Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer voraussichtlich letzten Plenarsitzung
vor der Sommerpause .
Gestern Abend hat in Marseille ein Fußballspiel statt-
gefunden,
das die deutsche Mannschaft gerne gewonnen hätte .
Tatsächlich hat die französische Mannschaft gewonnen,
weil sie die Tore erzielt hat, die der deutschen Mann-
schaft nicht gelungen sind .
Deswegen nutze ich die Gelegenheit gerne, der Équipe
Tricolore und unseren französischen Freunden herzlich
zum Einzug in das Finale der Fußballeuropameister-
schaft zu gratulieren
und der deutschen Mannschaft zu dem grandiosen Tur-
nier, das sie in Frankreich geboten hat .
Ich will eine Bemerkung hinzufügen: Im Som-
mer 1916, vor 100 Jahren, sind sich Franzosen und Deut-
sche nicht auf Fußballfeldern, sondern auf Schlachtfel-
dern begegnet . Gewonnen hat damals niemand, aber es
gab Millionen Tote .
Das vermittelt uns die doppelt tröstliche Gewissheit,
dass es doch einen Fortschritt in Europa gibt .
Bevor wir nun in unsere Tagesordnung eintreten,
möchte ich Ihnen mitteilen, dass sich der Ältestenrat
in der gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, in der
Haushaltswoche ab dem 5 . September, also in unserer
voraussichtlich nächsten ordentlichen Sitzungswoche,
wie üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine
Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durch-
zuführen . Als Präsenztage sind wie üblich die Tage von
Montag, dem 5 . September, bis Freitag, dem 9 . Septem-
ber 2016, festgelegt worden . – Dazu stelle ich Ihr Einver-
nehmen fest .
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, müssen
wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln . Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, die zwei-
te und dritte Beratung der von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD sowie von der Bundesregierung einge-
brachten Entwürfe eines Erneuerbare-Energien-Gesetzes
von der heutigen Tagesordnung abzusetzen . Das Wort
zur Geschäftsordnung hat die Kollegin Haßelmann .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Im Namen meiner Fraktion beantrage ich,dass wir heute den Tagesordnungspunkt zum Erneuerba-re-Energien-Gesetz absetzen .
Es besteht kein unmittelbarer Zeitdruck, diese Geset-zesvorlage, die beim Kollegen Hofreiter auf dem Tischliegt – das, was ich hier habe, ist nur der Änderungsum-druck –, heute im Deutschen Bundestag zu verabschie-den . Weder im Hinblick auf den Bundesrat noch auf dieeuropäische Ebene ist die Verabschiedung eines solchenGesetzentwurfes unter dem Zeitdruck und mit der man-gelnden Sorgfalt und Prüfungsmöglichkeit für das ge-samte Parlament zu vertreten .
Deshalb beantragen wir diese Absetzung .
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Was geht dem voraus? Am Mittwoch tagten die Fach-ausschüsse des Deutschen Bundestages, federführendder Wirtschaftsausschuss . Die Koalitionsfraktionen hat-ten sich anscheinend erst Dienstagnacht auf die umfang-reichen Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzesgeeinigt
und kündigten schon mal im Obleutegespräch viele De-tailänderungen des Gesetzes an . Da kann man von vorn-herein schon mal sagen: „Vorsicht, meine Damen undHerren“; denn es ist nicht das erste Mal, dass wir dasErneuerbare-Energien-Gesetz im Deutschen Bundes-tag beraten . Ich erinnere daran: Im Juni 2014 sollte dasErneuerbare-Energien-Gesetz schon einmal durch denBundestag gepeitscht werden,
und zwar von Dienstag bis Freitag .Meine Damen und Herren, was haben wir uns damalsalles anhören müssen! Großkotzig und etwas selbstgefäl-lig
äußerte sich damals Wirtschaftsminister Gabriel, nachdem Motto, ob die Grünen nicht in der Lage seien, fünfSeiten Synopse zu 270 Seiten Änderungsanträge zu le-sen,
und dass doch alles gebongt sei, weil sein gutes Ministe-rium das vorbereitet habe . Wissen Sie, was das Resultatwar? Die Koalitionsabgeordneten machten Augen undOhren zu, zogen das Ding durch . Und kaum war das Ge-setz unterzeichnet und in Kraft, kam es zur ersten Ände-rung des Gesetzes; sie erfolgte peinlicherweise schon am22 . Juli 2014 . Die zweite gesetzliche Änderung hier imBundestag folgte dann am 22 . Dezember 2014 . Die dritteÄnderung, meine Damen und Herren, erfolgte dann am29 . Juni 2015,
die vierte Änderung am 21 . Dezember 2015 .
So viel zum Thema Schlamperei und nicht sorgfältigeArbeit im Bundeswirtschaftsministerium und im Parla-ment selbst .
Meine Damen und Herren, wer denkt, dass man aussolchen Fehlern lernt und klug wird, der hat sich gehöriggetäuscht . Am Mittwochmorgen um 9 .41 Uhr gingen beiden Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses per Mail –denn so schnell konnte die Bundestagsverwaltung garnicht arbeiten – 412 Seiten Änderungsantrag in Synop-senform ein . Die hatten ja noch Glück; denn sie hattendie Vorlage wenigstens um 9 .41 Uhr . Um 10 Uhr beganndie Sitzung .
Der Rechtsausschuss – auch kein geringer Ausschuss;er befasst sich sorgfältig mit Gesetzentwürfen – bekamdas Ganze um 10 .30 Uhr als Tischvorlage . – Meine Da-men und Herren, ich glaube, mehr Argumente braucht esnicht, um darzulegen, dass dieser Beratungsvorgang voll-kommen inakzeptabel für ein Parlament ist .
Gleich werden sicherlich von den anderen FraktionenArgumente bemüht wie:
Das hatten wir doch schon mal, das hat doch jeder schonmal gemacht, die Große Koalition, Schwarz-Gelb oderauch Rot-Grün . – Ich frage Sie mal: Sind Sie eigentlichzufrieden damit? Das Parlament wird doch nicht dadurchbesser, dass man schlechte Praxis fortsetzt, oder?
Wenn ich Sie fragen würde, wer von Ihnen das hiergelesen hat,
dann würde vielleicht ein Drittel von Ihnen aufzeigen;„verstanden“, danach frage ich erst gar nicht .
Ich gehe davon aus, dass über die Hälfte des Hauses dasDing hier überhaupt nicht gelesen hat .
Zum Abschluss . Kommen Sie mir nachher nicht wie-der mit den Argumenten, Ihre Fraktionen hätten das gele-sen . Kommen Sie mir auch nicht damit, dass wir das im-mer praktiziert haben . Das ist kein Grund, eine schlechtePraxis im Parlament fortzusetzen, und das ist ganz ein-deutig schlechte Praxis . Ich garantiere Ihnen – ich würdejede Wette eingehen –, dass Sie, unabhängig von demheutigen Beschluss, schon längst dabei sind, –
Frau Kollegin .Britta Haßelmann
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– für September, Oktober oder November die nächste
Änderung vorzubereiten; denn die ersten Fehler haben
Sie bei den Beratungen schon entdeckt .
Für die SPD-Fraktion erhält die Kollegin Christine
Lambrecht das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Haßelmann,Sie haben uns und damit auch mich gefragt, ob ich mitdem Verfahren zufrieden bin . Ich sage als Parlamentari-erin: Nein .
Es hätte auch anders laufen können, und es hätte eigent-lich auch anders laufen sollen .
Wir haben eine solche Situation in verschiedenenKonstellationen erlebt; Sie haben darauf hingewiesen .Ich bin seit 1998 dabei, und auch ich habe unterschied-lichste Konstellationen erlebt . Es ist für einen Parlamen-tarier sehr schwierig, wenn man so eine Tischvorlagebekommt . Ich kann mich noch gut daran erinnern, alsim Rechtsausschuss vom Kollegen Trittin oder von derKollegin Künast, damals als Minister, Tischvorlagen miteiner ähnlichen Dimension vorgelegt wurden .
Das ist eine schwierige Situation . Aber 400 Seiten – dasist eben von Ihnen ja genannt worden – bedeuten ja nicht400 Seiten Änderungsanträge, sondern es handelt sichum eine Synopse . Wenn man es eindampfen würde, dannwären es nur noch einige Seiten; aber es wären eben im-mer noch einige Seiten .
Es stellt sich die Frage, ob dieses Verfahren tatsäch-lich notwendig ist .
Ich sage: Ja .
Denn es gibt manchmal Situationen, in denen man einsolches Verfahren durchziehen muss .Sie wissen selbst, dass die Notifizierung Ende 2016ausläuft
und dass damit die Förderung von Erneuerbare-Energi-en-Anlagen nicht mehr möglich wäre . Mal allen Erns-tes, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das kann in diesemHaus doch wirklich niemand wollen, vor allem nichtjene, denen der Ausbau der erneuerbaren Energien amHerzen liegt .
Das hätte ich eigentlich von Ihnen erwartet .
Wir wissen, wie lange ein solches Notifizierungsver-fahren auf europäischer Ebene dauert: in der Regel fastacht Monate . Deswegen wäre es eben nicht möglich ge-wesen, zu sagen: Ach, das schieben wir auf die Zeit nachder Sommerpause . – Dann wäre Ihnen bestimmt noch et-was eingefallen . Nein, es ist notwendig, dass wir diesenSchritt gehen, damit erneuerbare Energien weiter ausge-baut werden können .Ich muss auch ehrlich sagen: Ich habe den Eindruck:Ihnen sind die sachlichen Argumente abhandengekom-men .
Deswegen machen Sie jetzt eine Geschäftsordnungsde-batte wie in vielen anderen Fällen auch . In dem parla-mentarischen Verfahren sind viele positive Änderungenerreicht worden, die auch in Ihrem Interesse sein müss-ten, wenn Sie tatsächlich am Ausbau der erneuerbarenEnergien interessiert wären .
Als Beispiel nenne ich nur: Bürgerenergiegesellschaftenmüssen jetzt 10 Prozent ihrer Anteile der Kommune vorOrt anbieten . Wozu führt das denn? Das führt zu Akzep-tanz vor Ort, und deswegen ist diese Veränderung im In-teresse der Energiewende .
Mieterstrommodelle sollen über eine Verordnung er-möglicht werden . Damit können auch die Städte von den
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Erneuerbaren erreicht werden . Außerdem können Privat-personen und kleine Unternehmen Dachphotovoltaikan-lagen weiter nach dem System der garantierten Einspei-severgütung errichten . Ich glaube, das ist ebenfalls einrichtiger Schritt, der genau durch diese von Ihnen kriti-sierten Änderungen erreicht werden konnte .Liebe Kolleginnen und Kollegen, man hätte diesesVerfahren auch anders machen können,
aber aufgrund des Zeitdrucks und der auslaufenden Noti-fizierung ist es eben notwendig.
Lassen Sie uns jetzt den Gesetzentwurf beraten und be-schließen – im Interesse des Erfolgsmodells der erneuer-baren Energien, damit sie weiter gefahren werden kön-nen .Vielen Dank .
Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke .
Herr Präsident! Wenn dieses Gesetz etwas auszeich-net, dann überstürzte Verfahren: Immer ist es eilig, essteht ein Termin an, es ist eine Notifizierung notwendigusw . Es kann ja sein, dass zu Zeiten von Rot-Grün Vorla-gen zur Energiepolitik fehlerhaft waren . Es kann ja sein,dass die Änderungsvorlagen aus der Zeit von Schwarz-Gelb oder anderen zu kurzfristig vorgelegt wurden . Undes kann auch sein, dass die Beratungen damals genau-so ungeordnet, chaotisch oder überstürzt gewesen sind .Aber trotzdem gibt es zwei Gründe, warum wir heute da-rüber reden müssen:Der erste Grund: Bei den damaligen Vorlagen ging esum einen Einstieg in die Energiewende .Der zweite Grund: Heute geht es mindestens um eineVerlangsamung, wenn nicht gar um einen Ausstieg ausder Energiewende . Das ist das Problem .
Und das ist auch der Hauptgrund, warum wir diesesVerfahren kritisieren . Dieses Gesetz ist hochkompliziert .
Das ist es schon immer gewesen . Diese Verfahren füh-ren dazu, dass noch mehr Verwirrung gestiftet wird, dassnoch mehr Verunsicherung gestiftet wird und dass sichdie Akteure und andere Initianten in diesem Bereich inZukunft mit Investitionen zurückhalten werden .
Das heißt für uns – das wird deutlich, wenn man IhrGebaren in Sachen Energiepolitik in diesem Land beob-achtet –: Es droht ein Rückschritt in die Energiewelt des20 . Jahrhunderts .
Das EEG ist in immerhin 60 Länder sozusagen expor-tiert worden oder von diesen kopiert worden, und zwarerfolgreich .
Und wir verändern jetzt permanent das EEG zu seinemNachteil .
Das halte ich ebenfalls für ein Problem, weil Sie sich da-mit aus der Reihe der Vernünftigen auskoppeln .
Ich darf daran erinnern, dass die übereilten Verfahren im-mer wieder – meine Kollegin hat das im Einzelnen minu-tiös dargelegt – zu gravierenden Fehlern geführt haben .Der letzte große Fauxpas führte sogar dazu, dass wir miteinem sogenannten Omnibusgesetz eine ganze Brancheretten mussten, nämlich die Bioenergiebauern .
Das war ein Warnzeichen, genau so nicht damit umzu-gehen .
Zum parlamentarischen Verfahren in dieser Woche:Wie gesagt, am Mittwoch, 9 .40 Uhr, kam die Vorlage .Um 10 Uhr begannen die Ausschusssitzungen .
Die Abgeordneten waren zum Teil schon unterwegs, so-dass diese Vorlage sie überhaupt nicht erreicht hat . Mitbe-ratende Ausschüsse, also nicht nur der Rechtsausschuss,sondern auch der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit, der Ausschuss für Ernährungund Landwirtschaft sowie der Ausschuss für Verkehr unddigitale Infrastruktur, hatten die Vorlage zu diesem Zeit-punkt noch nicht . Ihre Sitzungen hatten zum Teil nämlichschon längst begonnen . Das ist für die Abgeordneten na-türlich ein Problem, das ist natürlich für seriöse Beratun-Christine Lambrecht
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gen ein Problem, und das ist auch für eine Verteidigungdes EEG gegenüber der Gesellschaft ein Problem .
Wieder einmal gilt das 80 : 20-Prinzip: 80 ProzentMehrheit der Koalition, 20 Prozent für die Opposition .Es gilt: Was interessieren mich die Einwände der Opposi-tion? Was kümmern mich die Kritiken von Experten undBetroffenen?
Was soll das? Wir können es ja hier mal einfach so be-schließen! – Im Normenkontrollverfahren vor dem Bun-desverfassungsgericht haben vor allem die Vertreter derUnion darauf hingewiesen, wie wichtig und bedeutsamaus ihrer Sicht die Rolle des einzelnen Abgeordnetenist; das haben sie betont . In dem Verfahren, über das wirgerade sprechen, ist das aber umgekehrt: Das Recht deseinzelnen Abgeordneten, sich umfassend mit der Materiezu beschäftigen, sich seriös einzuarbeiten und mit seinenKollegen abzustimmen, ob das fachlich überhaupt trägt,wird von Ihnen vollkommen ignoriert . Sie legen daraufüberhaupt keinen Wert .
Die Entscheidungssouveränität des Abgeordneten warIhnen im Zusammenhang mit dem Normenkontrollver-fahren vor dem Bundesverfassungsgericht wichtig; aberin der Praxis sieht das anders aus .Ich stelle fest: Die Abgeordneten der Koalitionsfrak-tionen geben ihre Entscheidungssouveränität in diesemVerfahren vollkommen ab . Ich stelle fest, dass sie ihrerKontrollaufgabe gegenüber der Regierung nicht nach-kommen .
Um bei dem Bild zu bleiben, das der Präsident am An-fang benutzt hat: Sie laufen wieder Gefahr, ein Eigentorzu schießen .Fazit: Stimmen Sie der Absetzung dieses Tagesord-nungspunkts zu!
Für die CDU/CSU-Fraktion: Michael Grosse-Brömer .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Kollegin Sitte, es ist wirklich schade,dass Sie auch nach zweieinhalb Jahren noch nicht in Ih-rer Oppositionsrolle angekommen sind . Hören Sie docheinmal auf, zu jammern, und machen Sie inhaltliche Ar-beit, damit Sie uns beeindrucken können!
Das schaffen Sie nicht durch Geschäftsordnungsdebattenin jeder Sitzungswoche – mit Sicherheit nicht .Das, was Ihnen das Bundesverfassungsgericht zu denOppositionsrechten gesagt hat, ist doch viel interessan-ter: dass wir Ihnen als Große Koalition wesentlich mehrRechte zugestanden haben,
als Ihnen nach Ihren Wahlergebnissen überhaupt zuge-kommen wären .
Also hören Sie auf, zu jammern, und fangen Sie mit derordentlichen Arbeit an!
Der zweite Punkt: Ich bin der Kollegin Haßelmannwirklich sehr dankbar dafür, dass sie auch kurz in dieVergangenheit geschaut hat . Ich erinnere mich gerne anmeine Anfangszeit im Bundestag – allerdings nicht sogern, weil ich damals noch in der Opposition gewesenbin, hoffentlich zum letzten Mal –; ich erinnere mich anden Rechtsausschuss . Voller Spannung ging man Mitt-wochmorgen dorthin, und dann kam das rot-grüne EEGauf die Tagesordnung . Wissen Sie, was für Änderungsan-träge ich dazu bekommen habe? Dagegen ist Ihr „Zettel-werkchen“ eine Lachnummer .
Die Änderungsanträge, die damals von Rot-Grün kamen,konnte ich gar nicht allein in mein Büro tragen,
ein solcher Berg war das – obwohl es Freitag debattiertwerden sollte! Das ist die Wahrheit .
Wenn Sie von Schlamperei reden, dann erinnern Siesich einmal daran – da war ich glücklicherweise nochnicht Mitglied des Bundestages –, als es eine Gesund-heitsministerin der Grünen – Andrea Fischer – gab, die24 Seiten eines Gesetzes vollständig vergessen hatte . Daist es mir doch lieber, ich bekomme nachträglich 100 Sei-ten an Informationen, bevor 24 Seiten überhaupt nicht imGesetz vorhanden sind .
Dr. Petra Sitte
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Zu diesen Punkten kann ich Ihnen nur den Rat geben:Hören Sie auf, immer das Verfahren zu kritisieren! Ma-chen Sie inhaltliche Arbeit! Dadurch können Sie auchbeeindrucken .Im Übrigen: Die Länder, die heute über dieses Gesetzdringend abschieben wollen,
entscheiden wollen – –
– Ja, das wäre mein Wunsch, dass manche Länder beimAbschieben ein bisschen erfolgreicher wären; das istauch wahr .
Aber auch sie wollen sich mit der Energiepolitik beschäf-tigen und haben deshalb beim Bundesrat Fristverzichterklärt . Sie wollen also genau das Gegenteil von Ihnenund sagen: Wir möchten gern entscheiden . – Sie stehennämlich in der Verantwortung und können nicht als Op-position permanent rumjammern, sondern sie sagen: Wirmüssen den Bürgerinnen und Bürgern und den Unterneh-men in Deutschland Rechtssicherheit geben, damit siewissen, ob sie noch investieren sollen und wie es mit dererneuerbaren Energie weitergeht . Das ist wahrhafte Ver-antwortung in der Regierung . Die nehmen sie wahr; auchSie sind ja an Landesregierungen beteiligt . Die sehen eseben gravierend anders als Sie als Bundestagsfraktion,die hier permanent versucht, über Geschäftsordnungsde-batten in der Sitzungswoche Aufmerksamkeit zu bekom-men . Es geht auch anders .Frau Haßelmann, wenn Sie hier immer stehen und er-klären: „Ja, gut, das verstehe ich überhaupt nicht: Warumnehmen Sie denn Ihre Parlamentsrechte nicht wahr?“,sage ich Ihnen: Ich brauche von Ihnen keine Belehrun-gen, wie die CDU/CSU-Fraktion im Parlament zu han-deln hat .
Diese Kollegen prüfen die Unterlagen mit Sicherheit sogenau wie Sie .
Und wenn sie zur der Auffassung gelangen, sie könnenentscheiden, dann ist das ihre Entscheidung . Da brau-che ich von Ihnen keine Belehrungen . Wir sind keineschlechteren Parlamentarier als Sie,
und deswegen wird dieser Tagesordnungspunkt nicht ab-gesetzt, sondern sinnvollerweise heute debattiert .Vielen Dank .
Herr Kollege Grosse-Brömer, ich will mich nur verge-
wissern: Mit Blick auf den Bundesrat haben Sie nicht die
Aufsetzung weiterer Tagesordnungspunkte beantragt?
Gut, das beruhigt mich sehr, was den Ablauf unserer heu-
tigen Sitzung angeht .
Wir stimmen jetzt über den Geschäftsordnungsantrag
ab . Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
schäftsordnungsantrag abgelehnt .
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 33:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von
Ausschreibungen für Strom aus erneuer-
baren Energien und zu weiteren Änderun-
gen des Rechts der erneuerbaren Energien
Drucksache 18/8860
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung von Ausschrei-
bungen für Strom aus erneuerbaren
Energien und zu weiteren Änderungen
des Rechts der erneuerbaren Energien
Drucksachen 18/8832, 18/8972
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
Drucksache 18/9096
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU
und SPD liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über den Gesetzentwurf
werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich
keinen Widerspruch, also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Debatte und erteile dem Kollegen
Johann Saathoff für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Verännerungen mutten up een fasten Grundstahn, würde man in Ostfriesland sagen . Das heißt, Ver-änderungen brauchen einen guten Grund . Das Erneu-erbare-Energien-Gesetz braucht immer wieder Verän-Michael Grosse-Brömer
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derungen . Diese Veränderungen sind Verbesserungen .Niemand auf der Welt kann ein Erneuerbare-Energi-en-Gesetz einfach nur einmal beschließen, und damitsind die erneuerbaren Energien eingeführt . Das muss andieser Stelle einmal gesagt sein .
Der Grund für das EEG 2014 waren die Kosten, wardie Frage: Wohin werden sich die Kosten entwickeln?Wie wird sich die EEG-Umlage künftig entwickeln? Wiewird in diesem Zusammenhang die Bürgerakzeptanz derEnergiewende sein? Der Grund für das EEG 2016 oderEEG 2017, wie es jetzt heißt, ist in erster Linie die Syn-chronisation, nämlich die Synchronisation des Ausbausder erneuerbaren Energien mit dem Ausbau des Netzes inDeutschland . Das muss miteinander in Einklang gebrachtwerden . Hierbei müssen wir den Ausbaustand, den wirim Moment haben, betrachten . Das Instrument für dieseSynchronisation ist der Einstieg in das Ausschreibungs-regime . Das machen wir jetzt nach ersten Pilotversuchenin der Photovoltaikbranche – man kann sagen, dass dieseVersuche gut gelungen sind –: Mit diesem Gesetz steigenwir in das Ausschreibungsregime für Wind onshore, fürWind offshore und auch für den Biomassebereich ein .Dem Besitzer eines Einfamilienhauses, der Sorge hat,ob er auf seinem Dach jetzt noch eine Solaranlage bau-en darf oder nicht oder an Ausschreibungen teilnehmenmuss, können wir an dieser Stelle unmissverständlichzurufen, dass er natürlich von Ausschreibungen ausge-nommen ist . Wir haben einen sehr, sehr hohen Grenzwerteingeführt . Es geht nur um ganz große Dächer . Was istein großes Dach? Damit man sich das ungefähr vorstel-len kann: Das Dach zum Beispiel eines schwedischenMöbelkaufhauses wäre solch ein großes Dach .Wir steigen in die Akteursvielfalt ein . Das bedeutet,dass es für Bürgerenergiegesellschaften erleichtert wird,an Ausschreibungen im Windenergiebereich teilzuneh-men .
Sie brauchen keine Genehmigung nach dem Bundes-Im-missionsschutzgesetz . Sie brauchen im Prinzip nur zweiDinge: Flächen oder Flächenrechte und ein Windgut-achten . Dann können sie schon an der Ausschreibungteilnehmen . Nicht nur das: Sie kommen darüber hinaus,wenn sie an einer Ausschreibung teilgenommen haben,am Ende nicht mit dem Gebot, das sie abgegeben haben,zum Zuge, sondern mit dem höchsten bezuschlagten Ge-bot . Damit werden sie noch einmal erkennbar besserge-stellt . Das sind deutliche Verbesserungen gegenüber demKabinettsentwurf .Doch damit nicht genug . Wir führen auch noch einekommunale Beteiligung ein . Das heißt, Bürgerenergie-gesellschaften werden über unser Gesetz, dessen Entwurfhier vorliegt, verpflichtet, einen Anteil an die Kommune,in der der Windpark errichtet wird, abzugeben . Erst dannsind sie Bürgerenergiegesellschaften .
Das führt dazu, dass alle Bürgerinnen und Bürger be-teiligt werden, nicht nur ein paar, sondern alle, vomHartz-IV-Empfänger bis zum Millionär . Das ist sozialde-mokratische Energiepolitik .
Wir beteiligen auch Menschen, die nicht über ein ei-genes Haus oder Dach verfügen . Das Stichwort dafür ist:Mieterstrom . Ich lade Sie ein: Kommen Sie im Sommereinmal nach Ostfriesland, und schauen Sie sich dort um!Sie werden dort eine wunderbare Landschaft sehen, undSie werden sehen, dass auf jedem zweiten oder drittenHaus eine Solaranlage ist . In Kreuzberg ist das nicht derFall . Warum nicht? Weil wir das Mieterstromproblemhatten . Dieses werden wir lösen . Wir werden die Ener-giewende dadurch ein Stück weit vom ländlichen Raumin die urbanen Zentren übersetzen . Das ist gut so .
Uns wird mit diesem Gesetz auch der Einstieg in dieSektorkopplung gelingen . Wir haben in den Gebieten mitNetzengpässen die Möglichkeit, dass der Strom, der dortaus erneuerbarer Energie produziert wird, nicht abgere-gelt, zu schlechten Preisen verkauft oder gar vernichtetwird, sondern sinnvoll genutzt wird . Ich glaube, das istein guter Weg, den wir in der Sektorkopplung miteinan-der gehen . Allerdings ist es nur ein Einstieg; das mussuns allen klar sein . Mit den tatsächlichen Regelungenzur Sektorkopplung werden wir uns im Herbst sicherlichnoch einmal intensiv beschäftigen müssen .
Ich möchte mich abschließend bei meinen KollegenThomas Bareiß und Andreas Lenz herzlich bedanken .Wir haben viele Stunden miteinander verbracht, vieleRunden miteinander diskutiert und 58 Punkte miteinan-der abzuwägen gehabt . Niemand kann uns vorwerfen,wir hätten dieses Gesetz inklusive der Synopsen nichtgelesen . Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit!
Ich glaube, wir können konstatieren, dass es ein gutesGesetz ist, ein Gesetz, das wir auf dem Weg zu erneuerba-ren Energien brauchen, ein Gesetz, das uns helfen wird,unseren vorgeplanten Zielkorridor von 40 bis 45 Prozenterneuerbarer Energien in 2025 zu erreichen .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Die nächste Rednerin ist Eva Bulling-Schröter für dieFraktion Die Linke .
Johann Saathoff
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dieses Superschnellverfahren erinnert mich an die Ban-kenrettung, die hier in ähnlich hohem Tempo durchge-peitscht wurde .
Wenn es um den Einsatz von Milliarden Steuergelderngeht, werden Demokratie und Parlament ausgehebelt undunter Druck gesetzt .
Ein anderes Beispiel ist die Erbschaftsteuer, die jetztganz schnell beschlossen wurde und Firmenerben mit biszu 26 Millionen Euro schont .Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz ist es dasselbeSpiel . Wir von der Opposition haben – das wurde schongesagt – den Änderungsantrag der Regierungskoalition,diese 412 Seiten, vorgestern eine Viertelstunde vor Aus-schussbeginn bekommen . Wenn die Große Koalition et-was durchsetzen will, dann wird Druck gemacht, dannmuss es schnell gehen . Das ist die Strategie dieser Ko-alition .
Ich finde, dafür, dass Sie mit Ihrer Mehrheit von 80 Pro-zent die Rechte der Opposition mit Füßen treten, solltenSie sich wirklich schämen . Ich frage mich: Was ist dasfür ein Demokratieverständnis?
Im Wirtschaftsausschuss haben wir am Mittwoch vonsei-ten der Union gehört: Sie stimmen ja sowieso dagegen . –Das halte ich für eine Frechheit .
Mit dieser Logik braucht man der Opposition Gesetzent-würfe künftig gar nicht mehr vorzulegen, weil sie ja so-wieso dagegen stimmt . Ich frage mich: Wo sind wir hiereigentlich?
Es ist schon klar, weshalb Sie so auf die Tube drücken:Sie machen heute das erfolgreiche EEG kaputt . Sie stel-len die Ökostromförderung auf Ausschreibungen um undschaffen damit die verlässliche Einspeisevergütung fürerneuerbaren Strom ab . Das ist ein tiefer Einschnitt . Wa-rum? Weil die garantierte Vergütung und der Vorrang dererneuerbaren Energien die wichtigsten Gründe für dengroßen Erfolg dieses Gesetzes waren . Das EEG war bis-lang das erfolgreichste Klimaschutzinstrument Deutsch-lands . Man muss sagen: „war“; denn diesen Erfolg ge-fährden Sie nun . Mit dieser Reform wird Deutschlandseine Klimaschutzziele eben nicht erreichen; das bestä-tigen viele Fachleute, auch wenn Sie das immer wiedernegieren .Ein besonders großer Erfolg war auch die große Be-teiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Kom-munen an der Energiewende . Alle konnten mitreden undmitmachen . Die Energie war seitdem nicht mehr nur inder Hand der Konzerne . Auch diesen Erfolg gefährdenSie nun . Die Anbieter von Bürgerenergie werden sichaus Kostengründen weniger oder auch gar nicht an Aus-schreibungen beteiligen können . Daran ändern auch dieAusnahmeregelungen nichts . Die Energieversorgungsollen wieder ein paar wenige Großprojektierer regeln,die viel Kapital mitbringen und die kleinen Bieter an dieWand drücken . Investmentfonds kaufen am Ende allesauf .Die SPD ist ja sehr stolz, weil sie etwas für die Kom-munen getan hat .
Von den Bürgerenergieprojekten sollen an die Kommu-nen mindestens 10 Prozent abgegeben werden .
Es ist gut, die Kommunen zu beteiligen; dafür bin ichauch .
Warum aber sollen nur die Anbieter von Bürgerenergieetwas abgeben? Warum nicht auch die Großprojektierer?
Ich frage mich schon, warum da die Liebe der SPD zuden Kommunen aufhört . Genauso gut könnten die Kom-munen doch bei großen Investoren mit 10 Prozent ein-steigen . Ich frage mich: Haben Sie wenigstens darübernachgedacht?
Um die radikale Kehrtwende bei der Ökostromförde-rung zu rechtfertigen, sprechen Sie immer wieder vonexplodierenden Kosten . Das war schon 2013 und 2014bei der Kampagne gegen die EEG-Umlage so, und dasist jetzt auch wieder so . Angeblich würden die Kostenfür die Abregelung von Windkraftanlagen in den Himmelsteigen . Dass das nicht stimmt, wird zum Beispiel vomDeutschen Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt .Allerdings wird bei den sowieso schon enorm großzü-gigen Entlastungen für die stromintensive Industrie nochein dicker Batzen obendrauf gepackt – ob berechtigt odernicht, ob effizient oder nicht, das ist Ihnen wahrschein-lich egal . Die 5 Milliarden Euro für Industriestrom ziehtman den Verbraucherinnen und Verbrauchern gerne ausder Tasche . Beim Mieterstrom hingegen fehlt wieder eineRegelung; das müssen Sie einfach zugeben .Noch ein Wort zum schnellen Durchdrücken . Vor zweiTagen haben Sie in letzter Minute eine alte FDP-Forde-rung aufgenommen . Sie wollen technologieneutrale Aus-schreibungen erproben . Die Experten, die in der Anhö-
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rung am Montag danach befragt wurden, lehnten dies ab;denn es ist ein offenes Geheimnis, dass dies das Aus derPhotovoltaik wäre . Aber absurd ist es schon: Die FDP istweg, und Sie machen FDP-Politik .Die Sektgläser werden heute bei Banken, Fonds undanderen Großinvestoren klingen, aber nicht bei den Her-stellern von Solar- oder Windanlagen, auch nicht bei denBürgerenergiegenossenschaften .
Die Linke sagt: Wir stehen hinter der Bürgerenergie . Wirstehen hinter einer echten Energiewende . Deshalb lehnenwir das Gesetz ab .
Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer wirklichwill, dass die Energiewende und der europäische Binnen-markt für Energie, den wir im Gegensatz zu anderen Teil-märkten in Europa immer noch nicht haben, zum Erfolggeführt werden, der muss dafür sorgen, dass wir in derEnergieversorgung mehr Markt, mehr Wettbewerb undmehr Europa bekommen .Wir haben bereits in der letzten Sitzungswoche we-sentliche Teile des Gesetzespaketes für den Umbau neujustiert, etwa das Strommarktdesign und die damit ver-bundene Flexibilisierung auf der Nachfrageseite . DerWettbewerb funktioniert in vielen Bereichen immer nochnicht richtig . Die Angebotsseite wird zwar zunehmendflexibler, aber die Nachfrageseite ist immer noch rechtstarr . Wir haben ebenfalls die Digitalisierung der Ener-giewende eingeleitet . Heute geht es um einen weiterenwesentlichen Eckpfeiler, nämlich das EEG marktwirt-schaftlicher, wettbewerblicher und europafester auszu-richten . Es geht darum, den Weg dafür einzuschlagen,die Energiewende und den europäischen Binnenmarktendgültig zum Erfolg zu führen .Warum sind gerade im EEG Veränderungen so drin-gend notwendig? Das EEG und sein Vorläufer, dasStrom einspeisungsgesetz, gibt es nun seit fast 26 Jahren .Es ist auf der einen Seite sehr erfolgreich, was den Zu-wachs der Erzeugung von erneuerbaren Energien anbe-langt . Es ist zum Teil sogar Opfer seines eigenen Erfolgs:Der technologische Fortschritt und die Kosteneffizienzbei vielen Technologien sind deutlich schneller voran-geschritten – bei der Photovoltaik war das bereits Endeder 2000er-Jahre der Fall; jetzt erfolgt dies bei Windon shore, aber auch bei Wind offshore –, als wir uns daserhofft und vorgestellt hatten . Auf der anderen Seite wa-ren wir alle gemeinsam nicht in der Lage, die politischePreissetzung – im EEG gibt es ja eine politische Preis-setzung, keine marktwirtschaftliche – so zu verändern,dass sie mit dem technologischen Fortschritt und denFortschritten bei der Kosteneffizienz Schritt hält.Wozu hat das geführt? Das hat dazu geführt, dass derAusbau der Erzeugung in vielen Sektoren weit über demlag, was wir uns als Ausbauziele gemeinsam vorgenom-men hatten . Im Koalitionsvertrag von 2013 haben wir fürdie Windenergie Ausbaupfade festgelegt, die schon vielhöher lagen als die von fast allen Fraktionen im Ener-gieprogramm von 2010/2011 gemeinsam festgelegtenAusbauziele, die wieder explodiert sind . Das hat dazugeführt, dass unnötig hohe Kosten entstanden sind, näm-lich rund 500 Milliarden Euro an Ausgabenzusagen al-lein durch das EEG durch den Festpreis, die unbegrenzteMengengarantie und eine 20-jährige Laufzeit . 350 Milli-arden Euro dieser Ausgabenzusagen sind in den nächsten20 Jahren noch von den Stromverbrauchern abzutragen .Dass wir es trotz aller Bemühungen versäumt haben,den Netzausbau mit dem überproportionalen Anstieg derErzeugung zu synchronisieren, hat dazu geführt, dass derStrom vielfach nicht in die Verbrauchszentren abtrans-portiert werden kann, also dorthin, wo er gebraucht wird .Ganz eklatant ist die Situation in Niedersachsen . Dabeimüssen wir uns aber nicht parteipolitisch den SchwarzenPeter zuschieben: Seit wir 2009 mit dem EnLAG begon-nen haben, den Netzausbau zu beschleunigen, haben esweder die frühere noch die jetzige Regierung vollbracht,in den letzten sieben Jahren in Niedersachsen auch nureinen Meter Leitung im Übertragungsnetz zu bauen .Deshalb haben wir die Situation, dass die Offshorewind-energie, deren Ausbau wir vor zwei Jahren in diesemHause ebenfalls mit hohem Kostenaufwand beschleunigthaben, und die Onshorewindenergie nicht durch Nieder-sachsen in den Süden abtransportiert werden können .Von den mit dem Energieleitungsausbaugesetz ge-planten Vorhaben, die eigentlich bis 2011 umgesetztwerden sollten, ist heute gerade einmal ein Drittel derLeitungen fertig . Von den im Bundesbedarfsplangesetzfür den Netzausbau vorgesehenen Leitungen ist bis jetztnur 1 Prozent fertiggestellt . Das zeigt, dass das einseitigeSetzen auf Erzeugung nicht zum Erfolg führt – da könnenSie ein noch so großes Brimborium veranstalten –, son-dern es muss mit dem Netzausbau synchronisiert werden .
Wenn dies nicht erfolgt, dann entstehen Redispatchkos-ten durch die Abregelung von EEG-Anlagen im Norden –die Kosten fallen an, unabhängig davon, ob der Stromeingespeist wird oder nicht –, und im Süden oder auch imbenachbarten Österreich werden Kraftwerke hochgefah-Eva Bulling-Schröter
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ren, um das System mit der notwendigen Frequenz undSpannung aufrechtzuerhalten und die Energieversorgungzu gewährleisten .Das ist das Problem, vor dem wir stehen . Deshalb istes dringend notwendig, den Systemwechsel, der heutebeschlossen werden soll, vorzunehmen, nämlich wegvon der Preisgarantie, also von der politischen Preisset-zung, hin zu einem Ausschreibungsverfahren, mit demwir zumindest in Zukunft eine Mengensteuerung errei-chen können, damit die Preise wettbewerblich am Marktgebildet werden und wir dann die bereits erwähnten Kos-teneffizienzpotenziale, die wir bisher im System nichtheben konnten, zukünftig heben können .Das gilt gerade für Sie als Grüne und auch als Linke –Sie waren immer vehement gegen diese Ausschreibun-gen und sind es zum Teil noch heute –: Wider besseresWissen haben Sie in den letzten Jahren verhindert, dasswir den Energieumbau und die Energiewende kosteneffi-zienter gestalten und die notwendigen Änderungen vor-nehmen . Das müssen Sie sich auf Ihre Fahnen schreibenlassen .Wir wollen heute wesentliche Änderungen beschlie-ßen . Kollege Saathoff hat schon einige Punkte ange-sprochen . So wollen wir im Windonshorebereich, weildie Ausschreibungen nicht von heute auf morgen grei-fen können, notwendige Absenkungen vornehmen . Statteiner Einmalabsenkung sind Absenkungen in mehrerenStufen vom 1 . März bis zum 1 . August nächsten Jahresvorgesehen, um die unnötigen Kosten, die bisher im Sys-tem entstehen, zu senken .Ich wage eine Prognose: Es wird keine einzige Anlageweniger gebaut werden als vorgesehen . Es ist genausowie vor ein paar Jahren beim EEG 2014 . Damals habenSie, Herr Krischer, von der „Abrissbirne der Energie-wende“ gesprochen und den Untergang des Abendlandesvorausgesagt, wenn der Stichtag nicht verlängert wird .Was ist passiert? Nichts! Keine einzige Windkraftanlageist nicht gebaut worden . Alle sind gebaut worden, aber zugeringeren Kosten .
Sie machen sich schuldig, das Ganze unnötig teuer zumachen .Mit diesem Gesetz machen wir nicht nur die Energie-wende europafester . Wir sorgen auch für mehr Markt undmehr Wettbewerb und schlagen damit die richtige Rich-tung ein . Wir hätten gern noch mehr gemacht . Es ist aberwie immer beim EEG: Die Reform geht in die richtigeRichtung und ist besser als der Status quo .
Herr Kollege Pfeiffer .
Gibt es noch eine Zwischenfrage?
Nein, es gibt keine mehr . Die Redezeit ist zu Ende .
Dann komme ich zum Ende .
Wie schön .
Vielen Dank für die Anmerkung . – Es geht in die rich-
tige Richtung und ist besser als der Status quo; aber ei-
gentlich wäre noch mehr nötig gewesen . Das, was wir
heute verabschieden, war schon ein ordentliches Stück
Arbeit . Deshalb bitte ich um Zustimmung . Ich hoffe auf
breite Unterstützung nicht nur hier im Haus, sondern spä-
ter auch im Bundesrat .
Vielen Dank .
Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Mit der heutigen EEG-Novelle bremsen Sie einesder erfolgreichsten Innovations-, Export- und Beschäfti-gungsprojekte der letzten 15 Jahre aus .
Ihr Gesetz bedroht die Bürgerenergiewende, die dafürgesorgt hat, dass wir inzwischen schon bei über 36 Pro-zent Ökostromanteil sind – und dies wurde mit dembisherigen EEG, mit einer festen Einspeisevergütung er-reicht . Doch dieser Erfolg passt Ihnen offenbar nicht . Ichhabe wenig Zeit . Deshalb möchte ich nur zwei Punkteherausgreifen:Erstens . Für das Märchen, dass ausgerechnet Sie jetztdie Bürgerenergie retten, haben Sie sich selbst gelobt .Doch der Grund, warum die Bürgerenergie überhauptProbleme bekommt, ist doch Ihre vermurkste Zwangs-umstellung auf ein Ausschreibungssystem .
Erst legen Sie der Bürgerenergie zig Steine in den Weg,und dann behaupten Sie, zumindest einen davon wiederwegzurollen . Das ist doch absurd .
In den letzten 15 Jahren wurde die Hälfte der Erneuerba-ren-Anlagen von Bürgern geplant und finanziert. Bei denPilotausschreibungen für Photovoltaik ging kürzlich we-niger als 1 Prozent der bezuschlagten Leistung an Bür-Dr. Joachim Pfeiffer
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gerenergiegesellschaften . Und da trauen Sie sich allenErnstes, von Akteursvielfalt zu sprechen?
Jetzt haben Sie viel neue Bürokratie und wirtschaftlicheRisiken geschaffen . Aber besser wäre gewesen, Sie hät-ten gemacht, was die EU explizit zugesteht, nämlich dasskleine Windenergieprojekte bis 18 Megawatt gebaut wer-den können, ohne an den Ausschreibungen teilnehmen zumüssen .
Zum Thema Mieterstrom . Hier klopfen Sie sich aufdie Schulter für etwas, das noch gar nicht da ist .
Sie schreiben nur eine Verordnungsermächtigung ins Ge-setz,
dass man irgendwann theoretisch ja mal vielleicht … undDetails wären dann noch zu klären .
Wir haben doch erlebt, was mit einer solchen Verord-nungsermächtigung im letzten EEG passiert ist: nämlichnichts .
Zweitens . Sie reden die ganze Zeit davon, die Ener-giewende gerechter gestalten zu wollen . Sie tun so, alsob jede zusätzliche Windenergieanlage die Kosten derEEG-Umlage in die Höhe schießen lassen würde . Gleich-zeitig beschließen Sie aber kurz vor Toresschluss, derenergieintensiven Industrie knapp 1 Milliarde Euro zu-sätzlich an Industrierabatt hinterherzuwerfen, und zwarJahr für Jahr . Und wer bezahlt am Ende diese teuren undunnötigen Geschenke an die Industrie? Das sind mal wie-der die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher unddie kleinen Unternehmen, zum Beispiel das Handwerk .Sie nehmen es von den Kleinen und geben es den Gro-ßen . So sieht Ihre Form der Umverteilung aus .
