Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Her] Staatsminister Hemsath von Nordrhein-Westfalen.
Hemsath, Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher ein ungewöhnlicher Vorgang, daß ein Minister eines Landes hier in diesem Hohen Hause das Wort ergreift und, wie er meint, ergreifen muß, um zu einer wichtigen, auch die öffentliche Meinung bewegenden und erregenden Frage Stellung zu nehmen. Ich bin den Schöpfern des Grundgesetzes und dem Herrn Präsidenten dankbar, daß ich die Möglichkeit dazu habe.
Ich habe allerdings — darf ich dieses freimütige Bekenntnis an den Anfang meiner Ausführungen stellen —die Schwierigkeiten einer Stellungnahme in diesem Hause erheblich überschätzt. Denn wenn ich gewußt hätte, daß man als Minister Debatten mit Vorlesungen bestreiten kann, hätte ich mir auch eine mitgebracht.
Ich meine, daß es die Aufgabe hoher Staatsfunktionäre wäre, das Ergebnis der Debatte
in den Mittelpunkt der Erörterungen zu stellen.
Meine Damen und Herren, es ist meine Absicht —
— Dazu haben andere Herrschaften ein größeres Talent als ich.
Es ist meine Absicht, die Haltung der Landesregierung, die sie einmütig einnimmt, und die Gründe, die zu dieser Haltung geführt haben, vor diesem Hohen Hause klar und unter bewußtem Verzicht auf alle agitatorischen Formulierungen darzulegen.
— Meine Damen und Herren, ich war in der letzten Woche hier. Sie können mich nicht überraschen.
— Herr Kollege Sabel, was würden Sie sagen, wenn ich jetzt zu Ihren Ausführungen im Geiste dieses Zwischenrufs Stellung nähme? Nehmen Sie etwa an, ich hätte jeden Ihrer Sätze hier als bare Münze aufgenommen? Habe ich als Minister des Landes Nordrhein-Westfalen hier das Recht, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 43 des Grundgesetzes meine Meinung zu bekunden, oder nicht?
Wenn ich es habe, meine Damen und Herren — —
Wenn ich es habe, dann übe ich es aus in der selbst-
verständlichen Verantwortung, die jeder von uns trägt, ob er Abgeordneter dieses Hauses ist oder nicht.
Welche Gründe haben die Landesregierung bewogen, diese Entscheidungen zu fällen? Ich darf noch einmal mit allem Nachdruck betonen, daß die Untersuchung des gesamten komplexen Problems für uns eine schwere und unpopuläre Arbeit gewesen ist.
Kein Mensch in diesem Hause kann behaupten, daß eine mögliche Entscheidung in dieser Frage Aussicht auf besondere Popularität hat. Vor allen Dingen kann keiner behaupten, daß die Entscheidung der Landesregierung etwa aus wahlpolitischen oder wahltaktischen Gründen erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, wir haben schwer mit uns gerungen. Ob Sie mir das abnehmen oder nicht, muß ich Ihnen überlassen. Jedenfalls haben wir — d. h. die gesamte Landesregierung — zunächst einmal diese Entscheidung nicht gesucht. Wir haben sie in dem Abkommen, das die Tarifpartner nach monatelangen Verhandlungen am 21. Dezember des vergangenen Jahres abgeschlossen haben, vorgefunden.
Danach war es doch unbestritten die Aufgabe der Landesregierung, die mit diesem Abkommen unvermeidbar verbundenen strittigen Fragen zu klären und im Rahmen ihrer Verantwortung und ich füge hinzu: im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen die notwendigen Entscheidungen zu suchen und sie schließlich zu fällen. So haben wir unsere Aufgabe bewertet und angesehen, und ich erkläre hier in diesem Hause: ich habe in meinem Leben keine Entscheidung begünstigt oder persönlich gefällt, die ich mit größerer persönlicher Verantwortung überprüft und schließlich gefällt habe und fällen mußte.
