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    Deutscher Bundestag 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Inhalt: Abg. Leukert (CDU/CSU) tritt als Nachfolger des Abg. Klausner in den Bundestag ein 1361 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) — Fortsetzung der Aussprache —. Dr. Schellenberg (SPD) 1361 C, 1379 B, 1382 D Blank, Bundesminister 1368A, 1381 B, 1383 A Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 1371 B Dr. Wuermeling, Bundesminister . 1374 B Stingl (CDU/CSU) . . . . . . . 1376 C Seuffert (SPD) 1383 B, 1394 C Krammig (CDU/CSU) 1385 D Etzel, Bundesminister 1388 A Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 1393 C Strauß, Bundesminister 1395 D Wehner (SPD) . . . . . . . 1405 D Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (SPD) (Drucksache 303) — Erste Beratung — Dr. Menzel (SPD) 1412 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 1421 A Dr. Schröder, Bundesminister . . 1430 A Dr. Bucher (FDP) 1433 C Euler (DP) . . . . . . . . . 1437 D Blachstein (SPD) 1441 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) 1448 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1456 D Anlage 1457 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1361 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr. Vizepräsident Dr. Becker (nach seiner Genesung mit Beifall begrüßt) : Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, für unseren verstorbenen Kollegen Klausner ist mit Wirkung vom 21. April 1958 der Abgeordnete Leukert in den Bundestag eingetreten. Ist der Kollege anwesend? (Abg. Leukert: Ja!) — Dann darf ich ihn herzlich begrüßen. Ich wünsche ihm eine gute Mitarbeit. (Beifall.) Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne VerLesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat mit Schreiben vom 22. April 1958 mitgeteilt, daß sich die Verkündung der vom Bundestag in seiner 16. Sitzung beschlossenen Fünfzehnten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl — Drucksachen 108, 239 — erübrige. Sein Schreiben wird als Drucksache 346 verteilt. Die Aussprache zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt konnte in der gestrigen Sitzung nicht mehr abgeschlossen werden. Auf Vorschlag des amtierenden Präsidenten wurde beschlossen, diesen Gegenstand erneut als Punkt 1 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen. Ich rufe daher auf: Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) . Nach § 33 der Geschäftsordnung hat der Präsident darauf zu achten, daß eine sachgemäße Erledigung des Gegenstandes, d. h. auch eine entsprechende Gruppierung der Redner vorgenommen wird. Ich habe deshalb an die Damen oder Herren, die zu diesem Punkt noch sprechen möchten, die Bitte zu richten, sich jetzt schon beim Schriftführer zu meiner Rechten zu melden und dabei mit anzugeben, über welchen Fragenbereich sie sprechen wollen. Ich glaube nämlich, eine gewisse Gruppierung des Stoffs bedeutet eine Erleichterung sowohl für die Presse als auch für das Verständnis aller Zuhörer und gibt den zuständigen Ministern die Möglichkeit, zum richtigen Zeitpunkt in die Debatte einzugreifen. Ich darf also bitten, so zu verfahren. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg. Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ausmaß der Rüstungsausgaben hat nicht nur volkswirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen, sondern ist auch von entscheidender Bedeutung für die gesamte Sozialpolitik. Das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, natürlich auch. (Zuruf von der CDU/CSU: Seien Sie vorsichtiger!) — Ich komme noch darauf, darüber werden wir noch sehr eingehend zu sprechen haben, vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist. In der gestrigen Debatte haben Sie nämlich versucht, den sozialpolitischen Problemen möglichst aus dem Wege zu gehen. (Abg. Dr. Hellwig: Herr Stingl hat es noch vor!) — Ich komme auch zu Herrn Stingls Verhalten. Die Herren Vogel und Hellwig haben lediglich einige schwungvolle Worte über den Zusammenhang zwischen äußerer Sicherheit und innerer Sicherheit gesagt. (Zurufe von der Mitte.) Das ist für die Probleme, um die es bei diesen Rüstungsausgaben geht, zu wenig. Zur Entschuldigung gestehe ich den Herren Vogel und Hellwig zu, daß ihnen die sozialpolitischen Probleme etwas ferner liegen. (Abg. Dr. Hellwig: Woher wissen Sie?) — Das haben Sie wiederholt bewiesen, Herr Kollege Hellwig. (Beifall bei der SPD.) Es fiel der Name des Kollegen Stingl. Herr Kollege Stingl hat sich gestern zweimal zum Wort gemeldet und zweimal seine Wortmeldung zurückgezogen. Ich weiß nicht, weshalb er das getan hat. (Abg. Rasner: Es lohnte nicht!) 1362 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg Entweder hielt er die sozialpolitischen Dinge im Rahmen der Aussprache für nicht so wichtig, (Abg. Rasner: Nach Ihnen, Herr Professor!) oder er wollte eine bestimmte Rangordnung in der Rednerfolge erreichen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Aber wir haben ja heute keine Life-Sendung. Weshalb dieses Katze-und-Maus-Spiel? Im übrigen kann ich Ihnen sagen — das habe ich hier schon wiederholt unter Beweis gestellt —: Wenn Herr Kollege Stingl oder ein anderer von Ihnen über sozialpolitische Fragen spricht und sie meines Erachtens nicht in das richtige Licht gerückt werden, dann werde ich noch wiederholt dazu das Wort nehmen. (Lachen bei der CDU/CSU.) Dessen können Sie sicher sein. (Zurufe von der CDU/CSU.) Nun haben gestern nicht nur die Vertreter der Regierungsparteien, sondern auch die Herren Vertreter der Regierung gesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister war, soweit ich sah, gestern nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen ja, daß er nicht da war!) — Er war nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen aber, wo er war!) — Ich weiß nicht, wo er war! Wahrscheinlich hielt er irgendwo eine Rede über die großen sozialen Leistungen der Bundesregierung. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) Also der Herr Bundesarbeitsminister war nicht anwesend, obwohl dem Hause und der Öffentlichkeit bekannt ist, daß zwischen Rüstungshaushalt und Sozialhaushalt sehr weitgehende Beziehungen bestehen. Wir mußten uns also auf Mitteilungen anderer Ressortchefs beschränken, obwohl sicher gerade die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers wegen seiner eingehenden Kenntnis der Beziehungen zwischen Rüstungs- und Sozialausgaben das Haus außerordentlich interessiert hätten. Nun, was hat der Herr Bundesfinanzminister in der Antwort der Regierung erklärt? Er hat wörtlich gesagt: Die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrages . . . wird jährlich neu geprüft und jeweils den veränderten politischen, technischen, finanziellen und militärischen Bedürfnissen angepaßt. Von sozialpolitischen Bedürfnissen hat der Herr Bundesfinanzminister nicht gesprochen. (Abg. Horn: Das war ja auch nicht das Thema des Tages!) — Das war nicht das Thema des Tages. Das gehört zum Thema Rüstungsausgaben, meine Damen und Herren. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Sie können diese Zusammenhänge nicht vom Tisch wegwischen, wenn Sie es vielleicht auch möchten. Aber auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat Erklärungen abgegeben, in denen er die Sozialausgaben zwar nicht ausdrücklich erwähnt, in denen er aber doch in geradezu erschütternder Weise unter Beweis gestellt hat, wie gering sein Verständnis für die sozialen Belange ist. (Zurufe von der CDU/CSU.) Ich möchte das wörtlich zitieren. Ich habe es mir nämlich aufgeschrieben, Sie können es im Protokoll nachlesen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat erklärt: Wir haben zwar das eine oder das andere zurückstellen müssen. Aber niemand ist dabei zu kurz gekommen. — Das wurde wörtlich gesagt, und ich glaube, treffender konnte der Herr Bundeswirtschaftsminister sein mangelndes Verständnis für die sozialen Belange von Millionen Menschen nicht kennzeichnen. (Beifall bei der SPD. — Abg. Horn: Aber, aber! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) Diese Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers reihen sich würdig an seine Erklärungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung. Er hat nämlich gesagt, er werde die Giftzähne aus der Rentenreform herausbrechen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Das ist die gleiche Melodie. Meine Damen und Herren, so billig kommen Sie nicht davon! (Abg. Horn: So billig!) Dazu ist die Angelegenheit zu teuer. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich werde das konkret beweisen, Herr Kollege Hellwig, selbstverständlich! Wie ist die Lage im sozialpolitischen Bereich? Bei allen sozialpolitischen Auseinandersetzungen in diesem Hause ging es und geht es im Grundsatz immer darum, welcher Anteil der gesamten Bundesausgaben für Sozialausgaben bereitgestellt wird und welcher Anteil vom gesamten Sozialprodukt auf die Sozialleistungen entfallen soll. Das ist die grundsätzliche Auseinandersetzung, die wir in diesem Hause immer geführt haben. Hierüber gibt es zwischen uns erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Im Gegensatz zu Ihnen waren wir immer der Auffassung, daß in den Bundesausgaben der Anteil an Sozialausgaben zu niedrig ist und daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Wir waren und sind der Meinung, daß die Bundesrepublik leider weit entfernt davon ist, ein Sozialstaat zu sein, wie es in Art. 20 des Grundgesetzes festgelegt ist. Sie haben Ihre Auffassungen über die Bundesrepublik als Sozialstaat im wesentlichen auf zweierlei Weise begründet. Sie haben erstens immer erklärt, die Sozialausgaben bildeten den größten Block der Bundesausgaben, und Sie haben zweitens stets die Behauptung aufgestellt, der Anteil der Sozialleistungen wachse laufend mit der Zuwachs- Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1363 Dr. Schellenberg rate des Sozialprodukts. Heute sind Sie im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand bereit, diese Ihre Konzeption vom Sozialstaat über Bord zu werfen. Ich möchte Ihnen das an Hand Ihrer eigenen Angaben und nicht an Hand meiner Berechnungen beweisen. Die Behauptung, daß die Sozialausgaben der größte Posten im Bundeshaushalt seien, läßt sich auf Grund Ihrer eigenen Zahlenangaben für das Jahr 1958 nicht mehr aufrechterhalten. An dem Trick, den Sozialleistungen die Ausgaben für die 131er und die Ausgaben für die Versorgung der Berufssoldaten der früheren Wehrmacht hinzuzurechnen, haben Sie in den Vorbemerkungen zum Haushalt teilweise selber nicht mehr festgehalten. Sie haben — lesen Sie nach auf Seite 164! — den Sozialausgaben zwar die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung und die Ausgaben für die Umsiedlerhilfe und die Ausgaben für die Kriegsfolgenhilfe hinzugerechnet, aber selbst bei dieser weiten Fassung des Begriffes der Sozialleistungen steht in Ihren Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt schwarz auf weiß, daß die Ausgaben für Sozialleistungen im Rechnungsjahr 1958 um 300 Millionen DM niedriger sind als im Jahre 1957. (Abg. Horn: Ja, was soll das?) — Das ist ein wichtiger Tatbestand! Zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik geht im Bundeshaushalt der Anteil der Sozialausgaben auch in der absoluten Höhe zurück. Wir müssen feststellen, daß nach Ihren eigenen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik die Ausgaben für die Rüstung höher als die Sozialausgaben — selbst in dieser weiten Fassung — sind. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich frage Sie: kann man einen Staat, bei dem die Rüstungsausgaben höher sind als die Ausgaben für soziale Zwecke, als Sozialstaat bezeichnen? (Abg. Horn: Jawohl!) Prüfen Sie das selbst, prüfen Sie das in Ihrem Kämmerlein! Und nun ein Zweites! Sie haben nach harten Auseinandersetzungen zugestanden — auch auf Grund unserer Initiative —, daß der Gedanke des Sozialstaates erst dann verwirklicht sei, wenn auch die Sozialleistungsempfänger laufend am Zuwachs des Sozialprodukts teilnähmen. Das war Ihr zweites Fundament für die Konzeption des Sozialstaats, wie Sie ihn sehen. Diese Konzeption haben Sie in diesem Jahr zum erstenmal aufgegeben. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, Sie haben den Haushalt offenbar nicht gelesen; ich empfehle Ihnen dringend, das über das Wochenende zu tun, bevor Sie weiter in Versammlungen gehen. Bei der Aufstellung des Bundeshaushalts — und das steht auch in der finanzpolitischen Begründung — wurde von einer Zuwachsrate des Sozialprodukts von 7 % ausgegangen. Man kann sich darüber streiten — und das wurde gestern getan —, ob diese Zuwachsrate richtig angesetzt ist. Jedenfalls geht die Bundesregierung von einer solchen Zuwachsrate aus. Dementsprechend müßte sie auch bei den Sozialleistungen die gleiche Zuwachsrate zugrunde legen, wenn die Auffassung aufrechterhalten werden soll, daß die Sozialleistungen nicht hinter der Entwicklung des Sozialprodukts zurückbleiben sollen. Wenn Sie zu den Sozialausgaben des Bundes von 1957 die Zuwachsrate von 7 % hinzurechnen, wie Sie es bei Ihrer gesamten Haushaltskonzeption getan haben, dann müßten im Haushalt 10,7 Milliarden DM und nicht 9,7 Milliarden DM für Sozialausgaben vorgesehen sein. Sie sind also bei den Sozialausgaben, gemessen an der Entwicklung des Sozialprodukts, schon in diesem Rechnungsjahr um 1 Milliarde DM unter den Ansätzen des Vorjahres geblieben. Das bedeutet, daß die Sozialleistungsempfänger nicht an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen sollen und von der Kaufkraftverschlechterung betroffen werden. Wo ist diese 1 Milliarde hingewandert? In den Rüstungshaushalt! (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Schütz [München] : Ist die Freiheit gar nichts wert?) — Darüber wollen wir sprechen! Aber Sie müssen doch erst einmal diesen Tatbestand zugeben und dürfen ihn nicht verschleiern, (Beifall bei der SPD) indem Sie erklären, zu den Sozialausgaben gehörten auch die Leistungen für die 131er und die Versorgung der früheren Soldaten. Wir wollen erst einmal die Tatbestände klären! Ich beziehe mich in meiner Argumentation auf Ihre eigene Konzeption Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Sie haben erwidert: Wir lassen die Sozialleistungsempfänger an der Entwicklung dos Sozialprodukts teilnehmen. Mit dieser Ihrer eigenen Konzeption brechen Sie heute, und das ist doch ein wichtiger Tatbestand, eine Veränderung der Situation zu Lasten der sozial Schwachen. (Beifall bei der SPD.) Sie stellen die Weichen in eine bedenkliche, um nicht zu sagen in eine gefährliche Richtung. Diese Entwicklung ist um so verhängnisvoller, als die Folgen des vergangenen Krieges in sozialer Hinsicht noch längst nicht überwunden sind, auch wenn 10 000 einen Mercedes 300 fahren, auch wenn Herr Erhard erklärt, es sei niemand zu kurz gekommen. Meine Damen und Herren, Sie werden mir erwidern, Sie hätten im gegenwärtigen Haushaltsjahr keinen Eingriff in das geltende Sozialrecht vorgenommen. Bis jetzt noch nicht; im Augenblick gehen Sie bei den Einschränkungen der Sozialausgaben noch indirekt vor, indem Sie dringend notwendige Ausgaben für soziale, kulturelle und gesundheitliche Aufgaben unterlassen. Im Bundesgebiet fehlen beispielsweise noch 46 000 Klassenräume, weil Sie den Ländern nicht die finanzielle Möglichkeit geben, im Zusammenwirken mit den Kommunen einen solchen Bedarf zu befriedigen. (Zuruf von der Mitte: Reden Sie doch zum Thema!) 1364 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg — Das ist das Thema der Rüstungsausgaben. (Zuruf von der Mitte: Was wollen Sie denn?) — Sie wollen den Zusammenhang zur Rüstung vertuschen. (Zuruf von der Mitte: Alte Platte!) — Das ist für Sie eine alte Platte! Sie wollen wohl die 46 000 Schulräume ad calendas graecas fehlen lassen. (Zuruf von der Mitte: Sagen Sie mal, was Sie ausgeben wollen!) — Ich spreche dazu, welche Auswirkungen die Rüstung auf die sozialen Aufgaben des Bundes haben wird. Auf diese Frage müssen Sie eine Antwort geben. Mit der allgemeinen Bemerkung: Erst die äußere Sicherheit garantiert die innere Sicherheit, kommen Sie nicht weiter, wenn Sie die Ausgaben für die innere Sicherheit gleichzeitig in so bedenklicher Weise schwächen. (Beifall bei der SPD.) Ein anderes Beispiel! Nach den Mitteilungen der verantwortlichen Krankenhausärzte fehlen 4 Milliarden D-Mark für die Investitionen in den Krankenhäusern. Das ist ein gesundheitspolitisch bedauerlicher Tatbestand. (Zurufe von der Mitte.) Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem praktischen Leben nennen. Die Presse ist voll von Berichten über die Erfindung einer Herz-Lungen-Maschine; sie kostet 160 000 DM. In welcher Lage sind wir? Wir müssen gewissermaßen öffentliche Sammlungen veranstalten, damit solche Maschinen beschafft werden können. Das ist eine peinliche Lage. (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stoltenberg: Bewilligen Sie sie doch in Nordrhein- Westfalen!) — Ich habe den Zusammenhang zwischen Bundeshaushalt und Länderhaushalten aufgezeigt, auf den meine Kollegen schon bei der Haushaltsberatung hingewiesen haben. Meine Damen und Herren, Sie unterlassen es nicht nur, dringend notwendige Ausgaben für soziale Zwecke einzusetzen, sondern Sie haben — das ist ein höchst bedenklicher Tatbestand, den Sie sich sorgfältig überlegen sollten — an jeder Position des gegenwärtigen Bundeshaushalts, die soziale Ausgaben betrifft, Kürzungen vorgenommen. So sind beispielsweise die Ausgaben, die für die Kriegsfolgenhilfe, für die Heimatvertriebenen, für die Rückgeführten, für die Flüchtlinge von großer Bedeutung sind, um 72 Millionen D-Mark gekürzt worden; das ist ein Tatbestand. (Zuruf von der Mitte: Warum?) — Sie fragen: Warum? — Wir alle hoffen, daß auf Grund der Repartriierungsverhandlungen die Zahl der Menschen, die aus den Ostgebieten zurückkehren, größer werden wird. Zu diesem Zeitpunkt nehmen Sie eine solche Kürzung von 72 Millionen D-Mark vor; (Hört! Hört! bei der SPD) das ist der Tatbestand. Etwas anderes! Sie haben die Bundeszuschüsse für die Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen D-Mark gesenkt. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, sollte Ihnen unbekannt sein, daß die Zahl der älteren arbeitslosen Arbeiter und Angestellten in den Notstandsgebieten noch erschreckend hoch ist? Wollen Sie das leugnen? Statt die Mittel für eine produktive Erwerbslosenhilfe zu belassen und zu erhöhen, nehmen Sie im Haushalt eine Kürzung der .Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen DM vor. Herr Kollege Schütz, Sie interessiert ja besonders der Lastenausgleich. Die Zuschüsse des Bundes zum Lastenausgleich sind um insgesamt 94 Millionen DM gekürzt worden. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) Das bedeutet doch, daß sich die Abwicklung des Lastenausgleichs zeitlich noch mehr verzögert als ohnehin schon. (Erneuter Zuruf des Abg. Schütz [München]. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Meine Damen und Herren, das sind Tatbestände, an denen Sie nicht vorübergehen können. Sie müssen sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand auseinandersetzen. (Abg. Schütz [München] : Das beruht doch auf § 6 des Lastenausgleichsgesetzes!) — Aber kommen Sie doch nicht mit diesem und jenem Paragraphen! Die praktischen sozialpolitischen Auswirkungen sind für die Menschen entscheidend. (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schütz [München].) Mein Freund Schoettle hat - ich erwähne das, um nun zu einer anderen Position zu kommen — schon darauf hingewiesen, daß die Ansätze in der Kriegsopferversorgung um 60 Millionen DM niedriger sind als im Vorjahr. (Abg. Horn: Sie wissen doch, warum!) — Ja, ich weiß warum. Aber, Herr Kollege Horn, bitte, sagen Sie Ihren Freunden, daß darin auch die Streichung von 42 000 Elternrenten in der Kriegsopferversorgung durch Anrechnung enthalten ist. (Sehr richtig! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, das sind Auswirkungen, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Was hat der Herr Bundeskanzler über diese Anrechnung gesagt? Sie vergessen es immer. Deshalb muß ich wieder daran erinnern. Am 12. September 1957, drei Tage vor der Bundestagswahl, sagte er: Es wird im nächsten Bundestag eine unserer dringendsten Aufgaben sein, sämtliche noch vorhandenen Unstimmigkeiten auf diesem Gebiet zu beseitigen, damit die Rentner wirklich Dr. Schellenberg auch in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsbestimmungen in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen. Das hat der Herr Bundeskanzler versprochen. Statt diese Härten zu beseitigen, meine Damen und Herren, schicken Sie sich an, noch größere Härten im sozialen Bereich eintreten zu lassen. (Beifall bei der SPD.) Der Herr Kollege Vogel hat von den Mehrleistungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung gesprochen. Ich will keine Rentendebatte eröffnen, sonst würden wir noch bis heute abend diskutieren. Der Herr Präsident hat darum gebeten, die Diskussion zu straffen. Aber nachdem der Herr Kollege Vogel das Thema angeschnitten hat, muß ich dazu eine Bemerkung machen. Herr Dr. Vogel hat nicht erwähnt, daß die Mehrleistungen aus der Rentenneuregelung zu 82 % aus den Beiträgen und nur zu 18 % aus Bundeszuschüssen stammen. (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf des Abg. Horn. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, das ist doch wichtig. (Abg. Horn: Das weiß jeder!) — Das weiß jeder? Sagen Sie es mal der Bevölkerung sehr deutlich! (Beifall bei der SPD.) Dann sagen Sie der Bevölkerung auch, Herr Kollege Horn, daß der Herr Bundesfinanzminister es ungeachtet der im Gesetz festgelegten höheren Bundeszuschüsse, die sich in bestimmter Weise entwickeln sollen, durch Kürzung der Zuschüsse für die knappschaftliche Rentenversicherung, der Erstattungsbeträge für die Mindestrenten von 14 und 21 DM im Schlußergebnis fertiggebracht hat, 37 Millionen DM für Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung weniger einzusetzen als im Vorjahr. Das ist auch für den Rüstungs- und Sozialhaushalt ein wichtiger Tatbestand. Herr Kollege Vogel — ich sehe ihn nicht im Saal; dann mag er es im Protokoll nachlesen — ist der Haushaltsexperte Ihrer Bundestagsfraktion und hat die Rentenneuregelung im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt erwähnt. Ich muß Herrn Kollegen Vogel und die Offentlichkeit über etwas anderes unterrichten. Als es nämlich um diese Dinge ging, hat der damalige Herr Bundesfinanzminister, dessen sachverständiger Berater der Finanzexperte der Fraktion sein sollte, folgendes an die Bundesregierung geschrieben: Nachdem nunmehr eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion wie auch Mitgliedern der übrigen Fraktionen der Regierungskoalition den Regierungsentwurf zur Rentenreform nicht mehr uneingeschränkt bejahen, schlage ich vor, das Kabinett möge wie folgt beschließen: Der Bundeskanzler wird gebeten, mit der Regierungskoalition Verhandlungen dahingehend zu führen, daß die Beratungen über die Bundestagsdrucksache 2437 — Rentenneuregelung — einstweilen zurückzustellen sind und statt dessen zum 1. Januar 1957 ein Überbrückungsgesetz verabschiedet wird. Wenn Herr Kollege Vogel im Zusammenhang mit dem Rüstungshaushalt die Rentenversicherung erwähnte, dann sollten Sie von diesen Tatbeständen Kenntnis nehmen und zugeben, wie es überhaupt zur Rentenneuregelung gekommen ist: gegen den Widerstand des Finanzministers und gegen den Widerstand des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der in diesem Punkt mit Teilen Ihrer Fraktion die gleiche Auffassung vertreten hat. Herr Kollege Vogel, Sie waren doch sicher unter den Sachverständigen, die für die Zurückziehung des Regierungsentwurfs zur Rentenneuregelung sind. Haben Sie sich vielleicht einmal überlegt, daß es im Zusammenhang mit den Rüstungsausgaben auch angebracht wäre, zu erwägen, ob man die Vorlagen über die Rüstungsausgaben noch einmal überprüfen und zurückziehen sollte? (Beifall bei der SPD.) Bei den finanziellen Auswirkungen der Rüstungskosten ist es sozialpolitisch von entscheidender Bedeutung, daß wir jetzt, wo die Aufrüstung auf volle Touren kommt, erst am Anfang der Auswirkung auf die Sozialausgaben stehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seinen Angaben über die zukünftigen Rüstungsausgaben gestern außerordentlich zurückgehalten, (Zuruf von der Mitte: Er hat sich präzise ausgedrückt!) — sehr zurückgehalten. Er hat nämlich praktisch nur das gesagt, was die Öffentlichkeit schon wußte. (Abg. Dr. Dollinger: Er hat Ihre Fragen beantwortet!) — Ja, formell! Darüber werden meine Freunde nachher noch sprechen. Meine Damen und Herren, man muß sich darüber klar sein — und die Offentlichkeit muß es ebenso —, daß sich aus einer Erhöhung der Rüstungsausgaben auch eine Einschränkung des Sozialhaushalts ergeben muß. Sie wissen schon heute nicht, wie Sie aus dieser Zange herauskommen sollen. Sonst hätten Sie nicht schon im ersten Jahr nach den Bundestagswahlen den Sozialhaushalt gekürzt. Das ist leider eine Entwicklung, mit der man sich auseinandersetzen muß. In diesem Jahr finanzieren Sie schon einen Teil des Zuwachses an Rüstungskosten aus dem Sozialhaushalt. Meine Damen und Herren, Sie wollen diese Entwicklung auf indirektem und direktem Wege fortsetzen. Sie werden sie nicht nur dadurch fortsetzen, daß Sie wichtige Ausgaben unterlassen, und dadurch, daß Sie die Anrechnungsvorschriften schärfer anwenden, sondern Sie werden auch zu direkten Eingriffen in das Sozialrecht kommen. Das ist keine Prophezeiung, die ich mache, sondern ich stütze mich auf Mitteilungen, die aus dem Arbeitsministerium kommen. Ich sehe gerade den Herrn Bundesarbeitsminister, er ist inzwischen gekommen, 1366 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg und er wird sich vielleicht selbst dazu äußern können, wofür ich außerordentlich dankbar wäre. Diese Tendenz ist auch an all dem zu erkennen, was wir über die weitere Entwicklung der sogenannten Sozialreform hören. Es ist noch nicht sehr lange her, da haben Sie, meine Damen und Herren, hier und in der Öffentlichkeit sehr großartig von einer umfassenden Sozialreform gesprochen, durch die der soziale Leistungsstand in der Bundesrepublik verbessert werden solle. Jetzt nehmen Sie eine Wendung in den Formulierungen vor, Sie werfen nachdrücklicher das Schlagwort von der Verstärkung des Verantwortungsbewußtseins des einzelnen in die sozialpolitische Debatte. Ich möchte darauf eingehen, und zwar an Hand von Erklärungen noch nicht offizieller, aber offiziöser Art. Da spielt beispielsweise die Frage einer wesentlichen Erhöhung der Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung eine Rolle. Was bedeutet das wirtschaftlich? (Abg. Horn: Haben wir eine Sozialdebatte hier oder was haben wir? — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, Sie kürzen doch die Sozialausgaben zugunsten der Rüstungsausgaben! (Abg. Arndgen: Ist doch gar nicht wahr! Wo denn?) — In Ihrem Haushalt! Haben Sie ihn nicht gelesen? (Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der Mitte.) Sie wollen im Zusammenhang mit der weiteren sozialpolitischen Entwicklung schwerwiegende Eingriffe in das Sozialrecht vornehmen. Da ist doch ein Kausalzusammenhang mit der Entwicklung der Rüstungsausgaben vorhanden, daran kommen Sie nicht vorbei. Sie müssen sich diesen Fragen stellen! (Abg. Schütz [München]: Wir wollen dem nicht ausweichen! — Weitere Zurufe von der Mitte. — Unruhe.) — Ich verstehe, daß Ihnen das peinlich ist. (Zurufe von der Mitte: Nein, gar nicht! — Gegenruf des Abg. Wienand: Das ist Ihnen sehr peinlich!) Sie möchten die Zusammenhänge gern tarnen. (Zuruf von der Mitte: Sie weichen mit dieser Debatte aus!) — Nein, meine Damen und Herren, wir sind hier in einer Debatte über die zukünftige Entwicklung der Rüstungsausgaben, und da kann man es nicht allgemein damit abtun, daß man sagt: Sozialausgaben werden nicht berührt. Sie müssen sich schon selbst zu dem bekennen, was Sie in das sozialpolitische Gespräch bringen, und Sie erörtern eine Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung. Was bedeutet das wirtschaftlich? Ich will jetzt mit Ihnen keine große sozialethische Auseinandersetzung führen; das machen wir dann, wenn es soweit ist. (Abg. Schütz [München]: Worauf Sie sich verlassen können!) Die Kostenbeteiligung bedeutet, daß der einzelne, der bisher eine bestimmte Leistung als Sozialleistung erhalten hat, diese Leistung in Zukunft aus seinem Arbeitsverdienst bestreiten soll. Das ist doch der wirtschaftspolitische und realpolitische Inhalt Ihrer Vorschläge, das bedeutet eine Beeinträchtigung des Lebensstandards der betreffenden Menschen. (Zuruf von der Mitte: Das liegt auf einen ganz anderen Gebiet!) Sie können sagen, Sie halten eine solche Verlagerung für richtig. Aber Sie dürfen die Offentlichkeit nicht über das hinwegtäuschen, um was es sich auch sozialpolitisch handelt. Sie können sagen, die Eingriffe in das Sozialrecht seien noch nicht festgelegt, wir befänden uns erst in der Diskussion hierüber. Ich billige dem Herrn Bundesarbeitsminister gern zu, daß er in diesen Dingen vorsichtiger ist als sein Vorgänger. Er kann sich darauf berufen, daß er diese Eingriffe erst zur öffentlichen Diskussion gestellt hat. Was ist darüber von dem zuständigen Referenten im Bundesarbeitsministerium konkret gesagt worden? Es ist eine Kostenbeteiligung vorgeschlagen worden, (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) nicht nur erhöht für Arzneien, sondern auch für ärztliche Behandlung und für Krankenhausbehandlung. Es sind ganz konkrete Vorschläge in Größenordnungen zwischen 75 Pfennig und 1,50 DM für jede ärztliche Inanspruchnahme — da schwanken Sie noch —, für jeden Krankenhaustag ohne Hausgeldbezug in der Größenordnung von 1,50 DM gemacht worden. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich das einmal in den wirtschaftlichen Auswirkungen! Ich will Ihnen Ihre Überlegungen erleichtern. Sie können mich berichtigen, wenn ich falsch gerechnet habe. Nach dem, was der Referent im Bundesarbeitsministerium darüber gesagt hat, soll die Kostenbeteiligung einen Betrag von 650 Millionen ausmachen, die vom Sozialaufwand abgehen und den Lebensstandard des einzelnen belasten sollen. Das kann man vorrechnen. Ich will hier keine sozialpolitische Debatte im Detail führen. (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Sie sind ja mitten drin!) — Wollen Sie es hören? Ich kann es Ihnen vorrechnen. Glauben Sie nicht, daß ich, wenn ich hier so etwas sage, das nicht vorher genau überlegt habe! Ich will Ihnen die Größenordnungen sagen. Die Beteiligung an den Krankenhauskosten macht, wie der Referent des Bundesministeriums sagte, 150 Millionen aus, an Arztkosten 400 Millionen, Arzneien 100 Millionen. (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) — Ach, „zur Sache"? Die Soziallasten hängen nicht mit den Rüstungsausgaben zusammen? Ja, meine Damen und Herren, Sie kommen nicht so leicht davon. Zwischen Rüstungsausgaben, Sozialausgaben und wirtschaftlichen Belastungen des einzelnen besteht kein Zusammenhang? Ihr eigener Sprecher, Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1367 Dr. Schellenberg Herr Dr. Hellwig, hat gestern selbst von Opfern gesprochen und auf den Zigarettenkonsum und auf den Bierkonsum Bezug genommen. Aber klären Sie die Dinge vorher bitte erst mal in Ihrem Kreise. Die einen sagen nämlich, der Zigaretten- und Bierkonsum solle eingeschränkt werden zugunsten der Kostenbeteiligung, und Herr Dr. Hellwig hat gesagt: im Zusammenhang mit den Rüstungsaufwendungen. Und die Frage des Bierkonsums erörtern Sie erst mal in der CSU-Fraktion! (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.) Ich weise also nur darauf hin, daß es sich nach den Vorstellungen der Regierungsvertreter beispielsweise in der Frage der Kostenbeteiligung um wirtschaftlich bedeutsame Größenordnungen handelt. Der Bundesarbeitsminister hat dankenswerterweise auch einen Entwurf zur Unfallversicherung als Referentenentwurf vorgelegt, gewissermaßen als Versuchsballon. Was steht darin? Daß für Unfälle mit einer Beschädigung unter 25 % in Zukunft keine Rente mehr gewährt werden soll, (Hört! Hört! bei der SPD) was praktisch bedeutet, daß fast die Hälfte aller Arbeitsunfälle in Zukunft ohne eine Entschädigung bleiben soll. (Zuruf von der SPD: Unerhört!) Meine Damen und Herren, das ist ein Tatbestand, von dem Sie nicht leugnen können, daß er im Zusammenhang mit den Notwendigkeiten steht, (Abg. Schütz [München]: „Mit den Notwendigkeiten"!) — ja, den Notwendigkeiten, die sich aus Ihrer Konzeption des steigenden Rüstungsaufwands ergeben. Jetzt gehen Sie daran, die Sozialausgaben einzuschränken. Wir halten das für eine gefährliche Entwicklung; und deshalb weisen wir mit Ernst darauf hin. Sie können mir erwidern: „Ja, bei der weiteren sozialpolitischen Entwicklung werden wir auch Leistungsverbesserungen vornehmen!" Deshalb gebe ich Ihnen darauf gleich die Antwort. Auf die wirtschaftliche Größenordnung kommt es an! Bezüglich der Leistungsverbesserungen sind die Stimmen aus dem Bundesarbeitsministerium wesentlich vorsichtiger als das, was in bezug auf Beschränkung des Umfanges der sozialen Leistungen gesagt wird. Sie haben in bezug auf die Leistungsverbesserung sich sehr unverbindlich ausgedrückt; aber bezüglich der Kostenbeteiligung haben Sie schon sehr präzise Vorstellungen. Sie sprechen von einer Umschichtung des Sozialaufwands, und Sie meinen damit eine Verlagerung von den Sozialleistungen auf die eigenen Mittel und damit den Lebensstandard des einzelnen. Sie werden den Lebensstandard dadurch verschlechtern, um auch damit die erhöhten Rüstungskosten zu finanzieren. An diesem Tatbestand kommen Sie nicht vorbei. Das hat zwangsläufig verhängnisvolle Auswirkungen auf den sozialen Status der Bundesrepublik. (Sehr wahr! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, wohin kommen Sie denn mit den ansteigenden Rüstungskosten? Sie kommen dazu, die Sozialausgaben weniger von der sozialen Notwendigkeit her bestimmen zu lassen als vielmehr von dem Restbetrag, der nach Durchführung und Finanzierung Ihrer Rüstungspläne übrigbleibt. Deshalb hat Herr Dr. Hellwig von Opfern gesprochen, der Herr Finanzminister in seinen Erklärungen von materiellen Anstrengungen, die erbracht werden müssen. Es wurde aber nicht gesagt, wer diese Opfer und diese Anstrengungen erbringen soll, die wirtschaftlich Starken oder — wie hier im sozialen Bereich — die wirtschaftlich Schwachen. Zur Belastung und Verschlechterung des Lebensstandards der wirtschaftlich Schwachen haben Sie schon Konzeptionen entwickelt. Entwickeln Sie uns Ihre Vorschläge zur Rüstungsfinanzierung durch Inanspruchnahme der wirtschaftlich Starken! (Beifall bei der SPD.) In diesem Jahre werden in bezug auf die Sozialausgaben die Weichen gestellt, weil die Sozialleistungen niedriger sind als die Rüstungsausgaben. Sie müssen sich dann mit der Frage auseinandersetzen, was Sie auf sozialem Gebiet in der Ära der Aufrüstung noch leisten können. Wie ist die Lage? Ein Staat, der die Sozialausgaben niedriger ansetzt als die Rüstungsausgaben, ein Staat, der die Sozialleistungsempfänger, die Schwächsten in unserem Volke, nicht anteilmäßig an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen läßt, ein Staat, bei dem nicht die Sozialausgaben, sondern die Rüstungsausgaben den Angelpunkt des Bundeshaushalts bilden! Ich frage Sie: kann man einen solchen Staat noch als einen Sozialstaat bezeichnen, oder ist dafür nicht die Bezeichnung Militärstaat angebrachter? (Oh!-Rufe bei der CDU/CSU. — Abg. Horn: Das ist der Gipfel der Polemik, das ist sogar demagogisch! Jetzt hören Sie aber auf, mein Lieber!) Überlegen Sie diese Entwicklung sehr sorgfältig. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich habe an Sie eine Frage gestellt. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) — Sie sollten diese Frage beantworten. (Abg. Horn: Das war eine demagogische Frage!) Herr Dr. Vogel und Herr Dr. Hellwig, Sie haben davon gesprochen, daß steigende Rüstungsausgaben erforderlich sind — das ist Ihre Vorstellung —, um auch die soziale Sicherheit zu schützen. Aber, meine Damen und Herren, indem Sie durch eine forcierte Rüstungspolitik zur Einschränkung des sozialen Leistungsbereichs gezwungen sind, beeinträchtigen Sie die soziale Sicherheit, die ein unerläßliches Fundament für Freiheit und Demokratie bildet. (Sehr wahr! bei der SPD.) Die militärische Sicherheit, die Sie, meine Damen und Herren, zu schaffen meinen, steht auf schwan- 1368 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg kendem Boden, wenn sie durch eine Beeinträchtigung der sozialen Sicherheit erkauft werden muß. (Beifall bei der SPD.) Ihre Politik der zunehmenden Rüstungsausgaben gefährdet damit den sozialen Gehalt unserer Demokratie. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: nützt nicht eine solche Politik denen, die darauf warten, daß unser soziales Gefüge ins Schwanken gerät? (Erneuter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 31. 5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Frau Berger-Heise 3. 5. Birkelbach 25. 4. Dr. Birrenbach 25. 4. Frau Bleyler 26. 4. Dr. Böhm 26. 4. Brese 24. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Dr. Dehler 25. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30. 4. Dr. Dittrich 26. 4. Döring (Düsseldorf) 24. 4. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Engelbrecht-Greve 26. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26. 4. Geiger (München) 26. 4. Frau Geisendörfer 23. 5. Dr. Gülich 26. 4. Hahn 25. 4. Hamacher 25. 5. Dr. von Haniel-Niethammer 26. 4. Dr. Harm 24. 4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Frau Herklotz 1. 5. Höcherl 10. 5. Dr. Hoven 25. 4. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Duren) 26. 4. Jacobs 25. 4. Frau Kipp-Kaule 26. 4. Kunze 15. 5. Dr. Lindenberg 25. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Mattick 26. 4. Mellies 23. 5. Memmel 25. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Mischnick 24. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Frau Renger 10. 6. Richarts 25. 4. Ruf 25. 4. Scharnberg 26. 4. Scharnowski 26. 4. Scheppmann 2. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) 26. 4. Schneider (Hamburg) 24. 4. Storch 25. 4. Sträter 31. 5. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 24. 4. Weimer 31. 5. Dr. Zimmer 26. 4.
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Wenn Sie mich fragen, warum die NATO diesen Beschluß

