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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3025

  • date_rangeDatum: 24. April 1958

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    Deutscher Bundestag 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Inhalt: Abg. Leukert (CDU/CSU) tritt als Nachfolger des Abg. Klausner in den Bundestag ein 1361 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) — Fortsetzung der Aussprache —. Dr. Schellenberg (SPD) 1361 C, 1379 B, 1382 D Blank, Bundesminister 1368A, 1381 B, 1383 A Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 1371 B Dr. Wuermeling, Bundesminister . 1374 B Stingl (CDU/CSU) . . . . . . . 1376 C Seuffert (SPD) 1383 B, 1394 C Krammig (CDU/CSU) 1385 D Etzel, Bundesminister 1388 A Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 1393 C Strauß, Bundesminister 1395 D Wehner (SPD) . . . . . . . 1405 D Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (SPD) (Drucksache 303) — Erste Beratung — Dr. Menzel (SPD) 1412 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 1421 A Dr. Schröder, Bundesminister . . 1430 A Dr. Bucher (FDP) 1433 C Euler (DP) . . . . . . . . . 1437 D Blachstein (SPD) 1441 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) 1448 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1456 D Anlage 1457 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1361 25. Sitzung Bonn, den 24. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr. Vizepräsident Dr. Becker (nach seiner Genesung mit Beifall begrüßt) : Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, für unseren verstorbenen Kollegen Klausner ist mit Wirkung vom 21. April 1958 der Abgeordnete Leukert in den Bundestag eingetreten. Ist der Kollege anwesend? (Abg. Leukert: Ja!) — Dann darf ich ihn herzlich begrüßen. Ich wünsche ihm eine gute Mitarbeit. (Beifall.) Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne VerLesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat mit Schreiben vom 22. April 1958 mitgeteilt, daß sich die Verkündung der vom Bundestag in seiner 16. Sitzung beschlossenen Fünfzehnten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl — Drucksachen 108, 239 — erübrige. Sein Schreiben wird als Drucksache 346 verteilt. Die Aussprache zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt konnte in der gestrigen Sitzung nicht mehr abgeschlossen werden. Auf Vorschlag des amtierenden Präsidenten wurde beschlossen, diesen Gegenstand erneut als Punkt 1 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen. Ich rufe daher auf: Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) . Nach § 33 der Geschäftsordnung hat der Präsident darauf zu achten, daß eine sachgemäße Erledigung des Gegenstandes, d. h. auch eine entsprechende Gruppierung der Redner vorgenommen wird. Ich habe deshalb an die Damen oder Herren, die zu diesem Punkt noch sprechen möchten, die Bitte zu richten, sich jetzt schon beim Schriftführer zu meiner Rechten zu melden und dabei mit anzugeben, über welchen Fragenbereich sie sprechen wollen. Ich glaube nämlich, eine gewisse Gruppierung des Stoffs bedeutet eine Erleichterung sowohl für die Presse als auch für das Verständnis aller Zuhörer und gibt den zuständigen Ministern die Möglichkeit, zum richtigen Zeitpunkt in die Debatte einzugreifen. Ich darf also bitten, so zu verfahren. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg. Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ausmaß der Rüstungsausgaben hat nicht nur volkswirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen, sondern ist auch von entscheidender Bedeutung für die gesamte Sozialpolitik. Das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, natürlich auch. (Zuruf von der CDU/CSU: Seien Sie vorsichtiger!) — Ich komme noch darauf, darüber werden wir noch sehr eingehend zu sprechen haben, vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist. In der gestrigen Debatte haben Sie nämlich versucht, den sozialpolitischen Problemen möglichst aus dem Wege zu gehen. (Abg. Dr. Hellwig: Herr Stingl hat es noch vor!) — Ich komme auch zu Herrn Stingls Verhalten. Die Herren Vogel und Hellwig haben lediglich einige schwungvolle Worte über den Zusammenhang zwischen äußerer Sicherheit und innerer Sicherheit gesagt. (Zurufe von der Mitte.) Das ist für die Probleme, um die es bei diesen Rüstungsausgaben geht, zu wenig. Zur Entschuldigung gestehe ich den Herren Vogel und Hellwig zu, daß ihnen die sozialpolitischen Probleme etwas ferner liegen. (Abg. Dr. Hellwig: Woher wissen Sie?) — Das haben Sie wiederholt bewiesen, Herr Kollege Hellwig. (Beifall bei der SPD.) Es fiel der Name des Kollegen Stingl. Herr Kollege Stingl hat sich gestern zweimal zum Wort gemeldet und zweimal seine Wortmeldung zurückgezogen. Ich weiß nicht, weshalb er das getan hat. (Abg. Rasner: Es lohnte nicht!) 1362 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg Entweder hielt er die sozialpolitischen Dinge im Rahmen der Aussprache für nicht so wichtig, (Abg. Rasner: Nach Ihnen, Herr Professor!) oder er wollte eine bestimmte Rangordnung in der Rednerfolge erreichen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Aber wir haben ja heute keine Life-Sendung. Weshalb dieses Katze-und-Maus-Spiel? Im übrigen kann ich Ihnen sagen — das habe ich hier schon wiederholt unter Beweis gestellt —: Wenn Herr Kollege Stingl oder ein anderer von Ihnen über sozialpolitische Fragen spricht und sie meines Erachtens nicht in das richtige Licht gerückt werden, dann werde ich noch wiederholt dazu das Wort nehmen. (Lachen bei der CDU/CSU.) Dessen können Sie sicher sein. (Zurufe von der CDU/CSU.) Nun haben gestern nicht nur die Vertreter der Regierungsparteien, sondern auch die Herren Vertreter der Regierung gesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister war, soweit ich sah, gestern nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen ja, daß er nicht da war!) — Er war nicht anwesend. (Abg. Horn: Sie wissen aber, wo er war!) — Ich weiß nicht, wo er war! Wahrscheinlich hielt er irgendwo eine Rede über die großen sozialen Leistungen der Bundesregierung. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) Also der Herr Bundesarbeitsminister war nicht anwesend, obwohl dem Hause und der Öffentlichkeit bekannt ist, daß zwischen Rüstungshaushalt und Sozialhaushalt sehr weitgehende Beziehungen bestehen. Wir mußten uns also auf Mitteilungen anderer Ressortchefs beschränken, obwohl sicher gerade die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers wegen seiner eingehenden Kenntnis der Beziehungen zwischen Rüstungs- und Sozialausgaben das Haus außerordentlich interessiert hätten. Nun, was hat der Herr Bundesfinanzminister in der Antwort der Regierung erklärt? Er hat wörtlich gesagt: Die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrages . . . wird jährlich neu geprüft und jeweils den veränderten politischen, technischen, finanziellen und militärischen Bedürfnissen angepaßt. Von sozialpolitischen Bedürfnissen hat der Herr Bundesfinanzminister nicht gesprochen. (Abg. Horn: Das war ja auch nicht das Thema des Tages!) — Das war nicht das Thema des Tages. Das gehört zum Thema Rüstungsausgaben, meine Damen und Herren. (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Sie können diese Zusammenhänge nicht vom Tisch wegwischen, wenn Sie es vielleicht auch möchten. Aber auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hat Erklärungen abgegeben, in denen er die Sozialausgaben zwar nicht ausdrücklich erwähnt, in denen er aber doch in geradezu erschütternder Weise unter Beweis gestellt hat, wie gering sein Verständnis für die sozialen Belange ist. (Zurufe von der CDU/CSU.) Ich möchte das wörtlich zitieren. Ich habe es mir nämlich aufgeschrieben, Sie können es im Protokoll nachlesen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat erklärt: Wir haben zwar das eine oder das andere zurückstellen müssen. Aber niemand ist dabei zu kurz gekommen. — Das wurde wörtlich gesagt, und ich glaube, treffender konnte der Herr Bundeswirtschaftsminister sein mangelndes Verständnis für die sozialen Belange von Millionen Menschen nicht kennzeichnen. (Beifall bei der SPD. — Abg. Horn: Aber, aber! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) Diese Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers reihen sich würdig an seine Erklärungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung. Er hat nämlich gesagt, er werde die Giftzähne aus der Rentenreform herausbrechen. (Zurufe von der CDU/CSU.) Das ist die gleiche Melodie. Meine Damen und Herren, so billig kommen Sie nicht davon! (Abg. Horn: So billig!) Dazu ist die Angelegenheit zu teuer. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich werde das konkret beweisen, Herr Kollege Hellwig, selbstverständlich! Wie ist die Lage im sozialpolitischen Bereich? Bei allen sozialpolitischen Auseinandersetzungen in diesem Hause ging es und geht es im Grundsatz immer darum, welcher Anteil der gesamten Bundesausgaben für Sozialausgaben bereitgestellt wird und welcher Anteil vom gesamten Sozialprodukt auf die Sozialleistungen entfallen soll. Das ist die grundsätzliche Auseinandersetzung, die wir in diesem Hause immer geführt haben. Hierüber gibt es zwischen uns erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Im Gegensatz zu Ihnen waren wir immer der Auffassung, daß in den Bundesausgaben der Anteil an Sozialausgaben zu niedrig ist und daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Wir waren und sind der Meinung, daß die Bundesrepublik leider weit entfernt davon ist, ein Sozialstaat zu sein, wie es in Art. 20 des Grundgesetzes festgelegt ist. Sie haben Ihre Auffassungen über die Bundesrepublik als Sozialstaat im wesentlichen auf zweierlei Weise begründet. Sie haben erstens immer erklärt, die Sozialausgaben bildeten den größten Block der Bundesausgaben, und Sie haben zweitens stets die Behauptung aufgestellt, der Anteil der Sozialleistungen wachse laufend mit der Zuwachs- Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1363 Dr. Schellenberg rate des Sozialprodukts. Heute sind Sie im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand bereit, diese Ihre Konzeption vom Sozialstaat über Bord zu werfen. Ich möchte Ihnen das an Hand Ihrer eigenen Angaben und nicht an Hand meiner Berechnungen beweisen. Die Behauptung, daß die Sozialausgaben der größte Posten im Bundeshaushalt seien, läßt sich auf Grund Ihrer eigenen Zahlenangaben für das Jahr 1958 nicht mehr aufrechterhalten. An dem Trick, den Sozialleistungen die Ausgaben für die 131er und die Ausgaben für die Versorgung der Berufssoldaten der früheren Wehrmacht hinzuzurechnen, haben Sie in den Vorbemerkungen zum Haushalt teilweise selber nicht mehr festgehalten. Sie haben — lesen Sie nach auf Seite 164! — den Sozialausgaben zwar die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung und die Ausgaben für die Umsiedlerhilfe und die Ausgaben für die Kriegsfolgenhilfe hinzugerechnet, aber selbst bei dieser weiten Fassung des Begriffes der Sozialleistungen steht in Ihren Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt schwarz auf weiß, daß die Ausgaben für Sozialleistungen im Rechnungsjahr 1958 um 300 Millionen DM niedriger sind als im Jahre 1957. (Abg. Horn: Ja, was soll das?) — Das ist ein wichtiger Tatbestand! Zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik geht im Bundeshaushalt der Anteil der Sozialausgaben auch in der absoluten Höhe zurück. Wir müssen feststellen, daß nach Ihren eigenen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik die Ausgaben für die Rüstung höher als die Sozialausgaben — selbst in dieser weiten Fassung — sind. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich frage Sie: kann man einen Staat, bei dem die Rüstungsausgaben höher sind als die Ausgaben für soziale Zwecke, als Sozialstaat bezeichnen? (Abg. Horn: Jawohl!) Prüfen Sie das selbst, prüfen Sie das in Ihrem Kämmerlein! Und nun ein Zweites! Sie haben nach harten Auseinandersetzungen zugestanden — auch auf Grund unserer Initiative —, daß der Gedanke des Sozialstaates erst dann verwirklicht sei, wenn auch die Sozialleistungsempfänger laufend am Zuwachs des Sozialprodukts teilnähmen. Das war Ihr zweites Fundament für die Konzeption des Sozialstaats, wie Sie ihn sehen. Diese Konzeption haben Sie in diesem Jahr zum erstenmal aufgegeben. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, Sie haben den Haushalt offenbar nicht gelesen; ich empfehle Ihnen dringend, das über das Wochenende zu tun, bevor Sie weiter in Versammlungen gehen. Bei der Aufstellung des Bundeshaushalts — und das steht auch in der finanzpolitischen Begründung — wurde von einer Zuwachsrate des Sozialprodukts von 7 % ausgegangen. Man kann sich darüber streiten — und das wurde gestern getan —, ob diese Zuwachsrate richtig angesetzt ist. Jedenfalls geht die Bundesregierung von einer solchen Zuwachsrate aus. Dementsprechend müßte sie auch bei den Sozialleistungen die gleiche Zuwachsrate zugrunde legen, wenn die Auffassung aufrechterhalten werden soll, daß die Sozialleistungen nicht hinter der Entwicklung des Sozialprodukts zurückbleiben sollen. Wenn Sie zu den Sozialausgaben des Bundes von 1957 die Zuwachsrate von 7 % hinzurechnen, wie Sie es bei Ihrer gesamten Haushaltskonzeption getan haben, dann müßten im Haushalt 10,7 Milliarden DM und nicht 9,7 Milliarden DM für Sozialausgaben vorgesehen sein. Sie sind also bei den Sozialausgaben, gemessen an der Entwicklung des Sozialprodukts, schon in diesem Rechnungsjahr um 1 Milliarde DM unter den Ansätzen des Vorjahres geblieben. Das bedeutet, daß die Sozialleistungsempfänger nicht an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen sollen und von der Kaufkraftverschlechterung betroffen werden. Wo ist diese 1 Milliarde hingewandert? In den Rüstungshaushalt! (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Schütz [München] : Ist die Freiheit gar nichts wert?) — Darüber wollen wir sprechen! Aber Sie müssen doch erst einmal diesen Tatbestand zugeben und dürfen ihn nicht verschleiern, (Beifall bei der SPD) indem Sie erklären, zu den Sozialausgaben gehörten auch die Leistungen für die 131er und die Versorgung der früheren Soldaten. Wir wollen erst einmal die Tatbestände klären! Ich beziehe mich in meiner Argumentation auf Ihre eigene Konzeption Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Verteilung des Sozialprodukts ungerecht ist. Sie haben erwidert: Wir lassen die Sozialleistungsempfänger an der Entwicklung dos Sozialprodukts teilnehmen. Mit dieser Ihrer eigenen Konzeption brechen Sie heute, und das ist doch ein wichtiger Tatbestand, eine Veränderung der Situation zu Lasten der sozial Schwachen. (Beifall bei der SPD.) Sie stellen die Weichen in eine bedenkliche, um nicht zu sagen in eine gefährliche Richtung. Diese Entwicklung ist um so verhängnisvoller, als die Folgen des vergangenen Krieges in sozialer Hinsicht noch längst nicht überwunden sind, auch wenn 10 000 einen Mercedes 300 fahren, auch wenn Herr Erhard erklärt, es sei niemand zu kurz gekommen. Meine Damen und Herren, Sie werden mir erwidern, Sie hätten im gegenwärtigen Haushaltsjahr keinen Eingriff in das geltende Sozialrecht vorgenommen. Bis jetzt noch nicht; im Augenblick gehen Sie bei den Einschränkungen der Sozialausgaben noch indirekt vor, indem Sie dringend notwendige Ausgaben für soziale, kulturelle und gesundheitliche Aufgaben unterlassen. Im Bundesgebiet fehlen beispielsweise noch 46 000 Klassenräume, weil Sie den Ländern nicht die finanzielle Möglichkeit geben, im Zusammenwirken mit den Kommunen einen solchen Bedarf zu befriedigen. (Zuruf von der Mitte: Reden Sie doch zum Thema!) 1364 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg — Das ist das Thema der Rüstungsausgaben. (Zuruf von der Mitte: Was wollen Sie denn?) — Sie wollen den Zusammenhang zur Rüstung vertuschen. (Zuruf von der Mitte: Alte Platte!) — Das ist für Sie eine alte Platte! Sie wollen wohl die 46 000 Schulräume ad calendas graecas fehlen lassen. (Zuruf von der Mitte: Sagen Sie mal, was Sie ausgeben wollen!) — Ich spreche dazu, welche Auswirkungen die Rüstung auf die sozialen Aufgaben des Bundes haben wird. Auf diese Frage müssen Sie eine Antwort geben. Mit der allgemeinen Bemerkung: Erst die äußere Sicherheit garantiert die innere Sicherheit, kommen Sie nicht weiter, wenn Sie die Ausgaben für die innere Sicherheit gleichzeitig in so bedenklicher Weise schwächen. (Beifall bei der SPD.) Ein anderes Beispiel! Nach den Mitteilungen der verantwortlichen Krankenhausärzte fehlen 4 Milliarden D-Mark für die Investitionen in den Krankenhäusern. Das ist ein gesundheitspolitisch bedauerlicher Tatbestand. (Zurufe von der Mitte.) Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem praktischen Leben nennen. Die Presse ist voll von Berichten über die Erfindung einer Herz-Lungen-Maschine; sie kostet 160 000 DM. In welcher Lage sind wir? Wir müssen gewissermaßen öffentliche Sammlungen veranstalten, damit solche Maschinen beschafft werden können. Das ist eine peinliche Lage. (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stoltenberg: Bewilligen Sie sie doch in Nordrhein- Westfalen!) — Ich habe den Zusammenhang zwischen Bundeshaushalt und Länderhaushalten aufgezeigt, auf den meine Kollegen schon bei der Haushaltsberatung hingewiesen haben. Meine Damen und Herren, Sie unterlassen es nicht nur, dringend notwendige Ausgaben für soziale Zwecke einzusetzen, sondern Sie haben — das ist ein höchst bedenklicher Tatbestand, den Sie sich sorgfältig überlegen sollten — an jeder Position des gegenwärtigen Bundeshaushalts, die soziale Ausgaben betrifft, Kürzungen vorgenommen. So sind beispielsweise die Ausgaben, die für die Kriegsfolgenhilfe, für die Heimatvertriebenen, für die Rückgeführten, für die Flüchtlinge von großer Bedeutung sind, um 72 Millionen D-Mark gekürzt worden; das ist ein Tatbestand. (Zuruf von der Mitte: Warum?) — Sie fragen: Warum? — Wir alle hoffen, daß auf Grund der Repartriierungsverhandlungen die Zahl der Menschen, die aus den Ostgebieten zurückkehren, größer werden wird. Zu diesem Zeitpunkt nehmen Sie eine solche Kürzung von 72 Millionen D-Mark vor; (Hört! Hört! bei der SPD) das ist der Tatbestand. Etwas anderes! Sie haben die Bundeszuschüsse für die Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen D-Mark gesenkt. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) — Herr Kollege Schütz, sollte Ihnen unbekannt sein, daß die Zahl der älteren arbeitslosen Arbeiter und Angestellten in den Notstandsgebieten noch erschreckend hoch ist? Wollen Sie das leugnen? Statt die Mittel für eine produktive Erwerbslosenhilfe zu belassen und zu erhöhen, nehmen Sie im Haushalt eine Kürzung der .Arbeitslosenhilfe um 34 Millionen DM vor. Herr Kollege Schütz, Sie interessiert ja besonders der Lastenausgleich. Die Zuschüsse des Bundes zum Lastenausgleich sind um insgesamt 94 Millionen DM gekürzt worden. (Zuruf des Abg. Schütz [München].) Das bedeutet doch, daß sich die Abwicklung des Lastenausgleichs zeitlich noch mehr verzögert als ohnehin schon. (Erneuter Zuruf des Abg. Schütz [München]. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Meine Damen und Herren, das sind Tatbestände, an denen Sie nicht vorübergehen können. Sie müssen sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit dem Rüstungsaufwand auseinandersetzen. (Abg. Schütz [München] : Das beruht doch auf § 6 des Lastenausgleichsgesetzes!) — Aber kommen Sie doch nicht mit diesem und jenem Paragraphen! Die praktischen sozialpolitischen Auswirkungen sind für die Menschen entscheidend. (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schütz [München].) Mein Freund Schoettle hat - ich erwähne das, um nun zu einer anderen Position zu kommen — schon darauf hingewiesen, daß die Ansätze in der Kriegsopferversorgung um 60 Millionen DM niedriger sind als im Vorjahr. (Abg. Horn: Sie wissen doch, warum!) — Ja, ich weiß warum. Aber, Herr Kollege Horn, bitte, sagen Sie Ihren Freunden, daß darin auch die Streichung von 42 000 Elternrenten in der Kriegsopferversorgung durch Anrechnung enthalten ist. (Sehr richtig! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, das sind Auswirkungen, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Was hat der Herr Bundeskanzler über diese Anrechnung gesagt? Sie vergessen es immer. Deshalb muß ich wieder daran erinnern. Am 12. September 1957, drei Tage vor der Bundestagswahl, sagte er: Es wird im nächsten Bundestag eine unserer dringendsten Aufgaben sein, sämtliche noch vorhandenen Unstimmigkeiten auf diesem Gebiet zu beseitigen, damit die Rentner wirklich Dr. Schellenberg auch in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsbestimmungen in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen. Das hat der Herr Bundeskanzler versprochen. Statt diese Härten zu beseitigen, meine Damen und Herren, schicken Sie sich an, noch größere Härten im sozialen Bereich eintreten zu lassen. (Beifall bei der SPD.) Der Herr Kollege Vogel hat von den Mehrleistungen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung gesprochen. Ich will keine Rentendebatte eröffnen, sonst würden wir noch bis heute abend diskutieren. Der Herr Präsident hat darum gebeten, die Diskussion zu straffen. Aber nachdem der Herr Kollege Vogel das Thema angeschnitten hat, muß ich dazu eine Bemerkung machen. Herr Dr. Vogel hat nicht erwähnt, daß die Mehrleistungen aus der Rentenneuregelung zu 82 % aus den Beiträgen und nur zu 18 % aus Bundeszuschüssen stammen. (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf des Abg. Horn. — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, das ist doch wichtig. (Abg. Horn: Das weiß jeder!) — Das weiß jeder? Sagen Sie es mal der Bevölkerung sehr deutlich! (Beifall bei der SPD.) Dann sagen Sie der Bevölkerung auch, Herr Kollege Horn, daß der Herr Bundesfinanzminister es ungeachtet der im Gesetz festgelegten höheren Bundeszuschüsse, die sich in bestimmter Weise entwickeln sollen, durch Kürzung der Zuschüsse für die knappschaftliche Rentenversicherung, der Erstattungsbeträge für die Mindestrenten von 14 und 21 DM im Schlußergebnis fertiggebracht hat, 37 Millionen DM für Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung weniger einzusetzen als im Vorjahr. Das ist auch für den Rüstungs- und Sozialhaushalt ein wichtiger Tatbestand. Herr Kollege Vogel — ich sehe ihn nicht im Saal; dann mag er es im Protokoll nachlesen — ist der Haushaltsexperte Ihrer Bundestagsfraktion und hat die Rentenneuregelung im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt erwähnt. Ich muß Herrn Kollegen Vogel und die Offentlichkeit über etwas anderes unterrichten. Als es nämlich um diese Dinge ging, hat der damalige Herr Bundesfinanzminister, dessen sachverständiger Berater der Finanzexperte der Fraktion sein sollte, folgendes an die Bundesregierung geschrieben: Nachdem nunmehr eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion wie auch Mitgliedern der übrigen Fraktionen der Regierungskoalition den Regierungsentwurf zur Rentenreform nicht mehr uneingeschränkt bejahen, schlage ich vor, das Kabinett möge wie folgt beschließen: Der Bundeskanzler wird gebeten, mit der Regierungskoalition Verhandlungen dahingehend zu führen, daß die Beratungen über die Bundestagsdrucksache 2437 — Rentenneuregelung — einstweilen zurückzustellen sind und statt dessen zum 1. Januar 1957 ein Überbrückungsgesetz verabschiedet wird. Wenn Herr Kollege Vogel im Zusammenhang mit dem Rüstungshaushalt die Rentenversicherung erwähnte, dann sollten Sie von diesen Tatbeständen Kenntnis nehmen und zugeben, wie es überhaupt zur Rentenneuregelung gekommen ist: gegen den Widerstand des Finanzministers und gegen den Widerstand des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der in diesem Punkt mit Teilen Ihrer Fraktion die gleiche Auffassung vertreten hat. Herr Kollege Vogel, Sie waren doch sicher unter den Sachverständigen, die für die Zurückziehung des Regierungsentwurfs zur Rentenneuregelung sind. Haben Sie sich vielleicht einmal überlegt, daß es im Zusammenhang mit den Rüstungsausgaben auch angebracht wäre, zu erwägen, ob man die Vorlagen über die Rüstungsausgaben noch einmal überprüfen und zurückziehen sollte? (Beifall bei der SPD.) Bei den finanziellen Auswirkungen der Rüstungskosten ist es sozialpolitisch von entscheidender Bedeutung, daß wir jetzt, wo die Aufrüstung auf volle Touren kommt, erst am Anfang der Auswirkung auf die Sozialausgaben stehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seinen Angaben über die zukünftigen Rüstungsausgaben gestern außerordentlich zurückgehalten, (Zuruf von der Mitte: Er hat sich präzise ausgedrückt!) — sehr zurückgehalten. Er hat nämlich praktisch nur das gesagt, was die Öffentlichkeit schon wußte. (Abg. Dr. Dollinger: Er hat Ihre Fragen beantwortet!) — Ja, formell! Darüber werden meine Freunde nachher noch sprechen. Meine Damen und Herren, man muß sich darüber klar sein — und die Offentlichkeit muß es ebenso —, daß sich aus einer Erhöhung der Rüstungsausgaben auch eine Einschränkung des Sozialhaushalts ergeben muß. Sie wissen schon heute nicht, wie Sie aus dieser Zange herauskommen sollen. Sonst hätten Sie nicht schon im ersten Jahr nach den Bundestagswahlen den Sozialhaushalt gekürzt. Das ist leider eine Entwicklung, mit der man sich auseinandersetzen muß. In diesem Jahr finanzieren Sie schon einen Teil des Zuwachses an Rüstungskosten aus dem Sozialhaushalt. Meine Damen und Herren, Sie wollen diese Entwicklung auf indirektem und direktem Wege fortsetzen. Sie werden sie nicht nur dadurch fortsetzen, daß Sie wichtige Ausgaben unterlassen, und dadurch, daß Sie die Anrechnungsvorschriften schärfer anwenden, sondern Sie werden auch zu direkten Eingriffen in das Sozialrecht kommen. Das ist keine Prophezeiung, die ich mache, sondern ich stütze mich auf Mitteilungen, die aus dem Arbeitsministerium kommen. Ich sehe gerade den Herrn Bundesarbeitsminister, er ist inzwischen gekommen, 1366 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg und er wird sich vielleicht selbst dazu äußern können, wofür ich außerordentlich dankbar wäre. Diese Tendenz ist auch an all dem zu erkennen, was wir über die weitere Entwicklung der sogenannten Sozialreform hören. Es ist noch nicht sehr lange her, da haben Sie, meine Damen und Herren, hier und in der Öffentlichkeit sehr großartig von einer umfassenden Sozialreform gesprochen, durch die der soziale Leistungsstand in der Bundesrepublik verbessert werden solle. Jetzt nehmen Sie eine Wendung in den Formulierungen vor, Sie werfen nachdrücklicher das Schlagwort von der Verstärkung des Verantwortungsbewußtseins des einzelnen in die sozialpolitische Debatte. Ich möchte darauf eingehen, und zwar an Hand von Erklärungen noch nicht offizieller, aber offiziöser Art. Da spielt beispielsweise die Frage einer wesentlichen Erhöhung der Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung eine Rolle. Was bedeutet das wirtschaftlich? (Abg. Horn: Haben wir eine Sozialdebatte hier oder was haben wir? — Weitere Zurufe von der Mitte.) — Aber, meine Damen und Herren, Sie kürzen doch die Sozialausgaben zugunsten der Rüstungsausgaben! (Abg. Arndgen: Ist doch gar nicht wahr! Wo denn?) — In Ihrem Haushalt! Haben Sie ihn nicht gelesen? (Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der Mitte.) Sie wollen im Zusammenhang mit der weiteren sozialpolitischen Entwicklung schwerwiegende Eingriffe in das Sozialrecht vornehmen. Da ist doch ein Kausalzusammenhang mit der Entwicklung der Rüstungsausgaben vorhanden, daran kommen Sie nicht vorbei. Sie müssen sich diesen Fragen stellen! (Abg. Schütz [München]: Wir wollen dem nicht ausweichen! — Weitere Zurufe von der Mitte. — Unruhe.) — Ich verstehe, daß Ihnen das peinlich ist. (Zurufe von der Mitte: Nein, gar nicht! — Gegenruf des Abg. Wienand: Das ist Ihnen sehr peinlich!) Sie möchten die Zusammenhänge gern tarnen. (Zuruf von der Mitte: Sie weichen mit dieser Debatte aus!) — Nein, meine Damen und Herren, wir sind hier in einer Debatte über die zukünftige Entwicklung der Rüstungsausgaben, und da kann man es nicht allgemein damit abtun, daß man sagt: Sozialausgaben werden nicht berührt. Sie müssen sich schon selbst zu dem bekennen, was Sie in das sozialpolitische Gespräch bringen, und Sie erörtern eine Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung. Was bedeutet das wirtschaftlich? Ich will jetzt mit Ihnen keine große sozialethische Auseinandersetzung führen; das machen wir dann, wenn es soweit ist. (Abg. Schütz [München]: Worauf Sie sich verlassen können!) Die Kostenbeteiligung bedeutet, daß der einzelne, der bisher eine bestimmte Leistung als Sozialleistung erhalten hat, diese Leistung in Zukunft aus seinem Arbeitsverdienst bestreiten soll. Das ist doch der wirtschaftspolitische und realpolitische Inhalt Ihrer Vorschläge, das bedeutet eine Beeinträchtigung des Lebensstandards der betreffenden Menschen. (Zuruf von der Mitte: Das liegt auf einen ganz anderen Gebiet!) Sie können sagen, Sie halten eine solche Verlagerung für richtig. Aber Sie dürfen die Offentlichkeit nicht über das hinwegtäuschen, um was es sich auch sozialpolitisch handelt. Sie können sagen, die Eingriffe in das Sozialrecht seien noch nicht festgelegt, wir befänden uns erst in der Diskussion hierüber. Ich billige dem Herrn Bundesarbeitsminister gern zu, daß er in diesen Dingen vorsichtiger ist als sein Vorgänger. Er kann sich darauf berufen, daß er diese Eingriffe erst zur öffentlichen Diskussion gestellt hat. Was ist darüber von dem zuständigen Referenten im Bundesarbeitsministerium konkret gesagt worden? Es ist eine Kostenbeteiligung vorgeschlagen worden, (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) nicht nur erhöht für Arzneien, sondern auch für ärztliche Behandlung und für Krankenhausbehandlung. Es sind ganz konkrete Vorschläge in Größenordnungen zwischen 75 Pfennig und 1,50 DM für jede ärztliche Inanspruchnahme — da schwanken Sie noch —, für jeden Krankenhaustag ohne Hausgeldbezug in der Größenordnung von 1,50 DM gemacht worden. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich das einmal in den wirtschaftlichen Auswirkungen! Ich will Ihnen Ihre Überlegungen erleichtern. Sie können mich berichtigen, wenn ich falsch gerechnet habe. Nach dem, was der Referent im Bundesarbeitsministerium darüber gesagt hat, soll die Kostenbeteiligung einen Betrag von 650 Millionen ausmachen, die vom Sozialaufwand abgehen und den Lebensstandard des einzelnen belasten sollen. Das kann man vorrechnen. Ich will hier keine sozialpolitische Debatte im Detail führen. (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Sie sind ja mitten drin!) — Wollen Sie es hören? Ich kann es Ihnen vorrechnen. Glauben Sie nicht, daß ich, wenn ich hier so etwas sage, das nicht vorher genau überlegt habe! Ich will Ihnen die Größenordnungen sagen. Die Beteiligung an den Krankenhauskosten macht, wie der Referent des Bundesministeriums sagte, 150 Millionen aus, an Arztkosten 400 Millionen, Arzneien 100 Millionen. (Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!) — Ach, „zur Sache"? Die Soziallasten hängen nicht mit den Rüstungsausgaben zusammen? Ja, meine Damen und Herren, Sie kommen nicht so leicht davon. Zwischen Rüstungsausgaben, Sozialausgaben und wirtschaftlichen Belastungen des einzelnen besteht kein Zusammenhang? Ihr eigener Sprecher, Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 1367 Dr. Schellenberg Herr Dr. Hellwig, hat gestern selbst von Opfern gesprochen und auf den Zigarettenkonsum und auf den Bierkonsum Bezug genommen. Aber klären Sie die Dinge vorher bitte erst mal in Ihrem Kreise. Die einen sagen nämlich, der Zigaretten- und Bierkonsum solle eingeschränkt werden zugunsten der Kostenbeteiligung, und Herr Dr. Hellwig hat gesagt: im Zusammenhang mit den Rüstungsaufwendungen. Und die Frage des Bierkonsums erörtern Sie erst mal in der CSU-Fraktion! (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.) Ich weise also nur darauf hin, daß es sich nach den Vorstellungen der Regierungsvertreter beispielsweise in der Frage der Kostenbeteiligung um wirtschaftlich bedeutsame Größenordnungen handelt. Der Bundesarbeitsminister hat dankenswerterweise auch einen Entwurf zur Unfallversicherung als Referentenentwurf vorgelegt, gewissermaßen als Versuchsballon. Was steht darin? Daß für Unfälle mit einer Beschädigung unter 25 % in Zukunft keine Rente mehr gewährt werden soll, (Hört! Hört! bei der SPD) was praktisch bedeutet, daß fast die Hälfte aller Arbeitsunfälle in Zukunft ohne eine Entschädigung bleiben soll. (Zuruf von der SPD: Unerhört!) Meine Damen und Herren, das ist ein Tatbestand, von dem Sie nicht leugnen können, daß er im Zusammenhang mit den Notwendigkeiten steht, (Abg. Schütz [München]: „Mit den Notwendigkeiten"!) — ja, den Notwendigkeiten, die sich aus Ihrer Konzeption des steigenden Rüstungsaufwands ergeben. Jetzt gehen Sie daran, die Sozialausgaben einzuschränken. Wir halten das für eine gefährliche Entwicklung; und deshalb weisen wir mit Ernst darauf hin. Sie können mir erwidern: „Ja, bei der weiteren sozialpolitischen Entwicklung werden wir auch Leistungsverbesserungen vornehmen!" Deshalb gebe ich Ihnen darauf gleich die Antwort. Auf die wirtschaftliche Größenordnung kommt es an! Bezüglich der Leistungsverbesserungen sind die Stimmen aus dem Bundesarbeitsministerium wesentlich vorsichtiger als das, was in bezug auf Beschränkung des Umfanges der sozialen Leistungen gesagt wird. Sie haben in bezug auf die Leistungsverbesserung sich sehr unverbindlich ausgedrückt; aber bezüglich der Kostenbeteiligung haben Sie schon sehr präzise Vorstellungen. Sie sprechen von einer Umschichtung des Sozialaufwands, und Sie meinen damit eine Verlagerung von den Sozialleistungen auf die eigenen Mittel und damit den Lebensstandard des einzelnen. Sie werden den Lebensstandard dadurch verschlechtern, um auch damit die erhöhten Rüstungskosten zu finanzieren. An diesem Tatbestand kommen Sie nicht vorbei. Das hat zwangsläufig verhängnisvolle Auswirkungen auf den sozialen Status der Bundesrepublik. (Sehr wahr! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, wohin kommen Sie denn mit den ansteigenden Rüstungskosten? Sie kommen dazu, die Sozialausgaben weniger von der sozialen Notwendigkeit her bestimmen zu lassen als vielmehr von dem Restbetrag, der nach Durchführung und Finanzierung Ihrer Rüstungspläne übrigbleibt. Deshalb hat Herr Dr. Hellwig von Opfern gesprochen, der Herr Finanzminister in seinen Erklärungen von materiellen Anstrengungen, die erbracht werden müssen. Es wurde aber nicht gesagt, wer diese Opfer und diese Anstrengungen erbringen soll, die wirtschaftlich Starken oder — wie hier im sozialen Bereich — die wirtschaftlich Schwachen. Zur Belastung und Verschlechterung des Lebensstandards der wirtschaftlich Schwachen haben Sie schon Konzeptionen entwickelt. Entwickeln Sie uns Ihre Vorschläge zur Rüstungsfinanzierung durch Inanspruchnahme der wirtschaftlich Starken! (Beifall bei der SPD.) In diesem Jahre werden in bezug auf die Sozialausgaben die Weichen gestellt, weil die Sozialleistungen niedriger sind als die Rüstungsausgaben. Sie müssen sich dann mit der Frage auseinandersetzen, was Sie auf sozialem Gebiet in der Ära der Aufrüstung noch leisten können. Wie ist die Lage? Ein Staat, der die Sozialausgaben niedriger ansetzt als die Rüstungsausgaben, ein Staat, der die Sozialleistungsempfänger, die Schwächsten in unserem Volke, nicht anteilmäßig an der Entwicklung des Sozialprodukts teilnehmen läßt, ein Staat, bei dem nicht die Sozialausgaben, sondern die Rüstungsausgaben den Angelpunkt des Bundeshaushalts bilden! Ich frage Sie: kann man einen solchen Staat noch als einen Sozialstaat bezeichnen, oder ist dafür nicht die Bezeichnung Militärstaat angebrachter? (Oh!-Rufe bei der CDU/CSU. — Abg. Horn: Das ist der Gipfel der Polemik, das ist sogar demagogisch! Jetzt hören Sie aber auf, mein Lieber!) Überlegen Sie diese Entwicklung sehr sorgfältig. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich habe an Sie eine Frage gestellt. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) — Sie sollten diese Frage beantworten. (Abg. Horn: Das war eine demagogische Frage!) Herr Dr. Vogel und Herr Dr. Hellwig, Sie haben davon gesprochen, daß steigende Rüstungsausgaben erforderlich sind — das ist Ihre Vorstellung —, um auch die soziale Sicherheit zu schützen. Aber, meine Damen und Herren, indem Sie durch eine forcierte Rüstungspolitik zur Einschränkung des sozialen Leistungsbereichs gezwungen sind, beeinträchtigen Sie die soziale Sicherheit, die ein unerläßliches Fundament für Freiheit und Demokratie bildet. (Sehr wahr! bei der SPD.) Die militärische Sicherheit, die Sie, meine Damen und Herren, zu schaffen meinen, steht auf schwan- 1368 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1958 Dr. Schellenberg kendem Boden, wenn sie durch eine Beeinträchtigung der sozialen Sicherheit erkauft werden muß. (Beifall bei der SPD.) Ihre Politik der zunehmenden Rüstungsausgaben gefährdet damit den sozialen Gehalt unserer Demokratie. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: nützt nicht eine solche Politik denen, die darauf warten, daß unser soziales Gefüge ins Schwanken gerät? (Erneuter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 31. 5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Frau Berger-Heise 3. 5. Birkelbach 25. 4. Dr. Birrenbach 25. 4. Frau Bleyler 26. 4. Dr. Böhm 26. 4. Brese 24. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Dr. Dehler 25. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30. 4. Dr. Dittrich 26. 4. Döring (Düsseldorf) 24. 4. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Engelbrecht-Greve 26. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26. 4. Geiger (München) 26. 4. Frau Geisendörfer 23. 5. Dr. Gülich 26. 4. Hahn 25. 4. Hamacher 25. 5. Dr. von Haniel-Niethammer 26. 4. Dr. Harm 24. 4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Frau Herklotz 1. 5. Höcherl 10. 5. Dr. Hoven 25. 4. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Duren) 26. 4. Jacobs 25. 4. Frau Kipp-Kaule 26. 4. Kunze 15. 5. Dr. Lindenberg 25. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Mattick 26. 4. Mellies 23. 5. Memmel 25. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Mischnick 24. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Frau Renger 10. 6. Richarts 25. 4. Ruf 25. 4. Scharnberg 26. 4. Scharnowski 26. 4. Scheppmann 2. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) 26. 4. Schneider (Hamburg) 24. 4. Storch 25. 4. Sträter 31. 5. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 24. 4. Weimer 31. 5. Dr. Zimmer 26. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Marta Schanzenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debatte miterlebt und soeben den Beifall gehört hat, den Sie dem Arbeitsminister gespendet haben, könnte man glauben, daß die sozialen Fragen bei uns in Ordnung seien. Wenn man aber als Fürsorgerin neben der Arbeit im Bundestag auch noch soziale Arbeit da unten in unserem Lande leistet, dann sehen die Dinge ein bißchen anders aus.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ein Teilgebiet dieser Frage möchte ich Ihnen hier vortragen.
    Mein Fraktionskollege Schoettle, der eine große Erfahrung in Etatsfragen hat, sagte gestern, daß die Sozialausgaben vernachlässigt worden sind. Sie behaupten das Gegenteil. Aber es läßt sich an Hand von einigen Beispielen nachweisen, was richtig ist, und man kann — das gestehe ich Ihnen ohne weiteres zu — seine Auffassung darüber haben, ob das, was im Bundeshaushalt an Sozialausgaben vorgesehen ist, ausreicht oder nicht. Das muß man vor sich selbst ausmachen und vor den Bürgern, denen man sich verantwortlich fühlt. Aber wir können nicht nur das tun und lassen, was uns als einzelnen beliebt, sondern unsere Politik hat sich nach dem Grundgesetz zu richten,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    und das Grundgesetz schreibt vor, daß unser Staat ein sozialer Rechtsstaat sein soll.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich bitte zu hören: ein sozialer Rechtsstaat! Aber das Grundgesetz sagt auch, daß die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft steht.