— Meine Damen und Herren, das darf man doch hier betonen, wenn auch so ungewöhnliche Klänge, wie sie vorhin hier ertönten und wie sie vor allem draußen gang und gäbe sind, dieses schwierige Problem und seine sachliche Klärung begleiten.
Auch die Landesregierung — nicht nur der beteiligte und unmittelbar zuständige Ressortminister
— kann beweisen, daß sie sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Allerdings darf ich mit dem größten Nachdruck sagen, daß es einfach nicht wahr ist, wenn behauptet wird, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen habe bei ihrer Entscheidung unter irgendwelchem Druck gestanden,
— es sei denn, unter dem Druck einer Verantwor-
tung, die ihr nach der gegenwärtigen Rechtslage von niemandem abgenommen werden konnte.
Wir haben fast zweieinhalb Monate mit den Tarifpartnern, mit den Repräsentanten der Kirche, mit dem Bundesarbeitsminister, mit allen verhandelt, mit denen wir verhandeln mußten und von denen wir annehmen durften, daß sie einen wesentlichen Beitrag für die sachliche, grundsätzliche und rechtliche Klärung dieses, ich betone es noch einmal, sehr schwierigen Problems geben könnten.
Meine Damen und Herren, ich betone auch an dieser Stelle, daß jenes Gutachten, das zwar mit einem unerhörten publizistischen Aufwand seit Wochen angekündigt worden ist und erst in den letzten Tagen in unseren Besitz kam, nicht zur Grundlage unserer Überlegungen gemacht werden konnte. Sie wissen, welches Gutachten ich meine: das Gutachten der „Betriebsseelsorge Hattingen", das der Arbeitsminister des Landes NordrheinWestfalen erst am vergangenen Freitag erhalten hat und das — wenn ich mich nicht irre, Herr Kollege Storch — ein paar Tage eher in Ihren Händen gewesen ist. Ich betone im Zusammenhang damit, daß es auch uns noch nicht möglich war — auch der Bundesarbeitsminister hat soeben unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die unerhörten Schwierigkeiten der Beurteilung solcher Fragen noch keine präzise Stellungnahme zu diesem Gutachten abgeben können —, verbindlich und endgültig zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen.
Ich kann nur zwei Feststellungen treffen. Erstens bedauern wir es, daß das Gutachten bei den Beratungen der Tarifpartner und in den darauffolgenden Wochen nicht wenigstens in seinen Schwerpunkten vorhanden gewesen ist. Zweitens erkläre ich namens der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ausdrücklich, daß wir mit den Tarifpartnern in einer gründlichen Analyse dieses Gutachtens feststellen werden, ob seine Substanz realisierbar ist oder nicht, ob seine Vorschläge bessere sind als die von uns gefundenen bzw. im Abkommen vom 21. Dezember vorigen Jahres festgelegten Beschlüsse. Wir werden nicht einen Tag zögern, die bessere Lösung sofort in Gang zu setzen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist eine Diskussionsbasis. Eine solche Haltung wird der Komplexheit und Differenziertheit dieses Problems eher gerecht, als wenn ich oder als wenn man überhaupt mit dogmatischen und grundsätzlichen Formulierungen, die man spielend leicht finden kann, hier Stimmung zu machen versucht, ohne eine einzige praktische Schlußfolgerung ziehen zu müssen.
— Ich wollte, es wäre so, ich wollte, das wäre ungefähr der sachliche Tiefstand in diesem Hause, dann wäre die breite Öffentlichkeit in Deutschland sehr glücklich darüber.
— Meine Damen und Herren, ich bitte ergebenst, diese Stelle im Protokoll nachzulesen.
Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich mit meiner persönlichen Formulierung in keiner Weise das sachliche Niveau irgendwie tangiert habe.