    Bundesverteidigungsminister Strauß
    gefaßt hat, ohne daß die Größenordnungen in ihrer Gesamtheit genannt werden können, und warum wir infolgedessen im Zuge einer allgemeinen Modernisierung unsere Pläne mit finanziellen Auswirkungen reformieren müssen, über die ich noch ein paar Sätze nach der einen und der andern Seite hin sagen darf, dann möchte ich nur mit einer aus einer offiziellen Sowjet-Zeitung entnommenen Äußerung des gegenwärtigen Chefs der Kommunistischen Partei und des Ministerpräsidenten der Sowjetunion, des Herrn Chruschtschow, antworten. Ich zitiere sie wörtlich und überlasse die Schlußfolgerungen darauf jedermann, der solche Schlußfolgerungen innerlich noch zu ziehen vermag. Es handelt sich um eine Erklärung, die er auf der Abschlußsitzung des Komsomol abgegeben hat. Ich zitiere sie aus dem Nachrichtenspiegel — Ostteil — des Bundespresse- und Informationsamts vorn 19, April 1958. Das ist eine öffentlich zugängliche Nachrichtenquelle. Dort heißt es:
    Um die neuen Kampfmittel, mit denen das Sowjetland seine Armee ausgerüstet hat, beherrschen zu können, muß man geschulte und gebildete Soldaten haben, die auf der Höhe der modernen Wissenschaft und Technik stehen. Unsere Streitkräfte müssen stets bereit sein, die gebührende Abfuhr zu erteilen, falls der Feind es versuchen sollte . . .
    Wenn also die NATO nach einer jahrelangen Überlegung, nach einer über viele Monate sich erstrekkenden Arbeit der technischen Entwicklung im einzelnen die Modernisierung ihrer Streitkräfte beschlossen hat, die Modernisierung der 30 Divisionen auf dem Festland, von denen die Bundesrepublik gemäß dem auf sie entfallenden Anteil 12 aufzustellen hat, dann hat sie damit doch nichts anderes getan, als daß sie dem politischen Auftrag, einen Krieg nach menschlichem Ermessen auszuschließen und unmöglich zu machen, auch weiterhin gefolgt ist.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe aber angesichts der Unübersehbarkeit der finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen — Unübersehbarkeit nicht nur wegen der gigantischen Größenordnungen, denn bei den Vorschlägen für die Luftverteidigung gehen die finanziellen Auswirkungen in eine Größenordnung hinein, daß wir uns auf diesem Gebiet jeden einzelnen Schritt vorbehalten, sondern auch wegen der ganzen Lieferbedingungen — in Paris eine Erklärung abgegeben, die ich mit gutem Gewissen trotz der Pflicht zur Geheimhaltung des Gesamtdokuments naturgemäß wie alle übrigen Erklärungen hier ruhig wiederholen kann:
    Wir sagen ja zu diesem Dokument der NATO als einer Planungsgrundlage. Wir sagen ja dazu als einem Ausgangspunkt für die nächste Jahreserhebung.
    — Als einem Ausgangspunkt! —
    Wir behalten uns aber die Prüfung aller wirtschaftlichen, finanziellen, personellen, organisatorischen und technischen Einzelheiten vor, um die Vereinbarkeit der bisherigen Pläne mit den
    neuen Vorschlägen der NATO überprüfen zu können und um gegebenenfalls, damit diese Übereinstimmung herbeigeführt werden kann, neue Vorschläge machen zu können.
    Mit dieser Erklärung, glaube ich, sind wir nicht mehr festgelegt, auch was unsere außenpolitischen Verpflichtungen betrifft, so wie sie interpretiert, im extremen Fall ausgelegt werden können, als es der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers und der Einstellung der gesamten Regierungskoalition entspricht. Wir haben den Willen, die Streitkräfte modern auszustatten. Wir werden es auf der Basis der technischen Vorschläge der NATO tun. Aber wir werden es nur bis zu der Grenze hin tun, daß das Gesamtgefüge unserer Politik dadurch nicht erschüttert wird.
    habe gestern ausgeführt — es war, wenn Sie sich erinnern wollen, auch ein wörtliches Zitat oder doch wenigstens ein sinngemäß genaues bis wörtliches —: wir wünschten nicht, so habe ich in Paris gesagt, an innerer Stabilität zu verlieren, was wir an äußerer Sicherheit damit zu gewinnen gedenken.
    Herr Kollege Erler, ich sage: wir können die finanziellen Auswirkungen noch nicht im einzelnen überprüfen. Dabei stehen zwei Dinge noch völlig offen: ob diese Waffen aus USA bezogen werden sollen und, wenn aus USA, dann auf welchem Wege — das ist eine noch nicht gelöste, für die einzelnen Partner der NATO sicherlich auch nicht einheitlich zu lösende Frage — oder ob sie in Europa in einer Gemeinschaftsproduktion produziert werden sollen und, wenn ja, dann wo. Die Voraussetzungen sind z. B. in England und in Frankreich gegeben. Bei uns in der Bundesrepublik und in kleineren europäischen Ländern sind sie vergleichsweise nicht gegeben. Das läßt sich heute nicht überblicken.
    Es ist jetzt auch nicht die Aufgabe, hier eine genaue Rechnung aufzustellen, was es kosten würde, wenn die Vorschläge bis zur letzten Einzelheit erfüllt würden. Es ist wesentlich, daß wir uns eine Grenze setzen, daß wir sie uns absolut setzen, daß wir sie uns nach den möglichen Umständen setzen und daß wir innerhalb dieser Grenzen das tun, um das Bündnis lebensfähig und seine Funktionsfähigkeit auch glaubhaft zu erhalten. Das ist die Erklärung, wie ich sie in Paris abgegeben habe.
    Herr Kollege Erler hat gestern wiederum von dem sagenhaften Rüstungsdreieck gesprochen. Ich muß ihn etwas enttäuschen. Es ist in der Zwischenzeit ein Rüstungsdreieck bis -siebeneck, vielleicht ein Rüstungsviereck geworden; denn das Rüstungsdreieck war ja, wie ich von dieser Stelle und auch mehrfach in der Öffentlichkeit gesagt habe, nicht als ein exklusiver Klub gedacht, der nunmehr geheime Dinge betreibt, sondern es war von vornherein gedacht, um einen neuen Weg zur Standardisierung innerhalb der WEU und NATO zu finden, einen Weg zu einem Ziel, für dessen Erreichung die bisher benutzten Methoden keinen echten Fortschritt gebracht haben. Ich habe hier schon einmal gesagt, was standardisiert worden ist: die 12-VoltBatterie, die Lastwagenkupplung, die Infanterie-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    munition, die Patronen für eine Sorte der Infanteriemunition und die Tankanschlüsse bei NATO-Flugplätzen.

