Rede:
ID0302506000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 51
    1. hat: 3
    2. zu: 3
    3. Dr.: 2
    4. der: 2
    5. keine: 2
    6. Meine: 2
    7. Damen: 2
    8. und: 2
    9. Herren,: 2
    10. Präsident: 2
    11. darüber: 2
    12. wachen,: 2
    13. —: 2
    14. ich: 2
    15. Herr: 1
    16. Abgeordneter: 1
    17. Menzel,: 1
    18. gestatten: 1
    19. Sie: 1
    20. eine: 1
    21. Zwischenbemerkung:: 1
    22. es: 1
    23. Zeit: 1
    24. damals: 1
    25. Christlich-Demokratische: 1
    26. Union: 1
    27. gegeben.: 1
    28. Ihr: 1
    29. Vergleich: 1
    30. geht: 1
    31. also: 1
    32. völlig: 1
    33. fehl.\n: 1
    34. Vizepräsident: 1
    35. Preusker—: 1
    36. —\n: 1
    37. bitte: 1
    38. um: 1
    39. Ruhe.: 1
    40. Der: 1
    41. daß: 1
    42. in: 1
    43. diesem: 1
    44. Hause: 1
    45. ungerechtfertigten: 1
    46. Unterstellungen: 1
    47. erfolgen.: 1
    48. Das: 1
    49. habe: 1
    50. hiermit: 1
    51. getan.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Inhalt: Abg. Leukert (CDU/CSU) tritt als Nachfolger des Abg. Klausner in den Bundestag ein 1361 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) — Fortsetzung der Aussprache —. Dr. Schellenberg (SPD) 1361 C, 1379 B, 1382 D Blank, Bundesminister 1368A, 1381 B, 1383 A Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 1371 B Dr. Wuermeling, Bundesminister . 1374 B Stingl (CDU/CSU) . . . . . . . 1376 C Seuffert (SPD) 1383 B, 1394 C Krammig (CDU/CSU) 1385 D Etzel, Bundesminister 1388 A Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 1393 C Strauß, Bundesminister 1395 D Wehner (SPD) . . . . . . . 1405 D Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (SPD) (Drucksache 303) — Erste Beratung — Dr. Menzel (SPD) 1412 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 1421 A Dr. Schröder, Bundesminister . . 1430 A Dr. Bucher (FDP) 1433 C Euler (DP) . . . . . . . . . 1437 D Blachstein (SPD) 1441 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) 1448 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1456 D Anlage 1457 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1361 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr. Vizepräsident Dr. Becker (nach seiner Genesung mit Beifall begrüßt) : Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, für unseren verstorbenen Kollegen Klausner ist mit Wirkung vom 21. April 1958 der Abgeordnete Leukert in den Bundestag eingetreten. Ist der Kollege anwesend? (Abg. Leukert: Ja!) — Dann darf ich ihn herzlich begrüßen. Ich wünsche ihm eine gute Mitarbeit. (Beifall.) Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne VerLesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat mit Schreiben vom 22. April 1958 mitgeteilt, daß sich die Verkündung der vom Bundestag in seiner 16. Sitzung beschlossenen Fünfzehnten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl — Drucksachen 108, 239 — erübrige. Sein Schreiben wird als Drucksache 346 verteilt. Die Aussprache zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt konnte in der gestrigen Sitzung nicht mehr abgeschlossen werden. Auf Vorschlag des amtierenden Präsidenten wurde beschlossen, diesen Gegenstand erneut als Punkt 1 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen. Ich rufe daher auf: Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) . Nach § 33 der Geschäftsordnung hat der Präsident darauf zu achten, daß eine sachgemäße Erledigung des Gegenstandes, d. h. auch eine entsprechende Gruppierung der Redner vorgenommen wird. Ich habe deshalb an die Damen oder Herren, die zu diesem Punkt noch sprechen möchten, die Bitte zu richten, sich jetzt schon beim Schriftführer zu meiner Rechten zu melden und dabei mit anzugeben, über welchen Fragenbereich sie sprechen wollen. Ich glaube nämlich, eine gewisse Gruppierung des Stoffs bedeutet eine Erleichterung sowohl für die Presse als auch für das Verständnis aller Zuhörer und gibt den zuständigen Ministern die Möglichkeit, zum richtigen Zeitpunkt in die Debatte einzugreifen. Ich darf also bitten, so zu verfahren. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg. Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ausmaß der Rüstungsausgaben hat nicht nur volkswirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen, sondern ist auch von entscheidender Bedeutung für die gesamte Sozialpolitik. Das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, natürlich auch. (Zuruf von der CDU/CSU: Seien Sie vorsichtiger!) — Ich komme noch darauf, darüber werden wir noch sehr eingehend zu sprechen haben, vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist. In der gestrigen Debatte haben Sie nämlich versucht, den sozialpolitischen Problemen möglichst aus dem Wege zu gehen. (Abg. Dr. Hellwig: Herr Stingl hat es noch vor!) — Ich komme auch zu Herrn Stingls Verhalten. Die Herren Vogel und Hellwig haben lediglich einige schwungvolle Worte über den Zusammenhang zwischen äußerer Sicherheit und innerer Sicherheit gesagt. (Zurufe von der Mitte.) Das ist für die Probleme, um die es bei diesen Rüstungsausgaben geht, zu wenig. Zur Entschuldigung gestehe ich den Herren Vogel und Hellwig zu, daß ihnen die sozialpolitischen Probleme etwas ferner liegen. (Abg. Dr. Hellwig: Woher wissen Sie?) — Das haben Sie wiederholt bewiesen, Herr Kollege Hellwig. (Beifall bei der SPD.) Es fiel der Name des Kollegen Stingl. Herr Kollege Stingl hat sich gestern zweimal zum Wort gemeldet und zweimal seine Wortmeldung zurückgezogen. Ich weiß nicht, weshalb er das getan hat. (Abg. Rasner: Es lohnte nicht!) 1362 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg Entweder hielt er die sozialpolitischen Dinge im Rahmen der Aussprache für nicht so wichtig, (Abg. Rasner: Nach Ihnen, Herr Professor!) oder er wollte eine bestimmte Rangordnung in der Rednerfolge erreichen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Aber wir haben ja heute keine Life-Sendung. Weshalb dieses Katze-und-Maus-Spiel? Im übrigen kann ich Ihnen sagen — das habe ich hier schon wiederholt unter Beweis gestellt —: Wenn Herr Kollege Stingl oder ein anderer von Ihnen über sozialpolitische Fragen spricht und sie meines Erachtens nicht in das richtige Licht gerückt werden, dann werde ich noch wiederholt dazu das Wort nehmen. (Lachen bei der CDU/CSU.) Dessen können Sie sicher sein. (Zurufe von der CDU/CSU.) Nun haben gestern nicht nur die Vertreter der Regierungsparteien, sondern auch die Herren Vertreter der Regierung gesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister war, soweit ich sah, gestern nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen ja, daß er nicht da war!) — Er war nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen aber, wo er war!) — Ich weiß nicht, wo er war! Wahrscheinlich hielt er irgendwo eine Rede über die großen sozialen Leistungen der Bundesregierung. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) Also der Herr Bundesarbeitsminister war nicht anwesend, obwohl dem Hause und der Öffentlichkeit bekannt ist, daß zwischen Rüstungshaushalt und Sozialhaushalt sehr weitgehende Beziehungen bestehen. Wir mußten uns also auf Mitteilungen anderer Ressortchefs beschränken, obwohl sicher gerade die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers wegen seiner eingehenden Kenntnis der Beziehungen zwischen Rüstungs- und Sozialausgaben das Haus außerordentlich interessiert hätten. Nun, was hat der Herr Bundesfinanzminister in der Antwort der Regierung erklärt? Er hat wörtlich gesagt: Die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrages . . . wird jährlich neu geprüft und jeweils den veränderten politischen, technischen, finanziellen und militärischen Bedürfnissen angepaßt. Von sozialpolitischen Bedürfnissen hat der Herr Bundesfinanzminister nicht gesprochen. (Abg. Horn: Das war ja auch nicht das Thema des Tages!) — Das war nicht das Thema des Tages. Das gehört zum Thema Rüstungsausgaben, meine Damen und Herren. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Sie können diese Zusammenhänge nicht vom Tisch wegwischen, wenn Sie es vielleicht auch möchten. Aber auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat Erklärungen abgegeben, in denen er die Sozialausgaben zwar nicht ausdrücklich erwähnt, in denen er aber doch in geradezu erschütternder Weise unter Beweis gestellt hat, wie gering sein Verständnis für die sozialen Belange ist. (Zurufe von der CDU/CSU.) Ich möchte das wörtlich zitieren. Ich habe es mir nämlich aufgeschrieben, Sie können es im Protokoll nachlesen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat erklärt: Wir haben zwar das eine oder das andere zurückstellen müssen. Aber niemand ist dabei zu kurz gekommen. — Das wurde wörtlich gesagt, und ich glaube, treffender konnte der Herr Bundeswirtschaftsminister sein mangelndes Verständnis für die sozialen Belange von Millionen Menschen nicht kennzeichnen. (Beifall bei der SPD. — Abg. Horn: Aber, aber! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) Diese Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers reihen sich würdig an seine Erklärungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung. Er hat nämlich gesagt, er werde die Giftzähne aus der Rentenreform herausbrechen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Das ist die gleiche Melodie. Meine Damen und Herren, so billig kommen Sie nicht davon! (Abg. Horn: So billig!) Dazu ist die Angelegenheit zu teuer. