelle am Quai d'Orsay angefragt, wo da Erstaunen herrsche. Darauf sagte man mir, der Informant müsse irgendwie pp. sein, Putzfrau oder Portier,
denn offiziell sei überhaupt nichts davon bekannt.Ich habe dann um eine offizielle Auslegung nach
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1400 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesverteidigungsminister Straußfranzösischer Weise gebeten. Da hat mir der französische Verteidigungsminister unter Zeugen erklärt, daß die Abmachung einer gemeinsamen Waffenproduktion von Frankreich nicht als eine Verpflichtung der Bundesrepublik zu einer Teilnahme an einer etwaigen französischen Nuklearwaffenproduktion aufgefaßt worden ist und aufgefaßt wird.
Kollege Erler hat gestern nach dem Wortlaut der Brüsseler Verträge gefragt. Ich darf den Wortlaut nicht untertreiben und nicht übertreiben, denn das wäre ja dann nur eine Auslegung nach eigenem Ermessen.
— Ich mache diese Einschränkung, Herr Blachstein, gerade deshalb, damit meine Ausführungen nachher nicht wiederum mit einem falschen politischen Kommentar versehen werden. Ich habe die Verträge nicht formuliert, aber ich muß sie interpretieren, und die verbindliche Interpretation heißt, daß die Bundesrepublik sich verpflichtet, auf ihrem Territorium, auf dem Gebiet, auf dem das Grundgesetz Gültigkeit hat, auf die Produktion von A-, B- und C-Waffen zu verzichten.
Sie hätten damals diese Erklärung genauso gut abgegeben. So jedenfalls lautete das im Jahre 1954 zustandegekommene Dokument, wie es im Jahre 1955 durch die Ratifikation rechtskräftig geworden ist.
- Ich interpretiere jetzt nur, wie das Dokument in den Jahren 1954 und 1955 angelegt worden ist. Der politische Zweck war, daß die Deutschen nicht im geheimen etwas tun können, unabhängig davon, daß es sowieso unmöglich gewesen wäre, was von seiten unserer Bündnispartner aus den Gründen der bekannten politischen Vergangenheit nicht gewünscht wird. Ich darf aber hier auch darüber hinaus sagen: ich habe jetzt nur die verbindliche Interpretation gegeben. Ob sie erwünscht oder unerwünscht ist, ob sie zu eng oder zu weit ist, ist eine ganz andere Frage. Aber das ist die verbindliche, von beiden Seiten gegebene Interpretation.— Herr Kollege Metzger, Sie schütteln auch gegenüber Tatsachen den Kopf.
— Herr Kollege Metzger, dann kennen Sie einfach nicht die Vorgeschichte der Pariser Verträge, dann kennen Sie den Wortlaut des Vertrages nicht, und dann kennen Sie nicht sämtliche zu diesem Vertrag im Inland und Ausland erschienene Interpretationen, wenn Sie das behaupten.Ich darf aber darüber hinaus erklären, daß an uns von französischer Seite niemals die Aufforderung gerichtet worden ist, an einer etwaigen Atomwaffenproduktion — die auch in Frankreich noch, glaube ich, unter einem großen Fragezeichen steht — teilzunehmen. Wir sind — ich habe das verbindlich hier; sonst würde ich schweigen — nicht in den Stand der französischen Entwicklung eingeweiht worden und haben auch nicht danach gefragt, eingeweiht zu werden. Die Franzosen haben es bisher in keiner Weise unternommen, uns einen Plan für eine gemeinsame Waffenproduktion auf diesem Gebiete vorzulegen.
— Bitte schön.
Herr Minister, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dem Hause einfach kurz und knapp sagen könnten, ob die Vereinbarungen mit Italien und Frankreich auf dem Gebiet der gemeinsamen Waffenproduktion, -forschung und -entwicklung die Beschäftigung mit der militärischen Verwertung der Kernenergie ausdrücklich ausgeschlossen haben oder nicht.
Sie bringen jetzt einen neuen Terminus hinein. Ich habe von der Atomwaffenproduktion gesprochen, Herr Kollege Erler. Was heißt „militärische Verwendung der Kernenergie"? Ich möchte hier eine ganz klare Definition bieten —
— darf ich jetzt weiterreden; ich weiß, was Sie meinen —, damit nicht hernach gesagt werden kann, es sei eine ausweichende Antwort gegeben worden.
Wir sind selbstverständlich, Herr Kollege Erler, wie ich auch einmal in der Öffentlichkeit erklärt habe, interessiert an einer Ausnutzung der Strahlungskräfte zum Schutz von Mensch und Gerät, zur Heilung und zu ähnlichen Zwecken. Wir sind selbstverständlich — ich habe daraus nie ein Hehl gemacht; wenn die Bundesregierung es anders beschließt, bin ich gern bereit, diese Meinung zu ändern, weil es kein politischer Grundsatz ist —, an jeder Art nicht konventioneller Antriebsmittel für Fahrzeuge interessiert, gerade für Schiffe. Sie werden sowohl bei der Bundesmarine und bei der Kriegsmarine aller Länder wie auch bei der Handelsmarine aller Länder in absehbarer Zeit zu dem normalen technischen Fortschritt gehören. Daran ist nicht zu zweifeln. Ein Ausschluß unsererseits aus der Entwicklung in USA, in England, in Kanada, neuerdings auch in Norwegen, in Schweden, vielleicht sogar in einem anderen Land, das ich jetzt nicht nennen möchte, und sowieso in Frankreich und in jüngster Zeit auch in Italien wäre gleichbedeutend mit einem Verzicht darauf, wenigstens in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht zu den führenden Nationen zu gehören; ein Wort, das ich nur vom Kollegen Deist übernehme,
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Bundesverteidigungsminister Straußder gestern davor gewarnt hat, daß wir unseren Platz in der Reihe der führenden Nationen verlieren könnten.
Es gibt bei der Bundesregierung weder eine Absicht, noch ist ihr ein Plan vorgelegt worden, noch hat sie Mittel dafür eingeplant oder in Aussicht gestellt, mit denen eine Waffenproduktion unternommen werden könnte.
— Diese Vereinbarung — ich bin gern bereit, im Verteidigungsausschuß bereits morgen, wenn er tagen sollte, den Charakter dieser Vereinbarung zu erklären — enthält weder eine rechtlich einklagbare Verpflichtung noch ein rechtlich einklagbares Verbot. Wenn die Franzosen und die Italiener uns ein Projekt vorlegen, sagen wir, einen Panzer oder ein Panzerabwehrgeschütz, und wir sagen: „Nein, das machen wir nicht mit, wir machen unsere eigene Sache", dann kann uns niemand hindern, unsere eigene Sache zu machen. Auf der anderen Seite besteht, wenn heute die Franzosen und Italiener sagen: „Wir haben beschlossen, Atomwaffen zu produzieren; nach dem Wortlaut des Vertrags seid Ihr verpflichtet, daran teilzunehmen", nicht die geringste Handhabe dafür, daß wir uns an einer solchen Produktion beteiligen müssen. Aber es ist weder das Recht der Franzosen noch das der Italiener, uns zu sagen: Wir schließen euch von einer Kernwaffenproduktion aus. Sie brauchen es ja nicht anzubieten. Wir wollen sie ja sowieso nicht. Wir haben sie weder gefragt noch haben sie sie uns angeboten. Man kann uns doch nicht Verbote auferlegen, die auf dieser Ebene überhaupt keinen Sinn haben und nicht möglich sind.
Sie haben gestern den Vertrag von St. Louis erwähnt, Herr Kollege Erler. Nun, der Vertrag von St. Louis wird dem Parlament vorgelegt. Das ist ja nicht eine Frage unseres arbiträren Ermessens, daß wir einen Vertrag nicht dem Parlament vorlegen, den anderen Vertrag dem Parlament vorlegen. Der Vertrag von St. Louis, der übrigens ja in seinem Entwurf schon auf die Zeit der Anfangsjahre meines Vorgängers zurückgeht, auf die Jahre 1952/53, enthält finanzielle Verpflichtungen und enthält rechtliche Folgen für den Unterhalt und die laufende Aufrechterhaltung eines Instituts, und zwar Folgen, die nach Auffassung der Rechtsgelehrten bei uns in sämtlichen Ministerien den Vertrag ratifikationsbedürftig machen. Aus diesem Grunde wird der Vertrag von St. Louis selbstverständlich dem Parlament vorgelegt. Es gibt keine Geheimklausel, es gibt keine geheimen Zusatzabmachungen dazu. In St. Louis werden — in vollem Gegensatz zu dem, was eine Frankfurter Zeitung jüngst geschrieben hat — keine Atomwaffen und keine bakteriologischen oder chemischen Waffen entwickelt. Der Vertrag von St. Louis befaßt sich mit einem Institut, das normale ballistische Forschung betreibt, die früher beim Waffenamt des OKH betrieben worden ist und parallel dazu in Paris. Statt daß es jetzt in Deutschland isoliert und in Frankreich isoliert gemacht worden ist, machen es jetzt Deutschland und Frankreich gemeinsam. Und das hätte man vor zehn Jahren einmal jemandem sagen sollen, daß so etwas gemeinsam gemacht wird!
Man soll doch bei diesen Dingen nicht nur die Brille der Kritik anwenden — die selbstverständlich gerade vom Standpunkt der Opposition aus berechtigt ist —; man sollte einmal auf den gesamten politischen Rahmen sehen: daß Deutschland mit den Staaten, mit denen es in früheren Generationen die schwersten Kriege ausgefochten hat, Kriege, unter denen die Kraft der Völker bis zum Weißbluten erschöpft worden ist,
— nein, nein! — gerade auf diesem Gebiet zusammenarbeitet. Was haben wir an Gemeinsamkeiten mit der französischen, mit der italienischen Kultur, Herr Blachstein! Das hat Kriege nicht verhindern können, leider — trotz Goethe und Petrarca und der großen Leistungen der französischen Kultur. Das Wesentliche ist, daß gerade dort bei diesem heißen Eisen der Politik, wo Waffen gemacht, wo Waffen erforscht, wo Waffen produziert werden, um in die Armeen eingeführt zu werden, heute Deutsche, Franzosen und Italiener und andere Völker gemeinsam Schulter an Schulter stehen, um den Frieden und die Freiheit zu erhalten.
— Ja, das „Volk der Dichter und Denker". Aber das hat uns nicht davor bewahrt, in törichte und gefährliche und selbstmörderische europäische Bürgerkriege verwickelt zu werden.
Leider hat die Gemeinsamkeit der europäischen Kultur, die über ein Jahrtausend erhalten geblieben ist, die größten Scheußlichkeiten und die größten Gemeinheiten auf politischem Gebiet nicht verhindern können.
Und darum glaube ich — nachdem in dieser Debatte ein weites Feld an Fragen angeschnitten worden ist —, daß unsere Zusammenarbeit mit Nachbarn, die jahrelang und jahrzehnte- und generationenlang unsere Feinde gewesen sind, ein ungeheurer politischer Fortschritt ist bei dem Bemühen, mit dem Unrat und mit der Schuld der Vergangenheit fertig zu werden.
Herr Kollege Erler hat mein Interview mit dem Abgeordneten Crossman freundlicherweise erwähnt. Nun, ich habe keinen Grund, das nicht zu sagen, wozu ich ohne diese Anspielung eigentlich keinen Anlaß oder keinen Ausgangspunkt gehabt hätte; aber Sie werden mir sicherlich nicht übelnehmen, daß ich es erwähne, nachdem Sie es angeschnittenBundesverteidigungsminister Straußhaben. Gegen den Inhalt können Sie eigentlich nicht allzuviel einzuwenden haben.
— Ja, weil es in der Form — es tut mir leid, das sagen zu müssen, ich würde es auch sagen, wenn es nicht ein sozialistischer, sondern ein konservativer Politiker wäre — nicht möglich ist. Der Abgeordnete Crossman hat mir, wie mir das Bundespresse- und Informationsamt es schriftlich und mündlich mitgeteilt hat, die Bitte übermitteln lassen, ein Informationsgespräch mit ihm zu führen. Von einem Interview war weder vorher noch während der Unterhaltung noch beim Abschied auch nur die geringste Rede. Das Gespräch hat genau 75 Minuten gedauert. Während der 75 Minuten hat Herr Crossman vielleicht alle 5 oder 10 Minuten ein oder zwei Silben hingeschrieben, wie man es oft bei einem Gespräch tut, um damit den Faden des Gesprächs für später in der Hand zu haben. Ich nehme nicht an, daß Herr Crossman einen Tonbandapparat in der Westentasche gehabt hat. Ich glaube auch nicht, daß die Präzision seines Gedächtnisses
die Kraft, die technische Zuverlässigkeit eines Tonbandes hat. Darum war ich sehr verwundert, daß ein 75-Minuten-Gespräch in Anführungszeichen wiedergegeben worden ist, ein 75-Minuten-Gespräch, das normalerweise vielleicht 15 bis 20 Schreibmäschinenseiten ausfüllt. Wenn es in der Form der indirekten Rede geschehen wäre, könnte man sagen, daß er den Gedankengang wiedergegeben hat. Aber Anführungszeichen heißen: wörtliche Zitierung, und das ist in dem Fall falsch. Es gibt einen Zeugen, der dieses Gespräch mitgeschrieben hat, und das unterscheidet sich wesentlich von den Aufzeichnungen dessen, der das Gespräch geführt hat und nur gelegentlich eine Notiz machen konnte. Wir haben das für Herrn Crossman in der Zwischenzeit fertiggestellt, und es wird ihm in den nächsten Tagen zugehen, damit in Zukunft hinsichtlich der Methode, wie ich hier nur sagen möchte, Übereinstimmung herrscht.
- Meinen Sie damit Ihren Panzerfahrer nach Berlin?
Ich darf es nur einmal zur Klarstellung sagen.
- Herr Wehner, das Wort „journalistischer Strolch" stammt nur von Ihnen!
Ich habe das hier nur klargestellt, weil ich nicht dengeringsten Grund habe, Herrn Crossman die persönliche Ehre und die politische Legitimation abzusprechen. Ich habe hier nur den Ablauf dargestellt, wie ihn auch Herr Crossman nicht bestreiten kann. Sie ersehen aus dem Inhalt des „Interviews" doch, worum es Herrn Grossman ging. Die englische Labour Party polemisiert — vielleicht aus Opposition, vielleicht auch aus sachlichen Gründen; beides geht hier wahrscheinlich ineinander — gegen die nukleare Betonung der britischen Aufrüstung.
— Ich bin fest überzeugt, daß die Opposition in England, wenn sie morgen die Regierungsgewalt übernimmt, die Atomwaffen in England nicht abschafft, bevor auch die Russen sie abschaffen.
Davon bin ich fest überzeugt. Darum sage ich, daß hier beides eine Rolle spielt.Herr Grossman sprach dauernd von der britischen H-Bomben-Produktion und davon, was wir dazu sagen. Da hat er den Ihnen bekannten Standpunkt vertreten, eine Ausdehnung mache das Problem immer noch schwieriger, die Kontrolle schwieriger und die Abschaffung immer noch unlösbarer. Wenn zur Zeit andere Staaten daran arbeiten — wir haben einige Namen genannt; er hat sogar einige weggelassen, Gott sei Dank —, wenn andere Staaten daran arbeiten, was er wußte — ich war von seinem Wissen sehr überrascht -, daß dann in das Problem immer mehr Nationen hereingezogen werden, ist doch einfach vom Standpunkt der primitiven historischen Vernunft und Erfahrung aus nicht zu bestreiten.Da ist Herrn Crossman ein großes Versehen unterlaufen. Da sagte er: Dann werden die Deutschen auch H-Bomben produzieren, das müssen Sie doch auch sagen! — Er meinte: damit ich, Crossman, es in England als politisches Argument verwenden kann! Da habe ich gesagt: Herr Crossman, wenn mehrere Nationen hereingezogen werden, — Deutschland inden nächsten drei und vier Jahren und fünf Jahren nicht. Ja, soll ich denn eine Erklärung für sämtliche Nachfolger von mir abgeben? Ich kann doch nicht für einen zukünftigen Wahlsieg der Opposition sozusagen garantieren.
Dreieinhalb Jahre dauert normalerweise noch die Amtszeit der Legislaturperiode. Wenn einer nach mir anfangen würde, würde es immer noch zwei Jahre dauern, bis er zu irgendwelchen Ergebnissen käme. Darum konnte ich sagen: drei Jahre, vier oder fünf Jahre sicherlich ist nichts davon drin. Wenn man mir jetzt alles Weitere zumuten will, kann ich nur sagen: ich gebe keine moralischen Erklärungen zur deutschen Politik für ganze Generationen ab. Das können größere Leute tun; das steht mir nicht zu.
Deutscher Bundestag —. 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1403Bundesverteidigungsminister Strauß— Dem Herrn Crossman kam es darauf an, für den kommenden Wahlkampf gegen die britische konservative Regierung sozusagen Material in die Hand zu bekommen und sagen zu können: Dann wird auch Deutschland H-Bomben produzieren. — Von H-Bomben war überhaupt nicht die Rede. Von H-Bomben ist auch bei der ganzen NATO heute nicht die Rede. Die haben ja mit den NATO-Beschlüssen überhaupt nichts zu tun. Das wissen Sie, Herr Erler, als technischer Experte ganz genau. Aber Herr Crossman war ja von dem H-Bomben-Material gegen die englische Regierung besessen, und da suchte er einen deutschen Bundesgenossen, um bei der nächsten Rede in London im Unterhaus noch etwas bringen zu können.
Dann haben Sie gestern, Herr Kollege Erler, die Matadore erwähnt und haben gesagt: Schon ist es an der Produktion. Ich muß an Sie eine ganz offene Frage richten — Sie brauchen die Frage nicht zu beantworten, aber sie wird sich immer wieder stellen —: Sollen wir in Deutschland überhaupt noch eine moderne Luftfahrtindustrie haben, wie sie etwa der französischen, der englischen, auch der schwedischen und der wiedergekommenen italienischen vergleichbar ist? Ich will jetzt gar nicht von Japan reden, das bereits Düsenjäger produziert und natürlich auch in der Entwicklung immer weiterarbeitet, ebenso nicht von Kanada, USA und der Sowjetunion. Auch Polen und die Tschechoslowakei stellen auf Lizenzbasis modernste Flugzeuge und Düsenjäger her. Es ist also die Frage: Sollen wir das überhaupt wieder tun? Diese Frage stellt sich bei den Rüstungsaufträgen. Wenn man das nämlich aus mehreren Gründen nicht will, muß man den ganzen Bestand im Ausland kaufen. Das Interesse des Verteidigungsministers ist es, moderne Flugzeuge zu haben. Ganz andere Fragen sind es dann: woher?Dann die Frage: Soll die deutsche Luftfahrtindustrie aufgebaut werden? Wenn ja: Wie? Ich lehne den Gang der deutschen Alleinentwicklung vom Jahre 1945 an woran man heute gar nicht mehr anknüpfen könnte, weil ja die Leute weg sind —, bis wir den gegenwärtigen Weltstand erreicht haben, ab, weil diese Form der deutschen Ehre oder des nationalen Prestiges heute glatter Unfug wäre. Wenn das also nicht in Frage kommt, dann müssen wir auf irgendeiner Lizenzbasis einsteigen. Aber eines ist sicherlich klar: Wenn eine deutsche Luftfahrtindustrie wieder aufgebaut werden soll, so ist das ohne Bestellung von militärischer Seite nach den Erfahrungen aller Länder unmöglich. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Die Lufthansa hat ihr Programm aus Sicherheitsgründen auf viele Jahre hinaus auf Bestellungen aus dem Ausland aufgebaut. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Wenn Sie aber unsere Politik, auf dem Gebiet der modernen gelenkten und ungelenkten Flugkörper zu untersuchen, zu zerlegen, technisch zu analysieren, kritisieren, dann müssen Sie sagen: Wir sind dagegen, daß Deutschland wieder eine Luftfahrtindustrie erhält. Sie haben gesagt: Da sieht man's ja! Da geht es los! Und jetzt sage ich, warum wir es tun, Herr Kollege Erler: weil wir wie vor einigen Jahren auf dem Gebiet der Seefahrt auch auf dem Gebiet der Luftfahrt wieder einen normalen vergleichbaren Platz in der internationalen Palette einnehmen wollen, nicht in stürmischem Tempo, nicht in einem nationalen Größenwahn, aber entsprechend etwa dem technischen Potential und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten unseres Landes. Ich glaube, das ist ein durchaus legitimes Anliegen, dem man nicht dunkle Hintergründe oder vielleicht gar gefährliche oder sonst irgendwelche Motive unterstellen kann.Dann sagten Sie, Herr Kollege Erler — ich weiß nicht, wen Sie dabei gemeint haben; vermutlich war es mehr der Außenminister, noch mehr in diesem Fall der Bundeskanzler --: Wir sollten Frankreich einige Lehren geben. Daß wir uns an Kolonialkriegen nicht beteiligen, daß auch der NATO-Vertrag das in keiner Weise, auch nicht bei der großzügigsten Auslegung, einschließt, ist selbstverständlich. Sie aber sagten: wir sollten den Franzosen die Lehre geben, sich in Afrika so oder so zu verhalten. Ich enthalte mich jedes Urteils über die französische Afrika-Politik. Es steht mir nicht zu. Aber ich glaube, es wäre eher ein Anfall von deutscher Schulmeisterei mit einer gewissen falschen Größenvorstellung, wenn wir heute den Franzosen Lehren gäben, wie sie sich zu verhalten haben.
Das mögen die Amerikaner tun, das mögen die Engländer tun, die haben eine gewisse — ich möchte es nicht damit konstituieren; dazu habe ich nicht das Recht — Legitimation dazu. Wir haben sie aus sehr bedauerlichen Gründen nicht. Wir tun gut daran, ein gutes Beispiel zu geben, aber nicht schlechte oder auch gute Lehren zu erteilen.
Ich darf meine Bemerkungen mit einem allgemeinen Gedanken abschließen. Der Kollege Schmidt hat gestern davon gesprochen, daß die Hitlersche Aufrüstung 60 Milliarden Reichsmark gekostet habe. Ich war erstaunt, wie hoch er die Stabilität, die Kaufkraft der D-Mark bei diesem Thema beurteilt hat. Da war sie nämlich fast so hoch wie die der Reichsmark. Ein paar Stunden später wurde sie als ganz inflationär abgewertet bezeichnet, weit unter der Hälfte.
Kollege Schmidt, lesen Sie das Protokoll nach! Sie sagten: Natürlich ist die D-Mark nicht mehr so viel wert, aber ungefähr als Vergleichsmaßstab gilt es.
- Herr Kollege Schmidt, lesen Sie doch das Protokoll nach! Ich bin ein normaler Zuhörer. Ich habe
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1404 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesverteidigungsminister Straußes gehört. Sie haben sicherlich in weiten Strecken ein ganz nüchternes, sachliches Urteil kritischer Art gegeben. Aber in dem Punkt ist mir etwas aufgefallen; denn da haben Sie mit einer gewissen Vorgeschichte operiert: Ermächtigungsgesetz, totaler Krieg, Sportpalast, und jetzt kommt noch die Hitlersche Aufrüstung!
Da sind wir sehr hellhörig, weil das eine bekannte Linie ist. Das ist eine Sprachregelung geworden.
Mit Recht hat gestern der Kollege Deist davon gesprochen — nur hat er sich hernach nicht ganz daran gehalten —, daß die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf vielen Gebieten geführt wird und daß das militärische Gebiet sicherlich nicht das einzige ist. Das führt sicherlich zu der Feststellung, daß man den Kommunismus weder allein militärisch noch vielleicht allein durch Kinderzulagen oder durch erhöhte Renten oder durch Erhöhung der Löhne bekämpfen kann. Das geht da zu sehr ins Klischeehafte und abgeklatscht Schlagworthafte, als daß man darüber reden sollte.Es sind viele Bereiche, die gestern angeschnitten worden sind, z. B. vom Kollegen Leber; ich sehe ihn hier gerade. Es sind Bereiche der Sozialpolitik und der Kulturpolitik mit hineingezogen worden. Die Theologie ist diesmal noch nicht bemüht worden. Aber es sind viele Bereiche hineingezogen worden. Es ist gesagt worden: Ihr seht nur eure Aufrüstung, ihr müßt auch die Schulhäuser, die Familien, die Mütter, die Versehrten, die Flüchtlinge usw. sehen. Man kann gegen keines dieser Anliegen, wenn man nicht manisch von einer fixen Idee besessen ist, etwas vorbringen.Aber auch hier muß ich Sie bitten, gerade auch vom Standpunkt der Arbeit aus, die ich zu leisten habe, die Teil der Regierungspolitik ist, auch die Rüstungspolitik und den Aufbau der Bundeswehr im Rahmen einer Gesamtpolitik zu sehen, einer Gesamtpolitik, die wohlausgewogen sein muß, die vielleicht von Jahr zu Jahr verschiedene Akzente hat.Ich habe im Jahre 1949 den Wahlkampf bei meinen ersten politischen Schritten, die ich im Wirtschaftsrat gemacht habe, in meinen Reden unter der Überschrift geführt: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal". Sie war es damals unter den Alliierten. Im Jahre 1953 haben wir den Wahlkampf unter der Überschrift geführt: „Die Außenpolitik ist unser Schicksal". Wir müssen heute sagen, daß alle anderen Lösungsversuche politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art auf Sand gebaut, auf nichts gebaut sind, wenn das Problem der Sicherheit nicht nach allen Möglichkeiten der menschlichen Vernunft und des menschlichen Anstandes gelöst werden kann,
auch wenn es dabei Dinge gibt, die zu vertretenman eher Mut haben muß, als Massenleidenschaftenzu erwecken, deren man vielleicht nicht mehr Herr werden kann, wenn es für die Urheber dieser Kampagne wünschenswert oder notwendig wäre.
Ich wende mich gegen die auch nur moralische Abwertung des Beitrags zur Verteidigung. Man kann nicht allein die Theorie aufstellen: Wir sind für die Landesverteidigung, aber leider haben wir so viele andere Aufgaben, daß für sie nichts mehr übrigbleibt; darum ist für sie nur ein Gedächtnisposten vorgesehen.Ich habe bei der großen Debatte von den drei Aufgaben des Staates gesprochen: Sicherheit nach außen, Ordnung und Freiheit im Innern und die Voraussetzungen für den Wohlstand zu schaffen. Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel darüber, daß unsere wirtschaftliche Leistung selbstverständlich nicht die Heldentat eines Pioniers ist, mag er auch Dr. Erhard heißen, Kollege Leber. Unsere Leistung ist von Millionen schaffender Hände erarbeitet worden. Aber niemand kann, glaube ich, dem widersprechen, daß die Arbeit eines fleißigen, eines begabten, eines leistungsfähigen Volkes, das sich bis zur Weißglut aufopfert, sinnlos werden, sogar seinen Untergang herbeiführen kann, wenn nicht vor der Arbeit dieses Volkes das Vorzeichen einer vernünftigen Politik steht.
Noch nie ist das deutsche Volk in seinen Arbeitsreserven, in seinen menschlichen Kräften so ausgeplündert worden wie im Dritten Reich. Von jedem einzelnen ist zum einen auf Grund seiner Überzeugung, zum anderen unter dem Druck der damaligen Verhältnisse ein Mehrfaches abverlangt und auch geleistet worden. Das Fazit war weniger als Null. Das kann man doch nicht bestreiten.Darum ist es kein Widerspruch, zu sagen, daß diese unsere Politik Deutschland aufgebaut hat. Das ist keine Beleidigung und gar keine Herabsetzung; denn jedermann weiß, daß das nur möglich war, weil Millionen schaffender Hände durch diese Politik in die Lage versetzt worden sind, eine für sie lohnende und für die Zukunft unseres Vaterlandes auch produktive Arbeit wieder schaffen zu können.
Man kann diese drei Dinge, Sicherheit nach außen, Ordnung und Freiheit im Innern und Voraussetzungen für den inneren Wohlstand, nicht voneinander trennen. Sie hängen voneinander ab. Ich glaube, Kollege Erhard hat es gestern sehr allgemein gesagt. Darf ich es vielleicht etwas verständlich machen. Die Dispositionen des einzelnen, des kleinen Mannes, der spart, der zweckspart, der für ein Haus oder für sein Alter spart, oder die Dispositionen der Großen — Kollege Leber, Sie wissen ja, wen Sie gestern gemeint haben —, also derjenigen, die „von der Arbeit der anderen leben" — ich möchte jetzt nicht in diese Terminologie verfallen —, also sowohl die Dispositionen der Kleinen wie die der Großen in der Wirtschaft hängen
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Bundesverteidigungsminister Straußdavon ab, daß der einzelne nicht nur theoretisch ermahnt wird, sondern das innere Gefühl hat, über den heutigen Tag hinaus disponieren zu können, weil es sich lohnt.Wir hätten in Deutschland keine Spartätigkeit und keinen Kapitalmarkt, sondern eine horrende Kapitalflucht, wenn Deutschland das Einmarschgebiet der Roten Armee wäre, die morgen kommen könnte. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel.Unsere Rückkehr auf die Weltmärkte, unsere Rückkehr heute auf alle großen internationalen Märkte, ist doch nichts anderes als das Ergebnis einer auf Gewinnung von Vertrauen gerichteten Außenpolitik.
Damit ist doch der heutige Wohlstand — ich meine das Wort „Wohlstand" im neutralen Sinne des Wortes, also das, was von jedem dazuerworben worden ist und was er, mit Recht, behalten will, und das, was er in Zukunft erwerben will — ohne daß ich damit den Materialismus das Wort reden will —, auch abhängig davon, daß unsere Bindungen an die westliche Welt erhalten bleiben und daß unsere Sicherheit vor dem Zugriff von außen auch in Zukunft garantiert bleibt.
Sonst bricht alles andere zusammen.Es gibt hier nur eine abgewogene Politik. Auch eine Mark, die in die Verteidigung gesteckt wird, ist keine verlorene Mark, auch wenn sie eine Mark ist, die dem einzelnen als Butterbrot oder als Taschentuch verlorengeht. Auch das ist nämlich die Garantie dafür, daß ein höheres Gut, die Freiheit, erhalten bleibt. Und die Freiheit ist die Voraussetzung dafür, daß der wirtschaftliche Wohlstand und die soziale Sicherheit überhaupt in Deutschland auf viele Jahre hinaus als durch eine vernünftige Politik gesicherte Güter angesehen werden können.Ich bin gestern erschrocken, meine Damen und Herren, als dieses wilde Gelächter über Professor Erhard wegen seines Rechenexempels ausbrach. Es müßte doch einen Bereich geben, wo ein Mindestmaß an mathematischem Denken die Frage, ob die Opposition oder die Regierung recht hat, ausschließt.
Kollege Erhard ist es nicht gelungen. Ich habe einmal Schulmeister werden wollen; vielleicht gelingt es mir jetzt. Wenn man mit 200 Milliarden anfängt und eine Zuwachsrate von 3 % hat,
— die „Welt" hat sogar geschrieben: eine wahrscheinlich fehlerhafte Rechnung —, dann sind es nach dem ersten Jahr 206 Milliarden DM. Die neue Basis für das nächste Jahr sind dann 206 Milliarden. Von diesen 206 Milliarden wieder 6 %; gibt 6 Milliarden und einiges.
— Ja, 3 %!
Gibt 6 Milliarden und einiges. Im dritten Jahr dann wieder das gleiche, und dann haben Sie gegenüber dem Ausgangsjahr — 200 Milliarden DM — einen Zuwachs von 6 Milliarden plus 12 Milliarden plus 18 Milliarden, macht 36 Milliarden.
— Sicherlich!
— Herr Kollege Ollenhauer, ich würde mit Ihnen privat jede Wette abschließen, zu der Sie sich bereit erklären. Gegenüber dem Ausgangsjahr mit 200 Milliarden DM bedeutet ein Zuwachs von 3 % des Sozialprodukts im Jahr nach drei Jahren einen Gesamtzuwachs von 36 Milliarden DM.
Das ist eine mathematische Tatsache, die ist weder schwarz noch farbig, Herr Kollege Ollenhauer.
Meine Damen und Herren, ich wollte mit dieser abschließenden Bemerkung auch eine von der Sache, vom Ziel und von der Verantwortung her notwendige Rechtfertigung für den Aufbau der Bundeswehr geben, und ich wollte die Opposition, die sagt, daß man die Rüstung nicht allein sehen dürfe, nur darum bitten, diesen berechtigten Grundsatz auch zur Basis ihrer eigenen Überlegungen und ihrer eigenen Argumentation zu machen. Denn das Ziel dieser Rüstung ist die Erhaltung des Friedens und ist die Erhaltung der Freiheit. Ohne diese beiden Güter haben unsere wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leistungen keinen Wert mehr; es entfallen die Voraussetzungen für diese Güter. Darum ist für uns das Bekenntnis zur Landesverteidigung im Rahmen einer internationalen Sicherheitsgemeinschaft nicht ein Bekenntnis zu einer deutschen Machtpolitik, sondern das Bekenntnis zu einer auf Recht und Freiheit begründeten Weltordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Verteidigungsminister hat nun nach dieser Debatte Gelegenheit genommen, auf einige Fragen Antworten zu geben, die wohl ohne besondere Anstrengung, und ohne daß es Prestige gekostet hätte, schon in der Antwort auf unsere Große Anfrage unmittelbar hätten gegeben werden können.
Aber besser später als nicht.
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1406 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
WehnerHerr Minister, die Frage, die Sie hier so ausführlich behandelt haben — ich sage ausdrücklich: behandelt haben —, nämlich die Frage meines Kollegen Erler, die wir schon in der Debatte vom 23. Januar dieses Jahres vergeblich gestellt hatten— zunächst durch Ollenhauer, dann durch Erler wiederholt —, die wir dann in dieser, wie Sie sagten, Marathondebatte wiederholt haben, betraf das Dreieck Paris-Rom-Bonn. Darf man Ihre Antwort in dem Satz wiedergeben, daß, wie man also nun annehmen muß, Entwicklung und Produktion von atomaren Sprengkörpern an einem dritten Ort bei deutscher Beteiligung als zulässig erachtet werden?
— Das ist eine völlig andere Frage, Herr Kollege Kliesing, ob sie vorgesehen ist oder nicht. Ich kann wohl mit Recht annehmen, wenn wir in dieser Frage weiter herumbohren, werden wir — nachdem man sie vorher blankweg verneint hat - wohlauch noch weitere Teile im Laufe der Zeit heraus-pulen.
Ich glaube, daß diese Handhabung und Auslegung mit dem Sinn des Abkommens von 1954, das 1955 ratifiziert wurde — und wenn Sie so wollen: mit der Auslegung dieses Abkommens durch den Herrn Bundeskanzler, der vom „Gebrauch" gesprochen hat, auf den man verzichten wolle —, nichts mehr zu tun hat.
Was Ihr Erlebnis mit dem Journalisten Mr. Crossman betrifft, Herr Bundesverteidigungsminister, so kann ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren. Denn die ganze Sache war doch nur interessant, weil Sie hier in der Debatte Herrn Crossman — so wie Sie seine Äußerungen auszulegen beliebten— gegen uns ausgespielt und zitiert hatten. Nun sind Sie sozusagen auf seinen Federhalter gespießt worden und haben festgestellt, daß der gewisse Widerhaken hat. Mein Beileid!
Humor muß man auch etwas haben, Herr Minister, auch wenn's mal wehtut — nicht nur wenn es anderen wehtut; das wissen wir genau, wir sind in der Opposition und müssen viel aushalten.
— Wissen Sie: wer zuletzt lacht, lacht am besten, Herr Euler, nicht!?
Herr Minister, ich hatte die Bemerkungen meines Freundes Erler über die Gefahren, die sich aus der französischen Afrika- und speziell Nordafrikapolitik für den Westen ergeben, für sachlich außergewöhnlich beachtliche Bemerkungen gehalten, frei von jeder Polemik. Sie haben gesagt, wir dürften nicht in einem Anfall von deutscher Schulmeisterei den Franzosen Lehren geben wollen. Uns liegt gar nichts an solchen Anfällen und daran, Lehren geben zu wollen. Aber wir sind interessiert — und deswegen haben wir das ausdrücklich gesagt —, daßwir nicht auch noch in die französische Afrikapolitik hineingezerrt oder -gesogen, wie der moderne Ausdruck heute heißt, werden.