Die Krönung bei diesen Industrierabatten ist, dass Sievon den begünstigten Industrieunternehmen nicht einmalden Hauch einer Gegenleistung verlangen . Ich fordereSie auf: Nehmen Sie doch endlich Ihren eigenen Koali-tionsvertrag ernst, und verlangen Sie von den Unterneh-men wenigstens konkrete Maßnahmen für mehr Ener-gieeffizienz. Wenn die begünstigten Unternehmen dieEnergiewende schon nicht mitfinanzieren wollen, dannsollten sie doch nicht für das Energieverschwenden be-lohnt werden, sondern wenigstens durch Energiesparenzur Energiewende beitragen .
Die große Mehrheit der Menschen in Deutschlandmöchte deutlich mehr Energiewende und mehr Klima-schutz als das, was Sie uns heute präsentieren .
Für die Bundesregierung erhält nun der Bundeswirt-schafts- und -energieminister das Wort .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Ich will wiederholen, was ich schon in der ersten Le-sung zum Thema gesagt habe . Wenn Sie nachlesen, waszum EEG 2014 von Frau Verlinden und Herrn Krischervon den Grünen sowie von den Rednern der Linksfrakti-on gesagt wurde, dann finden Sie dort fast alle Begriffe,die Sie eben gehört haben: Untergang der Energiewen-de, Ausbremsen, Stopp, Abrissbirne . – Das Ergebnis ist,dass die erneuerbaren Energien im Zeitraum von 2014bis heute mit 7,4 Prozent die größte Steigerung seit In-krafttreten des Gesetzes erfahren haben .
Wir sind insbesondere bei der Windenergie onshoreweit über dem verabredeten Korridor . Wir nähern unsfast dem Doppelten . Wir liegen bei der Photovoltaikdeutlich darunter . Da kommt immer der Hinweis, dasswir dort nicht so viel erreicht hätten . Warum? Weil wirzuvor drei Jahre lang einen Ausbau mit einem Volumenvon mehr als 7 000 Megawatt pro Jahr zu verzeichnenhatten und es dann natürlich weniger wurde .Des Weiteren wird gesagt, dass wir die Biomasse aus-bremsen, weil wir für sie weniger machen . Ich verweiseauf das, was wir zusammen mit einem grünen Minister-präsidenten 2014 beschlossen haben: Das Erneuerba-re-Energien-Gesetz hatte das Ziel, die entsprechendenTechnologien preiswerter zu machen . Es gibt eine erneu-erbare Energie, die jedes Jahr teurer geworden ist . Das istdie Bioenergie . Das ist die teuerste Form der Produktionvon erneuerbaren Energien . Angesichts eines Technolo-giefördergesetzes, das den Menschen verspricht: „Wirmachen es preiswerter“, bei dem aber am Ende eine Pro-duktionsform immer teurer wird, können Sie doch nichtso tun, als wäre das völlig egal . Es ist nicht etwa Zufall,sondern es ist gewollt, dass wir die Biomasse auf das ver-tretbare und notwendige Maß beschränken . Das ist keinKollateralschaden, sondern das wollen wir .Bei der Windenergie, der preiswertesten Form, hat-ten wir 2,5 Gigawatt als Ziel . Wir bauen, glaube ich, aufknapp 4 Gigawatt aus .Dr. Julia Verlinden
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Von dem ganzen Gerede über das Ende der Windener-gie ist – es tut mir leid, aber Sie müssen sich das anhö-ren; ich musste mir auch anhören, was Sie erzählt ha-ben – nichts wahr . Ich will einmal auf die letzten beidenArgumente von Frau Verlinden eingehen . Sie hat gesagt:Wir beenden nun das EEG, wie wir es kennen . – Ja, dasist auch dringend nötig .
Das EEG war ein Technologiefördergesetz, das eineNischentechnologie fördern sollte . Nun sind die Erneu-erbaren die bestimmende Säule des Strommarkts . Nunmüssen wir den Strommarkt fit für die Erneuerbaren unddie Erneuerbaren fit für den Markt machen. Ich versteheüberhaupt nicht, warum die Linke ein System fortschrei-ben will, bei dem Folgendes passiert: Wenn der Staatimmer die Preise für die Erneuerbaren festsetzt, rechnetjeder Marktteilnehmer aus, wie hoch er gehen kann, umsich dabei zu bedienen . Das führt zu Grundstückspacht-kosten in Höhe von 30 000 bis 40 000 Euro im Jahr proHektar . So viel verdient mancher Arbeitnehmer im Jahrnicht . Aber das wollen Sie beibehalten? Was ist denn da-ran links, wenn sich jeder bedienen kann? Was ist dasdenn für eine Debatte?
Sie machen Politik für Grundstückseigentümer und ge-gen diejenigen, die in Wohnungen zur Miete leben . Dasist, was Sie machen .
Der Mieter muss das alles bezahlen, weil er das Pech hat,kein Grundstück und kein Dach zu haben . – Sie habendoch angefangen . Ich kann auch netter, wenn Sie wollen .
Herr Gabriel, dann müssen Sie aber langsam anfan-gen, weil die Redezeit zu Ende geht .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident, dieses Mal scheint es mir nicht zu ge-lingen .Es ist doch wirklich irre, dass hier so getan wird, alsginge es um ein Ausbremsen . Das Gegenteil ist der Fall .Wir wollen, dass die Erneuerbaren in Wettbewerb treten,damit die Preiswertesten gewinnen .Nun behaupten Sie, dass die Bürgerenergiegenossen-schaften bei Ausschreibungen nicht dabei sind . Wir ha-ben drei Pilotausschreibungen im Photovoltaikbereichdurchgeführt . Das Ergebnis war, dass bei dem niedrigs-ten Preis die meisten Bürgerenergiegenossenschaften da-bei waren .
Die werben derzeit dafür; das ist auch vernünftig .Sie sprechen immer von den großen Konzernen . Wirmachen Folgendes: Jedes Unternehmen, das sich an ei-ner Ausschreibung beteiligt, muss eine emissionsschutz-rechtliche Genehmigung vorweisen . Die kostet proWindenergieanlage bis zu 100 000 Euro . Den Bürger-energiegenossenschaften erlassen wir diese Auflage. Siebrauchen ein Grundstück, auf dem die Anlage errichtetwird, und ein Windgutachten, mehr nicht . Diese Genos-senschaften haben keine Vorlaufkosten . Wir fördern sieganz besonders . Warum machen Sie den Bürgerenergie-genossenschaften denn Angst?
Sie scheinen eine ganz besondere Strategie zu verfolgen:den Leuten Angst machen, obwohl es sich um einen Aus-bau der erneuerbaren Energie handelt . Wir haben heuteeinen Anteil der erneuerbaren Energien von 33 Prozent .
– Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen um die Grundrechen-arten steht . – Wir haben heute 33 Prozent . Wir werdenim Jahr 2025 vermutlich bei über 45 Prozent liegen . Fürmich ist das ein Ausbau . Ich weiß nicht, wie Sie das se-hen .
Jetzt sagen Sie, man könne noch mehr machen . Damitignorieren Sie aber die Physik . Man kann doch nicht denAnlagenbau erhöhen, ohne zeitgleich die Netze auszu-bauen . Das geht doch nicht .
Auch ich bedaure, dass sich weder die Grünen noch ichfrüher beim Ausbau der Erdverkabelung durchsetzenkonnten . Sie und ich haben das viel länger gefordert .Deswegen will ich gar keine Schuld zuweisen . Ich hoffe,dass wir jetzt schneller vorankommen . Aber man kannin der Zwischenzeit doch nicht so viele Windparks wiemöglich bauen nach dem Motto: Je mehr, desto besser .Am Ende zahlen wir dann den Strom doppelt, einmalbeim Windmüller und, wenn der Strom nicht geliefertwerden kann, noch einmal bei einem anderen Kraftwerk,damit wir keinen Blackout bekommen . 1 Milliarde Eurokostet uns das derzeit, sagen die Unternehmen . Nach ih-ren Angaben steigt die Summe auf 4 Milliarden Euro,wenn wir nichts ändern . Wenn Sie den Unternehmennicht glauben, dann glauben Sie vielleicht dem Öko-In-stitut . Das sagt, dass die Kosten auf 2,7 Milliarden Eurosteigen, wenn wir nichts machen . Das ist ein Institut, dasIhnen nähersteht .Es ist auch nicht wahr, dass der Klimaschutz ausge-bremst wird .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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– Auf Sie kann man sich vorbereiten; das ist nicht soschwer . –
Die unabhängige Expertenkommission zum Monito-ring-Prozess „Energie der Zukunft“ sagt: Beim Ausbauder erneuerbaren Energien im Stromsektor liegt Deutsch-land auf Zielkurs .
Das ist bezogen auf das, was wir uns vorgenommen ha-ben, nämlich einen Anteil von 45 Prozent im Jahr 2025 .Sie suchen sich immer ein Gutachten, das Ihnen passt .Das ist alles .
Herr Minister, möchten Sie noch eine Zwischenfrage
der Kollegin Verlinden zulassen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Aber selbstverständlich .
Herr Gabriel, nehmen Sie zur Kenntnis, dass in dem-selben Bericht, den Sie gerade zitiert haben, auf Seite 2auch steht:Festzustellen ist, dass das zentrale Ziel der Bundes-regierung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um40 % gegenüber 1990 zu reduzieren, erheblich ge-fährdet ist .Die Expertenkommission hat im Dezember in Ih-rem Haus im Rahmen der Pressekonferenz gesagt, Siemüssten beim Strom mehr tun, weil Sie in den BereichenWärme und Verkehr nichts auf die Reihe bekommen . Esist schon seltsam, wie Sie hier Ihre eigenen Experten zi-tieren . Die Expertenkommission belegt doch eindeutig,dass Sie das Ziel, die Treibhausgasemissionen zu redu-zieren, nicht erreichen .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Frau Verlinden, Sie haben völlig recht, dass die Exper-tenkommission sagt, wir müssten mehr in den BereichenVerkehr und Gebäude machen . Sie aber behaupten, wirmüssten mehr bei den erneuerbaren Energien machen .Genau das sagt die Expertenkommission aber nicht .Übrigens: Weil die Expertenkommission gesagt hat, wirmüssten mehr tun, legen wir 13 Prozent der Braunkoh-lekapazitäten in Deutschland still . Sie hätten sich frühergar nicht getraut, das zu fordern, was wir in diesem Jahrmachen .
Sie wollten die Braunkohlekraftwerke ab 2025 stilllegen .
– Wo ist denn Ihre Gesetzesinitiative gewesen, als wirjetzt beschlossen haben, dass wir 13 Prozent Braunkoh-lekapazitäten, beginnend in diesem Jahr, stilllegen, undzwar wegen dieses Berichtes?
– Sie müssen einfach davon ausgehen, dass ich die Be-richte lese und nicht nur Einzelteile zitiere . Im Berichtsteht: Beim Klimaschutz sind wir im Bereich der erneu-erbaren Energien auf dem richtigen Weg .
Wir haben vor fünf Jahren für Erneuerbare 12 Milliar-den Euro ausgegeben . Übrigens, Frau Bulling-Schröter,das Geld kam nicht vom Steuerzahler, sondern vomStromkunden .
– Nein . Sie haben vorhin von Steuergeldern gesprochen .Es sind keine Steuergelder . – Heute geben wir für Er-neuerbare 23 Milliarden Euro aus . Ich wiederhole: Vorfünf Jahren waren es 12 Milliarden Euro, heute sind es23 Milliarden Euro .Durch die mit dem EEG 2014 einhergehenden Maß-nahmen sind wir von 24 Milliarden Euro auf 23 Milli-arden Euro heruntergegangen . Ich will gar nicht sagen,dass das zu viel Geld ist. Im Gegenteil: Ich finde, dassdas mit Blick auf die große Aufgabe von Klimaschutzund Energiewende gut angelegtes Geld ist . Aber manmuss sich dieses Betrages auch bewusst sein; denn ihnzahlen die Stromverbraucherinnen und Stromverbrau-cher in Deutschland . Dieser Betrag ist übrigens andert-halbmal so groß wie der gesamte Forschungshaushaltdes Bundes und dreimal so groß wie der Haushalt desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen undJugend von Frau Schwesig . Ich sage das nur, damit maneinmal ein Gefühl dafür bekommt, über wie viel Geldwir hier reden .Das führt natürlich dazu, dass Begehrlichkeiten ge-weckt werden, dass alle möglichen Interessen ins Spielkommen . Das macht übrigens den eigentlichen Grund fürden Umfang des Gesetzentwurfs und seine Komplexitätaus . Bei 24 Milliarden Euro oder 23 Milliarden Euro giltdas alte Motto: Geld macht sinnlich . Schlecht ist nichtder Lobbyist, der für die klassische Industrie eintritt, undgut ist nicht der Lobbyist, der für die grüne Industrie ein-tritt; vielmehr haben alle das gleiche Ziel: an das Geldanderer Leute zu kommen .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Parlament und Regierung haben die Aufgabe, dafür zusorgen, dass man nicht glaubt, dass die Summe der Ein-zelinteressen das Gemeinwohl ist .
Herr Kauder hat gestern auf all das hingewiesen, waswir geschafft haben . Dass wir in drei Jahren, ich glau-be, etwa zehn Gesetze und Verordnungen zur Energie-wende zustande gebracht haben, die die Bausteine derEnergiewende endlich ineinandergreifen lassen – vomStrommarkt über KWK, von der Braunkohle bis hin zumEEG –, ist, finde ich, ein gutes Ergebnis. Ich danke allen,die daran mit viel Engagement mitgearbeitet haben .Vielen Dank .
Ralph Lenkert ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben recht: Es ist schonirre, was hier abgeht . Vorgestern um 9 .41 Uhr erhieltenwir diesen Wälzer mit Änderungsanträgen, und 45 Mi-nuten später sollten wir darüber abstimmen .
Herr Gabriel, hier habe ich den 260-seitigen Bericht desBüros für Technikfolgenabschätzung zu den Folgen eineslanganhaltenden großräumigen Stromausfalls . Enthaltensind Empfehlungen, wie die Systemsicherheit durch de-zentrale Netzstrukturen besser gesichert werden kann .Herr Präsident, Sie gestatten, dass ich diese 260 Seitengleich Herrn Gabriel übergebe, damit er sie in der Rest-debattenzeit durcharbeiten kann .
Vielleicht begreift er dann, warum Linke und Grüne aufdezentrale Energieerzeugung setzen, auf keine Decke-lung bei der Biomasse, auf keine Deckelung bei der So-larenergie und auf keine Deckelung bei der Windkraft anLand .
Um auf die Gründlichkeit der Gesetzgebung zurück-zukommen: Der Bericht, den Sie uns übergeben haben,enthielt Fehler . In der Debatte im Wirtschaftsausschusswurde uns schriftlich ein vierjähriger Kürzungszeitraumverkündet . Die Abgeordneten der Union und der SPDerklärten uns, der Kürzungszeitraum solle fünf Jahre be-tragen . Das heißt, Sie haben nicht einmal die richtigenUnterlagen zur Verfügung stellen können . So viel zurGründlichkeit in Ihrem Ministerium .
Worum geht es bei diesem Thema, Stichwort „kleineVerschreibung“? Es geht um Hunderte Arbeitsplätze inThüringen . Es geht um 440 Arbeitsplätze in einer Zell-stoff- und Papierfabrik in Blankenstein . Es geht um Hun-derte Zellstofffabrikarbeitsplätze in Sachsen-Anhalt undin Bayern . Mit dieser Änderung kürzen Sie für die Zu-kunft schnell einmal die Frist zur Förderung dieser Werkevon zehn auf fünf Jahre . Das verkürzt deren Übergangs-frist, in der sie sich an die Wettbewerbsbedingungen, diesich verschärft haben, anpassen können . In der Vorlagestand, dass die Förderung zehn Jahre fortgesetzt werdensolle; jetzt haben Sie den Förderzeitraum – mit Degressi-on – auf fünf Jahre gekürzt . Die Kolleginnen und Kolle-gen in den Werken werden einen sehr unruhigen Sommerhaben . Sie werden Angst um ihre Jobs haben, und dasist angesichts der angeblichen Wirtschaftskompetenz vonUnion und SPD schon schäbig .
Aber das sind ja auch nur mittelständische Unternehmenund keine Großkonzerne, keine Großkunden, denen Siedie Industrieprivilegien niemals auch nur ein kleinesbisschen streichen würden .Herr Gabriel, ich kann Ihr Gejammer über die aus-ufernden Redispatch-Kosten, über die Kosten wegenÜberlastung von Stromnetzen, einfach nicht mehr hören .
Ihr Ministerium verhindert doch die Senkung dieser Kos-ten . Warum untersagt die Ihnen unterstehende Bundes-netzagentur den Einsatz einer Siemens-Software bei denÜbertragungsnetzbetreibern, die nur 300 000 Euro kos-tet, aber die von Ihnen genannten Kosten von 1 MilliardeEuro um 40 bis 50 Prozent reduzieren würde?
Warum nutzen Sie nicht, wie in Österreich, eine 24-Stun-den-Vorschau zu Netzengpässen? Damit könnten Siepreiswertere Ausgleichsmaßnahmen umsetzen und dieRedispatch-Kosten ebenfalls senken .
Wieso schieben Sie die Kosten für Reservekraftwerkeoder durch Störungen und Havarien in konventionellenKraftwerken den erneuerbaren Energien in die Schuhe?Herr Gabriel, Sie selbst schaffen die Gründe, mit de-nen Sie dann das Abwürgen der erneuerbaren Energienbegründen können, und das ist nicht in Ordnung .
Deshalb lehnt die Linke dieses „GEEBG“, das Gabriel’sche Erneuerbare-Energien-Behinderungsge-setz, ab .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Die Linke will die Unterstützung der Bürgerenergiestatt der Stützung von Großkonzernen . Wir wollen kei-ne Deckel für Photovoltaik und Windstrom . Wir fordern,die Stromsteuer von 2 Cent auf die EU-Mindesthöhe von0,1 Cent zu senken .
Herr Kollege .
Das gleicht die nächste Steigerung der EEG-Umlage
aus . Stimmen Sie unseren Vorschlägen für erneuerbaren
Strom bei stabilen Strompreisen zu! Dann klappt es mit
der Energiewende sozial und ökologisch .
Danke schön .
Nächster Redner ist der Kollege Georg Nüßlein für die
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! DieRituale bei einer EEG-Reform sind offenkundig immerdieselben . Es beginnt mit einer Geschäftsordnungsdebat-te . Das Argument ist auch immer gleich: Man hätte dasin der Kürze der Zeit nicht erfassen können . Wenn mansich die Reden der Opposition anhört, merkt man: Dasstimmt . Sie haben es nicht erfasst . Nun weiß ich nicht,ob es an der Zeit liegt . Ich will auch nicht sagen, dass esan der Auffassungsgabe liegt – überhaupt nicht –, son-dern es liegt daran, meine Damen und Herren, dass Sie esnicht verstehen wollen . Sie wollen es nicht erfassen, weilSie die Welt einfach aufteilen wollen in die einen, die fürdie Erneuerbaren, für das EEG sind, und die anderen, diedagegen sind . Sie wollen einfache Botschaften machenund, Herr Lenkert, dann auch noch einfache Lösungenanbieten . So einfach ist die Realität nicht .Ich sage hier am Anfang auch ganz klar: Wenn maninsbesondere den Grünen gefolgt wäre, wären wir heutenoch auf dem Stand von 2000, wo man die Solarenergiezu früh und zu teuer an den Markt geführt hat . Das kostetuns jährlich 10 Milliarden bis 12 Milliarden Euro . Dassind die Altlasten, die wir an dieser Stelle durchschlep-pen .
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen an dieserStelle auch nicht einfach die Schuld zuschieben . Wir ha-ben ein systemisches Problem im EEG, das ich ansons-ten – ich habe das immer wieder betont – für ein gutesGesetz halte . Wir haben das systemische Problem, dassdie Erfolgskurven Gott sei Dank steil sind, die Kostenschneller sinken, als der Deutsche Bundestag reagierenkann . Deshalb kommt es immer wieder zu Überrenditen,aktuell wieder bei der Windkraft, und deshalb waren wirbisher immer im Zugzwang, nachzusteuern . Ich gehe da-von aus, dass der Systemwechsel, über den wir heute hierreden, das ändern wird, dass wir über die Ausschreibun-gen verhindern können, dass wir nachsteuern müssen,und dass wir Überrenditen marktnah ändern können .Meine Damen und Herren, wir wollen die Energie-wende nicht stoppen . Wir wollen sie steuern; das istentscheidend . Wenn man darüber nachdenkt, ist die Not-wendigkeit, glaube ich, auch offenkundig . Allein das,was bei Windparks auf hoher See passiert – Stichwort„BorWin 3“, 700 bis 900 Millionen Euro, die die Strom-kunden für Strom ausgeben müssen, der sozusagen nichtproduziert wird, der bezahlt werden muss, aber nichttransportiert werden kann –, ist ein Schildbürgerstreich .Das können wir uns auf Dauer nicht leisten . Das wird dieAkzeptanz des EEG und damit auch der Energiewendedeutlich infrage stellen .
Deshalb ist das, was wir hier tun, intelligent, intelligentauch für die Erneuerbaren .Wer sagt, das gehe nicht, müsste Folgendes einmal be-denken: Es ist ein großer Erfolg, dass wir nach der Ein-führungsförderung, nach einem beachtlichen Zuwachsbei den erneuerbaren Energien jetzt an einen Punkt kom-men, wo wir Markt organisieren können . Wer das nichtglaubt, wer das nicht sieht, der glaubt nicht an den Erfolgder Erneuerbaren . Deshalb bin ich ein bisschen traurig,dass Linke und Grüne dem an dieser Stelle nicht folgenkönnen .Nun tun wir einiges, um zu steuern . Wir verlegen eineTranche der Offshoreprojekte in die Ostsee, weil wir zu-versichtlich sind, dass wir den Strom dort tatsächlich indie Netze bekommen . Wir weisen Netzengpassgebietedort aus, wo es zu viel Wind und zu wenig Leitungengibt . Wir sorgen für eine Einmaldegression bei Windonshore, um den Übergang zu den Ausschreibungen rich-tig zu schaffen . Das sind alles notwendige Dinge . Aber,meine Damen und Herren, das ist auch ein Hinweis andie, die Windenergie produzieren, dass es jetzt höchsteZeit ist, Netze auszubauen .Ich weiß, wenn man das als Bayer sagt, dann kommensofort Anwürfe, wir hätten da doch verzögert, und wasauch immer .
Ich sage Ihnen: Wir haben etwas anderes gemacht . Wirhaben erstens dafür gesorgt, dass die Verkabelung auf dasnotwendige Maß reduziert wird .
Wir haben zweitens dafür gesorgt, dass sich Erdverka-belung durchsetzt . Das wird der Akzeptanz helfen . Unddrittens sage ich: Wenn Sie sich anschauen wollen, wiedas richtig umgesetzt wird, dann können Sie auch nachBayern kommen . Stichwort „Thüringer Strombrücke“ –Ralph Lenkert
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die bayerische Wirtschaftsministerin sitzt dort auf derLänderbank; die kann Ihnen das beschreiben –, beispiel-gebend auch für andere Bundesländer .Ich kann insbesondere den Niedersachsen nur emp-fehlen, dem zu folgen, meine Damen und Herren . Dennwenn sich da nichts ändert, dann wird es eng, nicht nur inNiedersachsen, sondern insbesondere bei der Frage, wiewir zukünftig in Schritten die Erneuerbaren ausbauenkönnen .Ich will Ihnen sagen, es geht uns ganz erkennbar umdie Sache . Da ist das Thema Biomasse ein gutes Beispiel .Die Biomasse scheint ein ungeliebtes Kind zu sein . DieVaterschaft dafür – ausgenommen die CSU – wird mitt-lerweile von allen Parteien geleugnet . Alle machen sichan dieser Stelle sprichwörtlich vom Acker, obwohl Bio-energie speicherbar ist, obwohl wir erkennen können,dass wir für die Energiewende genau einen solchen Bei-trag brauchen .In den Debatten haben ein paar so getan, als sei dasThema Biomasse ein bayerisches Hobby . Dazu muss ichIhnen sagen: Ein Drittel der Biogasanlagen liegt in Bay-ern . Das heißt im Umkehrschluss, zwei Drittel müssenanderswo liegen . Deshalb ist es richtig und wichtig, dasswir uns für dieses Thema immerhin noch starkgemachthaben und mit diesem Erneuerbare-Energien-Gesetz dieBotschaft senden, dass es für die Bestandsanlagen einenAnschluss gibt, dass es weitergeht .
Das halte ich für ganz wichtig, insbesondere als Bot-schaft in eine Branche, nämlich in die Landwirtschaft,die momentan schwer gebeutelt ist . Die Landwirtschaftsagt uns ja: Uns mit eurer politischen Irrlichterei in dieInvestitionen zu führen und dann zu sagen: „Braucht mannicht“, das ist ein falscher Ansatz . – Deshalb war es mirwichtig, dass wir an dieser Stelle tatsächlich zu wichtigenund richtigen Perspektiven kommen .Weitere Beispiele dafür, dass wir es mit der Energie-wende ernst meinen, wurden hier schon angesprochen .Bürgerenergie und Akteursvielfalt sind ein wichtigesThema; denn wir wollen die Bürger schon noch bei derStange halten, und wir sehen, dass Ausschreibungen denNachteil haben, dass man nicht steuern kann, wer amSchluss den Zuschlag bekommt . Deshalb haben wir da,glaube ich, die richtigen Weichen gestellt, dass Bürge-renergiegesellschaften ohne große Vorlaufkosten bietenkönnen und dann auch eine gute Aussicht haben, privile-giert beteiligt zu werden .Das Thema Mieterstrom wurde angesprochen . Es gehtdarum, den Strom aus erneuerbaren Energien in die Städ-te zu bekommen . Ich weise darauf hin, dass das ein Mo-dell für beide Seiten ist, nicht nur für die Mieter, sondernauch für die Vermieter . Das ist etwas, was der Vertrags-freiheit von Mietern und Vermietern unterliegt . Da habenwir noch Defizite, und da muss sich etwas ändern.
Wir haben beim Thema „zuschaltbare Lasten“ dafürgesorgt, dass Windstrom, der eigentlich abreguliert wird,fossile Brennstoffe in KWK-Anlagen ersetzt . Da spartniemand Geld, aber es macht ökologisch und, wie ichmeine, auch volkswirtschaftlich Sinn, so etwas zu tun .Apropos Volkswirtschaft: Ich halte es für richtig, dasswir die besondere Ausgleichsregelung aufrechterhaltenhaben, dass wir dafür Sorge getragen haben, dass dieje-nigen Unternehmen, die bisher, weil sie energieintensivsind, Ausnahmen genossen haben, in diesem Bereichbleiben, nicht zu tief nach unten fallen . Es geht hier da-rum, Deutschland aufgrund der hohen Kosten nicht zudeindustrialisieren . Ich glaube, wir haben auch hier ei-nen guten Weg beschrieben, wie wir der Industrie helfenkönnen – nicht nur den neuen Unternehmen, die beimThema Offshore entstehen, sondern auch den etablierten,die trotz hoher Energiekosten hierbleiben und weiter in-vestieren sollen .
Wir werden uns in der Tat – irgendjemand hat gefragt:wie geht es weiter? – im Herbst noch einmal über dasThema Eigenstromproduktion unterhalten müssen undauch über die Frage: Unter welchen Umständen kannman das zulassen, und wie kann man diese fördern? Dawird es die üblichen Diskussionen mit Brüssel geben .Auch das ist ein Thema, das uns wichtig ist . In diesemZusammenhang will ich darauf hinweisen, dass wir auchmit dem Bundesfinanzminister zu Recht kontroverseDiskussionen über die Frage der Stromsteuer führen;denn ich sehe überhaupt nicht, dass wir hier eine Dop-pelförderung haben .
Wenn jemand erneuerbaren Strom produziert, dannverkauft er den einen Teil, der nach dem EEG gefördertwurde, und verbraucht den anderen Teil, der nicht geför-dert wurde, selber . Diesen Strom kann man ohne Proble-me von der Stromsteuer befreien, so wie das bei vielenseit Jahrzehnten der Fall ist . Ich spreche an dieser Stelleinsbesondere die Mühlenbetriebe an, die seit ewigen Zei-ten diesen Strom selber produzieren und selber verwen-den .
Herr Kollege .
Sie können deshalb zu Recht darauf pochen, dass das
in Zukunft weiter so bleiben und Bestand haben darf .
Sie müssen bitte zum Ende kommen .
Ich komme zum Schluss meiner Rede, Herr Präsi-dent . – Sie sehen: Wir haben hier einen wohlabgewoge-nen Entwurf vorgelegt, von dem ich meine, dass auchDr. Georg Nüßlein
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Sie von der Opposition ihm zustimmen sollten, weil erSinn macht, weil er die Akzeptanz erhöht und weil er beiweitem nicht so schlimm ist, wie Sie hier den Eindruckerwecken wollen .Vielen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Am vergangenen Dienstag, beim PetersbergerKlimadialog, hat die Kanzlerin noch davon schwadro-niert, dass man beim Klimaschutz Verantwortung über-nehmen müsse . Am Mittwoch hat die Umweltministerindann zugegeben, dass man in der nächsten Legislaturpe-riode den Deckel in Höhe von 45 Prozent beim Ausbauder erneuerbaren Energien wegnehmen muss, um dieKlimaschutzziele zu erreichen . Heute, zwei Tage später,beschließen wir ein Erneuerbare-Energien-Gesetz, mitdem man nach Einschätzung aller Experten ebendieseKlimaschutzziele nicht erreichen kann .
Wissen Sie, Herr Gabriel, wir haben in der Vergangen-heit schon immer davor gewarnt, dass Sie sich zur Ab-rissbirne der erneuerbaren Energien entwickeln . WennSie nun behaupten, dass nichts passiert sei, dann ist dasgegenüber all den Menschen, die ihre Arbeitsplätze ver-loren haben, schlichtweg zynisch .
Wenn Herr Pfeiffer und die CDU davon sprechen, dassnichts passiert sei, wenn die Sozialdemokraten davonsprechen, dass nichts passiert sei, aber fast 40 000 Men-schen ihre Arbeitsplätze verloren haben, dann ist dasnicht nur eine Frechheit gegenüber dem Klimaschutz,sondern dann ist das, finde ich, auch eine Armutserklä-rung der Sozialdemokraten . Und deshalb: Hören Sie auf,davon zu sprechen, dass hier nichts passiert wäre!
Nachdem Sie bereits die Bioenergie gestoppt haben,nachdem Sie die Photovoltaik in den Bankrott getriebenhaben und nachdem Sie Unmengen von Menschen in dieArbeitslosigkeit getrieben haben, nehmen Sie sich jetztdie Windkraft vor, die letzte verbleibende erneuerbareEnergie, die noch floriert. Und damit Sie sich auch ganzsicher sein können, dass Sie die auch noch plattmachenkönnen, haben Sie sich allein für die Windkraft insge-samt vier Deckel ausgedacht: Neben dem Gesamtdeckelfür die erneuerbaren Energien haben Sie sich noch zweiDeckel für die Windkraft auf See und noch einmal zweifür die Windkraft an Land ausgedacht . Und damit derletzte Rest von Leben, der in der Photovoltaik und derBioenergie noch drinsteckt, entweicht, haben Sie sichnoch einmal drei Deckel für die Photovoltaik ausgedachtund zwei Deckel für die Bioenergie . Insgesamt sind esalso zehn Deckel, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-gien stoppen sollen . Das ist doch absolut unverantwort-lich . Ich verstehe nicht, wie Sie als Sozialdemokraten dasmitmachen können .
Es wird immer gesagt: Ja, selbstverständlich mussder Netzausbau mithalten mit dem Ausbau der erneuer-baren Energien . – Das ist logisch; das ist richtig . AberSie begründen den Stopp des Ausbaus der erneuerbarenEnergien, den Abbruch in manchen Bereichen, wie zumBeispiel in der Nordsee, wie das die Küstenländer be-reits befürchten, sozusagen mit Ihrer eigenen Unfähig-keit . Weil Sie jetzt schon wissen, dass Sie in den nächstenJahren nicht in der Lage sind, die Netze vernünftig aus-zubauen, müssen Sie bereits jetzt Gesetze machen, umden Ausbau der erneuerbaren Energien zu verlangsamen .Wie wäre es denn, beim Netzausbau anstatt auf die ei-gene Unfähigkeit auf die eigene Fähigkeit zu setzen undzu sagen: „Ja, die Netze müssen ausgebaut werden, unddeswegen strengen wir uns jetzt endlich an“?
Es gäbe durchaus Möglichkeiten, die Netze schnellerauszubauen . Es gibt noch weitere Möglichkeiten . Wasverstopft denn die Netze? Die Netze werden unter ande-rem vom Kohlestrom verstopft .
Man könnte einfach einen Ausstiegsplan für die Kohlemachen .
Dann sprechen Sie immer über Ihre Redispatchkostenvon 1 Milliarde Euro . Wir haben nachgefragt, woher diekommen . Ja, woher kommen die? Die kommen ganz er-heblich auch aus den fossilen Kraftwerken . Ja, dann än-dern wir halt etwas bei den fossilen Kraftwerken .
Dann zu den 4 Milliarden Euro zukünftige Redispatch-kosten . Woher kommt denn die Zahl? Wir haben bei derBNetzA nachgefragt . Die BNetzA sagt: Diese Zahl habenwir uns ausgedacht .
Es gibt bei denen überhaupt keine Vorstellung davon, wo-her diese Zahl kommt . Also deshalb: Ein bisschen mehrSeriosität in diesem Bereich würde dem Ganzen guttun .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemo-kratie, wenn Herr Gabriel hier steht und jammert, dassBürger und Kommunen bis jetzt an der Energiewendeverdient haben und der Rest der Menschen das bezahlenDr. Georg Nüßlein
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muss, dann stimmt das . Aber wie war es denn vorher?Da haben alleine wenige Großkonzerne die Leute abge-zockt . Ich frage mich schon, was Sozialdemokraten sinn-voller finden: dass weiter vier Großkonzerne – das habenSie jetzt wohl vor; das Ganze ist nämlich vor allem einGroßkonzerne-Rettungsgesetz – zukünftig abzocken sol-len oder ob wir weiter eine Energiewende haben, wovonviele Menschen profitieren können? Ich frage mich: Waswäre denn sozialdemokratischer?
Zum Mieterstrommodell . Ja, das Mieterstrommodellmuss dringend umgesetzt werden . Das ist richtig . Aberhier haben wir wieder das schöne Modell, dass eine Ver-ordnungsermächtigung drinsteht . Bis jetzt haben wir er-lebt, dass bei den Verordnungsermächtigungen noch nieetwas Vernünftiges herausgekommen ist . Wir werdeneuch genau auf die Finger schauen, ob ihr diesmal aus-nahmsweise etwas Vernünftiges macht .Deshalb: Wir brauchen einen Neustart der erneuerba-ren Energien, wir brauchen einen Neustart, wir braucheneine Energiewende 2 .0 . Das ist dringend notwendig . Manmuss Frau Hendricks recht geben .
Herr Kollege .
Nach 2017 kommen wir hoffentlich zum Erneuerba-
re-Energien-Gesetz, bei dem diese Deckel herausfliegen;
denn das ist notwendig .
Bernd Westphal ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Kollege Hofreiter, Sie müs-sen schon bei der Wahrheit bleiben . Sie haben gerade an-geführt, dass der Arbeitsplatzverlust in der Solarindustriedem EEG zu verdanken ist . Das ist absolut falsch .
Sie wissen wie alle hier im Raum, dass die Importe vonbilligen Solarpanels aus China dazu beigetragen haben,dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig war . Deshalb sinddie Arbeitsplätze weggefallen . Das ist Demagogie, wasSie hier betreiben . Das, was Sie behaupten, haut vorneund hinten nicht hin .
Im Gegenteil . Wir beraten heute abschließend denwohl wichtigsten Baustein für die energiepolitischeZukunft Deutschlands in dieser Legislaturperiode . DieEnergiewende basiert auf dem Zieldreieck: sicher, sauberund bezahlbar . Diesem energiepolitischen Dreieck wol-len wir gerecht werden . Deshalb haben wir den Vorrangder Erdverkabelung, die Neugestaltung des Strommark-tes, die Digitalisierung der Energiewende, den Ausbauder Kraft-Wärme-Kopplung und das Fördern von Elekt-roautos auf den Weg gebracht . Ich bin Sigmar Gabriel alsBundesminister und dem Ministerium sowie allen Kolle-ginnen und Kollegen der Regierungskoalition dankbar,dass wir das hinbekommen haben . Damit hat die SPDallein in dieser Legislaturperiode gleich mehrfach unterBeweis gestellt, dass sie eine wichtige Antriebskraft die-ser Energiewende ist . Die SPD kann Energiewende, siemacht Energiewende . Das nennt man Fortschritt, meineDamen und Herren .
Das EEG 2016 fügt sich inhaltlich nahtlos in den bis-herigen energiepolitischen Fortschritt ein . Es führt anzwei Stellen zu einem großen Paradigmenwechsel: aufder einen Seite die Umstellung auf Ausschreibungen,auf ein marktwirtschaftliches Instrument, auf der ande-ren Seite das Ziel der Synchronisierung des Ausbaus derErneuerbaren mit dem Netzausbau . Das, was wir an Aus-baupfaden festgelegt haben, wird dazu beitragen, Klima-ziele zu erreichen .Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wiruns Anarchie im Ausbau der Erneuerbaren nicht mehrleisten können .
Wir beenden den Wettlauf der Einzelinteressen, kurz:Wir bringen die Energiewende auf die Spur, damit in Zu-kunft erfolgreich zu Ende geführt werden kann, was wiruns dort vorgenommen haben . Ein Abwürgen der Ener-giewende sähe völlig anders aus . Das, was hier von denOppositionsfraktionen behauptet wird, ist völlig falsch .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müs-sen genau diese Veränderungen vornehmen, weil wir imAusland Nachahmer für die erfolgreiche Energiewendefinden wollen. Nur so wird das funktionieren. Energiepo-litik ist auch Wirtschaftspolitik . Sie schafft wichtige Vo-raussetzungen für Investitionen und Vertrauen von Un-ternehmen ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern .Um diesem Vertrauen gerecht zu werden, brauchen wirPlanbarkeit und Berechenbarkeit . Das schaffen wir mitden Ausbaupfaden, das schaffen wir mit dem EEG 2016 .Gleichzeitig sind erneuerbare Energien ein wichtigerIndustriezweig geworden, der sich auch aufgrund desEinsatzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,durch das Know-how, die Entwicklungen und die Inno-vationen, sehr gut entwickelt hat . Um die Wettbewerbs-fähigkeit und die Arbeitsplätze zu erhalten, brauchen wireinen starken und verlässlichen Heimatmarkt . Insofernsichern wir mit dem EEG 2016 die Basis für Innovatio-nen hier im Land, aber auch die Option auf Exporte . Wirbrauchen die Energiewende für unsere industrielle Basis,für erfolgreiche Wertschöpfung und für die PerspektiveDr. Anton Hofreiter
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auf weitere Arbeitsplätze in den entsprechenden industri-ellen Strukturen auch in Norddeutschland .Gleichzeitig gilt es aber auch, die Wettbewerbsfä-higkeit für die Industrie und die Bezahlbarkeit für dieVerbraucherinnen und Verbraucher zu sichern . Eine De-karbonisierung darf eben nicht zur Deindustrialisierungführen . Die SPD ist die Partei, die diese schwierige Ba-lance in der Vergangenheit bereits gemeistert hat, und daswerden wir auch in Zukunft tun .Lassen Sie uns mit dieser Energiewende gemeinsamGeschichte schreiben . Wir brauchen die Energiewendefür unsere Zukunft; denn nur mit ihr haben wir eine . Ichbitte um Zustimmung zum Gesetz .Herzlichen Dank und Glück auf!
Letzter Redner ist der Kollege Andreas Lenz für die
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutezu beschließende Reform des EEG bedeutet einen wirkli-chen Systemwechsel – so weit sind wir uns einig . Künftigwird die Einspeisevergütung nicht mehr hier im Bundes-tag festgelegt, sondern vom Markt bestimmt . Strom auserneuerbaren Energien soll in der Höhe vergütet werden,die für einen wirtschaftlichen Anlagebetrieb notwendigist. Wir schaffen damit mehr Kosteneffizienz beim Aus-bau der Erneuerbaren, und diese brauchen wir auch .Gerade die Synchronisierung des Ausbaus der Erneu-erbaren mit dem Netzausbau ist von kaum zu überschät-zender Bedeutung . Es hilft uns nichts, wenn wir zwareinen hohen Zuwachs an Erneuerbaren im Strombereichhaben, aber keine Leitungen, über die der Strom abtrans-portiert werden kann .Übrigens kommen wir gerade im rot-grün regiertenNiedersachsen mit dem Netzausbau immer noch nichtvoran . In Bayern läuft es mittlerweile . Insofern ist esschön, dass die bayerische Wirtschaftsministerin hier an-wesend ist .
Vielleicht liegt da der Grund, warum der niedersächsi-sche Minister nicht hier ist, aber die bayerische Ministe-rin schon . Das ist ein Beispiel für funktionierendes Re-gierungshandeln .
Wegen der Situation beim Netzausbau werden wir be-stimmte Regionen als Netzengpassgebiete ausweisen, indenen der Ausbau der Windenergie begrenzt wird . Das istein wichtiger Schritt dahin, dass künftig bei der Standort-wahl die Netzsituation stärker berücksichtigt wird, damitder Netzausbau insgesamt vorankommt .Ich fühle mich in der heutigen Debatte bei einigenWortbeiträgen um zwei Jahre zurückversetzt . BeimEEG 2014 hieß es: „Abbruchveranstaltung“, „Abrissbir-ne“, „ein Anschlag auf die Energiewende“ . Das alles hatdamals Herr Krischer gesagt . Heute wurde anscheinendHerr Krischer durch Herrn Hofreiter ausgewechselt, aberdas macht die Sache insgesamt natürlich nur unwesent-lich besser
– oder überhaupt nicht besser . Diese Untergangsszena-rien helfen uns nicht weiter, wenn wir bei der Energie-wende vorankommen wollen . In Wirklichkeit ist es dochso, dass Sie mit Ihren unrealistischen Forderungen undVorstellungen die Energiewende gefährden . Wir hinge-gen wollen die Energiewende zukunftssicher machen .An dieser Stelle möchte ich mich bei den Bericht-erstattern, bei Herrn Saathoff, aber auch bei ThomasBareiß, bedanken . Ich möchte betonen, dass wir einenWirtschaftsminister haben, der beim Thema Energie-wende ganz bei der Sache ist und nicht über den Din-gen schwebt, auch wenn man nicht immer zu denselbenSchlüssen kommt . Das ist auf jeden Fall ein Vorteil in derDebatte . Das hat der Minister in der letzten Ausschusssit-zung auch noch einmal bewiesen .
Wir wahren mit der Reform die Akteursvielfalt . DieAkzeptanz der Energiewende hängt auch von der Mög-lichkeit der Bürger ab, sich an der Energiewende zu be-teiligen . Natürlich muss sich auch die Bürgerenergie demWettbewerb, dem Markt stellen . Ich glaube, dass die Bür-gerenergie das auch kann . Wir haben hier eine gute Lö-sung gefunden . Bürgerenergieprojekte erhalten, wenn siebei einer Ausschreibung den Zuschlag bekommen, denPreis des letzten bezuschlagten Gebots; sofern möglich,müssen 10 Prozent der Anteile der jeweiligen Kommuneangeboten werden .Bei der Photovoltaik gilt eine Bagatellgrenze von750 Kilowatt, das heißt, Betreiber von Anlagen, derenLeistung kleiner als 750 Kilowatt ist, müssen sich nichtan den Ausschreibungen beteiligen . Ich halte das für fol-gerichtig und aus Praktikabilitätsgründen auch für gebo-ten .
