Rede von
Hans
Merten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer neu und von der Sache unbeeinflußt in diesen Saal hereinkommt, hat das Gefühl, als wenn hier ungeheure Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden müßten. Wenn man die Dinge dann auf den Ausgangspunkt zurückführt, kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Heiligung und des Schutzes des Sonntags in diesem Hause keinerlei Meinungsverschiedenheiten bestehen und daß man, um den Eindruck von Meinungsverschiedenheiten hervorzurufen, genötigt ist, Dinge zu unterstellen, die von dem, dem sie unterstellt werden, niemals behauptet und auch niemals gewollt worden sind.
Der Herr Kollege Voß hat hier soeben sehr eingehend über die Haltung der Evangelischen Kirche zur gleitenden Arbeitswoche gesprochen. Die Haltung der Evangelischen Kirche hierzu ist von der
Sache her bestimmt. Sie ist daher sachlich und wird deshalb auch von allen, die sich hiermit befassen, ernst genommen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten die jüngste Stellungnahme, nämlich die der gemeinsamen Tagung des Männerwerks und des Sozial-Ethischen Ausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland, zur gleitenden Arbeitswoche zitieren. Herr Kollege Voß hat erklärt, die Kirche habe zur gleitenden Arbeitswoche im Bereich der Stahlindustrie hundertprozentig und kompromißlos nein gesagt. In dieser Entschließung heißt es unter Punkt 1:
Es ist eine zwingende Notwendigkeit, um der
Menschen willen die bisher 53,3 Stunden in
der Woche betragende Arbeitszeit in Stahlwerken zu beseitigen, ohne durch eine Verminderung der Stahlerzeugung die Arbeitsplätze in der gesamten Wirtschaft zu gefährden.
Kommentar: Eben dies sollte durch das Abkommen, das hier in Rede steht erreicht werden. Punkt 2:
Falls dazu unter den gegebenen technischen Umständen eine Einführung der gleitenden Arbeitswoche nötig ist, sollte die Genehmigung nur befristet und in begründeten Einzelfällen erteilt werden, da anlaufende neue Verfahren der Stahlerzeugung — Blasstahl- und Rotorverfahren — möglicherweise bereits in einigen Jahren eine neue Situation schaffen können.
Nichts anderes, als was in diesem Punkte 2 von der Kirche positiv beurteilt und als möglich zugegeben wird, ist in Nordrhein-Westfalen durch dieses Abkommen geschehen. Punkt 3:
Dabei sollte versucht werden, die Schichtpläne unter besserer Beachtung des Sonntags zu gestalten.
Wir haben hier gehört — das war zutreffend daß die in Frage stehenden Stahlarbeiter bisher überhaupt keinen freien Sonntag hatten, daß sie aber in Zukunft 13 freie Sonntage haben, die eingebettet sind in 72- bis 80stündige Arbeitspausen. So ist das Anliegen der Evangelischen Kirche durch dieses Abkommen erfüllt. Solange niemand technische Mittel vorgeschlagen hat, um den Betrieb der Siemens-Martin-Elektro-Stahlöfen auf andere Weise, auch unter Berücksichtigung des freien Sonntags, durchführen zu können — —
— Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege Voß. — Gerade diese Haltung der Kirche war mit ein ermutigendes Zeichen dafür, daß man zu einer sachlichen Diskussion in dieser Frage kommen kann.
Wie ist nun die ganze Polemik möglich gewesen? Sehen Sie, meine Damen und Herren: Wenn eine Regierungspartei oder, sagen wir besser: die Regierungspartei ihrer eigenen Regierung eine Große Anfrage vorlegt, dann geschieht das doch in den seltenen Fällen, wo das vorkommt, nicht aus einem Aufklärungsbedürfnis heraus — die Aufklärung hätte man sich auch auf andere Weise verschaffen können sondern es geschieht im allgemeinen, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, zu einer schwebenden Frage vor der Öffentlichkeit, vor dem Bundestag Stellung zu nehmen.