Sie haben sich im Verlaufe dieser Debatte über unsere Große Anfrage wiederholt darüber gewundert, daß der Stoff, der hier behandelt worden ist, so vielschichtig war. Das wußten wir, als wir unsere Große Anfrage entwarfen und einbrachten. Wir haben diese Debatte gewollt, weil wir der Meinung waren, es muß eine Gelegenheit gefunden und genommen werden, klarzustellen, wie es eigentlich uni die Grundlage und die innere Solidität der Verteidigungspolitik und der Verteidigungsplanung der Bundesregierung bestellt ist. Darum ging es uns. Es war nicht zu vermeiden, daß dabei eine ganze Reihe von Sachgebieten berührt und überschnitten wurden, auf die wir, vermute ich, wenn wir unsere Pflicht, von der hier so markig gesprochen worden ist, nicht versäumen wollen, wieder und wieder werden zurückkommen müssen.Wenn die Position der Regierung sachlich sehr gut fundiert wäre, jedenfalls besser, als sie es zu sein scheint, dann hätten Sie ja nicht versuchen müssen, diese Debatte unter Umgehung der eigentlichen wesentlichen Tatsachen zu führen. Sie sind am Schluß, in der Antwort des Herrn Bundesfinanzministers, auf einige Fragen eingegangen, die man am Anfang hätte behandeln müssen. Ich sage hier dasselbe, was ich zum entsprechenden Verfahren des Herrn Bundesverteidigungsministers gesagt habe. Wenn Sie so verfahren wären, meine Damen und Herren, dann hätten Sie, denke ich mir, gesagt, daß zur Erreichung der und der nach Ihrer Meinung begründeten, unvermeidlichen militärischen Ziele dies und das erforderlich sei. Dann hätten wir über die Größenordnungen streiten können, wir hätten über das Vermeidbare oder Unvermeidbare die Meinungen messen können.Aber Sie haben einen ganz anderen Weg gewählt. Ein Beispiel gab gegen Schluß der Debatte die Art, in der Sie plötzlich über die Kriegsvorräte sprachen. Ich nehme an, im Ausschuß werden meine Kollegen noch einmal auf dieses Kapitel eingehend zurückkommen, und wenn sie dort keine Klärung finden, dann werden Sie es einmal an einem Tag hier klären müssen. Ich will dem nicht vorgreifen. Aber wenn man das, was Sie an unerhörten finanziellen Anstrengungen, die trotz aller Vertuschungen nach dieser Debatte unbestreitbar sind, aufwenden, an dem, was militärisch effektiv zu erzielen ist, mißt, dann erscheint die Anstrengung unverhältnismäßig im Vergleich zu dem militärischen Effekt.Wenn Ihnen daran gelegen gewesen wäre, offen über diese Dinge zu sprechen, dann hätten Sie, meine Damen und Herren und die Sprecher der Regierung, nicht wie der Herr Bundeswirtschaftsminister den Versuch gemacht, sich einfach auf das zu berufen, was in den Jahren vor dem Beginn der Rüstung, in den Jahren des friedlichen Aufbaus erreicht worden ist, um dann glauben zu machen, es werde sich schon so fügen, daß die Bundesrepublik,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1407
Wehnerauch wenn sie nun zum Teilnehmer am Wettrüsten und - ich betone sogar am atomaren Wettrüsten wird, auch weiter soziale Sicherheit habe. Das paßt nicht zusammen. In dieser Ihrer Beweisführung steckt auch keine Logik. Es ist Ihnen vorbehalten geblieben, den friedlichen Aufbau als eine Sache einiger unter Ihnen in gewissen Debatten in Anspruch zu nehmen. Wir haben nie bestritten, daß es in der Bundesrepublik und im geteilten Deutschland einen überraschenden friedlichen Aufbau gegeben hat; ich meine einen Aufbau, überraschend in seinem Ausmaß.
— Zu lachen gäbe es dazu nichts. Dieser friedliche Aufbau ist doch auf der Grundlage eines — wenn von Wunder die Rede sein soll - Arbeitswundersder deutschen Menschen geschehen.
— Sie wollen doch hoffentlich den Menschen jenseits der Zonengrenze nicht abstreiten, daß sie auch nach besten Kräften aufgebaut haben.
- Das Geschrei überlasse ich Ihnen.
— Was haben wir mit der Wirtschaftspolitik jenseits der Zonengrenze zu tun? Wollen Sie vielleicht das bei der Gelegenheit nebenbei klarstellen?
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, sicher!
Herr Kollege Wehner, wollen Sie bestreiten, daß die Wirtschaftsverhältnisse der Zone auf die schlechte Wirtschaftspolitik zurückzuführen sind — die ich Ihnen aber nicht anlaste —, die im Gegensatz zu der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik nicht erreicht hat, daß die Menschen in der Zone mit ihrer Arbeit das schaffen konnten, was uns hier möglich war?
Da Sie uns diese Wirtschaftspolitik dort nicht anlasten, habe ich weiter nichts dazu zu sagen. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie auf das verzichten, was sonst in der Agitation der CDU vulgär versucht wird.
Wenn Sie schon beim friedlichen Aufbau sind: es gibt ja auch in Ihren Reihen noch — ich weiß nicht, wie lange noch; jedenfalls gibt es sie noch — Diskussionen über die Wege der Wirtschaftspolitikund der Sozialpolitik. Da wird mir vom Herrn Kollegen Gockeln heftig zustimmend zugenickt.
— Ja, ja, das merkt man. Deswegen gibt es auch einen Teil bei Ihnen, der Angst davor hat, daß die Gewichte bei dem, was Sie jetzt Volkspartei nennen, allzusehr sich nach der Seite der privilegierten Schichten in diesem Volke verlagern.
Meine Damen und Herren, ich würde mich auf eine solche Auseinandersetzung nicht einlassen, wenn ich nicht ein Zitat von Ihnen hätte. Das werden Sie mir doch hoffentlich zutrauen.
Ja, Herr Kiesinger, das ist die „Soziale Ordnung", und da steht, daß ein Teil von Mitgliedern —sicherlich recht aktiven — in der CDU in den Auseinandersetzungen über das, was Sie heute hier so als Ihre Wirtschaftspolitik bezeichnen, durchaus Meinungen zu vertreten für richtig halten, die sie nun in der Feder von Journalisten der illustren Organe Ihrer Volkspartei
— nein, das kommt gleich, verehrter Herr; Sie können das Wasser noch eine Weile halten, nehme ich an —
sehr in die Nähe der Sozialisten bringen. Die wehren sich dagegen — Sie haben das sicher gelesen, denn Sie sind ja im Bilde über die Vorgänge in Ihrer Volkspartei —, als die Sozialisten in der CDU bezeichnet werden. Die sagen:Wir nehmen den Fehdehandschuh auf, denn wir haben eine etwas andere Vorstellung vom Wesen einer gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung als der „Industriekurier" und seine Mitläufer.Ich zitiere weiter wörtlich:Wir wissen, was wir wollen, und wir wissen, was wir nicht wollen.Dann kommt das — das hatte ich von mir aus hinzugesagt —:Wir wollen nicht, daß das mit Hilfe der Arbeitnehmer und der Verbraucherschaft gebildete und sich immer wieder neu bildende gewaltige Produktionskapital sich einseitig als Eigentum in den Händen weniger zusammenballt.
— Ich freue mich über Ihre gewaltige Zustimmung.Wir wollen nicht, daß man Süßholz raspelt
und wohltönend vom Eigentum in Arbeiterhand spricht, den Arbeitern aber die Startmöglichkeit, die man selbst sein eigen nennt, in der Tat vorenthält.
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1408 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
WehnerWir wollen nicht, daß unsere Wirtschaft auf Kosten der breiten Schichten des arbeitenden Volkes Tummelplatz massiver Einzel- und Gruppeninteressen wird.
— Sie werden gleich aufhören, „Sehr richtig!" zu sagen —Wir wollen nicht,— entschuldigen Sie, ich zitiere weiter wörtlich —daß die CDU, und zwar von den Kräften, die nach dem Zusammenbruch der politischen Front des Liberalismus nun über die CDU ihre Ziele zu erreichen versuchen, von der Grundlinie des Ahlener Programms abgedrängt wird, die ihr Ausgangspunkt war— ich darf als meine eigenen Worte hinzufügen: Lang, lang ist's her! —und die ihr das Vertrauen der breiten Schichten des arbeitenden Volkes gebracht hat. Das muß einmal deutlich ausgesprochen werden.Entschuldigen Sie diesen Ausflug in die Gefilde Ihrer eigenen inneren Auseinandersetzungen, um die ich Sie nicht beneide; aber sie sind in einer Volkspartei natürlich unvermeidlich, wenn so viel Volk beisammen ist.
Diese Auseinandersetzungen zeigen aber, daß das, was Sie in manchen Minuten besonders heftiger Gemütserregung so gegen uns herausschleudern, in Ihrer eigenen Volkspartei wahrscheinlich manchem Ihrer Kollegen an den Kopf geschleudert würde, wenn nicht ihnen gegenüber ein anderer Ton herrschte als uns gegenüber.
Wir wissen doch selbst allzu gut um das — ich wiederhole das Wort — Arbeitswunder, das diesem Aufbau zugrunde liegt. Bei der Schlußabrechnung wird einmal auch, so nehme ich an, klarwerden: Wer gefährdete schließlich die Früchte des friedlichen Aufbaus und wer hinderte die notwendige Fortsetzung des friedlichen Aufbaus? An den Punkt sind wir mit dieser Debatte, die wir seit gestern führen, dicht herangerückt!Herr Dr. Hellwig hat hier gesagt, es sei eine falsche Alternative: Soziale Sicherheit oder militärische Sicherheit? Aber, Herr Kollege Hellwig, ohne soziale Sicherheit werden auch Sie vergeblich militärische Sicherheit anstreben.
- Nun ja, ich bin darüber froh. Ich will gleich noch einiges dazu sagen; dann können Sie sich weiter dazu äußern. Wenn man das nämlich ohne soziale Sicherheit oder unter Einschränkung der sozialen Sicherheit versuchen sollte, wäre diese sogenannte militärische Sicherheit schließlich gar nichts anderes mehr als die Sicherheit derer, die sich noch sicher fühlen dürfen, und nicht mehr die Sicherheitdes ganzen Volkes. Uns geht es um die Sicherheit des ganzen Volkes.
— Ich werde gleich — es tut mir leid, Herr Vogel — aus Ihrer Volkspartei ein letztes Zitat vorlesen, woraus Sie ersehen, daß dort auch Gedanken über eine in Ihrer Volkspartei und Ihrer Politik liegende Aufspaltung des Volkes bestehen, hei der die einen bedeutend mehr Vorteile haben, als die anderen je haben können. Es heißt in dieser schon zitierten Zeitschrift:Solange die Unternehmerschaft unter sich und allein Herr im Hause bleiben will und den einzig richtigen Weg der Untermauerung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch— wie es hier heißt —Miteigentum verhindern will, ist die soziale Frage nicht gelöst.Also, sie ist auch in Ihrem Wirtschaftswunder nicht gelöst!Es wird immer und immer wieder zu sozialem Unfrieden und zur— entsetzlich, aber ich zitiere wörtlich — Klassenspaltung kommen.
Man denke, was das heißt, ausgesprochen in Ihrer eigenen Volkspartei!
Meine Damen und Herren, wir bestreiten nicht, was gewesen ist und was von allen Beteiligten geleistet wurde. Wir gefallen uns auch nicht darin, etwa Schwarzmalerei zu betreiben. Aber wir hielten und halten es weiterhin für richtig, klarzumachen und warnend auszusprechen: Man kann nicht zur gleichen Zeit die Teilnehmerschaft des geteilten Deutschlands am Wettrüsten, sogar am Atomwettrüsten, und stabile Lebensverhältnisse für die breiten, schaffenden Schichten haben. Das paßt nicht unter einen Hut. Entweder das eine oder das andere.
Wir weisen auf den unleugbaren Zusammenhang zwischen innerer Sicherheit und der Strapazierung unserer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit hin. Wir haben heute in den Schlußbemerkungen des Herrn Bundesfinanzministers wieder ein Wort gehört: er verbürge sich dafür. Dieses Wort des jetzigen Bundesfinanzministers unterscheidet sich von dem seines Vorgängers, der inzwischen zum Justizminister geworden ist, dadurch, daß er keine Zahl nennt, an die er sein Wort festnagelt und bindet. Der andere hatte eine Zahl genannt — 9 Milliarden DM Verteidigungskosten jährlich —, über die er nie hinausgehen werde. Nun, wir werden sehen, wie der neue Herr Bundesfinanzminister sein etwas geschmeidigeres Wort betrachten und einlösen wird. Die Beachtung dieses Zusammenhangs zwischen innerer Sicherheit und
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1409
Wehnerder Strapazierung unserer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist nicht durch ein militärisches Sicherheitsprogramm zu ersetzen, das sich — entschuldigen Sie! — bei genauerem Zusehen als fiktiv erweist.Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf unsere Fragen zu der Frage Nr. 1, wie hoch sie den Gesamtaufwand für Verteidigung vom Beginn der Aufstellung der Bundeswehr bis zur Erreichung der vorläufigen Aufstellungsziele, d. h. für den Zeitraum der Haushaltsjahre bis 1961 einschließlich, schätze, eine Summe angegeben, aber eine Summe, von der sie wohl weiß, daß sie nur einen Ausschnitt der beabsichtigten und der schon eingeleiteten militärischen Maßnahmen zu decken imstande ist, nur einen Ausschnitt, noch nicht einmal den kostspieligsten Ausschnitt der Raketen und der schrittweisen Teilnahme an der Atomrüstung. Sie gibt uns eine solche Summe an, und obwohl sie nur einen Ausschnitt deckt, ist selbst diese Summe schon so hoch, daß sie, wie aus den sehr maßvollen Äußerungen der beiden Minister, die hauptsächlich diese Debatte zu bestreiten hatten — von einigen anderen Herren der Regierung, die heute vormittag einiges dazu beigetragen haben, muß ich in diesem Zusammenhang nicht mehr sprechen —, hervorging, nicht zu halten sein wird.Auf unsere zweite Frage, welche Beträge davon für die unbemannten Flugkörper, für die Raketenwaffen, vorgesehen seien, haben Sie uns eigentlich nichts anderes gesagt, als daß Sie uns zumuten, mit Ihnen zusammen mit Raketen eine Fahrt ins Blaue zu unternehmen, bei der sich dann herausstellen wird, was sie kostet.
Die Frage 7 lautete: Wann ist mit der Vorlage eines nach Zeitabschnitten sowie nach Inlandsausgaben und Auslandsausgaben gegliederten Gesamtzahlungsplans für den Zeitraum bis 31. März 1961 zu rechnen? Darauf haben einige meiner Fraktionsfreunde schon hingewiesen. Ich habe den Eindruck, da haben Sie uns eigentlich nicht mehr gesagt, als daß, jedenfalls was unser Vertrautwerden mit diesen Ausgaben betrifft, von Jahr zu Jahr gehüpft werden soll. Sie selber wissen wahrscheinlich, hoffentlich jedenfalls, mehr, als Sie uns wissen lassen wollen. Wir aber sollen von der Hand in den Mund leben, was diese wesentlichen Informationen und Unterrichtungen betrifft.Ganz falsche Töne kamen in eine solche Auseinandersetzung, wenn Sie selbst verschiedentlich fragten, um wieviel billiger etwa wir, die Sozialdemokraten, es machen würden, oder wieviel weniger wir zu bieten bereit seien, oder wenn Sie sogar — das hat der Herr Dr. Hellwig mit einer fulminanten Fehlleistung hier vorgetragen —
eine Rechnung aufstellten, in der Sie die Verteidigungskosten und die Verteidigungssorgen eines Landes wie Schweden in Vergleich setzten zu der von Ihnen, Herr Dr. Hellwig, ausgeklügelten, aber von uns, der SPD, niemals geforderten oder konstruierten Bündnislosigkeit des geteilten Deutschlands. Wenn wir von Bündnisfreiheit sprachen, so sprachen wir immer — weil wir wußten, sonst gibt es keine Wiedervereinigung — von der des wiedervereinigten Deutschlands im Rahmen eines allgemeinen europäischen Sicherheitssystems. Sie wollen uns ganz einfach wieder zurückreißen in eine Stufe längst überwundener Debatten, so als hätten wir jemals verlangt, die Bundesrepublik für sich müsse frei schwebend existieren. Und dann vergleichen Sie die Ausgaben miteinander! Oder sollte ich — ich habe das gestern schon mit einem Zwischenruf bei Ihnen anzumelden versucht — mich nicht geirrt haben, wenn dieser falsche Vergleich vielleicht sogar sagen soll: wenn schon, dann lieber geteilt und in der NATO bleiben, weil wiedervereint und nicht NATO-Mitglied auch Geld kosten würde? Soll man Ihre Rechnung und Ihr Klagen darüber, daß auch das bündnisfreie und neutrale Schweden eine Masse Geld auszugeben hat, so auffassen, dann wäre das allerdings beinahe ein Offenbarungseid.
Wir spielen nicht die Rolle des billigen Jakobs in der Verteidigungspolitik noch flüchten wir uns in gekünstelte Konstruktionen.
— Auch Sie hochgelahrter Herr können noch etwas hinzuhören von einem Gegner, denn Debatte ist auch hören können, verehrter Herr von der Jungen Union. — Wir verlangen nichts anderes, als daß Sie die Teilung Deutschlands und damit die Hauptaufgabe der Politik des geteilten Deutschlands, die Wiedervereinigung, bei allem, was zur Verteidigung zu tun ist, nicht vergessen, daß wir kühlen Kopf bewahren, wenn es sich um die Fragen der Verteidigung und der militärischen Planung handelt, und daß wir auf dem Boden bleiben, statt uns in eine Lage, und sei es auch ein Dreieck, hineinmanövrieren zu lassen, die nur schwer wieder zu entwirren sein wird, Uns geht es nämlich um eine sinnvolle Verteidigungspolitik.Ich hörte auch gestern wieder den nun schon unvermeidlich gewordenen Zwischenruf, diesmal noch etwas mit einer Arabeske verziert, Sie warteten schon seit zehn Jahren auf unsere Verteidigungskonzeption. Hut ab vor Ihrer Offenheit, daß Sie sich seit zehn Jahren mit einer solchen militärischen Konzeption befassen! Heute haben wir gerade noch vom Bundesverteidigungsminister gehört, wie er —ich weiß nicht, aus welchem Grund — hier zu Protokoll gebracht hat, daß er seinen Wahlkampf 1949 keineswegs als Mann der Verteidigung, sondern mit den Fragen der Wirtschaft geführt hat. Wenn man einiges nachliest, wird man feststellen, was er damals gesagt hat über die Hand, die niemals wieder ein Gewehr fassen wolle, und was er sonst über Verteidigungsfragen gesagt hat. Aber das ist ja lange vorbei. Sie haben gesagt, Sie warteten seit zehn Jahren auf unsere Verteidigungskonzeption. Ja, entschuldigen Sie, wir sind 1945 aufgetaucht aus einem Meer von Unterdrückung, von Blut, von schrecklichen Erlebnissen und haben uns hingetastet zu einer freien und selbständigen sozialdemokratischen Partei und Arbeiterbewegung und haben
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1410 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Wehnerdarum gekämpft, daß sie selbständig und frei bliebe— auch wenn Sie, Herr Bausch, darüber lächeln —,
weil wir das für unseren Beitrag zur Nachkriegspolitik dieses geplagten Deutschland, dieses durch die Ermächtigungsgesetz-Leute ins Unglück gejagte Deutschland gehalten haben.
- Dafür machen Sie ihn um so mehr auf, und Siehaben zweifellos das Recht, wem Sie auch Ihre Eide schwören werden, das konzediere ich Ihnen.
Ich bitte, den Redner — —
Ich bin ein Gejagter und von Steckbriefen Verfolgter gewesen.
Was Sie waren, ,das rechne ich Ihnen nicht nach. Daß Sie heute den Mut haben, andere in dieser Weise zu belehren, ist Ihre Sache. Ich versuche noch immer zu lernen.
— Ja, das habe ich, so lange bis Ihre Landes- und Hochverratsprozesse, auf die Sie kürzlich so stolz waren, über Land gegangen sein werden.
Herr Abgeordneter Wehner und Herr Abgeordneter Bausch, ich bitte, einen Augenblick den Präsidenten anzuhören. - Herr Abgeordneter Wittrock! — Ich bitte um Ruhe in diesem Hause.
Ich bitte um Unterlassung der gegenseitigen Unterstellungen und Anschuldigungen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Unterlassung der gegenseitigen Unterstellungen und Anschuldigungen. Wir müssen in diesem Hause davon ausgehen, daß alle Mitglieder dieses Hauses in gleicher Weise bemüht sind, das Beste zum Wohle unseres Vaterlandes beizutragen. Ich bitte den Redner, fortzufahren. Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?
Herr Kollege Wehner, eine rein sachliche Frage.
Herr Abgeordneter Bausch, ich bitte jetzt um Ruhe für eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß.
Herr Kollege, eine rein sachliche Frage, mit der wir uns damals noch in unseren Kinderjahren, möchte ich sagen, in der traurigen Zeit der untergehenden Weimarer Republik beschäftigt haben. Sind Sie bereit, zuzugeben, daß die Weimarer Republik damals durch die Extremisten von rechts und von links, durch Nazis, zum Teil Deutschnationale und Kommunisten ruiniert worden ist?
Da ist gar nichts zuzugeben, das ist eine Feststellung.
Es gehört dazu die weitere Feststellung,
daß es ehrbare Leute in ehrbaren demokratischen Parteien gab, die durchaus nicht imstande waren, mit dieser Lage damals fertig zu werden. Dafür haben wir in den zwölf Jahren des „Tausendjährigen Reichs" gebüßt.
— Sicher, viele.
— Sie können nur im Ton des gegenseitigen Anschreiens eine Diskussion führen.
Ich habe hier den Versuch gemacht, klarzumachen, daß ein wesentlicher Teil zu dem, was für die Sicherheit in Deutschland und Deutschlands notwendig ist, von der Sozialdemokratischen Partei in einer Zeit zu leisten begonnen wurde, in der von militärischer Sicherheit weder die Rede sein konnte noch die Rede war;
und dennoch war es ein wesentlicher fundamentaler Teil.
Die Frage, ob wir denn vergessen hätten, daß die Freiheit Opfer kostet — meine Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1411
Wehnerdie ganze Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung ist in ihrem Auf und Nieder mit ihren Opfern und auch mit ihren Abwegen ein ständiges Opfern im Kampf um Freiheit, um Selbstbehauptung, um Gleichberechtigung, die nicht nur auf dem Papier von Verfassungen steht, sondern die verwirklicht werden will im täglichen Leben.
Wir wissen, was es heißt, Opfer zu bringen.Und es geht doch nicht darum — das wäre meiner Meinung nach ein grundlegender Irrtum, wenn man das annähme —, einfach zwei Konstruktionen oder Pläne für Verteidigung einander gegenüberzustellen. Ist die Lage nicht so, daß heute weder Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, noch wir imstande sind oder frei sind, eine völlig eigene Verteidigungskonzeption zu entwerfen — nach allem, was geschehen ist, seitdem Sie sich für die Verträge entschieden haben, durch die jedenfalls rechtlich und faktisch eine Menge geschehen ist, was Folgewirkungen hat? Sie haben die Verträge zu verantworten, jedenfalls was die rechtliche Seite betrifft. Aber auch wir selber befinden uns bei unseren Bemühungen um eine sinnvolle Verteidigungspolitik in den Bindungen, die Sie für das ganze Volk, für das geteilte Land eingegangen sind. Auch wir sind also nicht völlig frei.
— Hier spreche ich von dem, was die Fakten bedeuten, Herr Kollege Krammig, und hier spreche ich von etwas, das oft vergessen wird, so als könnte man ganz einfach auf diesem Gebiet mit freien Entwürfen einander gegenübertreten; und ich wollte auf diese Bindungen und auf die dadurch geschaffenen Tatsachen hinweisen.Und wenn wir uns nun - zusammen mit allenDeutschen — in einer gegebenen Lage befinden und uns überlegen, was wir von der sozialdemokratischen Opposition zu tun imstande wären, um die Entwicklung in Richtung einer sinnvollen Verteidigungspolitik zu drängen, so haben wir es hier in der großen Auseinandersetzung gesagt,daß es uns erstens darum geht, Schritte zur Entspannung, etwa im Sinne der atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, zu gehen;zweitens Zug um Zug gleichmäßig und gleichwertig die fremden Truppen, die in diesem Gebiet sind, zu vermindern bis zu der völligen Räumung dieses Gebietes von fremden Truppen;drittens die Höchststärken für die eigenen Truppen der an diesem atomwaffenfreien Gebiet teilnehmenden Staaten und Gebiete festzusetzen und zu kontrollieren.Und da finden wir: das ist alles andere als etwa eine nihilistische oder dem Wunschdenken ergebene Verteidigungspolitik; das ist ein Versuch, in einem Rahmen, den Sie entscheidend mitgeschaffen haben durch das, was Sie mit den Verträgen gegen unseren Willen zustande brachten, ein Höchstmaß an realistischen Bemühungen um Entspannung zuleisten, wobei keine Seite der anderen Seite etwas abverlangen kann zu deren Nachteil und zu eigenem Vorteil, wobei keine Seite den Kopf in die Schlinge der anderen Seite zu stecken hat.
Wir begründen diese Forderungen erstens mit der Lage und mit der in der Welt zur Entspannung dieser Lage in Gang gekommenen umfassenden Diskussion, bei der wir uns mit unseren Forderungen in guter Gesellschaft befinden; zweitens mit der Notwendigkeit, durch solche Schritte zur Entspannung endlich auch wieder Voraussetzungen für Ansatzpunkte zur Wiedervereinigung zu schaffen; und drittens — das war der Sinn dieser Debatte, an deren Ende wir nun stehen — auch mit der angesichts der besonderen Lage unseres geteilten Landes gebotenen Notwendigkeit, Verständigungspolitik zu betreiben. Wer auf die wirtschaftliche und die finanzielle Leistungsfähigkeit Rücksicht nimmt — und der Herr Bundesfinanzminister hat darauf heute sogar sein Wort gegeben —, wer darauf bei den militärischen Verteidigungsmaßnahmen Rücksicht nimmt, der wird ein Höchstmaß von Bemühungen um internationale Verständigung und Entspannung betreiben müssen, und genau da ist der schreckliche Punkt, über den wir uns ständig auseinandersetzen, weil Sie da eine völlig andere Auffassung haben.
Nach unserer Auffassung ist die Bundesregierung dafür, das, was wir mit diesem Faktor der Verständigungs- und Entspannungspolitik meinen, durch NATO-Übereifer zu ersetzen. Auch dieser Teil unserer Auseinandersetzung sollte dabei nicht außer acht gelassen werden, nämlich ob die Bundesrepublik als ein Partner der Vereinigten Staaten in eine Art militärischer Großmachtplanung hineingesogen oder hineingezogen wird oder ob wir in einem durch Ihre eigenen Verträge zustandegekommenen Bündnis dafür zu sorgen haben, daß nicht wir - ich meine: nicht das geteilte Deutschland — zum unentbehrlichen Schwerpunkt und zum Stoßkeil einer solchen Verteidigungsorganisation werden. Denn je unentbehrlicher wir militärisch sind, um so schwerer wird das militärisch und politisch zu entwirren sein, um so schwerer wird der Versuch sein, die Zusammenführung der getrennten und in andere Machtblöcke und Verteidigungsorganisationen verstrickten Teile Deutschlands wieder vorzunehmen.
Meine Damen und Herren! Aus wiedervereinigungspolitischen Gründen und mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit unseres geteilten Landes sind wir also für eine solche Politik. Dabei möchte ich sagen: beides steht im Zusammenhang miteinander und ist besonders wichtig angesichts der noch andauernden Teilung und der Bedeutung eines festen Sozialgefüges für die vor uns stehenden weiteren Etappen der Auseinandersetzung um den Zusammenschluß Deutschlands zu einem demokratischen, und zwar in freiheit-
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1412 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Wehnerlichem Sinne demokratischen vereinten Deutschland. Sie sagen und lassen uns sagen, wie es der Herr Bundesverteidigungsminister heute hier ausdrückte: Wenn wir eine negative Entscheidung in einer technischen Frage fällen würden, dann ginge das ganze Bündnis zugrunde. Ich habe hier einen Artikel des dänischen Ministerpräsidenten und Außenministers H. C. Hansen in der „Außenpolitik" — er ist also Ihnen zugänglich —, in dem es ganz klar heißt, es sei wichtig, in Dänemark Maßnahmen zu unterlassen, die, wenn auch zu Unrecht, als Provokation aufgefaßt werden und dadurch die Entspannung erschweren könnten. So weit gehen also durchaus der NATO sich verpflichtet fühlende Regierungen, die ihre Verpflichtungen mit den Erfordernissen des eigenen Landes in Einklang zu bringen suchen. Warum sollte das bei uns nicht möglich sein, falls wir es, d. h. falls unsere Mehrheit es ebenfalls so wollte?!
Aus Belgien wurde ja dieser Tage gemeldet, daß die Christlich-Soziale Partei im Senat erklärt hat, was sie am Vorschlag des polnischen Außenministers für beachtlich halte und wie sehr daran gelegen sei, in diesem Sinne in Verhandlungen einzutreten, wobei man sich darauf berief, daß der frühere belgische Ministerpräsident van Zeeland und auch andere Staatsmänner aus dem Westen ähnliche Gedanken früher entwickelt haben, wie sie jetzt der polnische Außenminister in eine bestimmte Form gebracht hat. Ich verweise am Rande darauf, um zu zeigen: die Diskussion geht rund um uns herum über diese Fragen. Wir — ich meine jetzt uns alle zusammen -- sind keineswegs diejenigen, die da irgendwelche Rahmen zu sprengen drohen, wenn sie sich endlich auch an dieser Debatte beteiligten.Unserer Auffassung nach kann Verteidigungspolitik nur sein die Summe von erstens innerer Sicherheit, zweitens militärischen Vorkehrungen, die ihrer Natur nach mit der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit in Einklang stehen müssen, und drittens Verständigungspolitik. Das, glaube ich, sind die drei Bestandteile, deren Summe die Verteidigungspolitik ausmacht. Wenn Sie einen dieser drei Bestandteile vernachlässigen, vielleicht zum Nutzen eines anderen, so ergibt sich eine unzureichende Summe, und die Folgen sind in jedem Fall schlimm. Ich will es mir versagen, im einzelnen auszumalen, wie die Auswirkung auf das Ganze ist, wenn einer von den drei Faktoren zu kurz kommt. Wenn die Bundesrepublik im Rahmen der von Ihnen selbst gutgeheißenen und abgeschlossenen Verträge — gegen die wir unsere fundamentalen Einwände erhoben haben und aufrechterhalten — wirklich ein Bundesgenosse sein soll und nicht bloß das Aufmarschgelände und eine Art Stoßkeil gegen einen möglichen Aggressor, so müßten unsere Verbündeten für diese unsere Gesichtspunkte, für die Gesichtspunkte eines geteilten Landes, zu gewinnen sein, falls wir sie ihnen beharrlich, geduldig und zäh und in immer neuer Argumentation klarzumachen versuchen.
Meine Ansicht ist, daß diese Gesichtspunkte letzten Endes auch im eigenen Interesse der Verbündeten und ihrer Völker und im interesse der allgemeinen Entspannung liegen.Insofern war diese Debatte über diese Frage, was es kostet und wer es bezahlen soll, hoffentlich ein Anfang zu einer Reihe von weiteren Auseinandersetzungen über dieses brennende Teilproblem, das vielleicht ein Herzstück der ganzen Verteidigungspolitik ist, ein Anfang, nach dem hoffentlich im Laufe der wohl unvermeidlichen harten Auseinandersetzungen eine Kette von Klärungen erreicht wird; denn ich hatte den Eindruck: hier prallen ziemlich massive Interessen aufeinander.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Beratung der Großen Anfrage abgeschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Ihnen vorliegenden heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr .
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Ihnen heute mit der Drucksache 303 einen Gesetzentwurf zur Volksbefragung über die atomare Ausrüstung der Bundeswehr vor. Wir wünschen, daß vor der endgültigen Durchführung der so schwerwiegenden Maßnahmen der atomaren Aufrüstung, die entscheidend in das Lebens eines jeden Deutschen eingreifen wird, die davon Betroffenen selbst darüber gehört werden, ob man mit ihnen so verfahren darf, wie man mit ihnen verfahren möchte.Dieser Gesetzentwurf ist die erste Folgerung jenes Notstandes, den Sie durch Ihre Beschlüsse vom 25. März dieses Jahres heraufbeschworen haben, Beschlüsse, durch die Sie Westdeutschland in das atomare Wettrüsten einschließen wollen.Unsere Fragen sind klar, sachlich und führen mitten hinein in den Kern der Probleme. Sie lassen sich weder verwischen noch umkehren. Die beiden Fragen lauten:1. „Sind Sie damit einverstanden, daß deutsche Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet werden?"2. „Sind Sie damit einverstanden, daß in Deutschland Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?"Die beiden Vorsitzenden der sozialdemokratischen und der freien demokratischen Fraktionen, die Herren Ollenhauer und Mende, haben am Schluß der fast viertägigen Aussprache über die Außenpolitik am 25. März auf die Auswirkungen der durch Ihre
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1413
Dr. MenzelMehrheit gefaßten Beschlüsse hingewiesen. Darum sei Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, gleich zum Beginn unserer heutigen Aussprache gesagt, daß wir uns von diesen politischen Feststellungen und von den politischen Folgerungen der von Ihnen gefaßten Beschlüsse durch keine juristischen Winkelzüge und durch keine Paragraphenreiterei ablenken lassen;
denn wir sind hier keine juristische Fakultät, sondern eine politische Versammlung.
— Da wird Ihnen nichts geschenkt bleiben, Herr Majonica, wenn ich auf den Parlamentarischen Rat und seine Beratungen zurückkomme.
Sie haben die Erklärungen der Herren Ollenhauer und Mende zum Teil mit spöttischem Gelächter, zum Teil auch mit jener politischen Hoffart und Selbstgefälligkeit quittiert, zu der sich Ihre Mehrheit in diesem Hause leider seit langem mehr und mehr verführt sieht. Aber, wie das immer im Leben ist, Hoffart kommt vor dem Fall. Daher dauerte auch dieser Hochmut nicht lange. Er wich einer Angst vor der Volksbefragung. Er wich alsbald der Ernüchterung, als Sie das Echo Ihrer Beschlüsse, das Echo Ihres intransigenten Verhaltens im Volke zu spüren bekamen. Sehr schnell wurde Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, durch dieses Echo klar, daß Sie die Bevölkerung diesesmal nicht an der Nase herumführen konnten, wie Ihnen das noch vor der letzten Bundestagswahl 1957 geglückt war,
als Sie nach dem Rezept verfuhren: je mehr man vor einer Wahl von den wirklichen Problemen ablenkt und die Probleme vernebelt, um so mehr hat man nach den Wahlen freie Hand.
— Ich will wohl die vox populi sein, aber ich habe sie nicht als vox Rindvieh bezeichnet.
Darum lassen Sie mich jetzt gleich den Einwand ausräumen, den Herr Dr. Krone schon in seiner Schlußerklärung vom 25. März gebracht hat.
— Vielleicht habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, weil ich jetzt Herrn Dr. Krone zitiere. Er sagte damals:Das deutsche Volk hat im September 1957 entschieden, wer in diesem Hause die Mehrheit haben soll und wer nicht.
Nun, meine Damen und Herren, das kann doch in diesem Falle nur so verstanden werden, daß das, was Sie damals dem Wähler unter der Wahlparole „Keine Experimente"! an Stimmen abgelistet haben, jetzt als politische und moralische Grundlage angesehen werden soll.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, ich nehme nicht an, daß Sie mit dem Ausdruck „abgelistet" unterstellen wollen, daß dabei eine unredliche Gesinnung obgewaltet hat.