Meine Damen und Herren, eine weitere Tatsache ist unbestreitbar, die von allen — ich betone: von allen — Diskussionsrednern in ihrer Richtigkeit ausdrücklich bestätigt worden ist. Ich meine die Tatsache, daß die bisherigen Verhältnisse nicht nur reformbedürftig, sondern mehr als überholungsreif sind. Es ist unbestreitbar, daß die geltende Regelung, die seit Jahrzehnten praktiziert wird, mehr als überholungsreif ist und daß sie seit vielen Jahren auf der Basis einer mindestens 54-StundenWoche von den Arbeitern der Stahlindustrie ein Höchstmaß an physischer Leistung verlangt. Das ist die eine Seite der unbefriedigenden Lösung.
Die zweite Tatsache ist genauso unbestritten, daß im Rahmen dieser praktizierten Lösungen der Sonntag auf gar keinen Fall auch nur in etwa respektiert werden konnte und respektiert worden ist. Ich kann mich hier nur wiederholen: ich bezeichne es auch in diesem Hause als eine Groteske, daß der gesetzlich freie Sonntag im Einklang mit dem Gesetz, Herr Bundesarbeitsminister, jener freie Sonntag ist, der frühestens nach siebenmaliger Nachtschicht um 6 Uhr sonntags oder am anderen Tage um 6 Uhr sein Ende findet. Ich bezeichne es als eine Groteske, daß diese 17 Sonntage im Jahr jene Sonntage sind, die „unantastbar" und im Einklang mit dem Gesetz waren.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich unter bewußten Verzicht auf eine allzu billige Grundsatzdebatte einmal die Schichtenschemata, die ich Ihnen zuschicken durfte — ich habe es mir wenigstens erlaubt, sie Ihnen zuzuschicken —, ansehen, dann erkennen Sie aus der meines Erachtens überzeugenden Darstellung völlig klar, mit welchen praktischen Ergebnissen für den Stahlarbeiter, der von diesem Arbeitszeit- und Lohnabkommen betroffen wird, gerechnet werden kann und gerechnet werden muß.
— Warten Sie doch ab! Selbstverständlich haben wir noch einiges dazu zu sagen. — Ich stelle fest, daß nach dieser Lösung, die wir in schwierigen und harten Debatten gefunden haben und von der wir meinen, daß sie die zur Zeit beste Lösung ist, der Stahlarbeiter, der zum Geltungsbereich dieses Abkommens gehört, nicht wie bei der Regelung in Oberhausen nur neun, sondern mindestens dreizehn völlig arbeitsfreie Sonntage haben wird, die eingebettet sind in eine Gesamtruhezeit von mindestens 72 und höchstens 104 Stunden.
Ich habe in meinem Leben als Metallarbeiter so viele Sonntage arbeiten müssen, daß ich glaube, mir ein Urteil über den Vorteil dieser Lösung anmaßen zu dürfen.
— Habe ich das bestritten?
Jedenfalls ist es meine feste Überzeugung, daß
die Stahlarbeiter, wenn dieses Abkommen durch-
geführt wird und die von der Landesregierung gemachten Auflagen respektiert werden, noch nie in ihrem Leben einen solchen Sonntag gekannt haben und auch nie die Möglichkeit hatten, den Sonntag in einem solchen Umfang ihrer Familie zu widmen und, wenn sie wollen, ihn im Sinne christlicher Grundsätze zu heiligen.
Ich behaupte hier, daß das Gros der Stahlarbeiter aus physischen Gründen gar nicht in der Lage war, nach siebenmaliger Nachtschicht und 54 bis 56 Stunden Mindestarbeitszeit — dieser schweren Arbeit, meine Damen und Herren! — und mit Blick auf den nächsten Montag, an dem für sie um 6 Uhr früh die Arbeit begann, diesen einzigen freien Sonntag ihrer Familie und dem Herrgott zu widmen, oder sie konnten das nur in völlig unzureichender Weise.
