Rede von
Heinrich
Voß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Sträter, ich habe heute morgen Ihren Ausführungen gut zugehört, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie sich wirklich mit guter Sachlichkeit bemüht haben, das Anliegen, so wie Sie es sehen, vorzutragen. Sie haben u. a. erklärt, es wäre besser gewesen, man hätte schon vor vierzig Jahren über dieses Problem gesprochen. Darf ich Sie einmal darauf hinweisen, daß gerade Vertreter der beiden Kirchen — das weisen die Geschichtsschreibung und die Protokolle des Reichstags aus — schon vor mehr als vierzig Jahren, zur Zeit der Regierung des Fürsten von Bismarck, sich ernstlich um die damals entstehenden Frage bemüht haben — also nicht erst vor vierzig Jahren, sondern schon vor mehr als vierzig Jahren.
Im übrigen will ich hiermit nicht behauptet haben, daß die Kirche mit ihrem Anliegen, das sie damals vertreten hat, zum Erfolg gekommen ist. Die Kirche hat sich auch jetzt wieder bereits zehn Jahre lang bemüht — das ist ja hier bestätigt worden —, an der Gestaltung der Ordnung in der Arbeitswelt ,mitzuhelfen. Aber auch jetzt ist sie mit ihrer Auffassung nicht zum Zuge gekommen.
Heute morgen ist hier erklärt worden, die kirchlichen Vertreter hätten die Gespräche abgebrochen. Dazu darf ich feststellen: dieses Gespräch ist nach meiner Auffassung lediglich durch die Tatsache unterbrochen worden, daß die verschiedensten Kreise eine fertige Tatsache geschaffen haben.
Herr Minister Hemsath hat heute morgen erklärt, er sehe nicht ein, daß man nicht, nachdem dieses Arbeitszeitabkommen geschlossen sei, auch noch im Nachhinein darüber sprechen könne. Wir registrieren sehr gern, daß der Herr Minister Hemsath hier erklärt hat, er sei in dieser Frage noch anzusprechen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß sich gerade der Sozialethische Ausschuß der evangelischen Kirche des Rheinlands in seiner Denkschrift wieder einmal bemüht hat, hier ein paar Vorschläge zu machen. Die Kirche hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es ihr nicht zustehe, Vorschläge zu unterbreiten. Wenn man aber das Wort als eine echte Diskussionsgrundlage nehmen will, sind wir erfreut, daß Sie bereit sind, diese Diskussion aufzunehmen. Wir dürfen ja annehmen, daß nach einem guten Vorschlag dann vielleicht eine bessere Regelung kommt, als sie jetzt hat getroffen werden können.
Herr Kollege Sträter, Sie haben heute morgen einige sachliche Darstellungen gegeben. Vorausgegangen ist nach meiner Auffassung, und zwar mit Recht, vom Kollegen Even eine Darstellung über das Anliegen und über die Sorge, die die katholische Kirche in ihrem Wort zum Ausdruck gebracht hat. Und wenn ich es eben als meine Pflicht ansehe, hier auch die Stimme der evangelischen Kirche in diesem Bereich zu Gehör zu bringen — wobei ich nicht sagen will, daß ich allein dazu berechtigt bin und den Auftrag habe —, dann muß ich sagen, daß es doch nicht unsachlich ist, sondern ein Argument, das, auf die Sache bezogen, nichts anderes erweisen soll, als daß wir, d. h. die Kirche, bemüht sind, an der Gestaltung mitzuhelfen.
Sie haben ein gutes Recht, wenn nach Ihrer Meinung falsche Anschuldigungen gegenüber der IG Metall erhoben werden, sie richtigzustellen. Das würde ich an Ihrer Stelle genausogut tun. Ich habe nur -- bitte nehmen Sie es mir nicht übel — die Frage, ob Sie bei Ihrer Beantwortung oder bei Ihrer Zurechtweisung nicht doch in einem gewissen Maße der Polemik erlegen sind, die im letzten Grunde die Diskussion ein wenig schwierig gemacht hat.
Das heißt auf Hochdeutsch: wenn ich das beanstande, was Sie getan haben, dann tue ich das nicht in derselben Art.
Meine Damen und Herren, als vor vielen Jahren die Einführung der gleitenden Arbeitswoche diskutiert wurde — das ist heute morgen ein paarmal angesprochen worden —, hat Walter Freitag nicht nur gesagt, das sei ein sozialpolitischer, kultureller Rückschritt, sondern er hat, ich darf das hier einmal sagen, dieses ganz brutale Wort gebraucht, die Einführung einer solchen Arbeitszeitordnung bedeute, daß der Arbeiter wieder zu einem früheren Sklavendasein verurteilt werde.