- Sicher; aber man muß ja eine Plattform dazu schaffen, und dagegen ist nicht das geringste einzuwenden. Die Große Anfrage ist von Herrn Kollegen Sabel durchaus der Sache entsprechend begründet und vorn Herrn Bundesarbeitsminister der Sache entsprechend beantwortet worden.
Nun hat aber die Bundesregierung auf diese Große Anfrage heute nicht eine Antwort gegeben, sondern zwei, und die zweite Antwort hat nicht der Herr Bundesarbeitsminister gegeben, sondern der Herr Bundesfamilienminister, und diese Antwort sah nun schon etwas anders aus, als es durch die Sache, um die es bei der Großen Anfrage geht, geboten war. Dazu muß nun einiges gesagt werden. Vielleicht irre ich mich, aber zunächst hatte man bei dem, was der Herr Bundesfamilienminister ausführte, das Gefühl, als ob sowohl den Gewerkschaften als auch der Sozialdemokratischen Partei als auch den liberalen politischen Kräften in unserem Volk die Absicht unterstellt werden müßte, sie seien dabei, den Sonntag zu beseitigen. Und von dieser unterstellten Absicht, die durch nichts zu begründen ist
und für die nicht der Schatten eines Beweises beigebracht werden kann — —
— Der Herr Minister hat selber gesagt, daß die liberalen und sozialistischen Kräfte den Sonntag beseitigen wollten. Wenn Sie das schwarz auf weiß lesen wollen, brauchen Sie ja nur die Zeitung „Mainpost" vorn 4. Februar herauszunehmen, wo es ja auch noch einmal bestätigt wird. Der Minister nannte diese Bestrebungen einen — das Wörtchen „verbrecherisch" hat er inzwischen dementiert — Versuch zur endgültigen Entweihung und Entheiligung des Sonntags.
— Wenn ich einen Versuch mache, unternehme ich ihn doch ganz bestimmt in der Absicht, irgendeine Tatsache zu vollenden, sonst lasse ich die Finger davon.
Niemand in den Gewerkschaften, niemand in den sozialdemokratischen oder liberalen politischen Kräften dieses Hauses hatte früher oder hat heute oder hat in Zukunft die Absicht, den Sonntag zu beseitigen, den Sonntag zu entweihen, den Sonn- tag zu entheiligen. Das wissen auch Sie selbst ganz genau. Sie wissen es schon deshalb ganz genau, weil die Gewerbeordnung von 1895 aus dem Zusammenwirken von katholischen, protestantischkonservativen und sozialistischen Kräften im alten Reichstag entstanden ist. An der Haltung dieser Kräfte hat sich ,inzwischen — soweit es die sozialistischen Kräfte anbetrifft, kann ich das mit Bestimmtheit sagen, soweit es die anderen anbelangt, hoffe ich es — nicht das geringste geändert. Wenn daher jemand sagt, daß diese Absicht bestehe, dann sagt er das wider besseres Wissen. Ich glaube nicht, daß wir durch derartige Behauptungen in der Sache einen einzigen Schritt weiterkommen, es sei denn,
man beabsichtigt, mit Hilfe einer derartigen Großen Anfrage nicht etwa eine Erklärung der Bundesregierung herbeizuführen und zur Sache zu
diskutieren, sondern gewisse propagandistische Erfolge in der Öffentlichkeit zu erzielen, d. h. mit anderen Worten, Reden zum Fenster hinaus zu halten.
Der Herr Bundesminister hat, um die Haltung der sozialistischen Kräfte noch zu unterstreichen, einen Herrn erwähnt, den er als Marxisten bezeichnet hat, und zwar Proudhon. Dieser Mann war einer der erklärtesten Feinde von Marx, und Marx hat ihn immer wieder auf das schärfste angegriffen und vor der Öffentlichkeit lächerlich gemacht! Wieso das nun plötzlich ein Marxist sein soll, vermag zunächst niemand einzusehen. Es handelt sich bei M. Proudhon um einen der sogenannten utopischen Sozialisten, deren es in Frankreich damals eine ganze Menge gegeben hat und vielleicht auch heute noch gibt, die aber niemals etwas mit der sozialistischen Bewegung, sofern sie sich historisch auf Marx zurückführen läßt, zu tun gehabt haben. Aber ganz interessant bei der Auseinandersetzung Proudhon—Karl Marx ist folgendes. M. Proudhon hat eine Schrift herausgegeben, die sich „La philosophie de la misère" nennt. Marx hat eine Gegenschrift herausgegeben, wo er mit ätzendem Spott Proudhon in der Öffentlichkeit auszuschalten versuchte, mit dem schönen Titel: „La misère de la philosophie". Wenn man sich das hier angehört hat, dann könnte man noch eine dritte Schrift herausgeben mit dem Titel: „La misère du Ministre Wuermeling".