    (Händeklatschen bei der CDU/CSU.)

    Die Familie ist aber nicht dadurch geschützt, daß man ein Familienministerium bildet, sondern es sind andere Maßnahmen dazu notwendig. Es sind Hilfen, vor allen Dingen wirtschaftliche Hilfen erforderlich,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Verteidigung ist auch notwendig!)

    damit die Familien den im Grundgesetz garantierten Schutz haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Bei der Debatte, die wir heute um die Kosten der Aufrüstung und ihre Auswirkungen auf den Sozialetat führen, muß man sich fragen, was bisher für die Familien getan worden ist und was künftig bei der geplanten überhöhten und atomaren Aufrüstung der Bundeswehr an sozialen Hilfen für Familien im Rahmen des Etats noch möglich sein wird. Die Mehrheit dieses Hauses und die Regierung haben Gesetze verabschiedet, die die Familien hart treffen und in das innere Gefüge der Familien eingreifen. Sie verlangen durch das Wehrgesetz, daß jeder junge Deutsche in der Bundesrepublik, solange er wehrtauglich ist, der Wehrdienstpflicht nachkommt, und Sie verlangen sogar die Hingabe seines Lebens, wenn es notwendig sein sollte.

    (Abg. Dr. Seffrin: Stellen Sie sich mal vor!)

    — Herr Seffrin, für mich ist das eine sehr ernste Sache!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Für uns ist das ein Spaß!?)

    — Wissen Sie, meine Herren von der CDU, wenn man den Mann in Rußland verloren hat und wenn man einen wehrpflichtigen Sohn hat, dann sind einem die Dinge sehr, sehr ernst.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Aber uns doch nicht ein Spaß! — Gegenrufe von der SPD.)