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich werde das konkret beweisen, Herr Kollege Hellwig, selbstverständlich! Wie ist die Lage im sozialpolitischen Bereich? Bei allen sozialpolitischen Auseinandersetzungen in diesem Hause ging es und geht es im Grundsatz immer darum, welcher Anteil der gesamten Bundesausgaben für Sozialausgaben bereitgestellt wird und welcher Anteil vom gesamten Sozialprodukt auf die Sozialleistungen entfallen soll. Das ist die grundsätzliche Auseinandersetzung, die wir in diesem Hause immer geführt haben. Hierüber gibt es zwischen uns erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Im Gegensatz zu Ihnen waren wir immer der Auffassung, daß in den Bundesausgaben der Anteil an Sozialausgaben zu niedrig ist und daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Wir waren und sind der Meinung, daß die Bundesrepublik leider weit entfernt davon ist, ein Sozialstaat zu sein, wie es in Art. 20 des Grundgesetzes festgelegt ist. Sie haben Ihre Auffassungen über die Bundesrepublik als Sozialstaat im wesentlichen auf zweierlei Weise begründet. Sie haben erstens immer erklärt, die Sozialausgaben bildeten den größten Block der Bundesausgaben, und Sie haben zweitens stets die Behauptung aufgestellt, der Anteil der Sozialleistungen wachse laufend mit der Zuwachs- Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1363 Dr. Schellenberg rate des Sozialprodukts. Heute sind Sie im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand bereit, diese Ihre Konzeption vom Sozialstaat über Bord zu werfen. Ich möchte Ihnen das an Hand Ihrer eigenen Angaben und nicht an Hand meiner Berechnungen beweisen. Die Behauptung, daß die Sozialausgaben der größte Posten im Bundeshaushalt seien, läßt sich auf Grund Ihrer eigenen Zahlenangaben für das Jahr 1958 nicht mehr aufrechterhalten. An dem Trick, den Sozialleistungen die Ausgaben für die 131er und die Ausgaben für die Versorgung der Berufssoldaten der früheren Wehrmacht hinzuzurechnen, haben Sie in den Vorbemerkungen zum Haushalt teilweise selber nicht mehr festgehalten. Sie haben — lesen Sie nach auf Seite 164! — den Sozialausgaben zwar die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung und die Ausgaben für die Umsiedlerhilfe und die Ausgaben für die Kriegsfolgenhilfe hinzugerechnet, aber selbst bei dieser weiten Fassung des Begriffes der Sozialleistungen steht in Ihren Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt schwarz auf weiß, daß die Ausgaben für Sozialleistungen im Rechnungsjahr 1958 um 300 Millionen DM niedriger sind als im Jahre 1957. (Abg. Horn: Ja, was soll das?) — Das ist ein wichtiger Tatbestand! Zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik geht im Bundeshaushalt der Anteil der Sozialausgaben auch in der absoluten Höhe zurück. Wir müssen feststellen, daß nach Ihren eigenen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik die Ausgaben für die Rüstung höher als die Sozialausgaben — selbst in dieser weiten Fassung — sind. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich frage Sie: kann man einen Staat, bei dem die Rüstungsausgaben höher sind als die Ausgaben für soziale Zwecke, als Sozialstaat bezeichnen? (Abg. Horn: Jawohl!) Prüfen Sie das selbst, prüfen Sie das in Ihrem Kämmerlein! Und nun ein Zweites! Sie haben nach harten Auseinandersetzungen zugestanden — auch auf Grund unserer Initiative —, daß der Gedanke des Sozialstaates erst dann verwirklicht sei, wenn auch die Sozialleistungsempfänger laufend am Zuwachs des Sozialprodukts teilnähmen. Das war Ihr zweites Fundament für die Konzeption des Sozialstaats, wie Sie ihn sehen. Diese Konzeption haben Sie in diesem Jahr zum erstenmal aufgegeben. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, Sie haben den Haushalt offenbar nicht gelesen; ich empfehle Ihnen dringend, das über das Wochenende zu tun, bevor Sie weiter in Versammlungen gehen. Bei der Aufstellung des Bundeshaushalts — und das steht auch in der finanzpolitischen Begründung — wurde von einer Zuwachsrate des Sozialprodukts von 7 % ausgegangen. Man kann sich darüber streiten — und das wurde gestern getan —, ob diese Zuwachsrate richtig angesetzt ist. Jedenfalls geht die Bundesregierung von einer solchen Zuwachsrate aus. Dementsprechend müßte sie auch bei den Sozialleistungen die gleiche Zuwachsrate zugrunde legen, wenn die Auffassung aufrechterhalten werden soll, daß die Sozialleistungen nicht hinter der Entwicklung des Sozialprodukts zurückbleiben sollen. Wenn Sie zu den Sozialausgaben des Bundes von 1957 die Zuwachsrate von 7 % hinzurechnen, wie Sie es bei Ihrer gesamten Haushaltskonzeption getan haben, dann müßten im Haushalt 10,7 Milliarden DM und nicht 9,7 Milliarden DM für Sozialausgaben vorgesehen sein. Sie sind also bei den Sozialausgaben, gemessen an der Entwicklung des Sozialprodukts, schon in diesem Rechnungsjahr um 1 Milliarde DM unter den Ansätzen des Vorjahres geblieben. Das bedeutet, daß die Sozialleistungsempfänger nicht an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen sollen und von der Kaufkraftverschlechterung betroffen werden. Wo ist diese 1 Milliarde hingewandert? In den Rüstungshaushalt! (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Schütz [München] : Ist die Freiheit gar nichts wert?) — Darüber wollen wir sprechen! Aber Sie müssen doch erst einmal diesen Tatbestand zugeben und dürfen ihn nicht verschleiern, (Beifall bei der SPD) indem Sie erklären, zu den Sozialausgaben gehörten auch die Leistungen für die 131er und die Versorgung der früheren Soldaten. Wir wollen erst einmal die Tatbestände klären! Ich beziehe mich in meiner Argumentation auf Ihre eigene Konzeption Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Sie haben erwidert: Wir lassen die Sozialleistungsempfänger an der Entwicklung dos Sozialprodukts teilnehmen. Mit dieser Ihrer eigenen Konzeption brechen Sie heute, und das ist doch ein wichtiger Tatbestand, eine Veränderung der Situation zu Lasten der sozial Schwachen. (Beifall bei der SPD.) Sie stellen die Weichen in eine bedenkliche, um nicht zu sagen in eine gefährliche Richtung. Diese Entwicklung ist um so verhängnisvoller, als die Folgen des vergangenen Krieges in sozialer Hinsicht noch längst nicht überwunden sind, auch wenn 10 000 einen Mercedes 300 fahren, auch wenn Herr Erhard erklärt, es sei niemand zu kurz gekommen. Meine Damen und Herren, Sie werden mir erwidern, Sie hätten im gegenwärtigen Haushaltsjahr keinen Eingriff in das geltende Sozialrecht vorgenommen. Bis jetzt noch nicht; im Augenblick gehen Sie bei den Einschränkungen der Sozialausgaben noch indirekt vor, indem Sie dringend notwendige Ausgaben für soziale, kulturelle und gesundheitliche Aufgaben unterlassen. Im Bundesgebiet fehlen beispielsweise noch 46 000 Klassenräume, weil Sie den Ländern nicht die finanzielle Möglichkeit geben, im Zusammenwirken mit den Kommunen einen solchen Bedarf zu befriedigen. (Zuruf von der Mitte: Reden Sie doch zum Thema!) 1364 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg — Das ist das Thema der Rüstungsausgaben. (Zuruf von der Mitte: Was wollen Sie denn?) — Sie wollen den Zusammenhang zur Rüstung vertuschen. (Zuruf von der Mitte: Alte Platte!) — Das ist für Sie eine alte Platte! Sie wollen wohl die 46 000 Schulräume ad calendas graecas fehlen lassen. (Zuruf von der Mitte: Sagen Sie mal, was Sie ausgeben wollen!) — Ich spreche dazu, welche Auswirkungen die Rüstung auf die sozialen Aufgaben des Bundes haben wird. Auf diese Frage müssen Sie eine Antwort geben. Mit der allgemeinen Bemerkung: Erst die äußere Sicherheit garantiert die innere Sicherheit, kommen Sie nicht weiter, wenn Sie die Ausgaben für die innere Sicherheit gleichzeitig in so bedenklicher Weise schwächen. (Beifall bei der SPD.) Ein anderes Beispiel! Nach den Mitteilungen der verantwortlichen Krankenhausärzte fehlen 4 Milliarden D-Mark für die Investitionen in den Krankenhäusern. Das ist ein gesundheitspolitisch bedauerlicher Tatbestand. (Zurufe von der Mitte.) Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem praktischen Leben nennen. Die Presse ist voll von Berichten über die Erfindung einer Herz-Lungen-Maschine; sie kostet 160 000 DM. In welcher Lage sind wir? Wir müssen gewissermaßen öffentliche Sammlungen veranstalten, damit solche Maschinen beschafft werden können. Das ist eine peinliche Lage. (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stoltenberg: Bewilligen Sie sie doch in Nordrhein- Westfalen!) — Ich habe den Zusammenhang zwischen Bundeshaushalt und Länderhaushalten aufgezeigt, auf den meine Kollegen schon bei der Haushaltsberatung hingewiesen haben. Meine Damen und Herren, Sie unterlassen es nicht nur, dringend notwendige Ausgaben für soziale Zwecke einzusetzen, sondern Sie haben — das ist ein höchst bedenklicher Tatbestand, den Sie sich sorgfältig überlegen sollten — an jeder Position des gegenwärtigen Bundeshaushalts, die soziale Ausgaben betrifft, Kürzungen vorgenommen. So sind beispielsweise die Ausgaben, die für die Kriegsfolgenhilfe, für die Heimatvertriebenen, für die Rückgeführten, für die Flüchtlinge von großer Bedeutung sind, um 72 Millionen D-Mark gekürzt worden; das ist ein Tatbestand. (Zuruf von der Mitte: Warum?) — Sie fragen: Warum? — Wir alle hoffen, daß auf Grund der Repartriierungsverhandlungen die Zahl der Menschen, die aus den Ostgebieten zurückkehren, größer werden wird. Zu diesem Zeitpunkt nehmen Sie eine solche Kürzung von 72 Millionen D-Mark vor; (Hört! Hört! bei der SPD) das ist der Tatbestand. Etwas anderes! Sie haben die Bundeszuschüsse für die Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen D-Mark gesenkt. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, sollte Ihnen unbekannt sein, daß die Zahl der älteren arbeitslosen Arbeiter und Angestellten in den Notstandsgebieten noch erschreckend hoch ist? Wollen Sie das leugnen? Statt die Mittel für eine produktive Erwerbslosenhilfe zu belassen und zu erhöhen, nehmen Sie im Haushalt eine Kürzung der .Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen DM vor. Herr Kollege Schütz, Sie interessiert ja besonders der Lastenausgleich. Die Zuschüsse des Bundes zum Lastenausgleich sind um insgesamt 94 Millionen DM gekürzt worden. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) Das bedeutet doch, daß sich die Abwicklung des Lastenausgleichs zeitlich noch mehr verzögert als ohnehin schon. (Erneuter Zuruf des Abg. Schütz [München]. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Meine Damen und Herren, das sind Tatbestände, an denen Sie nicht vorübergehen können. Sie müssen sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand auseinandersetzen. (Abg. Schütz [München] : Das beruht doch auf § 6 des Lastenausgleichsgesetzes!) — Aber kommen Sie doch nicht mit diesem und jenem Paragraphen! Die praktischen sozialpolitischen Auswirkungen sind für die Menschen entscheidend. (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schütz [München].) Mein Freund Schoettle hat - ich erwähne das, um nun zu einer anderen Position zu kommen — schon darauf hingewiesen, daß die Ansätze in der Kriegsopferversorgung um 60 Millionen DM niedriger sind als im Vorjahr. (Abg. Horn: Sie wissen doch, warum!) — Ja, ich weiß warum. Aber, Herr Kollege Horn, bitte, sagen Sie Ihren Freunden, daß darin auch die Streichung von 42 000 Elternrenten in der Kriegsopferversorgung durch Anrechnung enthalten ist. (Sehr richtig! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, das sind Auswirkungen, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Was hat der Herr Bundeskanzler über diese Anrechnung gesagt? Sie vergessen es immer. Deshalb muß ich wieder daran erinnern. Am 12. September 1957, drei Tage vor der Bundestagswahl, sagte er: Es wird im nächsten Bundestag eine unserer dringendsten Aufgaben sein, sämtliche noch vorhandenen Unstimmigkeiten auf diesem Gebiet zu beseitigen, damit die Rentner wirklich Dr. Schellenberg auch in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsbestimmungen in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen. Das hat der Herr Bundeskanzler versprochen. Statt diese Härten zu beseitigen, meine Damen und Herren, schicken Sie sich an, noch größere Härten im sozialen Bereich eintreten zu lassen. (Beifall bei der SPD.) Der Herr Kollege Vogel hat von den Mehrleistungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung gesprochen. Ich will keine Rentendebatte eröffnen, sonst würden wir noch bis heute abend diskutieren. Der Herr Präsident hat darum gebeten, die Diskussion zu straffen. Aber nachdem der Herr Kollege Vogel das Thema angeschnitten hat, muß ich dazu eine Bemerkung machen. Herr Dr. Vogel hat nicht erwähnt, daß die Mehrleistungen aus der Rentenneuregelung zu 82 % aus den Beiträgen und nur zu 18 % aus Bundeszuschüssen stammen. (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf des Abg. Horn. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, das ist doch wichtig. (Abg. Horn: Das weiß jeder!) — Das weiß jeder? Sagen Sie es mal der Bevölkerung sehr deutlich! (Beifall bei der SPD.) Dann sagen Sie der Bevölkerung auch, Herr Kollege Horn, daß der Herr Bundesfinanzminister es ungeachtet der im Gesetz festgelegten höheren Bundeszuschüsse, die sich in bestimmter Weise entwickeln sollen, durch Kürzung der Zuschüsse für die knappschaftliche Rentenversicherung, der Erstattungsbeträge für die Mindestrenten von 14 und 21 DM im Schlußergebnis fertiggebracht hat, 37 Millionen DM für Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung weniger einzusetzen als im Vorjahr. Das ist auch für den Rüstungs- und Sozialhaushalt ein wichtiger Tatbestand. Herr Kollege Vogel — ich sehe ihn nicht im Saal; dann mag er es im Protokoll nachlesen — ist der Haushaltsexperte Ihrer Bundestagsfraktion und hat die Rentenneuregelung im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt erwähnt. Ich muß Herrn Kollegen Vogel und die Offentlichkeit über etwas anderes unterrichten. Als es nämlich um diese Dinge ging, hat der damalige Herr Bundesfinanzminister, dessen sachverständiger Berater der Finanzexperte der Fraktion sein sollte, folgendes an die Bundesregierung geschrieben: Nachdem nunmehr eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion wie auch Mitgliedern der übrigen Fraktionen der Regierungskoalition den Regierungsentwurf zur Rentenreform nicht mehr uneingeschränkt bejahen, schlage ich vor, das Kabinett möge wie folgt beschließen: Der Bundeskanzler wird gebeten, mit der Regierungskoalition Verhandlungen dahingehend zu führen, daß die Beratungen über die Bundestagsdrucksache 2437 — Rentenneuregelung — einstweilen zurückzustellen sind und statt dessen zum 1. Januar 1957 ein Überbrückungsgesetz verabschiedet wird. Wenn Herr Kollege Vogel im Zusammenhang mit dem Rüstungshaushalt die Rentenversicherung erwähnte, dann sollten Sie von diesen Tatbeständen Kenntnis nehmen und zugeben, wie es überhaupt zur Rentenneuregelung gekommen ist: gegen den Widerstand des Finanzministers und gegen den Widerstand des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der in diesem Punkt mit Teilen Ihrer Fraktion die gleiche Auffassung vertreten hat. Herr Kollege Vogel, Sie waren doch sicher unter den Sachverständigen, die für die Zurückziehung des Regierungsentwurfs zur Rentenneuregelung sind. Haben Sie sich vielleicht einmal überlegt, daß es im Zusammenhang mit den Rüstungsausgaben auch angebracht wäre, zu erwägen, ob man die Vorlagen über die Rüstungsausgaben noch einmal überprüfen und zurückziehen sollte? (Beifall bei der SPD.) Bei den finanziellen Auswirkungen der Rüstungskosten ist es sozialpolitisch von entscheidender Bedeutung, daß wir jetzt, wo die Aufrüstung auf volle Touren kommt, erst am Anfang der Auswirkung auf die Sozialausgaben stehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seinen Angaben über die zukünftigen Rüstungsausgaben gestern außerordentlich zurückgehalten, (Zuruf von der Mitte: Er hat sich präzise ausgedrückt!) — sehr zurückgehalten. Er hat nämlich praktisch nur das gesagt, was die Öffentlichkeit schon wußte. (Abg. Dr. Dollinger: Er hat Ihre Fragen beantwortet!) — Ja, formell! Darüber werden meine Freunde nachher noch sprechen. Meine Damen und Herren, man muß sich darüber klar sein — und die Offentlichkeit muß es ebenso —, daß sich aus einer Erhöhung der Rüstungsausgaben auch eine Einschränkung des Sozialhaushalts ergeben muß. Sie wissen schon heute nicht, wie Sie aus dieser Zange herauskommen sollen. Sonst hätten Sie nicht schon im ersten Jahr nach den Bundestagswahlen den Sozialhaushalt gekürzt. Das ist leider eine Entwicklung, mit der man sich auseinandersetzen muß. In diesem Jahr finanzieren Sie schon einen Teil des Zuwachses an Rüstungskosten aus dem Sozialhaushalt. Meine Damen und Herren, Sie wollen diese Entwicklung auf indirektem und direktem Wege fortsetzen. Sie werden sie nicht nur dadurch fortsetzen, daß Sie wichtige Ausgaben unterlassen, und dadurch, daß Sie die Anrechnungsvorschriften schärfer anwenden, sondern Sie werden auch zu direkten Eingriffen in das Sozialrecht kommen. Das ist keine Prophezeiung, die ich mache, sondern ich stütze mich auf Mitteilungen, die aus dem Arbeitsministerium kommen. Ich sehe gerade den Herrn Bundesarbeitsminister, er ist inzwischen gekommen, 1366 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg und er wird sich vielleicht selbst dazu äußern können, wofür ich außerordentlich dankbar wäre. Diese Tendenz ist auch an all dem zu erkennen, was wir über die weitere Entwicklung der sogenannten Sozialreform hören. Es ist noch nicht sehr lange her, da haben Sie, meine Damen und Herren, hier und in der Öffentlichkeit sehr großartig von einer umfassenden Sozialreform gesprochen, durch die der soziale Leistungsstand in der Bundesrepublik verbessert werden solle. Jetzt nehmen Sie eine Wendung in den Formulierungen vor, Sie werfen nachdrücklicher das Schlagwort von der Verstärkung des Verantwortungsbewußtseins des einzelnen in die sozialpolitische Debatte. Ich möchte darauf eingehen, und zwar an Hand von Erklärungen noch nicht offizieller, aber offiziöser Art. Da spielt beispielsweise die Frage einer wesentlichen Erhöhung der Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung eine Rolle. Was bedeutet das wirtschaftlich? (Abg. Horn: Haben wir eine Sozialdebatte hier oder was haben wir? — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, Sie kürzen doch die Sozialausgaben zugunsten der Rüstungsausgaben! (Abg. Arndgen: Ist doch gar nicht wahr! Wo denn?) — In Ihrem Haushalt! Haben Sie ihn nicht gelesen? (Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der Mitte.) Sie wollen im Zusammenhang mit der weiteren sozialpolitischen Entwicklung schwerwiegende Eingriffe in das Sozialrecht vornehmen. Da ist doch ein Kausalzusammenhang mit der Entwicklung der Rüstungsausgaben vorhanden, daran kommen Sie nicht vorbei. Sie müssen sich diesen Fragen stellen! (Abg. Schütz [München]: Wir wollen dem nicht ausweichen! — Weitere Zurufe von der Mitte. — Unruhe.) — Ich verstehe, daß Ihnen das peinlich ist. (Zurufe von der Mitte: Nein, gar nicht! — Gegenruf des Abg. Wienand: Das ist Ihnen sehr peinlich!) Sie möchten die Zusammenhänge gern tarnen. (Zuruf von der Mitte: Sie weichen mit dieser Debatte aus!) — Nein, meine Damen und Herren, wir sind hier in einer Debatte über die zukünftige Entwicklung der Rüstungsausgaben, und da kann man es nicht allgemein damit abtun, daß man sagt: Sozialausgaben werden nicht berührt. Sie müssen sich schon selbst zu dem bekennen, was Sie in das sozialpolitische Gespräch bringen, und Sie erörtern eine Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung. Was bedeutet das wirtschaftlich? Ich will jetzt mit Ihnen keine große sozialethische Auseinandersetzung führen; das machen wir dann, wenn es soweit ist. (Abg. Schütz [München]: Worauf Sie sich verlassen können!) Die Kostenbeteiligung bedeutet, daß der einzelne, der bisher eine bestimmte Leistung als Sozialleistung erhalten hat, diese Leistung in Zukunft aus seinem Arbeitsverdienst bestreiten soll. Das ist doch der wirtschaftspolitische und realpolitische Inhalt Ihrer Vorschläge, das bedeutet eine Beeinträchtigung des Lebensstandards der betreffenden Menschen. (Zuruf von der Mitte: Das liegt auf einen ganz anderen Gebiet!) Sie können sagen, Sie halten eine solche Verlagerung für richtig. Aber Sie dürfen die Offentlichkeit nicht über das hinwegtäuschen, um was es sich auch sozialpolitisch handelt. Sie können sagen, die Eingriffe in das Sozialrecht seien noch nicht festgelegt, wir befänden uns erst in der Diskussion hierüber. Ich billige dem Herrn Bundesarbeitsminister gern zu, daß er in diesen Dingen vorsichtiger ist als sein Vorgänger. Er kann sich darauf berufen, daß er diese Eingriffe erst zur öffentlichen Diskussion gestellt hat. Was ist darüber von dem zuständigen Referenten im Bundesarbeitsministerium konkret gesagt worden? Es ist eine Kostenbeteiligung vorgeschlagen worden, (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) nicht nur erhöht für Arzneien, sondern auch für ärztliche Behandlung und für Krankenhausbehandlung. Es sind ganz konkrete Vorschläge in Größenordnungen zwischen 75 Pfennig und 1,50 DM für jede ärztliche Inanspruchnahme — da schwanken Sie noch —, für jeden Krankenhaustag ohne Hausgeldbezug in der Größenordnung von 1,50 DM gemacht worden. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich das einmal in den wirtschaftlichen Auswirkungen! Ich will Ihnen Ihre Überlegungen erleichtern. Sie können mich berichtigen, wenn ich falsch gerechnet habe. Nach dem, was der Referent im Bundesarbeitsministerium darüber gesagt hat, soll die Kostenbeteiligung einen Betrag von 650 Millionen ausmachen, die vom Sozialaufwand abgehen und den Lebensstandard des einzelnen belasten sollen. Das kann man vorrechnen. Ich will hier keine sozialpolitische Debatte im Detail führen. (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Sie sind ja mitten drin!) — Wollen Sie es hören? Ich kann es Ihnen vorrechnen. Glauben Sie nicht, daß ich, wenn ich hier so etwas sage, das nicht vorher genau überlegt habe! Ich will Ihnen die Größenordnungen sagen. Die Beteiligung an den Krankenhauskosten macht, wie der Referent des Bundesministeriums sagte, 150 Millionen aus, an Arztkosten 400 Millionen, Arzneien 100 Millionen. (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) — Ach, „zur Sache"? Die Soziallasten hängen nicht mit den Rüstungsausgaben zusammen? Ja, meine Damen und Herren, Sie kommen nicht so leicht davon. Zwischen Rüstungsausgaben, Sozialausgaben und wirtschaftlichen Belastungen des einzelnen besteht kein Zusammenhang? Ihr eigener Sprecher, Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1367 Dr. Schellenberg Herr Dr. Hellwig, hat gestern selbst von Opfern gesprochen und auf den Zigarettenkonsum und auf den Bierkonsum Bezug genommen. Aber klären Sie die Dinge vorher bitte erst mal in Ihrem Kreise. Die einen sagen nämlich, der Zigaretten- und Bierkonsum solle eingeschränkt werden zugunsten der Kostenbeteiligung, und Herr Dr. Hellwig hat gesagt: im Zusammenhang mit den Rüstungsaufwendungen. Und die Frage des Bierkonsums erörtern Sie erst mal in der CSU-Fraktion! (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.) Ich weise also nur darauf hin, daß es sich nach den Vorstellungen der Regierungsvertreter beispielsweise in der Frage der Kostenbeteiligung um wirtschaftlich bedeutsame Größenordnungen handelt. Der Bundesarbeitsminister hat dankenswerterweise auch einen Entwurf zur Unfallversicherung als Referentenentwurf vorgelegt, gewissermaßen als Versuchsballon. Was steht darin? Daß für Unfälle mit einer Beschädigung unter 25 % in Zukunft keine Rente mehr gewährt werden soll, (Hört! Hört! bei der SPD) was praktisch bedeutet, daß fast die Hälfte aller Arbeitsunfälle in Zukunft ohne eine Entschädigung bleiben soll. (Zuruf von der SPD: Unerhört!) Meine Damen und Herren, das ist ein Tatbestand, von dem Sie nicht leugnen können, daß er im Zusammenhang mit den Notwendigkeiten steht, (Abg. Schütz [München]: „Mit den Notwendigkeiten"!) — ja, den Notwendigkeiten, die sich aus Ihrer Konzeption des steigenden Rüstungsaufwands ergeben. Jetzt gehen Sie daran, die Sozialausgaben einzuschränken. Wir halten das für eine gefährliche Entwicklung; und deshalb weisen wir mit Ernst darauf hin. Sie können mir erwidern: „Ja, bei der weiteren sozialpolitischen Entwicklung werden wir auch Leistungsverbesserungen vornehmen!" Deshalb gebe ich Ihnen darauf gleich die Antwort. Auf die wirtschaftliche Größenordnung kommt es an! Bezüglich der Leistungsverbesserungen sind die Stimmen aus dem Bundesarbeitsministerium wesentlich vorsichtiger als das, was in bezug auf Beschränkung des Umfanges der sozialen Leistungen gesagt wird. Sie haben in bezug auf die Leistungsverbesserung sich sehr unverbindlich ausgedrückt; aber bezüglich der Kostenbeteiligung haben Sie schon sehr präzise Vorstellungen. Sie sprechen von einer Umschichtung des Sozialaufwands, und Sie meinen damit eine Verlagerung von den Sozialleistungen auf die eigenen Mittel und damit den Lebensstandard des einzelnen. Sie werden den Lebensstandard dadurch verschlechtern, um auch damit die erhöhten Rüstungskosten zu finanzieren. An diesem Tatbestand kommen Sie nicht vorbei. Das hat zwangsläufig verhängnisvolle Auswirkungen auf den sozialen Status der Bundesrepublik. (Sehr wahr! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, wohin kommen Sie denn mit den ansteigenden Rüstungskosten? Sie kommen dazu, die Sozialausgaben weniger von der sozialen Notwendigkeit her bestimmen zu lassen als vielmehr von dem Restbetrag, der nach Durchführung und Finanzierung Ihrer Rüstungspläne übrigbleibt. Deshalb hat Herr Dr. Hellwig von Opfern gesprochen, der Herr Finanzminister in seinen Erklärungen von materiellen Anstrengungen, die erbracht werden müssen. Es wurde aber nicht gesagt, wer diese Opfer und diese Anstrengungen erbringen soll, die wirtschaftlich Starken oder — wie hier im sozialen Bereich — die wirtschaftlich Schwachen. Zur Belastung und Verschlechterung des Lebensstandards der wirtschaftlich Schwachen haben Sie schon Konzeptionen entwickelt. Entwickeln Sie uns Ihre Vorschläge zur Rüstungsfinanzierung durch Inanspruchnahme der wirtschaftlich Starken! (Beifall bei der SPD.) In diesem Jahre werden in bezug auf die Sozialausgaben die Weichen gestellt, weil die Sozialleistungen niedriger sind als die Rüstungsausgaben. Sie müssen sich dann mit der Frage auseinandersetzen, was Sie auf sozialem Gebiet in der Ära der Aufrüstung noch leisten können. Wie ist die Lage? Ein Staat, der die Sozialausgaben niedriger ansetzt als die Rüstungsausgaben, ein Staat, der die Sozialleistungsempfänger, die Schwächsten in unserem Volke, nicht anteilmäßig an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen läßt, ein Staat, bei dem nicht die Sozialausgaben, sondern die Rüstungsausgaben den Angelpunkt des Bundeshaushalts bilden! Ich frage Sie: kann man einen solchen Staat noch als einen Sozialstaat bezeichnen, oder ist dafür nicht die Bezeichnung Militärstaat angebrachter? (Oh!-Rufe bei der CDU/CSU. — Abg. Horn: Das ist der Gipfel der Polemik, das ist sogar demagogisch! Jetzt hören Sie aber auf, mein Lieber!) Überlegen Sie diese Entwicklung sehr sorgfältig. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich habe an Sie eine Frage gestellt. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) — Sie sollten diese Frage beantworten. (Abg. Horn: Das war eine demagogische Frage!) Herr Dr. Vogel und Herr Dr. Hellwig, Sie haben davon gesprochen, daß steigende Rüstungsausgaben erforderlich sind — das ist Ihre Vorstellung —, um auch die soziale Sicherheit zu schützen. Aber, meine Damen und Herren, indem Sie durch eine forcierte Rüstungspolitik zur Einschränkung des sozialen Leistungsbereichs gezwungen sind, beeinträchtigen Sie die soziale Sicherheit, die ein unerläßliches Fundament für Freiheit und Demokratie bildet. (Sehr wahr! bei der SPD.) Die militärische Sicherheit, die Sie, meine Damen und Herren, zu schaffen meinen, steht auf schwan- 1368 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg kendem Boden, wenn sie durch eine Beeinträchtigung der sozialen Sicherheit erkauft werden muß. (Beifall bei der SPD.) Ihre Politik der zunehmenden Rüstungsausgaben gefährdet damit den sozialen Gehalt unserer Demokratie. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: nützt nicht eine solche Politik denen, die darauf warten, daß unser soziales Gefüge ins Schwanken gerät? (Erneuter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 31. 5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Frau Berger-Heise 3. 5. Birkelbach 25. 4. Dr. Birrenbach 25. 4. Frau Bleyler 26. 4. Dr. Böhm 26. 4. Brese 24. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Dr. Dehler 25. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30. 4. Dr. Dittrich 26. 4. Döring (Düsseldorf) 24. 4. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Engelbrecht-Greve 26. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26. 4. Geiger (München) 26. 4. Frau Geisendörfer 23. 5. Dr. Gülich 26. 4. Hahn 25. 4. Hamacher 25. 5. Dr. von Haniel-Niethammer 26. 4. Dr. Harm 24. 4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Frau Herklotz 1. 5. Höcherl 10. 5. Dr. Hoven 25. 4. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Duren) 26. 4. Jacobs 25. 4. Frau Kipp-Kaule 26. 4. Kunze 15. 5. Dr. Lindenberg 25. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Mattick 26. 4. Mellies 23. 5. Memmel 25. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Mischnick 24. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Frau Renger 10. 6. Richarts 25. 4. Ruf 25. 4. Scharnberg 26. 4. Scharnowski 26. 4. Scheppmann 2. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) 26. 4. Schneider (Hamburg) 24. 4. Storch 25. 4. Sträter 31. 5. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 24. 4. Weimer 31. 5. Dr. Zimmer 26. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Walter Menzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    In 18 Monaten haben wir noch nicht 1960!