Das ist Pech; das kann passieren. Aber wir wollen deswegen versuchen, die Dinge hier in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Der Herr Minister hat erklärt, man versuche hier, den Materialismus gleichsam als ein trojanisches Pferd des Ostens in unser Volk hineinzubringen. Dieser Materialismus, vor dem wir alle in unserem Volke, in der Bundesrepublik Angst haben und der uns in seinen Auswirkungen gerade in der Bundesrepublik zu den größten Besorgnissen Anlaß gibt, ist nicht zuletzt )dadurch entstanden, daß man das Goldene Kalb des Wirtschaftswunders so verherrlicht und angebetet hat, wie das von gewissen Gruppen hier geschehen ist.
Da wir einmal beim trojanischen Pferd sind, sage ich Ihnen: Diejenigen, die hier das Goldene Kalb des Wirtschaftswunders in der Propaganda und bei allen passenden und unpassenden Ge.legenheiten immer wieder als das erstrebenswerte Ziel und den großen Erfolg herausstellen, haben das Loch in die Mauer gebrochen, durch welches dann das trojanische Pferd des Materialismus einziehen kann.
— Selbstverständlich ist der wirtschaftliche Aufschwung ein Erfolg. Aber selbstverständlich darf der wirtschaftliche Gewinn, ;der Profit niemals zum eigentlichen und zum Selbstzweck alles dessen werden, was im öffentlichen Leben geschieht. Das haben Sie ja selber in Zusammenhang mit der Heiligung des Sonntags immer wieder betont.
Sie haben immer wieder gesagt: Sonntagsarbeit lediglich, um dadurch höhere Gewinne zu erzielen, darf niemals genehmigt werden.
— Frau Kollegin Weber, selbstverständlich weiß ich, was das Sozialprodukt ist. Selbstverständlich weiß ich, daß von der Höhe des Sozialprodukts viele andere Dinge, auch in der Sozialpolitik, abhängig sind. Selbstverständlich darf das aber niemals eine Begründung dafür sein, den Gewinn als das einzige Erstrebenswerte hinzustellen, um das es in der Politik geht. Dann haben Sie die Folge, von der Herr Minister Wuermeling gesprochen hat
— aber er hat leider nicht Sie gemeint, sondern ganz andere —, daß dadurch der Materialismus gezüchtet wird — die Folgen sehen wir ja draußen — und daß durch dieses trojanische Pferd dann Gedankengänge, die wir ablehnen, vom Osten her auf uns zukommen.
Der Sonntag ist geschützt durch die Weimarer Verfassung und darüber hinaus durch die Aufnahme der entsprechenden Bestimmungen in das Grundgesetz. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, eines möchte ich Ihnen ganz klar sagen: Was den Schutz und die Heiligung des Sonntags betrifft, haben weder Sie noch irgendeine andere politische Gruppe irgendein Monopol.
Der Schutz des Sonntags ist ein ganz allgemeines
Anliegen aller Mitglieder dieses Hauses, und zwar
aus sozialethischen und aus religiösen Gründen.