Spielen die anderen Gründe vom Menschen her gesehen nicht eine ebenso entscheidende Rolle? Hat das Problem der Frühinvalidität, das in der Geschichte der deutschen Stahlindustrie seit eh und je ein ernstes Problem gewesen ist, überhaupt keine Bedeutung? Glauben Sie nicht, daß die sehr umfassenden Ruhepausen unter dem großen Zeitbogen dazu führen werden, den Gesundheitszustand der 'betroffenen Stahlarbeiter entscheidend zu verbessern? Jedenfalls haben die praktischen Erfahrungen in Oberhausen ergeben, daß sowohl der Unfallstrend wie auch die Zahl der Erkrankungen wesentlich abgenommen haben, ja, daß die Zahlen in den letzten Quartalen praktisch um 50 % abgesunken sind.
Meine Damen und Herren, ist das nichts? Wenn es uns gelänge, in gegenseitiger Achtung und in gemeinsamen Anstrengungen dieses Problem noch befriedigender zu lösen, als es durch dieses Abkommen und seine Genehmigungen gelöst worden ist, dann hätten wir den schwerst arbeitenden Menschen der eisenschaffenden Industrie einen dauernden Dienst erwiesen.
Für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen stehen jedenfalls die klaren, unbestreitbaren Vorteile dieser Regelung fest.
Nun hat man noch andere Probleme aufgeworfen, unter anderem das Rechtsproblem, und es zum Ausgangspunkt und Ausrufungszeichen der gesamten Diskussion gemacht. Wir sind natürlich bereit, uns auch damit auseinanderzusetzen. Der Bundesarbeitsminister wird gern — so hoffe ich jedenfalls — zugeben, daß wir das am 16. Februar dieses Jahres in seinem Dienstzimmer gemeinsam und gründlich versucht haben. Wir waren uns völlig darüber klar, daß die geltende Gewerbeordnung diesen Tatbestand nicht deckt. Darüber kann es eine rechtliche Meinungsverschiedenheit gar nicht geben. Wir waren allerdings der Auffassung — und diese Auffassung wurde noch bestärkt, als wir den Willen des Bundesarbeitsministers sahen, in eine generelle Überprüfung der Bundesratsbekanntmachung vom Februar 1895 einzutreten —, daß für eine vorübergehende Lösung der § 28 der AZO die genügende Tragfähigkeit besitze. Natürlich können Sie, wenn Sie sich ein Rechtsgutachten machen lassen, die unterschiedlichsten Auffassungen bekommen. Ich habe weder ein solches Rechtsgutachten vor mir liegen noch habe ich mir über die rechtliche Problematik sehr eingehende Notizen für diese Replik machen können. Aber eines steht doch fest: Wenn das eine Entscheidung contra legem ist, die wir hier gefällt haben, dann hat auch die Regierung Arnold contra legem entschieden.
Das ist unbestreitbar. Heute sagt man, das sei aus ganz anderen Gründen geschehen. Leider habe ich die Akte HOAG, die zirka 20 cm dick ist, nicht mitgebracht. Aber ich versichere hier, daß es völlig klar war, aus welchen Gründen dieser Modellfall gestartet worden ist. Es waren nicht nur vorübergehende betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten, es waren nicht nur vorübergehende aus volkswirtschaftlichen Gründen dringendst zu beseitigende Engpässe, sondern es war klar und eindeutig beabsichtigt — und wozu wäre sonst ein solch umfangreiches Gutachten, noch dazu von einem halben Dutzend Professoren, notwendig gewesen! —, diese große Grundsatzfrage mit einzubeziehen und eventuell mit idem Prinzip der gleitenden Arbeitswoche endlich, endlich eine befriedigendere Lösung herbeizuführen, als sie in all den Jahrzehnten, die hinter uns liegen, praktiziert worden ist.