Ab einer Größenordnung von 600 Megawatt wird beider Photovoltaik zukünftig ausgeschrieben . Dabei gilt,dass die Freiflächen auf Äckern und Feldern nur infragekommen, wenn das jeweilige Bundesland eine entspre-chende Verordnung erlässt . An dieser Stelle muss manauch ansprechen, dass es ein Unding ist, dass für Pho-tovoltaikfreiflächen gleichzeitig Ausgleichsflächen bean-Bernd Westphal
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sprucht werden müssen . Es muss sich also auch in derBundeskompensationsverordnung etwas ändern .
Um meine Sicht ganz klar zum Ausdruck zu bringen:Photovoltaik gehört zunächst aufs Dach, höchstens nochauf Konversionsflächen des Bundes, aber eben nicht auflandwirtschaftlichen Nutzgrund .
Der Beginn der Degression bei der Geothermie wirdum ein Jahr auf den 1 . Januar 2021 verschoben . Das istaufgrund der von den Projektierern vielfach nicht ver-schuldeten planungsrechtlichen Verzögerungen auch ge-rechtfertigt . Skaleneffekte und Lernkurven können sicherst einstellen, wenn die Anlagen entsprechend umge-setzt werden .Gerade der Bestand an Biogasanlagen kann dazu bei-tragen, die stark fluktuierenden Energien wie Wind undPhotovoltaik in den Spitzen auszugleichen . Die Biomas-seanlagen werden in den kommenden sechs Jahren miteinem Ausschreibungsvolumen von 1 050 Megawatt be-rücksichtigt; hier noch einmal mehr mein Dank an Bay-ern, das sich über den Bundesrat, aber auch in den Vorge-sprächen sehr stark eingebracht hat, allen voran natürlichunsere bayerische Wirtschaftsministerin . Dabei erhaltenauch die Betreiber von Anlagen, deren Leistung kleinerals 150 Kilowatt ist, die Möglichkeit, sich an den Aus-schreibungen zu beteiligen . Für sie wird der letzte erfolg-reiche Gebotspreis übertragen, um ihre Chancen bei derAusschreibung zu verbessern . Das ist ein erster Schrittfür den langfristigen Erhalt der Biomasse, die durch ihreFlexibilität, durch ihre Grundlastfähigkeit, aber auchdurch ihren Beitrag zur CO2-Einsparung wichtig bleibt .Wenn man das Kostenargument bemüht, dann mussman auch darauf hinweisen, dass bei der Biomasse kei-ne Netzausbaukosten anfallen . Die Verstromung vonSchwarz- und Dicklauge – wir haben schon von HerrnLenkert etwas darüber gehört – soll in den nächsten fünfJahren außerhalb der Ausschreibung durch das EEGweiter gefördert werden . Die EEG-Vergütung wird überdiese fünf Jahre degressiv abgebaut . Das schafft vor al-lem Wettbewerbsgleichheit unter den Zellstoffproduzen-ten; denn es hilft uns nichts, wenn wir noch zwei Zell-stoffproduzenten im Osten haben, aber die Anlagen imWesten bankrottgehen . Die fünf Jahre sind dem EU-Vor-behalt geschuldet und dienen einer besseren Genehmi-gungsfähigkeit .Die Reform des EEG stellt einen wichtigen Teil derWeiterentwicklung der Energiewende dar, hin zu mehrKosteneffizienz bei gleichzeitiger Wahrung ökologischerZiele .Meine Damen und Herren, ein Mehr an Markt hilft,richtig umgesetzt, allen . Änderungen sind natürlich auchin Zukunft noch vorzunehmen . Im Herbst haben wir zahl-reiche weitere Regelungen zu treffen . Es wurde schonangesprochen, dass gerade die Regelung zur Eigenver-sorgung der Industrie noch auf sichere Füße gestellt wer-den muss . Hier sind wir mit der EU-Kommission einenguten Schritt weitergekommen . Außerdem wird es umweitere Ansätze bei der Sektorkopplung gehen, und dasThema Netzausbau wird uns weiterhin begleiten .Es wird beim EEG also weiterhin gelten: „Nach derReform ist vor der Reform“, oder, um eine Fußballweis-heit zu bemühen: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“,auch wenn diese Aussage gerade heute besonders bitterist . Die heute zu beschließenden Änderungen sind insge-samt auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung .Deshalb bitte ich um Zustimmung und bedanke mich fürdie Aufmerksamkeit .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfeines Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen fürStrom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Ände-rungen des Rechts der erneuerbaren Energien .Dazu liegen mir inzwischen über 20 persönliche Er-klärungen zur Abstimmung vor, die wir, wie üblich, demProtokoll beifügen .1)Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehltunter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf derDrucksache 18/9096, den Gesetzentwurf der Fraktionender CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8860 in derAusschussfassung anzunehmen . Ich darf alle diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen bitten . – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-wurf mit der Mehrheit der Koalition ganz offenkundiggegen die Stimmen der jedenfalls meisten Mitglieder derOppositionsfraktionen in zweiter Beratung angenom-men .Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Hier stimmen wir nun über denGesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-men und mir zu signalisieren, wenn sie ordnungsgemäßbesetzt sind . – Ich eröffne die Abstimmung .Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zubeginnen .2)Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge, zunächst über den Entschließungsantragder Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/9106 . Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschlie-ßungsantrag abgelehnt .1) Anlagen 2 bis 52) Ergebnis Seite 18239 DDr. Andreas Lenz
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Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9107 zurAbstimmung auf . Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-mit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen derKoalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionenabgelehnt .Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft undEnergie zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zurEinführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuer-baren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechtsder erneuerbaren Energien. Der Ausschuss empfiehlt un-ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/9096, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf den Drucksachen 18/8832 und 18/8972 für erledigtzu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dasist einvernehmlich so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und b sowieden Zusatzpunkt 6 auf:34 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Janvan Aken, Wolfgang Gehrcke, ChristineBuchholz, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEGenehmigungen für Rüstungsexporte indie Staaten des Golfkooperationsrateswiderrufen und keine neuen erteilenDrucksache 18/8930Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Auswärtiger Ausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Wirtschaftund Energie zu dem Antragder Abgeordneten Jan van Aken, WolfgangGehrcke, Christine Buchholz, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKEWaffenexporte in die Golfregion verbietenDrucksachen 18/768, 18/1674ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENJemen – Militärische Intervention stoppen –Neue Friedensverhandlungen beginnenDrucksachen 18/5380, 18/6145Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen . –Dazu erhebt sich kein Widerspruch . Also verfahren wirso .Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenJan van Aken für die Fraktion Die Linke das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube,ich muss Sie jetzt enttäuschen . Ich werde jetzt nicht überSteinmeier, Gabriel und Frau Merkel herfallen und michmaßlos über die unfassbar hohen deutschen Waffenex-porte aufregen,
obwohl sie natürlich viel zu hoch sind und obwohl ichmich natürlich aufrege . Mich treibt, ehrlich gesagt, imMoment eine andere Frage um . Wenn ich mir anschaue,wie sich die deutschen Waffenexporte in den letzten dreiJahren entwickelt haben, drängt sich mir nämlich vor al-lem die Frage auf: Woran ist Sigmar Gabriel eigentlichgescheitert?Sigmar Gabriel hat 2013 massiv Wahlkampf gegen dieWaffenexporte gemacht . Er hat sich – auch als Minister –immer wieder dagegen ausgesprochen . Das kann manjetzt alles als Propaganda abtun . Ich tue das nicht, son-dern glaube, er wollte tatsächlich hier und da ein bisschenverändern . Er hat sogar an einigen ganz kleinen Punktenetwas bewegt . Aber in der Summe, unter dem Strich, istGabriel grandios gescheitert, wie ich feststelle, wenn ichmir ansehe, dass sich die deutschen Waffenexporte imletzten Jahr – in einem einzigen Jahr! – verdoppelt haben .2015 war das Jahr in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland, in dem mehr Waffenexporte als je zuvorgenehmigt wurden, nämlich im Wert von 12,8 MilliardenEuro. Ich finde, das sind 12,8 Milliarden zu viel.
Wie gesagt, das geschah unter Sigmar Gabriel, der ge-nau das Gegenteil angekündigt hatte . Wenn ich mir jetztseine Entschuldigungen anhöre, mit denen er diese hohenExporte rechtfertigen will, stelle ich fest, dass das kom-pletter Unsinn ist . Er hat in den letzten zwei, drei Tagenvor allem zwei Entschuldigungen vorgebracht .Erstens . Schuld sind immer die anderen . Schuld sinddie Vorgängerregierungen . Es war ja Schwarz-Gelb, diedamals schon den Panzerdeal mit Katar durchgewinkthaben . Richtig ist, dass die erste Genehmigung vonSchwarz-Gelb kam . Richtig ist aber auch, dass die zwei-te entscheidende Genehmigung nach dem Außenwirt-schaftsgesetz von Sigmar Gabriel im letzten Jahr erteiltworden ist . Er hätte sich weigern können . Er hätte Neinsagen können . Es war ganz allein seine Entscheidung,dazu Ja zu sagen .
Alles andere ist eine faule Ausrede . Hören Sie bloß aufdamit!
Wenn ich jetzt höre: „Na ja, wenn wir jetzt Nein ge-sagt hätten, dann hätte die Firma eine Schadensersatz-klage eingereicht“, dann ist das richtig peinlich für diedeutsche Sozialdemokratie . Dann sollen die doch klagen .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Die müssen den Prozess erst einmal gewinnen . Sie ha-ben doch gute Argumente . Sie können sagen: Katar führtKrieg im Jemen, und Sie wollen keine Panzer an einekriegsführende Partei liefern . Diesen Prozess sollen dieerst einmal gewinnen .
Selbst wenn die Bundesregierung diesen Prozess amEnde verliert, ist das uns das Geld nicht wert, wenn wiran die Toten im Jemen denken? Ich habe von einem Vor-sitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlandssehr viel mehr Rückgrat bei der Frage von Leben undTod erwartet . Das ist ganz schwach, Herr Gabriel .
Jetzt kommen wir zur zweiten Ausrede von SigmarGabriel: In diesem Jahr waren ein paar ganz große Pro-jekte dabei, die wir eigentlich herausrechnen müssen .Zum Beispiel sind das die Kriegsschiffe für Großbritan-nien für 1,1 Milliarden Euro . Das war ein ganz besonde-rer Sondereffekt . Das darf man nicht mitzählen . – Dasist genauso Unsinn; Sie alle wissen das . Denn es gibtjedes Jahr solche Sondereffekte: 2014 U-Boote nach Is-rael, 2016 wird es die Fregatte nach Algerien sein . Dasgibt es jedes Mal . Ich bin mir sicher: Ich höre das jetztgleich drei-, vier-, fünfmal über die Kriegsschiffe nachGroßbritannien . Streichen Sie das aus Ihrem Manuskript .Sondereffekte gibt es jedes Jahr . Das ist völliger Unsinn .
Unter dem Strich bleibt genau ein Faktum übrig: Un-ter Sigmar Gabriel haben sich die Waffenexporte ver-doppelt, obwohl er etwas ganz anders angekündigt hatte .Deshalb noch einmal die Frage: Woran ist er eigentlichgescheitert? Ich glaube, er ist am System gescheitert,am heutigen System der Rüstungsexportkontrolle, dieschlicht und einfach nicht funktioniert . So, wie das Sys-tem aufgestellt ist, ist es einfach kaputt . Wenn Sie imBereich der Waffenexporte künftig wirklich etwas verän-dern wollen – das sage ich in Richtung der Grünen und inRichtung der Sozialdemokraten –, dann müssen Sie dasSystem verändern . So geht es nicht weiter .
Das System – das wissen Sie ganz genau – ist völligwischiwaschi, butterweich . Selbst die schlimmsten Men-schenrechtsverletzter, die schlimmsten Despoten könnensich mit deutschen Sturmgewehren, mit Panzern, mit Ra-keten, mit Handgranaten eindecken . Alles, was sie wol-len, kann man in diesem System liefern . Das System istnicht restriktiv . Es ist kaputt .
Sie alle hier im Bundestag müssen sich doch fragen,ob Sie wirklich ein System einer Exportkontrolle habenwollen, bei dem die Waffenexporte immer steigen, egalwer gerade regiert . Schauen wir einmal 15 Jahre zurück .Da gab es eine rot-grüne Bundesregierung . Die rot-grüneBundesregierung wollte die Waffenexporte reduzieren .Sie haben die Regeln neu gemacht . Auch sie sind gran-dios gescheitert, genauso grandios wie Gabriel . Auchunter Rot-Grün sind die Waffenexporte immer weitergestiegen . Brauchen Sie denn noch mehr Hinweise da-rauf, dass das System kaputt ist und Sie es anders machenmüssen? Ich glaube, wir brauchen einen grundsätzlichanderen Ansatz . Der Kern unseres Vorschlages ist, dasswir definierte gesetzliche Verbote einführen. Ohne diekommen Sie bei den Waffenexporten nie weiter .
Im Moment beruht das System bei der Exportkon-trolle auf sogenannten Einzelfallentscheidungen . DieKriterien für den Einzelfall – wird diese Waffe an jenesLand geliefert? – sind völlig vage . Sie haben Tausendevon Schlupflöchern. Sie können am Ende eigentlich garnichts verbieten . Alles ist erlaubt . Sogar an Kriegspartei-en dürfen Sie unter diesen Kriterien liefern . Aber diesebutterweichen Kriterien sind nur ein Problem . Es gibtnoch zwei weitere Probleme, über die wir hier bis jetzteigentlich viel zu wenig geredet haben, die automatischdazu führen, dass heutzutage das System komplett auf Jagestellt ist, dass praktisch keine Anträge abgelehnt wer-den . Wissen Sie eigentlich, wie viele Anträge im letztenJahr abgelehnt worden sind? Über 12 000 Anträge sindgestellt worden, abgelehnt wurden 100 . Das System istauf Ja gestellt . Die zwei Gründe dafür sind folgende:Erstens . Ein Nein ist nicht nachhaltig . Ein Nein kanndie nächste Bundesregierung sofort wieder aufheben . EinJa ist von Dauer, solange sich die Bundesregierung nichttraut, auf eine Schadensersatzklage zu warten .Zweitens . Das Problem ist: Wenn Sie sich denn einmaltrauen, Nein zu sagen, haben Sie sofort ein diplomati-sches Problem, weil sich das Empfängerland natürlichdiskriminiert fühlt .Diese beiden Punkte kann man ganz wunderbar an ei-nem aktuellen konkreten Beispiel aufzeigen . Das ist dieG36-Fabrik, eine Sturmgewehrfabrik, in Saudi-Arabien .Sie wurde vor vielen Jahren genehmigt . Die Produkti-onsanlagen stehen bereit; sie sind aber noch auf Zuliefe-rungen aus Deutschland angewiesen: auf Ersatzteile, aufBauteile usw .Diese Zulieferungen hat Sigmar Gabriel jetzt ge-stoppt. Das finde ich gut, und dafür, dass er das gestoppthat, möchte ich Sigmar Gabriel an dieser Stelle einmalausdrücklich danken .
– Da könnten Sie auch einmal klatschen, oder?
Das Problem ist nur, dass dieser Stopp nicht nachhaltigist .
Im nächsten Jahr findet die Bundestagswahl statt, undnach dieser Bundestagswahl ist Sigmar Gabriel hier wegund woanders – was immer er dann auch macht . Es gibtdann doch die ganz große Wahrscheinlichkeit, dass dienächste Bundeswirtschaftsministerin dieses Nein vonGabriel „kassiert“ und die Genehmigung erteilt unddie G36-Fabrik in Saudi-Arabien weiterläuft . Dann hatJan van Aken
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Gabriel unter dem Strich gar nichts erreicht, nullkomma-nix . Das ist ein riesiges Problem .Das ist jetzt auch keine Schwarzmalerei . Es gibt in derdeutschen Geschichte tatsächlich konkrete Beispiele da-für, dass genau das passiert ist . Als Joschka Fischer Au-ßenminister war – wieder Rot-Grün –, hat er einen ganzschmutzigen Sturmgewehr-Deal mit Mexiko gestoppt .Das Auswärtige Amt hat 2005 Nein zur Lieferung vonG36-Gewehren nach Mexiko gesagt .2005 gab es dann die Bundestagswahl . Kurz danachwurde Steinmeier Außenminister, und ein paar Tage spä-ter sagte das Auswärtige Amt Ja zum Deal mit Mexiko .Das zur Nachhaltigkeit in diesem System! Sie können20 Jahre lang regieren: Kaum sind Sie weg, kommt dienächste Ministerin oder der nächste Minister, und dasProblem ist erneut, dass wieder alles geliefert wird .
Deswegen funktioniert das System nicht so, wie esfunktionieren sollte . Die Regierungen wechseln, und Siemüssen jetzt ein System aufbauen, das nachhaltig ist, da-mit auch dann, wenn Sie abgewählt wurden, das Neinweiter bestehen bleibt . Das ist das Problem .
Auch den zweiten Grund dafür, dass das System aufJa gestellt ist, kann man schön an der G36-Fabrik dar-stellen; denn selbst Gabriel könnte in den nächsten Wo-chen noch gezwungen werden, die Genehmigung dochzu erteilen . Was passiert denn, wenn Sie Nein sagen? DieHerstellerfirma wird wahrscheinlich klagen, es gibt einenProzess, und plötzlich muss die Bundesregierung öffent-lich begründen, warum Saudi-Arabien diese Sturmge-wehre nicht bekommt .Dafür gibt es tausend gute Gründe, die man auch allenennen kann . Merkel und Steinmeier müssen dann abernach Riad und den Saudis Auge in Auge erklären, warumsie keine Sturmgewehre bekommen, ihre Nachbarn aberdoch . Das ist doch eine diplomatische Katastrophe .
Deswegen bin ich mir ganz sicher, dass Merkel undSteinmeier jetzt dafür sorgen werden, dass das nicht ab-gelehnt wird . Dieses diplomatische Desaster mit Sau-di-Arabien wollen sie sich nämlich gar nicht erst einhan-deln . Das ist der Punkt .In dem Moment, in dem Sie Einzelfallentscheidungentreffen und einmal Ja und zweimal Nein sagen, haben Sieeine diplomatische Katastrophe .
Das können Sie nur dadurch vermeiden, indem Sie im-mer Nein sagen . Wenn Sie ein generelles Verbot vonKleinwaffen haben, dann können Sie nach Riad fahrenund sagen: Jungs, es tut uns leid; das hat gar nichts miteuch zu tun. Wir Deutschen sind ein bisschen pazifis-tisch . Kein Land kriegt etwas von uns geliefert . – Damithätten Sie kein diplomatisches Problem .
Eine gesetzliche Regelung, durch die die Waffenex-porte wirklich endlich einmal reduziert werden, ist dochauch in Ihrem ureigensten Interesse . Gucken Sie sichSigmar Gabriel in dieser Woche doch einmal an . Was füreine Blamage, nach diesem Wahlkampf jetzt eine Ver-doppelung der Rüstungsexportzahlen rechtfertigen zumüssen! Das Gleiche geschieht in zwei Jahren wieder .Der nächste SPD-Wirtschaftsminister und der nächstegrüne Außenminister werden genau solche Peinlichkei-ten wieder vertreten müssen, wenn Sie nicht endlich andie Systemfrage herangehen .Sie wissen, dass wir von mir aus alle Waffenexportejetzt sofort verbieten können . Ich weiß aber auch, dassdas mit Ihnen so schnell nicht geht; ich bin Realist . DasDringendste und Wichtigste – ich glaube, darin sind sichganz viele hier einig – ist aber doch ein generelles Verbotvon Kleinwaffenexporten .
Das sind die tödlichsten Waffen dieser Welt . Wir wissen,dass wir das verbieten müssen . Kein Sturmgewehr, keineHandgranate, keine Panzerfaust mehr exportieren, nir-gendwohin: Das ist unser Vorschlag .Ich sehe auch überhaupt nicht, wo das Problem ist .Warum machen Sie da nicht mit? Auch an die Grünen:Warum erheben Sie nicht endlich einmal diese Forde-rung? Es gibt doch eigentlich überhaupt kein gutes Argu-ment gegen ein solches Verbot .Auch in Deutschland werden Sie auf keinerlei Wider-stand treffen, wenn Sie sagen, dass Kleinwaffen nichtmehr exportiert werden . Sie hätten dann die Gewerk-schaften, die Kirchen und über 80 Prozent der Bevölke-rung auf Ihrer Seite und wahrscheinlich schon heute eineMehrheit hier im Bundestag dafür . Sie müssen es nur tun .Danke schön .
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, will ich ebendas von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zumEntwurf eines Gesetzes zur Einführung von Ausschrei-bungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zuweiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Ener-gien bekannt geben: abgegebene Stimmen 574 . Mit Jahaben gestimmt 444, mit Nein haben 121 Kolleginnenund Kollegen gestimmt, 9 haben sich enthalten . Damitist der Gesetzentwurf mit der notwendigen Mehrheit an-genommen .Jan van Aken
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 574;davonja: 444nein: 121enthalten: 9JaCDU/CSUStephan AlbaniPeter AltmaierArtur AuernhammerNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr . Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterDr . Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerJana SchimkeTankred SchipanskiChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
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Patrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeChristian Frhr . von StettenRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerDr . h .c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Marcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogPetra Hinz
Thomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelDr . Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagMichelle MünteferingDr . Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas Schwarz
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Rita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerPeer SteinbrückDr . Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinCDU/CSUEnak FerlemannHelmut HeiderichBettina HornhuesElisabeth MotschmannKees de VriesSPDMarco BülowBettina MüllerDr . Nina ScheerDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenKlaus ErnstNicole GohlkeAnnette GrothDr . Gregor GysiDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LayRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUOliver GrundmannHans-Georg von der MarwitzHeiko SchmelzleDieter StierSPDDr . Ute Finckh-KrämerGabriela HeinrichGabriele Hiller-OhmDr . Birgit Malecha-NissenMartina Stamm-FibichNächster Redner in der Debatte ist der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen! Herr van Aken, Sie setzen dasThema Rüstungsexporte immer wieder auf die Tagesord-nung . Das ist ja Ihr Leib- und Magenthema . Es ist schonschwer erträglich, mit anzusehen, wie sehr Sie sich beidiesem Thema in Selbstgerechtigkeit suhlen .
Wenn wir es so machen würden, wie Sie es geradegesagt haben, nämlich Rüstungsexporte einfach verbie-ten und dabei nicht nach links oder nach rechts schauen,dann hätte der IS die Jesiden in noch viel größerer Zahl
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abgeschlachtet, und dann wären die Peschmerga nicht inder Lage gewesen, den IS zurückzuschlagen .
Kobane wäre gefallen . Das Zurückdrängen dieser Stein-zeitislamisten wäre ohne unsere Lieferungen von MI-LAN und den Sturmgewehren in diese Region nichtmöglich gewesen . Wenn man selbst schon nicht helfenwill, dann muss man wenigstens die, die zu kämpfen be-reit sind, ertüchtigen, sodass sie diesen gerechten Kampfführen können . Das haben wir in diesem Falle gemacht .
Sie versuchen immer wieder den Eindruck zu erwe-cken, der Handel mit Rüstungsgütern bei uns sei so et-was wie der Handel mit Gebrauchtwagen im Libanon .Sie wissen ganz genau, dass das anders ist . Auch wennwir über dieses Thema wiederholt debattiert haben, ist esnicht auszuschließen, dass Menschen zuhören, die sichdamit noch nicht auskennen . Daher will ich die Grundla-gen der Rüstungsexportpolitik kurz darlegen .Es ist klar geregelt: Die Politischen Grundsätze derBundesregierung für den Export von Kriegswaffen undsonstigen Rüstungsgütern liegen in der aktuellen Fas-sung vom 19 . Januar 2000 vor . Das ist ein Beschluss auseiner Zeit, als Rot-Grün regierte . Wir haben uns in großerKontinuität in allen Fragen des Exports kritischer Gütersehr zurückhaltend gezeigt. Einige bei uns finden: zu zu-rückhaltend .Es ist keinesfalls so, dass es irgendeinen Anspruch aufGenehmigung von Rüstungsgütern gibt . Jede Rüstungs-exportgenehmigung ist eine Einzelfallentscheidung .Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschafts-verordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter geneh-migungspflichtig. Rüstungsexporte werden grundsätz-lich nicht genehmigt, wenn der hinreichende Verdachtbesteht, dass die Rüstungsgüter zur internen Repressionoder zu sonstigen Menschenrechtsverletzungen miss-braucht werden .
Die Prüfung und Genehmigung der Ausfuhr vonKriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegt demBundessicherheitsrat, der geheim tagt . Den Vorsitz hatdie Bundeskanzlerin inne . Zusätzlich sind im Bundes-sicherheitsrat der Vizekanzler sowie die Bundesministerder Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern, der Jus-tiz, der Finanzen, für Wirtschaft und Energie, für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie derChef des Bundeskanzleramtes zugegen . Gegebenenfallswerden der Generalinspekteur und der Regierungsspre-cher hinzugezogen .Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handeltes sich nicht um einen formellen Akt . Es besteht kein An-spruch darauf . Dabei sind vielmehr zahlreiche Gesetzeund Vereinbarungen zu beachten, die schon kurz ange-rissen worden sind . Im Einzelnen geht es um das Gesetzüber die Kontrolle von Kriegswaffen und um das Außen-wirtschaftsgesetz, um den Verhaltenskodex der Europäi-schen Union für Waffenausfuhren und um die Prinzipienzur Regelung der Transfers konventioneller Waffen derOSZE .Dazu haben wir erst vor wenigen Wochen – StichwortKleine und Leichte Waffen – mit der Sechsten Verord-nung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung dieKontrolle über die Ausfuhr von bestimmten Rüstungs-gütern verstärkt . Darin ist neu geregelt worden, dassdie Grundsätze der Bundesregierung für die Ausfuhrge-nehmigungspolitik bei der Lieferung von Kleinen undLeichten Waffen, dazugehöriger Munition und Herstel-lungsausrüstung in Drittländer vom 18 . März 2015 unddie Eckpunkte vom 8 . Juli 2015 für die Einführung vonPost-Shipment-Kontrollen bei deutschen Rüstungsexpor-ten umgesetzt werden . Der Exporteur muss eine Erklä-rung des staatlichen Endempfängers der Rüstungsgüterbeibringen, die über den sogenannten Reexportvorbehalthinausgeht . Es gelten der Grundsatz „Neu für alt“ undder Grundsatz „Neu, Vernichtung bei Aussonderung“ .Das ist ein umfangreiches Kontrollwerk, mit dem sicher-gestellt werden soll, dass die Waffen in jedem Fall nichtunsachgemäß weitergegeben oder unsachgemäß einge-setzt werden .Ich will gerade an dem Beispiel, das Sie fälschlicher-weise auf die See verlegt haben – es ging dabei um Tank-flugzeuge für Großbritannien – noch einmal deutlichmachen: Das ist ein europäisches Projekt . Wir könnennicht einfach als Deutsche dieses ganze Projekt zu Fallbringen . Wenn wir mit einem NATO-Partner ein solchesGeschäft machen und auf europäischer Ebene innerhalbunserer industriellen Partnerschaften nicht mehr hand-lungsfähig sind, dann beschädigen wir damit unseren In-dustriestandort Deutschland .Wir müssen uns in diesen Fällen der engen Zusam-menarbeit versichern . Deshalb ist es gut, dass wir unsereuropäisches Regelwerk auch hier eingeflochten haben.
Die Notwendigkeiten, denen wir uns im Hinblick aufdie Arabische Halbinsel ausgesetzt sehen – sie ist allesandere als der Garten Eden und ein Hort blühender Sta-bilität –, bestehen im flexiblen Handeln und im Eingehenauf die konkrete Situation von Fall zu Fall . Wir sind derfesten Überzeugung, dass nicht ein Land alleine, auchnicht der große Weltpolizist, die Problemfälle in unsererWelt bereinigen kann . Im außenpolitischen Konzept derBundesregierung „Globalisierung gestalten – Partner-schaften ausbauen – Verantwortung teilen“ vom Febru-ar 2012 heißt es:Kein Staat der Welt kann heute nur mit militärischenMitteln oder allein für seine Sicherheit sorgen . Hier-bei misst die Bundesregierung insbesondere derEntwicklung und weiteren Vertiefung sicherheits-politischer Partnerschaften mit Staaten in entferntenRegionen sowie deren jeweiligen Regionalorganisa-
oder der Arabischen Liga (AL)) große Bedeu-
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In diesem Zuge bleibt es nicht aus, dass wir mit Staa-ten reden müssen, deren staatliche Verfassung mit der,die wir sie uns gewählt haben und die wir in unseremLande errichtet haben, nicht übereinstimmt . Sie weisenoft Unterschiede auf, die wir nicht gutheißen . Wir sagen:Mag jeder das machen, was er für richtig hält; wir spre-chen es an, wenn es Menschenrechtsverletzungen gibt .Aber wir sehen: Die Welt ist, wie sie ist, und wir müssenmit dem Betrachten der Wirklichkeit anfangen und in derWelt leben, die wir haben . Wir arbeiten alle jeden Tag einStückchen daran, die Welt besser zu machen .Das, was Sie vorgetragen haben, Herr van Aken, näm-lich dass Waffen grundsätzlich von Übel seien, kannich nicht nachvollziehen . Genauso wie wir unseren Po-lizisten und Soldaten zugestehen, mit Waffengewalt dieRechtsgüter, für die sie einstehen, durchzusetzen, werdenwir das anderen Staaten nicht verwehren können . Wennein Land seine Küste nicht alleine schützen kann, weiles nicht die entsprechende Industrie hat, rufen wir ihmfreudig zu: Wir haben sie! Ihr kriegt von uns Patrouillen-boote, wenn ihr sie braucht und sie bei uns bestellt .
Das sichert in Wolgast Arbeitsplätze auf der Peene-Werftvon Lürssen . Das gilt gerade für den Deal, von dem vorkurzem die Rede war .Es ist keinem Land zu verwehren, dass es einen Küs-tenschutz aufbaut, um sich gegen Insurgenten und allemöglichen kriminellen Elemente, die weltweit unterwegssind, zur Wehr zu setzen .
Das gehört zur internationalen Politik; es ist eine Fragevon Sicherheits- und Außenpolitik . Das ist keine norma-le wirtschaftliche Sektorenbetrachtung – das haben wirauch nie behauptet –; gleichwohl bin ich der festen Über-zeugung: Wenn nun das G36 nicht nach Saudi-Arabiengeliefert wird, werden die saudischen Einheiten wahr-scheinlich trotzdem nicht mit Holzgewehren herumlau-fen, sondern einen anderen Lieferanten finden, der ihnenbereitwillig die entsprechende Technik zur Verfügungstellt .Ich wünsche mir, dass wir mit unserer restriktivenPolitik, mit der wir versuchen, auf die Länder Einflusszu nehmen, Sicherheitspartnerschaften in der Welt ge-nerieren können und dass das zum Wohle der deutschenIndustrie, der Deutschen insgesamt, aber auch der inter-nationalen Partner geschieht .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat die Kollegin Brugger für die FraktionBündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!7,86 Milliarden Euro: Das ist der Wert der Genehmi-gungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigenRüstungsgütern, die die schwarz-rote Bundesregierungim Jahr 2015 erteilt hat . Das ist nicht nur eine Verdoppe-lung im Vergleich zum Vorjahr, sondern es ist der höchs-te Wert, seitdem unter Rot-Grün erstmalig die Berichts-pflichten eingeführt worden sind. Ich finde, das ist einbeschämender Rekord der sicherheitspolitischen Verant-wortungslosigkeit .
Die Union macht keinen Hehl daraus, wie zum Bei-spiel Herr Ramsauer im Deutschlandfunk, dass sie aufdiesen Rekord auch noch stolz ist . Aber die SPD und al-len voran Sigmar Gabriel, der schließlich nicht nur Wirt-schaftsminister und damit federführend für Rüstungsex-porte zuständig ist, sondern auch noch Vizekanzler derKoalition ist, ist angetreten, um diese verheerende Rüs-tungsexportpolitik zu beenden – völlig richtig; denn es isthöchste Zeit für eine radikale Kehrtwende, die Frieden,Sicherheit und Menschenrechte über die Gewinninteres-sen der deutschen Waffenkonzerne stellt .
7,86 Milliarden Euro – Sie sind krachend gescheitertund haben dabei völlig versagt . Aber Sigmar Gabrielwäre nicht Sigmar Gabriel, wenn er nicht versuchen wür-de, sich hier aus der Verantwortung zu stehlen .
In den drei Jahren, in denen er jetzt Wirtschaftsministerist, hat er uns eine Reihe fadenscheiniger Ausflüchte undbilliger Ausreden präsentiert, und diese nehme ich mirgern, auch wenn es Unmut bei der SPD gibt, im Einzel-nen vor und schaue sie mir genauer an:
Die hohen Zahlen haben etwas mit Sonderfaktoren zutun . Da wird dann alles hineingeschoben, was einemnicht in den Kram passt . Sie wollen damit den Eindruckerwecken, es sei ja nur ein Ausreißer nach oben, und essei ja eine Ausnahme . Ja, Pech für Sigmar Gabriel, Pechauch für Sie von der SPD und für Sie von der Unionebenso, dass nun schon die Zahlen für das erste Halb-jahr 2016 bekannt geworden sind . Das sind 4 MilliardenEuro in einem halben Jahr . Wenn Sie die nächsten sechsKlaus-Peter Willsch
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Monate so weitermachen wie die letzten, dann stellen Siewieder einen neuen Rekord auf .
Dann kommt die nächste Ausrede: Man müsste docheinen differenzierten Blick haben und sich die Dinge imEinzelnen anschauen .
Dann schaue ich mir einen Deal im Einzelnen an: DerBundessicherheitsrat hat die Lieferung von Panzern undHaubitzen im Wert von 1,6 Milliarden Euro an Katar er-laubt, an einen Staat, der für die Gewalt im Jemen mit-verantwortlich ist, in dem Menschenrechte verletzt wer-den und aus dessen Mitte heraus der islamistische Terrorfinanziert und unterstützt wird. Diese Entscheidung stehtim Widerspruch zu den Regeln, die es in Deutschlandgibt, auf die Sie sich ja auch immer gern berufen, undsie ist ohne jeden sicherheitspolitischen Sachverstand ge-troffen worden .
Und wieder versuchen Sie, abzutauchen, und SigmarGabriel versucht, sich auch hier aus der Verantwortungzu stehlen, womit wir bei der dritten Ausrede ankommen .Ja, es grenzt schon fast an Lüge, was da immer wiederbehauptet wird: Die Genehmigungen kommen ja von derbösen schwarz-gelben Vorgängerregierung; Sie wolltenja so gern, aber Sie könnten halt nicht .Spätestens der Fall Russland hat doch gezeigt: Es istmöglich, Genehmigungen, die erteilt worden sind, wie-der zurückzunehmen, wenn der politische Wille da ist .
Ich bin da beim Kollegen van Aken: Ja, die Gesetzekann man verschärfen, und das System kann man nochmehr stärken . Aber das Beispiel zeigt doch, dass nichtdas System an sich kaputt ist, sondern dass es hier umden politischen Willen der Regierung geht, und der ist es,der sich ändern muss .
Da wir uns schon mit den Gesetzen beschäftigen, willich Ihnen sagen, was dazu klipp und klar in § 7 Absatz 1des Kriegswaffenkontrollgesetzes steht . Ich zitiere ausdem Gesetz: „Die Genehmigung kann jederzeit wider-rufen werden .“ Aber wissen Sie was? § 7 Absatz 2 desgleichen Gesetzes verpflichtet die Bundesregierung so-gar, eine Genehmigung zu widerrufen, wenn die Gefahrbesteht, dass Kriegswaffen zu einer friedensstörendenHandlung eingesetzt werden .
Bei allen Staaten, die Teil der Kriegsallianz im Jemensind, ist das nicht nur eine theoretische Gefahr, so wiees im Gesetz beschrieben ist; denn diese Sache hat sichdoch schon längst realisiert . Auch das zeigt: Das Problemsind eigentlich nicht die Gesetze, sondern das Problemsind Union und SPD .
Und ja, es gibt ein Manko, das ist, glaube ich, auchder wahre Grund für Ihr Herumgeeiere: Bei einemStopp entstehen Schadenersatzansprüche für Rüstungs-unternehmen, und ja, ich finde es schlimm genug, dassdann mit Steuergeld Profiteure einer sicherheitspolitischwahnwitzigen Entscheidung von Schwarz-Gelb entschä-digt werden müssen . Aber das ist doch weniger schlimm,als einen Staat mit deutschen Waffen zu beliefern, der fürblutige Gewalt verantwortlich ist .
Deshalb fordern wir Grünen auch schon seit Jahren, alleWaffendeals mit Staaten wie Saudi-Arabien und Katarzu stoppen, sie zu beenden, und deshalb finde ich auchden Antrag der Linken, über den wir heute debattieren,richtig . Aber ich erwarte schon auch, dass die Regierungso viel Mumm hat, sich hierhinzustellen und zu sagen:Wir wollen den Schadenersatz nicht zahlen, er ist uns zuhoch, und wir lassen aktiv und bewusst diese verantwor-tungslosen Deals – Panzer nach Katar, Patrouillenbootenach Saudi-Arabien – weiterlaufen .
Man muss auch die Frage stellen: Was machen eigent-lich die anderen Mitglieder des Bundessicherheitsrates?Schließlich muss nicht nur Herr Gabriel darüber abstim-men . Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminis-terin Ursula von der Leyen tauchen einfach ab, obwohlsie diesen Waffengeschäften zugestimmt haben . Auchdiese sollen sich einmal vor der Öffentlichkeit rechtferti-gen, warum sie das getan haben .
Außenminister Steinmeier, in dessen Haus die Federfüh-rung für Menschenrechte liegt, ist sich noch nicht einmalzu schade, diese Deals zu verteidigen . Dabei schweigt erzum brutalen Krieg im Jemen . Aber den Vogel abgeschos-sen hat in den letzten Tagen Finanzminister Schäuble, derangesichts der Krisen in der Welt und insbesondere derKrise, die wir gerade in Europa erleben, zu der Schluss-folgerung kommt, das Wichtigste sei nun, die deutschenExportrichtlinien zu lockern, damit man besser auf euro-päischer Ebene zusammenarbeiten könne . Das soll eineAntwort auf die Verunsicherung der Menschen in Europasein? Das soll eine Antwort für die Menschen in den Kri-senstaaten dieser Welt sein? Das ist doch nur gut für dieRüstungsindustrie .
Alle Mitglieder der Bundesregierung, insbesonde-re der Außenminister und die Verteidigungsministerin,können zusammen noch so viele schöne Reden überDeutschlands neue Verantwortung in der Welt halten .Wenn sie gleichzeitig in den Hinterzimmern des Bundes-sicherheitsrates so verantwortungslos abstimmen, dannsollten sie mit diesen Reden aufhören; denn ihre Rekord-Agnieszka Brugger
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zahlen sind nichts anderes als eine desaströse Bilanz derVerantwortungslosigkeit .
Das Wort hat der Kollege Ulrich Hampel für die
SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Das Thema Rüstungsexportpolitik
nimmt seit einigen Tagen wieder breiten Raum in der öf-
fentlichen Berichterstattung ein . Anlass ist der aktuelle
Rüstungsexportbericht für das Jahr 2015, der in dieser
Woche im Kabinett verabschiedet wurde . Die Bundes-
regierung berichtet damit bereits zum dritten Mal noch
vor der Sommerpause über die Zahlen des vergangenen
Jahres . Dass das Thema Rüstungsexporte in den vergan-
genen Jahren insgesamt wieder stärker in den öffentli-
chen Fokus gerückt ist, ist eine Entwicklung, die meine
Fraktion und ich ausdrücklich begrüßen .
Seit seinem Amtsantritt hat Bundeswirtschaftsminis-
ter Gabriel dafür gesorgt, dass in deutlich kürzeren Ab-
ständen über die Exportpolitik betreffend konventionelle
Rüstungsgüter berichtet wird und es damit endlich mehr
Transparenz gibt .
In der Geschichte der Bundesrepublik war die Rüstungs-
exportpolitik noch nie so transparent wie heute, und
Wirtschaftsminister Gabriel hat die bisherige Geheimhal-
tungspraxis bei Exporten von deutschen Rüstungsgütern
beendet .
Deutschland verfolgt eine restriktive Exportpolitik
betreffend Sicherheits- und Rüstungsgüter nach klaren
Regeln und hohen Maßstäben . Gerade für sogenannte
Drittstaaten, also Staaten außerhalb der NATO und der
EU und den NATO-Staaten gleichgestellte Länder wie
Australien, Japan, Neuseeland und die Schweiz, sind die
Regeln besonders streng . Dies gilt natürlich auch für die
Golfregion, für die die Linke in ihren beiden Anträgen
ein generelles Exportverbot fordert . Ein solches generel-
les Exportverbot lehnen wir ab .
Kollege Hampel, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Keul?
Ja, bitte .
Vielen Dank, Herr Kollege, für die Zulassung der
Frage . – Sie haben gerade zu Recht geschildert, dass in
den Grundsätzen die Exporte außerhalb von NATO und
EU besonders strengen Voraussetzungen unterliegen, im
Gegensatz zu unseren Bündnispartnern . Wie erklären
Sie sich dann, dass sich das Regel-Ausnahme-Verhält-
nis ausweislich der Rüstungsexportberichte in den letz-
ten Jahren umgekehrt hat und dass wir inzwischen mehr
Kriegswaffen in Drittstaaten exportieren als in NATO-
und EU-Staaten?
Man muss sich genau anschauen, was letztendlichgeliefert wird . Die Zahl besagt nichts über die Qualität .Man muss aber auch sagen: Wer nicht liefert, macht sichauch schuldig . Darauf wurde schon von meinem Kolle-gen Willsch explizit hingewiesen . – Vielen Dank .
Gerade bei Drittstaaten, zu denen die Mitgliedstaa-ten des Golfkooperationsrates gehören, gelten strengeRegeln. Exporte dorthin finden unter außen- und sicher-heitspolitischen Gesichtspunkten besondere Beachtung .Am Beispiel der Nichtgenehmigung für die Ausfuhr vonG36-Bauteilen nach Saudi-Arabien zeigt sich, dass dieaktuelle Bundesregierung hier verantwortungsvoll agiert .Anhand dieser Beispiele wird aber auch deutlich, dasses nicht so einfach ist, wie die Opposition die Menschengerne glauben machen will, bereits genehmigte Expor-te rückgängig zu machen; denn den betroffenen Firmenwie in diesem Fall Heckler & Koch steht natürlich in un-serem Rechtsstaat der Klageweg offen . Gegebenenfallsentstehen Entschädigungsansprüche in Millionen- oderMilliardenhöhe gegenüber der Bundesrepublik Deutsch-land . Es stellt sich aber auch die Frage nach der Zuver-lässigkeit Deutschlands bei seinen Exportzusagen . Diesemöglichen Folgen müssen gründlich abgewogen unddürfen nicht einfach beiseitegeschoben werden .Im Falle der Nichtgenehmigung für die Ausfuhr vonG36-Bauteilen unterstützen meine Fraktion und ichdie Linie von Wirtschaftsminister Gabriel, künftig kei-ne Genehmigungen für Komponenten und Technologiein Drittländer zum Aufbau neuer Herstellungslinien fürKleinwaffen zu erteilen . Die neuen deutschen Kleinwaf-fengrundsätze vom 18 . Mai 2015 sind diesbezüglich einrichtungsweisender Leitfaden für die restriktive Handha-bung von Rüstungsexportanfragen bezüglich Kleinwaf-fen . Mit diesen Grundsätzen nehmen wir eine führendeRolle ein .Laut dem aktuellen Rüstungsexportbericht ist der Ge-samtwert der Genehmigungen zum Export von Klein-waffen von 47 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 32 Mil-lionen Euro im Jahr 2015 zurückgegangen . Das ist derniedrigste Stand seit 15 Jahren .