Das kann nur so verstanden werden, daß Sie das jetzt als moralische und politische Grundlage dafür ansehen wollen, das schrecklichste und lebensvernichtendste Experiment der deutschen Geschichte durchzuführen.Weil Sie, meine Damen und Herren, immer wieder auf die angebliche Legitimation durch den 15. September des vorigen Jahres hinweisen, lohnt es sich, noch einmal zurückzublättern und nachzulesen, was man vor rund einem halben Jahr den Wählern erzählt hat.Da hat der Bundeskanzler D r . Adenauer vor einer Bundespressekonferenz am 12. Juli des vorigen Jahres erklärt:Die Absicht der britischen Regierung, zum Berufsheer überzugehen,— also zum Freiwilligen-Heer —muß deshalb anders beurteilt werden, weil Großbritannien im Gegensatz zur Bundesrepublik seine Armee auf atomare Bewaffnung umstellt. England stellt sich auf diese atomare Rüstung um. Wenn wir das beabsichtigten, könnten wir auch die Wehrpflicht abschaffen.
Herr Strauß hat noch einige Wochen vor der Bundestagswahl erklärt:Nach den mir vorliegenden Informationen ist die atomare Bewaffnung weder in diesem noch in den nächsten Jahren vorgesehen oder möglich.Und wir schreiben jetzt erst drei Vierteljahre nach der Wahl.Recht unvorsichtig hat unter dem 11. April 1958 die CSU-Korrespondenz in einer Polemik gegen unseren Gesetzentwurf über die Volksbefragung erklärt: „Was will denn die Opposition eigentlich?" Dort wird ausgeführt, der Wahlkampf damals sei doch schon unter dem Vorzeichen des Ja oder Nein zur atomaren Aufrüstung betrieben worden. Und was sagt die CSU-Korrespondenz weiter? Hören Sie:
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1414 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. MenzelHaben die Göttinger Professoren und ihre sozialdemokratischen Interpreten— auch eine Frage des Geschmacks! -nicht Monate vor den Bundestagswahlen gegen die Atombewaffnung in Deutschland polemisiert? Adenauers Antwort war schon damals eindeutig: Wenn bis 1960 keine Abrüstung in Ost und West kommt, wird sich die Bundesrepublik an der Bewaffnung beteiligen, die notwendig ist.
Sie geben also jetzt noch in dieser Zeit zu, daß Sie sich damals selbst ein Ziel von vier Jahren gesteckt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Majonica?
Das ist zwar nicht in der Geschäftsordnung vorgesehen, aber bitte schön!
Herr Kollege Dr. Menzel, Ihr Kollege Brandt, der Regierende Bürgermeister von Berlin, hat gesagt, daß es noch gut 18 Monate dauern könne, bis die Beschlüsse des Bundestages realisiert werden könnten. Steht das nicht in Widerspruch zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben?
In 18 Monaten haben wir noch nicht 1960!
Ich darf Ihnen folgendes entgegnen, nachdem mir das Material jetzt gerade heraufgereicht wird. Herr Brand t hat folgendes verlautbart:Soeben wird mir der Wortlaut des Artikels vorgelegt,— das ist ein Fernschreiben an Herrn Feddersen, glaube ich —den Sie heute auf Grund unserer Unterhaltung am 21. April in Ihrer Zeitung veröffentlichen. Um den Sinn meiner Worte ganz klar herauszustellen: ich wollte es für die Russen so deutlich wie möglich erklären, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik einschließlich Berlins weit über die Kreise meiner eigenen Partei hinaus die geforderte Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen ablehnt. Die Hoffnung, die Erfüllung dieser Forderung in den vor uns liegenden eineinhalb Jahren noch vermeiden zu können, ist außerordentlich stark und wird bis in die Reihen der Regierungskoalition geteilt.
Mir erscheint dieser Hinweis notwendig, um etwaige Versuche zu vereiteln, mich in Gegensatz zur Haltung meiner Partei zu bringen.Das zur Antwort auf Ihre Zwischenfrage!
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß aus diesen wenigen Zitaten der Äußerungen des Bundeskanzlers und des Bundesverteidigungsministers einige Tage vor der Wahl klipp und klar hervorgeht, daß diese Wahl vom September 1957 Ihnen keine Blankovollmacht gegeben hat, die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik zu beschließen. Daher fühlen sich viele ihrer Wähler von damals übervorteilt. Daher nun der Aufstand des Gewissens jener Millionen, die sich getäuscht fühlen.Wer seinerzeit trotz jener Äußerungen des Bundeskanzlers und des Bundesverteidigungsministers warnte, die Wiederwahl Dr. Adenauers werde die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik bringen, wurde als Demagoge verschrien.Heute wissen wir und auch jene Millionen, die Ihnen am 15. September 1957 gefolgt sind, daß es schon damals der erklärte Wille der Bundesregierung war, alsbald nach der Wahl auf die Anschaffung von Atomwaffen zu drängen.Herr Strauß hat vor einigen Tagen in Paris dem atomaren Aufrüstungsplan des NATO-Oberbefehlshabers Norstad für die Bundesrepublik zugestimmt. Es war also doch kein bloßes Gerede, daß die Bundesregierung mit allen Mitteln zu dieser atomaren Aufrüstung drängen würde. Nur allzu schnell haben diejenigen recht behalten, die damals von der Gefahr eines nationalen Notstandes sprachen. Mit überhasteter Eile und ohne Rücksicht auf den wachsenden Widerwillen des Volkes hat nun Herr Strauß die Bundesrepublik an die unübersehbaren Folgen seiner Politik des atomaren Wettrüstens gekettet. Schon in wenigen Tagen wird die Ausbildung der ersten deutschen Soldaten an diesen mörderischen Massenvernichtungsmitteln beginnen.Übrigens hat damit Herr Strauß durch seine bindenden Erklärungen in Paris einen Schritt getan, der weiter geht als Ihre eigenen Anträge und Beschlüsse in der letzten Debatte. Er setzt hier eine Taktik fort, die sich seit Jahren so unheilvoll für unsere gesamte Innen- und Außenpolitik ausgewirkt hat, die Taktik, dem Parlament vorzugreifen und das Parlament dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese Methode wird uns noch einmal teuer zu stehen kommen. Diese Taktik, die Herr Strauß in Paris angewandt hat, ist ein Grund mehr, die Durchführung einer Volksbefragung zu beschleunigen.So geht es bei diesem Gesetzentwurf zwar auch noch einmal um das Problem der Aufrüstung mit atomaren Waffen. Aber es geht hier auch entscheidend um das Recht des Staatsbürgers, bei Fragen, die seine Existenz, seine Familie und sein Volk berühren, seine Meinung sagen zu dürfen. Welche
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1415
Dr. MenzelVerachtung Ihrerseits gegenüber den Wählern wäre es, ihm dieses Recht abzuschneiden!
Nun versuchen Sie, durch Hinweise auf Gesetzesmaterialien - Hinweise übrigens, die in der Sache fehlgehen — und durch juristische Kniffe von der politischen Verantwortung abzulenken. Aber Ihre verfassungsrechtlichen Einwendungen, für die Sie bisher niemanden aus der Welt der freien Staatsrechtslehrer erwärmen konnten, sind doch weiter nichts als ein Zeichen dafür, daß Sie sich den Fragen politisch nicht mehr gewachsen fühlen.
Wo soll denn eigentlich bei unserem Gesetzentwurf ein Verstoß gegen das Grundgesetz liegen? Viele aus Ihrer eigenen Fraktion, meine Damen und Herren, nehmen diesen Einwand ja selber gar nicht ganz ernst.
Ihnen juckt es doch geradezu in allen Fingern, unsere Fragen umzukehren und dem Volk nicht unsere Fragen, die Ihnen so unbequem sind, vorzulegen, sondern Fragen, die Ihnen passen.Wo bleibt eigentlich — das möchte ich die Bundesregierung fragen — das „Gutachten", das die Bundesregierung seit einiger Zeit aus ihrem eigenen Innen- und Justizministerium vorlegen soll? Oder ist das inzwischen eine geheime Kommandosache geworden? Denn kommandiert ist es doch. Die Regierung ist nämlich den einfachsten, den primitivsten und auch politisch billigsten Weg gegangen. Denn natürlich müssen die Beamten eines Ministeriums, wenn der Chef sie anweist, die Gültigkeit eines Gesetzentwurfs der Opposition bestreiten, ihm diese Beweise liefern.
Welcher Beamte hätte denn den Mut zu diesem Ungehorsam? Würde er diesen Weisungen nicht gehorchen, würde es ihm gehen wie dem Schriftsteller Dr. Jung: er hatte die Freiheit der Meinungsäußerung auf der Kundgebung in Frankfurt am Main, aber er hatte die Gewißheit, von seiner Zeitung entlassen zu werden.
Für die Untersuchungen über das Wahlrecht und über das künftige Parteiengesetz ging man noch den Weg einer unabhängigen Gutachterkommission. Dem ist man diesmal ängstlich ausgewichen.Nun versucht man, mit Hinweisen auf die Beratung im Parlamentarischen Rat einen Bruch in den Auffassungen der Sozialdemokratischen Partei zu konstruieren. Aber damit, meine Damen und Herren, werden Sie kläglich scheitern. Glauben Sie denn wirklich, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rats und ich meine hier alle Mitglieder, nicht nur die sozialdemokratischen — jemals daran gedacht hätten, dem Volk das Maul zu verbinden und es nur alle vier Jahre einmal an die Wahlurne zu lassen?!Was Sie sich übrigens unter „Kontakt" mit der Bevölkerung außerhalb der Wahlen vorstellen, beschränkt sich zunehmend auf das Engagement verschiedener Volksbefragungsinstitute, durch die Ihre Regierung allmonatlich die öffentliche Meinung befragen läßt. Damit sparen Sie zugleich Parteigelder, denn die Auftragshonorare werden aus dem Fonds des Herrn Bundeskanzlers gezahlt. Es war der damalige Bundestagsabgeordnete Martin Blank, der die Notwendigkeit der Mittel schon beim Haushalt 1954 damit begründete; er sagte, diese Form der Meinungsforschung sei sehr zuverlässig und zweckmäßig.
1956 wurden die Mittel abermals erhöht mit der Begründung, das sei wegen der „lebhaften politischen Tätigkeit" im Volke notwendig. So wird also „hintenherum" eine Volksbefragung auf kommerzieller Grundlage nach bestimmten Weisungen durchgeführt, die man dem Institut erteilt, anstatt offen und ehrlich jeden Wähler bei so wichtigen Fragen selbst zu hören, wie er über diese Fragen denkt.Wer die Reden im Parlamentarischen Rat sorgfältig studiert, kann etwas ganz anderes und viel Interessanteres als einen „politischen Fehltritt" der Sozialdemokratie feststellen. Ich weiß, Sie werden mir nachher meine eigene Erklärung im Parlamentarischen Rat vorhalten. Darum will ich sie gleich so vollständig verlesen — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — daß kein Mißverständnis entstehen kann. Ich habe damals gesagt, man werde sich entschließen müssen, einen Volksentscheid auch dann zuzulassen, wenn damit bezweckt werden könnte, ein bereits gewähltes Parlament wieder aufzulösen mit der Begründung, die Masse der Wähler sei der Auffassung, daß dieses Parlament nicht mehr dem derzeitigen Willen des Volkes entspreche. Meine Damen und Herren, das ist gerade der Fall, vor dem wir heute stehen.
Ich habe damals schon meine Pappenheimer gekannt.Zu meiner Bestürzung kann ich heute feststellen, wie berechtigt mein damaliger Pessimismus war. Mit welchen Hoffnungen sind wir seinerzeit an den innerpolitischen Aufbau unseres Teilstaates gegangen, und vor wieviel Trümmern und Enttäuschungen stehen wir heute! Muß ich Sie daran erinnern, wie häufig wir uns in den acht Jahren Bundestag gegen Überrumpelungen durch die Mehrheit oder gegen Ubergriffe der Bundesregierung gegenüber dem Parlament wehren mußten! Denken Sie doch z. B. einmal zurück an die Auseinandersetzungen über das Wahlrecht, z. B. an das Grabensystem,
oder an die Methoden bei der Verabschiedung des ersten Freiwilligengesetzes, oder an einen Vorgang aus der jüngsten Zeit: wie Sie noch am 25. März den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt haben, die Bundesregierung möge wenigstens ihre eigenen Gründe für die atomare AufrüstungDr. Menzeldem deutschen Volke und dem Parlament in einem Weißbuch vorlegen.
Der britische Wähler hatte es besser. Die britische Regierung hat im vorigen Jahr von sich aus, ohne das Drängen des Parlaments oder gar der Opposition abzuwarten, dem britischen Volk mitgeteilt, welche Gründe die Regierung zu ihrer Militär- und Aufrüstungspolitik veranlaßt haben.Wenn Sie aber schon auf die Debatte im Parlamentarischen Rat zurückgreifen, können Sie an Hand der Materialien und der Protokolle feststellen, daß es die Vertreter Ihrer Fraktion waren — ich mache ihnen daraus heute gar keinen Vorwurf; aber ich muß Ihnen das sagen, weil Sie so tun, als wären Sie immer gegen Volksentscheide und Volksbegehren gewesen, die ja etwas ganz anderes und viel Weitergehendes sind als eine Volksbefragung —, die bis zur letzten Verhandlungsminute in der vierten Lesung darum gekämpft haben, irgendwo die Tür für die Beteiligung des Volkes in wichtigen Fragen — Volksbegehren und Volksentscheid— aufzumachen. Sie brauchen nur nachzulesen, was die verehrte Frau Kollegin Dr. Weber aus Ihrer Fraktion oder Ihr Mitglied im 1. Bundestag, der Justizrat Dr. Fink, oder der jetzige Präsident des Verfassungsgerichtshofs in Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Süsterhenn, hierzu gesagt haben. Wie nimmt sich bei den damaligen Bemühungen Ihrer Freunde jenes merkwürdige Flugblatt aus, das Ihre Partei in der vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn in diesen Tagen hat verteilen lassen? Da heißt es u. a.:Demokratie und Rechtsstaat kennen nur eine Volksbefragung: das ist die Wahl.Wenn man überhaupt einmal untersuchen will, wer denn seit jenen .Jahren des Parlamentarischen Rats seine Meinung, und zwar entscheidend, geändert hat, kommt man zu viel interessanteren Feststellungen. Hören Sie selbst einmal, mit welchen Vorstellungen der heutige Bundeskanzler und damalige Präsident des Parlamentarischen Rats und Vorsitzender der CDU in die Beratungen des Parlamentarischen Rates hineingegangen ist und welche Versprechungen er damals den Wählern gemacht hat! Es sind Zitate, die Sie sicherlich kennen, die Ihnen in Erinnerung zurückzurufen aber an dieser Stelle, nötig ist. Herr Dr. Adenauer hat im November 1949 gesagt:Schließlich muß ich darauf hinweisen, daß ein neues Heer bei uns nur die militärischen Erinnerungen wieder beleben würde, die ein- für allemal verschwinden müssen.— und am 5. Dezember 1949:In der Öffentlichkeit muß ein- für allemal klargestellt werden, daß ich prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch gegen die Errichtung einer neuen deutschen Wehrmacht bin.
— Und weiter:Wir sind einverstanden so sagte Dr. Adenauer —daß wir völlig abgerüstet werden, daß unsere reine Kriegsindustrie zerstört wird, daß wir nach beiden Richtungen hin einer langen Kontrolle unterworfen werden. Ja, ich will noch weiter gehen: Ich glaube, daß die Mehrheit des deutschen Volkes einverstanden wäre, wenn wir wie die Schweiz völkerrechtlich neutralisiert würden.
— Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Aber waren Sie es denn nicht, die die Einwendungen gegen unseren Gesetzentwurf mit dem Hinweis begonnen haben: Schaut doch selbst einmal zehn Jahre zurück in die Zeit des Parlamentarischen Rats und auf eure damaligen Auffassungen! Deshalb müssen Sie sich nun auch das vorhalten lassen.
Unser Gesetzentwurf über die Volksbefragung — es ist eigentlich etwas beschämend, daß man das in einem Parlamente ausdrücklich feststellen muß— hat überhaupt nichts mit Volksbegehren und Volksentscheid zu tun.
— Das hat sich aber offensichtlich noch nicht überall bei Ihnen herumgesprochen. Wer behauptet, daß das dem Sinne nach das gleiche sei, kann doch nur die Öffentlichkeit täuschen wollen.
— Wer diese Befragung mit bestimmten Praktiken Adolf Hitlers vergleicht, beweist, wie fremd ihm auch heute noch der Unterschied zwischen einer Diktatur und unserem heutigen Staat ist.
Und welche Beleidigung der zweitgrößten Fraktion dieses Hauses ist es, diesen Antrag mit den Maßnahmen eines Strolches wie Adolf Hitler zu vergleichen, der doch nur siegen konnte, weil ihm viele von Ihnen damals mit in die Macht verholfen haben!
Wollen Sie denn mit diesem Argument zu den Tausenden von Blutopfern, die die europäischen Sozialisten dem Nazi-System bringen mußten,
noch Ihren billigen Spott und die Demütigung hinzufügen, daß Ihre damalige Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz erst das Volksbefragungsgesetz Adolf Hitlers ermöglicht hat?
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung: es hat zu der Zeit damals keine Christlich-Demokratische Union gegeben. Ihr Vergleich geht also völlig fehl.
Vizepräsident Dr. Preusker
— Meine Damen und Herren, der Präsident hat darüber zu wachen, — —
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Der Präsident hat darüber zu wachen, daß in diesem Hause keine ungerechtfertigten Unterstellungen erfolgen. Das habe ich hiermit getan.
Herr Präsident, es ist zwar üblich, gegenüber Erklärungen des amtierenden Präsidenten keine Kritik zu üben. Aber, Herr Präsident, das war kein Hinweis zum Ablauf der Debatte, sondern eine politische Feststellung Ihrerseits.
Ich darf sagen, daß die Frage der Identität der Partei überhaupt nicht ausschlaggebend ist, solange diejenigen, die damals das Ermächtigungsgesetz mitgemacht haben, oder ein Teil von ihnen hier sitzen oder das politische Fundament der CDU bilden.
Meine Damen und Herren, wenn aber schon von Volksbefragungen der damaligen Zeit gesprochen wird, dann darf ich daran erinnern, daß, wenn auch nicht rechtlich, so doch politisch, der letzte freie Volksentscheid in der Weimarer Republik im Frühjahr 1932 war; es war die Wahl eines Reichspräsidenten, und sie fiel für Hindenburg und gegen Hitler aus. Aber die Generäle und Krautjunker der damaligen Zeit waren es, die knapp ein Jahr später Hitler das Heft in die Hand gegeben haben.
Es ist auch nicht richtig, daß Volksbefragungen dem Wesen nach das gleiche wie Volksentscheide seien. Wer das behauptet, soll sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen, oder er kommt in den Verdacht, die Öffentlichkeit irrezuführen. Der Unterschied liegt doch ganz offensichtlich zutage. Auf die Volksentscheide und Volksbegehren haben die Parlamente überhaupt keinen Einfluß. Beides sind Gesetzgebungsverfahren, die neben dem Gesetzgebungsverfahren des Parlaments einherlaufen. Aber eine Volksbefragung, wie wir sie beantragen, ist doch nur eine Aktion des Parlaments selbst. Das Parlament kann in völlig eigener Souveränität entscheiden, auf welchem Wege es sich über den Willen seiner Wähler orientieren will.
Erst Ihre Weigerung, dem Parlament dieses souveräne Recht zu lassen, bedeutet eine Entmachtung dieses Parlaments.
Meine Damen und Herren, wo steht denn im Grundgesetz, daß das Parlament nicht das Recht habe, zuentscheiden, wie es den Kontakt mit seinen Wählern aufrechterhalten will?Zu allem Unglück für Sie kommt noch hinzu, daß da, wo sich deutsche Verfassungsrechtler geäußert haben, ohne einer Weisung unterworfen zu sein, sie Ihre Auffassung nicht teilen. Da gibt es zunächst von den Kommentaren, soweit sie überhaupt auf die Frage der Volksbefragung eingehen, nur einen — und das ist der Kommentar von Hamann —, der bereits 1956 eindeutig feststellt, daß Volksbefragungen zulässig seien. Da gibt es ferner ein Gutachten von Professor Nawiasky, veröffentlicht in der „Süddeutschen Zeitung", einem Mann, der politisch zweifellos Ihnen nähersteht als uns und der in schlichten und einfachen Worten beschreibt, warum gar keine Bedenken bestehen, wenn ein Parlament seine Wähler auf dem Wege über eine Volksbefragung anhört.Es soll auch in einem der Häuser der Bundesregierung ein nachher schnell in der Schublade verschwundenes Gutachten existieren, das nach eingehenden Untersuchungen der Materialien des Parlamentarischen Rats klipp und klar zu der Feststellung kommt: Volksentscheide und Volksbegehren sind natürlich nicht ohne Verfassungsänderung möglich, aber es besteht gar kein Zweifel gegen die Zulässigkeit einer Volksbefragung.Damit für Sie kein Zweifel über die Meinung der freien Juristen besteht, darf ich Sie auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, des Geyerschen Strafsenats, hinweisen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten daraus vorlesen:Sofern es nur darum ging, die Meinung derVolksmehrheit über die geplanten Verträge- der EVG-Verträge —mit der Folge der Wiederbewaffnung zu erforschen und festzustellen und dann durch das Ergebnis die Mitglieder des Bundestages in ihrer Meinungsbildung bei einer bestimmten gesetzgeberischen Aufgabe zu beeinflussen, handelt es sich um eine von der verfassungsmäßigen Ordnung her gesehen neutrale Zielsetzung.Sie wissen genau, daß der Bundesgerichtshof diese Volksbefragungen, die damals zur Entscheidung standen, für zulässig erklärt und die Angeklagten nur deshalb verurteilt hat, weil sie im Anschluß an die Volksbefragung offen den außergesetzlichen Sturz der Regierung und des Parlaments forderten.In welche Bedrängnis Sie diese Volksbefragung bringen würde, ergibt sich allein schon aus den Äußerungen, zu denen man sich hat hinreißen lassen. Da wird ohne sorgfältige Nachprüfung von einer Entmachtung des Parlaments und von einem Anschlag auf die Verfassung gesprochen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, an dem Sie die Behandlung dieses Gesetzes ablehnten mit der Begründung, man müsse sich doch erst einmal richtig mit dem Inhalt dieses Gesetzes befassen.In die gleiche Kategorie gehört auch die Behauptung, die Volksbefragung sei ein außerparlamentarisches Mittel. Den Beweis ist man bisher schuldig geblieben, und er kann auch gar nicht geführt wer-
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1418 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Menzelden. Denn für jeden, dem der Blick nicht durch politische Angst getrübt wird, ist es doch offensichtlich, daß ein von der Mehrheit des Hauses beschlossenes Gesetz kein außerparlamentarisches Mittel sein kann. Übrigens zu Ihrer Beruhigung: Wenn Sie einmal Zeit haben, das Grundgesetz richtig, gründlich und sorgfältig zu lesen, dann werden Sie auf seinen Art. 20 stoßen, der auch von Abstimmungen spricht. Wenn aber der Parlamentarische Rat ausdrücklich Abstimmungen zuließ, dann ist nicht einzusehen, warum der Bundestag mit seiner Mehrheit ein Gesetz über eine Volksbefragung nicht sollte beschließen können.So müssen Ihre Versuche scheitern, dieser lebenswichtigen Frage, vor die das deutsche Volk durch Ihre Politik gestellt ist, mit juristischen Spiegelfechtereien oder mit Rechtstheorien aus dem Wege zu gehen. Denn das Volk will nicht mit Paragraphen gefüttert werden, es will nicht für dumm verkauft werden,
sondern es will in einer solchen Lebensfrage selbst sagen können, was es von dieser Politik hält,
und da helfen Ihnen Paragraphen gar nichts!
Wie nervös man auch in Kreisen der Bundesregierung ist,
beweist die in der Presse lancierte Nachricht, die Bundesregierung wolle den hessischen Innenminister vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe zitieren, weil er der Stadt Frankfurt am Main nicht die Volksbefragung verbiete. Nun, ich will — sollte das stimmen — nicht von dem Sündenfall eines Föderasten sprechen, der so etwas zulassen würde. Aber, meine Damen und Herren, früher waren Sie in diesem Punkte gar nicht so empfindlich. Als es nämlich vor Jahren, zur Zeit der Gründung des Europarates, darum ging, festzustellen, wie die Bevölkerung darüber denke, wenn man ein erstes gemeinsames, wenn auch noch so bescheidenes Organ für einen Teil der westlichen Länder schaffe, da waren Sie sogar sehr für Volksbefragungen. Damals haben in vielen Gemeinden solche Volksbefragungen stattgefunden, und kein Bundesinnenminister hat gemeint, das sei verboten, weil gegen Gesetz und Recht.
Es gibt wohl Gesetzgebungskompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden und es gibt Exekutivkompetenzen der gleichen Organe, aber es gibt keine Informationskompetenzen. Welcher Gemeinde sollte es untersagt sein, sich bei ihren Einwohnern zu befragen, ob die Gemeinde z. B. Grund und Boden oder Hand- und Spanndienste für Atombasen zur Verfügung stellen solle?
Nun haben Sie — und ich möchte auch diesen Vorwurf gleich aufgreifen — gefragt: Wird damit nicht auch der Weg zu Volksbefragungen bei anderen Problemen freigegeben? Dabei wurde auf die Todesstrafe hingewiesen. Nichts könnte das Makabre unserer Situation besser kennzeichnen als Ihr Versuch, die Todesstrafe mit der atomaren Aufrüstung Westdeutschlands zu vergleichen.
Oder kommt das noch aus der Zeit, als die Hitlersche Geißel der Todesstrafe über unserem Land lag? Uns interessieren heute jene Millionen Opfer, die ein Atomkrieg bringen würde. Wenn Sie für jene Millionen Toten auch nur einen Bruchteil des Interesses hätten, das Sie für die Todesstrafe zeigen, dann wären wir in Westdeutschland gar nicht in der Situation, in der wir uns heute befinden.
Es ist gesagt worden, dieser Gesetzentwurf lasse den Verdacht entstehen, die Sozialdemokratische Partei gehe den Weg der „Staatsgefährdung". Ich hätte das nicht mehr aufgegriffen, wenn wir vorhin nicht die Szene zwischen Herrn Bausch und Herrn Wehner hätten erleben müssen. Die Verdächtigung, der Gesetzentwurf sei staatsgefährdend, erinnerte mich an die außenpolitische Debatte von Ende März. Will man jene Hochverratsprozesse psychologisch vorbereiten, denen damals der Ermächtigungsgesetzler Bausch so frenetisch zugestimmt hat?
Wenn Sie Angst um den Bestand unserer staatlichen Grundordnung haben, dann schauen Sie bitte einmal in Ihren eigenen Reihen nach.Ich will heute nicht mehr auf die „Abendländische Aktion" oder auf die neuen demokratischen Freunde unseres Außenministers, die Herren Franco und Salazar, zurückkommen. Ich meine etwas anderes. Da heißt es im Deutschen Verwaltungsblatt über den Staatsnotstand:Die für den Staatsnotstand zu gewährende Vollmacht wird eine Vereinigung aller vollziehenden Gewalt in Bund und Ländern einschließlich des Rechts zum Einsatz der Bundeswehr nach innen zulassen müssen;— dem Verfasser sind anscheinend jene Verfassungsbestimmungen unbekannt, die das ausdrücklich verbieten —denn wenn es um den Bestand des Ganzen geht, darf es kein Nebeneinander verschiedener Machtträger geben. D. h. letztlich nichts anderes, als daß ein künftiges Ausnahmerecht ... für den Staatsnotstand der Diktatur den Weg bereiten muß. Die Diktatur ist nun einmal die besondere Form der Staatsführung, die aus dem Staatsnotstand entspringt. Staatsnotstand und Diktatur gehören untrennbar zusammen.Der Bundeskanzler, heißt es, sei der präsumtiveDiktator. Und dann heißt es, daß im Falle desAusnahmerechts eine Reihe von Grundrechten, die
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Dr. Menzelnicht zur Verfassungssubstanz gehörten, aufzuheben und Rechtsmittel gegen Urteile nicht zuzulassen seien.Wer schreibt das? Ein leitender höherer Beamter in unserem Verfassungsministerium.
Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesminister mitteilen würde, ob dieser Herr auch zu dem Kreis jener Gutachter gehört, die das Gesetz über die Volksbefragung für unzulässig halten.
Natürlich, wer so befreundet ist mit den Ideen einer Diktatur, der hält nichts von der Befragung des Volkes. Ich meine, dann hätten Sie lieber gleich die Herren Lautz oder Zind fragen sollen.
Es sind in der Tat, das verkennen wir nicht, außergewöhnliche Mittel, die wir vorschlagen. Aber sie entsprechen nur der außerordentlichen Situation, in die das Volk durch Sie gebracht ist.So dürfen Sie sich nicht wundern, daß die Menschen draußen tief besorgt sind. Es war vorauszusehen, daß die Debatte von Ende März eine Fülle von Briefen veranlassen würde.
— Nein, nicht aus der Ostzone. Es waren erstaunlich wenig diesmal.
Aus der Fülle der Post möchte ich nur einen Brief aus Emmendingen vorlesen:Es ist ein Unglück,— schreibt eine Frau —die Mutter von Jungens zu sein, eine Familie zu haben, wenn man an die Zukunft denkt. Was sind das für Frauen im Parlament, die auch darin hörig sind! Bleiben Sie standhaft und lassen Sie in Ihrem Bemühen, verehrte Abgeordnete der SPD, nicht nach.
Sie wissen — und darum Ihre Angst vor der Volksbefragung —,
daß Sie gegen eine Front von Tausenden von Wissenschaftlern und Forschern stehen.
— Frau Kollegin Weber — es tut mir leid — Sie sind damit gemeint!
— Nach dem Brief.
Sie wissen, daß zu dieser Front - -
- Entschuldigen Sie; ich habe es ja nicht zitiert.Wenn aber die Frau Kollegin Weber mich fragt, muß ich ihr antworten.
— Lassen Sie in Ihrem Wahlkreis neu wählen, Herr Kollege; das ist besser.
Ich bitte, den Redner in Ruhe seine Begründung fortsetzen zu lassen.
Ich darf aber die Gelegenheit benutzen, die Regierungsbank daran zu erinnern, daß Zwischenrufe von der Regierungsbank in diesem Hause nicht gestattet sind.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß zu dieser Front des Widerstandes Männer wie Pandit Nehru, Albert Schweitzer, die deutschen Atomphysiker und die großen Philosophen unserer Zeit gehören, an deren Worte die Menschen draußen Gott sei Dank mehr glauben als Sie. Und wenn sich der Reichsbund der Kriegs- und Zivildienstbeschädigten mit seinen nicht weniger als 800 000 Mitgliedern der Abwehr gegen die Atomwaffen anschließt und sich für eine Befragung des Volkes einsetzt, dann bedarf es schon einer großen Portion Kaltblütigkeit, um die Proteste derjenigen, die bereits Opfer zweier Kriege waren, mit einem Federstrich wegzuwischen. Es ist weiter nichts als eine Verhöhnung der von ihren Sorgen bedrückten Menschen, wenn Sie von einer Atombombenpsychose sprechen. Wenn von einer Psychose gesprochen werden kann, meine Damen und Herren, dann ist es doch Ihre Psychose der Angst vor dem Gesetz.
Ist denn auch Herr Bundeskanzler unter die Panikmacher gegangen?
Sie haben doch auch lesen können, daß der Herr Bundeskanzler, als er jüngst in London war, jenen britischen Staatsbürgern, die 24 Stunden lang vor der deutschen Botschaft patrouillierten, um gegenDr. Menzeldie deutsche atomare Aufrüstung zu protestieren, erklärt hat: Ich bin ganz Ihrer Meinung
- Nein, es wurde nur dementiert, daß Dr. Adenauer mit den Demonstranten Tee getrunken habe.
Daher, meine Damen und Herren, möchte ich wissen: bekommen wir denn nun die Atomraketen, die Herr Strauß in Paris bestellt hat, oder hat Herr Dr. Adenauer sie in London wieder abbestellt?
In diesen Tagen ging durch die Presse die Nachricht von einem Evakuierungsplan für 141/2 Millionen Deutsche. Dieser Evakuierungsplan sieht vor, daß im Ernstfall 14 1/2 Millionen Deutsche 150 km weit ins Innere gebracht werden sollten; damit das auch klappt, sind gleich 50 000 Flüchtlingspolizisten vorgesehen. Meine Damen und Herren, wenn dann eine Angstpsychose am Eisernen Vorhang entsteht. ist es doch die Schuld jener Offiziere, die solche Gutachten erstatten dürfen.
Sie verschweigen dem deutschen Voike die zunehmende und immer gefährlicher werdende radioaktive Verseuchung. Die Nachrichten aus den Krankenhäusern und die Berichte der jüngsten medizinischen Kongresse werden bagatellisiert. Schon jetzt beginnen sich einige Ärzte zu weigern, Röntgenaufnahmen von Patienten zu machen, mit der Begründung, infolge der Zunahme der Radioaktivität in Deutschland würde der Patient das nicht mehr aushalten. Wir wundern uns über Ihre Haltung gar nicht, da Sie einen Mann wie Herrn Pascual Jordan in Ihre Reihen aufgenommen haben.
Fünf Jahre Leben unter der Erde sind für ihn gar nichts, und die Reduzierung der Menschheit auf ein Tausendstel ihres heutigen Bestandes ist für ihn eine ganz normale Vorstellung.
Denn es würde, so schreibt er, nur 2000 Jahre dauern, dann würde die Menschheit wieder so stark sein wie heute.
Wundern Sie sich dann, daß draußen Angst und Furcht entstehen? Sie wollen die Ungeheuerlichkeit Ihres Vorgehens verschleiern. Aber verlassen Sie sich darauf, es wird Ihnen auf die Dauer, ob mit oder ohne Volksbefragungsgesetz, nicht gelingen, die Menschen glauben zu machen, bei den Raketen handle es sich nur um eine harmlose Weiterentwicklung früherer Flakgeschütze. Das deutsche Volk hat ein Recht, zu erfahren, daß jeder dieser atomaren Raketenvorsätze die gleiche Wirkung hat wie die Bomben von Hiroshima und Nagasaki, Das wollen Sie verschleiern.
Die atomare Aufrüstung der Bundeswehr würde, wenn sie kommt, verbunden sein mit der gleichen Bewaffnung für Ulbricht jenseits der Zonengrenze und mit der Vernichtung jeder Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung. Darum ist diese Volksbefragung so vordringlich. Auf der einen Seite dramatisieren Sie diesen Gesetzentwurf verfassungsrechtlich und politisch, um dann gleichzeitig wieder zu versuchen, . es in seiner Bedeutung herabzusetzen mit der Erklärung: die Befragung habe doch keine zwingende Wirkung, und daher habe sie keinen Sinn!Oder, meine Damen und Herren, liegt hierin vielleicht schon jetzt das Eingeständnis der Regierungsparteien, daß man nicht bereit wäre, die Meinung des Volkes auch dann zu respektieren, wenn dieses Volk in einer so lebenswichtigen Frage anders denkt als die Regierung? Wir sprechen so viel von der Stärkung des demokratischen Grundgedankens in unserem Volk. Wir bedauern immer wieder, daß der einzelne sich so wenig mit unserer Demokratie, mit unserem Staat, verbunden fühlt. In dem Augenblick aber, in dem dieses Volk zeigt, daß es bereit ist, sich um eine so wichtige Frage unserer Politik zu kümmern, wird ihm gesagt, daß es zu Hause bleiben soll. Oder sollen jene doch recht behalten, die da sagen: Wir dürfen doch nur einmal alle vier Jahre zur Wahlurne gehen, und dann machen sie doch mit uns, was sie wollen!? Müssen denn nicht alle diese Bemühungen fehlschlagen, den Staatsbürger mit seinem Staat zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen, wenn wir in diesem Falle die Hoffnungen, die Wünsche und Sehnsüchte des deutschen Volkes nicht respektieren? Sie wollen die Wähler ausschalten. Sie haben die Macht dazu,
aber moralisch und politisch nicht das Recht!