    Frau Schanzenbach
    — Ich habe nicht gesagt, daß Ihnen die Dinge nicht ernst sind. Aber der Zuruf von Herrn Seffrin war unanständig; so habe ich ihn empfunden. Darum haben Sie diese Antwort bekommen.
    Wo in einem Staat Rechte sind, sind auch Pflichten, und diese Forderungen des Staates, denen nachzukommen das Grundgesetz uns auferlegt, müssen nicht nur wirtschaftlich, sondern in jeder Beziehung von uns erfüllt werden. Damit stellt sich, wenn wir verlangen, daß die Familien ihre Söhne hergeben, zunächst die Frage, ob wir auch genügend getan haben, daß die Familien ihre Kinder in jeder Beziehung gesund heranwachsen lassen können, und ob wir ihnen die entsprechenden Hilfen geleistet haben, die angesichts der veränderten Familienstruktur heute notwendig sind.
    Ich bin der Auffassung, daß wir zuwenig getan haben. Die Art, wie die Regierung zu den Hilfen, die den Familien gegeben werden sollten, Stellung nimmt, verträgt sich nicht ganz mit dem, was in der Propaganda gesagt wird. In der Propaganda stellen Sie sich als sehr familienfreundlich hin und tun so, als ob für die Familien wirklich das Bestmögliche getan wird.
    Sie haben vorhin dem Herrn Bundesarbeitsminister Beifall gespendet. Ich möchte Ihnen zeigen, daß es in der Praxis doch ganz anders aussieht, wenn man einmal die Leistungen unter die Lupe nimmt, die Sie im Bundestag und in der Regierung für die Familien festlegen. Ich bringe nur ein ganz kleines Beispiel, das Sie alle kennen sollten. Am 15. März dieses Jahres antwortete die Regierung auf eine Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten, wie es um die Förderung des Einsatzes von Familienpflegerinnen und Dorfpflegerinnen bestellt sei, daß die Notwendigkeit dieser Maßnahmen für die Familien voll anerkannt werde, daß aber — so schreibt der Herr Minister Wuermeling in der Antwort auf diese Anfrage — dem Herrn Innenminister für diese wichtige Aufgabe für die Familie keine Mittel zur Verfügung stünden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Herr Minister Wuermeling hat bei der Beantwortung der Anfrage zwar sehr schöne Worte gebraucht; aber was nützen die schönen Worte, wenn in der Sache nichts getan wird? Hier haben Sie ein deutliches Beispiel dafür, wie Theorie und Praxis in diesem Hause aussehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie in diesem Falle, wird die Familienpolitik im Bund überwiegend betrieben. Sie ist zu einem großen Teil gekennzeichnet durch Unterlassungen. Dafür könnten genügend Beispiele angeführt werden. Sie brauchen nur die Schriften zu lesen, die der Herr Familienminister herausgibt, und zu vergleichen, was er fordert und was er bisher erreicht hat, obwohl Sie die Mehrheit in diesem Hause haben. Sie könnten ihm die Forderungen bewilligen, wenn Sie sie für notwendig ansähen. Ihre Familienpolitik ist bisher durch Unterlassungen gekennzeichnet, hat aus Versprechungen und aus Halbheiten bestanden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Familienminister gab die Parole heraus: Stärkung der Familie und dadurch Stärkung des Willens zum Kind. Er will die kinderreiche Familie. Aber in demselben Augenblick stellt er fest, daß die kinderreichen Familien heute mit Einkünften leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Der Regierung und den Regierungsparteien ist die wirtschaftliche Notlage unserer Familien bekannt. Sie hätten es doch in der Hand, eine vernünftigere, eine sozialere Familienpolitik zu betreiben. Doch wir, die Opposition, und die Menschen draußen haben davon wirklich wenig zu spüren bekommen. Ich erinnere nur an die Streichung von Subventionen für Lebensmittel, an den unzureichenden Wohnungsbau, ganz abgesehen von den sozialpolitischen Unzulänglichkeiten, von denen viele, viele Familien heute noch betroffen sind.
    Es ist heute zur Regel geworden, daß Frauen, die Kinder haben, einer Erwerbsarbeit nachgehen, nicht — wie es manchmal heißt —, weil sie sich etwas Außergewöhnliches, einen Pelzmantel oder sonst etwas, leisten wollen, sondern weil der Mann, der Haushaltungsvorstand, nicht so viel verdient, daß der Unterhalt der Familie nach unseren heutigen Auffassungen gesichert ist.

    (Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Zu einer gesunden Familienpolitik gehören unter allen Umständen Maßnahmen, die es ermöglichen, daß Mütter mit vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern nicht gezwungen sind, aus wirtschaftlichen Gründen einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Durch die wirtschaftliche Not und die durch sie bedingte Erwerbstätigkeit der Frauen nehmen nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie Schaden; denn durch Überbeanspruchung besonders der jungen Frauen werden deren körperliche und seelische Kräfte viel zu früh verbraucht.
    Wo zeigt sich denn hier, so muß ich fragen, die sogenannte familienfreundliche Politik der Regierung? Das Familienministerium vertritt interessanterweise die Auffassung, daß Kindergeld vom zweiten Kind an gegeben werden soll. Die Regierung und die CDU-Fraktion stellen aber die Mittel hierfür nicht zur Verfügung; wohl aber nehmen Sie Milliardenbeträge aus Steuermitteln zur atomaren Aufrüstung.
    Weite Kreise unserer Bevölkerung sind davon überzeugt, daß eine atomare Aufrüstung keine Sicherheit, sondern erhöhte Gefahren mit sich bringt. Ich bin der Auffassung, meine Damen und Herren, daß im Zeitalter der Atombombe ein Krieg kein Mittel der Politik mehr sein sollte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist bitter, aber es muß hier immer wieder ausgesprochen werden, damit Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU, Ihrer Verantwortung voll bewußt sind,

    (Zuruf von der Mitte: Dazu brauchen wir Sie!)




    Frau Schanzenbach
    daß nach einem Krieg mit Atombomben wahrscheinlich kaum noch Hinterbliebene zu betreuen sein werden.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Das ist keine Angstmacherei, sondern es ist wirklich eine ungeheure Katastrophe, in die wir hineinschlittern könnten, wenn nicht alle Vorsichtsmaßnahmen im Politischen getroffen werden.
    Fragen wir uns aber nun, ob die Regierung mindestens den Opfern des letzten Krieges gegenüber ihre Pflicht so erfüllt hat, daß man von einer familienfreundlichen Politik auf diesem Gebiet sprechen kann! Ich kann aus meiner vielfältigen praktischen Erfahrung auch hier nur wieder sagen, daß fast alle Kriegshinterbliebenen, die Kinder haben und nicht unter dem Existenzminimum leben wollten, gezwungen waren, einem Erwerb nachzugehen. Diese Waisen hatten also nicht nur keinen Vater, sondern wegen der unzureichenden Versorgung des Bundes wurde ihnen auch die Fürsorge durch die Mutter weitgehend entzogen.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin vorgetragen, daß bei der Versorgung der Kriegsopfer im Bundesetat 60 Millionen DM eingespart werden. Er nimmt es als Selbstverständlichkeit hin, daß man diese Einsparungen macht. Wir fragen uns: Wofür werden diese eingesparten Beträge verwendet? Wir kommen zu dem Ergebnis, daß diese 60 Millionen DM dann aller Wahrscheinlichkeit nach dem Verteidigungshaushalt zugeschlagen werden. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß das Bundesversorgungsgesetz noch keineswegs so gestaltet ist, daß die Opfer des Krieges damit zufrieden sein können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben gerade in der letzten Sitzung des Kriegsopferausschusses davon gesprochen, daß z. B. bei den Eltern immer noch große Härtefälle bestehen, daß der Möglichkeit der Kapitalabfindung nicht Genüge getan ist, daß die Schwerbeschädigten zu einem großen Teil nicht ausreichend versorgt sind, daß viele, viele Härten nicht gemildert werden können, weil die Sonderbeihilfen nicht ausreichen. Wir sind der Auffassung, daß die Kriegsopfer Anspruch darauf hätten, daß diese 60 Millionen DM dem Versorgungshaushalt zufließen und nicht anderweitig, womöglich für die Aufrüstung, verwendet werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    In den Veröffentlichungen des Familienministeriums werden Angaben gemacht, die den Bürger und die Bürgerin schlechthin beeindrucken sollen. Aber bei näherer Betrachtung hat man den Eindruck, daß mit diesen Publikationen dem Volk nur Sand in die Augen gestreut wird. Ich greife ein Beispiel heraus. Im Jahre 1956 wurden im Etat für Familienerholung zur Errichtung von Familienferienstätten 325 000 DM eingesetzt. Meine Damen und Herren, 325 000 für die Errichtung von Familienferienstätten für die ganze Bundesrepublik ist doch ein Tropfen auf einen heißen Stein. So wenig wie hier geschieht auch auf anderen Gebieten für die Familie, und das in der Bundesrepublik in einer
    Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders und unter einer Regierung, die sich als familienfreundlich bezeichnet. Aber wenn man sie nach ihren Taten mißt, ist ihr die überhöhte Aufrüstung wichtiger als die Hilfe für die Familien, die sie nach dem Grundgesetz zu leisten hat.
    Unsere Familienstruktur macht es notwendig, daß neben der Schule familienergänzende Einrichtungen geschaffen werden. Auch hier — das ist in der gestrigen und heutigen Debatte schon gesagt worden — macht es sich die Bundesregierung außerordentlich leicht, indem sie in diesen Fragen einfach auf die Zuständigkeit der Länder und der Gemeinden hinweist. Aber infolge der Finanzpolitik, die im Bund getrieben wird, haben Länder und Gemeinden keine Möglichkeiten, diese Aufgaben zu finanzieren. Die Gemeinden sind nicht in der Lage, Maßahmen nach § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes zu finanzieren, d. h. Kindergärten, Horte, Krippen, Jugendheime zu schaffen, einfach weil die Länder so viel an den Bund abführen müssen, daß die Gemeinden dann keine Mittel mehr zugewiesen bekommen, um diese vom Bund ihnen aufgetragenen Aufgaben durchzuführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sachverständigen in Ihren Reihen kennen dieses Übel genauso, wie wir es kennen.
    Wenn also die sozialen Leistungen für die Familien bisher nach unserer Auffassung unzureichend waren, wie wird es dann erst in der Zukunft werden, wenn der Etat durch die Rüstungsaufgaben noch viel mehr angespannt sein wird? Die innere Sicherheit in unserer Demokratie gibt es aber nur, wenn unsere Familien in Ordnung und sozial befriedigt sind. Ich bin der Auffassung, daß diese Aufrüstungspolitik, wie sie von Ihnen betrieben wird, uns von dieser inneren Sicherheit wegführt.