Was den Export in Drittländer betrifft, reduzierte sichdas Volumen um ein Drittel auf knapp 14 MillionenEuro . Wenn man sich vor Augen führt, dass insbesonde-Agnieszka Brugger
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re Kleinwaffen die Waffen der Bürgerkriege sind, ist derdeutliche Rückgang des Exportvolumens ein wirklicherErfolg .Die Bundesregierung handelt bei ihren Entscheidun-gen über Exporte in die Golfregion nach strengen Regelnund unter besonderer Beachtung von außen- und sicher-heitspolitischen Gesichtspunkten . Ein generelles Export-verbot, wie die Linken es gefordert haben, lehnen wir alsSPD ab .Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . Ein herzli-ches Glückauf!
Das Wort hat der Kollege Dr . Joachim Pfeiffer für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ThemaRüstungsexporte wird in der Tat reflexartig in schönerRegelmäßigkeit immer wieder aufgerufen, es wird inpopulistischer und alarmistischer Weise versucht, Rüs-tungsexporte zu skandalisieren und das Thema aufzubla-sen . Ich möchte deshalb eingangs ein paar Bemerkungenzu den Zahlen und Fakten machen .Kollege van Aken sprach vorher – ich zitiere – von„unfassbar hohen“ Rüstungsexporten .
Es wurde davon gesprochen, die Bundesrepublik eile vonRekord zu Rekord, es wurde vom Anstieg der Exporteund was weiß ich gesprochen . Fakt ist, dass im Zeitraumvon 2005 bis 2015, also in den letzten zehn Jahren, derAnteil der Exporte von Kriegswaffen gesunken ist . Ichdifferenziere jetzt . Hier werden Äpfel mit Eiern und Bir-nen in einen Topf geworfen . Aber das ist Absicht . Ichunterstelle, dass man intellektuell wahrscheinlich schon,wenn man es möchte, in der Lage wäre, zu differenzie-ren, aber man möchte es gar nicht, weil einem das nichtins Konzept passt .Ich rede jetzt von den Kriegswaffen . Das sind die Waf-fen, die im Kampf zum Einsatz kommen können . Diesollen in angeblich so unverantwortlich hoher Zahl ex-portiert worden sein . Der Anteil der KriegswaffenausfuhrDeutschlands hat sich in absoluten Zahlen in den letztenzehn Jahren quasi nicht erhöht . Er ist gleich geblieben .In relativen Zahlen hat er sich sogar halbiert, nämlichvon 0,26 Prozent auf 0,13 Prozent . Das ist im Rüstungs-exportbericht nachzulesen . Ich gehe davon aus, dass dieZahlen stimmen . Ich habe es nicht nachgerechnet, aberich gehe davon aus, dass die Bundesregierung richtigrechnet. Sie finden die Zahlen auf den Seiten 30 und 31des Berichts dieser Woche . Wenn Sie ihn zur Hand neh-men, dann können Sie das nachschauen . Der relative An-teil der Kriegswaffenexporte hat sich also von 2005 bis2015 halbiert .
– Der Anteil vom Gesamtexport hat sich reduziert .Jetzt werfe ich einmal einen Blick auf die globalenRüstungsexporte . Dazu gehören auch die Minenräum-fahrzeuge, Wassertanks und andere Maschinen . ZweiDrittel der Ausfuhren entfallen auf Güter dieser Art,während die Kriegswaffen nur ein Drittel der Ausfuhrenausmachen . Im Zeitraum von 2011 bis 2015, also in denletzten fünf Jahren, haben sich die globalen Rüstungs-exporte um 14 Prozent erhöht . Der Anteil Deutschlandsdaran ist im Vergleich zum Zeitraum 2006 bis 2010 von11 Prozent auf 4,7 Prozent zurückgegangen . Er hat sichalso mehr als halbiert – und, und, und . Das sind die Zah-len und Fakten .
– Ich komme gleich noch darauf zu sprechen . Dann kön-nen Sie sich ja daran abarbeiten .Ich finde Ihr Verhalten nicht erfreulich. Sie müssteneigentlich darüber jubeln, dass sich diese Zahlen redu-ziert haben;
aber das machen Sie nicht . Im Gegenteil: Sie skandali-sieren das Ganze weiter, obwohl es in der Sache definitivfalsch ist .
Jetzt einmal zu den Lösungsansätzen . Was sind dennRüstungsexporte und Kriegswaffenexporte? Sie sind inallererster Linie Teil unserer Außen- und Sicherheitspo-litik . Selbstverständlich verfolgen wir mit großer Mehr-heit hier im Hause zuvorderst multilaterale Ansätze imRahmen der UN oder im Rahmen anderer internationalerZusammenarbeit, die vor allem mit friedlichen Mitteln,mit Entwicklungshilfe, mit anderen unterstützendenMaßnahmen vorgehen .Die Probleme der Welt werden nicht durch Schönre-den oder durch Wegducken gelöst . Der Kollege Willschund der Kollege Hampel haben es angesprochen – ichfand es sehr treffend –: Wegschauen, nicht liefern, denKopf in den Sand stecken und gleichzeitig hier rein bin-nenorientierte Debatten führen ist ein schlechter und derWelt gegenüber unverantwortlicher Weg .
Wir sind uns darüber einig, dass es Probleme gibt,und wir versuchen auch, sie zu lösen . Wenn ich michnicht irre, befindet sich die Bundeswehr im Moment inUlrich Hampel
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16 Missionen in der Welt . Erst gestern Abend haben wirwieder ein entsprechendes Mandat verlängert . Mit diesenMissionen leisten wir einen Beitrag dazu, dass Sicherheiterhalten wird, zum Teil aber auch erst geschaffen wird;da sind wir uns einig . Ohne Sicherheit gibt es nämlichkeine Weiterentwicklung, und ohne Weiterentwicklung,ohne Arbeitsplätze, ohne Wachstum gibt es keine Men-schenrechte . Diese Abfolge lässt sich an der Historie derLänder erkennen .
Fordern Sie jetzt, dass die Bundeswehr an noch mehrAuslandseinsätzen teilnimmt, dass wir noch häufiger Teileines internationalen Verbundes werden? Diese Forde-rung wäre konsequent; sie erheben Sie aber nicht . Nein,Sie sagen stattdessen – jetzt kommen wir zu Abschich-tung –: Dort, wo wir selber nicht sein können, um Friedenzu schaffen und um Frieden zu erhalten, haben wir Part-ner und Verbündete . Sie sind es zum Teil seit Jahrzehn-ten, und sie entsprechen nicht immer unseren Standards .Vielleicht haben sie auch eine andere Historie . Aber siesorgen dafür, dass die Stabilität erhalten wird, dass dieSicherheit erhalten wird, dass Wachstum entsteht unddass auch dort die Menschenrechte eingehalten werden .
Das gilt auch für viele verlässliche Partner in Arabien,so auch für Saudi-Arabien auf der Arabischen Halbinsel .Sehen Sie sich an, was dort in den letzten Jahren pas-siert ist: Wahlen wurden durchgeführt, rechtsstaatlicheElemente wurden geschaffen, die Mitwirkung der Frauenwurde gestärkt . Das entspricht zwar nicht dem, was wiruns in Deutschland vorstellen und erreicht haben, aber esgeht auf jeden Fall in die richtige Richtung .Ich persönlich bin froh – ich sage das in aller Offen-heit und Deutlichkeit –, dass Saudi-Arabien dafür sorgt,dass auf der Arabischen Halbinsel, also auch im Jemen,das Töten von Menschen und der Bürgerkrieg beendetwerden . Ich halte das für richtig .
Ich bin froh, dass sie dieses machen .Das Schicksal der Jesiden im Irak und anderer kurdi-scher Gruppen ist bereits angesprochen worden . Anderegehen gegen deren Vertreibung mit militärischen Mittelnvor . Wenn wir sie dann aber im Stich lassen und ihnennicht die Ausrüstung geben, die sie brauchen, um dieseAufgabe zu erledigen, wie sollen sie sie dann erledigen?In Mali machen wir es so . Dort soll das staatlicheSicherheitsmonopol hergestellt werden . Wir bilden dieLeute aus, aber Waffen – da braucht man Kriegswaffen,nicht nur Wassertanks für die Wüste – liefern wir ihnennatürlich nicht . – Da muss ich sagen: Wer ist jetzt inkon-sequent, wer ist scheinheilig?
Deshalb ist ein Systemwechsel nötig . Ein Verbot ist,glaube ich, nicht die richtige Lösung .
Wir müssen die in der Tat viel zu restriktive Handhabunghier in Deutschland überdenken, und zwar aus politi-schen Gründen, nicht aus wirtschaftlichen oder Arbeits-platzgründen . Die Zahlen habe ich dargelegt; Sie könnensie nachlesen .
Es geht in erster Linie um Außen- und Sicherheitspo-litik . Dann müssen wir innovationsfähig bleiben . Wirbrauchen Kernkompetenzen, damit wir unabhängig blei-ben und unsere Sicherheit selber gewährleisten können .Wir müssen auch verlässlich sein, und wir müssen diespartnerschaftlich organisieren können . Vorhin wurdeWolfgang Schäuble erwähnt . Er hat natürlich hundert-prozentig recht,
wie er in fast allen Fragen hundertprozentig recht hat unddann auch irgendwann bekommt .
Zur Europäisierung haben wir hier gesagt: Jawohl,wir wollen eine Europäisierung . Aber die Europäisierungdarf natürlich nur nach unseren Standards sein . Wenn alleanderen nicht so mitmachen, wie wir es gern hätten, dannfunktioniert die Europäisierung nicht . – Ich glaube, dasist der falsche Weg . Wir müssen in Europa – das ist imMoment aktueller denn je – definieren, welche Außen-und Sicherheitspolitik wir anstreben wollen, und dannmüssen wir die Instrumente dafür einsetzen . Dazu gehörteine verantwortliche, diesen Kriterien entsprechendeRüstungs- und Kriegswaffenexportpolitik, aber nicht miteinem nationalen Sonderweg – „Am deutschen Wesensoll die Welt genesen .“ –, sondern international und euro-päisch eingebunden . Das ist die Aufgabe . Dieser System-wechsel ist notwendig, nicht ein populistisches, alarmis-tisches Verbot, das weder politisch noch den Menschenin der Welt weiterhilft .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Matthias Ilgen für dieSPD-Fraktion .
Dr. Joachim Pfeiffer
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
grüßen die Häufigkeit, in der der Rüstungsexportbericht
inzwischen vorgelegt wird; denn das ist auch eine Gele-
genheit, ab und an einmal deutlich zu machen, wie die
sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich dann doch
von den Christdemokraten unterscheidet .
Herr Pfeiffer hat hier eben gesagt: Wir brauchen eine
Wende, weg sozusagen vom Restriktivismus hin zum Ak-
tivismus . Und er hat gesagt: Weg mit den Regeln! – Das
unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion ganz klar nicht .
Wir sind stolz darauf, dass Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel eine restriktive Rüstungspolitik nicht nur
angekündigt, sondern auch durchgehalten hat .
Damit bin ich beim Antrag der Opposition, Herr van
Aken, der Linksfraktion . Ich schätze Sie als Kollegen
wirklich, als redlich und intellektuell . Aber Sie haben
heute nicht mit einem Wort zu Ihrem Antrag gesprochen,
sondern Sie haben lediglich erneut die Zahlen zum Ge-
samtvolumen laut Exportbericht benannt und skanda-
lisiert . Das ist unredlich; denn man muss schon genau
hingucken . Nicht ein nominaler Wert oder eine nominale
Steigerung sind entscheidend dafür: „Wie gefährlich ist
ein Rüstungsexport real?“, sondern entscheidend ist: Was
wird im Einzelnen exportiert? Da muss man genauer hin-
gucken .
Bei Kleinwaffen, die wir für besonders gefährlich hal-
ten, insbesondere wenn sie in Drittstaaten gehen und wir
die Weiterverwendung nicht nachprüfen können, wie das
in der Vergangenheit der Fall war, sind die Zahlen relativ
günstig verglichen mit dem, was wir vor allem an unsere
vielen Partner in der Welt an Tankflugzeugen, Bergepan-
zern, Eisbrechern usw . liefern . Deswegen ist es einfach
unredlich – das war es auch bei Ihnen, Frau Brugger –,
das Volumen zu nehmen und zu sagen: Sie haben das
verdoppelt, und deswegen ist die Welt jetzt schlechter
geworden .
Das ist eine Schwarz-Weiß-Malerei, die man einfach
nicht machen darf .
Ich will erklären, dass die Welt manchmal Graustufen
hat . Ich will ein Beispiel nennen .
Kollege Ilgen, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen van Aken?
Wenn ich den Gedanken noch zu Ende führen darf .
Dann meldet er sich noch einmal .
Ja, okay . – Eine Frage wird auf uns zukommen . Brasi-
lien fragt an . In Brasilien stehen die Olympischen Spiele
vor der Tür, und Brasilien will Maschinengewehre ha-
ben, weil man im Moment die Sicherheitslage so ein-
schätzt, dass man mit der polizeilichen Ausrüstung nicht
zurechtkommen wird, wenn es darum geht, die Olympi-
schen Spiele zu schützen .
Sie wollen – ich habe das jetzt mehrfach gehört, so-
wohl von den Grünen als auch von den Linken – in der
Bundesrepublik Deutschland ein totales Exportverbot für
Kleinwaffen . Das würde dazu führen, dass der Export der
gewünschten Maschinengewehre nicht genehmigungsfä-
hig wäre, und wir würden damit aktiv dazu beitragen,
dass die Sicherheit bei den Olympischen Spielen in Bra-
silien nicht gewährleistet werden könnte . Das halten wir
Sozialdemokraten für falsch . Man muss den Einzelfall
prüfen . Das ist für uns das entscheidende Argument, wa-
rum man ein solches Totalverbot nicht machen kann .
Jetzt bitte .
Das Wort erteile ich jetzt . – Der Kollege van Aken hat
für eine Frage oder eine Bemerkung das Wort .
Danke schön . – Herr Ilgen, Sie sagen ja zu Recht, man
müsse genau hinschauen und dürfe nicht nur die Ge-
samtzahlen sehen, sondern müsse ins Detail gehen . Ja,
dann reden wir doch einmal über den Antrag, reden wir
einmal über Saudi-Arabien . Sie wissen, im letzten Jahr,
2015, hat Saudi-Arabien im Jemen bombardiert, hat bei
Luftangriffen ganz viel Munition, Bomben und Raketen,
verbraucht . All dieses kauft Saudi-Arabien jetzt nach .
Wissen Sie, für wie viele Millionen Euro Saudi-Arabien
in Deutschland Nachschub gekauft hat?
270, glaube ich . Aber Sie werden es mir sagen .
Nur Munition! Ich rede nur über Munition . – Muniti-onsexporte im Wert von 20 Millionen Euro hat Ihr Wirt-schaftsminister für Saudi-Arabien genehmigt, Munition,die sie wahrscheinlich am nächsten Tag gleich wieder imJemen verballert haben . Das sind konkrete Zahlen, dassind konkrete Beispiele .Wenn Sie hier schon fordern, ins Detail zu gehen, dannsagen Sie auch, dass es deutsche Waffen sind, die geradeim Jemen töten, und dann äußern Sie sich bitte auch zu
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Herrn Pfeiffer, der sagt, dass er es richtig finde, dass mitdeutschen Waffen Zivilisten getötet werden .
Das müssen Sie hier jetzt einmal ganz klar sagen .Danke .
Ich will versuchen, darauf einzugehen . Sie sprechen
immer von „dem Wirtschaftsminister“ . Das ist falsch .
Ich muss Ihnen hier an der Stelle Nachhilfe in Staats-
recht erteilen . Der Bundessicherheitsrat genehmigt, und
da raufhin erteilt dann das Bundeswirtschaftsministerium
die Genehmigung .
Ich glaube, wir haben in diesem Hause mehrfach
deutlich gemacht, dass es in der Vergangenheit Abstim-
mungen in diesem Bundessicherheitsrat gegeben hat, bei
denen die sozialdemokratischen Bundesminister anders
abgestimmt haben als die Kolleginnen und Kollegen von
der Union . Es handelt sich allerdings um ein Kollegi-
alorgan, das nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet .
Deswegen sind wir in einigen dieser Abstimmungen un-
terlegen . Nun werden die in der Regel nicht im Einzelnen
öffentlich gemacht, aber der Bundeswirtschaftsminister
hat ein paar Fälle genannt . Ich kann jetzt, ehrlich gesagt,
zu diesem konkreten Anlass nichts sagen, weil ich das
Abstimmungsergebnis und auch das Abstimmungsver-
halten nicht kenne wie Sie ja auch nicht; aber vielleicht
kennen Sie es ja . Auf jeden Fall geht es doch darum, dass
man da differenziert .
Wir als SPD-Bundestagsfraktion lehnen auf jeden
Fall – das will ich Ihnen politisch sagen – diesen Stell-
vertreterkrieg, wie er dort durch Saudi-Arabien im Jemen
geführt wird, ab .
– Nein, das werden wir nicht tun .
Das, was mit diesem Antrag ja auch versucht wird, ist,
sozusagen politische Sippenhaft einzufordern . Ich will
das aus folgendem Grund sagen: Wenn man zum Beispiel
Bergepanzer an den Oman liefert oder ABC-Abwehr-
fahrzeuge nach Kuwait liefert, dann geht es ja sozusagen
auch um Lieferungen in den Nahen Osten . Sie wollen so
etwas in Zukunft verbieten, weil Sie jetzt ein konkretes
Problem mit Saudi-Arabien haben, wobei wir hier Ihre
Analyse teilen .
So kann man allerdings nicht vorgehen; vielmehr werden
wir uns an dieser Stelle weiterhin ganz klar für die Ein-
zelfallbetrachtung aussprechen .
Ich will noch einmal etwas zu den Kleinwaffen sa-
gen . Die konkreten Werte wurden ja noch einmal ange-
sprochen . Aber ich denke, es ist doch ein entscheidender
Punkt, dass wir alle miteinander in diesem Haus – zumin-
dest von der linken Seite bis über die Mitte hinaus, sage
ich einmal – daran festhalten, dass Kleinwaffenexporte
weiter reduziert werden müssen . Meine Kollegin Finckh-
Krämer wird auch noch etwas dazu sagen, was sozusagen
unsere Vorstellungen hinsichtlich einer neuen Gesetzes-
grundlage dafür angeht .
Ja, eigentlich bin ich am Ende meiner Rede; denn alles
andere wurde schon von den Kolleginnen und Kollegen
gesagt . Wenn Sie noch weitere Interventionen planen – –
Ich glaube, Frau Brugger hatte eben gezuckt . Vielleicht
haben Sie noch – –
– Gut .
Dann danke schön .
Es gibt keine Pflicht zum Ausschöpfen der verabrede-
ten Redezeit . Insofern herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am25 . Mai rechtfertigte der Bundesaußenminister das Lie-fern von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien, indem ersagte, er habe Verständnis für die legitimen Sicherheits-interessen Saudi-Arabiens .
Jedes Land der Welt hat legitime Sicherheitsinteressen .Die Frage ist nur: Reichen sie dafür aus, dass wir ihnenWaffen liefern? Haben sie irgendetwas mit dem Weltfrie-den und mit dem Völkerrecht zu tun?Schauen wir uns doch einmal an, was Saudi-Arabienmacht, und zwar jetzt im 17 . Monat . Sie bomben Jemenzurzeit in die Steinzeit zurück: 6 500 zivile Tote durchdie Bombardements, die größte humanitäre Katastropheder Zeit, 13 Millionen Menschen brauchen im Jemen zur-zeit humanitäre Hilfe – doppelt so viele Menschen wieJan van Aken
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in Syrien –, 2,8 Millionen Binnenvertriebene, eine kom-plett zerstörte zivile Infrastruktur . Weltkulturerbe wirdgebombt, Krankenhäuser werden gebombt, Flüchtlings-lager werden gebombt . Das sind die Sicherheitsinteres-sen, die Saudi-Arabien formuliert .Herr Kollege Pfeiffer, wenn Sie sich jetzt hierhinstel-len und sagen, Sie seien froh darüber, dass die das tun,dann ist das für mich nicht nur jenseits meiner Magen-stärke; das ist vielmehr einfach menschenverachtenderZynismus .
Die Saudis sind nicht alleine schuld an diesem Krieg .Selbstverständlich haben auch die Huthis einen großenAnteil daran; das ist überhaupt keine Frage .
– So undifferenziert wie Herr Pfeiffer kann hier niemandreden . Das ist schon okay .
Natürlich haben die Huthis angefangen . Die Eskalati-on der Situation ist aber entstanden durch die Bombarde-ments und durch die Seeblockade, die im Übrigen durchdiese Patrouillenboote verstärkt werden soll . Die Seeb-lockade hat dazu geführt, dass keine Pharmazeutika mehrins Land kommen . Das öffentliche Leben im gesamtenLand ist komplett stillgelegt .Deshalb muss man sich einmal fragen: Wer ist denneigentlich Profiteur dieser sogenannten Sicherheitsinte-ressen? Es ist al-Qaida . Die Waffen, über deren LieferungSie sich vorhin gefreut haben, packen die in Holzkisten,werfen sie über Al-Qaida-Gebiet ab, weil sie wissen, dassal-Qaida gegen die Huthis kämpft . Hat es auch etwas mitden legitimen Sicherheitsinteressen der Menschen inDeutschland zu tun, wenn al-Qaida durch diesen irrsin-nigen Krieg der Saudis gestärkt wird? Ich glaube nicht .Aber dazu hätten Sie ja vielleicht auch einmal etwas sa-gen können .
Al-Qaida kontrolliert mittlerweile Häfen mit Zugangzum offenen Meer, profitiert von der Schmuggelwirt-schaft und rekrutiert die Leute, die nicht mehr wissen,wie es mit ihnen weitergehen soll, weil sie nun seit17 Monaten bombardiert werden . „Aber hey, freuen Siesich weiter!“, kann man da nur sagen . Ich glaube nicht,dass die Menschen an den Bildschirmen irgendein Ver-ständnis für diese wirklich abartige Positionierung ha-ben, die ich hier gerade gehört habe .
Das Ganze betrifft ja nicht nur den Jemen . Die Saudisunterminieren gerade massivst die Vereinten Nationen .Der Menschenrechtsrat hat sich zum Beispiel nicht mitdiesem Thema befassen können, weil die Saudis eine un-abhängige Untersuchung konterkariert haben . Dann gabes eine sogenannte „Liste der Schande“, in der klar dar-gestellt wurde, wie gerade Kinder im Jemen unter denBombardements leiden . Die Saudis haben gedroht, beiVeröffentlichung der Liste kein Geld mehr an die Verein-ten Nationen zu geben . Das ist die wahre Schande, überdie wir reden müssten, statt über die Frage der sogenann-ten legitimen Sicherheitsinteressen eines Landes .
Was ist denn mit den Sicherheitsinteressen der zivilenOpfer? Was ist denn mit den Sicherheitsinteressen derVereinten Nationen? Was ist denn mit den Sicherheits-interessen der Bundesrepublik Deutschland in diesemwahnsinnigen Krieg, in dem nur al-Qaida gewinnt? Dieeinzige Ausrede, die wir bisher hören, ist: Na ja, die Ge-nehmigungen sind alt . – Ich kann nur aus den Rüstungs-exportrichtlinien zitieren:Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffen-nahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht geneh-migt in Länder,– die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwi-ckelt sind oder wo eine solche droht …Spätestens seit Beginn des Jemen-Krieges ist klar: Auchalte Genehmigungen können und müssen widerrufenwerden .
Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Es ist eben leider wie immer in den Debatten:Dass die Diskussion über Rüstungsexporte keine einfa-che Diskussion ist, wissen wir alle, nur krankt die Dis-kussion immer wieder daran, dass Herr van Aken sozu-sagen versucht, Rednern anderer Fraktionen die Worteim Mund umzudrehen, und völlig populistische und ausdem Zusammenhang gelöste Sachen behauptet, die durchnichts gedeckt sind . Das ist genau dieselbe Situation, wiewir sie gestern im Zusammenhang mit der Diskussionum CETA schon erlebt haben . Die Linken betreiben Po-litik, indem sie mit populistischen Floskeln ohne Details,ohne wirklich sachlich aufzuklären, unter den MenschenÄngste schüren, um sozusagen gegen die Regierung, ge-gen die deutsche Politik zu argumentieren .
Omid Nouripour
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– Sie haben doch gerade Herrn Pfeiffer die Worte imMund umgedreht . Es stimmte doch einfach nicht, wasSie behauptet haben .
Ich erinnere Sie immer wieder an die Historie IhrerPartei .
Wir in Deutschland haben die restriktivsten Rüstungs-exportkontrollen, die restriktivsten Exportrichtlinien, anderen Formulierung die Grünen im Übrigen mitgewirkthaben .
– Langsam . – Die Waffen, die zum Teil heute noch in derWelt sind, die al-Qaida und andere benutzen, sind keinedeutschen Waffen . Das sind möglicherweise noch Waf-fen, die die Sowjetunion mit ihren sozialistischen Part-nern weltweit in Umlauf gebracht hat, völlig unkontrol-liert, meine Damen und Herren .
Al-Qaida kämpft nicht mit deutschen Waffen . Das mussman doch einmal deutlich sagen . Es handelt sich nichtum deutsche Waffen .
Es gibt ganz andere Nationen wie die Russen oder dieAmerikaner, die Waffen völlig unkontrolliert exportie-ren . Sie können doch die deutsche Rüstungsexportpolitiknicht mit anderen gleichsetzen . Das ist absurd, was Siehier betreiben, meine Damen und Herren .
Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage . – Dannmüssen wir uns das einmal genauer anschauen – HerrNouripour, Sie haben es doch selber gesagt –, statt es sopopulistisch wie Herr van Aken mit „Rekorde, Rekorde“darzustellen . Schauen wir doch einmal, was auf der Ex-portliste steht .Von den Rüstungsexporten in Höhe von 96 Millio-nen Euro, die in den Oman geliefert wurden, entfallenwertmäßig gesehen zum Beispiel 25 Prozent auf Flugleit-einrichtungen, 20 Prozent auf Lkws, 12 Prozent auf Da-tenverarbeitungsanlagen und 12 Prozent auf Dekontami-nationsausrüstungen .
Von den Rüstungsexporten in die Vereinigten Arabi-schen Emirate in Höhe von 107 Millionen Euro entfallen40 Prozent auf Lkws, Schwerlasttransporter, Sattelauflie-ger, 20 Prozent auf Überwachungssysteme, der Rest aufSeeminenräumsysteme, aber auch auf Sportpistolen undJagdgewehre .Ich will damit bloß sagen: Wenn man eine solche Dis-kussion führt, dann muss man ehrlicher differenzieren .Daran krankt die ganze Diskussion .
Sie versuchen hier nämlich, sozusagen ein Monster auf-zubauen: Deutschland als Politikmonster im internatio-nalen Rüstungsexport . Der Kollege Pfeiffer hat ja daraufverwiesen, dass sich der deutsche Anteil am weltweitenRüstungsexport, der um 14 Prozent gestiegen ist, deut-lich verringert hat, da er nur um 4,7 Prozent gestiegen ist .So etwas ignorieren Sie einfach .Meine Damen und Herren, da muss man die Frage andie Kollegen der Fraktion Die Linke stellen, deren An-trag wir heute beraten – Herr van Aken hat ja gar nichtdazu gesprochen; er hat stattdessen die globale Lage derWelt erklärt –: Wie halten Sie es mit den UN-Missionen?Wenn man zu einem Verbot käme, beträfe das auch dasThema UN-Missionen . Wie verhält sich dann Deutsch-land? Deutschland ist dann ja praktisch raus .
Blicken wir einmal nach Afrika, wo sich jetzt südlichder Sahara in den sogenannten Sahel-G5-Staaten einegroße Ansammlung von Terroristen befindet. Es gibtBemühungen, dass die Afrikanische Union eine Ein-greiftruppe mit dem Oberkommando in N’Djamena imTschad aufstellt, um den Terrorismus in der Sahelzonezu bekämpfen . Teilweise können Sie sich in den Län-dern überhaupt nicht mehr bewegen, und die Gebieteunter terroristischer Kontrolle sind so groß, dass es nichtmehr möglich ist, dorthin zu reisen . Wer stattet denn nundie Mission der Afrikanischen Union aus? Das ist dochdie Frage . Sollen wir das mit unseren demokratischenGrundsätzen machen, oder sollen wir das den Russenoder Chinesen überlassen, wobei dann niemand mehreine Kontrolle darüber hat, was geliefert wird?Es ist also die Frage, welche Sicherheitsinteressen wirmit unserer Rüstungsexportpolitik verfolgen . Es ist ebennicht so einfach, wie Sie es immer wieder versuchen dar-zustellen . Auch aus dem jetzigen Rüstungsexportberichtgeht doch klar hervor, dass Deutschland mit dem Exportvon Gerätschaften acht VN-Missionen unterstützt . Auchdas würde bei einem Verbot völlig unter den Tisch fallen .Auf der einen Seite fordern die NATO-Partner, for-dern die Verbündeten weltweit ein stärkeres EngagementAndreas G. Lämmel
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Deutschlands, weil es ein wirtschaftlich starkes Land ist .Gar keine Frage; das ist auch richtig so . Ich frage michaber: Wie soll man das leisten, wenn wir uns mit dem re-striktivsten Recht ein Verbot auferlegen und andere Staa-ten, in denen es keine Kontrolle gibt, in denen überhauptnicht über den Verbleib von Waffen diskutiert wird, indiese Lücke springen?
Wissen Sie, das ist genauso absurd wie die Diskussionüber den Export von Kohlekraftwerken . Deutschland willdie Welt sozusagen damit heilen, dass es keine Exportfi-nanzierung mehr für die Lieferung deutscher Kohlekraft-werke in die Welt gibt . Wir ruinieren unsere Industrie da-mit, wir gefährden Arbeitsplätze auf hohem Niveau, aberdie Kraftwerke werden doch gebaut . Da freuen sich dieJapaner, die Chinesen, die Russen . Alle freuen sich darü-ber, wenn sich Deutschland als gesitteter Staat aus diesenExporten heraushält . Deswegen ist Ihr Antrag eigentlichziemlich absurd .Dann muss ich noch etwas zum Kollegen Ilgen vonder SPD sagen . Ich frage mich, woher Sie wissen, dassSPD-Kollegen im Sicherheitsrat anders abstimmen alsCDU/CSU-Kollegen . Ich frage mal Frau Zypries, ob siedas bestätigen kann . Uns wird nie das Abstimmungsver-halten mitgeteilt . Meines Erachtens ist es geheim . Siekönnen mir ja nach der Debatte einmal verraten, woherSie die Informationen haben .
Ich möchte eine weitere Sache aufklären . Wir, CDU/CSU und SPD, haben im Koalitionsvertrag gemeinsamdie Neuregelung bei den Rüstungsexportberichten ver-einbart . Dass jetzt der Wirtschaftsminister den Willen derKoalition ausführt, ist ja das Normalste der Welt . Insofernmuss ich sagen: Ursprung der Neuregelung ist die Koali-tionsvereinbarung, und dass das Wirtschaftsministeriumsie jetzt umsetzt, ist ja ganz klar . Es gibt also nicht nureine Person, die jetzt hier den Glorienschein davonträgt,sondern es war unser gemeinsamer politischer Wille .Ich möchte ganz klar in Richtung der Linken sagen:Wir wissen ganz genau, wie sensibel dieses Thema ist .Nur: Mit Ihrem Populismus wird man erstens in der Weltnichts verändern und zweitens auch in der deutschen Po-litik nichts Vernünftiges zustande bringen .
Wir sind da besser in der Spur . Ich denke, es hat sich inden letzten Jahren gerade auf diesem Gebiet sehr viel ge-tan . Diesen Weg werden wir weiter beschreiten .Vielen Dank .
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jan van
Aken das Wort .
Es tut mir leid, aber ich möchte nur kurz drei Aussa-
gen von Herrn Lämmel korrigieren .
– 30 Dinge könnte man korrigieren, aber ich möchte
mich auf drei fokussieren .
Erstens . Herr Lämmel, Sie haben nicht hingehört .
Auch irgendwelche Waffenexporte der Sowjetunion oder
der Staaten des Warschauer Paktes bis 1989/1990 finde
ich falsch; da bin ich ganz Ihrer Meinung . Der Unter-
schied zwischen uns ist: Ich finde auch die bundesdeut-
schen Waffenexporte falsch; Sie finden sie richtig. Sie
finden die sowjetischen Waffenexporte falsch, ich finde
alle falsch .
Zweitens . Sie haben jetzt drei-, viermal wiederholt:
Al-Qaida kämpft nicht mit deutschen Waffen . – Ich per-
sönlich war im Januar 2014 im Norden Syriens und habe
dort eine MILAN-Rakete aus deutsch-französischer Pro-
duktion, zu 50 Prozent in Deutschland hergestellt, in der
Hand gehabt; ich habe die Seriennummer, das Produkti-
onsjahr usw . Mit dieser MILAN-Rakete hat al-Qaida da-
mals direkt an der Grenze, im Dreieck zwischen Türkei,
Syrien und Irak, gekämpft . Ihre Information ist falsch .
Ich habe das Ding persönlich in der Hand gehabt .
Es gibt viele andere Beispiele – das Internet ist voll mit
Fotos –, aber in diesem Fall kann ich es selbst bestätigen,
weil ich die Waffe selbst angefasst und die Seriennum-
mer gesehen habe .
Drittens . Es geht zu weit, dass Sie hier von Seite 111
des Rüstungsexportberichtes zitieren und sagen, dass
40 Prozent der Exporte in die Vereinigten Arabischen
Emirate, VAE, auf Lkws entfallen . Lesen Sie das bitte
ganz vor! Die dort genannten 41,6 Prozent beziehen sich
auf „LKW“ und „Teile für Kampfpanzer“ und „gepanzer-
te Fahrzeuge“ . Es sind Kriegswaffen, die darunterfallen .
Tun Sie nicht so, als ob der Großteil von dem, was in die
VAE geht, Lkws sind . Entweder haben Sie es nicht ver-
standen, oder Sie haben hier bewusst falsch zitiert .
Möchten Sie erwidern?Andreas G. Lämmel
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Nein, danke, möchte ich nicht .
Das Wort hat der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner für
die SPD-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Haben Sie keine Angst, dass Sie alle di-
cken Papiere, die ich hier jetzt habe, heute ertragen müs-
sen! Ich bin sowieso schon glücklich, dass zu dieser Zeit,
am letzten Sitzungstag vor der angeblichen Sommerpau-
se, über die es ja immer heißt, dass alle Abgeordneten in
den Urlaub fahren, so viele Kolleginnen und Kollegen
bei der Debatte zu diesem Thema da sind und so viele
Zuhörerinnen und Zuhörer und ein ebenfalls fast voll be-
setzter Kabinettsbereich heute dieser Debatte lauschen .
Eigentlich, meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es mir bei dem An-
trag der Linken, Herr Kollege van Aken, wie bei dem
Klassiker Und täglich grüßt das Murmeltier .
Ob es der jährliche Bericht des Stockholm Internatio-
nal Peace Research Institute, also SIPRI, ist, ob es der
Rüstungskontrollbericht oder der Transparenzbericht der
Bundesregierung ist, ob es irgendein Gutachten zur Rüs-
tung ist – es kommt immer die gleiche Reaktion: erstens
Empörung,
zweitens unreflektierte und undifferenzierte Nennung
irgendwelcher Zahlen, die natürlich im Einzelfall stim-
men, aber nie in dem Kontext gesehen werden,
drittens – ich sage es ganz bewusst – Verdrehung von
Tatsachen, und schließlich Forderungen, für die man fast
Textbausteine verwenden könnte .
Mal wird, wie jetzt, gefordert, die Genehmigung für
Rüstungsexporte in die Staaten des Golfkooperationsra-
tes zu widerrufen, mal wird gefordert, keine neuen Ge-
nehmigungen zu erteilen . Gestern wurde der Austritt aus
der NATO gefordert,
vorgestern die Abschaffung der Bundeswehr und, und,
und. Diese Textbausteine werden reflexartig immer wie-
der gebracht, ohne einen echten Lösungsansatz anzubie-
ten .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte versuchen, die Behauptungen in ein paar Worten
zu widerlegen . Waren es nicht unser Bundeswirtschafts-
minister Sigmar Gabriel und auch die SPD-Bundestags-
fraktion, die den Anstoß für eine deutliche Absenkung
des Volumens der Waffenexporte an Drittstaaten gegeben
haben? Wir haben – mein Vorredner hat es schon gesagt –
in den Koalitionsvertrag die Ziele eingebracht: hohe
Transparenz und vor allem Senkung der Waffenexporte .
Fakt ist – und das muss an dieser Stelle auch gesagt
werden –, dass es doch eigentlich eine gute Nachricht ist,
die nicht wegzudiskutieren ist, dass die Zahl der Geneh-
migungen von Kleinwaffenexporten so massiv zurückge-
gangen ist, wie sie in der Geschichte der Rüstungsexport-
genehmigungen noch nie zurückgegangen ist .
Kleinwaffen sind in Euro und Cent gemessen keine
großen Positionen, aber es sind die Waffen, die das größ-
te Unheil auf dieser Welt anrichten . Das Problem ist, dass
sie in großen Stückzahlen zu geringen Gestehungskosten
umgesetzt werden können . Sie richten den größten Scha-
den an .
Deshalb halte ich es für ausgesprochen wichtig – und
es ist bedauerlich, dass heute dazu noch niemand etwas
gesagt hat –, dass die Post-Shipment-Kontrollen, die
nunmehr eingeführt worden sind, nicht mehr wegzudis-
kutieren sind . Aber es heißt immer wieder – ich kenne
das schon –: Da macht ja noch niemand was . In den
Ländern werden ja noch gar keine Kontrollen durchge-
führt . – Ja, richtig, sie werden noch nicht durchgeführt,
aber doch nur, weil bisher keine dieser Waffen tatsäch-
lich exportiert worden ist . Nur das, was exportiert wurde,
kann kontrolliert werden und wird auch kontrolliert . Das
ist richtig und auch zwingend notwendig .
Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten
Herren, ich halte es für politisch absolut nicht opportun,
dass die Opposition, gleich welcher Art, immer die Zahl
von 7,86 Milliarden Euro ins Spiel bringt . Dann folgt das
Mantra „Sigmar Gabriel ist gescheitert“, aber den Blick
in den Gesetzestext lässt man sein . Die Frage, ob etwas
rechtmäßig ist oder nicht – –
Kollege Brunner, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung der Kollegin Brugger?
Gerne, Frau Präsidentin .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Vielen Dank, HerrKollege Brunner . – Sie haben die Kleinwaffengrundsätze
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und die Post-Shipment-Kontrollen angesprochen . Diesebeinhalten ja, dass im Nachhinein kontrolliert werdensoll, ob die Waffen auch wirklich in dem Land verbliebensind, für das eine Genehmigung erteilt wurde . Und auchder Bundessicherheitsrat soll eigentlich nur noch Geneh-migungen für den Export von Kleinwaffen aussprechen,wenn die Empfängerstaaten vorher erklären: Wir lassendie Kontrollen zu, und wir verpflichten uns, die gleicheMenge an alten Waffen in unseren Beständen zu zerstö-ren .Jetzt schreit die Opposition nicht immer nur: „Skan-dal!“, sondern ich habe Sigmar Gabriel genau für die-se beiden Vorhaben sehr gelobt . Aber zur Aufgabe einerAbgeordneten gehört es auch, nach ein paar Monaten zuprüfen, was von der Ankündigung übriggeblieben ist .Das habe ich in einem regen Briefwechsel mit dem Bun-deswirtschaftsministerium getan .Meine erste Frage lautet: Zeigt nicht die Tatsache,dass der Bundessicherheitsrat die Genehmigung für denExport von Kleinwaffen erteilt hat, ohne dass von allenStaaten die entsprechenden Erklärungen vorlagen, dassdie Kleinwaffengrundsätze, die gut sind, nicht einmal dasPapier wert sind, auf dem sie stehen?Zweitens frage ich mich: Wer soll diese Kontrollendurchführen? Dafür sind im Bundesamt für Wirtschaftund Ausfuhrkontrolle gerade einmal zwei Stellen ge-schaffen worden – glatte zwei Stellen! Und wissen Sie,wer die Vor-Ort-Kontrollen durchführen soll? Die Bot-schaftsmitarbeiter, die ja sonst nichts zu tun haben unddie die Waffen anhand ihrer Typen- und Seriennummernnatürlich unterscheiden können .Wollen Sie uns wirklich erzählen, dass das jetzt diegroße Trendwende bei der Endverbleibskontrolle vonKleinwaffen und bei der Durchsetzung des Prinzips „Neufür alt“ ist?
Verehrte Kollegin Brugger, selbstverständlich will
ich Ihnen das erklären . Ich gebe zu, dass das derzeitige
Personal nicht ausreichend ist . Aber es ist deshalb nicht
ausreichend, weil aufgrund der erteilten Genehmigun-
gen noch gar nicht geliefert wurde . Ich halte es schon
aus betriebswirtschaftlichen Gründen und aufgrund des
gebotenen sorgsamen Umgangs mit Steuermitteln für
notwendig, dass die Kontrollen erst dann erfolgen und
das Personal erst dann zur Verfügung gestellt wird, wenn
die Ausfuhr tatsächlich erfolgt . Alles andere wäre tat-
sächlich, wie Sie es sagen, Augenwischerei . Wir müssen
kontrollieren, und wir werden kontrollieren .
Meine sehr verehrten Damen, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, lassen Sie mich zu meinem Gedankengang
zurückkommen . Unsere international verantwortlich
denkende Regierung – damit meine ich alle Bundesre-
gierungen, ganz egal, wie sie zusammengesetzt sind, also
sowohl die jetzige als auch zukünftige Bundesregierun-
gen – wird die in dieser Legislaturperiode durchgesetz-
ten Verschärfungen der Rüstungsexportkontrollen nicht
mehr ändern . Seit Anfang 2015 sprechen wir viel über die
Rolle Deutschlands in der Welt, über mehr Engagement,
über mehr Verantwortung . Genau dieser Verantwortung
kommen wir mit der Rüstungsexportpolitik unseres Bun-
deswirtschaftsministers nach . Wir alle zusammen wis-
sen ja, dass nicht zuletzt die Signale der Bundesrepublik
Deutschland, die unser Bundeswirtschaftsminister setzt,
in Europa gehört werden und weitere Kreise ziehen wer-
den .
Ich könnte es mir jetzt einfach machen und einen
Kommentar aus der gestrigen Ausgabe des Tagesspiegels
wiedergeben, in dem ganz klar und deutlich unter der
Überschrift „Strenger wird es nicht mehr“ gefragt wurde,
wie eine Bundesrepublik Deutschland, die international
eine wichtige Rolle zu spielen hat, aussehen würde, wenn
es in Deutschland keine Rüstungsindustrie mehr gäbe,
wenn in Deutschland keine Rüstungsgüter mehr produ-
ziert würden, wenn es keine explizite Rüstungskontrol-
le gäbe und wenn Deutschland als starker Teil Europas
letztendlich auf Indien und die Vereinigten Staaten ange-
wiesen wäre .
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und
Herren, an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen:
Worum geht es wirklich? Um welche Kernbotschaften
geht es hier? Die jetzige Bundesregierung zeichnet sich
durch eine besonders restriktive und transparente Ex-
portkontrolle aus . Mit bloßen Zahlen wie den genannten
kann man kein realistisches Bild zeichnen . Es wurden
Einzelausfuhrgenehmigungen – jetzt ohne die Panzer für
Katar – nur in Höhe von 9,5 Millionen erteilt . Die Klein-
waffengrundsätze sind gut und werden umgesetzt .