— Ich muß Sie leider daran erinnern, daß die Veröffentlichung, die ich bereits erwähnt habe, mit ein Anlaß dafür gewesen ist, sich von vornherein gegen gewisse Unterstellungen zu wehren. Aber wenn Ihnen das nicht genügt, dann kann ich Sie mit einem weiteren Beispiel bedienen. Mir liegt eine Flugschrift vor: „Geordnete Arbeitszeit, geordnete Familie — Um unsere Zukunft", herausgegeben von der Schriftenreihe „Um unsere Zukunft" im Auftrage des Familienbundes deutscher Katholiken, einer Organisation, von der ich wohl nicht mit Unrecht annehme, daß sie auch dem Herrn Bundesfamilienminister nahesteht. In dieser Flugschrift heißt es:
Die Kirchen haben wahrlich genug Zugeständnisse an die Arbeitswünsche der Menschen gemacht. Selbst höchste Feiertage — Fronleichnam, Peter und Paul, Mariä unbefleckte Empfängnis — wurden auf den nächsten Sonntag verlegt. Die Sonntage lassen wir nicht verlegen. Wer sie angreift, greift Gott an.
Bis dahin gut und recht. Und nun wird unter Bezug auf die gleitende Arbeitswoche gesagt:
Diesen getarnten Bolschewismus lehnen wir grundsätzlich ab.
Diese Anmaßung des Atheismus bekämpfen wir in radikalster Weise.
Wen aber spricht man mit dieser Flugschrift an,
wer ist denn gemeint mit dem getarnten Bolschewismus und wer ist gemeint mit dem anmaßenden Atheismus? Niemand anders als der Deutsche Gewerkschaftsbund. Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, daß sich die Kollegen Sträter und andere gegen nicht ausgesprochene Unterstellungen gewehrt hätten, dann kann ich Ihren nicht helfen. Denn klarer und deutlicher kann man diese Dinge ja wohl nicht aussprechen.
Eines muß immer wieder gesagt werden- daß die Frage der Heiligung des Sonntags und die Frage des Schutzes des Feiertags eine Frage ist, die von uns unumschränkt, und zwar nicht erst seit gestern und heute, immer wieder positiv entschieden worden ist, und daß auch die Frage der gleitenden Arbeitswoche ein Schritt dahin ist, den Menschen ihren Sonntag zu verschaffen, und nicht etwa ein Schritt dahin, den Menschen ihren Sonntag wegzunehmen.
Wer in diesem Zusammenhang denjenigen, die die Frage der gleitenden Arbeitswoche so entschieden haben, wie sie nunmehr entschieden ist — und, wie ich feststellen darf, auch mit Zustimmung der Evangelischen Kirche so entschieden ist,
solange keine bessere Lösung gefunden werden kann —, anmaßenden Atheismus und getarnten Bolschewismus vorwerfen will, begeht nichts anderes als eine böswillige Verleumdung und eine Unterstellung, die an dieser Stelle niedriger gehängt werden muß.
Nun möchte ich Ihnen noch etwas sagen! Nicht nur bei Ihnen, Herr Kollege Voß, sondern auch bei den Ausführungen des Herrn Bundesfamilienministers Wuermeling hatte man oft das Gefühl, es bestehe die Absicht, ganz allgemein in unserem Arbeitsleben die gleitende Arbeitswoche einzuführen. Die Stimmen der Kirche, die Sie zitiert haben, richten sich auch gegen die allgemeine Einführung der gleitenden Arbeitswoche.
— Nein, gegen die allgemeine Einführung! — Nun frage ich Sie: wer denn in der Bundesrepublik will die allgemeine Einführung der gleitenden Arbeitswoche? Sie werden niemanden finden, der das will. Weder der rabiateste Gewerkschaftssekretär noch der profitsüchtigste Unternehmer hat die Absicht, die gleitende Arbeitswoche allgemein einzuführen. Nichts dergleichen ist vorgesehen. Alle Angriffe gegen diejenigen, die das angeblich wollen, rennen ja doch absolut offene Türen ein, weil es derartige Kräfte überhaupt nicht gibt.
Der Schutz des Sonntags hat sich Gott sei Dank durchgesetzt. Sie wissen genau, daß das — als die Gewerbeordnung entstand — gar nicht so einfach war, daß ein Mann wie Bismarck mit den politischen Kräften, die hinter ihm standen, sich dem Sonntagsschutz mit allen Mitteln widersetzt hat, und wie er dann schließlich doch gegen seinen Willen hat durchgedrückt werden können.