    (Leider wahr! bei der SPD.)

    Das Übermaß an Aufrüstung in der Bundesrepublik gefährdet aber nicht nur die soziale Sicherheit, sondern, was genau so schlimm ist, ja, ich möchte als Frau sagen: was ich als noch schlimmer empfinde, diese Aufrüstungspolitik und ihre Auswirkungen zerstören die innere Friedens- und Verständigungsbereitschaft unter den Menschen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen, das mich sehr beeindruckt. Wir haben in diesem Hause im 1. Bundestag einen Antrag eingebracht, der von Mitgliedern aller Fraktionen, vor allen Dingen von allen Frauen dieses Hauses unterschrieben war, einen Antrag auf Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Kriegsspielzeug. Gerade die Frauen der CDU haben diesen Antrag damals mit aller Leidenschaft unterstützt. Aber dieser Antrag ist natürlich nicht erledigt worden und spielt heute keine Rolle mehr. Ist es nicht furchtbar, daß das Denken vieler, die auf diesen Plätzen sitzen, heute ein anderes geworden ist? Damals — davon waren wir alle überzeugt, die wir zu diesem Antrag standen — hielten wir es für notwendig, eine Politik zu betrei-



    Frau Schanzenbach
    ben, die zur Toleranz der Menschen untereinander und zur Ablehnung eines jeden Krieges hinführen sollte. Wenn ich mich an die Denkweise der Mitglieder des damaligen Ausschusses für Jugendfürsorge erinnere, dessen Vorsitzender der heutige Verteidigungsminister war, wenn ich mich an die Gespräche der damaligen Zeit erinnere und heute erlebe, wie Herr Strauß die atomare Aufrüstung der Bundeswehr betreibt und die Frauen in der CDU/CSU-Fraktion ihm leidenschaftlich Beifall klatschen, wenn er dazu im Parlament spricht, dann werde ich sehr nachdenklich über die Veränderung im Verhalten dieser verantwortlichen Politiker, und ich lege mir die Frage vor: Wohin wird dieser Weg, dieses Denken und diese Haltung uns noch führen? Ich denke dann mit großer Sorge an die Zukunft unserer Familien und unserer Kinder.
    Die Frauen in der Bundesrepublik hatten bei der Wahl am 15. September des vergangenen Jahres nicht genügend Kenntnis von der Absicht der Regierung und der CDU. Sie wußten nicht — und Sie haben ihnen das nicht gesagt —, daß Sie die atomare Aufrüstung betreiben wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben die Frauen im unklaren gelassen, Sie haben ihnen Sand in die Augen gestreut.

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Sonst hätten Sie nicht diese Mehrheit der Frauenstimmen bekommen. Diese Mehrheit der Frauenstimmen ist Ihnen nur zugefallen, weil die Frauen nicht gewußt haben, welche Politik Sie in der Aufrüstung betreiben wollen und welche Gefahr auf sie und ihre Familien dadurch zukommt.

    (Beifall bei der SPD. Zurufe von der Mitte.)

    Ich bin der Auffassung, daß diese Politik der überhöhten Aufrüstung eine Familienpolitik verhindert, wie das Grundgesetz sie von uns verlangt. Wenn Sie, meine Damen und Herren, dieser Auffassung nicht sind, dann bitte ich, daß der Herr Familienminister gleich nachher hierherkommt und uns unterbreitet, wieviel Geld er für Familienhilfen ausgeben will in der Zeit, für die der Verteidigungsminister Strauß 52 Milliarden zum Zweck der Aufrüstung geplant hat.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz-Josef Wuermeling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war an sich wohl nicht zu erwarten, daß im Rahmen dieser Debatte eine Art Aussprache über die Familienpolitik der Bundesregierung stattfinden werde. Aber nachdem die verehrte Frau Kollegin Schanzenbach es soeben für zweckmäßig gehalten hat, dieses Thema anzusprechen, möchte der Familienminister nicht
    kneifen, sondern sich wenigstens in einer kurzen Antwort, wie aufgefordert, stellen.
    Frau Kollegin Schanzenbach hat zunächst das Wehrgesetz als einen Eingriff in die Familie oder womöglich gar in die Rechte der Familie bezeichnet. Ich weise in diesem Zusammenhang einfach und schlicht darauf hin, daß in sämtlichen freien europäischen Ländern Wehrgesetze mit Wehrpflicht be- stehen und bestehen müssen, weil die Sicherung und Erhaltung der Freiheit der Familie die gemeinschaftliche Verteidigung der Familie durch eine Wehr erfordert.
    Frau Kollegin Schanzenbach meinte sodann, wir trieben keine familienfreundliche Politik. Meine Damen und Herren, daß wir mit der Familienpolitik in der Bundesrepublik noch nicht am Ziel sind, das wissen die Bundesregierung und der Familienminister selbst am besten. Es ist aber absolut unzutreffend, wenn so getan wird, als sei in den letzten Jahren familienpolitisch nichts geschehen. Ich darf hier bemerken, daß mir gerade vor wenigen Tagen ein maßgebender Familienpolitiker ausgerechnet aus Frankreich gesagt hat, man sei geradezu überrascht, wie weit wir in den wenigen Jahren, die wir nun aktive Familienpolitik treiben, schon gekommen seien. Ich möchte mich hi r darauf beschränken, Ihnen kurz zehn Stichwo: te zu nennen, um das, was ich zu sagen habe, zu beleuchten.
    Erstens. Wir hatten, als wir mit dieser Familienpolitik begannen, noch kein Kindergeld. Im 2. Bundestag wurde dann ein Kindergeld beantragt in Höhe von 20 DM ab drittem Kind. Das wurde dann gleich auf 25 DM ab drittem Kind festgesetzt und im vergangenen Herbst auf 30 DM erhöht. Wir sind also auf diesem Gebiet zwar noch nicht am Ziel, aber immerhin um 50 % weiter, als wir es uns vor drei Jahren vorgestellt haben.

    (Zuruf von der SPD: Ein Leidensweg!)

    Zweitens. Die Steuerregelung. Das, was jetzt durch den neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung steuerpolitisch vorgeschlagen wird, ist, soweit ich die Dinge übersehen kann, international die Spitze der Begünstigung der Familie mit Kindern.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir nach dem neuen Splitting-Tarif eine Familie mit zwei Kindern bei einem Einkommen bis zu 600 Mark monatlich völlig steuerfrei haben werden, eine Familie mit drei Kindern bei einem Einkommen bis zu 750 Mark und eine Familie mit vier Kindern bei einem Einkommen bis zu 900 Mark, dann stehen wir damit — und das stelle ich mit Freude fest — an der Spitze unserer Nachbarländer.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir jetzt den Splitting-Tarif einführen, dann tun wir damit im übrigen in besonderer Weise auch etwas zugunsten der nicht berufstätigen Hausfrauen und Mütter, zugunsten jener Mütter, die ihre schönste und wichtigste Aufgabe darin sehen, das Heim, die Familie, die Kinder und den Haushalt zu betreuen, indem das Gesetz davon ausgeht,



    Bundsfamilienminister Dr. Wuermeling
    daß die Mutter durch diese Tätigkeit, durch ihre Mitarbeit, praktisch die Hälfte des Einkommens verdient, das der Mann draußen erarbeitet. Das ist eine sehr schöne Form der Herstellung der Gleichberechtigung der nicht berufstätigen Frau und Mutter, die in der Vergangenheit leider viel zu kurz gekommen war.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drittens ist inzwischen das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz erlassen worden. Alles, was wir uns im Sinne der Förderung des Eigenheims der Familie zu erreichen bemüht haben, ist Ihren schärfsten Widerständen begegnet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gott sei Dank haben wir diese familienpolitischen Forderungen gegen Sie durchdrücken können.
    Viertens haben wir es erreichen können, die Bundesbahntarife zugunsten der Familien zu verbessern, indem Familien mit drei und mehr Kindern zu verbilligten Preisen fahren können.