    (Zurufe von der Mitte.)

    Ich darf Ihnen folgendes entgegnen, nachdem mir das Material jetzt gerade heraufgereicht wird. Herr Brand t hat folgendes verlautbart:
    Soeben wird mir der Wortlaut des Artikels vorgelegt,
    — das ist ein Fernschreiben an Herrn Feddersen, glaube ich —
    den Sie heute auf Grund unserer Unterhaltung am 21. April in Ihrer Zeitung veröffentlichen. Um den Sinn meiner Worte ganz klar herauszustellen: ich wollte es für die Russen so deutlich wie möglich erklären, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik einschließlich Berlins weit über die Kreise meiner eigenen Partei hinaus die geforderte Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen ablehnt. Die Hoffnung, die Erfüllung dieser Forderung in den vor uns liegenden eineinhalb Jahren noch vermeiden zu können, ist außerordentlich stark und wird bis in die Reihen der Regierungskoalition geteilt.

    (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Majonica: Alle haben wir die!)

    Mir erscheint dieser Hinweis notwendig, um etwaige Versuche zu vereiteln, mich in Gegensatz zur Haltung meiner Partei zu bringen.
    Das zur Antwort auf Ihre Zwischenfrage!

    (Abg. Majonica: Das ist aber Ihre Zeitung! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, daß aus diesen wenigen Zitaten der Äußerungen des Bundeskanzlers und des Bundesverteidigungsministers einige Tage vor der Wahl klipp und klar hervorgeht, daß diese Wahl vom September 1957 Ihnen keine Blankovollmacht gegeben hat, die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik zu beschließen. Daher fühlen sich viele ihrer Wähler von damals übervorteilt. Daher nun der Aufstand des Gewissens jener Millionen, die sich getäuscht fühlen.
    Wer seinerzeit trotz jener Äußerungen des Bundeskanzlers und des Bundesverteidigungsministers warnte, die Wiederwahl Dr. Adenauers werde die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik bringen, wurde als Demagoge verschrien.
    Heute wissen wir und auch jene Millionen, die Ihnen am 15. September 1957 gefolgt sind, daß es schon damals der erklärte Wille der Bundesregierung war, alsbald nach der Wahl auf die Anschaffung von Atomwaffen zu drängen.
    Herr Strauß hat vor einigen Tagen in Paris dem atomaren Aufrüstungsplan des NATO-Oberbefehlshabers Norstad für die Bundesrepublik zugestimmt. Es war also doch kein bloßes Gerede, daß die Bundesregierung mit allen Mitteln zu dieser atomaren Aufrüstung drängen würde. Nur allzu schnell haben diejenigen recht behalten, die damals von der Gefahr eines nationalen Notstandes sprachen. Mit überhasteter Eile und ohne Rücksicht auf den wachsenden Widerwillen des Volkes hat nun Herr Strauß die Bundesrepublik an die unübersehbaren Folgen seiner Politik des atomaren Wettrüstens gekettet. Schon in wenigen Tagen wird die Ausbildung der ersten deutschen Soldaten an diesen mörderischen Massenvernichtungsmitteln beginnen.
    Übrigens hat damit Herr Strauß durch seine bindenden Erklärungen in Paris einen Schritt getan, der weiter geht als Ihre eigenen Anträge und Beschlüsse in der letzten Debatte. Er setzt hier eine Taktik fort, die sich seit Jahren so unheilvoll für unsere gesamte Innen- und Außenpolitik ausgewirkt hat, die Taktik, dem Parlament vorzugreifen und das Parlament dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese Methode wird uns noch einmal teuer zu stehen kommen. Diese Taktik, die Herr Strauß in Paris angewandt hat, ist ein Grund mehr, die Durchführung einer Volksbefragung zu beschleunigen.
    So geht es bei diesem Gesetzentwurf zwar auch noch einmal um das Problem der Aufrüstung mit atomaren Waffen. Aber es geht hier auch entscheidend um das Recht des Staatsbürgers, bei Fragen, die seine Existenz, seine Familie und sein Volk berühren, seine Meinung sagen zu dürfen. Welche



    Dr. Menzel
    Verachtung Ihrerseits gegenüber den Wählern wäre es, ihm dieses Recht abzuschneiden!