Aber haben wir denn überhaupt den Sonntagsschutz? Ich hatte, als ich die Große Anfrage las,
gehofft, daß bei den Punkten 6 und 7 einmal ein Wort dazu gesagt würde, wie es denn mit unserer Sonntagsarbeit ganz allgemein nun werden soll. Sie wissen doch genau — Herr Minister Hemsath hat ja die Zahl für Nordrhein-Westfalen genannt —, daß Millionen von Menschen, allein in Nordrhein-Westfalen eine Million, Sonntag für Sonntag arbeiten müssen, daß sie in der Versorgung, im Nachrichtenwesen, im Verkehrswesen, im Gaststättenwesen, in Vergnügungsbetrieben und wo auch immer arbeiten müssen, ohne daß dazu eine zwingende Notwendigkeit besteht. Wir werden jede Maßnahme der Bundesregierung und jeden Gesetzentwurf, der dazu notwendig sein sollte — über die Gewerbeordnung hinaus —, begrüßen, der diese Sonntagsarbeit, die Millionenzahlen umfaßt, einschränkt.
Dagegen spielen die 13 500 Stahlarbeiter jetzt kaum noch eine Rolle. Das läßt sich kaum noch in Prozentsätzen ausdrücken. Das muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Voß. Die Rechnung, die Sie hier aufgemacht haben, war falsch. Sie haben gesagt: Es sind 13 500, und wenn die vierte Schicht dazukommt, sind es 17 000. Die vierte Schicht ist bei den 13 500 schon dabei.
— Sie ist schon dabei, das hat Herr Minister Hemsath hier eindeutig ausgeführt. Es kann gar keine Rede davon sein, daß diese Zahl 13 500 eine getarnte Zahl wäre und daß, wenn sich die Regelung voll ausgewirkt hat, diese Zahl wesentlich steigen würde.
Bitte, helfen Sie diesen Millionen Menschen, die bis jetzt — ohne zwingende Notwendigkeit — nicht in der Lage sind, einen Sonntag zu haben. Warum hat die Bundesregierung zu diesen Punkten der Großen Anfrage nicht klipp und klar und präzise erklärt, was sie in diesen Fällen zu tun gedenkt?
Das ist nicht in der erforderlichen Klarheit geschehen, obwohl man wirklich Zeit genug hatte, sich um dieses Problem zu kümmern.
Wir stellen fest, daß — nun einmal von diesen Millionen abgesehen, deren Verpflichtung zur sonntäglichen Arbeit wir nur bedauern können — in bezug auf die 13 500 Stahlarbeiter gewisse Verbesserungen eingetreten sind. Ich zitiere nun wieder, nicht wörtlich, aber doch inhaltlich, das, was die Evangelische Kirche des Rheinlandes, die es angeht, weil es sich in ihrem Bezirk abspielt, dazu gesagt hat. Sie hat gesagt, folgende Vorteile sind da: 42 Stunden statt 52,3 Stunden, die Leute sind länger arbeitsfähig, es gibt weniger Kranke und weniger Unfälle, die Menschen haben viel mehr Zeit für ihre Weiterbildung, als sie bisher hatten, sie haben Arbeitspausen, die diese Namen wirklich verdienen, die sie in der Vergangenheit nicht hatten, und sie haben die Chance zu einer vernünftigen Freizeitnutzung, die sie in der Vergangenheit nicht hatten. Das sind die Gründe.
— Ich lese gar nicht, ich zitiere aus dem Kopf. Ich habe das gar nicht vor mir;
das weiß ich so, weil ich mich mit diesen Dingen beschäftigt habe.
Aber auch die Kirche muß sich fragen: Was haben wir denn eigentlich früher getan, als diese
Dinge noch gar nicht so selbstverständlich waren wie heute? Und die Frage der Arbeiterschaft an die Kirche lautet: Wo wart ihr denn damals, als wir um diese Dinge noch erbittert kämpfen mußten, als das keine Selbstverständlichkeit war?
— Herr Kollege Voß, diese Frage hat sich die Kirche selbst gestellt und hat erklärt: Jawohl, wir haben da Schuld auf uns geladen; das müssen wir ganz offen zugeben. Die Evangelische Kirche vergibt sich gar nichts, wenn sie das zugibt.