    (Zuruf von der SPD: Und die Schlußlichter!)

    — Die Schlußlichter? Mag sein! Vielleicht liefern Sie dafür einen geeigneten Beitrag.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber auf den Gebieten, wo eine Standardisierung wirklich wünschenswert, notwendig und sinnvoll wäre, sind wir bisher dank einer Reihe von weniger angenehmen Gründen nicht zu einer Standardisierung gekommen. Jeder Staat glaubte, abgesehen von den amerikanischen, meistens auf dem Gratis-Weg erfolgten Lieferungen, alles für sich allein tun zu müssen.
    Ich darf jetzt auch einmal von dieser Stelle aus etwas nennen, was die Rüstungspolitik der Gegenwart, unabhängig von dem politischen Hintergrund, unabhängig von den Größenordnungen, völlig von der Rüstungspolitik der Vergangenheit unterscheidet, und zwar bewußt unterscheiden soll. Das ist die klare Absage an jede Form einer deutschen Rüstungsautarkie. Man kann sagen, das sei ein Fehler. Das würden von vornherein einige reaktionäre oder mit übermäßigen traditionellen Vorstellungen beladene Persönlichkeiten der Zeitgeschichte erklären, deren Denkwelt in der Vergangenheit haften geblieben ist.
    Wenn man mich in der Vergangenheit im Ausland von seiten gewisser Journalisten oder von seiten mancher Politiker gefragt hat: Geht es bei euch nicht wieder so wie in der Vergangenheit?, habe ich ihnen erwidert: Es hat wenig Sinn, beruhigende allgemeine Erklärungen abzugeben, Tatsachen muß man schaffen. Die beste Tatsache wäre die EVG gewesen. Aber es hat keinen Sinn, über Dinge zu trauern, die nun einmal, so oder so, erledigt worden sind. Die zweite unbestreitbare Tatsache ist, daß wir in Deutschland keine Rüstungsindustrie wollen, außer bis zu einem gewissen Grade, der aber in keiner Weise ausreicht, die deutschen Streitkräfte aus den deutschen Hilfsquellen heraus etwa kampffähig zu erhalten. Es gibt keine deutsche Armee, es gibt keine deutsche Bundeswehr, die in der Lage wäre, aus den Hilfsquellen der deutschen Wirtschaft heraus auch nur länger als acht Tage kampffähig zu sein. Das ist der wesentlichste Beitrag dafür, daß sich diese deutsche Armee auch in ihren wirtschaftlich-technischen Gründen, in ihrer wirtschaftlich-technischen Basis, die ja jede moderne Armee haben muß, grundlegend von dem unterscheidet, was zu Kaiser Wilhelms oder zu Hitlers Zeiten, sei es einmal so oder einmal so, geplant, gewünscht und gemacht worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben auch mit dem Ansatz zu Dreien einen bestimmten Fortschritt erzielt. Denn bisher war das Prinzip der Einstimmigkeit in der Westeuropäischen Union Voraussetzung für eine gemeinsame Maßnahme. Es ist sehr schwer, sieben Staaten mit auf dem Rüstungsgebiet differierenden Wirtschaftsinteressen unter jeweils einen Hut zu bringen oder
    gar fünfzehn. Mit dem Augenblick, wo drei Staaten erklärt haben, nicht im Sinne einer rechtlichen Verpflichtung, aber im Sinne einer politischen Absprache mit wirtschaftlichem Hintergrund, gewisse Waffentypen, Fahrzeugtypen, Gerätetypen gemeinsam zu entwickeln und auf dem Wege der Koproduktion oder auf dem Wege der Schwerpunktbildung gemeinsam zu bauen, haben eine ganze Reihe weiterer Staaten ihr Interesse erklärt, an dieser Zusammenarbeit teilzunehmen. So ist in Paris das Dreieck ausgeweitet worden zu einem Siebeneck. Die USA und Kanada kommen hinzu als ständige Beobachter, also ist es sogar ein Neuneck. Es können auch weitere daran teilnehmen. Wenn aber weitere nicht daran teilnehmen wollen, dann sollen drei oder vier oder fünf nicht gehindert werden, das zu tun, was sie für notwendig halten. Dafür sollen diejenigen, die nicht bereit sind mitzumachen, sich nur zu einem verpflichten: dann nicht die gleiche Entwicklung allein zu betreiben. weil das dem Grundsatz der Rationalität, der sparsamen und sinnvollen Ausnutzung der Hilfsquellen innerhalb der NATO zur möglichsten Schonung der Volkswirtschaften widersprechen würde.