Wenn Sie fragen — ich glaube, Sie, Herr Kollege Sabel, haben das in vielen Pressekommuniqués besonders stark unterstrichen —, ob denn die Tatbestände des § 28 der AZO überhaupt erfüllt seien — widerruflich, öffentliches Interesse usw. —, dann darf ich, Herr Kollege Sabel, meine ganz persönliche Meinung zum öffentlichen Interesse einmal völlig unjuristisch zu interpretieren versuchen. Ich meine, daß auch dieser Begriff ein dynamischer Begriff ist. Auch die Interpretation dieses Begriffs ist irgendwie — über Art und Umfang können wir uns unterhalten — abhängig von den objektiven ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Daß diese Bedingungen 1895 andere waren als 1938, ist bekannt, und daß sie 1960 andere sein werden, ist sicher. Für mich steht es also fest, daß dieser Begriff in der Entwicklung, ein dynamischer Begriff ist.
Ich habe gemeint, 'Herr Kollege Sabel, daß es in der Zeit der Herrschaft des Grundgesetzes mit seinem Art. 20 und mit seinem Art. 28, der klar und kompromißlos feststellt, daß dieser Bundesstaat ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist — nicht: werden soll! — möglich sein müßte, diesen Begriff auch so zu interpretieren, daß die Verbesserung des Gesundheitszustandes und die Verkürzung der Arbeitszeit und die Absenkung des Unfalltrends mindestens ein Element des öffentlichen Interesses sein können.
Ich sehe nicht ein, Herr Kollege Sabel, daß es immer nur staatliche Interessen sein sollen, ich sehe auch nicht ein, daß es immer nur Unternehmerinteressen sein müssen, die dieser Begriff des öffentlichen Interesses deckt.
Vielmehr meine ich, daß Gesundheit und Lebensglück von 13 000 oder 17 000 Metallarbeitern auch ein Element dieses Begriffs darstellen können.
Das ist meine Meinung, und ich vertrete sie hier in allem Freimut und mit dem Recht, das der Staatsbürger nach dem Grundgesetz hat.
Ich betone noch einmal: für uns stand nirgendwann zur Debatte, Sonntagsarbeit einzuführen. Für uns stand nirgendwo und nirgendwann zur Debatte, den Sonntag zu stürzen.
Für uns stand zur Debatte, meine Damen und Herren, Menschen, die noch nie einen Sonntag ,gekannt haben, einen besseren Sonntag zu geben.
Ich muß dies unterstreichen; denn ich weiß, meine Damen und Herren, daß es schwer ist, nachdem man so in die Fanfare gestoßen hat, den Vertreter einer anderen Auffassung ruhig anzuhören.
Ich möchte noch einmal betonen: andere Gesichtspunkte haben für die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen keine Rolle gespielt; ich muß es Ihnen überlassen, meine Damen und Herren, ob Sie mir das abnehmen oder nicht.
Eines steht jedenfalls fest: die Debatte in den letzten Monaten und das Lohn- und Arbeitszeitabkommen vom 21. Dezember 1956 haben auch eine sehr positive Wirkung gehabt, nämlich die, daß das gesamte Problem überhaupt aufgerollt wurde. Wollte Gott, es wäre so, daß der Sonntag und sein tragendes Prinzip nur durch dieses Arbeitszeit- und Lohnabkommen vom Dezember 1956 gestört oder gar gefährdet werden!
Ich sehe gerade, Herr Kollege Sabel, daß wir dieses Mal ausnahmsweise uns in völliger Übereinstimmung befinden; Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich darüber bin.
Ich möchte nämlich ergänzend darauf aufmerksam machen, daß allein aus der Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen die Gefährdung des Sonntags vor .allem darin besteht, daß in NordrheinWestfalen weit über eine Million Menschen von insgesamt 5,8 Millionen Arbeitnehmern im Sinne des Gesetzes Sonntag für Sonntag — wenn auch mit unterschiedlicher Intensität — arbeiten müssen.
