Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die Freude, Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer zum 65. Geburtstag am 6. April zu gratulieren.
Ebenso gelten meine Glückwünsche Herrn Abgeordneten Eberhard zum 65. Geburtstag am 9. April.
Nach einer interfraktionellen Verständigung wird Punkt 5 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Erfindungen von Arbeitnehmern und Beamten, Drucksachen 1648, 3327, zu 3327, abgesetzt.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Abgeordnete Leibing hat seine Unterschrift unter dem von den Abgeordneten Dr. Kopf, Hilbert, Dr. Brühler, Dr. Böhm , Lulay und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Gebietsteiles Baden des Bundeslandes Baden-Württemberg nach Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes — Drucksache 3316 — zurückgezogen und dazu folgende Erklärung abgegeben:
„1. Es ist zutreffend, daß ich meine Unterschrift unter den Initiativgesetzentwurf über die Neugliederung des Gebietsteiles Baden des Bundeslandes Baden-Württemberg nach Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes, eingebracht im Bundestag am 21. März 1957, gegeben habe.
2. Noch vor Drucklegung des Antrages habe ich nach besseren politischen Erkenntnissen in persönlichen Gesprächen mit den Antragstellern die Streichung meiner Unterschrift beantragt. Die Zusage wurde mir auch gegeben, was von einer Reihe von Kollegen bestätigt werden könnte. Aus mir unerklärlichen Gründen ist die Erfüllung der mir gegebenen Zusage leider unterblieben. Der Antrag gelangte somit gegen meinen Willen mit meiner Unterschrift in den Druck, was ich erst bei Drucksachenverteilung feststellen konnte.
3. Ich beantrage deshalb die Streichung meiner Unterschrift von dem erwähnten Antrag. Ich bitte den Herrn Präfidenten des Deutschen Bundestages, das hiernach Erforderliche zu veranlassen."
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 30. März 1957 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 173. Sitzung über die Evakuiertenrückführung berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3382 verteilt.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts (Drucksache 3357).
Das Wort als Berichterstatter hat in Vertretung des Herrn Staatsministers Siemsen Herr Senator Dr. Klein.
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hatte am 19. Oktober 1956 beschlossen, zu dem vom Bundestag am 11. Oktober 1956 verabschiedeten Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts den Vermittlungsausschuß anzurufen. Mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses begehrte der Bundesrat die Wiedereinfügung der Vorschrift über die sogenannte Verkehrssünderkartei, die in der vom Bundestag beschlossenen Fassung des Gesetzes nicht enthalten ist.
Wie Sie wissen, enthielt die Regierungsvorlage ursprünglich neben anderen Vorschriften eine Reihe von Ergänzungen des Straßenverkehrsgesetzes, u. a. auch eine Bestimmung über die Einrichtung der Verkehrssünderkartei. Nach der Regierungsvorlage sollte diese Kartei sowohl Zwecken der Strafverfolgung dienen als auch für Verwaltungsmaßnahmen und für die Ausarbeitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften verwertet werden können. Der Bundesrat erhob im ersten Durchgang gegen diese Vorschrift keine ernsthaften Einwendungen; er machte nur unbedeutende Änderungsvorschläge.
Auch der Verkehrsausschuß des Bundestags war mit der Einrichtung der Verkehrssünderkartei, wie sie in der Regierungsvorlage enthalten war, einverstanden. Dagegen erhoben sich im — federführenden — Rechtsausschuß erhebliche Bedenken gegen die Einführung der Kartei; zum Teil wurde sie überhaupt abgelehnt, zum Teil wollte man wenigstens die Verwertung für Strafverfolgungszwecke ausschalten. Der Rechtsausschuß beschloß schließlich, die Einführung der Kartei aus dem Entwurf im ganzen zu streichen. Zu Beginn der zweiten Lesung dieses Hohen Hauses, am 11. Oktober 1956, berichtete der Herr Vorsitzende des Rechtsausschusses, sehr eingehend über die Erwägungen, die im Rechtsausschuß für die Streichung der Verkehrssünderkartei maßgeblich waren. Der Bundestag beschloß, das Gesetz unter Streichung der Bestimmung über die Verkehrssünderkartei zu genehmigen. Allerdings wurde bekanntlich in der gleichen Sitzung ein Initiativgesetzent-
wurf — ich glaube, es war von dem Mitglied dieses Hauses Frau Dr. Schwarzhaupt vorgelegt worden — beim Bundestag eingebracht, damit die Frage der Einführung der Verkehrssünderkartei später in einem Sondergesetz entschieden werden könnte.
Wegen der Gründe, die den Bundesrat zur Anrufung des Vermittlungsausschusses veranlaßten, darf ich auf die Bundestagsdrucksache 2786 verweisen.
Der Bundesrat hat sich bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses von dem Gedanken leiten lassen, daß es dem Zweck des Vermittlungsausschusses entspreche, eine Materie, die mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf im Zusammenhang steht, jetzt zu regeln und sie nicht einem besonderen Gesetz zu überlassen. Der Vermittlungsausschuß hat sich mit der Angelegenheit in mehreren Sitzungen befaßt. Seine Beratungen wurden durch das Nebeneinander zweier Gesetzentwürfe, von denen der eine im Vermittlungsausschuß, der andere im Rechtsausschuß des Bundestages beraten wurde, erheblich verzögert. Der Rechtsausschuß des Bundestages beschloß jedoch am 6. Februar 1957, die weitere Behandlung des erwähnten Initiativgesetzentwurfs einstweilen auszusetzen, weil die Frage der Verkehrssünderkartei im Vermittlungsausschuß anhängig sei und es von dessen Entscheidung abhänge, ob und inwieweit an der weiteren Verfolgung des Initiativgesetzentwurfs noch ein Interesse bestehe.
Der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 3357 vorliegende Vorschlag des Vermittlungsausschusses kam nach sehr langen Erörterungen zustande, in welchen das Pro und Kontra der Verkehrssünderkartei und insbesondere auch die Frage der Verwendung für Strafverfolgungszwecke sehr eingehend diskutiert wurden. Ich will auf die vorgebrachten Argumente hier nicht eingehen. Darüber, daß die Verkehrssünderkartei überhaupt eingeführt werden soll, wurde sehr rasch Einverständnis erzielt. Inzwischen hat sich ja auch der Rechtsausschuß des Bundestages für die Einführung einer solchen Kartei ausgesprochen; allerdings soll nach der Konzeption die Verwertung für Strafverfolgungszwecke ausgeschlossen sein. Wenn in der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Fassung des Gesetzes die Verwendung für Strafverfolgungszwecke trotzdem enthalten ist, so waren dafür folgende Gesichtspunkte ausschlaggebend.
Bei der Mehrheit des Vermittlungsausschusses hat sich die Meinung durchgesetzt, daß angesichts der erschreckenden Zahl von Verkehrsunfällen etwas Entscheidendes getan werden müsse. Bei einem Vergleich mit anderen Staaten schneidet die Bundesrepublik. was die Häufigkeit der Verkehrsunfälle anbetrifft, sehr ungünstig ab. Letztlich ist dies eine Folge davon, daß es bei uns die Verkehrsteilnehmer großenteils an der notwendigen Rücksichtnahme und an der Achtung vor dem Leben und der Gesundheit der Mitmenschen fehlen lassen. Die erschreckend hohe Zahl von Verkehrstoten und von Menschen, die durch Verkehrsunfälle zu Krüppeln geworden sind. sprechen hier eine eindringliche Sprache. Der Vermittlungsausschuß war daher der Meinung. daß die Verkehrssünderkartei. wenn sie wirklich ihren Zweck erfüllen soll, auch und gerade für Strafverfolgungszwecke Verwendung finden soll. Nur so bekommt der Strafrichter die Möglichkeit rücksichtslose Verkehrssünder richtig zu beurteilen und erforderlichenfalls durch Entziehung des Führerscheins zu bestrafen.
Einen gewissen Kompromiß enthält der Vorschlag des Vermittlungsausschusses insofern, als in dem neuen Abs. 2 des § 6 a die Eintragung in die Kartei wegen Übertretungen erheblich eingeschränkt wird.
Die große Menge von Bagatellfällen, die mit einer gebührenpflichtigen Verwarnung hätten geahndet werden können, soll in der Kartei nicht aufgeführt werden. Bekanntlich hat gerade dieser Punkt bei den seitherigen Beratungen eine erhebliche Rolle gespielt.
In Abs. 3 ist die Tilgung der Eintragungen in der Kartei eingehend geregelt, wobei insbesondere die Tilgung bei Übertretungen im Vergleich zum Vorschlag des Bundesrates näher konkretisiert ist.
Durch die Fassung des Abs. 6 soll schließlich sichergestellt werden, daß die Gerichte und Behörden in der Lage sind, die Akten über die eingetragene Verurteilung beizuziehen. Dadurch solle das Bedenken ausgeräumt werden, daß einfach aus der Anzahl der Eintragungen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters gezogen werden.
Der Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses zu § 22 Abs. 1 Satz 1 bezweckt nur die Beseitigung eines redaktionellen Versehens.
Zur Einfügung des neuen Art. 4 a ist weiter nichts zu sagen. Es wird dort nur die Zuständigkeit für die Führung der Kartei geregelt.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich dem Hohen Hause empfehlen, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß über die Änderungen gemeinsam abgestimmt werden soll.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde vereinbart, nach der Berichterstattung diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen und den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht um eine gutachtliche Äußerung zu der Frage zu ersuchen, in welchem Ausmaß im Verfahren nach Art. 77 des Grundgesetzes Ergänzungsvorschläge zu vom Bundestag beschlossenen Gesetzen zulässig sind. Ich nehme an, daß Sie so verfahren wollen. — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, Herr Senator Dr. Klein hat mich soeben wissen lassen, daß er morgen hier nicht anwesend sein kann und es deswegen sehr begrüßen würde, wenn wir Punkt 19 der Tagesordnung jetzt behandelten.
— Es besteht allgemeines Einverständnis. Ich rufe also auf Punkt 19 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Sicherheitskinefilme (Sicherheitsfilmgesetz) (Drucksache 3360).
Ich erteile Herrn Senator Dr. Klein das Wort.
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vom Bundestag am 21. Februar 1957 verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes über Sicherheitskinefilme hatte der Bundesrat am
8. März 1957 beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Der Vermittlungsausschuß ist zusammengetreten und hat sich in seiner Beratung die Änderungswünsche des Bundesrates zu eigen gemacht.
Das Anrufungsbegehren des Bundesrates bezieht sich in der Hauptsache auf die Vorschrift des § 3 Abs. 1 des Gesetzes. In dieser Bestimmung wird die Frage geregelt, wer die Anerkennung als Sicherheitsfilm auszusprechen hat. Der Gesetzentwurf in der vom Bundestag verabschiedeten Fassung bestimmt, daß für die Anerkennung als Sicherheitsfilm der Bundesminister für Arbeit auf Grund einer Prüfung durch die Bundesanstalt für Materialprüfung zuständig sein soll.
Der Bundesrat ist der Meinung, daß sowohl verfassungsrechtliche wie verfassungspolitische Bedenken dagegen sprechen, die erwähnte Anerkennung dem Bundesarbeitsminister zu übertragen. Hier spielt das bekannte Problem des überregionalen Verwaltungsaktes eine Rolle. Nach Ansicht des Bundesrates liegen die Voraussetzungen zum Erlaß überregionaler Verwaltungsakte hier nicht vor. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, daß die Anerkennung als Sicherheitsfilm von der nach Landesrecht zuständigen Behörde ausgesprochen werden soll, und zwar ebenfalls auf Grund einer Prüfung durch die Bundesanstalt für Materialprüfung.
Der Vermittlungsausschuß hat sich der Auffassung des Bundesrates angeschlossen und schlägt eine entsprechende Änderung des § 3 Abs. 1 vor.
Die vom Vermittlungsausschuß weiterhin empfohlenen Änderungen in § 3 Abs. 2 und in § 4 Abs. 2 gehen ebenfalls auf den Antrag des Bundesrates zurück und ergeben sich zwangsläufig aus der vom Vermittlungsausschuß beschlossenen Änderung des § 3 Abs. 1.
Wenn nämlich für die Anerkennung als Sicherheitsfilm gemäß § 3 Abs. 1 die zuständige Landesbehörde bestimmt wird, so dürfte es auch folgerichtig sein, wenn die nach § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 vom Bundesarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister zu erlassenden Rechtsverordnungen über die Anerkennung und die Kennzeichnung der Sicherheitsfilme mit Zustimmung des Bundesrates ergehen, wie es ja auch nach Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Der Vermittlungsausschuß schlägt daher vor, den in § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 festgelegter Ausschluß der Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates zu streichen.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich dem Hohen Hause empfehlen, den Änderungsvorschlägen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Der Vermittlungsausschuß hat hierbei gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im. Bundestag über die Änderung gemeinsam abgestimmt werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zur Abgabe von Erklärungen gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, es ist beschlossen worden, daß hierüber gemeinsam abgestimmt werden muß. Wer dem Antrag des Berichterstatters und damit des Vermittlungsausschusses entsprechen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen eine Stimme ohne
Enthaltungen angenommen. Dieser Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Gesetzliche Beschränkung der Sonntagsarbeit .
Wer wünscht das Wort zur Begründung der Anfrage? — Herr Abgeordneter Sabel!
Sabel , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat diese Große Anfrage in ernster Sorge um die Respektierung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen eingebracht. Es geht meiner Fraktion darum, bestehende Mängel aufzuzeigen und im Parlament eine breite Front derjenigen zu schaffen, die sich der Absicht widersetzen, aus ökonomischen Gründen den Unterschied zwischen Sonntag und Werktag zu verwischen, die sich der Absicht derer widersetzen, die dahin drängen, auch den Sonntag weitgehend zum Arbeitstag zu machen.
Der Artikel 140 des Grundgesetzes übernimmt den Artikel 139 der Weimarer Verfassung. In dem Grundgesetzartikel ist festgelegt:
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sagt das gleiche — aber noch betonter — in ihrem Artikel 25.
Angesichts solcher klaren Verfassungsbestimmungen dürfte es eigentlich keine Klagen über eine Gefährdung des Sonntags geben. Leider müssen wir die Feststellung treffen, daß eine gefährliche Tendenz besteht, die Arbeitsruhe am Sonntag zu negieren. Wir wissen, daß eine völlige Arbeitsruhe für alle am Sonntag nicht erreichbar ist. Manche Arbeiten müssen durchgeführt werden. Doch sind wir der Meinung, daß dabei engste Grenzen gezogen werden müssen.
Es ist erfreulich, daß in der Öffentlichkeit eine starke Bewegung zur Erhaltung und zur Erweiterung der sonntäglichen Arbeitsruhe entstanden ist. Ich erinnere an die Stellungnahme der Kirchen — der evangelischen Kirche sowie der katholischen Kirche —, ich erinnere an viele Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften. Ich erinnere daran, daß gerade in den letzten Tagen sehr sachkundige Veröffentlichungen seitens kirchlicher Stellen erfolgt sind. In der christlichen Welt steht der Sonntag im Mittelpunkt der Woche. Er bestimmt den ordnenden Rhythmus der Woche. Er ist der Tag der religiösen Besinnung, der Tag der Arbeitsruhe, dem in einer Zeit der Hetze und Überarbeitung noch größere Bedeutung zukommt. Er ist der Tag, den die Familie gemeinsam verleben sollte.
Ich darf gerade die Sozialpolitiker darauf hinweisen, daß die Sonntagsruhe der umstrittenste Teil der Bestimmungen über den Arbeitsschutz war, den man zu Ende des vergangenen Jahrhunderts bei der Schaffung der diesbezüglichen Bestimmungen der Gewerbeordnung diskutierte. Und ich darf daran erinnern, daß es gerade die christlichen Kräfte waren, die damals die Sonntagsruhe, wenn auch nicht generell, so doch weitgehend durchsetzen konnten. Durch gesetzliche Bestim-
mungen ist die Einhaltung der Arbeitsruhe am Sonntag geregelt. Es sind die Ausnahmen bestimmt, die eine Arbeit am Sonntag ganz oder zum Teil möglich machen. Die §§ 105 a bis 105 i der Gewerbeordnung regeln mit den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen diesen Fragenkomplex.
Es ist notwendig, etwas über die Entwicklung des Problems in den letzten Wochen, insbesondere über die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen, zu sagen. Man glaubt, die gesetzlichen Bestimmungen, die zur Zeit bestehen, bedürften einer Korrektur, weil man sagt: sie entsprechen nicht mehr den gegebenen Notwendigkeiten. Dazu muß aber der korrekte Weg der Gesetzgebung gegangen werden.
Was in den letzen Wochen geschehen ist, bedeutet eine ernste Gefahr für den Rechtsstaat. Es ist eine bewußte Ignorierung gesetzlicher Bestimmungen durch höchste Verwaltungsstellen.
Wir bedauern dies außerordentlich und machen darauf aufmerksam, daß auch eine betonte Einflußnahme von Interessenorganisationen den Verwaltungen nicht das Recht zu ungesetzlichen Handlungen gibt.
Wie kann man vom Bürger Gesetzestreue verlangen, wenn diejenigen das Gesetz mißachten, die seine Befolgung überwachen müssen!
Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Länder ein Initiativrecht in der Gesetzgebung haben. Sie haben also keinen Grund, ungesetzliche Maßnahmen mit fehlender Initiative von Bundesregierung und Bundestag zu motivieren. Sie haben die Möglichkeit — ich sagte es schon —, selbst initiativ zu werden, wenn sie glauben, daß die gesetzlichen Bestimmungen nicht ausreichen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine Korrespondenz hinweisen, die sich ebenfalls in den
letzten Wochen entwickelt hat. Der Herr Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat den
Mitgliedern dieses Hohen Hauses seinen Schriftwechsel übermittelt, den er mit S. Eminenz Herrn
Kardinal Frings getätigt hat. Wir haben gestern
auch den Antwortbrief von S. Eminenz des Herrn
Kardinals Frings erhalten. Es ist notwendig, hierzu einige Bemerkungen zu machen. Auf Seite 3
des Briefs des Herrn Arbeits- und Sozialministers
von Nordrhein-Westfalen ist folgendes gesagt:
Die Landesregierung hat ihre Entscheidung erst getroffen, nachdem ich in einer persönlichen Aussprache mit Herrn Bundesarbeitsminister Storch festgestellt habe, daß dieser die Notwendigkeit einer Anpassung der geltenden gesetzlichen Vorschriften an die veränderten technischen und sozialpolitischen Verhältnisse in der eisenschaffenden Industrie bejaht und beabsichtigt, noch in diesem Jahr eine Änderung der einschlägigen, aus dem Jahre 1895 stammenden Bundesratsbekanntmachung auszuarbeiten und sie möglichst bald der Bundesregierung und dem Bundesrat zur Annahme zu empfehlen.
Ich habe selbstverständlich Gelegenheit genommen, den Herrn Bundesarbeitsminister dieserhalb zu befragen. Er hat mir erklärt, daß diese Darstellung nicht dem wirklichen Sachverhalt entspricht.
Ich möchte darauf hinweisen, daß der Herr Bundesarbeitsminister auch gar nicht in der Lage ist, eine so weitgehende Erklärung abzugeben. Hier handelt es sich um Probleme, die dieser Bundestag regeln muß, denn solch weitgehende Regelungen kann man nicht irgendwie in Anweisungen treffen, die nicht der Zustimmung dieses Parlaments bedürfen.
Der Herr Bundesarbeitsminister wird zu dieser Frage sicher noch Stellung nehmen. Der Deutsche Bundestag wird ernsthaft zu prüfen haben, welche Aufgabe ihm zur Wahrung der Arbeitsruhe am Sonntag obliegt. Er wird auch zu prüfen haben, ob er die Ausweichmöglichkeiten, wie sie z. B. in § 28 der Arbeitszeitordnung gegeben sind, verbauen sollte, weil erstens die hier gegebene Ermächtigung zu weit geht, und weil wir zweitens nun erlebt haben, daß von dieser Ermächtigung nicht der Gebrauch gemacht wird, den wir für vertretbar halten. Dieser Teil der Arbeitszeitordnung stammt aus dem „Dritten Reich", er datiert aus dem Jahre 1938, aus der Zeit der Rüstungsproduktion, des Westwallbaus. Damals hat man eine weitgehende Ermächtigung gegeben, den gesamten Arbeitsschutz im Bedarfsfalle zu ignorieren. Wir sind der Meinung, daß man überlegen muß, ob dieser § 28 der Arbeitszeitordnung heute noch eine Berechtigung hat. Ich glaube, man kann diesen § 28 aus der Arbeitszeitordnung ausbauen, weil es andere Möglichkeiten gibt, notwendige Ausnahmen zu treffen.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen möchte ich nun die Große Anfrage im einzelnen begründen.
Zu Nr. 1. In Ausführung von § 105 d der Gewerbeordnung erließ der Bundesrat des Deutschen Reichs am 5. Februar 1895 eine Verordnung, in welcher die Ausnahmen von der sonntäglichen Arbeitsruhe enthalten sind. Diese Bekanntmachung erfuhr später einige Abänderungen und Ergänzungen. Es galt als Grundsatz, nur dort Ausnahmen von der sonntäglichen Arbeitsruhe zu genehmigen, wo dies aus fertigungstechnischen Gründen erforderlich war. Ich darf als Beispiel die Hochöfen nennen, wo nur durch einen kontinuierlichen Betrieb der Ofen gebrauchsfähig bleibt, da sonst die Ausmauerung Schaden leidet.
Wir fragen nun die Bundesregierung, ob sie beabsichtigt, Produktionsarbeiten an Sonntagen auch aus anderen Gründen zuzulassen, insbesondere aus wirtschaftlichen Erwägungen. Gegen eine solche Absicht müßten wir die stärksten Bedenken erheben, da wirtschaftliche Gründe allein die Einführung des Nonstopbetriebs nicht zulassen.
Wir haben die Sorge, es gäbe dann kein Halt mehr, der Sonntag würde dem Betrieb geopfert.
Wir fragen die Bundesregierung zu Punkt 2: Welche Ausnahmen wurden seitens der Landesbehörden bisher erteilt mit dem Ziel, die kontinuierliche Arbeitsweise einzuführen? Wir wünschen insbesondere zu wissen, ob die Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf Grund des zwischen dem Ar-
beitgeberverband Eisen- und Stahlindustrie e. V. und der IG Metall abgeschlossenen Arbeitszeit- und Lohnabkommens für den Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen die Genehmigung erteilt hat, in allen Siemens-Martin-Stahlwerken, in den Elektrostahlwerken und in den hiermit in Verbund arbeitenden Blockstraßen erster Hitze die ununterbrochene Arbeitsweise einzuführen. Bisher war in den genannten Betriebsabteilungen der Produktionsprozeß an Sonntagen von 6 bis 18 Uhr unterbrochen.
Wir fragen: Ist es richtig, daß die Tarifpartner auf die Landesregierung Nordrhein-Westfalen einen unzulässigen Druck ausgeübt haben, um die beanstandete Genehmigung zu erreichen? Ich möchte mich bei dieser Frage auf Rundfunkmeldungen beziehen. Ich denke gerade an eine Meldung vom Sonntag, dem 17. März, 22 Uhr, im hessischen Rundfunk, wo mitgeteilt wurde, daß der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen — es ist unser Kollege Sträter — die Genehmigung der gleitenden Arbeitswoche von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen verlangt habe und daß für den Nichtgenehmigungsfall gewerkschaftliche Maßnahmen angedroht worden seien.
Wir wissen nicht, an welche Maßnahmen man hier gedacht hat. Es ist dann in der gleichen Meldung gesagt worden, daß der Herr Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen die Auffassung unseres Kollegen Sträter, der in diesem Fall — ich sage es noch einmal — als Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen gesprochen hat, billige und daß er erklärt habe, er werde sich darum bemühen, daß die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sehr schnell diesem Antrag entsprechen werde.
Ich darf bei dieser Gelegenheit fragen: Ist es richtig, daß die Genehmigungen, die hier erteilt wurden, unter Bezugnahme auf den § 28 der Arbeitszeitordnung erteilt wurden? Ich darf die Frage erweitern: Läßt die genannte Bestimmung solche Genehmigungen zu? Ich habe eben schon darauf hingewiesen, unter welchen Voraussetzungen damals dieser Teil der Arbeitszeitordnung zustande gekommen ist. Ich glaube aber, daß auch die gegenwärtige Fassung den Verwaltungen nicht die weitgehenden Möglichkeiten gibt, die sie hier ausgenutzt haben. Auch in dem § 28 der Arbeitszeitordnung ist vorgesehen, daß Ausnahmen nur widerruflich und nur dann erteilt werden können, wenn sie im öffentlichen Interesse dringend nötig sind. Niemand hat auch nur den Versuch gemacht, solche Gründe anzuführen; sie sind nicht vorhanden. Auch an eine zeitliche Befristung der Genehmigung haben die kritisierten Verwaltungen nicht gedacht. Man kann von einer befristeten Genehmigung nicht mehr reden, wenn eine Genehmigung fortlaufend an die andere angehängt wird.
Es wird notwendig sein, hier etwas zu der Entwicklung des Problems zu sagen. Der Herr Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seinem Schreiben an den Kardinal in Köln auf die Regelung hingewiesen, die in den Hüttenwerken Oberhausen getroffen wurde. In diesem Brief ist gesagt worden: „Das Arbeitszeit- und Lohnabkommen ist das Ergebnis einer von vielen Faktoren beeinflußten Entwicklung, die durch die unter der Regierung Arnold im Januar 1953 erteilte Sondergenehmigung für die vollkontinuierliche Arbeitsweise in einzelnen Betrieben der Hüttenwerke" Oberhausen in ungewöhnlicher Weise gefördert worden ist; die präjudizierende Kraft dieser ersten Genehmigung zur Einführung der gleitenden Arbeitswoche in der eisenschaffenden Industrie unseres Landes kann niemand bestreiten."
Seine Eminenz Kardinal Frings erklärt daraufhin: „Die Kirche hat auch in diesem Fall der Hüttenwerke Oberhausen in den vergangenen Jahren dieselbe ablehnende Stellung eingenommen wie heute; es sollte jedoch nicht verkannt werden, daß eine einzelne Ausnahmegenehmigung, die dazu unter ganz anderen Umständen gegeben wurde, anders zu beurteilen ist als eine Summe von Ausnahmegenehmigungen, die praktisch die Arbeitsweise für die Gesamtheit der in Frage kommenden Betriebe regeln und darum keine Ausnahmen mehr sind."
Es wird notwendig sein, einmal auf die Entwicklung gerade in den Hüttenwerken Oberhausen kurz hinzuweisen. In der Hüttenwerke Oberhausen AG mußten nach der Währungsreform in den warmeinsetzenden Walz- und Hammerwerken regelmäßig Feierschichten eingelegt werden, da die Stahlerzeugung in den Stahlwerken, insbesondere im Martin-Stahl-Werk, einen ausgesprochenen Engpaß aufwies. Als dazu noch Schwierigkeiten in der Gaszuteilung für das Werk in den Wintermonaten auftraten, hat sich der Betrieb Ende 1951 entschlossen, die kontinuierliche Arbeitsweise mit 48stündiger statt bisher 53stündiger Wochenarbeitszeit im Martin-Stahl-Werk mit Genehmigung des Arbeitsministeriums von NordrheinWestfalen einzuführen. Auch wir sind der Auffassung: selbst wenn man damals eine Berechtigung hätte anerkennen wollen — auch das ist rechtlich umstritten —, hätte es aber auch hier nicht zu der Regelung kommen dürfen, daß fortlaufend eine Ausnahmegenehmigung an die andere angehängt wurde. Wir halten auch das für falsch.
Im ganzen möchte ich noch sagen, daß die von uns begrüßten Arbeitszeitkürzungen ohne Ignorierung des Sonntags möglich sind.
Man muß bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß auch die Kirchen den berechtigten Bemühungen um die Kürzung der Arbeitszeit keinen Widerstand entgegengesetzt haben. Mir sind nur positive Stellungnahmen der Kirchen zur Frage der Arbeitszeitverkürzung bekannt. Mir ist keine negative Stellungnahme bekannt. Deswegen, glaube ich, geht es auch nicht an, den Vorwurf zu erheben, daß man sich in dieser Frage negativ verhalten habe. Der Unterschied besteht nur darin, daß wir und auch die Kirchen der Auffassung sind, daß ein anderer Weg möglich ist, um notwendige und zur Zeit mögliche Arbeitszeitkürzungen zu erreichen.
Ich darf darauf hinweisen, daß auch die Produktionsentwicklung eine zu großzügige Ausnahmegenehmigung nicht vertretbar erscheinen läßt. Ich glaube, es sollte uns immerhin die Tatsache bekanntgeworden sein, daß es uns im letzten Jahre gelungen ist, in der Rohstahlerzeugung auch die Produktion von Frankreich und die Produktion von England zu überflügeln. Wir sind heute in der Rohstahlerzeugung der Welt wieder an der dritten Stelle angelangt; wir rangieren in der Produktion nach den Vereinigten Staaten und Sowjetrußland an der dritten Stelle. Warum sage ich
das? Um damit darzutun, daß diese Ergebnisse erreicht wurden, ohne daß man fragliche Dinge praktiziert hat.
Wir fragen drittens, ob die Einführung der kontinuierlichen Arbeitsweise in der Stahlindustrie zu einer Ausweitung der Sonntagsarbeit führt und in welchem Ausmaß die Ausweitung vorliegt. Die Befürworter der Maßnahmen verweisen darauf, daß die Zahl der in den in Frage kommenden Produktionsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gering sei und daß auch für sie Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Zustand eintreten. Ist es richtig, daß die Arbeiter in den genannten Produktionsstätten nur an 9 bis 13 Sonntagen ganz von der Arbeit freigestellt sind? Kann nicht durch ein zweckmäßigeres Schichtwechselschema die Zahl der freien Sonntage vermehrt werden? Wir sind der Meinung, daß das möglich ist, wenn beiderseits der gute Wille vorhanden ist. Wir glauben, daß auch unsere Produktion keinen Schaden leiden wird und daß es brauchbare Auswege gibt, ohne den Sonntag noch weitergehend zur Arbeit zu benutzen.
Zu Frage 4: Bei dieser Frage geht es darum, festzustellen, in welchem Umfange in den Betrieben — nicht nur in der Stahlindustrie — an Sonn- und Feiertagen Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden, die auch an Werktagen durchgeführt werden könnten. Wir wissen, wie stark manchmal der Drang nach Überstunden ist. Wir wissen auch, wie man sich diese Situation nutzbar macht, um sonntags Arbeiten durchführen zu lassen, die auch zu anderen Zeiten durchgeführt werden könnten. Nach unseren Feststellungen gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, in denen es fast üblich geworden ist, alle Reparaturarbeiten an Sonntagen durchführen zu lassen, auch die Arbeiten, die unbedenklich in der Woche erledigt werden könnten. Wir fragen die Bundesregierung, was sie zu tun gedenkt, um hier zu einer besseren Ordnung zu kommen. Was geschieht, um die Beachtung der Vorschriften des § 105 c der Gewerbeordnung sicherzustellen?
Zu Frage 5: Hier wünschen wir zu wissen, inwieweit andere Industriezweige, ohne daß dafür die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, die kontinuierliche Arbeitsweise eingeführt haben. Ist es beispielsweise richtig, daß in drei Betrieben der Papiererzeugung, die zum Feldmühle-Konzern gehören, ununterbrochen auch an Sonntagen gearbeitet wird? Welche Behörden haben diese Sonntagsarbeit genehmigt? Sind von anderen Industriezweigen Wünsche bezüglich der Genehmigung der ununterbrochenen Arbeit an Sonntagen geäußert worden? Wir wollen das wissen, um zu sehen, welche Dinge auf uns zukommen, welche Gefahren gerade hier noch zusätzlich gegeben sind. Welche Maßnahmen sind notwendig, um auch hier eine Ausweitung der Sonntagsarbeit zu verhindern? Hat die Bundesregierung mit den Ländern Kontakt aufgenommen, um nichtgerechtfertigte Ausnahmegenehmigungen zu verhindern?
Die Frage 6 betrifft Einzelgenehmigungen von Sonntagsarbeit in Fällen, in denen wir keine Notwendigkeit anerkennen können. Auch hier nur einige Beispiele. Ist es richtig, daß fast alle illustrierten Zeitungen an Sonntagen gedruckt werden?
Ist es richtig, daß man als Begründung angibt, die
Auslieferung an alle Verkaufsstellen müsse bis zum Mittwoch erfolgt sein, da sonst der Verkauf nicht sichergestellt sei?
Wenn das zutrifft, dann möchten wir mit aller Deutlichkeit erklären, daß wir erstens die Tatsache, daß der Druck der Zeitungen an Sonntagen erfolgt, für eine unmögliche Angelegenheit halten
und daß uns zweitens die gegebene Begründung noch unmöglicher erscheint.
Wir fragen: Welche Verwaltung hat in diesen Fällen die Genehmigung erteilt, mit welcher Begründung ist das geschehen und auf welche Gesetzesbestimmung hat man sich dabei gestützt?
Ich darf auf die Praktiken in anderen Bereichen hinweisen. Denken wir nur ,an die Bauwirtschaft! Wie oft erleben wir, daß da Sonntagsarbeit mit der Begründung genehmigt wird, dieser oder jener Geschäfts- oder Bürohausneubau müsse bis zu diesem oder jenem Tage fertiggestellt sein, weil sonst nicht sichergestellt sei, daß die Geschäftseröffnung rechtzeitig zu ,dem vorgesehenen Termin erfolgen könne. Meine Damen und Herren, wir betonen mit aller Deutlichkeit: das ist keine ausreichende Begründung für die Genehmigung der Sonntagsarbeit.
Gerade neulich berichtete mir ein Kollege, daß man in einem Ort in unmittelbarer Nähe der Kirche sonntags einen Schlossermeister sah, der dabei war, die Leichtmetallverkleidung an Fenstern und Türen anzubringen. Als man sich erkundigte, ob das genehmigt sei, sagte die Polizei: Jawohl, die Gewerbeaufsicht hat es genehmigt. Und als man die Gewerbeaufsicht fragte, warum sie das genehmigt habe, antwortete sie, der Glasermeister habe am Montagmorgen mit der Verglasung beginnen müssen.
Ich wollte das nur einmal als Beispiel anführen, um darzulegen, wie leicht man diese Frage nimmt und wie man allzu leicht bereit ist, hier Ausnahmen zu gestatten, ohne daß ausreichende Gründe vorliegen.
In der Frage 7 wird generell gefragt, was die Bundesregierung zu tun gedenke, um eine einheitliche und strenge Durchführung der Sonntagsruhebestimmungen sicherzustellen. Es sollte eine einheitliche Praxis in den Ländern angestrebt werden.
Ich möchte noch einige Schlußbemerkungen machen und dabei zunächst wiederholen, daß es uns mit dieser Anfrage darum ging, auf die Mängel und auf die Gefahr hinzuweisen, daß der Sonntag dem Profitstreben geopfert wird. Wir wissen, daß wir für unsere Sorgen auch bei einem großen Teil der Sozialpartner Verständnis finden und daß sie wie wir solche Mißstände, wie sie aufgezeigt wurden, nicht wollen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in einem Schreiben an den Herrn Bundeskanzler vom 20. Februar dieses Jahres seinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß die Sonntagsarbeit noch relativ stark verbreitet sei, und er hat verlangt, daß die Voraussetzungen geschaffen werden, den freien Sonntag soweit als möglich zu gewährleisten. Wenn in dem gleichen Schreiben die Regelung für die Siemens-MartinWerke usw. als ein Fortschritt auf dem Wege zum voll arbeitsfreien Sonntag bezeichnet wird, so fehlt
uns allerdings für eine solche Schlußfolgerung das Verständnis.
Wir halten das Abkommen der Sozialpartner in der eisenschaffenden Industrie nicht für gut. Wir sind der Auffassung, daß ein anderer Weg hätte gefunden werden können, um die notwendige Arbeitszeitkürzung in den genannten Betrieben durchzuführen. Es läge wirklich die Frage nahe: Wer hat hier wem das Kuckucksei ins Nest gelegt?
Unser Kollege aus dem 1. Bundestag, Walter Freitag, früher Vorsitzender der IG Metall, dann vier Jahre bis zum vergangenen Jahr Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat vor einigen Jahren die gleitende Arbeitswoche als einen sozialen Rückschritt bezeichnet, der zur Unkultur führe.
Wir halten diese Beurteilung für sehr zutreffend.
Präsident Heusch von der Industrie- und Handelskammer Aachen hat vor wenigen Tagen vor der Vollversammlung dieser Kammer zur gleitenden Arbeitswoche Stellung genommen und erklärt, man möge doch auf das billige Alibi einer Regierungsgenehmigung verzichten. Allgemein sei anerkannt, daß ein gewisses Maß an Sonntagsarbeit aus übergeordneten Interessen unvermeidlich sei. Es müsse aber mit Bedauern zur Kenntnis genommen werden, daß diese unbestrittene Grenze überschritten wurde.
Präsident Heusch forderte, man solle auch dann den Unterschied gegenüber dem Materialismus östlicher Prägung verdeutlichen, wenn es keine äußeren Vorteile bringe.
Am Sonntag, dem 17. März, hielt im Hessischen Rundfunk Rudolf Krämer-Badoni im Rahmen der kulturpolitischen Betrachtungen „Vom Geist der Zeit" einen Vortrag über die gleitende Arbeitswoche. In erfreulicher Offenheit hat er seine Bedenken vorgetragen, insbesondere auch die Auswirkung auf die Familie, die nie den Sonntag und den Ruhetag gemeinsam begehen kann. Er hat auf die Tendenz hingewiesen, auch den Sonntag zukünftig produktiv im Sinne des Wirtschaftlers zu gestalten. Er sagt mit Recht in diesem Vortrag, daß die Wirtschaft dem Menschen zu dienen habe, und er sagt dann betont scharf, daß auch kein SiemensMartin-Ofen-Besitzer das Recht habe, eine Lebensform umzustoßen, die auf uralten christlichen und kulturellen Grundlagen beruht.
Er sagt: Man muß die Profitgier offen beim Namen nennen, und man muß den Arbeitern vor Augen stellen, was sie anrichten, wenn sie unnötigerweise solche nihilistischen Tendenzen durch untragbare Vereinbarungen anerkennen.
In seinem letzten Schreiben hat Eminenz Kardinal Frings den Herrn Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen um eine erneute Überprüfung des ganzen Problems gebeten, und er hat hier einen Vorschlag gemacht. Er sagt, es möge möglichst bald eine Arbeitszeitverkürzung durchgeführt werden, die die Sonderstellung des Sonntags unter den Tagen der Woche wahrt, die wenigstens die Einschränkung, die die bisherige Gesetzgebung für die Arbeit an Sonntagen auferlegt, loyal hinnimmt, durch arbeitsorganisatorische und technische Maßnahmen, die den einzelnen Arbeiter betreffenden Belastungen seines Sonntags mildert und mindert und einen für alle Teile erträglichen Lohnausgleich gewährt.
Ich darf daran erinnern, daß gerade in den letzten Tagen auch die Evangelische Kirche erneut zu der Frage Stellung genommen hat. Präses Held von der Evangelischen Kirche im Rheinland sagt im Vorwort zu einer Broschüre, die dieses ganze Problem betrifft:
In der Diskussion zur Frage der gleitenden Arbeitswoche sind die Bedenken, die von den Kirchen vorgebracht wurden, vielfach überhaupt nicht oder doch sehr unzureichend verstanden und wiedergegeben worden. Es ist zu wünschen, daß die Besorgnisse, die uns bei unserer Stellungnahme geleitet haben, ernstlich zur Kenntnis genommen werden.
Und er sagt an anderer Stelle:
Die immer weiter treibende Aushöhlung des sonntäglichen gemeinsamen Feiertags geht Staat und Wirtschaft genauso an wie die Kirche.
Ich glaube, wir sollten etwas mehr Verständnis für die Sorgen der Kirche aufbringen. Ich habe den Eindruck, daß diese Dinge manchmal etwas zu leicht genommen werden. Ich habe den Eindruck, daß man manchmal nur noch die ökonomischen Dinge sieht und andere Werte einfach vernachlässigt. Das wäre eine Gefahr. Ich möchte sagen: Sorgen wir doch im Deutschen Bundestag dafür, daß uns nicht die Schuld zufällt, eine Entwicklung zuzulassen, die nicht dem Wohle unseres gesamten deutschen Volkes nützt.
Meine Damen und Herren! Durch die Vorverlegung des Beginns der heutigen Plenarsitzung auf den Vormittag sind einige Ausschüsse gezwungen, während des Plenums zu tagen. Ich darf bekanntgeben, daß die Sitzung des Bundestagsausschusses für Verteidigung um 10 Uhr und die des Bundestagsausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge um 11 Uhr stattfindet.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit Aufmerksamkeit und Besorgnis die Ausweitung, die die Sonntagsarbeit in den letzten Jahren in zahlreichen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft erfahren hat. In vielen Fällen ist eine große Mißachtung der gesetzlichen Vorschriften über das Sonntagsarbeitsverbot festzustellen, und gerade in den letzten Jahren ist in zunehmendem Maße eine Verschlimmerung der Mißstände eingetreten.
Die allgemeine Erörterung dieser Frage ist durch die Tarifvereinbarung über die Einführung der gleitenden Arbeitswoche in der Stahlindustrie ausgelöst worden. Das Problem ist jedoch nicht auf die Stahlindustrie beschränkt; vielmehr sind auch andere Industriezweige an der Einführung der gleitenden Arbeitswoche interessiert.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die notwendige Steigerung der Produktion auch ohne
Preisgabe der Sonntagsruhe und der Sonntagsheiligung erreicht werden sollte und daß der verfassungsmäßige Schutz der Sonn- und Feiertage gewahrt werden muß.
Das zuständige Bundesministerium für Arbeit hat in den letzten Jahren bereits in zahlreichen Fällen die für die Durchführung der gesetzlichen Vorschriften zuständigen Länderministerien gebeten, einen strengen Maßstab an die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen anzulegen und gegen unzulässige Sonntagsarbeit einzuschreiten. Das Bundesministerium für Arbeit wird diese Bemühungen fortsetzen und noch verstärken. Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die gesamtwirtschaftliche Störung der Produktion und Versorgung durch eine kurzfristige Änderung der Genehmigungspraxis vermieden wird.
Unter Zugrundelegung dieser allgemeinen Erwägungen möchte ich die Große Anfrage nummernweise beantworten.
Unter Nr. 1 wird gefragt:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Bundesratsbekanntmachung von 1895 betreffend Ausnahmen von dem Verbot der Sonntagsarbeit im Gewerbebetriebe zu ändern und dabei auch solche Produktionsarbeiten an Sonntagen zuzulassen, die aus fertigungstechnischen Gründen nicht erforderlich sind? Beabsichtigt sie insbesondere, wirtschaftliche Erwägungen als ausreichende Gründe für die Einführung der siebentägigen Arbeitswoche anzuerkennen?
Hierzu möchte ich Ihnen im Auftrage der Regierung folgendes sagen.
Die Vorschriften der Bundesratsbekanntmachung vom 5. Februar 1895 betreffend Ausnahmen von dem Verbot der Sonntagsarbeit im Gewerbebetriebe werden der Entwicklung, die die technischen Arbeitsverfahren seither erfahren haben, nicht mehr in allen Punkten gerecht. Es wird deshalb geprüft, welche Änderungen der Bundesratsbekanntmachung vorgenommen werden müssen, um den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen. Die Unterlagen für diese Arbeit sind bereits gesammelt. Die Änderungen können dem Umfang und der Schwierigkeit entsprechend nur schrittweise vorgenommen werden.
Bei der Reform der alten Bestimmungen beabsichtigt die Bundesregierung nicht, Produktionsarbeiten an Sonntagen zuzulassen, die nicht aus fertigungstechnischen oder anderen zwingenden Gründen im Interesse des Gemeinwohls erforderlich sind. Es muß in Zukunft entscheidender Wert darauf gelegt werden, für jedes Arbeitsverfahren festzulegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese Gründe den kontinuierlichen Betrieb über den Sonntag unabwendbar machen. Betriebswirtschaftliche Erwägungen allein können grundsätzlich nicht als ausreichende Gesichtspunkte für die Durchführung von Produktionsarbeiten an Sonntagen anerkannt werden.
Mit einer derartigen Begründung würden zahlreiche in der Bekanntmachung vom 5. Februar 1895 nicht genannte Industriezweige die Zulassung von Sonntagsarbeiten fordern können. Der von verschiedenen Seiten in diesem Fall bei der allgemeinen Sonntagsruhe mit Recht befürchtete
Dammbruch wäre dann nicht mehr aufzuhalten. Unter Nr. 2 wird gefragt:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfange von Länderbehörden bereits Ausnahmegenehmigungen zur Einführung der kontinuierlichen Arbeitsweise erteilt worden sind?
Dazu kann ich Ihnen folgendes sagen. Nach den Mitteilungen der obersten Arbeitsbehörden der Länder sind bisher Ausnahmegenehmigungen zur Einführung der kontinuierlichen Arbeitsweise für 18 Stahlwerke erteilt worden. 14 dieser Werke liegen in Nordrhein-Westfalen, 2 in Rheinland-Pfalz, 1 in Berlin und 1 in Hessen. In dem Fall Hessen ist die Sache allerdings nicht voll zur Auswirkung gekommen. Daneben haben wir Genehmigungen für 5 Papierfabriken, und zwar 3 in NordrheinWestfalen und 2 in Schleswig-Holstein, und außerdem für einen Basaltwollebetrieb, ich glaube, in Niedersachsen. Die Genehmigungen sind als vorübergehende Regelungen bis zu einer etwaigen Neuregelung der Sonntagsruhe gedacht und auf den § 28 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 gestützt. Die Frage, ob diese Rechtsgrundlage einer richterlichen Nachprüfung standhalten würde, möchte ich nicht bejahen.
Die Frage Nr. 3 lautet:
Bringt die Einführung der kontinuierlichen Arbeitsweise in der Stahlindustrie eine Ausweitung der Sonntagsarbeit?
Dazu möchte ich folgendes feststellen. Zur Zeit werden in der Stahlindustrie auf Grund der alten Schichtregelung in erheblichem Umfang Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an Sonntagen vorgenommen, so daß die Sonntagsruhe stark beeinträchtigt ist. Die Frage, welchen Umfang die produktive Sonntagsarbeit künftig annehmen wird, ist gegenwärtig nicht eindeutig zu beantworten, weil bei uns diese Dinge im Anlaufen sind. Wir können heute auch noch nicht übersehen, inwieweit dafür Arbeitskräfte in den Stahlwerken eingesetzt werden. Wichtig bei der ganzen Angelegenheit ist, daß von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen bei den in den letzten Wochen erteilten Genehmigungen gefordert worden ist, daß an 13 Sonntagen eine völlige Arbeitsruhe eintreten muß. Das auf dieser Mindestzahl von 13 freien Sonntagen aufgebaute Schichtsystem dürfte hinsichtlich der Zahl der Arbeitsstunden am Sonntag für den einzelnen Arbeiter nicht wesentlich von der seitherigen Regelung abweichen. Durch die Heranziehung einer vierten Schichtbelegschaft wird jedoch die Zahl der Arbeiter, die produktive Sonntagsarbeit verrichten, insgesamt vergrößert. So wird z. B. angenommen, daß in den Stahlwerken des Landes Nordrhein-Westfalen bei Einführung des kontinuierlichen Betriebs statt seither rund 13 500 künftig 17 500 Schichtarbeiter mit Sonntagsarbeit beschäftigt werden. Für den einzelnen Arbeiter wird nach diesem Schichtplan in Zukunft jeder vierte Sonntag völlig arbeitsfrei sein, während er bisher an jedem dritten Sonntag, allerdings erst von Sonntagmorgen 6 Uhr bis Montagmorgen 6 Uhr, frei hatte. Es wird noch zu prüfen sein, ob die verlängerte Sonntagsruhe nicht auf eine ganz andere Weise erreicht werden kann.
Die Frage Nr. 4 lautet:
Trifft es zu, daß insbesondere in den Betrieben
der Stahlindustrie an Sonntagen Instandhal-
tungsarbeiten in großem Umfange ausgeführt werden, die auch an Werktagen ausgeführt werden könnten; was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um insoweit die Beachtung der Vorschriften des § 105 c der Gewerbeordnung sicherzustellen?
Hierzu möchte ich folgendes sagen. In der für die Beantwortung der Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit waren von den Ländern keine genauen Angaben darüber zu erhalten, in welchem Umfange in den Betrieben der Stahlindustrie an Sonntagen Instandhaltungsarbeiten ausgeführt worden sind, die auch an Werktagen ausgeführt werden könnten. In dem Nachtrag zur Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes Eisen- und Stahlindustrie e. V. „Kontinuierliche Arbeitsweise in Siemens-Martin- und Elektrostahlwerken sowie in den mit diesen im Verbund arbeitenden Blockstraßen" wird ausgeführt, daß zur Zeit alle einigermaßen aufschiebbaren Reparaturen vom Werktag auf den Sonntag verlegt werden, um die produktiven Betriebszeiten möglichst voll ausnützen zu können. Hieraus ist zu entnehmen, daß in der Stahlindustrie in erheblichem Umfange an Sonntagen Reparaturarbeiten vorgenommen werden, die nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht zulässig sind. Die Vorschriften des maßgeblichen § 105 c der Gewerbeordnung gestatten Reparaturarbeiten an Sonntagen nur dann, wenn sie nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Die Bundesregierung wird bestrebt sein, gemeinsam mit den obersten Arbeitsbehörden der Länder Richtlinien aufzustellen, welche Arbeiten in Stahlwerken in Zukunft als nach § 105 c der Gewerbeordnung zulässig angesehen werden können. Wenn die Einhaltung dieser Richtlinien durch die Aufsichtsbehörden sorgfältig überwacht wird, ist nach Ansicht der Bundesregierung eine beträchtliche Einschränkung der Sonntagsarbeit in der Stahlindustrie zu erwarten.
Die Frage Nr. 5 besagt:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß außer der Stahlindustrie auch andere Industriezweige, so die Papierindustrie, Glasindustrie, Teile der chemischen Industrie u. a., den kontinuierlichen Betrieb einzuführen erwägen bzw. eingeführt haben? Wenn ja, welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für notwendig, um eine derartige Ausweitung der Sonntagsarbeit zu verhindern?
Dazu läßt Ihnen die Bundesregierung folgendes sagen. Nach Auskunft der obersten Arbeitsbehörden der Länder liegen bisher bereits aus der Papier-, Zement-, Kunstfaser-, Gummi- und Glasindustrie für einzelne Betriebsabteilungen Anträge auf Einführung der kontinuierlichen Arbeitswoche vor.
Auch in anderen Industriezweigen wird die Möglichkeit der Einführung für einzelne Betriebsabteilungen bereits erwogen.
In allen diesen Fällen könnte die Einführung der kontinuierlichen Arbeitsweise nur durch Änderung der gesetzlichen Vorschriften erfolgen. Ob eine solche Änderung erforderlich ist, wird unter Berücksichtigung der Ausführungen zu 1 und unter
Anlegung eines strengen Maßstabes geprüft werden.
Unter Nr. 6 wird dann gefragt:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um auch sonstige unnötige Sonntagsarbeit, z. B. im Druckereigewerbe, zu verhindern?
Hierzu möchte ich Ihnen sagen: Wie bereits erwähnt, hat die Bundesregierung festgestellt, daß in letzter Zeit in erheblichem Umfang Sonntagsarbeit durchgeführt wird, für die eine zwingende Notwendigkeit nicht gegeben ist.
So werden beispielsweise illustrierte Zeitschriften vielfach teils auf Grund von Ausnahmegenehmigungen der zuständigen Aufsichtsbehörden, teils mit deren stillschweigender Duldung am Sonntag gedruckt,
Totowettzettel werden in den Abendstunden des Sonntags und in der Nacht zum Montag .ausgewertet und dergleichen mehr. Die Zuständigkeit für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen im Einzelfall liegt bei den Ländern. Das Bundesministerium für Arbeit wird nichts unterlassen, was zur Beseitigung unnötiger Sonntagsarbeit geschehen kann. Die Konferenz der Länderarbeitsminister, die morgen und übermorgen in Kiel stattfinden wird, wird sich mit diesem Problem als einem besonderen Tagesordnungspunkt beschäftigen.
Schließlich wird dann unter Nr. 7 noch gefragt:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine einheitliche und strenge Durchführung der Sonntagsruhebestimmungen im Bundesgebiet sicherzustellen?
Dazu ist folgendes zu sagen. Die Bundesregierung sieht folgende Möglichkeiten, um eine einheitliche und strenge Durchführung der Sonntagsruhebestimmungen im Bundesgebiet sicherzustellen:
a) Überarbeitung der gesetzlichen Vorschriften über die Sonntagsruhe, insbesondere der Bundesratsbekanntmachung vom 5. Februar 1895 mit diem Ziel, sie an die neueste Entwicklung der Technik anzupassen. Eine derartige Anpassung würde zur Beachtung der gesetzlichen Vorschriften förderlich wirken und die Aufsichtsbehörden davor bewahren, ungesetzliche Sonntagsarbeit stillschweigend zu dulden oder durch Genehmigung auf zweifelhafter Rechtsgrundlage zuzulassen.
b) Es wird geprüft, ob der § 28 der Arbeitszeitordnung, der ja vorhin schon bei der Begründung der Großen Anfrage durch den Herrn Kollegen Sabel hier angesprochen worden ist, nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden muß.
Eine Änderung oder Aufhebung des § 28 der Arbeitszeitordnung kann nur durch Gesetz erfolgen. Eine dem § 28 entsprechende Vorschrift war dem früheren deutschen Arbeitsschutzrecht fremd, und die Praxis ist ohne eine solche reibungslos ausgekommen. Erst inmitten der Kriegsvorbereitungen des Jahres 1938 gab die nationalsozialistische Regierung ausschließlich aus wehrwirtschaftlichen Gründen, insbesondere zur Forcierung der Aufrüstung und des Westwallbaues, die allgemeine Er-
mächtigung, im Einzelfall Ausnahmen von allen Arbeitsschutzvorschriften zu genehmigen. Eine derart weitgehende Ermächtigung ist mit den heutigen Rechtsanschauungen nicht mehr vereinbar.
Sie bietet heute einen Anreiz zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen in einem unvertretbaren Maße.
Die Bundesregierung ist bereit, dahin zu wirken, daß der verfassungsmäßige Schutz der Sonn- und Feiertage wieder in dem weitestmäglichen Rahmen durchgeführt und daß vor allem gegen die Schichtsysteme eingeschritten wird, die den Sonntag unnötigerweise zum Werktag machen.