    (Abg. Schmidt [Hamburg]: Herr Strauß, wir haben ja nicht gefragt, wieviel Ecken das Dreieck hat, sondern ob Sie planen, mit Hilfe dieses Dings außerhalb des westdeutschen Bodens Atomwaffen zu produzieren!)

    - Haben Sie doch ein bißchen mehr Geduld, Herr Kollege Schmidt. Sie werfen mir Impulsivität vor. Noch gibt es keinen Maulkorb hier. Sie werfen mir Impulsivität vor und können gar nicht erwarten, bis Sie drankommen!

    (Abg. Wienand: Herr Strauß, das ist aber billig!)

    — Nein, es ist ein wörtliches Zitat aus der vorletzten Rede von Herrn Kollegen Schmidt. Ich wollte in aller Ruhe diese Gedankengänge entwickeln, weil Sie von der Opposition, wenn Sie solche Fragen stellen, Anspruch darauf haben, auch eine Antwort zu bekommen. Wenn ich Ihnen erkläre, daß das Dreieck nicht mehr existiert, weil es inzwischen ein Fünf-, Sieben- oder Neuneck geworden ist, dann können Sie doch nicht verlangen, ich soll vom Dreieck reden, da es ja in der von Ihnen gewünschten Form, bei der Sie glauben, Angriffsflächen zu haben, nicht mehr existiert.

    (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Die Zahl der Ecken kennen wir jetzt! Jetzt zum Kern!)

    Ich habe gerade nach den zahlreichen Erklärungen, die zum Teil in Paris bestellt worden waren, wie ich einmal sagen darf, z. B. der Erklärung „Paris über Strauß erstaunt" — so stand es in einer großen deutschen Tageszeitung , bei der zuständigen Stelle am Quai d'Orsay angefragt, wo da Erstaunen herrsche. Darauf sagte man mir, der Informant müsse irgendwie pp. sein, Putzfrau oder Portier,

    (Heiterkeit)

    denn offiziell sei überhaupt nichts davon bekannt.
    Ich habe dann um eine offizielle Auslegung nach



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    französischer Weise gebeten. Da hat mir der französische Verteidigungsminister unter Zeugen erklärt, daß die Abmachung einer gemeinsamen Waffenproduktion von Frankreich nicht als eine Verpflichtung der Bundesrepublik zu einer Teilnahme an einer etwaigen französischen Nuklearwaffenproduktion aufgefaßt worden ist und aufgefaßt wird.

    (Abg. Erler: Keine Verpflichtung, aber Sie können!)

    Kollege Erler hat gestern nach dem Wortlaut der Brüsseler Verträge gefragt. Ich darf den Wortlaut nicht untertreiben und nicht übertreiben, denn das wäre ja dann nur eine Auslegung nach eigenem Ermessen.

    (Abg. Blachstein: Ein Wortlaut ist doch ein Wortlaut, Herr Minister!)

    — Ich mache diese Einschränkung, Herr Blachstein, gerade deshalb, damit meine Ausführungen nachher nicht wiederum mit einem falschen politischen Kommentar versehen werden. Ich habe die Verträge nicht formuliert, aber ich muß sie interpretieren, und die verbindliche Interpretation heißt, daß die Bundesrepublik sich verpflichtet, auf ihrem Territorium, auf dem Gebiet, auf dem das Grundgesetz Gültigkeit hat, auf die Produktion von A-, B- und C-Waffen zu verzichten.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Sie hätten damals diese Erklärung genauso gut abgegeben. So jedenfalls lautete das im Jahre 1954 zustandegekommene Dokument, wie es im Jahre 1955 durch die Ratifikation rechtskräftig geworden ist.

    (Abg. Erler: Also Mitwirkung außerhalb ist zulässig!?)

    - Ich interpretiere jetzt nur, wie das Dokument in den Jahren 1954 und 1955 angelegt worden ist. Der politische Zweck war, daß die Deutschen nicht im geheimen etwas tun können, unabhängig davon, daß es sowieso unmöglich gewesen wäre, was von seiten unserer Bündnispartner aus den Gründen der bekannten politischen Vergangenheit nicht gewünscht wird. Ich darf aber hier auch darüber hinaus sagen: ich habe jetzt nur die verbindliche Interpretation gegeben. Ob sie erwünscht oder unerwünscht ist, ob sie zu eng oder zu weit ist, ist eine ganz andere Frage. Aber das ist die verbindliche, von beiden Seiten gegebene Interpretation.
    — Herr Kollege Metzger, Sie schütteln auch gegenüber Tatsachen den Kopf.

    (Abg. Metzger: Im Rechtsausschuß haben wir damals eine andere Auskunft erhalten; jetzt sagen Sie so!)