Nachdem man sich jetzt anschickt, für 17 000 Arbeiter die gleitende Arbeitswoche einzuführen, haben wir in einer Rundfunkansprache gehört, die Einführung der gleitenden Arbeitswoche sei ein wesentlicher Fortschritt auf dem Wege der Verkürzung der Arbeitszeit. Meine Damen und Herren, wenn nach den Darstellungen ,aus dem Raume der Gewerkschaften und anis den Kreisen der Arbeitgeber eine Verkürzung der Arbeitszeit sich nur mit der Einführung der gleitenden Arbeitswoche erreichen läßt, dann darf ich Ihnen trotz
allem sagen — und das müssen Sie mir abnehmen —, daß die evangelische Kirche sich bis heute noch nicht damit ,abgefunden hat, daß die Verkürzung der Arbeitszeit nur mit der gleitenden Arbeitswoche gekoppelt sein könne. Die evangelische Kirche verbleibt nach wie vor bei ihrem Nein, auch dann, wenn argumentiert wird, es sei der Wille der Stahlarbeiter, dieses Arbeitszeitabkommen realisiert zu sehen. Und wollte man von diesem Nein der Kirche zur gleitenden Arbeitswoche ableiten, daß die Kirche gegen die Verkürzung der Arbeitszeit sei, so muß ich Ihnen sagen: das wäre meines Erachtens eine Verleumdung der Kirche und eine Irreführung der Arbeiterschaft. Die Kirche spricht sich nach wie vor für eine Arbeitszeitverkürzung aus, aber — ich darf es noch einmal wiederholen — sie sieht nicht ein, daß damit die gleitende Arbeitswoche gekoppelt sein müsse.
Eine weitere Begründung, die der Herr Landesarbeitsminister für die Einführung der gleitenden Arbeitswoche gegeben hat, muß meines Erachtens nicht nur die evangelische Kirche, sondern auch die katholische Kirche bei allem Realismus gegenüber notwendigen wirtschaftlichen Bedenken geradezu als ungeheuerlich empfinden. Der Minister erklärte in seiner Rundfunkansprache: „Eine rationellere Ausnutzung der maschinellen Anlagen ist erforderlich, wenn die mit der wesentlichen Verkürzung der Arbeitszeit verbundenen Kosten tragbar werden sollen." Die kontinuierliche Arbeitsweise — so sagte der Minister — ermögliche eine solche rationelle Ausnutzung der Maschinen. Meine Damen und Herren, die Kirche — und das zeigt ihr Wort eindeutig — vermag diesem wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitsdenken nicht zu folgen. Im Gegenteil, diese Begründungen erhöhen unsere Sorge nur noch mehr; denn mit diesen Begründungen: Arbeitszeitverkürzung und rationelle Ausnutzung, ist alles gegeben, was einer Ausweitung der gleitenden Arbeitswoche Tür und Tor öffnet. Mit diesen Begründungen, Herr Minister, berauben Sie sich selbst der Möglichkeit, mit stichhaltigen Argumenten den weiteren Forderungen auf Einführung der gleitenden Arbeitswoche, etwa aus der Papier-, Chemie-, Textil-, Glas- und Zuckerindustrie, entgegentreten zu können. Was dem einen recht ist, ist dem andern mit derselben Begründung billig. Man sollte sich hier nichts vormachen und sollte nicht sagen: Ja, aber in diesen Betriebsarten sind die zwingenden technischen Notwendigkeiten nicht gegeben. Ich sage: Noch nicht gegeben. Seien Sie versichert, meine Damen und Herren: die Industrie hat es bisher verstanden, in ihren Bereichen Impulse zu erwecken, die im letzten Grunde geeignet sind, diese noch fehlenden technischen Notwendigkeiten zu schaffen, so daß man dann letzten Endes nicht in der Lage ist, solche Forderungen mit einer guten Begründung abzulehnen.
— Das können Sie ruhig tun. Ich habe bekanntlich ein sehr gutes Gedächtnis und darf Sie gleich darauf hinweisen, daß ich mich, ebenso wie jetzt, schon bei der Einführung der gleitenden Arbeitswoche für einen weitaus kleineren Kreis im Jahre 1952 dagegen ausgesprochen habe. Es bedarf also Ihrer Erinnerung absolut nicht.