Zum Abschluß möchte ich Ihnen noch folgendes sagen: Wir leben natürlich in Deutschland nicht abgeschlossen von der übrigen Welt. und wir haben es uns bei der Erörterung dieser Fragen angelegen sein lassen, uns einmal in der freien Welt umzusehen und die dort in der Stahlindustrie üblichen Verfahren zu studieren. Man hat uns vielfach gesagt. daß in der ganzen übrigen Welt in den Stahlbetrieben an den Sonntagen gearbeitet werde. Das trifft aber nicht zu.
Die Auskünfte, die ich beispielsweise aus Luxemburg bekommen habe, besagen, daß an Sonntagen keine Produktionsarbeiten, sondern nur Reparaturarbeiten verrichtet werden. Dort liegt es also ähnlich wie bei uns. Allerdings ist diese Regelung bei uns in einem meines Erachtens viel zu weiten Umfang ausgedehnt worden.
Man sagt mir allerdings aus der Eisen- und Stahlindustrie, daß in Amerika an den Sonntagen durchgehend gearbeitet wird. Diesen Tatbestand haben auch wir jetzt festgestellt. In Amerika ist es vor allen Dingen deshalb zu dieser Regelung gekommen, weil man dort die großen Mammutöfen errichtet hat, die es bei uns ja wohl erst in einem Exemplar gibt. Die Frage der Errichtung solcher Öfen wird aber auch in der nächsten Zeit auf uns zukommen. und wir werden dann zu prüfen haben, ob man derartige Werkanlagen am Sonntag wirklich so abdrosseln kann. Das steht uns also noch bevor.
In Italien wird sonntags nicht gearbeitet. In ganz Belgien gibt es nur ein Werk, das an Sonntagen arbeitet. Sonst wird dort am Sonntag in den Eisen- und Stahlwerken nur gearbeitet, wenn eben ein besonderer Konjunkturstoß da ist und man den Bedarf nicht befriedigen könnte, wenn nicht am Sonntag gearbeitet würde.
Holland hat ein Werk, das kontinuierlich arbeitet. In allen anderen Stahlwerken wird sonntags nichtgearbeitet.
Über die Verhältnisse in Frankreich habe ich keine abschließenden, zusammenfassenden Darstellungen bekommen können. Anscheinend war es unserer Botschaft, aber auch dem zuständigen Ministerium nicht möglich, uns in so kurzer Zeit diese Angaben zu machen.
In England wird seit 1947 in den Stahlwerken an Sonntagen gearbeitet, und zwar aus Gründen der Produktionserhöhung. Aus den gleichen Gründen arbeiten auch drei Walzwerke sonntags. Im übrigen ist die Diskussion dieser Frage dort noch in Fluß.
Die Frage, ob man bei uns an den Sonntagen in der eisen- und stahlschaffenden Industrie arbeiten soll, ist ja gar keine neue Frage. Sie hat bereits in der Zeit des Frankfurter Wirtschaftsrats zu einer sehr lebhaften Auseinandersetzung zwischen den Direktoren, die damals tätig waren, und den Gouverneuren geführt. Wir haben seinerzeit den Standpunkt vertreten, daß es nicht gut sei, wenn man in diesem Teil unserer Wirtschaft sonntags arbeitet. Damals bestanden die Engländer darauf, daß wir die kontinuierliche Arbeitsweise in der Eisen- und Stahlindustrie durchführen. Man begründete das mehr oder weniger damit, daß wir dadurch eine Poduktionskapazität von 12 Millionen t Eisen und Stahl im Jahr bekämen. So war es damals. Heute stehen wir — das hat Herr Kollege Sabel vorhin in seiner Begründung bereits gesagt — mit über 20 Millionen t Erzeugung an dritter Stelle in der ganzen Welt.
Also ein Anlaß, daß wir einfach aus Bedarfsgründen am Sonntag arbeiten müßten, ist zur Zeit meines Erachtens nicht gegeben. Deshalb sollten wir uns, ohne daß wir uns aufregen, in einem sehr ernsten Gespräch einmal auf der politischen Bühne, dann aber auch mit den Beteiligten in der Produktion selbst darüber unterhalten, wie man diese Verhältnisse heute am besten neu ordnet. Und wir sollten dabei alles tun, daß der geheiligte Sonntag unserem Volk erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren, wünscht das Hohe Haus in eine Beratung der Großen Anfrage einzutreten? — Das ist allgemein der Fall. Dann treten wir in die Beratung ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist uns bekannt, daß schon im alten Reichstag zu Bismarcks Zeiten heftige Auseinandersetzungen wegen der Erhaltung des Sonntags stattfanden. Auch damals war es nach Ansicht der Unternehmer nicht möglich, den Sonntag, der dem Werktag gleichgestellt war, von der gewerblichen Arbeit frei zu machen. Dies bedeutete auch damals nach Ansicht der Unternehmer wirtschaftlichen Niedergang und Lohnminderung für die Arbeiter. Aber, meine verehrten Anwesenden, damals gelang es den vereinten Anstrengungen des früheren Zentrums und der Sozialdemokraten mit Unterstützung der damaligen Gewerkschaften, den Sonntag von gewerblicher Arbeit weitgehend frei zu machen. Wir haben gehört, daß diese Lösungen keineswegs vollkommen waren.
Es gibt seit Jahrzehnten Sonntagsarbeit der Arbeiter. Sonntagsarbeit kennen wir hier auch nach 1945, also seit mehreren Jahren. Wir erkennen sie an als Ausnahme, wenn sie im Interesse des Gemeinwohls oder aus technischen Gründen notwendig ist. Wir müssen die Sonntagsarbeit ablehnen, die aus Gewinnabsichten, aus Gründen der Produktionssteigerung oder aber um den Lebensstandard zu heben, ausgeführt werden soll. Aus Gründen des Gemeinwohls oder aus technischen Gründen notwendige Sonntagsarbeit ist etwas ganz anderes als die gleitende Arbeitswoche, als die Gleichsetzung des Sonntags mit dem Werktag.
Bei allen kultivierten Völkern wird der Sonntag
seit Jahrhunderten geachtet als ein Tag der Ruhe, der Ausspannung und der religiösen Erbauung. Seit Jahrhunderten hat der Sonntag, wie bereits gesagt, einen bestimmten Rhythmus im Wochenablauf — er ist der siebente Tag —; und dieser Rhythmus ist wichtig. Er ist wichtig für den Menschen selbst, er ist wichtig für die Familie, für die Gesellschaft und nicht zuletzt auch für die Wirtschaft. Der Sonntag läßt sich nicht durch einen immer wechselnden freien Tag ersetzen. Hierdurch würde der Sonntag seines besonderen Charakters entkleidet und das Familienleben erheblich gestört, ja zerstört. In der Gesellschaft verliert der Sonntag dann seinen Wert.
In seiner Weihnachtsansprache weist der Heilige Vater auf die Gefahr einer technischen Lebensauffassung hin und erklärt:
Noch deutlicher wird der Einfluß der technischen Gesinnung auf die Arbeit, wenn dem Sonntag seine einzigartige Würde als Tag der Gottesverehrung und der leiblichen wie seelischen Ruhe für den einzelnen wie für die Familie verlorengeht und wenn er statt dessen lediglich durch einen durch die Woche gleitenden Tag ersetzt wird.
Der Sonntag läßt sich also nicht einfach durch einen freien Tag ersetzen.
Nur zweimal in der Geschichte wurde versucht, den Sonntag aufzuheben und durch einen anderen freien Tag zu ersetzen, und zwar in der französischen Revolution 1791 und in der russischen Revolution 1917. Im ersten Falle wurde die Maßnahme revidiert und rückgängig gemacht. Wir sollten solche Versuche nicht wiederholen. Die fortschreitende Technik, ohne Zweifel ein Segen, sollte uns nicht zu ihren Sklaven machen, indem sie uns den Sonntag nimmt.
Wir haben gehört, was geschehen ist und worum es geht. Im Jahre 1952 zeigten sich die ersten Versuche, durch Ausnahmebestimmungen die gleitende Arbeitswoche einzuführen, und zwar bei den Hüttenwerken in Oberhausen. Man stützte sich auf Ausnahmebestimmungen der Gewerbeordnung und auf das Arbeitszeitgesetz § 28. Das Arbeitszeitgesetz entstammt dem „Dritten Reich". Es ist ein Gesetz, das dem Arbeiter damals seine Rechte einschränkte und zum Teil nahm; es bedeutete keinen Fortschritt.
Es wurde damals, 1952, gesagt, Oberhausen sollte ein Versuch, eine Ausnahme sein; die Maßnahme sollte nur vorübergehend sein und wieder geändert werden.
Die Behauptung, daß dem Arbeiter dann mehr freie Sonntage gehörten als bisher, ist noch keineswegs voll bewiesen. Es wird dabei aber auch verschwiegen, daß weit mehr Arbeiter als bisher Sonntagsarbeit leisten müssen.
Die Katholische Arbeiterbewegung Deutschlands — und mit ihr viele andere konfessionelle Standesvereinigungen — warnte schon 1952 und nicht erst etwa 1957; auch die Bischöfe sprachen bereits im Jahre 1952. Es heißt in der Erklärung der Bischöfe ausdrücklich, daß sie es befürworten, wenn eine Arbeitszeitverkürzung angestrebt und etwa auch erreicht wird; nach christlicher Auffassung aber ist die Sonntagsarbeit nur dann erlaubt, wenn sie nicht nur vorteilhaft, sondern notwendig ist. Die Erklärungen gehen dann weiter, Erklärungen, die Sie aus der neuesten Zeit kennen.
Ich habe hier eine Nummer der „Ketteler Wacht" vom 1. März 1952, in der auch die Stellung der Kirche ihren Niederschlag findet. Wir wandten uns gegen diese Versuche also ohne Rücksicht auf Regierungsart und auf Zusammensetzung der Regierung, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen. Wir taten das auch nicht - ebensowenig die Bischöfe — aus religiöser Empfindlichkeit, sondern um des arbeitenden Menschen willen, um seiner Familie willen, um unserer Wirtschaft willen und um einer geordneten Gesellschaft willen.
Die Entwicklung ging nun weiter. Man machte aus dieser Ausnahme die Regel, aus dem Einzelfall wurden immer mehr Fälle, und aus dem Vorübergehenden wurde der Dauerzustand. Sowohl die Ausnahmebestimmung der Gewerbeordnung als auch die der Arbeitszeitordnung werden seit Jahren mißbraucht. Der Sonntag unterliegt dem öffentlichen Recht, er wird geschützt durch das Grundgesetz und durch die Verfassungen der Länder. Die Einführung der gleitenden Arbeitswoche wirft Probleme auf, die keineswegs schon jetzt zu überschauen sind. Was geschieht z. B., wenn ein Arbeiter aus Gewissensgründen die Sonntagsarbeit ablehnt? Erkennt man dies an, wie das ja auch bei der Wehrdienstverweigerung geschieht, oder wird man ihn entlassen?
Kann er sich auf das Grundgesetz, auf die Landesverfassungen berufen, die ja den Sonntag zu schützen versprachen? Oder gilt dieses Recht in diesem Fall nicht? Gilt für ihn das Kündigungsschutzgesetz, oder kann er fristlos entlassen werden? Hat er das Recht, darauf zu bestehen, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, oder hat auch am Sonntag die Produktion den Vorrang vor allen anderen Werten? Was geschieht, wenn andere, ja, wenn fast alle Unternehmer unter Bezugnahme auf das Grundgesetz, das ja gleiche Rechte und gleiche Chancen verspricht, ebenfalls die Genehmigung für die gleitende Arbeitswoche verlangen? Wird dann der Sonntag ganz abgeschafft, oder wie wird das Bundesgericht bei einem solchen Verlangen der Unternehmer entscheiden? Und wenn eine Reihe von Arbeitnehmern unter Einbeziehung des Sonntags die 42-Stunden-Woche erhalten, haben dann nicht alle Arbeitnehmer nach dem Grundgesetz Anspruch auf die gleiche Regelung? Alles das sind noch ungeklärte Probleme, die vor uns stehen und die zu großen Schwierigkeiten führen können.
Öffentliches Recht, Grundgesetz und Landesverfassung können nicht durch einen Tarifvertrag geschmälert oder gar aufgehoben werden.
Dennoch geschah dies. Nach monatelangen Verhandlungen, an denen auch die Vertreter der beiden christlichen Kirchen teilnahmen, wurden die letzteren plötzlich nicht mehr eingeladen, und zwischen der IG Metall und den Arbeitgebern wurde einfach ein Tarifvertrag abgeschlossen, der entgegen Grundgesetz und Landesverfassung, entgegen allen kirchlichen Vorstellungen die gleitende Arbeitswoche vorsah.
Es bedurfte nur noch der Genehmigung der Landesregierung, und diese wurde freizügig gegeben, nicht nur für einen Betrieb, sondern, wenn uns recht bekannt ist, gleich für 12 oder gar 14, und weitere Betriebe werden folgen. Die Zusicherung der Regierung, es bleibe bei diesen Ausnahmen, genügt uns nicht.
Das ist schon einmal versichert worden. Die Gewinnsucht hat ihre eigene Dynamik.
In einem Schreiben vom 28. März 1957 erklärt uns der Herr Justizminister von Nordrhein-Westfalen:
Die erteilten Ausnahmegenehmigungen zur Einführung der gleitenden Arbeitswoche wurden auf § 28 der Arbeitszeitverordnung gestützt. Die in der Arbeitszeitverordnung auf den Reichsarbeitsminister lautende Ermächtigung ist nach Art. 129 ,des 'Grundgesetzes auf die Arbeitsminister der Länder übergegangen. Die Arbeitszeitverordnung ist geltendes Recht, und zwar Bundesrecht. Dieselbe kann nur durch den Bundesgesetzgeber geändert werden.
Die Landesregierung stützt sich hier also gar nicht
auf die Ausnahmebestimmung der Gewerbeordnung, sondern nur auf den § 28, 'wie uns der Herr
Justizminister unter dem Schreiben vom 28. März
auf eine Anfrage mitteilt.
Für das deutsche Volk besteht keine zwingende Notwendigkeit, den Sonntag abzuschaffen und zum Arbeitstag zu machen. Hans Böckler, Christian Fette, Walter Freitag wandten sich gegen die gleitende Arbeitswoche und setzten sich für die Erhaltung des Sonntags ein. Willi Richter und andere namhafte Gewerkschaftsführer taten das gleiche. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, gemeinsam bemühen, die überhandnehmende Sonntagsarbeit zurückzudrängen und dem Sonntag den Charakter wiederzugeben, der ihm gebührt.
Die beiden christlichen Kirchen haben immer wieder betont, daß sie eine Verkürzung der Arbeitszeit besonders für den schwerarbeitenden Menschen begrüßen und dabei mitraten wollen, wenn es notwendig ist. Es muß andere Wege geben, um eine Verkürzung der Arbeitszeit zu verwirklichen. Es ist nicht Aufgabe der Kirchen, solche Pläne vorzulegen. Dennoch liegen solche konkreten Pläne vor, ohne gleitende Arbeitswoche die verkürzte Arbeitszeit zu erreichen. Diese Pläne sind wert, wenigstens ernsthaft geprüft zu werden. Man sollte das bald tun. Wir sprechen von den Errungenschaften und von dem Aufstieg der Arbeiterschaft, und zwar zu Recht. Zu diesen Errungenschaften für den Arbeiter darf die Abschaffung des Sonntags nicht gehören.
Wir erheben Anspruch darauf, zu den zivilisierten Kulturvölkern zu gehören. Ein Volk, das seinen Sonntag abschafft, zerschlägt sich selber seine kostbarsten Werte.
Es war stets die vornehmste Pflicht der Gewerkschaften, sich für den Aufstieg der Arbeiterschaft einzusetzen. Zu den Rechten des Arbeiters gehört sein Sonntag.
Wir erwarten von den Sozialpartnern, daß sie sich ernsthaft bemühen, mehr als bisher den Arbeiter von der Sonntagsarbeit frei zu machen und dennoch für ihn die Arbeitszeitverkürzung zu erreichen. Von der Bundes- und der Landesregierung erwarten wir, daß sie Mittel und Wege finden, den Ausnahmen der Gewerbeordnung und auch der Arbeitszeitverordnung den Charakter wiederzugeben, den sie ursprünglich hatten, nämlich den der im Interesse des Gemeinwohls und der technischen Notwendigkeiten erforderlichen Ausnahmen.
Lassen Sie uns bemüht sein, gemeinsam jene Lösungen zu finden, die sowohl dem technischen Fortschritt, der Arbeitszeitverkürzung für den Arbeiter, der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft als auch der Würde des arbeitenden Menschen gerecht werden. Zu dieser Menschenwürde gehört der freie Sonntag. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß der Sonntag Sonntag bleibt!
Das Wort hat der Abgeordnete Sträter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sabel, ich habe mit der Bezirksleitung von Nordrhein-Westfalen nichts zu tun; ich habe es mit dem Vorstand der IG Metall zu tun.
Die heutige Diskussion wird nach meinem Dafürhalten 40 Jahre zu spät geführt.
Es wäre nützlicher gewesen, damals Bedenken geltend zu machen und die Stimme zu erheben.
Nun ist es uns erst heute möglich; es ist zwar reichlich spät, aber trotzdem würde aus der Diskussion, die ja schon seit Monaten im Lande geführt wird, etwas Vernünftiges herauskommen können, wenn zu dieser Angelegenheit mehr Sachlichkeit gekommen wäre.
Wovon gehen wir aus? Hier ist wiederholt vom Hüttenwerk Oberhausen gesprochen worden. Die Genehmigung ist seinerzeit durch Herrn Arbeitsminister Ernst erfolgt, in der Regierung Karl Arnolds; das ist bekannt.
Die Verlängerungen sind von Jahr zu Jahr durchgeführt worden, seit 1953 bis zu der Amtsperiode des Herrn Dr. Schmidt, seinerzeit Arbeitsminister in der Regierung Arnold.
Damals haben — aus denselben Gründen wie heute — Besprechungen bei dem Herrn Arbeitsminister Dr. Schmidt stattgefunden, in seinem Dienstzimmer; beteiligt waren daran auch beide Kirchen. Diese Besprechungen seinerzeit, bei denen dieselben Bedenken eine Rolle spielten, haben dann zu dem sogenannten Oberhausener Professoren-Gutachten geführt. Diese fünf Professoren sind bestellt worden von der Landesregierung
und auf Kosten der Landesregierung, die Arnold hieß.
Ich sage das deswegen, weil man in der öffentlichen Diskussion versucht, die Rollen zu vertauschen.
Diese Professoren, zu denen auch Herren beider Kirchen gehörten, haben sich, ich möchte sagen, in einem Ausmaß bemüht, wie es wohl selten vorzufinden ist; sie haben sich nicht mit dem abgefunden, was etwa Arbeitgeber oder Gewerkschaften gesagt haben, sondern sie sind im Lande und außerhalb unseres Landes umhergefahren und haben sich dort die Verhältnisse angesehen. Herr Arbeitsminister Storch, aus dem Oberhausener Gutachten geht hervor, wie im Rahmen der gesamten Montanunion und darüber hinaus wie in England und wie in Amerika gearbeitet wird. Ich will noch hinzufügen, daß ich selber vor einigen Monaten Gelegenheit hatte, in London zu sein; dort war ich etwas überrascht, weil dort der Sonntag — etwa im Gaststättengewerbe usw. — eine ganz andere Bedeutung hat als bei uns.
Ich war aber ebenso überrascht, als ich in der Nähe von Coventry ein Stahlwerk gesehen habe, in dessen Betriebsabteilungen seit Jahren kontinuierlich produziert wird. Es wird wohl niemand behaupten wollen, daß das eine östliche Importware sei. Das ist der Ausgangspunkt.
Nun ein Zweites. Wie sahen denn die Arbeitsverhältnisse bisher aus? An den Hochöfen und in den Kokereien wurde noch bis zum vorigen Jahre 56 Stunden, in den Siemens-Martin-Werken noch bis zum 1. April dieses Jahres 53 1/3 Stunden gearbeitet und in allen übrigen Abteilungen im Schnitt gesehen — ohne Sonntagsarbeit und Sonntagsreparaturen — 48 Stunden. Es ist bereits von dem Kollegen Sabel dargestellt worden, daß — ich möchte sagen: leider — im Schnitt gesehen 40 bis 50 % und noch mehr der Belegschaften sonntags auf den Hüttenwerken gewesen sind. Wesentlich unter diesen Prozentsatz wird man nicht kommen.
Die Fragen bezüglich der Hochöfen haben — Herr Kollege Sabel, das haben Sie selber zugegeben — mit der Diskussion um die kontinuierliche Arbeitsweise gar nichts zu tun. Die Arbeit an den Hochöfen wurde bereits 1895 von den Bestimmungen über die Sonntagsruhe ausgenommen, weil die Leute damals schon gewußt haben, daß man einen Hochofen sonntags nicht wie einen Zimmerofen in der Wohnung abdrehen kann. Es ist auffällig, daß beispielsweise die „Ruhr-Nachrichten" vom 7. April berichten: „Nun kommt die böse IG Metall und will auch noch bei den Hochöfen die kontinuierliche Arbeitsweise." Hier hat diese Arbeitszeit seit Ewigkeit bestanden. Wer die Dinge hier kennt, weiß, daß es nicht anders sein kann. Man kann diese Nachricht nur als einen Versuch bezeichnen, die Öffentlichkeit falsch zu unterrichten.
Bis zum Jahre 1918 waren die Arbeitsverhältnisse in den Hochofenbetrieben und in den Kokereien, die von der Bundesratsverordnung ausgenommen waren, bei dem damaligen Zweischichtensystem so, daß die Leute entsprechend der Gewerbeordnung alle 14 Tage einen freien Sonntag hatten. Dann kamen sie am Sonntagmorgen von der Schicht nach Hause. Auf der anderen Seite mußten sie ,aber alle 14 Tage nicht nur 12, sondern 24 Stunden in einem Zug am Hochofen arbeiten. Es wäre sicher nützlich gewesen, wenn man sich damals gegen diese Dinge auch so sehr ereifert hätte, wie das offensichtlich heute geschieht.
Nach 1918 bekamen wir die Achtstundenschicht. Das führte dazu, daß jede dritte Woche die 16 Stunden verfahren werden mußten; diesen Zustand hatten wir noch bis vor einigen Monaten. Ich bin froh und glücklich, daß wir davon heruntergekommen sind und daß wir in der vorigen Woche erreicht haben, daß auch bei den Hochofenbetrieben die Arbeitszeit nun endlich auf 42 Stunden herabgesetzt worden ist.
Ich komme nun zu den Siemens-Martin-Elektrostahlwerken, Blockstraßen erster Hitze. Es wird hier davon gesprochen, es müsse den Tarifpartnern möglich sein, Regelungen zu finden, die Arbeit am Sonntag einzustellen, ohne daß dadurch die Produktion vermindert wird. Die Diskussion hierüber läuft schon seit 1952. Wir haben von uns aus, bevor diese Fragen überhaupt spruchreif wurden, unsere Wünsche in zentralen Verhandlungen mit den Herren ,der Evangelischen und der Katholischen Kirche besprochen; die Delegation der katholischen Seite stand unter Führung des Herrn Weihbischof Dr. Hemsbach. Diese Gespräche sind sehr freundschaftlich geführt worden, und, Herr Kollege Even, sie sind nicht von uns ,abgebrochen worden. Es wurde uns vielmehr von seiten der Herren Bischöfe mitgeteilt, nachdem der Abschluß erfolgt war, daß eine Fortführung der Gespräche im Augenblick nicht mehr erwünscht sei. Wir haben ein Antwortschreiben verfaßt und haben diesen Abbruch sehr bedauert. Man kann sich nämlich vorstellen, daß man, auch wenn ein Vertrag abgeschlossen ist, sich wohl überlegen kann, wie man die Schichtpläne zweckmäßiger macht. Es genügt nicht, nur nein zu sagen, sondern man muß auch darlegen, wie es denn gemacht werden soll, wenn man das und jenes berücksichtigen soll.
Ausgangspunkt der Überlegungen war — das will ich hier ganz konkret sagen — nicht etwa, wie es eine Gruppe — erfreulicherweise nur eine kleine — darzustellen versucht, der Gedanke: „Weg vom Sonntag!", sondern das Motiv des Handelns war: zum Sonntag zurück!
Natürlich hat uns auch bewogen, daß der Prozentsatz der Frühinvaliden in den Hütten und insbesondere in diesen Betrieben bedenklich hoch ist. An dem Beispiel Oberhausen hat sich gezeigt, daß hier die Zahl der Kranken gegenüber allen anderen Siemens-Martin-Werken um ein Beträchtliches gesunken ist.
So steht die Frage und gar nicht anders.
Wer sich einmal die Sonntagsreparaturarbeiten .in den Stahlwerken angesehen hat - es sind nicht immer Stahlwerksleute, die die Reparaturen machen, sondern Leute aus den Bauabteilungen, Maurer insbesondere —, wird festgestellt haben, daß die Menschen teilweise in die Öfen hineinkriechen müssen mit nur einminütiger Pause, und trotzdem kippen sie um wie die Fliegen. Eine Umstellung dieser unwürdigen Verhältnisse ist erreichbar durch das Durchlaufen an den Sonntagen mit der Zielsetzung und mit der Bedingung, daß die Öfen, wenn sie reparaturreif sind, vom Betrieb abgehängt werden und erkalten, so daß die Reparaturen unter menschenwürdigeren Verhältnissen durchgeführt werden können.
Auch dieses Argument sollte Beachtung finden.
Gegen die Kritik der Herren Bischöfe — auch ich habe das Schreiben heute morgen zu Gesicht bekommen — haben wir nie und zu keiner Zeit Einwendungen erhoben. Wir haben um die Gespräche nachgesucht, und sie sind geführt, aber leider unterbrochen worden. Wir sind zu jeder Zeit und Stunde bereit, Herr Kollege Even, uns auch die neuen Pläne anzusehen. Ganz selbstverständlich! Das ist kein Ewigkeitszustand und soll auch kein Dauerzustand bleiben. Es ist nur die Frage, was man und wie man es ändern kann, und das habe ich auch von Ihnen heute morgen nicht erfahren können.
Ich bekam im Bundesarbeitsministerium die Frage gestellt: Ist es technisch notwendig, an den Sonntagen durchlaufen zu Lassen? Meine Antwort: Das ist nicht technisch notwendig; davon kann keine Rede sein. Meine Herren, Sie können technisch das Martin-Werk, um das freie Wochenende zu bekommen, am Samstagmorgen um 6 Uhr zumachen, eine Ofenwache hinstellen, damit die Wärmegeschichte überwacht werden kann, und Montag morgen 6 Uhr wieder anfangen. Das ist technisch absolut möglich.
Aber darum dreht es sich ja gar nicht. Die Frage ist, ob man es will; und da hätte ich gern von dem Herrn Bundesarbeitsminister die Frage beantwortet, ob man das will,
mit den Konsequenzen, die darinstecken. Wenn ich an die guten oder schlechten oder bösen Ermahnungen des Herrn Erhard bei anderen Anlässen denke, anläßlich des Streiks der bösen Metallarbeiter in Schleswig-Holstein, muß ich sagen: ich hätte einmal erleben wollen, was man uns serviert hätte, wenn wir gesagt hätten: Samstag morgen ist Schluß; der freie Samstag und Sonntag gehört den Stahlarbeitern!
Meine Damen und Herren, s o ist die Fragestellung; und ich bin eigentlich glücklich darüber, daß das auch bei den Besprechungen mit den kirchlichen Stellen anerkannt und akzeptiert worden ist. Nirgendwo sind uns so komische Unterstellungen gemacht worden.
Ich bin auch erfreut darüber, daß bei einer Besprechung bei dem Herrn Ministerpräsidenten ein Vertreter des Erzbischöflichen Generalvikariats — ich glaube, es war Herr Dr. Panzer — sich von diesen unqualifizierten Bemerkungen distanziert hat.
Herr Kollege Even, wenn man sieht, daß da
im Lande herumgereist wird — ich mache das nicht Ihnen zum Vorwurf —, z. B. im Saargebiet, und gesagt wird — sehen Sie sich dieses Flugblättchen an —: „Die IG-Metall schafft den Sonntag ab!
Kommt alle in die christlichen Gewerkschaften", dann hat man ja so eine kleine Ahnung, was mit dieser Geschichte angestrebt wird.
Ich will mich nun einer Angelegenheit zuwenden, die ich schon brieflich zu klären versucht habe. Ich hatte gemeint, das sei möglich, aber ich habe mich getäuscht; ich habe festgestellt, daß das keinen Sinn hat. Ich meine den Herrn Bundesminister für Familienfragen, Herrn Wuermeling.
Vor mir liegt eine Pressenotiz aus der „Main-Post" vom 4. Februar 1957. Ich darf sie zitieren:
Bundesfamilienminister Dr. Franz — usw. —
Wuermeling, der am Freitagabend im Tauberbischofsheimer Winfriedheim zum Abschluß eines katholischen Eheseminars das Wort ergriff, richtete bei dieser Gelegenheit einen scharfen Angriff gegen die IG Metall, von der Versuche gemacht würden, die sogenannte gleitende Arbeitswoche einzuführen. Der Minister nannte diese Bestrebungen einen verbrecherischen Versuch
zur endgültigen Entweihung und Entheiligung des Sonntags und erklärte, die Funktionäre
der IG Metall, die solche marxistischen Gedanken in die westliche Demokratie einschmuggeln wollten, täten gut daran, sich möglichst sofort zu ihren Gesinnungsgenossen in der Sowjetzone abzusetzen.
Ich habe in dem Schreiben an Herrn Minister Wuermeling zum Ausdruck gebracht, daß es doch nützlicher wäre, wenn man sich, bevor man sich zu solchen diffamierenden Äußerungen verstiege, einmal die Verhältnisse in den Werken angesehen hätte, einmal auf eine Ofenbühne eines SiemensMartin-Werkes geklettert wäre
oder etwa einmal in die Familien der Stahlarbeiter gegangen wäre. Ich glaube, es wäre bei Anwendung von Vernunft — das setze ich voraus —
zu solchen diffamierenden Bemerkungen nicht gekommen.
Herr Wuermeling antwortet in seinem Schreiben, daß er das Wort „verbrecherisch" nicht benutzt habe,
bestätigt aber im übrigen das hier inhaltlich Gesagte.
Es handelt sich hier um Äußerungen, die auf der Linie dessen liegen, was in der Debatte der vorigen Woche gegenüber meinem Freund Wehner gesagt worden ist. Mir scheint hierin ein System zu liegen.
An einer anderen Stelle — diesmal nicht Herr
Wuermeling — wird gesagt, um das Linsengericht
von drei Stunden habe man den Sonntag verkauft.
Ich finde hier noch eine Bemerkung des Herrn Kollegen Wullenhaupt auf einer Veranstaltung in Rheinhausen. Es ist mir berichtet worden, daß das gesagt worden sei. Herr Kollege Wullenhaupt hat danach gesagt, es sei doch eigentümlich, daß man diesen Vertrag am 21. Dezember 1956 abgeschlossen habe, das sei gerade Stalins Geburtstag.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich überlasse Ihnen das Urteil über solche Entgleisungen.
Wir haben eine Reihe von Betriebsbesichtigungen unter Beteiligung der Presse gemacht — ich zitiere hier nur einen Vorgang; ich glaube, es war bei der Westfalenhütte —, an denen auch der Herr Chefredakteur der „Ruhr-Nachrichten", Herr Schmelzer, teilgenommen hat. Wir haben dort diese Dinge in aller Freundschaft diskutiert. Ich habe ihm auch wieder sagen müssen — übrigens auch anderen Herren —: Machen Sie uns einen Vorschlag, wie man das machen kann; nein zu sagen, nutzt uns nichts, wenn uns hier einer bescheinigt, das sollen wir verschmerzen können — wie es auch hier angeklungen war —, unsere Kol-
legen in diesen Betrieben sind die letzten, die auf diese Sonntagsproduktion verrückt sind; das soll sich keiner einbilden. Ein Weg wurde auch von Herrn Schmelzer nicht gezeigt. Und siehe da, am G. März 1957 lautet ein Leitartikel „Gestürzter ,Sonntag". So etwas ist doch nur möglich, weil Nordrhein-Westfalen — das muß doch fürchterliche Schmerzen verursacht haben —eine sozialdemokratisch geführte Regierung hat.
Ich muß nun noch eine Frage an den Herrn Wuermeling stellen. Herr Minister, zählen Sie auch die Herren Arnold, Ernst, Dr. Schmidt, Hans Platte und den Arbeitsminister von RheinlandPfalz zu den Ostimporteuren? Zählen Sie etwa die Herren der FDP und des Zentrums in der Landesregierung Nordrhein-Westfalen — das ist nämlich ein einstimmiger Kabinettsbeschluß gewesen — auch zu den Ostimporteuren? Ich glaube, das wollten Sie nicht sagen, weil es Ihre Freunde sind. Ich will Ihnen aber sagen, daß mir das sehr ehrenwerte Herren sind, alle genannten.
Es sind doch die Herren unter der Regierung Arnold gewesen — wahrscheinlich nicht ohne Grund —, die diese sogenannte Transportaktion aus dem Osten vorgenommen haben.
Auf das Gutachten habe ich bereits hingewiesen. Ich glaube, Herr Wuermeling, Sie haben zu viel an das Wahljahr 1957 gedacht, und es wäre sehr viel nützlicher sowie der Sache und dem Sonntag sehr viel dienlicher gewesen, wenn hier nicht so viel im Trüben gefischt worden wäre.
Ich bleibe also bei dem, Herr Wuermeling, was ich Ihnen in meinem Brief vom 11. Februar geschrieben habe, daß nämlich solche Methoden zu einer Vergiftung der öffentlichen Meinung führen, die der Demokratie in keiner Weise dienlich ist. Ich bleibe ferner dabei, es wäre besser gewesen, Sie hätten sich nicht nur von Herrn Dr. Paulus, dem Direktor des Katholischen Kirchentages — der meine volle Hochachtung genießt, auch heute —, über die Zustände informieren lassen, sondern hätten sich selber in die Hüttenbetriebe begeben, am Sonntagmorgen gegen 5 Uhr. Dann mußte man natürlich etwas früher aufstehen. Daß ohne wirkliche Kenntnis der Tatbestände solche unqualifizierten Angriffe gegen die beteiligten Gewerkschaften gerichtet werden, habe ich bisher seitens eines Bundesministers nicht für möglich gehalten.
Ich darf Ihnen, Herr Wuermeling, auch das Schreiben in Erinnerung rufen, das Ihnen mein Vorstandskollege und wiederum Ihr Parteifreund Fritz Biggeleben geschickt hat. Ich hätte angenommen, daß Sie daraufhin etwas die Dinge korrigiert hätten. Das ist nicht geschehen.
Ich kann mich in diesem Punkte auch auf eine Feststellung des Sonntagsblattes „Der Sonntag", Limburg, 17. März, beziehen — vielleicht notieren Sie sich das bitte auch, Herr Wuermeling —: Es wäre ein Kurzschluß zu meinen, diese Bestrebungen — die wir heute diskutieren — kämen aus einer antireligiösen Haltung. Sie haben ein an sich sehr ehrenwertes Motiv, und hier will man uns eben das Antireligiöse bewußt aus wahltechnischen Gründen unterschieben.
Sie brauchen sich also gar nicht zu wundern, Herr Wuermeling, wenn man nicht mehr in der Lage ist, auf Fragestellungen in den Betrieben wie etwa: „Ist das so leicht möglich, Bundesminister zu spielen, wie bei Herrn Wuermeling?" zu antworten.
Auf der anderen Seite waren wir erfreut darüber, daß es Herr Präses Held nicht für überflüssig gehalten hat, die Westfalenhütte zu besichtigen. Er hat sie vorher besichtigt, er will sie auch nach der Umstellung wieder besichtigen. Dias hätte er auch haben können, wenn er Oberhausen mit der Westfalenhütte verglichen hätte. Aber das ist eine Entscheidung des Herrn Präses Held selbst.
In den Pressediensten der evangelischen Seite wird festgestellt, daß an der befristeten Genehmigung der gleitenden Arbeitswoche in — wie es hier heißt — „begründeten Einzelfällen festgehalten werden müsse, da neue Verfahren ..." usw.
Ein weiteres Zitat: Es ist um der Menschen willen eine zwingende Notwendigkeit, die Arbeitszeit von 53,3 Stunden in der Woche in den Stahlwerken zu beseitigen, ohne durch eine Verminderung der Stahlerzeugung die Arbeitsplätze in der gesamten Wirtschaft zu gefährden. Herr Oberkirchenrat D. Karrenberg — meine Damen und Herren, das sind Zitate von der evangelischen Kirche Rheinland, die protokollmäßig festliegen — erklärte bei einer Besprechung beim Herrn Ministerpräsidenten Steinhoff am 15. Februar 1957: „Die evangelische Kirche hat zu dem Abkommen nie nein gesagt. Sie hält es für ausgeschlossen, daß etwa in dem Bereich, für den das Abkommen gilt, die früheren Verhältnisse wiederhergestellt werden."
Die Kirche hat nur das Argument geltend gemacht, daß die kontinuierliche Arbeitsweise nicht die letzte Lösung sein sollte, und zwar mit Rücksicht auf den Sonntag und mit Rücksicht auf den Menschen.
Vor allem muß die Gefahr vermieden werden, daß die Ausnahme ein Berufungsfall wird und alles ins Rollen bringt.
Wir haben auf dieser Konferenz erklärt: Herr Karrenberg, hundertprozentig unsere Meinung, hundertprozentig auch die Meinung der SPD-Bundestagsfraktion.
Ich möchte noch dem Herrn Bundesarbeitsminister ein kurzes Wort sagen. Der Herr Kollege Sabel hat erklärt: Es hätte erst das Gesetz erlassen werden müssen; wieso kommen die Tarifparteien dazu? In dem Tarifvertrag ist der Vorbehalt gemacht worden, daß er nur dann in Kraft tritt, wenn es auf der Gesetzesbasis möglich ist. Wir sind in in der ganzen Debatte gar nicht so sehr auseinander, mit der einen Ausnahme der schäbigen Diskussionsbeiträge, die sich hoffentlich selbst richten.
Ich möchte meinen, daß Sie, Herr Minister Store, eigentlich seit 1953 Zeit gehabt haben.
Auch damals haben diese Dinge eine Rolle ge-
spielt. Seit dem Augenblick, da das Gutachten von neutralen Professoren vorlag, haben Sie sehr viel Zeit gehabt, die auch von Ihnen heute bejahte Veränderung der Bundesratsverordnung von 1895 zu erledigen.
Uns wäre dann heute mancher Kummer erspart geblieben.
Ich weiß, daß das eine schwierige Sache ist, und wir sollten uns alle miteinander bemühen, die Grenzen so eng wie möglich zu ziehen.
Wir haben es beispielsweise abgelehnt, auch die Thomasbetriebe mit einzubeziehen. Daran denken wir gar nicht! Wer aber behauptet, bei den Siemens-Martin-Werken mit ihrer Arbeitsbelastung in den zurückliegenden 40, 50 Jahren sei das eine Sonntagswegnahme, der sagt wider besseres Wissen die Unwahrheit.
Wir sind damit einverstanden, daß nur Gründe allgemeiner Art in Frage kommen sollen, die das ganze Volk interessieren, und nicht Gründe des Unternehmens X oder des Unternehmens Y.
Völlige Übereinstimmung! Ich weiß nur nicht, warum wir hier darüber diskutieren, Herr Kollege Sabel. Die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage hätten Sie von Ihrer Regierung wahrscheinlich auch besser bekommen können.
Wir sind ferner damit einverstanden — ich will jetzt nicht in Einzelheiten einsteigen —, daß die Prüfung nicht nur bei Eisen und Stahl, sondern auch in den übrigen Wirtschaftsbereichen erfolgt. Ich will hoffen, daß dabei etwas mehr herauskommt und daß wir die Sache dann nicht hier wieder ins Gegenteil diskutieren, wie etwa beim Ladenschlußgesetz, wo man dann nachher darüber diskutierte, ob man in den Badeorten an den Sonntagen die Geschäfte offenlassen und wie lange man sie offenlassen sollte.
Nur ein kurzes Wort zu dem Schreiben des Herrn Erzbischofs von Köln vom 6. April, der die Dinge offenbar noch nicht richtig sieht. Er sagt, man solle doch nicht darüber hinwegsehen, daß diese Wohltat der 13 freien Sonntage — der freien Kalendersonntage, nicht der angeschnittenen Samstage oder Montage — dadurch erkauft werde — der Ausdruck kommt hier wieder —, daß die übrigen 39 Sonntage des Jahres ganz normale Arbeitstage würden. Das sind sie seit 40 Jahren! Das brauchen sie gar nicht mehr zu werden.
— Richtig. Bei dieser Regelung bekommen die Menschen mindestens einmal im Monat einen freien Sonntag, eingebettet in einen freien Samstag und einen freien Montag.
Das sind 72 Stunden Ruhezeit!
— Das ist das mindeste. Wir sind mit allen an der Debatte Beteiligten, mit allen Gutwilligen der Meinung, daß man sich noch einmal bemühen sollte. Vielleicht findet jemand ein Rezept. Wir waren
trotz der ganze Jahre Arbeit an dieser Frage nicht so schlau.
Es kann auch keine Rede davon sein, daß sich dabei irgendeiner überfahren fühlen könnte. Das klang in dem ersten Schreiben des Herrn Frings an meine Adresse so etwas an. Wir haben ausdrücklich mit Herrn Hemsath darauf hingewiesen, daß wir monatelang in Verhandlungen stecken und daß man nach unseren Vorstellungen die Hüttenbetriebe anders behandeln muß als die verarbeitenden Betriebe. Die Hüttenbetriebe kann man samstags nicht einfach zumachen. Bitte, seien Sie uns nicht böse: Wenn es uns gelingt, zum Abschluß zu kommen, dann soll das kein Affront gegenüber den Herren sein, die mit uns diese Gespräche geführt haben. Herr Kollege Even, Ihre Behauptung, hier würden gesetzliche Bestimmungen durch den Tarifvertrag außer Kraft gesetzt, können Sie beim besten Willen nicht aufrechterhalten, wenn Sie den Tarifvertrag einmal durchlesen.
Ich will nur noch auf das Zitat von Walter Freitag hinweisen, das uns schon einmal in der Debatte begegnet ist. Die Verhältnisse sind ja auch von dem Herrn Storch richtig dargestellt worden. Es war damais das Anliegen der Alliierten — nicht nur der Engländer -, urn mehr Tonnen zu fördern, die kontinuierliche Arbeitsweise in sämtlichen Hütten einzuführen. Das haben wir abgelehnt, und zwar entschieden abgelehnt,
mit der gleichen Argumentation — Bedeutung des Sonntags —, die wir heute diskutieren. Hier sitzt der Kollege, der in Oberhausen im Aufsichtsrat sitzt. Er wird mir bestätigen müssen, daß wir erst recht spät, nachdem die Dinge bereits mit dem Arbeitsminister Ernst, der Werksleitung und den Betriebsräten in Oberhausen vollständig ausgehandelt waren, diesen Vorgang in dem Tarifvertrag erfaßt haben, gerade um die Ausweitung zu verhindern, und das sind auch die Argumente des jetzigen Vertrags.
Sie müssen davon ausgehen, daß ab 1. April die Arbeitszeit in den Hütten auf 45 Stunden zurückgedrängt ist. Darin steckt der Tatbestand, daß eine ganze Menge von Sonntagsreparaturen jetzt in die Woche verlagert worden ist und in der Woche verrichtet werden muß.
Über den Rahmen der Stahlwerke hinaus werden wir bei der gesamten Hüttenarbeiterschaft einen erheblichen Fortschritt in bezug auf die freien Sonntage erzielen. Es wird mehr freie Sonntage geben.
Um dieses Ziel anzusteuern, haben wir beispielsweise auch festgelegt, daß, wenn trotzdem eine Reparatur an einem Sonntag notwendig ist — das soll es ja wohl geben, Kollege Sabel, darüber sind wir uns doch klar —, der Mann dafür in der Woche eine Schicht frei hat. Warum haben wir das getan? Wir haben diese Regelung deshalb vereinbart, um dem Kollegen jeden materiellen Anreiz zu der Arbeit am Sonntag zu nehmen.
Diese Regelung hat bereits heilsame Wirkungen gehabt.
Ich möchte also recht herzlich darum bitten, daß sich die von mir angesprochenen Herren — vor
allen Dingen Herr Wuermeling — doch daran gewöhnen sollten, nun nicht absolut schon jetzt, am Beginn des Jahres 1957, in Wahlagitation zu machen. Sie können uns auch nicht als „Ostprovokateure" beschimpfen. Es handelt sich nämlich diesmal tatsächlich nicht um eine aus dem Osten exportierte Ware, sondern um eine Exportware aus dem Westen, mit dem Sie ja den Montanunionvertrag, mit dem Sie ja die NATO und alle diese Dinge gemacht haben. Das sollte man sich dabei überlegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sträter, Sie haben Mich in Ihren Ausführungen zweimal zitiert. Ich bin absolut nicht der Meinung, daß ich Ihnen nicht eine sehr klare Antwort auf die an mich gerichteten Fragen geben sollte.
Sie haben gesagt, technisch sei es sehr wohl möglich, schon am Samstagmorgen um 6 Uhr die Betriebsanlagen, um die es sich hier handelt, abzustellen. Dann könne man sogar das verlängerte Wochenende einführen. Sie haben — wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Kollege Sträter — gefragt, wie wir zu dieser Frage stehen.
Ich denke nicht daran, den gewerkschaftlichen Organisationen das Recht, das Ihnen durch das Tarifvertragsgesetz gegeben worden ist, zu nehmen. Ich denke aber auch nicht daran, Dinge vorwegzunehmen und den Gewerkschaften zu entziehen, die bei der Lösung der Arbeitszeitfrage nun einmal als eine Frage an die Tarifpartner herankommen, und vielleicht kann die Diskussion dieser Frage in dem einen oder anderen Punkt auch einmal sehr unangenehm werden. Das sage ich Ihnen in aller Offenheit.
Wir sollten bei dieser Erörterung doch auch die Gewichte nicht verlagern, Herr Kollege Sträter. Um was handelt es sich im wesentlichen bei dieser Großen Anfrage, und was habe ich in der namens der Regierung gegebenen Antwort dargelegt? Ich habe die allgemeinen Auffassungen über die Fragedargelegt, ob man die Sonntagsheiligung im weitesten Maße gesetzlich fundamentieren soll, um so den Sonntag nicht abgleiten zu lassen. Diese Frage hängt gar nicht mit Tarifverträgen zusammen. Wenn wir in einer gesetzlichen Regelung ein Verbot der Sonntagsarbeit ,aussprechen, dann haben sich eben 'die Tarifpartner, wenn sie einzelne Fälle besonders behandeln wollen, nach diesen gesetzlichen Bestimmungen zu richten. Ich glaube, darüber brauchen wir uns doch gar nicht zu unterhalten. Ich möchte deshalb, daß diese Auseinandersetzung nicht abgleitet.
Dann kommt aber noch eine Frage. ,Sie haben mich gefragt, warum wir denn nicht schon im Jahr 1953, als die Genehmigung für Oberhausen gegeben worden ist — so habe ich es ja wohl richtig verstanden —, bereits an eine gesetzliche Umgestaltung der entsprechenden Paragraphen herangegangen sind. Herr Kollege Sträter, wir alle, die wir diese Jahre im öffentlichen Leben mitgemacht haben, ganz gleichgültig ob es auf der politischen oder auf der gewerkschaftlichen Bühne war, wissen doch, daß wir in diesen Jahren manches haben hinnehmen müssen, um eben den Lebensstandard unseres Volkes erhöhen zu können. Wir sind ja eine Zeitlang sogar hergegangen und haben die Bergleute direkt darum gebeten, eine Sonntagsschicht zu verfahren, damit die Menschen nicht zu frieren brauchten.
Wenn im jetzigen Moment diese Diskussion aufkommt, dann kann sie meines Erachtens für alle Beteiligten nur gut sein.
— Ja, Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob ich hier wirklich etwas Unsachliches gesagt habe. Ich bin der Meinung, wir stehen 'heute an einem Punkt, wo wir uns sehr wohl die Frage vorlegen können, auch wirtschaftlich gesehen, ob wir alle die Übergangsmöglichkeiten, die wir zugelassen haben, um das Volk aus dem Dreck wieder herauszubringen, in dem es gesteckt hat, heute nicht wieder revidieren und einen Zustand herstellen können, der unserem Volk seinen Charakter — —
— Ja, Herr Kollege Richter, wir sind an diesen Dingen dran, und Sie werden die entsprechenden Vorlagen von der Regierung bekommen. Ich möchte nur, daß wir uns heute morgen nicht um nebensächliche Dinge, die nicht direkt mit der Frage zusammenhängen, den Kopf heiß reden und dabei das wirklich Gewollte übersehen. Denn hoffentlich können wir uns weitgehend darin zusammenfinden, daß wir unserem Volk, das nun einmal ein christliches Volk ist, einen Sonntag erhalten, den man als christlichen Sonntag bezeichnen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bundesminister für Familienfragen, Herr Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich als Bundesminister und Abgeordneter dieses Hauses in ,der Debatte angegriffen werde, ist es nicht nur mein Recht, sondern meine Pflicht, zu diesen Angriffen Stellung zu nehmen. Ich halbe allerdings nicht die Absieht, in meiner Stellungnahme in den Tonfall des Herrn Kollegen Sträter zu verfallen,
sondern ich möchte die Dinge mit dem Ernst und der Sachlichkeit behandeln, die dieser sehr grundsätzlichen Frage zukommen. Ich nehme, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, für mich das selbstverständliche Recht in Anspruch, genauso in Ruhe angehört zu werden, wie ich mir die Angriffe ruhig angehört habe. Daß es Ihnen mitunter unangenehm ist, Dinge sachlich klargestellt und berichtigt zu sehen,
besonders wenn die Debatte auf grundsätzliche Dinge kommt, ist mir vollauf bewußt. Aber, meine Damen und Herren, ich habe ja wohl die Aufgabe, Äußerungen von mir, die hier entstellt oder aus
dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben worden sind und so einen völlig falschen Eindruck erwecken, klarzustellen.
Ich möchte das, was ich draußen mehrfach in dieser oder jener Form erklärt habe, hier zur Begründung im Zusammenhang sagen.
Die gleitende Arbeitswoche bedeutet doch wohl einen jedem erkennbaren und sichtbaren höchst gefährlichen Einbruch des Wirtschaftslebens in den gemeinsamen Sonntag und damit in das Gemeinschaftsleben unserer Familie. Deswegen hatte der zum Schutz der Familie und ides Familienlebens bestellte 'Bundesminister die Pflicht,
in dieser Frage zum Schutz und zur Sicherung des Sonntags als des Tages der Familie in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
Ich habe in meiner politischen Tätigkeit noch nie danach gefragt, ob meine Stellungnahme diesen oder jenen liberalistischen oder sozialistischen Verfechtern materiell-wirtschaftlicher Interessen gefällt oder nicht.
Beim Thema Familie geht es ebenso wie beim Thema des Sonntags in erster Linie um ideelle, um ethisch-sittliche Werte,
Werte, die sich nicht in Mark und Pfennig
wägen und auszählen lassen. Deshalb haben die Verfechter materieller Interessen es rechnerisch sicher nicht schwer, wenn sie so eine Art rein kaufmännische Bilanz über Wert oder Unwert der gleitenden Arbeitswoche aufmachen.
Eine solche Bilanz kann leicht zu ihren Gunsten sprechen, weil in ihr die ideellen, die ethisch-sittlichen Werte nicht ausgewiesen werden, weil eine Abschreibung dieser Werte sich in der rein rechnerischen Bilanz nicht ausweisen läßt. Es wäre aber schlimm um unser Volk bestellt,
wenn es nur in Mark und Pfennig zu denken vermöchte, wenn es selbst ein so hohes Gut wie den Sonntag als den gemeinsamen Feiertag aller in seiner beherrschenden Stellung im Rhythmus des Volks- und Arbeitslebens aus kaufmännischer Berechnung zu verdrängen bereit wäre.
Bei der Debatte, die wir hier führen,
geht es um nichts anderes als den Vorrang — —
— Meine Damen und Herren, ich bin mir völlig bewußt, daß es Ihnen höchst unangenehm sein muß,
wenn diese Debatte auf das Grundsätzliche der Dinge zurückgeführt wird.
Ich nehme aber für mich das Recht in Anspruch, das, was ich draußen im Lande gesagt habe, hier vom Grundsätzlichen her zu begründen.
Es geht also um nichts anderes als um den Vorrang ethischer Werte vor den materiellen Werten. Wir müssen zwei Dinge — und das ist bisher nicht genügend geschehen — klar voneinander scheiden: erstens das Thema Sonntagsarbeit als solche und zweitens das Thema der sogenannten gleitenden Arbeitswoche. Ich bitte Sie nochmals, diese Dinge getrennt zu sehen und getrennt zu behandeln.
Über das erste Thema der Sonntagsarbeit als solcher dürfte eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit im Hohen Hause kaum bestehen.
Wir alle sind der Meinung, daß Sonntagsarbeit nur im unbedingt notwendigen Rahmen vereinbart und genehmigt werden soll und darf, d. h. soweit sie aus rein fertigungstechnischen Gründen oder zur lebenswichtigen Versorgung der Bevölkerung unerläßlich ist, aber nur in diesem Rahmen.
Wir sind wohl auch einig darüber, daß die Maßstäbe hier im Laufe der Zeit erheblich ausgeweitet worden sind und daß deshalb mehr als bisher von Sozialpartnern und Behörden auf strenge Handhabung der Vorschriften über die Sonntagsruhe geachtet wird. Abweichende Meinungen in dieser Frage der Sonntagsarbeit als solcher können meines Erachtens nur dem Grade nach, aber nicht im Grundsätzlichen bestehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Meine Damen und Herren, ich bitte mir zu gestatten, die Reihenfolge
meines Gedankengangs selbst zu bestimmen, und bitte deshalb, Zwischenfragen am Schluß zu stellen. Ich werde auf etwa beabsichtigte sachliche Zwischenfragen ungefragt antworten. Etwaige unsachliche Zwischenfragen zu beantworten dürfte sich erübrigen.
Nach dieser Klarstellung, daß es einerseits um das Thema Sonntagsarbeit überhaupt
— wenn Sie zugehört hätten, wäre es Ihnen klargeworden, Herr Kollege —
und andererseits um das Thema „gleitende Arbeitswoche" geht, möchte ich das Grundsätzliche zur gleitenden Arbeitswoche sagen, was ich draußen vertreten habe, weil ich auch in diesem Hause für das geradestehe, was ich im Lande draußen sage.