Was Saudi-Arabien betrifft: Der größte Teil der erteilten
Ausfuhrgenehmigungen bezieht sich auf Zulieferungen
für Rüstungsgüter wichtiger europäischer und amerikani-
scher Partner . Insoweit sind sie notwendig und bindend .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit – verehrte
Frau Präsidentin, ich sehe das Signal, dass ich zum Ende
kommen soll – und wünsche den Kolleginnen und Kolle-
gen, die nunmehr die Gnade haben, für ein paar Tage in
Urlaub zu fahren, einen schönen Urlaub, und den ande-
ren viel Spaß im Wahlkreis . Auch den Zuhörerinnen und
Zuhörern fürs Zuhören herzlichen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Barbara
Lanzinger das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer hier im Deut-Agnieszka Brugger
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schen Bundestag! Ich möchte zu Beginn eines festhalten:Berücksichtigt man alle Gesetze, alle Regelwerke, diewir haben, stellt man fest, dass die Gesamtthematik, überdie wir jetzt diskutieren, sicher zu den politisch, mensch-lich und auch emotional schwierigsten im Parlament ge-hört . Ich glaube, da sind wir uns alle einig . Es bedarf derAusgewogenheit und auch der Abwägung zwischen klu-ger Diplomatie, Verteidigungsbereitschaft und Rüstungs-exporten . Dass das ohne Verstand gemacht wird, wie Siees vorhin sagten, weise ich ganz entschieden zurück .Wir haben strenge Regeln für Rüstungsexporte – daswiederhole und verdeutliche ich jetzt –, vor allem für denExport von Waffen . In jedem Einzelfall wird streng daraufgeachtet, wer welche Güter wann bekommt . Deutschlandhat sich für die Ausfuhr von Rüstungsgütern, und hiervor allem bei Waffen, mit die strengsten Regeln welt-weit auferlegt . Diese sind beispielsweise festgehalten imGrundgesetz, im Kriegswaffenkontrollgesetz, im Außen-wirtschaftsgesetz und in den „Politischen Grundsätzender Bundesregierung für den Export von Kriegswaffenund sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000, die –das wurde schon erwähnt – von der damaligen rot-grü-nen Bundesregierung überarbeitet wurden . Letzteregeben ganz klar vor, dass die Rüstungspolitik restriktivgestaltet werden soll, dass sie sich aber auch am Sicher-heitsbedürfnis und den außenpolitischen Interessen derBundesregierung zu orientieren habe . Es wird immer derjeweilige Einzelfall geprüft . Die letztendliche Entschei-dung trifft der Bundessicherheitsrat . Dieses Gremium derBundesregierung ist aus Vertretern des Bundeskanzler-amts, des Auswärtigen Amts, des Innenministeriums, desWirtschaftsministeriums, des Entwicklungsministeri-ums, des Justiz- und Verbraucherschutzministeriums undweiteren zusammengesetzt .Ich möchte der Ehrlichkeit halber noch erwähnen:Nachgeordnet spielen natürlich auch wirtschaftspoliti-sche Interessen eine Rolle . Wir sind auch im Hochtech-nologiebereich der Wehrtechnik Exportland . Wichtig zuerwähnen ist auch, dass die Prüfungen bei uns oftmalslänger als ein Jahr dauern und dass bei internationa-len Rüstungsverträgen teilweise mit dem Label „Ger-man-free“ geworben wird . Das sind durchaus enormeStandortnachteile für unsere Industrie .Auch hier wird ganz deutlich: Die außen- und sicher-heitspolitische Bewertung möglicher Empfängerländerhat immer Vorrang . Unter anderem im internationalanerkannten Wassenaar-Abkommen ist definiert undim Außenwirtschaftsgesetz rechtlich festgehalten, wasRüstungsgüter sind . Rüstungsgüter, wie sie im Rüstungs-exportbericht aufgeführt werden, sind eben nicht nurKriegswaffen, sondern zum Beispiel auch Nachtsichtge-räte, Feldkrankenhäuser in geschützten Containern, Boo-te zum Küstenschutz, gepanzerte Fahrzeuge und vielesmehr .Das wird auch mit Blick auf den Rüstungsexportbe-richt deutlich . Es stimmt, dass für Katar auch Einzel-genehmigungen für Panzer ausgesprochen wurden . Dasmuss auf Dauer sicher differenziert betrachtet werden .Bei genauerer Betrachtung der Liste wird aber auch deut-lich, dass auch ganz andere Güter exportiert werden undwurden .Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Die Lie-ferungen an Saudi-Arabien umfassen beispielsweiseFahrgestelle für unbewaffnete Transporter, Lkws undGeländewagen mit Sonderschutz . Lieferungen an Omanumfassen unter anderem Teile für Feuerleiteinrichtun-gen, Lkws, Dekontaminationsausrüstungen, Kommuni-kationsausrüstungen, Teile für gepanzerte Fahrzeuge .Wir haben internationale Verpflichtungen und tragenauch außen- und sicherheitspolitische Verantwortung .Unsere außen- und sicherheitspolitischen Instrumentesind vielfältig . Rüstungsexporte sind eines davon . Nurso können wir in diesem hochsensiblen Bereich unserewehrtechnischen Kernkompetenzen und somit Hand-lungssouveränität bewahren . Das ist wichtig .
Nur so können wir unsere internationalen Partner inner-und außerhalb der EU und der NATO befähigen, bei-spielsweise Grenzen zu sichern und gegen Terrorgruppenvorzugehen .
Wir können und wollen unsere Soldatinnen und Soldatennicht überallhin schicken .Niemand macht sich die Entscheidung zu Rüstungs-exporten leicht . Die Entscheidung muss unter Einbezugaußen- und sicherheitspolitischer Überlegungen immersorgfältig abgewogen werden, und das wird getan . IhrAntrag wird dem nicht gerecht . Daher lehnen wir ihn ab .Vielen Dank .
Für die SPD-Fraktion hat Kollegin Dr . Ute Finckh-
Krämer das Wort .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf derTribüne! Als letzte Rednerin in der Debatte habe ich dieChance, das zu benennen, was in der Debatte noch nichtgesagt worden ist, und aufzuzeigen, wie wir mit diesemThema weiter umgehen können .Noch nicht erwähnt wurde – das ist für die Debatte,was auf europäischer Ebene geschieht, wichtig –, dassdas Europäische Parlament in einer Resolution vom17 . Dezember des vergangenen Jahres nicht etwa ver-langt hat, deutsche Rüstungsexportrichtlinien auf das au-genblickliche europäische Niveau herunterzufahren, son-dern – im Gegenteil – verlangt hat, dass auf europäischerEbene schärfere Regeln eingeführt werden, dass mehrTransparenz herrschen soll und eine öffentliche Über-prüfung durch ein standardisiertes Melde- und Überprü-fungsverfahren mit detaillierten Angaben zu den erteiltenBarbara Lanzinger
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Genehmigungen möglich wird . Das ist ein Schritt in dierichtige Richtung,
und das wäre auch eine Lösung für das Problem, das HerrSchäuble aus meiner Sicht in der verkehrten Richtungaufgeführt hat: dass sich nämlich europäische und deut-sche Grundsätze unterscheiden .Man hat immer zwei Möglichkeiten: Man kann eigeneStandards senken, oder man kann die europäischen Stan-dards hochfahren . Ich trete ganz eindeutig für das Zweiteein . Ich glaube, da habe ich vollen Rückhalt aus meinerFraktion und wahrscheinlich auch von denjenigen in derUnionsfraktion, die sich Sorgen machen, was mittel- undlangfristig aus den Waffen wird, die wir irgendwohin lie-fern .
Wir haben in der SPD-Fraktion mit Sigmar Gabrielüber die Frage diskutiert, ob wir ein Rüstungsexport-gesetz brauchen . Die Antwort lautete eindeutig Ja . DiePolitischen Grundsätze der Bundesregierung in Geset-zesform zu fassen, würde sie verbindlicher machen undwürde auch nach außen ein Signal senden, dass wir esernst damit meinen . Wir könnten auch zusätzliche Dinge,die seit langem aus der Zivilgesellschaft, zum Beispielaus der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwick-lung, gefordert werden, darin aufnehmen, zum Beispieleine Kopplung von Ausfuhrgenehmigungen – zumindestfür Waffen; vielleicht nicht für alle sonstigen Rüstungs-güter – an die Unterzeichnung des Arms Trade Treaty .
Das wäre einerseits eine Unterstützung eines abrüstungs-politischen Anliegens der Bundesregierung, nämlichdem Arms Trade Treaty mehr Unterzeichnerinnen undUnterzeichner zu verschaffen, und andererseits wäre esein klares und dann nicht mehr im Einzelfall diskutierba-res Kriterium, ob ein Land diesen Vertrag unterzeichnethat oder nicht .Ein weiterer Punkt, über den – auch mit SigmarGabriel – in der SPD diskutiert wurde, war die Frage,ob man Kriegswaffenexporte in Drittländer tatsächlichauch dem Deutschen Bundestag zur Genehmigung vor-legt . Denn damit hätten wir die Situation, die sich vielevon uns wünschen: Beim Abwägen des Für und Widerwürden nicht nur kurzfristige Überlegungen, sondernauch mittel- und langfristige Überlegungen – vieleKriegswaffen haben eine Lebensdauer von 40 Jahrenund mehr – zur Sprache kommen, und das, was etwa dieEntwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikerzu bestimmten Waffenexporten zu sagen haben, würdegenauso eine Rolle spielen wie das, was die Außen- undSicherheitspolitiker dazu sagen .Insofern möchte ich all denen, die im Augenblick dieDiskussion über Rüstungsexporte führen und zu dieserDiskussion innerhalb des Parlaments etwas beitragen,also den kirchlichen Vertreterinnen und Vertretern, denzivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen, zum Bei-spiel der Aktion Aufschrei, und allen anderen Interessier-ten, herzlich danken .Ich danke Ihnen jetzt auch für die Geduld, der letztenRednerin in dieser Debatte zuzuhören . Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/8930 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisungso beschlossen .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-tel „Waffenexporte in die Golfregion verbieten“ . DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/1674, den Antrag der Fraktion Die Lin-ke auf Drucksache 18/768 abzulehnen . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Oppositionsfraktionen angenommen .Zusatzpunkt 6 . Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Je-men – Militärische Intervention stoppen – Neue Frie-densverhandlungen beginnen“. Der Ausschuss empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6145,den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/5380 abzulehnen . Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen angenommen .Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-setzes zur Änderung des BundesjagdgesetzesDrucksache 18/4624Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/9093Hierzu liegen ein Änderungsantrag sowie ein Ent-schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenvor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich warte, bis die notwendigen Umgruppierungen ab-geschlossen worden sind . – Nachdem offensichtlich alleDr. Ute Finckh-Krämer
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einen Platz gefunden haben, bitte ich jetzt um die not-wendige Aufmerksamkeit .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginRita Stockhofe für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Waidmannsheil, liebe Jägerinnen und Jäger!Ich stehe hier heute mit einem lachenden und einem wei-nenden Auge .Zum lachenden Auge: Mit der Umweltrichtlinie, diewir heute umsetzen, setzen wir eine Vorgabe um, dieunumstritten und richtig ist . Nach dem Urteil des Bun-desverwaltungsgerichts zu halbautomatischen Waffen,die auf der Jagd verwendet werden, haben wir auch hierdringenden Handlungsbedarf gesehen . Mit diesem Ge-setz sorgen wir dafür, dass in der anstehenden Drück-jagdsaison weiterhin halbautomatische Waffen verwen-det werden dürfen und dass Jäger, die solche Waffenhaben, nicht zu illegalen Waffenbesitzern werden .
Das weinende Auge ist deshalb so traurig, weil wir esbis heute leider nicht geschafft haben, das Bundesjagd-gesetz insgesamt zu novellieren – und das, obwohl wirnach zweieinhalb Jahren einen guten Entwurf vorlegenkonnten . Für diesen Entwurf, dessen Inhalt Bundesmi-nister Schmidt auf dem Bundesjägertag vorgestellt hat,hat er viel Zustimmung und Applaus erhalten . Leider hatuns der Ministerpräsident aus Bayern einen Strich durchdie Rechnung gemacht .
Die Gründe dafür, seinem eigenen Minister in den Rü-cken zu fallen, kann ich bis heute nicht nachvollziehen .
Dabei wäre es so wichtig gewesen, die große Novelle aufden Weg zu bringen:
Der Bereich „Jägerausbildung und -prüfung“ bei-spielsweise liegt in der Gesetzgebungskompetenz desBundes . Bislang gibt es unterschiedlichste Arten, dieAusbildung durchzuführen . Das führt dazu, dass ein re-gelrechter Jagdscheintourismus stattfindet. Dem wollenwir entgegenwirken . Mit dem Erhalt des Jagdscheinesgeht eine große Verantwortung für das Wild und dieNatur auf den Jäger über . Daher ist es richtig, dass wirgute Prüfungsinhalte brauchen – und auch eine geeigneteForm, diese Inhalte zu vermitteln .Auch der Einsatz von bleihaltiger Munition mussbundesweit geregelt werden . Der Bleigehalt muss ausVerbraucherschutzgründen minimiert werden . In eini-gen Bundesländern ist der Einsatz bleifreier Munitionbereits vorgeschrieben . Weil die Genauigkeit damit abernicht immer gewährleistet ist, widerspricht das dem Tier-schutz, und deswegen brauchen wir eine bessere Vorge-hensweise .
Der Schießübungsnachweis ist auch ein wichtigerPunkt . Er muss ebenfalls bundeseinheitlich geregeltwerden . Wenn ein Jäger momentan nämlich bundesweitjagen will, dann muss er fünf unterschiedliche Schieß-nachweise mit sich führen . Das ist praxisfremd, und esist Aufgabe des Bundes, das zu regeln . Das hat auch dasVerwaltungsgericht Arnsberg entschieden .
Grundsätzlich müssen wir auf Bundesebene handeln,um ideologische Akteure, die sich zum Teil in den Bun-desländern tummeln, „einzufangen“ . Bei uns in Nord-rhein-Westfalen ist aus einem „Landesjagdgesetz“ ein„Ökologisches Jagdgesetz“ geworden – mit großen Ein-schnitten ins Eigentumsrecht und in die Bundeskompe-tenz . Das ist keine leere Behauptung von mir, sondernin zwei Punkten schon von Gerichten bestätigt worden,und das haben auch die über 15 000 Demonstranten,die sich aus über 17 Verbänden des ländlichen Raumesin Düsseldorf zusammengefunden haben, so gesehenund entsprechend bemängelt . Mit diesem ÖkologischenJagdgesetz auf Landesebene ist den Jägern ganz klar ihreKompetenz abgesprochen worden, obwohl sie über dassogenannte Grüne Abitur verfügen .Umweltminister Remmel, der leider auch für Land-wirtschaft und Jagd zuständig ist, hat beispielsweise dieJagd auf den Fuchs eingeschränkt . Wer kann so etwasverstehen? Die Anzahl der Bodenbrüter ist in den letztenJahren dramatisch zurückgegangen, was gerne auf die in-dustrielle Landwirtschaft geschoben wird . Da aber in derZeit die Jagd auf Raubtiere wie Füchse, aber auch Krä-henvögel stark eingeschränkt wurde, haben deren Beute-tiere – dazu gehören ganz besonders die Bodenbrüter –einen schweren Stand, und es droht die Ausrottung . Hiersind dann wieder die Jäger gefragt, die durch ihre HegeMaßnahmen treffen, um diese Arten zu schützen . Hierfürwird kein öffentliches Geld zur Verfügung gestellt, wiees beispielsweise beim Wolf der Fall ist . Sogar die Jagd-steuer wollte Minister Remmel wieder einführen . Dochzum Glück hat in den Landkreisen die Vernunft gesiegt .Immer wieder wird in Nordrhein-Westfalen gefordert,dass auch Beauftragte der Behörden in die Reviere ge-hen und Kontrollen durchführen sollen . Wer sollen dieseBeauftragten denn sein? Die Experten der unterschiedli-chen Naturschutzvereine, die schon durch Zahlung einesBeitrages zum Experten werden? Oder legen wir unsereNatur nicht besser in die Hände von ausgebildeten Fach-kräften wie unseren Jägern?Der heute vorgelegte Gesetzentwurf ist ein guter, abersehr kleiner Schritt . Die große Novelle muss noch in die-ser Legislatur kommen .Vizepräsidentin Petra Pau
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Waidmannsheil .
Das Wort hat die Kollegin Dr . Kirsten Tackmann für
die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gespräche über die Jagd werden schnell emo-
tional und kontrovers . Das Wild auf dem Teller mögen
ja noch viele Menschen . Aber viel Wild im Wald und
auf dem Acker wird wegen der Schäden in Forst- und
Landwirtschaft schon kritischer gesehen . Die Jägerschaft
wiederum soll zwar für den Wildbraten sorgen und die
Wildschäden minimieren, aber so richtig gemocht und
geliebt wird sie nicht . Vielleicht haben manche noch das
feudale Jagdprivileg im Kopf und unterstellen der heuti-
gen Jägerschaft vorwiegend Trophäenjagd . Oder sie mei-
nen, die Natur werde sich schon selber regulieren . An-
dere wiederum lehnen das Töten von Tieren generell ab .
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Jägerschaft .
Das sind immerhin 374 000 Jägerinnen und Jäger, Ten-
denz übrigens steigend . Sie sind überwiegend ehren-
amtlich tätig . Unterdessen legen 20 Prozent Frauen die
Prüfung ab . Für sie alle haben wir als Gesetzgeber große
Verantwortung . Ja, die Jägerschaft braucht Rechtssicher-
heit . Aber sie braucht eben auch Rahmenbedingungen,
die gesellschaftlich breit akzeptiert werden .
Für uns Linke gibt es zwei ganz wichtige Grundsätze .
Erstens . Die Jagd darf kein elitäres Hobby einer reichen
Oberschicht sein .
Auch meine Nachbarin und mein Nachbar aus dem Dorf
müssen zur Jagd gehen können, wenn sie denn wollen,
und das Grüne Abitur ablegen können . Zweitens . Jagd
muss dem Gemeinwohl dienen . Dazu gehören die Hege
eines gesunden Wildbestandes und die Begrenzung von
Wildschäden . Aber auch das gesunde Lebensmittel Wild
ist bei vielen willkommen .
Gemessen an diesem Anspruch ist die heute vor-
liegende Änderung des Bundesjagdgesetzes geradezu
winzig . Wie 2013 liegt wieder nur ein Novellchen mit
zwei kleinen Änderungen vor . Zum einen wird eine Re-
gelungslücke zur Umsetzung des geltenden EU-Rechts
für geschützte Arten geschlossen . Das ist nötig und un-
strittig . Zum anderen geht es um eine Klarstellung zu hal-
bautomatischen Waffen . Hier wird die Praxis nicht aus-
geweitet, sondern nur Rechtssicherheit wiederhergestellt .
Dem wird auch die Linke zustimmen .
Das Problem ist, welche Änderungen heute nicht vor-
liegen . Ich weiß nicht, womit Seehofer gedroht hat . Aber
es ist ein Stück aus dem Tollhaus, dass sein Veto längst
überfällige und ausgehandelte Regelungen blockiert . Da-
mit demontiert er übrigens gleich noch seinen eigenen
Bundesagrarminister, der noch im Juni dieses Jahres die
große Novelle angekündigt hatte .
Diese brauchen wir wirklich dringend, zum Beispiel
beim Thema Blei in der Munition . Ja, die Diskussionen
waren schwierig . Ja, das ist vielleicht auch ein Generati-
onenkonflikt. Aber unterdessen sind wir uns doch einig:
Wir brauchen den Ausstieg aus der Bleimunition,
damit Bleieinträge in die Lebensmittel- und Nahrungs-
kette minimiert werden . Natürlich muss auch die neue
Munition sicher sein . Die Tötungswirkung und Präzision
dürfen auf keinen Fall in Zweifel stehen . Aber die Zwei-
fel dürfen eben auch nicht vorgeschoben sein . Deswegen
sind eine verlässliche Prüfung und Kennzeichnung der
Sicherheit der Munition unerlässlich . Aber auch die Her-
steller sind in der Pflicht, Munition zu liefern, die den
neuen Anforderungen entspricht .
Dem Veto aus München sind noch weitere wichtige
Regelungen zum Opfer gefallen, zum Beispiel bundes-
einheitliche Schießübungsnachweise oder die Mindest-
vorgaben für die Jagdprüfung . Selbst die deutliche Auf-
wertung des Ausbildungsfachs „Wildbrethygiene“ ist
erst einmal vom Tisch . Als Tierärztin halte ich das für
eine Katastrophe .
Den Änderungsantrag der Grünen zum Bundeswald-
gesetz unterstützen wir . Ja, wir wollen den Klein- und
Kleinstwaldbesitz stärken . Denn nicht nur bei Äckern
und Wiesen, sondern auch beim Wald ist für uns Lin-
ke eine breite Streuung des Bodeneigentums ein hohes
Gut . Dafür muss aber die forstliche Betreuung gesichert
werden, und sie muss auch finanzierbar bleiben. Es muss
auch weiter staatliche Angebote dafür geben . Eine Klar-
stellung im Bundeswaldgesetz muss kartell- und europa-
rechtliche Sicherheit bringen . Auch hier muss dringend
gehandelt werden . Das sind wir auch den Beschäftigten
in den staatlichen Forstbetrieben schuldig .
Zum Schluss noch ein Wort zur Sommerpause: Viel-
leicht gelingt es den Koalitionsfraktionen, sich ein biss-
chen von München zu emanzipieren .
Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Petra Crone für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kommen wir vonden großen Waffen zu den etwas kleineren Waffen . EsRita Stockhofe
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 184 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 8 . Juli 201618260
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stimmt, was meine Vorrednerinnen gesagt haben: VieleJägerinnen und Jäger waren nach dem Urteil des Leip-ziger Bundesverwaltungsgerichts vom März ziemlichverunsichert .40 Jahre lang galt: Jägern war es verboten, die Jagd aufWild mit halbautomatischen Waffen auszuüben, die einMagazin mit mehr als zwei Patronen aufnehmen können,unabhängig davon, ob es sich um Schalen-, Haar- oderFederwild handelte . Das bedeutete im Umkehrschluss:Halbautomaten mit maximal zwei Patronen im Magazinwaren bisher für die Jagd erlaubt . Übrigens ist klar: Ma-schinengewehre und Maschinenpistolen als Vollautoma-ten haben bei der Jagd überhaupt nichts zu suchen . Dasversteht sich von selbst .
Dann kam das völlig unerwartete Urteil: SämtlicheHalbautomaten mit wechselbaren Magazinen dürfenvon Jägern nicht einmal besessen werden . Für die Po-litik hieß das, schnell zu reagieren, um die Hängepar-tie zu beenden . Das Bundesministerium für Ernährungund Landwirtschaft und wir Koalitionsfraktionen woll-ten rasch eine Klarstellung oder – besser – die gültigeGesetzeslage wiederherstellen . Gut war es, dass wir imBundesjagdgesetz eine längst überfällige Gesetzesände-rung in der Pipeline hatten, und zwar die Anpassung andie EU-Richtlinie für Umweltstrafrecht . So konnten wirbeides koppeln .Mit der heute vorliegenden Änderung sind es nun imparlamentarischen Verfahren insgesamt drei Patronengeworden, mit denen die Waffen geladen werden dür-fen . Wir werden dem heute zustimmen . Aber ich möchtenicht verhehlen, dass ich weiterhin Zweifel an der sachli-chen und praktischen Notwendigkeit dieser Erweiterungdes Ursprungsgesetzes habe, liebe Kolleginnen und Kol-legen . Aber ich bin sehr froh, dass die Jägerinnen undJäger jetzt, kurz vor der Blattzeit, Klarheit haben .Wir hatten eigentlich mehr vor . Ich will nun gar nichtbehaupten, dass ich zu Beginn der Verhandlungen zu ei-ner großen Jagdnovelle vor vielen Monaten am Ende einfortschrittliches Bundesjagdgesetz erwartet hätte . Aberdass wir heute mit leeren Händen hier stehen, das hätteich ganz und gar nicht erwartet . Das ist sehr bedauerlich .
Mir war es wichtig, mit dem Gesetz die Qualität derJägerausbildung zu stärken . Ich komme aus dem länd-lichen Raum, aus dem Sauerland in Südwestfalen, unddort wachsen die jungen Leute mit Natur und Jagd auf .Sie begleiten früh Eltern, Nachbarn oder Freunde zurJagd und machen irgendwann über einen angemessenenZeitraum hinweg ihren Jagdschein . Der Bezug zur unddie Kenntnis über die Natur sind stark .Deshalb sind mir die Kurzausbildungen zum Jagd-schein innerhalb von 14 Tagen sehr suspekt . Das kannnicht die gleiche Substanz haben . Daher habe ich eineverlängerte Ausbildungszeit gefordert, nämlich zehnStunden mehr auf insgesamt 130 Stunden . Außerdemwäre Wildbrethygiene neben der Schießübung das zweiteSperrfach in der Ausbildung gewesen . Das heißt, wer indiesem Fach durchfällt, ist durch die ganze Prüfung ge-fallen . Mit dem Vorschlag wollte ich die Bedeutung unddie sinnvolle Verwendung von Wildfleisch als Lebens-mittel stärken – mit aller gebotenen Sorgfaltspflicht vomAufbruch bis zur Wildwurst .
– Ja .Apropos Sorgfalt mit Mensch und Umwelt: Nach lan-gem, zähem Ringen hatten wir auch einen Kompromisszur Verwendung von bleifreier Munition bei der Jagd ge-funden . Die SPD-Fraktion hätte ein Minimierungsgebotnach Stand der Technik unterstützt . Es war nicht unserWunschmodell . Ich hätte lieber ein sachliches Verbot inein, zwei Sätzen in § 19 gehabt . Ich erinnere daran: Dievom Ministerium in Auftrag gegebenen wissenschaftli-chen Untersuchungen und Gutachten haben doch letzt-endlich alle Vorurteile gegenüber bleifreier Munitionausgeräumt . An dieser Stelle frage ich mich auch: Wobleibt eigentlich die Innovationsfreude deutscher Muni-tionshersteller?
Na gut, die SPD-Fraktion und genauso das Umwelt-ministerium haben sich in den Verhandlungen sehr starkbewegt und haben einen Kompromiss zwischen denJagd- und Naturschutzverbänden und der Politik gesucht,sei es bei der Regelung zur bleifreien Munition, sei es beider Berücksichtigung des Erhaltungszustandes einer Artals Kriterium bei der Jagd oder sei es beim Schießnach-weis . Übrigens: Das waren auch Teile, die von Bayerngefordert wurden .Jagd ist auf allen Seiten ein absolut emotionales The-ma; das muss ich Ihnen ja nicht sagen, liebe Kollegin-nen und Kollegen . Diese Emotionalität ist richtig klasse,führt aber auch dazu, dass manchmal sprichwörtlich überdas Ziel hinausgeschossen wird . Das heißt praktisch aberauch: Der Schuss trifft nicht mehr oder geht nach hintenlos . Und da stehen wir jetzt – ohne große Novelle . Esreichte ein wildes Aufbäumen aus einem südlichen Bun-desland, um die Änderungen des Bundesjagdgesetzeszunichtezumachen . Das ist schade; denn die Jägerinnenund Jäger wünschen sich einheitliche Standards in derFläche .Diese Novelle wäre nicht der große Sprung gewor-den – nein, das sicher nicht –, aber sie wäre ein Schritt indie richtige Richtung gewesen . Ich hoffe, es ist nicht derletzte Versuch in puncto Bundesjagdgesetz . Das nächsteMal dann bitte mit mehr Mut und Offenheit und auf derHöhe der Zeit .
Die Akzeptanz der Jagd in der Gesellschaft liegt letzt-endlich in den Händen der Jägerinnen und Jäger . IchPetra Crone
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habe in den vergangenen Monaten viele getroffen, diemeine Einschätzung teilen . Jagd und Jäger agieren nichtim luftleeren Raum, sie sind ein wichtiger Teil unsererGesellschaft . Das heißt aber auch: Sie werden sich mitihr verändern .Nun wünsche ich allen einen schönen Sommer undvor allem den Jägerinnen und Jägern eine schöne Blatt-zeit .Ich danke Ihnen .
Der Kollege Harald Ebner hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir schlagen heute ein weiteres Kapitelim Buch „Tu nix“ des Bundeslandwirtschaftsministeri-ums auf . Das hat gute Tradition: Im Februar war in topagrar zu lesen: „Bundesregierung einigt sich auf Wald-und Jagdreformen“, aber bis heute legen Sie dazu nichtsvor . Ja glauben Sie denn, es reicht, wenn es in top agrarsteht, und dann braucht es kein Gesetz, Herr Minister?Der Berg kreißte und gebar eine Maus . Nach zweiein-halb Jahren Geschiebe und Gezerre gibt es heute stattder überfälligen Modernisierung des Jagdrechts ein Mi-ni-Novellchen, das nur Änderungen enthält, die nachEU-Recht dringend nötig oder einem Gerichtsurteil ge-schuldet sind . Alles andere hat Ihnen Ihr Chef in Mün-chen kaputtgemacht, Herr Minister .
Das Bisschen, das Sie heute vorlegen, ist leider auchnoch inhaltlich schwach . Sie versuchen, Schutzlückenim Artenschutz mit Stückwerk zu flicken, statt einensystematischen Schnitt zur Rechtsvereinfachung undEntbürokratisierung zu machen . Streichen Sie einfachdie geschützten Tiere aus der Liste der jagdbaren Arten .Tun Sie das – das bringt tatsächlich Rechtssicherheit underleichtert Artenschutzmaßnahmen –, statt stets von neu-em den Konflikt zwischen Naturschutzrecht und der altenHegepflicht aus Vornaturschutzzeiten anzuheizen.
Ihre kurzfristig vorgelegte Änderung betreffend diehalbautomatischen Waffen soll Rechtsklarheit schaffen .Aber faktisch schaffen Sie eine Grauzone . Niemand kannkontrollieren, ob sich die Jagdausübenden wirklich an dieBegrenzung der Magazinladung auf drei Schuss halten .Technisch ist jederzeit ein gefährlicher Missbrauch die-ser Waffen möglich . Deshalb halten wir Ihre Regelungfür falsch, liebe Kollegin Connemann .
Doch es geht noch schlimmer . Dort, wo wirklichHandlungsbedarf besteht, legen Sie heute nichts vor . Eskann doch nicht sein, dass Sie zum Thema Bleimuniti-on noch immer keine Regelung hinbekommen . Blei isthochgiftig und krebserregend . Das BfR rät Schwangerenund kleinen Kindern davon ab, Wild zu essen, das mitBleimunition geschossen wurde . Wir können diese Ge-fährdung von Mensch und Umwelt nicht weiter hinneh-men .
Mittlerweile ist doch technisch ausgereifte, bleifreie bzw .bleiarme Munition auf dem Markt verfügbar . MehrereGutachten beweisen, dass auch bleifreie Munition übereine vergleichbar hohe Sicherheit und Geschosswirk-samkeit verfügen kann. Also fehlen eine qualifizierteBeratung der Jagenden beim Umstieg und ein verbindli-cher Ausstiegsfahrplan, der bei den hiesigen Herstellernendlich einen Innovationsschub bringen würde, statt altePfründe zu sichern . Aber was macht Minister Schmidt?Nichts! Laut seinem Referentenentwurf vom Februarwill er mit dem Bleiausstieg noch zwölf Jahre warten .Warum eigentlich? Das ist Arbeitsverweigerung und nurnoch peinlich .
Besonders ärgerlich und skandalös finde ich aber, dassSie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,zum wiederholten Mal die notwendige Hilfestellung fürdie Länder im Bundeswaldgesetz verweigern . Sie hattenin der Plenardebatte im März letzten Jahres versprochen,schleunigst Abhilfe im Bundeswaldgesetz gegen das un-sinnige Kartellrechtsverfahren zu schaffen . Wir habenIhnen dafür eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, wo-durch die Waldbewirtschaftung nicht auf die reine Roh-stoffgewinnung durch die Holzernte reduziert wird, wiees das Kartellamt tut, liebe Kollegin Crone,
sondern die Gemeinwohlleistungen der Wälder berück-sichtigt und bewährte Forststrukturen bewahrt werden .Und jetzt? Passiert ist noch immer nichts . Der betref-fende Artikel des geplanten Artikelgesetzes ist HerrnSeehofer geopfert worden .Baden-Württemberg steht im Rechtsstreit gegen dasBundeskartellamt vor dem OLG Düsseldorf . Vielen an-deren Bundesländern mit ähnlichen Strukturen steht dasGleiche bevor . Haben Sie eigentlich einmal Ihre Partei-freunde Kraft, Dreyer und Bouffier gefragt, wie sie sol-che Aussichten finden? Seit über einem Jahr warten wirdarauf, dass Sie endlich Ihr Versprechen einlösen und dienötige Klarstellung im Bundeswaldgesetz vornehmen .Doch statt zu handeln, begehen Sie Wortbruch zulastenvon Ökologie und Ländern . Sie plädieren nun sogar da-für, eine Gerichtsentscheidung abzuwarten . Sie wollenalso so lange warten, bis es zu spät ist .Also: Machen Sie endlich Schluss mit der Arbeitsver-weigerung . Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu,damit die Bundesländer endlich Rechtssicherheit haben .Orientieren Sie sich an den Ländern, die ihr Jagdgesetzmodernisiert haben .
Petra Crone
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Diese haben es geschafft und sind nicht so hasenfüßigwie Sie .Danke schön .
Das Wort hat der Kollege Cajus Caesar für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderungdes Bundesjagdgesetzes handeln wir im Sinne der Jäger-schaft schnell und unbürokratisch .
Wir müssen aufgrund der Bundesverwaltungsgerichtsur-teile vom März 2016, die eine jahrzehntelange praxisnaheVorgehensweise auf den Kopf stellen, handeln . Dies tunwir gerne . Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich demMinister, dass er schon vorab den Ländern übermittelthat, dass wir diese Vorgehensweise anstreben . Mit demheutigen Beschluss senden wir im Sinne der Jägerschaftund der Länder, die die Rahmenbedingungen setzen, dieentsprechende Botschaft aus . Herr Minister, herzlichenDank für Ihre Arbeit!
Jagd bedeutet Tradition . Aber Jagd ist auch deutlichmehr . Man muss Respekt vor den Leistungen der über374 000 Jäger haben . Sie leisten ehrenamtlich Heraus-ragendes . Zudem gibt es über 1 000 Berufsjäger, diehauptamtlich tätig sind .Ich darf an dieser Stelle namens unserer Fraktion auchdem Präsidenten des Deutschen Jagdverbandes, HartwigFischer, Dank sagen, der mit seinem passionierten Ein-satz – das darf ich wohl sagen – Gutes voranbringt .
Die Jagd ist auch ein Handwerk . Nicht jeder kann sichselbst zum Jäger machen . Es bedarf über hundert vonTheoriestunden, und es bedarf natürlich auch der Schu-lung vor Ort in den Revieren . Das bedeutet, dass mansechs Teilgebiete beherrschen muss . Das ist eine sehranspruchsvolle Prüfung . Jäger tragen hier eine hohe Ver-antwortung und lernen den Umgang mit der Natur, densicheren Umgang mit Waffen, die Lebensweise, das Ver-halten und die Erkennungsmerkmale der Wildtiere, aberauch Pflegemaßnahmen für die Lebensräume. Deshalb:Danke an die Jägerschaft, dass sie ehrenamtlich so vielfür unsere Gesellschaft auf den Weg bringt .
Ich möchte dazu ein Beispiel nennen . Immerhin ist esso, dass die Jäger im Bereich des Artenschutzes für diePflanzungen und Pflege von jährlich etwa 6 000 Kilo-meter Hecken verantwortlich sind . Das sollte man sicheinmal auf der Zunge zergehen lassen . Das entspricht derLänge der Chinesischen Mauer . Ich denke, das jährlichzu leisten, ist schon eine sehr anspruchsvolle Heraus-forderung, und dies können wir nur mit Wertschätzunghonorieren .Deshalb sind ideologische Vorgehensweisen wie etwain Nordrhein-Westfalen mit dem sogenannten ökolo-gischen Jagdgesetz, das vom Schreibtisch aus gemachtworden ist und immer neue Gebote und Verbote, Richt-linien usw . enthält, abzulehnen, weil man dadurch vorOrt letztendlich handlungsunfähig wird . Das ist nicht dierichtige Vorgehensweise . Das wollen wir als Union nicht .
Wir wollen, dass praxisnah gehandelt wird und dasssich die Artenvielfalt entwickeln kann . Deshalb ist es gut,dass die Jäger in Nordrhein-Westfalen mit 80 rollendenWaldschulen unterwegs sind und in der Umweltbildungehrenamtlich Hervorragendes leisten . Das ist doch dierichtige Arbeit . Wir wollen etwas für Umweltbildung tun,wir wollen die Menschen mitnehmen; wir wollen nichtIdeologie, sondern wir wollen etwas für die Artenvielfaltmachen . Das ist jedenfalls die Position der Union .
Durch die Änderung des Bundesjagdgesetzes sollenhalbautomatische Waffen mit maximal drei Schuss imMagazin legal bleiben .
Hierbei wurde nicht nur an das Schießen gedacht, son-dern auch daran, dass man unter Umständen angefahre-nes Wild mit dem Fangschuss erlösen muss . Die Jägersind somit auch in Bereichen tätig, an die man zunächsteinmal gar nicht denkt . Auch das ist eine Herausforde-rung . Hier wird Außerordentliches für unsere Gesell-schaft geleistet . Auch dafür ein herzliches Dankeschön .
Natürlich hätten wir uns mehr vorstellen können . Ichdenke, wir sind nach wie vor auf dem richtigen Weg .Nicht Bleiverbot, sondern Bleiminimierung, wie es dieTechnik zulässt, ist unsere Forderung; denn wer Blei-verbot fordert, fordert auch, dass die Tötungswirkungreduziert wird, weil der technische Stand nichts andereshergibt .
Wollen wir das wirklich? Ich meine, wir müssen auch andiese Dinge denken .Wir wollen die Zersplitterung durch unterschiedlicheLänderregelungen aufheben . Wir wollen beim Schieß-Harald Ebner
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nachweis und bei der Jagd in Schutzgebieten Rahmenbe-dingungen des Bundes auf den Weg bringen .
Ich bin sehr optimistisch, dass wir das schaffen werden .Jagd trägt zu funktionsfähigen Lebensräumen für Pflan-ze, Tier und Mensch bei . Die Jagd ist und bleibt unseresErachtens angewandter Natur- und Umweltschutz . Ichglaube, wenn wir die Jagd unter diesem Aspekt betrach-ten, sind wir auf dem richtigen Weg . Unsere Unterstüt-zung haben die Jäger . Mit ihnen sind wir bei der Jagd undbeim Natur- und Umweltschutz gut aufgehoben .Herzlichen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Bundesjagdgesetzes . Der Ausschuss für Ernährung
und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/9093, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4624 in der Aus-
schussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/9104? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositi-
onsfraktionen abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/9105 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt .
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur weiteren Fortentwicklung der par-
lamentarischen Kontrolle der Nachrichten-
dienste des Bundes
Drucksache 18/9040
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Dr . Konstantin von Notz,
Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrich-
tendienste
Drucksache 18/8163
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die beiden Koalitions-fraktionen legen Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzeszur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle derNachrichtendienste des Bundes vor .
Ich würde sagen: Man kann mit Fug und Recht behaup-ten, dass es sich nicht nur um ein Gesetz zur Fortentwick-lung der parlamentarischen Kontrolle handelt, sondernauch um ein Gesetz zur Verbesserung und zur Stärkungder parlamentarischen Kontrolle .
Was ich persönlich schon etwas bedauerlich finde –auch das sage ich hier in aller Offenheit –, ist, dass schonwieder die ersten Pressemitteilungen kursieren, in deneneine Koalitionsfraktion, die der SPD, dies allein als ihrenErfolg bezeichnet .
Cajus Caesar
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Ich möchte hier deutlich betonen: Es ist ein gemeinsamerErfolg der beiden Koalitionsfraktionen, dass wir Ihnenheute diesen Gesetzentwurf vorlegen .
Dieser Gesetzentwurf wird auch in vollem Umfangdem gerecht, was wir uns selbst als Deutscher Bundes-tag in der letzten Legislaturperiode als Aufgabe gegebenhaben . Ich möchte in Erinnerung rufen, was uns der ers-te NSU-Untersuchungsausschuss als Empfehlungen undSchlussfolgerungen mit auf den Weg gegeben hat . Ichzitiere aus dem Schlussbericht des Untersuchungsaus-schusses . Er gibt klar vor, dass es darum geht, in Zukunftdie Stärkung einer systematischen und strukturellenKontrolle der Nachrichtendienste vorzunehmen sowiedie parlamentarische Kontrolle schlagkräftiger zu ma-chen und eine dauerhafte Kontrolltätigkeit zu ermögli-chen . Darüber hinaus ist eine der Schlussfolgerungen desUntersuchungsausschusses, dass es einer ausreichendenprofessionellen Personal- und Sachausstattung der parla-mentarischen Kontrolle bedarf . Ich möchte betonen: Wirwerden diesen Schlussfolgerungen, diesen Empfehlun-gen zu hundert Prozent gerecht .
Der zentrale Bestandteil dieses Gesetzentwurfs ist,dass wir in Zukunft einen sogenannten Ständigen Be-vollmächtigten schaffen wollen . Um auch hier allenUnkenrufen zum Trotz sofort jegliche Spekulation zubeseitigen: Es geht nicht darum, dass wir hier einenGeheimdienstbeauftragten schaffen wollen, der als frei-es Radikal im Universum herumschwirrt . Der StändigeBevollmächtigte wird natürlich eng an das Parlamentari-sche Kontrollgremium angebunden sein . Er ist weisungs-gebunden .
Wir als Parlamentarisches Kontrollgremium geben mitder Benennung dieses Ständigen Bevollmächtigten nichtsaus der Hand . Ganz im Gegenteil: Wir geben vor, in wel-chen Bahnen, in welchem Rahmen er sich bewegen sollund darf . Ich glaube, das ist richtig und auch zielführend .Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht wichtig, daraufhinzuweisen, dass der Ständige Bevollmächtigte keinezusätzlichen Befugnisse erhält . Er erhält keine Befugnis-se, die über das hinausgehen, was wir als Parlamentari-sches Kontrollgremium an Befugnissen haben . Auch dieszu erwähnen, ist, glaube ich, wichtig .
Die Aufgabe des Ständigen Bevollmächtigten ist es,uns als PKGr zu unterstützen . Das ist seine Hauptaufga-be . Um das klarzumachen: Er soll uns natürlich auch einStück weit entlasten . Ich glaube, wir als Mitglieder desPKGr müssen uns hier auch ehrlich machen . Jeder vonuns hat noch vielfältige andere Aufgaben als Parlamen-tarier – hier im Bundestag, in Ausschüssen, in Arbeits-kreisen; jeder von uns ist auch im Wahlkreis gefordert .Das Zeitbudget, das für die neun Mitglieder des Parla-mentarischen Kontrollgremiums für diese sehr wichtigeparlamentarische Aufgabe zur Verfügung steht, ist natur-gemäß begrenzt . Wir tagen ein- bis zweimal im Monat .Wir bereiten die Sitzungen natürlich intensiv vor . Ichmöchte für uns alle in Anspruch nehmen – ich sage dashier auch ganz offen; das gilt über alle Fraktionsgrenzenhinweg –, dass alle neun Mitglieder im PKGr ihre Aufga-be sehr ernst nehmen .