Bei den Betrieben, meine Damen und Herren, die die Ausnahmegenehmigung vor Jahren unter ganz anderen Voraussetzungen erhalten haben, als sie jetzt gegeben sind, konnte man, wenn man will, die technischen Notwendigkeiten anerkennen. Damit kein falscher Eindruck entsteht, muß ich hier einmal sagen, niemand aus dem Bereich der Kirche hat sich dagegen ausgesprochen, daß für gewisse Betriebsarten, Siemens-Martin-Stahlwerke etwa, die kontinuierliche Arbeitswoche durchgeführt wird.
— Da gibt es gar nichts groß zu fragen! Ich will Sie gleich darauf aufmerksam machen, daß wir die Ausweitung, die wir damals bei der Erteilung der Ausnahmegenehmigung befürchtet haben, heute praktisch erleben. Wir vermögen nicht einzusehen, daß z. B. bei den Elektrostahlwerken und bei den Walzstraßen erster Hitze die technischen Notwendigkeiten gegeben seien, die eine Ausweitung der gleitenden Arbeitswoche erforderten.
— Meine Damen und Herren, seien Sie nur zufrieden! Ich will Sie nur auf folgendes ;aufmerksam machen. Heute morgen wurde gesagt, es handle sich um 13 500 Menschen, Wenn man dazu aber noch die vierte Schicht hinzunimmt, handelt es sich bereits um 17 000 Arbeiter, und wenn Sie dazu auch die Frauen und die Kinder zählen, handelt sich eben nicht um 17 000, sondern um 40 000, 50 000 oder gar 60 000 Menschen, die im letzten Grunde von einer solchen Arbeitszeit betroffen werden.
Darf ich Sie einmal an das wunderschöne Plakat erinnern, das man im vorigen Jahre überall sehen konnte und auf dem zu lesen war: „Vati gehört sonntags mir!" Ich bin ganz dieser Meinung.
Meine Damen und Herren! Hinter diesen Gründen: Arbeitszeitverkürzung, rationellere Ausnutzung und zwingende technische Notwendigkeiten, steht im letzten Grunde eine Argumentation, die heute wiederholt ausgesprochen worden ist. Aber weil das auch eine erhebliche Sorge im evangelisch-kirchlichen Bereich ist, möchte ich sagen, daß dahinter noch ein anderes Argument steht, nämlich das hemmungslose Streben nach höherem Gewinn.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ruhig einmal sagen, nachdem Herr Minister Hemsath sich heute morgen darauf berufen hat, er sei Metallarbeiter gewesen, daß ich das für mich ebenso in Anspruch nehmen darf. Meine Damen und Herren, in unserer Bundesrepublik bereitet sich ein Tanz um den Götzen „Lebensstandard" vor, der uns alle nur mit Angst und Sorge erfüllen kann.
Lassen Sie mich sagen: dieses hemmungslose
Trachten nach mehr Verdienst, nach höheren Gewinnen bringt eine Vergötzung der Arbeit mit sich.
— Das lassen Sie mich ruhig sagen! Ich bin der Meinung, Sie wollen mit uns immer gute Demokraten sein.
Das hemmungslose Trachten nach höheren Gewinnen — —
— Aber entschuldigen Sie, Herr Keuning, es ist doch geradezu primitiv, einem Abgeordneten, wenn er zu der Frage spricht, zu unterstellen, daß er das Abkommen selbst nicht gelesen habe.
— Sie haben wahrscheinlich nicht begriffen, daß der Arbeiter nicht betroffen ist, wenn ich hier vom hemmungslosen Streben nach höherem Gewinn spreche. Bei dem Arbeiter kann man nicht vom Gewinn reden.
Mir geht es im Prinzip darum, das einmal aufzuzeigen.
— Das geht im Grunde genommen immer so. Sie können mich da gar nicht aus dem Konzept bringen. Es ist eine sehr beliebte Methode, dem anderen den Schwarzen Peter in die Tasche zu schieben nach der Parole: Haltet den Dieb!
— Herr Keuning, ich kann Ihnen nur sagen: wir wissen sehr genau Bescheid, weil wir das immer mitpraktiziert haben. Sie waren wahrscheinlich nicht dabei.