Daher werden Sie, meine Damen und Herren, falls Sie das Volk nicht zu dieser lebensentscheidenden Frage hören wollen, vor der Geschichte einmal die gleiche Verantwortung tragen müssen wie jene Männer und Frauen, die 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und
damit unsere Nation in jenes Dunkel der 12 Jahregeführt haben, aus dem es keine Umkehr mehr gab.Ihr Verhalten beweist Ihr schlechtes Gewissen, Ihre Angst vor der Befragung ist Ihre Angst vor der Bevölkerung selbst. Erst durch Ihre Weigerung beschwören Sie einen Konflikt herauf.Daher ist diese Volksbefragung nicht nur verfassungsrechtlich erlaubt, sie ist eine nationale Pflicht, weil es um die Entscheidung über Tod und Leben des einzelnen und der Nation geht. Wenn Sie klug wären, gäben Sie den Weg frei. Aber es ist schon so wie häufig in der Geschichte: „Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit"!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1421
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Antrages gehört. Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur Krieg und Waffen, auch die Zerstörung der inneren Ordnung kann ein Volk ins Unglück stürzen.
Der Herr Kollege Dr. Schmid hat am Freitag bei der Geschäftsordnungsdebatte hierzu ausgerufen, Unruhe sei die erste Bürgerpflicht.
Vielleicht darf ich mit dem Ausspruch eines noch berühmteren Sozialisten hierauf antworten. Ich meine Herrn Masaryk, der doch gesagt hat: „Aufregung ist kein Programm". Nicht Unruhe ist die erste Bürgerpflicht, sondern Rechtlichkeit und Redlichkeit.
Sie haben uns vorgeworfen, uns fehle der Mut und die demokratische Gesinnung, wir seien also zu teige und zu undemokratisch, uns in dieser Frage dem Volk zu stellen. Ich glaube, zu unserer Politik gehört mehr moralischer Mut und mehr Tapferkeit gegenüber der Wahrheit und der Weltlage als zu Ihrer Politik des ewigen Nein, zu Ihrer Politik des Ohne-mich und zu Ihrer Politik der Spekulation
auf das, was Sie gerade für publikumswirksam halten. Wir haben nicht nur den Mut, sondern auch die Tapferkeit, unserem Volke ungeschminkt über die Bedrohung aus dem Osten die Wahrheit zu sagen und deshalb Opfer von unserem Volk zu verlangen. Wo ist heute Ihr Beitrag hierzu? Wo ist Ihre Tapferkeit in dieser Lebensfrage?
Erwecken Sie nicht immer den Eindruck, als wehe statt der eisigen Luft des Kalten Krieges ein sonniger Hauch ewigen Friedens über unserem Volk? Versuchen Sie nicht immer wieder, zugleich höhere Löhne und niedrigere Preise, steigenden Haushalt und stabile Währung und Sicherheit ohne NATO und ohne moderne Waffen zu verlangen?
Unsere Politik ist nicht feige, sie ist tapfer und aufrecht.
Danke sehr.
Unsere Politik ist auch nicht undemokratisch. Aber unsere Politik verzichtet darauf, Herr Kollege Dr. Menzel, einen nebulösen Begriff der Demokratie gegen die konkrete verfassungskräftige Ausgestaltung unseres freiheitlichen Rechtsstaates zu setzen.
Wir halten nicht den für einen Demokraten, der „Demokratie" laut ruft, während er die demokratische Verfassung zu Tode reitet, sondern den, der die redliche Tapferkeit hat, diese Verfassung überall und immer als verbindliche Spielregel anzuerkennen.
Ich bitte, den Redner in Ruhe anzuhören.
Lassen Sie mich doch ausreden. Ich komme ja darauf zurück, Herr Kollege Dr. Menzel.
Keiner von uns, Herr Kollege Dr. Menzel, sagt, daß es undemokratisch sei, eine Ausweitung des plebiszitären Charakters unseres Grundgesetzes zu fordern. Wir sagen lediglich, daß es ein Anschlag auf die Demokratie ist, einen Entwurf einzubringen, dem die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrieben steht.
Ich werde das beweisen. Wenn Sie die Liebenswürdigkeit haben, zuzuhören, werden Sie das alles zu hören kriegen.
Sie, Herr Kollege Dr. Menzel, haben sich im Parlamentarischen Rat dafür eingesetzt, den repräsentativen Charakter unseres Grundgesetzes zugunsten stärkerer plebiszitärer Elemente einzuschränken. Das war Ihr gutes Recht. Aber Sie haben hier in Ihrem Vortrag verschwiegen, daß Sie damals damit unterlegen sind; Ihre Vorstellungen wurden doch nicht geltendes Verfassungsrecht. Und nun können Sie doch nicht nach der Art fragwürdiger Kommentatoren das, womit Sie unterlegen sind, doch noch in das Grundgesetz hineingeheimnissen.
Herr Abgeordneter Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Barzel, ist Ihnen begehren, Volksentscheid und Volksbefragung klarnoch immer nicht der Unterschied zwischen Volksgeworden?
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1422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Hochverehrter Herr Kollege Dr. Menzel, ich werde Ihnen diesen Unterschied, wie ich glaube, sehr klar herausstellen, so wie wir ihn sehen. Sie werden sich dann allerdings sehr wundern.Als Demokraten halten wir fest am Rechtsstaat. Unsere Rechtsordnung kennt nun einmal, wie sie gilt, nur einen Weg, bundespolitische Fragen amtlich durch das ganze Volk selbst unmittelbar entscheiden lassen: Das sind die Bundestagswahlen. Solche Wahlen haben im letzten Herbst stattgefunden. Das Volk hat uns — und nicht der Opposition - den Auftrag gegeben, unsere Politik fortzusetzen.
Ich billige Ihnen zu, dieses Ergebnis der Bundestagswahlen nach Kräften zu bedauern. Was wir Ihnen aber weder zubilligen können noch dürfen, noch werden, ist der Versuch, durch außerparlamentarische und verfassungswidrige Aktionen das Wahlergebnis zu verfälschen und dieses gewählte Parlament zu entmachten.
Unser Volk kennt unsere Politik. Es hat sie gebilligt trotz Ihrer Atomtod-Kampagne, trotz der Göttinger Professoren und trotz all Ihrer Plakate.
— Ich komme darauf, Herr Dr. Menzel!Keiner unserer Redner und keines unserer Werbemittel sagte aus, daß wir auf Atomwaffen verzichten würden, wenn unsere Sicherheit dies erfordere.
Ich darf ihnen aus meinem Wahlkreis erzählen. Ich hatte den Vorzug, dort Frau Kollegin Wessel von der SPD zu haben, die ihre bekannte „Umjeden-Preis-Anti-Atom-Rede" hielt. Ich habe daraufhin erklärt, daß auch uns die Gefahren der Atome bekannt seien, daß es das Ziel unserer Politik sei, eben diese Gefahren durch Abrüstung zu bannen, daß aber ein einseitiger Atomverzicht nicht in Frage komme und daß auch wir solche Waffen brauchten, wenn die Sowjets nicht abrüsteten.
Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein Bestandteil, aber ein wesentlicher Bestandteil Ihrer ganzen gegenwärtigen Kampagne. Immer wieder haben Sie sich doch nach verlorenen Bundestagswahlen nicht nur als schlechte Verlierer, sondern auch als höchst eigenartige Demokraten erwiesen.
1949, 1953 und 1957 — es war immer dieselbe Geschichte! Sie erklärten: Das Volk hat eben falsch gewählt.
Wer so spricht, ist gegen das Volk und nicht für das Volk.
Immer wieder haben Sie nach diesen Niederlagen bei den Bundestagswahlen zu außerparlamentarischen Aktionen gegriffen. Zunächst entfachten Sie die Ohne-mich-Bewegung, dann kam Ihre Aktion der Paulskirche, und heute kommt die sogenannte Notstandsaktion mit sogenannten Volksbefragungen.Leider haben Sie sich aber bei alien diesen Aktionen von Mal zu Mal mehr radikalisiert und vorn Boden des geltenden Rechts entfernt.
Die Ohne-mich-Parole, nun, die versuchten Sie durch Landtagswahlkämpfe durchzusetzen. Das mag noch angängig sein. Ihre Paulskirchen-Aktion war schon bedenklicher.
Sie enthielt bereits sogenannte Volksbefragungen hier und da.
Aber es waren noch — Herr Kollege Dr. Menzel, hören Sie bitte! — private, nichtamtliche, nicht durch Gesetz eingeführte Volksbefragungen. Und heute wollen Sie wider Geist und Buchstaben des Grundgesetzes gar eine amtliche Volksbefragung.
Diese sogenannte Volksbefragung ist nur ein Glied in der Kette Ihrer Pläne zur Macht, zur Macht, die Ihnen das deutsche Volk nicht gegeben hat, weil es Sicherheit will.
Als am letzten Tage der außenpolitischen Debatte im März die FDP den Antrag auf konstruktives Mißtrauensvotum gegen die Regierung Konrad Adenauer einbringen wollte, da haben Sie doch abgewinkt, und zwar, wenn wir es richtig gehört haben, weil der Boden für den Sturz Konrad Adenauers noch nicht bereitet sei.Statt dessen sprachen Sie hier vom sogenannten nationalen Notstand, um eine Formel zu finden, die Ihren Versuch der Umgehung des Grundgesetzes mit einem pseudolegalen Mäntelchen versehen soll. Und dann entsannen Sie diese Aktion der sogenannten Volksbefragung.Diese Volksbefragung soll nun, entweder im Bund oder in den Ländern, Ihren Plänen den Boden bereiten für den beabsichtigten Sturz der Regierung. Diese Aktionen sollen so etwas wie eine kochende Volksseele produzieren, künstlich natürlich! Und kurz vor dem Siedepunkt dürfen wir dann wohl erneut - wir fragen nur, von welcher Seite des Hauses - einen Antrag auf konstruktives Mißtrauensvotum erwarten. Der wird dann von uns durch Beschluß, Herr Kollege Dr. Arndt, abgelehnt, und dagegen ist ja nach Ihrer Auffassung der Ge-Dr. Barzelneralstreik ein legitimes Mittel. Das scheint Ihre Planung zu sein.
— Wenn Sie es nicht ist, sagen Sie es hier!
— Nun, Sie bestreiten das? Dann muß ich Ihnen noch etwas mehr sagen, meine Damen und Herren von der Opposition.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat in allen seinen Pressekonferenzen zu diesen Fragen immer wieder ganz klar den Sturz Adenauers als sein Ziel bezeichnet.
Der „Vorwärts" —(Abg. Schmidt [Hamburg] : Ist das etwa unmoralisch?)
— Aber die Methode ist hier verfassungswidrig, und davon werden wir noch reden.
Der „Vorwärts" vom 4. April und auch vom 18. April — Sie sehen, ich lese ihn, weil Sie ja gelegentlich so liebenswürdig sind, mich dort durch den Kakao zu ziehen — hat ganz klar erklärt, daß es eben darum gehe, durch Volksbefragungen Tatsachen zu schaffen und nicht nur eine demoskopische Statistik veröffentlichen zu wollen.Wenn Sie noch mehr dazu hören wollen, möchte ich Ihnen einiges über die Wirkungen Ihrer sogenannten Anti-Atomtod-Kampagne erzählen. Sie läuft ja bereits durch unser Volk. Was uns bevorsteht, zeigen bereits die ersten Nachrichten.In Hamburg unterstützte eine Kapelle diese Demonstration. Diese Kapelle spielte kommunistische Kampflieder.
In Mannheim war an der Demonstration eine Organisation beteiligt,
deren Verantwortlicher ein bekanntes Mitgliedfrüherer kommunistischer Tarnorganisationen war.In Duisburg wurden politische Gegner von Teilnehmern einer Ihrer Anti-Atomtod-Kundgebungen zusammengeschlagen.
In Hamburg wurde ein hirnverletzter Fußgänger von einem Demonstranten mit einem Plakat niedergeschlagen; und dieses Plakat trug sinnigerweise die Aufschrift „Wir wollen leben".
Mir liegt ein Bericht aus Hamburg über die Demonstration und die Anti-Atomtod-Kundgebung vom 17. April vor.
— Sie werden gleich noch etwas dazu hören, Herr Blachstein; vielleicht lachen Sie dann nicht mehr!
— Hören Sie sich das ruhig an; wenn es Greuelmärchen sind, dann können wir nachher darüber diskutieren.
Dieses Dokument ist so erschütternd, daß ich zunächst die Bundesregierung bitten werde, es im einzelnen zu prüfen. Aber diese Mitteilungen kann ich Ihnen heute schon machen. Die Belegschaften ganzer Betriebe und Behörden wurden geschlossen zu sogenannten spontanen Aktionen geführt.
Es war eine von oben befohlene und arrangierte Demonstration.
- Hören Sie doch zu!
Einzelnen Arbeitnehmern wurde dringend nahegelegt, ja mitzumachen, und anderen wurde mit Entlassung gedroht.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Wann findet sich endlich ein Sozialdemokrat, der bereit ist, für diese gepreßten Demonstranten
eine Rede über die Gewissensfreiheit zu halten, wie Sie sie für die Kriegsdienstverweigerer gehalten haben?
— Hören Sie weiter zu, es wird immer munterer!
— Hören Sie zu, Herr Blachstein! Sie haben sich ja soeben vor dem Hause zu dieser Kundgebung und ihrer Rechtfertigung bekannt. Hören Sie zu, was noch kommt! Eines der Transparente trug die Aufschrift: „So etwas wie Hiroshima — findet Adenauer prima".
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben mich so erstaunt angeguckt. Jetzt möchte ich etwas Nettes zu Ihnen sagen: — Hören Sie auch gut zu, Herr Kollege Mommer! — Ich sage nicht, daß das alles sozialdemokratische Taten seien. Aber Sie haben es
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1424 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Barzelzu vertreten, daß Sie in Hamburg und anderswoden Kommunisten diese Chancen gegeben haben.
Sie haben es auch zu vertreten, daß es einem Außenstehenden nicht mehr möglich ist, abzugrenzen, was Ihr Wollen ist und was dann daraus wird. Sie haben es auch zu vertreten, daß Sie in einer Lage sind, in der die SED Ihnen pausenlos Beifall spendet.
In Hamburg ist noch etwas Schlimmeres passiert. Ein Sprecher des DGB erklärte bei dieser Sache: „Wir dürfen uns mit der Entscheidung des Bundestages nicht abfinden." Er redete dem Generalstreik das Wort und sagte, daß es zunächst aber darauf ankomme, die Deutschen aus der Gleichgültigkeit zu reißen; erst dann seien weitere Schritte sinnvoll. Wie sich das einfügt in das, was Sie damals sagten, daß der Boden erst bereitet werden müsse, und wie das zu dem Wort von Carlo Schmid paßt, daß „Unruhe die erste Bürgerpflicht" sei, weiß ich nicht.
Damals stand auch der Kollege Döring auf, um das Wort zu ergreifen. Wie könnte er auch irgendwo fehlen, wo ein Süppchen gegen Konrad Adenauer gebraut wird!
Und dann kam Max Brauer, sozialistischer Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, um die rhetorische Frage zu stellen: „Genügt in einer solchen Frage das Votum einer Majorität von Abgeordneten?" Und er beantwortete die Frage selbst mit dem Satz: „Diese Meinung genügt nicht."
Bedarf es noch eines Beweises, daß hier an Illegalität nicht nur gedacht wird?! Das ist die Sprache des Aufruhrs!
Sie haben das Recht, sich über Ihre dritte Wahlniederlage zu ärgern. Sie haben das Recht, alles zu tun, um die Bundestagswahl von 1961 zu gewinnen und legal Konrad Adenauers Regierung abzulösen. Aber Sie haben nicht das Recht — und das sagen wir mit allem Nachdruck —, durch außerparlamentarische Aktionen und durch verfassungswidrige Machenschaften dieses vom Volk gewählte Parlament zu entmachten und die von der Mehrheit dieses Hauses gewählte Regierung außerparlamentarisch zu stürzen. Das ist doch das Ziel Ihres Gesetzentwurfs!
Sie wollen Ihre vom Volk abgelehnte und Ihre vom Volk verworfene Politik durch verfassungswidrige Hintertüren doch noch zur Geltung bringen. Das können, das werden wir nicht zulassen, denn wir sind christliche Demokraten. Uns ist der Rechtsstaat ein Gut gleich hoch wie die Freiheit.
Wir wissen, daß der Rechtsstaat ohne die Freiheit und die Freiheit ohne den Rechtsstaat nicht möglich sind.
— Sie werden dazu noch etwas hören, Herr Kollege Dr. Menzel. Seien Sie doch nicht so nervös! Warten Sie auf unsere Argumente!
Wir haben Sie auch ausreden lassen.
Wir würden zudem den deutschen Wählern, die uns und nicht Sie gewählt haben, ihr Wahlrecht verkürzen und beschneiden, wenn wir uns auf die abschüssige Bahn Ihrer Vorschläge begäben.
Wer nur hat Ihnen, den demokratischen Sozialisten, diesen abenteuerlichen Gedanken des Gesetzentwurfs über die Volksbefragung eingegeben?
Was ist eigentlich los bei Ihnen? Wie stehen Sie eigentlich zum Grundgesetz?
Ich bitte um Ruhe.
Meinen Sie, uns Christlichen Demokraten wäre wohl zumute, weil wir als Regierungspartei keine wirkliche Alternative gegenüberhaben?
Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie eben den Abgeordneten Barzel mit dem Wort „Heuchler" betitelt?
— Dann rufe ich Sie hiermit zur Ordnung.
Uns fielen Steine vom Herzen, Herr Kollege Wehner, wenn wir wüßten, daß auch Ihre Partei die sowjetische Bedrohung sähe und ernst nähme, daß auch sie bereit wäre, unseren freiheitlichen Rechtsstaat und notfalls die Menschenwürde zu verteidigen. Brauchen Sie denn wirklich die Anti-Atomtod-Kampagne und die sogenannte Volksbefragung, um wieder einmal, in der Negation vereint, die Einheit Ihrer Partei zu retten?
Dr. Barzellins und unserem Volk wäre wohler, wenn niemand um Ordnung, um Freiheit und Sicherheit unseres Volkes zu bangen brauchte bei dem Gedanken, daß die SPD in Deutschland einmal regieren könnte. Wir machen uns Sorgen um den Staat, also um das rechtlich und freiheitlich geordnete Wohl unseres Volkes, und deshalb bitten wir Sie nochmals:
Überlegen Sie sich den Weg, den Sie da gehen wollen, sehr!Ich darf mich nun — Sie warten ja so darauf, Herr Kollege Dr. Menzel der Begründung unserer Rechtsauffassung zuwenden. Vielleicht erlauben Sie mir, zur gedanklichen Einleitung in dieses Thema mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Sätze Platons zu verlesen.
— Ich dachte, Sie wollten den Geist mobilisieren.
Ich wünschte, daß diese Sätze auch von denen gehört würden, die als Wissenschaftler und Künstler Ihre Aufrufe unterzeichnet haben.Platon beschreibt in seinem achten Brief einen glücklichen Staat. Die Ursache dieses Glücks sieht er in folgendem; nun hören Sie das Zitat:Daher genießen da so viele Generationen mitRuhm eine friedliche konservative Regierung, dieweil dort das Gesetz der souveräne Fürst über die Menschen war und nicht die Menschen souveräne Herren über die Gesetze.Die Ursache des Glücks der Staaten sei also die Rechtsstaatlichkeit und die Gesetzestreue.Und in seinem „Staat" beschreibt Platon einen unglücklichen Staat:Das Unglück beruhe darauf, daß er zu jeder gesetzwidrigen Zügellosigkeit sich hinreißen lasse, was aber von seinen Anführern lauter Freiheit geheißen wird.Die Ursache des Unglücks der Staaten sei also das Einreißen gesetzwidriger Zügellosigkeit, die von den politischen Führern fälschlicherweise als Freiheit bezeichnet werde.Ich glaube, daß wir allen Grund haben, diese grundsätzliche Betrachtung an den Anfang unserer Überlegungen zu stellen; denn wir wissen doch, daß Weimar unter der Fahne der Freiheit ins Zügellose entartete und daß aus dieser Entartung dann die Gesetzwidrigkeit und aus dieser Gesetzwidrigkeit Not, Unglück und Katastrophe entstanden. Das darf nie wieder sein!
Es wird nie wieder sein, wenn wir den Rechtsstaatnicht antasten lassen, wenn wir Demokratie undFreiheit nicht verwechseln mit Zügellosigkeit undUnordnung. Darum bitte ich Sie: Gehen Sie nicht den Weg zurück an das Ende von Weimar;
denn viele in unserem Volke kehrten Weimar den Rücken, weil sie glaubten, daß die Demokratie nicht imstande sei, Ordnung zu gewähren. Darum Hände weg von Unordnung!Die Fraktion der CDU/CSU sieht sich nicht imstande, dem Gesetzentwurf der SPD über eine Volksbefragung zuzustimmen. Wir halten den Entwurf für unvereinbar mit Buchstaben und Geist des Grundgesetzes. Wir sind leidenschaftlich dagegen, Herr Kollege Dr. Menzel,
etwa durch Änderung des Grundgesetzes das Rechtsinstitut der unverbindlichen Volksbefragung verfassungsrechtlich zu verankern. Ich möchte Ihnen, soweit das jetzt möglich und im Hinblick auf die Beratungen im Rechtsausschuß notwendig ist, unsere Rechtsauffassung kurz darlegen.Unsere Rechtsüberlegungen gehen von Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes aus. Es heißt dort - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren —:Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung ... gebunden
Diese Vorschrift gestattet es nicht, die von dem Entwurf vorgesehene Volksbefragung durchzuführen.
Warum? Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes regelt abschließend die direkten Mitwirkungsrechte des Staatsvolkes bei der Staatswillensbildung. Die Verfassung enthält weder im Katalog der Gesetzgebungs- noch in dem der Verwaltungszuständigkeiten, noch an anderer Stelle einen Hinweis darauf, daß Volksbefragungen durch Gesetz oder in sonstiger Weise veranstaltet werden können.
— Ja, wir sind hier souverän! Aber an die verfassungsmäßige Ordnung ist auch der Gesetzgeber gebunden, Herr Kollege Dr. Menzel.
— Hören Sie gut zu, Herr Kollege. Es wird gleich weitergehen; auf Art. 118 komme ich noch.Die herrschende Staatsrechtslehre ebenso wie uns vorliegende Gerichtsentscheidungen bestätigen diese Auffassung. Der Rechtsstaat verlangt wenn die Herren Juristen jetzt zuhören würden —,
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Dr. Barzelwie Triepel sagt, jede Kompetenz an der Hand les Rechtes selbst zu beweisen. Es genügt also nicht, Kompetenzen aus der Fülle des Gemüts zu behaupten; sie müssen konkret da sein und nachgewiesen werden. Auch der Gesetzgeber darf im Rechtsstaat nur tun, was ihm das Grundgesetz erlaubt. Das Grundgesetz erlaubt Volksbefragungen nicht.
— Das gibt es doch nur in der Verwaltung.
Würde man anders interpretieren, so käme man zu Lücken in der Verfassung, also zu weißenFlecken der Anarchie mitten im Rechtsstaat. Das aber wäre eben kein Rechtsstaat mehr.Unser Volk ist nach dem Grundgesetz stets in diesem Hause, in seinem Bundestag, präsent. Dieser Bundestag ist nach unserem Grundgesetz das präsente Volk mit vollem Entscheidungsrecht und voller Entscheidungspflicht für die Dauer der Wahlperiode und im Rahmen des Grundgesetzes.
- Ich komme darauf.Der Parlamentarische Rat hat bewußt den repräsentativen Charakter unseres Grundgesetzes verstärkt. Alle Anträge, insbesondere der Kommunisten und des Zentrums, auf Erweiterung der direkten Mitwirkungsrechte des Volkes wurden abgelehnt, weil der Parlamentarische Rat davon ausging, daß Volksentscheid und Volksbegehren eine Prämie für die Demagogie seien, wie der damalige Abgeordnete Dr. Theodor Heuss treffend formulierte.Für die SPD erklärte der damalige Abgeordnete Katz, der heutige Vizepräsident unseres Bundesverfassungsgerichts, der Volksentscheid gebe die Möglichkeit zu demagogischen Experimenten, und er passe nicht in das System des Grundgesetzes. Er erklärte dann, Herr Kollege Dr. Menzel, wörtlich: „Die Abgeordneten sind dazu gewählt worden, um die Entscheidungen zu treffen und durchzukämpfen." Ähnliches erklärte damals Abgeordneter Professor Dr. Schmid als Berichterstatter.Der Parlamentarische Rat hat also — und das wird in der Staatsrechtslehre übereinstimmend anerkannt, auch in dem Kommentar von Herrn Hamann, Herr Dr. Menzel —, festgestellt, daß es eine bewußte Entscheidung dieser Verfassung sei, den repräsentativen Charakter zu verstärken.Wir halten das auch heute noch für richtig. Wenn Sie uns nach den Gründen fragen, dann sage ich Ihnen nur: Sehen Sie hin nach Hamburg und denken Sie an alles, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, was passiert, wenn man diese Aktion einleitet!Auch die Weimarer Verfassung sah das Institut der Volksbefragung im Sinne einer unverbindlichenMeinungsäußerung des Staatsvolkes nicht vor. Das hatte Herr Kollege Dr. Menzel, vielleicht merken Sie jetzt, daß uns die Unterschiede zwischen Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung durchaus präsent sind — seinen guten Grund. Denn unser Volk ist nach dem Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes der Souverän. Es ist eine undemokratische Zumutung, amtlich das ganze Volk zu einer unverbindlichen Meinungsäußerung aufzufordern. Wenn sich der Souverän äußert, dann entscheidet er auch.
Aus dieser Überlegung heraus, Herr Kollege Dr. Menzel, kannte die Weimarer Verfassung das Rechtsinstitut der Volksbefragung überhaupt nicht. Deshalb wäre der Antrag, den Sie uns heute vorlegen, meines Erachtens auch nach der Weimarer Verfassung als verfassungswidrig abzulehnen.Es blieb Herrn Hitler vorbehalten, durch Reichsgesetz vom 14. Juli 1933 das Rechtsinstitut der Volksbefragung in unser öffentliches Leben einzuführen. Hören Sie jetzt zu! Das war nämlich sehr konsequent von ihm gedacht. Jetzt war ja nicht mehr das Volk, sondern machtpolitisch — er, der Herr Hitler, der Souverän. Also entschied er, und das Volk wurde unverbindlich und unter Terror befragt.
Die Volksbefragung paßt vielleicht in die Kommunalpolitik. Für die Bundespolitik ist sie kein Rechtsinstitut, überhaupt nicht für eine demokratische Verfassung; sie paßt nur in die Diktatur. Herr Ulbricht benutzt sie ja auch. Sollte uns das nicht schrecken?Unser Grundgesetz sieht im Art. 118 ausnahmsweise eine Volksbefragung im Zusammenhang mit der Neugliederung vor. Es ist nun die Meinung vertreten worden — nicht hier, aber in der Wissenschaft —, daß diese Volksbefragung nur eine unverbindliche Richtlinie für den Bundesgesetzgeber enthalte. Was hat der Bundesgesetzgeber aber aus dieser Ermächtigung gemacht? Er hat in § 10 des Zweiten Neugliederungsgesetzes entschieden, daß auch hier die Volksbefragung rechtlich wie ein Volksentscheid zu werten sei, weil eben der Souverän entscheidet und nicht nur unverbindlich befragt wird.Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vorn 23. Oktober 1951 ausdrücklich festgestellt, daß diese Entscheidung des Bundestages zum § 10 des Zweiten Neugliederungsgesetzes in Anwendung des Art. 118 des Grundgesetzes dem demokratischen Prinzip entspreche. Mit diesem demokratischen Prinzip wäre es unvereinbar, wenn der Wille des Volkes nur unverbindliche Richtschnur wäre. Volksbefragung ist in der Demokratie tatsächlich Volksentscheid.
Der Entwurf der SPD ist also verfassungswidrig. Die Untersuchung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und des Sinnzusammenhangs erlaubt keine andere Interpretation. Der Entwurf könnte
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1427
Dr. Barzelnach geltendem Verfassungsrecht nur angenommen werden, wenn zuvor das Grundgesetz entsprechend geändert bzw. ergänzt würde. Aber einen solchen Antrag haben Sie nicht vorgelegt.Wie Sie sicher wissen, ist es in der Staatsrechtslehre umstritten, ob überhaupt der Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes es gestatten würde, über den Art. 20 hinaus den plebiszitären Charakter des Grundgesetzes zu verstärken. Unabhängig von diesem wissenschaftlichen Meinungsstreit sind wir nicht bereit, die Volksbefragung als neues Rechtsinstitut in unser Grundgesetz aufzunehmen, weil rechtsstaatliche, mittelbare Demokratie und unverbindliche Volksbefragungen sich vertragen wie Feuer und Wasser.Die Volksbefragung ist für die Politik oberhalb der Gemeinden ein Kind der Diktatur. Mit Recht stellt Professor Eschenburg fest, wie ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wohl zitieren darf:Demokratische Verfassungen kennen nicht dasVerfahren der unverbindlichen Volksbefragung.Und er fügt dann den Satz hinzu:Die Volksbefragung über politische Grundsatzfragen ist ein Trojanisches Pferd der Kommunisten.
In der Demokratie ist das Volk der Souverän. Den Souverän befragt man nicht unverbindlich um seine politische Meinung. Wenn sich das souveräne Volk amtlich äußert, so entscheidet es auch. Wir haben zu viel Respekt vor unserem Volk, als daß wir es nur zu unserer Information unverbindlich befragten.
Unser Volk ist Souverän, nicht Orakel und nicht Hampelmann.
Ich darf mich nun einem höchst vergnüglichen Thema zuwenden: den Rechtsgründen der Sozialdemokratischen Partei.Herr Kollege Dr. Menzel, Sie haben auf das Gutachten des verehrungswürdigen Professors Nawiasky hingewiesen. Es ist leider kein Gutachten, sondern ein sehr kurzer Zeitungsaufsatz. Ich werde mir erlauben, darauf gleich zu sprechen zu kommen.Sie haben zum zweiten auf den Kommentar von Herrn Hamann zum Grundgesetz hingewiesen, der in der Tat auf Seite 181 sagt, der Art. 20 des Grundgesetzes erlaube unverbindliche Volksbefragungen. Das ist allerdings nur ein einziger Satz. Eine Begründung hierzu wird nicht gegeben; und dieser Satz steht in Widerspruch zu dem, was Herr Professor Hamann vorne im allgemeinen Teil über die Auslegung des Art. 20 selbst sagt. Alle anderen Kommentare — das haben Sie hier verschwiegen — sind anderer Meinung.
Ich will das jetzt nicht auswälzen; wir können ja im Rechtsausschuß darüber reden.Die Opposition versucht, aus einigen allgemeinen Artikeln des Grundgesetzes mittelbar die Statthaftigkeit der Volksbefragung darzutun. Sie weist hin auf die Art. 5, 17, 21 und 44.Diese Überlegungen sind nicht schlüssig; denn allein das Grundgesetz selbst bestimmt unmittelbar die Gebiete, über die der Bund Gesetze erlassen darf. So steht es im Grundgesetz. Und nirgendwo weist das Grundgesetz dem Bund das Recht zu, unverbindliche Volksbefragungen durch Gesetz durchzuführen. Über den Sonderfall des Art. 118 des Grundgesetzes habe ich gesprochen.Herr Dr. Heinemann hat in der Öffentlichkeit, nicht hier im Hause, auf das Urteil des 6. Strafsenats vom 2. August 1954 zur Begründung der Statthaftigkeit der Volksbefragung hingewiesen. Wir haben dieses Urteil nachgelesen und stellen das Gegenteil fest, nämlich daß eine solche Abstimmung im Grundgesetz nicht vorgesehen ist.
Auch der Versuch, aus den Mitwirkungsrechten des Bundesrates durch abenteuerliche Rechtskonstruktionen die Volksbefragung wenigstens in den Ländern als statthaft hinzustellen, ist rechtlich unhaltbar.Ich komme jetzt zu den Gedanken von Herrn Professor Nawiasky. Herr Professor Nawiasky sagt, es sei den Regierungen der Länder unbenommen, in welcher Weise sie sich über die Meinung ihres Landesvolks informieren. Nun, in einem Rechtsstaat ist es den Regierungen eben nicht unbenommen, sondern das Grundgesetz selbst bestimmt, wie die Landesregierungen durch den Bundesrat bei der Bundesgesetzgebung mitwirken. Es kommt hinzu, daß dem Bundesrat überhaupt kein Gesetzentwurf vorliegt, zu dem er Stellung zu nehmen hätte.Wir haben also — zusammenfassend — nicht das Recht, zu Ihrem Entwurf ja zu sagen, selbst wenn wir wollten.Die Rechtsausführungen der Opposition haben uns nicht überzeugt. Sie haben uns vielmehr darin bestärkt, daß dieser Entwurf gegen Geist und Buchstaben des Grundgesetzes verstößt.
Deshalb können, deshalb dürfen und deshalb werden wir diesem Entwurf nicht zustimmen. Ja, deshalb halten wir uns als rechtsstaatlich gesonnene Demokraten für verpflichtet, alles zu tun, damit dieser Anschlag auf unseren demokratischen Rechtsstaat und dieser Versuch der Entmachtung des Parlaments vereitelt wird.
Wir bitten die Bundesregierung, alles Rechtliche und Tatsächliche, alles in ihrer Macht Stehende energisch zu tun,
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1428 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Barzelum dem Recht und der Ordnung in Deutschland zur Geltung zu verhelfen.
Die Länder und die Gemeinden erinnern wir an ihre Rechtspflicht zur Bundestreue.Selbst wenn hier und da das Landesrecht Volksbefragungen zulassen sollte — ich bezweifle das —, selbst dann dürfen weder das Land noch die Gemeinden Aktionen durchführen, die nach den Art. 73 und 87 b des Grundgesetzes eindeutig zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes gehören.
Wir lehnen aber Ihren Entwurf auch noch aus einem anderen Grunde ab. Ich will das hier nur andeuten, weil dazu noch andere Sprecher meiner Fraktion reden werden. Wir lehnen Ihren Entwurf auch deshalb ab, weil die beiden Fragen, die dem Volk zur unverbindlichen Beantwortung vorgelegt werden sollen, unseres Erachtens unaufrichtig sind und weder der Weltlage noch den Beschlüssen des Bundestages entsprechen.
Der Bundestag hat ja nicht beschlossen, daß morgen in Deutschland deutsche Atombomben in den Händen der Bundeswehr sein sollen. Der Bundestag hat vielmehr beschlossen: Nur wenn es auf der Gipfelkonferenz nicht zur allgemeinen kontrollierten Abrüstung kommen sollte — und wir hoffen und wünschen, daß es dazu kommt —,
nur dann soll auch die Bundeswehr Wafften erhalten, deren Sprengkörper im Eigentum der USA bleiben; jetzt geht es nur um die Ausbildung.
Diese Beschlüsse des Bundestages sind ein Beitrag und, wie ich glaube, ein wesentlicher und für die internationale Politik unverzichtbarer Beitrag zu dem Ziel, durch Sicherung der Freiheit der Bundesrepublik die Wiedervereinigung und durch Festigkeit der NATO die allgemeine kontrollierte Abrüstung zu erreichen.
Wir lehnen also Ihren Entwurf auch wegen der Fragestellung in seinem § 2 ab. Diese Fragestellung ist so unaufrichtig wie Ihre ganze Aktion gegen den Atomtod.
Sie haben, Herr Kollege Dr. Menzel, hingewiesen auf das, was der Herr Bundeskanzler in London getan hat. Aber Sie haben eines vorzutragen vergessen: Die Herren, die dort gegen die Atombewaffnung demonstriert haben, die haben nicht nur demonstriert gegen Konrad Adenauer, nicht nurgegen London, die haben zunächst und vor allem demonstriert gegen die Moskauer Atomwaffen.
Darum ist Ihre Aktion an die falsche Adresse gerichtet. Appellieren Sie doch zunächst einmal an Moskau!
Denn noch immer sagt doch Moskau nein zur Abrüstung. Immer noch will Moskau die ganze Welt kommunistisch machen. Darum brauchen wir Sicherheit, darum brauchen wir, wenn es nicht zur Abrüstung kommt, moderne Waffen.Während Sie unter dem atomaren Schutz der USA und der NATO in gesicherter Freiheit gegen die Atombombe reden,
während dieser Zeit tun wir alles, durch eine konkrete Politik den Atomtod ebenso zu verhindern wie die Bolschewisierung unseres Vaterlandes.