Es geht darum, daß bei der gleitenden Arbeitswoche in bestimmten Produktionsbereichen — S-M-Stahlwerke, Elektrostahlwerke und in Verbund damit arbeitende Blockstraßen erster Hitze — die Institution des Sonntags als solche beseitigt wird, indem in der betrieblichen Arbeitsteilung der Sonntag genau wie jeder Werktag behandelt wird.
— Was Sie jetzt dazwischenrufen, trifft nicht zu. Lesen Sie sich die Vorschriften der Gewerbeordnung daraufhin einmal durch!
Die Sonntagsarbeit soll also in diesen Produktionsbereichen nicht mehr die Ausnahme bleiben, die sie bisher im Rahmen bestimmter fest umgrenzter Notwendigkeiten war, sondern die Sonntagsarbeit soll für alle Angehörigen der betreffenden Betriebsbereiche genauso und in dem gleichen Ausmaß die Regel sein wie die Arbeit an allen Werktagen. Der Sonntag wird also betrieblich zum Werktag gemacht, woran die umschichtig den Betriebsangehörigen zufallenden Sonntagszuschläge gewiß nichts ändern.
Es ist doch wohl zu fragen, wie eine solche Degradierung jedes Sonntags zum Werktag mit dem im Grundgesetz und in der Landesverfassung garantierten Schutz des Sonntags und der Sonntagsruhe vereinbar ist. Wenn da gesagt wird, die gleitende Arbeitswoche gewährleiste den Arbeitnehmern mehr sonntägliche Freizeit als bisher, dann geht man an der entscheidenden grundsätzlichen Seite der Sache vorbei, abgesehen davon, daß diese Darstellung auch irreführend ist. Es wird so getan, als habe die Einführung der gleitenden Arbeitswoche in den betreffenden Betriebsbereichen eine Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von über 53 auf 42 Wochenstunden ermöglicht und das Ausmaß der Sonntagsarbeit vermindert. Letzteres stimmt mindestens insofern nicht, als der Anteil der sonntags geleisteten Arbeitsstunden an der herabgesetzten Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers erheblich vergrößert wird. Es stimmt auch insofern nicht, als diese Regelung auf etwa 4000 neue Belegschaftsmitglieder ausgedehnt werden soll.
Vor allem aber, meine Damen und Herren, ist entscheidend, daß die Verkürzung der Arbeitszeit
keineswegs nur über die gleitende Arbeitswoche möglich ist oder möglich gewesen wäre.
Mir liegt daran, das hier einmal ganz eindeutig urkundlich zu belegen. Ich zitiere aus einer Zeitung, deren Kopf ich nachher nennen darf. Hier wird über die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern im Dezember 1956, kurz vor dem Abschluß des Tarifvertrages, berichtet. Da heißt es:
Doch die Techniker auf der Unternehmerseite fühlten sich nicht wohl bei der schon beschlossenen Regelung von 45 Stunden, und es kam plötzlich und völlig überraschend für die IG Metall von der Unternehmerseite dann ein neues Angebot zustande, welches für bestimmte Betriebsabteilungen eine andere Regelung, mit 42 Stunden je Woche und einem günstigen Lohnausgleich, vorsah, allerdings mit der Auflage, im begrenzten Umfang die kontinuierliche Arbeitsweise einzuführen . . .
Dieses Zitat stammt
aus der „Welt der Arbeit" und ist von Herrn Fritz Biggeleben, Vorstandsmitglied der IG Metall, unterzeichnet.
Es hat mich allerdings etwas überrascht, daß sich diese Dinge so „plötzlich und völlig überraschend" für die IG Metall so entwickelt haben sollen. Denn eine andere Stimme der IG Metall schreibt wörtlich im Februar 1957: „Natürlich haben wir" — die IG Metall — „in unserem Schreiben vom 11. August 1956 die kontinuierliche Arbeitsweise in drei Betriebsabteilungen der Eisen- und Stahlindustrie gefordert." Es wurde also eine Forderung erfüllt und nicht von der anderen Seite ein überraschender Vorstoß gemacht.
— Wenn Sie den Sachverhalt nicht bestreiten, sind wir ja einig in diesem Punkte.
Man kann nach dieser Klarstellung höchstens die Frage aufwerfen, ob die letzte Verkürzung der Arbeitszeit von 45 auf 42 Stunden — also nicht um 11, sondern um 3 Stunden — nur über die gleitende Arbeitswoche möglich gewesen wäre oder nicht. Aber Sie wissen, daß es wohlbegründete Meinungen von Sachverständigen gibt, die diese Frage bejaht haben — —
— Herr Kollege, wollen Sie diesen Zwischenruf vielleicht etwas deutlicher machen; ich glaube, die Tribüne hat ihn nicht gehört, und für den Wahlkampf ist es ganz gut, wenn sich die SPD nach draußen so zeigt, wie Herr Wehner es gemacht hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Sträter, ich rufe Sie wegen dieser Bemerkung zur Ordnung.
— Er hat gesagt, der Herr Minister leide an geistiger Schwäche, und dafür rufe ich ihn zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, können wir uns denn wirklich nicht in etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit über die Dinge unterhalten?
Ich habe von Beginn meiner Ausführungen an ganz ruhige und sachliche Darlegungen gemacht, — nachdem der Herr Kollege Sträter sich vorher mir gegenüber in einer sehr ungehörigen Weise geäußert hat.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß es wohlbegründete Meinungen von Sachverständigen gibt, die die vorerwähnte Frage bejaht haben, und daß sogar noch kürzere Arbeitszeiten ohne gleitende Arbeitswoche in den SM-Ofen usw. für möglich gehalten werden; ich verweise auf das Hattinger Gutachten und die Stellungnahmen der beiden Kirchen usw.! Aber das ist meines Erachtens gar nicht das Entscheidende. Fest steht, daß die Verkürzung der Arbeitszeit in den hier umstrittenen Fällen von 53 auf 45 Stunden auch ohne gleitende Arbeitswoche möglich, vorgesehen, ja sogar „beschlossen" — wie es von gewerkschaftlicher Seite 1 formuliert worden ist — war. Aber dann haben sich wohl die Unternehmer ausgerechnet, daß die Rentabilität bei 42 Arbeitsstunden auch bei vollem Lohnausgleich größer wäre, und die IG Metall hat sich ihrer gewerkschaftlichen Programmforderung der 42-Stunden-Woche erinnert. Meine Damen und Herren, auf dieser Grundlage scheinen dann Liberalkapitalismus und materialistischer Marxismus gemeinsam den Sonntag — nicht aus fertigungstechnischen Gründen, sondern um des Mammons willen — geopfert zu haben.
Wenn Sie nun rechts und links Widerspruch hörbar werden lassen, — ich kann ja nicht dafür,
daß die Fata Morgana eines Wunschkabinetts Reinhold Maier — Wehner sich auch in diesem Zusammenhang am Horizont abzeichnet.
Das, meine Damen und Herren, ist es, wogegen sich Gott sei Dank weiteste Schichten in unserem Volk auflehnen und wogegen ich mich auch als Familienminister in Wahrung der berechtigten Belange unserer Familien gewandt habe.
Hier geht es um den Materialismus und um nichts anderes.
Ich bin und bleibe der immer wieder öffentlich geäußerten Überzeugung,
daß der unser Volk immer mehr vergiftende Materialismus — und jetzt kommt die Erläuterung zu dem, was Sie mir vorwerfen — das trojanische Pferd des Ostens ist, das als solches erkennbar gemacht werden muß.
Seine Gefährlichkeit kann nur derjenige übersehen, der selbst bereits dem Materialismus verfallen ist und deshalb die rechte Rangordnung ethisch-sittlicher und materieller Werte nicht mehr sieht.
Um es nochmals klar zu sagen: Es geht also nicht darum, ob bestimmte notwendige Arbeiten am Sonntag gemacht werden müssen oder nicht. Niemand ist hier im Hause, der sich gegen notwendige Sonntagsarbeit wenden wollte. Mein Widerspruch in der Öffentlichkeit richtet sich dagegen, daß in bestimmten Bereichen der Sonntag als allgemeiner Ruhetag aus wirtschaftlichen Erwägungen grundsätzlich abgeschafft und durch die gleitende Freizeit an wechselnden Wochentagen ersetzt wird. Es geht nicht an, Begriff und Wert des Sonntags — Herr Kollege Sträter, das habe ich Ihnen bereits geschrieben — als des Tages des Herrn und des Tages der Familie
einfach mit Freizeit gleichzusetzen, wie Sie es in Ihrem Schreiben an mich getan haben. Ich brauche die wohlbegründeten Einwände der Kirchen nicht zu wiederholen. Ich brauche auch nicht die Mahnung des früheren Vorsitzenden des DGB, Walter Freitag, und vieler anderer Stellen hier nochmals zu zitieren. Ich will meinerseits mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Einführung der gleitenden Arbeitswoche den gemeinsamen Sonntag der Familie einfach zerschlägt und die davon betroffenen Familienmitglieder hineinzwängt in den Rhythmus — wie Freitag es ausgedrückt hat — von Arbeitssklaven, für die ein Tag wie der andere ist, weil ihnen der gemeinsame Feiertag genommen wird. Es mag den Kolleginnen im Hause vorbehalten bleiben, etwas darüber zu sagen, wie sich eine solche Entwicklung für unsere Frauen und Mütter in der Haushaltsführung auswirken muß: Woche für Woche, Monat für Monat jenen öden monotonen Gleichklang der Dinge ohne den gemeinsamen Feiertag der Familie, der in unserem Gemeinschaftsleben im Mittelpunkt steht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Letztes sagen.
Es handelt sich bei unserer heutigen Debatte um sehr grundsätzliche Dinge, an denen sich gegensätzliche Meinungen nicht erst in unseren Tagen entzündet haben. Wer die Reichstagsprotokolle der 80er Jahre über die gesetzliche Einführung der Sonntagsruhe einmal nachliest — ich habe das ,getan —, der wird finden, daß damals genau wie heute um den Vorrang der ethisch-sittlichen Werte des Sonntags vor materiellen Werten wie Produktivität, Lohneinkommen und — wie es hieß —internationale Konkurrenzfähigkeit gerungen wurde, nur mit umgekehrten Fronten. In der Reichstagsdebatte vom 9. Mai 1885 wehrten sich
Bismarck und ihn damals stützende Parteien gegen die Einführung der gesetzlichen Sonntagsruhe, weil Produktivität und Auslandskonkurrenz und Lohnausfall sie angeblich nicht zuließen.
— Dagegen kämpften damals — ich werde es noch etwas verdeutlichen, Herr Kollege — die sozial fortschrittlichen Kräfte beider christlichen Konfessionen zusammen mit der Sozialdemokratie für die Sonntagsruhe und gegen die Regierung.
Heute sind diese sozial fortschrittlichen Kräfte als Verteidiger des Sonntags in der Regierung und stehen der Opposition damals mitregierender liberalistischer Wirtschaftskreise und zum Teil anscheinend auch sozialdemokratischer Kreise gegenüber.
Um einmal sichtbar werden zu lassen, wie erfreulich unmaterialistisch unsere Väter und Vorväter früher diese Dinge gesehen haben, möchte ich mir doch nicht versagen, einmal zwei Zitate aus der Reichstagsdebatte von 1885 vorzubringen.
— Hier ging es um den Kampf: Sonntagsruhe aus wirtschaftlichen Gründen, Ja oder Nein? Der Hintergrund war der gleiche wie in unserer heutigen Debatte. Damals haben die Abgeordneten aus beiden christlichen Konfessionen in dem Sinne gesprochen, in dem sich auch heute sicher die weitaus meisten Mitglieder dieses Hohen Hauses bemühen. Der Abgeordnete von Kleist-Retzow hat sich wie folgt ausgedrückt, wenn ich das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Bei diesen einzelnen Fragen rücksichtlich der Sonntagsruhe . . . kommt es darauf an, Sie teuren Herren,
— so sagte man damals sehr höflich —
von welchem Standpunkt man ausgeht. Geht man aus von dem Glauben an den lebendigen und allmächtigen Gott, aus dessen Munde man weiß, daß der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern im Gegenteil, daß auch in das Brot die Lebenskraft nur hineingelegt ist vom lebendigen Gott? Stellt man sich freilich auf den Standpunkt des mechanischen Rechners, des Materialisten, dann ist die Furcht vor dem Schaden der Ruhe am siebten Tage erklärlich.
— Meine Damen und Herren, ich würde mich nicht so protestierend wehren, wenn einmal Zitate aus christlichem Geiste vorgetragen werden.
Und der Abgeordnete Windthorst hat damals zu den Dingen wie folgt Stellung genommen:
Es ist ein Gebot Gottes und des Christentums,
daß der Sonntag geheiligt werden soll und
muß; und nichts in der Welt berechtigt den
einzelnen Menschen, dieses Gebot zu vernachlässigen, und nichts die Regierungen, es außer acht zu lassen;
es muß dieses Gebot befolgt werden.
Und da haben wir dann gar nicht zu untersuchen, welche Folgen das hat. Die Folgen überlassen wir getrost der Leitung dessen, der das Gebot gegeben hat und der allein die Dinge leitet und der auch hier den angeblich mangelnden Lohn für den siebten Tag geben wird;
den er hat diesen Lohn überhaupt in seiner ganzen Ökonomie nicht ins Auge gefaßt.
Meine Damen und Herren, damit Sie nun auch noch auf Ihre Rechnung im engeren Sinne kommen, ein allerletztes Zitat von einem der Väter des Sozialismus, von dem ich jetzt nicht sagen kann, in welchem Maße Sie sich heute noch mit ihm verbunden fühlen; es war der Franzose Proudhon.
- Ja. meine Damen und Herren, man kann natürlich nicht so genau wissen, wer bei Ihnen noch gilt. Wenn wir die Frage stellen, wer von Ihnen Karl Marx noch in allen Punkten anerkennt, kriegen wir ja auch sehr differenzierte Antworten.
Ich möchte doch eben, damit Sie nicht nur diese christlichen Stimmen hörten, auch noch von diesem alten Sozialisten einen Satz zitieren. Proudhon schreibt in seiner „Célébration du Dimanche":
Die Feier eines Ruhe- und öffentlichen Gebetstags dient seit mehr als dreitausend Jahren als Grundpfeiler und Mittelpunkt eines politisch-religiösen Systems, dessen Tiefe und Weisheit die Welt nicht zu bewundern aufhört.
Meine Damen und Herren, ich habe meinerseits nur den Wunsch, daß wir uns alle der Tiefe und Weisheit dieses Systems auch dann bewußt bleiben, wenn allzu menschliche Nützlichkeitsberechnungen äußerlich dagegen zu sprechen scheinen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gezwungen, ganz anders anzufangen, als eigentlich meine Absicht gewesen ist. Es handelt sich hier um ein Problem, das unser ganzes Volk zutiefst berührt, und es handelt sich nicht um etwas, was man in Schlagworten zusammenfassen dürfte wie „kommende Regierung Reinhold Maier und Herbert Wehner". Ich bedauere es auf das tiefste, Herr Minister, daß Sie einen solchen Ton in diese Debatte hineingetragen haben.
Es geht auch nicht um einen Konflikt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es geht überhaupt nicht um das Problem eines einzelnen Berufsstandes. Es geht um ein Problem, für dessen Lösung auch meine politischen Freunde sich auf das leidenschaftlichste einsetzen. Wir werden uns durch die Ausführungen, die wir soeben gehört haben, nicht davon abhalten lassen, für die Lösung dieses Problems weiter so einzutreten, wie wir es für richtig halten.
Im Laufe dieser Debatte ist viel herausgearbeitet worden vom sozialpolitischen, vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt und unter dem Gesichtspunkt ,der Arbeitsgestaltung. Was ist hinzuzufügen? Vielleicht das: wir bejahen es auf das lebhafteste, daß sich der Bundestag mit diesem Problem heute beschäftigt; nur hätten wir gewünscht, daß die Diskussion so geblieben wäre, wie sie begonnen hatte.
Dieser Bundestag ist nicht nur Organ der Gesetzgebung, sondern als die einzige frei gewählte Körperschaft auch das Organ zur Wahrung des sittlichen Erbes, zur Wahrung des geschichtlichen Bewußtseins des deutschen Volkes. Das ist etwas Großes; denn auf der Wahrung dieser Güter ruht der Bestand einer freien deutschen Nation, es ruht darauf die Würde des Menschen als Menschen. Was ist denn der Sinn der menschlichen Arbeit, der Sinn der Gesellschaft, der Sinn des Staates? Ich darf aus einem Brief zitieren, den der Vater ,der modernen sozialen Gesetzgebung, der Vater der modernen deutschen Demokratie, der Reichsfreiherr vom Stein, an seinen Freund, den Grafen Ferdinand von Spiegel, im März 1820 schrieb. Ich paraphrasiere: Der Hauptzweck des Staates, sagte Stein, ist nicht die erhöhte Erzeugung, nicht nur Wohlstand, Handel, Gewerbe, sondern — wörtliches Zitat — „die religiös-moralische, die intellektuelle und politische Vollkommenheit". Dieser Zweck, meinte Stein, wird verfehlt, wenn die Bevölkerung aufgelöst wird in Tagelöhner, Fabrikanten, Arbeiter, Beamte, Grundeigentümer usf. — ich zitiere —, „die durch Genuß und Erwerbsliebe durch das Leben gepeitscht werden". Der Staat ist demnach eine organische Einheit. Er ist Instrument der Geschichte, und ich möchte mit Hegel sagen: er ist ein Instrument zur Durchführung von Gottes Weltenplan. Demnach ist es nötig, eine Ordnung zu verwirklichen, die auf den Schöpfer und auf den Menschen als den Träger einer lebendigen Seele abgestellt ist.
Es ist richtig und bejahenswert, daß die Denkschrift zur Frage der Sonntagsruhe, herausgegeben von der Arbeitsstelle für Betriebsseelsorge in Hattingen, das Naturrecht in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt und darauf hinweist, daß der Sonntag im Naturrecht, d. h. im göttlichen, im unabdingbaren Recht begründet ist. Das war lange umkämpft. Es ist zwar erst nach der Periode Bismarcks verwirklicht worden; aber ich möchte doch an dieser Stelle der historischen Gerechtigkeit wegen darauf hinweisen, daß es die große soziale Gesetzgebung zur Zeit Bismarcks gewesen ist, die dann nach seinem Fall 1891 wesentlich durch das Verdienst Kaiser Wilhelms II. zur Anerkennung des Sonntags geführt hat. Dieses große Erbe darf nicht gefährdet werden, auch nicht durch euphemistische Begriffe wie „gleitende Arbeitswoche".
Herr Kollege Even hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jede entgottete Zeit versucht, eine neue Zeitrechnung einzuführen, in der dann auch der
Mensch geopfert wird. Es begann im mißbrauchten Namen der Freiheit am 22. September 1792. Der neue Kalender vom November 1793 schaffte die Woche und den Sonntag ab und führte die Dekade ein. Die Dekade ist dann später vom Bolschewismus übernommen worden; sie mußte fallengelassen werden, weil auch die Machthaber in Sowjetrußland darauf kamen, daß die Verletzung eines natürlichen Rhythmus schädlich ist. Auch der Faschismus versuchte eine neue Zeitrechnung einzuführen. Manche der älteren Mitglieder dieses Hauses werden sich vielleicht noch daran erinnern, daß unsere Alldeutschen einmal versuchten, die christliche Zeitrechnung abzuschaffen und sie durch eine mit dem Einfall der Cimbern und Teutonen in das römische Reich beginnende Zeitrechnung zu ersetzen. Der Nachteil aller solcher Zeitrechnungen ist, daß sie zeitbedingt sind. Die Alldeutschen hätten also ihre Zeitrechnung mit der Schlacht von Aquae Sextiae schon wieder beenden müssen!
Von katholischer und evangelischer Seite ist gleichermaßen auf die Bedeutung dieser Dinge hingewiesen worden. Der Fastenhirtenbrief Seiner Eminenz des Kardinals von Köln und die Denkschrift der Evangelischen Kirche des Rheinlands, unterzeichnet von Herrn Präses Held, sprechen im wesentlichen die gleiche Sprache. Sie enthalten einige entscheidend wichtige Hinweise, die ich dem Hohen Hause noch einmal vortragen möchte:
Der Sonntag, das wird von beiden Kirchen herausgearbeitet, ist als Institution in Frage gestellt worden. Es wird im Fastenhirtenbrief mit Recht betont, daß der Sonntag in der christlichen Welt der erste Tag der Woche ist, der Tag, mit dem die Woche in entsprechender Weise zu beginnen hat, ein Tag, der herausgehoben werden muß, ein Tag der Familie, der durch keinen anderen ersetzt werden kann. Es ist nicht das gleiche, ob man am Sonntag oder am Dienstag oder am Donnerstag zusammenkommt. Vielleicht, meine Damen und Herren, gehört zu dieser Weihe des Sonntags und zu dem, was seine eigentliche Atmosphäre ausmacht, daß nur am Sonntag die Glocken geläutet werden.
Es wurde mit Recht gesagt, die Tatsache, daß mehr arbeitsfreie Sonntage anfallen, sei kein wirkliches Argument, weil es nämlich von der irrigen Meinung ausgehe, daß man den Sonntag einem gewöhnlichen Werktag gleichstellen könne. Das ist ein Anliegen — das sei mit aller Deutlichkeit gesagt — auch für alle jene, die nicht unmittelbar an eine christliche Kirche gebunden sind. Lassen Sie mich das klar formulieren. Auch in ihrer säkularisiertesten Form und von ihren Inhabern kaum mehr gewußt, sind die Menschenrechte — und dazu gehören vor allem die sozialen Rechte — Früchte des Christentums. Ich bekenne mich — und meine Freunde tun das gleiche — leidenschaftlich zu diesen sozialen Rechten, zur Arbeitszeitverkürzung und zu einem gerechten Lohn, der zu der Entmassung der Massen führt, zur Schaffung von Eigentum für alle die, die heute kein Eigentum haben. Ich meine, daß dies im höchsten Maße eine christliche Forderung ist, und ich darf darauf hinweisen, Herr Familienminister, daß dieser entscheidende Punkt — Schaffung von Eigentum für alle jene, die keines haben — gerade von Reinhold Maier unlängst in Köln in aller Deutlichkeit angesprochen worden ist. Man überwindet die Gefahr der Kollektivierung des Menschen, man überwindet
die Gefahr des Verlustes der menschlichen Persönlichkeit nicht durch die materielle Wohlfahrt allein. Wir sehen hier eine Gefahr für die Arbeitnehmer, denen, zugedeckt durch zeitweilige scheinbare Vorteile des Tages, ihr Menschentum genommen werden könnte.
Wir haben gehört, daß sich 'im Augenblick die gleitende Arbeitswoche nur auf 13 080 Arbeiter von 190 000 erstreckt. Aber es ist immer eine Minderheit, für die es zuerst beginnt. Wir haben auch festgestellt, daß Jugendliche unter 18 Jahren nicht betroffen werden. Ich bin damit noch nicht zufriedengestellt. Ich glaube, ich spreche hier im Namen aller Mitglieder auch des Jugendausschusses des Deutschen Bundestages, wenn ich hierzu vom Standpunkt der Jugend aus meine Bedenken anmelde. Ich wünschte, wir hätten das Jugendarbeitsschutzgesetz schon verabschieden können. Ich habe von dieser Stelle aus dafür plädiert. Aber die Zeit geht ja auch nach dem 15. September weiter. Ich drücke meine Hoffnung aus, daß dieses Gesetz noch in diesem Jahre, wenn auch nicht mehr in dieser Legislaturperiode, verabschiedet wird.
Wir begrüßen die Kabinettsentscheidung von Nordrhein-Westfalen vom 5. März 1957, daß allen Tendenzen einer Ausweitung der gleitenden Arbeitswoche mit Nachdruck entgegengetreten werden wird. Ich habe es begrüßt, daß der Herr Bundesarbeitsminister dasselbe im Namen der Bundesregierung ausgedrückt hat. Ich finde gewisse einschränkende Klauseln wie „Rücksicht auf technische Notwendigkeiten und sozialpolitische Erfordernisse" immer noch beunruhigend. Daß es immer eine Sonntagsarbeit gab, wo sie wirklich nötig war, das ist kein Argument. Keiner von uns ist ein Heuchler, keiner von uns klaubt an Buchstaben herum. Wir wissen aus dem Evangelium, in welcher Weise der Sonnntag, der Sabbattag, geheiligt werden muß und was geschehen darf. Denken Sie an die Gleichnisse bei Lukas 14, Vers 15, an den Ochsen oder den Esel, die in den Brunnen fallen; oder es kann auch schon ein Schaf sein, das in die Grube fällt, — wenn ich Matthäus 12, Vers 11, dazunehme. Die evangelische Denkschrift, unterzeichnet von Präses Held, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Sonntagsarbeit, die es immer gegeben hat, nichts mit den Versuchen zu tun hat, die heute unternommen werden, da auch bei der nötigen Arbeit etwa in der Landwirtschaft oder im Haushalt der Sonntag ein herausgehobener Tag, ein Tag der Feier, der Heiligung geblieben ist und — wörtlich — „die gleitende Arbeitswoche mehr ist als die kontinuierliche Arbeit".
Es ist also zweifellos die Aufgabe des Staates, diesen Schutz auch der immateriellen Güter, den Schutz unseres sittlichen Erbes durchzuführen, selbst wenn die zu Schützenden meinen, sie bedürften dieses Schutzes nicht, oder wenn sie ihn als lästig empfinden. Gerhard Anschütz hat im Kommentar zur Reichsverfassung vom 11. August 1919 zu Art. 139, der die Sonntagsruhe bestimmte, einen sehr bemerkenswerten Satz geschrieben, den ich mit Erlaubnis .des Herrn Präsidenten zitieren möchte. Anschütz schrieb:
Dadurch, daß auch der neue Staat
— also die Republik von Weimar —
den Sonntag und die von ihm anerkannten kirchlichen Feiertage schützt und für deren äußere Heilighaltung mit seinen Machtmitteln einsteht, bezeugt er, daß er, wie es bisher Rechtens war, kirchliche Interessen im öffentlichen Leben zu berücksichtigen gesonnen und insofern bereit ist, an seiner alten Stellung als advocatus Ecclesiae festzuhalten.
Ein sehr wesentliches Wort, das ein Mann wie Gerhard Anschütz hier ausspricht. Der Schutz wird gegeben nicht nur — und ich setze in Gedanken das Wort „nur" in Anführungszeichen — der sozialen Rechte wegen, sondern der Grundlage wegen, auf denen der Staat selber ruht, getreu seiner Sendung, in der Sorge für Recht und Frieden zwischen den Menschen der geistigen Natur des Menschen Schutz zu geben. Ich darf Martin Luther zitieren, der sagte, daß man dem Volke aufs Maul schauen solle. Ich habe dem Volke in den letzten Wochen aufs Maul geschaut, und das, was das Volk sagt, ist eigentlich sehr eindeutig. Man kümmert sich in der Öffentlichkeit, bei dem sprichwörtlichen „Mann auf der Straße", im einzelnen nicht darum, ob jene Regel oder jene betriebswirtschaftliche Erkenntnis besser oder schlechter ist, sondern es ist das Gefühl vorhanden, daß die Gefahr aufgetaucht sei, der Sonntag solle als Institution eingeschränkt werden.
Wir stehen in einem harten Abwehrkampf gegen den Bolschewismus mit seinem Atheismus und Materialismus. Wir werden uns nicht behaupten, wenn auf unserer Seite nur die höhere Produktion steht. Mit materiellen, mit materialistischen Mitteln allein werden wir diesen Kampf um unser Dasein nicht durchfechten können. Auf unserer Seite muß schon noch etwas anderes stehen: der Geist und das Bekenntnis zum christlichen Erbe des Abendlandes. Lassen Sie mich — ohne daß ich in opportunistischem Sinne zu sprechen gedenke — hinzufügen: Vom Geist hängt letzten Endes sogar noch die höhere Produktion ab! Wir werden auch 'im Reiche der Industrie, der Produktion und der materiellen Wohlfahrt nicht bestehen können, wenn hinter diesen Kräften nicht jene anderen stehen, die sich dem Greifen und dem Sehen entziehen. Es ist die Erfahrung der Geschichte, daß Achtung vor dem von Gott in die Natur gelegten Rhythmus zum Segen gereicht für den Staat und für den Menschen und daß dies durch nichts ersetzt werden kann.
Ein letzter Gedanke. Ein Schweizer evangelischer Theologe, Rudolf Grob, hat mir einmal dargestellt, was die Heiligung des Sonntags für die Menschen bedeutet hat, als jene Heiligung noch wirklich ernst genommen wurde: Ein alter englischer oder holländischer Staatsmann oder Kaufmann oder was immer, der das 70. Lebensjahr erreicht hat, hatte in Wirklichkeit zehn Jahre zusätzliche Arbeitskraft; denn er hat zehn Jahre seines Lebens geruht. Vielleicht hängen die große Bedeutung, die unsere abendländische Kultur einmal gehabt hat, und die großen Aufgaben, 'die sie erfüllen konnte, mit dieser Lebenskraft zusammen, die sich akkumulierte, weil der Sonntag wahrhaft geheiligt wurde.
Eines ist ganz sicher — lassen Sie mich damit schließen —: Es könnte dem deutschen Volke nicht zum Segen gereichen, wenn es darangehen wollte, das Gotteswunder des Sonntags durch eine Produktionssteigerung im Rahmen des Wirtschaftswunders ersetzen zu wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Her] Staatsminister Hemsath von Nordrhein-Westfalen.
Hemsath, Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher ein ungewöhnlicher Vorgang, daß ein Minister eines Landes hier in diesem Hohen Hause das Wort ergreift und, wie er meint, ergreifen muß, um zu einer wichtigen, auch die öffentliche Meinung bewegenden und erregenden Frage Stellung zu nehmen. Ich bin den Schöpfern des Grundgesetzes und dem Herrn Präsidenten dankbar, daß ich die Möglichkeit dazu habe.
Ich habe allerdings — darf ich dieses freimütige Bekenntnis an den Anfang meiner Ausführungen stellen —die Schwierigkeiten einer Stellungnahme in diesem Hause erheblich überschätzt. Denn wenn ich gewußt hätte, daß man als Minister Debatten mit Vorlesungen bestreiten kann, hätte ich mir auch eine mitgebracht.
Ich meine, daß es die Aufgabe hoher Staatsfunktionäre wäre, das Ergebnis der Debatte
in den Mittelpunkt der Erörterungen zu stellen.
Meine Damen und Herren, es ist meine Absicht —
— Dazu haben andere Herrschaften ein größeres Talent als ich.
Es ist meine Absicht, die Haltung der Landesregierung, die sie einmütig einnimmt, und die Gründe, die zu dieser Haltung geführt haben, vor diesem Hohen Hause klar und unter bewußtem Verzicht auf alle agitatorischen Formulierungen darzulegen.
— Meine Damen und Herren, ich war in der letzten Woche hier. Sie können mich nicht überraschen.
— Herr Kollege Sabel, was würden Sie sagen, wenn ich jetzt zu Ihren Ausführungen im Geiste dieses Zwischenrufs Stellung nähme? Nehmen Sie etwa an, ich hätte jeden Ihrer Sätze hier als bare Münze aufgenommen? Habe ich als Minister des Landes Nordrhein-Westfalen hier das Recht, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 43 des Grundgesetzes meine Meinung zu bekunden, oder nicht?
Wenn ich es habe, meine Damen und Herren — —
Wenn ich es habe, dann übe ich es aus in der selbst-
verständlichen Verantwortung, die jeder von uns trägt, ob er Abgeordneter dieses Hauses ist oder nicht.
Welche Gründe haben die Landesregierung bewogen, diese Entscheidungen zu fällen? Ich darf noch einmal mit allem Nachdruck betonen, daß die Untersuchung des gesamten komplexen Problems für uns eine schwere und unpopuläre Arbeit gewesen ist.
Kein Mensch in diesem Hause kann behaupten, daß eine mögliche Entscheidung in dieser Frage Aussicht auf besondere Popularität hat. Vor allen Dingen kann keiner behaupten, daß die Entscheidung der Landesregierung etwa aus wahlpolitischen oder wahltaktischen Gründen erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, wir haben schwer mit uns gerungen. Ob Sie mir das abnehmen oder nicht, muß ich Ihnen überlassen. Jedenfalls haben wir — d. h. die gesamte Landesregierung — zunächst einmal diese Entscheidung nicht gesucht. Wir haben sie in dem Abkommen, das die Tarifpartner nach monatelangen Verhandlungen am 21. Dezember des vergangenen Jahres abgeschlossen haben, vorgefunden.
Danach war es doch unbestritten die Aufgabe der Landesregierung, die mit diesem Abkommen unvermeidbar verbundenen strittigen Fragen zu klären und im Rahmen ihrer Verantwortung und ich füge hinzu: im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen die notwendigen Entscheidungen zu suchen und sie schließlich zu fällen. So haben wir unsere Aufgabe bewertet und angesehen, und ich erkläre hier in diesem Hause: ich habe in meinem Leben keine Entscheidung begünstigt oder persönlich gefällt, die ich mit größerer persönlicher Verantwortung überprüft und schließlich gefällt habe und fällen mußte.
— Meine Damen und Herren, das darf man doch hier betonen, wenn auch so ungewöhnliche Klänge, wie sie vorhin hier ertönten und wie sie vor allem draußen gang und gäbe sind, dieses schwierige Problem und seine sachliche Klärung begleiten.
Auch die Landesregierung — nicht nur der beteiligte und unmittelbar zuständige Ressortminister
— kann beweisen, daß sie sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Allerdings darf ich mit dem größten Nachdruck sagen, daß es einfach nicht wahr ist, wenn behauptet wird, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen habe bei ihrer Entscheidung unter irgendwelchem Druck gestanden,
— es sei denn, unter dem Druck einer Verantwor-
tung, die ihr nach der gegenwärtigen Rechtslage von niemandem abgenommen werden konnte.
Wir haben fast zweieinhalb Monate mit den Tarifpartnern, mit den Repräsentanten der Kirche, mit dem Bundesarbeitsminister, mit allen verhandelt, mit denen wir verhandeln mußten und von denen wir annehmen durften, daß sie einen wesentlichen Beitrag für die sachliche, grundsätzliche und rechtliche Klärung dieses, ich betone es noch einmal, sehr schwierigen Problems geben könnten.
Meine Damen und Herren, ich betone auch an dieser Stelle, daß jenes Gutachten, das zwar mit einem unerhörten publizistischen Aufwand seit Wochen angekündigt worden ist und erst in den letzten Tagen in unseren Besitz kam, nicht zur Grundlage unserer Überlegungen gemacht werden konnte. Sie wissen, welches Gutachten ich meine: das Gutachten der „Betriebsseelsorge Hattingen", das der Arbeitsminister des Landes NordrheinWestfalen erst am vergangenen Freitag erhalten hat und das — wenn ich mich nicht irre, Herr Kollege Storch — ein paar Tage eher in Ihren Händen gewesen ist. Ich betone im Zusammenhang damit, daß es auch uns noch nicht möglich war — auch der Bundesarbeitsminister hat soeben unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die unerhörten Schwierigkeiten der Beurteilung solcher Fragen noch keine präzise Stellungnahme zu diesem Gutachten abgeben können —, verbindlich und endgültig zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen.
Ich kann nur zwei Feststellungen treffen. Erstens bedauern wir es, daß das Gutachten bei den Beratungen der Tarifpartner und in den darauffolgenden Wochen nicht wenigstens in seinen Schwerpunkten vorhanden gewesen ist. Zweitens erkläre ich namens der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ausdrücklich, daß wir mit den Tarifpartnern in einer gründlichen Analyse dieses Gutachtens feststellen werden, ob seine Substanz realisierbar ist oder nicht, ob seine Vorschläge bessere sind als die von uns gefundenen bzw. im Abkommen vom 21. Dezember vorigen Jahres festgelegten Beschlüsse. Wir werden nicht einen Tag zögern, die bessere Lösung sofort in Gang zu setzen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist eine Diskussionsbasis. Eine solche Haltung wird der Komplexheit und Differenziertheit dieses Problems eher gerecht, als wenn ich oder als wenn man überhaupt mit dogmatischen und grundsätzlichen Formulierungen, die man spielend leicht finden kann, hier Stimmung zu machen versucht, ohne eine einzige praktische Schlußfolgerung ziehen zu müssen.
— Ich wollte, es wäre so, ich wollte, das wäre ungefähr der sachliche Tiefstand in diesem Hause, dann wäre die breite Öffentlichkeit in Deutschland sehr glücklich darüber.
— Meine Damen und Herren, ich bitte ergebenst, diese Stelle im Protokoll nachzulesen.
Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich mit meiner persönlichen Formulierung in keiner Weise das sachliche Niveau irgendwie tangiert habe.
Meine Damen und Herren, eine weitere Tatsache ist unbestreitbar, die von allen — ich betone: von allen — Diskussionsrednern in ihrer Richtigkeit ausdrücklich bestätigt worden ist. Ich meine die Tatsache, daß die bisherigen Verhältnisse nicht nur reformbedürftig, sondern mehr als überholungsreif sind. Es ist unbestreitbar, daß die geltende Regelung, die seit Jahrzehnten praktiziert wird, mehr als überholungsreif ist und daß sie seit vielen Jahren auf der Basis einer mindestens 54-StundenWoche von den Arbeitern der Stahlindustrie ein Höchstmaß an physischer Leistung verlangt. Das ist die eine Seite der unbefriedigenden Lösung.
Die zweite Tatsache ist genauso unbestritten, daß im Rahmen dieser praktizierten Lösungen der Sonntag auf gar keinen Fall auch nur in etwa respektiert werden konnte und respektiert worden ist. Ich kann mich hier nur wiederholen: ich bezeichne es auch in diesem Hause als eine Groteske, daß der gesetzlich freie Sonntag im Einklang mit dem Gesetz, Herr Bundesarbeitsminister, jener freie Sonntag ist, der frühestens nach siebenmaliger Nachtschicht um 6 Uhr sonntags oder am anderen Tage um 6 Uhr sein Ende findet. Ich bezeichne es als eine Groteske, daß diese 17 Sonntage im Jahr jene Sonntage sind, die „unantastbar" und im Einklang mit dem Gesetz waren.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich unter bewußten Verzicht auf eine allzu billige Grundsatzdebatte einmal die Schichtenschemata, die ich Ihnen zuschicken durfte — ich habe es mir wenigstens erlaubt, sie Ihnen zuzuschicken —, ansehen, dann erkennen Sie aus der meines Erachtens überzeugenden Darstellung völlig klar, mit welchen praktischen Ergebnissen für den Stahlarbeiter, der von diesem Arbeitszeit- und Lohnabkommen betroffen wird, gerechnet werden kann und gerechnet werden muß.
— Warten Sie doch ab! Selbstverständlich haben wir noch einiges dazu zu sagen. — Ich stelle fest, daß nach dieser Lösung, die wir in schwierigen und harten Debatten gefunden haben und von der wir meinen, daß sie die zur Zeit beste Lösung ist, der Stahlarbeiter, der zum Geltungsbereich dieses Abkommens gehört, nicht wie bei der Regelung in Oberhausen nur neun, sondern mindestens dreizehn völlig arbeitsfreie Sonntage haben wird, die eingebettet sind in eine Gesamtruhezeit von mindestens 72 und höchstens 104 Stunden.
Ich habe in meinem Leben als Metallarbeiter so viele Sonntage arbeiten müssen, daß ich glaube, mir ein Urteil über den Vorteil dieser Lösung anmaßen zu dürfen.
— Habe ich das bestritten?
Jedenfalls ist es meine feste Überzeugung, daß
die Stahlarbeiter, wenn dieses Abkommen durch-
geführt wird und die von der Landesregierung gemachten Auflagen respektiert werden, noch nie in ihrem Leben einen solchen Sonntag gekannt haben und auch nie die Möglichkeit hatten, den Sonntag in einem solchen Umfang ihrer Familie zu widmen und, wenn sie wollen, ihn im Sinne christlicher Grundsätze zu heiligen.
Ich behaupte hier, daß das Gros der Stahlarbeiter aus physischen Gründen gar nicht in der Lage war, nach siebenmaliger Nachtschicht und 54 bis 56 Stunden Mindestarbeitszeit — dieser schweren Arbeit, meine Damen und Herren! — und mit Blick auf den nächsten Montag, an dem für sie um 6 Uhr früh die Arbeit begann, diesen einzigen freien Sonntag ihrer Familie und dem Herrgott zu widmen, oder sie konnten das nur in völlig unzureichender Weise.
Spielen die anderen Gründe vom Menschen her gesehen nicht eine ebenso entscheidende Rolle? Hat das Problem der Frühinvalidität, das in der Geschichte der deutschen Stahlindustrie seit eh und je ein ernstes Problem gewesen ist, überhaupt keine Bedeutung? Glauben Sie nicht, daß die sehr umfassenden Ruhepausen unter dem großen Zeitbogen dazu führen werden, den Gesundheitszustand der 'betroffenen Stahlarbeiter entscheidend zu verbessern? Jedenfalls haben die praktischen Erfahrungen in Oberhausen ergeben, daß sowohl der Unfallstrend wie auch die Zahl der Erkrankungen wesentlich abgenommen haben, ja, daß die Zahlen in den letzten Quartalen praktisch um 50 % abgesunken sind.
Meine Damen und Herren, ist das nichts? Wenn es uns gelänge, in gegenseitiger Achtung und in gemeinsamen Anstrengungen dieses Problem noch befriedigender zu lösen, als es durch dieses Abkommen und seine Genehmigungen gelöst worden ist, dann hätten wir den schwerst arbeitenden Menschen der eisenschaffenden Industrie einen dauernden Dienst erwiesen.
Für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen stehen jedenfalls die klaren, unbestreitbaren Vorteile dieser Regelung fest.
Nun hat man noch andere Probleme aufgeworfen, unter anderem das Rechtsproblem, und es zum Ausgangspunkt und Ausrufungszeichen der gesamten Diskussion gemacht. Wir sind natürlich bereit, uns auch damit auseinanderzusetzen. Der Bundesarbeitsminister wird gern — so hoffe ich jedenfalls — zugeben, daß wir das am 16. Februar dieses Jahres in seinem Dienstzimmer gemeinsam und gründlich versucht haben. Wir waren uns völlig darüber klar, daß die geltende Gewerbeordnung diesen Tatbestand nicht deckt. Darüber kann es eine rechtliche Meinungsverschiedenheit gar nicht geben. Wir waren allerdings der Auffassung — und diese Auffassung wurde noch bestärkt, als wir den Willen des Bundesarbeitsministers sahen, in eine generelle Überprüfung der Bundesratsbekanntmachung vom Februar 1895 einzutreten —, daß für eine vorübergehende Lösung der § 28 der AZO die genügende Tragfähigkeit besitze. Natürlich können Sie, wenn Sie sich ein Rechtsgutachten machen lassen, die unterschiedlichsten Auffassungen bekommen. Ich habe weder ein solches Rechtsgutachten vor mir liegen noch habe ich mir über die rechtliche Problematik sehr eingehende Notizen für diese Replik machen können. Aber eines steht doch fest: Wenn das eine Entscheidung contra legem ist, die wir hier gefällt haben, dann hat auch die Regierung Arnold contra legem entschieden.
Das ist unbestreitbar. Heute sagt man, das sei aus ganz anderen Gründen geschehen. Leider habe ich die Akte HOAG, die zirka 20 cm dick ist, nicht mitgebracht. Aber ich versichere hier, daß es völlig klar war, aus welchen Gründen dieser Modellfall gestartet worden ist. Es waren nicht nur vorübergehende betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten, es waren nicht nur vorübergehende aus volkswirtschaftlichen Gründen dringendst zu beseitigende Engpässe, sondern es war klar und eindeutig beabsichtigt — und wozu wäre sonst ein solch umfangreiches Gutachten, noch dazu von einem halben Dutzend Professoren, notwendig gewesen! —, diese große Grundsatzfrage mit einzubeziehen und eventuell mit idem Prinzip der gleitenden Arbeitswoche endlich, endlich eine befriedigendere Lösung herbeizuführen, als sie in all den Jahrzehnten, die hinter uns liegen, praktiziert worden ist.
Wenn Sie fragen — ich glaube, Sie, Herr Kollege Sabel, haben das in vielen Pressekommuniqués besonders stark unterstrichen —, ob denn die Tatbestände des § 28 der AZO überhaupt erfüllt seien — widerruflich, öffentliches Interesse usw. —, dann darf ich, Herr Kollege Sabel, meine ganz persönliche Meinung zum öffentlichen Interesse einmal völlig unjuristisch zu interpretieren versuchen. Ich meine, daß auch dieser Begriff ein dynamischer Begriff ist. Auch die Interpretation dieses Begriffs ist irgendwie — über Art und Umfang können wir uns unterhalten — abhängig von den objektiven ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Daß diese Bedingungen 1895 andere waren als 1938, ist bekannt, und daß sie 1960 andere sein werden, ist sicher. Für mich steht es also fest, daß dieser Begriff in der Entwicklung, ein dynamischer Begriff ist.
Ich habe gemeint, 'Herr Kollege Sabel, daß es in der Zeit der Herrschaft des Grundgesetzes mit seinem Art. 20 und mit seinem Art. 28, der klar und kompromißlos feststellt, daß dieser Bundesstaat ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist — nicht: werden soll! — möglich sein müßte, diesen Begriff auch so zu interpretieren, daß die Verbesserung des Gesundheitszustandes und die Verkürzung der Arbeitszeit und die Absenkung des Unfalltrends mindestens ein Element des öffentlichen Interesses sein können.
Ich sehe nicht ein, Herr Kollege Sabel, daß es immer nur staatliche Interessen sein sollen, ich sehe auch nicht ein, daß es immer nur Unternehmerinteressen sein müssen, die dieser Begriff des öffentlichen Interesses deckt.
Vielmehr meine ich, daß Gesundheit und Lebensglück von 13 000 oder 17 000 Metallarbeitern auch ein Element dieses Begriffs darstellen können.
Das ist meine Meinung, und ich vertrete sie hier in allem Freimut und mit dem Recht, das der Staatsbürger nach dem Grundgesetz hat.
Ich betone noch einmal: für uns stand nirgendwann zur Debatte, Sonntagsarbeit einzuführen. Für uns stand nirgendwo und nirgendwann zur Debatte, den Sonntag zu stürzen.
Für uns stand zur Debatte, meine Damen und Herren, Menschen, die noch nie einen Sonntag ,gekannt haben, einen besseren Sonntag zu geben.
Ich muß dies unterstreichen; denn ich weiß, meine Damen und Herren, daß es schwer ist, nachdem man so in die Fanfare gestoßen hat, den Vertreter einer anderen Auffassung ruhig anzuhören.
Ich möchte noch einmal betonen: andere Gesichtspunkte haben für die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen keine Rolle gespielt; ich muß es Ihnen überlassen, meine Damen und Herren, ob Sie mir das abnehmen oder nicht.
Eines steht jedenfalls fest: die Debatte in den letzten Monaten und das Lohn- und Arbeitszeitabkommen vom 21. Dezember 1956 haben auch eine sehr positive Wirkung gehabt, nämlich die, daß das gesamte Problem überhaupt aufgerollt wurde. Wollte Gott, es wäre so, daß der Sonntag und sein tragendes Prinzip nur durch dieses Arbeitszeit- und Lohnabkommen vom Dezember 1956 gestört oder gar gefährdet werden!
Ich sehe gerade, Herr Kollege Sabel, daß wir dieses Mal ausnahmsweise uns in völliger Übereinstimmung befinden; Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich darüber bin.
Ich möchte nämlich ergänzend darauf aufmerksam machen, daß allein aus der Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen die Gefährdung des Sonntags vor .allem darin besteht, daß in NordrheinWestfalen weit über eine Million Menschen von insgesamt 5,8 Millionen Arbeitnehmern im Sinne des Gesetzes Sonntag für Sonntag — wenn auch mit unterschiedlicher Intensität — arbeiten müssen.
— Lebenswichtig! — Für den Zuruf bin ich Ihnen sehr dankbar. Glauben Sie — um nur ein Beispiel, Sie können sagen: ein extremes Beispiel, zu nennen —, daß etwa der Transport von Sonntagsreisenden in das Ahrtal oder in das Moseltal, wie ihn die Bundesbahn, die Bundespost und unzählige Privatunternehmer mit steigender Reklame durchführen, ein lebenswichtiger Transport und eine lebenswichtige Arbeit ist?
Was die Frage der Lebenswichtigkeit angeht, da beißt keine Maus einen Faden ab: dreiviertel Millionen der arbeitenden Menschen, die ich gemeint habe, stehen außerhalb aller Gebote und aller Verbote. Für sie ist die Sonntagsarbeit einfach gestattet, und sie wird praktiziert.
Noch einmal: Diese Entscheidungen haben die Sonntagsarbeit in keiner Weise gesteigert. Wir haben zunächst angenommen, daß zum Geltungsbereich des Abkommens — maximal, haben wir allerdings gesagt — etwa 17 000 Arbeiter gehören. Inzwischen hat sich völlig eindeutig und klar erwiesen, daß es so viel auf keinen Fall werden. Unsere stimmende Statistik beweist, daß es gut 13 000 sind — ich betone: 13 000 —, die in den Geltungsbereich dieser Regelung für den Sonntag fallen, die aber bisher sämtlich ebenfalls am Sonntag arbeiten mußten, entweder bis mindestens 6 Uhr oder in den großen Reparaturkolonnen oder in den Zubringerschichten von nachmittags 14 oder 18 Uhr bzw. abends 20 Uhr bzw. 22 Uhr an. Das ist die Situation, und das sind die Gründe, die ich glaubte darlegen zu müssen.
Der Bundesarbeitsminister hat — aus seiner Sicht völlig zu Recht - darauf aufmerksam gemacht, daß die Reparaturarbeiten gerade an den Sonntagen in einem Umfang durchgeführt würden, der nicht notwendig sei, und daß hier die Kontrollbehörden, also die Gewerbeaufsicht der Länder, versagten. Ich kann einer solchen Darlegung kein klares und eindeutiges Nein entgegensetzen. Ich kann den Bundesarbeitsminister nur bitten, die ungewöhnliche Schwierigkeit dieser Frage voll anzuerkennen, die — das wird vor allen Dingen die Arbeitsrechtler interessieren — in der Judikatur und in den Kommentaren zur Gewerbeordnung längst anerkannt ist. Ich will darauf verzichten, Sie mit Zitaten zu langweilen. Ich empfehle aber die Lektüre der Seite 90 in der 11. Auflage des Kommentars zur Gewerbeordnung von Landmann-Rohmer. Dann werden die letzten Zweifel beseitigt werden. Es kann niemand bestreiten, daß diese Reparaturarbeiten auch in Zukunft eine unbekannte Größe sein werden. Der Verschleiß und die Schwierigkeiten der Reparatur sind unterschiedlich. Der Herr Abgeordnete Sträter hat vorhin mit Recht auf einen Tatbestand hingewiesen, der durch die Neuregelung in quantitativer und qualitativer Beziehung entscheidend gemildert wird. Es stimmt, daß die Reparaturarbeiten sich allzu sehr auf den Sonntag konzentrierten, aber — und das zu sagen verlangt die Objektivität — aus den unterschiedlichsten Gründen, nicht nur aus materiellen Gründen, weil das Entgelt für ein paar Sonntagsarbeitsstunden die Lohntüte des schwer arbeitenden Stahlarbeiters praller machen würde, sondern auch aus technischen und betriebsorganisatorischen Notwendigkeiten. Jeder, der die Dinge kennt — und ich behaupte, daß ich sie einigermaßen kenne —, weiß, daß die Reparaturarbeiten nur im Kern mit Handwerkern durchgeführt werden und daß die abrundenden Arbeiten von den größeren Gruppen der angelernten und ungelernten Arbeiter vorgenommen werden, die aus dem normalen Produktionsprozeß genommen werden müssen, wenn größere Reparaturen anfallen. Aber ich darf Sie hier nicht mit all diesen technischen Einzelheiten langweilen; ich habe sie nur angesprochen, um die Kompliziertheit und Differenziertheit in der Praxis zu unterstreichen.
Vorhin ist von den verschiedensten Rednern auf das Grundgesetz und auf die Landesverfassung hingewiesen worden. In beiden ist bindend und zwingend nicht nur die Respektierung, sondern die Heiligung des Sonntags bestimmt. Kein Mensch, weder die Tarifpartner noch die Landesregierung, hat daran gedacht, mit dem Abkommen und mit den Entscheidungen, die notwendig waren, die
Grundsätze der Verfassung anzutasten; ich betone: kein Mensch.
Es wurde auch ein Schreiben seiner Eminenz des Erzbischofs von Köln zitiert. Ich hätte gewünscht, es wäre etwas eingehender zitiert worden; denn dann hätten Sie auch Sätze wie den zitieren müssen, in dem der Herr Kardinal ausführt, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor einer sehr schwierigen Aufgabe stehe, und dann hätten Sie eventuell auch anführen müssen — vielleicht holen Sie das nach, Herr Kollege Winkelheide -,
daß der Kardinal in seinem letzten Schreiben ausdrücklich den guten Willen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen anerkennt.
Eine solche Methode hätte wesentlich zur Entspannung der Gegensätze in den beiderseitigen Auffassungen beigetragen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns ja doch darüber klar, daß diese Frage de jure und de facto einer befriedigenden Lösung zugeführt werden muß. Der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben gesagt, daß die Novellierung der Bekanntmachung des Bundesrates vom Februar 1895 überfällig sei. Damit kommt es zu einer Entscheidung. Wir müssen sie im beiderseitigen ehrlichen Bemühen suchen und, wie ich meine, auch in gegenseitiger Achtung; denn sonst wird es keine gute Entscheidung werden. Wenn diese Novellierung — das wäre mein Wunsch — von diesem Hause noch vor dem Wahlsonntag vorgenommen werden könnte, würde das zu einer außerordentlichen Entspannung der innerpolitischen Atmosphäre führen; es wäre auch aus sachlichen Gründen dringend erwünscht.
Zum Schluß möchte ich noch einmal mit letztem Nachdruck betonen, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen das Gebot der Heiligung des Sonntags auf jeden Fall auch für sie als verbindlich anerkennt und daß sie bis jetzt keine Handlung vorgenommen hat, die in Widerspruch zu diesem Gebot steht.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin zahlreiche Einzelfälle einer laxen Handhabung angeführt. Ich darf demgegenüber nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß alle Fälle der Anwendung des § 28 AZO in Nordrhein-Westfalen vor dem 5. März 1957 gelegen haben. Die Regierung Steinhoff hat den § 28 der AZO außer bei der Durchführung des Arbeitszeit- und Lohnabkommens vom 21. Dezember 1956 noch niemals in Anspruch genommen. Auch die vorhin genannten drei Fälle der Papierindustrie sind unter der Ministerpräsidentschaft des Herrn Kollegen Arnold entschieden worden.