Trotzdem müssen wir zur Kenntnis nehmen und diesauch entsprechend artikulieren, dass unsere zeitlichenMöglichkeiten, unsere Kapazitäten irgendwo begrenztsind .
Deshalb finde ich es richtig, dass wir einen StändigenBevollmächtigten ernennen und dass wir ihm auch einenLeitenden Beamten als Stellvertreter zur Seite stellen .Wir werden auch für eine deutlich bessere personelleAusstattung sorgen . Es werden drei zusätzliche Referatein der parlamentarischen Kontrolle geschaffen; auch dasist richtig und sachgerecht .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, da-mit wird die parlamentarische Kontrolle, die ohnehinschon gut ist, noch besser . Ich möchte damit auch deut-lich dem Eindruck entgegentreten, der angesichts derVorkommnisse der letzten Jahre entstanden ist; daraufwird im Nachgang mit Sicherheit noch hingewiesen wer-den . Wir haben schon eine sehr gute parlamentarischeKontrolle in Deutschland . Aber auch da gilt der Grund-satz: Nichts ist so gut, als dass es nicht noch verbessertwerden könnte .Es bleibt dabei, dass an der uns von der Verfassungzugeschriebenen wichtigen Bedeutung – Artikel 45d desGrundgesetzes – nicht gerüttelt wird . Das Parlamenta-rische Kontrollgremium behält seine zentrale Stellung,wenn es darum geht, die drei Nachrichtendienste desBundes zu kontrollieren .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, da-rüber hinaus werden wir noch bestimmte Veränderungenvornehmen . So werden wir endlich konkrete Regelbei-spiele für die Unterrichtungspflicht der Bundesregierungschaffen . Wir konkretisieren die Vorgaben dahin gehend,wann uns die Bundesregierung über sogenannte Vorgän-ge von besonderer Bedeutung informieren muss .Es wird den Mitgliedern des Parlamentarischen Kon-trollgremiums ein jederzeitiges Zutrittsrecht zu den Lie-genschaften der drei Nachrichtendienste eingeräumt –natürlich nach vorheriger Anmeldung .Wir schaffen jetzt endlich auch eine klare Regelungfür den Vorsitz und für den stellvertretenden Vorsitz imPKGr. Ich finde es richtig, dass wir genauso verfahrenwie alle Ausschüsse im Deutschen Bundestag: dass derVorsitz nicht jährlich wechselt, sondern dass der Vorsitzfür die gesamte Legislaturperiode gewählt wird .Wir schaffen eine längst überfällige Regelung zurBesserstellung der Hinweisgeber . Hinweisgeber sindStephan Mayer
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in Zukunft nicht mehr verpflichtet, den Dienstweg ein-zuhalten, sondern sie können sich mit ihren Hinweisenunmittelbar an das Parlamentarische Kontrollgremiumwenden .
Ein letzter zentraler Punkt ist, dass wir zukünftig ein-mal im Jahr eine öffentliche Anhörung durchführen –auch das ist eine Verbesserung –, nämlich eine Anhörungder Präsidenten der drei Nachrichtendienste des Bundesnach amerikanischem Vorbild . Damit wird auch dem Ge-bot der Transparenz Rechnung getragen . Es gehört natür-lich zur Wahrheit dazu, dass ein Parlamentarisches Kon-trollgremium sehr begrenzt ist in seinen Möglichkeiten,etwas öffentlich zu machen, öffentlich zu tagen . Damit,dass wir in Zukunft einmal im Jahr öffentlich tagen unddie Präsidenten der drei Nachrichtendienste anhören,zeigen wir, glaube ich, dass wir dem TransparenzgebotRechnung tragen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichkomme zum Schluss . Ich möchte noch einmal deutlichbetonen, dass die Nachrichtendienste in Deutschlandhohe Bedeutung haben, dass sie besser sind als ihr Ruf,dass es falsch ist, hier ein grundlegendes Misstrauen ge-genüber den Nachrichtendiensten zum Ausdruck zu brin-gen . Es gab in den letzten Jahren Verfehlungen, es gabindividuelles Versagen von Mitarbeitern, aber ich möchtewirklich dem Eindruck entgegentreten, dass hier ein ge-nerelles Misstrauen angebracht ist . Das Gegenteil ist derFall . Die über 10 000 Mitarbeiter in den drei Nachrich-tendiensten des Bundes leisten hervorragende Arbeit fürdie Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-land und im Ausland .
Herr Kollege Mayer, ich muss jetzt die Interessen des
Kollegen Schuster vertreten . Sie reden auf seine Kosten .
Das möchte ich natürlich beileibe nicht . Deswegen,
Frau Präsidentin, komme ich zum Schluss meiner Rede .
Ich wünsche uns konstruktive und sachliche Beratun-
gen dieses Gesetzentwurfs und freue mich schon auf eine
dann hoffentlich im Herbst stattfindende Beschlussfas-
sung über diesen notwendigen Gesetzentwurf .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Dr . André Hahn für die
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LassenSie mich für die Linke gleich zu Beginn feststellen: DerGesetzentwurf der Koalition wird dem postulierten Zieleiner effektiveren, vor allem besseren parlamentarischenKontrolle der Geheimdienste nicht einmal ansatzweisegerecht – anders, als Sie es gerade, Kollege Mayer, be-hauptet haben .
Wichtige Punkte fehlen, andere sollen zwar Eingangfinden, werden jedoch nur halbherzig geregelt, und in ei-ner zentralen Frage wird das Parlamentarische Kontroll-gremium eher geschwächt als gestärkt . Insofern ist dervorliegende Entwurf schlicht enttäuschend .Eigentlich wollte ich die Koalition zumindest in ei-nem Punkt loben,
weil – wie von der Linken seit langem gefordert – es denPKGr-Mitgliedern ermöglicht werden sollte, zumindestden eigenen Fraktionsvorsitzenden über wichtige The-men aus dem Gremium zu informieren .
Denn ich sitze ja schließlich nicht als Privatperson dort,sondern als Vertreter meiner Fraktion .
In einer dankenswerterweise von netzpolitik .org geleak-ten Arbeitsfassung der Vorlage der Koalition war auchgenau das enthalten. Im Gesetzentwurf findet sich jetztdazu kein Wort mehr .
Nach allem, was mir bekannt geworden ist, hat sich vorallem Unionsfraktionschef Kauder gegen eine solche Re-gelung gesperrt, und die SPD ist wieder einmal einge-knickt .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialde-mokraten, so werden Sie aus dem Jammertal von 20 Pro-zent plus X mit Sicherheit nicht herauskommen .Eine öffentliche Anhörung der Chefs der drei deut-schen Geheimdienste im PKGr fordert auch die Linke inihrem Gesetzentwurf . Ob diese nun einmal oder zweimalim Jahr stattfindet, ist für uns eher zweitrangig. Wir wol-len in diesen Fragen grundsätzlich mehr Öffentlichkeit .
Dass sich die Mitarbeiter der Dienste künftig beiMissständen oder Problemen auch ohne Unterrichtungihrer Vorgesetzten an das PKGr wenden können, istgrundsätzlich zu begrüßen . Wenn deren Name im Zwei-fel dann aber doch wieder der Bundesregierung bekanntgegeben werden kann, ist das mit Sicherheit kein wirksa-mer Whistleblower-Schutz .
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Eigentlich selbstverständlich, Kollege Binninger, istes, dass das PKGr von ihm in Auftrag gegebene Sach-verständigengutachten an andere Gremien des Bundesta-ges und auch an Untersuchungsausschüsse der Landtageweitergeben kann . Hier wird eine bislang vorhandeneRegelungslücke geschlossen .Völlig in die falsche Richtung geht aber die geplanteSchaffung eines Ständigen Bevollmächtigten des PKGr .Diese Stelle, samt Personal- und Sachkosten, kostet Mil-lionen und bringt wenig bis gar nichts .
Vielmehr besteht die ernsthafte Gefahr, dass besonderssensible Vorgänge und Akten künftig allein dem Bevoll-mächtigten vorgelegt werden und nicht mehr den gewähl-ten Abgeordneten . Damit würde die parlamentarischeKontrolle nicht unterstützt, sondern letztlich ausgehebelt .
Schließlich fehlen wichtige Punkte: eine Stellvertre-terregelung für die Mitglieder des PKGr, die Schaffungder Möglichkeit zur Einsicht in die elektronischen Datenund Netzwerke der Dienste – nach holländischem Vor-bild – oder auch die Anfertigung eines Tonbandmitschnit-tes der gesamten Sitzung des PKGr, um später bei Bedarfdie Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben der Ver-treter von Bundesregierung bzw . Geheimdiensten prüfenzu können .
Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD gibt es trotzerdrückender Mehrheit im Parlament keine Stärkung derMinderheitsrechte im Kontrollgremium . Im Gegenteil –wir haben das ja eben von Herrn Mayer gehört –, offen-bar soll nun eines der ganz wenigen originären und in derGeschäftsordnung verankerten Rechte der Opposition,nämlich dass der Vorsitz im PKGr jährlich zwischen derstärksten regierungstragenden Fraktion und der größtenOppositionsfraktion wechselt, sogar noch in der laufen-den Wahlperiode abgeschafft werden . Meine Damen undHerren, es wäre schlicht unanständig, wenn das umge-setzt würde, was Herr Mayer hier angekündigt hat .
Wenn die Neuregelung in Artikel 3 des Gesetzentwurfsso nicht gemeint sein sollte, dann wäre es gut, wenn dasheute noch klargestellt wird .Natürlich muss das PKGr nicht nur über abgeschlos-sene, sondern auch über laufende und geplante Aktivitä-ten der Geheimdienste unterrichtet werden, wie wir esseit langem fordern. Zu diesem zentralen Punkt findetsich kein einziges Wort im Gesetzentwurf der Koalition .Der neue BND-Präsident Kahl hat bei seiner Amtsein-führung folgenden Satz gesagt: „Geheimer Nachrichten-dienst und totale Transparenz schließen sich aus .“ Da hater wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, und genau da-raus resultiert unsere grundsätzliche Skepsis gegenüberGeheimdiensten .
Meine Damen und Herren, solange es für die Über-windung dieser Skepsis aber keine parlamentarischeMehrheit gibt, müssen wir wenigstens versuchen, dieGeheimdienste halbwegs vernünftig zu kontrollieren .Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition leistet dazukeinen Beitrag . Der Antrag der Grünen enthält wie unserGesetzentwurf aus dem Jahr 2015 eine Reihe sinnvollerPunkte . Ich freue mich auf die Ausschussberatung .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn ich jetzt jemanden draußen auf der Straße oderoben auf den Besuchertribünen fragen würde, was dasParlamentarische Kontrollgremium eigentlich ist, würdeich als Antwort höchstwahrscheinlich nur ein Achselzu-cken bekommen . Das wollen wir ändern . Wir wollen,dass die Menschen von der Arbeit des PKGr erfahren .
Deshalb wird es jährlich öffentliche Anhörungen geben,in denen die Präsidenten der Nachrichtendienste demGremium Rede und Antwort stehen müssen .
Beim Bundesnachrichtendienst arbeiten mehr als6 000 Personen,
beim Bundesamt für Verfassungsschutz bald 3 000 undbeim Militärischen Abschirmdienst mehr als 1 000 Men-schen . Das sind zusammen mehr als 10 000 Männer undFrauen, denen neun Bundestagsabgeordnete gegenüber-stehen, die wiederum diese 10 000 kontrollieren sollen .Dass das nicht möglich ist, haben wir im letzten Sommerim Zusammenhang mit den BND-eigenen Selektorenleidlich gesehen .Wir als SPD sind mehr als unzufrieden mit der jetzigenSituation . So kann es nicht weitergehen . Insofern bin ichfroh, dass wir auf unsere Initiative hin dieses Gesetz aufden Weg gebracht haben . Eine der wohl wichtigsten Fort-entwicklungen durch dieses Gesetz ist, dass das PKGrkünftig durch den sogenannten Ständigen Bevollmäch-tigten, einen nur dem PKGr unterstellten Experten, unter-stützt wird . Dieser verlängerte Arm des Kontrollgremi-ums wird die Nachrichtendienste mit seinem personellenDr. André Hahn
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Unterbau auf eine Art und Weise kontrollieren können,wie es uns Abgeordneten bisher so nicht möglich ist . ImGegensatz zu uns Abgeordneten, die noch einen Wahl-kreis zu betreuen und neben der Tätigkeit im PKGr auchnoch andere Aufgaben und Verpflichtungen in Berlin ha-ben, ist der Ständige Bevollmächtigte ausschließlich mitder parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienstebefasst . Durch die durch dieses Gesetz neu geschaffenenStrukturen werden wir zukünftig also immer im Bildesein und schon frühzeitig als Gesetzgeber eingreifen kön-nen, wenn wir es für notwendig halten . Bisher war es so,dass wir den Knall immer erst dann gehört haben, wenndie Bombe in den Medien schon längst explodiert ist .
Ein weiterer und der vielleicht für die Dienste undauch für uns als Parlament wichtigste Aspekt dieses Ge-setzes ist meiner Meinung nach ein anderer: Wir wollendie Dienste aus der Grauzone holen . Wir wollen, dass dieBürgerinnen und Bürger den Nachrichtendiensten wie-der vollends vertrauen können und nicht immer nur vonskandalösen Vorgängen hören, sondern eben auch davon,welch enormen Beitrag die Nachrichtendienste für dieSicherheit unseres Landes leisten .
Ich weiß aus Besuchen beim Bundesnachrichten-dienst, wie verunsichert dort viele Mitarbeiterinnen undMitarbeiter sind, weil die oftmals über Jahre gutgeheiße-ne Arbeitsweise von Teilen der Politik jetzt infrage ge-stellt oder kritisiert wird . Ich bin mir sehr sicher, dass esauch im Interesse der Dienste ist, wenn ihre Arbeit voneiner effizienten parlamentarischen Kontrolle begleitetwird . „Begleitet“ sage ich sehr bewusst . Ich glaube näm-lich nicht, dass die parlamentarische Kontrolle der Nach-richtendienste dazu dient, die Arbeit der Dienste ständiginfrage zu stellen oder gar zu skandalisieren .
Bereits mit der letzten Reform 2009 wurde ein eigenesReferat errichtet, das dem PKGr zuarbeitet . Wir haben inAufarbeitung der BND-eigenen Erfassung eindrucksvollgemerkt, wie wichtig und sinnvoll ein stark aufgestellterMitarbeiterstab in der parlamentarischen Kontrolle ist .Mit der jetzigen Reform bauen wir das Referat personellnochmals aus . Ich bin froh, dass bereits im Haushalts-plan 2016 die ersten Stellen dafür vorgesehen sind .
Ich will auch noch auf den eben schon zitierten Satzdes BND-Präsidenten Kahl eingehen . Ich glaube näm-lich, dass er im Grunde schon Recht hat, wenn er sagt,dass sich Geheimdienste und totale Transparenz aus-schließen . Mit diesem Gesetz aber schaffen wir so et-was wie die Quadratur des Kreises, liebe Kolleginnenund Kollegen, nämlich bei unseren Nachrichtendienstenmehr Transparenz und gleichzeitig mehr Effizienz derparlamentarischen Kontrolle unserer Nachrichtendienste .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Danke, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich sehe das Ganze als einen Strategiewech-sel, Herr Mayer . Das muss ich Ihnen leider einmal sagen .Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionenhaben offenbar die Nase voll von den ständigen Diskus-sionen und den Veröffentlichungen von Fehlern, Fehlent-wicklungen und Skandalen . Nun legen sie mitten in derArbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschussesund des PKGr zwei Gesetzeswerke vor: das eine ist dasBND-Gesetz, über das wir anschließend beraten, und dasandere ist die Änderung des PKGr-Gesetzes .
– Ja, dass Sie als Koalitionsfraktion mit der Bundesregie-rung etwas zu tun haben, unterstelle ich einmal .Sie sagen: Wir müssen in die Zukunft schauen . Wirmüssen sehen, dass so etwas nie wieder passiert . Wirmüssen das alles viel besser kontrollieren .
Wenn man diesen Maßstab anlegt an das, was Sie vor-gelegt haben, dann sieht man ein: Es wird das mitnichtenerfüllt, Ihr Vorschlag zur Stärkung des PKGr ist mager;es ist völlig unzureichend, weil Sie ganz wesentliche Kri-tik an der bisherigen Arbeit des PKGr – dies richtet sichnicht gegen das PKGr selber, sondern gegen die, die dasPKGr informieren, nämlich die Bundesregierung und dieDienste – völlig außen vor lassen .
Es kann nicht sein, dass Sie in dieses Gesetz eine Rei-he von Punkten schreiben, die schon lange Praxis sind,wie das Umlaufverfahren oder dass sich das PKGr mit ei-nem Vorgang als Vorgang von besonderer Bedeutung nurbeschäftigen muss, wenn es in der Zeitung steht, wennes also in den Medien diskutiert wird oder wenn es zumpolitischen Skandal geworden ist . Das ist selbstverständ-liche Praxis . Das muss man dort nicht hineinschreiben .Denn es werden ja sicherlich Anträge gestellt werden, indenen das alles steht .
Uli Grötsch
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Das Einzige, das nach der langen Diskussion über ei-nen Geheimdienstbeauftragten wirklich neu ist, ist, dassSie das Amt eines Ständigen Bevollmächtigten einrich-ten wollen . Hier teile ich die Befürchtung – wir könnensehen, wie es wird – des Kollegen Hahn . Es ist ein vonden Koalitionsfraktionen installierter Bevollmächtigter .Sie wählen ihn ja, weil Sie die große Mehrheit haben .Das wird immer so sein . Die Koalitionsfraktionen wer-den diesen Bevollmächtigten immer wählen können .
– Ja . – Jetzt stellt sich die Frage: Wie unabhängig ister? Sie geben ihm eine Unabhängigkeit auch gegen-über dem Kontrollgremium . Sie geben ihm eine eigeneLegitimation dadurch, dass er in einem besonderen Aktvom Bundestagspräsidenten ernannt wird . Sie geben ihmEigenständigkeit . Sie geben ihm auch die Oberhoheitüber das jetzt noch stellenmäßig auszuweitende Perso-nal . – Wir wollen auch mehr Personal . – Er bekommteine ungeheuer starke Stellung . Es besteht die Gefahr,dass die Bundesregierung und die Dienste mit ihm sehreng zusammenarbeiten . Er bekommt Informationen, diewir aber nicht bekommen, weil wir nicht an die Aktenherankommen . Das heißt, das ist auch keine bedeuten-de Verbesserung . Vielmehr haben wir es auch noch miteiner Verschlimmbesserung zu tun, wonach in Zukunftder Vorsitzende nicht mehr aus der Opposition kommenkann . Es war ein echter Fortschritt – das hat sich meinerAnsicht nach genauso bewährt wie die übrige Arbeit –,
dass das jedes Jahr gewechselt hat und dass auch die Op-position an der Reihe war . Das war gut und richtig – ob-wohl ich da leider nie in den Genuss gekommen bin, weildie Mehrheitsverhältnisse anders waren .
Jetzt sage ich Ihnen, was der entscheidende Fehler ist .Der entscheidende Fehler ist, dass Sie überhaupt nicht be-rücksichtigen, dass die parlamentarische Kontrolle daranscheitert, dass das Gremium hintergangen wird, falsch in-formiert wird, unvollständig informiert wird und belogenwird . Liebe Kollegen von der Union und der SPD, icherinnere mich an die Bilder aus dem Sommer 2013 – zumTeil waren Sie dabei –, nach den Veröffentlichungen vonEdward Snowden . Da saßen – wie eine Ansammlung vonMenschen aus dem Tal der Ahnungslosen – Vertreter derBundesregierung und der Dienste und haben Auskunft zuder Frage gegeben,
die die ganze Republik beschäftigte: Machen Deutscheauch so etwas, spionieren sie auch befreundete Länderaus? Da wurde gesagt: Die Frage ist schon eine Unver-schämtheit;
um Freunde kümmern wir uns da nicht . – Die Kanzlerinhat dann ja noch einen draufgesetzt und gesagt: „Ausspä-hen unter Freunden – das geht gar nicht .“ Das war dieSituation .
Und jetzt? Machen Sie irgendetwas, was in Zukunftdazu führen kann, dass die Auskünfte richtig sind? GebenSie dem Parlamentarischen Kontrollgremium irgendeineMöglichkeit der Sanktion, wenn es belogen wird? Wennich belogen werde, möchte ich das der Öffentlichkeitmitteilen können,
möchte ich sagen können: So geht das nicht, so geht manmit einem Parlamentarier nicht um, so geht man mit demganzen Parlament nicht um .
In diesem Bereich machen Sie null, machen Sie über-haupt nichts . Deshalb wird es die parlamentarische Kon-trolle der Geheimdienste leider auch in Zukunft unge-heuer schwer haben . Ich weiß nicht, ob wir da überhauptweiterkommen . Solange es keine Sanktionsmöglichkei-ten gibt – wie etwa die Möglichkeit einer Meldung nachaußen in Form einer Presseerklärung oder einer Mit-teilung des Gremiums, dass man belogen worden ist –,kommen wir nicht weiter .Dazu gehört die Forderung, die der Kollege Hahnschon gestellt hat und die ich seit zehn Jahren vor mirhertrage: Um beweisen zu können, dass die Unwahrheitgesagt worden ist, brauchen wir das Protokoll,
brauchen wir ein Tonbandprotokoll, um es festzustellen .Denn heute wissen wir, dass auch der Bundesnachrich-tendienst tausendfach Freunde und Partner ausgespähthat – in Europa, in NATO-Ländern, überall . Wir werdendazu noch einen Bericht veröffentlichen . Das, was gesagtwurde, war also falsch .
Herr Kollege Ströbele, denken Sie an Ihre Redezeit .
Entschuldigung . Letzter Satz .Wir müssen die Möglichkeit haben, uns das, was bei-spielsweise im Sommer 2013 gesagt worden ist, auf demTonband anzuhören, damit wir sagen können: Was hattedas mit der Wirklichkeit zu tun, was hatte das mit der Re-Hans-Christian Ströbele
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alität zu tun? Ihr habt uns etwas verschwiegen, ihr habtuns ausdrücklich belogen, und so geht das nicht . –
Solange Sie nicht mit uns daran weiterarbeiten, macht dieganze Arbeit an der Reform des Parlamentarischen Kon-trollgremiums nur wenig Sinn .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist für die CDU/
CSU-Fraktion der Kollege Clemens Binninger .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich will vorneweg kurz auf die Reden der Oppositions-kollegen eingehen, die alle – wie auch ich als Vorsitzen-der – dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehö-ren .Kollege Hahn, Sie haben sich darüber echauffiert,dass jetzt eine Regelung im Gesetzentwurf enthalten ist,die vorsieht, dass der Vorsitzende des Gremiums und seinStellvertreter zukünftig für die ganze Legislatur gewähltwerden . Es steht nirgends, aus welcher Fraktion der Vor-sitzende kommt .
Bitte unterstellen Sie uns an dieser Stelle nicht, wir wür-den die Möglichkeiten der Opposition beschneiden .
– Es scheint Sie ja zu treffen, wenn die Erregung so großist .Dann haben Sie zum Recht der Information gegenüberden Fraktionsvorsitzenden gesagt, Sie seien von IhrerFraktion in dieses Gremium entsandt worden, deshalbmüssten Sie Ihre Fraktionsvorsitzenden – bei Ihnen sindes ja zwei – informieren .
Das stimmt nicht . Sie sind nicht von Ihrer Fraktion ent-sandt worden .
– „Vorgeschlagen“? Das spielt doch keine Rolle . – Die-ses Gremium hat eine besondere Stellung und ist deshalbin der Verfassung genannt, in Artikel 45d .
Alle, egal wie stark ihre Fraktion ist, können nur dannMitglied dieses Gremiums werden, wenn sie mit Kanz-lermehrheit in geheimer Wahl vom gesamten Plenum ge-wählt sind . Das heißt, Sie sind mindestens mit 250 Stim-men der anderen Fraktionen gewählt worden . Sie dürfenalso nicht behaupten, Sie seien von Ihrer Fraktion ent-sandt worden . Wir haben eine andere Stellung . Wir ver-treten das gesamte Haus .
Deshalb haben wir dieses Wahlprinzip . Sie sollten da-rüber nachdenken, dann merken Sie, dass Ihre Kritik andieser Stelle unberechtigt ist .Jetzt zu Ihnen, Herr Kollege Ströbele . Ich habe denAntrag der Grünen gelesen .
– Ja, wirklich . – Ich war ein bisschen verwundert, dassgerade Sie kritisieren, dass wir das Amt eines Ständi-gen Bevollmächtigten – man könnte sagen: einen stän-digen Arbeitsstab – zur wirksamen Entlastung schaffenwollen – derzeit haben wir nur ein Sekretariat, das dieseAufgabe kaum erfüllen kann –; denn auf Seite 4 IhresAntrages schlagen Sie doch genau das vor .
Sind Sie mit der Position der Grünen nicht einverstan-den, oder wie soll ich Ihren Beitrag verstehen?
Wir machen nicht alles, was in Ihrem Antrag steht,aber lassen Sie mich eines deutlich machen: Ich will – daunterscheiden wir uns bestimmt; das sage ich auch zu denKollegen der Linken –, dass wir die Dienste konsequentund nachhaltig, aber auch objektiv und seriös kontrollie-ren . Was ich nicht will, ist, dass wir jede Aufgabe miteinem permanenten Misstrauen, mit einem permanentenSkandalton auf den Lippen angehen . Nicht durch jedeKontrolle muss unbedingt ein Fehler gefunden werden,und nicht jeder Fehler ist ein Skandal .
Wir sind hier nicht der Skandaldurchlauferhitzer, wennes um die Dienste geht . Wir kritisieren dort, wo es an-gebracht ist, aber wir stellen uns auch vor die Dienste .Genau das muss Sinn und Zweck eines solchen Gremi-ums sein .
Sie sind das dienstälteste Mitglied, Herr Ströbele,dann komme, glaube ich, schon ich; so schnell kann esgehen .
Hans-Christian Ströbele
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Wir haben im Zuge der letzten Reform 2009 folgendeInstrumente an die Hand bekommen: Wir dürfen dieNachrichtendienste aufsuchen, wir dürfen die Mitarbei-ter befragen, wir dürfen uns Akten vorlegen lassen, wirdürfen einen Ermittlungsbeauftragten einsetzen, und dieRegierung muss uns informieren . Das sind unsere fünfwesentlichen Befugnisse . Wenn man nüchtern bilanziert,welche Befugnisse angewendet werden, dann müsseneigentlich alle zugeben: Wir wenden sie kaum an – Sienicht, ich nicht, keines der Mitglieder; denn uns fehlt ein-fach die Zeit .Wir hatten uns ein Arbeitsprogramm, das siebenAufträge enthält, gegeben, um zu zeigen, dass wir auchvor Ort sein können . Das Arbeitsprogramm galt für2014/2015, jetzt haben wir Mitte 2016, aber es ist nochnicht abgearbeitet, weil wir eben viele andere Aufgabenhaben .
– Ihr Arbeitsauftrag fehlt, glaube ich, auch noch .
Diesen Grundmangel zu beheben, finde ich völligrichtig . Dafür brauchen wir eine vernünftige Personal-ausstattung . Wir brauchen jemanden, der uns koordinie-rend zur Seite steht . Dann können wir eine gute, seriöseKontrolle gewährleisten .Wir machen noch mehr; auch das betrifft Punkte, dieSie gefordert haben . Wenn es um öffentliche Elementegeht, soll das Gremium nicht nur im Geheimen tagen .Jetzt wissen wir alle: Nachrichtendienste sind mit sehrsensiblen Aufgaben betraut, da muss Geheimhaltungsein . Aber wir haben genau das Element eingeführt, dasgerade von Ihnen, Herr Ströbele, immer gefordert wurde:Einmal im Jahr, wie in den USA, wird eine öffentlicheAnhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste desBundes durchgeführt .
Das ist auch im Gesetzentwurf enthalten .In der Vergangenheit war es so, dass Beschäftigte derDienste, die sich an uns wenden wollten, vorher ihrenPräsidenten darüber informieren mussten . Das haben wirjetzt gestrichen .
Sie können sich nun direkt an uns wenden .
– Moment, die Namen werden nur dann genannt – da-mit wollen wir falschen Anschuldigungen vorbeugen –,wenn sie zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichsind, nur dann .
Das halte ich für eine absolut überzeugende Regelung:
zunächst Schutz für die Whistleblower, aber wenn es not-wendig ist, um den Sachverhalt aufzuklären, dann mussauch jemand zu seiner Kritik stehen können .
Das ist genau der richtige Maßstab, den wir hier gefun-den haben .Wir wurden bisher rechtlich daran gehindert – KollegeHahn, das wissen Sie doch selber, Sie waren letztes JahrVorsitzender –, unsere Ergebnisse durch Ermittlungs-beauftragte zum Beispiel dem NSA-Untersuchungsaus-schuss oder den Landtagsuntersuchungsausschüssen zurVerfügung zu stellen . Das ging einfach nicht . Wir greifendiesen Mangel in dem vorliegenden Gesetzentwurf aufund sagen: Parlamentarische Untersuchungsausschüs-se und vergleichbare Kontrollgremien dürfen zukünftigentsprechende Berichte erhalten . Dadurch sorgen wir füreine Verzahnung zwischen den Parlamenten und den Par-lamentsgremien .Ich halte das alles für sehr gute und sinnvolle Lösun-gen .
Ich kann Sie nur ermuntern, unser Gesetzesvorhaben zuunterstützen . Wir sind auf einem sehr guten Weg hin zueiner sehr guten parlamentarischen Kontrolle der Diens-te .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächste hat die Kollegin Gabriele
Fograscher, SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Eigentlich sollten die Nachrichtendienste des Bundesihre Arbeit geräuschlos im Verborgenen, im Geheimenleisten . Sie geraten in letzter Zeit aber auffällig oft undnegativ in die Schlagzeilen und damit in die öffentlicheund in die politische Diskussion . So war in der letztenZeit im Zusammenhang mit dem NSU zu lesen: „Kollek-tiv versagt“, oder auch: „Fall ‚Corelli‘ bringt Maaßen inBedrängnis“ . Und im Zusammenhang mit der NSA warzu lesen: „BND soll deutschen Diplomaten ausspionierthaben“, und: „Jetzt sogar 3 600 BND-Selektoren gegenFreunde“ . Auch wenn der Kollege Grosse-Brömer nochim Dezember 2013 in der Welt erklärte, zusätzliche Be-fugnisse brauche das Kontrollgremium nicht,
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so haben doch die letzten Jahre mehr als deutlich gezeigt,dass mehr Kontrollmöglichkeiten dringend notwendigsind .Bereits 2009 wurde die Kontrolle der Nachrichten-dienste neu geordnet . Das PKGr wurde gesetzlich mitmehr Kontrollmöglichkeiten ausgestattet . So muss zumBeispiel das Gremium jederzeit Zutritt zu den Dienststel-len erhalten, darf Akten und Dateien einsehen und Aus-künfte einholen . Das haben wir genutzt, wenn auch viel-leicht zu wenig, Herr Kollege Binninger . Wir haben zumBeispiel für den Fall „Corelli“ einen Sonderbeauftragteneingesetzt . Wir haben die Möglichkeit genutzt, eigeneUntersuchungen durchzuführen . Die Ergebnisse der Un-tersuchung der BND-eigenen Steuerung werden wir miteiner Bewertung in Kürze der Öffentlichkeit vorstellen .
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Nein, ich will fortfahren . – Das jahrelange Nichter-
kennen der Morde und Verbrechen des Nationalsozialis-
tischen Untergrunds ist in zwei Untersuchungsausschüs-
sen des Bundes und in Untersuchungsausschüssen der
Länder untersucht worden. Diese haben erhebliche Defi-
zite in den Diensten und bei deren Zusammenarbeit auf-
gezeigt . Deshalb hat der NSU-Untersuchungsausschuss
der 17 . Wahlperiode die Stärkung einer systematischen
und strukturellen Kontrolle gefordert . Dafür bedürfe es
einer ausreichenden und professionellen Personal- und
Sachausstattung .
Diesen Forderungen des NSU-Untersuchungsaus-
schusses und unserem eigenen Anspruch bezüglich einer
effektiven Kontrolle wollen wir mit diesem Gesetzent-
wurf nachkommen . Wir werden das Amt einer oder eines
Ständigen Bevollmächtigten schaffen . Mit einem Mitar-
beiterstab soll er oder sie für eine kontinuierliche, syste-
matische und strukturelle Kontrolle der Dienste sorgen
und das PKGr bei seiner Arbeit unterstützen .
Wichtig ist mir auch, dass die Regelung zu Whistle-
blowern, also Hinweisgebern, neu gefasst wird . Hinweis-
geber aus den Diensten selbst sind sehr wichtig; denn sie
können auf interne Missstände hinweisen . Bisher gab es
nur wenige Informationen aus den Diensten selbst . Das
liegt auch daran, dass bisher Hinweisgeber, die Informa-
tionen an das PKGr geben, gleichzeitig die Leitung des
Dienstes darüber in Kenntnis setzen müssen . Hinweis-
geber mussten mit negativen Folgen rechnen . Das än-
dern wir jetzt . Hinweisgeber sollen sich künftig an das
Kontrollgremium wenden können, ohne die Leitung des
Dienstes oder einen Vorgesetzten informieren zu müssen .
Bei der weiteren Behandlung der Eingabe wird der Name
des Hinweisgebers nicht genannt, weder der Regierung
noch den Diensten gegenüber . Eine Nennung des Infor-
manten wäre nur dann notwendig, wenn das zur Aufklä-
rung des Sachverhalts zwingend erforderlich wäre . Eine
solche Konstellation halte ich für eher unwahrscheinlich .
Sollte das aber doch der Fall sein, so darf der Hinweis-
geber wegen seiner Informationen an das PKGr nicht be-
nachteiligt oder einer Strafverfolgung ausgesetzt werden .
Diese Neuregelung soll Hinweisgeber ermutigen, das
PKGr über interne Missstände zu unterrichten .
Eine weitere Neuerung ist die jährliche öffentliche
Anhörung der Präsidenten der Dienste . Diese Anhörun-
gen gibt es bereits in den USA und in Großbritannien . Sie
haben sich dort bewährt . Damit kann man mehr Transpa-
renz und auch mehr Verständnis für die Arbeit der Diens-
te in der Öffentlichkeit schaffen . Ich begrüße es, wenn
die Arbeit des PKGr mal aus den Kellerräumen des Bun-
destages herauskommt .
Zudem regelt der Gesetzentwurf Details zu Vorsitz
und stellvertretendem Vorsitz, zu Zutrittsrechten der
Mitglieder und des Beauftragten sowie hinsichtlich einer
besseren Zusammenarbeit der Kontrollgremien unterei-
nander .
Funktionierende und effektive Nachrichtendienste
sind für die Sicherheit Deutscher im In- und Ausland un-
verzichtbar . Gerade in der jetzigen Sicherheitslage leis-
ten die Dienste wichtige Arbeit . Dafür ist es notwendig,
dass die Dienste zusammenarbeiten, ihre Erkenntnisse
austauschen . Dabei dürfen sie sich weder in rechtsfreien
Räumen noch in Grauzonen bewegen . Es muss klar sein,
was die Dienste dürfen und was nicht . Klar sein muss
auch, dass ihre Arbeit effektiv kontrolliert wird . Deshalb
gehören das PKGr-Gesetz und das gleich noch zu disku-
tierende BND-Gesetz zusammen .
Einige Vorschläge im Antrag der Grünen sind auch in
unserem Gesetzentwurf zu finden. Aber uns geht der An-
trag der Grünen zu weit . Transparenz ist wichtig, aber sie
darf nicht auf Kosten der Arbeitsfähigkeit gehen .
Der am Mittwoch in sein Amt eingeführte neue
BND-Präsident Kahl betonte, dass er den begonnenen
Kurs der Transparenz fortsetzen wolle . Er fügte hinzu:
Geheime Nachrichtendienste und totale Transparenz
schließen sich aus . – Ich sage: So viel Geheimhaltung
wie nötig, so viel Transparenz wie möglich .
Sie denken aber auch an die Zeit?
Letzter Satz . – Ich wünsche dem neuen BND-Prä-
sidenten viel Erfolg in seinem Amt und hoffe auf gute
Zusammenarbeit . Ich freue mich auf gute Beratungen im
Ausschuss nach der Sommerpause .
Danke schön .
Vielen Dank . – Kollege Ströbele hat um die Gelegen-heit zu einer Kurzintervention gebeten .Gabriele Fograscher
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Danke, Frau Präsidentin, dass Sie es möglich gemachthaben .Ich wollte nur an etwas erinnern . – Herr Grosse-Brömer ist auch wieder hier .
Am Ende der letzten Legislaturperiode wurde ein Papiervorgelegt, an dem auch Grosse-Brömer mitgearbeitethat, wo er allerdings nicht mit allem einverstanden war,insbesondere nicht mit dem, was Kollege Oppermannvorgeschlagen hat . Ich wünsche mir manchmal den Kol-legen Oppermann zurück – allerdings in die Opposition .
Denn er hat eine ganze Reihe von Forderungen in das Pa-pier geschrieben, die wir jetzt hier auch stellen, nämlichdass es Sanktionen bei Falschinformationen und dass eseinen Tonmitschnitt geben muss .
Das steht alles drin; ich kann es Ihnen zur Verfügungstellen . Das stammt vom Dezember 2013, da waren Sieschon in der neuen Koalition . Da ist das verfasst worden .Daran wollte ich erinnern und Sie auch fragen, ob Sie dasbei Ihren Beratungen im Auge haben . Vielleicht könnenwir, wenn wir es gemeinsam beraten, auch dieses Papier,das unter anderem vom Kollegen Oppermann verfasstworden ist, zurate ziehen .
Vielen Dank . – Jetzt hat Kollege Armin Schuster,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Vorlage, ob Herr Oppermann in der Opposi-tion sein soll oder nicht, nehme ich jetzt nicht auf . Aber,Herr Ströbele, eines stimmt nicht – wir müssen jetzt an-dauernd Dinge richtigstellen, und Sie wissen es genau –:
Sie können natürlich im PKGr beantragen, dass Aussa-gen der Bundesregierung aufgenommen werden .
Das tun wir auch regelmäßig . Ich weiß gar nicht, was Siehier für Behauptungen aufstellen .
Das gehört wahrscheinlich zur Mystifizierung.Meine Damen und Herren, wir leben zum Glück nichtin Zeiten von Krieg in Europa . Wir leben aber in Zei-ten von Krieg im Rest der Welt, in Zeiten von Terror,von fürchterlichem Terror, und deshalb hat DeutschlandGegner, vielleicht sogar Feinde . Wenn man zu diesemBefund gekommen ist, muss man anerkennen, dass dieLeistungen von Inlands- und Auslandsnachrichtendiens-ten für ein Land eminent wichtig sind .
Die Leistungen der Nachrichtendienste sind umso besser,je offensiver, je mutiger, je selbstbewusster und entschei-dungsfreudiger die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desBundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzesund des Militärischen Abschirmdienstes agieren .
Dafür bedanken wir uns auch einmal . Wir bedanken unsoft beim THW, bei der Bundespolizei sowie beim Zoll –zu Recht –, aber selten für die Leistungen unserer Nach-richtendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter,
und das möchte ich an dieser Stelle einmal tun .
Und, meine Damen und Herren, wenn wir sie mutighaben wollen, wenn wir sie entscheidungsfreudig undselbstbewusst haben wollen,
dann braucht es Vertrauen in den Rechtsstaat – da stimmeich Ihnen völlig zu –, und Vertrauen entsteht über Kon-trolle .Deshalb, glaube ich, hat dieser Gesetzentwurf, den wirheute vorlegen, eine eminent wichtige Bedeutung . Wennwir Kontrolle vertrauensvoll und partnerschaftlich aus-üben, also nicht als Ankläger und Richter, sondern so,wie wir es in der Taskforce gemacht haben, Herr Grötschund Herr Ströbele, nämlich als kritisch-konstruktiverBegleiter, dann optimieren wir unsere Dienste . Wir opti-mieren dann auch unsere Gesetzgebung, weil wir selberbemerken, dass es eventuell rechtsstaatliche Lücken gibt .
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Deshalb, glaube ich, beschließt die Union heute zu-sammen mit der SPD einen zweiten verfassungsrechtlichhistorischen Schritt nach der Reform 2009, als das PKGrmit seiner Aufgabe erstmals in die Verfassung kam .
Das ist heute keine banale Debatte . Wir machen einenhistorischen Schritt, um die Kontrolle zu stärken .
Meiner Meinung nach gibt es drei Gewinner .Das sind zum einen die Bürgerinnen und Bürger, dieüber öffentliche Anhörungen mehr Transparenz gewin-nen, die aber vor allen Dingen mehr Sicherheit gewin-nen, weil wir unsere Nachrichtendienste durch Kontrollestärken .Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ge-winnen natürlich durch dieses Gesetz, weil die Kontroll-power, die wir jetzt endlich haben, dazu führt, dass diekritische Auseinandersetzung mit Vorgängen, wie wir siejetzt im Bereich der Selektoren erlebt haben, Verbesse-rungen mit sich bringt . Ich habe als Parlamentarier imPKGr ein gutes Gefühl, wenn ich meinen Kollegen sagenkann: Wir haben die Kontrollpower, um für Transparenzzu sorgen . Um das klar zu sagen: Mir geht heute das Herzauf . Ich bin kein Oberschlaumeier, aber ich habe nurzwei Sitzungen im Parlamentarischen Kontrollgremiumgebraucht, um zu kapieren, dass wir dem Auftrag niemalsmit neun Kollegen gerecht werden können . Deswegen istdas, was wir jetzt im Zusammenhang mit der Personal-ausstattung tun, einmalig richtig .
Ich bin sehr, sehr zufrieden . Jetzt erfüllen wir den Auftragder Bürger . Jetzt erfüllen wir den Auftrag des Parlaments .Der dritte Gewinner sind die Nachrichtendiensteselbst . BfV, BND und MAD – darauf werde ich persön-lich achten – werden nicht darunter leiden, dass jetztirgendwelche Chefankläger ins Feld geschickt werden .Wir werden darauf achten, dass es eine konstruktive, einevertrauensvolle und kritische Kontrolle ist . Das wird dieKommunikation stärken .Eines darf ich sagen – Herr Grötsch, Herr Ströbele, ichweiß nicht, ob Sie es bestätigen –: Die Arbeit der Task-force war durch und durch konstruktiv .
Wir hatten eine wunderbare Kommunikation mit demBundesnachrichtendienst und mit dem Bundeskanzler-amt, trotz eines harten Befundes . Das zeigt: Es gibt auchKontrolle mit Qualität .
Dies sorgt am Ende für Vertrauen .Die Nachrichtendienste werden immer wieder in ir-gendwelche Darkrooms gezogen .
Über die Nachrichtendienste wird immer wieder genör-gelt, und sie werden kritisiert . Ich wäre sehr, sehr dank-bar,
wenn die Opposition oder etliche Medienvertreter, diedas tun, einmal einen Vorschlag vorlegen würden, derzeigt, wie sie es machen würden .
Zeitungsschnipsel auszuschneiden – das ist Ihre Vorstel-lung von Nachrichtendiensten –, erzeugt keine Sicher-heit . Die einzige Kritik, die man an Helmut Schmidtüben kann, ist, dass er einmal gesagt hat: Ich lese lieberZeitung, als dass ich den BND frage . – Diese Zeiten sindvorbei . Unsere Nachrichtendienste machen eine klasseArbeit . Darin wollen wir sie unterstützen .Zum Schluss . Ehre, wem Ehre gebührt . Ein kleinerGruß an Hartfrid Wolff von der FDP sei mir erlaubt . Erwäre jetzt, glaube ich, gerne dabei . Danke an die SPD,dass wir das zusammen machen können . Das Innenres-sort ist für mich das Ressort mit der stärksten Leistung indieser Legislaturperiode .