    — Herr Kollege Metzger, dann kennen Sie einfach nicht die Vorgeschichte der Pariser Verträge, dann kennen Sie den Wortlaut des Vertrages nicht, und dann kennen Sie nicht sämtliche zu diesem Vertrag im Inland und Ausland erschienene Interpretationen, wenn Sie das behaupten.
    Ich darf aber darüber hinaus erklären, daß an uns von französischer Seite niemals die Aufforderung gerichtet worden ist, an einer etwaigen Atomwaffenproduktion — die auch in Frankreich noch, glaube ich, unter einem großen Fragezeichen steht — teilzunehmen. Wir sind — ich habe das verbindlich hier; sonst würde ich schweigen — nicht in den Stand der französischen Entwicklung eingeweiht worden und haben auch nicht danach gefragt, eingeweiht zu werden. Die Franzosen haben es bisher in keiner Weise unternommen, uns einen Plan für eine gemeinsame Waffenproduktion auf diesem Gebiete vorzulegen.

    (Abg. Erler: Eine Frage!)

    — Bitte schön.


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dem Hause einfach kurz und knapp sagen könnten, ob die Vereinbarungen mit Italien und Frankreich auf dem Gebiet der gemeinsamen Waffenproduktion, -forschung und -entwicklung die Beschäftigung mit der militärischen Verwertung der Kernenergie ausdrücklich ausgeschlossen haben oder nicht.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Sie bringen jetzt einen neuen Terminus hinein. Ich habe von der Atomwaffenproduktion gesprochen, Herr Kollege Erler. Was heißt „militärische Verwendung der Kernenergie"? Ich möchte hier eine ganz klare Definition bieten —

    (Abg. Erler meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)

    — darf ich jetzt weiterreden; ich weiß, was Sie meinen —, damit nicht hernach gesagt werden kann, es sei eine ausweichende Antwort gegeben worden.

    (Abg. Erler: Dann teilen Sie es auf in Atomwaffen und andere militärische Verwendung!)

    Wir sind selbstverständlich, Herr Kollege Erler, wie ich auch einmal in der Öffentlichkeit erklärt habe, interessiert an einer Ausnutzung der Strahlungskräfte zum Schutz von Mensch und Gerät, zur Heilung und zu ähnlichen Zwecken. Wir sind selbstverständlich — ich habe daraus nie ein Hehl gemacht; wenn die Bundesregierung es anders beschließt, bin ich gern bereit, diese Meinung zu ändern, weil es kein politischer Grundsatz ist —, an jeder Art nicht konventioneller Antriebsmittel für Fahrzeuge interessiert, gerade für Schiffe. Sie werden sowohl bei der Bundesmarine und bei der Kriegsmarine aller Länder wie auch bei der Handelsmarine aller Länder in absehbarer Zeit zu dem normalen technischen Fortschritt gehören. Daran ist nicht zu zweifeln. Ein Ausschluß unsererseits aus der Entwicklung in USA, in England, in Kanada, neuerdings auch in Norwegen, in Schweden, vielleicht sogar in einem anderen Land, das ich jetzt nicht nennen möchte, und sowieso in Frankreich und in jüngster Zeit auch in Italien wäre gleichbedeutend mit einem Verzicht darauf, wenigstens in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht zu den führenden Nationen zu gehören; ein Wort, das ich nur vom Kollegen Deist übernehme,



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    der gestern davor gewarnt hat, daß wir unseren Platz in der Reihe der führenden Nationen verlieren könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler: Und nun die Waffen!)

    Es gibt bei der Bundesregierung weder eine Absicht, noch ist ihr ein Plan vorgelegt worden, noch hat sie Mittel dafür eingeplant oder in Aussicht gestellt, mit denen eine Waffenproduktion unternommen werden könnte.

    (Abg. Erler: Ist die Beschäftigung mit der Waffenproduktion durch die Vereinbarungen ausgeschlossen oder nicht?)

    — Diese Vereinbarung — ich bin gern bereit, im Verteidigungsausschuß bereits morgen, wenn er tagen sollte, den Charakter dieser Vereinbarung zu erklären — enthält weder eine rechtlich einklagbare Verpflichtung noch ein rechtlich einklagbares Verbot. Wenn die Franzosen und die Italiener uns ein Projekt vorlegen, sagen wir, einen Panzer oder ein Panzerabwehrgeschütz, und wir sagen: „Nein, das machen wir nicht mit, wir machen unsere eigene Sache", dann kann uns niemand hindern, unsere eigene Sache zu machen. Auf der anderen Seite besteht, wenn heute die Franzosen und Italiener sagen: „Wir haben beschlossen, Atomwaffen zu produzieren; nach dem Wortlaut des Vertrags seid Ihr verpflichtet, daran teilzunehmen", nicht die geringste Handhabe dafür, daß wir uns an einer solchen Produktion beteiligen müssen. Aber es ist weder das Recht der Franzosen noch das der Italiener, uns zu sagen: Wir schließen euch von einer Kernwaffenproduktion aus. Sie brauchen es ja nicht anzubieten. Wir wollen sie ja sowieso nicht. Wir haben sie weder gefragt noch haben sie sie uns angeboten. Man kann uns doch nicht Verbote auferlegen, die auf dieser Ebene überhaupt keinen Sinn haben und nicht möglich sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben gestern den Vertrag von St. Louis erwähnt, Herr Kollege Erler. Nun, der Vertrag von St. Louis wird dem Parlament vorgelegt. Das ist ja nicht eine Frage unseres arbiträren Ermessens, daß wir einen Vertrag nicht dem Parlament vorlegen, den anderen Vertrag dem Parlament vorlegen. Der Vertrag von St. Louis, der übrigens ja in seinem Entwurf schon auf die Zeit der Anfangsjahre meines Vorgängers zurückgeht, auf die Jahre 1952/53, enthält finanzielle Verpflichtungen und enthält rechtliche Folgen für den Unterhalt und die laufende Aufrechterhaltung eines Instituts, und zwar Folgen, die nach Auffassung der Rechtsgelehrten bei uns in sämtlichen Ministerien den Vertrag ratifikationsbedürftig machen. Aus diesem Grunde wird der Vertrag von St. Louis selbstverständlich dem Parlament vorgelegt. Es gibt keine Geheimklausel, es gibt keine geheimen Zusatzabmachungen dazu. In St. Louis werden — in vollem Gegensatz zu dem, was eine Frankfurter Zeitung jüngst geschrieben hat — keine Atomwaffen und keine bakteriologischen oder chemischen Waffen entwickelt. Der Vertrag von St. Louis befaßt sich mit einem Institut, das normale ballistische Forschung betreibt, die früher beim Waffenamt des OKH betrieben worden ist und parallel dazu in Paris. Statt daß es jetzt in Deutschland isoliert und in Frankreich isoliert gemacht worden ist, machen es jetzt Deutschland und Frankreich gemeinsam. Und das hätte man vor zehn Jahren einmal jemandem sagen sollen, daß so etwas gemeinsam gemacht wird!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man soll doch bei diesen Dingen nicht nur die Brille der Kritik anwenden — die selbstverständlich gerade vom Standpunkt der Opposition aus berechtigt ist —; man sollte einmal auf den gesamten politischen Rahmen sehen: daß Deutschland mit den Staaten, mit denen es in früheren Generationen die schwersten Kriege ausgefochten hat, Kriege, unter denen die Kraft der Völker bis zum Weißbluten erschöpft worden ist,

    (Abg. Blachstein: Werden Sie doch bei der Waffenproduktion nicht lyrisch!)

    — nein, nein! — gerade auf diesem Gebiet zusammenarbeitet. Was haben wir an Gemeinsamkeiten mit der französischen, mit der italienischen Kultur, Herr Blachstein! Das hat Kriege nicht verhindern können, leider — trotz Goethe und Petrarca und der großen Leistungen der französischen Kultur. Das Wesentliche ist, daß gerade dort bei diesem heißen Eisen der Politik, wo Waffen gemacht, wo Waffen erforscht, wo Waffen produziert werden, um in die Armeen eingeführt zu werden, heute Deutsche, Franzosen und Italiener und andere Völker gemeinsam Schulter an Schulter stehen, um den Frieden und die Freiheit zu erhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD.)

    — Ja, das „Volk der Dichter und Denker". Aber das hat uns nicht davor bewahrt, in törichte und gefährliche und selbstmörderische europäische Bürgerkriege verwickelt zu werden.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Leider hat die Gemeinsamkeit der europäischen Kultur, die über ein Jahrtausend erhalten geblieben ist, die größten Scheußlichkeiten und die größten Gemeinheiten auf politischem Gebiet nicht verhindern können.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Und darum glaube ich — nachdem in dieser Debatte ein weites Feld an Fragen angeschnitten worden ist —, daß unsere Zusammenarbeit mit Nachbarn, die jahrelang und jahrzehnte- und generationenlang unsere Feinde gewesen sind, ein ungeheurer politischer Fortschritt ist bei dem Bemühen, mit dem Unrat und mit der Schuld der Vergangenheit fertig zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Erler hat mein Interview mit dem Abgeordneten Crossman freundlicherweise erwähnt. Nun, ich habe keinen Grund, das nicht zu sagen, wozu ich ohne diese Anspielung eigentlich keinen Anlaß oder keinen Ausgangspunkt gehabt hätte; aber Sie werden mir sicherlich nicht übelnehmen, daß ich es erwähne, nachdem Sie es angeschnitten

    Bundesverteidigungsminister Strauß
    haben. Gegen den Inhalt können Sie eigentlich nicht allzuviel einzuwenden haben.

    (Abg. Erler: Nur, daß es dementiert worden ist!)

    — Ja, weil es in der Form — es tut mir leid, das sagen zu müssen, ich würde es auch sagen, wenn es nicht ein sozialistischer, sondern ein konservativer Politiker wäre — nicht möglich ist. Der Abgeordnete Crossman hat mir, wie mir das Bundespresse- und Informationsamt es schriftlich und mündlich mitgeteilt hat, die Bitte übermitteln lassen, ein Informationsgespräch mit ihm zu führen. Von einem Interview war weder vorher noch während der Unterhaltung noch beim Abschied auch nur die geringste Rede. Das Gespräch hat genau 75 Minuten gedauert. Während der 75 Minuten hat Herr Crossman vielleicht alle 5 oder 10 Minuten ein oder zwei Silben hingeschrieben, wie man es oft bei einem Gespräch tut, um damit den Faden des Gesprächs für später in der Hand zu haben. Ich nehme nicht an, daß Herr Crossman einen Tonbandapparat in der Westentasche gehabt hat. Ich glaube auch nicht, daß die Präzision seines Gedächtnisses

    (Zuruf von der SPD: Er ist doch nicht beim Bundeskanzleramt!)

    die Kraft, die technische Zuverlässigkeit eines Tonbandes hat. Darum war ich sehr verwundert, daß ein 75-Minuten-Gespräch in Anführungszeichen wiedergegeben worden ist, ein 75-Minuten-Gespräch, das normalerweise vielleicht 15 bis 20 Schreibmäschinenseiten ausfüllt. Wenn es in der Form der indirekten Rede geschehen wäre, könnte man sagen, daß er den Gedankengang wiedergegeben hat. Aber Anführungszeichen heißen: wörtliche Zitierung, und das ist in dem Fall falsch. Es gibt einen Zeugen, der dieses Gespräch mitgeschrieben hat, und das unterscheidet sich wesentlich von den Aufzeichnungen dessen, der das Gespräch geführt hat und nur gelegentlich eine Notiz machen konnte. Wir haben das für Herrn Crossman in der Zwischenzeit fertiggestellt, und es wird ihm in den nächsten Tagen zugehen, damit in Zukunft hinsichtlich der Methode, wie ich hier nur sagen möchte, Übereinstimmung herrscht.