Lassen Sie uns doch darüber leidenschaftslos sprechen, meine Damen und Herren! Haben Sie Verständnis dafür, wenn unter diesen Aspekten der Sorge, daß wir in ein derartiges Arbeitstempo verfallen, die Kirche erklärt: Wir sehen nicht ein, daß wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsgründe dafür ausschlaggebend sein sollen, eine gleitende Arbeitswoche einzuführen. Und die Kirche muß bei ihrem Nein verbleiben. Wenn sie das tut, verehrter Herr Kollege Sträter, dann spricht sie damit beileibe kein schlechtes Urteil über die von Ihnen geleistete Arbeit aus. Herr Minister, ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin mir darüber klar, daß Sie eine sehr, sehr schwere Entscheidung getroffen haben. Aber, verehrter Herr Minister, auch wenn Sie die Entscheidung in voller Verantwortung getroffen haben, so kann uns das doch nicht davon entbinden, daß wir erstens das, was wir dazu zu sagen haben, noch sagen und daß wir zweitens mithelfen, daß aus dieser Entscheidung, von der Sie selbst sagen, daß sie nicht die letzte ist, vielleicht eine bessere wird.
Nein, meine Damen und Herren, die Kirche muß bei ihrem Nein bleiben, und sie muß es auch auf die Gefahr hin, daß man sagt, sie rede in einer Sache, in der sie nicht sachkundig sei.
Im Hinblick auf den Vorwurf, meine Damen und Herren, ist es geradezu interessant, einen erteilten Rat zu hören — —
— Meine Damen und Herren, warum regen Sie sich so auf? Ich bemühe mich gar nicht, Sie ins Unrecht zu setzen!
Im Hinblick auf den der Kirche gemachten Vorwurf lassen Sie mich auch einmal auf einen ganz interessanten Rat hinweisen, den man der Kirche erteilt hat. Man hat der Kirche den Rat erteilt, sie möge doch „noch einmal ganz intensiv die Logik der Zahlen auf sich einwirken lassen." Meine Damen und Herren, nichts demonstriert treffender das Nicht-ernst-nehmen-Wollen der kirchlichen Gründe als die bedauerliche Empfehlung, sich durch die „Logik der Zahlen" von der Notwendigkeit der gleitenden Arbeitswoche überzeugen zu lassen. Diese Zahlenlogik erhärtet das Nein der Kirche und beweist einmal mehr, daß nur wirtschaftliche Zweckmäßigkeiten und ökonomische Erwägungen zur Anerkennung des neuen Arbeitsabkommens geführt haben.
Es ist heute morgen — und das kann man dem Herrn Minister Hemsath nicht verargen — sehr viel von den kommenden guten Zeiten gesprochen worden. Er muß das zunächst einmal auf Vorschuß tun; denn die Auswirkung hat er im letzten Grunde noch nicht beurteilen können. Er hat sie noch nicht vor sich. Herr Minister, die gleitende Arbeitswoche scheint aber auch schon in ihrem Anfang sehr starke menschliche Belastungen mit sich zu bringen. Lassen Sie mich einmal in diesem Zusammenhang auf den vor wenigen Tagen in Duisburg stattgefundenen Streik hinweisen. In einem Werk sah sich die Werksleitung bei der Einführung eines neuen Arbeitszeitabkommens genötigt, ein Arbeitsteam an einem Ofen von neun Mann auf sechs bis sieben Mann zu reduzieren. Diese untragbare Zumutung, daß in Zukunft sechs bzw. sieben Mann dasselbe leisten sollen, was bisher neun Mann geleistet haben, hat bei den Arbeitern gar nichts anderes aufkommen lassen, als einfach zu streiken, um sich damit selbst zu helfen und sich von dieser, auch kräftemäßig gesehen, untragbaren Zumutung zu befreien.
Dazu kommt noch — das muß man auch einmal sagen, wenn hier immer so schön von Verdienstausgleich gesprochen wird —, daß diese Leute, denen man zumutet, statt mit neun mit sechs Mann an einem Ofen zu arbeiten, im Monat 130 und mehr DM weniger verdienen sollen. Das zeigt doch, wie bedenklich die Einführung der neuen Arbeitszeitregelung ist. Zum andern wird hier deutlich — und das sage ich im Hinblick auf unseren Arbeiter, um den wir eine Sorge haben —, daß mit der gutklingenden Begründung einer Arbeitszeitverkürzung an dem Arbeiter Raubbau getrieben wird, nur damit eine rationellere Ausnutzung der Maschinen möglich ist, und daß der Arbeiter im letzten Grunde zum gutgläubigen Objekt für das Streben nach höherem Gewinn wird.