— Lebenswichtig! — Für den Zuruf bin ich Ihnen sehr dankbar. Glauben Sie — um nur ein Beispiel, Sie können sagen: ein extremes Beispiel, zu nennen —, daß etwa der Transport von Sonntagsreisenden in das Ahrtal oder in das Moseltal, wie ihn die Bundesbahn, die Bundespost und unzählige Privatunternehmer mit steigender Reklame durchführen, ein lebenswichtiger Transport und eine lebenswichtige Arbeit ist?
Was die Frage der Lebenswichtigkeit angeht, da beißt keine Maus einen Faden ab: dreiviertel Millionen der arbeitenden Menschen, die ich gemeint habe, stehen außerhalb aller Gebote und aller Verbote. Für sie ist die Sonntagsarbeit einfach gestattet, und sie wird praktiziert.
Noch einmal: Diese Entscheidungen haben die Sonntagsarbeit in keiner Weise gesteigert. Wir haben zunächst angenommen, daß zum Geltungsbereich des Abkommens — maximal, haben wir allerdings gesagt — etwa 17 000 Arbeiter gehören. Inzwischen hat sich völlig eindeutig und klar erwiesen, daß es so viel auf keinen Fall werden. Unsere stimmende Statistik beweist, daß es gut 13 000 sind — ich betone: 13 000 —, die in den Geltungsbereich dieser Regelung für den Sonntag fallen, die aber bisher sämtlich ebenfalls am Sonntag arbeiten mußten, entweder bis mindestens 6 Uhr oder in den großen Reparaturkolonnen oder in den Zubringerschichten von nachmittags 14 oder 18 Uhr bzw. abends 20 Uhr bzw. 22 Uhr an. Das ist die Situation, und das sind die Gründe, die ich glaubte darlegen zu müssen.
Der Bundesarbeitsminister hat — aus seiner Sicht völlig zu Recht - darauf aufmerksam gemacht, daß die Reparaturarbeiten gerade an den Sonntagen in einem Umfang durchgeführt würden, der nicht notwendig sei, und daß hier die Kontrollbehörden, also die Gewerbeaufsicht der Länder, versagten. Ich kann einer solchen Darlegung kein klares und eindeutiges Nein entgegensetzen. Ich kann den Bundesarbeitsminister nur bitten, die ungewöhnliche Schwierigkeit dieser Frage voll anzuerkennen, die — das wird vor allen Dingen die Arbeitsrechtler interessieren — in der Judikatur und in den Kommentaren zur Gewerbeordnung längst anerkannt ist. Ich will darauf verzichten, Sie mit Zitaten zu langweilen. Ich empfehle aber die Lektüre der Seite 90 in der 11. Auflage des Kommentars zur Gewerbeordnung von Landmann-Rohmer. Dann werden die letzten Zweifel beseitigt werden. Es kann niemand bestreiten, daß diese Reparaturarbeiten auch in Zukunft eine unbekannte Größe sein werden. Der Verschleiß und die Schwierigkeiten der Reparatur sind unterschiedlich. Der Herr Abgeordnete Sträter hat vorhin mit Recht auf einen Tatbestand hingewiesen, der durch die Neuregelung in quantitativer und qualitativer Beziehung entscheidend gemildert wird. Es stimmt, daß die Reparaturarbeiten sich allzu sehr auf den Sonntag konzentrierten, aber — und das zu sagen verlangt die Objektivität — aus den unterschiedlichsten Gründen, nicht nur aus materiellen Gründen, weil das Entgelt für ein paar Sonntagsarbeitsstunden die Lohntüte des schwer arbeitenden Stahlarbeiters praller machen würde, sondern auch aus technischen und betriebsorganisatorischen Notwendigkeiten. Jeder, der die Dinge kennt — und ich behaupte, daß ich sie einigermaßen kenne —, weiß, daß die Reparaturarbeiten nur im Kern mit Handwerkern durchgeführt werden und daß die abrundenden Arbeiten von den größeren Gruppen der angelernten und ungelernten Arbeiter vorgenommen werden, die aus dem normalen Produktionsprozeß genommen werden müssen, wenn größere Reparaturen anfallen. Aber ich darf Sie hier nicht mit all diesen technischen Einzelheiten langweilen; ich habe sie nur angesprochen, um die Kompliziertheit und Differenziertheit in der Praxis zu unterstreichen.