– Ja, ja . – Ich möchte Clemens Binninger an dieser Stellenennen .
Sie müssen etwas schneller danken, Herr Schuster .
Als Vorsitzender des PKGr muss er das vielleicht ma-chen, aber er ist unermüdlich und mit Geduld an diesemThema drangeblieben . Ohne ihn wäre es nicht gegangen .
Das ist auch als Botschaft an die eigenen Reihen gedacht .Ich finde, das ist eine klasse Arbeit. Ich bedanke mich.Ich empfehle Ihnen sehr, diesen Gesetzentwurf einmal zulesen . Dann sprechen wir im Ausschuss darüber .
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Danke schön . – Ich schließe die Aussprache . Der Kol-lege Schuster war der letzte Redner zu diesem Tagesord-nungspunkt .Es wird aber noch viele weitere Debatten dazu geben;denn zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vor-lagen auf den Drucksachen 18/9040 und 18/8163 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-weisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das istder Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeauf-klärung des BundesnachrichtendienstesDrucksache 18/9041Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höreauch hier keinen Widerspruch .
Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundes-regierung hat Bundesminister Peter Altmaier .
Peter Altmaier, Bundesminister für besondere Auf-gaben:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beratenheute in erster Lesung die bedeutendste und weitrei-chendste Reform des BND-Gesetzes, die es in den letztenJahrzehnten gegeben hat .
Ich möchte mich vorweg bei allen Fraktionen, liebeFrau Högl, lieber Burkhard Lischka, lieber ClemensBinninger, lieber Stephan Mayer, lieber Armin Schuster,bedanken, die daran mitgewirkt haben,
aber auch bei den Mitgliedern des PKGr und desNSA-Untersuchungsausschusses sowie den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern im Bundeskanzleramt und beimBND .Dass der Entwurf gut geworden ist, lieber Konstantinvon Notz, sieht man daran, dass die Oppositionsbänkeweniger als unzureichend gefüllt sind .
Ich habe einmal durchgezählt: Von 127 möglichen Abge-ordneten sind hier gerade einmal zwölf anwesend . Dassind weniger als 10 Prozent . So schlecht ist die Arbeit,die wir Ihnen heute vorlegen, offenbar nicht ausgefallen .
Mit dieser Reform erreichen wir mehrere sehr wichti-ge Ziele . Die Arbeit des BND – das ist heute schon mehr-fach gesagt worden – war in den vergangenen Jahrzehn-ten wichtig und ist in den letzten Jahren immer wichtigergeworden . Ihre Bedeutung wird in den nächsten Jahrennoch weiter zunehmen . Das hängt damit zusammen, dassder Prozess der Globalisierung, der uns so viele Vorteileim Hinblick auf Wohlstand und Freiheiten bringt, ebenauch dazu führt, dass die Gewährleistung unserer innerenund äußeren Sicherheit immer mehr vorverlagert wird,weil die Bedrohungen, mit denen wir es zu tun haben,internationaler werden . Für den Bereich des internatio-nalen Terrorismus kann das jeder nachvollziehen; das giltaber auch für den Bereich der Cybersicherheit und vielesandere mehr . Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir uns alsRegierung und Parlament zu diesem Bundesnachrichten-dienst bekennen .Mit dieser Reform schaffen wir eine ordentlicheRechtsgrundlage für seine wichtige Arbeit . Wir wollendie Arbeit des BND gerade nicht einschränken . Wir wol-len sie aber auf eine klare und für jedermann nachvoll-ziehbare rechtliche Grundlage stellen . Es handelt sich umdie Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung, also darum,vom Inland aus ausländische Bürgerinnen und Bürgerim Ausland aufzuklären . Das ist eine der wichtigen Tä-tigkeiten des Bundesnachrichtendienstes, und mit dieserGesetzesvorlage wird Rechtssicherheit geschaffen . Dasist auch wichtig im Hinblick auf die Diskussionen, die esin den letzten Monaten dazu gegeben hat .
Wir sorgen in einem zweiten Schritt dafür, dass auchdie Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mitanderen Nachrichtendiensten weltweit auf eine hinrei-chende und gute Grundlage gestellt wird . Auch diese Zu-sammenarbeit wird immer wichtiger, weil bei der Viel-zahl und Fülle an Bedrohungen kein Nachrichtendienstdieser Welt – und mag er noch so große finanzielle undpersonelle Ressourcen zur Verfügung haben – für sich al-leine die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger seinesLandes und die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten,Armin Schuster
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die sich in Auslandseinsätzen befinden, vollumfänglichgewährleisten kann .Wir haben zum ersten Mal Vorschriften aufgenom-men, die die internationale Zusammenarbeit auch durcheine Regelung zur gemeinsamen Datenhaltung mit aus-ländischen Stellen stärken . Aber – und das ist ganz ent-scheidend – die Koalition hat gleichzeitig dafür gesorgt,dass diese Datenhaltung an klare rechtliche Vorgaben ge-knüpft wird . Wir haben dafür gesorgt, dass der Zweck derDatei klar definiert sein muss, dass die Teilnahme- undZugriffsrechte eindeutig bestimmt werden müssen unddass ein rechtsstaatlicher Umgang mit den eingegebe-nen Daten in allen teilnehmenden Ländern gewährleistetwerden muss . Das ist ein ganz wichtiges Signal dafür,dass die Arbeit der Nachrichtendienste, vor allen Din-gen der Auslandsnachrichtendienste, unter besonderenBedingungen gestaltet wird, dass sie nicht außerhalb desrechtlichen Rahmens stattfindet, obwohl vieles von demnicht in der Öffentlichkeit im Detail diskutiert werdenkann, und dass wir Wert darauf legen, dass die tragendenPrinzipien unserer Verfassungs- und Rechtsordnung auchin der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes Berücksich-tigung finden.
Wir haben drittens dafür gesorgt, dass die Arbeit desBundesnachrichtendienstes im Hinblick auf die Debat-ten überprüft worden ist, die es infolge der sogenanntenSnowden-Berichterstattung und im Hinblick auf die Ar-beit des NSA-Untersuchungsausschusses und des PKGrgegeben hat . Lassen Sie es mich deutlich sagen, meineDamen und Herren: Viele der Vorwürfe, die zu Anfangim Raum standen, sind nach allem, was wir fast drei Jah-re später wissen, nicht belegt und nicht vertieft worden .
– Lieber Kollege, Sie machen Ihre Zwischenrufe geradeauf Kosten meiner Redezeit . Das ist nicht ganz fair .
Wenn ich mir anschaue, mit welchen Vorwürfen derBND überzogen worden ist,
bevor die Arbeit des Untersuchungsausschusses begon-nen hat, und wenn ich sehe, dass wir im Hinblick auf dieArbeit des Untersuchungsausschusses tatsächlich überDefizite und Verbesserungsnotwendigkeiten gesprochenhaben, dann, finde ich, ist es wichtig, dass man sagt, dasses keinerlei Belege dafür gibt, dass der BND an einer an-lasslosen Massenüberwachung mitgewirkt hat .
Es gibt auch keinerlei Hinweise dafür, dass der BND sei-nen gesetzlichen Handlungsspielraum bewusst und sys-tematisch überschritten hat .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchtean dieser Stelle eines gerne sagen: Ich bin als Chef desBundeskanzleramtes im Rahmen der Dienst- und Fach-aufsicht auch derjenige, der in vielen Fällen die Ernen-nungsurkunden für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter des BND unterzeichnet . Wenn ich mir anschaue, auswelchen Bereichen die jungen Menschen, die eingestelltwerden, kommen – zum Beispiel aus der Geoinformatik,der Chemie, der Transplantologie, der Mathematik, denAsienwissenschaften, der Ostslawistik, der Medizintech-nik und aus vielen anderen Bereichen –, dann wird klar:Das sind keine Schlapphüte, wie man sich das früher vor-gestellt hat, die nur darauf aus sind, irgendwo rechtsfreieRäume zu entdecken . Diese jungen Menschen sind moti-viert, der Sicherheit dieses Landes zu dienen,
und zwar innerhalb der Rechts- und Gesetzesordnung .
Ich möchte diesen Menschen von dieser Stelle ein herzli-ches Dankeschön zurufen .Gleichwohl haben wir gemeinsam mit den beidenKoalitionsfraktionen dafür gesorgt, dass Konsequenzengezogen worden sind . Wir haben die Position des Bun-deskanzleramtes als Fach- und Dienstaufsicht gestärkt .Wir haben dafür gesorgt, dass eine unabhängige Über-wachung bestimmter Maßnahmen durch ein Unabhän-giges Gremium aus Richtern des Bundesgerichtshofsund einem Vertreter der Generalbundesanwaltschaftsichergestellt wird . Wir haben auch dafür gesorgt, dassBürgerinnen und Bürger der Europäischen Union undihre Institutionen einen eindeutigen und besseren Schutzgenießen und dass Wirtschaftsspionage in Zukunft auchgesetzlich ausgeschlossen ist .
Es gilt der Primat der Politik . Dafür haben wir in denletzten zwei Jahren die Voraussetzungen geschaffen .Das BND-Gesetz wird dazu beitragen, dass die Arbeitdes Bundesnachrichtendienstes in einem rechtsstaatlicheinwandfreien Rahmen stattfinden kann, dass der Bun-desnachrichtendienst gestärkt wird und dass er von derPolitik und der Bundesregierung die Rückendeckung hat,die er braucht, um seine wichtige Arbeit für unser Landerfolgreich zu leisten .Vielen herzlichen Dank .
Bundesminister Peter Altmaier
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Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Dr . André Hahn für die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-dem im NSA-Untersuchungsausschuss nicht zuletztdurch Aussagen von hochrangigen Verfassungsrechtlernklar geworden ist, dass der BND in vielen Fragen ohneadäquate Rechtsgrundlage agiert, die geltenden Bestim-mungen von der technischen Entwicklung schon langeüberholt sind
und spätestens seit den Enthüllungen von EdwardSnowden den immer weiter ausufernden Begehrlichkei-ten der Geheimdienste dringend Einhalt geboten wer-den müsste, gab es keinen Zweifel mehr daran, dass dasBND-Gesetz grundlegend überarbeitet werden muss .Entscheidend für meine Fraktion, Die Linke, war im-mer, dass bei aller Notwendigkeit zur Aufklärung vonGefahren und terroristischen Bedrohungen die Grund-rechte der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aberauch in Europa so gut wie irgend möglich geschützt, of-fenkundig rechtswidrige Praktiken beim BND abgestelltund für die Zukunft grundgesetzkonforme Regelungengeschaffen werden .
Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt nicht eine dieserdrei Kernforderungen .
Er ist deshalb ein Armutszeugnis dieser Bundesregie-rung .Am Mittwoch wurde der neue BND-Präsident offi-ziell in sein Amt eingeführt . Was KanzleramtsministerAltmaier aus diesem Anlass in seiner Rede gesagt hat,war aufschlussreich und entlarvend zugleich . Er nahmBezug auf die öffentliche Kritik, dass der BND mit demneuen Gesetz trotz der zurückliegenden Pannen undSkandale nicht enger an die Leine genommen werde, underklärte frank und frei – O-Ton Altmaier –: Das war auchniemals unsere Absicht; denn ein angeleinter Hund kannseine Aufgaben nicht erfüllen .
Zuvor war in öffentlichen Stellungnahmen von Vertre-tern der Koalition, aber auch der Bundesregierung immerwieder erklärt worden, man wolle dem BND für die Zu-kunft klare Grenzen setzen .
Davon ist jetzt keine Rede mehr . Schäuble hat ausrei-chend gewirkt . Sie haben den Gesetzentwurf von der ers-ten Fassung bis zum vorliegenden Entwurf grundlegendgeändert .
Das Statement von Herrn Altmaier steht für das ge-naue Gegenteil: Bloß keine Grenzen, bloß keine Be-schränkungen! Denn das behindert die Arbeit unseresAuslandsnachrichtendienstes .
Wer sich die Realität so zurückbiegt, der hat die Bot-schaft der Snowden-Enthüllungen nicht einmal ansatz-weise verstanden .
Ich habe leider nicht so viel Redezeit wie die Koaliti-onsabgeordneten
und kann deshalb nur auf einige wenige Kritikpunkte amvorliegenden Gesetzentwurf eingehen . Im Kern mussman leider konstatieren: Es ist letztlich das eingetreten,was wir immer befürchtet haben . Statt dem BND klarerechtliche Grenzen aufzuzeigen und Grauzonen zu besei-tigen
und dem Auslandsgeheimdienst auch wirkungsvolle Zü-gel anzulegen, soll nun nachträglich fast alles legitimiertwerden, was sich im NSA-Untersuchungsausschuss alsunzulässig und rechtswidrig, mindestens aber als frag-würdig herausgestellt hat .
Ein derartiges Vorgehen halten wir für völlig indiskuta-bel .
Die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung inklusivepersonenbezogener Daten soll bei Telefonanbietern undan Kabeln in Deutschland künftig fast uneingeschränktmöglich sein . Das Ausspähen von EU-Bürgern, Regie-rungen befreundeter Staaten, EU-Institutionen und inter-nationalen Organisationen wird nicht etwa verboten,
sondern unter Verweis auf unklar formulierte Vorausset-zungen ausdrücklich erlaubt . Bundeskanzlerin Merkelhat sich mit ihrer Zustimmung zum Gesetzentwurf selbst
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widersprochen . Spionieren unter Freunden geht künftigdoch und soll nun sogar per Gesetz erlaubt werden .
Die Hürden für das Ausspähen in der EU sind lächer-lich gering . Es reicht schon – so steht es im Gesetzent-wurf –, wenn dadurch die Handlungsfähigkeit der Bun-desrepublik gewahrt werden kann
oder „sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheits-politischer Bedeutung“ zu gewinnen sind .
„Sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspoliti-scher Bedeutung“ – darunter kann man alles und nichtsverstehen, und damit kann man jeden Einsatz begründen .
Natürlich werden wir einer solchen Regelung nie zustim-men .Was Sie auch nicht sagen, ist, dass internationale Or-ganisationen außerhalb der EU bzw . NGOs künftig wei-ter als vogelfrei angesehen und vollumfänglich ohne jedeRechtfertigung abgehört werden können .
– Aber ja, Herr Binninger . – Es gibt im Gesetzentwurfkeinerlei Einschränkung für die Überwachung vonNicht-EU-Ausländern . Die Organisation Reporter ohneGrenzen weist zu Recht darauf hin, dass damit weltweitauch Journalisten abgehört werden dürfen . Andere deut-sche Gesetze schließen das ausdrücklich aus . Hier solloffenbar eine Tür geöffnet werden, um die Pressefreiheitund den Informantenschutz auszuhebeln . Das ist mit unsdefinitiv nicht zu machen, meine Damen und Herren.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, näm-lich die geplante Bildung eines vermeintlich unabhängi-gen Richtergremiums, das über die Ausspähung des BNDim EU-Bereich und über Kooperationen mit ausländi-schen Diensten informiert werden soll und den Einsatzvon Selektoren, also Suchbegriffen, prüfen soll . Damitwird dem regulären und sogar im Grundgesetz veranker-ten Kontrollgremium des Bundestages ein wichtiger Be-reich de facto entzogen und nach Karlsruhe ausgelagert .
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sucht sich dieBundesregierung ihre Kontrolleure dann auch nochselbst aus . Dreister geht es wirklich kaum .
Sollte es in den Ausschussberatungen nicht nochgrundlegende Korrekturen geben, dann können und wer-den wir als Linke diesem Gesetzentwurf selbstverständ-lich nicht zustimmen .
Vielen Dank . – Als Nächste spricht Dr . Eva Högl für
die SPD-Fraktion .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! LieberHerr Hahn, wir hätten nicht damit gerechnet, dass Siezustimmen . Dass muss ich so ehrlich sagen .
Aber es geht doch eine Nummer kleiner . Dass hier Leutevogelfrei seien und der Gesetzentwurf völlig unzurei-chend sei, das muss ich für die Koalition in aller Deut-lichkeit zurückweisen .
Wir legen einen wirklich guten Gesetzentwurf vor .Das ist eine sehr wichtige und richtige Reform des Bun-desnachrichtendienstes . Ich möchte zu Beginn ganz deut-lich sagen: Wir brauchen einen starken Bundesnachrich-tendienst .
Wir brauchen ihn für unsere innere und äußere Sicher-heit, zur Bekämpfung von Terror und organisierter Kri-minalität sowie der Verbreitung von Waffen und zumSchutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Ausland .Das will ich ausdrücklich betonen . Die strategische Fern-meldeaufklärung ist ein wichtiges Frühwarnsystem fürdiesen starken Bundesnachrichtendienst; daran gibt esüberhaupt nichts zu deuten und zu kritisieren .Natürlich haben wir Reformbedarf . Das haben wirerkannt . Deshalb haben wir diese Gesetzesänderung aufden Weg gebracht . Ich möchte Ihnen die Eckpunkte nen-nen . Dann werden Sie sehen, dass Sie mit Ihrer Bewer-tung dieses Gesetzentwurfes komplett falschliegen .Wir haben im NSA-Untersuchungsausschuss feststel-len müssen, dass die gesetzlichen Grundlagen der stra-Dr. André Hahn
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tegischen Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung vomInland aus völlig unklar sind .
Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Sie basieren aufüberhaupt keiner gesetzlichen Grundlage . § 1 Absatz 2wurde als Generalklausel herangezogen . Dass das kei-ne klare Rechtsgrundlage ist – „keine Rechtsgrundlage“würde zu weit gehen –, darin sind wir uns, denke ich, indiesem Haus alle einig .
– Liebe Frau Jelpke, das ist vielleicht ein Skandal; aberer ist im NSA-Untersuchungsausschuss herausgearbeitetworden und eben Anlass für diese Reform .Das Herzstück dieser Reform – darüber diskutie-ren wir heute – ist, dass wir endlich eine klare Rechts-grundlage schaffen; denn unser Bundesnachrichtendienstbraucht klare Regeln und ist selbstverständlich an dieGrundrechte gebunden . Außerdem hatten wir bisher kei-ne klaren Regelungen für die Kooperation mit Partner-diensten . Auch das nehmen wir auf . Wir gehen dies anund schaffen auch hierfür klare Regelungen .
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt; denn – liebe Kolle-ginnen und Kollegen, das möchte ich auch noch einmalganz deutlich sagen – eine vernünftige Arbeit des Bun-desnachrichtendienstes gibt es nur in Kooperation undim Austausch mit Partnerdiensten . Das ist eine wichtigeVoraussetzung für das Gewinnen von Informationen undihre Weiterverarbeitung .Darüber hinaus schaffen wir klare Voraussetzungenfür die Erhebung von Daten ausländischer Telekomuni-kation vom Inland aus und für den weiteren Umgang mitdiesen Daten . Auch dies ist ein wichtiger Punkt . Er ent-spricht überhaupt nicht dem, was Sie eben in Ihrer Redeformuliert haben .
– Ich habe ihn mit den Kolleginnen und Kollegen hiermit erarbeitet . Wir kennen ihn sehr gut, und wir habenlange darum gerungen, bis zur letzten Minute .
Lieber Herr Hahn, ich will Ihnen sagen: Wir hatten vie-le Widerstände zu überwinden, um heute, an diesemFreitag vor der Sommerpause, hier stehen und diesenGesetzentwurf in erster Lesung beraten zu können . Daswar nicht immer selbstverständlich in der Zwischenzeit .Uns ist sehr wichtig, dass wir diese klaren Regelungenschaffen – ich sage es noch einmal – für die Erhebungder Daten, für ihre Weiterverarbeitung und für ihre Spei-cherung . Es wird keinen Datenheuhaufen geben; das istsehr wichtig .
Wichtig ist auch, dass wir Regelungen für die Gleich-stellung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit deut-schen Staatsangehörigen schaffen .
Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt dieses Gesetz-entwurfs . Wir legen großen Wert darauf, dass wir dasjetzt anders regeln .
Ich will außerdem auf die Kritik eingehen: Warumgreifen wir vorweg, warum reformieren wir, ohne dieErgebnisse des NSA-Untersuchungsausschusses abzu-warten?
Das hatten Sie angedeutet, Herr Ströbele . Das ist einwichtiger Punkt; denn es ist das normale Vorgehen – sohaben wir es beim NSU-Untersuchungsausschuss ge-macht –, zunächst den Bericht des Untersuchungsaus-schusses abzuwarten . Wir haben aber festgestellt, dasses wichtig und notwendig ist, dieses Zwischenergebnisschon jetzt umzusetzen und eine klare Rechtsgrundla-ge für die Arbeitsweise des BND zu schaffen . Deshalbhaben wir uns entschieden, diese Reform vorwegzuneh-men . Wir haben in der Koalition intensiv darüber bera-ten, wie wir dies tun . Heute legen wir in erster Lesungein gutes Ergebnis vor .
Ich will einen durchaus kritischen Punkt ansprechen –Herr Hahn, Sie haben das schon erwähnt –, das Unab-hängige Gremium . Wir schaffen ein neues Gremium, dasunabhängige Richtergremium, zur Kontrolle des Bun-desnachrichtendienstes . Die SPD-Fraktion hätte sich gutvorstellen können – das sage ich hier ganz deutlich –, dasbestehende G10-Gremium für diese Kontrolle zu nutzen .
Es wäre sicherlich adäquat gewesen, ein gut eingespiel-tes Gremium für diese Kontrolle zu nehmen . Schließlichsind die Sachverhalte vergleichbar . Nun wird ein neuesGremium geschaffen; das ist auch gut und richtig . DieAufgaben sind etwas Besonderes .Wo ich für die SPD-Bundestagsfraktion noch Bera-tungsbedarf in den parlamentarischen Beratungen sehe,ist die Frage, ob es tatsächlich richtig ist, dass Mitgliederdieses Gremiums vom Bundeskabinett ernannt werdenDr. Eva Högl
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und dass der Arbeitsstab beim Bundesgerichtshof ange-siedelt ist . Ich denke, es wäre besser, das beim Parlamen-tarischen Kontrollgremium anzusiedeln . Dieses sollte dieMitglieder des Unabhängigen Gremiums ernennen . Dortsollte auch die Geschäftsstelle angesiedelt sein . Dannhätten wir auch einen guten Rahmen für die Reform desParlamentarischen Kontrollgremiums geschaffen .
Meine allerletzte Bemerkung . Wir brauchen starkeNachrichtendienste . Wir legen heute zwei Gesetzentwür-fe dafür vor, zum einen den Entwurf eines Gesetzes zurReform des Parlamentarischen Kontrollgremiums undzum anderen den Entwurf eines Gesetzes zur Reform desBundesnachrichtendienstes . Das ist eine gute Reform .Ich würde mich freuen, wenn Sie sich im Wege der wei-teren Beratungen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Opposition, unseren Vorstellungen annäherten
und wir vielleicht gemeinsam zu guten Regelungen kä-men .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat Dr . Konstantin von Notz,Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir vorzweieinhalb Jahren mit der Arbeit des Untersuchungs-ausschusses NSA/BND begannen, gab es eine Sach-verständigenanhörung zur Praxis des Bundesnachrich-tendienstes bei der Fernmeldeaufklärung . Es war dieeinhellige Meinung aller Sachverständigen inklusive desSachverständigen der Union, Herrn Professor Papier: DiePraxis des Bundesnachrichtendienstes ist offenkundigrechtswidrig . Offenkundig rechtswidrig!
Diese juristische Bewertung wurde inzwischen x-malbestätigt . Viele neue rechtswidrige Details haben wir,Tankred Schipanski, in den letzten Monaten herausge-arbeitet: Millionen unkontrollierte Selektoren von BNDund NSA, das heimliche Löschen Zehntausender dieserSelektoren während des Bundestagswahlkampfs 2013,Operationen wie „Eikonal“ und „Glotaic“, durch die mil-liardenfach Daten auf der Glasfaser in Deutschland abge-griffen wurden, usw . usf . Es ist gut, dass der PUA diesenDingen auf den Grund gegangen ist . So entschieden wiebisher werden wir die nächsten Monate weiter aufklären .
Spätestens heute offenbart sich mit diesem Gesetz-entwurf in diesem Parlament aber auch Folgendes: DieAbmoderation der Snowden-Veröffentlichungen durchden damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, RonaldPofalla, im Bundestagswahlkampf 2013 war keine Ne-belkerze . Es war schlicht die Unwahrheit . Die ganzeNummer damals – die gespielte Unwissenheit der Bun-desregierung zum Können und Agieren der NSA, dievorgetragene Unschuld des Bundesnachrichtendienstes,die Ahnungslosigkeit der Spionageabwehr,
der erhobene Zeigefinger Richtung USA, das „Abhörenunter Freunden geht gar nicht“ der Bundeskanzlerin,die Inaussichtstellung des baldigen Abschlusses einesNo-Spy-Abkommens –, das alles und noch viel mehrentspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit . Es war einebewusst gefahrene Lügenkampagne .
Weil die Verfassungswidrigkeit der Praktiken desBND inzwischen amtlich ist, bringen Sie nun diesenGesetzentwurf ein . Es gibt akzeptable, sogar anerken-nenswerte Motive, Herr Minister; das sehe ich genauso .Dieser Gesetzentwurf ist der Versuch, eine gesetzlicheGrundlage zumindest für Teile der Fernmeldeaufklärungzu schaffen . Ansatzweise versuchen Sie, unter EU-Mit-gliedstaaten die Überwachung zumindest teilweisezurückzufahren . Aber es geht nicht weit genug . Die ei-gentliche Kernfrage, das eigentliche Kernproblem derdigitalen Gesellschaft ist der Grundrechtsschutz im In-ternet, hier speziell die Geltung der in Artikel 10 desGrundgesetzes verankerten Kommunikationsfreiheit aufder Glasfaser . Genau diesen Schutz verweigern Sie mitIhrem Gesetzentwurf, und deswegen springt die Nummerhier entschieden zu kurz .
Sie legalisieren die Massenüberwachung und schaffenein neues Kontrollgremium; das wurde eben schon an-gesprochen . Es soll eines der Judikative werden . Nichtsgegen die Richterinnen und Richter des BGH, aber Sieversuchen ganz bewusst, das Parlament vor die Tür zusetzen, weil Ihnen die Auseinandersetzungen mit demParlamentarischen Kontrollgremium, Herr KollegeBinninger, mit der G10-Kommission und mit den Unter-suchungsausschüssen zu anstrengend, zu unangenehmund zu skandalanfällig sind . Deshalb schaffen Sie ein-fach ein neues Gremium . Das ist ein Affront gegen denDeutschen Bundestag .
Dr. Eva Högl
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Ich kann Ihnen, Frau Högl, nur sehr raten, bei dieserSelbstverzwergung des Parlaments, die Ihnen hier vorge-schlagen wird, nicht mitzumachen .
Es gäbe noch viel anzusprechen, aber die Zeit ist be-grenzt; denn für Ihren historischen Gesetzentwurf habenSie hier den letzten Slot vor der Sommerpause gezogenund ihm ganze 38 Minuten eingeräumt . Das lässt tief bli-cken .
Man kann nur hoffen, dass Sie über die Sommerpausezur Besinnung kommen . Das gilt im Übrigen auch fürIhre gestern bekanntgewordene Internetstrategie aus demHaus des Innenministers . Das alles ist verfassungsrecht-lich hochproblematisch und Kraut und Rüben . Darin fügtsich Ihr Entwurf heute ziemlich nahtlos ein . Sie behebennicht die verfassungsrechtlichen Probleme, Sie vertiefensie mit diesem Entwurf weiter .
Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten – da binich bei vielen der Vorrednerinnen und Vorredner – einekohärente Strategie für Sicherheit und Rechtsstaatlich-keit im Netz, und wir brauchen einen funktionierenden,rechtsstaatlich fest verankerten und mit einer glaskla-ren Rechtsgrundlage ausgestatteten Bundesnachrich-tendienst . Ich habe vorgestern dem neuen Präsidentensehr genau zugehört; mir hat seine ausgewogene Redeausgesprochen gut gefallen . Aber ich sage Ihnen allenhier: Wenn wir ihn in seinem neuen Amt nicht auf einenSchleudersitz setzen wollen, dann müssen Sie diesen Ge-setzentwurf massiv nachbessern . Für konstruktive Dis-kussionen hierüber stehen wir gerne zur Verfügung .Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir debattieren heute in erster Lesung die Überarbeitungdes BND-Gesetzes . Zumindest nachrichtendienstlich,so sagen manche, wäre das der Beginn eines besserenDeutschlands . So hat es übrigens, lieber Konstantin vonNotz, auch Edward Snowden getwittert, den ihr ja immerzitiert .
Er sagt – ganz anders, als ihr es gerade gesagt habt –,dieses Gesetz sei ein gutes Gesetz . Ich glaube, es ist eingutes Gesetz . Das sieht man, wenn man es von vorne bishinten durchliest, was Sie, lieber Kollege Hahn, anschei-nend gar nicht gemacht haben .
Der Bundesnachrichtendienst wird nicht an die Kettegelegt . Vielmehr werden eindeutige rechtliche Grund-lagen für seine Tätigkeit im Ausland gesetzlich festge-schrieben . Es gibt schon in der jetzigen Form des Bun-desnachrichtendienstgesetzes durch die Eröffnung desAufgabenbereiches eine klare Regelung, die wir präzi-sieren . Ich glaube, im Untersuchungsausschuss zu denVorgängen um die NSA ist deutlich geworden, dass einePräzisierung notwendig ist .Das Gesetz ist ein klares Bekenntnis zu der guten Ar-beit des Bundesnachrichtendienstes .
Es macht aber auch eines ganz besonders deutlich: DerBND, wie alle Dienste und Behörden, hat sich in dem fürihn gesetzlich vorgegebenen Rahmen zu bewegen undunserem Land zu dienen . Ein Eigenleben wird von denKontrollgremien der Parlamente nicht toleriert . Ob sichschon alle Ableitungen von dem, was wir im NSA-Unter-suchungsausschuss in den letzten Monaten herausgefun-den haben, in diesem Gesetz widerspiegeln, müssen wirin den nächsten Monaten noch genau betrachten . Aberich glaube, dass mit diesem Gesetz ein ganz wesentli-cher Schritt hin zu mehr Klarheit und zu mehr Rechts-sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter imBND selber geschaffen worden ist . Deswegen bin ichsehr dankbar, dass wir diesen Gesetzentwurf heute aufden Weg bringen .
Auch exekutiv wird sich nach dem, was wir in denletzten Monaten im NSA-Untersuchungsausschuss dis-kutiert haben, einiges ändern müssen . Gerade mit Blickauf die Abteilung TA ist das deutlich geworden . Ich glau-be, dass Dr . Bruno Kahl dafür die Gewähr bietet, denBundesnachrichtendienst gut zu führen und die Dinge,die organisatorisch-exekutiv anzupacken sind, auch an-zupacken .Ich möchte an dieser Stelle aber auch GerhardSchindler, dem ausgeschiedenen Präsidenten des Bun-desnachrichtendienstes, für seine Arbeit danken .
Dr. Konstantin von Notz
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Nach meiner Meinung hat er den Bundesnachrichten-dienst exzellent geführt . Er hat mit der Transparenzof-fensive das eingeleitet, was ein Nachrichtendienst heuteim 21. Jahrhundert braucht: Effizienz und Transparenzgegenüber dem obersten Dienstherrn, aber auch gegen-über der parlamentarischen Kontrolle . Er hat Versäum-nisse aus der Vergangenheit beim Bundesnachrichten-dienst aufgearbeitet und sich auch immer vor den Dienstgestellt . Ich glaube, dafür gebührt ihm unser Dank .
Genau aus dem, was der NSA-Untersuchungsaus-schuss herausgefunden und auch deutlich gemacht hat,ergibt sich jetzt das vorgelegte Gesetz . Das, was die-sem Gesetz innewohnt, das, was es leistet, ist eine klarerechtliche Grundlage für das, was der Bundesnachrich-tendienst bei der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärungmacht . Das ist eine ganz entscheidende Schlussfolgerungaus unserer Arbeit . Deswegen ist es gut, dass wir mit die-sem Gesetz jetzt die rechtliche Präzisierung dieser Tätig-keit des Bundesnachrichtendienstes vornehmen .Aber dass wir Nachrichtendienste brauchen, dass wirstarke Nachrichtendienste brauchen, das muss ich dochvor dem Hintergrund, dass wir im Parlament regelmäßigüber Daesh und über den Links- und den Rechtsextremis-mus in Deutschland diskutieren, nicht extra erwähnen .
Ich glaube, kein vernünftiger Mensch – außer vielleichtKollege Hahn, Kollege Ströbele und Frau Jelpke; sie ruftgerade dazwischen – glaubt doch, dass wir keine Nach-richtendienste brauchen .
Deswegen verstehe ich auch nicht den Zwischenruf desKollegen Hahn eben, man sollte die Nachrichtendiensteam liebsten abschaffen . In dieser Situation einer inter-nationalen Gefährdung und angesichts dessen, was wirüber Links- und Rechtsextremismus wissen, da wollenSie Nachrichtendienste abschaffen? Wir brauchen star-ke Nachrichtendienste, und wir brauchen eine gute par-lamentarische Kontrolle, und zwar ausgewogen, also ineiner Balance . Genau das schafft dieses Gesetz .
Lieber Kollege von Notz, mir scheint, dass Sie sichmit den Inhalten gar nicht intensiv beschäftigt haben . InIhrer ganzen Rede gab es keine Auseinandersetzung mitden einzelnen Normen dieses Gesetzes .
Sie haben fünf Minuten Redezeit, lieber Kollege . Wirhaben in unserer Fraktion ein bisschen gerätselt, wieviele Sekunden es dauern wird, bis das Wort „Skandal“kommt, wie viele Sekunden es dauern wird, bis Superla-tive genannt werden . Es waren wenige Sekunden, bis dieSuperlative kamen; aber es gab leider keine Inhalte .
Wenn wir uns die Inhalte dieses Gesetzentwurfsanschauen, dann stellen wir fest, dass in den neuen§§ 6 ff . des BND-Gesetzes eine gute Regelung zur Aus-land-Ausland-Fernmeldeaufklärung getroffen wordenist . Wir stellen fest, dass eine gute Regelung in § 13 desBND-Gesetzes zur Kooperation im Rahmen der Aus-land-Ausland-Fernmeldeaufklärung getroffen wordenist, und wir stellen fest, dass etwas Neues, nämlich dasUnabhängige Gremium aus Richtern und Bundesanwäl-ten, mit diesem Gesetz geschaffen wird . Das ist etwasPositives . Dass es neben der G 10-Kommission diesesUnabhängige Gremium gibt, stärkt die Kontrolle . Das istetwas Gutes . Ich habe mich selber lange dafür ausgespro-chen, dass wir das so machen .
Wir waren ja zusammen in Washington . Dort hätteman lernen können, was in Amerika an Reformen durch-geführt worden ist . Man hätte mitnehmen können, wasandere schon gemacht haben, um hier etwas zu verbes-sern . So haben wir es gemacht . Das Unabhängige Gre-mium ist ein neuer guter Ansatz, von dem ich mir eineStärkung der Kontrolle erhoffe .
Herr Kollege Sensburg, ich muss Sie einmal unter-
brechen . Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Konstantin von Notz?
Sehr gerne; denn meine Redezeit ist ja schon sehr
knapp geworden .
Aber die Fragen können auch knapp sein und die Ant-worten darauf auch .
Die ist total knapp . – Herr Kollege Sensburg, viel-leicht können Sie kurz erläutern, was an einem Gremi-um, dessen Mitglieder von der Bundesregierung benanntwerden, unabhängig ist?
Dr. Patrick Sensburg
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Ganz herzlichen Dank . – Herr Kollege von Notz, ich
hole einmal etwas aus, um Ihnen das deutlich zu machen .
Wir haben in unserem Untersuchungsausschuss – Sie kri-
tisieren ja immer, dass die Bundesregierung mit ihm nicht
zusammenarbeiten würde – inzwischen von der Bundes-
regierung 2 400 Aktenordner mit dezidiertem Material
unserer Behörden erhalten . Wir haben 500 Aktenordner
mit eingestuften Dokumenten – von Vertraulich bis hin
zu Streng Vertraulich .
Wir haben inzwischen 102 Zeugen gemeinsam in vielen
Sitzungen vernommen .
Immer wieder kommen wir an Themen heran, bei denen
wir – Exekutive und parlamentarische Kontrolle – mit-
einander ringen, und dieses Ringen – das zeigt sich fast
in jeder Sitzung – wohnt, glaube ich, der Gewaltentei-
lung – Herr Hahn, damit hatten Sie eben anscheinend ein
Problem; Sie haben Exekutive und Legislative mehrmals
verwechselt – inne .
Wenn wir jetzt neben der G 10-Kommission, neben
dem Parlamentarischen Kontrollgremium, neben der
Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen,
ein weiteres Gremium einrichten,
das sich intensiv mit den Aspekten beschäftigen kann –
Herr Kollege von Notz, interessiert Sie das noch? –
– sehr schön –, das kontrollieren kann
und dem Parlamentarischen Kontrollgremium – – Ich
probiere, die Frage zu beantworten . Es ist kaum möglich,
weil der Kollege von Notz immer dazwischenruft .
Vielleicht könnten der Kollege von Notz und auch alle
anderen daran denken, dass jetzt überwiegend der Herr
Kollege Dr . Patrick Sensburg das Wort hat .
Das wäre schön, damit man irgendwann dieses Fra-
ge-Antwort-Spiel beenden könnte .
Dieses Unabhängige Gremium
berichtet dem Parlamentarischen Kontrollgremium, alsouns, legt Berichte vor . Es geht hier um die klare Verant-wortung, die bei der Nachrichtendienstkontrolle nichtausschließlich dem Parlament aufgebürdet werden kann;bezüglich der Fach- und Dienstaufsicht hat sie die Bun-desregierung .
Dieses Gremium legt dem Parlamentarischen Kontroll-gremium Berichte vor, sodass wir die klare Verantwor-tung auch für Sachverhalte, bei denen wir ringen müss-ten, festmachen können . Deswegen ist es ein Mehrwert .
Ein Satz vielleicht noch: Damit die Richter, die Mit-glieder des Unabhängigen Gremiums,
arbeiten können, ist es im Wege der demokratischen Le-gitimierung notwendig, sie zu ernennen .
Das kann die Bundesregierung, die wir aufgrund vonWahlen aus dem Parlament entstehen lassen .
Das Prinzip der demokratischen Legitimierung hier in-frage zu stellen, finde ich schon etwas unparlamentarisch.
Ich freue mich, wenn wir ein weiteres Gremium ha-ben, das uns darin unterstützt, die Nachrichtendienste zukontrollieren, und dieses Gremium schaffen wir .
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Wir werden in der jetzt folgenden Beratung des vor-gelegten Gesetzentwurfs bestimmte Dinge strittig disku-tieren müssen,
zum Beispiel, ob wir Regelungen noch vereinfachenkönnen . Ich sehe in diesem Gesetz etwas, was ich ausPolizeigesetzen kenne: Ermächtigungsgrundlagen, Stan-dardmaßnahmen, und dann folgt eine Vielzahl von Rege-lungen über den Datenschutz, die die Normen über dieErmächtigungsgrundlagen und die Standardmaßnahmenfast überwiegt . Ich würde mir wünschen, dass wir auflange Sicht – das wird in diesem Gesetz sicherlich nichtmehr gelingen – eine gesetzliche Trennung von Verfas-sungsschutz und Bundesnachrichtendienst erreichen; wirsollten darüber nachdenken . Es muss uns gelingen, klar-zumachen, dass die Verantwortung für die Dienst- undFachaufsicht über die Dienste in erster Linie bei der Bun-desregierung,
beim Bundesinnenminister und beim Bundeskanzleramt,liegt .
Es wird uns nicht gelingen, hinter jeden Mitarbeiter derNachrichtendienste einen Abgeordneten zu stellen .
Deswegen ist im Rahmen der Dienst- und Fachaufsichtdie Kontrolle gut aufgehoben . Wir kontrollieren die Bun-desregierung, und das muss funktionieren .
Ein letzter Satz an uns alle . Wenn wir diese Aufgabewahrnehmen und gut wahrnehmen, dann muss es auchso sein, dass wir in der Verantwortung für das Ganze mitden Dokumenten und Unterlagen, die wir erhalten, sorg-sam umgehen, dass es keine Durchstechereien gibt
und dass Bundesregierung und Bundestag Respekt vor-einander haben .Ich kann als Vorsitzender des NSA-Untersuchungs-ausschusses sagen, dass wir im Ausschuss mit unserenDokumenten immer ordentlich, immer sorgsam umge-hen . Ich hoffe, dass das in allen anderen Ausschüssen –davon gehe ich aus – genauso passiert .
Ich wünsche der Bundesregierung, dass sie mit ihren Ak-ten genauso sorgsam umgeht, wie wir es machen .Danke schön .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Burkhard Lischka von der
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-dem in der Debatte – ich finde, unnötigerweise – ein paarEmotionen hochgekocht sind,
möchte ich einfach mit ein paar Fakten anfangen .Wir hatten in diesem Jahr und im letzten Jahr alleinin Europa über 1 000 Tote und Verletzte durch Terror-anschläge, wir haben täglich Cyberattacken aus demAusland, und wir haben weltweit Krisen, so massiv wieschon lange nicht mehr . Wir haben internationale Verbre-chen, organisiert durch einen Milliardenmarkt, der sich„organisierte Kriminalität“ nennt. Ich finde, das zeigtschon, dass wir in Deutschland einen schlagkräftigenAuslandsnachrichtendienst brauchen .
Der Bundesnachrichtendienst ist eine wichtige Instituti-on . Herr Ströbele, ich weiß nicht, wie Ihnen das gegan-gen ist, aber als ich neu in das Parlamentarische Kon-trollgremium gekommen bin und drei, vier Sitzungenmitgemacht habe, habe ich erlebt, wie der Bundesnach-richtendienst immer wieder um das Leben von deutschenGeiseln in den Händen von Terroristen und Kriminellenringt und kämpft . Da habe ich gesagt: Jawohl, wir brau-chen diesen Bundesnachrichtendienst. Ich finde, HerrStröbele, der BND braucht sich für seine Arbeit wirklichnicht zu schämen .
Er ist eine wichtige Institution für unsere Demokratie, fürunsere Sicherheit . Das soll und das muss auch so bleiben .Was allerdings nicht bleiben darf, ist, dass er da teil-weise ein Eigenleben führt, dass da immer wieder Eigen-mächtigkeiten auffallen, dass es offensichtlich Abteilun-gen in diesem BND wie die Technische Aufklärung gibt,die niemandem sagen, was sie eigentlich tun . Und nochschlimmer: Die werden auch von niemandem gefragt . Ichfinde das unwürdig für einen Nachrichtendienst in einemdemokratischen Rechtsstaat, meine Damen und Herren .Was auch nicht bleiben darf, ist, dass durch Leicht-fertigkeiten und Nachlässigkeiten des Bundesnachrich-tendienstes selbst deutsche Bürger und Unternehmen inDr. Patrick Sensburg
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das Visier ausländischer Nachrichtendienste geraten, mitdenen der BND kooperiert . Das darf nicht sein .
Es darf erst recht nicht sein, dass dieser BND dann offen-sichtlich auch nach eigenem Gutdünken andere europäi-sche Bürger und Institutionen ins Visier nimmt. Ich findedas geradezu grotesk .Wir haben in der letzten Sitzungswoche die Debatteüber das Antiterrorgesetz gehabt . Da habe ich gesagt, esist eigentlich ein Unding, dass wir hier in Europa nochnicht einmal eine gemeinsame Datenbank über Syrien-kämpfer und terroristische Gefährder haben,
die den europäischen Sicherheitsbehörden zugänglichsind, aber dass andersherum genau dieselben Sicherheits-behörden ihre wertvollen Ressourcen dafür vergeuden,sich noch untereinander auszuspionieren . Damit mussSchluss sein, und das machen wir mit diesem Gesetz .