Unsere Bereitschaft zur atomaren Friedenssicherung entspringt einer leidigen Notwendigkeit. Wir müssen leider, wenn es nicht zur Abrüstung kommt, diese Waffen wollen, solange Moskau sie hat, nicht abrüstet und uns bedroht.Sie weisen in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die Frage der Wiedervereinigung hin. Es ist ebenso Ihre wie unsere Pflicht, bei jeder politischen Maßnahme so zu entscheiden, daß sie die Wiedervereinigung fördert und nicht erschwert. Wie haben Sie in der letzten außenpolitischen Debatte in dieser Frage geunkt! Und was ist wirklich passiert? In Moskau wurden nach dieser Atomdebatte die Verträge paraphiert,
und morgen kommt Herr Mikojan nach Bonn, um sie zu unterschreiben. Und da sagen Sie, unsere Politik verhindere das Gespräch mit Moskau und die Wiedervereinigung! Das Gegenteil ist richtig.
— Herr Kollege Wehner, Sie unterlassen es doch stets, in Ihren Ausführungen zur Wiedervereinigung als ersten Satz einmal festzustellen, daß nicht Bonn, sondern Moskau schuld ist an der Spaltung unseres Vaterlandes!
Sie sagen nie unserem Volk, daß nicht nur wir in Bonn — —
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1429
Meine Damen und Herren, wenn Sie Zwischenfragen an den Redner stellen wollen, bitte ich, das auf geschäftsordnungsmäßige Weise zu tun. Im übrigen bitte ich, den Redner nicht zu stören.
Sie sagen nie unserem Volk, daß nicht nur wir in Bonn uns bemühen, die Zone freizubekommen und das ganze deutsche Volk wiederzuvereinigen,
sondern daß auch die Machthaber in Pankow und in Moskau sich bemühen, uns hier im Westen dem Moskauer Satellitenreich einzuverleiben. Nur wer das beides sieht,
unser Bemühen um Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit und das östliche Bemühen um Wiedervereinigung im sowjetischen Gefängnis, nur wer beides so sieht, der sieht die Wirklichkeit.
Und der wird dann auch als politischen Erfolg anerkennen müssen, daß wir im Westen bisher noch nicht bolschewisiert sind, sondern vielmehr durch unsere Politik unserem Volk die Chance der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit erhalten haben.
Wir lehnen also den Entwurf der SPD ab, weil er erstens verfassungswidrig, zweitens verfassungspolitisch höchst bedenklich und drittens in seiner Fragestellung unaufrichtig ist. Wir lehnen ihn aber vor allem ab, weil er nur ein Bestandteil Ihrer Pläne und Aktionen ist, die Bundesregierung außerparlamentarisch zu stürzen.
Vielleicht erlauben Sie mir trotz dieser hitzigen Debatte, die die Materie mit sich bringt, Herr Kollege Dr. Menzel — —
— Ich bin innerlich wirklich aufgerührt davon, daß ein solcher Vorschlag gemacht wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie doch den Redner zu Ende kommen!
Dr. Barzel (zum Präsidenten) : Haben Sie den Zwischenruf gehört? — Herr Kollege Wehner haben Sie eben gesagt „ein einstudierter Pharisäer"? Haben Sie das gesagt?
— Unglaublich, Herr Präsident!
Ich muß darauf warten, Herr Abgeordneter Barzel, was das Protokoll ausweist. Denn hier oben ist der Zwischenruf nicht verstanden worden.
Erlauben Sie mir gleichwohl eine ruhige Schlußbemerkung. Ich habe Weimar politisch nicht erlebt.
— Ich will dazu etwas sagen. Hören Sie doch an, was ein junger Mensch darüber denkt. — Als Hitler kam, da wurde ich neun Jahre. Deshalb mußte ich acht Jahre später Soldat werden. Als die Bomben uns in der Heimat alles vernichteten und als wir an der Front das große Sterben erleben mußten, da erst hat meine Generation erfahren, daß Krieg und Hitler nicht aus der Luft gekommen waren, sondern leider in Weimar geboren worden sind.
Ich weiß, daß auch Weimar viel Gutes — —
— Ich weiß, daß auch Weimar viel Gutes und viel redliches Bemühen hatte. Hier im Hause sind viele verehrungswürdige und verdiente Kollegen aus der Weimarer Zeit. Ihnen verdanken wir Jüngeren, ich gestehe ihnen das zu, daß wir heute diese Demokratie haben, Aber gerade diese Politiker der Weimarer Zeit wissen doch,
daß wir nie wieder dahin kommen dürfen, wo Weimar endete.
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conrad?
Herr Abgeordneter Barzel, Sie stellen es so hin, als ob die Weimarer Republik schuld an den damaligen Ereignissen gewesen sei. Sie sagen, Sie haben das damals als Soldat kennengelernt.
— Ja, eine Frage; ich stelle sie. Haben Sie auch davon gehört, daß, ehe Hitler an die Macht kam und ehe der politische Zusammenbruch in Deutschland kam, eine Weltwirtschaftskrise bestand, und haben Sie auch davon gehört, welche Wirkungen diese Weltwirtschaftskrise auf die innere Politik der Weimarer Politik gehabt hat?
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1430 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Diese Weltwirtschaftskrise ist mir genauso bekannt wie das Verhalten der Sozialdemokratischen Partei während der Weimarer Epoche.
Meine Damen und Herren, während wir damals Unstabilität hatten, haben wir heute Ordnung in Freiheit, Stabilität in Rechtlichkeit und Wohlfahrt in Sicherheit. Uns ist es aufgegeben, das alles zu erhalten und nicht durch Unordnung alles zu gefährden.
Darum bitte ich Sie namens meiner Fraktion: Lassen Sie ab von diesem Entwurf! Sichern wir die erreichte Ordnung, halten wir fest am Rechtsstaat und ersparen wir unserem Volke eine große innere Unordnung! Denn auch eine innere Unordnung kann ein Volk ins Unglück stürzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte, die, wie ich vermute, lang, aber auch interessant zu werden verspricht, möchte ich zunächst eine ganz kurze Erklärung der Bundesregierung abgeben und mich dann mit zwei Bemerkungen des Abgeordneten Dr. Menzel befassen.
Ich bitte, die Privatgespräche und die politischen Auseinandersetzungen zu zweit zu unterlassen und sich der politischen Auseinandersetzung im ganzen zu widmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Volksbefragungsaktion stellt uns vor grundlegende Fragen verfassungsrechtlicher und politischer Art. Die Schöpfer des Grundgesetzes haben ihre Entscheidung für eine nahezu reine Form der repräsentativen Demokratie aus wohlerwogenen politischen Gründen gefällt. Auch bei der heutigen Erörterung werden daher verfassungsrechtliche und politische Fragen ineinander übergehen. Die wichtigsten Argumente gegen den vorliegenden Gesetzentwurf der SPD sieht die Bundesregierung in Folgendem:Abgesehen von den Sonderfällen von Gebietsveränderungen zwischen deutschen Ländern in den Artikeln 29 und 118 des Grundgesetzes kann in unserem Verfassungssystem das Volk seine Staatsgewalt nur in Wahlen ausüben. Durch sie wird periodisch die Zusammensetzung der Organe der Legislative und mittelbar auch der Organe der obersten Exekutive bestimmt. Dadurch erhält die Staatsführung die allgemeine Richtung. Der' Parlamentarische Rat hat seine Entscheidung für diese repräsentative und gegen eine unmittelbare Demokratie bewußt und in voller Kenntnis ihrer rechtlichen und politischen Tragweite getroffen. Für eine abweichende stillschweigende Staatspraxis ist daher kein Raum gelassen. Der Parlamentarische Rat ging davon aus, daß ein großer moderner Massenstaat nicht plebiszitär, sondern nur durch gewählte Vertreter der Gesamtheit geführt werden kann. Das neue Verfassungsgesetz sollte eben keine Prämie für Demagogen bieten.Die Antragsteller meinen nun, daß eine rechtlich unverbindliche Befragung des Volkes trotzdem zulässig sei. Sie möchten ihr den Mantel einer harmlosen Meinungsforschung umhängen. Sie versuchen zu verdecken, daß die angestrebte Aktion mit der landläufigen Demoskopie höchstens den Namen gemeinsam hat. In unserm Verfassungssystem kann das Volk als Ganzes, und zwar von Organen und mit Mitteln des Staates, nicht unverbindlich befragt werden, dies um so weniger, je wichtiger die gestellte Frage ist. Nach dem Gesetzentwurf würde im Ergebnis die Befragung zum förmlichen Akt staatlicher Willensbildung und die erfragte Meinung des Volkes in ihrer politischen Auswirkung zum bindenden Gesetz. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ich verweise auf das Südweststaat-Urteil vom 23. Oktober 1951. Der Volksbefragung des Art. 118 des Grundgesetzes — im übrigen der einzigen Stelle des Grundgesetzes, in der das Wort Volksbefragung vorkommt — hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil die rechtliche Bedeutung des förmlichen Volksentscheids zuerkannt.Lassen Sie mich dies zusammenfassend sagen: Der Parlamentarische Rat hat das plebiszitäre Element in der Verfassung nicht etwa aus formalen Gründen, sondern aus grundlegenden rechtspolitischen Erwägungen ausgeschaltet.
Er wollte alle im Grundgesetz nicht ausdrücklich zugelassenen plebiszitären Aktionen ausschließen.
Das staatsrechtliche Schrifttum bestätigt fast lückenlos die hier vorgetragene Auffassung. — Herr Kollege Heiland, vielleicht lassen Sie einen Augenblick noch den Juristen das Wort; dann können Sie ihre Meinung vortragen.Das gleiche gilt auch von der Rechtsprechung anläßlich der kommunistischen Befragungsaktion von 1951. Ich verweise auf zwei Urteile des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 17. November 1953. Dort wird festgestellt, daß die kommunistische Volksbefragung gegen die Remilitarisierung die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes gefährde, weil Sie nach dem Willen ihrer Veranstalter eine unverbindliche Willenskundgebung des Volkes sei und die verfassungsmäßig berufenen Organe ausschalten oder ihre Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen wolle.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1431
Bundesminister Dr. SchröderNeben einem weiteren einschlägigen Urteil des Oberlandesgerichts Neustadt vom 2. April 1952 möchte ich vor allem das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1954 gegen leitende Funktionäre des Hauptausschusses für Volksbefragung hervorheben. In diesem Urteil heißt es:Die Veranstalter der Volksbefragung treten also mit dem Anspruch auf, nach dem Ergebnis der Volksbefragung die Entscheidung der verfassungsmäßig bestellten Organe beiseitezuschieben und als rechtlich unbeachtlich hinstellen zu dürfen. Es handelt sich dabei um eine typisch kommunistische Agitationsmethode, mit der bereits in der Weimarer Republik aus Anlaß des Abschlusses internationaler Verträge — Young-Plan und Dawes-Plan —— an dieser Stelle ist dem Gericht übrigens ein kleiner Irrtum unterlaufen —operiert wurde. Das Volk wird gegen die verfassungsmäßig bestellten Organe des Volkswillens ausgespielt. Dabei soll mit der Berufung auf die Entscheidung des Volkes dieser Agitationsmethode der Anschein einer demokratischen Legitimation gegeben werden. In Wirklichkeit bedeutet sie die Unterhöhlung der staatlichen Ordnung, indem die wesentlichen Grundlagen der repräsentativen Demokratie und ihre Anerkennung durch das Volk angegriffen und erschüttert werden.Diese klaren Feststellungen eines Urteils, das auchder Abgeordnete Dr. Menzel bei Begründung des1) Antrags zitiert hat, werden nicht etwa dadurch entwertet, daß an anderer Stelle des Urteils private Volksbefragungen ohne den Anspruch auf politisch verbindliche Willensäußerungen des Volkes als nicht strafbar behandelt werden.Meine Damen und Herren! Es trifft sich ja sehr merkwürdig in der deutschen Geschichte, daß wir in der kurzer Zeit, die wir hier seit 1949 miteinander verbracht haben, immer wieder in einer geradezu gespenstischen Weise auf Debatten zurückgreifen können, die vor Jahren in diesem Hause stattgefunden haben.So hat der Bundestag vor fast genau sieben Jahren, nämlich am 26. April 1951, sich mit einer Volksbefragungsaktion zu befassen gehabt. Wie lagen die Dinge damals? Es handelte sich um eine kommunistische und kommunistisch gesteuerte Aktion, teils hier, teils in der sogenannten DDR, gegen, wie man es nannte, „die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland". Die Urheber dieser Aktion errichteten im Bundesgebiet den erwähnten Hauptausschuß für Volksbefragung, der über Landesausschüsse, Orts- und Betriebsausschüsse verfügte. Er sollte eine pseudoamtliche Grundlage für die Aktion im Bundesgebiet darstellen. Mein Amtsvorgänger hat vor, wie ich schon sagte, ziemlich genau sieben Jahren damals vor dem Hohen Hause folgendes ausgeführt:Die SED-Politiker der Sowjetzone führen zurZeit den bisher massivsten Angriff gegen dieBundesregierung. Alle Kräfte der politischen Organisationen des Kommunismus sind für die sogenannte Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und den Abschluß eines Friedensvertrages 1951 planmäßig eingesetzt. Die Aktion ist seit längerer Zeit ... umfassend vorbereitet und zielt in Wirklichkeit auf einen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundesgebietes ab.Etwas später heißt es:Die Aktion wird von kommunistischen Organisationen betrieben, die sich nach Möglichkeit auch nichtkommunistischer Persönlichkeiten Westdeutschlands als Aushängeschild bedienen oder zu bedienen versuchen. Vertreter der beiden großen christlichen Konfessionen, frühere Militärs, sind vor allem umworben.Meine Damen und Herren, diese Debatte von 1951 ist heute gerade auch wegen der damaligen Haltung der SPD bemerkenswert. Der Abgeordnete Wehner wandte sich besonders scharf gegen die Volksbefragung und erklärte, daß die ganze Aktion und das, was sich in ihrem Kielwasser an rechtsextremistischen Organisationen bewege, die den aufgewühlten Sumpf zu benützen versuchten, un- gesetzlich sei.
Er zitierte dann eine Äußerung D a h 1 e m s auf dem dritten Parteitag der SED, man müsse die Angst, die in der Bevölkerung Westdeutschlands vor einem neuen Kriege herrsche, bis zur Panik steigern,
und fuhr dann fort — vielleicht hört auch der Abgeordnete Wehner einen Augenblick zu; es handelt sich hier um seine eigenen Ausführungen —:
Sehen Sie: eine Regierung ist doch verpflichtet, Leute, die Panik kaltblütig organisieren, in die Schranken zurückzuweisen.
Das Protokoll vermerkte damals: „Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts", und der Herr Abgeordnete Wehner hatte damals den Vorzug, seine Rede schließen zu können unter anhaltendem stürmischen Beifall des ganzen Hauses mit Ausnahme der äußersten Rechten, die es damals noch gab, und der Kommunisten, die es ebenfalls noch gab.Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich darauf verzichte, Unterschiede und Ahnlichkeiten zwischen damals und heute auszumalen. Aber die Rechtsextremisten haben sich auch bei dieser Aktion schon wieder eingefunden, wofür ich hier einen sehr interessanten Beleg mitgebracht habe. Die Worte des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1954 treffen auch auf die heutige Situation zu, als wären sie dafür gesprochen. Ich wiederhole sie nochmals:Das Volk wird gegen die verfassungsmäßigbestellten Organe des Volkswillens ausge-
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1432 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Bundesminister Dr. Schröderspielt. Dabei soll mit der Berufung auf die Entscheidung des Volkes dieser Agitationsmethode der Anschein einer demokratischen Legitimation gegeben werden. In Wirklichkeit bedeutet sie die Unterhöhlung der staatlichen Ordnung, indem die wesentlichen Grundlagen der repräsentativen Demokratie und ihre Anerkennung durch das Volk angegriffen und erschüttert werden.
— Ich glaube, das sind nicht alte Methoden von mir, sondern das sind leider Tatsachen, die Sie schaffen. Ich glaube, daß ein Weitergehen auf diesem Wege verhängnisvoll wäre.Die Volksbefragungsaktion soll sich nach dem Willen ihrer Urheber nicht auf den Bund beschränken, sondern auch auf Länder und Gemeinden übergreifen. Politisch bilden diese Aktionen in den Ländern und Gemeinden mit der Aktion im Bund eine Einheit. Was hier von den Gefahren für die Demokratie gesagt wurde, gilt daher auch für die Länder und Gemeinden. Rechtlich handelt es sich bei solchen Aktionen um einen Übergriff in den ausschließlichen Kompetenzbereich des Bundes. Die Bundesregierung darf und will solche Aktionen in Ländern und Gemeinden nicht hinnehmen.Der Bundeskanzler hat bereits am 15. April an die Regierungschefs der Bundesländer folgendes Schreiben gerichtet:In der Kabinettssitzung vom 14. April bekräftigte die Bundesregierung noch einmal ihre bisherige Politik, daß die Atomwaffen bei allen Völkern durch eine kontrollierte Abrüstung abgeschafft werden müssen. Das ist das einzig aussichtsreiche Mittel, den Atomtod aus der Welt zu schaffen. Diesen Standpunkt wird sie auch auf der Gipfelkonferenz mit allem Nachdruck zur Geltung bringen. Einseitige Vorleistungen auf dem Gebiet der Abrüstung sind geeignet, die Bestrebungen, den Atomtod aus der Welt zu schaffen, erfolglos zu machen. Nach einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung stellte die Bundesregierung fest, daß die Verwirklichung der Absicht parlamentarischer Fraktionen, Volksbefragungen zur Atomfrage zu veranlassen, gegen das Grundgesetz verstößt.Ich beehre mich, Sie von dieser Entschließung der Bundesregierung in Kenntnis zu setzen.Namens der Bundesregierung fordere ich auch von dieser Stelle alle Länder, die sich mit dem Gedanken tragen, Volksbefragungen im Sinne des Gesetzentwurfs der SPD durchzuführen, oder die schon entsprechende Beschlüsse gefaßt haben, auf, davon Abstand zu nehmen. Ich fordere sie ferner auf, die gegebenen kommunalaufsichtlichen Mittel zu gebrauchen, um Gemeinden ihres Landes an verfassungswidrigem Handeln zu hindern. Die Bundesregierung wird alle verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, wenn ihr Hinweis auf dieVerfassungslage und ihr Appell an die Bundestreue unbeachtet bleiben.
Lassen Sie mich mit einigen wenigen Bemerkungen abschließen.Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß der Beschluß des Hohen Hauses, die Bundeswehr verteidigungskräftig auszurüsten, eine klare Mehrheit im deutschen Volke hinter sich hat. Die heutige Haltung der Bundesregierung weicht in keinem Punkte von dem ab, was die Regierungskoalition als den Inhalt ihrer Politik vor den SeptemberWahlen dem Volk dargelegt hat.
Die Opposition hat ihren Wahlkampf gegen uns bereits überwiegend mit der antiatomaren Propaganda geführt. Sie wird sich sicher noch an ihre eigenen Plakate und Aufrufe erinnern.Es ist auch keineswegs so, als ob die Diskussion der lebenswichtigen Fragen der Nation für vier Jahre auf Eis gelegt wäre. Wir haben noch in diesem Jahre eine ganze Reihe von Landtagswahlen vor uns, in denen die Fragen, um die wir hier ringen, ob wir es wünschen oder nicht, eine große Rolle spielen werden. Es gibt also genügend legale Möglichkeiten für die Bevölkerung, ihre politischen Ansichten und Absichten direkt oder indirekt zur Geltung zu bringen.Für die Bundesregierung geht es in der heutigen Debatte in erster Linie um den Schutz der Verfassung, einer Verfassung, die geschaffen worden ist, um Fehlentwicklungen auszuschließen, die eine andere demokratische Verfassung nicht zu verhindern vermochte. Wir sind daher entschlossen, alles zu tun, diese Verfassung zu schützen, und wir wehren uns gegen eine Demontage der Verfassung durch die Hintertüre.
Ich bin sicher, meine Damen und Herren, daß wir auch in diesem Bestreben eine breite Mehrheit unseres Volkes auf unserer Seite haben werden.Erlauben Sie mir an dieser Stelle, zwei ganz kurze Anmerkungen zu Ausführungen von Herrn Abgeordneten Dr. Menzel zu machen. Er hat etwas wiederholt, was vorher schon von anderer Seite der Opposition gesagt worden war. Er hat nämlich von kommandierten Beamtengutachten gesprochen. Meine Damen und Herren, das mag die Vorstellung sein, die Herr Dr. Menzel von einer demokratisch verfaßten Bundesregierung hat.
Diese Vorstellung deckt sich nicht mit den Tatsachen. Das Gutachten des Innenministeriums ist z. B. entstanden während meiner Abwesenheit und während sich der zuständige Staatssekretär auf einer Konferenz der Innenminister befand, und wir haben das Gutachten, das ich Ihnen gern zeigen werde, bekommen, als es fix und fertig war.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1433
Bundesminister Dr. Schröder— Ja, also, Herr Kollege Dr. Greve, das möchte ich hoffen, daß mein Geist im Innenministerium anwesend ist. Das hoffe ich in der Tat.
Nun aber ein zweiter Punkt, den ich eigentlich für etwas bedauerlicher halte. Herr Kollege Dr. Menzel, Sie haben hier staatsrechtliche Ausführungen gemacht. Sie sind Jurist wie ich. Zur Qualität juristischer Ausführungen gehört die Korrektheit der Zitate. Ich bedauere, daß ich Ihnen die Korrektheit der Zitate nicht zubilligen kann. Sie haben einen Aufsatz eines Beamten der Bundesregierung zitiert. Sie haben ihn in den Rang eines leitenden Beamten, wenn ich nicht irre, im Innenministerium, versetzt. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Regierungsrat— ich lasse seinen Namen einmal weg —, der in Ihren Augen doch wohl nicht als ein leitender Beamter angesehen werden dürfte. Im übrigen befindet er sich nicht im Innenministerium, sondern ist — wenn Sie seinen Verbleib kennen wollen — derzeit persönlicher Referent des Herrn Bundesministers für Familien- und Jugendfragen.
— Ach, entschuldigen Sie, Herr Kollege Wuermeling, ich sage das nicht etwa, um Sie damit zu belasten.
- Ich zitiere gar nicht. - Ich habe mich nur in derderzeitigen Verwendungsstelle geirrt. Aber Herr Kollege Menzel hätte die Chance gehabt, folgendes zu zitieren: daß der Aufsatz „Staatsnotstand und rechtliche Bindung" lautet, daß er am 1. März 1958 erschienen ist, von dem genannten Regierungsrat stammt; und, meine Damen und Herren, das eigentlich Spaßige an der Sache ist, daß es sich bei dem „Deutschen Verwaltungsblatt" um ein Organ handelt, unter dessen Herausgebern Herr Dr. Walter Menzel, Innenminister a. D., Düsseldorf, figuriert.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Menzel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Dr. Schröder, haben Sie wirklich geglaubt, daß ich nicht auf diesen Hinweis gefaßt sein würde, und sind Sie vielleicht auch so freundlich, zu sagen, daß dieses Blatt von zwölf Herausgebern herausgegeben wird? Sind Sie schließlich bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieser Artikel ohne meine Einwilligung, hinter meinem Rükken veröffentlicht worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Menzel, an Ihren Feststellungen möchte ich nicht den geringsten Zweifel äußern. Warum auch? Ich kann nur sagen, es wäre vielleicht gut, wenn Sie sich, bevor Sie diesen Artikel der Bundesregierung bzw. dem Bundesminister des Innern anhängen, mit den anderen Herausgebern des „Deutschen Verwaltungsblatts" in Verbindung setzten.
Ich schließe mit folgendem. Ich möchte den Befürwortern des' Gesetzentwurfs mit allem Ernst eins zu bedenken geben: Den Anfang des Weges, den Sie hier zu beschreiten vorhaben, kennen Sie. Das Ende vermögen Sie nicht zu überblicken.
Ich fürchte, meine Damen und Herren, der Weg würde zu einer Radikalisierung führen, die Sie selbst nicht erleben möchten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP wird den Antrag der SPD auf Volksbefragung ablehnen. Ich sehe mich aber nicht in der Lage, nun mit so viel Tapferkeit wie Herr Kollege Barzel hier als Streiter für die Verfassung aufzutreten. Denn wir halten diesen Antrag nicht für verfassungswidrig, wir halten ihnnur für verfassungspolitisch verfehlt.Die Reaktion seitens der CDU auf den Antrag, wie sie auch in den Worten von Herrn Kollegen Barzel zum Ausdruck gekommen ist, ist so, daß in der Bevölkerung der Eindruck entstehen muß, als ob eine Volksbefragung a priori überhaupt etwas Schlechtes und Undemokratisches sei. Man spricht von einem Anschlag auf die Verfassung, und Herr Kollege Kiesinger sagte in der bei ihm üblichen, zu Herzen gehenden Art: der seit Bestehen unserer jungen Verfassung gefährlichste Schlag gegen die Demokratie. Nun, ich kann mir vorstellen, daß z. B. der Herr Bundeskanzler keine große Freude an Volksbefragungen hat, denn er hat einmal schlechte Erfahrungen damit gemacht, als die Saarbevölkerung das von ihm warm empfohlene Saarstatut abgelehnt hat.
Aber es ist selbstverständlich, darin werden wir alle übereinstimmen, daß die direkte Demokratie durch Volksabstimmung theoretisch etwas sehr Wünschenswertes ist; praktisch kann das in kleinen Staaten durchgeführt werden. Ich lege Wert auf diese Feststellung, daß a priori jedenfalls eine Volksabstimmung und Volksbefragung nichts Schlechtes ist. Das geht auch aus dem Grundgesetz hervor. Art. 20 spricht von Wahlen und Abstimmungen; Art. 20 ist unabänderlich, und schon das gestattet den Schluß, daß so etwas möglich ist. Im Wege einer Verfassungsänderung könnten also Plebiszite
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1434 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Buchereingeführt werden. Ich glaube, darüber sind wir uns auch einig.Im Parlamentarischen Rat war es sehr umstritten, ob Volksbefragungen mit bindender Kraft —„Volksabstimmungen" muß ich richtig sagen, von Volksbefragungen war da nicht die Rede — eingeführt werden sollten. Es lag ein Antrag des Abgeordneten von Brentano vor, der das Grundgesetz der Volksabstimmung unterwerfen wollte und hierin sogar ein unverzichtbares Recht des Volkes sah. Aber die Stimme ist vielleicht nicht so sehr gewichtig, denn Herr von Brentano war früher einmal auch ein begeisterter Anhänger der Sozialisierung, in Hessen. Doch es gab auch gewichtige Juristen, die dieser Ansicht waren: die Abgeordneten Becker und Süsterhenn, um nur einige zu nennen; in anderem Zusammenhang wünschten die Abgeordneten Frau Dr. Weber und Dr. Finck die Möglichkeit der Volksbefragung, z. B. im Falle des Elternrechts. Schließlich hat dann der Abgeordnete Katz die Gründe, aus denen der Parlamentarische Rat die Volksabstimmung abgelehnt hat, in dem Satz zusammengefaßt: sie sei unpraktisch in den jetzigen aufgeregten Zeiten. Dieser Satz ist sehr interessant für unsere heutigen Beratungen.Wir können also feststellen, daß Plebiszite, Abstimmungen mit gesetzesgleicher Wirkung, durch das Grundgesetz ausgeschlossen sind. Darin sind wir uns wohl auch alle einig. Der Parlamentarische Rat wollte die repräsentative Demokratie — nicht einmal der Bundespräsident wird direkt gewählt —, und es ist gut so, daß er die repräsentative Demokratie wollte, und wir möchten daran festhalten.Die Gründe des Parlamentarischen Rates sind heute zum Teil schon erwähnt worden. Der Abgeordnete von Mangoldt hat gesagt, der Grund für die Ablehnung der direkten Demokratie sei hauptsächlich, daß das Volk nach jahrelanger politischer Entmündigung demagogischen Einflüssen sehr leicht zugänglich sei. Ein sehr prominentes Mitglied des Parlamentarischen Rates — prominent nicht nur durch das Amt, das er heute bekleidet, sondern auch durch seine Persönlichkeit — hat die knappe Formulierung gefunden: ein Plebiszit — also eine Volksabstimmung — sei eine Prämie auf die Demagogie.
— Nein, ich möchte absichtlich den Namen hier nicht hineinziehen.Das Grundgesetz gibt also dem deutschen Volke, das nun heute wegen der Atomrüstung in schwerer Sorge ist, eine bittere Antwort. Es sagt ihm: auf vier Jahre hast du zu wählen; und auf vier Jahre hast du am 15. September 1957 gewählt. Wir beugen uns dieser Antwort, die das Grundgesetz gibt. Ich glaube, wir alle hier, auch die Antragsteller, wollen kein Plebiszit.Aber ich kann nun doch nicht ganz die Bemerkung unterdrücken: War die Entscheidung am 15. September so ganz frei von demagogischen Einflüssen?
Keinesfalls will ich damit etwa die primitive Argumentation von SED-Funktionären aufgreifen, die sagen, unsere Wahlen seien nicht frei, weil man dem Volk nicht die Wahrheit sage. Diese Funktionäre können sich gar nicht mehr vorstellen, daß bei einer Wahl zwei oder mehr Parteien sprechen; es gibt bei ihnen nur eine. — Es soll festgestellt werden: Das deutsche Volk hatte die Möglichkeit, die Wahrheit zu ermitteln. Trotzdem muß an dieser Stelle gesagt werden, wer sich heute so sehr auf das Grundgesetz beruft, die repräsentative Demokratie in Anspruch nimmt, der hat auch Verpflichtungen, hat auch die Grenzen dieser repräsentativen Demokratie zu beachten, die nämlich dem Repräsentanten keine völlig unumschränkte Vollmacht gibt, sondern ihn an seinen Auftraggeber bindet. Er hat auch die Grenzen der Propaganda zu beobachten. Darauf weist in sehr vorsichtiger Form auch Herr Professor Eschenburg in seinem Rundfunkvortrag vom 2. April hin, in dem er kritisiert, daß sich der Bundesverband der Deutschen Industrie in dieser Wahl sehr stark engagiert habe.Wer also sich so auf die repräsentative Demokratie beruft, der muß, wenn er schon die Atomrüstung will, sagen, daß er das will, und er darf das nicht verharmlosen: von der fortentwickelten Artillerie bis zur ebenso harmlosen Doppelkopfwaffe. Wenn wir nachlesen, was am 10. Mai 1957 gesagt worden ist, so stellen wir fest, daß hier etliche Nuancen anders sind gegenüber dem, was am 25. März 1958 zur atomaren Rüstung gesagt worden ist. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Protokoll zitieren, was der Herr Bundeskanzler im Mai 1957 klipp und klar erklärt hat:Ich möchte Ihnen weiter sagen, daß die Bundesregierung keine atomaren Waffen gefordert hat, daß sie entschlossen ist, an der Erklärung festzuhalten, die sie seinerzeit auf der Londoner Konferenz im Oktober 1954 abgegeben hat.Und später:Noch ein Wort zur Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr! Wenn man das hört, sollte man glauben, morgen oder übermorgen werde unsere Bundeswehr mit Atomwaffen bis dorthinaus bewaffnet. Keine Silbe ist von einer solchen Vorstellung richtig. Die Frage ist überhaupt nicht spruchreif. Sie hat sich noch gar nicht gestellt.Ich räume ohne weiteres ein, daß z. B. der Herr Bundesverteidigungsminister sich auch damals wesentlich vorsichtiger ausgedrückt hat. Aber ins Volk hinaus und in den Wahlkampf ist gedrungen: Die Frage ist überhaupt noch nicht spruchreif, und es handelt sich überhaupt nur um eine harmlose kleine Fortentwicklung der Artillerie.Jetzt, am 25. März, hat man zwar auch gesagt: Wir wollen diese Atomwaffen unter Verschluß, wir wollen sie nicht für uns allein, wir wollen sie nicht zuerst, wir wollen sie nur im Rahmen der NATO. Aber man will sie eben doch. Wenn man sie nicht wollte, warum hat man dann die Anträge auf Umdruck 34 Ziffer 1 und 39 abgelehnt, die sich aus-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1435
Dr. Bucherschließlich auf die Atombewaffnung der Bundeswehr bezogen und alles andere draußen ließen?Schließlich ist heute noch unklar, ob unsere Bundesregierung nicht sogar auf mehr als auf Atomwaffen hinsteuert. Es wurde zwar in jener Debatte erklärt, ich glaube von Herrn Kollegen Kiesinger, an Wasserstoffwaffen denke man nicht. Aber es liegt mir hier ein sehr interessantes Stenogramm aus der Bundespressekonferenz vom 26. März 1958 vor. Danach fragte ein ausländischer Journalist den Regierungssprecher, Herrn von Raven: „Wie kann man die Worte modernste Waffen interpretieren?" Antwort:Ich glaube, dieser Ausdruck wird sich auf das beziehen, was die NATO als „modernste Waffen" bezeichnen wird, und das wird sich erst ergeben, wenn die Verteidigungsminister getagt haben.Frage des Journalisten Dr. Ungeheuer:Es steht also noch nicht fest, daß an Atomwaffen gedacht ist?Antwort:Ich möchte annehmen, daß an Mehrzweckwaffen gedacht ist.Erneute Frage:Darf man annehmen, daß die Formulierung„modernste Waffen" so gemeint ist, daß fortlaufend die modernsten Waffen gemeint sind?Antwort:Modern ist jeweils kein Ewigkeitsbegriff. Modern ist das, was heute modern ist. Morgen wird etwas anderes modern sein.Das war ein ausgesprochener Gemeinplatz, ist aber doch sehr bedenklich in bezug auf die weiteren Absichten der Bundesregierung.Es ist unter diesen Umständen verständlich — ich betone: es ist menschlich verständlich —, daß der Wunsch nach einer Befragung des Volkes aufkommt. Da niemand an ein Plebiszit denkt, fragt es sich: ist eine solche Volksbefragung mit nur konsultativer Wirkung möglich? Jedenfalls können wir feststellen, daß im Grundgesetz eine solche Befragung nicht verboten ist. Aber das ist nun der Kernpunkt, um den der Streit geht. Die einen sagen: Es ist nicht verboten, also ist es erlaubt. Die andere Seite sagt: Es ist nicht ausdrücklich erlaubt, also ist es verboten. Ich glaube, dem Geist unseres Grundgesetzes, der schließlich ein liberaler Geist ist, entspricht mehr die Einstellung, daß man sagt: erlaubt durch die Verfassung ist das, was sie nicht ausdrücklich verbietet.Herr Kollege Barzel sagt nun, es wäre paradox, wenn man das Volk als den Souverän fragte und ihm nachher sagte: „Du bist zwar gefragt worden, aber was du gesagt hast, hat gar keinen Wert; das tun wir nicht." Das ist nicht richtig. Man macht ja hier dem Volke nichts vor. Man würde im Falle einer konsultativen Befragung diesem Souverän sagen, daß er nur konsultativ, instruktorisch befragt wird. Es ist doch z. B. der Fall denkbar, daß dieParteien in diesem Hause — obwohl sie in einem bestimmten Punkte gegenteiliger Meinung sind — darin übereinstimmen: Wir veranstalten eine Volksbefragung, um die Meinung des Volkes zu erforschen, und daß sie vielleicht sogar erklären: Wir sind jeweils bereit, uns dem Ergebnis dieser Volksbefragung zu beugen. Das wäre ohne weiteres denkbar.Bedenken gegen eine Volksbefragung aus dem Gesichtspunkt, daß der Meinung des souveränen Volkes nachher nicht Rechnung getragen wird, können nur dann entstehen, wenn man von vornherein mit einer ganz großen Mehrheit rechnet. Es läßt sich anders gesagt — ich komme nachher nochmals darauf zurück — erst vom Ausgang, vom Ergebnis der Volksbefragung her überhaupt sagen, ob hier irgendeine Zwangslage für die Regierung entsteht. Deshalb kann man nicht von vornherein sagen, eine solche Befragung mit nur konsultativer Wirkung sei verfassungswidrig. Also wie gesagt: verfassungsrechtlich haben wir keine Bedenken gegen eine solche Volksbefragung.Warum wird aber nun hier ein solch lautes Geschrei ob dieser Verfassungswidrigkeit erhoben? Man muß wirklich sagen: wenn auch sonst bei der Bundesregierung und bei der sie tragenden Partei das Grundgesetz in so guter Hut wäre, dann könnte man nichts daran finden.