Vorhin ist von den verschiedensten Rednern auf das Grundgesetz und auf die Landesverfassung hingewiesen worden. In beiden ist bindend und zwingend nicht nur die Respektierung, sondern die Heiligung des Sonntags bestimmt. Kein Mensch, weder die Tarifpartner noch die Landesregierung, hat daran gedacht, mit dem Abkommen und mit den Entscheidungen, die notwendig waren, die
Grundsätze der Verfassung anzutasten; ich betone: kein Mensch.
Es wurde auch ein Schreiben seiner Eminenz des Erzbischofs von Köln zitiert. Ich hätte gewünscht, es wäre etwas eingehender zitiert worden; denn dann hätten Sie auch Sätze wie den zitieren müssen, in dem der Herr Kardinal ausführt, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor einer sehr schwierigen Aufgabe stehe, und dann hätten Sie eventuell auch anführen müssen — vielleicht holen Sie das nach, Herr Kollege Winkelheide -,
daß der Kardinal in seinem letzten Schreiben ausdrücklich den guten Willen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen anerkennt.
Eine solche Methode hätte wesentlich zur Entspannung der Gegensätze in den beiderseitigen Auffassungen beigetragen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns ja doch darüber klar, daß diese Frage de jure und de facto einer befriedigenden Lösung zugeführt werden muß. Der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben gesagt, daß die Novellierung der Bekanntmachung des Bundesrates vom Februar 1895 überfällig sei. Damit kommt es zu einer Entscheidung. Wir müssen sie im beiderseitigen ehrlichen Bemühen suchen und, wie ich meine, auch in gegenseitiger Achtung; denn sonst wird es keine gute Entscheidung werden. Wenn diese Novellierung — das wäre mein Wunsch — von diesem Hause noch vor dem Wahlsonntag vorgenommen werden könnte, würde das zu einer außerordentlichen Entspannung der innerpolitischen Atmosphäre führen; es wäre auch aus sachlichen Gründen dringend erwünscht.
Zum Schluß möchte ich noch einmal mit letztem Nachdruck betonen, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen das Gebot der Heiligung des Sonntags auf jeden Fall auch für sie als verbindlich anerkennt und daß sie bis jetzt keine Handlung vorgenommen hat, die in Widerspruch zu diesem Gebot steht.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin zahlreiche Einzelfälle einer laxen Handhabung angeführt. Ich darf demgegenüber nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß alle Fälle der Anwendung des § 28 AZO in Nordrhein-Westfalen vor dem 5. März 1957 gelegen haben. Die Regierung Steinhoff hat den § 28 der AZO außer bei der Durchführung des Arbeitszeit- und Lohnabkommens vom 21. Dezember 1956 noch niemals in Anspruch genommen. Auch die vorhin genannten drei Fälle der Papierindustrie sind unter der Ministerpräsidentschaft des Herrn Kollegen Arnold entschieden worden.
Die Entscheidungen in anderen Ländern habe ich natürlich in keiner Weise zu vertreten oder zu entschuldigen, noch habe ich irgend etwas dazu zu sagen.
Ich darf Sie also bitten, zu glauben, meine Damen und Herren, daß wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Ich darf Sie noch einmal bitten, uns zu glauben, daß wir nicht um der
Entheiligung des Sonntags, sondern um der Respektierung des Sonntags willen diese Entscheidung im Rahmen des Geltungsbereichs des Abkommens gefällt haben. Wir wünschen eine Novellierung der Bundesratsbekanntmachung und hoffen, daß damit die Bereinigung einer längst überfälligen und dringenden Frage im Interesse unserer Volkswirtschaft, vor allem aber auch im Interesse des arbeitenden Menschen unserer Bundesrepublik erfolgt.