Die Entscheidungen in anderen Ländern habe ich natürlich in keiner Weise zu vertreten oder zu entschuldigen, noch habe ich irgend etwas dazu zu sagen.
Ich darf Sie also bitten, zu glauben, meine Damen und Herren, daß wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Ich darf Sie noch einmal bitten, uns zu glauben, daß wir nicht um der
Entheiligung des Sonntags, sondern um der Respektierung des Sonntags willen diese Entscheidung im Rahmen des Geltungsbereichs des Abkommens gefällt haben. Wir wünschen eine Novellierung der Bundesratsbekanntmachung und hoffen, daß damit die Bereinigung einer längst überfälligen und dringenden Frage im Interesse unserer Volkswirtschaft, vor allem aber auch im Interesse des arbeitenden Menschen unserer Bundesrepublik erfolgt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und und Herren, zu Punkt 2 der Tagesordnung liegen bis jetzt noch vier Wortmeldungen vor. Es ist jetzt 5 Minuten vor 1 Uhr. Ich schlage dem Hause vor, daß wir jetzt unterbrechen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 30 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Voß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, meine Ausführungen gleich mit einer Frage beginnen zu müssen. Seit wann steht es einem Herrn Landesminister zu, Kritik an der Arbeit der Abgeordneten zu üben und daran, wie und mit welchen Unterlagen sie ihre Auffassung hier vortragen? Ich bin der Auffassung, daß das im allgemeinen nicht dem Gastrecht entspricht.
Wenn der heute morgen amtierende Präsident es zuließ, daß ein Herr Minister diesem Hause die Zensur „sachlichen Tiefstand" erteilt, dann steht mir keine Kritik daran zu.
Ich kann nur sagen, daß man es s o in diesem Hause im allgemeinen nicht handhabt. Man sollte es den Abgeordneten überlassen, sich ihr Urteil darüber zu bilden, wenn der Herr Minister meint, solche Zensuren austeilen zu müssen.
— Ich nehme an, daß Sie mündig genug sind, ihn das selbst fragen zu können.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Der § 47 der Geschäftsordnung gibt den Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesrates sowie ihren Beauftragten das Recht, jederzeit hier das Wort zu nehmen.
— Einen Augenblick, meine Herren! Lassen Sie erst einmal den Präsident ausreden, bevor Sie ihn kritisieren. Ich mache darauf aufmerksam, daß der § 47 der Geschäftsordnung der Bundesregierung und dem Bundesrat das Recht auf jederzeitiges Gehör gibt. Infolgedessen kann nicht von einem Gastrecht geredet werden, Herr Abgeordneter, weder der Bundesregierung noch des Bundesrates. Im übrigen empfehle ich, ohne weitere Polemik, vor allem gegen Abwesende, hier zur Sache zu kommen.
Der Herr Minister ist anwesend. Aber Herr Präsident, ich bedanke mich freundlichst für Ihre Belehrung. Im übrigen darf ich nur sagen, daß mit mir viele meiner Kollegen und Kolleginnen heute morgen die unsachliche Feststellung, daß das Haus einen sachlichen Tiefstand zeige, mehr als betrübt hat.
— Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen diese wilden Zurufe ein paarmal erlebt; sie beirren uns aber absolut nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen Augenblick, Herr Kollege.
Ich habe heute morgen nicht präsidiert, und ich habe das Protokoll ,der Sitzung noch nicht gelesen. Aber entheben Sie mich bitte der mißlichen Situation, irgend etwas sagen zu müssen zu einer Sache, während der ich nicht präsidiert habe und die ich aus dem Protokoll noch nicht kenne.
Bitte, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Sträter, ich habe heute morgen Ihren Ausführungen gut zugehört, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie sich wirklich mit guter Sachlichkeit bemüht haben, das Anliegen, so wie Sie es sehen, vorzutragen. Sie haben u. a. erklärt, es wäre besser gewesen, man hätte schon vor vierzig Jahren über dieses Problem gesprochen. Darf ich Sie einmal darauf hinweisen, daß gerade Vertreter der beiden Kirchen — das weisen die Geschichtsschreibung und die Protokolle des Reichstags aus — schon vor mehr als vierzig Jahren, zur Zeit der Regierung des Fürsten von Bismarck, sich ernstlich um die damals entstehenden Frage bemüht haben — also nicht erst vor vierzig Jahren, sondern schon vor mehr als vierzig Jahren.
Im übrigen will ich hiermit nicht behauptet haben, daß die Kirche mit ihrem Anliegen, das sie damals vertreten hat, zum Erfolg gekommen ist. Die Kirche hat sich auch jetzt wieder bereits zehn Jahre lang bemüht — das ist ja hier bestätigt worden —, an der Gestaltung der Ordnung in der Arbeitswelt ,mitzuhelfen. Aber auch jetzt ist sie mit ihrer Auffassung nicht zum Zuge gekommen.
Heute morgen ist hier erklärt worden, die kirchlichen Vertreter hätten die Gespräche abgebrochen. Dazu darf ich feststellen: dieses Gespräch ist nach meiner Auffassung lediglich durch die Tatsache unterbrochen worden, daß die verschiedensten Kreise eine fertige Tatsache geschaffen haben.
Herr Minister Hemsath hat heute morgen erklärt, er sehe nicht ein, daß man nicht, nachdem dieses Arbeitszeitabkommen geschlossen sei, auch noch im Nachhinein darüber sprechen könne. Wir registrieren sehr gern, daß der Herr Minister Hemsath hier erklärt hat, er sei in dieser Frage noch anzusprechen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß sich gerade der Sozialethische Ausschuß der evangelischen Kirche des Rheinlands in seiner Denkschrift wieder einmal bemüht hat, hier ein paar Vorschläge zu machen. Die Kirche hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es ihr nicht zustehe, Vorschläge zu unterbreiten. Wenn man aber das Wort als eine echte Diskussionsgrundlage nehmen will, sind wir erfreut, daß Sie bereit sind, diese Diskussion aufzunehmen. Wir dürfen ja annehmen, daß nach einem guten Vorschlag dann vielleicht eine bessere Regelung kommt, als sie jetzt hat getroffen werden können.
Herr Kollege Sträter, Sie haben heute morgen einige sachliche Darstellungen gegeben. Vorausgegangen ist nach meiner Auffassung, und zwar mit Recht, vom Kollegen Even eine Darstellung über das Anliegen und über die Sorge, die die katholische Kirche in ihrem Wort zum Ausdruck gebracht hat. Und wenn ich es eben als meine Pflicht ansehe, hier auch die Stimme der evangelischen Kirche in diesem Bereich zu Gehör zu bringen — wobei ich nicht sagen will, daß ich allein dazu berechtigt bin und den Auftrag habe —, dann muß ich sagen, daß es doch nicht unsachlich ist, sondern ein Argument, das, auf die Sache bezogen, nichts anderes erweisen soll, als daß wir, d. h. die Kirche, bemüht sind, an der Gestaltung mitzuhelfen.
Sie haben ein gutes Recht, wenn nach Ihrer Meinung falsche Anschuldigungen gegenüber der IG Metall erhoben werden, sie richtigzustellen. Das würde ich an Ihrer Stelle genausogut tun. Ich habe nur -- bitte nehmen Sie es mir nicht übel — die Frage, ob Sie bei Ihrer Beantwortung oder bei Ihrer Zurechtweisung nicht doch in einem gewissen Maße der Polemik erlegen sind, die im letzten Grunde die Diskussion ein wenig schwierig gemacht hat.
Das heißt auf Hochdeutsch: wenn ich das beanstande, was Sie getan haben, dann tue ich das nicht in derselben Art.
Meine Damen und Herren, als vor vielen Jahren die Einführung der gleitenden Arbeitswoche diskutiert wurde — das ist heute morgen ein paarmal angesprochen worden —, hat Walter Freitag nicht nur gesagt, das sei ein sozialpolitischer, kultureller Rückschritt, sondern er hat, ich darf das hier einmal sagen, dieses ganz brutale Wort gebraucht, die Einführung einer solchen Arbeitszeitordnung bedeute, daß der Arbeiter wieder zu einem früheren Sklavendasein verurteilt werde.
Nachdem man sich jetzt anschickt, für 17 000 Arbeiter die gleitende Arbeitswoche einzuführen, haben wir in einer Rundfunkansprache gehört, die Einführung der gleitenden Arbeitswoche sei ein wesentlicher Fortschritt auf dem Wege der Verkürzung der Arbeitszeit. Meine Damen und Herren, wenn nach den Darstellungen ,aus dem Raume der Gewerkschaften und anis den Kreisen der Arbeitgeber eine Verkürzung der Arbeitszeit sich nur mit der Einführung der gleitenden Arbeitswoche erreichen läßt, dann darf ich Ihnen trotz
allem sagen — und das müssen Sie mir abnehmen —, daß die evangelische Kirche sich bis heute noch nicht damit ,abgefunden hat, daß die Verkürzung der Arbeitszeit nur mit der gleitenden Arbeitswoche gekoppelt sein könne. Die evangelische Kirche verbleibt nach wie vor bei ihrem Nein, auch dann, wenn argumentiert wird, es sei der Wille der Stahlarbeiter, dieses Arbeitszeitabkommen realisiert zu sehen. Und wollte man von diesem Nein der Kirche zur gleitenden Arbeitswoche ableiten, daß die Kirche gegen die Verkürzung der Arbeitszeit sei, so muß ich Ihnen sagen: das wäre meines Erachtens eine Verleumdung der Kirche und eine Irreführung der Arbeiterschaft. Die Kirche spricht sich nach wie vor für eine Arbeitszeitverkürzung aus, aber — ich darf es noch einmal wiederholen — sie sieht nicht ein, daß damit die gleitende Arbeitswoche gekoppelt sein müsse.
Eine weitere Begründung, die der Herr Landesarbeitsminister für die Einführung der gleitenden Arbeitswoche gegeben hat, muß meines Erachtens nicht nur die evangelische Kirche, sondern auch die katholische Kirche bei allem Realismus gegenüber notwendigen wirtschaftlichen Bedenken geradezu als ungeheuerlich empfinden. Der Minister erklärte in seiner Rundfunkansprache: „Eine rationellere Ausnutzung der maschinellen Anlagen ist erforderlich, wenn die mit der wesentlichen Verkürzung der Arbeitszeit verbundenen Kosten tragbar werden sollen." Die kontinuierliche Arbeitsweise — so sagte der Minister — ermögliche eine solche rationelle Ausnutzung der Maschinen. Meine Damen und Herren, die Kirche — und das zeigt ihr Wort eindeutig — vermag diesem wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitsdenken nicht zu folgen. Im Gegenteil, diese Begründungen erhöhen unsere Sorge nur noch mehr; denn mit diesen Begründungen: Arbeitszeitverkürzung und rationelle Ausnutzung, ist alles gegeben, was einer Ausweitung der gleitenden Arbeitswoche Tür und Tor öffnet. Mit diesen Begründungen, Herr Minister, berauben Sie sich selbst der Möglichkeit, mit stichhaltigen Argumenten den weiteren Forderungen auf Einführung der gleitenden Arbeitswoche, etwa aus der Papier-, Chemie-, Textil-, Glas- und Zuckerindustrie, entgegentreten zu können. Was dem einen recht ist, ist dem andern mit derselben Begründung billig. Man sollte sich hier nichts vormachen und sollte nicht sagen: Ja, aber in diesen Betriebsarten sind die zwingenden technischen Notwendigkeiten nicht gegeben. Ich sage: Noch nicht gegeben. Seien Sie versichert, meine Damen und Herren: die Industrie hat es bisher verstanden, in ihren Bereichen Impulse zu erwecken, die im letzten Grunde geeignet sind, diese noch fehlenden technischen Notwendigkeiten zu schaffen, so daß man dann letzten Endes nicht in der Lage ist, solche Forderungen mit einer guten Begründung abzulehnen.
— Das können Sie ruhig tun. Ich habe bekanntlich ein sehr gutes Gedächtnis und darf Sie gleich darauf hinweisen, daß ich mich, ebenso wie jetzt, schon bei der Einführung der gleitenden Arbeitswoche für einen weitaus kleineren Kreis im Jahre 1952 dagegen ausgesprochen habe. Es bedarf also Ihrer Erinnerung absolut nicht.
Bei den Betrieben, meine Damen und Herren, die die Ausnahmegenehmigung vor Jahren unter ganz anderen Voraussetzungen erhalten haben, als sie jetzt gegeben sind, konnte man, wenn man will, die technischen Notwendigkeiten anerkennen. Damit kein falscher Eindruck entsteht, muß ich hier einmal sagen, niemand aus dem Bereich der Kirche hat sich dagegen ausgesprochen, daß für gewisse Betriebsarten, Siemens-Martin-Stahlwerke etwa, die kontinuierliche Arbeitswoche durchgeführt wird.
— Da gibt es gar nichts groß zu fragen! Ich will Sie gleich darauf aufmerksam machen, daß wir die Ausweitung, die wir damals bei der Erteilung der Ausnahmegenehmigung befürchtet haben, heute praktisch erleben. Wir vermögen nicht einzusehen, daß z. B. bei den Elektrostahlwerken und bei den Walzstraßen erster Hitze die technischen Notwendigkeiten gegeben seien, die eine Ausweitung der gleitenden Arbeitswoche erforderten.
— Meine Damen und Herren, seien Sie nur zufrieden! Ich will Sie nur auf folgendes ;aufmerksam machen. Heute morgen wurde gesagt, es handle sich um 13 500 Menschen, Wenn man dazu aber noch die vierte Schicht hinzunimmt, handelt es sich bereits um 17 000 Arbeiter, und wenn Sie dazu auch die Frauen und die Kinder zählen, handelt sich eben nicht um 17 000, sondern um 40 000, 50 000 oder gar 60 000 Menschen, die im letzten Grunde von einer solchen Arbeitszeit betroffen werden.
Darf ich Sie einmal an das wunderschöne Plakat erinnern, das man im vorigen Jahre überall sehen konnte und auf dem zu lesen war: „Vati gehört sonntags mir!" Ich bin ganz dieser Meinung.
Meine Damen und Herren! Hinter diesen Gründen: Arbeitszeitverkürzung, rationellere Ausnutzung und zwingende technische Notwendigkeiten, steht im letzten Grunde eine Argumentation, die heute wiederholt ausgesprochen worden ist. Aber weil das auch eine erhebliche Sorge im evangelisch-kirchlichen Bereich ist, möchte ich sagen, daß dahinter noch ein anderes Argument steht, nämlich das hemmungslose Streben nach höherem Gewinn.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ruhig einmal sagen, nachdem Herr Minister Hemsath sich heute morgen darauf berufen hat, er sei Metallarbeiter gewesen, daß ich das für mich ebenso in Anspruch nehmen darf. Meine Damen und Herren, in unserer Bundesrepublik bereitet sich ein Tanz um den Götzen „Lebensstandard" vor, der uns alle nur mit Angst und Sorge erfüllen kann.
Lassen Sie mich sagen: dieses hemmungslose
Trachten nach mehr Verdienst, nach höheren Gewinnen bringt eine Vergötzung der Arbeit mit sich.
— Das lassen Sie mich ruhig sagen! Ich bin der Meinung, Sie wollen mit uns immer gute Demokraten sein.
Das hemmungslose Trachten nach höheren Gewinnen — —
— Aber entschuldigen Sie, Herr Keuning, es ist doch geradezu primitiv, einem Abgeordneten, wenn er zu der Frage spricht, zu unterstellen, daß er das Abkommen selbst nicht gelesen habe.
— Sie haben wahrscheinlich nicht begriffen, daß der Arbeiter nicht betroffen ist, wenn ich hier vom hemmungslosen Streben nach höherem Gewinn spreche. Bei dem Arbeiter kann man nicht vom Gewinn reden.
Mir geht es im Prinzip darum, das einmal aufzuzeigen.
— Das geht im Grunde genommen immer so. Sie können mich da gar nicht aus dem Konzept bringen. Es ist eine sehr beliebte Methode, dem anderen den Schwarzen Peter in die Tasche zu schieben nach der Parole: Haltet den Dieb!
— Herr Keuning, ich kann Ihnen nur sagen: wir wissen sehr genau Bescheid, weil wir das immer mitpraktiziert haben. Sie waren wahrscheinlich nicht dabei.
Lassen Sie uns doch darüber leidenschaftslos sprechen, meine Damen und Herren! Haben Sie Verständnis dafür, wenn unter diesen Aspekten der Sorge, daß wir in ein derartiges Arbeitstempo verfallen, die Kirche erklärt: Wir sehen nicht ein, daß wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsgründe dafür ausschlaggebend sein sollen, eine gleitende Arbeitswoche einzuführen. Und die Kirche muß bei ihrem Nein verbleiben. Wenn sie das tut, verehrter Herr Kollege Sträter, dann spricht sie damit beileibe kein schlechtes Urteil über die von Ihnen geleistete Arbeit aus. Herr Minister, ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin mir darüber klar, daß Sie eine sehr, sehr schwere Entscheidung getroffen haben. Aber, verehrter Herr Minister, auch wenn Sie die Entscheidung in voller Verantwortung getroffen haben, so kann uns das doch nicht davon entbinden, daß wir erstens das, was wir dazu zu sagen haben, noch sagen und daß wir zweitens mithelfen, daß aus dieser Entscheidung, von der Sie selbst sagen, daß sie nicht die letzte ist, vielleicht eine bessere wird.
Nein, meine Damen und Herren, die Kirche muß bei ihrem Nein bleiben, und sie muß es auch auf die Gefahr hin, daß man sagt, sie rede in einer Sache, in der sie nicht sachkundig sei.
Im Hinblick auf den Vorwurf, meine Damen und Herren, ist es geradezu interessant, einen erteilten Rat zu hören — —
— Meine Damen und Herren, warum regen Sie sich so auf? Ich bemühe mich gar nicht, Sie ins Unrecht zu setzen!
Im Hinblick auf den der Kirche gemachten Vorwurf lassen Sie mich auch einmal auf einen ganz interessanten Rat hinweisen, den man der Kirche erteilt hat. Man hat der Kirche den Rat erteilt, sie möge doch „noch einmal ganz intensiv die Logik der Zahlen auf sich einwirken lassen." Meine Damen und Herren, nichts demonstriert treffender das Nicht-ernst-nehmen-Wollen der kirchlichen Gründe als die bedauerliche Empfehlung, sich durch die „Logik der Zahlen" von der Notwendigkeit der gleitenden Arbeitswoche überzeugen zu lassen. Diese Zahlenlogik erhärtet das Nein der Kirche und beweist einmal mehr, daß nur wirtschaftliche Zweckmäßigkeiten und ökonomische Erwägungen zur Anerkennung des neuen Arbeitsabkommens geführt haben.
Es ist heute morgen — und das kann man dem Herrn Minister Hemsath nicht verargen — sehr viel von den kommenden guten Zeiten gesprochen worden. Er muß das zunächst einmal auf Vorschuß tun; denn die Auswirkung hat er im letzten Grunde noch nicht beurteilen können. Er hat sie noch nicht vor sich. Herr Minister, die gleitende Arbeitswoche scheint aber auch schon in ihrem Anfang sehr starke menschliche Belastungen mit sich zu bringen. Lassen Sie mich einmal in diesem Zusammenhang auf den vor wenigen Tagen in Duisburg stattgefundenen Streik hinweisen. In einem Werk sah sich die Werksleitung bei der Einführung eines neuen Arbeitszeitabkommens genötigt, ein Arbeitsteam an einem Ofen von neun Mann auf sechs bis sieben Mann zu reduzieren. Diese untragbare Zumutung, daß in Zukunft sechs bzw. sieben Mann dasselbe leisten sollen, was bisher neun Mann geleistet haben, hat bei den Arbeitern gar nichts anderes aufkommen lassen, als einfach zu streiken, um sich damit selbst zu helfen und sich von dieser, auch kräftemäßig gesehen, untragbaren Zumutung zu befreien.
Dazu kommt noch — das muß man auch einmal sagen, wenn hier immer so schön von Verdienstausgleich gesprochen wird —, daß diese Leute, denen man zumutet, statt mit neun mit sechs Mann an einem Ofen zu arbeiten, im Monat 130 und mehr DM weniger verdienen sollen. Das zeigt doch, wie bedenklich die Einführung der neuen Arbeitszeitregelung ist. Zum andern wird hier deutlich — und das sage ich im Hinblick auf unseren Arbeiter, um den wir eine Sorge haben —, daß mit der gutklingenden Begründung einer Arbeitszeitverkürzung an dem Arbeiter Raubbau getrieben wird, nur damit eine rationellere Ausnutzung der Maschinen möglich ist, und daß der Arbeiter im letzten Grunde zum gutgläubigen Objekt für das Streben nach höherem Gewinn wird.
Der Rat der Evangelischen Kirche hat nach ernstester Prüfung Protest erhoben und den Landeskirchen empfohlen, alle verantwortlichen Männer und Frauen zu echter Wachsamkeit aufzurufen. Ich bin der Auffassung, daß es nicht unsachlich ist, hier die Stimme einer Kirche zu Gehör zu bringen. Wenn man schon erklärt, man habe mit den
Kirchen gesprochen, dann sollte man die Stimme der Kirche auch noch jetzt hören.
Im übrigen, Herr Minister, besagten einige Zeitungsmeldungen, daß die Arbeitszeitordnung nach Besprechungen mit Vertretern der Kirche eingeführt worden sei. So ist das nicht ganz. Man hat die Vertreter der Kirche bis zu einem gewissen Grade gehört und dann das Arbeitszeitabkommen geschlossen, ohne jedoch im letzten Grunde dem Anliegen der Kirche Rechnung zu tragen.
Die Stellungnahme, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland abgegeben hat, ist so bedeutsam — und man muß sie kennen, wenn man den Grund der Ablehnung verstehen will —, daß ich den Herrn Präsidenten bitten muß, mir zu erlauben, daß ich diese Stellungnahme hier noch einmal bekanntgebe. Dabei darf ich darauf aufmerksam machen, daß sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland die Stellungnahme der Landeskirche von Westfalen zu eigen gemacht hat. Er erklärt:
1. Die gleitende Arbeitswoche zerstört die christliche Sonntagsfeier und macht die Heiligung des Feiertages, wie sie durch Gottes Wort geboten ist, praktisch unmöglich. Der Sonntag ist der Tag der Gemeinde Jesu Christi. Er ist für die Ruhe, die Sammlung der Familie und gemeinsame Erholung unentbehrlich.
2. Der Ersatz des Sonntags durch ein gleitendes System von arbeitsfreien Tagen zerstört nicht nur die Familie, sondern auch das Leben der Gesamtheit. Wenn die Glieder einer Familie getrennt voneinander ihren arbeitsfreien Tag haben, gerät der einzelne in eine gefährliche Isolierung.
3. Das Gebot der Feiertagsheiligung ist nicht starr. Es entspringt der Barmherzigkeit Gottes und muß in der Liebe zu Gott und dem Nächsten verwirklicht werden. Die Kirche wendet sich darum nicht gegen Arbeiten, die im Interesse der öffentlichen Versorgung und der Erholung geleistet werden müssen.
— Meine Herren, ich bedaure, daß ich Sie damit langweilen muß. Aber ich bin der Meinung, Sie sollten sich das ruhig anhören.
Sonst besteht nämlich die Gefahr, daß man annehmen müßte, Sie wollten das Wort nicht hören; und das will ich nicht.
In der Stellungnahme heißt es weiter:
4. Für die Genehmigung der Sonntagsarbeit kann der wirtschaftliche oder technische Nutzen des einzelnen Betriebes nicht als hinreichende Begründung angesehen werden. Auch der Vorteil, den eine verkürzte Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn für die Arbeitnehmer mit sich bringt, darf allein nicht ausschlaggebend sein. Nur ein überzeugendes allgemeines Interesse kann Ausnahmebewilligungen für Sonntagsarbeiten legitimieren.
Meine Damen und Herren, ich will es mir versagen, zu dieser Auffassung des Rats noch mein eigenes Wort zu sagen. Ich will hier nur darauf hinweisen, daß die Evangelische Kirche im Rheinland — das wird für Sie, verehrter Herr Kollege
Sträter, wichtig sein — bereits 1948 zu diesem Problem Stellung genommen und sich gegen diese Regelung ausgesprochen hat. Sie hat also immerhin vor zehn Jahren auch schon sehr aktiv an diesen Fragen mitgearbeitet. Im übrigen hat sich diese Landessynode am 26. Oktober 1956 noch einmal dagegen ausgesprochen und erklärt, daß die Aufhebung des Sonntags der weiteren Entchristlichung des Volkslebens in stärkstem Maße Vorschub leiste. Sie warnt daher eindringlichst davor, die Sonntagsruhe durch ein über die ganze Woche wechselndes System von freien Tagen zu ersetzen. Mir klingt jetzt in den Ohren — das muß ich einmal sagen —, was Minister Hemsath erklärte. Er hat gesagt, daß der Eindruck erweckt werden sollte, man wolle den Sonntag in Bausch und Bogen abschaffen. — Nein, meine Damen und Herren, so plump sind wir in unserer Argumentation nicht. Wir sagen nur mit ganzem Ernst: Wir haben schon im Jahre 1952 vor der Ausweitung gewarnt, jener Ausweitung, Herr Minister, die die Regierung Arnold vorgenommen hat. Heute erkennen wir, daß unsere Sorge damals zu Recht bestand und daß hier eine Ausweitung gegeben ist.
Heute müssen wir in einer echten Sorge um die Ausweitung wieder einmal unser Nein sagen. Nachdem sich gezeigt hat, daß unsere damalige Sorge berechtigt war, sollte das bei Ihnen zumindest den Eindruck hervorrufen, daß auch unsere heutige Sorge berechtigt ist.
Der Württembergische Evangelische Landeskirchentag hat alle Abgeordneten angeschrieben und sie aufgefordert, das Gebot der Sonntagsheiligung zu respektieren. Er weist darauf hin, daß die Einführung der gleitenden Arbeitswoche in erschreckendem Maße die Bedrohung des Sonntags zeige. Seine Sorge, daß die Dämme, die den Sonntag schützen sollen, durch den Zwang zu kontinuierlicher Arbeit und auch durch maßloses Streben nach Mehreinkommen immer mehr untergraben werden, sollten wir uns auch zu eigen machen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch mit einem kurzen Wort auf den Vorwurf eingehen, die Kirche sei in dieser Angelegenheit nicht sachkundig. Wer die Denkschrift des Sozialethischen Ausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland eingehend studiert, die zur Frage der Arbeitszeitregelung einen konkreten Diskussionsvorschlag macht, und wer weiter den Bericht des Sozialamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen sorgfältig liest, wird auch als ernstester Kritiker kirchlicher Einwände zu der Überzeugung kommen, daß kirchliche Institutionen die Problematik des gesamten Fragenkomplexes sehr wohl und auch sachkundig zu beurteilen wissen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Es ist über die Frage der Belastung der Familie gesprochen worden. Viper manche andere Frage ist gesprochen worden, die hier noch erörtert werden sollte, ohne dem einen oder dem anderen die Schuld zuzuschieben. Es ist nämlich das Betrübliche, daß man auch hier etwas von dem Bestreben spüren muß, daß einer dem anderen den Schwarzen Peter in die Tasche schieben will. In diesem Zusammenhang ist interessant, zu hören, daß die IG Metall einmal erklärte, die Arbeitgeber seien die Initiatoren dieses Ab-
kommens. Die Arbeitgeberseite wiederum erklärte: nein, die IG Metall sei der Initiator.
In der Auswirkung ist es doch furchtbar belanglos, wer der Initiator ist. Es ist auch nicht von Belang — was der Herr Minister heute morgen wiederholt und mit starker Betonung erklärte —, daß die Ausnahmegenehmigung der Regierung Arnold eine präjudizierende Kraft habe. Es mag Ihnen helfen, daß Sie das Gefühl haben: Na ja, ich bin nicht so ganz schuldig — wenn schon einmal darüber gesprochen wird —, daß diese Ausweitung gekommen ist. — Meine Damen und Herren, wir alle miteinander, angefangen von der linken bis zur rechten Seite, wir sollten nur zusehen, daß wir eines Tages den Schwarzen Peter nicht alle in der Tasche haben.
Wir stehen in der Gefahr, dem westlichen Materialismus zu verfallen, der sich nach meiner Auffassung in nichts von seinem östlichen Rivalen unterscheidet, höchstens dadurch, daß er ab und zu so tut, als ob das Wort der Kirche, der göttlichen Ordnung noch eine Gültigkeit hätte. Wir sollten auch als Abgeordnete in diesem Hause das göttliche Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen" als eine sehr, sehr ernste Ordnung betrachten.
Dieses Gebot — und das sage ich mir selbst auch und zuallererst — gilt es mit allem Ernst zu respektieren. Wer dieses Gebot durch Gesetz oder Pläne abschafft, der muß sich sagen lassen, daß er sich vor Gott und seiner Ordnung schuldig macht, und wer diese Ordnung beseitigt, der stellt auf der ganzen Linie die Existenz des Menschen in Frage. Daran möchte ich nicht schuldig sein.
Wir sollten alles tun, damit die Ausweitung vermieden wird. Herr Minister Hemsath, wir sollten alles tun, daß es in der Frage der Arbeitszeitordnung noch einmal zu einem guten und klärenden Gespräch kommt; denn sonst vermehrt sich eines Tages die auf uns liegende Not. Wir werden Sklaven unserer Arbeit, und es könnte sich an uns in erschütternder Weise das Wort vollziehen: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und er nähme doch Schaden an seiner Seele?"
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer neu und von der Sache unbeeinflußt in diesen Saal hereinkommt, hat das Gefühl, als wenn hier ungeheure Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden müßten. Wenn man die Dinge dann auf den Ausgangspunkt zurückführt, kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Heiligung und des Schutzes des Sonntags in diesem Hause keinerlei Meinungsverschiedenheiten bestehen und daß man, um den Eindruck von Meinungsverschiedenheiten hervorzurufen, genötigt ist, Dinge zu unterstellen, die von dem, dem sie unterstellt werden, niemals behauptet und auch niemals gewollt worden sind.
Der Herr Kollege Voß hat hier soeben sehr eingehend über die Haltung der Evangelischen Kirche zur gleitenden Arbeitswoche gesprochen. Die Haltung der Evangelischen Kirche hierzu ist von der
Sache her bestimmt. Sie ist daher sachlich und wird deshalb auch von allen, die sich hiermit befassen, ernst genommen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten die jüngste Stellungnahme, nämlich die der gemeinsamen Tagung des Männerwerks und des Sozial-Ethischen Ausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland, zur gleitenden Arbeitswoche zitieren. Herr Kollege Voß hat erklärt, die Kirche habe zur gleitenden Arbeitswoche im Bereich der Stahlindustrie hundertprozentig und kompromißlos nein gesagt. In dieser Entschließung heißt es unter Punkt 1:
Es ist eine zwingende Notwendigkeit, um der
Menschen willen die bisher 53,3 Stunden in
der Woche betragende Arbeitszeit in Stahlwerken zu beseitigen, ohne durch eine Verminderung der Stahlerzeugung die Arbeitsplätze in der gesamten Wirtschaft zu gefährden.
Kommentar: Eben dies sollte durch das Abkommen, das hier in Rede steht erreicht werden. Punkt 2:
Falls dazu unter den gegebenen technischen Umständen eine Einführung der gleitenden Arbeitswoche nötig ist, sollte die Genehmigung nur befristet und in begründeten Einzelfällen erteilt werden, da anlaufende neue Verfahren der Stahlerzeugung — Blasstahl- und Rotorverfahren — möglicherweise bereits in einigen Jahren eine neue Situation schaffen können.
Nichts anderes, als was in diesem Punkte 2 von der Kirche positiv beurteilt und als möglich zugegeben wird, ist in Nordrhein-Westfalen durch dieses Abkommen geschehen. Punkt 3:
Dabei sollte versucht werden, die Schichtpläne unter besserer Beachtung des Sonntags zu gestalten.
Wir haben hier gehört — das war zutreffend daß die in Frage stehenden Stahlarbeiter bisher überhaupt keinen freien Sonntag hatten, daß sie aber in Zukunft 13 freie Sonntage haben, die eingebettet sind in 72- bis 80stündige Arbeitspausen. So ist das Anliegen der Evangelischen Kirche durch dieses Abkommen erfüllt. Solange niemand technische Mittel vorgeschlagen hat, um den Betrieb der Siemens-Martin-Elektro-Stahlöfen auf andere Weise, auch unter Berücksichtigung des freien Sonntags, durchführen zu können — —
— Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege Voß. — Gerade diese Haltung der Kirche war mit ein ermutigendes Zeichen dafür, daß man zu einer sachlichen Diskussion in dieser Frage kommen kann.
Wie ist nun die ganze Polemik möglich gewesen? Sehen Sie, meine Damen und Herren: Wenn eine Regierungspartei oder, sagen wir besser: die Regierungspartei ihrer eigenen Regierung eine Große Anfrage vorlegt, dann geschieht das doch in den seltenen Fällen, wo das vorkommt, nicht aus einem Aufklärungsbedürfnis heraus — die Aufklärung hätte man sich auch auf andere Weise verschaffen können sondern es geschieht im allgemeinen, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, zu einer schwebenden Frage vor der Öffentlichkeit, vor dem Bundestag Stellung zu nehmen.
- Sicher; aber man muß ja eine Plattform dazu schaffen, und dagegen ist nicht das geringste einzuwenden. Die Große Anfrage ist von Herrn Kollegen Sabel durchaus der Sache entsprechend begründet und vorn Herrn Bundesarbeitsminister der Sache entsprechend beantwortet worden.
Nun hat aber die Bundesregierung auf diese Große Anfrage heute nicht eine Antwort gegeben, sondern zwei, und die zweite Antwort hat nicht der Herr Bundesarbeitsminister gegeben, sondern der Herr Bundesfamilienminister, und diese Antwort sah nun schon etwas anders aus, als es durch die Sache, um die es bei der Großen Anfrage geht, geboten war. Dazu muß nun einiges gesagt werden. Vielleicht irre ich mich, aber zunächst hatte man bei dem, was der Herr Bundesfamilienminister ausführte, das Gefühl, als ob sowohl den Gewerkschaften als auch der Sozialdemokratischen Partei als auch den liberalen politischen Kräften in unserem Volk die Absicht unterstellt werden müßte, sie seien dabei, den Sonntag zu beseitigen. Und von dieser unterstellten Absicht, die durch nichts zu begründen ist
und für die nicht der Schatten eines Beweises beigebracht werden kann — —
— Der Herr Minister hat selber gesagt, daß die liberalen und sozialistischen Kräfte den Sonntag beseitigen wollten. Wenn Sie das schwarz auf weiß lesen wollen, brauchen Sie ja nur die Zeitung „Mainpost" vorn 4. Februar herauszunehmen, wo es ja auch noch einmal bestätigt wird. Der Minister nannte diese Bestrebungen einen — das Wörtchen „verbrecherisch" hat er inzwischen dementiert — Versuch zur endgültigen Entweihung und Entheiligung des Sonntags.
— Wenn ich einen Versuch mache, unternehme ich ihn doch ganz bestimmt in der Absicht, irgendeine Tatsache zu vollenden, sonst lasse ich die Finger davon.
Niemand in den Gewerkschaften, niemand in den sozialdemokratischen oder liberalen politischen Kräften dieses Hauses hatte früher oder hat heute oder hat in Zukunft die Absicht, den Sonntag zu beseitigen, den Sonntag zu entweihen, den Sonn- tag zu entheiligen. Das wissen auch Sie selbst ganz genau. Sie wissen es schon deshalb ganz genau, weil die Gewerbeordnung von 1895 aus dem Zusammenwirken von katholischen, protestantischkonservativen und sozialistischen Kräften im alten Reichstag entstanden ist. An der Haltung dieser Kräfte hat sich ,inzwischen — soweit es die sozialistischen Kräfte anbetrifft, kann ich das mit Bestimmtheit sagen, soweit es die anderen anbelangt, hoffe ich es — nicht das geringste geändert. Wenn daher jemand sagt, daß diese Absicht bestehe, dann sagt er das wider besseres Wissen. Ich glaube nicht, daß wir durch derartige Behauptungen in der Sache einen einzigen Schritt weiterkommen, es sei denn,
man beabsichtigt, mit Hilfe einer derartigen Großen Anfrage nicht etwa eine Erklärung der Bundesregierung herbeizuführen und zur Sache zu
diskutieren, sondern gewisse propagandistische Erfolge in der Öffentlichkeit zu erzielen, d. h. mit anderen Worten, Reden zum Fenster hinaus zu halten.
Der Herr Bundesminister hat, um die Haltung der sozialistischen Kräfte noch zu unterstreichen, einen Herrn erwähnt, den er als Marxisten bezeichnet hat, und zwar Proudhon. Dieser Mann war einer der erklärtesten Feinde von Marx, und Marx hat ihn immer wieder auf das schärfste angegriffen und vor der Öffentlichkeit lächerlich gemacht! Wieso das nun plötzlich ein Marxist sein soll, vermag zunächst niemand einzusehen. Es handelt sich bei M. Proudhon um einen der sogenannten utopischen Sozialisten, deren es in Frankreich damals eine ganze Menge gegeben hat und vielleicht auch heute noch gibt, die aber niemals etwas mit der sozialistischen Bewegung, sofern sie sich historisch auf Marx zurückführen läßt, zu tun gehabt haben. Aber ganz interessant bei der Auseinandersetzung Proudhon—Karl Marx ist folgendes. M. Proudhon hat eine Schrift herausgegeben, die sich „La philosophie de la misère" nennt. Marx hat eine Gegenschrift herausgegeben, wo er mit ätzendem Spott Proudhon in der Öffentlichkeit auszuschalten versuchte, mit dem schönen Titel: „La misère de la philosophie". Wenn man sich das hier angehört hat, dann könnte man noch eine dritte Schrift herausgeben mit dem Titel: „La misère du Ministre Wuermeling".
Das ist Pech; das kann passieren. Aber wir wollen deswegen versuchen, die Dinge hier in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Der Herr Minister hat erklärt, man versuche hier, den Materialismus gleichsam als ein trojanisches Pferd des Ostens in unser Volk hineinzubringen. Dieser Materialismus, vor dem wir alle in unserem Volke, in der Bundesrepublik Angst haben und der uns in seinen Auswirkungen gerade in der Bundesrepublik zu den größten Besorgnissen Anlaß gibt, ist nicht zuletzt )dadurch entstanden, daß man das Goldene Kalb des Wirtschaftswunders so verherrlicht und angebetet hat, wie das von gewissen Gruppen hier geschehen ist.
Da wir einmal beim trojanischen Pferd sind, sage ich Ihnen: Diejenigen, die hier das Goldene Kalb des Wirtschaftswunders in der Propaganda und bei allen passenden und unpassenden Ge.legenheiten immer wieder als das erstrebenswerte Ziel und den großen Erfolg herausstellen, haben das Loch in die Mauer gebrochen, durch welches dann das trojanische Pferd des Materialismus einziehen kann.
— Selbstverständlich ist der wirtschaftliche Aufschwung ein Erfolg. Aber selbstverständlich darf der wirtschaftliche Gewinn, ;der Profit niemals zum eigentlichen und zum Selbstzweck alles dessen werden, was im öffentlichen Leben geschieht. Das haben Sie ja selber in Zusammenhang mit der Heiligung des Sonntags immer wieder betont.
Sie haben immer wieder gesagt: Sonntagsarbeit lediglich, um dadurch höhere Gewinne zu erzielen, darf niemals genehmigt werden.
— Frau Kollegin Weber, selbstverständlich weiß ich, was das Sozialprodukt ist. Selbstverständlich weiß ich, daß von der Höhe des Sozialprodukts viele andere Dinge, auch in der Sozialpolitik, abhängig sind. Selbstverständlich darf das aber niemals eine Begründung dafür sein, den Gewinn als das einzige Erstrebenswerte hinzustellen, um das es in der Politik geht. Dann haben Sie die Folge, von der Herr Minister Wuermeling gesprochen hat
— aber er hat leider nicht Sie gemeint, sondern ganz andere —, daß dadurch der Materialismus gezüchtet wird — die Folgen sehen wir ja draußen — und daß durch dieses trojanische Pferd dann Gedankengänge, die wir ablehnen, vom Osten her auf uns zukommen.
Der Sonntag ist geschützt durch die Weimarer Verfassung und darüber hinaus durch die Aufnahme der entsprechenden Bestimmungen in das Grundgesetz. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, eines möchte ich Ihnen ganz klar sagen: Was den Schutz und die Heiligung des Sonntags betrifft, haben weder Sie noch irgendeine andere politische Gruppe irgendein Monopol.
Der Schutz des Sonntags ist ein ganz allgemeines
Anliegen aller Mitglieder dieses Hauses, und zwar
aus sozialethischen und aus religiösen Gründen.
— Ich muß Sie leider daran erinnern, daß die Veröffentlichung, die ich bereits erwähnt habe, mit ein Anlaß dafür gewesen ist, sich von vornherein gegen gewisse Unterstellungen zu wehren. Aber wenn Ihnen das nicht genügt, dann kann ich Sie mit einem weiteren Beispiel bedienen. Mir liegt eine Flugschrift vor: „Geordnete Arbeitszeit, geordnete Familie — Um unsere Zukunft", herausgegeben von der Schriftenreihe „Um unsere Zukunft" im Auftrage des Familienbundes deutscher Katholiken, einer Organisation, von der ich wohl nicht mit Unrecht annehme, daß sie auch dem Herrn Bundesfamilienminister nahesteht. In dieser Flugschrift heißt es:
Die Kirchen haben wahrlich genug Zugeständnisse an die Arbeitswünsche der Menschen gemacht. Selbst höchste Feiertage — Fronleichnam, Peter und Paul, Mariä unbefleckte Empfängnis — wurden auf den nächsten Sonntag verlegt. Die Sonntage lassen wir nicht verlegen. Wer sie angreift, greift Gott an.
Bis dahin gut und recht. Und nun wird unter Bezug auf die gleitende Arbeitswoche gesagt:
Diesen getarnten Bolschewismus lehnen wir grundsätzlich ab.
Diese Anmaßung des Atheismus bekämpfen wir in radikalster Weise.
Wen aber spricht man mit dieser Flugschrift an,
wer ist denn gemeint mit dem getarnten Bolschewismus und wer ist gemeint mit dem anmaßenden Atheismus? Niemand anders als der Deutsche Gewerkschaftsbund. Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, daß sich die Kollegen Sträter und andere gegen nicht ausgesprochene Unterstellungen gewehrt hätten, dann kann ich Ihren nicht helfen. Denn klarer und deutlicher kann man diese Dinge ja wohl nicht aussprechen.
Eines muß immer wieder gesagt werden- daß die Frage der Heiligung des Sonntags und die Frage des Schutzes des Feiertags eine Frage ist, die von uns unumschränkt, und zwar nicht erst seit gestern und heute, immer wieder positiv entschieden worden ist, und daß auch die Frage der gleitenden Arbeitswoche ein Schritt dahin ist, den Menschen ihren Sonntag zu verschaffen, und nicht etwa ein Schritt dahin, den Menschen ihren Sonntag wegzunehmen.
Wer in diesem Zusammenhang denjenigen, die die Frage der gleitenden Arbeitswoche so entschieden haben, wie sie nunmehr entschieden ist — und, wie ich feststellen darf, auch mit Zustimmung der Evangelischen Kirche so entschieden ist,
solange keine bessere Lösung gefunden werden kann —, anmaßenden Atheismus und getarnten Bolschewismus vorwerfen will, begeht nichts anderes als eine böswillige Verleumdung und eine Unterstellung, die an dieser Stelle niedriger gehängt werden muß.
Nun möchte ich Ihnen noch etwas sagen! Nicht nur bei Ihnen, Herr Kollege Voß, sondern auch bei den Ausführungen des Herrn Bundesfamilienministers Wuermeling hatte man oft das Gefühl, es bestehe die Absicht, ganz allgemein in unserem Arbeitsleben die gleitende Arbeitswoche einzuführen. Die Stimmen der Kirche, die Sie zitiert haben, richten sich auch gegen die allgemeine Einführung der gleitenden Arbeitswoche.
— Nein, gegen die allgemeine Einführung! — Nun frage ich Sie: wer denn in der Bundesrepublik will die allgemeine Einführung der gleitenden Arbeitswoche? Sie werden niemanden finden, der das will. Weder der rabiateste Gewerkschaftssekretär noch der profitsüchtigste Unternehmer hat die Absicht, die gleitende Arbeitswoche allgemein einzuführen. Nichts dergleichen ist vorgesehen. Alle Angriffe gegen diejenigen, die das angeblich wollen, rennen ja doch absolut offene Türen ein, weil es derartige Kräfte überhaupt nicht gibt.
Der Schutz des Sonntags hat sich Gott sei Dank durchgesetzt. Sie wissen genau, daß das — als die Gewerbeordnung entstand — gar nicht so einfach war, daß ein Mann wie Bismarck mit den politischen Kräften, die hinter ihm standen, sich dem Sonntagsschutz mit allen Mitteln widersetzt hat, und wie er dann schließlich doch gegen seinen Willen hat durchgedrückt werden können.
Aber haben wir denn überhaupt den Sonntagsschutz? Ich hatte, als ich die Große Anfrage las,
gehofft, daß bei den Punkten 6 und 7 einmal ein Wort dazu gesagt würde, wie es denn mit unserer Sonntagsarbeit ganz allgemein nun werden soll. Sie wissen doch genau — Herr Minister Hemsath hat ja die Zahl für Nordrhein-Westfalen genannt —, daß Millionen von Menschen, allein in Nordrhein-Westfalen eine Million, Sonntag für Sonntag arbeiten müssen, daß sie in der Versorgung, im Nachrichtenwesen, im Verkehrswesen, im Gaststättenwesen, in Vergnügungsbetrieben und wo auch immer arbeiten müssen, ohne daß dazu eine zwingende Notwendigkeit besteht. Wir werden jede Maßnahme der Bundesregierung und jeden Gesetzentwurf, der dazu notwendig sein sollte — über die Gewerbeordnung hinaus —, begrüßen, der diese Sonntagsarbeit, die Millionenzahlen umfaßt, einschränkt.
Dagegen spielen die 13 500 Stahlarbeiter jetzt kaum noch eine Rolle. Das läßt sich kaum noch in Prozentsätzen ausdrücken. Das muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Voß. Die Rechnung, die Sie hier aufgemacht haben, war falsch. Sie haben gesagt: Es sind 13 500, und wenn die vierte Schicht dazukommt, sind es 17 000. Die vierte Schicht ist bei den 13 500 schon dabei.
— Sie ist schon dabei, das hat Herr Minister Hemsath hier eindeutig ausgeführt. Es kann gar keine Rede davon sein, daß diese Zahl 13 500 eine getarnte Zahl wäre und daß, wenn sich die Regelung voll ausgewirkt hat, diese Zahl wesentlich steigen würde.
Bitte, helfen Sie diesen Millionen Menschen, die bis jetzt — ohne zwingende Notwendigkeit — nicht in der Lage sind, einen Sonntag zu haben. Warum hat die Bundesregierung zu diesen Punkten der Großen Anfrage nicht klipp und klar und präzise erklärt, was sie in diesen Fällen zu tun gedenkt?
Das ist nicht in der erforderlichen Klarheit geschehen, obwohl man wirklich Zeit genug hatte, sich um dieses Problem zu kümmern.
Wir stellen fest, daß — nun einmal von diesen Millionen abgesehen, deren Verpflichtung zur sonntäglichen Arbeit wir nur bedauern können — in bezug auf die 13 500 Stahlarbeiter gewisse Verbesserungen eingetreten sind. Ich zitiere nun wieder, nicht wörtlich, aber doch inhaltlich, das, was die Evangelische Kirche des Rheinlandes, die es angeht, weil es sich in ihrem Bezirk abspielt, dazu gesagt hat. Sie hat gesagt, folgende Vorteile sind da: 42 Stunden statt 52,3 Stunden, die Leute sind länger arbeitsfähig, es gibt weniger Kranke und weniger Unfälle, die Menschen haben viel mehr Zeit für ihre Weiterbildung, als sie bisher hatten, sie haben Arbeitspausen, die diese Namen wirklich verdienen, die sie in der Vergangenheit nicht hatten, und sie haben die Chance zu einer vernünftigen Freizeitnutzung, die sie in der Vergangenheit nicht hatten. Das sind die Gründe.
— Ich lese gar nicht, ich zitiere aus dem Kopf. Ich habe das gar nicht vor mir;
das weiß ich so, weil ich mich mit diesen Dingen beschäftigt habe.
Aber auch die Kirche muß sich fragen: Was haben wir denn eigentlich früher getan, als diese
Dinge noch gar nicht so selbstverständlich waren wie heute? Und die Frage der Arbeiterschaft an die Kirche lautet: Wo wart ihr denn damals, als wir um diese Dinge noch erbittert kämpfen mußten, als das keine Selbstverständlichkeit war?
— Herr Kollege Voß, diese Frage hat sich die Kirche selbst gestellt und hat erklärt: Jawohl, wir haben da Schuld auf uns geladen; das müssen wir ganz offen zugeben. Die Evangelische Kirche vergibt sich gar nichts, wenn sie das zugibt.
— Versuchen Sie nicht zu beweisen, daß die Kirche schon immer diesen Standpunkt gehabt hat. Sie hat ihn nicht gehabt. Sie hat sich jetzt zu diesem Standpunkt durchgerungen, und wir alle freuen uns darüber, daß sie das getan hat.
Die Kirche sagt zweitens, die gleitende Arbeitswoche darf nicht Regel werden, sondern sie muß die Ausnahme bleiben. Niemand hier in diesem Raume und kein Tarifpartner hat jemals etwas anderes verlangt, als daß diese Regelung eine Ausnahmeregelung ist, eine befristete Regelung, die immer wieder aufs neue überprüft werden muß, ob sie noch angebracht ist oder nicht. Die Kirche hat weiter gesagt: Wirtschaftliche Belange dürfen nicht vor menschlichen Belangen rangieren, ein Wort, das wir 100%ig unterschreiben, und niemand in diesem Hause möchte etwas anderes haben.
Es ist natürlich die Frage, die wir uns schon wiederholt gestellt haben: Sollte vielleicht die Arbeitszeitregelung durch die Bundesregierung deshalb so lange auf sich habe warten lassen, weil man gewissen wirtschaftlichen Entwicklungen — sprich: gewissen Unternehmergewinnen — nicht allzu früh die Wurzel hat abschneiden wollen? Wir wollen nicht hoffen, daß dieses Argument in diesem Zusammenhang auch nur die geringste Rolle gespielt hat. Nach ,dem, was der Kollege Sabel hier ausgeführt hat, kann das auch nicht der Fall sein. Es gibt aber wie überall böse Leute, die glauben, auch hier einen Grund finden zu können.
Die Kirche hat weiterhin erklärt: Wir sagen ein bedingtes Ja zur Regelung bei den Siemens-MartinElektrostahlwerken, weil die Situation, wie sie jetzt nach dieser Regelung in Nordrhein-Westfalen entstanden ist, besser ist als die Regelung, die bisher vorhanden war.
— Davon ist doch gar keine Rede. Kein Mensch will das ausweiten. Wer hat behauptet, daß diese Regelung ausgeweitet werden soll? Wer oder welche politische Gruppe hat in diesem Saal erklärt, daß diese Regelung ausgeweitet werden soll? Sie kämpfen ja doch einen Kampf mit einem Strohmann, den Sie sich selber aufgebaut haben; den können Sie in aller Ruhe totschlagen.
Wir können in dieser Frage heute nicht mehr tun als uns auf das Fundament stellen, das die Vergangenheit bereits gebaut hat, und nur unserer Hoffnung Ausdruck geben, daß uns alle, die die getroffene Regelung so scharf kritisiert haben,
sehr bald Vorschläge bringen, wie man dieses Problem so läsen kann, daß jedem Stahlarbeiter nicht 13, sondern 52 Sonntage im Jahr frei bleiben. Sie können sich darauf verlassen, daß die Sozialdemokraten die letzten sind, ,die einer solchen Regelung nicht freudig ihre Zustimmung geben. Aber bis jetzt haben wir nur Kritik, dagegen nichts von positiven Vorschlagen gehört, wie diese Dinge besser geregelt werden sollen.
Auch Minister Hemsath hat sich bereit erklärt, jeden Vorschlag, der eine bessere Regelung als die jetzt gefundene bringt, sofort in Erwägung zu ziehen und in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich weiß nicht, ob Sie noch mehr verlangen können.
Ich möchte zum Schluß nur noch ein Wort zitieren, das auch von der Evangelischen Kirche stammt, die am Ende ihrer Stellungnahme zu diesem Fall sagt:
Auch wir sind in Gefahr, vom Gigantismus der Technik überrundet zu werden und dabei mit Leib und Seele verloren zu gehen. Gott läßt uns noch eine Zeit, seinem Gebot zu gehorchen und in ihm seine Wohltaten zu empfangen. Wie lange noch? Keiner weiß es. Aber dies ist klar: nicht unendlich, nicht immer. Darum nützet die Stunde!
Das Wort hat der Abgeordnete Sträter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zu entschuldigen, daß ich noch einige Bemerkungen zu machen habe. Ich glaube, es war der Kollege Voß, der die Sprache auf das Plakat brachte „Samstags gehört Vati mir". Ich glaube, jeder vernünftige Mensch wird zugeben müssen — ich habe das in meinen Ausführungen heute morgen schon zum Ausdruck gebracht —, daß man die Hüttenwerke samstags nicht einfach zumachen kann. Ich lege sehr großen Wert darauf, daß man das Plakat des DGB nicht so mißbraucht, wie es hier wieder geschehen ist.
Ich wiederhole: es geht gar nicht um die Frage, die man hier aufzuwerfen versuchte, sondern es handelt sich ausschließlich darum: Wenn man Samstag früh schließt und am Montagmorgen um 6 Uhr beginnt, ist die Folge, daß die Walzwerke erst Montag mittags anfangen können. Es geht ganz nüchtern um diese Frage. Wer das will, soll es hier bekennen und nicht drum herumreden. Es wäre auch Sache des Kabinetts hier zu erklären, ob man das will oder ob man das nicht will. Wir meinten es nicht verantworten zu können. Ich spreche das mit aller Offenheit aus.
Es geht gar nicht um einen Streit der Tarifpartner mit den Kirchen. Mit den Kirchen haben wir keinen Streit, sondern wir teilen mit ihnen die Sorge wegen einer Ausweitung. Wir haben uns bereit erklärt, die Grenzen so eng wie nur irgend möglich zu ziehen. Das könnte bei den Beratungen hier demnächst geschehen. Natürlich, wenn da Wünsche, wie es auch schon angedeutet worden ist, vorgebracht werden, die nicht mehr zu erfüllen sind, dann muß man eben einen Riegel vorschieben. Aber ich halte es einfach nicht für angängig, die Dinge mit dem jetzigen Vertrag zu koppeln.