Aber gibt es z. B. einen stärkeren Verstoß gegen das Grundgesetz, gegen seine fundamentalste Bestimmung, nämlich die, daß die Bundesrepublik ein Provisorium ist, als wenn man Gedanken vertritt wie die im „Neuen Abendland" und von Herrn Wenger in Tauberbischotsheim vertretenen?
Die CDU hat sich von Herrn Wenger distanziert; die Delegierten in Tauberbischofsheim offenbar nicht. Die haben seinen „privaten" Äußerungen „privat" sehr lebhaft applaudiert. Aber noch niemand hat sich bis heute von jenem Vorwort distanziert, das der Herr Bundeskanzler für das „Neue Abendland" geschrieben hat. Tun Sie das einmal, distanzieren Sie sich davon; dann kann man diesen Vorwurf nicht mehr erheben.
Dann wirken solche verfassungsrechtlichen Einwände, wie Sie sie vorbringen, auch glaubhaft, wenn Sie sich von dieser Wenger- und „Abendland"-Clique distanziert haben. Ich will hier keine Sünden aus der Vergangenheit registrieren, Fälle, in denen zumindest die Bundesregierung wirklich sehr wenig Rücksicht auf das Grundgesetz genommen hat. Ich denke nur an das Freiwilligengesetz in seiner ursprünglichen Gestalt, an den Versuch, die Wahl zum Bundesverfassungsgericht zu manipulieren,
an den Trick mit dem Wahlgesetz. Bei all diesenDingen spielte die Rolle des Wächters der Verfassung wirklich die andere Seite. Und wenn man
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1436 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Bucherso empfindlich auf die Rechte des Volkes bedacht ist, sollte man schließlich auch darauf bedacht sein, daß der Herr Bundeskanzler diese Rechte nicht immer wieder gröblich mißachtet.
Ich erinnere nur an seine Rundfunkreden vor undnach jener denkwürdigen Debatte vom 23. Januar.Was der Grund dieser Aufregung in Wirklichkeit ist, das wird aus einer Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, die mir gestern zugegangen ist, sehr deutlich. Da bringen die Politischen Informationen, Ausgabe B, Jahrgang 5 Nr. 14/58 vom 16. April, einen Artikel mit der Überschrift „Die innere Ordnung ist in Gefahr!"
Das steht nicht drauf. — Hier wird nun zunächst zwei Seiten lang über die Verfassungswidrigkeit dieser Volksbefragung lamentiert, und dann kommt der denkwürdige Satz:Wir möchten nun des weiteren feststellen, daß die Volksbefragungen auch deshalb eine Gefährdung der inneren Ordnung darstellen, weil sie auf den Sturz der derzeitigen Bundesregierung abzielen.
Also hinc illae lacrimae! Krokodilstränen sind es, die hier vergossen werden,
denn, meine Damen und Herren, auf den Sturz der gegenwärtigen Bundesregierung abzuzielen ist doch das legitime Recht einer Opposition.
Herr Abgeordneter Bucher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hellwig?
Sind Sie der Meinung, daß es außerhalb des im Grundgesetz vorgesehenen Weges, ein konstruktives Mißtrauensvotum in diesem Hause ein- und durchzubringen, noch andere Wege zum Sturz der Regierung gibt, die verfassungsmäßig sind?
Natürlich nicht, Herr Kollege Hellwig; selbstverständlich nicht.Etwas ähnliches wie in dieser Äußerung der AdK klang auch vorhin bei dem Kollegen Barzel an, als er davon sprach, die FDP habe ein konstruktives Mißtrauensvotum erwogen; das sei dann von der SPD abgelehnt worden. Ich darf darauf hinweisen, daß in unserer Erklärung, die der Abgeordnete Mende am Schluß jener Atomdebatte abgegeben hat, ausdrücklich gesagt wurde, wir seien bereit, uns an einer Bundesregierung zu beteiligen, an der sich alle Parteien beteiligen und die unter Führung eines Mitglieds der stärksten Fraktion steht. Es geht also gar nicht darum — das wollten Sie auch andeuten, Herr Kollege Hellwig —, daß die Opposition infolge der Mehrheitsverhältnisse nicht die faktische Möglichkeit habe, ihrerseits einen Bundeskanzler und eine Bundesregierung zu stellen. Das war übrigens auch der Grund, warum dieser Gedanke des konstruktiven Mißtrauensvotums fallengelassen wurde. Es ging nur um einen anderen Bundeskanzler, und das ist doch beileibe nicht irgendwie verfassungswidrig.
— Selbstverständlich nur über das Grundgesetz.
— Das haben Sie noch gar nicht gemerkt, Herr Lenze?
Wesentlich schwieriger als die Frage der Verfassungswidrigkeit ist meiner Ansicht nach die Frage, ob eine solche Volksbefragung verfassungspolitisch richtig, also zweckmäßig ist. Die FDP hat diese Frage lange überlegt, und ich meine, das gereicht ihr nicht zur Schande. Wir waren z. B. —das sage ich ganz offen — nicht in der Lage, auf unserem Düsseldorfer Parteitag, dem sich diese Frage ganz plötzlich stellte, hierauf eine Antwort aus dem Ärmel zu schütteln. Es handelt sich hier auch nicht um einen Antrag, auf den man so schnell ja oder nein sagen kann oder den man nach dem Schema behandeln kann: Er kommt von meiner Partei, also ist er gut; er kommt von einer anderen, also ist er schlecht. Gerade wenn man von der Wahrung der Rechte des Parlaments spricht, sollte man auch daran denken, daß es richtig ist, wenn eine Fraktion nicht sofort einrastet, wenn von einer ihr sympathischen oder unsympathischen Seite etwas kommt, und entsprechend reagiert, sondern wenn sie sich ihrer Pflicht und ihres Rechts bewußt ist, das vorher reiflich zu überlegen. Das Ergebnis unserer Überlegungen ist nun, daß wir den Antrag der SPD für verfassungspolitisch verfehlt halten.Zwar können, wie ich vorhin sagte, Befragungen im Einzelfall verfassungspolitisch völlig ungefährlich sein. Ich könnte mir z. B. denken, daß man eine Volksbefragung über das Problem des Stichentscheids zwischen Mann und Frau veranstalten würde. Das heißt, aus der Materie dieser Befragung ergäbe sich, daß Regierung und Parlament durch eine solche Volksbefragung keineswegs unter Druck gesetzt werden.Dann darf ich den Gedankengang, den ich vorhin einleitete, wiederholen: Befragungen können je nach ihrem Ausgang gefährlich oder ungefährlich sein. Wenn z. B. die jetzige Volksbefragung, angenommen, lediglich 52 % gegen den Standpunkt der Bundesregierung ergäbe, dann könnte man nicht davon reden, daß die Bundesregierung unter Druck gesetzt ist, sondern jede Bundesregierung könnte dann sagen: Das veranlaßt uns nicht, unsere Politik zu ändern; 2% mehr oder weniger ist völlig uninter-
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Dr. Bucheressant. Anders ist es, wenn etwa eine solche Befragung ein Ergebnis von 85, 90 % ergibt. Hier würde sich dieses Ergebnis und damit die Volksbefragung selbst als ein Versuch oder eine Möglichkeit auswirken, die von mir vorhin erwähnte „bittere Antwort" des Grundgesetzes zu umgehen, nämlich die Vorschrift des Grundgesetzes, daß repräsentativ regiert werden soll. Das ist eine Frage, die sich nicht im Raume der Verfassungswidrigkeit, sondern im Raume des verfassungspolitisch Verfehlten bewegt.Man muß weiter auch die Konsequenzen bedenken: die künftigen Möglichkeiten. Soviel ich weiß, sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrer überwiegenden Mehrheit genauso wie auch ich Gegner der Todesstrafe. Stellen Sie sich eine Volksbefragung über dieses doch sehr komplexe. schwierige, mit philosophisch-moralischen Erörterungen bechwerte Problem vor, ein Problem, zu dem mir der Vorkämpfer gegen die Todesstrafe in England, Sidney Silverman, ein sehr gutes Schlagwort gegeben hat! Er sagte: „In this matter all sentiments are on one side and all arguments on the other." Alle Gefühle auf der einen Seite und alle Argumente auf der anderen! Ich habe keinen Zweifel, daß bei einer Volksbefragung nicht die Argumente, sondern die Gefühle zu Wort kämen, Gefühle, die immer wieder aufgeregt werden, meist in sehr unpassender Weise durch Boulevard-Blätter, in diesen Tagen z. B. durch den sehr beklagenswerten, traurigen Fall mit dem Jungen in Stuttgart. Wenn ich mir gerade solche Dinge vorstelle, wird mir vor solchen Voksbefragungen Angst. Oder von unserem Standpunkt aus: Voksbefragungen über das Problem des Elternrechts, ein Problem, das ja die Möglichkeit einer Mißachtung des Minderheitenrechts in sich schließt, auch hier ein höchst komplizertes Problem — man mag zu ihm stehen, wie man will —, völlig ungeeignet für eine Volksbefragung. Schließlich etwa Fragen, in denen der Befragte in Konflikt mit sich selbst gebracht wird, wenn man etwa Volksbefragungen über Wehrpflicht oder über Steuerpflicht abhalten wollte. Das ist das eine.Das andere, eine Änderung der Fragestellung durch die Mehrheit, wäre jederzeit möglich. Herr Kollege Menzel, hier haben Sie sich selbst eigentlich ein Gegenargument geliefert, als Sie sagten, es jucke der CDU in den Fingern, zu dieser Sache an sich ja zu sagen und dann die Fragestellung umzudrehen. Damit haben Sie selbst gesagt, welche Gefahr in einem solchen Gesetz liegt, wenn man es nun wirklich für verfassungspolitisch zweckmäßig halten würde. Es wäre eine Verleitung des Parlaments zur Demagogie.Verfassungspolitisch wäre mir dann noch lieber, man würde durch eine Verfassungsänderung, ein Plebiszit einführen, wie es das in der Weimarer Verfassung gab. Das ist eine Sadie, die immerhin sehr selten vorkommt, weil sehr viele Kautelen und Klauseln damit verbunden sind, Mehrheiten für die Einbringung erforderlich sind. Hier dagegen wären wir nicht davor sicher, daß nun jeden Monat oder jedes halbe Jahr irgendeine Volksbefragung veranstaltet würde, denn das würde praktisch zu einemZustand führen, der jedenfalls mit dem Geist des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren wäre.Nun zum Abschluß die Frage — ich möchte unseren Standpunkt hierzu schon bei dieser Gelegenheit bekanntgeben —, wie dieser Gesetzentwurf weiter behandelt werden soll. Idh wäre eigentlich überrascht, wenn die Pressemeldungen zuträfen, wonach die CDU diesen Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß überweisen wolle.
Einen Gesetzentwurf, den man für so eklatant verfassungswidrig, für einen Anschlag auf die Verfassung hält, noch im Rechtsausschuß beraten zu lassen, ist eigentlich eine Zumutung für den Rechtsausschuß.
Wir unsererseits halten den Gesetzentwurf für verfassungspolitisch absolut verfehlt. Wir möchten ihn deshalb überhaupt nicht an den Ausschuß überwiesen haben.Wir möchten das aber auch aus einem anderen Grunde nicht. Wenn ich mich einmal etwas salopp ausdrücken darf, möchte ich sagen: Das schlechteste an dem Entwurf der SPD sind die Gegenargumente der CDU.
Denn es besteht doch die Gefahr, daß wir uns nun monatelang um diese verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Fragen herumstreiten und daß hinter diesem rechtlichen und verfassungspolitischen Schleier das eigentliche Problem, das Problem „Atombewaftnuhg oder nicht Verborgen wird. Das möchten wir nicht. Deshalb stimmen wir von vornherein gegen die Ausschußüberweisung.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, muß ich eine Feststellung treffen. Aus dem Protokoll ist zu entnehmen, daß der, Abgeordnete Wehner den Abgeordneten Dr. Barzel einen „einstudierten Pharisäer" geheißen hat. Das verstößt gegen die Würde und Ordnung des Hauses. Ich rufe den Abgeordneten Wehner zur Ordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsparteien sagen im Zusammenhang mit dieser Debatte natürlich sehr gern, daß es das gute Recht der Opposition sei, eine von ihr getragene Regierung anzustreben. Das hat die Opposition seit 1949 in diesem Hause auch getan, allerdings mit dem Erfolg, daß bei den allgemeinen Wahlen die Versuche der Opposition jeweils durch eine starke Bestätigung der Regierungsmehrheit abgewiesen worden sind.
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1438 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
EulerDieses Ergebnis dreier Bundestagswahlen gibt nun allerdings umgekehrt der Opposition keineswegs das Recht, die Koalitionsparteien als diktatorischer Tendenzen verdächtig zu bezichtigen.
Gerade die Erscheinungen in der Weimarer Republik geben uns Anlaß, im Zusammenhang mit dem hier anstehenden verfassungsrechtlichen Problem darüber nachzudenken, wie recht die Grundgesetzgeber von 1949 daran taten, daß sie nicht dieselben Fehler der Weimarer Verfassung wiederholten, die so wesentlich zum Scheitern der Weimarer Demokratie beigetragen haben. Nur so, in diesem Sinne waren die Ausführungen des Herrn Kollegen Barzel zu verstehen, und sie sind sehr richtig. Erinnern Sie sich bitte daran, wie es im Jahre 1929, zehn Jahre nach der Gründung der Weimarer Republik, in der Weimarer Republik aussah. Leider war es damals schon dahin gekommen, daß der größte Teil der Gesetzgebung auf dem normalen verfassungsmäßigen Wege durch den Reichstag gar nicht mehr gemacht werden konnte. Die staatstragenden, freiheitlich demokratisch eingestellten Parteien waren bereits derartig geschwächt zwischen den Extremen auf beiden Seiten und außerdem in sich so uneinig, daß die meisten Gesetze schon damals, noch ehe die Weltwirtschaftskrise eintrat, auf dem Wege der Notstandsgesetzgebung durch den Reichspräsidenten über Art. 48 gemacht werden mußten.
Daß das möglich war, daß es dahin kam, hatte seine Ursache zum ersten darin, daß die unglückselige Regelung des einfachen Mißtrauensvotums es zuließ, daß sich Parteien, die niemals gemeinsam positiv regieren konnten, jeweils zu dem einmaligen negativen Akt des Regierungssturzes zusammenfanden. Dadurch wurden die demokratischen Regierungen fortgesetzt aus dem Sattel gehoben. Dadurch hatten wir unausgesetzt Regierungskrisen, die häufig dazu führten, daß erst nach wochenlangen Bemühungen eine Regierung neu gebildet werden konnte, deren Regierungszeit dann kürzer war als die vorangegangene Zeit der Krise. Und kaum war die Regierung wieder zustande gekommen, wurde sie erneut aus dem Sattel gehoben.Zum zweiten hatten wir damals außer den durch Regierungskrisen herbeigeführten Parlamentsauflösungen, die zu einer Häufung der Neuwahlen führten, noch die besonderen Veranstaltungen zugunsten der Extremisten in Gestalt der Volksentscheide und Volksbegehren.Ich war außerordentlich stark davon ergriffen, wie sehr im Parlamentarischen Rat die Fraktionen aller damals vertretenen Parteien bemüht waren, die Wiederkehr der Fehler der Weimarer Republik zu verhindern und zu verhüten, daß dieselben Konstruktionsfehler de r Verfassung erneut gemacht würden, weil alle Parteien sagten: es muß, damit der freiheitliche Staat wirkungsfähig ist, dafür Sorge getragen werden, daß die Demokratie eine hinreichende Haltbarkeit hat. Es war nur aus diesem Bemühen zu verstehen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, daß man nicht das einfache Mißtrauensvotum in die neue Verfassung aufnahm, sondern die stabilitätserhöhenden Momente des qualifizierten Mißtrauensvotums schuf, und zum zweiten eben die Volkbegehren und Volksentscheide, wie sie die Weimarer Verfassung gekannt hatte, absichtlich nicht wieder aufnahm. Denn man erinnerte sich daran, daß gerade die Volksbegehren und Volksentscheide der Weimarer Zeit ein hervorragendes Mittel der Radikalisierung der Massen und ihrer Abwendung von der Demokratie gewesen waren.
Es sind im Parlamentarischen Rat mit Herrn Dr. Katz, mit Herrn Professor Carlo Schmid gerade auch die Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion gewesen, die dafür gesorgt haben, daß entgegen der damaligen persönlichen Auffassung von Herrn Kollegen Menzel das Volksbegehren und der Volksentscheid absichtlich in die neue Verfassung, in das Grundgesetz von 1949, nicht wieder aufgenommen wurden.
— Nein, es wurden Volksbegehren und Volksentscheid überhaupt nur an einer Stelle in die neue vorläufige Verfassung, Grundgesetz genannt, aufgenommen, und zwar nur in Verbindung mit den Artikeln 29 und 118.
— Oh doch! Ich habe damals sehr häufig hier an diesen Beratungen teilgenommen, zu denen wir herübergerufen wurden als Mitglieder des Wirtschaftsrates, um uns über den Stand der verfassungsrechtlichen Beratungen zu orientieren und auch unsere Meinung dazu zu sagen. Und da waren gerade die jüngeren Kräfte aus allen politischen Parteien sich durchaus einig darin, daß ein freiheitlicher Rechtsstaat nur existieren kann, wenn er hinreichend haltbar und wirkungsfähig gemacht wird, und es deshalb keinen größeren Fehler geben könne als eben den, wieder eine Demokratie am Rande, der Anarchie, am Rande des Chaos anzusiedeln. Eine solche Demokratie muß unvermeidlich auf die Dauer den Ruf nach dem starken Manne erzeugen und somit die Vorstimmung für eine Diktatur schaffen.
Nachdem bei der grundgesetzlichen Regelung Gott sei Dank die Wiederkehr entscheidender Fehler der Weimarer Verfassung vermieden worden sind, wollen wir jetzt nicht in den Fehler verfallen, das Werk der Verfassungsväter von 1949 nachträglich verderben zu lassen, indem wir solchen Anträgen folgen, wie sie jetzt die Sozialdemokratie stellt, entgegen dem besseren Wissen, das die Vertreter der Sozialdemokratie im Parlamentarischen Rat befolgt haben.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1439
EulerIch brauche hier die verschiedenen Zitate nicht zu wiederholen. Es ist in der Tat so, daß mit Ausnahme eines einzigen Kommentars alle anderen der Auffassung sind, daß mit einer Begründung, die keine Ausnahmen zuläßt, die Verfassungsväter von 1949 Volksbegehren und Volksentscheid wegen ihrer für die Demokratie gefährlichen Auswirkungen vermieden sehen wollten.Und wenn Sie jetzt an den Gesetzentwurf der Sozialdemokratie denken, dann brauchen Sie nur die Fragestellung der SPD in Betracht zu ziehen, um zu wissen, wie sich mit einer solchen Fragestellung Mißbrauch, demagogischer Mißbrauch draußen im Lande treiben läßt, Herr Kollege Menzel sagte, die Koalitionsparteien hätten Angst vor dieser Volksbefragung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, massenpsychologisch gesehen ist das Ergebnis einer Volksbefragung, eines Volksentscheids immer entscheidend davon abhängig, wie gefragt wird.
Wenn allerdings die Fragen so lauten würden, wie sie die SPD-Fraktion formuliert hat, dann würde wahrscheinlich eine Mehrheit im Sinne der Fragesteller herauskommen. Wenn wir keine verfassungsrechtlichen Bedenken hätten und aus politischen Gründen die Volksbefragung durchführten, dann würden wir ihr allerdings eine Fragestellung geben, die den wahren Absichten der Außenpolitik der Koalitionsparteien entspricht.
Dann würden wir beispielsweise fragen:
Wollt ihr dafür Sorge tragen, daß durch Erhaltung des westlichen Bündnisses und seiner militärischen Wirksamkeit Bombenkriege aus dem Osten vermieden und damit der Friden und die Freiheit gesichert werden?
Mit einer solchen korrekten Fragestellung brauchten wir das Ergebnis einer Volksbefragung ebensowenig zu scheuen wie das Ergebnis der Wahlkämpfe, die seit 1949 nicht zu Siegen der Opposition, sondern jeweils zu schweren Niederlagen geführt haben.
— Es ist sehr schön, daß Sie mich darauf ansprechen.
— Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ich bin sehr erfreut, daß Sie mich darauf ansprechen. Wir sind uns in der politischen Linie treu geblieben. Wir, die wir die FDP verlassen haben, und die Kollegen, die den BHE verlassen haben, sind gerade diejenigen, die es getan haben, um weiterhin die politische Überzeugung zu vertreten, die sie jahrelang draußen gegenüber der Bevölkerung vertreten haben.
Wir haben also die Partei unter einem sehr erheblichen Risiko gewechselt. Wir hätten es sehr viel bequemer haben können, wenn wir in den Parteien, die sich selbst untreu wurden, geblieben wären. Wir haben sie verlassen, um uns treu zu bleiben.
Mir hat noch niemand unterstellen oder beweisen können, daß ich meiner politischen Auffassung untreu gewesen sei. Wir vertreten dieselbe außenpolitische und wehrpolitische, wirtschafts- und sozialpolitische Linie, wie das durch alle Jahre hindurch geschehen ist. Und wenn wir dabei als schwächere Koalitionspartner
politisch gegenüber dem stärkeren Koalitionspartner zu opfern hatten, — das Wichtigste ist für uns die Genugtuung, daß unsere staatspolitischen Grundauffassungen in der Koalition zum Siege gekommen sind.
Herr Abgeordneter Euler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Euler, sind Sie bereit, anzuerkennen, daß die Tatsache der Existenz Ihrer eigenen Splitterpartei jedenfalls eine der unerfreulichen Parallelen der heutigen Gegenwart mit der Weimarer Zeit darstellt?
Nein, Herr Kollege Schmidt, ich bin deswegen nicht bereit, das anzuerkennen, weil diese Parteien durch die Jahre hindurch immer wieder zu einer tragfähigen und in sich beständigen Koalitionsmehrheit beigetragen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, das ist die eine Genugtuung, die wir gehabt haben, und die andere Genugtuung wurde uns damit gegeben, daß wir immer sehr nachdrücklich dazu beigetragen haben, daß Sie mit Ihrer Politik nicht zum Zuge gekommen und weiterhin auf der Oppositionsbank geblieben sind.
Dafür wollen wir auch weiterhin sorgen. Lassen Sie mich hierzu noch das eine sagen. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Sie waren ja nach der dritten Wahlniederlage mal auf dem Wege, sich zu überlegen, was Sie in Ihrer Politik und in der Organisation der Partei ändern müßten, um weitere Wahlniederlagen zu vermeiden.
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1440 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
EulerSie haben sich jetzt auf einen anderen Weg begeben, auf den Weg einer verstärkten öffentlichen Diffamierung der Außen- und Wehrpolitik der Koalitionsparteien, einen Weg, mit dem Sie schon dreimal Mißerfolge erlitten haben. Wenn Sie auf diesem Wege bleiben, dann organisieren Sie Ihre Wahlniederlage von 1961.
Bis dahin wird noch viel Zeit vergehen, und wir hoffen im Interesse der Demokratie, daß Sie nicht jene Fehler der Zersetzung der Demokratie mit zweifelhaften Methoden begehen, die zwar sicher nicht zu Ihrem Erfolg führen würden, aber doch eben unser Volk und die politische Festigung der Demokratie leiden lassen würden.Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht daran, daß die gegenwärtigen Bemühungen wegen einer Volksbefragung, wie sie von Ihrer Seite unternommen werden, schon einen gewissen Vorläufer im Jahre 1952 hatten, als von der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas", die damals unter Leitung von Herrn Dr. Heinemann stand, die SPD eingeladen wurde, sich an einem Volksbegehren zu beteiligen.Über die ablehnende Antwort Ollenhauers berichtete damals das „Flensburger Tageblatt":Ihm erschienen die vorgeschlagenen Aktionen ungeeignet, um damit „der Politik der bedingungslosen Aufrüstung wirkungsvoll entgegenzutreten". Er müsse jedoch auch vor allen Schritten warnen, welche der totalitären Seite nützen würden. „Bei dem von Ihnen beabsichtigten Volksbegehren oder der Unterschriftensammlung käme es bestenfalls zu Manifestationen, die keine Garantie für die praktische Durchführung in sich trügen." Er, Ollenhauer, sei der Auffassung, daß bei Maßnahmen, wie Heinemann sie vorschlage, eine Abgrenzung gegenüber der KPD nicht möglich sei. Infolgedessen müsse die „Notgemeinschaft", wenn sie auf solchen Aktionen bestehe, der Überfremdung zum Opfer fallen.Wie recht Herr Kollege Ollenhauer damals in seinem ablehnenden Brief an Herrn Dr. Heinemann hatte, das zeigen im Rahmen der jetzigen neuen Volksbefragungsaktion jene Erfahrungen, die vorhin Herr Kollege Barzel zitierte. Auch darauf ist hinzuweisen, daß Sie schon einmal bessere Auffassungen in diesen Fragen gehabt haben.Ich möchte noch einiges zu dem Problem der Volksbefragung in den Ländern sagen. Von den verschiedensten Seiten ist hier deutlich darauf hingewiesen worden, welche Elemente der Bundesverfassung eine Volksbefragung ausschließen, die nach ihrem politischen Zweck und nach der ganzen Art der Veranstaltung dasselbe Ziel erreichen soll wie ein nach dem Grundgesetz nicht zulässiger Volksentscheid oder ein nach dem Grundgesetz nicht zulässiges Volksbegehren. Die Volksbefragung in den Ländern ist doch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt zu sehen, daß die Bestimmungen der Landesverfassungen über Volksentscheid und Volksbegehren lediglich für solche Fragen gelten, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen. Entscheidend muß insoweit immer die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sein. Es gibt keine Landesverfassung, die einen Volksentscheid bzw. ein Volksbegehren für Fragen zuließe, die nicht zur Zuständigkeit des Landes gehören, und was die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes anlangt, so ist ganz eindeutig, daß das Grundgesetz keine Möglichkeit für Volksbefragungen und Volksentscheide im Rahmen der Gesetzgebungsmitwirkung der Länder gibt. Infolgedessen ist es richtig, daß die Bundesregierung Volksbefragungen der jetzt geplanten Art auf der Grundlage von Landesgesetzen für verfassungswidrig ansieht. Es ist auch die Auffassung der Deutschen Partei, daß die Bundesregierung mit aller Entschiedenheit und unter Kombinierung aller verfassungsrechtlichen Mittel dem entgegenzuwirken hat, daß in Ländern und Gemeinden verfassungswidrige Volksbefragungen durchgeführt werden.Welche Schwierigkeiten für den demokratischen Zustand in der Bundesrepublik herbeigeführt werden, möchte ich nur noch an Hand einer Bestimmung dartun. Nach Artikel 147 der hessischen Verfassung hat jedermann Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt zu üben. Abs. 1 lautet:„Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht."Und Abs. 2 des Art. 147 der hessischen Verfassung fährt dann fort:Wer von einem Verfassungsbruch oder von einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofs zu erzwingen.Der Schuldige wäre in diesem Falle entweder die hessische Landesregierung, oder aber es wären die Stellen der hessischen Exekutive, die sich für die Durchsetzung verfassungswidriger Gesetze hergeben.Was für die Länder verfassungswidrig ist, ist es natürlich erst recht für die Kommunen. Es gibt keine Möglichkeit, das Recht einer Stadtverordnetenversammlung zu begründen, in Fragen, die entweder der Gesetzeszuständigkeit des Bundes unterliegen oder aber zu seiner Verwaltungszuständigkeit oder zu seiner Organisationsgewalt gehören, Beschlüsse von quasi-legislativem Charakter zu fassen. Auch in dieser Hinsicht müssen wir die Bundesregierung bitten, mit aller Entschiedenheit dafür Sorge zu tragen, daß sich keine verfassungswidrigen Zustände entwickeln.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind nun allerdings in Konsequenz unserer Auffassung, daß es sich bei dem Vorgehen der von der SPD initiierten Volksbefragung um ein verfassungswidriges Vorgehen handelt, der Ansicht, daß wir
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1441
Eulerdas gegenüber der Öffentlichkeit ganz klar durch eine sofortige Ablehnung dieses Antrags in der ersten Lesung dokumentieren sollten. Wir sollten einen solchen Entwurf, dessen Verfassungswidrigkeit klar zu erkennen ist, wie das mit Recht der Kollege Barzel von der CDU dargetan hat, wie das mit Recht Herr Minister Schröder für das Kabinett bekanntgegeben hat, überhaupt nicht an irgendwelche Ausschüsse überweisen. Die Fraktion der Deutschen Partei würde es als Widerspruch in sich, als mangelnde Konsequenz betrachten, wenn man auf der einen Seite mit guten Gründen, die gar nicht problematisch sind, die Verfassungswidrigkeit einer Gesetzesinitiative behauptet, auf der anderen Seite aber zu einer gewissen Verunklarung dieses Zustands dadurch beiträgt, daß man diesen Gesetzentwurf den Ausschüssen überweist. Selbstverständlich würde doch die Opposition daran interessiert sein, die Beratungen in den Ausschüssen unter Umständen monatelang zu verschleppen, und damit würde in Teilen der Bevölkerung der Anschein erweckt, als sei es eine sehr schwierige Rechtsfrage, die Verfassungswidrigkeit der Gesetzesinitiative der SPD zu erkennen und festzustellen.Wir möchten deshalb an unseren Koalitionspartner appellieren, sich unserem Vorschlag anzuschließen, den Gesetzentwurf der SPD bereits in der ersten Lesung abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mich am Beginn meiner Rede zu unserem Antrag leider mit der Rede des Herrn Dr. Barzel befassen, die er hier heute nachmittag gehalten hat.
— Ich muß mich „leider" mit dieser Rede befassen, weil sie eine der unerfreulichsten Reden ist, die in diesem Hause gehalten worden sind,
weil sie eine Rede ist, die von einem Mann gehalten wurde, der von Mut, Tapferkeit und Redlichkeit sprach, um dann in besonders unwahrhaftiger, unanständiger und übler Weise die Sozialdemokraten zu verleumden.
Dieser Stil eines der jüngeren Abgeordneten dieses Hauses paßt schlecht zu der besonderen Betonung der Jugendlichkeit des Redners, die auch zu einem solchen Stil nicht verführen sollte.
Wenn man an die Worte denkt, Herr Dr. Barzel, die Sie über Weimar und die Gründe des Niedergangs gesagt haben, so würde ich sagen: Ihre Rede ist in dem Stil gehalten worden, in dem in der Weimarer Zeit die damalige Republik untergraben und unterwühlt wurde.
Sie haben selbst hier gesagt, Herr Dr. Barzel, Sie hätten die Weimarer Zeit nicht erlebt. Das ist kein Vorwurf. Aber wenn Sie sie nicht erlebt haben und nichts oder anscheinend sehr wenig darüber wissen, - warum reden Sie in dieser Schnoddrigkeit über die Probleme einer ernsten Zeit unseres Volkes, so wie Sie es hier getan haben?
Sie sollten, wenn Sie sich mit diesen sehr ernsten Problemen der Weimarer Republik, mit ihren Leistungen und — ich sage von mir aus — auch mit den Fehlern befassen, das mit dem Ernst tun, der der Sache angemessen ist und nicht in dem naßforschen Stil, in dem Sie heute hier gesprochen haben.
Aber, Herr Dr. Barzel, es gibt etwas in Ihrer heutigen Rede, was mir noch sehr viel ernster erscheint,
und das ist Ihr offen ausgesprochener Zweifel -und an anderen Stellen Ihrer Rede haben Sie versucht, dies in der Form der Verdächtigung und der Unterstellungen zum Ausdruck zu bringen — an der Ablehnung des Bolschewismus durch die Sozialdemokraten.Herr Dr. Barzel, wenn Sie uns vorgeworfen haben, wir stellten an den Anfang unserer außenpolitischen Betrachtungen nicht die Ablehnung des bolschewistischen Systems und seiner Knechtschaft, so ist das eine Unwahrheit, — um es höflich zu sagen.
Wenn Sie in diesem Hause gewesen wären oder wenn Sie sich wenigstens die Mühe gemacht hätten, von Düsseldorf aus zu verfolgen, was in diesem Hause geschieht, so wüßten Sie, was gerade in den vergangenen neun Jahren auch von der Sozialdemokratie im Kampf gegen den Bolschewismus geleistet worden ist.
Deshalb sind wir empfindlich, Herr Dr. Barzel, und wir empfinden es als eine Methode,
die Sie wahrscheinlich— es scheint mir die Methode Ihres Herrn zu sein — im Hause Adenauer noch hochsteigen lassen wird.
Sie haben es für notwendig befunden, uns zu sagen, wir sollten unseren Appell an Moskau richten. Ein bißchen mehr Aktenstudium — Herr Dr. Barzel, Sie sind ja Jurist - hätte Ihnen gezeigt, daß
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1442 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Blachsteindas längst geschehen ist. Durch Ignoranz können Sie ja nicht die Stellung der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion in diesem Hause aufheben.
Meine Damen und Herren, wir werden uns von der Ablehnung des Bolschewismus und der Ablehnung der Herrschaftsverhältnisse im anderen Teil Deutschlands weder durch Verleumdung noch durch falsche Behauptungen abbringen lassen und uns bemühen, weiter unseren Teil dazu zu leisten, daß der Wille zum Widerstand und die Bereitschaft, die Demokratie zu verteidigen, in unserem ganzen Volk erhalten bleibt und gestärkt wird.Wir empfinden auch den Vergleich mit Hitlers Regierungsformen als ausgesprochen geschmacklos.
— Die hören ja zu. Meine Fraktion hört viel aufmerksamer zu, als Sie es tun.
Mein Freund Herbert Wehner hat bereits heute nachmittag über die Leistungen der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Mitglieder während der ganzen langen Geschichte unserer Partei im Kampf um die Freiheit, um die Unabhängigkeit, um die Selbstbestimmung unseres Volkes gesprochen.
Eine Partei, die solche Opfer, Blutopfer, in diesem Ringen in unserem Lande gebracht hat, verträgt es nicht, daß man sie in solcher Weise — bei dem Herrn Innenminister ist das etwas sanfter angeklungen — in die Nachbarschaft eines diktatorischen, blutrünstigen Regimes stellt.
Ein zweiter Punkt, Herr Dr. Barzel! Die Kundgebung in Hamburg ist der CDU wirklich auf die Nerven gegangen.
Es war eine Kundgebung — das haben mir Leute gesagt, die ein Leben lang in Hamburg gelebt haben —, wie sie Hamburg in diesem Jahrhundert noch nicht gesehen hat. Und da kommen Sie, Herr Dr. Barzel, mit dem Märchen der gepreßten Demonstranten.
Kommen Sie nur mal eine Woche nach Hamburg und sehen Sie sich das Leben dieser Stadt an! Glauben Sie, daß man heute noch in der Bundesrepublik oder in Hamburg die Menschen zu Demonstrationen pressen kann und daß diese Menschen bei schlechtem Wetter — es war ein kühler, unfreundlicher Tag — zwei Stunden ausharren?
— Ja, da stand wahrscheinlich die SS mit Maschinengewehren und hat verhindert, daß einer wegging!? Herr Dr. Heck, was sollen eigentlich die Greuelmärchen über die Kundgebung in Hamburg? Die CDU-Führer in Hamburg, die Pressekonferenzen abgehalten haben, haben es sich mindestens erspart, solche plumpen Geschichten der Presse zu erzählen, die ja diese Kundgebung gesehen und erlebt hatte.Gewiß, wir meinen, daß es in dieser Situation notwendig ist, das Volk auf die Straße zu rufen. Wir haben auch weder die Furcht noch den Abscheu, den Sie vor der Straße haben. Ich mag die Leute auf der Straße, auch wenn es viele sind. In unserer Geschichte hat die Straße sehr viel weniger Unheil angerichtet als z. B. der Herrenklub!