Wenn man diesen Gesetzentwurf wirklich einmal fairbeurteilt, ist eines doch Geschichte: dass der BND ein-fach tun und machen kann, was er selbst für richtig hält .
Ich meine, zur Wahrheit, Herr Hahn, gehört doch auchdazu, dass wir weltweit – bei allen Staaten – so ein regel-loses Ausspähen haben, dass es keine Vorschriften gibt .Wir haben doch wirklich auch die groteske Situation,dass jeder Staat weltweit seine eigenen Bürger vor Spi-onage schützt, aber für die eigenen Nachrichtendienstesind die Bürger von anderen Staaten – wie es so schönheißt – zum Abschuss freigegeben . Da setzen wir klareLeitplanken .Ich will das hier nicht alles wiederholen . Aber Regelun-gen für diesen besonderen Schutz für europäische Bür-ger, Regierungen und Institutionen werden Sie zurzeit inkeinem europäischen Gesetzblatt finden.
Ein Verbot der Wirtschaftsspionage: Das ist weltweiteinmalig . Auch mit diesem Eigenleben aufzuräumen,
dass der Präsident Telekommunikationsmaßnahmenanordnen muss, dass das Kanzleramt das genehmigenmuss, dass wir hier ein unabhängiges Gremium schaffen,dass das genehmigen muss, ist ein solches Beispiel . Odernehmen Sie Kooperationsvereinbarungen mit ausländi-schen Nachrichtendiensten: Die müssen dem Parlamen-tarischen Kontrollgremium vorgelegt werden . Ich kennedas sonst so nicht .
Ich finde schon, da, wo wirklich ein bisschen im Grau-bereich und im Verborgenen herumgewurstelt wurde,stellen wir die Arbeit des BND, seine Befugnisse undseine Grenzen auf neue Füße . Das alles – ich sage esnoch einmal – suchen Sie in den Gesetzesblättern andererStaaten vergeblich . Wir haben das . Das ist kein Geheim-nis . Das haben wir – da spreche ich uns auch gemeinsaman – gegen starke Widerstände durchgesetzt .
Deshalb sage ich Ihnen, Herr Hahn, ganz offen: Ich halteIhre Politik für kleinlich .
Nennen Sie mir bei der zweiten oder dritten Lesung ein-mal einen Staat, in dem Sie vergleichbare Regelungengefunden haben .
Ich sage Ihnen: Ein klares Nein, das werden Sie erleben .Sie haben eben auch ganz offen gesagt, worauf IhreKritik eigentlich beruht . Das ist, dass Sie den Bundes-nachrichtendienst lieber heute als morgen abschaffenwürden .
Das ist die eigentliche Triebfeder Ihrer Kritik .Deshalb reden Sie ja auch ständig davon, dass Te-lekommunikationsüberwachung – sobald man nur dasWort in den Mund nimmt – eine Massenausspähung ist .Das ist es nach diesem Gesetzentwurf nicht mehr .
Aber wir verzichten auch nicht, Herr von Notz, auf Kom-munikationsüberwachung, weil wir nun einmal in einerZeit leben, in der Terroristen und Kriminelle nicht mehrBrieftauben nutzen, sondern jeden Tag ihr Handy wech-seln .
Solche Netzwerke müssen Sie auch überwachen . Aberwir stellen das auf neue Füße und entstauben diesenDienst .
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn alle anderen Staa-ten unserem Beispiel folgen würden, dann wäre das derBurkhard Lischka
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Beginn eines Festes der Freiheits-, Bürger- und Men-schenrechte, und zwar weltweit .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 18/9041 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in
der internationalen Palmölproduktion veran-
kern
Drucksache 18/8398
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ich bitte Sie, die Plätze zügig zu tauschen und einzu-
nehmen .
Ich eröffne die Aussprache, für die 38 Minuten vor-
gesehen sind . Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Am 11 . November des letzten Jahres verkündete Land-wirtschaftsminister Schmidt, dass er durch eine freiwil-lige Selbstverpflichtung der Industrie in Deutschlandzu 100 Prozent zertifiziertes Palmöl erreichen will. Zudiesem Zeitpunkt war in Indonesien längst eine der ver-heerendsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jah-re entfacht . Zwischen Juli und November 2015 wurdendurch Brandrodungen in Indonesien 1,8 Millionen Hek-tar Torf- und Regenwälder zerstört, eine Fläche etwa sogroß wie Sachsen . Heute, acht Monate nach der Ankün-digung durch Minister Schmidt, erreichen uns wiederBerichte über Brände in Nordsumatra, Brände, die Platzschaffen sollen für neue Palmölplantagen. Einer Zertifi-zierung des Palmöls steht nichts im Wege .Der internationale Palmölboom hat nichts mit einerPetitesse zu tun . Millionen Hektar fruchtbaren Landes,Regen- und Torfwälder stehen mittelfristig und weltweitauf der Abholz- oder, vielleicht besser gesagt, Abbrenn-liste der Palmölproduzenten . Die klimatischen Folgensind verheerend . Mit den vernichteten Regenwälderngeht bedeutender Artenreichtum für immer verloren,und Menschen vor Ort verlieren ihre Lebensgrundla-ge . Familien, ganze Dorfgemeinschaften werden mitPlanierraupen vertrieben . Das Versprechen von gutenArbeitsplätzen in den Palmölplantagen ist reiner Hohn .Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich auf den Plantagenfür bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, werden einge-schüchtert, verfolgt und, wenn das nichts hilft, auch abund zu ermordet . Diese Palmölwüsten belegen, wie in-haltsleer die Rhetorik des Landwirtschaftsministers, aberauch des Entwicklungsministers ist .
Diese Verhältnisse belegen das Scheitern einer Politik,die keine verbindlichen Lösungen schaffen will .
Eine Ursache für den sich ständig ausweitenden Hun-ger nach Palmöl ist aber auch die EU-Biokraftstoffpoli-tik .
Über 40 Prozent des in Europa verwendeten Palmöls lan-den mittlerweile im Tank . Dies wird durch die Vorgabender Erneuerbare-Energien-Richtlinie leider gefördert,speziell durch die Beimischungspflichten. Das Märchenvon der positiven CO2-Bilanz durch Biokraftstoffe istseit 15 Jahren widerlegt, zuletzt durch eine Studie derEU-Kommission, die zunächst einmal in den Schubladenverschwunden ist und dann aufgrund des öffentlichenDrucks öffentlich gemacht wurde . Auch diese Studie be-legt: Der Klimakiller Palmöl hat im Tank schlicht nichtszu suchen .
Ein einziger Begriff macht die Konzeptlosigkeit die-ser Bundesregierung deutlich . Es ist der Begriff „frei-willige Selbstverpflichtung“. Wie viele Jahre braucheneigentlich die Minister Schmidt und Müller noch, um zubegreifen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nichtfunktionieren?
Müller und Schmidt überlassen es den Palmölproduzen-ten und den Palmölhändlern, die Spielregeln aufzustel-len . Diese werden sicherlich keine Spielregeln aufstellen,die den Menschenrechten, der sozialen und ökologischenGerechtigkeit dienen . Ich muss Ihnen sagen: Das ist auchgar nicht die Aufgabe der Industrie . Das ist die Aufgabeder Politik . Es stellt sich nämlich die Frage, ob Politikdie Globalisierung gestaltet oder die Globalisierung diePolitik .
Ganz problematisch wird die Situation, wenn Poli-tik zu feige ist, verbindliche Regeln aufzustellen . DieseFeigheit können wir uns schon lange nicht mehr leisten,weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene .
Burkhard Lischka
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Auch Müller und Schmidt haben die Unterzeichnungder Klimaerklärung in Paris und der Nachhaltigkeits-agenda in New York gefeiert, aber ihre konkrete Politiksteht den Nachhaltigkeitszielen entgegen . Beide Ministerwissen, dass wir so weder die Klima- noch die Nachhal-tigkeitsziele erreichen werden . Beide Minister wissenauch, dass das RSPO-Siegel für Palmöl längst geschei-tert ist . Das Siegel erlaubt die Umwandlung von Regen-wäldern in Plantagen . Das Siegel limitiert keine Treib-hausgasemissionen und lässt die Zerstörung bedeutenderTorfböden zu . Das Siegel ist mitschuldig an Menschen-rechtsverstößen usw . usf .Zusammengefasst kann man sagen: Das Siegel ebnetden Weg für schmutziges Palmöl in die globalen Liefer-ketten . Das ist nicht nur eine Aussage der NGOs . Auchder RSPO-Präsident und Unilever-Manager Jan Kees Visbestätigt dies . Er sagt klipp und klar: Bisher kann manvor Ort keine Effekte durch RSPO sehen .Das RSPO gibt es seit zwölf Jahren . Wir müssenheute konstatieren: Es wird schlechter und bedrohli-cher . Die Verbraucher und Verbraucherinnen – das seiauch gesagt – haben es satt, sich weiter durch einen un-durchsichtigen Siegeldschungel kämpfen zu müssen .Wir benötigen Zuverlässigkeit, Klarheit und gesetzlicheLösungen, die von vielen Unternehmen befürwortet undgefordert werden . Viele Unternehmen haben eigene hoheStandards, die sie aber nur schwer einhalten können, weileine unverantwortliche Politik es der Konkurrenz ermög-licht, diese Standards zu unterlaufen .Auch im Namen dieser Unternehmen fordere ich dieRegierungskoalition und die Regierung auf: Holzen Sieden Siegeldschungel endlich ab, anstatt ihn weiter auf-zubauen! Machen Sie Platz für einen fairen Wettbewerbdurch klare, begründbare und verbindliche Regelungen!Ich bedanke mich .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Jürgen Klimke,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Lieber Uwe Kekeritz, das warleider etwas einseitig grün . Beim Hemd mag man das janoch akzeptieren, aber bei den Inhalten sollte man etwasausgeglichener sein . Ich will versuchen, das bei dieserThematik zu erreichen .
Völlig richtig: Palmöl ist überall . Wir haben es aufder einen Seite in Nahrungsmitteln, in Hautcreme, inSeife, in Sonnenmilch, in Lippenstiften . Es ist zudem inSchmiermitteln, bei Kerzen, in Farben und Lacken ent-halten . 5 Prozent der Palmölernte werden weltweit alsRohstoff für die Strom- und Wärmeproduktion genutzt,und zwar als Biokraftstoff . Auf der anderen Seite ist derRohstoff Lebens- und Einkommensgrundlage für vieleTausend Menschen in den Entwicklungs- und Schwel-lenländern .
Aber der Segen für viele Kleinbauern ist oft ein Fluchfür Umwelt und Gesundheit . Das muss man auch sehenund sagen . Während im letzten Jahr die Wälder in Indo-nesien – das ist gesagt worden – brannten, konnten vieleMenschen in Teilen Südostasiens bis hin nach Singapurin den großen Städten nur mit Mundschutz über die Stra-ße gehen . Das darf sich nicht wiederholen .
Wir müssen auch sagen: Der Hauptmarkt für Palmölist nicht in Europa . Es sind Indien, Indonesien und China .Die EU kommt mit circa 10 Prozent erst an vierter Stelle .In Deutschland werden circa 2 Prozent der Weltproduk-tion von Palmöl verbraucht . China, Indien und Indonesi-en nutzen bereits 40 Prozent der weltweiten Produktion .Auch aus den Keimen der Palmölfrüchte wird Öl herge-stellt, das sogenannte Palmkernöl . Hier liegt der deutscheAnteil am Verbrauch höher . Wir verbrauchen circa 8 Pro-zent der weltweit gehandelten Menge .Meine Damen und Herren, die Missstände bei der Pro-duktion von Palmöl sind Fachleuten bekannt . Durch dieverheerenden Wald- und Torfbrände in Indonesien wur-den die negativen Begleiterscheinungen der Gewinnungdes Rohstoffes auch weltweit der breiten Öffentlich-keit bewusst . Wie besorgniserregend diese Waldbrändewaren, mag sich darin zeigen, dass die amerikanischeWeltraumbehörde NASA sie als die bisher schlimmstenWaldbrände überhaupt bezeichnet hat .
Vielfach werden die Feuer absichtlich gelegt,
um mit dem Mittel der illegalen Brandrodung Tropen-wald zu beseitigen und anschließend auf den FlächenPalmplantagen anzulegen .Der Blick richtet sich in diesem Zusammenhang ei-nerseits auf die Anbaugebiete . Dort werden oft durchBrandrodungen neue Anbauflächen geschaffen, um derNachfrage gerecht zu werden . Damit gehen der Verlustvon wertvollen Primärwäldern, von Biodiversität sowiedie Freisetzung von Kohlenstoffdioxid in die Atmosphä-re einher . Andererseits muss sich der Blick auf unsereVerhaltensmuster richten . Es liegt in der Hand des Ver-brauchers, die Herstellung von nachhaltigem Palmöl ein-zufordern .
Uwe Kekeritz
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Er kann zertifizierte Produkte kaufen – oder eben nicht.Eine EU-Verordnung, die vorschreibt, Palmöl nament-lich in der Zutatenliste aufzuführen, ist bereits in Kraftgetreten . Das ermöglicht Verbrauchern, eine bewussteKaufentscheidung zu treffen .
Das ist die Situation .Als Entwicklungspolitiker bin ich eindeutig an einernachhaltigen Entwicklung im Bereich des Palmölanbausinteressiert – ich bin daran nicht nur interessiert, sondernsetze mich dafür auch ein . Dabei dürfen Widersprüchenicht aus den Augen verloren werden: Auf der einen Sei-te fordern wir von unseren Entwicklungspartnern einennachhaltigen Anbau von Palmöl . Auf der anderen Seitemischen wir Pflanzenöle in sogenannte Biotreibstoffeund subventionieren diese Treibstoffe wiederum . Dievermeintlichen Vorteile entlarven sich schnell als Trug-schluss. Pflanzen, aus denen Biosprit gewonnen wird,müssen in den Boden gebracht, gedüngt, geerntet undverarbeitet werden . Es gibt weit verteilte Standorte . Diefertigen Produkte müssen transportiert und gelagert wer-den . Deshalb: Palmöl gehört nicht in den Tank .
Ich möchte hier festhalten: Nicht das Palmöl an sich istdas Problem, sondern die Anbaumethoden und die Ver-wendung .
Deshalb ist eine Förderung von nachhaltigem Palmöl vonzentraler entwicklungspolitischer, klimapolitischer undgesundheitspolitischer Bedeutung .
Meine Damen und Herren, vor kurzem konnte ich beieiner Reise nach Indonesien einen Blick auf die Situati-on der Palmölplantagen vor Ort richten . Ich erhielt denEindruck, dass auch bei unseren Partnern ein Umdenkeneingesetzt hat . Die indonesische Regierung hat zahlrei-che Maßnahmen auf den Weg gebracht . Zuletzt setzte dieRegierung auf eine verstärkte Brandprävention und einebesser abgestimmte Brandlöschung . Das Abholzmorato-rium, das Abholzverbot, wurde vom Präsidenten erneutverlängert . Das Forstministerium hat ein webbasiertesFrühwarnsystem eingeführt und nutzt Daten der NASA .Das indonesische Waldbrandüberwachungssystem istübrigens in Echtzeit von jedem Smartphone erreichbar .Es finden regelmäßige Aufklärungsflüge statt. RegionaleWaldbrandbüros wurden eingerichtet und Löschkanä-le angelegt . Darüber hinaus investiert Indonesien in dieNachhaltigkeit des Palmöls – die Notwendigkeit hierzuhat man erkannt – und strebt in diesem Zusammenhangauch eine engere Zusammenarbeit mit den Importstaatenan .In der Übernahme der Verantwortung für den Anbauvon Palmöl durch die Produktionsländer sehe ich einenzielführenden Ansatz . Die Umsetzung nationaler Gesetzeund die Überwachung von Anbauverboten obliegen denjeweiligen Staaten . EU-Verordnungen und Siegel könnennicht die notwendige Übernahme von Verantwortung vorOrt ersetzen, sondern nur einen Rahmen geben .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, lie-ber Uwe Kekeritz, ich gestatte mir einige Anmerkungenzu eurem Antrag .Erstens . Die eingeforderte verbindliche Einhaltungvon Umwelt- und Sozialstandards ist ein wichtiges An-liegen der Koalition .
Die Kritik an bestehenden Referenzsystemen wie die desvom WWF initiierten runden Tischs für nachhaltig pro-duziertes Palmöl ist zum Teil berechtigt . Meines Wissenssetzt sich die Bundesregierung auch deshalb dafür ein,die bestehenden anerkannten Standardsysteme weiterzu-entwickeln und zu verbessern .Zweitens . Die Forderung nach einer Reduktion desPalmölverbrauchs lässt außer Acht, dass Palmöl in gro-ßen Teilen von Kleinbauern produziert wird und derenExistenzgrundlage bildet . Die Reduktion von Palmölwürde zwangsläufig zu einem größeren Bedarf an Flä-chen für andere Rohstoffe führen, solange keine adäqua-te Alternative zur Verfügung steht .
Drittens . Die Produktion von Palmöl spielt eine ge-wichtige Rolle als Devisenbringer für Entwicklungs- undSchwellenländer . So macht die Produktion von Palmölzusammen mit der Fischerei und der Forstwirtschaft im-merhin 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Indonesi-ens aus .Viertens . Zur Forderung nach einer Erarbeitung undRatifizierung der ILO-Konvention und der UN-Konven-tion in Bezug auf arbeitsrechtliche Fragen: Die Ratifi-zierung der ILO-Konvention 169 über indigene Völkerund das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt unterliegenderzeit der formalen Prüfung . Es besteht also kein Hand-lungsbedarf; denn es wird schon gehandelt .Fünftens . Die Forderung, bilaterale Regierungsver-handlungen mit palmölproduzierenden Ländern zu nut-zen, um die Rechte der indigenen Minderheiten einzufor-dern, erweist sich in der Praxis als schwierig und forderteine Abwägung . Am Beispiel Indonesien zeigt sich, dassBrandrodung zwar unter Strafe steht und mit Geldstrafenbelegt wird, doch gerade bei indigenen Völkern gehörtdiese Landgewinnung auch zur Tradition, sodass sichnicht immer zwischen Brauchtum und illegaler Absichtunterscheiden lässt; zumal ein Funke ausreicht, um dietrockenen Torfböden in Brand zu setzen .Meine Damen und Herren, es zeigt sich, dass die Bun-desregierung zahlreiche Maßnahmen auf dem Gebietveranlasst hat .
Jürgen Klimke
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Halten wir fest: Wenn der Bedarf weiterhin so rasantsteigt, müssen auf lange Sicht Alternativen zum Palm-öl gefunden werden; es ist auch eine Frage des Verbrau-ches bei uns . Bis dahin gilt es, nachhaltigere Formendes Palmölanbaus zu fordern, ohne die betroffenen Ent-wicklungs- und Schwellenländer ihrer wirtschaftlichenGrundlagen zu berauben .Der Vorteil von Palmöl ist derzeit sein hoher Ertragauf relativ geringer Fläche, gemessen an Pflanzen wieSoja und Raps .
Das Ausweichen auf jene beiden Pflanzenöle würde dasProblem lediglich verlagern, zum Beispiel nach Brasilienoder Argentinien .Zum Ende möchte ich drei Entwicklungen nennen, dieZeichen für ein Umdenken sind . Erstens . Investitionen inForschung und Technik zur Gewinnung alternativer Ölesind notwendig .
Zweitens . Zunehmend sollte die Verantwortung der Un-ternehmen eingefordert werden . Drittens . Deutschlandhat im Dezember 2015 mit den Niederlanden, Dänemark,Großbritannien und Frankreich die Amsterdamer Dekla-ration unterzeichnet . Die Unterzeichner unterstützen po-litisch die Zielsetzung, die Privatwirtschaft in den nach-haltigen Anbau von Palmöl einzubinden . Das ist richtig .Das schafft vernünftige Rahmenbedingungen .
Wir sind auf einem guten Wege .
Wir sollten weiter voranschreiten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Niema Movassat,
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKlimke, ich muss sagen: Ihre Rede war wirklich erstaun-lich .
Sie nennen die Probleme beim Palmöl .
Dann sagen Sie: Lösung – der Verbraucher soll sich da-rum kümmern; er soll schauen, welches Siegel ein Pro-dukt hat . Später sagen Sie: Es gibt gar keine richtig gutenSiegel . Ich muss sagen: Das ist wirklich eine Bankrott-erklärung der Politik . Die Politik ist dafür zuständig, dieRegeln festzulegen . Man kann nicht einfach sagen: „Ir-gendwer soll sich darum kümmern“,
vor allem, wenn man weiß, dass Palmöl für Millionenvon Menschen auf der Welt ein Albtraum ist .Seit 1970 ist die weltweite Palmölproduktion von1 Million Tonnen auf 56 Millionen Tonnen gestiegen .Insbesondere in Malaysia und Indonesien breiten sichdie Palmölplantagen wie ein Virus aus, und dieser Palm-ölvirus hat mittlerweile weite Teile Lateinamerikas undAfrikas erfasst und hinterlässt überall verbrannte Erde;denn um Plantagen anzulegen, werden Regenwälder ab-geholzt und abgebrannt und Torfböden zerstört . Das hatverheerende Auswirkungen auf die Biodiversität und dasKlima . Aber auch die Auswirkungen für die Menschenvor Ort sind dramatisch: Ihr Land wird geraubt, ihreLuft wird verpestet, ihr Wasser wird verseucht . Wer imPalmölsektor arbeitet – wir sprechen allein über 3,5 Mil-lionen Menschen in Indonesien und Malaysia –, derdurchlebt oft die Hölle . Menschenrechtsverletzungen,Missachtung grundlegender Arbeitsrechte, Vergiftungdurch Dünge- und Spritzmittel, all das ist für die Arbeiterdort an der Tagesordnung . Dieser Palmölwahnsinn mussgestoppt werden .
Aber nicht nur für die Natur und für die Arbeiter istPalmöl schädlich . Es ist auch für uns Konsumentenschädlich . So hat die Europäische Lebensmittelbehördeerst vor kurzem gewarnt, dass Palmöl eine große MengeGiftstoffe enthält . Dieses Gift schädigt menschliches Erb-gut und kann Krebs auslösen . Doch ob Nutella oder Tief-kühlpizza, es ist schwierig, verarbeitete Nahrungsmittelzu finden, die kein Palmöl enthalten. Unilever, Nestleund Co ., die großen Lebensmittelkonzerne, schwören aufPalmöl, weil es vielfältig einsetzbar ist, aber vor allem,weil es für sie unschlagbar billig ist . Hauptsache, derProfit stimmt – das ist die Devise der Konzerne, egal wiesehr Mensch und Natur darunter leiden . Das ist schänd-lich . Die Politik ist gefragt, diesem rücksichtslosen Pro-fitstreben Einhalt zu gebieten.
Vor zwei Wochen hat das französische ParlamentPläne für eine höhere Besteuerung von Palmöl, die so-genannte Nutella-Steuer, in letzter Minute abgeblasen,auch auf Druck der Nahrungsmittelindustrie. Ich finde esschade, dass in dem Antrag der Grünen, den ich sonstgut finde, Pläne für eine solche Steuer fehlen; denn die-se Steuer wäre ein erster und wichtiger Schritt, um denPalm ölboom zu bremsen .
Jürgen Klimke
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 184 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 8 . Juli 2016 18289
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Diesen Boom hat nicht nur die Wirtschaft zu ver-antworten; vielmehr hat ihn die Bundesregierung aktivbefeuert . Die Förderung sogenannter Biokraftstoffe wieE 10 hat die Palmölimporte in die EU und nach Deutsch-land in die Höhe schnellen lassen . In Deutschland wirdheute mehr als die Hälfte des importierten Palmöls zurEnergieproduktion verwendet. Dieser Import findet auchunter dem Label „Klimaschutz“ statt . Aber das Verrück-te ist, dass man mit Palmölimporten zwar den Bedarf anfossilen Kraftstoffen senkt, dafür in den Entwicklungs-ländern aber Menschenrechte verletzt und Regenwäl-der zerstört werden, und am Ende des Tages wachsendamit die Klimaprobleme weiter . Um es klar zu sagen:Biokraftstoffe haben mit Klimaschutz nichts zu tun . Derrichtige Weg zum Klimaschutz ist, den Energieverbrauchhierzulande zu senken .
Die Bundesregierung fördert die Palmölprodukti-on übrigens auch direkt über die staatseigene DEG, dieDeutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft .Die DEG finanziert den Agrarmulti Feronia, der im Kon-go eine Fläche halb so groß wie das Saarland gepach-tet hat, um Palmöl zu produzieren, und das, obwohl dieNichtregierungsorganisation GRAIN illegale Landaneig-nungen, Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechtensowie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf denPlantagen nachgewiesen hat . Feronia ist trotz all dieserMenschenrechtsverletzungen Mitglied des Round tableon Sustainable Palm Oil . Das ist ein freiwilliger Nach-haltigkeitsstandard, den WWF und Industrie gemeinsamentwickelt haben; darum ging es heute ja auch schon .Die Bundesregierung setzt auch auf diesen Standard . DasBeispiel Feronia zeigt aber – das ist wahrlich kein Ein-zelfall –, dass dieser freiwillige Standard nicht das Papierwert ist, auf dem er gedruckt worden ist .
Ich frage mich wirklich, wie viele Belege die Bun-desregierung noch braucht, bis sie einsieht, dass unserzerstörerisches Wirtschaftssystem nicht an freiwilligenSelbstverpflichtungen von Unternehmen genesen wird.
Ich sage es einmal so: Eine Lawine stoppt ihre todbrin-gende Talfahrt ja auch nicht durch gutes Zureden, son-dern durch klar gesetzte Absperrungen . – Was wir fürdie Palmölproduktion brauchen, sind Absperrungen, sindstarke, verbindliche Umwelt- und Sozialstandards; daunterstütze ich den Antrag der Grünen . Zugleich müs-sen wir aber Wege finden, die Palmölproduktion insge-samt zu drosseln, das heißt, den enormen Energie- undRohstoffverbrauch unseres Wirtschaftssystems endlicheinzudämmen . Ansonsten wird der Palmölvirus immermehr und mehr Flächen befallen und Mensch und Naturgleichermaßen dahinraffen .Danke schön .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Stefan
Rebmann, SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben gehört – das spüren wir ja auch –,dass der Anbau von Palmöl höchst umstritten ist . Wir ha-ben schon mehrfach gehört, was die Palmölproduktionbedeutet: Es findet eine Rodung von Tropenwäldern imgroßen Stil statt . Allein im Kongo wurden 2,8 MillionenHektar für Plantagen gerodet . In Indonesien sind 57 Pro-zent der Entwaldung allein darauf zurückzuführen, dassdort Palmöl produziert werden soll . All das hat Auswir-kungen auf die Umwelt, auf die Tierwelt, auf die Men-schen vor Ort und auf den Wasserhaushalt in den betrof-fenen Regionen . Natürlich hat das auch Auswirkungenauf unser Klima .
Das alles spüren wir dann natürlich auch zeitverzögerthier bei uns, zumindest was den Klimawandel betrifft .Palmölplantagen bedeuten also Treibhausgasemissio-nen in ungeahnten Höhen durch Brandrodungen und der-gleichen. Sie bedeuten Landkonflikte durch Vertreibungvon einheimischen Kleinbauern und nicht selten die kom-plette Missachtung der Landrechte indigener Minderhei-ten und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen aufden Plantagen . Das alles muss man leider mit dem indus-triellen Anbau von Palmöl verbinden . Inwieweit Palm-öl, das wir nahezu ausschließlich aus Entwicklungs- undSchwellenländern beziehen – wir haben schon gehört,dass 85 Prozent aus Indonesien und Malaysia kommen –,schon unseren Alltag beeinflusst – wir haben gehört, woüberall Palmöl eingesetzt wird –, ist vielen von uns garnicht bewusst . Mir war es bis vor wenigen Wochen auchnicht so bewusst . Das eine oder andere wusste ich, abernicht in dieser Dimension: dass 68 Prozent des produ-zierten Palmöls in die Nahrungsmittelindustrie gehen .Wir kennen alle den schokoladenartigen Brotaufstrich,den Kinder morgens gern essen
und den auch ich in der Vergangenheit gern gegessenhabe .Wir kennen das alles: 27 Prozent der Produktiongehen in Kosmetika, Putz- und Reinigungsmittel, und5 Prozent – das haben wir auch schon gehört, je nach-dem, welche Zahlen man nimmt – werden im Kraftstoffverwendet .
Niema Movassat
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 184 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 8 . Juli 201618290
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– Ja, Kollege, ich habe ja – hör richtig zu – gesagt: Jenachdem, welche Zahlen man verwendet .
Ich sage selbstverständlich auch: mit extrem steigenderTendenz . Wenn man sich das gerade beim Kraftstoff an-schaut, sieht man innerhalb von sechs Jahren eine Steige-rung – wenn die Zahl richtig ist – um 365 Prozent .
Du siehst also, Kollege, ich habe den Antrag durchausgelesen .Wir wissen natürlich: 58 Millionen Tonnen werdeninsgesamt produziert, und 10 Prozent davon gehen in dieEU .Wenn wir jetzt die Auswirkungen des Palmölanbausauf die vielen betroffenen Menschen vor Ort, also dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die indigeneBevölkerung, die Landbevölkerung, auf diejenigen, diedort vertrieben werden, auf das Klima, die Umwelt aufder einen Seite betrachten und uns auf der anderen Sei-te den steigenden Verbrauch, die enorme Nachfrage inden Industriestaaten vor Augen führen, dann stellen wirfest: Es ist eine enorme Schieflage zuungunsten der Ent-wicklungs- und der Schwellenländer da . Es ist schon einPunkt, wo wir sagen müssen: Das ist eine enorme Schief-lage zuungunsten der Länder und ihrer Umwelt, und demmüssen wir deutlich entgegenwirken . Ich sage aber auch:Wir müssen nicht nur entgegenwirken, sondern auchbesonnen entgegenwirken . Ich sage das deshalb, weilder Kollege Klimke schon recht hat, dass nicht wenigeKleinbauern von den Einnahmen leben müssen, da diesihre einzige Einnahmequelle ist, die sie zur Verfügunghaben, um ihre Familie zu ernähren .Nicht wenige Entwicklungsländer verbinden mit demExport von Palmöl auch die Hoffnung auf zusätzlicheArbeitsplätze und zusätzliche Einnahmen .
Ich betone: die Hoffnung . Wer also, lieber Kollege, denAnbau und den Verbrauch von Palmöl quasi untersagenwill – was euer Antrag ja nicht fordert; das will ich hierdeutlich sagen –, schießt eigentlich am Ziel vorbei, undes ist auch unrealistisch . Aber die hohen Erträge undgünstigen Herstellungskosten machen diese Pflanze na-türlich sehr attraktiv und behindern auch ein zügiges Er-setzen dieser Pflanze. Palmöl ist nun einmal dreimal soertragreich wie Raps und beansprucht ein Sechstel derFläche für Soja. Trotzdem finde ich: Wir können da eineganze Menge tun .
Wir Entwicklungspolitiker der SPD-Bundestagsfrak-tion sind für verbindliche, einklagbare soziale Umwelt-standards – nicht nur beim Palmöl, sondern generell .Dazu gehören effektive Beschwerde- und Sanktionsrech-te, damit Arbeitnehmer ihre Rechte auch einklagen kön-nen . Dazu gehören Gewerkschaftsrechte und faire Löhne .Dazu gehört, dass wir bei Handelsverträgen mit anderenStaaten die verbindliche Einhaltung der ILO-Kernar-beitsnormen einfordern . Dazu gehört, dass multinationalagierende Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihreSorgfaltspflichten entlang der Lieferkette zu garantieren.Ich sage: Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Verbind-lichkeit und ein Mehr an Verantwortung, und zwar nichtnur auf dem Papier, sondern auch so, dass es eingefordertwerden kann .Ich sage auch: Wir Entwicklungspolitiker der SPDsind, glaube ich, auf einem guten Weg . Wir haben indem Bereich schon einiges auf den Weg gebracht . Un-ser Antrag „Gute Arbeit weltweit“, den dankenswerter-weise viele Kolleginnen und Kollegen in der Koalitionnamentlich mitgezeichnet haben und damit persönlichdokumentiert haben, wie wichtig ihnen gute Arbeit welt-weit ist, beweist das, glaube ich, nachdrücklich . Mit derUmsetzung der CSR-Richtlinie und dem Nationalen Ak-tionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte, der geradeerarbeitet wird, müssen wir die nächsten Schritte konse-quent und vor allen Dingen verbindlich umsetzen .
Ziel muss sein, dass gut gemeinte, gut gemachte undordentlich formulierte Anträge wie dieser – das will ichbei dem Antrag, den wir gerade debattieren, gar nicht inAbrede stellen –, die sich auf sektorale Produktionen, aufeinzelne Produkte, auf Produktlinien oder auf einzelneLieferketten beziehen, nicht mehr notwendig sind, weilverbindliche Sozial- und Umweltstandards, Menschen-rechtsstandards, Unternehmensverantwortung und faireArbeitsbedingungen sowie faire Löhne überall geltenund eingehalten werden müssen und notfalls auch einge-klagt werden können. Ich finde, das muss unser Ziel sein.
– Kollege, zuhören .
Beim Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft undMenschenrechte sage ich recht deutlich: Wir müssen lie-fern . Ein Jahr lang haben sich Zivilgesellschaft, NGOs,Stiftungen, Gewerkschaften und viele Verbände mit ih-rem Expertenwissen sehr konstruktiv, sachbezogen undlösungsorientiert eingebracht und sich dabei engagiert .Dieses Wissen und Engagement kann man nicht einfachmit einem Federstrich zur Seite wischen, auch die BDAnicht, möge sie seit wenigen Tagen über noch so guteBeziehungen zum Finanzministerium verfügen .Ich sage auch: Politisches Handeln muss durch Öf-fentlichkeitsarbeit begleitet werden, weil es wichtig ist,dass die Menschen wissen, was in unseren Produktenenthalten ist . Denn nur dann, wenn sie wissen, was inStefan Rebmann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 184 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 8 . Juli 2016 18291
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den Produkten drin ist, können sie sich für Alternativpro-dukte entscheiden .Damit sind wir schon beim Thema Transparenz undSiegel . Aus meiner Sicht ist es ein durchaus schwierigesUnterfangen . Die Grundidee der Siegel halte ich für sehrgut . Unser Problem ist allerdings, dass wir eine gan-ze Reihe von Siegeln haben, die nicht das halten, wassie versprechen . Wir haben auch eine ganze Reihe vonSiegeln, die im Grunde nur zu Werbezwecken erfundenwurden . Deshalb bin ich der Auffassung: Wir müssen dapolitisch handeln . Wir müssen Rahmenbedingungen vor-geben. Ich finde, das ist mit eine Aufgabe von Politik.Ich freue mich darauf, in den Wochen nach der Som-merpause, lieber Kollege Kekeritz, dieses Thema in denFachausschüssen weiter zu verfolgen, weiter zu beglei-ten . Ich glaube, die Arbeit daran lohnt sich; denn es gehtum gute Arbeit weltweit .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt spricht Peter Stein, CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Es wurde schon vieles gesagt, deshalb willich mich einmal ein bisschen mit dem Produkt Palmölbeschäftigen . Palmöl hat mittlerweile 30 Prozent Markt-anteil, wodurch es weit vor dem Sojaöl liegt . Im Jah-re 2015 sind tatsächlich knapp 60 Millionen Tonnen pro-duziert worden, 85 Prozent davon allein in Malaysia undIndonesien. Die Anbauflächen dort haben sich seit 1990verzehnfacht . Das zeigt die Dimension, über die wir hierreden .Laut WWF plant allein Indonesien, die Plantagen bis2025 auf etwa 20 Millionen Hektar zu erweitern – dieHälfte davon auf Borneo, was 13 Prozent dieser Inselausmachen würde . Auch das ist eine enorme Dimension .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bedarf an pflanz-lichen Ölen, Speiseölen und Fetten, steigt weiterhin starkan – weniger in Europa, aber besonders in Afrika undAsien . Dort werden gerade Palmöle aufgrund der aus-gezeichneten klimatischen Stabilität als Speisefette ver-wendet . Palmölprodukte haben besondere energetischeEigenschaften, die sich auch hinsichtlich Nachhaltigkeitund Erneuerbarkeit von Energie besser nutzen lassen .Die im Antrag der Grünen genannten 1,9 MillionenTonnen, die verbraucht werden – ich nehme an, das isteine aktuelle Zahl, Herr Kekeritz –, machen für europä-ische Kraftstoffe allerdings gerade einmal 3 Prozent desWeltverbrauches aus . Der Biodiesel mit Palmölanteil er-reicht dabei hohe Cetanzahlen . In Fahrversuchen konnteein um bis zu 45 Prozent geringerer Partikelausstoß undein um bis zu 20 Prozent geringerer Stickoxidausstoßfestgestellt werden . Ein weiterer Vorteil sind die geringe-ren Kosten der Herstellung, die gegenüber anderen Bio-dieselarten bei rund einem Viertel liegen .
Außerdem erzielt man mit der Ölpalme mit durch-schnittlich 3,7 Tonnen pro Hektar den mit Abstandhöchsten Ertrag unter den Ölpflanzen. Er ist fünfmal hö-her als der von Soja und dreimal so hoch wie der vonRaps. Damit ist er am flächensparendsten.Das geht übrigens auch aus einem aktuellen Informa-tionsblatt des WWF hervor .Palmölprodukte haben darüber hinaus besondere ge-sundheitliche Eigenschaften . Sogenanntes rotes Palmölenthält eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Ca-rotinen und Vitamin E . Bereits ein Esslöffel enthält mehrals die empfohlene Tagesdosis .Ein Schwachpunkt ist jedoch der hohe Anteil an ge-sättigten Fettsäuren . Diese können sich bei übermäßigemVerzehr negativ auf die Blutfettwerte, vor allen Dingenauf das Cholesterin, auswirken . Auch eine Schädigungvon Gefäßwänden kann dadurch entstehen . Eine Folgekann daneben die Begünstigung von Gefäßverkalkungsein. Das trifft allerdings auch auf andere pflanzliche Öleund Fette zu .Palmölprodukte haben besondere Lebensmittelei-genschaften . Palmöl eignet sich wie kaum ein zweitespflanzliches Fett gut zum Erhitzen, da darin kaum mehr-fach ungesättigte Fettsäurereste gebunden sind, die sichbeim Erhitzen in bedenkliche Fettsäurereste umlagernkönnten .Palmkernöl ist bei Raumtemperatur fest; bei Körper-temperatur schmilzt es jedoch rasch ab, und es hinter-lässt im Mund einen angenehmen Kühleffekt. Es findetbei uns daher zu einem großen Teil Verwendung bei derHerstellung von Margarine, oder es kann auch zu hoch-wertigen Spezialfetten für die Süßwarenindustrie umge-wandelt werden . Zudem wird es aufgrund seiner Schmel-zeigenschaften für Eiscremes, Schokoladen, Toffees undKaramell verwendet .Palmkernöl hat besondere grundstoffliche Eigen-schaften . Es wird für die Herstellung von Tensiden, denwaschaktiven Stoffen in konventionellen sowie ökolo-gischen Reinigungsmitteln, eingesetzt . Alle Wasch- undReinigungsmittel enthalten Anteile von 3 bis 30 ProzentTenside, welche entweder aus Erdöl oder aus pflanzlichenÖlen – hauptsächlich Palmkernöl – hergestellt werden .Mit immer größeren Anbauflächen, besonders in Asien,sowie dem Trend zu nachwachsenden Rohstoffen ist derAnteil von Tensiden auf Palmölbasis stark zunehmend .Palmöl ist Basis in Wasch- und Reinigungsmittelnund derzeit nicht deklarationspflichtig; das ist richtig.Daher wird es bei den Inhaltsstoffen auch nicht expliziterwähnt . Liebe Kollegen von den Grünen, da Sie die De-klarationspflicht für Tenside, die aus Palmöl hergestelltwerden, fordern, müssten Sie dies auch für Tenside ausErdöl einfordern .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 184 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 8 . Juli 201618292
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Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Verbraucher imSinne Ihres Antrages entscheiden würden, wenn sie dieWahl zwischen pflanzenöl- und erdölbasierten Produktenhätten . Vor allen Dingen wüsste ich auch gerne einmal,wie Sie sich selber entscheiden würden, wenn Sie dieWahl hätten .Palmfette haben derart besondere Eigenschaften, dasssie tatsächlich ohne Qualitäts- oder Geschmacksverlustekaum durch andere Produkte ersetzt werden könnten .
Mancher süße Brotaufstrich wäre ohne Palmfett krüme-lig oder würde schnell ranzig, und Biodiesel wäre nichtmarktfähig .
Aufgrund des aktuell tatsächlichen Palmöl- und Palm-kernölverbrauchs in all diesen Produkten ist ein Verzichtdarauf als Rohstoff unmöglich; ich glaube, darin sind wiruns einig .
Wenn Palmöl jedoch in großem monokulturellem Maß-stab angebaut wird und dafür tropischer Regenwaldvernichtet wird, dann sind die Auswirkungen auf dieUmwelt mehr als negativ . Dazu tragen jedoch wenigerunsere Verbrauchsgewohnheiten bei, sondern neben demerheblichen Bevölkerungswachstum auch die Regelun-gen der Herstellerstaaten in Asien und Afrika . So mussseit 2007 in Malaysia der Diesel 5 Prozent verestertesPalmöl enthalten . Zudem unterstützt die malaysischeRegierung aufgrund steigender Mineralölpreise den Bauvon Palmöl-Biodiesel-Anlagen im Land .Liebe Kollegen der Grünen, Sie haben in Ihrem An-trag völlig zu Recht auf die Missstände in der Palmöl-produktion hingewiesen, schießen aber in den übrigenPunkten über das Ziel hinaus .
Das gilt zum Beispiel für die Kennzeichnungspflicht,die nicht wirklich hilft, sondern wieder nur verunsichernwürde . Das gilt besonders für Ihr Lieblingsthema, lieberKollege Kekeritz, die kleinbäuerliche Landwirtschaft .Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass es zur pro-duzierten Menge an Palmöl auch in der Zukunft keineAlternative gibt . Das geht tatsächlich nicht alleine inkleinbäuerlichen Strukturen . Für Ihr Anliegen werdenSie auch bei den Herstellerländern keine Unterstützungfinden. An diesem Punkt werden Sie das Rad nicht zu-rückdrehen . Palmöl an sich ist in der Verwendung bei unskein problematisches Produkt, im Gegenteil . Daher istder wichtigste Ansatz in den Herstellerländern zu finden.
Sie können völlig sicher sein, dass wir als Regierungs-koalition an jeder erdenklichen Stelle in der Entwick-lungszusammenarbeit und gerade bei der Umsetzung derProjekte über GIZ, KfW und DEG wie bisher in dieserLegislatur stets darauf achten werden, dass es, wo immermöglich, ein faires Einbinden der lokalen und staatlichenStrukturen des Partnerlandes gibt, und zwar auf Augen-höhe .
Dazu stehen wir in dieser Bundesregierung .Punktlandung: Ich habe noch fünf Sekunden Redezeit .Als letzter Redner wünsche ich Ihnen allen eine schöneSommerpause . Wer noch Urlaub hat, dem wünsche icheinen schönen Urlaub und viel Freude im Wahlkreis .
Vielen Dank . – Das war schon der Hinweis darauf,
dass wir jetzt die Aussprache beenden .
Nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen
wird vorgeschlagen, die Drucksache 18/8398 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen . – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind . Dann
ist das der Fall . Die Überweisung ist beschlossen .
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung an-
gelangt .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, den 6 . September 2016, 10 Uhr, ein .
Ich hoffe, dass Sie in der jetzt anstehenden sitzungs-
freien Zeit die Gelegenheit haben, zur Ruhe zu kommen .
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen alles Gute .