Dann ist hier gesagt worden, einige Leute hätten nach der Arbeitszeitverkürzung 130 DM im Monat weniger. Ich weiß nicht, wo solche Weisheiten herkommen. Natürlich hat es Leute gegeben, die, wenn der Monat fünf Sonntage hatte, alle fünf Sonntage in der Fabrik gewesen sind. Der Lohnausgleich hat sich nach der 52- oder 53-Stundenwoche gerichtet. Solche Dinge sind unberücksichtigt geblieben, weil niemand von uns die Sonntagsarbeit bisher in einem solchen Ausmaß toleriert hat. Ich habe heute morgen noch auf einen anderen Fall hingewiesen.
Herr Wuermeling, Sie haben heute morgen eine Frage gestellt und daraus einen Verdacht geschöpft: Na —, ihr habt doch zunächst 45 Stunden ausgemacht, und dann sind überraschenderweise für die Arbeitnehmerseite die 42 Stunden gekommen. Wir haben gesagt: Wir akzeptieren 45 Stunden, aber die Sonntagsarbeit in diesem Ausmaß muß aufhören; wenn Sie das wollen, akzeptieren wir es; das heißt, daß auch die Reparaturen in dem bisherigen Ausmaß und das Produzieren Sonntag abend um 6 Uhr in dem bisherigen Ausmaß nicht mehr akzeptiert werden.
Das waren wahrscheinlich die Beweggründe, die die Unternehmer veranlaßt haben, zu sagen: Dann machen wir es lieber kontinuierlich. Es wurde uns im Bundesarbeitsministerium die Frage vorgelegt: Können Sie die Garantie dafür übernehmen, daß die Dinge sich nicht ausweiten? Wir wurden nicht allein gefragt, sondern auch zwei Herren der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Wir haben dort erklärt: Wir können diese Versicherung zwar abgeben, aber Sie können uns nicht für ein ganzes Jahrhundert festlegen, wir wissen nicht, wie morgen, übermorgen oder in einigen Jahren die technischen Dinge aussehen; wir haben heute bereits Martin-Werke mit 250 und 300 t, die also Hochofenbetriebe sind, das dürfte doch wohl genügend beweisen; oder wir stoppen diese Entwicklung und lassen uns von der Konkurrenz des Auslandes überfahren; wenn Sie das wollen, auch einverstanden!
In der Verordnung von 1895 ist die Rede davon, daß man Sonntagabend um 6 Uhr wieder produzieren kann. Damals gab es keine 8 Stunden. Es wäre doch logisch, wenn man jetzt statt 6 Uhr 22 Uhr setzte. Auch das ist doch ein Hinweis darauf, daß die Dinge nicht mehr haltbar sind.
So lege ich Wert darauf, daß bei der Besprechung dieser Frage alle diffamierenden Meinungen, die zu einer Vergiftung der ganzen Öffentlichkeit beigetragen haben , ausgeklammert werden. Diskussionsredner, die solche diffamierenden Meinungen vorbringen, sollten entweder schweigen, oder sie werden zum Schweigen gebracht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Abschluß der Diskussion möchte ich noch einige Bemerkungen machen.
Ich bedaure die Schärfe, die in einem Teil der Diskussion hervorgetreten ist, glaube aber, wir sollten nicht verkennen, daß die Diskussion doch auch manches Gemeinsame gezeigt hat. Wir sollten es um der Sache willen nicht übersehen.
Ich habe zu Beginn in der Begründung der Großen Anfrage darauf hingewiesen, daß es uns darum geht, in dieser wichtigen und nicht einfachen Frage eine gemeinsame Front zu schaffen.
Ich rede von dem, was von mir heute morgen hier gesagt worden ist, und nicht von anderen Reden. — Ich sage noch einmal: wir sollten trotz der Schärfe der Diskussion nicht übersehen, daß manches Gemeinsame sich gezeigt hat.
Nun zu den Ausführungen der Kollegen. Ich muß mich mit einigen Bemerkungen des Kollegen Sträter beschäftigen. Kollege Sträter, ich habe manchmal den Eindruck, daß die Problematik, die uns zum Ansprechen dieses Themas veranlaßt hat, das ernste Anliegen, das wir hier haben, doch nicht ganz gesehen wird.
Man sagt, Ernst und Arnold haben angefangen. Mir geht es nicht darum, diesem oder jenem Minister einen Vorwurf zu machen. Wir wissen, daß Fehler an verschiedenen Stellen gemacht worden sind.
Nun hat natürlich eine Ausnahmeregelung in der Hüttenindustrie und in den Walzwerken ein etwas größeres Gewicht als andere Ausnahmen, und gerade infolge des größeren Gewichts verstärkt sich die Sorge, daß sich weitere Möglichkeiten anbahnen, zumal da wir ja wissen, daß auch aus ,anderen Bereichen schon Forderungen angemeldet werden, auch dort die kontinuierliche Arbeitsweise einzuführen. Das sind Dinge, die man nicht übersehen darf.
Es ist gesagt worden, wir hätten uns früher darum bemühen sollen, die Überbeanspruchung der Menschen in der Schwereisenindustrie, in den Hütten- und Walzwerken zu verhindern. Ich habe heute morgen schon darauf hingewiesen: ich habe nie gehört, daß negative Meinungen zur Frage der Arbeitszeitverkürzung vertreten worden wären. Wir sind uns darüber im klaren, daß leider gerade die schwerarbeitenden Berufe oft die längste Arbeitszeit hatten; zum Teil allerdings wohl deshalb, weil bestehende Gesetze nicht eingehalten worden sind, zum Teil also Dinge geschehen sind, die nach den gesetzlichen Arbeitszeitbegrenzungen nicht mehr möglich sein sollten. Ich sage noch einmal: wir sehen das echte Anliegen. für diesen Personenkreis die Arbeitszeit auf ein vernünftiges Maß herabzusetzen.
Herr Kollege Sträter sagte, es sei Unwahrheit, zu behaupten, die Regelung — er meint die tarifvertragliche Regelung — bringe Ausweitungen der Sonntagsarbeit. Bitte, es steht in § 4 dieses Abkommens: ..In Abweichung von §§ 2 und 3 darf die normale Arbeitszeit in ,der Woche im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen für Siemens-MartinStahlwerke, Elektrostahlwerke und die Blockstraßen" — und nun heißt es: ,,soweit diese in voll kontinuierlicher Arbeitsweise laufen, 42 Stunden nicht überschreiten."
Der Unterschied liegt darin, daß jetzt auch die Produktionsarbeit von morgens 6 Uhr bis abends 6 Uhr durchgeführt wird, praktisch also um 12 Stunden, d. h. von bisher 156 auf 168 Stunden ausgeweitet warden ist.
- Ja, die Reparaturen, die zum Teil bisher schon in ungesetzlicher Weise durchgeführt wurden.
Ich meine, das muß man klar sehen. Kollege Sträter, ich glaube, da sind wir auch noch auseinander. Ich kann es nicht billigen, wenn gesagt wird, es sei gleich, ob der Arbeiter durch Reparatur- oder Produktionsarbeit den Sonntag verliere. Kollege Sträter, das ist nicht gleich! Bei der Reparaturarbeit ist die Sonntagsarbeit ja nur gestattet und nur vertretbar, wenn sie unerläßlich ist
und weil sie nötig ist. Bezüglich der Produktionsarbeit sind wir der Meinung — und mit uns viele Fachleute —, daß ein kontinuierlicher Betrieb, eine kontinuierliche Produktion eben nicht notwendig ist. Darin liegt der Unterschied in 'der Wertung der Sonntagsarbeit, in der Beschränkung der Sonntagsarbeit auf das unumgänglich Notwendige.
Kollege Sträter hat heute morgen auf ein Gutachten hingewiesen, das, von der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen veranlaßt, durch einige Wissenschaftler erstellt worden ist, und es ist der Anschein erweckt worden, die Gutachter hätten die gleitende Arbeitswoche gebilligt. Das ist nicht der Fall. Sie haben sich sehr viel Mühe gemacht, die Problematik zu studieren, und sie haben auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die nicht zu verkennen sind und die niemand abstreiten kann. Aber, Herr Kollege Sträter, ich darf doch gerade auf den Absatz V dieses Gutachtens hinweisen, in dem die religiösen und ethischen Gesichtspunkte behandelt werden. Ich darf weiter darauf hinweisen, daß es nicht richtig ist, wenn gesagt wird — das ist an einer anderen Stelle einmal erklärt worden —, die Gutachter hätten dieses Verfahren bei den Hüttenwerken in Oberhausen gebilligt. Das trifft nicht zu.
Kollege Sträter und auch Kollege Merten haben n diesem Zusammenhang von einer „Wahlmache" gesprochen. Ich bitte, wirklich nicht anzunehmen, daß es uns darum gehe. Der eine oder der andere mag einen falschen Zungenschlag gehabt haben. Das bedauere ich auch. Ich bin der Meinung, daß die Dinge gemeinsam sachlich diskutiert werden müsen, und ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß diese Frage zu ernst ist, um zu einer Angelegenheit der Wahlagitation zu werden. Ich möchte in aller Offenheit sagen: ich glaube, wir sollten uns diese Vorwürfe gegenseitig ersparen.
— Und, Herr Kollege Schröter, auch Herrn Minister Hemsath!
Sie haben nun darauf hingewiesen, man sollte sich auch um die sonstigen Probleme der Nichtrespektierung des Sonntags kümmern,
und zwar sind der Ladenschluß und solche Dinge angesprochen worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß wir uns um diese Dinge im letzten Jahr ernstlich bemüht haben. Wir haben nicht immer den
Beifall aller gefunden, wie man wohl sagen darf; aber es ist Gott sei Dank gelungen, endlich einmal einen der Verkaufssonntage vor Weihnachten zu beseitigen. Es ist Gott sei Dank gelungen, eine ganze Reihe von Sonntagen zu beseitigen, für die früher Ausnahmegenehmigungen erteilt werden konnten.
Wenn es nach mir ginge, würden wir noch eine beachtliche Reduzierung dieser Sonntagsarbeitsmöglichkeiten durchsetzen. Hier sind wir Gott sei Dank ein Stück weitergekommen, während Sie jetzt eine neue Komplikation geschaffen haben.
Das ist nun einmal der Unterschied.
Lassen Sie mich nun eine Bemerkung zu Herrn Minister Hemsath machen. Herr Minister Hemsath, über die sachlichen Dinge können wir sehr gut miteinander diskutieren. Aber ich möchte Ihnen doch noch eins sagen. Die Einführung, die Sie heute hier gegeben haben, war nicht gut.
Schauen Sie sich einmal das Protokoll an! Ich glaube, so geht es nicht. Über die anderen Fragen wollen wir uns ernsthaft unterhalten. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie sich diese Entscheidung zu leicht gemacht haben. Nein, das habe ich Ihnen nie unterstellt. Ich weiß, daß es schwierige Probleme sind. Aber wir sind der Auffassung, daß die Entscheidung falsch war.
— Wollen wir uns darüber nicht streiten!
— Sie können ja darüber abstimmen lassen.
Ich sage noch einmal: ich bin nicht der Meinung, daß Sie sich die Entscheidung leicht gemacht haben, aber wir halten die Entscheidung eben nicht für richtig. Wir halten die Entscheidung auch nach den gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten im Augenblick nicht für möglich, gerade weil wir der Auffassung sind, .daß die Arbeitszeitordnung, § 28, solche Genehmigungen, obwohl man da sehr weit geht, nicht zuläßt. Ich billige Ihnen zu — ich sage es noch einmal —, daß die Schwierigkeiten unbestritten sind und daß es sich um keine einfache Angelegenheit handelt, und wenn wir dazu kommen werden, die Bundesratsverordnung von 1895 einmal unter die Lupe zu nehmen, werden wir spüren, wieviel Schwierigkeiten darin stecken. Ich weiß, hierin stecken eine ganze Reihe überholter Dinge, die leicht beseitigt werden können. Aber wir haben ernsthaft zu prüfen: Hat sich die Situation gegenüber 1895 nicht da und dort geändert? Ich glaube, niemand wagt zu bezweifeln, daß sich manches geändert hat. Wir werden uns über diese Dinge unterhalten müssen. Seien wir uns darüber im klaren, daß wir für die Überprüfung keine Termine setzen können. Ich glaube,
hier muß ein gemeinsames Bemühen des Parlaments, der Verwaltungen, der Techniker und der Arbeitsplaner einsetzen, damit der richtige Weg gefunden wird. Und wenn Sie sagen: Wir wollen gemeinsam bessere Lösungen suchen, dann sage ich: Ja, das wollen wir; wir wollen gemeinsam versuchen, wie wir mit diesem Problem fertig werden. Wir sehen die Probleme der Gesunderhaltung durch Begrenzung der Arbeitszeit. Sie sind unser echtes Anliegen.
Sie haben mir den Vorwurf gemacht, ich hätte die Briefe von Kardinal Frings nicht ganz zitiert. Ich glaubte mir das ersparen zu können, weil sie ja den Abgeordneten vorliegen. Ich habe nur einige Stellen in Ihrem Schreiben und in dem Schreiben von Kardinal Frings in Vergleich gesetzt. Ich hatte bei Gott nicht die Absicht, irgend etwas zu unterschlagen. Jedes Mitglied dieses Hohen Hauses hat ja diese Korrespondenz in Händen.
Ich möchte noch einmal sagen: Die Überprüfung wird notwendig sein. Sie wird eine gewisse Zeit erfordern. Der Bundesregierung möchte ich für ihre Erklärung danken, die uns doch zeigt, daß man auch hier bereit ist, die Dinge nicht dilettantisch zu behandeln, daß man auch hier das Problem sieht und daß man mit uns der Meinung ist, daß eben der Sonntagsarbeit echte Grenzen gesetzt werden müssen. Die Bundesregierung will also wie wir die Mißbräuche bei der Sonntagsarbeit verhindern. Wir wünschen, daß sie hier sehr aktiv wird; wir wünschen, daß hier auch eine gute Zusammenarbeit mit den entsprechenden Verwaltungen der Länder erfolgt.
Ich darf zum Schluß noch einmal unser Grundanliegen herausstellen. Wir sind der Meinung: die Arbeit am Sonntag soll und muß die Ausnahme sein. Wir sind der Meinung: eine Gleichstellung des Sonntags in der betrieblichen Arbeitsplanung mit dem Werktag ist unmöglich. Wir wissen, daß die Bundesratsverordnung von 1895 einer Überprüfung bedarf. Wir sagen: .die gleitende Arbeitswoche bringt die Gefahr, die Sonntagsarbeit zur Regel zu machen. Das kann nicht die letzte Antwort auf unser Anliegen sein. Ich möchte auch die Verpflichtung des Parlaments, der Verwaltung und aller 'beteiligten Kreise — dazu gehören auch die Sozialpartner — betonen, hier nach einer Lösung zu suchen, die wir dann gemeinsam vertreten und verantworten können.
Keine weiteren Wortmeldungen. Der Tagesordnungspunkt ist erledigt.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung (Drucksache 3065);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 3365). (Erste Beratung: 183. Sitzung.)
Das Wort hat der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf Drucksachen 3365 und 3065 handelt es sich um eine Sonderstellung der knappschaftlichen Rentenversicherung, die sich speziell aus der allgemein anerkannten Sonderstellung des Bergbaues und somit der bergmännischen Tätigkeiten der Bergleute ergibt. Damit mag auch die Begründung dafür gegeben sein, daß die Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht gleichzeitig mit der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten beraten und verabschiedet wurde. Für die knappschaftliche Rentenversicherung sollen, soweit nicht knappschaftliche Besonderheiten eine andere Regelung erforderlich machen, die Vorschriften die gleiche Fassung erhalten, wie sie in der Rentenversicherung der Arbeiter und in der Rentenversicherung der Angestellten bereits beschlossen worden ist.
Eine Vorwegnahme der knappschaftlichen Rentenversicherung war auch deshalb nicht notwendig und auch nicht richtig, weil etwa 80 bis 90 % der in der Knappschaft Versicherten gleichzeitig Wanderversicherte sind, also auch Leistungsansprüche aus der Invaliden- bzw. Angestelltenversicherung haben.
Die im Bergbau beschäftigten Arbeiter und Angestellten haben seit jeher und so auch heute noch eine ungewöhnlich schwere Arbeit zu leisten, die ganz besondere Anforderungen an die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des einzelnen stellt. Hinzu kommen die große Unfallgefährdung und Unfallhäufigkeit im Untertagebetrieb sowie die Berufserkrankungen, die eine besondere Rolle spielen, insbesondere die Silikose, die zu den schlimmsten Berufserkrankungen gehört, weil sie leider nicht heilbar ist.
Daher ist eine besondere Rentenversicherung für den Bergmann notwendig. Das Arbeiten in den Untertagebetrieben in der staubigen Grubenluft, 600 bis 1000 m tief unter der Erdoberfläche, zum Teil in erhöhten Temperaturen, zum Teil in künstlicher, durch Rohrleitungen zugeführter Frischluft
— weil die Zuführung in der normalen Wetterführung nicht möglich ist —, ergibt ganz besondere Schwierigkeiten für die dort schaffenden Menschen. Bei allen bergmännischen Arbeiten, in der Kohlengewinnung, im Ausbau des gesamten Grubengeländes, der je nach Lage der vorhandenen Flötze mit mehr oder weniger Schwierigkeiten verbunden ist
— in niedrigen Flözen bei flacher Lagerung muß der Beschäftigte z. B. während seiner ganzen Arbeitszeit die schwere Arbeit in liegender Stellung verrichten —, ist der Verschleiß der menschlichen Arbeitskraft außerordentlich groß. Dieser große Verschleiß und die dadurch im Vergleich mit den übrigen Wirtschaftszweigen bei den Arbeitnehmern früh eintretende Invalidität müssen in der Neuordnung der Rentenversicherung gebührend berücksichtigt werden. Die Sonderrisiken des Bergmanns müssen besonders gewertet und die Leistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung müssen der Schwere der Arbeit des Bergmannes angepaßt werden, wobei besonders die Gesundheitsgefährdung zu berücksichtigen ist, der der Bergmann bei seiner Arbeit ausgesetzt ist.
Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages hatte die bedeutungsvolle Aufgabe, in dem neuen Leistungsrecht der knappschaftlichen Rentenversicherung diese Eigenarten des Bergbaus zu berücksichtigen und seinen Beschlüssen über die Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung diese Schwierigkeiten des Bergbaus zugrunde zu legen. Das bedeutet, daß den im Bergbau Beschäftigten wegen der ihnen zustehenden Sonderstellung andere Leistungen in Form von höheren Renten zugebilligt werden müssen, daß im besonderen auch ein Ausgleich für die frühzeitige Minderung oder gar den Verlust der Arbeitskraft zu geben ist und eine angemessene Entschädigung in Form der Rente zu zahlen ist.
Der von der CDU/CSU eingebrachte Gesetzentwurf wurde in der 183. Plenarsitzung dem zuständigen Sozialpolitischen Ausschuß zur Bearbeitung überwiesen. Der Ausschuß hat den Gesetzentwurf in zwei Lesungen überarbeitet und entsprechende Beschlüsse gefaßt, wie aus der heute zur Beratung stehenden Vorlage zu ersehen ist.
In sehr vielen Punkten war die Meinung im Ausschuß einheitlich. Es gab aber doch eine Reihe von Punkten, wo die Beschlüsse mit Mehrheit gefaßt wurden. Ich darf daher auf einige Dinge hinweisen, wo keine einheitliche Meinung zu erzielen war. Ich darf auch darauf hinweisen, daß einige gegenüber dem alten Knappschaftsrecht neue Rentenarten eingeführt worden sind, so z. B. die Bergmannsrente nach § 45 Absätze 1 und 2 und die Rente wegen Berufsunfähigkeit, die bei mehr als 50 % Arbeitsunfähigkeit nach den Bestimmungen des § 46 gegeben wird. Ferner darf ich auf die besonderen Wartezeiten bei der Bergmannsrente nach § 45 Absätze 1 und 2, die besonderen Wartezeiten bei dem neu eingeführten knappschaftlichen Ruhegeld hinweisen, und schließlich ist die Altersgrenze für einen Teil der im Untertagebetrieb Beschäftigten neu festgesetzt worden, nämlich auf 60 Jahre. Einige Meinungsverschiedenheiten gab es über die Zurechnungszeiten, über den Leistungszuschlag für Hauerarbeiten und gleichgestellte Tätigkeiten und nicht zuletzt beim Zusammentreffen von Renten und der besonderen Zuschläge für Silikoseerkrankte.
Ich darf zu diesen Punkten — da ja doch nun eine eingehende Aussprache darüber stattfinden wird und, soviel ich schon weiß, auch eine Reihe von Änderungsanträgen vorliegt — auf den Schriftlichen Bericht*) verweisen, der dem Hohen Hause vorliegt, und glaube damit in kurzen Zügen die mündliche Berichterstattung vollzogen zu haben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Bevor wir in die zweite Beratung eintreten, gebe ich das Wort zu dem soeben erstatteten Bericht dem Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Bericht des Herrn Kollegen Scheppmann habe ich namens der sozialdemokratischen Fraktion folgendes zu bemerken: Es ist ungewöhnlich, daß zu dem Gesetzentwurf einer Fraktion die gleiche Fraktion den Berichterstatter stellt. Das ist hier der Fall. Die CDU hat die Berichterstattung zu ihrem eigenen Gesetzentwurf übernommen. Der Sozialpolitische Ausschuß hatte ursprünglich einmütig zwei Kollegen, nämlich den Kollegen Dannebom — Sozialdemokraten — und Scheppmann — CDU —, die Berichterstat-
*) Siehe Anlage 2
tung über die Ausschußberatungen übertragen. Die Verwirklichung dieses Ausschußbeschlusses war aus folgenden Gründen unmöglich.
Am 19. März erschien im Deutschland-UnionDienst ein Artikel des Kollegen Scheppmann, in dem er sich mit dem Bericht eines Zeitungsreporters über ein Interview mit dem Kollegen Dannebom zu dem vorliegenden Gesetzentwurf auseinandersetzte. In diesem Artikel im DeutschlandUnion-Dienst hat der Kollege Scheppmann wörtlich folgendes erklärt:
Warum sollen Herr Dannebom und seine Freunde nun plötzlich anständiger, ehrlicher
und wahrheitsliebender sein, wenn es darum
geht, der CDU/CSU eins auszuwischen, ...
Diese schweren Beleidigungen machten es dem Kollegen Dannebom unmöglich, gemeinsam mit dem Kollegen Scheppmann den Ausschußbericht zu fertigen. Bedauerlicherweise hat es Herr Kollege Scheppmann unterlassen, die peinliche Angelegenheit rechtzeitig zu bereinigen, wozu ihm verschiedentlich die Wege geebnet wurden.
Da somit eine gemeinsame Berichterstattung der Kollegen Scheppmann und Dannebom unmöglich war, hat die SPD vorgeschlagen, an Stelle des Kollegen Scheppmann einen anderen Mitberichterstatter der CDU zu benennen. Ein dahingehender sozialdemokratischer Antrag wurde mit den Stimmen der CDU abgelehnt. Die CDU regte demgegenüber an, der Kollege Dannebom — der schwer beleidigt worden war! — möge von der Berichterstattung zurücktreten und sie einem anderen Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion überlassen. Die Sozialdemokraten haben ein derartiges Ansinnen selbstverständlich abgelehnt. Nach langem Hin und Her hat der Sozialpolitische Ausschuß schließlich mit den Stimmen der CDU beschlossen, deren Fraktionsmitglied, dem Kollegen Scheppmann, die alleinige Berichterstattung über den Gesetzentwurf zu übertragen. Erst nach Vorlage dieses Berichts hat der Kollege Scheppmann Gelegenheit genommen, sich beim Kollegen Dannebom zu entschuldigen. Ich überlasse dem Haus das Urteil darüber, weshalb sich der Kollege Scheppmann erst nach Bereinigung der Angelegenheit dazu entschlossen hat, also nachdem der Ausschußbericht bereits vorgelegt war.
Die Sozialdemokraten stellen fest, daß wegen dieses eigenartigen Verhaltens des Kollegen Scheppmann und der CDU-Kollegen des Ausschusses eine gemeinsame Berichterstattung unmöglich gemacht wurde, so daß wir dem merkwürdigen Tatbestand gegenüberstehen, daß zum Gesetzentwurf der CDU die CDU den Berichterstatter allein stellt.
Der vorgelegte Bericht ist aber auch sachlich zu beanstanden. Er gibt nicht, wie es in § 74 Abs. 2 der Geschäftsordnung bindend vorgeschrieben ist, die Stellungnahme auch der Minderheit wieder. Die zahlreichen Änderungsanträge, die die SPD in 20 Ausschußsitzungen gestellt hat, sind im Bericht nicht erwähnt worden. Der Bericht verletzt somit das Gebot einer objektiven Berichterstattung.
Er gibt ein verzerrtes Bild der Beratungen. Bei
der großen Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist dies bedauerlich und bedenklich zugleich. Die Sozialdemokraten protestieren nachdrücklich gegen den vorgelegten Ausschußbericht, weil er weder den Geboten der Fairneß noch den Vorschriften der Geschäftsordnung entspricht.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er dazu das Wort nehmen will. - Als Berichterstatter Herr Abgeordneter Scheppmann!
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter gibt eine Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung ab.
Zu den Ausführungen, die eben gemacht worden sind, habe ich folgende Erklärung abzugeben. In der „Neuen Ruhrzeitung" vom 16. März 1957 erschien ein Artikel des Chefreporters Kurt Gehrmann mit der Überschrift „Neue Rente schlechter als Knappschaftssold. Muß ein steinstaubkranker Bergmann noch weiter ,arbeiten gehen? Die Giftzähne der geplanten Knappschaftsreform." Der Artikel ist, wie es in dem Vorwort hierzu heißt, das Ergebnis einer Befragung von Bundestagsabgeordneten, die früher einmal vor Kohle gearbeitet haben, unter anderem von Herrn Dannebom.
In dieser Veröffentlichung ist ein falscher Tatbestand aufgezeigt, um in jedem Fall die Neuregelung in ein schlechtes Licht zu setzen. Eine Berichtigung ist nicht erfolgt. Bei diesem Tatbestand stehe ich zu den von mir im Pressedienst der CDU/CSU gemachten Ausführungen.
Zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung kann ich das Wort nicht weiter geben.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf Art. 1 Nr. 1. Hierzu liegen der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 1008*) Ziffer 1 und der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 1009**) vor. Wird zur Begründung des Antrags Umdruck 1008 das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Umdruck 1008*) stellt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unter Ziffer 1 zum Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung, Drucksachen 3065, 3365, folgenden Änderungsantrag zu Art. 1:
Der Bundestag wolle beschließen:
In § 1 Abs. 1 Nr. 2 erhält der letzte Halbsatz folgende Fassung:
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
..., wenn sie vor Aufnahme dieser Beschäftigung in der knappschaftlichen Rentenversicherung versichert waren und die Wartezeit nach § 49 Abs. 1 erfüllt haben oder diese für sie nach § 52 als erfüllt gilt.
Zur Begründung unseres Antrags darf ich Ihnen folgendes vorschlagen. Für viele junge Leute, die in den berufsständischen Organisationen tätig werden, insbesondere aber für die jungen Mitarbeiter der IG Bergbau, bedeutet die im Ausschußentwurf festgelegte Fassung eine starke Benachteiligung. Insbesondere gilt das für diejenigen, die von Berufs wegen heute noch regelmäßig Grubenfahrten durchzuführen haben, einmal um sich um die Belange ihrer unter Tage beschäftigten Kameraden zu bekümmern, zum andern, um ihre bergmännische Ausbildung entsprechend der stetigen Änderung der bergmännischen Arbeiten infolge der Mechanisierung zu erweitern und zu vertiefen. Diese Fortbildung und die Vertiefung ihrer bergmännischen Berufsausbildung sind zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit in den berufsständischen Organisationen. Die IG Bergbau sowie andere berufsständische Organisationen können es ihrem Nachwuchs nicht ersparen, diese Grubenfahrten durchzuführen, und die IG Bergbau wird die jungen Leute auch nicht davon dispensieren.
Ich hoffe, Sie sind mit mir der Auffassung, daß es eine Zumutung ist, regelmäßige Grubenfahrten zu machen, wenn man nicht den Schutz der knappschaftlichen Rentenversicherung genießt.
Hinzu kommt, daß die davon Betroffenen irgendwann als Beauftragter ihrer Gewerkschaft in den Selbstverwaltungsorganen der Knappschaftsversicherung tätig werden müssen. Wenn sie nun nicht knappschaftlich versichert sind, dann erfüllen sie nicht die selbstverständliche und auch rechtliche Voraussetzung der Mitgliedschaft in der Knappschaft. Da wir uns nicht vorstellen können, daß Sie die Selbstverwaltung in Gefahr kommen lassen wollen — einfach weil unter Umständen gerade die geeigneten Kräfte nicht die Voraussetzungen erfüllen, um dort wirksam werden zu können —, bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Diese Zustimmung dürfte Ihnen nicht schwerfallen, weil das, was ich hier begründet habe, in Ihrem ursprünglichen Antrag auch enthalten war.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie im Namen meiner politischen Freunde, diesen Antrag abzulehnen.
Der Herr Kollege Mißmahl hat angeführt, daß in den berufsständischen Organisationen Menschen tätig sein sollen, die mit dem Beruf dadurch noch in Verbindung bleiben, daß sie in das Bergwerk einfahren. Wir sind der Meinung, daß berufsständische Interessen nur von denen wahrgenommen werden können, die selbst zu dem Kreis der Bergarbeiter gehören. Das Maß dafür glauben wir darin gefunden zu haben, daß sie entweder mindestens fünf Jahre lang vor Ort gewesen oder 180 Monate, 15 Jahre lang, knappschaftlich rentenversichert gewesen sein müssen. Man muß, wenn man die besseren Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung für sich in Anspruch nimmt, schon eine Mindestzeit in dieser knappschaftlichen Rentenversicherung wegen der Art seiner eigentlichen Beschäftigung versichert gewesen sein und nicht nur wegen seiner gewerkschaftlichen oder sonstigen Tätigkeit.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir machen nur auf den Widerspruch aufmerksam zwischen dem Gesetzentwurf der CDU und dem, was Herr Kollege Stingl soeben ausgeführt hat.
Weitere Wortmeldungen? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 1008 *) Ziffer 1. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Dias ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über Art. 1 Nr. 1 § 1 Abs. 1 in der Fassung des Ausschusses. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Abs. 1 ist angenommen.
Nun kommt der Abs. 2 und da zunächst der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 1009 **). Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!
Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf zeigt eine gradlinige Fortsetzung des Weges, den die Mehrheit dieses Hauses mit dem Rentenaufbesserungsgesetz beschritten hat. Alle Einwendungen, die wir seinerzeit gegen das soeben genannte Gesetz erhoben haben, treffen auch auf diesen Entwurf zu. Nur sind Sie in diesem Entwurf in einem Punkte noch einen Schritt weitergegangen auf dem Wege zu der allgemeinen Staatsbürgerversorgung.
— Sie erklären, daß Sie die Versicherung wollen, die CDU erklärt, daß sie die allgemeine Staatsbürgerversorgung :nicht will und nicht in ihrem Programm hat.
— Ja, aber nur einer sehr eingeschränkten Versicherung. Der Versorgungscharakter ist in diesem Gesetz genauso gut enthalten wie in dem Rentenaufbesserungsgesetz.
In diesem Fall geht man so weit, daß man, von wenigen Ausnahmen, nämlich ,von den leitenden Persönlichkeiten abgesehen, alle im Bergbau tätigen Personen — Arbeiter und Angestellte — mit in die Versorgung hineinbringen will. Das widerspricht Grundsätzen, die gerade in Kreisen der CDU immer wieder betont worden sind. Auch die Befürworter sagen nicht etwa, daß es sich bei diesem Personenkreis um Hilfsbedürftige handele, Personen, die nicht selber in der Lage seien, für
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
ihre eigene Sicherheit Vorsorge zu treffen. Einer Ihrer Minister, meine Damen und Herren von der CDU, hat vor einigen Wochen in einer stark besuchten Versammlung ungefähr folgendes gesagt: „Wir müssen wieder zu einer neuen Geisteshaltung in Deutschland kommen, wir müssen wieder die Eigenvorsorge des einzelnen Menschen fördern, stärken und wecken; wir müssen alles tun, um ihn abzubringen von dem Drang, aus der Allgemeinheit versorgt zu werden, ihm helfen, für sich selber zu sorgen." Das sind Worte eines Ihrer Minister in einer stark bejubelten Rede, die er hier in der Nähe gehalten hat.
In diese Richtung geht unsere Forderung, allerdings nur einen kleinen Schritt. Wir bemühen uns mit unserem Antrag um einen kleinen Schritt auf diesem Wege; wenn Sie bereit wären, den Weg weiterzugehen, sind auch wir bereit, mit Ihnen dasselbe zu tun. Wir stellen den Antrag, den Kreis der von diesem Gesetzbetroffenen Personen
zuengen und die Vorteile und Lasten, die sich aus dem Gesetz ergeben, nur für diejenigen Personen gelten zu lassen, die nicht mehr als 15 000 DM Jahreseinkommen haben. Damit lehnen wir uns an eine Zahl an, die beim Rentenaufbesserungsgesetz auch von Ihnen festgelegt worden ist.
Ich wiederhole: wir haben eine Forderung gestellt, die in prägnanterer Form der redegewandtere Minister Ihrer Fraktion in der Öffentlichkeit erhoben hat. Ich hoffe, daß wenigstens die Mitglieder der CDU, die heute noch hinter diesem Minister stehen, unserem Antrag ihre Zustimmung geben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir stimmen ab. Wer diesem Antrag der FDP — Umdruck 1009*) — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wird zu den Absätzen 3 und 4 des § 1 das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir stimmen ab über die Absätze 2, 3 und 4 in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Nr. 2 auf mit den §§ 28, — 29, — 30, — 31, — 32. — Änderungsanträge liegen insoweit nicht vor. Wird das Wort zu den eben aufgerufenen Paragraphen gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Schellenberg macht mich darauf aufmerksam, daß es zweckmäßig ist, über § 33 erst nachher zu reden, wenn mit § 49 — habe ich recht verstanden? —
die Grundsatzfrage zur Eörterung steht. Ich hoffe, daß das Haus damit einverstanden ist. — Wir stellen also § 33 mit dem dazugehörenden Änderungsantrag Umdruck 1008**) Ziffer 2 einstweilen zurück.
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 3
Ich rufe die §§ 34 und 35 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 36. Dazu Änderungsantrag Umdruck 1008 Ziffer 3. — Herr Abgeordneter Preller zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einen Antrag zu begründen, der eine Stelle des Gesetzes, die im übrigen den vorliegenden Arbeiter- und Angestelltengesetzen vollkommen nachgebildet ist, in einem gewissen Punkte abändern soll. Ich möchte dazu gleichzeitig eine grundsätzliche Erklärung für meine Fraktion abgeben.
Sie wissen alle, daß die SPD-Fraktion, als wir die Gesetze über die Arbeiter- und Angestelltenrenten bearbeiteten und besprachen, diesen Gesetzen zwar zugestimmt, aber deutlich zu erkennen gegeben hat, daß sie nach Inhalt und Form mit vielen der Bestimmungen dieser Gesetze nicht einverstanden gewesen war, weil diese Bestimmungen nicht nach ihren Vorstellungen gestaltet waren. Nun würde die Versuchung naheliegen, daß wir jetzt in diesem Gesetz versuchen würden, die Dinge in irgendeiner Form abzuändern. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß die SPD-Fraktion diese Absicht nicht hat. Wir sind nämlich der Auffassung, daß in dem Knappschaftsrentengesetz nur die Dinge anders geregelt werden sollen, die aus der Natur der Bergmannsarbeit heraus einer Änderung bedürfen. Wir glauben also, daß auch das Knappschaftsrentengesetz den vorhergehenden Gesetzen — auch wenn wir mit ihnen nicht vollkommen einverstanden sind — angepaßt sein soll. Die eigentliche große Reform oder die große Änderung des Rentenrechts — ich sagte Reform; das Wort Reform möchten wir erst der großen Änderung des Rentenrechts zubilligen — ist Sache und Angelegenheit des 3. Bundestags, wie ja auch die Einlösung des Kanzlerwortes von der umfassenden Sozialreform, die eigentlich in diesem Bundestag geschehen sollte, dem 3. Bundestag und damit, wie wir hoffen, einem anders zusammengesetzten Bundestag obliegt.
— Ja, ich hoffe es, Herr Horn. Aber Sie fürchten es; das ist selbstverständlich.
Die Fragen, um die es hier und heute geht, betreffen also Änderungen in dem derzeitigen Rentengesetz, die unumgänglich notwendig erscheinen oder die sich aus der Sonderheit der Bergmannsarbeit ergeben. Das wollte ich zuvor erklären, damit Sie unsere Haltung zu einer Reihe von Paragraphen nicht falsch verstehen.
Wir bitten darum, daß in dem Absatz, der sich mit der Berufsförderung befaßt, ein Zusatz gemacht wird, der, wie wir meinen, erforderlich ist, weil die Bergmannsarbeit, wie wir alle wissen, besonders schwer ist. Wir möchten, daß dann, wenn eine Berufsförderung eine Ausbildung in einem anderen als dem bisherigen Beruf bringt, der Begriff der Zumutbarkeit, der dort verwendet ist, eine Ausdeutung in dem Sinne erfährt, daß der neue Beruf der Vorbildung und der Eignung der Betreffenden angepaßt werden soll und daß er vor allem auch der Lebenshaltung im bisherigen Rahmen entsprechen soll. Wir möchten also, daß
dann, wenn eine Rehabilitation und eine Berufsförderung in diesem Sinne erforderlich sind, der Bergmann nicht sozusagen auf nachgeordnete Tätigkeiten herabsinkt, sondern wir möchten, daß dem Bergmann und seiner Familie in diesen Fällen die bisherige Lebenshaltung gewahrt bleibt. Das ist das Anliegen, das wir mit diesem Satz verfolgen. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn auch Sie diesem Anliegen folgen könnten und dem Antrag Ihre Zustimmung gäben.
Ich darf, Herr Präsident, bemerken, daß diese Ausführungen gleichzeitig für unseren Antrag unter Ziffer 5 gelten, mit dem wir dasselbe nur in einem anderen Paragraphen eingefügt sehen möchten.
Ich darf bitten, daß Sie unserem Antrag zustimmen.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können uns mit diesem Änderungsantrag der SPD nicht einverstanden erklären. Die Fassung, die wir jetzt in diesem Gesetzentwurf zugrunde gelegt haben, entspricht der Fassung in den bereits verabschiedeten Rentenversicherungsgesetzen für die Arbeiter und für die Angestellten. Das wurde ja auch schon gesagt. Wir haben schon damals um diese Probleme gerungen und sind uns über diese Fassung einig gewesen. Jetzt glaubt man, man könne mit der beantragten Fassung in bezug auf die Berufsausbildung den Begriff des Zumutbaren ergänzen. Es soll der Begriff besser umgrenzt werden, so daß man genau sagen kann: das und das ist zumutbar. Die Bestimmung lautet jetzt:
Die Berufsförderung umfaßt
b) Ausbildung für einen anderen nach der bisherigen Berufstätigkeit zumutbaren Beruf.
Der Antrag der SPD bezweckt nun, diesen Begriff der Zumutbarkeit genauer zu definieren. Wichtig dabei ist vor allem der letzte Nebensatz, wonach die Zumutbarkeit nur gegeben sein soll, wenn der Beruf dem Betreffenden und seiner Famine die Lebenshaltung sichert, die er vorher gehabt hat.
Um das Problem recht beurteilen zu können, müssen wir den Abs. 6 des gleichen Paragraphen in Betracht ziehen, in dem festgelegt ist, daß der Betreffende sein Einverständnis mit der Umschulung erklären muß. Er kann also nicht gegen seinen Willen umgeschult werden. Das ist in Abs. 6 mit aller Deutlichkeit bestimmt. Man weiß ja doch genau, daß es zu einem schlechten Ergebnis führen würde, wenn man einen gegen seinen Willen umschulen würde. Es ist also festgelegt, daß alle Maßnahmen des § 36 nur mit Zustimmung des Betreffenden ergriffen werden können.
Ich glaube, angesichts dessen, daß das Einverständnis erforderlich ist, kann der Begriff des Zumutbaren nicht so ausgelegt werden, als ob man einen vergewaltigen, als ob man dem Betreffenden etwas zumuten könnte, was seiner bisherigen Tätigkeit und seinem bisherigen Einkommen in keiner Weise entspricht.
Wenn wir berücksichtigen, daß der Betreffende sein Einverständnis geben muß, können wir die
Fassung getrost so stehenlassen, wie wir sie schon in den beiden anderen Rentenversicherungsgesetzen haben. Wir glauben, Ihnen von dieser Perspektive aus empfehlen zu sollen, den Antrag abzulehnen und es bei der Fassung zu belassen, die der Ausschuß einstimmig angenommen hat. Im Ausschuß haben wir, soweit ich weiß, einstimmig die alte Fassung empfohlen. Wir halten sie nach wie vor für ausreichend. Der Schutz für die Einzelpersönlichkeit, die davon betroffen wird, erscheint uns auch weitgehend gesichert.
Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schüttler, Sie haben eingangs Ihrer Ausführungen erklärt, daß Sie bestrebt seien, einheitliches Recht für die Knappschaftsversicherung und für die IV und AV zu schaffen. Aus diesen Gründen haben Sie unseren Änderungsantrag abgelehnt. Jedenfalls haben Sie vorhin betont, daß Sie glaubten, unserem Antrag nicht zustimmen zu dürfen, weil Sie in diesen Fragen einheitliches Recht wollten.
Nun darf ich Sie aber höflicherweise daran erinnern, daß in dem Gesetz zur Neuordnung des Knappschaftsrechts in vielen Punkten das Recht, das im Januar für die IV und AV beschlossen wurde, geändert worden ist. Ich darf nur an die Zweidrittelung bei der Zurechnungszeit erinnern. Ich will das nur sagen, weil Ihre Begründung nicht ganz zutreffend ist.
Wir meinen, daß es dem Bergmann wegen seines gefährlichen Berufs, wegen der Schwere seines Berufs, wegen des vorzeitigen Verschleißes einfach nicht zugemutet werden kann, für jede andere Tätigkeit umgeschult zu werden.
— Bitte sehen Sie sich den § 42 an, wo es heißt: Wer sich den Umschulungsmaßnahmen entzieht, kann ... usw. Wir haben es doch hier auch auf die körperliche Beschaffenheit dieses Menschen abgestellt.
Als wir uns in der Kohlendebatte darüber unterhielten, war es unser gemeinsames Anliegen, alles zu tun, um den sozialen Stand des Bergmannes zu verbessern. Jetzt schaffen wir hier ein neues Rentenrecht. Wenn wir der besonderen Stellung des Bergmanns nicht auch bei diesen Rehabilitationsbestimmungen Rechnung tragen, indem wir dem Bergmann ein besonderes Recht einräumen, kommt unser gemeinsames Anliegen, dem Bergbau die notwendigen Arbeitskräfte zuzuführen, in Gefahr. Wenn Sie dem Bergmann nicht auch in dieser Hinsich ein besseres Recht einräumen wollen — so daß der Bergbau in Zukunft nicht mehr die notwendigen Arbeitskräfte bekommt und die Kohlenförderung sinkt —, sind Sie, glaube ich, schlecht beraten.
Ich bitte also nochmals um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD
auf Umdruck 1008*) Ziffer 3 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem § 36 in der Fassung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
§§ 37, — 38, — 39, — 40, — 41, — 42, — 43 und 44. Insoweit liegen keine Änderungsanträge vor. Wird zu den aufgerufenen Paragraphen das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Zu § 45 liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 1008 Ziffer 4 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, in § 45 Abs. 2 Zeile 7 die Worte „im wesentlichen" zu streichen. Der § 45 Abs. 2 enthält die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Der § 45 und die folgenden Vorschriften behandeln eigentlich das besondere Recht des Bergmannes. Es sollte allseitig anerkannt werden, daß der Bergmann wegen der Schwere und der Gefährlichkeit seines Berufs eine Sonderstellung hat. Die Schwere der Arbeit, aber auch die im Vergleich zu anderen Berufen ungünstigen Arbeitsbedingungen — besonders unter dem Gesichtspunkt der Staubentwicklung — haben doch immerhin einen frühzeitigen Verschleiß der Arbeitskraft zur Folge. Dafür soll nun in § 45 Abs. 1 Nr. 1 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit eingeführt werden. In der schriftlichen Begründung, die Herr Kollege Scheppmann gegeben hat, wird dazu auf Seite 3 gesagt, dieser Begriff entspreche im wesentlichen dem bisherigen Begriff der Berufsunfähigkeit, wie er im alten Knappschaftsrecht beinhaltet war.
Meine Damen und Herren! Die Absicht bei der Einführung der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit ist doch, den unter Tage Beschäftigten und im besonderen den Gedingearbeiter, der durch Krankheit oder frühzeitigen Verschleiß gehindert ist, seinen eigentlichen Beruf weiter auszuüben, durch Gewährung der Bergmannsrente zu entschädigen. Wenn wir das wollen, daß dieser Bergmann, der seinen Beruf, z. B. als Hauer, nicht mehr ausüben kann, für den Lohnabfall, den er dadurch erleidet, entschädigt wird, müssen wir, meine ich, im Gesetz auch klare Formulierungen und klare Bestimmungen schaffen. Der Begriff „im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige" ist nach unserer Auffassung zu weit gefaßt.
Es wurde in der Rechtsprechung bisher, um diesen Leistungsabfall durch eine Rente zu entschädigen, von 20 % Lohnminderung gesprochen. Nun, der tarifliche Hauerdurchschnittslohn beträgt zur Zeit 21, 45 DM; dazu kommt die Bergmannsprämie in Höhe von 2,50 DM. Der Lohn der Lohngruppe I für Übertagearbeit beträgt 16,83 DM. Wir sind deshalb der Meinung, daß idem Manne, der seine Hauerarbeit nicht mehr ausüben kann, ein Rechtsanspruch auf die Bergmannsrente eingeräumt werden sollte, die eine Entschädigung für die vorzeitige Aufgabe seines Hauptberufs sein soll.
*) Siehe Anlage 3
Meine Damen und Herren, wenn wir aber wollen, daß diese Bergmannsrente eine echte Entschädigung ist, dann, meine ich, dürften Sie unserem Antrage, die Worte „im wesentlichen" zu streichen, zustimmen. Damit hätten Sie einem echten Anliegen der Bergarbeiter Rechnung getragen und geholfen, dem Bergmann auch in dieser Frage der Bergmannsrente das Recht zu geben, auf das er wegen der Schwere seines Berufs Anspruch hat.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 1008 *) Ziffer 4. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
§ 45 in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 46, dazu Änderungsantrag Umdruck 1008 Ziffer 5. Herr Abgeordneter Preller hat ihn schon begründet. Wird das Wort dazu gewünscht?
— Ja, ganz recht, hat sich erledigt.
Wir stimmen ab über § 46 in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 47, — § 48. — Keine Änderungsanträge. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nun § 49 und hierzu der Änderungsantrag Umdruck 1008 *) Ziffer 6. Wer will den Änderungsantrag begründen? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Mißmahl.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Ihnen auf Umdruck 1008*) folgende Änderungsanträge zu Art. 1 Nr. 2 vor.
In § 33 Abs. 1 Satz 1 des zur Beratung stehenden Entwurfs sollen die Worte „Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten" durch die Worte „wesentlich bergmännische Arbeiten" ersetzt werden. In § 49, der die Wartezeit beinhaltet, sollen in Abs. 2 die Worte „Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten" durch die Worte „wesentlich bergmännische Arbeiten" ersetzt werden. Ferner sollen in Abs. 4 Nr. 2 die Worte „Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten" durch die Worte „wesentlich bergmännische Arbeiten" ersetzt werden. Schließlich soll Abs. 6 gestrichen werden.
Wir begründen unsere Anträge mit folgenden Feststellungen. Die besondere bergmännische Wartezeit — um diese handelt es sich ja hier — für die frühere Alterspension des Reichsknappschaftsgesetzes sowie die besondere bergmännische Wartezeit nach der Verordnung vom 4. Oktober 1942 für die Gewährung dies Knappschaftssoldes kannte und kennt auch bis heute nicht die Begriffsbestimmung „Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten". Seit einigen Jahrzehnten
*) Siehe Anlage 3
kennt man nur den Begriff der wesentlich bergmännischen Arbeit. Ich darf hier feststellen, daß wir mit dieser Definition der wesentlich bergmännischen Arbeit in der knappschaftlichen Pensionsversicherung und später auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung sehr gut zurechtgekommen sind. Es gab keine Schwierigkeiten in der Feststellung und Beurteilung der Tätigkeitsmerkmale eines Versicherten, die sich mit dem neuen Begriff „Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten" zweifellos ergeben werden, auch dann ergeben werden, wenn der künftige Berufsgruppenkatalog noch so gewissenhaft aufgestellt wird.
Ich darf Ihnen nun zunächst etwas aus der geschichtlichen Entwicklung des Begriffs „wesentlich bergmännische Arbeit" vortragen. Sie werden dann erkennen, daß unser Änderungsantrag durchaus begründet ist. Mit dem Inkrafttreten des Reichsknappschaftsgesetzes am 1. Januar 1924 wurde die knappschaftliche Alterspension eingeführt. Die Gewährung dieser Alterspension war von ganz bestimmten Voraussetzungen abhängig. Es war ganz natürlich, daß es in den zuständigen Parlamentsgremien bezüglich der Auslegung und der Abgrenzung dieser Voraussetzungen zu sehr ernsten Debatten kam. Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige kurze Auszüge aus den damaligen Sitzungsprotokollen vortragen.
In den Beratungen des Reichstagsausschusses für soziale Angelegenheiten, in denen die Vorschriften über die Gewährung der Alterspension ihre jetzige Fassung erhalten haben, wurde von einem Vertreter der Regierung hervorgehoben, daß man sich in dem Wunsche, den eigentlichen Bergarbeitern unter Berücksichtigung ihrer schweren Tätigkeit eine Alterspension zu gewähren, einig sei, daß es aber Bedenken errege, sie allen auf Bergwerken beschäftigten Personen ohne jeden Unterschied zu gewähren — Bericht des Ausschusses für soziale Angelegenheiten, Nr. 5908 der Drucksachen des Reichstags, Seite 15 —.
Als Ergebnis der eingehenden Aussprache im Ausschuß bei der zweiten Lesung des Gesetzes wurde im Ausschußbericht festgestellt, es sei in der Richtung eine weitgehende Übereinstimmung erzielt worden, daß die Pensionierung mit dem vollendeten 50. Lebensjahr nur für solche Kreise in Frage kommen könne, die während der überwiegenden Dauer von 25 Dienstjahren eigentliche bergmännische Arbeiten tatsächlich verrichtet haben, nicht aber für das Büropersonal der knappschaftlichen Werke oder für solche Personen, die während dieser Zeit hauptsächlich über Tage beschäftigt wurden — Seite 18 des erwähnten Ausschußberichts —.
Diese kurzen Auszüge zeigen uns zweierlei: erstens, daß man zunächst die Möglichkeit erwogen hatte, gewisse Kategorien der Übertagebeschäftigten in diese Alterspension einzubeziehen, und zweitens, daß man sich darauf einigte, daß für den Bezug der Alterspension nur solche Kreise in Frage kommen könnten, die während der überwiegenden Zeit von 25 Dienstjahren eigentliche bergmännische Arbeiten tatsächlich verrichtet haben.
Da nun eigentliche bergmännische Arbeiten alle Untertagebeschäftigten verrichten, mit Ausnahme einiger Pumpenmaschinisten, kamen alle Bergarbeiter in den Genuß dieser knappschaftlichen Alterspension.
Meine Damen und Herren, diese vor nunmehr 33 Jahren getroffene klare Unterscheidung zwischen dem Übertage- und dem Untertagebeschäftigien wollen Sie dahingehend korrigieren, daß rund 60 000, 70 000 der Untertagebeschäftigten genauso behandelt werden wie die Übertagebeschäftigten. Bei uns am Niederrhein sagen die Bergarbeiter: Das ist sozialer Rückschritt! Wer will ihnen das übelnehmen?
Der Begriff „eigentliche bergmännische Arbeit" wurde in „wesentlich bergmännische Arbeit" umgewandelt, den Sie, nachdem er 33 Jahre Rechtens war, nunmehr aufheben wollen.
Für die Aufhebung werden die verschiedensten Begründungen angeführt. Ich darf auf einige dieser Begründungen eingehen. Man sagt — die Ausschußprotokolle weisen das aus —, daß die Gruben von heute nicht mehr identisch sind mit den Gruben von vor 25 oder 30 Jahren, als der Begriff .,wesentlich bergmännische Arbeit" aufkam. Meine Damen und Herren, das gilt nur sehr bedingt; denn die überwiegende Zahl aller Gruben — ich schätze mehr als 80 % — ist älter als 30 Jahre. Die Flöze und Erzgänge 'haben sich in keiner Weise geändert. Der Querschnitt unserer modernen Bandstrecken ist kaum größer als der Querschnitt der früheren Abbaustrecken.
Über die Wetterführung, die auch herhalten mußte, um zu beweisen, daß die Gruben heute besser sind als früher, hören wir leider allzu oft die bittersten Klagen. Wir wollen darauf lieber gar nicht eingehen. Man sollte mit einer derartigen Begründung sehr vorsichtig sein; denn kein Bergmann nimmt uns das ab.
Man sagt weiter, daß es darauf ankomme, den Hauerberuf wieder attraktiv zu machen. In dieser Auffassung sind wir mit Ihnen völlig einig. Ob das aber mit der Aufhebung des Begriffs „wesentlich bergmännische Arbeit" zu erreichen ist, erscheint uns mehr als fragwürdig, und zwar deswegen, weil der größte Teil der unter Tage beschäftigten Schichtlöhner überhaupt nicht mehr für eine Gedingearbeit einsatzfähig ist und der kleinere Teil dieser Schichtlöhner eine so bedeutsame Arbeit verrichtet, daß es keinem Betriebsführer einfallen würde, diese Leute an die Kohle zu schicken, es sei denn, daß er bereit ist, eine empfindsame Störung seiner Förderung in Kauf zu nehmen; und das wollen Sie doch wohl nicht annehmen. Sie dürften erkennen, daß die Abschaffung des Begriffs „wesentlich bergmännische Arbeit" keinen Trend von der Schichtlohnarbeit in die Gedingearbeit auslösen kann, weil es bei den Schichtlöhnern einfach keine gedingefähigen Leute mehr gibt.