Ich wünschte, meine Damen und Herren, daß wir so etwas verhindern und verhindern auch mit der Straße, mit den legalen Mitteln, die ein Volk in einem demokratischen Rechtsstaat besitzt und die sich nicht in der Abgabe der Stimme am Wahltag erschöpfen. Auch Sie sind ja sonst im außerparlamentarischen Raum nicht gar so schüchtern; Sie suchen sich nur andere aus. — Ich meine, wir sollten dafür sorgen, daß die Herren des Herrenklubs, die ja zum Teil noch leben, sogar zum Teil in diesem Hause sitzen, in diesem Lande nicht wieder eine Politik einleiten können, die zu ähnlichen Katastrophen wie den vergangenen führt.
— Wollen Sie den Herrenklub verteidigen, Herr Dr. Schröder?
— Sie müssen doch Ihre Mitglieder besser kennen als ich!
Ein Wort noch zu der Hamburger Kundgebung und zu der Behauptung, der Hamburger Bürgermeister habe den Boden der Legalität verlassen. Meine Damen und Herren, Max Brauer, der Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, genießt in Hamburg, in der Bundesrepublik und in einem guten Teil der freien Welt ein solches Ansehen als Demokrat, daß Sie niemanden glauben machen werden, weder in Hamburg noch hier noch sonstwo, daß der Hamburger Bürgermeister dadurch, daß er eine Kundgebung gegen die Atombewaffnung der Bundesrepublik als Schirmherr einberufen und dort die Frage gestellt hat, ob diese Frage allein im Parlament und vom Parlament zu entscheiden ist, den Boden der Legalität verlassen
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Blachsteinhätte. Wenn es so wäre, würde ich meinen, daß wir in der Bundesrepublik bereits in einen beängstigenden Zustand hineingeraten wären. Aber ich rechne es mit zu den Übertreibungen des Herrn Dr. Barzel, hier diese Behauptung aufzustellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Blachstein, Sie haben eine recht fundamentale Behauptung aufgestellt: daß die Straße in Deutschland nicht das Unglück angerichtet habe wie der Herrenklub. Ist Ihnen bekannt geworden — wir sind ungefähr Altersgenossen —, daß es schließlich doch wohl die SA auf den Straßen war, mit der die Macht erobert wurde?
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Ich meine nicht, daß die SA die Straße war. Ich meine aber, daß die Verbindung von Herrenklub mit der Gosse der Politik das Gefährlichste war, was uns passieren konnte.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Blachstein, ist Ihnen bekannt, daß in der Gesundheitsbehörde der Stadt Hamburg ein Amtsrat Evert in Zusammenhang mit diesen Kundgebungen die Beamten schriftlich aufgefordert hat, für eine möglichst zahlreiche Beteiligung Sorge zu tragen, damit geschlossen nach dem Rathaus marschiert werden könne?
Herr Dr. Barzel, mir ist dieses Detail der gewaltigen Kundgebung der Hamburger nicht bekannt. Aber ich kann darin kein Unglück sehen.
Noch ein Wort zur Einschätzung der Kundgebung durch den Herrn Dr. Barzel, der sich hier zu der grotesken Behauptung verstiegen hat, durch diese Kundgebung seien die Chancen der Kommunisten gestiegen! Herr Dr. Barzel, vielleicht ist es wirklich gut, daß Sie sich Hamburg einmal ansehen. Im Hamburger Hafen und auf den Hamburger Werften, die einmal Hochburgen der Kommunisten waren, gab es selbst nach 1945 noch z. B. bei Betriebsratswahlen nicht unbeträchtliche kommunistische Minderheiten,an manchen Stellen sogar Mehrheiten. Wenn das heute nicht mehr so ist, dann nicht etwa durch Ihr törichtes Verbot der KPD, sondern durch einen offensiv geführten Kampf um die Hamburger Bevölkerung, um die Hamburger Arbeiterschaft, wie ihn die Sozialdemokratie seit 1945 ausgefochten hat. Wenn heute die Mehrheit der Arbeiter, der Angestellten und der Bürger dieser Stadt hinter der Sozialdemokratie steht, so ist das eine Leistung, die nicht dadurch in Frage gestellt wird, daß man die Menschen heute auffordert, sich gegen die Atombewaffnung zu wehren. Die Anfälligkeit für Rückfälle in kommunistische Neigungen wird vielmehr durch einen wirklichen, effektiven Widerstand gegen eine Katastrophenpolitik in der Bundesrepublik nur vermindert.Ein letztes Wort zu Ihnen, Herr Dr. Barzel. Sie haben eine ganze Theorie erfunden vom „Ohnemich" über die Paulskirche zur Bewegung gegen den Atomtod bis zum Generalstreik gegen die Regierung. Wo haben Sie das eigentlich her? Wer hat Ihnen das aufgeschrieben, oder ist das ganz frei erfunden?
Ich frage Sie. Der Sprecher der CDU hat hier eine, wie er behauptet hat, strategische Linie der SPD in diesem Kampfe entwickelt. Ich frage Sie: wo haben Sie das her, wie können Sie eine solche Behauptung in dieser Form aufstellen?
Es hat keine sozialdemokratische Ohne-Mich-Bewegung gegeben,
es hat eine Bewegung der Paulskirche gegen die Einführung der Wehrpflicht im geteilten Deutschland gegeben.
Es gibt heute den Kampf gegen den Atomtod,
der im übrigen nicht eine Sache der Sozialdemokratischen Partei ist
— ich weiß, daß Ihre Hochschätzung all derer, die nicht zu Ihrer Partei gehören, nicht sehr groß ist oder nur so lange anhält, wie sie bei Ihnen stehen —, sondern an dieser Bewegung sind breite Schichten unseres Volkes beteiligt — sonst würde Sie das Ganze auch nicht so erregen —, die nicht zur Sozialdemokratischen Partei, ja noch nicht einmal zu ihren Wählern gehören. Es geht hier um eine Bewegung, von der wir meinen, daß sie notwendig ist, um die Atombewaffnung der Bundesrepublik zu verhindern, und zwar durch die Zusammenarbeit von Menschen beider Bekenntnisse, verschiedener Parteien, der Gewerkschaften, von Schriftstellern, Wissenschaftlern und anderen, die gemeinsam hier
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1444 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Blausteinin einer Frage, allerdings in einer Frage, von der wir glauben, daß sie entscheidend ist, versuchen, einen Einfluß in der Öffentlichkeit zu gewinnen und die Regierung und die Mehrheit davon abzuhalten, den Weg, den Sie hier im vorigen Monat aufgezeigt haben, zu gehen.Ich hatte eigentlich die Absicht gehabt — ich will es nun tun —, mit einem Dank an die Wissenschaftler zu beginnen, die in Deutschland und anderswo aus dem Wissen um die Entwicklung der neuen Massenvernichtungsmittel, aus ihrem Wissen um die Waffentechnik und ihre Wirkung, das Wort genommen haben, um die Politiker und die Völker zu warnen und ihnen zu sagen, was auf dem Spiele steht. Einer hat es so ausgedrückt:Wenn es gelingt, die Wissenschaftler davon zu überzeugen, daß sie der Menschheit die sie selbst quälenden Gedanken vortragen müssen, dann besteht die Hoffnung, daß diese entsetzlichen Explosionen aufgegeben und die Machthaber unter Druck gesetzt werden. Aber die Wissenschaftler müssen das Wort ergreifen. Nur sie besitzen die Autorität, zu erklären, daß wir nicht länger die Verantwortung für diese Experimente tragen können. Nur sie können es sagen.Dieses Zitat stammt aus einem Brief von Albert Schweitzer, der nun wahrscheinlich auch des Bolschewismus verdächtig sein wird.
— Nein? Dann haben Sie schon etwas dazugelernt.Wir sind dankbar — und das unterscheidet die Atomdebatte dieses Hauses in diesem Jahre von der Atomdebatte, die wir hier im Sommer 1955 geführt haben —,
daß in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit eine ganze Menge geschehen ist, um den Völkern und, wenn Sie wollen, auch den Politikern die Augen für die Konsequenzen des Atomwettrüstens zu öffnen. Ich möchte in meinen Dank auch die Ärzte und die Publizisten einschließen, die in diesen Jahren — —
— Auch die Wissenschaftler, die sie erfunden haben, Herr Kollege, wenn die Dinge für friedliche Zwecke, nämlich zum Nutzen der Menschheit, zur Verwendung kämen.
Ich möchte in meinen Dank auch die Ärzte und Publizisten einschließen, daß sie in alle Versuche in der Bundesrepublik — und die Bundesrepublik ist in guter Gesellschaft ihrer amerikanischen Obermeister und anderer — der Verdunkelung, der Verniedlichung, der Bagatellisierung, das sei wie ein Gewitter und ziehe wieder weg, der Verbreitung von halben Wahrheiten und der ganzen Unwahrheiten durch eine breite Schneise Licht gebracht haben. Das steht im Gegensatz zur Politik der Bundesregierung, die bis zum heutigen Tage in diesem Hause keine wirkliche Planung vorgenommen, keine wirkliche Darlegung dessen gebracht hat, was sie für notwendig hält, sondern sich einfach darauf zurückzieht, uns zu erklären, sie werde, wenn die allgemeine, kontrollierte Abrüstung im Weltmaßstab nicht zustande komme, die Maßnahmen treffen, die die NATO für notwendig hält. Aber eine Darlegung in diesem Hause darüber, was für unser Land notwendig ist, das Weißbuch, das wir im vorigen Monat von der Bundesregierung gefordert haben — ich weise darauf hin, daß sich die englische Regierung selbstverständlich verpflichtet fühlte, dem Parlament und dem englischen Volk Rechenschaft über das ganze Problem und die Einstellung der Regierung dazu zu geben —, haben Sie abgelehnt, weil eine ernsthafte Befassung mit den Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Konsequenzen einer atomaren Bewaffnung von Ihnen vorläufig nicht gewünscht wird und weil die Regierung das weiterhin im Schoße der NATO allein beraten und beschließen will. Dafür hat dieses Haus bereits eine Art Generalvollmacht erteilt.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein — alle wissen es oder könnten es wissen —, daß der Einsatz atomarer Waffen bis zu den Wasserstoffbomben die erklärte Politik der NATO ist. Eine der vielen Erklärungen über diesen Punkt lautet z. B.: Es ist ganz eindeutig, sie werden eingesetzt, wenn man uns angreift.Der Bundeskanzler hat hier in der letzten großen Atomdebatte ein sehr wahres Wort gesprochen: wenn eine Weltkatastrophe käme, würde Deutschland in sie hineingerissen werden, gleichgültig, ob es bewaffnet ist oder ob es nicht bewaffnet ist.
— Meine Damen und Herren, mich wundert, daß Sie nicht schreien. Wenn ein Sozialdemokrat das gesagt hätte, hätte ein fürchterliches Geschrei angehoben. Aber es steht im Stenographischen Bericht.
— Wenn Sie sagen, es ist richtig, möchte ich fragen: Wie steht es dann mit dem Ausspruch des Bundeskanzlers bei der Begründung des Eintritts in die NATO, daß durch den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO Deutschland kein Kriegsschauplatz würde?
— Das ist wirklich schwarze Dialektik, der ich nicht folgen kann.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1445
BlachsteinSie erklären, daß Ihre Ermächtigung zur Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen nur dem Zweck diene, den Atomkrieg zu verhindern.
Alle Rüstungsprogramme in unserer Geschichte, von den Flottenvorlagen vor dem ersten Weltkrieg über die Luftgeschwader vor dem zweiten Weltkrieg bis zur Atombewaffnung heute, sind damit begründet worden, man müsse so stark werden, daß man nicht angegriffen werde, und auf diese Weise werde der Frieden erhalten.
Zweimal ist diese Rüstungstheorie und diese Politik gescheitert und hat uns hart an den Abgrund gebracht. Ja, meine Damen und Herren, leben wir nicht immer noch in einer Katastrophe, trotz des chromglitzernden Wohlstandes in der Bundesrepublik? Empfinden Sie es nicht heute noch als eine nationale Katastrophe, daß Deutschland als Folge dieses zweiten Weltkrieges gespalten ist?
Sie werden sehr unwillig, wenn wir Ihnen sagen, daß nach unserer Überzeugung der dritte Versuch mit der Theorie, so stark zu werden, daß ein Angreifer entmutigt wird, ein Risiko für das geteilte Deutschland in sich schließt, das zu seinem Untergang führen kann. Sie werden unruhig, wenn wir sagen, daß wir darin eine Kriegsgefahr und eine Kriegsmöglichkeit sehen. Wenn Sie die Drohung mit einem Gegenschlag nicht ernst meinen, dann ist sie überflüssig. Sie können zwar uns in diesem Hause bluffen, Sie können auf eine Weile vielleicht das deutsche Volk bluffen, aber die Russen werden Sie nicht bluffen.
Wir sind der Meinung, daß die Atomwaffen und die Wasserstoffbomben keine Waffen mehr, sondern Massenvernichtungsmittel sind, und mir scheint die Feststellung richtig und berechtigt, daß es keinen denkbaren Zweck gibt, der den Einsatz dieser Massenvernichtungsmittel rechtfertigen könnte.
Das stammt nicht von mir; wenn Sie neugierig sind, sage ich Ihnen, woher das stammt.
— Wir sagen es den Russen. Wir reden ja nichtnur nach einer Seite, wir reden nach beiden Seiten.
Gerade weil wir wissen, daß wir es den Russen sagen müssen, daß sie es hören und daß sie darauf eingehen müssen, wenn diese Katastrophe nicht eines Tages über uns kommen soll, meinen wir, daß Ihre Politik so schlecht ist, wie sie in Wirklichkeit ist.
Wir sind der Meinung, daß die Einbeziehung der Bundesrepublik und anderer NATO-Mächte in die Gruppe der Atommächte neben den heute bereits vorhandenen drei großen Atommächten größere Gefahren und größere Risiken in sich schließt, als mögliche Sicherungen darin enthalten sein können. Wir fürchten eine Atomanarchie, die aus dem Atomwettrüsten nach Europa und in die Welt getragen wird.Sie haben vorhin die Zwischenfrage gestellt: Wollen Sie denn gar nichts machen? Wir meinen, daß in dieser Lage, in der mit so verdächtiger Eile NATO-Beschlüsse über die Atomausrüstung nicht nur der Bundesrepublik, sondern aller Staaten, die es wünschen, gefaßt werden, daß in einer Zeit vor einer Gipfelkonferenz und angesichts eines Angebots der russischen Regierung, die Atomwaffenversuche einzustellen, eine solche Politik Möglichkeiten der Entspannung, die vielleicht in diesem Frühjahr gegeben sind, wieder zu zerschlagen droht. Wir fürchten sogar, daß einige Initiatoren dieser Politik, die nicht nur in der Bundesrepublik sitzen, wünschen, daß solche Möglichkeiten, ein Abrüstungsabkommen zu schließen, zerschlagen werden.
Meine Damen und Herren, die einfallslose Politik des Westens von Dulles bis zu Adenauer — wenn Sie wollen, können Sie auch Paul Henri Spaak in diese Reihe stellen;
— ich habe gerade gesagt: wenn Sie wollen, können Sie auch den Generalsekretär der NATO, Paul Henri Spaak, in diese Reihe stellen —
ist eine Politik des Westens, die auf eigene Initiativen verzichtet, die die Politik den Russen überläßt und sich darauf beschränkt, mit Drohungen und mit Fortsetzung der Rüstung zu antworten.
Es ist eine tiefbedauerliche Situation, daß der Westen sich in eine solche Passivität hat drängen lassen, während die russische Politik in vielen Fragen Fortschritte gemacht hat. Wir bedauern, daß auch von der Bundesrepublik aus zu dem sehr bescheidenen Teil, zu dem wir auf die Dinge einwirken könnten, nichts geschieht in Richtung auf Abrüstungsverhandlungen, auf ein Eingehen auf den Rapacki-Plan und den Versuch, zu einer Abmachung über die Einstellung der Versuchsexplosionen und zu einer allgemeinen Abrüstung zu kommen. Aber wenn man etwa von der Konzeption des Herrn Dr. Jaeger ausgeht, daß die Endauseinandersetzung zwischen den USA und Rußland auf jeden Fall komme — —
— Nun, ich gratuliere Herrn Dr. Jaeger zu derÜbereinstimmung mit einer alten leninistischenThese, die besagt, daß die Auseinandersetzung zwi-
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1446 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Blachsteinschen Kommunismus und Imperialismus unvermeidlich sei. Ein solcher Fatalismus, der davon ausgeht, daß der große Atomkrieg unvermeidlich sei, ist allerdings ein katastrophaler Ratgeber in der Lage, in der sich unser Volk befindet.
— Ich habe es im Protokoll gelesen, Herr Dr. Jaeger.
Wir wünschten, daß bei der Frage der Atombewaffnung der Bundeswehr mehr Rücksicht genommen würde auf die besondere Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, auf die besonderen Probleme unseres Volkes und unseres Landes als eines gespaltenen Volkes und eines geteilten Landes.Der Herr Bundesverteidigungsminister hat heute u. a. darüber gesprochen, wie man sich das vorstelle, daß die Bundesrepublik die Atombewaffnung in der NATO etwa nicht mitmachen würde, ob das nicht ein Bruch der Loyalität gegenüber der NATO und ihrem Geist sei, selbst wenn es vertraglich möglich wäre. Ich habe ihn daraufhin gefragt, wie es denn mit der Loyalität der NATO-Mächte gegenüber den Bedürfnissen und Notwendigkeiten des gespaltenen Deutschlands sei, die die NATO-Mächte angeblich auch zu ihren eigenen gemacht hätten. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat diese Frage bisher nicht beantwortet; ich nehme an, daß er das noch tun wird. Ich bin der Meinung, daß die Politik der Bundesregierung mit Rücksicht auf die besondere Lage unseres Landes und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Sicherung die Möglichkeiten der Wiedervereinigung nicht noch mehr verbauen darf, als es durch eine falsche Rüstungspolitik in den letzten Jahren schon geschehen ist. Berücksichtigen Sie, wenn für die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen eines Ihrer Hauptargumente ist, die Bundesrepublik leiste damit ihren Beitrag zur gesamten atlantischen Verteidigung, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr zwangsläufig zu einer Umrüstung von Staaten wie Polen, Tschechoslowakei und DDR führen wird!Welche Vorteile ergeben sich eigentlich aus diesem Aufmarsch mit Atomwaffen in Mitteleuropa auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs? Welches Mehr an Sicherheit, das ja nach Ihren Worten das Ziel Ihrer Politik ist, erreichen Sie dadurch, daß Sie mitten in Europa ein Arsenal von Atomwaffen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs schaffen? Wir meinen, daß der Krisenherd Mitteleuropa durch eine solche Politik nur noch gefährlicher wird, als er es heute schon ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Begründung unseres Gesetzes zur Durchführung einer Volksbefragung noch einige andere Gesichtspunkte nennen, Gesichtspunkte, die mir wesentlicherscheinen — mein Freund Walter Menzel hat sie schon gestreift —, die den einzelnen und seine Existenz betreffen. Ich meine die Strahlungsfolgen, die Erbschäden und andere gesundheitliche Schädigungen, die heute schon beim bisherigen Umfang der Atomwaffenversuche in der Welt — damit Sie mir nicht wieder zurufen: „Sagen Sie es den Russen!": ich sage es den Russen, den Amerikanern und den Engländern, die bisher solche Versuche gemacht haben, allen zusammen — zu einer ernsten Bedrohung der Gesundheit der ganzen lebenden Menschheit geworden sind.
— Ich habe es nicht behauptet. Ich habe nicht behauptet, daß wir, die Bundesrepublik, daran teilhätten. — Wir glauben, daß diese Dinge so weit in das Leben des einzelnen hineingehen, ja, daß die Strahlungsschäden eine solche Wirkung haben, daß sie an die Verfluchungen aus der Bibel erinnern, bis in ferne Geschlechter hineinwirken, nicht mehr als eine biblische Geschichte, sondern als eine wissenschaftlich erwiesene Folgewirkung bestimmter Stoffe, die bei diesen Explosionen, Versuchen — um wieviel mehr noch bei solchen Explosionen im Ernstfall —, die Menschheit bedrohen.Lassen Sie mich ein kurzes Zitat von Professor Holthusen über die Folgen der Versuche hier vortragen. Er sagt:Immer gab es durch Umweltstrahlungen bedingte spontane Mutationen, ausgesprochene Mißbildungen, krankhafte Entartungen. Die mit der Auslösung von Mutationen eintretende potentielle Schädigung geht auf die Nachkommen über. Die genetische Strahlenschädigung und die durch sie bedingte Strahlengefährdung sind überindividuell. Nicht das Individuum, also nicht die heute Lebenden selbst, erleiden diese Schädigung, sondern die Nachkommenschaft ist damit belastet.Und in ähnlicher Weise der amerikanische Nobelpreisträger Muller:Durch die Strahlenbelastung aus den Atomwaffenversuchen werden bei den Kindern der jetzt lebenden Amerikaner Erbschäden auftreten, und zwar sind 80 000 erbgeschädigte Kinder für die jetzt lebenden 150 Millionen Amerikaner als Folge der bisherigen Atomwaffenversuche zu erwarten.Ein medizinischer Kongreß in Nagasaki, einer der beiden unglücklichen japanischen Städte, die die Explosion einer Atombombe erlebt haben, stellte im November 1957 fest, daß von 7000 Überlebenden 10 % der stärker Strahlengeschädigten geisteskrank waren. Unter den leichter Strahlengeschädigten betrug die Zahl der Geisteskranken 6 %.Ich will nicht weitere Einzelheiten hier ausbreiten. Aber wenn Sie von der Furcht sprechen, die die Völker erfaßt hat, so sollten Sie doch, statt von „Panikmache" zu reden, Verständnis dafür haben, daß diese Dinge, die sich ja schon ein-
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Blachsteinmal ereignet haben, und zwar in unserem „goldenen Westen" ereignet haben, die Völker mit Rechtund mit Notwendigkeit auf das tiefste beunruhigen.Aber zu den Kriegsvorbereitungen auch im Westen gehören Überlegungen über die Zivilbevölkerung, die ebenso alarmierend sind wie die durch Strahlungsschäden und andere Folgen von Atomexplosionen.Man hat hier schon von den merkwürdigen Spielen gesprochen — die angeblich keine offiziellen und keine amtlichen waren, die da in der „Wehrkunde" geschildert wurden — mit den 15 Millionen Flüchtlingen und was mit ihnen geschehen soll, nicht zu vergessen, daß sie gut bewacht werden, damit alles in Ordnung verläuft. Der Stabschef der alliierten Streitkräfte in Europa, General Shuyler, hat vor einiger Zeit erklärt, in einem künftigen Kriege müsse mit einer zeitigen Massenflucht der Zivilbevölkerung gerechnet werden. Was antwortet der Stabschef der alliierten Streitkräfte?In einem solchen Fall helfen nur Radikalmaßnahmen: die Zernierung aller großen Städte durch Verbarrikadierung ihrer Ausgänge, Herunterkämmen aller zivilen Verkehrsteilnehmer von der Landstraße mit Hilfe von Spezialpanzern und Gewaltanwendung beim Durchstoßen von Autoknäueln.
Es ist eine grauenhafte Perspektive, die hier von ernstzunehmenden Militärs in aller Offenheit vor der Bevölkerung entwickelt wird, und ich glaube, es kann nur eine Konsequenz aus diesen Tatsachen geben: den Entschluß, die Atomwaffen von unserem Lande fernzuhalten und jede Anstrengung zu machen, um diese Waffen zu begrenzen, zu kontrollieren und möglichst aus der Welt zu schaffen.
— Auch bei den Russen; damit sie Ihren interessanten Zuruf nicht wieder für notwendig halten.
Meine Damen und Herren, wir haben hier im Sommer 1955 über das Manöver „Carte Blanche" gesprochen. Inzwischen haben eine Reihe von anderen Manövern mit Atomwaffen stattgefunden. Bei diesem Kriegsspiel gab es 335 Atomtreffer auf die Bundesrepublik. Nach ernst zu nehmenden und von den Ministerien nicht bestrittenen Schätzungen hat man bei einem solchen Angriff auf die Flugzentren in der Bundesrepublik zur Niederschlagung eines Gegenschlags, wie er vom Feind für möglich gehalten worden wäre, als Folge dieser 335 ganz kleinen Atombomben — nämlich so klein wie die von Hiroshima und Nagasaki — mit 1,7 Millionen Toten und 3,5 Millionen Verwundeten gerechnet.Meine Damen und Herren, wenn man das hier sagt, so sind das wahrscheinlich „Versuche der Panikmache". Nein! Wir setzen nicht auf die Karte der Panik, weder hier noch draußen. Denn eine Partei, die das versuchte, hätte das Zutrauen verloren, das Volk für eine vernünftige Politik zu gewinnen.
Das einzige Volk, das bisher in seinem Lande Atomexplosionen erlitten hat, das japanische Volk, hat Konsequenzen aus dem grauenhaften Erlebnis der Zerstörung zweier Städte und ihrer Menschen gezogen. Die konservative japanische Regierung widersetzt sich der Atombewaffnung und den Atomversuchen, und das japanische Volk hat zu Millionen und aber Millionen einen Protest unterschrieben gegen die Fortsetzung der Atomrüstungen in der Welt und die Bedrohung Japans durch Atomwaffen. Es ist selten, daß Völker von anderen Völkern lernen. Aber, meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß wir noch nicht einmal aus den eigenen geschichtlichen Erfahrungen lernen. Denn wenn wir auch zu unserm Glück in diesem furchtbaren zweiten Weltkrieg nicht noch Atombomben auf Deutschland erlebt haben, so müßte das, was wir hier erlebt haben, eigentlich reichen, um gewarnt zu sein, diesen Weg des Wettrüstens und des Atomwettrüstens weiterzugehen.
Meine Damen und Herren! Wir sind der Meinung, daß die Volksbefragung legal und legitim ist. Aber auf diese Rechtsfrage werden meine juristischen Freunde antworten. Wir sind der Meinung, daß die Volksbefragung ein sinnvolles Mittel ist, um zu erfahren, wie das deutsche Volk zu der von Ihnen eingeleiteten Politik steht, und wir halten sie für politisch notwendig, weil das Unglück, das, wie wir fürchten, durch diese Politik eingeleitet wird, so groß ist, daß die Wege gefunden werden müssen, damit das Volk seine Stimme abgeben kann, um diese Politik noch zu verhindern, solange es Zeit ist.
Es gibt nicht nur das Recht zum Protest, sondern wir meinen, es gibt gegen eine solche Bedrohung der Existenz eines Volkes und eines Staates auch die Pflicht zum Protest.
Wir fürchten, daß, je kompletter, je effektiver und je stärker die Bundeswehr mit Atomwaffen und Atomraketen ausgerüstet wird, nach den Erfahrungen in unserem Lande die Freiheit geringer, die Aggressivität der Politik unserer Regierung und der Mehrheit dieses Hauses wachsen wird und wir damit der Kriegsgefahr in der Welt näherkommen, statt zu ihrer Beseitigung beizutragen.Herr Innenminister Dr. Schröder hat vorhin warnend zu den Sozialdemokraten gesagt: Sie kennen den Anfang dieses Weges; er würde zu einer Radikalisierung führen, die auch Sie nicht wünschen können und deren Ende Sie nicht kennen. Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Wort ist in vollem Umfang richtig; nur ist es zu richten an die Adresse derjenigen in diesem Hause und in der Bundesregierung, die heute eine Vollmacht zur
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1448 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
BlachsteinAusrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen fordern oder sie bereits erteilt haben.
Es geht hier um einen Anfang, das Ende kennen Sie nicht. Aber wir fürchten, das Ende würde nicht nur das gleiche wie bei dem Rüstungswahnsinn vor dem ersten und dem zweiten Weltkrieg sein, es würde viel schlimmer sein und zur Vernichtung unserer staatlichen und volklichen Existenz führen.Wir möchten aus diesen Gründen, die ich Ihnen darzulegen versucht habe, jeden einzelnen jungen und älteren deutschen Mann und jede Frau zur Mitverantwortung aufrufen, nicht um die Demokratie zu unterwandern, sondern um sie mit Leben zu erfüllen, mit dem Leben, das die Menschen behalten wollen und für das sie sich einsetzen wollen. Vielleicht hat unser Volk aus den letzten Jahrzehnten unserer Geschichte eines gelernt: daß man nicht warten darf, bis es zu spät ist, sondern daß man sich gegen eine falsche und unheilvolle Politik wehren muß, solange es Zeit ist. Wir werden diesen Kampf mit allen gesetzlichen Mitteln führen, die uns zur Verfügung stehen. Wir werden diesen Kampf führen, weil wir meinen, daß er sinnvoll und notwendig ist. Sorgen Sie dafür, daß diese Auseinandersetzung hier und in unserm Volk nicht mit der Feststellung begleitet werden muß, daß, als Adenauer die Atomwaffen in der Bundeswehr einführte, dem Volk der Maulkorb umgehängt wurde.
Hüten wir uns vor diesem lebensgefährlichen Experiment!
Stimmen Sie der Volksbefragung zu! Lassen Sie das Volk sprechen!
Damit komme ich zu dem heutigen Thema; ich glaube, wir wollen nicht die Atomdebatte von neulich nachholen, wie es mir bei den Ausführungen des Herrn Kollegen Blachstein mindestens zeitweise erschien. Es geht hier um die Frage, ob wir den Gesetzentwurf über die Volksbefragung annehmen sollen oder nicht annehmen sollen, ob wir ihn, weil er verfassungswidrig ist und weil wir ihn für politisch höchst bedenklich halten, hier in diesem Hause ablehnen werden, nachdem der Rechtsausschuß die Gründe genau geprüft hat, die für die Verfassungsmäßigkeit und ,die gegen die Verfassungsmäßigkeit sprechen.Es mag im allgemeinen in den Verfassungen der Demokratien ein Grundsatz gelten, daß das, was nicht verboten ist, erlaubt ist. Aber gerade die Sozialdemokratie hat im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den EVG-Vertrag diesen Gedanken durchaus nicht vertreten. Was hier die unmittelbare, die plebiszitäre Demokratie betrifft, so hat sie unzweifelhaft der Parlamentarische Rat bewußt nicht gewollt. Das geht nicht zuletzt aus den Worten hervor, die der Herr Kollege Professor Carlo Schmid in seiner Eigenschaft als Berichterstatter im Parlamentarischen Rat gesprochen hat. Die unmittelbare Demokratie, der Volksentscheid und ebenso das Volksbegehren, ist beschränkt auf die Fragen der Neugliederung. Man wollte nach Möglichkeit das Volk nur in den Wahlen zum Bundestag entscheiden lassen und hat deshalb die unmittelbare Demokratie, die die Weimarer Republik kannte, aus dem Grundgesetz eliminiert, auch in der Wahl des Staatsoberhauptes; denn der Bundespräsident wird im Gegensatz zum Reichspräsidenten nicht durch das Volk gewählt. Lassen Sie mich statt vielen einen der bekanntesten Staatsrechtslehrer, den Münchener Professor Maunz zitieren. Er sagt in seinem „Deutschen Staatsrecht", daß man sich bei uns „in betontem Ausmaß für die Staatsform der repräsentativen Demokratie entschieden" hat, in einem betonten, das andere geradezu ausschließenden Ausmaß.Niemand anders als Paul Sethe — also ein Mann, der uns gar nicht nahesteht — hat unbefangen, nämlich am 19. Januar 1957, in einem Artikel sehr richtig ausgedrückt:Als man das parlamentarische System schuf, ging man von dem Gedanken aus, daß mehrere hundert fähiger und erfahrener Leute das Vertrauen des Volkes genössen, daß sie einige Jahre nach ihren Vorstellungen und ihrem Gewissen Politik machten und dann vor die Nation träten, um von neuem ihr Vertrauen zu erbitten.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1449
Dr. JaegerAnschließend beklagt Sethe, daß man allzu sehr auf Volksbefragungen — in diesem Falle meint er nicht-amtliche Institute — schielt.Meine Damen und Herren, anders können Sie die Demokratie, zumal im Massenzeitalter und in größeren Räumen, auch gar nicht aufbauen. Sie müssen sie darauf aufbauen, daß Männer und Frauen für eine bestimmte Zeit mit der Vollmacht der Entscheidung für das Volk beauftragt werden. Sie können es gar nicht anders, weil sonst Demokratie etwa auf der Prophetie gegründet sein müßte. Man müßte schon am Tage der Wahl wissen, welche Probleme in den nächsten vier Jahren kommen. Nein, diejenigen, die gewählt sind, sind legitimiert für die Lösung aller Probleme, die in diesen vier Jahren anstehen.
In einem neuen Artikel, der im „Sonntagsblatt" vom kommenden Sonntag, dem 27. April, veröffentlicht ist, hat der bekannte evangelische Theologieprofessor Dr. Thielicke zu diesen Fragen aus seiner christlichen Verantwortung heraus Stellung genommen und gesagt, ein Abgeordneter, der immer und bei jeder Frage auf das zu schielen hätte, was die Volksmeinung oder Volksstimmung sei, sei nicht ein Delegierter, sondern nur ein Funktionär. Er sagt dann wörtlich:Mir hat noch niemand klarmachen können, wie jemand seinem Gewissen gehorchen soll, wenn dieses Gewissen unter allen Umständen nur populär reagieren darf.
Solange die oft im Emotionalen begründete Massenmeinung nicht eo ipso auch die richtige und politisch beste ist, wird es also unpopuläre Entscheidungen geben müssen.Meine Damen und Herren, unpopuläre Entscheidungen hat die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union in diesem Hause in drei Wahlperioden oft gefällt. Am Ende ist sie allemal vom Volke bestätigt worden.
Lassen Sie mich aber auch noch einen praktischen Gesichtspunkt hinzufügen. Wo kämen wir hin, wenn wir die Volksbefragung allgemein einführen wollten! Das Volk kann doch nicht jeden Tag zusammentreten und seine Beschlüsse widerrufen, wenn die außenpolitische Lage das erfordert. Sie würden ja unsere Außenpolitik auf diese Weise in einem Ausmaß unbeweglich machen, wie Sie es bei Ihrer sonstigen Propaganda zur Außenpolitik bei uns geißeln.
Im übrigen ist es interessant, daß der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten nicht nur, wie mein Freund Dr. Barzel sehr eingehend ausgeführt hat, heute verfassungswidrig nach unserem Grundgesetz ist, sondern daß er sogar nach der Verfassung der Weimarer Republik verfassungswidrig gewesen wäre; denn dort wurden der Volksgesetzgebung nur Gesetzentwürfe unterstellt, .aber nicht Fragen allgemeiner Art in der Innen- und Außenpolitik.Man sagt uns nun allerdings den Satz: Das ist ja gar kein Volksentscheid, sondern nur eine Volksbefragung, d. h. sie ist nicht konstitutiv, sondern nur konsultativ. Darin, meine Damen und Herren, kann man doch nichts anderes sehen als eine Umgehung der Verfassung. Ein bekannter Schweizer Staatsrechtler, der Professor Giacometti aus Zürich, hat in der Auseinandersetzung über die Bedeutung der Volksgesetzgebung in der Schweizer Eidgenossenschaft, also in einem Land, das die Volksgesetzgebung in Bund und Kantonen kennt, in der Schweizer Juristenzeitung Heft 20 vom 15. Oktober 1956 ausgeführt:Gleich der verbindlichen kann jedoch die unverbindliche Volksabstimmung meines Erachtens nur in den von der Verfassung ausdrücklich vorgesehenen Fällen rechtlich zulässig sein. ... Das Volk vermag daher seinen Willen nur auf Grund der Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten zu äußern.Wenn schon in einem Land, das Volksbegehren und Volksentscheid als eine verbindliche Institution des demokratischen Lebens kennt, die unverbindliche Volksbefragung nicht möglich ist, wie soll sie dann bei uns möglich sein, die wir die Volksgesetzgebung überhaupt nicht kennen!
Er gebraucht auch das Wort, das ich vorhin gesagt habe, indem er wörtlich schreibt:Die Anordnung einer solchen angeblich informatorischen Volksabstimmung käme offensichtlich auf eine Umgehung des sich aus der Verfassung ergebenden Verbots der Veranstaltung von verbindlichen Volksabstimmungen, die verfassungsrechtlich nicht vorgesehen sind, hinaus. Auch in diesem Fall würde eine Abwälzung der behördlichen Verantwortung, die mit der der Volksabstimmung unterbreiteten Materie verbunden ist, auf das Volk erfolgen. Die Behörden haben jedoch die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzen in eigener ausschließlicher Verantwortung auszuüben. Die mit einer Organzuständigkeit verbundene Verantwortlichkeit kann, wie schon bemerkt, nicht ohne Verfassungsbruch davon getrennt werden.Wenn das schon von den Behörden der Schweiz gilt, dann erst recht vom Bundestag der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland.