    (Abg. Erler: Das ist immer noch besser, als Alsop es macht! Der schreibt überhaupt nichts und erfindet nachher alles!)

    - Meinen Sie damit Ihren Panzerfahrer nach Berlin?

    (Heiterkeit in der Mitte. — Abg. Erler: Nein! — Abg. Wehner: Da können Sie auch den französischen Außenminister fragen! Den hat Alsop genauso hineingelegt! — Weitere Zurufe.)

    Ich darf es nur einmal zur Klarstellung sagen.

    (Abg. Wehner: Wenn einer ein journalistischer Strolch ist, dann muß das gegen uns ausgenützt werden!)

    - Herr Wehner, das Wort „journalistischer Strolch" stammt nur von Ihnen!

    (Abg. Wehner: Jawohl! Alsop!)

    Ich habe das hier nur klargestellt, weil ich nicht den
    geringsten Grund habe, Herrn Crossman die persönliche Ehre und die politische Legitimation abzusprechen. Ich habe hier nur den Ablauf dargestellt, wie ihn auch Herr Crossman nicht bestreiten kann. Sie ersehen aus dem Inhalt des „Interviews" doch, worum es Herrn Grossman ging. Die englische Labour Party polemisiert — vielleicht aus Opposition, vielleicht auch aus sachlichen Gründen; beides geht hier wahrscheinlich ineinander — gegen die nukleare Betonung der britischen Aufrüstung.

    (Abg. Wienand: Die Opposition ist wohl immer unsachlich?!)

    — Ich bin fest überzeugt, daß die Opposition in England, wenn sie morgen die Regierungsgewalt übernimmt, die Atomwaffen in England nicht abschafft, bevor auch die Russen sie abschaffen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Davon bin ich fest überzeugt. Darum sage ich, daß hier beides eine Rolle spielt.
    Herr Grossman sprach dauernd von der britischen H-Bomben-Produktion und davon, was wir dazu sagen. Da hat er den Ihnen bekannten Standpunkt vertreten, eine Ausdehnung mache das Problem immer noch schwieriger, die Kontrolle schwieriger und die Abschaffung immer noch unlösbarer. Wenn zur Zeit andere Staaten daran arbeiten — wir haben einige Namen genannt; er hat sogar einige weggelassen, Gott sei Dank —, wenn andere Staaten daran arbeiten, was er wußte — ich war von seinem Wissen sehr überrascht -, daß dann in das Problem immer mehr Nationen hereingezogen werden, ist doch einfach vom Standpunkt der primitiven historischen Vernunft und Erfahrung aus nicht zu bestreiten.
    Da ist Herrn Crossman ein großes Versehen unterlaufen. Da sagte er: Dann werden die Deutschen auch H-Bomben produzieren, das müssen Sie doch auch sagen! — Er meinte: damit ich, Crossman, es in England als politisches Argument verwenden kann! Da habe ich gesagt: Herr Crossman, wenn mehrere Nationen hereingezogen werden, — Deutschland in
    den nächsten drei und vier Jahren und fünf Jahren nicht. Ja, soll ich denn eine Erklärung für sämtliche Nachfolger von mir abgeben? Ich kann doch nicht für einen zukünftigen Wahlsieg der Opposition sozusagen garantieren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dreieinhalb Jahre dauert normalerweise noch die Amtszeit der Legislaturperiode. Wenn einer nach mir anfangen würde, würde es immer noch zwei Jahre dauern, bis er zu irgendwelchen Ergebnissen käme. Darum konnte ich sagen: drei Jahre, vier oder fünf Jahre sicherlich ist nichts davon drin. Wenn man mir jetzt alles Weitere zumuten will, kann ich nur sagen: ich gebe keine moralischen Erklärungen zur deutschen Politik für ganze Generationen ab. Das können größere Leute tun; das steht mir nicht zu.

    (Abg. Erler: Das war aber auch eine freie Interpretation, die ich mit den Aufzeichnungen in Ihrem Ministerium einmal zu vergleichen bitte! Sie war wahrscheinlich noch freier als die von Herrn Grossman!)

    Deutscher Bundestag —. 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1403
    Bundesverteidigungsminister Strauß
    — Dem Herrn Crossman kam es darauf an, für den kommenden Wahlkampf gegen die britische konservative Regierung sozusagen Material in die Hand zu bekommen und sagen zu können: Dann wird auch Deutschland H-Bomben produzieren. — Von H-Bomben war überhaupt nicht die Rede. Von H-Bomben ist auch bei der ganzen NATO heute nicht die Rede. Die haben ja mit den NATO-Beschlüssen überhaupt nichts zu tun. Das wissen Sie, Herr Erler, als technischer Experte ganz genau. Aber Herr Crossman war ja von dem H-Bomben-Material gegen die englische Regierung besessen, und da suchte er einen deutschen Bundesgenossen, um bei der nächsten Rede in London im Unterhaus noch etwas bringen zu können.

    (Abg. Lenze [Attendorn] : Internationale Zusammenarbeit! — Abg. Erler: Wehe, wenn er sich anders geäußert hätte! Dann hätten Sie ihn nie als Kronzeugen gebracht! Das galt nicht Ihnen, Herr Minister, das galt Ihren Freunden!)

    Dann haben Sie gestern, Herr Kollege Erler, die Matadore erwähnt und haben gesagt: Schon ist es an der Produktion. Ich muß an Sie eine ganz offene Frage richten — Sie brauchen die Frage nicht zu beantworten, aber sie wird sich immer wieder stellen —: Sollen wir in Deutschland überhaupt noch eine moderne Luftfahrtindustrie haben, wie sie etwa der französischen, der englischen, auch der schwedischen und der wiedergekommenen italienischen vergleichbar ist? Ich will jetzt gar nicht von Japan reden, das bereits Düsenjäger produziert und natürlich auch in der Entwicklung immer weiterarbeitet, ebenso nicht von Kanada, USA und der Sowjetunion. Auch Polen und die Tschechoslowakei stellen auf Lizenzbasis modernste Flugzeuge und Düsenjäger her. Es ist also die Frage: Sollen wir das überhaupt wieder tun? Diese Frage stellt sich bei den Rüstungsaufträgen. Wenn man das nämlich aus mehreren Gründen nicht will, muß man den ganzen Bestand im Ausland kaufen. Das Interesse des Verteidigungsministers ist es, moderne Flugzeuge zu haben. Ganz andere Fragen sind es dann: woher?
    Dann die Frage: Soll die deutsche Luftfahrtindustrie aufgebaut werden? Wenn ja: Wie? Ich lehne den Gang der deutschen Alleinentwicklung vom Jahre 1945 an woran man heute gar nicht mehr anknüpfen könnte, weil ja die Leute weg sind —, bis wir den gegenwärtigen Weltstand erreicht haben, ab, weil diese Form der deutschen Ehre oder des nationalen Prestiges heute glatter Unfug wäre. Wenn das also nicht in Frage kommt, dann müssen wir auf irgendeiner Lizenzbasis einsteigen. Aber eines ist sicherlich klar: Wenn eine deutsche Luftfahrtindustrie wieder aufgebaut werden soll, so ist das ohne Bestellung von militärischer Seite nach den Erfahrungen aller Länder unmöglich. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Die Lufthansa hat ihr Programm aus Sicherheitsgründen auf viele Jahre hinaus auf Bestellungen aus dem Ausland aufgebaut. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Wenn Sie aber unsere Politik, auf dem Gebiet der modernen gelenkten und ungelenkten Flugkörper zu untersuchen, zu zerlegen, technisch zu analysieren, kritisieren, dann müssen Sie sagen: Wir sind dagegen, daß Deutschland wieder eine Luftfahrtindustrie erhält. Sie haben gesagt: Da sieht man's ja! Da geht es los! Und jetzt sage ich, warum wir es tun, Herr Kollege Erler: weil wir wie vor einigen Jahren auf dem Gebiet der Seefahrt auch auf dem Gebiet der Luftfahrt wieder einen normalen vergleichbaren Platz in der internationalen Palette einnehmen wollen, nicht in stürmischem Tempo, nicht in einem nationalen Größenwahn, aber entsprechend etwa dem technischen Potential und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten unseres Landes. Ich glaube, das ist ein durchaus legitimes Anliegen, dem man nicht dunkle Hintergründe oder vielleicht gar gefährliche oder sonst irgendwelche Motive unterstellen kann.
    Dann sagten Sie, Herr Kollege Erler — ich weiß nicht, wen Sie dabei gemeint haben; vermutlich war es mehr der Außenminister, noch mehr in diesem Fall der Bundeskanzler --: Wir sollten Frankreich einige Lehren geben. Daß wir uns an Kolonialkriegen nicht beteiligen, daß auch der NATO-Vertrag das in keiner Weise, auch nicht bei der großzügigsten Auslegung, einschließt, ist selbstverständlich. Sie aber sagten: wir sollten den Franzosen die Lehre geben, sich in Afrika so oder so zu verhalten. Ich enthalte mich jedes Urteils über die französische Afrika-Politik. Es steht mir nicht zu. Aber ich glaube, es wäre eher ein Anfall von deutscher Schulmeisterei mit einer gewissen falschen Größenvorstellung, wenn wir heute den Franzosen Lehren gäben, wie sie sich zu verhalten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das mögen die Amerikaner tun, das mögen die Engländer tun, die haben eine gewisse — ich möchte es nicht damit konstituieren; dazu habe ich nicht das Recht — Legitimation dazu. Wir haben sie aus sehr bedauerlichen Gründen nicht. Wir tun gut daran, ein gutes Beispiel zu geben, aber nicht schlechte oder auch gute Lehren zu erteilen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich darf meine Bemerkungen mit einem allgemeinen Gedanken abschließen. Der Kollege Schmidt hat gestern davon gesprochen, daß die Hitlersche Aufrüstung 60 Milliarden Reichsmark gekostet habe. Ich war erstaunt, wie hoch er die Stabilität, die Kaufkraft der D-Mark bei diesem Thema beurteilt hat. Da war sie nämlich fast so hoch wie die der Reichsmark. Ein paar Stunden später wurde sie als ganz inflationär abgewertet bezeichnet, weit unter der Hälfte.

    (Zuruf des Abg. Schmidt [Hamburg].)

    Kollege Schmidt, lesen Sie das Protokoll nach! Sie sagten: Natürlich ist die D-Mark nicht mehr so viel wert, aber ungefähr als Vergleichsmaßstab gilt es.