Der nächste Hinweis, daß das Herausstellen des Hauers durch die neuen Begriffe „Hauerarbeit" und „dieser gleichgestellte Arbeiten" — als Voraussetzung des Bezugs der Bergmannsrente nach § 49 Abs. 2 — werbend auf den bergmännischen Nachwuchs wirken könne, geht völlig an den Dingen vorbei.
Anzunehmen, daß der Berglehrling sich bei der Aufnahme seiner Bergarbeit schon Gedanken macht, wie seine Rente in 30 oder 40 Jahren aussieht, widerspricht doch einfach allen Erfahrungen.
Mir ist bis heute nicht bekanntgeworden, daß unsere Zechen und Arbeitsämter den bergmännischen Nachwuchs damit werben, daß sie auf das verweisen, was später einmal möglich wird.
Wir erkennen daran, daß die Werbung für den Bergbau durch 'das Streichen des Begriffs „wesentlich bergmännische Arbeit" nicht nachhaltig gefördert werden kann. Gerade das Gegenteil könnte der Fall sein. Wenn einige Zehntausend Bergarbeiter feststellen müssen, daß sie sich nach diesem Gesetz schlechter stehen als nach dem alten Recht, dann werden sie wahrscheinlich ihre Kinder nicht veranlassen, zur Zeche zu gehen. Ich frage Sie: Ist uns, ist der deutschen Wirtschaft damit gedient? Das wage ich zu bezweifeln.
Ein Weiteres gebe ich zu bedenken. Die Mechanisierung der Gruben führt zwangsläufig dazu, daß der Anteil der Schichtlöhner gemessen an der Zahl der Hauer, wenn auch langsam, so doch stetig wächst. Da wir nun ein Gesetz machen, von dem Sie erwarten, daß es für Jahrzehnte wirksam sein wird, schließen wir rein zwangsläufig einen immer größer werdenden Kreis von Bergarbeitern von einer echten Bergmannsrente aus,
also von einer Rente, die nach Ihrer Auffassung das Kernstück der knappschaftlichen Sonderversicherung ist.
Ein großer Teil unserer Bergarbeiter muß dann auf eine Rente verzichten, auf die ihre Väter noch einen Rechtsanspruch hatten.
Daß Sie das wollen, können wir einfach nicht verstehen.
Meine Damen und Herren, man wird uns wahrscheinlich — ich weiß es nicht — nachher hier vortragen., daß der Rechts- und Grundsatzausschuß des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften beschlossen hat, dem Bundestag zu empfehlen, den Begriff der wesentlich bergmännischen Arbeit fallenzulassen. Niemand wird ihm das verargen; denn der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft hat die gesetzliche Pflicht, die parlamentarischen Gremien zu beraten. Diese Empfehlung kann aber keine Vorwegnahme eines Bundestagsbeschlusses bedeuten, zumal Experten der Deutschen Angestelltengewerkschaft sowie der IG Bergbau, denen man die Sachkenntnis doch bestimmt nicht absprechen kann, uns dringend bitten, den Begriff der wesentlich bergmännischen Arbeit unter allen Umständen beizubehalten. Diese Experten begründen ihren Wunsch mit folgender Darlegung: Rund 30% — ich wies bereits darauf hin — der Bergarbeiter verlieren eine Rente, auf die ihre Väter lange einen Rechtsanspruch hatten. Für eine beträchtliche Anzahl dieser Bergarbeiter bedeutet das eine unbillige Härte, weil sie in vielen Fallen auf Empfehlung des Arztes, und zwar aus Gründen der Vorbeugung, die Gedingearbeit aufgeben mußten und auch in Zukunft werden aufgeben müssen, ohne körperlich so angeschlagen zu sein, daß sie die Voraussetzung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit erfüllen. Es handelt sich hier im wesentlichen um Leute, die wegen einer drohenden Silikose oder wegen einer drohenden Berufserkrankung durch Preßluftwerkzeuge die Gedingearbeit verlassen müssen. Unter diesen Umständen werden davon Leute betroffen werden, denen nur Tage an der erforderlichen 15jährigen Hauertätigkeit fehlen. Können Sie sich die Härten vorstellen, die sich daraus ergeben?
Alle Überlegungen haben doch gezeigt, daß die neuen Begriffe „Hauerarbeit oder dieser gleichgestellte Arbeiten" für die Bergarbeiter große Nachteile mit sich bringen und für die Zechen absolut kein Vorteil sind. Darum darf ich Sie bitten, unseren Anträgen zuzustimmen.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Scheppmann!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mißmahl hat gesagt, nach seiner Auffassung seien die Bestimmungen über die „wesentlich bergmännische Arbeit" das Kernstück der gesamten bergmännischen Versicherung.
Ich bezweifle gar nicht, daß gerade die Bestimmungen über die Voraussetzung für die Gewährung der Bergmannsrente, aber auch der Rente, die gewährt werden soll, wenn der Betreffende 60 Jahre alt geworden ist, sehr bedeutungsvoll sind.
Nun darf ich zunächst auf eine schon von meinem Herrn Vorredner erwähnte Tatsache zu sprechen kommen. Es ist richtig, daß in dem im Jahre 1924 verabschiedeten und in Kraft gesetzten ersten Reichsknappschaftsgesetz eine Bestimmung enthalten war, wonach der Bergmann, der 300 Beitragsmonate in der knappschaftlichen Versicherung nachweisen konnte, dann, wenn er 50 Jahre alt war und während dieser Zeit — 300 Beitragsmonate —15 Jahre lang wesentlich bergmännische Arbeit verrichtet hatte, auf Antrag eine Rente bekommen konnte, und zwar ohne irgendeine ärztliche Untersuchung. Diese Rente wurde dann gezahlt, wenn ein Arbeitsplatzwechsel vorgenommen wurde. Das war eine zwingende Vorschrift. Der Betreffende durfte also seine Hauptberufstätigkeit nicht weiter verrichten. Damit war gleichzeitig festgelegt, daß sein Einkommen niedriger wurde. Man nahm damals bei dieser Regelung Berufsunfähigkeit an.
Durch die Verordnung vom 4. Oktober 1942, durch die das gesamte Knappschaftsrecht geändert wurde, trat auch eine Änderung dieser Regelung ein. Die Begriffsbestimmung der sogenannten Alterspension — die unter den Voraussetzungen gewährt wurde, die ich eben nannte — wurde durch die Verordnung insoweit geändert, als nun nicht mehr die bis dahin erdiente Rente ausgezahlt wurde, sondern für alle im Bergbau Tätigen wurde ein einheitlicher Knappschaftssold von zunächst 50 Mark, kurze Zeit später von 60 Mark ausgezahlt, wenn der Betreffende 300 Beitragsmonate lang eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Untertagebetrieb verrichtet und in dieser Zeit 15 Jahre lang wesentlich bergmännische Tätigkeit verrichtet hatte. So liegen die Dinge heute noch; das ist das alte Recht, wie es zur Zeit noch besteht.
In den Bestimmungen des Entwurfs — §§ 45 usw. — ist festgelegt, daß dem Bergmann wieder die ihm vor 1942 zustehenden Leistungen gegeben werden sollen, wenn er 50 Jahre alt ist und 300 Beitragsmonate in der Knappschaft hat, nur mit einer Änderung: er muß in dieser Zeit nicht wie
früher 15 Jahre lang „wesentlich bergmännische Arbeit" verrichtet haben, sondern jetzt ist die Voraussetzung, daß er 15 Jahre Hauerarbeit oder ihr gleichgestellte Tätigkeiten verrichtet hat.
Es hat schon seinen Grund, daß das in diesen Gesetzentwurf hineingekommen ist. Ich darf darauf hinweisen — auch der Herr Kollege Mißmahl hat das bereits getan —, daß in dem Rechts- und Grundsatzausschuß der westdeutschen Knappschaften ein Entwurf mit Änderungen nach der Richtung erarbeitet worden ist, daß die Gewährung der Rente von der 15jährigen Verrichtung einer Hauerarbeit oder gleichgestellter Tätigkeiten abhängig gemacht wird. Auch das Präsidium des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Knappschaften hat in vielen Verhandlungen mit dem Beirat im Arbeitsministerium und in einer Reihe von Besprechungen mit dem Herrn Minister für Arbeit hier in Bann eingehend beraten. Der Vorsitzer des Vorstandes, der gleichzeitig Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Bergbau ist, hat ausdrücklich erklärt, daß man diese Begriffsbestimmung hier nunmehr anwenden solle. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft hat in seiner Sitzung im Monat Oktober des Jahres 1956 einstimmig einen Beschluß gefaßt, nach dem diese Begriffsbestimmung in den Gesetzentwurf eingebaut werden soll.
Das sind Tatsachen, die in den Protokollen nachgewiesen werden können. Der Herr Kollege Mißmahl gehört diesem Vorstand auch an und hat diesen Beschluß mit gefaßt. Im Arbeitsministerium ist von dem Vorsitzenden des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft ausdrücklich erklärt worden, es sei ihm nicht so leicht geworden, seine Kollegen vom Vorstand der IG Bergbau davon zu überzeugen, daß das so richtig sei. Darin liegt doch eine Bestätigung dessen, was ich vorhin gesagt habe.
Nun wird gesagt, daß diese Angelegenheit das Kernstück der knappschaftlichen Rentenversicherung sei. Dazu möchte ich folgendes sagen. Sämtliche Renten, sei es die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1, d. h. also bei verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, sei es die Rente nach § 46 wegen Berufsunfähigkeit bei mehr ,als 50 % oder sei es die Altersrente oder die Rente, die mit 60 Jahren gewährt wird, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 2 wie in diesem Falle gegeben sind, werden jedem einzelnen mit den gleichen Steigerungsbeträgen gegeben, wie sie hier im Gesetz für alle Bergleute festgesetzt sind.
Was augenblicklich hier zur Debatte steht, ist folgendes. Der echte Bergmann, also der Mann, der am Kohlenstoß produziert, der in der Ausrichtung, in der Vorrichtung im Grubenbetrieb in echter bergmännischer Tätigkeit steht, in diesem schweren, gesundheitsgefährlichen bergmännischen Beruf, und der auch mit Berufserkrankungen zu tun hat, die im Bergbau vorkommen, soll ein echtes Äquivalent dafür bekommen, daß er die vielen Jahre diese echte bergmännische Tätigkeit verrichtet hat. Das sind doch die Dinge, die wir hier einmal sehen müssen.
Danach ist es unmöglich, daß man jeden einzelnen im Untertagebetrieb, der beispielsweise in der Nähe des Schachtes im einziehenden Wetterstrom steht oder der in einer Reparaturwerkstatt am Schacht seine Tätigkeit verrichtet, dem anderen gleichstellt, der zwei, drei oder vier Kilometer weiter im Grubengebäude, in irgendeinem Streb, in irgendeinem Aufhau, in irgendeinem Querschlag oder Streckenvortrieb arbeitet. Man kann nicht den Mann, der die leichtere Tätigkeit verrichtet, dem wirklich schwer arbeitenden Bergmann gleichstellen. Ich selber habe in mehr als 20jähriger Tätigkeit die Verhältnisse im Untertagebergbau kennengelernt und weiß sehr wohl zu unterscheiden, was echte bergmännische Tätigkeiten sind und welche nicht den Anspruch darauf erheben können.
Aus diesem Grunde sind wir im Sozialpolitischen Ausschuß zu der Überzeugung gekommen, daß man hier einen Unterschied machen muß. Allerdings ist dieser Beschluß ein Beschluß der Mehrheit des Ausschusses. Ich bin nicht der Meinung wie der verehrte Kollege Mißmahl, daß dadurch eine Schlechterstellung erfolgt; ich könnte das beweisen. Vielmehr tritt eine wesentliche Verbesserung ein, wie ich im folgenden aufzeigen werde. Wir haben den Knappschaftssold abgeschafft, weil er in einem einheitlichen Pauschalsatz bestand. Die 60 DM bekam derjenige, der mit 25 Jahren in den Grubenbetrieb gekommen war und mit 50 oder 51 Jahren die Voraussetzungen erfüllte, ebenso wie der andere, der, wie es meistens bei den im Bergbau Beschäftigten ist, seine bergmännische Tätigkeit mit 16 oder sogar schon mit 15 Jahren begonnen und bis zu seinem 50. Lebensjahr nicht nur 25, sonder 34 Jahre im Untertagebetrieb zugebracht hatte. Mir will scheinen, daß man hier einen Unterschied machen muß. Der Knappschaftssold muß beseitigt und statt dessen die erdiente Rente, die im zweiten Fall des obigen Beispiels für 34 Jahre zu errechnen ist, gewährt werden. Der Betreffende erhält dann nicht nur 60 DM als Prämie, sondern er hat einen echten Anspruch auf die bis dahin erdiente Rente, I die in dem von mir genannten Beispiel fast das Doppelte des Knappschaftssoldes beträgt. Weiter ist noch vorgesehen, daß der Hauer, der diese Voraussetzungen erfüllt, dann aus dem Beruf des Hauers nicht auszuscheiden braucht, sondern diese Tätigkeit weiter verrichten kann. Damit ist richtiggestellt, daß es sich hier nicht um eine angenommene Berufsunfähigkeit handelt, sondern um eine echte, erdiente Rente, die der Mann erhält, wenn er 50 Jahre alt ist, 300 Beitragsmonate nachweisen kann und in dieser Zeit 15 Jahre Hauertätigkeit oder eine gleichgestellte Tätigkeit verrichtet hat.
In § 49 Abs. 6, der nach einem Antrag ebenfalls gestrichen werden soll, haben wir die Bestimmung eingebaut, daß der Bundesminister für Arbeit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Begriff der Hauerarbeiten unter Tage und der diesen gleichgestellten Arbeiten für die einzelnen Bergbauarten festlegt. Wir haben eine ganze Reihe von Bergbauarten. Ich wäre durchaus in der Lage, jetzt hier nachzuweisen, welche Arbeiten aus den einzelnen Bergbausparten den Hauer-arbeiten gleichgestellt sind. Dann würde man sehen, daß nicht, wie der Herr Kollege Mißmahl hier sagt, 30 % der im Untertagebetrieb Beschäftigten nicht in Frage kämen. Soweit ich die statistischen Unterlagen kenne, erfüllen mindestens 80 bis 85 % der im Untertagebetrieb beschäftigten Menschen diese Voraussetzungen und bekommen dann auch mit 50 Jahren auf Antrag diese Rente.
Die gleiche Lage besteht in den Fällen, in denen der Betreffende mit 60 Jahren die Altersgrenze erreicht hat. Es ist vorgesehen, daß es bei den Bergleuten, die diese Voraussetzungen erfüllen, nicht
bei der Altersgrenze von 65 Jahren bleibt; vielmehr sollen sie die Alterspension schon mit 60 Jahren bekommen. Nun ist es durchaus möglich, daß ein Bergmann, der meinetwegen vier, fünf oder sechs Jahre eine solche Tätigkeit verrichtet hat, plötzlich krank wird oder einen Unfall erleidet und dann nicht mehr in der Lage ist, die Hauertätigkeit zu verrichten, und somit die Voraussetzung —15jährige Hauertätigkeit oder gleichgestellte Tätigkeit — nicht mehr erfüllen kann. Die Herren Kollegen von der SPD wissen, daß wir das sehr eingehend diskutiert haben; auch sie haben in der Ausschußberatung darauf hingewiesen, daß in solchen Fällen, wo ein Mann durch Unfall oder Krankheit behindert ist, die Hauertätigkeit zu verrichten, andere Tätigkeiten im Untertagebetrieb, die er dann verrichtet, gleichgestellt werden müßten. Er würde dann ebenfalls mit 60 Jahren aus dem Betrieb ausscheiden und die Alterspension erreicht haben. Hier gibt es ohne Unterschied einen Steigerungsbetrag von 2,5 %. Auf diese Dinge werden wir allerdings nachher noch einmal kommen.
Ich möchte namens meiner Fraktion bitten, die von der SPD gestellten Anträge Umdruck 1008 Ziffer 6 a, b und c zu § 49 und Ziffer 2 zu § 33 Abs. 1 Satz 1 aus den Gründen, die ich soeben vorgetragen habe, abzulehnen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Mißmahl; Herr Abgeordneter Dannebom hat sich zuerst gemeldet!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offen gestanden, es fällt mir nach den Ausführungen des Herrn Scheppmann schwer, nun einen Standpunkt der Bergleute zu vertreten. Ich sage „es fällt mir schwer", weil er nicht nur Bundestagsabgeordneter der CDU, sondern auch Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Industriegewerkschaft Bergbau ist
und weil ich der Auffassung bin, daß man nicht in Bochum eine andere Meinung haben kann als in Bonn.
Ich füge noch eine andere Bemerkung hinzu: es fällt mir schwer, weil sich Herr Scheppmann wiederholt auf die Meinungsbildung des Grundsatzausschusses bezogen hat. Ich glaube, wir rühmen uns alle, meine Damen und Herren, gute Demokraten zu sein, alle miteinander. Wenn wir das aber wollen, dann, glaube ich, ist auch Herr Scheppmann als Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes seiner Organisation gehalten, die Mehrheitsentscheidung seiner Organisation hier wenigstens zu erwähnen, auch wenn sie nicht seiner politischen Meinung entspricht.
Wenn er sich schon auf Beschlüsse des Grundsatznusschusses bezieht, hätte er — gerade als Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes seiner Organisation — auch die Beschüsse seiner Organisation dem Hohen Hause vortragen müssen.
Sie haben sich so fürchterlich über die Bezeichnung „Giftzähne" geärgert, die irgendeine Zeitung gebracht hat. Hier sind wir bei einem dieser Giftzähne angelangt.
Es kommt uns darauf an, meine Damen und Herren, den Versuch zu unternehmen, mit Ihrer gütigen Hilfe, diesen Giftzahn zu ziehen. Ich will mich da gar nicht so sehr auf theoretische Betrachtungen darüber einlassen, was in jahrzehntelanger Geschichte gewachsen ist; es handelt sich doch einzig und allein darum, welchem Personenkreis unter den unter Tage Beschäftigten Sie diese Bergmannsrente gewähren wollen. Denn der Knappschaftssold fällt doch weg, das ist unsere gemeinsame Auffassung. Bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen hatte jeder unter Tage Beschäftigte Anspruch auf diesen Knappschaftssold: wenn er 25 Jahre, also 300 Beitragsmonate, gearbeitet und davon 180 Monate wesentlich bergmännische Arbeit verrichtet hat. Das war altes Recht bis heute.
Jetzt wollen Sie an Stelle des Knappschaftssoldes die Bergmannsrente einführen. Sie wollen die Bergmannsrente aber nicht demselben Personenkreis gewähren. Herr Schüttler, Ihnen als Gewerkschaftssekretär aus dem südlichen Raum, der Sie den Bergbau nicht kennen - das ist kein Vorwurf —, nehme ich das gar nicht übel. Aber ich meine, diejenigen, die die Materie besser kennen, sollten sich mehr Gedanken darüber machen. In Frage kommt ein großer Teil der unter Tage Beschäftigten, gleichgültig ob es 30 % sind — Herr Scheppmann, Sie haben das kritisiert, als Sie meinen Kollegen Mißmahl angesprochen haben —,
oder ob es nach Ihrer Darstellung und auch nach dem Pressedienst Ihrer Partei nur 20 % sind. Auch wenn es nur 20 % sind, bedeutet das, daß im Durchschnitt 60- bis 70 000 Bergarbeiter, die bisher Anspruch wenigstens auf den Knappschaftssold in Höhe von 60 DM hatten, in Zukunft weder diese 60 DM Knappschaftssold noch die Bergmannsrente in der entsprechenden Höhe bekommen.
Darum allein geht der Kampf. Wir sind der Meinung, Herr Scheppmann, daß dem Bergbau — gar nicht zu sprechen von den Bergleuten — damit nicht gedient ist.
Sie haben gesagt, Sie könnten sich aus innerster Überzeugung gegen unseren Antrag aussprechen. Sie kennen doch den Bergbau genauso wie ich. Die Frage, ob das dem Bergbau dienlich ist, muß doch zuerst einmal untersucht werden.
Sie haben von dem Katalog gesprochen, der geändert werden soll. Die Mechanisierung im Bergbau schreitet immer weiter fort. Das bedeutet, daß ein größerer Kreis von unter Tage Beschäftigten nicht mehr wie bisher hauptsächlich in der Gewinnung, sondern mehr mit dem Wegbringen der Kohle, dem Heranschaffen der Berge und mit all den sonst noch anfallenden Schichtlohnarbeiten beschäftigt werden muß. Sie setzen sich aber genauso ein wie der Gedingearbeiter, der Hauer oder der mit hauerähnlicher Tätigkeit Beschäftigte. Keiner von uns ist der Auffassung, daß dem nicht ein gewisses Vorrecht eingeräumt werden soll. Das
ist geschehen. Im Lohntarif besteht ein Unterschied. Das Hohe Haus hat darüber hinaus diesem Personenkreis auch die Bergmannsrente mit einem Steigerungsbetrag von 2,5 % gegeben. Der Schichtlöhner erhält aber nur 1,25 %.
Daneben gibt es für den im Gedinge Beschäftigten die Leistungszulage. Das alles sind Regelungen, die darauf abgestellt sind, den Hauer gegenüber dem anderen herauszuheben. Abgesehen von dem Leistungszuschlag hat es im Rentenrecht diese Unterschiedlichkeit bisher nicht gegeben. Sie sind nach dem vorliegenden Entwurf bereit, diese Unterschiedlichkeit im Rentenrecht einzuführen. Das bedeutet, daß der für die Produktion notwendige Handwerker, der in der Förderung Beschäftigte, nun schlechter gestellt wird, als er nach dem alten Recht war; denn er bekommt diese 60 DM Knappschaftssold nicht mehr. Dieser Handwerker muß aber bei dem heutigen Stand der Mechanisierung erst einmal dafür sorgen, daß die Kohlen gewonnen werden können. Glauben Sie denn, daß es in Zukunft noch möglich sein wird — wo in der eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie die gleichen, wenn nicht noch höhere Löhne gezahlt werden als im Bergbau —, dem Berghau diese notwendigen Handwerker zu beschaffen?
Ich bezweifle das.
Herr Scheppmann hat gesagt, es sei doch ein Unrecht, wenn man dem im frischen Wetterzug Beschäftigten, dem in der Werkstatt Beschäftigten, denselben Rentenanspruch gebe wie dem im Gedinge, im Kohlenstoß Beschäftigten. Herr Scheppmann, Sie wissen ganz genau, daß dieser Mann nicht dauernd im einziehenden Wetterstrom beschäftigt ist. sondern daß er aus betrieblichen Notwendigkeiten heute im einziehenden Wetterstrom und morgen schon wieder im ausziehenden Wetterstrom mit all den damit verbundenen Gefahrenmomenten beschäftigt wird. Es entspricht auch einfach nicht den Tatsachen, daß manche Leute nur in Werkstätten oder im frischen Wetterstrom tätig sind. Sie müssen aus betrieblichen Gründen auch in den Betrieben, sie müssen auch im ausziehenden Wetterstrom, in den Strecken mit abziehendem Wetterstrom eingesetzt werden. Deshalb ist die Begründung, die hier gegeben wurde, alles andere als gut.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen uns bei Betrachtung dieser Dinge ernsthaft überlegen, ob es dem Bergbau, aber auch den Bergleuten dient, wenn wir dieses unterschiedliche Recht beschließen, nach dem 60 000 bis 70 000 Untertagebeschäftigte völlig leer ausgehen; denn das ist die Konsequenz. Wer den Knappschaftssold hat, behält ihn selbstverständlich, aber eine Neuerwerbung des Knappschaftssolds ist nicht möglich. Das wird bei den Bergleuten als eine echte Verschlechterung angesehen und nicht als eine fortschrittliche Reform des Knappschaftsrechts, wie wir sie doch alle anstreben sollten.
Meine Damen und Herren, noch eine andere Bemerkung möchte ich mir erlauben. Herr Scheppmann, Sie haben Herrn Höfner als Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften zitiert und gesagt, er habe zum Ausdruck gebracht, daß Ihre Meinung auch seine sei, daß es ihm aber furchtbar schwer falle, seine Freunde zu überzeugen. Ich meine, daß Sie das an einem anderen Ort hätten sagen sollen, denn Herr Höfner ist ja nicht in der Lage, sich hier zu rechtfertigen.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß hinter der Forderung, die wir mit unserem Antrag gestellt haben, die große Industriegewerkschaft Bergbau steht, weil sie eine andere Regelung einfach nicht verkraften kann und weil sie glaubt, daß diesen 60 000 oder 70 000 Untertagebeschäftigten ein Unrecht gegenüber dem bisherigen Rechtszustand geschähe.
Sie haben die Gelegenheit wahrgenommen, durch Herrn Scheppmann Ihre Gedanken vorzubringen, und wir haben sie zur Kenntnis genommen. Aber ich möchte Sie bitten, daß Sie sich jetzt auch ernsthafte Gedanken über unsere Beweggründe machen; ich habe sie Ihnen vorgetragen. Erlauben Sie mir, das eine noch zu sagen: ich hege im stillen die Hoffnung, daß auch Sie das Rentenrecht der Bergleute fortentwickeln und nicht zurückschrauben wollen. Darf ich annehmen, daß Sie bereit sind, mit uns gemeinsam diesen Giftzahn zu ziehen? Zur Erleichterung Ihrer Entscheidung beantrage ich namentliche Abstimmung.
Herr Abgeordneter Mißmahl!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stimmt, Herr Scheppmann, daß ich und mit mir noch elf Kollegen der IG Bergbau im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft den Beschlüssen des Rechts- und Grundsatzausschusses zugestimmt haben. Wir haben uns, Herr Scheppmann, nachträglich sehr oft und sehr eingehend darüber unterhalten. Wenn Sie loyal gewesen wären, hätten Sie auch sagen müssen, warum wir dafür gestimmt haben. Wir waren nämlich der Auffassung, daß die Beschlüsse des Rechts- und Grundsatzausschusses, an denen Sie ja mitgewirkt haben, in Übereinstimmung mit der Industriegewerkschaft Bergbau gefaßt wurden. Niemand von uns konnte sich vorstellen, daß Sie und der andere Kollege, losgelöst von der IG Bergbau, auf eigene Faust Sozialpolitik treiben.
Herr Abgeordneter Scheppmann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der Ausführungen, die Herr Dannebom hier gemacht hat, sehe ich mich doch veranlaßt, noch einmal das Wort zu ergreifen.
Ich bin als Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Bergbau apostrophiert worden. Das Zitierte ist durchaus richtig; ich bekenne mich dazu. Aber dann hätte Herr Dannebom auch noch folgendes sagen sollen. Am letzten Montag habe ich auf Wunsch unseres Hauptvorstandes in Bochum etwa zweieinhalb Stunden über das neue Gesetz gesprochen und habe eingehende Darlegungen gemacht, weil der Vorstand gern wissen wollte, welche Beschlüsse vorliegen und wie wir nun zu den Dingen hier stehen. Als der Brief, den Sie, meine Damen und Herren, bekommen haben, dort zur Beratung gestellt wurde, habe ich ausdrücklich erklärt, daß ich gezwungen bin, dagegen zu sprechen, weil die Dinge in diesem Brief genau
umgekehrt dargestellt sind, als wir es vorher in den zuständigen Ausschüssen beraten haben. Wenn hier gesagt wurde, ich hätte Herrn Höfner, der als Vorsitzer des Vorstandes tätig ist, hier nicht zitieren sollen, weil er sich nicht wehren kann, so muß ich darauf hinweisen, daß in der Gewerkschaftszeitung, die Sie ebenfalls bekommen haben, ein von Herrn Häfner unterzeichneter Artikel enthalten ist, in dem Dinge stehen, die er vorher in dem Ausschuß und als Vorsitzer des Vorstandes und bei den Beratungen im Ministerium genau umgekehrt vorgetragen hat.
Ich muß doch schließlich der Wahrheit die Ehre geben. Wenn über solche Dinge geredet wird und vorher Beschlüsse gefaßt sind, kann ich nicht auf der einen Seite als Mitglied des Selbstverwaltungsorgans — —
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas Ruhe.
— dann darf ich als Mitglied des Selbstverwaltungsorgans nicht auf der einen Seite flirr die Beschlüsse stimmen und auf der anderen Seite genau das Gegenteil tun. Das sind Dinge, die sich miteinander nicht vertragen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Nun noch einiges zu den Ausführungen des Herrn Dannebom. Herr Dannebom hat gemeint, es seien Handwerker Ida, die ebenfalls nicht nur in der Nähe des Schachtes oder in der Werkstatt arbeiteten, sondern die in das Grubengebäude und an die Produktionsstätten gehen müßten, um ihre Arbeit zu verrichten. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß diese Handwerker — es handelt sich vornehmlich cum Schlosser und um Elektriker — schon im Tarifvertrag als Elektrohauer oder als Maschinenhauer geführt werden und ohne weiteres die Voraussetzungen dafür erfüllen, daß sie in den Genuß der Rente kommen. Es ist also nicht ganz so, wie es hier dargestellt worden ist. Ich bleibe bei meiner Auffassung, daß man hier zwischen einer echten bergmännischen Arbeit und einer anderen Tätigkeit unterscheiden muß. Dabei bin ich mir völlig dessen bewußt, daß alle, wie sie da sind, ob im Untertage- oder Übertagebetrieb, die gleichen Steigerungssätze bekommen, nur mit der Ausnahme, daß ein geringer Teil diese Sonderrente wegen Erreichung des 50. Lebensjahrs und auf Grund geleisteter Hauerarbeit oder einer der Hauerarbeit gleichgestellten Tätigkeit nicht bekommen kann. Im übrigen wenden die Leute die gleichen Renten erhalten, sofern Berufsunfähigkeit vorliegt und die Alterspension oder das Knappschaftsruhegeld gewährt wird.
Aus diesen Gründen bitte ich nochmals, die von der SPD-Fraktion gestellten Anträge abzulehnen.
Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ganz wenige Bemerkungen. Ich habe niemals behauptet, daß Elektrohauer oder Maschinenhauer weder in den Genuß der Bergmannsrente noch in den Genuß des Knappschaftssoldes kommen. Ich habe lediglich von dem Handwerker unter Tage gesprochen, der eingesetzt wird, um den Betrieb in Ordnung zu halten.
Zweitens. Herr Scheppmann, Sie haben mit keiner Silbe zu widerlegen versucht, es auch nicht zu widerlegen vermocht, daß 20 % der unter Tage Beschäftigten, im Schnitt gesehen also 60 000 bis 70 000 Menschen, in Zukunft weder die Bergmannsrente noch den Knappschaftssold bekommen.
Darauf hinzuweisen, halte ich doch für notwendig.
Drittens. Herr Kollege Scheppmann, ich habe es vorhin schon bedauert, daß Sie überhaupt den Namen des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften hier in die Debatte geworfen haben. Ich bedaure noch einmal außerordentlich, daß Sie auch jetzt noch einmal den Versuch — und zwar den schlechten Versuch — gemacht haben, Herrn Häfner der Unwahrhaftigkeit zu bezichtigen. Das war ein schlechtes Verhalten und hat hier an diesen Platz überhaupt nicht gehört. Ich möchte meinen, Herr Kollege Scheppmann — und da darf ich mich vielleicht noch auf Ihre Antwort beziehen, die Sie als Berichterstatter auf die Erklärung des Herrn Schellenberg gegeben haben —, das Verhalten kennzeichnet Ihre charakterliche Einstellung.
Meine Damen und Herren, seit 1949 gehöre ich diesem Hause an, seit 1949 gehöre ich dem Sozialpolitischen Ausschuß an, und bis zur Stunde hat noch keiner den Mut besessen, aber auch nicht das Recht gehabt, Dannebom der Unanständigkeit, der Unehrenhaftigkeit und der Unwahrhaftigkeit zu zeihen. Das ist allein Herrn Scheppmann überlassen. Das wollte ich einmal klargestellt haben.
Herr Abgeordneter Dannebom, ich werde vor Schluß dieser Sitzung anhand des Protokolls den Zusammenhang noch einmal prüfen. Ich behalte mir weitere Maßnahmen vor.
Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Herr Kollege Dannebom jetzt diesen Vorgang, den Herr Kollege Dr. Schellenberg eingangs dieser Beratungen hier vortrug, noch einmal aufgegriffen hat, sehe ich mich doch veranlaßt, wenigstens ein ganz kurzes Wort darüber zu sagen.
Herr Kollege Dr. Schellenberg hat die Vorgänge vorhin in ihrer Reihenfolge und in der Abwicklung an sich zutreffend dargelegt. Aber Herr Kollege Dr. Schellenberg hat nicht darauf hingewiesen, daß es ja im Rahmen des Sozialpolitischen Ausschusses Herrn Kollegen Scheppmann nicht oder doch nur schwer möglich gewesen ist, mit Herrn Kollegen Dannebom dieses im Ausschuß gewünschte Gespräch zu führen, weil Herr Dannebom an den letzten Sitzungen des Ausschusses nicht teilgenommen hat, da er anderweitig verpflichtet war.
Wenn ein Gespräch, das zwischen den Herren geführt worden ist, nicht zu dem gewünschten Ergebnis führte, weil man sich nicht verständigen konnte und weil, wie mir scheint, eine Sitzung des Vorstandes der IG Bergbau wohl nicht der geeignete
Ort war, eine Unterhaltung darüber zu führen, also auch wir nicht das von uns gewünschte Ergebnis verbuchen konnten, daß die Herren sich miteinander verständigten — Tatsache ist und bleibt, daß nun diese Klärung hier im Hause nicht herbeigeführt werden konnte, weil Herr Dannebom nicht mehr anwesend war.
Im übrigen handelt es sich hier um Auseinandersetzungen, die in der Presse geführt worden sind, wenn sie auch in dem einen Falle den Weg über den Deutschland-Union-Dienst genommen haben, jedenfalls um Auseinandersetzungen, die außerhalb des Hauses stattgefunden haben. Der Vorgang im Sozialpolitischen Ausschuß war außerdem so, daß wir nach Ablehnung des sozialdemokratischen Antrags auf Abberufung des Kollegen Scheppmann an die sozialdemokratische Fraktion die Frage gerichtet haben, ob sie, wenn Herr Dannebom nicht tätig sein könnte, einen anderen Berichterstatter benennen wolle. Erst als das abgelehnt worden ist und wir einen anderen Ausweg nicht mehr gesehen haben, haben wir den Kollegen Scheppmann in der Abstimmung zum alleinigen Berichterstatter gemacht. Man darf also die Dinge nicht so darstellen, wie es in der Tendenz vorhin auch von Herrn Schellenberg geschehen ist. Wenn sich Herr Kollege Dannebom jetzt noch einmal auf diese Dinge beruft, so möchte ich sagen: eine Sache, die sich dem Grunde nach außerhalb des Hauses abgespielt hat und die in der geschilderten Weise entschieden worden ist, sollte man nicht in der Breite plattwalzen, wie es hier geschehen ist.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beleidigenden Äußerungen im Deutschland-Union-Dienst stammen vom 19. März. Seitdem sind drei Wochen vergangen. Es haben seit dieser Zeit nach meiner Kenntnis fünf Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses stattgefunden. An mehreren hat sowohl der Kollege Scheppmann wie der Kollege Dannebom teilgenommen. Es wäre also ein Leichtes gewesen, die Angelegenheit zu bereinigen, zumal mehrere andere Kollegen den Weg dazu geebnet haben.
Von dieser Möglichkeit ist nicht Gebrauch gemacht worden, sondern wir mußten beanstanden, daß erst nach Vorlage des Berichts Herr Scheppmann den Weg zu Herrn Dannebom gefunden hat.
Im übrigen: Wenn hier beanstandet wurde, daß in einem Presse-Interview der Ausdruck „Giftzähne aus dem Gesetzentwurf herausziehen" gefallen ist, so darf ich darauf aufmerksam machen, daß es der Herr Bundeswirtschaftsminister war, der in der Rentendebatte den Ausdruck „Giftzähne herausziehen" gebraucht hat,
und zwar in bezug auf den Gesetzentwurf seiner eigenen Regierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung für die Ziffern 2 und 6 des Umdrucks 1008*) beantragt, also über die Änderungsanträge zu § 33 Abs. 1 und § 49. — Meine Damen und Herren, bevor die Stimmkarten eingesammelt werden, mache ich darauf aufmerksam, daß wir eine Hollerithmaschine haben, die die Auszählung in wenigen Minuten durchführt. Die Abstimmung wird also wesentlich beschleunigt.
Ich mache darauf aufmerksam, daß die Stimmkarten so genormt sind, daß die Berliner Abgeordneten ihre Stimmkarten in die allgemeine Urne werfen können. Die Maschine sortiert die Berliner dann automatisch aus.
Wir treten in die Abstimmung ein. — Ich frage: hat jedermann im Saal seine Stimmkarte abgegeben? — Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, zunächst zur Technik unserer Abstimmung: Die Premiere hat nicht funktioniert.
Generalproben haben ausgezeichnet geklappt. Die Premiere hat deshalb nicht funktioniert, weil ein Abgeordneter, dessen Name festgestellt ist, mit seiner Karte gespielt und sie verbogen hat, so daß sie beim Durchlauf zerrissen ist. Sie können sehen, wie kompliziert diese Sache ist.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 367 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 16 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 129 Mitglieder des Hauses und 8 Berliner Abgeordnete; mit Nein haben gestimmt 234 Mitglieder des Hauses und 8 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 4. Damit ist der Änderungsantrag auf Umdruck 1008 Ziffer 2 und Ziffer 6 abgelehnt.
Ich lasse über § 33 in der Fassung des Ausschusses abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der § 33 ist angenommen.
Wir stimmen über § 49 in der Fassung des Ausschusses ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — § 49 ist angenommen.
Ich rufe die §§ 50, — 51 und 52 auf. — Änderungsanträge dazu liegen nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Zu § 53 liegt unter den Ziffern 7 und 8 des Umdrucks 1008*) ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen in der Ziffer 7 des Umdrucks 1008, dem § 53 Abs. 1 folgende Fassung zu geben:
*) Siehe Anlage 3
**) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 11597
Der Jahresbetrag der Bergmannsrente ist für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr 1,5 vom Hundert der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage. Übt der Versicherte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aus, so ist der Jahresbetrag für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr 0,8 vom Hundert. Scheidet der Versicherte aus der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit aus, so ist die Bergmannsrente vom Beginn des folgenden Monats an zu gewähren.
Zur Begründung darf ich kurz folgendes sagen. Die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 soll ein Ersatz für die bisherige Knappschaftsrente sein. Nach altem Recht gab es bei dieser Knappschaftsrente für jedes anrechnungsfähige Jahr den Steigerungsbetrag von 1,5%. Auch nach dem § 52 des ursprünglichen CDU/CSU-Gesetzentwurfs Drucksache 3065 wurde der jährliche Steigerungsbetrag von 1,5 % gewährt. Jedoch wurde in § 74 desselben Entwurfs beim Zusammentreffen von Rente und Entgelt die Rente um 50 % zum Ruhen gebracht. Nach dieser Vorlage soll nun für die Bergmannsrente generell der Steigerungsbetrag von 0,8 % gewährt werden. Das ist, so meine ich, eine erhebliche Verschlechterung auch gegenüber Ihrem eigenen Entwurf.
Sicher ist, daß die Ruhensvorschriften immer eine etwas peinliche Angelegenheit sind. Wir sind und waren mit Ihnen einverstanden, die Ruhensbestimmungen des § 74 Ihres Entwurfs zu beseitigen. Aber die jetzt vom Ausschuß beschlossene Kürzung soll nach Ihrer und auch unserer Auf fas-sung nur dann Platz greifen, wenn neben Rente noch Entgelt gezahlt werden sollte. Hinsichtlich der Kürzung waren wir also gemeinsam der Auffassung, wenn wir auch in der Höhe der Kürzung unterschiedlicher Meinung waren. Nun wollen Sie die Kürzung auch demjenigen zumuten, der die versicherungspflichtige Beschäftigung aufgibt. Das führt doch dazu, daß der nicht mehr voll einsatzfähige Bergmann, der auf Grund eines ärztlichen Gutachtens Anspruch auf die Bergmannsrente nach Ziffer 1 wegen verminderter Berufsfähigkeit hat, auch wenn er die Beschäftigung aufgibt, nur den Steigerungsbetrag von 0,8 % bekommt. Meine Damen und Herren, glauben Sie, daß das der richtige Weg ist? Oder ich frage so: Was hat Sie denn bewogen, die Kürzung nur dann vorzunehmen, wenn jemand Rente und Entgelt bekommt? Sie haben sich doch sicher Gedanken darüber gemacht, als Sie Ihren Entwurf eingebracht haben.
Wir wollen mit dem Änderungsantrag, den wir eingebracht haben, grundsätzlich das wiederherstellen, was Sie in Ihrem eigenen Gesetzentwurf damals gefordert haben. Das und nichts anderes wollen wir.
— Bitte, Herr Kollege Schüttler, wir waren uns doch einig, die peinliche Kürzung der Rente beim Zusammentreffen von Rente und Lohn aus der Welt zu schaffen. Gemeinsam waren wir der Auffassung, daß der § 74 gestrichen werden soll, aber doch nur dann, wenn Rente und Entgelt zusammentreffen. Wenn aber der Berechtigte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, dann muß er doch wieder den Steigerungsbetrag von 1,5 % bekommen. Das ist das echte Anliegen.
Ich bitte Sie, unserem Änderungsantrag zuzustimmen, weil er lediglich das bezweckt, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf gefordert haben. Ich bitte also um Ihre Zustimmung.
Herr Abgeordneter Scheppmann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Dannebom soeben vorgetragen hat, stimmt mit den Darlegungen überein, die wir im Ausschuß gemacht haben. Wir hatten zwar in unserem CDU/CSU-Entwurf zunächst für den Fall der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit einen Steigerungsbetrag von 1,5 % vorgesehen, sind aber später zu einer anderen Auffassung gekommen, die auch durchaus akzeptiert worden ist. Bei einem Steigerungsbetrag von 1,5 % müßte, wenn der Betreffende noch eine Beschäftigung ausübt, die Rente entsprechend dem bereits herausgenommenen § 74 rum 50 % gekürzt werden. Wir haben überlegt, ob es sinnvoll wäre, zunächst einen Steigerungsbetrag von 1,5 % zu gewähren und ihn nachher wieder um 50 % zu kürzen, so daß der tatsächlich in Anwendung gebrachte Steigerungsbetrag 0,75 % betragen würde.
Ich muß nun auf etwas hinweisen, was noch nicht gesagt worden ist, was man aber zum sachlichen Verständnis wissen muß. Es war vorgesehen, die Gewährung der Rente wegen einer Berufsunfähigkeit, die an keine prozentuale Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, also der Rente, die auf Grund eines ärztlichen Gutachtens gewährt und mit 1,5 %o Steigerungsbetrag errechnet wird, an die zwingende Vorschrift zu knüpfen, daß der betreffende Versicherte nur noch eine Tätigkeit nach der Lohngruppe III verrichten darf. Das bedeutete beispielsweise, daß, von dem Hauerdurchschnittslohn von über 23 DM pro Tag ausgehend, eine Kürzung des Lohns auf 13 DM eintritt.
Wir sind nun bei Prüfung dieser Bestimmungen zu der Auffassung gelangt, daß es nicht sinnvoll sei. hier eine Vorschrift einzubauen, nach der der Betreffende im Bergbau nur noch eine Tätigkeit mit einer bestimmten Entlohnung verrichten darf. Um davon abzukommen und um gleichzeitig auch das Invalidenproblem im Bergbau zu lösen, haben wir die Schaffung einer Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit vorgesehen, wobei der Betreffende einen gewissen Ausgleich dafür bekommen soll, daß er nicht mehr als Hauer arbeitet. Denn wir vertreten den Grundsatz, daß demjenigen, der durch seine berufliche Tätigkeit geschädigt wird, so daß er nicht mehr die Hauptberufstätigkeit verrichten und den Hauerlohn nicht mehr verdienen kann, ein gerechter Ausgleich gegeben werden muß. Wir sind alle der Meinung gewesen, daß diese Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zusammen mit dem Einkommen aus Arbeit nicht höher sein sollte als das Einkommen aus der Hauptberufstätigkeit. So sind wir zu dieser Rente gekommen. Wir haben diese Bestimmung ganz bewußt, nach ganz klaren Überlegungen getroffen, damit der Betreffende, der vermindert bergmännisch berufsfähig ist, noch jede andere Schichtlohntätigkeit im Bergbau verrichten kann, ohne daß vom Versicherungsträger Maßnahmen ergriffen werden, um ihm die Rente zu nehmen, was wir bis heute schon des öfteren zu verzeichnen hatten, wenn eine höhere Entlohnung stattfand.
Herr Dannebom sagte, wenn der Mann ausscheide, bekomme er nur 0,8 %. Der Jahresbetrag der Rente wegen Berufsunfähigkeit, die wir neu eingeführt haben und die gegeben wird, wenn der Mann zu mehr als 50 % arbeitsunfähig ist, beträgt, wenn er noch im Betrieb verbleibt, 1,2 %. Wenn er dann aus dem Betrieb ausscheidet — dann kann er jegliche andere Tätigkeit verrichten —, erhält er einen Jahresbetrag von 2 %. Diese Berufsunfähigkeitsrente, die er erhält, wenn er aus dem Betrieb ausscheidet — wozu ihn allerdings keiner zwingen kann; das möchte ich besonders unterstreichen —, ist im Hinblick auf die Zurechnungszeiten, im Hinblick auf die Ausfallzeiten wesentlich höher als die jetzige Vollrente mit einem Jahresbetrag von 2,4 %. Man scheint also hier die Dinge doch ein wenig zu verwechseln.
Wenn man ,folgerichtig vorgeht, dann muß man sagen: Eine Rente wegen bergmännischer Berufsunfähigkeit oder verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit wird gegeben, wenn der Mann nicht mehr die Hauerarbeit verrichten kann. Er kann dann aber noch jede andere Schichtlohntätigkeit verrichten. Damit kommen wir gleichzeitig zu einer Tarifehrlichkeit. Bisher bekommt der Mann für eine an sich höher bezahlte Arbeit nicht den Lohn, den er eigentlich verdient hätte. Im Hinblick darauf scheint es mir richtig zu sein, daß wir bei der Entscheidung des Ausschusses verbleiben und hier keine Änderungsanträge stellen.
Ich bitte also, den Antrag der SPD unter Ziffer 7, in § 53 Abs. 1 Satz 1 einen Jahresbetrag von 1,5% festzulegen, abzulehnen.
In § 53 Abs. 2 ist die Berufsunfähigkeitsrente angesprochen. Ich habe schon ,dargelegt — —
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter; das ist noch nicht einmal begründet!
Dann kann ich es gleich machen. — Ich bitte also, wie ich es eben dargelegt habe, den Antrag unter Ziffer 7 zu § 53 Abs. 1 abzulehnen.
Herr Abgeordneter Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich Sie noch einmal belästigen muß. Aber es handelt sich jetzt wirklich nicht um die Berufsunfähigkeitsrente, Herr Scheppmann, auf die Sie immer wieder Bezug genommen haben.
— Er hat wiederholt auf die Berufsunfähigkeitsrente hingewiesen. Ich wollte nur die Dinge auseinanderhalten. Wir sind ja dazu hier, daß wir uns um das Anliegen, das hier ansteht, ernsthafte Sorgen machen. Berufsunfähigkeit scheidet also jetzt aus; dazu werde ich später noch einiges zu sagen haben.
Jetzt handelt es sich um die Bergmannsrente nach Ziffer 1 wegen verminderter Berufsfähigkeit und nach Ziffer 2 wegen Erreichung der 50 Jahre. Nun hatten Sie — darauf habe ich vorhin schon Bezug genommen — in Ihrer Drucksache in § 52 seinerzeit gesagt: Der Jahresbetrag — damals hieß die Bergmannsrente noch Knappschaftsrente — trägt für jedes anrechnungsfähige Jahr 1,5 %. Und
Sie hatten dann in § 74 gesagt: Wenn diese so errechnete Rente mit Entgelt zusammentrifft, wird sie um 50 % gekürzt.
— Richtig, Herr Kollege Winkelheide. Wir waren mit Ihnen der Auffassung, daß Kürzungen immer eine schlechte Sache sind. Darüber gab es keine Meinungsverschiedenheiten und gibt es auch heute nicht. Nur waren Sie und wir damals der Auffassung, daß eine Kürzung, wenn schon notwendig, dann eingeführt werden sollte, wenn Rente und Entgelt zusammentreffen. Das wollen Sie jetzt nicht mehr. Jetzt wollen Sie schlechthin jedem dieser Bergmannsrentenberechtigten nur den Steigerungsbetrag von 0,8 % gewähren.
Das hat folgende Bewandtnis. Wenn ein Bergwerksunternehmen erklärt: Solch ein Berechtigter hat bei uns keine Arbeitsmöglichkeit mehr — das kann es ja geben —; wir wissen, daß nicht so viel Plätze im Schichtlohn da sind, daß diese wegen verminderter Berufsfähigkeit kaputtgeschriebenen Menschen beschäftigt werden könnten!, dann kann der Mann arbeitslos werden. Dann wollten Sie diesem Mann nach altem Recht den Steigerungsbetrag von 1,5 % geben, nach neuem Recht wollen Sie ihm nur den von 0,8 % gewähren. Dieser Mann bekommt somit, wenn die verminderte Berufsfähigkeit in jungen Jahren eintritt, eine ganz niedrige Rente!
Mein Herzensanliegen ist folgendes. Bisher gab es doch im knappschaftlichen Rentenrecht auch die Mindestrente in Höhe von rund 70 Mark. Die fällt weg, die gibt es nicht mehr. Welche Rente soll nun ein solcher Mann, der vielleicht 10 Berufsjahre hinter sich gebracht hat, mit einem Steigerungsbetrag von 0,8 % bekommen? Wir wollen doch nur das, was auch Sie gewollt haben: Wenn der Mann nicht mehr beschäftigt ist, wollen wir ihm den Steigerungsbetrag geben, auf den er ein gutes Recht hat, nämlich den Steigerungsbetrag von 1,5 %.
Deshalb bedaure ich, Herr Kollege Scheppmann, daß Sie diese Dinge mit der Berufsunfähigkeitsrente vermischt haben. Ist es denn zuviel verlangt, wenn wir dem Bergmann, der nicht mehr voll einsatzfähig und zum Ausscheiden gezwungen ist, den Steigerungsbetrag geben, den Sie ihm zu geben gewillt waren, den wir in unseren Änderungsantrag wieder aufgenommen haben? Das ist das echte Anliegen, und deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung.
Keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag? — Wir stimmen über den Antrag Umdruck 1008*) Ziffer 7 ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun der Änderungsantrag Umdruck 1008 Ziffer 8! Herr Abgeordneter Bergmann zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich habe die Aufgabe, den Änderungsantrag der Bundestagsfraktion der SPD auf
*) Siehe Anlage 3
Umdruck 1008 Ziffer 8 zu begründen. In § 53 Abs. 2 der Vorlage geht es um den Steigerungsbetrag je anrechnungsfähiges Versicherungsjahr für die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Von der Mehrheit des Sozialpolitischen Ausschusses werden unterschiedliche Steigerungsbeträge vorgeschlagen, und zwar für diejenigen, die weiter eine knappschaftlich versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben in Höhe von 1,2 v.H., während diejenigen, die aus einer knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung ausscheiden, einen Steigerungsbetrag von 2 v.H. erhalten sollen. In Bergarbeiterkreisen herrscht darüber große Bestürzung. Dort bringt man einer solchen Regelung kein Verständnis entgegen. Es ist nämlich dann so, daß derjenige, der ein Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit erhält und weiter im Bergbau beschäftigt bleibt, dafür bestraft wird. Ich frage das Hohe Haus: ist das der Dank für das Berufsrisiko des Bergmannes?
Wir sollten auch mehr die Ansicht der Berufsorganisation der Bergarbeiter beachten. Noch gestern haben Sie eine Stellungnahme der Industriegewerkschaft Bergbau in dieser Frage mit der Bitte erhalten, von einer Aufteilung der bisherigen Knappschaftsvollrente — jetzt Knappschaftsrente — in eine Rentenleistung für Berufsfähigkeit und in eine Rentenleistung für Berufsunfähigkeit abzusehen.
Dazu kommt noch, daß kein einheitlicher Steigerungsbetrag für die Knappschaftsrenten wegen Berufsunfähigkeit vorgesehen ist. Damit, meine Damen und Herren, bringen Sie große Unruhe in die Bergarbeiterschaft. Die Bergarbeiter haben für eine solche Entscheidung kein Verständnis. Ich mache darauf aufmerksam, daß damit etwas Neues eingeführt würde.
Wir sollten bei gleicher Beeinträchtigung der Arbeitsleistung und bei gleichen Voraussetzungen die Dinge einheitlich beurteilen. Schaffen wir keine Ungerechtigkeiten, durch die wir gerade den Schwerstarbeitenden treffen würden.
Ich frage: soll der Abs. 2 eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe erfüllen, und wer steckt dahinter? Den Bergarbeiter mit einer 51%igen Berufsunfähigkeit auf eine Tätigkeit außerhab des Bergbaus zu verweisen, ist töricht. Die Bemühungen im Lande Nordrhein-Westfalen, durch den Bergmannsversorgungsschein solche angeschlagenen Bergleute in anderen Berufen unterzubringen, sind fehlgeschlagen. Nur wenige hatten das Glück, irgendwo als Pförtner oder Bote unterzukommen. Aber die große Masse mußte einfach weiter im Bergbau eine Beschäftigung finden.
Da ich gerade von Glück spreche, möchte ich auf folgende Tatsache aufmerksam machen. Es kann passieren, daß beispielsweise ein Knappschaftsrentner, der wegen Berufsunfähigkeit als Pförtner bei den Krupp-Bergwerken Essen-Rossenray beschäftigt wird, weniger Rente erhält als ein anderer Knappschaftsrentner, der ebenfalls wegen Berufsunfähigkeit mit den gleichen Voraussetzungen als Pförtner bei der Firma Krupp in Essen beschäftigt wird.
Man sollte meinen, das sei ein Scherz. Aber leider ist es bittere Wahrheit. Es fehlt nur noch, daß man die übrige Wirtschaft davon überzeugen will, daß die Arbeitsplätze mit leichteren Beschäftigungen nicht mehr für ihre Schwerbeschädigten, sondern
für die Schwerbeschädigten des Bergbaus vorbehalten bleiben sollen.