Nein, meine Damen und Herren, mit dieser Volksbefragung öffnen Sie der plebiszitären Demokratie die Hintertür, da der Haupteingang durch die Verfassung eindeutig verschlossen ist. Dazu bieten wir nicht unsere Hand.Im übrigen, meine Damen und Herren, auch wenn wir der Meinung sind, es sei verfassungswidrig — und das ist es —, wollen wir uns gar nicht darauf allein beschränken.
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1450 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. JaegerMit Unrecht hat Herr Dr. Menzel heute in seinerBegründung gesagt, uns sei bei diesem Gesetz politisch so unwohl, daß wir uns hinausredeten auf die angebliche — ich sage: auf die wirkliche — Verfassungswidrigkeit. Nein, meine Damen und Herren! Ich gestehe Ihnen für meine Person und für meine politischen Freunde ganz offen: Wir wollen diesen Gesetzentwurf nicht. Wir würden ihn auch dann nicht wollen, wenn wir ihn verfassungsmäßig vielleicht gerade noch für zulässig hielten.
Wir haben nämlich gewichtige verfassungspolitische Gründe, da er ohne jeden Zweifel — und das müßten auch diejenigen einsehen, die bei Ihnen eine juristisch andere Meinung vertreten — gegen den Geist der Verfassung und den Willen des Verfassungsgesetzgebers verstößt.Herr Kollege Dr. Barzel hat in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß es eine Volksbefragung als ein unverbindliches Institut im deutschen Recht erstmals im sogenannten Dritten Reich gegeben hat. Herr Kollege Blachstein hat dagegen protestiert, nicht indem er diese Tatsache bestritten hat, sondern indem er gesagt hat, daß die Nebeneinanderstellung nationalsozialistischer Gedankengänge und politischer Forderungen der Sozialdemokratie für die Sozialdemokratie eine Beleidigung sei.Meine Damen und Herren, daß die Sozialdemokratie im offenen Widerstand zum „Dritten Reich" gestanden ist, bestreitet niemand. Aber Sie können auch nicht bestreiten, daß es genug evangelische und katholische Männer und Frauen gegeben hat, die heute ihre politische Heimat in der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union gefunden haben, die genauso erbitterte Gegner des Nationalsozialismus waren, allen voran der Präsident dieses Hohen Hauses.
— Wenn Sie das nicht bestreiten, dann hätten Sie in der Atomdebatte gut daran getan, die Erinnerung an Goebbels und die Sportpalastversammlung im Zusammenhang mit unserer Außenpolitik auch zu unterlassen.
Sie haben damals leider eine psychologische Drachensaat gesät, die nun allerdings auch aufgeht und nun auch einmal auf Sie zurückschlägt.
Ich wäre bereit, Ihnen den Vorschlag zu machen, daß man wechselseitig auf solche Reminiszenzen verzichtet, weil sie vielleicht im demokratischen Staat nicht allzu erfreulich sind und weil sich der eine oder andere — aber auf beiden Seiten und in gleicher Weise — dadurch beleidigt fühlen könnte.Meine Damen und Herren, der Antrag, den Sie einbringen, braucht gar nicht historisch widerlegt zu werden. Er kann mit der Feststellung widerlegtwerden, daß er praktisch unsere Verfassung aus den Angeln hebt. Denn in unserer Verfassung sind der Weg der Gesetzgebung, der Weg der Wahlen und der Weg der politischen Willensbildung eindeutig festgelegt. Und diese Wege können nicht umgangen werden.Ich will Ihnen das einmal an einem sehr einfachen Beispiel zeigen. In unserer Verfassung steht, daß der Bundespräsident von der Bundesversammlung in geheimer Wahl gewählt wird. Wenn wir in etwa zwei Jahren vor der Aufgabe stehen, einen neuen Bundespräsidenten zu wählen, weil nach unserer Verfassung der jetzige Bundespräsident nicht ein drittes Mal wiedergewählt werden kann, — was würden Sie sagen, wenn dann die Sozialdemokraten eine Volksbefragung veranstalteten, etwa über die Frage: Wollen Sie, daß der Genosse Ollenhauer zum Bundespräsidenten gewählt wird?
— Das ist Unsinn, jawohl! Und genauso ein Unsinn ist Ihr Gesetzentwurf jetzt!
— Ach, über Demagogie, verehrter Herr Kollege Metzger, wollen wir uns auf Grund dieses Ihres Antrages noch einmal in einem späteren Stadium meiner Ausführungen unterhalten!Die Umgehung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit und die Ausübung eines psychologischen Drucks auf das Organ, das allein berufen ist — die Bundesversammlung bei der Wahl des Bundespräsidenten, den Bundestag bei der Entscheidung über die Ausrüstung der Bundeswehr —, sind verfassungswidrig, verstoßen aber zu allermindest gegen den Geist unserer Verfassung.
Herr Kollege Carlo Schmid hat Herrn Kollegen Rasner in der Geschäftsordnungsdebatte am letzten Freitag, als dieser sagte, eine Volksbefragung solle ja wohl nicht rechtlich verbindlich sein, zugerufen, sie sei aber moralisch verbindlich. Er hat es dann allerdings — Herr Kollege Schmidt spricht ja immer so gern vom korrigierten Protokoll! — im Protokoll mit Recht dahingehend korrigiert, daß er gesagt hat, sie sei nur moralisch bedeutsam, aber nicht verbindlich. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Aber, meine Damen und Herren, die moralische Bedeutung dieser Sache würde doch auf dieses Parlament, ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt, jedenfalls einen sehr erheblichen Druck ausüben.Im übrigen bin auch ich der Meinung, daß man das Volk nicht unverbindlich befragen kann und daß das Volk als die schließlich letzte Instanz unseres Staatslebens, wenn sie gefragt wird, nur in der Form eines Entscheids gefragt werden sollte. Wir aber wollen uns vor allem dagegen wehren, daß unser Parlament unter einen Druck gesetzt wird, einen Druck, den wir unter allen Umständen vermeiden wollen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1451
Dr. JaegerProfessor Thielicke sagt in seinem Artikel eindeutig:Beraubt man ein Parlament der Möglichkeit, unpopuläre Maßnahmen zu treffen, indem man den Populus von Fall zu Fall dagegen mobil macht, so erniedrigt man die Demokratie zur Farce, untergräbt das Ansehen des Parlaments, raubt dem Abgeordneten die ethischen Grundlagen seines Mandats und bläst dem sowieso fast erloschenen Staatsbewußtsein unseres Volkes den Rest seiner Flamme aus.Dieses Wort des bekannten evangelischen Theologie-Professors dürfte bei vielen Ihrer Freunde einen besonderen Widerhall finden, da Sie sich ja sonst so gern mit Recht auf Äußerungen bedeutender evangelischer Theologen berufen.
— Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Dr. Thielicke in Ihrer nächsten Rede zitieren werden, Herr Kollege Metzger! Diesen Weg, das Parlament unter Druck zu setzen und die Bundestagswahlen nachträglich zu korrigieren, gehen wir nicht.Im übrigen darf ich mir erlauben, hier einmal auf eine Rundfunkrede des Professors Eschenburg hinzuweisen, eines Mannes, der bestimmt nicht in unseren Reihen steht, eines Mannes, der in derselben Rede unsere Fraktion in sehr harter und, wie ich meine, nicht zutreffender, zumindest aber in sehr übertriebener Weise kritisiert hat. Dieser Mann, von dem Sie nicht sagen können, daß er unser Parteigänger sei, hat in jener Rundfunkrede eindeutig erklärt:Wenn die SPD jetzt die Veranstaltung einer amtlichen Volksbefragung über die atomare Rüstung der Bundeswehr beantragt, so versucht sie dadurch, die unter ihrer Mitwirkung eingebauten Schranken der Betätigung des Volkswillens zu umgehen.Er führt aus, daß damit praktisch die Verfassung aus den Angeln gehoben werde.— Das kommt also immerhin von einer Seite, die sich nicht aus politischer Sorge oder Angst, wie Herr Dr. Menzel es meint, auf die Verfassungswidrigkeit beruft. Ja, es kommt von einem Mann, der sogar formal Ihr Vorgehen für verfassungsmäßig hält, aber schwerste verfassungspolitische Sorge hat. Er sagt noch weiter:Wer das Volk auf diese Weise befragt, will gar nicht eine Information, wie sie die Meinungsforschungsinstitute besorgen, sondern trachtet nach einer wirksamen Entscheidung des Volkes. Das aber will das Grundgesetz gerade nicht.Meine Damen und Herren, wenn Sie der Meinung sind, daß Volksbefragungen verfassungsmäßig sind, dann könnten Sie es uns nicht übelnehmen, wenn wir bei nächster Gelegenheit in einer anderen Frage das Volk befragen, was es meint. Es ist heute schon gesagt worden, daß wir dann natürlich das Recht haben, auch zu fragen, ob das Volk die Wiedereinführung der Todesstrafe bei Mord will oder nicht. Sie können nicht antworten, die Todesstrafe und ihre Wiedereinführung sei etwas ganz anderes als die Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Natürlich sind das ganz verschiedene Angelegenheiten, das wird niemand bestreiten. Aber die Frage, ob es eine Volksbefragung gibt, ist genau die gleiche Angelegenheit bei der Atombewaffnung wie bei der Todesstrafe.
In dem Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Todesstrafe hat Herr Kollege Professor Carlo Schmid am 27. März 1950 vor dem ersten Deutschen Bundestag gesagt:Wenn man über die Frage, ob die Todesstrafe abgeschafft werden solle oder nicht, ein Piebiszit veranstaltet hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit, daß die Mehrheit unseres Volkes sich für ihre Beibehaltung entschieden hätte, sehr groß gewesen.Trotzdem war er dagegen, wie er meinte, aus seinem besseren Gewissen. — Er sagte des weiteren:Wenn man Gesetze gibt, sollte man versuchen, sich vom Primitiven zu entfernen. Jedenfalls sollte man zumindest nicht ausgesprochenermaßen danach streben, Primitivität zu aktualisieren.
— Ja, er hat den aufgeklärten Absolutismus des Parlaments bei der Todesstrafe verlangt, bei der Atomrüstung nach seiner Rede neulich offenbar nicht. Wieder zweierlei Recht in derselben Angelegenheit! Nein, meine Damen und Herren, Primitivität kultivieren werden alle die Redner, die für Ihre Volksbefragung draußen durch das Land ziehen; den Vorgeschmack haben wir bereits bekommen.
Wenn Professor Schmid meint, daß bei der Frage der Todesstrafe das Volk bereits überfordert sei, dann ist das Volk durch die Fragestellung heute doppelt überfordert. Wenn Professor Schmid glaubt, daß man nicht — und damit hat er sogar recht — aus der Erregung über einen besonders abscheulichen Mord im Augenblick eine solche Entscheidung durch das Volk treffen lassen darf, dann darf man sie auch nicht auf Grund einer augenblicklichen Erregung treffen, die ja jetzt noch viel größer ist, da es um den angeblich bevorstehenden eigenen Atemtod gehen soll.Nein, meine Damen und Herren, hier wird dem einzelnen zuviel zugemutet. Es wird ihm mit dem Gesetzentwurf der Sozialdemokratie zugemutet, komplizierteste ethische, außenpolitische, strategische und technisch-physikalische Probleme durch simple Formulierungen in ganz vereinfachender Weise zu beantworten. Das ist unmöglich. Die Fragestellung der deutschen Sozialdemokratie öffnet draußen im Lande und öffnet für die Zukunft unseres Staates der Demagogie Tür und Tor.1452 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958Dr. JaegerSie riefen Demagogie, meine Damen und Herren; ich darf das hier feststellen.Im übrigen: was würden Sie eigentlich sagen, wenn wir uns Ihren Standpunkt zu eigen machten, das sei verfassungsmäßig zulässig, wenn wir unsere verfassungspolitischen Bedenken zurückstellten und wenn wir die Fragen einmal variierten, wenn wir fragten: Wollen Sie, deutsche Wählerinnen und Wähler, daß unsere Soldaten nur mit Waffen ausgerüstet werden, mit denen sie weder sich selbst schützen noch unser Land verteidigen können? Oder sollten wir die Frage stellen: Wollen Sie, daß die Bundesrepublik zum Aufmarschgebiet der Roten Armee wird? Oder sollten wir die Frage stellen: Wollen Sie, daß die Bundesrepublik der sogenannten DDR angeschlossen wird? Wollen Sie, daß die demokratischen Freiheitsrechte abgeschafft, wollen Sie, daß wie in der DDR Lebensmittelkarten wieder eingeführt werden? Das wären die Fragen, die dem entsprechen würden, was Sie gefragt haben.
Mit solchen Fragen, wie Sie sie stellen und wie ich sie gerade entworfen habe, können wir alle acht Tage zur Wahl gehen und wechselseitig für jede Seite die Mehrheit herausholen, die wir gerade wünschen.
Wir -warnen vor diesem Weg, denn mit diesem Weg der Volksbefragung mit solch simplen Fragen wird die Demokratie zur Demagogie und am Ende zur Anarchie, wo dann wieder der Ruf nach dem starken Mann ertönt. Man spielt nicht mit dem Volk, man spielt nicht mit den Leidenschaften des Volkes und man appelliert nicht an das Gewissen, wenn man bloß an das dumpfe Gefühl appellieren will!. Hier hat unser Bundespräsident als Abgeordneter des Parlamentarischen Rats jenes Wort gesagt, das man nicht oft genug wiederholen kann: daß diese Volksgesetzgebung die Prämie für jeden Demagogen ist; und wenn es beim Volksentscheid der Fall ist, ist es bei der Volksbefragung genauso, denn der Abstimmungskampf ist in beiden Fällen genau der gleiche.
— Nein, wir appellieren gar nicht an das Volk, wir begnügen uns mit der Wahl alle vier Jahre; es wäre gut, wenn auch Sie sich damit begnügten.Es ist in diesem Zusammenhang durch meinen Vorredner wieder auf die „einzigartige Frage" der atomaren Bewaffnung hingewiesen worden. Ich habe schon gesagt, daß ich nicht die Absicht habe, die Atomdebatte zu wiederholen. Idh habe aber die Absicht, zu sagen, was wir in Zusammenhang damit denken, indem ich wieder den ausgezeichneten Artikel von Professor Thielicke zitiere. Er schreibt:Es geht bei diesem Problem — der Volksbefragung —überhaupt nicht um die Frage, ob man füroder gegen die atomare Bewaffnung derBundeswehr ist. Es geht so wenig um sie,daß -ich meine eigene Stellung zu dieser Frage überhaupt nicht einmal zu bekennen brauche. Sondern es geht nur und ausschließlich um die andere Frage, ob wir die staatliche Lebensform, die unser institutionelles Bekenntnis gegenüber der östlichen Diktatur ist, glaubwürdig erhalten oder ob wir sie zum Gespött machen wollen. Lassen wir sie zum Gespött werden, so haben wir mit oder ohne Atomwaffen vor dem Osten kapituliert.
Er fährt fort:
Hinter der Geräuschkulisse des östlichen Beifalls, der unseren Appell an die Volksemotion und die Mobilmachung der Straße unüberhörbar umgibt,— „Mobilmachung der Straße" schreibt hier der Professor der Theologieverbirgt sich als Haupttenor vielleicht nicht einmal die Angst, wir möchten uns atomar aufrüsten, sondern die Hoffnung, wir möchten den Katalog unserer ethisch-politischen Werte zur Makulatur machen. Dann hätten die Ideologen von drüben nämlich so oder so gewonnen.Das ist etwas, was Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sich einmal überlegen sollten!Im übrigen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sind wir in den Regierungsparteien die letzten, die die Stimme des Volkes nicht hören wollen. Wir haben den Appell, den legitimen und verfassungsmäßigen Appell, an die Meinung unseres Volkes dreimal, in drei Wahlen, bestanden. Damit ist dieses Haus legitimiert, auch die Frage der Atombewaffnung der Bundeswehr zu entscheiden. Wir haben uns hierüber schon im 1. Bundestag unterhalten. Wir haben damals schon diese Meinung vertreten und wir sind, nachdem wir die Entscheidung über den Wehrbeitrag schon im 1. Bundestag grundsätzlich gefällt hatten, in der Wahl bestätigt worden. Wir vertrauen darauf, daß wir auch im Jahre 1961 erneut bestätigt werden; denn wenn unser Volk einmal aus der Panik, in die es jetzt gestürzt werden soll, heraus und zur ruhigen Überlegung kommt, dann wird es genauso reif sein, wie es 1949, 1953 und 1957 reif gewesen ist.
Sie behaupten, es sei am 15. September nicht über die Frage entschieden worden, die hier zur Diskussion steht. Ich wiederhole, daß ein Parlament, wenn es einmal gewählt ist, das Recht hat, über jede Frage zu entscheiden, die während seiner Wahlperiode anfällt. Ich möchte aber außerdem noch politisch hinzufügen: der ganze Wahlkampf hat doch weitgehend unter dem Zeichen der atomaren Waffen gestanden. Es gab doch bei uns praktisch keine Rede, in der wir uns nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Haben wir es einmal nicht getan, so haben die sozialdemokratischen Diskussionsredner die Frage aufgegriffen.
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Dr. JaegerDie Göttinger Professoren haben im Frühjahr des letzten Jahres die Frage in unüberhörbarer Weise in die Diskussion unseres Volkes gestellt, und Sie, meine Damen und Herren, haben diesen Appell weidlich zu parteipolitischen Zwecken ausgenutzt. Seither ist das also in der Diskussion gewesen.Oder wollen Sie leugnen, daß Sie mit solchen Plakaten, wie dem, das den Atompilz enthält, in den Wahlkampf gezogen sind?
Ich erinnere mich, daß der Bundeskanzler im Juli vorigen Jahres auf dem Parteitag der CSU in Nürnberg durch ein Spalier solcher Plakate fahren mußte. Ich habe mich informieren lassen, daß in Bremen beim Besuch des Bundeskanzlers im Wahlkampf über Nacht die SPD umplakatiert hat mit lauter Plakaten gegen die Atomwaffen. „Atom — nur für den Frieden" ist auch ein solches Plakat, das zeigt, daß diese Sache im Mittelpunkt der Diskussion des Wahlkampfes gestanden hat. Oder: „Atomrüstung zeugt Massentod!"Die Frage ist wahrhaftig mitten in der Diskussion des Wahlkampfes gewesen. Wir haben in dieser Frage genau die richtige Stellung bezogen. Keiner von uns, zumindest keiner der verantwortlich ist für die Führung dieser Fraktion und dieser Partei, hat erklärt, daß wir grundsätzliche Gegner der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr sind, sondern wir haben gesagt, daß wir hoffen, daß sie sich vermeiden läßt, aber daß diese Frage zur Entscheidung noch nicht aktuell ist. Das war richtig. Es hat damals die Londoner Abrüstungskonferenz getagt, und sie ist erst wenige Tage vor der Bundestagswahl gescheitert. Solange diese Konferenz tagte, haben wir mit Ihnen die Hoffnung gehabt, daß sie zu einem Erfolg führen und uns die Entscheidung über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, die uns weiß Gott nicht leicht gefallen ist und die wir weiß Gott nicht gern fällen, ersparen würde. Inzwischen, fast gleichzeitig mit der Bundestagswahl ist die Londoner Konferenz gescheitert. Damit ist die Hoffnung sehr dünn geworden, daß wir noch zu einer umfassenden Abrüstung kommen. Aber immer noch haben wir in diesem Augenblick die Hoffnung auf die Gipfelkonferenz, die in diesem Jahre stattfinden soll.Wenn wir verschiedentlich im Wahlkampf gesagt haben, daß aus politischen und technischen Gründen die Einführung der Atomwaffen vor zwei Jahren überhaupt nicht in Frage kommt, haben wir dann nicht recht gehabt? Der Verteidigungsminister hat im Ausschuß und vor der Presse erklärt, daß er die Matadore, die möglicherweise auch mit atomaren Sprengköpfen aufgefüllt werden können, erst in 18 Monaten, also mehr als zwei Jahre vom Tage der Bundestagswahl ab, bei uns in Deutschland einführen kann. Wir haben genau das richtige gesagt. Eine Korrespondenz soll geschrieben haben, die Entscheidung würde sogar erst im Jahre 1960 fallen. Auch das Jahr 1960 liegt noch in der Wahlperiode dieses Hohen Hauses, dieser Damen und Herren, die heute hier sitzen. Das Volk weiß, daß auf vierJahre gewählt wird. Es hat auch gewußt, daß es uns wählt, damit wir notfalls während dieser Wahlperiode auch diese Frage entscheiden.
— Natürlich hat es dies gewußt. Ich habe es doch jetzt gerade dargelegt. Wenn Sie, Herr Kollege Metzger, so erregt sind, daß Sie nicht zuhören können, kann ich nichts dafür. Vielleicht lesen Sie meine Rede in einer ruhigeren Stunde nach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Wiedervereinigung statt Wiederbewaffnung!", „Keine Wehrpflicht!", „Entfernung aller Atomwaffen aus unseren Gebieten!" und hat nachher geschrieben: „Dies ist die Entscheidung und Ihre Verantwortung am 15. September!"Wir haben in diesen Angelegenheiten weiß Gott unsere Meinung deutlich und klar gesagt, so deutlich und klar, daß jedermann im Volk dies wissen und hören konnte.
— Die Demokratie wird von Ihnen verhöhnt, vor allem die Verfassung durch diesen Ihren Gesetzentwurf!
Haben wir nun schon schwerste Bedenken gegen diese Volksbefragung auf der Ebene des Bundes, so würde uns ein solcher Gesetzentwurf zur Volksbefragung im Rahmen der Länder und Gemeinden noch bedenklicher erscheinen. Der Art. 73 bestimmt in Nr. 1 eindeutig, daß in allen Fragen der Verteidigung nur der Bund zuständig ist. Wenn also der Volksentscheid, den es in manchen Landesverfassungen gibt, hier angewendet werden soll, so werden diese Landesverfassungsbestimmungen in sinnwidriger Weise benützt. Unser Haus darf nicht in die Gesetzgebung der Länder eingreifen. Ein Land darf nicht in die Hoheitsrechte des Bundes eingreifen. Wenn man in einigen Ländern darangehen sollte, eine Volksbefragung über die Atomrüstung der Bundeswehr zu veranstalten, würden wir das Recht haben, nächstens im ganzen Bundesgebiet eine Volksbefragung über die akademische oder nichtakademische Lehrerbildung, also über eine Frage, die bestimmt in die Zuständigkeit der Länder fällt, zu veranstalten. Aus diesem Grunde hat ja auch heute der Bayerische Landtag als erstes Parlament, seiner Verantwortung für den föderativen Aufbau der Bundesrepublik bewußt, den sozialdemokratischen Gesetzentwurf abgelehnt,
wobei man sich ja seine besonderen Gedanken darüber machen kann, daß am gleichen Tag der gleiche Gesetzentwurf in Bayern und im Bund zur Verabschiedung ansteht, eine merkwürdige Form
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1454 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. Jaegervon politischer Verantwortung, die sich die Opposition hierbei denkt. Ich habe den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei, im Bunde in die Opposition verbannt, die Macht in den Ländern und Städten, wo sie sie besitzt, mißbrauchen will, um den Wählerwillen vom 15. September zu korrigieren. Man will unter Benützung öffentlicher Einrichtungen, die ganz anderen Zwecken dienen sollen, primitiv-suggestive Fragen stellen, um damit illegitim auf die Politik des Bundes einen verfassungswidrigen Einfluß zu gewinnen. Länder und Gemeinden sind aber nicht dazu da, Propagandafragen einer Partei zur Bundespolitik zu finanzieren.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben drei Wahlen verloren. Sie haben Prozesse in Karlsruhe verloren. Sie möchten jetzt mit der Volksbefragung weitermachen. Und was tun Sie, wenn Sie die Volksbefragung auch verlieren?
Herr Kollege Dr. Barzel hat schon darauf hingewiesen, daß als nächstes der politische Streik und der Appell an die Straße auf der Tagesordnung steht. Bei dem Appell an die Straße ist mit der „Straße" zweifellos das gemeint, was der Kollege Schmidt damals gemeint hat, als er, wenn auch an der falschen Stelle, Gustave Le Bon's „Die Psychologie der Massen" zitiert hat.
— Ja, ja, darum sage ich: an der falschen Stelle.Ich wende es jetzt an der richtigen Stelle an. Wir wissen ja, wer die Massen z. B. in Hamburg mobilisiert; darüber wurde schon gesprochen. Er meint die Menschen, die in die Gewalt der Demagogen geraten sind und zum blinden Werkzeug eines solchen Demagogen wurden.Meine Damen und Herren, da kann Herr Kollege Blachstein nicht fragen, woher wir das hätten, daß hier an Generalstreik gedacht werde. Oh, das haben wir von einem Ihrer prominentesten Redner, wir haben es nämlich vom Kollegen Schmidt ; sicherlich könnten wir es auch noch von anderen Stellen haben. Aber da er in der Atomdebatte das große Wort geführt hat, ist es ganz gut, daß wir ihn hier zitieren. Der Zeitung „Kultur", einer Zeitung, die im Desch-Verlag in München erscheint — also fernab allen Verdachtes, der Christlich-Sozialen oder Christlich-Demokratischen Union nahezustehen —, hat Herr Schmidt (Hamburg) ein Interview gegeben, wie es für eine solche Zeitung wahrscheinlich auch richtig ist.
Er hat dabei einleitend mit Stolz und Selbstbewußtsein erklärt, daß seine Rede im Bundestag, die das Hohe Haus so sehr erregt hat, zwar aus heißem Herzen, aber mit kühlem Kopf gehalten worden ist —, worauf ich nur sagen kann: desto schlimmer!
Er hat außerdem in seiner üblichen respektlosen Form gesprochen, hat z. B. vom Herrn Bundeskanzler gesagt:Ja, also, dem Adenauer traue ich nicht zu, daß er freiwillig hier revidiert. Das bringt dieser Mensch nicht fertig.Das ist auch der Stil eines Abgeordneten! Ich bin sogar ein bißchen älter als der Kollege Schmidt . Ich würde mir nicht erlauben, über einen 80jährigen Politiker, stehe er in diesem Hause, wo er wolle, so zu reden.
Die Zeitung hat dann, um zu den sachlichen Fragen zu kommen, den Kollegen Schmidt gefragt, was er zur außerparlamentarischen Bewegung sage, zu den außerparlamentarischen Maßnahmen, die der Herr Kollege Menzel heute offenbar leugnen wollte, die der Herr Kollege Schmidt aber keinesfalls geleugnet hat. Dann hat die „Kultur" den Herrn Kollegen Schmidt gefragt:Nun sind zum erstenmal auch zwei Stichworte gefallen: Volksbefragung und Generalstreik. Halten Sie die Anwendung beider Kampfmittel für legitim?Er antwortet:Die Frage möchte ich uneingeschränkt mit Ja beantworten.
Herr Kollege Blachstein, hier ist die Quelle für denGeneralstreik, der bei Ihnen im Hintergrund steht.
Es wird aber noch viel schöner. Der Herr Kollege Schmidt erinnert dann an den Kapp-Putsch.
— Herr Metzger, erregen Sie sich nicht so! Es tut Ihrer Gesundheit nicht gut und fördert auch nicht die Beratung.
— Ich bin nicht so leicht zu Zwischenrufen geneigt wie Sie.Aber um zum Thema zurückzukommen: Herr Kollege Schmidt erinnert an den Kapp-Putsch, wo der Generalstreik zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung gegen Verfassungsbrecher eine durchaus richtige Funktion erfüllt hat. Er sagt dann allerdings mit einem Rest politischer Einsicht:Zweifellos war das damals eine etwas andere Situation. Es handelte sich um den Versuch der illegalen Machtergreifung einer bestimmten politischen Gruppe, die durch nichts legitimiert war. Adenauer ist leider durch demokratische, verfassungsgerechte Wahlen samt seiner Mehrheit legitimiert. Die Situation ist also nicht gleich.Aber er erklärt, daß er auch in der Situation, die wir hier haben, den Streik für legitim halten würde. Das ist zwar nicht gerade logisch, aber er erklärt es ausdrücklich auf eine Frage der Zeitung.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1455
Dr. JaegerDie „Kultur" fragt dann, ob er der Meinung ist, daß der Generalstreik auch noch der politischen Information dient, oder ob er ein politisches Druckmittel ist. Darauf sagt er eindeutig:Das ist der Sinn eines solchen Streiks. Ein Instrument der Konsultation ist ein Streik nicht mehr. Er ist eine sehr viel stärkere Keule,— eine sehr viel stärkere Keule! —die ganz zweifellos darauf abzielt, die Regierung zu zwingen, etwas ganz Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen.
Das nennt der Herr Kollege Schmidt Demokratie!
Dann fragt die „Kultur" — es wird noch viel schöner, meine Damen und Herren —
— ich zitiere Herrn Abgeordneten Schmidt, ich zitiere nicht Herrn Reimann —, es wird also seitens der Zeitung, die sich „Kultur" nennt, gefragt:Welches dieser beiden großen Kampfmittel halten Sie für das wirksamste, den Generalstreik oder die Volksbefragung? Oder sind Sie für die Kombination beider Mittel?Und der Herr Kollege Schmidt sagt:Zunächst einmal würde ich absolut kein Mittel ausschließen.Damit schließt er nicht nur die beiden Mittel nicht aus, er schließt auch andere Mittel nicht aus. Weiß Gott, was das für andere Mittel sind!
Schließlich sagt er noch, mit der Volksbefragung und dem Generalstreik solle eine solche Unruhe erzeugt werden, daß das Ausland Zweifel bekomme an uns und selbst die Regierung bitte, um der Ruhe und Ordnung willen doch auf die atomare Ausrüstung zu verzichten.
Wenn das nicht verfassungswidrig ist, meine Damen und Herren, dann weiß ich es nicht.
Wir, die Abgeordneten der Regierungskoalition, warnen vor dieser Entwicklung.
Die Volksbefragung ist der erste Weg, von dem wir nur wissen, daß er in das Dunkle, in das Rote, am Ende in das Knallrote führen wird. Es ist erschrekkend, wenn eine Partei, deren demokratische Verfassungstreue wir bisher nie bezweifelt haben, sich nun so gegen Geist und Wirklichkeit unserer Verfassung wendet. Es mag uns trösten, daß die Sozialdemokratie allein steht, daß die Opposition zur Rechten diesen Weg nicht mitgeht. Aber wir erschrecken darüber, welcher Geist der Radikalisierung in der deutschen Sozialdemokratie in immer stärkerem Maße eingezogen ist.
Oder ist es vielleicht nicht der Geist der Radikalisierung? Will man vielleicht über grundlegende innere Zwistigkeiten hinwegtäuschen durch laute Propaganda?Es ist uns nicht entgangen, daß in der Wehrkonzeption der Sozialdemokraten eine tiefe Meinungsverschiedenheit herrscht etwa zwischen dem Herrn Kollegen Erler, der erklärt: keine Atomwaffen für die Bundeswehr, aber ohne die Atomwaffen der Amerikaner wären wir verloren — er hat es hier gemäßigt, aber auf der Deutsch-Englischen Konferenz in Königswinter noch um vieles deutlicher gesagt —, und der Meinung seines neuen Parteigenossen Heinemann: wenn der deutsche Soldat keine Atomwaffen anrühren darf, dann mute ich das auch keinem Amerikaner zu! — übrigens eine konsequente Haltung, die zwar zum Untergang der Freiheit führt, die aber wegen ihrer Konsequenz jedenfalls Achtung verdient. Meine Damen und Herren, zwischen diesen beiden Meinungen steht die Sozialdemokratie. Aber wo steht eigentlich Herr Blachstein? Er gehört etlichen pazifistischen Organisationen an. Ich möchte ihn fragen, ob er vielleicht ein Vollpazifist ist, der überhaupt jede Armee ablehnt, ganz im Gegensatz zur Tradition seiner Partei.Über alle diese Fragen möchte die deutsche Sozialdemokratie hinwegtäuschen, denn das Volk wartet doch auf eine Antwort. Auf dem Stuttgarter Parteitag werden wir sehen, ob man den Weg Erlers oder den Weg Heinemanns gehen wird, ob den Weg, den die SPD bisher gegangen ist, oder ob die SPD zur Nachfolgerin der Gesamtdeutschen Volkspartei geworden ist.
Würde die deutsche Sozialdemokratie ideologisch zur Nachfolgerin der Gesamtdeutschen Volkspartei werden, dann würde sie es wahrscheinlich auch bald zahlenmäßig werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Schmidt über den Streik, im Hinblick auf den drohenden Appell an die Straße noch einmal Eschenburg zitieren mit dem Wort, das schon mein Freund Dr. Barzel zitiert hat, das man aber ruhig noch ein zweitesmal aussprechen darf, damit es in den Reihen der Sozialdemokraten auch wirklich gehört wird, das Wort aus Eschenburgs Radiovortrag: „Die Volksbefragung über politische Grundsatzprobleme ist ein Trojanisches Pferd der Kommunisten".
— Meine Damen und Herren, das ist Eschenburg, das ist nicht ein Abgeordneter der CDU!
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1456 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958
Dr. JaegerDie Kommunisten wünschen seit einem halben Jahr die Volksbefragung, denn sie wissen, Volksbefragung ist der Weg zur Volksdemokratisierung.
Deshalb appelliere ich an die Verfassungstreue der Sozialdemokratischen Partei, sie möge sich im Ausschuß noch einmal überlegen, ob sie diesen Gesetzentwurf, der die Grundlagen unserer verfassungsmäßigen Ordnung untergräbt, nicht lieber fallenlassen sollte. Lassen Sie mich das noch einmal mit den Worten eines Mannes sagen, der auch nicht Abgeordneter dieses Hauses oder eines anderen Hauses ist, eben des Theologieprofessors Thielicke, der am Schluß — —
— Ja, den hören Sie ungern. Aber der Artikel, der am kommenden Sonntag erscheint, ist das beste, was hierüber überhaupt geschrieben worden ist. Ich werde ihn also jetzt noch zum Schluß zitieren.
— Ihnen klingen schon die Ohren, jawohl, das ist wahr. Ich kann mir denken, daß Ihnen die Ohren klingen, wenn man so deutlich von so berufener Stelle die Wahrheit gesagt bekommt.
Aber da nicht nur Ihnen die Ohren klingen, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite des Hauses gerne wissen wollen, was sie am nächsten Sonntag nachlesen können, werde ich jetzt hier zitieren. Das Schlußwort heißt
— nein, ich habe es so bekommen —:Die Flucht in das Volk an dieser Stelle ist derschlechteste Dienst, den man ihm leisten kann.Das Plebiszit in dieser Schicksalsfrage appelliert an die Angst — die von jeher der schlechteste Ratgeber ist — und korrumpiert die Demokratie.
Niemand will das. Ich traue es jedenfalls niemandem zu. Um so mehr müssen alle, die der tödlichen Gefahr innegeworden sind, ihre Stimme erheben. Das Ethos der Rechtsstaatlichkeit selbst steht in Gefahr.
Deshalb, meine Damen und Herren, widersprechen wir dem Atomplebiszit, in dem wir ein Attentat auf die Verfassung sehen. Wir sind unter der Parole gewählt worden „Keine Experimente".
Wir wollen keine Experimente, keine Experimente nach außen und keine Expermiente nach innen, keine Experimente in der Frage der Sicherheit und schon gar keine Experimente in der Frage unserer freiheitlichen Rechtsordnung, unserer Verfassung!
Ich habe Ihnen aufgewiesen, daß diese Volksbefragung der erste Schritt zu anderen, noch viel schlimmeren Dingen ist. Wir bleiben bei der alten Weisheit der Antike, daß man den Anfängen widerstehen muß!
Meine Damen und Herren, es ist J.03 Uhr, die Aussprache wird unterbrochen. Es stehen vorläufig noch drei Redner auf der Rednerliste: Herr Dr. Greve, Herr Dr. Wilhelmi und Herr Dr. Heinemann.
Ich unterbreche die Aussprache bis morgen vormittag und schließe die Sitzung.