    (Abg. Wehner: Und die Lehrlinge? Wochenkarte 100 % teurer!)

    Sie wissen auch ganz genau, daß der Versuch der Bundesbahn, besondere Belastungen der Familien herbeizuführen, abgeschlagen werden konnte, indem das Bundeskabinett in diesem Punkte keine Genehmigung erteilt hat.
    Fünftens geben wir jetzt jährlich 2 Millionen DM für Müttererholung aus, was vorher nicht der Fall war.
    Sechstens geben wir jährlich 1 Million DM als Starthilfe für Familien-Ferienerholung aus.
    Siebtens haben wir ein eheliches Güterrecht geschaffen, das durch die Zugewinstgemeinschaft jetzt ähnlich wie bei der Steuer die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe auch in wirtschaftlicher Hinsicht herstellt.
    Achtens. Wenn Sie Familienpolitik familienfreundlich treiben wollen, — ich würde es sehr dankbar begrüßen, wenn von der SPD diejenigen Bestrebungen unterstützt würden, die beim Ehescheidungsrecht dahin gehen, daß die böswillig verlassene Frau — und oft Mutter — nicht gegen ihren Willen von dem ehebrecherischen Gatten geschieden werden kann. Diesen Schutz der Frau und Mutter erbitte ich namens Tausender von Frauen und Müttern von der Sozialdemokratischen Partei bei der künftigen Regelung des Ehescheidungsrechts.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Neuntens, meine Damen und Herren, der Schutz der Jugend. Wir haben gegen die geschlossene sozialdemokratische Fraktion das Gesetz gegen Schmutz und Schund mit großer Mühe im 1. Bundestag durchziehen müssen. Hier ist ein Gebiet, auf dem Sie Ihren Schutz der Jugend und der Familie erst noch unter Beweis stellen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zehntens. Im Bundesjugendplan stellen wir auch in diesem Jahre wieder — und ich freue mich, daß das der Fall ist — über 60 Millionen DM zur Verfügung, um von Bundes wegen hier das zu tun, was notwendig ist.
    Ich beschränke mich auf diese ganz wenigen Bemerkungen. Aber zur Familienpolitik noch einen Hinweis auf die Denkweise, die wir in Ihren Reihen leider allzu oft erleben, gegenüber der Notwendigkeit, den kinderreichen Familien zu helfen. Hier liegt vor mir ein Ausschnitt aus dem Zentralorgan der Gewerkschaft Leder, dem „Leder-Echo", vom 17. September 1957. Da hat ein Mann, der offensichtlich nicht aus unseren Reihen stammt, sondern aus Ihren, unter anderem folgendes geschrieben:
    Die Kinderzahl sinkt, und das Ministerium findet diese Tatsache alarmierend. Aber ist sie wirklich so erschreckend? Der gesunde Menschenverstand sagt: Nein, und der Instinkt des Volkes trägt den jetzigen Verhältnissen in der Bundesrepublik Rechnung. Westdeutschland ist übervölkert. Die Frauen müssen mitarbeiten.
    Und nun der Satz:
    Scheiden sie aus dem Produktionsprozeß aus, um daheim eine große Kinderzahl zu behüten, sinken die Produktionsziffern.

    (Abg. Wehner: Kommt das vom Wirtschaftsministerium?)

    — Nein, nein, Herr Kollege Wehner, das kommt aus dem sozialistisch gesteuerten „Leder-Echo".

    (Abg. Wehner: Die Propaganda gleicht sich so!)

    Und abschließend noch ein Satz:
    Überflüssig, zu sagen, daß wir in Deutschland schon einmal ein Regime hatten, das eine wirksame Propaganda, verbunden mit einem ausgeklügelten Prämiensystem für Kinderreichtum, betrieb. Als es dann soweit war, wurde erklärt, Deutschland sei zu klein geworden, um seine überaus groß gewordene Bevölkerung beherbergen und ernähren zu können. Dies führte zu dem Traum von einem Großdeutschland, das zerstückelt wurde und in Blut und Tränen unterging.
    Meine Damen und Herren, ich möchte mich hier mit allem Nachdruck dagegen verwahren, daß die Familienpolitik der Bundesregierung irgendwie in einen Vergleich mit der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik gebracht wird. Wir treiben nicht die Familienpolitik um der Geburtenziffer willen, sondern um der Gerechtigkeit für die Familie willen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und dann noch eine letzte Antwort zum Politischen. Frau Kollegin Schanzenbach hat es für richtig gehalten, hier von neuem das Märchen aufzutischen, es sei im Bundestagswahlkampf von den Atomwaffen nicht die Rede gewesen. Es wird jetzt immer wieder, man liest es auch hier und da einmal, behauptet, es sei eine Verfälschung des Wahlergebnisses, wenn die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nun ihre Wiederbewaffnungsund Verteidigungspolitik in der jetzigen Weise



    Bundesfamilienminister Dr. Wuermeling
    weiter betrieben. Ich möchte dazu folgendes aus meinem eigenen engsten Bereich feststellen. Ich habe in meinem Wahlkreis kurz vor der Bundestagswahl in sämtliche Haushaltungen einen Wählerbrief geschickt, in dem das eigentliche Hauptthema des Wahlkampfes ganz klar und eindeutig in dem Sinne herausgestellt wurde, wie wir den Wahlkampf geführt haben. Gestatten Sie mir — Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis —, das ganz kurz zu zitieren.

    (Abg. Wehner: Wir wählen Sie doch nicht!)

    — Nein, Sie wählen mich doch nicht; ich hoffe auch, daß das nie geschieht, sonst müßte ich nämlich auf dem falschen Wege sein, Herr Kollege Wehner.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Zur Erreichung des Zieles,

    — heißt es in meinem Wählerbrief —
    die Bundesrepublik und die Sowjetzone in kommunistischer Sklaverei „wiederzuvereinigen", hat Moskau für die Bundesrepublik u. a. folgende Parolen ausgegeben:
    1. „Wiedervereinigung statt Wiederbewaffnung" (damit Moskau leichtes Spiel hat)

    2. „Keine Wehrpflicht"
    — so wie wir es eben anscheinend auch von Frau Kollegin Schanzenberg wieder gehört haben —
    „keine Wehrpflicht"

    (die allen — auch den sozialistischen—Nachbarländern zur Sicherung der Freiheit selbstverständlich ist)

    3. „Ausscheiden der Bundesrepublik aus der NATO"

    (die uns bisher vor dem Kommunismus bewahrt hat) und

    4.
    — und das war damit das Thema —„Entfernung aller Atomwaffen aus unseren Gebieten"

    (damit die Sowjetunion die militärische Überlegenheit in Westeuropa bekommt)

    Und dann fährt mein Wählerbrief fort:
    Unbegreiflich ist — besonders auch den sozialistischen Staatsmännern der freien westlichen Welt —, daß unsere SPD genau gleichlautende Parolen wie Moskau vertritt und sie verwirklichen will, wenn sie an die Macht käme. Sie haben sie alle oft von der SPD gehört.
    Ich habe hinzugefügt:
    Natürlich will die SPD keinen Kommunismus und will gewiß dem Kreml nicht in die Hände arbeiten.
    Mein Wählerbrief schließt dann mit der Feststellung:
    Dies ist die Entscheidung und Ihre Verantwortung am 15. September, die alle anderen politischen Fragen und Wünsche überschattet.
    Mir liegt daran, das hier einmal ganz klar festzustellen, daß wir den Wahlkampf a) um die soziale Sicherheit, b) um den Frieden und letztlich aber auch um die Sicherung der Freiheit gekämpft haben. Meine Damen und Herren, diese Freiheit zu erhalten, ist die Aufgabe unserer Verteidigungspolitik; und die deutschen Familien, für die ich hier sprechen darf,

    (Zurufe von der SPD)

    sind gewillt und bereit, die Opfer zu bringen, die die Freiheit und die Sicherung des Friedens erfordern.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)