Es ergibt sich da eine traurige Bilanz. Ich muß Sie auf das außerordentlich große Gesundheitsrisiko des Bergarbeiters sowie die schweren Arbeitsbedingungen im Untertagebetrieb verweisen, wie sie in keinem anderen Wirtschaftszweig vorkommen. Der frühe Kräfteverschleiß des Bergmanns ist das besondere Kennzeichen im Bergbau. Der Anteil der Belegschaften im Ruhrbergbau, die an heißen Betriebspunkten bei Temperaturen von mehr als 28 Grad Celsius arbeiten, nimmt ständig zu. Er ist von 1938 bis 1953 von 1,61 % auf 12,45 % gestiegen. Der Anstieg ist vor allem auf die größeren Teufen, die jährlich um 6 m zunehmen, zurückzuführen.
Auch auf den Umfang der Silikoseerkrankung muß ich verweisen. Die Berufsstatistiken zeigen die ungeheure Wirkung dieser Krankheit. Nach fünfjähriger Untertagearbeit wurde bei 12,36 % der Untersuchten bereits beginnende Staublunge festgestellt. Nach einer Untertagetätigkeit von fünfzehn Jahren und mehr waren nur noch 9,6 % der Untersuchten frei von Silikose. Am eindrucksvollsten dürfte aber wohl die Tatsache sein, daß die Silikose im Bergbau von 1929 bis 1955 annähernd 27 000 Todesopfer gefordert hat.
Diese Gefahren für den Bergmann bedeuten wirtschaftliche und soziale Unsicherheit. Die Ausübung des Bergmannsberufs muß mit einem relativ kurzen Arbeitsleben und einem verkürzten Lebensabend bezahlt werden. Diese Risiken verpflichten uns, alles zu tun, daß für den Knappschaftsrentner keine Senkung seines Lebensstandards eintritt. Hier besteht für uns die Pflicht, den noch im Bergbau beschäftigten Knappschaftsrentner mit dem außerhalb des Bergbaus beschäftigten Knappschaftsrentner gleichzustellen. Das ist unser Anliegen. Auch das Invalidenproblem im Bergbau würde bei Anwendung eines einheitlichen Steigerungsbetrags besser gelöst werden.
Wir beantragen daher, daß § 53 Abs. 2 folgende Fassung erhält:
Der Jahresbetrag der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ist für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr 2 vom Hundert der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage.
Diese Frage ist für die Bergarbeiter so außerordentlich wichtig, daß ich im Namen meiner politischen Freunde hiermit namentliche Abstimmung beantrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin leider gezwungen, auf einige Dinge einzugehen, die der Herr Kollege Bergmann soeben dargelegt hat. Er hat schon die Frage der Silikose, die gar nicht in diesen Abschnitt gehört, angeschnitten. Zur Frage der Silikose werden wir gleich noch etwas Besonderes zu sagen haben. Ich bestreite gar nicht, daß die Gefahr der Silikose im Bergbau sehr groß ist. Ich kenne die Zahlen — sie sind hier genannt worden — und weiß, daß gerade diese Berufserkrankung im Bergbau nach jeder Richtung hin zu beachten ist; es muß alles getan werden, damit wir nicht so viele silikosekranke Bergleute haben. Aber das ist alles
erst nachher auszuführen, wenn es zur Beratung steht.
Ich möchte jetzt zu dem Änderungsantrag unter Ziffer 8 sprechen, der sich auf § 53 Abs. 2 bezieht. Wir haben genau wie in der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung nunmehr auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung eine Berufsunfähigkeitsrente. In der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung ist das erstmals neu eingeführt. Hier wird für die Personen, die noch eine Tätigkeit im Betrieb verrichten, nur ein Steigerungsbetrag von 1 % gegeben.
Bei der knappschaftlichen Rentenversicherung haben wir allerdings auch Überlegungen angestellt, was hier zu geschehen hat. Zunächst stand in dem Entwurf ein Steigerungsbetrag von 1,8 %, der, wenn eine Weiterbeschäftigung in Frage kam, um 50 % gekürzt werden sollte. Auch hier haben wir die Kürzungsvorschriften ausgeschaltet, weil wir solche Kürzungsvorschriften nicht für richtig gehalten haben. Wenn man schon einen Steigerungsbetrag gibt, soll man ihn nicht aus irgendwelchen Gründen kürzen. So waren wir der Meinung, daß bei der Rente wegen Berufsunfähigkeit, bei 51 % Berufsunfähigkeit oder auch mehr, wenn der Betreffende noch im Betrieb verbleibt, ein Steigerungsbetrag von 1,2 % und, wenn er aus dem Betrieb ausscheidet, ein Steigerungsbetrag von 2 % gegeben werden soll.
Nun ist hier gesagt worden, man habe draußen dafür kein Verständnis, weil es eine Verschlechterung sei. Dazu möchte ich folgendes sagen. Wenn der betreffende Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheidet, also keine versicherungspflichtige bergmännische Tätigkeit mehr ausübt, — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte doch, dem Redner etwas mehr Gehör zu schenken.
— oder wenn er außerhalb des Bergbaues noch eine leichte Beschäftigung hat, bekommt er einen Steigerungsbetrag von 2 %, der nicht gekürzt werden kann.
Ich möchte Ihnen jetzt mit einigen Zahlen sagen. wie das praktisch aussieht. Ich möchte damit dem Hohen Hause darlegen, daß die Behauptung, es handle sich hier um Verschlechterungen. nicht zutrifft. Ich möchte einen Versicherten nehmen. der im Alter von 40 Jahren steht. Dieser Beschäftigte, der meinetwegen mit 16 Jahren im Betrieb angefangen hat, soll erst als Schichtlöhner, dann als Gedingeschlepper, als Lehrhauer und zuletzt als Hauer tätig gewesen sein. Dieser Mann würde nach 24 Berufsjahren, wenn er wegen Berufsunfähigkeit aus dem Bergbau ausscheidet, eine Rente von 334,40 DM erhalten. Er würde nach dem heutigen Recht bei einem Steigerungsbetrag von 2,4% eine Rente von 285 DM erhalten. Hier ergibt sich ein Mehrbetrag von 49,40 DM.
Dabei muß ich darauf aufmerksam machen, daß in diesem Falle der Betreffende noch eine Tätigkeit außerhalb des Bergbaus verrichten kann. Gerade weil wir diesen Menschen im Bergbau, die so frühzeitig berufsunfähig geworden sind, eine Chance geben wollen, außerhalb des Bergbaues noch eine Tätigkeit zu verrichten, wollen wir sie nicht an eine bergmännische Tätigkeit binden. Dafür haben wir hier im Gesetz einen Betrag festgelegt, wie ich ihn eben nannte. Wenn der gleiche Mann mit gleich vielen Versicherungsjahren berufsunfähig, erwerbsunfähig würde, würde sich der Steigerungsbetrag automatisch auf 2,5 % und der Betrag der Rente auf 413 DM — gegenüber seiner früheren Rente von 285 DM — erhöhen. Wenn das eine Verschlechterung sein soll, meine Damen und Herren, weiß ich nicht, wie man eine solche Beurteilung einschätzen soll. Ich bin der Meinung, daß gerade bei der Berufsunfähigkeitsrente das Beste getan worden ist, was man für diesen versicherten Menschen, der frühzeitig berufsunfähig geworden ist, tun konnte.
Ich bitte daher, die Anträge der SPD nach der Richtung hin abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Privatgespräche möglichst einzuschränken.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Scheppmann hat Beispiele erwähnt, die nicht in den Rahmen unseres Antrags fallen.
Denn unser Antrag geht dahin, den Steigerungsbetrag von 1,2 % durch einen solchen von 2 % zu ersetzen. Sie haben ein Beispiel mit einem Steigerungsbetrag von 2 % gebracht, das ist nicht der Fall, der hier zur Erörterung steht.
Ich möchte den Damen und Herren einmal aus dem Material vortragen, das uns das Bundesarbeitsministerium im Ausschuß vorgelegt hat, eine Gegenüberstellung der Renten nach neuem und nach bisherigem Recht für Hauer, die ihre Tätigkeit mit 21 Jahren begonnen haben. Alle diese Hauer, die eine Beschäftigungszeit von 15 und mehr Jahren haben, werden nach dem Material der Bundesregierung bei einem Steigerungsbetrag von 1,2 % eine niedrigere Rente als bisher erhalten,
und zwar — ich lese Ihnen die Zahlen vor — bei einer Tätigkeit von 15 Jahren 7 DM weniger und bei einer Tätigkeit von 40 Jahren 101 DM weniger als nach dem bisherigen Recht.
Aber, meine Damen und Herren, da wir schon bei Vergleichen sind, ist es wohl auch ratsam, die Leistungen nach diesem Gesetz zu vergleichen mit den Leistungen nach dem Gesetz fr Arbeiter und Angestellte, das wir vor einigen Wochen verabschiedet haben. Ich möchte, um meine Beweisführung auf authentisches Material zu stützen, die „Rentenfibel" des Bundesarbeitsministeriums mit diesen schönen Fotografien zu Rate ziehen. Um von völlig gleichen Verhältnissen auszugehen, nehme ich das Beispiel eines männlichen Angestellten mit durchschnittlichem Lohn, der im Alter von 40 Jahren vorzeitig berufsunfähig wird.
Nach einer Information, die das Bundesarbeitsministerium gegeben hat, wurde für diese Beispiele ein Arbeitsverdienst eines männlichen Angestellten von 552 DM monatlich zugrunde gelegt. Das Beispiel, das das Bundesarbeitsministerium uns für die knappschaftliche Versicherung gegeben hat, bezieht sich auf einen Hauer mit einem monatlichen Arbeitsverdienst von 577 DM. Also beide Versicherte
liegen in der Größenordnung ihres Arbeitsverdienstes etwa gleich. Beide, der Hauer und der Angestellte, sollen, um das praktische Beispiel nach der Rentenfibel bringen zu können, im Alter von 40 Jahren vorzeitig berufsunfähig werden, und zwar sowohl im Sinne des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes wie des Knappschaftsneuregelungsgesetzes. Laut Rentenfibel würde dieser Angestellte beim Eintritt der Berufsunfähigkeit mit 40 Jahren eine Rente von 213 DM monatlich erhalten. Nach der Aufstellung, die uns die Bundesregierung zu der Knappschaftsrentenversicherung gegeben hat, würde die Knappschaftsrente — ich unterstelle, daß sowohl der Angestellte wie der Hauer mit dem noch verbliebenen Teil ihrer Arbeitskraft im gleichen Betrieb tätig sind — bei einem Steigerungsbetrag von 1,2 % 188,50 DM betragen, also um 30 DM niedriger sein als die Rente eines Angestellten.
Woraus erklärt es sich, Herr Kollege Scheppmann? Es erklärt sich daraus, daß Sie in einem weiteren Paragraphen, auf den wir noch zu sprechen kommen, dem Bergmann geringere Zurechnungszeiten geben. Deshalb zieht nämlich Ihr Argument nicht, daß der Bergmann eine Rente mit einem Steigerungsbetrag von 1,2 und der Angestellte mit 1 % erhalte. Sie ziehen dem Bergmann ein Drittel der üblichen Zurechnungszeiten ab — das haben Sie nicht erwähnt —, und das wirkt sich auf die Höhe seiner Rente aus. Das ergibt sich aus den Unterlagen des Bundesarbeitsministeriums! Die Beispiele haben wahrscheinlich zwei verschiedene Referenten berechnet; der für Knappschaft hat das, und der für Angestelltenversicherung hat jenes berichtet.
Ich empfehle dem Herrn Bundesarbeitsminister, eine gleichartige Rentenfibel für Bergarbeiter herauszugeben.
In dieser Rentenfibel für Bergarbeiter müßten Sie nämlich darlegen, daß dieser Bergarbeiter mit 20 Berufsjahren eine um 45 DM geringere Rente als bisher erhält. Nach dem gegenwärtigen Recht hat dieser Hauer nach Ihrer eigenen Darstellung eine Rente von 233,70 DM, und derjenige, der unter den gleichen Bedingungen Neurentner wird, erhält eine Rente von 188,50 DM, Material des Bundesarbeitsministeriums!
Sie haben in der Rentenfibel dargelegt, daß sich die Rente eines gleichartigen Angestellten um 50 %, d. h. um 73 DM gegenüber dem bisherigen Stand verbessert. Sie haben aber in dem Material für den Ausschuß bekennen müssen, daß sich die Rente des Bergarbeiters unter diesen Voraussetzungen um 19 % verringert.
Meine Damen und Herren, das sind keine Einzelfälle. Sie können die Reihe der Beispiele fortsetzen. Für diejenigen Versicherten, die mit 60 Jahren berufsunfähig werden, kommen Sie praktisch zu ähnlichen Ergebnissen.
Die Beispiele zeigen — und das ist für uns das Entscheidende —, daß es sozialpolitisch unmöglich und auch gegenüber der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ungerecht ist, in der Knappschaftsversicherung mit einem Steigerungsbetrag von 1,2 und gleichzeitig mit den verringerten Zurechnungszeiten zu operieren. Wir Sozialdemokraten warnen davor, für den Bergmannsberuf eine Regelung einzuführen, bei der die Renten für Bergarbeiter ungünstiger als für andere Arbeiter und Angestellte sind. Deshalb bitten wir Sie, unserm Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht ebenso temperamentvoll werden wie mein Vorredner.
Ich möchte Ihnen aber folgendes sagen.
- Ja, nicht jeder ist auf der Schauspielerschule gewesen!
Um was handelt es sich denn hier?
Es handelt sich hier um die Festsetzung einer Rente.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Ruhe. Sobald das Protokoll vorliegt, werde ich feststellen, was gesagt worden ist.
Wenn wir alle unsere Stimmkraft im Hinblick darauf, daß die Wahl erst am 15. September stattfindet, etwas aufsparten, wäre alles besser zu verstehen.
Also um was handelt es sich hier? Hier handelt es sich um eine Invaliditätsrente, die neben einem Lohn gezahlt werden soll, der im alten Beruf und im alten Betrieb in den meisten Fällen noch erzielt wird. Die führenden Leute von der Knappschaft und alle, die ich über diese Dinge in meinem Ministerium gehört habe, haben es immer und immer wieder als Grundsatz hingestellt, daß Verdienst und Rente niemals den Lohn des Hauers übersteigen sollen.
Wenn wir dem hier gestellten Antrag folgten, würden wir in einer ganzen Anzahl von Fällen bei der verringerten Arbeitsfähigkeit und der dazu gegebenen Rente ein Gesamteinkommen erhalten, das den vollen Lohn des Hauers überschreitet. Das ist nicht der Sinn der neuen Gesetzgebung.
Darüber haben wir uns gerade mit den Sachverständigen aus dem Bergbau und auch mit den Leuten von der Knappschaft selbst mehrfach ernstlich
unterhalten. Ich glaube nicht, daß Sie mir eine einzige Konstruktion vorlegen können, nach der der Mann, wenn er im Bergbau bleibt und nachher, in einer anderen Lohnstufe eingegliedert, seine Entlohnung und daneben die Rente bekommt, eben wesentlich schlechter oder überhaupt schlechter gestellt ist als der Hauer selbst. Bleiben wir doch bei diesen Dingen um Gottes willen immer mit den Beinen auf der Erde. Sonst müssen eben die Bestimmungen über Kürzungen der Rente in das Gesetz eingebaut werden, wenn wir nicht zu einem Durcheinander kommen wollen,
das wir ganz bestimmt nicht verantworten können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte mich für verpflichtet, zu diesem Problem doch noch einige Ausführungen zu machen. Herr Kollege Schellenberg, das, was Sie dem Hohen Hause vorgetragen haben, nämlich daß die heute gewährte Rente größer sei als eine Rente, die in Zukunft wegen Berufsunfähigkeit gegeben werde, trifft nur ganz bedingt zu, nämlich nur deshalb, weil es heute den Begriff der Berufsunfähigkeit nicht gibt. Da wir aber in Zukunft den Begriff der Berufsunfähigkeit und den Begriff der Erwerbsunfähigkeit haben, trifft Ihr Argument gar nicht mehr zu. Sie können einen, der heute eine Rente bekommt, weil er nicht mehr arbeiten kann, nicht mit dem vergleichen, der in Zukunft eine Rente bekommt,
obwohl er noch in Arbeit stehen kann. Das ist die Berufsunfähigkeitsrente. Sobald aber jemand erwerbsunfähig ist und eben nicht mehr tätig sein kann, bekommt er - das ist in einem späteren Paragraphen festgelegt — die Erwerbsunfähigkeitsrente mit einem viel höheren Steigerungssatz, nämlich mit dem Steigerungssatz von 2,5 %.
Hier geht es doch lediglich darum, daß jemand, der in seinem erlernten Beruf, in dem. Beruf, in dem er bis dahin auf Grund seiner Vorbildung tätig gewesen ist, nicht mehr arbeiten kann, dafür, daß er für dies en Beruf berufsunfähig geworden ist, eine Rente bekommen soll, die sich nach einem Steigerungssatz von 1,2 % pro Versicherungsjahr mit Zurechnungszeiten errechnet. Während er diese Rente mit einem Steigerungssatz von 1,2 % erhält, die Sie irrtümlicherweise mit der bisherigen Invaliditätsrente gleichgesetzt haben, kann er weiterhin im Bergbau tätig bleiben. Im Bergbau gibt es aber, wie wir alle wissen, aus wohlerwogenen Gründen höhere Löhne und höhere Gehälter, als sie sonstwo üblich sind. Das muß dabei auch bemerkt werden. Der Grund, weshalb wir auch die Berufsunfähigkeitsrente in zwei verschiedenen Formen gewähren, ist, daß wir jemanden, der zwar in seinem bisherigen Beruf berufsunfähig geworden ist, aber sonst noch arbeitsfähig ist, veranlassen wollen, sich eine andere Arbeitsstelle zu suchen.
Nehmen wir den Hauer. Wenn er nicht mehr fähig ist, die Hauerarbeiten auszuführen, aber insgesamt noch fähig ist zu arbeiten, wollen wir ihm den Anreiz geben, das Bergwerk zu verlassen und eine andere Arbeit aufzunehmen, weil ja der Bergwerksbetrieb nicht eine Unzahl von Arbeitsplätzen hat, an denen nicht unmittelbare Bergmannsarbeit geleistet wird. Sobald der Hauer — Sie können natürlich auch jede andere Gruppe aus dem Bergbau nehmen — diesem Anreiz nachgibt und aus dem Bergwerk, aus dem Bergbaubetrieb herausgeht und irgendwo anders eine beliebige Tätigkeit aufnimmt, bekommt er sofort den Steigerungssatz von 2 % und ist damit wesentlich besser gestellt als ein sonstiger Versicherter, weil er neben dieser Rente mit einem Steigerungssatz von 2 % einschließlich Zurechnungszeiten noch sein normales Arbeitsentgelt außerhalb des Bergwerks erhalten kann.
Sie haben mit den Angestellten, die in der Angestelltenversicherung die Zurechnungszeiten voll bekommen, die Angestellten verglichen, die die Zurechnungszeiten im Bergbau nicht voll bekommen. Hier gilt genau dasselbe. Auch hier ist die Zahl der Stellen im Bergbau, an denen neben einer Berufsunfähigkeitsrente auch ein Arbeitsentgelt gewährt werden kann, eben beschränkt. Man kann hier mit gutem Recht sagen: Dann soll der Betreffende eben herausgehen. Und sollte er — was Sie mir entgegenhalten können — größere Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu bekommen, dann ergibt sich bei einem Steigerungsbetrag von 2 % bei Erwerbsunfähigkeit immer noch eine höhere Rente als — bei einem Steigerungssatz von 1,5 % - in den anderen Versicherungsarten oder gar — bei einem Steigerungssatz von 1 % — wegen Berufsunfähigkeit in den anderen Versicherungsarten.
Meine Damen und Herren, ich mußte das einfach um der Klarheit willen, damit das Hohe Haus weiß, worum es überhaupt geht, darstellen.
Ich bitte Sie, die Anträge abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Bemerkungen: Die Beispiele, die Herr Schellenberg angeführt hat, wo er die Schlechterstellung des Bergmanns gegenüber den Angestellten aufgezeigt hat, sind auch vom Herrn Bundesarbeitsminister nicht widerlegt worden. Ich bedaure, daß man das Unvermögen, diese Beispiele zu widerlegen, mit dem Hinweis verbergen will, man habe die Schauspielerschule nicht besucht. Das ist eine sehr schlechte Methode.
Das darf ich als einfacher Abgeordneter hier erklären.
Zweitens: Bei all diesen Betrachtungen haben wir, glaube ich, eines vergessen. Nach bisherigem Recht hatte der berufsunfähig gewordene Bergmann, dessen Arbeitsfähigkeit um mehr als 50 % gemindert war, Anspruch auf den vollen Steigerungsbetrag von 2,4. Das ist das geltende Recht. Jetzt wollen Sie das ändern. Darauf muß man schließlich auch einmal hinweisen, Herr Kollege Stingl. Das Invalidenproblem im Bergbau kenne ich weiß Gott genausogut wie Sie.
Ich weiß, daß es uns alle drückt, klar. Hier muß es aber darauf ankommen, daß nicht zweierlei Recht geschaffen wird. Sie wollen doch mit Ihren Bestimmung ein und denselben Tatbestand nach zweierlei Recht beurteilen. Einmal soll der berufsunfähig Gewordene, wenn er in einem knappschaftlichen Betrieb weiter beschäftigt wird, nur den Steige-
rungsbetrag von 1,2 erhalten. Andererseits wird derselbe Mann und derselbe Tatbestand der Berufsunfähigkeit von Ihnen beim Ausscheiden anders bewertet. In diesem Fall soll er 2 °Io bekommen.
Haben Sie nicht das Empfinden, daß das eine soziale Ungerechtigkeit ist?
— Bitte? — Dann haben Sie das eben zu vertreten! Ein und derselbe Tatbestand wird von Ihnen ungleich bewertet, und zwar nur mit der Begründung, daß der Betreffende im knappschaftlichen Betrieb weiterbeschäftigt sein kann und dafür eine niedrige Rente bekommen soll, während derselbe Mann, wenn er ausscheidet und in einem anderen Beruf weiter beschäftigt wird, eine erheblich höhere Rente erhält. Und das halten Sie für sozial gerecht?
— Bitte, meine Herren, seien Sie doch ehrlich! Sie übernehmen — nur auf Umwegen — genau das, was der Bergbau gefordert hat. Der Bergbau hatte nämlich gefordert, nur jenen die knappschaftliche Berufsunfähigkeitsrente zuzugestehen, die den Bergbau verlassen. Das war Ihnen — so haben Sie selber im Ausschuß erklärt — zu brutal. Das wollten Sie nicht. Sie machen aber dasselbe auf Umwegen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte zu dem Antrag unter Ziffer 8 des Umdrucks 1008 *) ist hiermit geschlossen. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wird der Antrag genügend unterstützt? — Danke schön, das genügt.
Ich bitte, die Karten einzusammeln. Ich verweise auf die Ausführungen, die der Präsident Gerstenmaier bei der vorigen namentlichen Abstimmung gemacht hat. — Sind noch Karten abzugeben? — Das scheint nicht der Fall zu sein; dann schließe ich die Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte Ihnen aber folgendes sagen.
— Ja, nicht jeder ist auf der Schauspielerschule gewesen!
Das ist der Vorfall, das ist der Tatbestand. Meine Entscheidung ist folgende.
Erstens formell: Nach § 40 der Geschäftsordnung kann ich Abgeordnete, die die Ordnung verletzen, zur Ordnung rufen. Herr Storch hat nicht als Abgeordneter, sondern als Bundesminister gesprochen. Einem Bundesminister kann ich formell einen Ordnungsruf nicht erteilen. Wohl aber untersteht er nach § 45 der Geschäftsordnung der Ordnungsgewalt des Präsidenten, die es ihm also ermöglicht, andere Maßnahmen zu treffen.
*) Siehe Anlage 3
Materielle Entscheidung! — Der Herr Bundesminister kann zweierlei gemeint haben: Gegenüber der etwas temperamentvollen Art, mit der der Herr Kollege Schellenberg seine Argumente vorzutragen pflegt, hat sich der Herr Bundesminister vielleicht etwas im Rückstand gefühlt.
— Ja, bitte, meine Herren, wir wollen ganz korrekt entscheiden. — Weil er nicht in dieser temperamentvollen Weise seine Argumente vortragen konnte, hat er gewissermaßen entschuldigend sagen wollen: „Nicht jeder ist auf der Schauspielerschule gewesen."
Die andere Möglichkeit ist, daß er hat sagen wollen: Der Herr Abgeordnete Schellenberg tut so, als wenn er auf einer Schauspielerschule gewesen sei, er gestikuliert und übertreibt, meint also das, was er sagt, nicht ganz ehrlich.
Darf ich den Herrn Bundesminister Storch fragen, welche der Auslegungen richtig ist?
—Da der Herr Bundesminister Storch anscheinend nicht im Saale ist und keine Erklärung geben kann und da in dubio pro reo gehandelt werden muß, nehme ich an, die erste Auslegung ist richtig. Dann würde die Äußerung, auch wenn sie ein Abgeordneter getan hätte, zu einem Ordnungsruf nicht ausreichen. Bei der zweiten Auslegung würde es zu einem Ordnungsruf reichen, aber zu dem bin ich formell nicht legitimiert.
Ich benutze die Gelegenheit, auch den Herren Bundesministern nahezulegen, sich, bei ihren Äußerungen doch diejenige Zurückhaltung aufzuerlegen, die notwendig ist, damit nicht jetzt schon, fünf Monate vor dem Wahltermin, hier eine Aufregung Platz greift, die wirklich nicht am Platze ist.
Der Zwischenfall ist damit erledigt.
Das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimung liegt vor. Zu dem Antrag 1008 Ziffer 8 sind abgegeben insgesamt 351 Stimmen, von Berliner Abgeordneten 14. Mit Ja haben 125 und 7 Berliner gestimmt, mit Nein 223 und 7 Berliner, Enthaltungen 3. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Die Anträge zu § 53 sind damit beschieden. Ich komme zur Abstimmung über § 53 insgesamt. Wer für diesen Paragraphen in der Ausschußfassung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf § 54. Hierzu liegen vor Anträge auf Umdruck 1008 **) Ziffern 9, 10 und 11. Ziffer 9 betrifft Abs. 1, Ziffer 10 betrifft Abs. 3, Ziffer 11 betrifft einen neuen Abs. 3 a. Sollen diese Anträge begründet werden? — Herr Abgeordneter Schellenberg hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Bei den Vorschriften des § 54 handelt es sich um Bestimmungen über die sogenannte Bemessungsgrundlage, also die Dynamisierung der Renten. Auch hier verzichten wir darauf, die grundsätzliche Aussprache, die wir bei den Arbeiter- und Angestelltenversicherungsgesetzen geführt haben, wiederaufzunehmen. Wir beschränken uns auf die Besonderheiten der knappschaftlichen Rentenversicherung.
* Endgültiges Ergebnis siehe Seite 11597 **Siehe Anlage 3
Bei der Festlegung der Bemessungsgrundlage in § 54 geht man von dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst nicht nur der im Bergbau tätigen Arbeiter und Angestellten, sondern aller Arbeiter und Angestellten aus. Wegen des Zuammenhangs der Gesamtwirtschaft und der gesamten Sozialversicherung haben wir gegen diese Konstruktion keine Bedenken zu erheben. Wenn aber nicht von einzelnen Gruppen -- Arbeitern, Angestellten und von den im Bergbau Beschäftigten —, sondern von der Gesamtheit der Versicherten ausgegangen wird, dann war es sinnwidrig, daß man bei der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten den umgekehrten Weg gegangen ist, wo der durchschnittliche Arbeitsverdienst nur dieser Gruppen und nicht der aller Beschäftigten zugrunde gelegt wurde. Auch hier zeigt sich wieder, daß eine gemeinsame Verabschiedung aller drei Gesetze, des Rentenversicherungsgesetzes der Arbeiter, des der Angestellten und des der Bergleute, sinnvoll gewesen wäre.
Daß eine gemeinsame Beratung, um die wir Sozialdemokraten uns seit Beginn der Beratungen bemüht haben, nicht zustandegekommen ist, ist ein weiterer Beweis für die mangelnde Vorbereitung der Rentenneuordnung durch die Bundesregierung.
Wegen dieser Versäumnisse, die zu einer getrennten Beratung der gleichartigen Gesetze geführt haben, stehen wir heute vor der Tatsache, daß wir in der neugestalteten Rentenversicherung zwei verschiedene Rentenbemessungsgrundlagen haben, nämlich eine in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten mit 4281 Mark jährlich und eine in der knappschaftlichen Rentenversicherung mit 4386 Mark. Schon im Hinblick auf die Wanderversicherung wäre es sinnvoll gewesen, eine gemeinsame Rentenbemessungsgrundlage zu schaffen, zumal beide Bemessungsgrundlagen sich nur sehr geringfügig, nämlich um rund 1 % unterscheiden. Jetzt laufen zwei verschiedene Zahlenreihen nebeneinander, was zu einer weiteren Komplizierung des ohnehin schon sehr komplizierten Rentenrechtes führt.
Die SPD beantragt in Ziffer 9 des Antrags, den letzten Halbsatz des Abs. 1 von § 54 zu streichen. Die Kürzungsvorschriften, die für die Rentenberechnung Höchstbeträge einführen, sollen also in Fortfall kommen. Eine derartige Kürzungsvorschrift ist zwar in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten enthalten, die jetzt schon vorliegenden Erfahrungen haben aber bewiesen, daß die Kürzungsvorschrift auch dort zu großen Schwierigkeiten führt. Die Schwierigkeiten werden in der knappschaftlichen Rentenversicherung noch größer sein, weil im Bergbau der durchschnittliche Arbeitsverdienst höher ist. Die von uns beanstandete Vorschrift steht in Zusammenhang mit der Beitragsbemessungsgrenze des § 130; in § 130 wird die Beitragsbemessungsgrenze grundsätzlich auf das Doppelte der allgemeinen Bemessungsgrundlage festgesetzt.
Zu welchen absurden Konsequenzen die vorgeschlagene Ausschußfassung führt, möchte ich Ihnen an einigen Beispielen darlegen. Bei der Rentenberechnung, wie sie nach diesem Gesetz beschlossen werden soll, ergeben sich für alle Umrechnungswerte, die pro Jahr mehr als 270 v.H. betragen, Kürzungen, die zum Teil erheblich sind. Man kann die Auswirkungen leicht feststellen, wenn man sich einmal die Mühe macht, sich die zunächst sehr schwierig erscheinenden Tabellen der Anlage 3 anzusehen. Da ergeben sich beispielsweise für die Arbeitsverdienste des Jahres 1947 bei einem Arbeitsverdienst von damals 5000 Mark jährlich, also etwas über 400 Mark monatlich, für die betreffenden Bergarbeiter oder Angestellten des Bergbaus schon nach diesem Gesetz automatisch Kürzungen; denn der Faktor liegt über 270, und jeder über 270 liegende Faktor wird durch diese Vorschrift praktisch heruntergedrückt. Sie können das bei den anderen Jahrgängen ebenfalls feststellen.
Wir Sozialdemokraten halten das für eine sehr unglückliche Konstruktion. Diese Regelung wird um so sinnwidriger, je weiter sich die allgemeine Bemessungsgrundlage erhöht. Wenn Sie die Fassung des § 130 aufrechterhalten, führt das später zu einer automatischen Kürzung für alle Fälle, in denen die Faktoren der Tabellen 200 %erreichen. Das heißt praktisch, sie führen bei allen Tabellen, die Sie in Anlage 3 auf den Seiten 45 ff. finden, nicht nur bei den höchsten Einkommensgruppen, sondern sogar bei den mittleren Einkommensgruppen zu einer Kürzung kraft Gesetzes. Wir Sozialdemokraten halten das für sinnwidrig. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, diese Kürzungsvorschrift zu streichen, und zwar nicht nur im Interesse der Menschen, die im Augenblick Rentner sind, sondern auch im Interesse der Menschen, die heute als Arbeiter oder Angestellte im Bergbau tätig sind. Sie erwecken durch diese Vorschrift nämlich falsche Vorstellungen über die Höhe der späteren Rente. Praktisch werden mit jeder Steigerung der Rentenbemessungsgrundlage, d. h. der Erhöhung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes, diese Kürzungsvorschriften stärker wirksam werden. Deshalb bitten wir Sie, den letzten Halbsatz von § 54 Abs. 1 zu streichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, haben Sie nur zu Ziffer 9 gesprochen?
— Danke schön.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schellenberg hat zunächst einmal die Systematik des § 54 angegriffen. Er sagte, es sei nicht sinnvoll, in der knappschaftlichen Rentenversicherung alle Beschäftigten in einer Gruppe zusammenzufassen, wenn das in der Invaliden- und in der Angestelltenversicherung nicht durchgeführt werde. Ich glaube, es gibt dafür sehr wohl eine gute Begründung. Wir sind uns darüber klar, daß die Bewegung bei Lohn und Gehalt im Bergbau anders verläuft als außerhalb des Bergbaus bei denjenigen, die unter die Invaliden-und Angestelltenversicherung fallen. Wir meinen, daß diese gesonderte Entwicklung auch gesondert für die Versicherung der Bergleute berücksichtigt werden muß. Das ist der Beweggrund für diese Unterscheidung. Dazu haben Sie aber gar keinen Antrag gestellt.
Der Antrag, den Sie begründet haben, läuft darauf hinaus, die Kürzungsvorschrift, nach der die Bemessungsgrundlage nicht höher sein kann als die Beitragsbemessungsgrenze im akuten Zeitraum, zu streichen. Herr Kollege Schellenberg, ich halte das aus einer ganz simplen Überlegung heraus für falsch. Man kann die Bemessungsgrundlage für die Berechnung einer Rente nicht höher ansetzen, als
nach dem heutigen Recht die Beitragsbemessungsgrenze ist. Ich kann doch nicht Bemessungsgrundlagen konstruieren, die bei 1200 DM liegen, während wir von den anderen, die noch im Beruf stehen, nur Beiträge für 1000 DM einziehen. Das wäre völlig falsch. Wir müssen also die vorgeschlagene Begrenzung haben.
Sie haben weiter gesagt, die Schwierigkeiten würden in der knappschaftlichen Rentenversicherung bei der Kürzungsvorschrift noch größer sein, und Sie haben diese angeblichen Schwierigkeiten aufgezeigt. Ich teile diese Bedenken nicht. Sie haben gesagt, es werde da große Schwierigkeiten geben. Es muß hier bemerkt werden, daß nach den Versicherungsgesetzen für die Angestellten und für die Arbeiter diese Kürzungsvorschriften nur für die Zukunft Bedeutung haben, während sie in der knappschaftlichen Rentenversicherung bei schon festgestellten Renten auch für die vergangenen Versicherungszeiten Bedeutung haben.
Sie haben ferner ausgeführt, die Schwierigkeiten — wie gesagt, ich sehe sie nicht — in der knappschaftlichen Versicherung würden noch größer. Hier haben Sie eine offensichtlich irrtümliche Überlegung angestellt. Denn der Unterschied zwischen der Bemessungsgrundlage und der Beitragsbemessungsgrenze ist zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt bei der knappschaftlichen Rentenversicherung entschieden höher als bei der Arbeiter-und Angestelltenrentenversicherung. Die Schwierigkeiten können also höchstens geringer sein. Ich geben Ihnen allerdings zu, wenn der § 130, von dem Sie gesprochen haben, in der jetzigen Konstruktion erhalten bliebe, gäbe es in absehbarer Zeit ein Stadium, wo solche größere Schwierigkeiten auftreten könnten, weil der Unterschied zwischen Beitragsbemessungsgrenze und Bemessungsgrundlage kleiner werden könnte.
Ich darf noch einmal sagen: Zunächst muß die Kürzungsvorschrift bestehenbleiben, weil die Bemessungsgrundlage nicht höher sein kann als die Beitragsbemessungsgrenze. In der knappschaftlichen Rentenversicherung wird jeder einzelne Fall noch einmal berechnet. Das frühere höhere Arbeitsentgelt erbringt immer noch eine Überhöhung. Zum Schluß kann dann der Unterschied wieder weggekürzt werden.
Ich glaube wirklich, daß die Bestimmung nicht ungerechtfertigt ist, weil wir jedem das hinter den Beitragsleistungen früherer Zeiten stehende Entgelt soweit heraufziehen, ihn so behandeln, als wenn er nach dem heutigen Recht Beiträge von einem Einkommen von 1000 DM bezahlt hätte. Ich glaube, das ist immerhin auch eine Leistung.
Ich bitte Sie, den Antrag der SPD abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Ich muß im Interesse der Klarheit doch noch auf einige Dinge hinweisen. Herr Kollege Sting], Sie irren leider. Daß selbst Sie über die Frage der Rentenbemessungsgrundlage in der knappschaftlichen Rentenversicherung irren, zeigt, wie kompliziert die Materie ist.
In diesem Gesetz ist nicht der Bergarbeiterlohn oder das Angestelltengehalt der maßgebliche, bestimmende Faktor für die Bemessungsgrundlage — wenn das so wäre, könnte man der Konzeption folgen —, sondern in diesem Gesetz wird als Beitragsbemessungsgrenze der Lohndurchschnitt aller Arbeiter und Angestellten aller Berufszweige einschließlich der Bergarbeiter und -angestellten genommen. Bei insgesamt rund 18 Millionen Beschäftigten wirkt sich eine Lohn- und Gehaltsänderung der 600 000 Bergarbeiter und -angestellten praktisch so minimal aus, daß die Beitragsbemessungsgrenze in diesem Gesetz nur um 1%
höher ist als die der sonstigen Arbeiter und Angestellten. Das zeigt gerade, daß es sinnlos ist, zwei verschiedene Beitragsbemessungsgrenzen zu haben, die sich nur so geringfügig, nämlich um 1% unterscheiden. Das hätte der Gesetzgeber nie getan, Herr Stingl, wenn das Arbeiter- und das Angestelltenversicherungsgesetz gleichzeitig mit dem Knappschaftsversicherungsgesetz beraten worden wäre. Das war unser Bemühen; aber das ist wegen der Fehler der 'Bundesregierung von gestern und vorgestern, nämlich wegen ,der mangelnden Vorbereitung der Rentenneuordnung, nicht zustande gekommen.
Sie sagen, Herr Kollege Stingl, ich hätte den Begriff der Beitragsbemessungsgrenze nicht richtig gesehen. Entscheidend ist, daß in diesem Gesetzentwurf die Beitragsbemessungsgrenze zu niedrig festgesetzt ist. Deshalb kommt es zu diesen Kürzungen. Herr Kollege Stingl, teilweise haben Sie es schon erkannt. Sie sind, wie Sie vorhin andeuteten, bereit, die Beitragsbemessungsgrenze zu ändern.
— Nicht ganz; bei Ihnen bleibt immer noch eine Kürzung. Darüber sprechen wir, wenn wir zur Frage der Beitragsbemessungsgrenze kommen.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen nicht hier im Gesetz mit diesen Tabellen Rentenleistungen versprechen, die Sie durch andere Vorschriften beschneiden. Die Zahlen, ,die ich hier in diesem Exemplar eingerahmt habe, kommen wegen der Kürzungsvorschriften praktisch nicht zur Geltung. Deshalb habe ich gesagt: Sie erwecken eine Illusion. Wer das Gesetz liest und verstehen kann — es werden nur wenige sein —, wird annehmen, daß er die Leistungen nach diesen Tabellen erhält. Pro forma stimmt das ja; aber durch § 54 Abs. 1 werden sie ihm wieder gekürzt.
Wir wollen Klarheit über die Höhe der Leistung schaffen und beantragen !deshalb Streichung der Kürzungsvorschrift oder wesentliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze. Was von beidem Sie tun, ist gleichgültig; aber Sie müssen etwas tun, um eine gerechte und sinnvolle Regelung zu treffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe ,die Aussprache zu diesem Punkt. Ich rufe zur Abstimmung Umdruck 1008*) Ziffer 9 auf. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
- Abgelehnt.
Ich rufe Umdruck 1008 Ziffer 10 auf. Wird der Antrag :begründet? — Bitte, Herr Kollege Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns leider 'in einer etwas schwierigen Materie. Die Dinge haben aber sehr erhebliche praktische Auswirkungen, wie
* Siehe Anlage 3
Sie inzwischen wohl auch .aus der Rentenversicherung der Angestellten schon erfahren haben werden. Diejenigen, .die sich ;die Mühe machen werden, ihre Rente nach der Rentenfibel, soweit sie sie verstehen, zu berechnen, werden feststellen, daß in diesem Gesetz merkwürdige Vorschriften enthalten sind, die im Ergebnis zu einschneidenden Kürzungen der errechneten Renten führen.
Hier handelt es sich für uns um eine Frage, die weit über den Rahmen dieser gesetzestechnischen Vorschrift hinaus eine prinzipielle Bedeutung hat. Wir haben gesagt, und Sie selbst haben es immer wieder verkündet: Dieses Gesetz soll die soziale Sicherung des Bergarbeiters und -angestellten wesentlich besser als die aller anderen Arbeiter und Angestellten gestalten. Das stimmt natürlich zum Teil, aber leider nur zum Teil.
Durch unseren Antrag, die Anlage zu § 54 zu ändern, wollen wir verwirklichen, was Sie selbst versprechen. Wir wollen nämlich die Angestellten des Bergbaus zumindest nicht ungünstiger stellen als die Angestellten schlechthin. Das tun Sie dadurch, daß Sie die Tabelle der Angestellten nach diesem Gesetz mit wesentlich niedrigeren Faktoren ausstatten, als Sie es in dem Rentenversicherungsgesetz der Angestellten getan haben. Diese Abweichungen sind sehr erheblich; denn für die höheren Klassen, die Klassen J und K, sind die Werte nach dem Knappschaftsversicherungsgesetz um 100 % niedriger als die Werte des Angestelltenversicherungsgesetzes. Das ist wirklich eine sehr schlechte Sache.
Sie können nicht sagen, daß Sie durch einen höheren Steigerungsbetrag einen Ausgleich schaffen. Wenn Sie einen Steigerungsbetrag von 2,5 statt 1,5 gewähren, so erhöhen Sie damit diesen Betrag natürlich wesentlich, aber Sie nehmen durch die Tabelle eine weit stärkere Kürzung vor. Deshalb benachteiligen Sie praktisch die Angestellten des Bergbaus gegenüber den Angestellten in der allgemeinen Wirtschaft.
Nun kommen Sie und kommt die Regierung mit dem Hinweis, das ergebe sich aus dem Recht, das im Jahre 1942 durch eine Kriegsnotverordnung geschaffen worden ist. Diese Kriegsnotverordnung hat praktisch zu einer Nivellierung der Leistungen geführt, nämlich dergestalt, daß als Höchstbemessungsgrundlage 400 DM Arbeitseinkommen genommen wurde, obwohl die betreffenden Angestellten bis zu 600 DM Gehalt Pflichtbeiträge geleistet haben. Diese Nivellierung und Kürzung wollen Sie bei einer Rentenneuregelung sanktionieren; das ist sozialpolitisch nicht sehr sinnvoll.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich in Ruhe die Tabellen ansehen, werden Sie feststellen, daß diese Tabellen mehr als seltsame Werte bringen. Sie bringen Werte, die in den Klassen F bis K gleichlautend sind. Sie bringen ,absurderweise in den zwei höchsten Klassen J und K sogar niedrigere Werte als in der niedrigeren Klasse H. Das ist doch sinnwidrig. Was Sie hier tun wollen, ist etwas, was Sie in früheren Jahren manchmal den Sozialdemokraten vorgeworfen haben. Sie haben uns ganz zu Unrecht den Vorwurf gemacht, wir schematisierten zu sehr und kämen damit zu einer Nivellierung.
Unser Antrag, die Tabellenwerte des Angestelltenversicherungsgesetzes lauch für die Angestellten des Bergbaus einzuführen, ist also eine Forderung, die der sozialen Gerechtigkeit entspricht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Debatte.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg hat einen Antrag seiner Partei begründet, der nicht in den Gesetzestext hineinwirkt, sondern die Tabelle der Anlage ändert.
Im wesentlichen stecken in diesem Antrag an sich drei Probleme.
Zunächst einmal muß bemerkt werden, daß die Tabellen hier in der knappschaftlichen Rentenversicherung eine andere Bedeutung haben als die Tabellen in der Angestellten- und Arbeiterrentenversicherung, weil die Umrechnung der schon festgestellten Renten in der Knappschaft auch rückwirkend nach diesen Tabellen für jeden Beitrag erfolgen wird; es wird also keine Umstellung nach gleichartigen Tabellen, wie bei AV und I V, sondern eine Einzelberechnung geben. Es ist also Herrn Professor Schellenberg darin zuzustimmen, daß diese Tabelle unter Umständen eine weiterreichende Bedeutung hat, als sie die Tabellen in den Gesetzen für die Arbeiter und Angestellten haben, insofern, als, wie gesagt, ein prozentual größerer Personenkreis betroffen ist.
Das zweite Problem — dieses hat Herr Kollege Schellenberg weniger angeschnitten — ist, daß wir unterschiedliche Bemessungsgrundlagen in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und in der Rentenversicherung der Knappschaft haben. Daraus erklären sich die unterschiedlichen Werte in der Anlage des SPD-Antrags gegenüber denen in der Anlage der Ausschußfassung.
Nun sind aber auch noch Unterschiede in den höchsten Beitragsklassen; und hierauf insbesondere war die Begründung von Kollegen Schellenberg gerichtet. Hierzu muß gesagt werden, daß diese Einordnung in die 400-Mark-Grenze ihre Begründung in der Tat darin hat, daß schon 1942 in der Knappschaft eine Regelung gefunden wurde, die der heute von uns gewollten Regelung — nämlich die frühere Doppelversicherung der Invalidenversicherung auszugleichen und dafür eine höhere Rente zu geben als für die einfache Versicherung der Angestelltenversicherung — entspricht.
Im übrigen muß zusätzlich darauf hingewiesen werden, daß an der vorhin strittigen Kürzungsgrenze auch bei einem höheren Faktor diese Angestelltenrenten wieder gekürzt werden müßten.
Wir haben also festzustellen, daß wir von dem System, das 1942 als Sonderrecht für die Knappschaft geschaffen wurde, schlecht nur auf der einen Seite weg können. Wir können nicht nur die Angestellten wieder neu behandeln, die Arbeiter aber in der gleichen Relation lassen; wir müßten den Arbeitern dann die ihnen zugute gekommene Doppelversicherung der Zeit vor 1942, der Zeit nämlich, in der sie Beiträge zur Invalidenversicherung und Angestelltenversicherung gezahlt haben, jetzt wiederum nur mit einer Versicherung anrechnen und müßten sie dann, wenn wir gerecht bleiben wollten, wieder zurückstufen; wir hätten im Endeffekt für die Angestellten keinen Erfolg erzielt, weil wir ja wieder bei der dop-
pelten Bemessungsgrundlage abschneiden, die Arbeiter aber schlechter gestellt.
Wir haben das aber inzwischen abgelehnt, Herr Kollege Schellenberg. Das hatte ich zu begründen versucht, und die Mehrheit des Hauses ist mir ,gefolgt. Also steht es in dem Gesetz so darin.
Ich muß Sie aus diesen Gründen aus allen drei Problemkreisen, die in diese Anlage hineinwirken, und aus den Überlegungen, die ich Ihnen vorgetragen habe, bitten, die Änderungswünsche der sozialdemokratischen Fraktion auch bei der Tabelle abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Abgeordneter Schellenberg.
Nur eine Bemerkung! Herr Kollege Stingl, wenn Sie sagen, die Übernahme der Werte der Angestelltenversicherung müßte zwangsläufig eine Herabsetzung der Werte für Arbeiter zur Folge haben, so ist das nicht richtig. Wir alle sind uns darin einig, daß die Knappschaftsversicherung besondere Leistungen gewähren soll, und deshalb wäre es durchaus begründet, die Werte der Arbeiter, gegen die wir keine Einwendungen erheben, zu belassen und die Werte der Angestellten nach unserem Antrag zu beschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 1008*) Ziffer 10 zur Abstimmung auf. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 1008 Ziffer 11 auf. Wird der Antrag begründet? — Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Anliegen, das in unserm Antrag Ziffer 11 zum Ausdruck kommt, ist, die Aufnahme der gleichen Schutzvorschrift, die wir in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten beschlossen haben, auch für die im Bergbau Tätigen sicherzustellen, d. h. jene Vorschrift, daß die ersten fünf Versicherungsjahre, die in einem Alter unter 25 Jahren zurückgelegt sind, mit dem durchschnittlichen späteren Arbeitsentgelt berücksichtigt werden. Diese Vorschrift war für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ein echter Fortschritt, und wir haben sie in diesem Haus gemeinsam begrüßt und angenommen. Wir sollten diese Verbesserung nicht für die Bergarbeiter und für die knappschaftliche Versicherung außer Kraft setzen. Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag Ziffer 11 zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich Sie diesmal
*) Siehe Anlage 3
nicht einfach auffordern muß, den Antrag abzulehnen. Allerdings möchte ich Sie bitten, den Antrag zu modifizieren. Sie müssen bedenken, daß diese Frage bei der knappschaftlichen Rentenversicherung wegen der hohen Entgelte, die schon der Lehrling erhalt, und der hohen Steigerungssätze verhältnismäßig ohne Bedeutung ist. Wir kürzen bei 100 % sowieso. Diese Frage ist hier also von minderer Bedeutung als bei der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten. Wir geben aber zu, daß sie von Bedeutung werden kann, wenn jemand vor Erreichen des 55. Lebensjahrs nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit der Zugehörigkeit zur Rentenversicherung erwerbsunfähig oder berufsunfähig wird. Nehmen wir an, daß drei Lehrjahre und drei sonstige Versicherungsjahre vorhanden sind. Dann können diese drei Lehrjahre den Durchschnitt in der Tat sehr drücken. Wir glauben also, daß es berechtigt ist, für eine beschränkte Zeit, nämlich für solche Versicherungsfälle, in denen die Zurechnungszeit zum Zuge kommt, diese Bestimmung aufzunehmen.
Wir bitten daher, Abs. 3 a in einer modifizierten Form, nämlich so anzunehmen:
Bei Versicherten, die vor Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres in die Versicherung eingetreten und vor Vollendung des fünfundfünfzigsten Lebensjahres berufsunfähig oder erwerbsunfähig geworden sind, bleiben ...
usw., wie Sie den Text vorgeschlagen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das bedeutet also, daß ein Änderungsantrag zum Änderungsantrag vorliegt, der dahin geht, daß in dem Antrag unter Ziffer 11 hinter den Worten „in die Versicherung eingetreten" die Worte „und vor Vollendung des 55. Lebensjahres berufsunfähig oder erwerbsunfähig geworden" eingefügt werden.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Dieser Vorschlag ist nicht ganz ideal, weil er eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten einerseits und der knappschaftlichen Versicherung andererseits beinhaltet, und zwar negativ für die knappschaftliche Rentenversicherung. Ich darf Sie bitten, zu beachten, daß die Lehrlingsvergütung in der Knappschaftsversicherung zwar erheblicher als in anderen Branchen ist, daß aber, gemessen am allgemeinen Lohnniveau — nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums —, die Lehrlingsvergütung auch im Bergbau etwa ein Drittel bis ein Viertel der sonstigen Arbeitsverdienste ausmacht.
Dennoch werden wir, wenn Sie unseren weitergehenden Antrag ablehnen, Ihrem Antrag, wenn auch mit einigem Bedauern, zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es liegt also keine Übereinstimmung vor, auf Grund derer wir einheitlich abstimmen könnten. Dann muß ich nach der Regel zunächst über den zusätzlichen Antrag, den der Herr Abgeordnete Stingl begründet hat, abstimmen lassen.
Ich bitte diejenigen, die dafür sind, daß in dem Antrag Ziffer 11 die Worte „und vor Vollendung
des 55. Lebensjahres berufsunfähig oder erwerbsunfähig geworden" eingefügt werden, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Dieser Zusatzantrag ist angenommen.
Ich ,stelle nunmehr den Antrag unter Ziffer 11 des Umdrucks 1008*) mit der soeben beschlossenen zusätzlichen Änderung insgesamt zur Abstimmung. Wer dafür ist, den bitte ich ,um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Der Antrag ist in dieser Fassung angenommen.
Damit sind die Anträge zu § 54 erledigt. Ich komme zur Abstimmung über den § 54 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung als neuer Abs. 3 a. Wer für diesen so ergänzten § 54 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe Enthaltungen in dieser Fassung angenommen.
Ich rufe auf die §§ 55 und 56. Ich nehme an, daß das Haus mit gemeinsamer Abstimmung einverstanden ist. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Ich rufe die §§ 55 und 56 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf § 57. Hierzu liegt ein Änderungsantrag Umdruck 1008*) Ziffer 12 vor. Wird dieser Antrag begründet? — Bitte, Herr Dannebom!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, daß im § 57 Nr. 1 die Worte „länger ,als sechs Wochen andauernd" gestrichen werden. Zur Begründung darf ich folgendes sagen.
Wenn die Regelung der Ausfallzeiten im Bergbau dieselbe sein soll, wie wir sie in den verabschiedeten Gesetzen für die IV und AV beschlossen haben, wird der besonderen schwierigen Lage der Bergarbeiter nicht Rechnung getragen. Die große Unfallgefahr im Bergbau und die gesundheitsschädigende Arbeit im Untertagebetrieb zwingen uns einfach dazu, anzuerkennen, daß der Bergmann des öfteren für kurze Zeit wegen Krankheit und Unfall die Arbeit 'unterbrechen muß. Nach der Statistik über Leistungsfälle der knappschaftlichen Krankenversicherung kommen z. B. im zweiten Vierteljahr 1956 auf einen Arbeitsunfähigkeitsfall 30,66 Tage. Das ,bedeutet doch, daß, wenn die Bestimmung betreffend die länger als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit im Gesetz bleibt, die in einem langen Bergmannsleben zusammengefaßten Zeiten, die Sie eigentlich als Ausfallzeiten rentensteigernd bewerten wollen, nicht zum Zuge kommen. In der Hälfte aller Fälle dauert auch die Arbeitsunfähigkeit nur bis zu vier Wochen.
Ich meine also, der Besonderheit des Bergmannsberufs müßte dadurch Rechnung getragen werden, daß hier Krankheitsfälle — auch Krankheitsfälle infolge Unfall — anders bewertet werden als in den anderen Industriezweigen. Wenn man das nicht tut, dann hat der Bergmann .auf Grund der Eigenart seines Berufs in einem langen Arbeitsleben keine rentensteigernden Ausfallzeiten und
*) Siehe Anlage 3
bekommt im Endergebnis eine niedrigere Rente. Dies sollten Sie eigentlich genau wie wir dem Bergmann nicht zumuten.