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Diesen Nachsatz haben Sie soeben erfunden! — Abg. Kiesinger: Den haben Sie wortwörtlich gesagt!—Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    - Herr Kollege Schmidt, lesen Sie doch das Protokoll nach! Ich bin ein normaler Zuhörer. Ich habe



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    es gehört. Sie haben sicherlich in weiten Strecken ein ganz nüchternes, sachliches Urteil kritischer Art gegeben. Aber in dem Punkt ist mir etwas aufgefallen; denn da haben Sie mit einer gewissen Vorgeschichte operiert: Ermächtigungsgesetz, totaler Krieg, Sportpalast, und jetzt kommt noch die Hitlersche Aufrüstung!

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Der Satz, den Sie soeben gesprochen haben, ist erfunden!)

    Da sind wir sehr hellhörig, weil das eine bekannte Linie ist. Das ist eine Sprachregelung geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Recht hat gestern der Kollege Deist davon gesprochen — nur hat er sich hernach nicht ganz daran gehalten —, daß die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auf vielen Gebieten geführt wird und daß das militärische Gebiet sicherlich nicht das einzige ist. Das führt sicherlich zu der Feststellung, daß man den Kommunismus weder allein militärisch noch vielleicht allein durch Kinderzulagen oder durch erhöhte Renten oder durch Erhöhung der Löhne bekämpfen kann. Das geht da zu sehr ins Klischeehafte und abgeklatscht Schlagworthafte, als daß man darüber reden sollte.
    Es sind viele Bereiche, die gestern angeschnitten worden sind, z. B. vom Kollegen Leber; ich sehe ihn hier gerade. Es sind Bereiche der Sozialpolitik und der Kulturpolitik mit hineingezogen worden. Die Theologie ist diesmal noch nicht bemüht worden. Aber es sind viele Bereiche hineingezogen worden. Es ist gesagt worden: Ihr seht nur eure Aufrüstung, ihr müßt auch die Schulhäuser, die Familien, die Mütter, die Versehrten, die Flüchtlinge usw. sehen. Man kann gegen keines dieser Anliegen, wenn man nicht manisch von einer fixen Idee besessen ist, etwas vorbringen.
    Aber auch hier muß ich Sie bitten, gerade auch vom Standpunkt der Arbeit aus, die ich zu leisten habe, die Teil der Regierungspolitik ist, auch die Rüstungspolitik und den Aufbau der Bundeswehr im Rahmen einer Gesamtpolitik zu sehen, einer Gesamtpolitik, die wohlausgewogen sein muß, die vielleicht von Jahr zu Jahr verschiedene Akzente hat.
    Ich habe im Jahre 1949 den Wahlkampf bei meinen ersten politischen Schritten, die ich im Wirtschaftsrat gemacht habe, in meinen Reden unter der Überschrift geführt: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal". Sie war es damals unter den Alliierten. Im Jahre 1953 haben wir den Wahlkampf unter der Überschrift geführt: „Die Außenpolitik ist unser Schicksal". Wir müssen heute sagen, daß alle anderen Lösungsversuche politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art auf Sand gebaut, auf nichts gebaut sind, wenn das Problem der Sicherheit nicht nach allen Möglichkeiten der menschlichen Vernunft und des menschlichen Anstandes gelöst werden kann,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    auch wenn es dabei Dinge gibt, die zu vertreten
    man eher Mut haben muß, als Massenleidenschaften
    zu erwecken, deren man vielleicht nicht mehr Herr werden kann, wenn es für die Urheber dieser Kampagne wünschenswert oder notwendig wäre.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich wende mich gegen die auch nur moralische Abwertung des Beitrags zur Verteidigung. Man kann nicht allein die Theorie aufstellen: Wir sind für die Landesverteidigung, aber leider haben wir so viele andere Aufgaben, daß für sie nichts mehr übrigbleibt; darum ist für sie nur ein Gedächtnisposten vorgesehen.
    Ich habe bei der großen Debatte von den drei Aufgaben des Staates gesprochen: Sicherheit nach außen, Ordnung und Freiheit im Innern und die Voraussetzungen für den Wohlstand zu schaffen. Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel darüber, daß unsere wirtschaftliche Leistung selbstverständlich nicht die Heldentat eines Pioniers ist, mag er auch Dr. Erhard heißen, Kollege Leber. Unsere Leistung ist von Millionen schaffender Hände erarbeitet worden. Aber niemand kann, glaube ich, dem widersprechen, daß die Arbeit eines fleißigen, eines begabten, eines leistungsfähigen Volkes, das sich bis zur Weißglut aufopfert, sinnlos werden, sogar seinen Untergang herbeiführen kann, wenn nicht vor der Arbeit dieses Volkes das Vorzeichen einer vernünftigen Politik steht.

    (Beifall bei den Regierungparteien.)

    Noch nie ist das deutsche Volk in seinen Arbeitsreserven, in seinen menschlichen Kräften so ausgeplündert worden wie im Dritten Reich. Von jedem einzelnen ist zum einen auf Grund seiner Überzeugung, zum anderen unter dem Druck der damaligen Verhältnisse ein Mehrfaches abverlangt und auch geleistet worden. Das Fazit war weniger als Null. Das kann man doch nicht bestreiten.
    Darum ist es kein Widerspruch, zu sagen, daß diese unsere Politik Deutschland aufgebaut hat. Das ist keine Beleidigung und gar keine Herabsetzung; denn jedermann weiß, daß das nur möglich war, weil Millionen schaffender Hände durch diese Politik in die Lage versetzt worden sind, eine für sie lohnende und für die Zukunft unseres Vaterlandes auch produktive Arbeit wieder schaffen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man kann diese drei Dinge, Sicherheit nach außen, Ordnung und Freiheit im Innern und Voraussetzungen für den inneren Wohlstand, nicht voneinander trennen. Sie hängen voneinander ab. Ich glaube, Kollege Erhard hat es gestern sehr allgemein gesagt. Darf ich es vielleicht etwas verständlich machen. Die Dispositionen des einzelnen, des kleinen Mannes, der spart, der zweckspart, der für ein Haus oder für sein Alter spart, oder die Dispositionen der Großen — Kollege Leber, Sie wissen ja, wen Sie gestern gemeint haben —, also derjenigen, die „von der Arbeit der anderen leben" — ich möchte jetzt nicht in diese Terminologie verfallen —, also sowohl die Dispositionen der Kleinen wie die der Großen in der Wirtschaft hängen



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    davon ab, daß der einzelne nicht nur theoretisch ermahnt wird, sondern das innere Gefühl hat, über den heutigen Tag hinaus disponieren zu können, weil es sich lohnt.
    Wir hätten in Deutschland keine Spartätigkeit und keinen Kapitalmarkt, sondern eine horrende Kapitalflucht, wenn Deutschland das Einmarschgebiet der Roten Armee wäre, die morgen kommen könnte. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel.
    Unsere Rückkehr auf die Weltmärkte, unsere Rückkehr heute auf alle großen internationalen Märkte, ist doch nichts anderes als das Ergebnis einer auf Gewinnung von Vertrauen gerichteten Außenpolitik.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Damit ist doch der heutige Wohlstand — ich meine das Wort „Wohlstand" im neutralen Sinne des Wortes, also das, was von jedem dazuerworben worden ist und was er, mit Recht, behalten will, und das, was er in Zukunft erwerben will — ohne daß ich damit den Materialismus das Wort reden will —, auch abhängig davon, daß unsere Bindungen an die westliche Welt erhalten bleiben und daß unsere Sicherheit vor dem Zugriff von außen auch in Zukunft garantiert bleibt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sonst bricht alles andere zusammen.
    Es gibt hier nur eine abgewogene Politik. Auch eine Mark, die in die Verteidigung gesteckt wird, ist keine verlorene Mark, auch wenn sie eine Mark ist, die dem einzelnen als Butterbrot oder als Taschentuch verlorengeht. Auch das ist nämlich die Garantie dafür, daß ein höheres Gut, die Freiheit, erhalten bleibt. Und die Freiheit ist die Voraussetzung dafür, daß der wirtschaftliche Wohlstand und die soziale Sicherheit überhaupt in Deutschland auf viele Jahre hinaus als durch eine vernünftige Politik gesicherte Güter angesehen werden können.
    Ich bin gestern erschrocken, meine Damen und Herren, als dieses wilde Gelächter über Professor Erhard wegen seines Rechenexempels ausbrach. Es müßte doch einen Bereich geben, wo ein Mindestmaß an mathematischem Denken die Frage, ob die Opposition oder die Regierung recht hat, ausschließt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Kollege Erhard ist es nicht gelungen. Ich habe einmal Schulmeister werden wollen; vielleicht gelingt es mir jetzt. Wenn man mit 200 Milliarden anfängt und eine Zuwachsrate von 3 % hat,

    (Zuruf von der SPD: Er hat sich nur schlecht ausgedrückt!)

    — die „Welt" hat sogar geschrieben: eine wahrscheinlich fehlerhafte Rechnung —, dann sind es nach dem ersten Jahr 206 Milliarden DM. Die neue Basis für das nächste Jahr sind dann 206 Milliarden. Von diesen 206 Milliarden wieder 6 %; gibt 6 Milliarden und einiges.

    (Zuruf von der SPD: 3 %!)

    — Ja, 3 %!

    (Abg. Erler: Er hat 6 % gesagt! Dadurch entstand der Irrtum! Wenn er 3 % gesagt hätte, wäre es in Ordnung gewesen!)

    Gibt 6 Milliarden und einiges. Im dritten Jahr dann wieder das gleiche, und dann haben Sie gegenüber dem Ausgangsjahr — 200 Milliarden DM — einen Zuwachs von 6 Milliarden plus 12 Milliarden plus 18 Milliarden, macht 36 Milliarden.

    (Widerspruch bei der SPD.)

    — Sicherlich!

    (Erneuter Widerspruch bei der SPD. — Zuruf des Abg. Ollenhauer.)

    — Herr Kollege Ollenhauer, ich würde mit Ihnen privat jede Wette abschließen, zu der Sie sich bereit erklären. Gegenüber dem Ausgangsjahr mit 200 Milliarden DM bedeutet ein Zuwachs von 3 % des Sozialprodukts im Jahr nach drei Jahren einen Gesamtzuwachs von 36 Milliarden DM.

    (Zuruf von der SPD.)

    Das ist eine mathematische Tatsache, die ist weder schwarz noch farbig, Herr Kollege Ollenhauer.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich wollte mit dieser abschließenden Bemerkung auch eine von der Sache, vom Ziel und von der Verantwortung her notwendige Rechtfertigung für den Aufbau der Bundeswehr geben, und ich wollte die Opposition, die sagt, daß man die Rüstung nicht allein sehen dürfe, nur darum bitten, diesen berechtigten Grundsatz auch zur Basis ihrer eigenen Überlegungen und ihrer eigenen Argumentation zu machen. Denn das Ziel dieser Rüstung ist die Erhaltung des Friedens und ist die Erhaltung der Freiheit. Ohne diese beiden Güter haben unsere wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leistungen keinen Wert mehr; es entfallen die Voraussetzungen für diese Güter. Darum ist für uns das Bekenntnis zur Landesverteidigung im Rahmen einer internationalen Sicherheitsgemeinschaft nicht ein Bekenntnis zu einer deutschen Machtpolitik, sondern das Bekenntnis zu einer auf Recht und Freiheit begründeten Weltordnung.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)