— Versuchen Sie nicht zu beweisen, daß die Kirche schon immer diesen Standpunkt gehabt hat. Sie hat ihn nicht gehabt. Sie hat sich jetzt zu diesem Standpunkt durchgerungen, und wir alle freuen uns darüber, daß sie das getan hat.
Die Kirche sagt zweitens, die gleitende Arbeitswoche darf nicht Regel werden, sondern sie muß die Ausnahme bleiben. Niemand hier in diesem Raume und kein Tarifpartner hat jemals etwas anderes verlangt, als daß diese Regelung eine Ausnahmeregelung ist, eine befristete Regelung, die immer wieder aufs neue überprüft werden muß, ob sie noch angebracht ist oder nicht. Die Kirche hat weiter gesagt: Wirtschaftliche Belange dürfen nicht vor menschlichen Belangen rangieren, ein Wort, das wir 100%ig unterschreiben, und niemand in diesem Hause möchte etwas anderes haben.
Es ist natürlich die Frage, die wir uns schon wiederholt gestellt haben: Sollte vielleicht die Arbeitszeitregelung durch die Bundesregierung deshalb so lange auf sich habe warten lassen, weil man gewissen wirtschaftlichen Entwicklungen — sprich: gewissen Unternehmergewinnen — nicht allzu früh die Wurzel hat abschneiden wollen? Wir wollen nicht hoffen, daß dieses Argument in diesem Zusammenhang auch nur die geringste Rolle gespielt hat. Nach ,dem, was der Kollege Sabel hier ausgeführt hat, kann das auch nicht der Fall sein. Es gibt aber wie überall böse Leute, die glauben, auch hier einen Grund finden zu können.
Die Kirche hat weiterhin erklärt: Wir sagen ein bedingtes Ja zur Regelung bei den Siemens-MartinElektrostahlwerken, weil die Situation, wie sie jetzt nach dieser Regelung in Nordrhein-Westfalen entstanden ist, besser ist als die Regelung, die bisher vorhanden war.
— Davon ist doch gar keine Rede. Kein Mensch will das ausweiten. Wer hat behauptet, daß diese Regelung ausgeweitet werden soll? Wer oder welche politische Gruppe hat in diesem Saal erklärt, daß diese Regelung ausgeweitet werden soll? Sie kämpfen ja doch einen Kampf mit einem Strohmann, den Sie sich selber aufgebaut haben; den können Sie in aller Ruhe totschlagen.
Wir können in dieser Frage heute nicht mehr tun als uns auf das Fundament stellen, das die Vergangenheit bereits gebaut hat, und nur unserer Hoffnung Ausdruck geben, daß uns alle, die die getroffene Regelung so scharf kritisiert haben,
sehr bald Vorschläge bringen, wie man dieses Problem so läsen kann, daß jedem Stahlarbeiter nicht 13, sondern 52 Sonntage im Jahr frei bleiben. Sie können sich darauf verlassen, daß die Sozialdemokraten die letzten sind, ,die einer solchen Regelung nicht freudig ihre Zustimmung geben. Aber bis jetzt haben wir nur Kritik, dagegen nichts von positiven Vorschlagen gehört, wie diese Dinge besser geregelt werden sollen.
Auch Minister Hemsath hat sich bereit erklärt, jeden Vorschlag, der eine bessere Regelung als die jetzt gefundene bringt, sofort in Erwägung zu ziehen und in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich weiß nicht, ob Sie noch mehr verlangen können.
Ich möchte zum Schluß nur noch ein Wort zitieren, das auch von der Evangelischen Kirche stammt, die am Ende ihrer Stellungnahme zu diesem Fall sagt:
Auch wir sind in Gefahr, vom Gigantismus der Technik überrundet zu werden und dabei mit Leib und Seele verloren zu gehen. Gott läßt uns noch eine Zeit, seinem Gebot zu gehorchen und in ihm seine Wohltaten zu empfangen. Wie lange noch? Keiner weiß es. Aber dies ist klar: nicht unendlich, nicht immer. Darum nützet die Stunde!