Gestatten Sie mir nun, hier eine kühne Hoffnung auszusprechen, Herr Kollege Stingl. Sie haben vorhin gesagt, daß das Eis etwas aufgelokkert, gebrochen sei und daß Sie gewissen Anregungen zugänglich seien. Vielleicht liegt das an der vorgerückten Zeit. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie vielleicht auch in dieser Frage einem doch immerhin berechtigten Verlangen der Bergleute Rechnung tragen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 1008*) Ziffer 12 zu § 57. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte 'ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wer dem § 57 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 58. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 1008 Ziffer 13 vor. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! In § 58 der Vorlage geht es um die Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles und der Vollendung des 55. Lebensjahres. Zunächst halten wir es für wünschenswert, daß die Zurechnungszeit auch für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 gilt. Darum beantragen wir, daß hinter den Worten „des fünfundfünfzigsten Lebensjahres" die Worte „vermindert bergmännisch berufsfähig," eingefügt werden.
Dazu ist zu bemerken, daß die Bergmannsrente die besondere Leistung ist, die der knappschaftlichen Rentenversicherung das Gepräge gibt. Sie soll den Lohnverlust ausgleichen, der im Arbeitsleben des Bergmannes dadurch eintritt, daß er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig seine Hauptberufstätigkeit aufgeben und zu einer minderentlohnten Beschäftigung übergehen muß. Die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit tritt im Durchschnitt mit dem 50. Lebensjahr ein. Es erscheint gerechtfertigt, dem vermindert bergmännisch Berufsfähigen die Zurechnungszeit zu gewähren, damit er den erreichten Lebensstandard aufrechterhalten kann.
Außerdem ist zu beachten, daß der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 im Durchschnitt nur 22,5 Versicherungsjahre zugrunde liegen, diese Rente aber nur gewährt wird, wenn nach Aufgabe des Hauptberufes des Versicherten das Einkommen um mindestens 20 % gesunken ist. Die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 wird aber auch gewährt, wenn kein Einkommensverlust eingetreten
*) Siehe Anlage 3
ist. Die letztgenannte Bergmannsrente wird also, obwohl .eventuell kein Lohnausfall eingetreten ist, höher sein als die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Dieser Widerspruch könnte zum großen Teil durch Gewährung der vollen Zurechnungszeit behoben werden. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag unter Ziffer 13a 'zuzustimmen.
Nun möchte ich zu gleicher Zeit etwas zu Ziffer 13 b sagen. Mein Kollege Professor Schellenberg hat ja vorhin schon eine Begründung für diesen Antrag mit gegeben. Ich bedaure, daß gerade der Herr Bundesarbeitsminister in dieser Frage keine volle Auskunft gegeben 'hat. In der verminderten Zurechnungszeit liegt nämlich die Ursache dafür, daß in der Knappschaftsversicherung die Bergmannsrente niedriger als in der Angestelltenversicherung sein kann.
In den antsprechenden Bestimmungen der Angestelltenversicherung und der Invalidenversicherung werden bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die Zurechnungszeiten voll berücksichtigt. In der Begründung der Regierung, die dafür gegeben wird, warum in dem vorgelegten Gesetz nach § 58 nur zwei Drittel dieser Zeit berücksichtigt werden sollen, wurde darauf hingewiesen, daß .das wegen des starken Leistungsabfalls der Bergleute nach Erreichen des 50. Lebensjahrs geschehen sei. Bei Eintritt der Invalidität z. B. im 30. Lebensjahr — d. h. im Höhepunkt der Leistungsfähigkeit und der Lohnkurve — hätte der Rentenbeziehende ein höheres Einkommen als der, der ständig weiter gearbeitet habe. Dessen I Rentenbemessungsgrundlage sei mit fallender Lohnkurve niedriger. — So laut Protokoll Nr. 144 des Ausschusses für Sozialpolitik.
Die Diskussion, die dort geführt wurde, wurde aber von der Regierung und den Regierungsparteien noch in der Annahme geführt, daß der jährliche Steigerungsbetrag 2,5 % betragen werde. Die große Sorge, die man ja hatte, bestand darin, daß eine Rente erreicht würde, die höher als der hundertprozentige Lohnbetrag liegen würde.
Nun haben wir aber bei der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigikeit nur, wie vorhin beschlossen worden ist, einen Steigerungsbetrag von 1,2 bzw. 2 %.
Das wäre schon ein Grund dafür, dieselbe Regelung wie bei der IV und AV auch in diesem Gesetz durchzuführen.
Die Begründung, daß unter Umständen der vorzeitig Erwerbsunfähige eine höhere Rente erhalten würde als der Versicherte, der bis zum 55. Lebensjahr gearbeitet hat, ist nicht durchschlagend, weil sie auch sonst für die Invaliden- und Angestelltenversicherung gelten könnte. Es ist daher auch gar nicht zu verstehen, warum der Bergarbeiter schlechter gestellt wenden soll als der ,Arbeiter und der Angestellte im allgemeinen. Auch soll ja durch die ,Gewährung von Zurechnungsjahren 'die Rente für den Frühinvaliden den Charakter einer vorgezogenen Altersrente erhalten. Der Bergmann scheidet durchschnittlich im 55. Lebensjahr aus dem Arbeitsprozeß aus. In den Genuß der Zurechnungsjahre kommt bei Berechnung der Knappschaftsrente ohnehin nur, wer vor dem 55. Lebensjahr ausscheiden muß.
Zu bemerken ist auch, daß der Bergarbeiter in der Regel erst vermindert bergmännisch berufsfähig wird und die Bergmannsrente bei geringerem Einkommen erhält. Erst nach durchschnittlich sieben Jahren wurde die Rentenleistung in die bisherige Knappschaftsvollrente umgewandelt. Aber diese sieben Jahre, die der Bergmann vor Erreichen der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit mit vermindertem Lohneinkommen zurücklegt, senken die persönliche Bemessungsgrundlage bei Berechnung seiner Knappschaftsrente. Der Bergarbeiter, der vor dem 55. Lebensjahr ganz aus dem Arbeitsleben ausscheidet, würde also nach Kürzung der Zurechnungszeit um ein Drittel in doppelter Weise schlechter gestellt sein als der, dem es vergönnt war, bis zum 55. Lebensjahr voll in seinem Hauptberuf zu arbeiten. Auch aus optischen Gründen ist es schlecht, in diesem Gesetz eine andere Regelung als in der IV und AV einzubauen.
Ich bitte dringend, um nicht bei den Bergarbeitern ein bitteres Befühl der Benachteiligung aufkommen zu lassen, den Antrag auf unserem Umdruck Ziffer 13 Buchstabe b anzunehmen. Wegen der besonderen Bedeutung 'beantragen wir auch hierzu namentliche Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung durch den Kollegen Bergmann gehört. Ich eröffne die Debatte. Wird das Wort gewünscht? — Herr Kollege Schellenberg hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen einmal kurz die praktischen Auswirkungen dessen, was Sie hier beschließen wollen, an einem Beispiel vor Augen halten. Ich nehme ein Beispiel aus dem Leben, um Ihnen die Schlechterstellung des Bergmanns, die Sie hier beschließen wollen, darzulegen.
Ein Arbeiter wird im Alter von 35 Jahren berufsunfähig. Er erhält nach dem beschlossenen Gesetz über die Arbeiterrentenversicherung, wenn er seit dem 15. Lebensjahr arbeitet, praktisch 40 Jahre zugerechnet und nach den Tabellen dieses Gesetzes, die mit einem Steigerungsbetrag von 1,3 berechnet sind, bei den 40 Versicherungsjahren eine Rente mit 52 % der Bemessungsgrundlage. Das ist das praktische Ergebnis des Arbeiter- und des Angestelltenrentenversicherungsgesetzes.
Was geschieht mit dem Arbeiter, der Bergarbeiter ist, nach vorliegendem Gesetzentwurf bei sonst gleichen Bedingungen? Wenn er mit 35 Jahren berufsunfähig wird, berechnet sich seine Rente folgendermaßen: 15. bis 35. Lebensjahr gleich 20 Jahre und von der Zeit vom 35. bis zum 55. Lebensjahr nur zwei Drittel. Der Bergarbeiter erhält also praktisch nur 33 Jahre zugerechnet und, wenn er im Betrieb bleibt, Berufsunfähigkeitsrente mit einem Steigerungsbetrag von 1,2 %. Das ergibt eine Rente von 40.% der Bemessungsgrundlage. Der berufsunfähige Arbeiter oder Angestellte in der allgemeinen Rentenversicherung erhält eine Rente von 52 % der Bemessungsgrundlage, und der Bergarbeiter, der berufsunfähig ist, nur eine Rente von 40 % der Bemessungsgrundlage. Der Bergarbeiter ist bei der Konstruktion dieses Entwurfs um. 30 % schlechter gestellt als jeder andere Versicherte. Das wollen Sie hier beschließen!
Deshalb sagen wir Ihnen: Was Sie hier als Besserstellung des Bergarbeiters verkünden, die Er-
höhung des Steigerungsbetrages, nehmen Sie ihm durch die Kürzung der Zurechnungszeit nicht nur weg, sondern bei vielen praktischen Fällen vorzeitiger Berufsunfähigkeit wirkt die Kürzung der Zurechnungszeiten sich stärker aus als die Erhöhung des Steigerungsbetrags. Daher müssen wir Sie dringend bitten, sich ungeachtet der vorgeschrittenen Zeit gründlich zu überlegen, ob Sie diese Schlechterstellung des Bergarbeiters wünschen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt.
Die Abstimmung findet zu Umdruck 1008*) Ziffer 13 Buchstaben a und b einheitlich statt. Ich bitte, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich nehme an, daß alle Karten abgegeben sind. — Ich schließe hiermit die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 340 stimmberechtigte Abgeordnete, 13 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben 122 stimmberechtigte und 6 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 216 stimmberechtigte Abgeordnete, 7 Berliner Abgeordnete; 2 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 58 in der Fassung des Ausschusses. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 59. Dazu liegt ein Antrag auf Umdruck 1008*) Ziffer 14 vor. Wird der Antrag begrundet? — Bitte, Herr Kollege!
Meyer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 59 behandelt den Leistungszuschlag für die einzelnen knappschaftlichen Rentenarten, und zwar wird dieser Leistungszuschlag erst vom 11. Jahr an gegeben. Die ersten 10 Jahre Hauerarbeit fallen also aus. Wir haben immer wieder gehört, wie außerordentlich wichtig die Hauer-arbeiten für den Bergbau und wie wichtig die Zugrundelegung dieser Zeiten bei der knappschaftlichen Rente sind. Bei der volkswirtschaftlichen Bedeutung der bergmännischen Tätigkeit ist es vollkommen falsch, die Bedeutung der Hauer-arbeiten in der Form herabzusetzen, daß die ersten 10 Jahre überhaupt nicht berücksichtigt werden, also vollkommen ausfallen.
Ich darf in meiner kurzen Begründung auch auf die immer wiederholte Forderung der IG Bergbau hinweisen, die noch auf ihrem letzten Verbandstag in Kassel die restlose Einbeziehung sämtlicher Hauerjahre in diesen Leistungszuschlag gefordert hat. Dieser Leistungszuschlag, der nach den ersten 10 Jahren 1 vom Tausend beträgt, findet in der Größenordnung von ungefähr 12 Mark im ganzen Jahre seinen Niederschlag.
*) Siehe Anlage 3
**) Vgl. endgültiges Ergebnis Seite 11597
Es handelt sich also nicht um größere Summen, die aufgewandt werden müssen, es handelt sich aber um die ideelle Anerkennung der schweren Hauerarbeit, von der heute nachmittag bei anderer Gelegenheit stundenlang gesprochen worden ist. Aber hier, wo es jetzt im positiven Sinne zu entscheiden gilt, diese Hauerjahre für einen Leistungszuschlag heranzuziehen, streichen Sie restlos die ersten zehn Jahre.
Wir bieten Ihnen in unserem Antrag Ziffer 14 einen Kompromiß an. Wir wollen nicht sämtliche Hauerjahre in den Leistungszuschlag einbeziehen, sondern nur die Zeit vom sechsten Jahre an, also nach Leistung von fünf Hauerjahren. Ich glaube, daß man diesen Kompromißantrag annehmen kann, und bitte um Annahme des Antrags.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung des Kollegen Meyer gehört.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Spies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag der SPD auf Änderung ides § 59, daß schon bei fünf Jahren Hauertätigkeit der Leistungszuschlag für Rentner gezahlt werden soll, kann die CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen. Nach diesem Gesetz sind doch grundsätzlich die Schwere der Arbeit und die Arbeitszeit in diesem Beruf von Bedeutung. Wer erst fünf Jahre unter Tage als Hauer beschäftigt war und Rentner wird, hat in den meisten Fällen ohnehin im Rahmen dieses Gesetzes noch Möglichkeiten, sich zusätzlich Einnahmen zu verschaffen, und ist demnach anderen Bergleuten gegenüber in bezug auf den Lohn nicht im Nachteil. Alle anderen Männer aber, die jahrzehntelang unter Tage arbeiten müssen, hätten diesen gegenüber keinen besonderen Vorteil und müßten sogar, weil durch dieses Gesetz eine Versicherung mit Beiträgen geschaffen ist, die Kosten der Vergünstigung für einige mit tragen. Der über ein Jahrzehnt hinaus unter Tage beschäftigte Kumpel — das ist die größere Zahl — ist nicht daran interessiert, daß bestimmte Leute unter dem Vorwand, einmal kurz im Bergwerk gewesen zu sein, zu ihrer Rente noch besondere Zuschläge erhalten. Einem, der mindestens zehn Jahre unter Tage beschäftigt war, stehen diese Zuschläge zu.
Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs gewähren wir für die Bergmannsrente bei zehnjähriger Tätigkeit den Leistungszuschlag. Wir glauben, daß dadurch den berechtigten Anliegen Rechnung getragen wird. Aus den angeführten Gründen können wir dem Änderungsvorschlag der SPD nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dannebom.
Ich darf aus gegebener Veranlassung darauf aufmerksam machen, daß die Regel die freie Rede ist.
Herr Präsident, ich werde Ihrem Wunsch entsprechend völlig frei sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie waren nicht gemeint.
Herr Kollege Spies, an welches Nebeneinkommen dieses Hauers haben Sie denn gedacht?
— Lotto, Toto oder was sonst? Irgendwie müssen Sie sich doch Gedanken darüber gemacht haben, auf welche Weise der Hauer sich irgendein Nebeneinkommen beschaffen soll.
Den ganzen Nachmittag, wo wir uns über diese knappschaftlichen Probleme unterhalten haben, ist von Ihrer Seite immer wieder zum Ausdruck gebracht worden, wir müßten idem Hauer und den mit hauerähnlicher Tätigkeit Beschäftigten eine Vorzugsstellung einräumen, um den Menschen den Hauerberuf attraktiv erscheinen zu lassen. Das war unser gemeinsames Anliegen. Nun wollen wir durch unseren Änderungsantrag diesem unserem und somit auch Ihrem Anliegen Rechnung tragen. Das lehnen Sie mit der Verweisung auf das Nebeneinkommen iab. Das ist eigentlich nicht logisch.
Der erste Entwurf, den das Arbeitsministerium den Sozialpartnern zu dieser knappschaftlichen Rentenreform zugeleitet hat, sah vor, daß der Hauerleistungszuschlag ab sechstem Jahr gewährt werden sollte. Das heißt, daß auch das Arbeitsministerium den Wunsch, den Hauer schon vor dem elften Hauerjahr zusätzlich zu entschädigen, als berechtigt anerkannt hat. Das ist doch nicht von ungefähr gekommen. Dieser Leistungszuschlag ist doch — wenn ich mich nicht irre — auch seiner Höhe nach schon 1942 beschlossen worden. Von 1942 bis heute 'hat sich im Geldwert aber einiges geändert.
Im Ausschuß haben wir uns darüber unterhalten, ob wir den Leistungszuschlag erhöhen oder ob wir ihn schon ab sechstem Jahr gewähren sollten. Beide Seiten waren damals davon überzeugt, daß etwas getan werden sollte. Wir sind nun zu der Auffassung gekommen, daß der Zuschlag nicht ab elftem Jahr, sondern ab sechstem Jahr gewährt werden sollte. Wir haben genau das, was das Bundesarbeitsministerium im ersten Entwurf für notwendig und richtig gehalten hat, in unseren Antrag übernommen. Wir bitten Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort noch weiter gewünscht? — Ich schließe die Aussprache.
Ich stelle den Änderungsantrag Umdruck 1008*) Ziffer 14, der soeben begründet worden ist, zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle den § 59 in der Fassung des Auschusses zur Abstimmung. Wer ihn anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte urn die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nunmehr eine Reihe von Paragraphen auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen; das sind die §§ 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73 und 74. Das Haus ist, wie ich annehme, damit einverstanden, daß über die aufgerufenen Paragraphen zusammen debattiert und abgestimmt wird. — Ich eröffne die Aussprache. —
*) Siehe Anlage 3
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe § 75 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 1008*) unter Ziffer 15 vor. Er betrifft die Streichung des § 75. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Herr Kollege Geiger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt Ihnen auf Umdruck 1008*) Ziffer 15 den Antrag vor, den § 75 des vorliegenden Gesetzentwurfes zu streichen. Der § 75 bestimmt, daß beim Zusammentreffen einer Unfallrente mit einer Knappschaftsrente die letztere so gekürzt wird, daß zusammen nicht mehr als der der Berechnung der Unfallrente zugrunde liegende Jahresarbeitsverdienst erreicht wird.
Eine solche Bestimmung ist ungerechtfertigt, weil die beiden Renten aus verschiedenen Rechtsverhältnissen gewährt werden. Durch die Kürzung der Knappschaftsrente wird ein durch jahrzehntelange Beitragszahlung erworbenes Recht auf eine dieser Beitragsleistung entsprechende Versicherungsleistung beeinträchtigt. Bei der Unfallrente handelt es sich nicht nur um die Abgeltung der durch den Unfall hervorgerufenen Erwerbsminderung, sondern in erster Linie um, die Abgeltung der Haftpflicht des Unternehmers gegenüber dem Beschäftigten, der sich durch den Unfall irgendwelche Verletzungen oder Berufsschäden zugezogen hat. Es besteht daher auch nicht das Recht, dem Unfallgeschädigten eine Leistung vorzuenthalten, die jeder, der nicht noch eine andere Rente hat, selbstverständlich erhält.
Eine solche Maßnahme ist auch deshalb unberechtigt, weil durch diese Vorschrift des § 75 gerade der Schwerunfallgeschädigte besonders hart getroffen wird. Ein Teilunfallgeschädigter kann neben seiner Unfallrente die volle Knappschaftsrente erhalten; unter Umständen kann er auch noch einem Erwerb nachgehen. Dem vollständig arbeitsunfähigen Unfallgeschädigten aber wird die Knappschaftsrente nur zum Teil gewährt, und zwar allenfalls bis zur Höhe des Jahresarbeitsverdienstes, den er vor Eintritt des Berufsunfalls erreicht hat. Oft ist dieser Jahresarbeitsverdienst verhältnismäßig niedrig, wenn nämlich die Berufserkrankung oder der Arbeitsunfall in den jüngeren Lebensjahren eintritt. Außerdem hat der Schwerbeschädigte neben seiner körperlichen und seelischen Belastung durch den Unfall wesentliche finanzielle Belastungen dadurch, daß er keine Nebenarbeiten verrichten kann; vor allem entstehen ihm auch Arzneikosten usw.
Eine besondere Bedeutung erhält die Vorschrift über die Kürzung der Knappschaftsrente beim Zusammentreffen mit einer Unfallrente durch die Tatsache, daß Unfallhäufigkeit und die Zahl der tödlichen Unfälle im Bergbau wesentlich größer sind als bei den übrigen Berufsgruppen. Während die bergbauberufsgenossenschaftlich Versicherten nur einen Anteil von etwa 4,4 % ausmachen, stellen sie einen Anteil von nahezu 10 % der gemeldeten Arbeitsunfälle aller Versicherten. Bei den
*) Siehe Anlage 3
tödlichen Unfällen sind es sogar 20,3 %. Die Silikosefälle bei der Knappschaft machen 89,4 % aus; die Todesfälle sind fünfmal höher als bei den übrigen Arbeitnehmern.
Meine Damen und Herren, dasselbe gilt sinngemäß für § 76. Ich darf deshalb, Herr Präsident, gleich die Ziffer 16 unseres Antrags mit begründen. Auch hier möchte ich darauf aufmerksam machen, daß angesichts der Unfallhäufigkeit im Bergbau und angesichts der vielfach zahlreicheren Todesfälle bei diesen Unfällen ein Unrecht gegenüber den Witwen durch die Kürzung beim Zusammentreffen beider Versicherungsrenten erfolgen würde.
Wir dürfen Sie daher bitten, diesen Unfallgeschädigten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und unseren Anträgen auf Streichung der §§ 75 und 76 zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung durch Herrn Abgeordneten Geiger gehört. Er hat auch den Antrag zu § 76, der nach dem Änderungsantrag Umdruck 1008*) ebenfalls gestrichen werden soll, begründet. Sie sind damit einverstanden, daß darüber gemeinschaftlich debattiert wird.
Aber ich darf noch einmal auf § 37 der Geschäftsordnung verweisen, der lautet:
Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen. Im Wortlaut vorbereitete Reden sollen eine Ausnahme sein und dürfen nur mit Genehmigung des Präsidenten vorgelesen werden.
Nach dem Kommentar von Ritzel-Koch sind unter „Aufzeichnungen" Stichwortnotizen zu verstehen.
Ich eröffne die Debatte. — Bitte, Herr Kollege Scheppmann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin eigentlich erstaunt darüber, daß ein Antrag auf Streichung der §§ 75 und 76 gestellt worden ist. Soweit ich mich entsinne, ist gerade über diese Paragraphen im Ausschuß sehr eingehend diskutiert worden, und die beiden Paragraphen sind nach dieser Aussprache angenommen worden.
Wenn man inzwischen eine andere Meinung hat, so hat man sich das anscheinend überlegt. Vielleicht ist es aus der Sicht der SPD-Abgeordneten richtiger, hier den Antrag zu stellen, die beiden Paragraphen zu streichen. Vielleicht wirkt das draußen ein bißchen netter; ich weiß es nicht.
Es ist einfach unmöglich, diese beiden Paragraphen zu streichen. In § 75 erfolgt eine Regelung für den Fall, daß eine Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und eine Rente aus der Unfallversicherung zusammentreffen. Schon in diesen Bestimmungen ist gegenüber den Bestimmungen der IV und AV eine wesentliche Besse-
*) Siehe Anlage 3
rung eingebaut, indem hier 100 % der Rentenbemessungsgrundlage oder die Garantie des vorhergehenden Jahresarbeitsverdienstes eingesetzt sind. Außerdem haben wir, gerade weil die Diskussion im Ausschuß über die Staublunge sich so ausgedehnt hat, den Antrag gestellt, daß für Staublungenerkrankte mit 60 % Staublunge für je 1 % Erwerbsminderung ein Zuschlag aus dem Überhang der Rente gezahlt wird. Das würde bedeuten, daß bei der Rentenberechnung nach § 75 Abs. 1 zu den 100 % noch zusätzlich, wenn 80 % Staublunge vorliegt, ein Zuschlag von 80 DM usw. bis 100 DM gezahlt wird. Voraussetzung ist das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Silikose nach Nummer 27 a oder 27 b der Anlage zur Fünften Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 26. Juli 1952.
Ich glaube also, daß die Anträge auf Streichung der beiden Paragraphen vollkommen unbegründet sind. Für den § 76, bei dem es sich um die Hinterbliebenenrente handelt, gilt im Grunde genommen dasselbe wie für den § 75. Ich bitte daher, beide Anträge abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß Herr Kollege Scheppmann hier die Auffassung vertritt, der Streichungsantrag der Sozialdemokraten sei vollkommen unbegründet, nötigt mich doch, Ihnen, Herr Kollege Scheppmann, und Ihren Kollegen einmal ein praktisches Beispiel eines Schwerstunfallverletzten vorzuführen, und zwar eines Mannes, der in der Bergarbeit 100 % unfallbeschädigt wird. Ich nehme den Fall eines Bergmanns, der 30 Hauerjahre hinter sich hat. Seine Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit würde nach den Beschlußfassungen 30 mal 2,5 = 75 v. H. der Bemessungsgrundlage betragen. Als Schwerstunfallverletzter, 100%ig erwerbsunfähig, erhält er also aus der knappschaftlichen Rentenversicherung eine Rente von 75 %, diese wird aber auf 331/3%, also um mehr als die Hälfte, gekürzt, weil der Betreffende aus der Unfallversicherung als voll Erwerbsbeschränkter eine Rente von zwei Dritteln des Jahresarbeitsverdienstes hat.
— Aber, Kollege Schüttler, ein Beschädigter mit 40 % Erwerbsbeschränkung erhält praktisch die gleiche Rente. Sie treiben hier einen Schematismus, unter dem der Schwerstunfallverletzte leidet. Denn der Schwerstunfallverletzte — mit einem erheblich gestiegenen Bedarf — erhält eine Rente, die durch Beiträge von 22,5 %, die Sie noch erhöhen wollen, auf 331/3 % der Bemessungsgrundlage gekürzt wird. Das ist der Tatbestand.
— Aber, Herr Kollege Schüttler, Sie verschlechtern ja das gegenwärtige Recht.
— Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, Sie kennen die Vorschriften des § 1274 der bisherigen Reichsversicherungsordnung nicht.
— Jawohl, 25 % Kürzung bisher; und die Rente dieser Schwerstunfallverletzten halbieren Sie jetzt. Das ist eine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Recht, unter der lediglich der Schwerstunfallverletzte leidet. Das ist ein Tatbestand, den Sie nicht bestreiten können. Sie können hier eine andere Darstellung geben, dann werden wir uns darüber unterhalten, und wenn es bis Mitternacht dauert. Es ist ein bedauerlicher Tatbestand, den Sie zur Kenntnis nehmen müssen, über den Sie nicht mit einer Handbewegung hinwegkommen.
Meine Damen und Herren, wie inkonsequent Sie sind, zeigt die weitere Vorschrift. Wenn der betreffende Schwerstunfallverletzte eine Gastwirtschaft eröffnet und in dieser Gastwirtschaft oder in seiner nebenberuflichen Landwirtschaft einen Unfall erleidet, dann zahlen Sie ihm die volle Unfallrente neben seiner vollen Knappschaftsrente.
Ihre Vorschriften sind schematisch und benachteiligen den Schwerstunfallverletzten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu § 75 und § 76. Ich rufe zur Abstimmung auf den Antrag Umdruck 1008*) Ziffer 15 auf Streichung des § 75. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich stelle dabei fest, daß, wenn ,der Antrag abgelehnt würde, damit gleichzeitig der § 75 in der Ausschußfassung angenommen ist. — Ich bitte also um das Handzeichen, wer den Antrag auf Streichung anzunehmen wünscht. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle fest, daß damit § 75 in der Ausschußfassung angenommen ist.
Zu § 76 stelle ich den Antrag Umdruck 1008 Ziffer 16 auf Streichung des § 76 zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —. Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist der § 76 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nunmehr auf die §§ 77, — 78, —
79, — 80, — 81, — 82, — 83, — 84, — 85,
86, — 87, — 88 usw. bis einschließlich 96. Das Haus ist damit einverstanden, daß diese Paragraphen gemeinschaftlich beraten und durch Abstimmung beschieden werden. — Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Ich bringe die aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer diesen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
*) Siehe Anlage 3
Ich rufe § 97 auf. Hierzu liegt auf Umdruck 1008*) Ziffer 17 ein Änderungsantrag vor. Wird er begründet? — Herr Kollege Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 97 bringt, ähnlich wie in den Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherungsgesetzen, die ersten Möglichkeiten, eine bestimmte Vorsorge zu treiben. Sie wissen, daß wir schon damals, bei der Beratung dieser anderen Gesetze, die Auffassung vertreten haben, daß dies nicht völlig ausreicht, insbesondere deshalb, weil die Einzelmaßnahmen, um die es hier zum Teil ebenfalls geht, nur auf die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und nicht der Gesundheit abgestellt sind. Wir wollen in diesem Punkte folgendes erreichen.
Einmal möchten wir, daß diese Vorsorgemaßnahmen gerade im Bereich des Bergmannswesens den Knappschaften besonders nahegelegt werden. Wir wissen ja alle, daß der Bergmannsberuf besonders schwer ist. Wir wünschen also, daß das Wort „kann" durch das Wort „soll" ersetzt wird, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß diese Maßnahmen auf dem Gebiete des Bergbaus erforderlich und besonders dringlich sind.
Es genügt aber nicht nur, Vorsorge für die Fälle treiben zu wollen, in denen die Erwerbsunfähigkeit in irgendeiner Form beeinträchtigt werden könnte, sondern wir müssen dafür sorgen, daß diejenigen, die im Bergbau tätig sind oder tätig waren, gesund bleiben bzw. einen besseren Gesundheitszustand bekommen. Ich sage: auch diejenigen, die im Bergbau tätig waren. Wir haben eben in der Diskussion etwas über die Silikoseerkrankten gehört. Im Ausschuß haben wir uns eingehend mit dem schweren Schicksal beschäftigt, das gerade diese Menschen trifft. Wir sind uns vollkommen einig darüber, daß es sich hier um Zustände handelt, die sich aus dem Bergmannsberuf ergeben und die der besonderen Fürsorge des Gesetzgebers sowie spezieller Maßnahmen bedürfen. Auch für den, der bereits eine Rente wegen Silikose bezieht und nicht mehr arbeiten kann, muß es gewisse Erleichterungen geben. Auch für ihn ist die Verschickung in den Schwarzwald oder nach Bayern, jedenfalls in eine andere Luft, wichtig, und wenn er dort auch nicht geheilt werden kann, so können seine Beschwerden wenigstens gemildert werden. Das wäre eine Aufgabe, die jetzt schon von den Knappschaften zum großen Teil erfüllt wird, deren Erfüllung jedoch nach dem vorliegenden Wortlaut des § 97 formell nicht mehr möglich wäre, weil nämlich die „allgemeinen Maßnahmen oder Einzelmaßnahmen zur Erhaltung oder zur Erlangung der Erwerbsfähigkeit" nur den Versicherten und seine Angehörigen betreffen, nicht aber den Rentner.
Wir bitten Sie deshalb, mit uns zusammen die Worte „zur Erhaltung oder zur Erlangung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten und ihrer Angehörigen" durch folgende Worte zu ersetzen: „zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung des Gesundheitszustandes oder der Erwerbsfähigkeit der Versicherten, der Rentenberechtigten und ihrer Angehörigen". Dazu noch ein Wort.
Einige von Ihnen, die an den Ausschußberatungen teilgenommen haben, werden sich entsinnen, daß wir die Frage aufgeworfen haben, ob man der Witwe des verstorbenen Silikoseerkrankten nicht eine Rente geben soll, die dadurch höher liegt, daß
*) Siehe Anlage 3
sie auf die besseren Sätze der Silikoserentenbezieher abgestellt wird. Das ist abgelehnt worden. Aber das eine werden Sie uns doch zubilligen, daß einer solchen Frau, die eine schwere, in vielen Fällen jahrelange Pflege hinter sich hat, die Möglichkeit gegeben werden sollte, wenigstens zu ihrer Erholung verschickt zu werden. Das ist nach dem Wortlaut des § 97 Abs. 1 ebenfalls nicht möglich, und das möchten wir dadurch erreichen, daß nicht nur die Worte „der Rentenberechtigten", sondern auch die Worte „und ihrer Angehörigen" eingefügt werden. Damit wäre die Witwe dieses Rentenberechtigten mit in den Bereich dieser Maßnahmen einbezogen. Soweit die Änderungsanträge zu Abs. 1.
Ich darf gleich noch den Änderungsantrag zu Abs. 3 begründen. Die Maßnahmen gemäß den Absätzen 1 und 2 sollen, wenn sie beschlossen sind, der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen. Wir hatten im Ausschuß zunächst den Antrag gestellt, den Abs. 3 ganz zu streichen. Das ist uns nicht gelungen. Nun aber möchten wir Sie bitten — ein Kompromißvorschlag —, mit uns dafür zu sorgen, daß wenigstens ein Teil dieser Maßnahmen ohne die Aufsichtsbehörde durchgeführt werden kann. Wir schlagen vor, zu bestimmen, daß es der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nicht bedarf, „wenn die Maßnahmen nach Abs. 1 insgesamt 3 vom Hundert der Beitragseinnahmen des voraufgegangenen Kalenderjahres voraussichtlich nicht übersteigen". Praktisch gesprochen heißt das: Die Einnahmen des vergangenen Jahres an Beiträgen sind rund 1 Milliarde DM gewesen. 3 % davon machen 30 Millionen DM, über die die Knappschaft für die vorhin genannten Zwecke sozusagen frei verfügen könnte. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, das ist etwa der Betrag, über den die Knappschaft heute schon frei verfügen kann, und wir sollten meines Erachtens das, was heute schon besteht, nicht durch den § 97 praktisch wegstreichen, sondern wir sollten dafür sorgen, daß das, was bereits Recht ist, weiter Recht bleibt im Interesse derjenigen, die im Bergbau ihre Gesundheit so besonders gefährdet sehen, im Interesse derjenigen, deren Gesundheit bereits zerstört ist, die aber doch wenigstens in den Genuß von Heilungsmaßnahmen kommen sollen, und im Interesse der Familienangehörigen.
Wir bitten Sie dringend, unserem Änderungsantrag zu § 97 Umdruck 1008 Ziffer 17 zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wer dem eben begründeten Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich stelle den § 97 in der Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer dem § 97 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 98 bis 129 einschließlich. Das Haus ist damit einverstanden, daß diese Paragraphen gemeinsam beraten und zur Abstimmung gestellt werden. — Ich eröffne die Debatte. —
Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.
Ich stelle die eben aufgerufenen Paragraphen 98 bis 129 einschließlich zur Abstimmung. Wer für diese Paragraphen in der Ausschußfassung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf § 130. Hierzu liegen auf Umdruck 1008*) Ziffern 18 und 19 Änderungsanträge vor. Werden die Anträge begründet? — Bitte, Herr Kollege Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen unter Ziffer 18 des Umdrucks 1008 zu § 130, a) in Abs. 1 „23,5" durch „22,5" zu ersetzen, b) in Abs. 2 „23,5" ebenfalls durch „22,5" zu ersetzen und c) in Abs. 6 Buchstabe a „8,5" durch „8" und „15" durch „14,5" zu ersetzen. Zur Begründung darf ich folgendes sagen. Nach der Ausschußvorlage soll in der Knappschaft eine Beitragserhöhung um 1 % vorgenommen werden, das sich aufteilt in je ein halbes Prozent für den Arbeiter und das Bergbauunternehmen. Wir sind der Meinung, daß eine Beitragserhöhung nicht gerechtfertigt ist. Auch seitens des Bundesarbeitsministeriums ist kein Nachweis für die Notwendigkeit erbracht worden.
Zweitens sind wir davon überzeugt, daß es wenig sinnvoll ist, eine Beitragserhöhung zu beschließen. Dieses Haus hat sich in der zurückliegenden Zeit des öfteren darüber unterhalten, wie man dem Bergbau eine finanzielle Entlastung geben könnte. Die Bundesregierung hat — ich glaube, seit Anfang des Jahres 1956 — den Bergbau in der Weise finanziell entlastet, daß bei dem Arbeitgeberbeitrag 6,5 % gestundet worden sind. Der Bund hat also die Notwendigkeit der finanziellen Entlastung des Bergbaus anerkannt. Er war zweitens auch bereit, dem Bergmann durch Gewährung der Bergmannsprämie in Höhe von 2,50 oder 1,25 DM eine Sonderstellung zu geben. Also auch die Bundesregierung und dieses Hohe Haus, das das Gesetz über die Bergmannsprämie beschlossen hat, haben dem Bergmann eine Erleichterung geben wollen.
Wenn man dem Bergbau und dem Bergmann über die Steuern gewisse Erleichterungen gibt, ist es nach unserer Vorstellung einfach nicht richtig, nun den Bergbau und auch den Bergmann mit einer Beitragserhöhung zu belasten. Dabei darf ich noch darauf hinweisen, daß über die Frage, ob das halbe Prozent Beitragserhöhung vom Bergbau getragen oder vom Bund übernommen werden soll, im Ausschuß keine Klarheit geschaffen worden ist. Auch das Bundesarbeitsministerium hat dazu keine klare Erklärung abgeben können. Es besteht also die Möglichkeit, daß dieses halbe Prozent, das dem Bergbau zugemutet wird, dem Bergbau auch noch wieder von der Bundesregierung oder über die Steuern erstattet werden wird.
Das alles sind Fragen, die bei der Beitragserhöhung eine Rolle spielen.
Nun wird gesagt, in der Invaliden- und Angestelltenversicherung sei eine Beitragserhöhung beschlossen worden — sie ist allseitig anerkannt worden —, und deshalb müsse man dem Bergbau und dem Bergarbeiter dasselbe zumuten. Diese Be-
*) Siehe Anlage 3
gründung ist nicht ganz stichhaltig. Nach den Erklärungen, die abgegeben worden sind, beträgt die Rentenerhöhung in den beiden Versicherungszweigen im Schnitt 50 %. Ich will mich hier nicht auf eine Prozentzahl festlegen. Aber es ist davon gesprochen worden, daß sie im Schnitt 50 % beträgt. Aus den Unterlagen, die uns das Arbeitsministerium im Ausschuß übergeben hat und in denen die Ausgaben von 1956 den Ausgaben von 1957 mit den durch dieses Gesetz notwendigen Erhöhungen gegenübergestellt werden, ist zu ersehen, daß die knappschaftlichen Renten im Schnitt nur um etwa 35,9 % ansteigen werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt — daß also die Knappschaftsrenten gegenüber den anderen Renten weniger angehoben werden — ist, glaube ich, eine Beitragserhöhung nicht gerechtfertigt. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war die Begründung zu dem Antrag unter Ziffer 18. Wird der Antrag unter Ziffer 19, der hiermit in einem gewissen inneren Zusammenhang steht, auch gleich mitbegründet, damit wir zusammen darüber debattieren können? — Bitte, Herr Kollege Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits bei der Erörterung der Bemessungsgrundlage darauf hingewiesen, daß die Vorschriften über die Beitragsbemessungsgrenze sich faktisch auf die Rentenhöhe ungünstig auswirken. Ich kann mir deshalb hier weitere Bemerkungen zu unserem Antrag ersparen, das Dreifache der allgemeinen Bemessungsgrundlage als Beitragsbemessungsgrenze zu setzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf bitten zu notieren, daß es in dem Antrag unter Ziffer 19, der soeben begründet worden ist, richtig heißt:
In § 130 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 werden die Worte „das Doppelte" durch die Worte „das Dreifache" ersetzt.
Das ist vorhin schon vorgetragen worden.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz kurz die Tatbestände, die sich aus diesen Anträgen ergeben. Die neue Gesetzgebung bringt eine Belastung von insgesamt 422 Millionen Mark jährlich. Davon sollen die Bergleute bzw. der Bergbau 38 Millionen aufbringen, so daß dieses Gesetz an und für sich weit überwiegend, ja fast ausschließlich vom Bund finanziert werden muß, der eine Mehrbelastung von 384 Millionen Mark auf sich nimmt.
Dann ist gesagt worden, die Belastung der Bergarbeiter sei zu hoch. Nach dem, was das Gesetz vorsieht, würde der Bergmann für seine Rentenversicherung einen Beitrag von 11,5 % seines Lohnes zu zahlen haben, während in der Invaliden- und der Angestelltenversicherung der Beitrag des Arbeitnehmers 11,5 % bis 12 % bei bedeutend geringeren Leistungen beträgt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch noch einige Bemerkungen machen, weil wiederum, wie schon bei den Rentengesetzen, die Zahlenunterlagen der Bundesregierung sehr widerspruchsvoll sind. Dem Bericht liegt eine Übersicht „Knappschaftliche Rentenversicherung, Gegenüberstellung 1956 — 1957" bei. In diesem Bericht wird als bisheriger Bundeszuschuß für das Jahr 1956 ein Betrag von 461 Millionen angegeben, der nach den Unterlagen, die das Bundesarbeitsministerium und das Bundesfinanzministerium gemeinsam erstellt haben, angeblich um 250 Millionen auf 711 Millionen erhöht werden soll.
Nimmt man die Drucksache 2900 zur Hand — nämlich den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Bundeshaushaltsplanes — und sieht sich die Zahlenangaben des Bundesfinanzministers für den Haushalt 1956 an, so ist nach diesen Angaben bereits im Jahre 1956 ein Bundeszuschuß in Höhe von 595 Millionen Mark gegeben worden, wenn man die sonstige Leistung für Arbeitgeber usw., die Zuschüsse zur knappschaftlichen Krankenversicherung absetzt. Eine Differenz von 134 Millionen Mark zwischen beiden Zahlenangaben.
Wir Sozialdemokraten müssen feststellen, daß entweder diese Aufstellung, die dem Bericht beigegeben ist, oder die Angaben in Drucksache 2900 nicht den Tatsachen entsprechen können,
es sei denn, der Herr Bundesfinanzminister belehrt uns eines Besseren. Aber dann wäre es erforderlich gewesen, daß die Vertreter des Bundesarbeits- und des -finanzministeriums den Mitgliedern des Ausschusses bei den Ausschußberatungen diese Aufklärung gegeben hätten. Jedenfalls können wir uns nur auf die offiziellen Angaben stützen, die die Regierung gemacht hat. Aber die Regierung hat oft die Übung, bei Haushaltsangaben möglichst hohe Zahlen zu nennen. Wenn dargelegt werden soll, wie groß die künftigen Mehrleistungen des Bundes sein werden, dann geht man von niedrigen Ansätzen aus, um die zukünftige Bundesbelastung um so höher erscheinen zu lassen.
Das ist der Tatbestand, wie er sich für uns auf Grund des uns zugänglichen Materials darstellt. Nach dem bereits im Haushaltsplan für 1956 angegebenen Material stehen also bereits 595 Millionen DM für die Knappschaftsversicherung als Bundeszuschuß zur Verfügung. 711 Millionen DM werden benötigt. Es ist also nur ein Mehrbedarf von 116 Millionen DM erforderlich. Die Bundesregierung ist bereit, nach ihren eigenen Mitteilungen 250 Millionen DM als Mehraufwand zur Verfügung zu stellen. Dann ist nicht nur keine Beitragserhöhung notwendig, sondern es ist geboten, die Leistungen günstiger zu gestalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Jahres 1957 mußte auf Grund der Verhältnisse am Tage der Aufstellung aufgestellt
werden, also nach dem Entwurf, wie er damals geplant gewesen ist. Infolgedessen wurde damals mit einer Erhöhung des Bundeszuschusses von 461 Millionen um 200 Millionen auf 661 Millionen DM gerechnet. Das war die Haushaltsaufstellung. In der Zwischenzeit sind durch die Ausschußbeschlüsse die Aufwendungen um 50 Millionen DM gestiegen. Infolgedessen müssen 50 Millionen DM Mehrausgaben nachgeschoben werden. Das geschieht auch derzeit. Die Unterlagen gehen dem Haushaltsausschuß, wenn er sie noch nicht bekommen hat, in diesen Tagen zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Aufklärung über 100 Millionen DM. Die Mitteilungen des Herrn Bundesfinanzministers stehen im Widerspruch zu den arbeits- und sozialstatistischen Mitteilungen des Bundesministers für Arbeit. Darin werden nämlich die Vierteljahresergebnisse veröffentlicht. Die Ergebnisse für das vierte Vierteljahr 1956 liegen noch nicht vor, aber sogar wenn man die niedrigen Zahlen des vierten Vierteljahres 1955 unterstellt, ergibt sich ebenfalls ein bisheriger Bundeszuschuß in der Größenordnung von 560 bis 580 Millionen DM, der 1956 angeblich gezahlt wurde, und nach den Angaben im Ausschußbericht wurden angeblich nur 461 Millionen DM gezahlt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.
Ich stelle den Antrag Umdruck 1008*) Ziffer 18 zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Abgelehnt.
— Die Debatte ist geschlossen. Wir haben über beide Punkte gemeinsam verhandelt.
Ich stelle den Antrag Umdruck 1008 Ziffer 19 zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
— Es geht schon; es ist gegangen. Ich habe beide Anträge begründen lassen, dann habe ich sie gemeinsam zur Debatte gestellt, und dann habe ich die Aussprache geschlossen.
Ich stelle also den Antrag Umdruck 1008*) Ziffer 19 zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle nunmehr § 130 in der Ausschußfassung zur Abstimmung.
— Die Debatte ist geschlossen, Herr Kollege. Das müssen Sie dann in der dritten Lesung machen.
') Siehe Anlage 3 Wer § 130 -in der Ausschußfassung zuzustimmen I wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 130 ist bei mehreren Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf in Art. 1 die §§ 131, — 132, — 133,
— 134, -- 135, — 136, — 137, — 138, — 139, —143. — Ich darf annehmen, daß diese Paragraphen einheitlich debattiert und einheitlich beschieden werden. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache.
Wer den soeben aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf Art. 2 §§ 1 bis 24. — Ich darf Einverständnis dahin annehmen, daß die aufgerufenen Paragraphen gemeinsam debattiert werden und daß gemeinsam über sie abgestimmt wird. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache.
Wer den aufgerufenen §§ 1 bis 24 in Art. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf Art. 2 § 25, dazu den Antrag Umdruck 1008*) Ziffern 20, 21 und 22.
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 1008 Ziffer 20 hat der Abgeordnete Meyer .
Meyer (SPD): Ich habe den Antrag Umdruck 1008 Ziffer 20 der sozialdemokratischen Fraktion zu begründen. Wir beantragen hier, in § 25 Abs. 1 Satz 1 die Worte „mit Ausnahme der Bergmannsrente (Knappschaftsrente) und des Knappschaftssoldes" zu streichen. Der bisherige Knappschaftssold wird auf die sogenannte Bergmannsrente mit den diskutierten 0,8 % umgestellt. Dabei wird sich für eine Reihe Bezieher des Knappschaftssoldes eine wesentliche Kürzung ergeben, und zwar eine nur rein theoretische Kürzung, denn wir haben die Besitzstandsklausel vorgesehen, die die 60 DM garantiert. Aber ich bin nicht unterrichtet, wie groß der Kreis derjenigen Betroffenen ist, die nur diese 60 DM und nicht die 21 DM Zulage erhalten, die sonst generell für alle Renten nach allen drei Gesetzen gewährt werden. Die 21 DM fallen also für die Bezieher des Knappschaftssolds fort. Das ist eine sehr große Ungerechtigkeit für diesen Kreis.
Die von uns beantragte Streichung bedeutet in der Praxis, daß auch die Knappschaftsrentner und Knappschaftssoldbezieher, die nach der Vorlage nur auf die Besitzstandsklausel verwiesen werden, in den Genuß der Erhöhung um den Mindestbetrag von 21 DM kommen. Wir glauben, das ist durchaus gerechtfertigt. Ich erinnere daran, daß nach Verabschiedung der beiden anderen Gesetze schon jetzt im Zusammenhang mit der Erhöhung um 21 DM draußen eine große Unruhe entstanden ist. Wir sollten hier diesen Fehler nicht erneut machen.
Ich bitte aus diesen Gründen um Annahme des Antrags.
*) Siehe Anlage 3
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf vielleicht den Antrag Umdruck 1008*) Ziffer 20 allein erledigen. Ich eröffne die Debatte. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Debatte dazu und bitte diejenigen, die dem Antrag Ziffer 20 auf Umdruck 1008 zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist der Antrag Ziffer 20 abgelehnt.
Nunmehr werden die Anträge Ziffern 21 und 22 auf Wunsch gemeinsam begründet. Ich darf gleich im voraus annoncieren, daß zu dem Antrag Ziffer 21 wahrscheinlich namentliche Abstimmung beantragt werden wird.
Die Anträge Ziffern 21 und 22 sollen durch den Kollegen Geiger gemeinschaftlich begründet werden. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Umdruck 1008 legt Ihnen die sozialdemokratische Fraktion den Antrag vor, einen neuen Abs. 3 a einzufügen. Der Zweck des Antrags auf Einfügung dieses Absatzes ist, zu verhindern, daß die gewährten Rentenerhöhungen von anderen Leistungsträgern wieder weggenommen werden, damit eine echte Erhöhung des Einkommens der Rentner in den bescheidenen Grenzen von 14 und 21 Mark stattfinden kann. Weil wir diese Grenzen so bescheiden gehalten haben, sind wir der Meinung, daß auch Sie diesem Antrag zustimmen können.
Um dem Kollegen Scheppmann von vornherein zu antworten, darf ich sagen, daß wir diesen Antrag nicht zuletzt gerade deshalb gestellt haben, weil draußen bei den Rentnern eine erhebliche Verbitterung herrscht über die Praxis, daß nach den Rentenneuregelungsgesetzen für die Arbeiter und die Angestellten bereits Entziehungsbescheide von den verschiedenen Leistungsträgern herausgegangen sind, ohne daß die Rentner bis heute einen Pfennig der Rentenerhöhung erhalten haben. Bei diesen Rentnern handelt es sich vornehmlich um Menschen, die ein niedriges Renteneinkommen haben; sie werden hauptsächlich betroffen, weniger diejenigen mit einem hohen Renteneinkommen. Wenn wir in einem Gesetz eine Mindesterhöhung der Rente festlegen, sollten wir gleichzeitig sicherstellen, daß nicht nur rein formal eine Erhöhung festgelegt ist, sondern daß sich das Einkommen der Rentner tatsächlich um diese Mindestbeträge erhöht.
Das ist insbesondere deshalb notwendig, weil draußen das böse Wort umgeht, daß die eine Hand wieder wegnimmt, was die ,andere Hand gibt. Das sollte verhindert werden.
Ich darf zugleich bitten, im letzten Absatz hinter den Worten „den Unterhaltshilfen nach dem Lastenausgleichsgesetz" die Worte einzusetzen „den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz", damit auch dieser Personenkreis, der unter das Bundesentschädigungsgesetz fällt, eine Rentennachzahlung nicht auf Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz angerechnet erhält.
Meine Damen und Herren, in diesem Hohen Hause sind am heutigen Vormittag und am heutigen Nachmittag viele ethische und sozialethische
*) Siehe Anlage 3
Grundsätze verkündet worden. Wir dürfen als sozialdemokratische Fraktion deshalb der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie durch Zustimmung zu unseren Anträgen bereit sind, diese Grundsätze auch in die Tat umzusetzen.
Zu Ziffer 21 darf ich den Antrag auf namentliche Abstimmung stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Ziffer 21 ist also namentliche Abstimmung beantragt, zu Ziffer 22 nicht.
Die Anträge Ziffer 21 und Ziffer 22 sind begründet. Ich darf annehmen, daß sie gemeinsam beraten werden. Ich eröffne die Debatte über beide Anträge. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Ich ziehe die Abstimmung über Ziffer 22 vor, weil hierzu keine namentliche Abstimmung beantragt ist. Wer dem Antrag Ziffer 22 auf Umdruck 1008*) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Anscheinend einstimmig angenommen.
Ich rufe den Antrag Ziffer 21 auf, zu dem namentliche Abstimmung beantragt ist. Wird der Antrag unterstützt? — Dann bitte ich, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich schlage vor, während des Einsammelns der Stimmkarten die restlichen Paragraphen des Gesetzentwurfs zu erledigen.
Ich rufe die §§ 26, — 27, — 28, — 29, — 30, —31, — 32, — 33, — 34 ,des Artikels 2 auf. — Ich bitte, Platz zu nehmen zur Abstimmung! — Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Bei einer Reihe Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Artikel 3 auf —Schlußvorschriften —, und zwar die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5 und 6.
— Wer diesen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Ich frage: Sind noch Stimmkarten abzugeben?
— Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich gebe das Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung bekannt. Es wurden von stimmberechtigten Abgeordneten 323 und von Berliner Abgeordneten 13 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 123 stimmberechtigte Abgeordnete und 6 Berliner Abgeordnete, mit Nein 199 stimmberechtigte und 4 Berliner Abgeordnete gestimmt; enthalten hat sich 1 Abgeordneter. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 25 des Art. 2 in der Fassung des Ausschusses auf. Wer diesen § 25 anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 25 ist angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer sie anzunehmen wünscht, den bitte ich um das
*) Siehe Anlage 3
**) Vgl. Seite 11597
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Damit ist die zweite Lesung dieses knappschaftlichen Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes beendet.
Die Tagesordnung für heute ist damit noch lange nicht erschöpft; aber wir sind es. Das habe ich sogar schriftlich bekommen. Mein Kollege vom „Aachener Orden gegen den tierischen Ernst" hat es mir schriftlich gegeben, daß er kein Nietzscher Übermensch sei, er könne nicht mehr, er verlasse das Hohe Haus.
Ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich das als eine genügende Entschuldigung betrachte.
Anlage 1
Liste der beurlaubten Abgeordneten
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich
a) Beurlaubungen
Frau Albertz 10. 4.
Dr. Arndt 14. 4.
Becker 12. 4.
Blachstein 12. 4.
Böhm 14. 4.
Brockmann 10. 4.
Dr. Bucerius 13. 4.
Caspers 20. 4.
Demmelmeier 12. 4.
Ehren 12. 4.
Dr. Elbrächter 13. 4.
Engelbrecht-Greve 13. 4.
Gräfin Finckenstein 12. 4.
Frau Finselberger 15. 4.
Freidhof 12. 4.
Gedat 10. 4.
Geiger 27. 4.
Gockeln 10. 4.
Dr. Graf 10. 4.
Gumrum 10. 4.
Hahn 13. 4.
Heinrich 20. 5.
Heye 13. 4.
Höcherl 12. 4.
Frau Hütter 20. 4.
Jacobs 10. 4.
Jahn 13. 4.
Kalbitzer 3. 5.
Frau Kalinke 10. 4.
Karpf 10. 4.
Dr. Klötzer 10. 4.
Dr. Köhler 30. 4.
Dr. Kopf 12. 4.
Kühlthau 10. 4.
Ladebeck 10. 4.
Lahr 10. 4.
Frau Lockmann 13. 4.
Frau Dr. Maxsein 11. 4.
Mayer 10. 4.
Mensing 13. 4.
Meyer-Ronnenberg 10. 4.
Dr. Mocker 10. 4.
Morgenthaler 30. 4.
Ich berufe die nächste Sitzung des Hohen Hauses auf morgen früh 9 Uhr. Erster Punkt der Tagesordnung ist die Beendigung der zweiten Lesung des Amnestiegesetzes.
- Ach so, ja, Bericht des Vermittlungsausschusses, anschließend die Amnestie, dann Wehrbeauftragter und dritte Lesung des eben behandelten Gesetzes und dann das Menu, über dessen Reihefolge wir uns noch einig werden müssen.
Ich schließe hiermit die Sitzung.