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun versuchen Sie, durch Hinweise auf Gesetzesmaterialien - Hinweise übrigens, die in der Sache fehlgehen — und durch juristische Kniffe von der politischen Verantwortung abzulenken. Aber Ihre verfassungsrechtlichen Einwendungen, für die Sie bisher niemanden aus der Welt der freien Staatsrechtslehrer erwärmen konnten, sind doch weiter nichts als ein Zeichen dafür, daß Sie sich den Fragen politisch nicht mehr gewachsen fühlen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wo soll denn eigentlich bei unserem Gesetzentwurf ein Verstoß gegen das Grundgesetz liegen? Viele aus Ihrer eigenen Fraktion, meine Damen und Herren, nehmen diesen Einwand ja selber gar nicht ganz ernst.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ihnen juckt es doch geradezu in allen Fingern, unsere Fragen umzukehren und dem Volk nicht unsere Fragen, die Ihnen so unbequem sind, vorzulegen, sondern Fragen, die Ihnen passen.
    Wo bleibt eigentlich — das möchte ich die Bundesregierung fragen — das „Gutachten", das die Bundesregierung seit einiger Zeit aus ihrem eigenen Innen- und Justizministerium vorlegen soll? Oder ist das inzwischen eine geheime Kommandosache geworden? Denn kommandiert ist es doch. Die Regierung ist nämlich den einfachsten, den primitivsten und auch politisch billigsten Weg gegangen. Denn natürlich müssen die Beamten eines Ministeriums, wenn der Chef sie anweist, die Gültigkeit eines Gesetzentwurfs der Opposition bestreiten, ihm diese Beweise liefern.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Das würde bei Ihnen so sein!)

    Welcher Beamte hätte denn den Mut zu diesem Ungehorsam? Würde er diesen Weisungen nicht gehorchen, würde es ihm gehen wie dem Schriftsteller Dr. Jung: er hatte die Freiheit der Meinungsäußerung auf der Kundgebung in Frankfurt am Main, aber er hatte die Gewißheit, von seiner Zeitung entlassen zu werden.

    (Abg. Dr. Zimmermann: Sagen Sie, daß es in der Schweiz war, dann wäre es fair!)

    Für die Untersuchungen über das Wahlrecht und über das künftige Parteiengesetz ging man noch den Weg einer unabhängigen Gutachterkommission. Dem ist man diesmal ängstlich ausgewichen.
    Nun versucht man, mit Hinweisen auf die Beratung im Parlamentarischen Rat einen Bruch in den Auffassungen der Sozialdemokratischen Partei zu konstruieren. Aber damit, meine Damen und Herren, werden Sie kläglich scheitern. Glauben Sie denn wirklich, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rats und ich meine hier alle Mitglieder, nicht nur die sozialdemokratischen — jemals daran gedacht hätten, dem Volk das Maul zu verbinden und es nur alle vier Jahre einmal an die Wahlurne zu lassen?!
    Was Sie sich übrigens unter „Kontakt" mit der Bevölkerung außerhalb der Wahlen vorstellen, beschränkt sich zunehmend auf das Engagement verschiedener Volksbefragungsinstitute, durch die Ihre Regierung allmonatlich die öffentliche Meinung befragen läßt. Damit sparen Sie zugleich Parteigelder, denn die Auftragshonorare werden aus dem Fonds des Herrn Bundeskanzlers gezahlt. Es war der damalige Bundestagsabgeordnete Martin Blank, der die Notwendigkeit der Mittel schon beim Haushalt 1954 damit begründete; er sagte, diese Form der Meinungsforschung sei sehr zuverlässig und zweckmäßig.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    1956 wurden die Mittel abermals erhöht mit der Begründung, das sei wegen der „lebhaften politischen Tätigkeit" im Volke notwendig. So wird also „hintenherum" eine Volksbefragung auf kommerzieller Grundlage nach bestimmten Weisungen durchgeführt, die man dem Institut erteilt, anstatt offen und ehrlich jeden Wähler bei so wichtigen Fragen selbst zu hören, wie er über diese Fragen denkt.
    Wer die Reden im Parlamentarischen Rat sorgfältig studiert, kann etwas ganz anderes und viel Interessanteres als einen „politischen Fehltritt" der Sozialdemokratie feststellen. Ich weiß, Sie werden mir nachher meine eigene Erklärung im Parlamentarischen Rat vorhalten. Darum will ich sie gleich so vollständig verlesen — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — daß kein Mißverständnis entstehen kann. Ich habe damals gesagt, man werde sich entschließen müssen, einen Volksentscheid auch dann zuzulassen, wenn damit bezweckt werden könnte, ein bereits gewähltes Parlament wieder aufzulösen mit der Begründung, die Masse der Wähler sei der Auffassung, daß dieses Parlament nicht mehr dem derzeitigen Willen des Volkes entspreche. Meine Damen und Herren, das ist gerade der Fall, vor dem wir heute stehen.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist eben abgelehnt worden!)

    Ich habe damals schon meine Pappenheimer gekannt.
    Zu meiner Bestürzung kann ich heute feststellen, wie berechtigt mein damaliger Pessimismus war. Mit welchen Hoffnungen sind wir seinerzeit an den innerpolitischen Aufbau unseres Teilstaates gegangen, und vor wieviel Trümmern und Enttäuschungen stehen wir heute! Muß ich Sie daran erinnern, wie häufig wir uns in den acht Jahren Bundestag gegen Überrumpelungen durch die Mehrheit oder gegen Ubergriffe der Bundesregierung gegenüber dem Parlament wehren mußten! Denken Sie doch z. B. einmal zurück an die Auseinandersetzungen über das Wahlrecht, z. B. an das Grabensystem,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    oder an die Methoden bei der Verabschiedung des ersten Freiwilligengesetzes, oder an einen Vorgang aus der jüngsten Zeit: wie Sie noch am 25. März den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt haben, die Bundesregierung möge wenigstens ihre eigenen Gründe für die atomare Aufrüstung

    Dr. Menzel
    dem deutschen Volke und dem Parlament in einem Weißbuch vorlegen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der britische Wähler hatte es besser. Die britische Regierung hat im vorigen Jahr von sich aus, ohne das Drängen des Parlaments oder gar der Opposition abzuwarten, dem britischen Volk mitgeteilt, welche Gründe die Regierung zu ihrer Militär- und Aufrüstungspolitik veranlaßt haben.
    Wenn Sie aber schon auf die Debatte im Parlamentarischen Rat zurückgreifen, können Sie an Hand der Materialien und der Protokolle feststellen, daß es die Vertreter Ihrer Fraktion waren — ich mache ihnen daraus heute gar keinen Vorwurf; aber ich muß Ihnen das sagen, weil Sie so tun, als wären Sie immer gegen Volksentscheide und Volksbegehren gewesen, die ja etwas ganz anderes und viel Weitergehendes sind als eine Volksbefragung —, die bis zur letzten Verhandlungsminute in der vierten Lesung darum gekämpft haben, irgendwo die Tür für die Beteiligung des Volkes in wichtigen Fragen — Volksbegehren und Volksentscheid
    — aufzumachen. Sie brauchen nur nachzulesen, was die verehrte Frau Kollegin Dr. Weber aus Ihrer Fraktion oder Ihr Mitglied im 1. Bundestag, der Justizrat Dr. Fink, oder der jetzige Präsident des Verfassungsgerichtshofs in Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Süsterhenn, hierzu gesagt haben. Wie nimmt sich bei den damaligen Bemühungen Ihrer Freunde jenes merkwürdige Flugblatt aus, das Ihre Partei in der vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn in diesen Tagen hat verteilen lassen? Da heißt es u. a.:
    Demokratie und Rechtsstaat kennen nur eine Volksbefragung: das ist die Wahl.
    Wenn man überhaupt einmal untersuchen will, wer denn seit jenen .Jahren des Parlamentarischen Rats seine Meinung, und zwar entscheidend, geändert hat, kommt man zu viel interessanteren Feststellungen. Hören Sie selbst einmal, mit welchen Vorstellungen der heutige Bundeskanzler und damalige Präsident des Parlamentarischen Rats und Vorsitzender der CDU in die Beratungen des Parlamentarischen Rates hineingegangen ist und welche Versprechungen er damals den Wählern gemacht hat! Es sind Zitate, die Sie sicherlich kennen, die Ihnen in Erinnerung zurückzurufen aber an dieser Stelle, nötig ist. Herr Dr. Adenauer hat im November 1949 gesagt:
    Schließlich muß ich darauf hinweisen, daß ein neues Heer bei uns nur die militärischen Erinnerungen wieder beleben würde, die ein- für allemal verschwinden müssen.
    — und am 5. Dezember 1949:
    In der Öffentlichkeit muß ein- für allemal klargestellt werden, daß ich prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch gegen die Errichtung einer neuen deutschen Wehrmacht bin.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Und weiter:
    Wir sind einverstanden so sagte Dr. Adenauer —
    daß wir völlig abgerüstet werden, daß unsere reine Kriegsindustrie zerstört wird, daß wir nach beiden Richtungen hin einer langen Kontrolle unterworfen werden. Ja, ich will noch weiter gehen: Ich glaube, daß die Mehrheit des deutschen Volkes einverstanden wäre, wenn wir wie die Schweiz völkerrechtlich neutralisiert würden.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Majonica: Haben Sie nicht den Eindruck, daß sich mittlerweile mancherlei geändert hat?)

    — Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Aber waren Sie es denn nicht, die die Einwendungen gegen unseren Gesetzentwurf mit dem Hinweis begonnen haben: Schaut doch selbst einmal zehn Jahre zurück in die Zeit des Parlamentarischen Rats und auf eure damaligen Auffassungen! Deshalb müssen Sie sich nun auch das vorhalten lassen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Unser Gesetzentwurf über die Volksbefragung — es ist eigentlich etwas beschämend, daß man das in einem Parlamente ausdrücklich feststellen muß
    — hat überhaupt nichts mit Volksbegehren und Volksentscheid zu tun.

    (Abg. Majonica: Sehr richtig!)

    — Das hat sich aber offensichtlich noch nicht überall bei Ihnen herumgesprochen. Wer behauptet, daß das dem Sinne nach das gleiche sei, kann doch nur die Öffentlichkeit täuschen wollen.

    (Abg. Majonica: Das kann schon deswegen nicht das gleiche sein, weil es Hitler erfunden hat!)

    — Wer diese Befragung mit bestimmten Praktiken Adolf Hitlers vergleicht, beweist, wie fremd ihm auch heute noch der Unterschied zwischen einer Diktatur und unserem heutigen Staat ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und welche Beleidigung der zweitgrößten Fraktion dieses Hauses ist es, diesen Antrag mit den Maßnahmen eines Strolches wie Adolf Hitler zu vergleichen, der doch nur siegen konnte, weil ihm viele von Ihnen damals mit in die Macht verholfen haben!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wollen Sie denn mit diesem Argument zu den Tausenden von Blutopfern, die die europäischen Sozialisten dem Nazi-System bringen mußten,

    (Zuruf von der Mitte: Auch andere!)

    noch Ihren billigen Spott und die Demütigung hinzufügen, daß Ihre damalige Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz erst das Volksbefragungsgesetz Adolf Hitlers ermöglicht hat?


Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung: es hat zu der Zeit damals keine Christlich-Demokratische Union gegeben. Ihr Vergleich geht also völlig fehl.

(Anhaltende Zurufe von der SPD und vereinzelte Zurufe von der FDP.)


Vizepräsident Dr. Preusker
— Meine Damen und Herren, der Präsident hat darüber zu wachen, — —

(Anhaltende erregte Zurufe von der SPD: Das ist doch nicht Ihr Amt!)

— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Der Präsident hat darüber zu wachen, daß in diesem Hause keine ungerechtfertigten Unterstellungen erfolgen. Das habe ich hiermit getan.

(Zuruf von der SPD: Wir haben doch keine Zensur! — Abg. Metzger: Lesen Sie einmal die Geschäftsordnung! — Weiterer Zuruf von der SPD: Wir machen keine Unterstellungen!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Walter Menzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident, es ist zwar üblich, gegenüber Erklärungen des amtierenden Präsidenten keine Kritik zu üben. Aber, Herr Präsident, das war kein Hinweis zum Ablauf der Debatte, sondern eine politische Feststellung Ihrerseits.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich darf sagen, daß die Frage der Identität der Partei überhaupt nicht ausschlaggebend ist, solange diejenigen, die damals das Ermächtigungsgesetz mitgemacht haben, oder ein Teil von ihnen hier sitzen oder das politische Fundament der CDU bilden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wenn aber schon von Volksbefragungen der damaligen Zeit gesprochen wird, dann darf ich daran erinnern, daß, wenn auch nicht rechtlich, so doch politisch, der letzte freie Volksentscheid in der Weimarer Republik im Frühjahr 1932 war; es war die Wahl eines Reichspräsidenten, und sie fiel für Hindenburg und gegen Hitler aus. Aber die Generäle und Krautjunker der damaligen Zeit waren es, die knapp ein Jahr später Hitler das Heft in die Hand gegeben haben.

    (Zuruf von der Mitte: SED-Jargon!)

    Es ist auch nicht richtig, daß Volksbefragungen dem Wesen nach das gleiche wie Volksentscheide seien. Wer das behauptet, soll sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen, oder er kommt in den Verdacht, die Öffentlichkeit irrezuführen. Der Unterschied liegt doch ganz offensichtlich zutage. Auf die Volksentscheide und Volksbegehren haben die Parlamente überhaupt keinen Einfluß. Beides sind Gesetzgebungsverfahren, die neben dem Gesetzgebungsverfahren des Parlaments einherlaufen. Aber eine Volksbefragung, wie wir sie beantragen, ist doch nur eine Aktion des Parlaments selbst. Das Parlament kann in völlig eigener Souveränität entscheiden, auf welchem Wege es sich über den Willen seiner Wähler orientieren will.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Erst Ihre Weigerung, dem Parlament dieses souveräne Recht zu lassen, bedeutet eine Entmachtung dieses Parlaments.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wo steht denn im Grundgesetz, daß das Parlament nicht das Recht habe, zu
    entscheiden, wie es den Kontakt mit seinen Wählern aufrechterhalten will?
    Zu allem Unglück für Sie kommt noch hinzu, daß da, wo sich deutsche Verfassungsrechtler geäußert haben, ohne einer Weisung unterworfen zu sein, sie Ihre Auffassung nicht teilen. Da gibt es zunächst von den Kommentaren, soweit sie überhaupt auf die Frage der Volksbefragung eingehen, nur einen — und das ist der Kommentar von Hamann —, der bereits 1956 eindeutig feststellt, daß Volksbefragungen zulässig seien. Da gibt es ferner ein Gutachten von Professor Nawiasky, veröffentlicht in der „Süddeutschen Zeitung", einem Mann, der politisch zweifellos Ihnen nähersteht als uns und der in schlichten und einfachen Worten beschreibt, warum gar keine Bedenken bestehen, wenn ein Parlament seine Wähler auf dem Wege über eine Volksbefragung anhört.
    Es soll auch in einem der Häuser der Bundesregierung ein nachher schnell in der Schublade verschwundenes Gutachten existieren, das nach eingehenden Untersuchungen der Materialien des Parlamentarischen Rats klipp und klar zu der Feststellung kommt: Volksentscheide und Volksbegehren sind natürlich nicht ohne Verfassungsänderung möglich, aber es besteht gar kein Zweifel gegen die Zulässigkeit einer Volksbefragung.
    Damit für Sie kein Zweifel über die Meinung der freien Juristen besteht, darf ich Sie auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, des Geyerschen Strafsenats, hinweisen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten daraus vorlesen:
    Sofern es nur darum ging, die Meinung der
    Volksmehrheit über die geplanten Verträge
    - der EVG-Verträge —
    mit der Folge der Wiederbewaffnung zu erforschen und festzustellen und dann durch das Ergebnis die Mitglieder des Bundestages in ihrer Meinungsbildung bei einer bestimmten gesetzgeberischen Aufgabe zu beeinflussen, handelt es sich um eine von der verfassungsmäßigen Ordnung her gesehen neutrale Zielsetzung.
    Sie wissen genau, daß der Bundesgerichtshof diese Volksbefragungen, die damals zur Entscheidung standen, für zulässig erklärt und die Angeklagten nur deshalb verurteilt hat, weil sie im Anschluß an die Volksbefragung offen den außergesetzlichen Sturz der Regierung und des Parlaments forderten.
    In welche Bedrängnis Sie diese Volksbefragung bringen würde, ergibt sich allein schon aus den Äußerungen, zu denen man sich hat hinreißen lassen. Da wird ohne sorgfältige Nachprüfung von einer Entmachtung des Parlaments und von einem Anschlag auf die Verfassung gesprochen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, an dem Sie die Behandlung dieses Gesetzes ablehnten mit der Begründung, man müsse sich doch erst einmal richtig mit dem Inhalt dieses Gesetzes befassen.
    In die gleiche Kategorie gehört auch die Behauptung, die Volksbefragung sei ein außerparlamentarisches Mittel. Den Beweis ist man bisher schuldig geblieben, und er kann auch gar nicht geführt wer-