Der Rat der Evangelischen Kirche hat nach ernstester Prüfung Protest erhoben und den Landeskirchen empfohlen, alle verantwortlichen Männer und Frauen zu echter Wachsamkeit aufzurufen. Ich bin der Auffassung, daß es nicht unsachlich ist, hier die Stimme einer Kirche zu Gehör zu bringen. Wenn man schon erklärt, man habe mit den
Kirchen gesprochen, dann sollte man die Stimme der Kirche auch noch jetzt hören.
Im übrigen, Herr Minister, besagten einige Zeitungsmeldungen, daß die Arbeitszeitordnung nach Besprechungen mit Vertretern der Kirche eingeführt worden sei. So ist das nicht ganz. Man hat die Vertreter der Kirche bis zu einem gewissen Grade gehört und dann das Arbeitszeitabkommen geschlossen, ohne jedoch im letzten Grunde dem Anliegen der Kirche Rechnung zu tragen.
Die Stellungnahme, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland abgegeben hat, ist so bedeutsam — und man muß sie kennen, wenn man den Grund der Ablehnung verstehen will —, daß ich den Herrn Präsidenten bitten muß, mir zu erlauben, daß ich diese Stellungnahme hier noch einmal bekanntgebe. Dabei darf ich darauf aufmerksam machen, daß sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland die Stellungnahme der Landeskirche von Westfalen zu eigen gemacht hat. Er erklärt:
1. Die gleitende Arbeitswoche zerstört die christliche Sonntagsfeier und macht die Heiligung des Feiertages, wie sie durch Gottes Wort geboten ist, praktisch unmöglich. Der Sonntag ist der Tag der Gemeinde Jesu Christi. Er ist für die Ruhe, die Sammlung der Familie und gemeinsame Erholung unentbehrlich.
2. Der Ersatz des Sonntags durch ein gleitendes System von arbeitsfreien Tagen zerstört nicht nur die Familie, sondern auch das Leben der Gesamtheit. Wenn die Glieder einer Familie getrennt voneinander ihren arbeitsfreien Tag haben, gerät der einzelne in eine gefährliche Isolierung.
3. Das Gebot der Feiertagsheiligung ist nicht starr. Es entspringt der Barmherzigkeit Gottes und muß in der Liebe zu Gott und dem Nächsten verwirklicht werden. Die Kirche wendet sich darum nicht gegen Arbeiten, die im Interesse der öffentlichen Versorgung und der Erholung geleistet werden müssen.
— Meine Herren, ich bedaure, daß ich Sie damit langweilen muß. Aber ich bin der Meinung, Sie sollten sich das ruhig anhören.
Sonst besteht nämlich die Gefahr, daß man annehmen müßte, Sie wollten das Wort nicht hören; und das will ich nicht.
In der Stellungnahme heißt es weiter:
4. Für die Genehmigung der Sonntagsarbeit kann der wirtschaftliche oder technische Nutzen des einzelnen Betriebes nicht als hinreichende Begründung angesehen werden. Auch der Vorteil, den eine verkürzte Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn für die Arbeitnehmer mit sich bringt, darf allein nicht ausschlaggebend sein. Nur ein überzeugendes allgemeines Interesse kann Ausnahmebewilligungen für Sonntagsarbeiten legitimieren.
Meine Damen und Herren, ich will es mir versagen, zu dieser Auffassung des Rats noch mein eigenes Wort zu sagen. Ich will hier nur darauf hinweisen, daß die Evangelische Kirche im Rheinland — das wird für Sie, verehrter Herr Kollege
Sträter, wichtig sein — bereits 1948 zu diesem Problem Stellung genommen und sich gegen diese Regelung ausgesprochen hat. Sie hat also immerhin vor zehn Jahren auch schon sehr aktiv an diesen Fragen mitgearbeitet. Im übrigen hat sich diese Landessynode am 26. Oktober 1956 noch einmal dagegen ausgesprochen und erklärt, daß die Aufhebung des Sonntags der weiteren Entchristlichung des Volkslebens in stärkstem Maße Vorschub leiste. Sie warnt daher eindringlichst davor, die Sonntagsruhe durch ein über die ganze Woche wechselndes System von freien Tagen zu ersetzen. Mir klingt jetzt in den Ohren — das muß ich einmal sagen —, was Minister Hemsath erklärte. Er hat gesagt, daß der Eindruck erweckt werden sollte, man wolle den Sonntag in Bausch und Bogen abschaffen. — Nein, meine Damen und Herren, so plump sind wir in unserer Argumentation nicht. Wir sagen nur mit ganzem Ernst: Wir haben schon im Jahre 1952 vor der Ausweitung gewarnt, jener Ausweitung, Herr Minister, die die Regierung Arnold vorgenommen hat. Heute erkennen wir, daß unsere Sorge damals zu Recht bestand und daß hier eine Ausweitung gegeben ist.