    Dr. Menzel
    den. Denn für jeden, dem der Blick nicht durch politische Angst getrübt wird, ist es doch offensichtlich, daß ein von der Mehrheit des Hauses beschlossenes Gesetz kein außerparlamentarisches Mittel sein kann. Übrigens zu Ihrer Beruhigung: Wenn Sie einmal Zeit haben, das Grundgesetz richtig, gründlich und sorgfältig zu lesen, dann werden Sie auf seinen Art. 20 stoßen, der auch von Abstimmungen spricht. Wenn aber der Parlamentarische Rat ausdrücklich Abstimmungen zuließ, dann ist nicht einzusehen, warum der Bundestag mit seiner Mehrheit ein Gesetz über eine Volksbefragung nicht sollte beschließen können.
    So müssen Ihre Versuche scheitern, dieser lebenswichtigen Frage, vor die das deutsche Volk durch Ihre Politik gestellt ist, mit juristischen Spiegelfechtereien oder mit Rechtstheorien aus dem Wege zu gehen. Denn das Volk will nicht mit Paragraphen gefüttert werden, es will nicht für dumm verkauft werden,

    (Zuruf von der Mitte: Da haben Sie vollkommen recht!)

    sondern es will in einer solchen Lebensfrage selbst sagen können, was es von dieser Politik hält,

    (Abg. Kiesinger: Dazu wählt das Volk!) und da helfen Ihnen Paragraphen gar nichts!


    (Beifall bei der SPD.)

    Wie nervös man auch in Kreisen der Bundesregierung ist,

    (Zuruf von der Mitte: Das werden Sie gleich sehen!)

    beweist die in der Presse lancierte Nachricht, die Bundesregierung wolle den hessischen Innenminister vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe zitieren, weil er der Stadt Frankfurt am Main nicht die Volksbefragung verbiete. Nun, ich will — sollte das stimmen — nicht von dem Sündenfall eines Föderasten sprechen, der so etwas zulassen würde. Aber, meine Damen und Herren, früher waren Sie in diesem Punkte gar nicht so empfindlich. Als es nämlich vor Jahren, zur Zeit der Gründung des Europarates, darum ging, festzustellen, wie die Bevölkerung darüber denke, wenn man ein erstes gemeinsames, wenn auch noch so bescheidenes Organ für einen Teil der westlichen Länder schaffe, da waren Sie sogar sehr für Volksbefragungen. Damals haben in vielen Gemeinden solche Volksbefragungen stattgefunden, und kein Bundesinnenminister hat gemeint, das sei verboten, weil gegen Gesetz und Recht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt wohl Gesetzgebungskompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden und es gibt Exekutivkompetenzen der gleichen Organe, aber es gibt keine Informationskompetenzen. Welcher Gemeinde sollte es untersagt sein, sich bei ihren Einwohnern zu befragen, ob die Gemeinde z. B. Grund und Boden oder Hand- und Spanndienste für Atombasen zur Verfügung stellen solle?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nun haben Sie — und ich möchte auch diesen Vorwurf gleich aufgreifen — gefragt: Wird damit nicht auch der Weg zu Volksbefragungen bei anderen Problemen freigegeben? Dabei wurde auf die Todesstrafe hingewiesen. Nichts könnte das Makabre unserer Situation besser kennzeichnen als Ihr Versuch, die Todesstrafe mit der atomaren Aufrüstung Westdeutschlands zu vergleichen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Oder kommt das noch aus der Zeit, als die Hitlersche Geißel der Todesstrafe über unserem Land lag? Uns interessieren heute jene Millionen Opfer, die ein Atomkrieg bringen würde. Wenn Sie für jene Millionen Toten auch nur einen Bruchteil des Interesses hätten, das Sie für die Todesstrafe zeigen, dann wären wir in Westdeutschland gar nicht in der Situation, in der wir uns heute befinden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist gesagt worden, dieser Gesetzentwurf lasse den Verdacht entstehen, die Sozialdemokratische Partei gehe den Weg der „Staatsgefährdung". Ich hätte das nicht mehr aufgegriffen, wenn wir vorhin nicht die Szene zwischen Herrn Bausch und Herrn Wehner hätten erleben müssen. Die Verdächtigung, der Gesetzentwurf sei staatsgefährdend, erinnerte mich an die außenpolitische Debatte von Ende März. Will man jene Hochverratsprozesse psychologisch vorbereiten, denen damals der Ermächtigungsgesetzler Bausch so frenetisch zugestimmt hat?

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn Sie Angst um den Bestand unserer staatlichen Grundordnung haben, dann schauen Sie bitte einmal in Ihren eigenen Reihen nach.
    Ich will heute nicht mehr auf die „Abendländische Aktion" oder auf die neuen demokratischen Freunde unseres Außenministers, die Herren Franco und Salazar, zurückkommen. Ich meine etwas anderes. Da heißt es im Deutschen Verwaltungsblatt über den Staatsnotstand:
    Die für den Staatsnotstand zu gewährende Vollmacht wird eine Vereinigung aller vollziehenden Gewalt in Bund und Ländern einschließlich des Rechts zum Einsatz der Bundeswehr nach innen zulassen müssen;
    — dem Verfasser sind anscheinend jene Verfassungsbestimmungen unbekannt, die das ausdrücklich verbieten —
    denn wenn es um den Bestand des Ganzen geht, darf es kein Nebeneinander verschiedener Machtträger geben. D. h. letztlich nichts anderes, als daß ein künftiges Ausnahmerecht ... für den Staatsnotstand der Diktatur den Weg bereiten muß. Die Diktatur ist nun einmal die besondere Form der Staatsführung, die aus dem Staatsnotstand entspringt. Staatsnotstand und Diktatur gehören untrennbar zusammen.
    Der Bundeskanzler, heißt es, sei der präsumtive
    Diktator. Und dann heißt es, daß im Falle des
    Ausnahmerechts eine Reihe von Grundrechten, die



    Dr. Menzel
    nicht zur Verfassungssubstanz gehörten, aufzuheben und Rechtsmittel gegen Urteile nicht zuzulassen seien.
    Wer schreibt das? Ein leitender höherer Beamter in unserem Verfassungsministerium.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesminister mitteilen würde, ob dieser Herr auch zu dem Kreis jener Gutachter gehört, die das Gesetz über die Volksbefragung für unzulässig halten.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Wenn Sie richtig zitierten, dann würden Sie sehen, daß es kein leitender Beamter ist!)

    Natürlich, wer so befreundet ist mit den Ideen einer Diktatur, der hält nichts von der Befragung des Volkes. Ich meine, dann hätten Sie lieber gleich die Herren Lautz oder Zind fragen sollen.

    (Beifall bei der SPD. — Bundesinnenminister Dr. Schröder: Lesen Sie doch mal die Überschrift vor! Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Diese ständigen halblauten Zwischenrufe von der Regierungsbank sollten unterbleiben!)

    Es sind in der Tat, das verkennen wir nicht, außergewöhnliche Mittel, die wir vorschlagen. Aber sie entsprechen nur der außerordentlichen Situation, in die das Volk durch Sie gebracht ist.
    So dürfen Sie sich nicht wundern, daß die Menschen draußen tief besorgt sind. Es war vorauszusehen, daß die Debatte von Ende März eine Fülle von Briefen veranlassen würde.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Nein, nicht aus der Ostzone. Es waren erstaunlich wenig diesmal.

    (Lachen und Oh!-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Aus der Fülle der Post möchte ich nur einen Brief aus Emmendingen vorlesen:
    Es ist ein Unglück,
    — schreibt eine Frau —
    die Mutter von Jungens zu sein, eine Familie zu haben, wenn man an die Zukunft denkt. Was sind das für Frauen im Parlament, die auch darin hörig sind! Bleiben Sie standhaft und lassen Sie in Ihrem Bemühen, verehrte Abgeordnete der SPD, nicht nach.

    (Abg. Kiesinger: Wir können Ihnen Hunderte von Briefen zeigen, die uns zustimmen!)

    Sie wissen — und darum Ihre Angst vor der Volksbefragung —,

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Was wollen Sie denn damit beweisen?)

    daß Sie gegen eine Front von Tausenden von Wissenschaftlern und Forschern stehen.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Wer soll denn „hörig" sein?)

    — Frau Kollegin Weber — es tut mir leid — Sie sind damit gemeint!

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Ich?)

    — Nach dem Brief.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie wissen, daß zu dieser Front - -

    (Abg. Schmücker: Das ist eine Verunglimpfung!)

    - Entschuldigen Sie; ich habe es ja nicht zitiert.
    Wenn aber die Frau Kollegin Weber mich fragt, muß ich ihr antworten.

    (Abg. Schmücker: Sie nehmen den Umweg über einen Brief zur Verunglimpfung! Das ist die ganze Geschichte! — Zuruf von der SPD: Sie machen es ohne Umweg!)

    — Lassen Sie in Ihrem Wahlkreis neu wählen, Herr Kollege; das ist besser.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ach du liebe Zeit! — Weitere Zurufe und Unruhe.)