Heute müssen wir in einer echten Sorge um die Ausweitung wieder einmal unser Nein sagen. Nachdem sich gezeigt hat, daß unsere damalige Sorge berechtigt war, sollte das bei Ihnen zumindest den Eindruck hervorrufen, daß auch unsere heutige Sorge berechtigt ist.
Der Württembergische Evangelische Landeskirchentag hat alle Abgeordneten angeschrieben und sie aufgefordert, das Gebot der Sonntagsheiligung zu respektieren. Er weist darauf hin, daß die Einführung der gleitenden Arbeitswoche in erschreckendem Maße die Bedrohung des Sonntags zeige. Seine Sorge, daß die Dämme, die den Sonntag schützen sollen, durch den Zwang zu kontinuierlicher Arbeit und auch durch maßloses Streben nach Mehreinkommen immer mehr untergraben werden, sollten wir uns auch zu eigen machen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch mit einem kurzen Wort auf den Vorwurf eingehen, die Kirche sei in dieser Angelegenheit nicht sachkundig. Wer die Denkschrift des Sozialethischen Ausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland eingehend studiert, die zur Frage der Arbeitszeitregelung einen konkreten Diskussionsvorschlag macht, und wer weiter den Bericht des Sozialamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen sorgfältig liest, wird auch als ernstester Kritiker kirchlicher Einwände zu der Überzeugung kommen, daß kirchliche Institutionen die Problematik des gesamten Fragenkomplexes sehr wohl und auch sachkundig zu beurteilen wissen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Es ist über die Frage der Belastung der Familie gesprochen worden. Viper manche andere Frage ist gesprochen worden, die hier noch erörtert werden sollte, ohne dem einen oder dem anderen die Schuld zuzuschieben. Es ist nämlich das Betrübliche, daß man auch hier etwas von dem Bestreben spüren muß, daß einer dem anderen den Schwarzen Peter in die Tasche schieben will. In diesem Zusammenhang ist interessant, zu hören, daß die IG Metall einmal erklärte, die Arbeitgeber seien die Initiatoren dieses Ab-
kommens. Die Arbeitgeberseite wiederum erklärte: nein, die IG Metall sei der Initiator.
In der Auswirkung ist es doch furchtbar belanglos, wer der Initiator ist. Es ist auch nicht von Belang — was der Herr Minister heute morgen wiederholt und mit starker Betonung erklärte —, daß die Ausnahmegenehmigung der Regierung Arnold eine präjudizierende Kraft habe. Es mag Ihnen helfen, daß Sie das Gefühl haben: Na ja, ich bin nicht so ganz schuldig — wenn schon einmal darüber gesprochen wird —, daß diese Ausweitung gekommen ist. — Meine Damen und Herren, wir alle miteinander, angefangen von der linken bis zur rechten Seite, wir sollten nur zusehen, daß wir eines Tages den Schwarzen Peter nicht alle in der Tasche haben.
Wir stehen in der Gefahr, dem westlichen Materialismus zu verfallen, der sich nach meiner Auffassung in nichts von seinem östlichen Rivalen unterscheidet, höchstens dadurch, daß er ab und zu so tut, als ob das Wort der Kirche, der göttlichen Ordnung noch eine Gültigkeit hätte. Wir sollten auch als Abgeordnete in diesem Hause das göttliche Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen" als eine sehr, sehr ernste Ordnung betrachten.
Dieses Gebot — und das sage ich mir selbst auch und zuallererst — gilt es mit allem Ernst zu respektieren. Wer dieses Gebot durch Gesetz oder Pläne abschafft, der muß sich sagen lassen, daß er sich vor Gott und seiner Ordnung schuldig macht, und wer diese Ordnung beseitigt, der stellt auf der ganzen Linie die Existenz des Menschen in Frage. Daran möchte ich nicht schuldig sein.
Wir sollten alles tun, damit die Ausweitung vermieden wird. Herr Minister Hemsath, wir sollten alles tun, daß es in der Frage der Arbeitszeitordnung noch einmal zu einem guten und klärenden Gespräch kommt; denn sonst vermehrt sich eines Tages die auf uns liegende Not. Wir werden Sklaven unserer Arbeit, und es könnte sich an uns in erschütternder Weise das Wort vollziehen: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und er nähme doch Schaden an seiner Seele?"